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German Pages 601 [602] Year 2006
ALEXANDER HOLLERBACH
Ausgewählte Schriften
ALEXANDER HOLLERBACH
Ausgewählte Schriften In Verbindung mit Joachim Bohnert, Christof Gramm, Urs Kindhäuser, Joachim Lege, Alfred Rinken herausgegeben von Gerhard Robbers
Duncker & Humblot • Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-12018-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706©
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Der 75. Geburtstag von Professor Dr. iur. Dr. iur. h. c. Alexander Hollerbach am 23. Januar 2006 gibt Anlass zur Herausgabe dieser Sammlung seiner verstreut erschienenen Schriften. Sie spiegeln die Breite des kirchen- und staatskirchenrechtlichen, rechtsphilosophischen, verfassungsrechtlichen und wissenschaftsgeschichtlichen Wirkens von Alexander Hollerbach. Dieses Wirken hat seine Mitte in der Stetigkeit des billig und gerecht Denkens und Handelns. Eine Reihe von Schriften in dieser Sammlung hat Alexander Hollerbach selbst durch Nachbemerkungen ergänzt. Herzlicher Dank gilt den Verlagen, die den Wiederabdruck der Beiträge genehmigt haben und dem Verlag Duncker & Humblot für seine verlegerische Betreuung des Bandes. Eben solcher Dank gilt den Mitarbeitern, die die Fertigstellung dieser Sammlung tatkräftig unterstützt haben. Trier, im Januar 2006
Die Herausgeber
Inhaltsverzeichnis A. Zu den Grundlagen von Recht, Staat und Verfassung I. Grundphänomene und Grundkategorien Globale Perspektiven der Rechts-und Staatsentwicklung (1991)
13
Aspekte der Freiheitsproblematik im Recht (1973)
31
Selbstbestimmung im Recht (1996)
42
Reflexionen über Gerechtigkeit (1996)
63
Billigkeit (1985)
77
Rechtsethik (1988)
83
Rechtswissenschaft (1988)
86
Erwägungen zum Verhältnis von Recht und Religion im Hinblick auf eine philosophische Anthropologie des Politischen (1984)
98
II. Grundfragen der Verfassungstheorie und des Verfassungsrechts Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung? Zu Ernst Forsthoffs Abhandlung „Die Umbildung des Verfassungsgesetzes" in der Festschrift für Carl Schmitt (1960) 107 Ideologie und Verfassung (1969)
134
Grundwerte und Grundrechte in der Gesellschaft und im Staat (1981)
153
B. Beiträge zum Kirchen- und Staatskirchenrecht I. Kirchenrecht Göttliches und Menschliches in der Ordnung der Kirche (1972)
177
Ius divinum - II. Kanonisches Recht (1987)
196
Zur Problematik der bedingten Taufe (1962)
199
Bemerkungen zum kanonischen Taufrecht (1984)
227
8
Inhaltsverzeichnis II. Staatskirchenrecht
Die Kirchen unter dem Grundgesetz (1968)
253
Neutralität, Pluralismus und Toleranz in der heutigen Verfassung (1976)
291
Staatskirchenrecht oder Religionsrecht? Begriffs- und problemgeschichtliche Notizen (1994) 304 Zur Problematik staatskirchenrechtlicher Grundsatzaussagen in verfassungsgeschichtlicher Perspektive (1992)
321
Rechtsbeziehungen zwischen kirchlicher und politischer Gemeinde. Versuch einer Skizze anhand der Rechtslage in Baden-Württemberg (1977) 330
III. Europäische Aspekte Europa und das Staatskirchenrecht ( 1990)
351
Religions- und Kirchenfreiheit im KSZE-Prozeß (1995)
383
IV. Verträge zwischen Staat und Kirche Das Badische Konkordat vom 12. Oktober 1932 (1979)
401
Die Lateran Verträge im Rahmen der neueren Konkordatsgeschichte (1980)
422
Aspekte der neueren Entwicklung des Konkordatsrechts (2004)
445
C. Wissenschaftsgeschichte Zu Leben und Werk Heinrich Triepels (1966)
465
Zu Leben und Werk Erik Wolfs (1982)
487
Im Schatten des Jahres 1933: Erik Wolf und Martin Heidegger (1989)
517
Erinnerung an Erik Wolf (2002)
535
D. Zur wissenschaftlichen Biographie Antrittsrede (1979)
549
Begegnungen in und mit Heidelberg (1994)
552
Inhaltsverzeichnis
9
E. Zur Person Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten von Alexander Hollerbach
559
Promotionen bei Prof. Dr. Alexander Hollerbach (Mannheim)
582
Promotionen bei Prof. Dr. Alexander Hollerbach (Freiburg)
583
Habilitationen bei Prof. Dr. Alexander Hollerbach
596
Namenregister
597
A. Zu den Grundlagen von Recht, Staat und Verfassung I. Grundphänomene und Grundkategorien
Globale Perspektiven der Rechtsund Staatsentwicklung1 I. „Globale Perspektiven der Rechts- und Staatsentwicklung": Vielleicht hätte es in diesem ereignisreichen, ja ereignisschweren Jahr nähergelegen, sich in einem juristischen Vortrag auf die Geschehnisse in Deutschland, allenfalls noch in Europa, zu konzentrieren als ins Globale und Mundiale auszugreifen. Aber auch und gerade diese Vorgänge stehen offensichtlich in einer globalen Problemvernetzung und fordern die Weitung des Blicks heraus, wenn man sie angemessen erfassen und verstehen will. Schon vor Jahren hat Werner von Simson vom „Ende der Selbstgerechtigkeit des Staates" gesprochen2, und man kann diese Aussage dahin erweitern, daß es auch längst keine Selbstgerechtigkeit des einzelstaatlichen Rechts mehr gibt. So sieht man sich herausgefordert, engere und vertrautere Horizonte zu überschreiten. Eine konkrete Aufgabe kommt hinzu. Das im Freiburger Verlag Herder in 7. Auflage erschienene Staatslexikon der Görres-Gesellschaft wird um zwei Ergänzungsbände angereichert, die als Staatenlexikon den Staaten der Welt gewidmet sein werden; dies aber nicht einfach in der sonst üblichen lexikalischen Form der Aneinanderreihung von Artikeln von Afghanistan bis Zypern, sondern mit dem Versuch, in einer Art Allgemeinen Teil zusammenfassend für die einzelnen Sachbereiche „globale Perspektiven" zu entwickeln. Daran bin ich beteiligt. Es handelt sich dabei, um es mit einem juristischen Topos auszudrücken, um eine gefahrengeneigte Arbeit, um ein fast tollkühnes, halsbrecherisches Unternehmen, dem man sich - zumal nun in einem Vortrag - nur mit dem verzweifelten Mut zur Lücke zuwenden kann. Am allerwenigsten ist eine geschichts- oder kulturphilosophische Gesamtsicht zu erwarten. Die Selbstsicherheit universalistisch orientierter Juristen wie Eduard Erstveröffentlichung in: Freiburger Universitätsblätter, Jg. 30, Heft 111 (1991) S. 33-47. 1 Redaktionell durchgesehenes Redemanuskript des Festvortrags bei der feierlichen Eröffnung des Akademischen Jahres am 17. Oktober 1990. Die Nachweise beschränken sich auf das Nötigste. Im übrigen darf zu den maßgebenden Begriffen, die verwendet werden, zur ersten Grundorientierung auf die 7. Auflage des Staatslexikons verwiesen werden (5 Bände, Freiburg 1985-1989). - Rainer Wahl danke ich für ein hilfreiches Gespräch während der Vorbereitung. 2 Die Souveränität im rechtlichen Verständnis der Gegenwart, Berlin 1965, S. 220.
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Globale Perspektiven der Rechts- und Staatsentwicklung
Gans oder Josef Kohler 3 steht uns nicht mehr zu Gebote, auch wenn wir gerade den letzteren als Freiburger Doctor iuris des Jahres 1872 gerne für uns in Anspruch nähmen. Der Problemaufriß, den ich heute vortragen darf, ist allerdings durchaus von der Überzeugung getragen, daß Recht und Staat als kulturelle Errungenschaften konstitutive Elemente von Kultur sind, diese gefaßt als Inbegriff von Objektivationen menschlichen Geistes. Dementsprechend versteht sich dieser Beitrag als Baustein im Rahmen einer kulturwissenschaftlich geprägten Theorie von Recht und Staat, die an den hermeneutisehen und methodischen Problemen einer allgemeinen Kulturtheorie teilhat. Dabei drängt sich eine globale Perspektive als Raster, man mag auch sagen: als Leitmotiv, von vornherein auf: Recht und Staat stehen im SpannungsVerhältnis zwischen Universalität und Partikularität, oder, etwas spezifischer formuliert: zwischen Internationalität und Nationalität, mit der offenkundigen Tendenz freilich, daß sich die Form der Regionalität als vermittelnde Stufe dazwischen schiebt. Für alles dies besteht ein dringendes Bedürfnis theoretischer Orientierung. Aber auch die praktische Relevanz solcher Bemühungen liegt auf der Hand. Allenthalben muß in den Formen des Rechts gehandelt werden, allenthalben ist der Staat involviert. Das reicht hinein bis in die großen Probleme, derer sich etwa der International Council of Scientific Unions in Paris mit seinem sog. Global Change Program widmet. Hier ist es sehr bemerkenswert, daß bei der in Angriff genommenen Erweiterung dieses Programms auf „Human Dimensions of Global Change" jetzt auch juristische und institutionelle Fragestellungen ins Bewußtsein gerückt sind und von Experten behandelt werden 4. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich dieser Vortrag in einem ersten Teil schwerpunktmäßig mit den Phänomenen Staat und Völkergemeinschaft. Wenn im zweiten Teil eher vom „Recht" die Rede ist, so liegt dem naturgemäß nur eine pragmatische Unterscheidung zugrunde - nicht als ob Staat und Recht voneinander getrennt werden könnten. Wohl aber wird hier „Recht" als Chiffre für die einfachgesetzliche Rechtsordnung gebraucht, wie sie sich uns etwa in den drei großen Kernbereichen des Privatrechts, des Strafrechts und des öffentlichen Rechts darstellt. In einem abschließenden dritten Teil ist die Frage nach Entwicklungsgesetzlichkeiten zu stellen. II. 1. Die politische Ordnungs- und Gliederungsform der Welt ist nach wie vor der Staat. Als gewaltmonopolisierende, zwar nicht allzuständige, aber höchstzustän3 Zu beiden Persönlichkeiten siehe die bio-bibliographischen Angaben bei Gerd Kleinheyer/Jan Schröder, Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten, 3. Aufl., Heidelberg 1989. S. 339 bzw. S. 348. 4 Diese Hinweise verdanke ich Herrn Kollegen Walther Manshard.
Globale Perspektiven der Rechts- und Staatsentwicklung
dige Handlungs-, Entscheidungs- und Wirkeinheit ist er ein Produkt der Neuzeit, das sich für die Bewältigung der komplexen Lebensprobleme sowie die Integration und Identifikation einer Gemeinschaft als unverzichtbar erwiesen hat. Auch und gerade in der sog. Dritten Welt hält man - sogar mit der Tendenz eines neuen Etatismus - daran fest: Die internationale Ordnung baut darauf auf. Die Vereinten Nationen sind eine Gemeinschaft nicht von Völkern, sondern von Staaten. Die Möglichkeit einer postmodernen, nach-neuzeitlichen Überwindung des Staates ist nicht in Sicht. Die marxistisch-leninistische These vom Absterben des Staates und vom Übergang in ein selbstregulatorisches Reich der Freiheit darf getrost in die Rumpelkammer der Geschichte gestellt werden. Demgemäß steht in bezug auf das Phänomen „Staat" nicht das „Ob" zur Debatte, wohl aber das „Wie". Hier sind freilich Transformationen und neue Problemstellungen unverkennbar. Dabei drängt sich geradezu als durchlaufende Perspektive eine Eigentümlichkeit der Weltsituation besonders auf, nämlich dasjenige, was man die „evolutionäre Asymmetrie" genannt hat5, mithin die Ungleichzeitigkeit und Ungleichgewichtigkeit der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der Völker und Staaten. Der Hinweis auf die Rede von den drei oder vier Welten, auch auf den Nord-Süd-Konflikt muß genügen. 2. Es ist hier nun sogleich zu notieren die mit zunehmender Komplexität der Lebensverhältnisse und Interdependenz der Lebensbedingungen gewachsene und weiter wachsende Verflechtung der Staaten und damit die Notwendigkeit eines Systems der Kooperation und Koordination, somit einer Relativierung der einzelstaatlichen Autarkie und Souveränität. Die nach außen offene Staatlichkeit ist zur Überlebensvoraussetzung der Staaten geworden. Das Völkerrecht stellt dafür sein Instrumentarium, zuvörderst den Vertrag und die klassischen Formen der Staatenverbindungen zur Verfügung. Vor allem aber haben sich funktional oder regional Formen der Verdichtung im Verhältnis von Staaten zueinander entwickelt, von denen die eindrücklichste und wirksamste wohl die Europäische Gemeinschaft mit ihren supranationalen Strukturen ist. Diese Gemeinschaft entfaltet freilich gerade neuerdings usurpatorisch-holistische Tendenzen, die die Frage nach den Grenzen der Gemeinschaftskompetenzen bzw. der Übertragung von Hoheitsbefugnissen besonders dringlich machen6. Zudem wird mehr und mehr bewußt, daß in diesem Bereich nur mit Hilfe der regulativen Idee der Subsidiarität und mit föderalen Strukturen Lösungen gefunden werden können, die Tragfähigkeit gewährleisten und Akzeptanz versprechen. Überhaupt stellt sich das Problem integrierender und identitätsstiftender Vermittlungen. Zugleich wird sichtbar, wie Gliederungs- und Differenzierungselemente, die mit staatlichen oder 5 Winfried Brugger, Menschenrechte im modernen Staat, in: Archiv des öffentlichen Rechts 114 (1989) S. 585. 6 Vgl. dazu jüngst meine Studie „Europa und das Staatskirchenrecht", in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 35 (1990) S. 266 ff.
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Globale Perspektiven der Rechts- und Staatsentwicklung
administrativen Grenzen und Formen nicht notwendig übereinstimmen, neue Relevanz gewinnen. Wir haben das Beispiel der Regio vor der Tür und sehen überhaupt die politische Aktivierung des Gedankens der Region. So zeigen sich, von unten beginnend, Möglichkeit und Notwendigkeit interregionaler und staatenüber-greifender Zusammenarbeit. 3. Blickt man von hier aus in das Innere der Staaten, so muß der nach außen offenen die nach innen offene Staatlichkeit entsprechen. Damit ist das Problem des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft gestellt. So grundlegend um der Freiheit willen diese Unterscheidung bleibt, so wenig ist mit Trennungskonzeptionen auszurichten. Das Bild vom osmotischen Verhältnis der beiden Größen7 hat nach wie vor Plausibilität, ja wir haben gerade in der jüngsten Geschichte eindrückliche Beispiele für die hier obwaltenden Interdependenzen. Zu denken ist hier einerseits an die deutsche Revolution als Revolution von unten aus der Gesellschaft heraus, die es als solche nach der damals dort herrschenden Doktrin als von Partei und Staat unterschiedene Größe eigentlich gar nicht hätte geben dürfen, an die Existenzkrisen afrikanischer Staaten andererseits, die gewissermaßen gesellschaftslos sind, weil Stämme und Cliquen sich weder in eine Gesellschafts- noch in eine Staatsordnung einfügen lassen, in denen Pluralität durch eine hinreichende Homogenität im Wesentlichen und Tragenden unterfangen ist. 4. Mag das noch zu pauschal sein: Der differenzierende Blick wird im Rahmen des Themas „Staat und Gesellschaft" sich vornehmlich auf das Verhältnis des Staates zu den maßgebenden, eindrucksvoll von Jakob Burckhardt hervorgehobenen nichtstaatlichen „Potenzen" richten, nämlich auf Religion, Kultur und Wirtschaft 8, eine Liste, in der man unter Ausgliederung aus der Kultur wohl Wissenschaft und Technik eigens benennen und der man als neue Potenz, ja Großmacht, die Medien anfügen sollte. Im freiheitlichen Verfassungsstaat sind hier auf der Grundlage der Nichtidentität im Spiel zwischen Distanz und Nähe, zwischen Freisetzung und Verantwortungsteilhabe tragfähige und produktive Formen der Bestimmung des Verhältnisses des Staates zu den genannten Potenzen gefunden worden. Aber im Religionsstaat islamisch-fundamentalistischer Prägung etwa haben wir ein in den letzten Jahren revitalisiertes Modell einer Einheit von Staat und Religion vor uns, das zu den Entwicklungstendenzen, die sich aus den Erfahrungen der christlichen Staatenwelt ergeben haben, querliegt. In globaler Perspektive ist, so wurde deutlich, der säkularisierte Staat keineswegs der einzige, wenn auch der dominante Typus, der sich im übrigen durch die Freisetzung der Religion gerade die Chance erhält, aus deren Kräften zu leben. Besonders kompliziert erscheint die Situation in Israel, wo im Ringen zwischen Religionsstaatlichkeit und säkularer Staatlichkeit noch nicht der nötige Ausgleich gefunden worden ist. 7
So Ernst Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, Stuttgart 1959, S. 18. Weltgeschichtliche Betrachtungen, hrsg. v. Werner Kaegi, Berlin 1941, S. 74 ff. Dazu und zum folgenden Josef Isensee, Art. Staat ( I - V I I ) , in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. V (1989) Sp. 133 ff., hier besonders Sp. 152 f. 8
Globale Perspektiven der Rechts- und Staatsentwicklung
Dem Religionsstaat verschwistert ist der ideologische Weltanschauungsstaat. Die Entwicklungen in Osteuropa und in der Sowjetunion lassen wohl schon die Feststellung zu, daß er sich zumindest im Prozeß der Relativierung und der Transformation befindet, ohne daß er allerdings deswegen schon für überholt erklärt werden könnte, zumal er andernorts noch fest verwurzelt ist. Wir kennen auch ein Beispiel für einen Weltanschauungsstaat afrikanischer Prägung. In Zaire etwa ist die nach dem Staatspräsidenten als Mobutismus benannte Parteidoktrin zugleich der maßgebende Leitfaden der Verfassung dieses Einparteienstaates9. 5. Das mag zugleich überleiten zum Problem der Staatsform. Die Staatsformenlehre hatte schon immer ein Raster zur Verfügung, um zu vergleichen und zu klassifizieren. Aber die Trias „Monarchie - Aristokratie - Demokratie" oder der Dualismus „Monarchie - Republik" treffen die heutige Lage offensichtlich nicht mehr. Andererseits wird man kaum sagen können, daß sich schon eine wirklichkeitsgerechte Typologie der gegenwärtigen Staatenwelt hat herausbilden können. Die Entwicklung gerade der jungen Staaten ist unübersichtlich und schwankend, und zu Recht hat man gesagt, daß sie „in vielen Widersprüchen zwischen politischer Prätention und Realität verläuft" 10 . Ein Fixpunkt und wohl auch so etwas wie ein Leitstern ist die verfassungsstaatliche Demokratie, der demokratische Verfassungsstaat, für den ganz im Sinne der klassischen Definition des Konstitutionalismus in Artikel 16 der französischen Menschen- und Bürgerrechtserklärung die Sicherung von Grundrechten und die Gewaltengliederung essentiell, ja begriffsnotwendig sind. Im Rahmen dieses Grundmodells gibt es begrenzte Spielräume und Differenzierungsmöglichkeiten, so die zwischen parlamentarischem System und Präsidialsystem, zwischen republikanisch gewähltem und dynastisch erblichem Staatsoberhaupt, zwischen repräsentativer und plebiszitärer Demokratie. Nicht unbedeutend ist in bezug auf die spezifische Eigenart des Gewaltenteilungssystems, ob und mit welcher Reichweite eine Verfassungsgerichtsbarkeit besteht. Aber gibt es einen eindeutigen Gegentypus? Der Typus des marxistisch-leninistischen Weltanschauungsstaates, nach seinem ideologischen Selbstverständnis die Erscheinungsform der Diktatur des Proletariats, in der Realität die Suprematie und die Oligarchie der Führung der kommunistischen Partei, beginnt jedenfalls in Osteuropa zu verschwimmen, ja das Feld zu räumen. Vielleicht hilft der Typus der Autokratie. Aber unter diesem Dach herrscht bunte Vielfalt: die absolute und die konstitutionelle Monarchie, das Junta-System, die Militärdiktatur, der Einparteienstaat, die autokratische Herrschaft eines Stammes, ja eines Familien-Clans. Die globale Perspektive zeigt mithin ein buntscheckiges Bild. Man darf, gestützt auf 9 Vgl. dazu Wilfried Rather, Die Verfassungsentwicklung und Verfassungswirklichkeit Zaires (1960-1989), in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts n. F. 38 (1989) S. 525-552 (541). 10 Isensee, a. a. O. (Anm. 8) Sp. 157.
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Globale Perspektiven der Rechts- und Staatsentwicklung
längerfristige historische Erfahrungen, der faktischen Überlegenheit und der sachlich begründeten, sozusagen menschengerechten Angemessenheit der verfassungsstaatlichen Demokratie gewiß sein. Aber man darf die sozial-ökonomischen Faktoren nicht übersehen, die für ihr Gelingen eine Rolle spielen, am wenigsten schließlich dasjenige, worin schon Montesquieu die maßgebende Grundlage, die entscheidende Antriebskraft der Demokratie gesehen hat: la vertu 11 , will heißen das Ethos und die Einsatzbereitschaft des aufgeklärten Bürgers, der über seiner individuellen Freiheit die (Mit-)Verantwortung für das Gemeinwohl nicht vergißt. 6. Das Recht der Staaten, das bis jetzt vornehmlich unter dem Gesichtspunkt des Verfassungsrechts betrachtet wurde, ist, wie schon anfangs betont, eingebunden in die Ordnung des Völkerrechts. Dieses hat eine Institution hervorgebracht, in der die Staatengemeinschaft Ausdruck und Gestalt findet, die Vereinten Nationen. Wir erleben derzeit in Reaktion auf flagrante Völkerrechtsverletzungen eine Phase relativer Stärke der universellen Staatengemeinschaft. Es ist aber offenkundig, daß sie - ohne äußere Garantie - ganz vom Willen und der Bereitschaft der Mitglieder, insbesondere der Großmächte, abhängig ist. Indes, die spezifischen Kennzeichen der neueren Entwicklung liegen anderswo. Zum einen ist die Zahl der Verfassungen gestiegen, die sich ausdrücklich zur normativen Einbindung in das Völkerrecht bekennen; das verstärkt dessen Geltungskraft. Sodann wächst das Individuum, vor allem qua Menschenrechte, in die Ordnung des Völkerrechts hinein, das damit den Horizont eines bloß zwischenstaatlichen Rechts (Ius inter gentes, Ius inter nationes) in Richtung auf ein wirkliches Ius gentium, ein Ius humantitatis überschreitet. Das Völkerrecht der Gegenwart befindet sich insoweit „in einem großen Umwandlungsprozeß . . . , da es die Tendenz verfolgt, von einem bloße Zwischenmächterecht zur Rechtsordnung der vielfach gegliederten Menschheit ausgestaltet zu werden" 12 . Damit hängt weiter zusammen, daß sich die institutionelle Ordnung differenziert hat. Es gibt eine Vielzahl internationaler, von den Regierungen getragene Spezialorganisationen, die gleichsam Satelliten der UNO bilden. Als Beispiele seien die UNESCO, die Weltgesundheitsorganisation, der Internationale Wahrungsfonds und die Weltbank genannt. Noch bezeichnender aber dürfte sein die Existenz von „Non-Governmental-Organizations" auf den verschiedensten Sektoren. Hierher gehört die Kommission des Weltrats der Kirchen für internationale Angelegenheiten ebenso wie etwa die Internationale Pilotenvereinigung Cockpit. In politikwissenschaftlicher Diktion heißt das: „Der staatenzentrierten Welt steht eine multizentrische Welt transnationaler Akteure gegenüber (Parteien, Unternehmen, Gewerkschaften, Kirchen)" 13 . Hier setzt sich das Problem der „Repräsentation organisierter Interessen" (/. H. Kaiser) auf der international-völkerrechtlichen n Vom Geist der Gesetze, III. Buch, 3. Kapitel. 12 So Alfred Verdross / Bruno Simma, Universales Völkerrecht, Berlin 1976, S. 658. Eindringlich zu diesem Sachverhalt jetzt auch Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum , Volkerrecht, 2. Aufl., Bd. 1/1, Berlin/New York 1989, S. 2 - 2 1 . 13 So Manfred Mols, Manuskript „Wandlungen des internationalen Systems", im Erscheinen.
Globale Perspektiven der Rechts- und Staatsentwicklung
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Ebene fort, ja noch weitergehend und grundsätzlicher zeigt sich hier in globaler Dimension eine Analogie zum Verhältnis Staat : Gesellschaft in Gestalt des Verhältnisses Staatengemeinschaft : Weltgesellschaft, und auch dies vornehmlich im Hinblick auf die großen Potenzen Religion, Kultur und Wirtschaft. Nicht zuletzt ist der enormen Ausweitung der völkerrechtlichen Agenden im Gefolge technischer Entwicklungen und neuer oder neu bewußt gewordener Problemkonstellationen zu gedenken. Stichworte müssen genügen: Weltraum, Meeresboden, Telekommunikation, Umweltschutz, Bevölkerungswachstum, Gesundheitsgefahren, Risiken der Technik und der Forschung. Man kann wohl auch von einem spezifischen Wirtschaftsvölkerrecht sprechen. Es versteht sich, daß das Völkerrecht in alledem zwar gewisse institutionelle Vorkehrungen treffen und inhaltliche Leitprinzipien aufstellen kann, daß es aber ganz auf die Mitarbeit der Staaten und der international organisierten freien Kräfte angewiesen bleibt. 7. Bei der Bearbeitung des heute zur Debatte stehenden Themas können Zweifel darüber aufkommen, welches denn nun wirklich „globale Perspektiven" der Rechtsund Staatsentwicklung sind. Bei einer Thematik aber verstummen solche Zweifel mit Sicherheit, nämlich bei den Menschenrechten. Und das ist geradezu begriffsnotwendig so. Denn wenn Menschenrechte diejenigen fundamentalen Rechte sind, die jedem Menschen gerade als Menschen zustehen, unabhängig von seiner Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat oder einer bestimmten Gruppe, und wenn es wahr ist, daß, wie das Grundgesetz in Anlehnung an die UN-Menschenrechtsdeklaration von 1948 formuliert, die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte die Grundlage bilden „jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt" (Art. 1 Abs. 2), dann ist hier wahrlich eine weltweite Perspektive im Spiel. Es geht dabei in gleicher Weise um den Menschen wie um den Staat, genauer gesagt: die Achtung der Menschenrechte ist ein Element der Legitimation des Staates. Die Rechtfertigung des modernen Staates hängt wesentlich, wenn auch nicht exklusiv von der Achtung der Rechte des Menschen ab 14 . Menschenrechte - nach den Erfahrungen der Vergangenheit und auch leidvoller Erfahrungen der Gegenwart ein zu Recht beherrschendes, viel diskutiertes Thema, ein Thema freilich auch, bei dem das - durchaus verständliche! - Pathos zu leicht die Schwierigkeiten nicht nur der Praxis, sondern auch der Theorie überdeckt. Immerhin darf zunächst, was die Positivierung der Menschenrechte im nationalen Verfassungsrecht und im internationalen Recht anlangt, eine positive Bilanz aufgemacht werden. Das normative Netz hat sich verdichtet. In erster Linie sind auf internationaler Ebene die beiden großen UN-Pakte von 1966, nämlich über bürgerliche und politische Rechte einerseits, über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte andererseits zu erwähnen. Ihnen stehen einzelne Menschenrechtsschutzverträge zur Seite, wie diejenigen zur Beseitigung der Rassen-Diskriminierung und zur Ächtung der Folter. Für Europa, Amerika und Afrika kommen kontinental14 Brugger, a. a. O. (Anm. 5) S. 539. 2*
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Globale Perspektiven der Rechts- und Staatsentwicklung
regionale Konventionen hinzu, von denen insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention mit ihrem relativ weit ausgebauten Rechtsschutzsystem besonders wirksame Geltungskraft für sich beanspruchen darf. Aber man muß sich dem Befund stellen, den Ludger Kühnhardt in seiner grundlegenden Studie über „Die Universalität der Menschenrechte" 15 wie folgt formuliert hat: „Über den Inhalt des Konzeptes der Menschenrechte herrscht kein tatsächlich universeller Konsens. Die Bestandsaufnahme der Ergebnisse jenes Prozesses, seit 1948 im Rahmen der Vereinten Nationen zu einer universellen Festschreibung völkerrechtlich verbindlicher Menschenrechtsnormen zu gelangen, läßt keine optimistischere Schlußfolgerung zu. Das verbale Bekenntnis vieler Staaten dieser Welt zu den Menschenrechtsinstrumenten der Vereinten Nationen vermag über zum Teil fundamentale geistig-philosophische Differenzen in der Interpretation der Menschenrechte nicht hinwegzutäuschen. Die vielfältigen Deutungen der Menschenrechtsidee reflektieren Unterschiede des geistig-philosophischen Zugangs zur Idee unveräußerlicher, vorstaatlicher und angeborener Rechte auf Grund divergierender kultureller und ideengeschichtlicher Vorverständnisse; vor allem aber äußern sich in ihnen die voneinander abweichenden politischen Zielvorstellungen, denen das Menschenrechtskonzept dienstbar gemacht werden soll". Man kann einen Teil der Problematik schon an äußeren Fakten ablesen. Der UNZivilpakt, der die klassischen Abwehrrechte enthält, Ausdruck der sog. ersten Generation der Menschenrechte, mußte auf Druck der sozialistischen Staaten ergänzt werden durch den UN-Sozialpakt, Ausdruck der sog. zweiten Generation. Und schließlich kam mehr und mehr auch die Konzeption der Länder der Dritten Welt zur Geltung. Man spricht von Menschenrechten der dritten Generation, die aber im Grunde nicht mehr Menschenrechte, sondern Rechte der Staaten sind. Zu den sog. Drittgenerationsrechten gehören insbesondere die von den ärmeren Staaten eingeklagten Rechte auf Entwicklung, konkret auf Entwicklungshilfe, auf Frieden und auf Schutz der Umwelt, ferner das Recht auf Teilhabe am „gemeinsamen Erbe der Menschheit"; damit sind die Reichtümer des Tiefseegrundes, aber auch das sonstige natürliche und kulturelle Erbe der Welt und die Nutzung des Weltraums gemeint. Es ist offenkundig, daß die Rechte in diesen drei Generationen oder Dimensionen eine ganz verschiedene juridische Qualität besitzen. Auf doktrineller Ebene mögen sich die Divergenzen im Menschenrechtsverständnis zwischen Ost und West allmählich abbauen, wenn sich die Abkehr vom Marxismus-Leninismus als Staatsdoktrin durchsetzen sollte. Aber es bleiben auf alle Fälle Schwierigkeiten mit dem islamischen und dem hinduistischen Menschenrechtsdenken, ferner mit Vorstellungen, die in Afrika verbreitet sind. Was läßt sich bei dieser Sach- und Problemlage tun? In der Tendenz, sich in der Menschenrechtsfrage vor Überschwang zu bewahren, aber durchaus in der eindringlichen Sorge um die, wie er schön formuliert, 15 Die Universalität der Menschenrechte, Bonn 1987, S. 242.
Globale Perspektiven der Rechts- und Staatsentwicklung
„Lebenstüchtigkeit" der Menschenrechte, hat Werner von Simson voriges Jahr in der Partsch-Festschrift Nachdenkliches darüber ausgebreitet16. Er hat dabei vor allem auf die Notwendigkeit der Konkretisierung abgehoben und gezeigt, daß es - von der Gesinnung und dem ideologischen System unabhängige - faktische Zwänge gibt, jedenfalls ganz elementare Menschenrechte anzuerkennen. Er konstatiert „die Tatsachenlage", „daß es als Überlebensbedingung der großen, und wohl auch der kleineren Machtgruppen unserer Zeit erkennbar wird, gewisse Rechte jedes Menschen zu achten, und daß diese Notwendigkeit als eine der Menschheit gemeinsame aufgefaßt wird" (S. 51). Damit ist gemeint: Es gibt Dinge, die sich niemand nachsagen lassen will, konkreter: Menschenrechtsverletzungen können mittel- oder langfristig teuer zu stehen kommen 17 , man würde ausgeschlossen von Möglichkeiten der Friedenssicherung und der Teilhabe an Entwicklungschancen. Noch konkreter: „Die Aufnahme der Türkei in die Europäische Gemeinschaft i s t . . . abhängig davon, daß dort gewisse Zustände, die mit der Menschenwürde, wie die Gemeinschaft sie auffaßt, nicht zu vereinbaren sind, glaubhaft beseitigt werden" (S. 64). Es ist gewiß ein bedauerlicher Umweg, der hier gegangen werden muß, nämlich über den Appell an die Eigeninteressen des Staates, statt des direkten Weges über die eigene Überzeugung von der Richtigkeit der Sache. Aber man darf um des Zieles willen diese Wirkung einer Art List des Faktischen durchaus akzeptieren, auch wenn es sich verbietet, auf diese Strategie allein zu setzen. Diesen letzteren Gedanken aufgreifend, muß dann aber dafür plädiert werden, daß die Menschenrechte im engeren Sinne, d. h. die justitiell anwendungsfähigen Freiheits-, Gleichheits- und Eigentumsrechte sowie die spezifisch staatsbürgerlichen Rechte wegen ihrer Verwurzelung im Prinzip der Personalität und im Gedanken individueller sittlicher Autonomie universalisiert und nicht relativiert werden. Die Rechte der zweiten und dritten Generation sind wegen ihres andersartigen juridischen Status deutlich davon abzusetzen, auch wenn sie durchaus in den Umkreis von Freiheit und Gleichheit hineingehören, nämlich als Faktoren für deren konkrete Realisierung. Keinesfalls aber dürfen ihnen die Erstgenerationsrechte geopfert werden. Im übrigen dürfte auf der Ebene der Theorie die Hoffnung bestehen, daß uns der interkulturelle anthropologische Diskurs voranbringt.
III. 1. Schon die im ersten Teil verfolgte Betrachtungsweise hat bewußt gemacht, daß allenthalben Recht im Spiel ist. In der Tat ist im Blick auf die Welt Recht ein schlechterdings universales Phänomen. Nirgendwo mehr reichen Sitte und Brauch, 16
Überstaatliche Menschenrechte: Prinzip und Wirklichkeit, in: Des Menschen Recht zwischen Freiheit und Verantwortung. Festschrift für Karl Josef Partsch zum 75. Geburtstag, hrsg. v. J. Jekewitz u. a., Berlin 1989, S. 47-65. 17 Dazu auch Brugger, a. a. O. (Anm. 5) S. 588.
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Globale Perspektiven der Rechts- und Staatsentwicklung
reicht die Moral zur Regulierung mitmenschlichen Zusammenlebens und zur Stabilisierung bzw. Entwicklung von Gemeinschaften aus. Als Ordnungsform für die Gesellschaft und für den Staat kommt es heute nicht nur überall vor, sondern ist es schlechterdings unentbehrlich. Es besitzt als solche Ordnungsform bestimmte Grundfunktionen, ohne deren Erfüllung weder eine Gesellschaft noch ein Staat lebensfähig sind: Es macht aus Chaos und Willkür verbindliche und verläßliche Ordnung. Es grenzt Interessensphären der einzelnen und von Gruppen ab und ordnet sie einander zu. Es gibt Regeln für Lebens- und Sachbereiche wie Ehe und Familie, Bildung, Wirtschaft, Technik u. a. Besonders wichtig ist die Organisations- und Verfahrensfunktion des Rechts: In seinen Formen spielt sich Willensbildung menschlicher Gemeinschaften ab, werden Organe und Institutionen konstituiert, durch die und in denen gehandelt werden kann. Durch Recht wird Macht ermächtigt, begrenzt und kontrolliert. Das Recht stellt Mechanismen für die Regelung sozialer Konflikte zur Verfügung, es sorgt für die Ahndung von Unrecht. Es ist, kurzum, ein umfassendes Normengefüge für menschliche Interaktion. Ja, man muß zuspitzen: Das Recht besitzt Allbezüglichkeit. Es hat, mit einem berühmten Wort Savignys gesagt, „kein Daseyn für sich, sein Wesen vielmehr ist das Leben der Menschen selbst, von einer besonderen Seite angesehen"18. Es gibt keinen Bereich der menschlichen Wirklichkeit, der nicht rechtlich affiziert wäre oder potentiell von Recht affiziert werden könnte. Der sog. rechtsfreie oder rechtsleere Raum ist es nur deshalb, weil er rechtlich umhegt, weil er, etwa im menschlichen Intimbereich, rechtlich ausgegrenzt und geschützt ist. Kein Wunder, daß auch in allen Fragen, die uns die moderne wissenschaftlich-technische Entwicklung stellt - etwa auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit, der Gentechnik oder wo immer Recht präsent ist und, sobald es um Ausgleich und Koordination von Interessen sowie um Organisation, Verfahren und Kontrolle geht, präsent sein muß. Demgemäß ist auch die Vorsorge für die Daseinsmöglichkeit künftiger Generationen, für die Bewahrung der natürlichen und kulturellen Lebensgrundlagen für die Zukunft 19 zu einer eminenten Aufgabe des Rechts geworden. Eine ganz andere Frage ist die nach den konkreten Rechtsformen und nach der Intensität der rechtlichen Regelung. So wäre es bundesrepublikanische oder europäische Blickverengung, wollte man nicht sehen, daß das Gewohnheitsrecht, das bei uns allenfalls noch eine tertiäre oder quartäre Rolle spielt, in bestimmten Bereichen unserer Welt noch eine vorrangige Bedeutung hat und daß ihm nicht zuletzt im Völkerrecht noch eine bedeutsame Funktion zukommt. Man muß sich auch bewußt sein, daß im Bereich des geschriebenen Rechts eine Formen- oder Artenvielfalt herrscht. Um es mit klassischen Kategorien zu sagen: Recht ist nicht nur ius strictum, sondern auch ius aequum; es ist nicht nur ius cogens, sondern auch ius dispositivum. Neuerdings beginnt der Begriff „soft law" hoffähig zu 18
Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814, S. 30. Wichtig dazu Christof Gramm, Nachweltschutz durch kooperative Rechtsstrukturen, in: Juristenzeitung 1990, S. 905-911. 19
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werden 20. Auch und gerade im modernen sozialen Rechtsstaat, der mit seinen Bürgern und mit freien Kräften kooperiert, gewinnen zunehmend informale Formen, wenn das so paradox ausgedrückt werden kann, an Bedeutung21. Omnipräsenz und Allbezüglichkeit des Rechts meint nicht eine Gleichsetzung mit der Forderung nach Maximierung an Durchnormierung oder gar an gerichtlichem Rechtsschutz. In der weltweiten Debatte um Normenflut einerseits, Deregulierung andererseits hat sich gezeigt, daß mit pauschalen Positionen nichts zu erreichen ist 22 . Mit der Optimierung von pluralistischer Freiheit wächst der Bedarf an Abgrenzung und Zuordnung. Die Normenflut ist nicht nur der Preis, den man für die Komplexität der Lebensverhältnisse, sondern den man auch für die Freiheit zu zahlen hat, denn Freiheit kann nur mit den Freiheiten anderer existieren. Auf der anderen Seite kann Normenflut gewiß auch zum Hemmschuh der Freiheit werden. Abbau von Normen könnte aber umso überzeugender gefordert und besser ins Werk gesetzt werden, wenn man stärker auf vor- oder außerrechtliche Regulierungskräfte vertrauen könnte. Man sollte meinen, in pluralistischen Gesellschaften könne sich das Recht am ehesten auf die Aufgabe zurückziehen, das „ethische Minimum" (Georg Jellinek) zu gewährleisten. Das Gegenteil ist der Fall. Es wächst ihm jetzt erst recht die Aufgabe zu, nicht mehr vorhandene oder zersplitterte Sozialmoral zu ersetzen. Für viele macht es schon gar keinen Sinn mehr, unterscheidend zu fragen, ob denn, was rechtlich erlaubt ist, auch als moralisch erlaubt qualifiziert werden darf. Sie kennen nur noch den Maßstab des Rechts. Das aber strapaziert, ja übersteigt letzten Endes dessen Leistungsfähigkeit. 2. Kein Raum der Welt ist frei von rechtlichen Bezügen. Es ergreift nicht nur das territorial aufgegliederte Land, sondern auch das Meer und den Luftraum, ja es reicht bis in den Weltraum und bis in die tiefsten Tiefen der „hohen See". Wo immer Recht in diesem globalen Bezugsrahmen anzutreffen ist, stellen seine Normen in dem betreffenden Kontext ein wesentliches Stück der Kultur dar. Das soll heißen: Bei aller Bezogenheit des Rechts auf die naturale Basis des Menschen und dessen natürliche Umwelt ist die Schaffung von rechtlichen Normen eine schöpferische Leistung, eine kulturelle Hervorbringung aus dem ideengeleiteten Geist des Menschen, ist das Recht kein automatisch sich einstellendes Produkt. Wenn wir zu Recht und nur scheinbar paradox sagen, der Mensch sei von Natur ein Kulturwesen, dann ist gerade dies an unserem Sachverhalt leicht zu exemplifizieren. Der Mensch ist von Natur ein Normenwesen, ein auf Normen angewiesenes, zugleich zu deren Hervorbringung befähigtes Wesen. In einem großen Lern20
Vgl. dazu Felix Ermacora, Soft Law im Verfassungsrecht?, in: Verantwortlichkeit und Freiheit. Festschrift für Willi Geiger zum 80. Geburtstag, Tübingen 1989, S. 145 -154. 21 Vgl. dazu etwa Jürgen Becker, Informales Verwaltungshandeln zur Steuerung wirtschaftlicher Abläufe im Zeichen der Deregulierung, in: Die öffentliche Verwaltung 1985, S. 1003-1011. 22 Hilfreiche Literaturübersicht bei Hee-Won Kang, Gesetzesflut und rechtsfreier Raum, Pfaffenweiler 1990 (= Diss. iur. Freiburg).
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und Differenzierungsprozeß ist es dem Menschen gelungen, mit dem Recht eine Ordnungsform zu schaffen, mit deren Hilfe er den Anforderungen und Herausforderungen in bezug auf das soziale Zusammenleben gerecht werden kann. 3. Sieht man vom Völkerrecht und vom Recht supranationaler Gemeinschaften, aber auch etwa vom universalen Recht der Katholischen Kirche ab, so folgt das Recht weitgehend der territorialen Gliederung der Staaten. Demgemäß erscheint das Staaten-Recht, m. a. W. das nationale Recht, in großer Vielfalt. Vielleicht kann man die Formel gebrauchen: „tot iura quot res publicae". Überdies gibt es „Mehrrechtsstaaten", Staaten mithin, in denen Rechtspluralismus herrscht. Darin kommt die weitgehende historisch-politische wie sozio-kulturelle Bedingtheit des Rechts zum Ausdruck. Nicht von ungefähr sprach Pascal sarkastisch von der spaßigen, drolligen Gerechtigkeit, die ein Fluß begrenzt - „plaisante justice qu'une rivière borne" 23 . Es lassen sich freilich auch Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten aufweisen, ja es gibt „allgemeine Rechtsgrundsätze", und das Völkerrecht erkennt sie als Rechtsquelle an. Insbesondere der Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts kommt das Verdienst zu, „Rechtssysteme", „Rechtskreise" oder „Rechtsfamilien" erkannt und näher bestimmt zu haben. So werden etwa in einer maßgebenden Darstellung aus deutscher Feder unterschieden24: der romanische, der deutsche und der nordische Rechtskreis, der anglo-amerikanische und der sozialistische Rechtskreis. Ferner werden, freilich mit einer eurozentrisch angehauchten Verlegenheitsformel, als „übrige Rechtskreise" der fernöstliche Rechtskreis sowie das islamische Recht und das Hindu-Recht erfaßt. Wie immer man im einzelnen gliedert: Die Existenz von Rechtskreisen oder Rechtsfamilien als solche ist unbestritten. Oft zeigt sich auch eine weitgehende Übereinstimmung in den Kriterien der Klassifizierung: die Prägung bzw. Nichtprägung durch das römische Recht in der Unterscheidung zwischen kontinentaleuropäischem „civil law" oder „codified law" und dem angelsächsisch-angloamerikanischen „Common Law", die Zugehörigkeit zum Weltanschauungssystem des Marxismus-Leninismus, die Maßgeblichkeit von Religion und Tradition. Der letztere Gesichtspunkt spielt vor allem für die Einordnung afrikanischer und südostasiatischer Rechtsordnungen eine Rolle. 4. In ähnlicher Weise wie für das Privatrecht, aber doch auch mit signifikanten Unterschieden, kann man für das Strafrecht, wie das Hans-Heinrich Jescheck einmal eindringlich getan hat, „große Strafrechtsfamilien" ausmachen25. 23
Pensées, Nr. 230 (Œuvres complètes, Bibliothèque de la Pléiade, p. 1149). Konrad Zweigert/Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, 2. Aufl., Bd. I, Tübingen 1984. Zu den Grundsatzproblemen erhellend Bernhard Grossfeld, Macht und Ohnmacht der Rechtsvergleichung, Tübingen 1984. 2 5 Große Strafrechtsfamilien, in: Festschrift für Wolf Middendorff, Bielefeld 1986, S. 133141. 24
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Nach einem Versuch, große Verwaltungsrechtsfamilien zu umschreiben, habe ich vergeblich Ausschau gehalten - Ausdruck dafür, daß hier die Forschung noch unterentwickelt ist. Umso größeres Gewicht hat ein Werk wie dasjenige unseres Freiburger Kollegen Jürgen Schwarze über „Europäisches Verwaltungsrecht" 26, das jedenfalls für diesen Bereich Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausarbeitet. Der besondere Reiz liegt dabei natürlich in der Begegnung zwischen den kontintaleuropäischen Konzeptionen und dem Rechtsstil, der der Common Law-Tradition verpflichtet ist. 5. Nationale Rechtsordnungen und die regionalen oder ideologisch begründeten Rechtskreise sind keine fensterlosen Monaden, sind nicht gegeneinander streng abgeschottet. Man mag, wie gesagt worden ist, bei der ersten Begegnung mit dem common law einen „Rechtskulturschock" zu verkraften haben27. Aber es gibt Austausch, Angleichung, Kooperation und Koordination, Interferenz und Interaktion. Nicht zuletzt gibt es das Phänomen der Rezeption. Rezeption ist eine dem Juristen besonders vertraute Vokabel. Er verbindet sie mit dem großen historischen Prozeß der Übernahme des römisch-kanonischen Rechts in Europa, dessen entscheidendstes Kennzeichen nach Franz Wieacker in der „Verwissenschaftlichung" liegt, der sich aber zugleich einer monokausalen Erklärung entzieht. Der Prozeß zeigt einen ungemein komplexen Verlauf; in ihm verflechten sich beständig objektive Gegebenheiten und Elemente des allgemeinen Bewußtseins mit freien Handlungen der einzelnen28. Demgegenüber scheinen moderne Rezeptionen von einfacherer Struktur zu sein. Man denke an die Übernahme des schweizerischen Zivilgesetzbuchs in die Türkei Atatürks, an diejenige des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs in Japan und Korea oder an den Import des amerikanischen Strafverfahrensrechts in das Japan der Nachkriegszeit. Aber allenthalben zeigt sich, daß die Ursachen der Rezeption jeweils differenziert zu sehen sind, vor allem aber daß Rezeption kein Gesetzgebungsakt oder gar nur ein auf den Text beschränkter Übersetzungsakt ist, sondern ein sozialer Prozeß, in dem fremde rechtliche Normen und Verhaltensmuster in das einheimische Rechtsleben Eingang finden 29 . In diesem sozialen Prozeß spielen eine entscheidende Rolle die Rechtsmentalität der betreffenden Bevölkerung und besonders stark das Rechtsbewußtsein derer, die das Recht handhaben und anzuwenden haben. Rezeption, wenn sie denn erfolgreich sein soll, gelingt nicht ohne die im rezipierten Recht geschulten, mit ihm vertrauten, es nicht nur äußerlich bejahenden „Professionals". 26 27
Europäisches Verwaltungsrecht, 2 Bände, Baden-Baden 1988.
Michael G. Martinek, Der Rechtskulturschock. Anpassungsschwierigkeiten deutscher Studenten in amerikanischen Law Schools, in: Juristische Schulung 1984, S. 92-101. 28 Erörterungen zum Rezeptionbegriff bei Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit., 2. Aufl., Göttingen 1967, S. 125 ff., bes. S. 131 u. S. 143. 29 Dazu Manfred Rehbinder, Die Rezeption fremden Rechts in soziologischer Sicht, in: Rechtstheorie 14 (1983) S. 309.
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Die rechtliche Großbaustelle „Wiedervereinigtes Deutschland" bietet uns übrigens dafür besten Anschauungsunterricht. Die Geltungserstreckung des Rechts der Bundesrepublik Deutschland ist allerdings ein Rezeptionsvorgang von spezifischer Eigenart, ja von besonderer Dramatik. Zum einen nämlich kann an alte Gemeinsamkeiten, die bis 1945 bestanden haben, angeknüpft werden, zum andern muß die Rezeption nicht etwa nur eine Lücke ausfüllen, Bestehendes ergänzen und fortentwickeln, sondern muß weithin überwinden, was gerade als Gegenmodell zum sog. bürgerlich-kapitalistischen Recht oktroyiert worden war. Insofern könnte man jetzt vielleicht von „Gegenrezeption" sprechen. Überdies: Eine Rechtsfamilie verliert ein gelehriges Kind, ja sie läßt überhaupt Anzeichen der Zerrüttung erkennen. Neben den großen, umfassenden Rezeptionen stehen sachlich begrenzte Übernahmen, Rechtsimporte gewissermaßen. Das größte Exportland, um im Bild zu bleiben, dürften die USA sein. Begriffe wie „leasing" oder „factoring", die wir noch nicht einmal mehr übersetzen, deuten darauf hin. Ganz offenkundig sind hier besonders Interessen und Sachgesetzlichkeiten des wirtschaftlichen Verkehrs im Spiel. 6. Solche Sachverhalte sind es denn auch, die als Antriebskräfte für Rechtsvereinheitlichung wirken. Seit fast 60 Jahren gibt es ein einheitliches Wechsel- und Scheckrecht. Nach der Zwischenstufe der Haager einheitlichen Kaufgesetze von 1964 ist in den letzten Jahren ein großer Schritt getan worden, nämlich mit dem „Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf 4 vom 11. April 1980. Dieses Übereinkommen tritt für die Bundesrepublik Deutschland in wenigen Wochen, am 1. Januar 1991, in Kraft. Daß für dieses bedeutsame Werk gerade hier in Freiburg grundlegende Beiträge geliefert worden sind, darf nicht unerwähnt bleiben. Ernst von Caemmerer und Peter Schlechtriem haben sich in der Vorbereitung große Verdienste erworben, und zu der grundlegenden Kommentierung, die jetzt erscheint, trägt auch Hans Stoll bei 30 . Im Verhältnis zu solchem Einheitsrecht bekommen die nationalen bzw. regionalen Rechtsordnungen einen neuen, veränderten Stellenwert. Man hat schon davon gesprochen, die nationalen Rechtskulturen bestünden künftig nur noch „als Rechtsdialekte eines Weltrechts" 31. Es mag eine solche Tendenz geben. Darüber ist aber nicht zu vergessen, daß gerade das Einheitsrecht aus den verschiedenen Rechtsordnungen und Rechtskulturen herausgewachsen ist, daß es vor allem aber in seiner Akzeptanz und Wirksamkeit auf die Verflechtung mit diesen angewiesen bleibt. Überdies ergreift das Einheitsrecht eher die technischen, auf den Rechtsverkehr ausgerichteten Materien des Privatrechts, nicht hingegen etwa das Boden- sowie das Familien- und Erbrecht. Naturgemäß spielen hier Prägungen durch Geschichte, Gesellschaftsstruktur und Wertvorstellungen eine ungleich größere Rolle.
30 Vgl. dazu von Caemmerer/Schlechtriem, recht, hrsg. v. Peter Schlechtriem, München 1990. 51 Rehbinder, a. a. O. S. 314.
Kommentar zum Einheitlichen UN-Kauf-
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IV. Die Beobachtung und Beschreibung von Entwicklungen führt zwangsläufig zur Frage nach Entwicklungsgesetzlichkeiten und deren Erfassung in Entwicklungstheorien oder zumindest Entwicklungshypothesen. Es bedürfte eines eigenen Vortrags, um das im einzelnen zu diskutieren. Aber mit einigen Leitgedanken ist doch noch, wenn auch in aller Skizzenhaftigkeit und Vorläufigkeit, abschließend ein Diskussionsbeitrag zu leisten 32 . Dabei ist an einige Konzeptionen zu erinnern, die zwar als Gesamtdeutungen nichts taugen, in denen aber Elemente enthalten sind, die irreversible Einsichten vermittelt haben. Daß im modernen Gesetzgebungsstaat das von der Historischen Rechtsschule so vorgestellte organische, von inneren still wirkenden Kräften getragene Wachstum des Rechts nicht mehr dessen Lebensprinzip ist und sein kann, liegt auf der Hand. Aber es ist festzuhalten, daß nach Savigny zentrale Aufgabe und universale Zielsetzung des Rechts „die Anerkennung der überall gleichen sittlichen Würde und Freiheit des Menschen, die Umgebung dieser Freiheit durch Rechtsinstitute" ist. Zugleich wird es als Moment an der Gesamtheit der Lebenswirklichkeit gesehen; mit dieser besteht es in „ununterbrochener Bildung und Entwicklung" 33 . Der dialektisch-historische Materialismus hat die Rechts- und Staatsentwicklung in ein deterministisches Korsett gesteckt. In sieben Entwicklungsstufen gelange man zur kommunistischen klassenlosen Gesellschaft, in der alle Entfremdung aufgehoben ist. Dabei stelle sich das Recht als Widerspiegelung der jeweiligen Produktionsverhältnisse dar; mit dem Staat sei es dem Schicksal des Absterbens unterworfen. Theoretisch wie praktisch kommt dieser Theorie keine Überzeugungskraft zu. Aber man wird als Lehre bewahren müssen, die ökonomischen Faktoren im Geflecht der Determinanten von Recht und Staat nicht gering zu achten und den normativen, bei Lichte besehen: idealistischen Impuls positiv zu würdigen, der im kategorischen Imperativ von Karl Marx liegt, nämlich „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" 3 4 . Auch an Ernst Blochs Plädoyer für „aufrechten Gang" in einer Konzeption, die „Glück" und „Würde" verbindet, wäre zu erinnern 35. War es nicht ein Stück des Programms, mit dessen Hilfe der sog. real existierende Sozialismus in der DDR und anderswo aus den Angeln gehoben und mit eigenen Waffen geschlagen wurde? 32
Anregungen für das Folgende bei Klaus F. Röhl, Rechtssoziologie, Köln u. a. 1987, S. 525 ff.: „Große Hypothesen der Rechtssoziologie". 33 System des heutigen römischen Rechts, Bd. I (1840) S. 55. Vgl. auch „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft", 1814, S. 77. 34 Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie, in: Werke - Schriften - Briefe, Bd. I, Stuttgart 1962, S. 497. 35 Vgl. dazu im einzelnen die kritische Analyse von Christof Gramm, Zur Rechtsphilosophie Ernst Blochs, Pfaffenweiler 1988.
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In ähnlicher Weise wären weitere Konzeptionen36 mit ihren Teilwahrheiten zu diskutieren: - so die berühmte These von Henry Sumner Maine „From Status to Contract", eine These, die von Manfred Rehbinder mit der Formel „Vom Status über den Kontrakt zur Rolle" fortgeführt worden ist; - die klassische Theorie Max Webers von der Rationalisierung und Bürokratisierung als Kennzeichen des modernen Rechts; - die systemtheoretische Sicht Niklas Luhmanns mit ihrer spezifischen These von der Ausdifferenzierung des Rechts; - das Verständnis des Rechts als autopoietisches, selbstreferentielles System im Sinne von Gunther Teubner;
- die Hypothesen schließlich von der zunehmenden Prozeduralisierung und besonders von der Wandlung „vom formalen Rechtsstaat zum informalen Verhandlungsstaat"37. Im Verhältnis zu alledem scheint es indes wichtiger, die Grundfrage zu stellen, ob sich für die Rechts- und Staatsentwicklung ein movens oder agens ausmachen läßt, das den Bereich des Formalen überschreitet und Substantielles erfaßt. Vor Jahren ist Ernst-Wolfgang Böckenförde einmal der Geschichte des Rechtsbegriffs nachgegangen38 und hat dabei eindrucksvoll eine Linie nachgezeichnet, die auf Formalisierung, Instrumentalisierung und Funktionalisierung hinführt. „Recht ist gesetztes, funktional auf Freiheitsregulierung bezogenes Recht, Rechtsetzer der pouvoir constituant, der ohne normative Bindung, oder der Gesetzgeber, der nach der Verfassungsregel Recht setzt. Als theoretische Rückbindung bleibt das Funktionieren des sozialen Systems, dessen Leitbegriff das (nicht näher bestimmte) Gemeinwohl ist", heißt es dort. Aber dabei kam wohl nicht genügend zur Geltung, daß, wie gerade die jüngsten Debatten gezeigt haben, der Rechtsbegriff als solcher ohne materialethisches Minimum nicht angemessen gedacht werden kann 39 , vor allem aber daß im modernen rechts- und sozialstaatlich orientierten Verfassungsstaat mit seiner Bindung an die Menschenrechte sich das Recht einer bloß instrumenteilen Indienstnahme für Zweckprogramme widersetzt, sondern daß sich die Zwecke ausweisen müssen an verfassungsrechtlich fundierten Rechtsgütern und daß sie sich in den dadurch abgesteckten Rahmen einfügen müssen, ganz abgesehen davon, daß es in Gestalt von Gerechtigkeit, Rechtssicherheit, Verhältnismäßigkeit und anderen Zielsetzungen eine Selbstzwecklichkeit des Rechts 36 Übersicht bei Röhl, a. a. O. S. 540 ff. 37 So die Kapitelüberschrift bei Röhl, a. a. O. S. 558. 38 Der Rechtsbegriff in seiner geschichtlichen Entwicklung, in: Archiv für Begriffsgeschichte X I I (1968), S. 145-165. Das nachfolgende Zitat S. 161. 39 Vgl. dazu einerseits Ralf Dreier, Der Begriff des Rechts, in: Neue Juristische Wochenschrift 1986, S. 890 ff., andererseits Norbert Hoerster, Die rechtsphilosophische Lehre vom Rechtsbegriff, in: Juristische Schulung 1987, S. 181 ff.
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gibt, die sich gegen reine Formalisierung, Instrumentalisierung und Funktionalisierung sperrt. Von solchen Ansätzen und Fragen aus gerät man auf der Suche nach geschichtsphilosophischer Orientierung notwendigerweise in ein Gespräch mit Kant und Hegel
In der Schrift von 1784 „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht", im Manifest „Zum ewigen Frieden" und in „Der Streit der Fakultäten" hat Kant eindrucksvoll den Weg gezeichnet und normativ ausgerichtet, den die Entwicklung trotz vieler Brüche und Rückfälle bisher gegangen ist, nämlich hin zu einer „mit dem natürlichen Rechte der Menschen zusammenstimmenden Konstitution: daß nämlich die dem Gesetze Gehorchenden auch zugleich, vereinigt, gesetzgebend sein sollen". Weiter sagt Kant , daß das so gestaltete „gemeine Wesen" kein „leeres Hirngespinst" ist, „sondern die ewige Norm für alle bürgerliche Verfassung überhaupt"; im übrigen vertraut er bekanntlich darauf, daß sie auch allen Krieg entfernt 40 . Solche „bürgerliche Verfassung" ist dann für ihn auch das Paradigma für die staatenübergreifende Ordnung eines „Völkerbundes" und Völkerrechts, das auf einen „Föderalismus freier Staaten" gegründet sein soll 4 1 . Allerdings, diese Entwicklungsgesetzlichkeit bedeutet keinen Automatismus, ganz im Gegenteil: sie verwirklicht sich nur durch (Kultur-)Leistung des Menschen, dadurch, daß sie gegenläufigen Kräften mit beständigem „Willen zur Verfassung" (Hesse) abgerungen wird. Hegel hat dem hier wirksamen Movens einen anderen Namen gegeben: „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit" 42 . Man muß nicht die Hegeische Geschichtsphilosophie in toto akzeptieren, um die Richtigkeit dieses Leitmotivs anerkennen zu können. Und gerade der Jurist kann Belege dafür anführen, daß dieses Freiheitsbewußtsein nicht abstrakt geblieben ist, sondern sich konkretisiert und in EinzelFreiheiten gewissermaßen vertypt hat. Er wird freilich auch - vielleicht ernüchternd - darauf hinweisen, daß die Probleme dort zum Schwur kommen, wo es um das Zusammenstimmen der Freiheiten, mithin um die Begrenzung der Freiheiten geht. Doch ändert das nichts an der prinzipiellen Richtigkeit der Hegeischen Leitidee. Man wird sie allerdings weiterdenken und einbinden müssen in ein Ensemble von Gedanken, die letzten Endes Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit und Sicherungen gegen ihr Abgleiten in die Beliebigkeit oder gar in die Perversion markieren: Menschenwürde, Gerechtigkeit, Solidarität und Verantwortung sind vorrangig zu nennen. Und so darf man gerade im Blick auf den heutigen Stand der Rechts- und Staatsentwicklung sowie die Aufgaben für die Zukunft formulieren: 40 Kant , Werke in sechs Bänden, ed. Weischedel, Bd. VI, S. 364. 41 Ebenda S. 42 u. S. 208. 42
Die Vernunft in der Geschichte, ed. J. Hoffmeister, Hamburg 1955, S. 63. Eingehend dazu Ludger Oeing-Hanhoff, Art. Fortschritt, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. I I (1986) Sp. 654 f.
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Es gibt keinen Fortschritt i m Bewußtsein der Freiheit und auch ihrer Realisierung, wenn er nicht begleitet ist vom Fortschritt in einem verfeinerten Bewußtsein der Menschenwürde, der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Verantwortung. Nur so kann es gelingen, i m Kontext globaler Wandlungen Recht und Staat auf dem rechten Kurs zu halten. Nachbemerkung In leicht abgewandelter Form ist der vorstehende Beitrag unter dem Titel „Globale Perspektiven: Recht" auch veröffentlicht in: Staatslexikon. Recht - Wirtschaft - Gesellschaft, hrsg. v. der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Bd. 6, Freiburg: Herder, 1992, S. 38-47. Der genannte Band trägt den Untertitel „Die Staaten der Welt I". Vor der Darstellung einzelner Staaten - in jenem Band die Staaten Europas und Amerikas - enthält er eine umfassende Einleitung unter dem Titel „Globale Perspektiven", die ihrerseits in neun Kapitel gegliedert war: Geographische Voraussetzungen (1), Wandel der Gesellschaftsformen (2), Wandel der politischen Formen (3), Wandlungen des internationalen Systems. Weltweite Konfliktfelder und Krisen (4), Recht (5), Wirtschaft (6), Die Religionen (7), Die christlichen Kirchen (8), Kultur und Technik (9). Zum Verständnis des vorstehenden Beitrags dürfte dieser Kontext zu beachten sein.
Aspekte der Freiheitsproblematik im Recht I. Mit der Frage nach der Freiheit geht es dem Juristen wie mit der Frage nach dem, was Recht und was Gerechtigkeit sei. Diese Frage möchte wohl, so ist man mit Kant zu formulieren geneigt, „den Rechtsgelehrten ... eben so in Verlegenheit setzen, als die berufene Aufforderung: was ist Wahrheit? den Logiker" 1 . Er kann noch wohl angeben, „was die Gesetze an einem gewissen Ort und zu einer gewissen Zeit sagen oder gesagt haben", d. h. er kann - wie in bezug auf das Recht überhaupt - Auskunft geben über die geschichtliche Entfaltung des Freiheitsgedankens im Recht und über positiv-rechtliche Gewährleistungen von konkreten Freiheiten. Doch solche Materialerfassung und Phänomenbeschreibung - eine „bloß empirische Rechtslehre" im Sinne Kants - wird die Frage nach dem Grund von Freiheit im Recht und nach der Struktur des Verhältnisses von Freiheit und Recht nicht zureichend beantworten können. Aber wo findet der Jurist eine Theorie der Freiheit, die den Ansprüchen philosophischen Fragens und seinen immer wieder auf sehr praktische Freiheitsprobleme bezogenen Erwartungen genügt? Indes, vielleicht ist dies gar nicht die vordringlich relevante Fragestellung. Könnte es nicht eher sogar so sein, daß der Jurist aus seiner Erfahrung, spezifischer: aus einer Hermeneutik geschichtlicher Erfahrungen im Umgang mit Freiheit (und Unfreiheit!) zu einer philosophischen Theorie der Freiheit beizutragen vermag, ja beitragen muß? Jedenfalls soll im folgenden einmal in diese Richtung gefragt werden, durchaus in der Überzeugung, daß die positiven Gesetze - um es wieder mit Kant zu sagen - „vortrefflich zum Leitfaden dienen können". Diesen soll damit keineswegs eine philosophische Weihe verliehen werden; vielmehr geht es darum, Grundlagenreflexion möglichst konkret zu demonstrieren. Praktische Philosophie darf die historisch-politisch-rechtliche Realität nicht außer sich haben, wenn sie menschliche Lebenspraxis erfassen und reflektieren will 2 .
Erstveröffentlichung in: Philosophische Perspektiven 5 (1973), S. 29-41. 1 Metaphysik der Sitten, Werke, ed. Weischedel, IV, S. 336. 2 Vgl. zu der damit angedeuteten Problematik Joachim Ritter, „Naturrecht" bei Aristoteles, Stuttgart 1961, S. 9 ff. (jetzt auch in: Metaphysik und Politik, Frankfurt am Main 1969, S. 139 ff.), ferner Max Müller, Art. Freiheit, Staatslexikon 6 I I I (1959), Sp. 528-544.
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Aspekte der Freiheitsproblematik im Recht
II. Der Rechtsgedanke, in seinem Kern abzielend auf verbindliche und sichere Ordnung menschlichen Miteinanderlebens unter dem Anspruch der Gerechtigkeit, vornehmlich in einer politischen Gemeinschaft, ist ab initio mit dem Freiheitsproblem verknüpft. Wo eine Rechtsordnung in Überwindung reiner Macht- oder WillkürOrdnung" aufgerichtet wird, da werden einerseits Lebensbereiche und Handlungsspielräume von einzelnen und Gruppen umgrenzt, abgegrenzt und einander zugeordnet, andererseits für die Ausübung politischer Herrschaft Grundlagen, Ausrichtungen und Begrenzungen normiert. In ausdrücklicher Zuweisung oder mittelbar über die Statuierung von Pflichten und Verbindlichkeiten werden dabei aber immer auch Freiheiten konstituiert, so klein in concreto ihr Entfaltungsraum oder so einseitig Freiheit verteilt sein mag. So ist Recht ohne Bezug zu Freiheit gar nicht denkbar. Dieses hier zunächst noch ganz formal einfach konstatierte Beziehungsverhältnis zieht sich durch alle Sachbereiche des Rechts hindurch, betrifft das Recht im ganzen, näherhin das Privatrecht und das Öffentliche Recht, das Strafrecht und das Verfahrensrecht. Zwar kommt es für die spezifische Bestimmung des Beziehungsverhältnisses auf den jeweiligen Sachzusammenhang in seiner Eigenart an. Im modernen Verfassungsstaat, der geradezu zur Bedingung der Möglichkeit praktischer Freiheit geworden ist, wird man aber das Grundverhältnis dort aufsuchen, wo die rechtliche Grundordnung des politischen Gemeinwesens normiert ist: in der Verfassung. Hier ist die Sache der Freiheit in ihrem Verhältnis zu Recht und Staat naturgemäß besonders artikuliert. Die folgenden Beobachtungen und Erwägungen konzentrieren sich deshalb darauf, wohl wissend, wie wichtig es wäre, auch anderen bedeutsamen Frontlinien der Freiheitsproblematik, etwa dem Strafrecht und dem Verfahrensrecht, Augenmerk zu schenken. Es versteht sich, daß es nicht - auch nur annähernd - darum gehen kann, die Probleme auszuschöpfen 3.
in. „Recht ist die Wirklichkeit, die den Sinn hat, der Gerechtigkeit zu dienen"4. Ist Gerechtigkeit so das Sinnprinzip des positiven Rechts par excellence, so ist sie doch umgeben von einem Kranz weiterer Sinnprinzipien, deren Funktion es ist, positives Recht zu legitimieren, zu normieren und zu limitieren. Es sind Sinnprinzipien, in denen sich konkrete politische und rechtliche Erfahrung niedergeschlagen hat. Daß unter diesen die Menschenwürde auch im positiven Recht der Bundesrepublik Deutschland an erster Stelle steht, ist kein Zufall 5 . „Die Würde 3 Deshalb und aus Raumgründen muß auch auf umfassende Schrifttumshinweise verzichtet werden. Es muß ferner an dieser Stelle unterbleiben eine Auseinandersetzung mit dem bedeutsamen Systementwurf von Max Müller: Erfahrung und Geschichte. Grundzüge einer Philosophie der Freiheit als transzendentale Erfahrung, Freiburg i. Br./München 1971. 4 Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, 7. Aufl., hrsg. v. Erik Wolf, Stuttgart 1970, S. 127.
Aspekte der Freiheitsproblematik im Recht
des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt" (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz). Das ist - in der Sache gleichsinnig mit Aussagen in internationalen Rechtsdokumenten6 - Antwort auf vielfältige Mißachtung der Menschenwürde im totalitären System des Nationalsozialismus, ist aber auch fortwährend aktuelle Anforderung gegenüber allen fortbestehenden oder neuen Formen offener oder verdeckter Unmenschlichkeit7. Der grundsätzliche Gehalt dieser Formel erschließt sich freilich nur einerseits im Blick auf ihre Vorgeschichte in der europäischen Denktradition, andererseits im Blick auf die normativen Konkretisierungen, insbesondere in Gestalt einzelner Freiheitsrechte. Was den ersteren Zusammenhang anlangt, so erweisen sich als dominant der christliche Würdebegriff, sodann der Gedanke der dignitas humana, wie er in den großen vernunftrechtlichen Systemen und in Rechtstexten des 18. Jahrhunderts gefaßt wurde, nicht zuletzt aber die Philosophie Kants. Das sind gewiß differente Elemente, die in einem Verhältnis der Spannung zueinander stehen und nicht einfach deckungsgleich sind. Aber sie kommen doch in der Substanz überein, insofern sie das Wesen des Menschen in seiner Potenz zu freier geistig-sittlicher Selbstbestimmung und Selbstverantwortung erblicken. Darin gründen die Eigenwertigkeit und Unverfügbarkeit der menschlichen Person, die ihrer Gesellschaftlichkeit vorausliegen und diese begrenzen. Bei Kant hat dies in folgender Weise prägnanten Ausdruck gefunden: „Der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen, sondern muß in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen zugleich als Zweck betrachtet werden" 8. Der andere Zusammenhang, derjenige nämlich mit konkreten positiv-rechtlichen Aussagen im Kontext der Verfassung, unterstreicht und differenziert den ersten. Auf die Grundnormierung in Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz folgt, mit einem „darum" begründend verknüpft, das Bekenntnis zu „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gesellschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt" (Abs. 2). Damit stellt sich die Verfassung in die Traditionslinie der großen Menschen- und Bürgerrechtserklärungen9 und läßt die Einzelfreiheitsrechte gerade qua Freiheitsrechte als im Sinn5 Eindringlichste neuere Untersuchung dazu bei Werner Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, Frankfurt am Main 1968; vgl. auch Reinhold Zippelius, Art. Menschenwürde, Evang. Staatslexikon (1966) Sp. 1302-1305. 6 Vgl. Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. 12. 1948: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen." Vgl. auch die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950, die allerdings auf die zusammenfassende Formel von der Würde des Menschen verzichtet und sich statt dessen auf die Umschreibung von Einzeltatbeständen konzentriert. 7 Nachdrücklich hervorgehoben von Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl. Karlsruhe 1972, S. 49. 8 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Werke IV, S. 59 f. 9 Vgl. dazu und zum folgenden K. Hesse, a. a. O. S. 119.
3 Hollerbach
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prinzip der Menschenwürde radiziert erscheinen. Dieser Verweis auf die Menschenrechte umschließt das Anerkenntnis, daß sie überpositive Rechtsgrwnc/sätze zum Ausdruck bringen und sich in dieser Qualität nicht Staat oder Verfassung verdanken, sondern an diese, vermittelt durch das Rechtsbewußtsein der Menschen, gerade die Anforderung stellen, sie als Rechtssätze verbindlich zu formulieren und zu sichern. Der Zusammenhang mit einzelnen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen läßt darüber hinaus zugleich erkennen, daß der Mensch, dessen Würde geachtet und geschützt werden soll, nicht außerhalb seiner konkreten anthropologischen und historisch-politischen Bedingtheiten gedacht wird, sondern auch und gerade als Glied von Gemeinschaften, beispielsweise von Ehe und Familie, von Religionsgemeinschaften, von sozialen und politischen Gruppen bzw. Parteien, von Gemeinden, schließlich als Glied des politischen Gemeinwesens. Durch diese Bezüge wird der Mensch „in seiner konkreten Individualität wesentlich geformt, aber auch berufen, menschliches Zusammenleben verantwortlich mitzugestalten" 10 . So kommt von vornherein in den Blick, daß die in dem Würdebegriff gefaßte Potenz zu geistig-sittlicher Selbstbestimmung des Menschen über den Raum der Individualität hinausweist in den Bereich des umfassenden Verantwortungszusammenhangs von „Welt", deren Gestaltung kraft eben dieser Potenz dem Menschen anheimgegeben ist. Aber ist denn das, was sich so am Leitfaden des positiven Rechts zeigt, nicht pure Spekulation, ohne fundamentum in re? So muß gegenüber dem Grundansatz schon hier gefragt werden, noch bevor er in den Problembereich der Einzelfreiheiten näher ausgefächert ist. Hier dürfte vornehmlich die Frage bedrängen, ob denn das „Menschenbild", dessen Grundlinien sich so ergeben, überhaupt anthropologisch haltbar ist. Es gehört zu den erregendsten Entwicklungen der neueren Forschung, daß gerade aus naturwissenschaftlicher Sicht Freiheit im Sinne der Potenz zu freier - wenngleich nicht aus Determinationszusammenhängen herausgelöster - Selbstbestimmung als das proprium des Menschen neu erkannt worden ist 11 . Aus der Fülle der Zeugnisse seien zwei herausgegriffen. Schon 1949 hat der Psychiater und Kriminologe Stumpft zusammenfassend formuliert: „Nach all dem naturwissenschaftlichen Aufwand von Tiefenpsychologie, Psychiatrie, Vererbungswissenschaft, Konstitutions- und Milieuforschung ist das Ergebnis wahrhaft enttäuschend. Wir glaubten durch unsere Forschungen den Menschen in seiner Begrenzung, seiner Gebundenheit durch Triebe, Geistes10 K. Hesse, a. a. O. S. 50. 11 Im rechts- und staatsphilosophischen Schrifttum ist dieser Sachverhalt am eindringlichsten wohl von Hans Ryffel, Grundprobleme der Rechts- und Staatsphilosophie. Philosophische Anthropologie des Politischen, Neuwied/Berlin 1969, aufgearbeitet worden (S. 103 ff., S. 146 ff.). Zur Relevanz der philosophischen Anthropologie für die Rechtserkenntnis überhaupt beste Orientierung jetzt bei Thomas Würtenberger, Über Rechtsanthropologie, in: Mensch und Recht. Festschrift für Erik Wolf zum 70. Geburtstag, Frankfurt am Main 1972, S. 1-21.
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zustand, Erbe, Körperbau und Milieu aufweisen zu können, gleichsam als ein Produkt aus Erbanlage und Umwelt, Charakter-Entelechie und Erziehung, Körperkonstitution und Krankheit, und was uns nach all den jahrelangen Bemühungen aus Staub und Asche des zweiten Weltkrieges entgegentritt, ist das Bild seiner Freiheit" 12. Sodann sei das eindrucksvolle Votum des Neurologen und Psychiaters Viktor E. Frankl angeführt: „Selbstverständlich ist der Mensch determiniert, das heißt Bedingungen unterworfen, mag es sich nun um biologische, psychologische oder soziologische Bedingungen handeln: In diesem Sinne ist er keineswegs frei - er ist nicht frei von Bedingungen, er ist überhaupt nicht frei von etwas, sondern frei zu etwas, das will heißen, frei zu einer Stellungnahme gegenüber all den Bedingungen; und eben diese eigentliche menschliche Möglichkeit ist es, die der Pandeterminismus so ganz und gar übersieht und vergißt. Niemand braucht mich erst aufmerksam zu machen auf die Bedingtheit des Menschen; schließlich bin ich ein Facharzt für ... Neurologie und Psychiatrie, und als solcher weiß ich sehr wohl um die biopsychologische Bedingtheit des Menschen; aber ich bin nicht nur Facharzt für zwei Fächer, sondern auch Überlebender von vier Lagern, Konzentrationslagern, und so weiß ich denn auch um die Freiheit des Menschen, sich über all seine Bedingtheit hinauszuschwingen und selbst den ärgsten und härtesten Bedingungen und Umständen entgegenzutreten, sich entgegenzustemmen, kraft dessen, was ich die Trotzmacht des Geistes zu nennen pflege" 13 . So ist in der Tat der Mensch ein „Potentialitätswesen"14. Seine Freiheit ist zwar nicht einfach ein Faktum, aber ein „Fakultativum" 15 . Der Mensch als biologisches Mängelwesen ermangelt der naturhaften Determination, so daß die nicht mehr biologisch interpretierbare Selbstbestimmung selbst als biologische Notwendigkeit verstanden werden kann 16 . Auch wenn etwa die Verhaltensforschung noch so viele Determinationsfaktoren bewußt machen kann: es ist gerade ein konstitutives Moment menschlicher Freiheit, daß sich der Mensch allemal zu seinem Verhalten verhält und Bedingtheiten damit transzendiert 17. Nicht zuletzt lebt auch und gerade jene Auffassung, wonach es nicht das Bewußtsein der Menschen ist, das ihr Sein bestimmt, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt 18 , von der Potenz des Menschen, sich über Bestimmungen und Bedingun12 Zit. nach Heinrich Henkel , Einführung in die Rechtsphilosophie, München/Berlin 1964, S. 197. 13 Logotherapie und Religion (1964), in: Der Mensch auf der Suche nach Sinn, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1972, S. 122 ff. (Herderbücherei 430). 14 Ryffel, a. a. O. S. 121 ff. 15
Frankl , Das Menschenbild der Seelenheilkunde, a. a. O. (Anm. 13) S. 101. So der Tenor des Werkes von W. Keller, Psychologie und Philosophie des Willens (1954), nach dem Referat von Robert Spaemann, Hist. Wb. Philos. 2 (1972) Sp. 1097. 17 Vgl. dazu Bernhard Welte, Determination und Freiheit, Frankfurt am Main 1969. 18 Karl Marx , Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie (1859), Werke - Schriften Briefe, ed. Hans-Joachim Lieber, V I (1964) S. 839. 16
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gen erheben zu können. Weder Reform noch Revolution sind ohne Freiheit denkbar, in der sich letztlich menschliche Würde auf dem Weg zur besseren Gerechtigkeit zu aktualisieren sucht19. IV. Greift man nach dieser Vergewisserung über den Ansatzpunkt den Leitfaden des positiven Rechts wieder auf, so wird man zum Katalog der Grundrechte geführt 20. Dieser läßt sich, auch wenn die Grundrechte qua Grundfreiheitsrechte im Sinnprinzip der Menschenwürde als Inbegriff der menschlichen Potentialität zu freier geistig-sittlicher Selbstbestimmung radiziert sind, nicht als geschlossenes, lückenloses System auffassen. Es gehört zur Geschichtlichkeit des Menschen und der von ihm geschaffenen Institutionen Recht und Staat, daß das Bewußtsein der Freiheit sich aufgrund geschichtlicher Erfahrungen im Kampf gegen Unfreiheit konkret artikuliert, nach bestimmten einzelnen Ziel- und Stoßrichtungen hin. Insofern bilden die Grundrechte kein einfach deduktiv ableitbares axiomatisches System, wohl aber ein Ensemble von Einzelgewährleistungen, das auch sachliche Zusammenhänge aufweist. So dokumentiert sich gerade im Recht, daß sich Freiheit in ihrem Grunde dem Zugriff des Systems entzieht, daß sie auf der anderen Seite angewiesen ist auf Konkretisierung, um real wirksam zu sein. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Freiheitsproblematik kommt im Blick auf die Grundrechte in Sicht, wenn man ihren Doppelcharakter bedenkt als subjektive Rechte einerseits, als Grundelemente objektiver Ordnung andererseits. Die in Einzelgewährleistungen vertypten Freiheiten wenden sich als subjektive Rechte abwehrend gegen staatliche Gewalt. In sachlichem Rückbezug auf anthropologische Grundausstattungen und Gehalte geschichtlich gewordener und bewährter Rechtsüberzeugungen konstituieren sie so Freiräume von Personen und Gruppen und umhegen Lebensbereiche oder institutionelle „Lebensordnungen", in die der Staat im Wege des Rechts nicht eingreifen darf. Aber in dieser negativen Abwehrfunktion erschöpft sich der Grundcharakter der Grundrechte als subjektiver Rechte nicht. Vielmehr normieren sie - je nach Sachbereich in unterschiedlicher Weise freilich - zugleich die Potenz zur Aktualisierung der Freiheiten in den Raum des Öffentlichen und damit des politischen Prozesses hinein, was insbesondere für die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit auf der Hand liegt. Deshalb sind die Grundrechte nicht nur Gewährleistungen privater „bourgeoiser" Beliebigkeit, sondern auch öffentlicher Wirksamkeit des „cito19 Zum Verständnis von menschlicher Würde in einer sozialistischen Rechtsphilosophie exemplarisch Ernst Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, Frankfurt am Main 1961. 20 Das folgende in engem Anschluß an K. Hesse, a. a. O. (Anm. 7) S. 115 ff. Ein anschauliches Bild über den Stand der Grundrechtsdiskussion vermitteln die Referate von Wolf gang Martens und Peter Häberle über „Grundrechte im Leistungsstaat", in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatrechtslehrer 30 (1972) S. 7 - 4 2 ; 43-141. Vgl. ferner Hans H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, Stuttgart 1972 (res publica, 26).
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yen" 21 , die es den Bürgern und Gruppen ermöglichen, am Prozeß der geistigen, sozialen und politischen Auseinandersetzung im politischen Gemeinwesen teilzunehmen und - in den Grenzen der Unantastbarkeiten der Verfassung - die Inhalte zu bestimmen, die im solchermaßen freiheitlichen Gemeinwesen nicht schon durch eine der Verfassung vorausliegende Gesamtideologie fixiert sind 22 . Unter diesem Blickpunkt sind Grundrechte auch positive und öffentliche Freiheiten. Doch muß hier ein Sachverhalt von fundamentaler Bedeutung bedacht werden. Während in Staatswesen, deren - die rechtliche Verfassung determinierende und instrumentalisierende - Grundverfassung der Marxismus-Leninismus ist, die Grundrechte „Wegbereiter zur vollen Einbeziehung des einzelnen in die Gesellschaft und in die sozialistische Entwicklung'4 darstellen 23, ist in der freiheitlichen Demokratie westlich-verfassungsstaatlicher Prägung diese positive und öffentliche Seite der Grundrechte nur ermächtigende rechtliche Potenz, nicht rechtliche Pflicht. Für die konkrete Gestalt des politischen Gemeinwesens ist es zwar nicht gleichgültig, ob die Bürger - beispielsweise - Meinungen äußern, Verbände bilden, Privatschulen gründen oder sich über die Kirchenmauern hinaus religiös betätigen. Aber der Staat kann nicht vorschreiben, daß, und erst recht nicht: mit welchem Inhalt sie es tun 24 . Er muß es auch hinnehmen, wenn von den Freiheiten überhaupt kein Gebrauch gemacht wird oder nur ein solcher, der den privaten Bezirk nicht überschreitet - auf die Gefahr hin, daß das Gemeinwesen stirbt, wenn es nicht mehr vom Willen zur Freiheit getragen und Freiheit nicht mehr öffentlich eingesetzt und verantwortet wird. Freiheit ist - und das entspricht ihrer Grundstruktur allemal mehr Aufgabe als einfach zuhandene Gabe. Das freiheitliche Gemeinwesen lebt vom Engagement der Bürger für die Freiheit in ihren konkreten Gestalten. Aber das Recht kommt hier an eine eindeutige Grenze: „Freiheit hört auf, Freiheit zu sein, wenn sie nicht das Entscheidungsrecht über Handeln und NichtHandeln in sich schließt ... . Es ist das Ende der Freiheit, wenn die Verbindung von positiver und negativer Freiheitsgarantie an irgendeinem Punkt gelöst wird" 2 5 . Es gehört freilich zu den schwierigsten Aufgaben, positive und negative Freiheit, die als solche vor dem Forum des Rechts gleichwertig sind, in ein Verhältnis optimalen Ausgleichs zueinander zu bringen. Als subjektive Rechte schirmen Grundrechte vor staatlicher Ingerenz ab oder eröffnen Möglichkeiten des (auch) öffentlichen Wirkens, sie sind aber - in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland - keine Teilhaberechte, die An21
Klassisch hierzu nach wie vor Rudolf Smend, Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht (1933), in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl. Berlin 1968, S. 316-325. 22 Vgl. dazu vom Verf., Ideologie und Verfassung, in: Ideologie und Recht, hrsg. v. W. Maihofer, Frankfurt am Main 1969, S. 37-61. 23 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat, München 1967, S. 47. 24 Mit Nachdruck hervorgehoben von K. Hesse, a. a. O. S. 121. 2 5 So Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. III. Stuttgart 1963, S. 106, in bezug auf den Zusammenhang von positiver und negativer Religionsfreiheit.
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Sprüche auf staatliche Leistungen oder die Garantie bestimmter sozialer oder ökonomischer Positionen gewährleisten. Das Grundgesetz jedenfalls kennt keine „sozialen Grundrechte" im strengen Sinne 26 . Auf der Ebene des Verfassungsrechts ist nur aufgrund des Gleichheitssatzes ein Anspruch auf gleiche Teilhabe anerkannt, sofern überhaupt Leistungen gewährt wurden und dabei eine Diskriminierung erfolgte. Doch steht man hier vor einer hochaktuellen und brisanten Problematik: müssen nicht - im Wege der Geltungsfortbildung - Freiheitsrechte heute auch aktualisiert werden als Rechte auf Teilhabe an staatlichen Leistungen, muß nicht Freiheit umgemünzt werden in Teilhabe, damit von (positiver) Freiheit überhaupt Gebrauch gemacht werden kann 27 ? Kann etwa, wie das Bundesverwaltungsgericht das getan hat, aus der Garantie der Privatschulfreiheit ein Anspruch auf Subventionierung aus öffentlichen Mitteln abgeleitet werden 28? Umfaßt das Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte (Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz) auch das subjektive Recht auf Schaffung genügender Ausbildungskapazitäten oder ist hier Freiheit nur gewährleistet „solange der Vorrat reicht" 29 ? Es liegt auf der Hand, daß sich hier Grundsätzliches von großer Tragweite abspielt, geht es doch um die die Struktur von Freiheit überhaupt berührende Frage, ob Freiheit ohne Rücksicht auf ihre Realisierungschancen oder ökonomischen Bedingungen und auf die Gefahr hin, daß sie papieren bleibt oder wird, sich gewissermaßen selbst überlassen bleiben darf. Das ist nichts schlechterdings Neues. In Anbetracht der sozialgeschichtlichen Entwicklung hat etwa Karl Marx schon früh die Abstraktion der Freiheit im Gedanken der Menschenrechte kritisiert 30 , sind auf der anderen Seite theoretisch wie praktisch Ansätze zur Entfaltung dessen unternommen worden, was wir heute „Sozialstaat" zu nennen pflegen 31. Indes erscheint heute die Problematik verschärft. Nun kann in der Gegenwart, unter den Bedingungen des hochkomplexen modernen Industriestaats, grundsätzlich kein Zweifel daran bestehen, daß der Staat im Interesse seiner Bürger, aber auch in seinem eigenen Interesse Freiheitsvorsorge treffen muß, nicht nur durch Schutz, sondern auch durch aktive Stützung und Förderung der - ebenfalls immer teurer werdenden - Freiheit. Daß Freiheit - man denke an Presse-, Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit - auch subventioniert werden muß, hat prinzipiell nichts Anstößiges an sich. Ja, Freiheit muß sogar geplant werden. Unter diesem Aspekt gewinnt die Freiheit die spezifische Qualität sozialstaatlicher Freiheit , erscheint sie als konstitutives Teilelement einer staatlichen Ordnung, in welcher der Staat aktiv steuernd und planend in den gesamten Sozialprozeß eingreift. Der Staat bewegt sich hier freilich in einer schwerwiegenden Gefahrenzone. Der 26
Dazu und zum folgenden wiederum K. Hesse, a. a. O. S. 84 und 121. Bedeutsamste neuere Analyse dieser Problematik bei P. Häberle, a. a. O. (Anm. 20). 2 « BVerwGE 27, 360. 2 9 Vgl. zu dieser Problematik die sorgsam abwägende Numerus-clausus-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 33, 303. 30 Exemplarisch in: Zur Judenfrage (1843), Werke, ed. Lieber, I, S. 474. 27
31 Vgl. dazu etwa Ernst Rudolf Huber, Lorenz von Stein und die Grundlegung der Idee des Sozialstaats, in: Nationalstaat und Verfassungsstaat, Stuttgart 1965, S. 127-143.
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Staat der Freiheitsvorsorge würde pervertieren und Freiheit in der Substanz beeinträchtigen, wenn er zum Freiheitsversorgungsstaat würde, wenn also der Bürger auch in Sachen Freiheit nur noch zum Kostgänger des Staates würde; wenn der einzelne oder die Gruppe vom Risiko der Selbstbehauptung und der verantwortlichen Mitsorge für die Gestaltung seiner selbst und seines Lebensraumes entlastet und „befreit" wäre 32 - denn solche „Befreiung" könnte nur um den Preis voller Vorplanung und Indienstnahme geschehen. Gerade die zuletzt angestellten Erörterungen können bewußt machen, daß man die Bedeutung der Grundrechte nur dann voll erfaßt, wenn man in ihnen - über ihren Charakter als subjektive Rechte hinaus - auch Elemente objektiver Ordnung erkennt. So sind die Grundrechte als subjektive Abwehrrechte zugleich negative Kompetenzbestimmungen für staatliches Handeln, d. h. sie bezeichnen die für staatliches Handeln unverfügbare Grenze, wenn der Staat von seinen (sonstigen) Kompetenzen Gebrauch macht. Darüber hinaus aber charakterisieren die Grundrechte als Elemente der Gesamtrechtsordnung - in Verbindung mit anderen Staatszielbestimmungen - diese in ihrer sachlichen Eigenart, so wenn sie Grundlagen der Privat- und Strafrechtsordnung oder bestimmte Lebensbereiche normieren oder wenn sie die konkrete Struktur der Demokratie oder des sozialen Rechtsstaates näher determinieren. Hier erweisen sie sich als für staatliche Gesetzgebung verpflichtende Richtlinie und rücken in die Nähe positiver Kompetenzbestimmungen, insofern es um die Schaffung von Voraussetzungen für die Wahrnehmung von Freiheit überhaupt geht 33 . Auf diese Weise bedarf Freiheit der Institutionalisierung 34. Aus der Fülle der sich hieraus ergebenden Einzelprobleme können nur noch zwei in ihrer grundsätzlichen Bedeutung kurz zur Sprache gebracht werden. Im freiheitlichen Gemeinwesen sind Freiheitsgewährleistungen eingeordnet in einen umfassenden Freiheits- und Verantwortungszusammenhang. Grundrechte unterliegen deshalb Begrenzungen: „Grundrechtliche Freiheiten sind rechtliche Freiheiten und als solche stets inhaltlich bestimmt, d. h. aber begrenzt. Grundrechtsbegrenzung ist Bestimmung dieser Grenzen; sie legt die inhaltliche Tragweite des jeweiligen Freiheitsrechts fest" 35 . Insofern stehen (begrenzend-inhaltsbestimmendes) Recht und Freiheit ineinander 36, in einem spannungsreichen Verhältnis der Wechselbezüglichkeit: Recht ist auf Freiheit angelegt, Freiheit kann nur als rechtlich bestimmte und begrenzte Freiheit real wirksam werden. Es ist ein ganz zentrales 32 Vgl. dazu Böckenförde , a. a. O. S. 55. 33 Vgl. dazu P Häberle, a. a. O. S. 103 ff. 34 Im einzelnen muß die Problematik eines „institutionellen" Verständnisses der Grundrechte hier undiskutiert bleiben. Grundlegend dazu Peter Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 2. Aufl. Karlsruhe 1972. Zur Kritik vgl. Bernd Rüthers, „Institutionelles Rechtsdenken" im Wandel der Verfassungsepochen, Bad Homburg/Berlin/ Zürich 1970. 35 So in prägnanter Kürze K. Hesse, a. a. O. S. 129. 36 Hierzu P. Häberle, a. a. O. (Anm. 34) S. 225.
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Stück juristischen Dienstes an der Freiheit, die (begrenzten) Freiheitsbereiche nach Maßgabe verläßlicher normativer Kriterien einander so zuzuordnen, daß sie gleichwohl zu optimaler Wirksamkeit gelangen37. - Freiheit ist schließlich auf besonderen Schutz angewiesen. In der normativen Ordnung des Grundgesetzes ist nicht nur in Gestalt der Garantie umfassenden gerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4), vor allem durch das spezifische Institut der Verfassungsbeschwerde bei Grundrechtsverletzungen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a), weitreichende verfahrensrechtliche Vorkehr dafür getroffen. Zugleich ist einerseits normiert, daß in keinem Fall ein Grundrecht in seinem „Wesensgehalt" angetastet werden darf (Art. 19 Abs. 2) 3 8 ; andererseits kann bei Mißbrauch von Freiheitsrechten „zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" die Ausübung von Grundrechten „verwirkt" werden (Art. 18) 39 . In beiden Fällen geht es um den Schutz der Freiheit gegen innere Aushöhlung: im einen Fall gerichtet gegen den Staat - Garant und potentieller Feind grundrechtlicher Freiheit in einem - , im anderen gegen den Bürger, der ebenfalls Mitverantwortung für die Herrschaft der „Autorität der Freiheit" trägt. Hier zeigt sich, daß die von der Verfassung intendierte Freiheit trotz weit hinausgeschobener Toleranzgrenzen sich nicht relativistisch preisgibt, sondern sich ernst nimmt und mit sich selber identifiziert 40 . Freiheit kommt hier in ihren absoluten, unverfügbaren Grund. V. Alle Aspekte der Freiheitsproblematik im Recht, die man erwägen kann, - und hier ging es nur um einige wenige - führen immer wieder auf das Phänomen der Fragilität und Verwundbarkeit von Freiheit. Es gründet letztlich im Anthropologischen: die Potenz zu freier geistig-sittlicher Selbstbestimmung ist in vielfältiger Weise gefährdet, Freiheit ist risikoreich und anstrengend. Insbesondere aber kommt hinzu, daß Ziele und Maßstäbe, auf die hin Freiheit sich entfalten kann, unsicher geworden oder überhaupt geschwunden sind. Im großen historischen Prozeß der Säkularisierung haben religiöse Normen ihre Verbindlichkeit für Recht und Staat verloren; im Prozeß zunehmender Subjektivierung und Pluralisierung haben auch ethische Standards weithin ihre allgemeine Geltung eingebüßt. Im Zuge dieser Diastase von Religion und Moral einerseits, von Recht und Staat andererseits, normiert der Staat in seinem Recht - insbesondere im Strafrecht - das „ethische Minimum" 41 in bezug auf die „einfache", elementare Sittlichkeit - und er tut um der Freiheit willen gut daran, wenn es wahr sein soll, daß der Staat nicht „dux ad coelestia" ist, daß staatliches Recht nicht eine Wahrheits- und Tugendordnung, 37 Vgl. dazu K. Hesse, a. a. O. S. 132. 38
Grundlegend dazu P. Häberle, a. a. O. (Anm. 34); vgl. auch Hesse, a. a. O. S. 139 f. 39 Vgl. dazu K. Hesse, a. a. O. S. 275 ff. 40 Vgl. dazu vom Verf. , a. a. O. (Anm. 22) S. 52, 57. 41 Georg Jellinek, Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe, 2. Aufl. 1908, S. 45.
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sondern eine Friedens- und Freiheitsordnung aufrichten will 4 2 . Aber man muß es präzise so sagen: mit ethischen Minimalia ist kein Staat zu machen. Auch Recht und Staat leben im Grunde von Kräften, die aus Religion und Ethos kommen, und die dasjenige, woraufhin sich menschliche Freiheit entwirft und woran sie sich bindet, des näheren inhaltlich bestimmen. Allein, es handelt sich, wie Ernst-Wolfgang Böckenförde eindrucksvoll ins Licht gerückt hat, um Voraussetzungen, die der freiheitliche säkularisierte Staat selber nicht garantieren kann. „Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Andererseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots, zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben .. ." 4 3 . Um so mehr kommt es darauf an, Religion und Ethos Raum zu geben und Raum zu lassen. Das kann und muß mit den Mitteln des Rechts geschehen, und das ist der vornehmste Dienst, den das Recht der Freiheit leisten kann.
42 Böckenförde , a. a. O. S. 91. 43 Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien, Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1967, S. 93. Zur Sache vgl. auch Martin Hechel, Zum Sinn und Wandel der Freiheitsidee im Kirchenrecht der Neuzeit, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 86 (55) 1969, S. 395-436.
Selbstbestimmung im Recht I. Die Beschäftigung mit diesem Thema verdankt sich einem Anstoß von außen. Kürzlich fand in Freiburg ein japanisch-deutsches Symposium statt, an dem - unter Einbeziehung einiger Gäste - Vertreter der juristischen Fakultät der Städtischen Universität Osaka und der Freiburger Rechtswissenschaftlichen Fakultät beteiligt waren. Das Generalthema lautete „Selbstbestimmung". Es war, und das muß nachhaltig unterstrichen werden, von japanischer Seite vorgeschlagen worden. Von vornherein war zu vermuten, daß den japanischen Partnern Begriff und Sache der Selbstbestimmung eher etwas Neues und weniger Vertrautes waren oder daß dabei doch jedenfalls noch eine ganz bestimmte Problematik im Vordergrund stand: Veränderungen nämlich im gesellschaftlichen Gefüge, in dem die traditionelle Moral ihre Bindungskraft eingebüßt hat und in dem zunehmend eine Mannigfaltigkeit der Lebensorientierungen hervortritt. Bezeichnenderweise sollte nach einem ursprünglichen Plan von einem japanischen Kollegen ein Vortrag über „Selbstbestimmung und Paternalismus" beigesteuert werden. Schließlich kam in den Gesprächen in Freiburg deutlich heraus, daß man sich von den deutschen Beiträgen erhoffte, sie könnten mit dazu beitragen, die japanische Diskussion zu diesem Thema zu beleben und sie in Richtung auf eine Stärkung des Gedankens der Selbstbestimmung zu unterstützen1. Erstveröffentlichung: Vorgetragen am 11. November 1995, Heidelberg 1996, S. 31 (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Jg. 1996. Bericht 2). 1 Das Programm wies folgende Vorträge auf: Hideo Sasakura, Das Recht auf Selbstbestimmung. Zum Stand der Diskussion in Japan; Karl Kroeschell, Selbstbestimmung aus rechtsgeschichtlicher Perspektive; Alexander Hollerbach, Selbstbestimmung im Recht aus der Sicht der Rechtsphilosophie; Koichi Yonezawa, The Right of Minors to Self-determination; Rainer Wahl, Selbstbestimmung und Rechtskultur in rechtsvergleichender Betrachtung; Iwao Sato, Verwaltung und Selbstbestimmung der Bürger; Kazushige Asada, Lebensschutz und Selbstbestimmung im Strafrecht; Satoshi Ueki, Informed Consent; Wolfgang Frisch, Leben und Selbstbestimmung im Strafrecht; Akimasa Takada, Selbstbestimmung des Beschuldigten im japanischen Strafverfahren - Schweigen oder Gestehen? Thomas Weigend, Strafprozessuale Aspekte der Selbstbestimmung; Satoshi Nishitani, Selbstbestimmung im Arbeitsrecht unter besonderer Berücksichtigung des Arbeitnehmerschutzrechts; Manfred Löwisch, Schutz der Selbstbestimmung durch Fremdbestimmung - zur Ambivalenz des Arbeitsrechts; Ursula Köbl, Soziale Sicherheit und Selbstbestimmung der Bürger; Miyoko Motozawa, Selbstbestimmung im Sozialrecht; Hiroshi Kodoma / Yoshikazu Kawasumi, Selbstbestimmung und Verbraucherschutz; Wolfgang Lüke, Selbstbestimmung und Verbraucherschutz; Hiroyuki Matsumoto, Selbstbestimmung der Parteien im Zivilprozeß; Rolf Stürner, Die prozeßfreie
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Da ich bei dem genannten Symposium aus organisatorischen Gründen nur ein Kurzreferat halten konnte, wird man es hoffentlich nicht als unziemlich empfinden, wenn ich das Forum der Akademie dazu benutze, mich einläßlicher zu dieser Thematik zu äußern, und zwar mit dem Bemühen, in rechtsphilosophischer Absicht das die juristischen Einzeldisziplinen übergreifende Ganze in den Blick zu nehmen und den tragenden, rechtfertigenden Grund für „Selbstbestimmung" aufzuspüren. In Anbetracht dieser auf das Prinzipielle gerichteten Intention darf man billigerweise keine Rezepte für die Lösung konkreter Fälle erwarten. In einem ersten Zugriff lasse ich mich von Beobachtungen zur Rechtssprache leiten, um von da aus Felder auszumachen, auf denen das Wort Selbstbestimmung und damit die Sache Selbstbestimmung eine maßgebende Rolle spielen. Danach wird versucht, Beiträge zu einer philosophisch fundierten Theorie der Selbstbestimmung im Recht zu entwickeln.
II. Das deutsche Wort Selbstbestimmung ist erstmals für die Weimarer Klassik nachgewiesen2. Hier dient es dazu, die Prägung der individuellen Persönlichkeit als Vernunftwesen zu beschreiben. Dabei war von allem Anfang an die Nähe zu „Autonomie" erkennbar, ja das Wort Selbstbestimmung erscheint als deutsche Entsprechung zu Autonomie. Dieser Begriff wiederum erfährt eine Zuspitzung in dem von Kant in der Kritik der Urteilskraft geprägten Begriff der Heautonomie, in dem die Selbstbezüglichkeit der Autonomie besonders hervorgehoben wird. Friedrich Schiller hat den Begriff der Heautonomie in dieser Kantischen Bedeutung aufgenommen, indem er - ich folge dabei der Erläuterung von Werner Bartuschat im Historischen Wörterbuch der Philosophie3 - , die Schönheit als Heautonomie gegen die „bloße Autonomie" abgrenzt, die als subjektive Kunstfertigkeit den zu formenden Stoff unter sich zwingt und die darin auf diesen eine „äußere Gewalt" ausübt. Als Heautonomie ist die Form hingegen, wie Schiller ausdrücklich formuliert, „zuSphäre im Zivilprozeß (Privilegien und Weigerungsrecht der Verfahrensbeteiligten). Eine Veröffentlichung im Rahmen der bei C. F. Müller (Heidelberg) erscheinenden Reihe „Freiburger Rechts- und Staatswissenschaftliche Abhandlungen" ist geplant. 2 Vgl. die Nachweise bei Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 10, Teil 1, Sp. 461. Hier wird etwa auf eine Äußerung Goethes über Schiller Bezug genommen: „Er, im höchsten Gefühl der Freiheit und Selbstbestimmung, war undankbar gegen die große Mutter Natur". Bei Schiller andererseits heißt es: „Reine Selbstbestimmung ist Form der praktischen Vernunft". Ein späterer Beleg bei Gustav Freytag: „Der Protestantismus forderte unablässige innere Tätigkeit der Individuen, er drängte überall zu freier Selbstbestimmung". Bei Joachim Heinrich Campe, Wörterbuch der deutschen Sprache, 4. Teil, Braunschweig 1810, S. 405 finden sich keine literarischen Belege, vielmehr wird Selbstbestimmung definiert als „diejenige Handlung oder Tätigkeit des Geistes, da man sich selbst bestimmt, in seinen Entschlüssen selbst leitet (Spontaneität)". Zum ganzen siehe auch Paul Kluge, Selbstbestimmung. Vom Weg einer Idee durch die Geschichte, Göttingen 1963, S. 11 f. 3 Historisches Wörterbuch der Philosophie 3 (1974) Sp. 1022.
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gleich selbstbestimmend und selbstbestimmt", insofern sie gegenüber dem subjektiven Entwurf zugleich den von aller Subjektivität unabhängigen Stoff zur Geltung bringt. Offenbar übersetzen sich sozusagen Autonomie und Selbstbestimmung gegenseitig. Nach den ersten Belegen um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert taucht das Wort Selbstbestimmung mit Deutlichkeit erst wieder später, etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts, auf, und nun auch im Zusammenhang mit konstitutionellen und nationalen Problemen im politischen Bereich. Insbesondere die Diskussion über das dänische Problem, d. h. die staatliche Zuordnung der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, hat Anlaß dazu gegeben, das Wort Selbstbestimmung zu gebrauchen4. Seit wann es indes einen Ort in der Gesetzessprache bzw. im Sprachschatz der Jurisprudenz hat, kann nicht genau ausgemacht werden. Immerhin läßt sich in zwei Hinsichten Verläßliches sagen und dabei die Aufmerksamkeit auf Sachverhalte lenken, in denen sich Historie und Gegenwart verknüpfen: 1. Den Anfang macht nicht die Selbstbestimmung des Individuums, sondern das Selbstbestimmungsrecht des Volkes bzw. der Völker, the right of self-determination, le droit des peuples à disposer d'eux-mêmes, le droit à l'autodétermination 5. Ich erinnere an die Namen von zwei Autoren, die mit ihren Schriften zur theoretischen Grundlegung beigetragen haben: Pasquale Mancini, dessen Bedeutung für das Internationale Privatrecht uns Erik Jayme erschlossen hat6, und Karl Renner, den bedeutenden Sozialisten und ersten österreichischen Bundespräsidenten nach 19457. Die Idee des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist insbesondere an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zunehmend virulent geworden. Sie hat schließlich 1918 in der Vierzehn-Punkte-Erklärung des amerikanischen Präsiden4
Unter verfassungsgeschichtlichem Aspekt eingehend dazu Ernst Rudolf Huben Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, 3. Aufl., Bd. II, Stuttgart 1988, S. 660 ff. (Die Nationalversammlung und die schleswig-holsteinische Frage), S. 933 ff. (Die Intervention in Holstein); Bd. III (1988) S. 449 ff. (Die schleswig-holsteinische Frage 1852-1863). Nach Huber, a. a. O. III, S. 474, findet sich der Ausdruck „Selbstbestimmungsrecht" zuerst in dem Beschluß des Zentralausschusses des Deutschen Abgeordnetentages vom 16. Oktober 1864 („Selbstbestimmungsrecht des schleswig-holsteinischen Volkes"). 5 Gute Grundorientierung bei Rainer Arnold, Art. Selbstbestimmungsrecht, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. IV (1988) Sp. 1150-1154. Aus dem älteren und dem neueren Schrifttum dazu besonders hervorzuheben: Daniel Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker mit einem Exkurs zur Jurafrage, Bern 1976; Dietrich Murswiek, Offensives und defensives Selbstbestimmungsrecht, in: Der Staat 23 (1984) S. 523-548; Paul Kirchhof Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: Handbuch des Staatsrechts, hrsg. v. Josef Isensee u. Paul Kirchhof, Bd. V I I (1992), S. 874 f. (Rdnr. 40). 6 Pasquale Stanislao Mancini . Internationales Privatrecht zwischen Risorgimento und praktischer Jurisprudenz, Ebelsbach 1980; italienische Übersetzung Padova 1988. Vgl. von demselben auch: Pasquale Stanislao Mancini (1817-1888). L'attualitä del suo pensiero, in: Atti dell'Accademia Roveretana degli Agiati 1987, p. 23-41. 7 Über ihn Gustav Spann, Art. Renner, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. IV (1988) Sp. 853855.
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ten Woodrow Wilson Niederschlag gefunden, der, wie Rainer Arnold herausgestellt hat8, vornehmlich die zwischenstaatliche Dimension und globale Ordnungsfunktion der Selbstbestimmungsidee bewußt machte. Sie war primär bezogen auf die gebietsmäßige Zugehörigkeit zu einem Staat, darüberhinaus bezog man sie aber mit der Zeit auch auf die Gestaltung des politischen Schicksals eines Volkes überhaupt, verknüpft mit der Forderung nach Artikulation demokratischen Willens und der Behauptung der Souveränität des Volkes. In diesen Zusammenhang gehört Art. 2 der Weimarer Reichsverfassung, wonach - so wird dort im Anschluß an eine Aussage über das bestehende Reichsgebiet formuliert - andere Gebiete durch Reichsgesetz in das Reich aufgenommen werden können," wenn es ihre Bevölkerung kraft des Selbstbestimmungsrechts begehrt". Soweit ersichtlich ist dies der erste deutsche Rechtstext, in dem der Begriff Selbstbestimmungsrecht gebraucht wird. Einerseits vielleicht distanzierend, andererseits aber doch auch mit positiver Tendenz hat Gerhard Anschütz, der bekannte Heidelberger Kommentator der Weimarer Reichsverfassung, betont, das Selbstbestimmungsrecht, von dem hier die Rede ist, sei kein positiver Rechtssatz, aber doch möglicherweise einer, der im Werden begriffen ist; es sei auch keine allgemein anerkannte Regel des Völkerrechts, wohl aber eine Forderung politischer Gerechtigkeit, der die Verfassung freiwillig Rechnung trage! 9 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde zwar immer wieder die Selbstbestimmungsidee in Anspruch genommen, aber sie hat es bezeichnenderweise nicht vermocht, in die Völkerbundssatzung aufgenommen zu werden. Überhaupt wird man in bezug auf die Zeit in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts eher von einer Leidensgeschichte des Selbstbestimmungsrechts sprechen müssen. Erst 1945 kam es dann zu einer klaren Aussage in Art. 1 der Charta der Organisation der Vereinten Nationen, die auf das Ziel verpflichtet wird, „freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen". Hier bei uns forderte 1949 die Präambel des Grundgesetzes „das gesamte Deutsche Volk" auf, - so wörtlich „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". Jetzt, nach weiteren 40 Jahren, stellt das Grundgesetz in seiner neugefaßten Präambel fest, daß dies geschehen sei 10 . Naturgemäß hatte sowohl im Einigungsvertrag 11 8 A. a. O. Sp. 1152. Im einzelnen dazu Werner Brecht, Selbstbestimmung und imperiale Herrschaft. Zur Haltung Woodrow Wilsons gegenüber der außereuropäischen Welt, Münster 1992. 9 Gerhard Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933 (Neudruck Darmstadt 1960) Nr. 7 zu Art. 2. 10 Neufassung durch Art. 4 Nr. 1 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 (BGBl. I I S. 889): „Die Deutschen in den Ländern ... haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet". 11 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889). Hier heißt es am Anfang der Präambel: „Die Bundesrepublik Deutschland und die
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als auch im Zwei-plus-Vier-Vertrag 12 die Bezugnahme auf Selbstbestimmung und Selbstbestimmungsrecht eine tragende Rolle gespielt. Das ist nicht zuletzt darin begründet, daß in der Zwischenzeit auch die Geschichte des Selbstbestimmungsrechts im Völkerrecht weitergegangen ist. Es hat in den großen UN-Menschenrechtspakten von 196613 an prominenter Stelle Ausdruck gefunden und ist nicht mehr nur unverbindliche Direktive, sondern verpflichtende Rechtsnorm: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung" (Art. 1 Abs. 1). Auch für den KSZE-Prozeß ist das bestimmend geworden. Die Schlußakte von Helsinki 14 nimmt ausdrücklich darauf Bezug und bekräftigt damit die normative Geltung dieses Prinzips auf der Ebene des Völkerrechts. 2. Auch das zweite Beispiel auf der Spur der rechtssprachlichen Analyse bleibt noch sozusagen im Vorhof der individuellen Selbstbestimmung. Es geht um die Kategorie „Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften" oder „kirchliches Selbstbestimmungsrecht". Sie ist zwar nicht Bestandteil der legistischen Sprache, aber als Begriff der Rechtsdogmatik seit langem fest verwurzelt. Gerhard Anschütz, der hier erneut anzuführen ist, hat sie schon vor Weimar, nämlich in seiner 1912 erschienenen Kommentierung von Art. 15 der Preußischen Verfassung gebraucht, der auf der Linie der Paulskirchenverfassung den Kirchen und Religionsgesellschaften das Recht garantierte, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten 15. Diese Formel ist dann auch in Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung eingegangen und kraft der Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel Bestandteil des Grundgesetzes geworden. Auf diese Weise Deutsche Demokratische Republik - entschlossen, die Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit als gleichberechtigtes Glied der Völkergemeinschaft in freier Selbstbestimmung zu vollenden...". 12 Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 (BGBl. I I S. 1318). In der Präambel zeigen sich die Vertragspartner „entschlossen, in Übereinstimmung mit ihren Verpflichtungen aus der Charta der Vereinten Nationen freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Friedens zu treffen. .." 13
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl. 1973 I I S. 1534); Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl. 1992 I I S. 1247). 14 Bulletin der Bundesregierung Nr. 102 vom 15. August 1975, S. 965. In der „Erklärung über die Prinzipien, die die Beziehungen der Teilnehmerstaaten leiten", dem sog. Dekalog, heißt es in Abschnitt VIII u. a.: „Kraft des Prinzips der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechts der Volker haben alle Völker jederzeit das Recht, in voller Freiheit, wann und wie sie es wünschen, ihren inneren und äußeren politischen Status ohne äußere Einmischung zu bestimmen und ihre politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung nach eigenen Wünschen zu verfolgen" (Abs. 2). 15 Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat. Vom 31. Januar 1850. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 1. Bd., Berlin 1912, S. 282-340, bes. S. 305-314.
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konnte die Kategorisierung oder Qualifizierung als Selbstbestimmungsrecht in Anbetracht der Textkontinuität bruchlos fortgeführt werden, auch wenn sich hinter der Wortfassade Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Interpretation verbergen. Jedenfalls ist Selbstbestimmung bzw. Selbstbestimmungsrecht ein tragender Topos des deutschen Staatskirchenrechts, wie man es sich aus vielen Schriften Martin Heckeis 16 und jetzt auch aus der neuesten magistralen Problembehandlung durch Konrad Hesse 11 klarmachen kann. In diesen beiden Sachverhalten, so ist noch einmal zu betonen, erscheint Selbstbestimmung nicht als Individualrecht, sondern als korporatives oder kollektives Recht. Bis zum Beweis des Gegenteils sind die Belege für den juristischen Wortgebrauch in einer ersten Periode damit erschöpft. Es handelt sich dabei um Sachverhalte, deren Ursprung in die vordemokratisch-vorrepublikanische Phase der Verfassungsentwicklung zurückreicht. Demgegenüber sind bei zwei nunmehr noch zu besprechenden Fällen aktuelle Bezüge mit Händen zu greifen. Zudem tritt Selbstbestimmung hier nun betont als Recht des Individuums auf. 3. Unter diesem Aspekt führt der rechtssprachliche Streifzug zunächst ins Strafrecht. Seit dem 4. Strafrechtsreformgesetz von 1973 trägt der 13. Abschnitt im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs die amtliche Überschrift „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung". Hier erscheint nun die Selbstbestimmung des Individuums, dazu im Bereich des Intimen und Höchstpersönlichen. Auch im Blick auf den historisch-politischen Kontext am Ende der 60er und zu Beginn der 70er Jahre, als Strafrechtsreform en vogue war, dürfte offenkundig sein, daß der Gebrauch gerade dieses Begriffes als des gemeinsamen Nenners für die Tatbestände des Sexualstrafrechts betonter Ausdruck, ja Signal für Liberalisierung, Individualisierung und Privatisierung in diesem Bereich sein sollte. Das wird umso deutlicher, wenn man in Betracht zieht, daß die hier so plakativ hervorgehobene sexuelle Selbstbestimmung nur einen einzelnen Aspekt liefert, aber entgegen der neuen Abschnitts-Überschrift nicht das alleinige Rechtsgut der hier erfaßten Tatbestände sein kann 18 , wie sich u. a. an den Vorschriften zeigen läßt, die den Schutz von Minderjährigen im Auge haben oder Zuhälterei und bestimmte Formen der Pornographie unter Strafe stellen. 4. Das letzte Beispiel in dieser Serie ist das vom Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 anerkannte „Recht auf informationelle Selbstbestimmung", ein Ausdruck, mit dem das Wort Selbstbestim16
Insoweit hervorzuheben: Die Kirchen unter dem Grundgesetz (1967), in: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Klaus Schiaich, Bd. I, Tübingen 1989, S. 433-440. 17 Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Joseph Listl/Dietrich Pirson, 2. Aufl., Bd. I, Berlin 1994, S. 521-559. 18 Vgl. dazu Dreher-Tröndle, Strafgesetzbuch, 47. Aufl., München 1995, S. 876-948, bes. S. 877. Vgl. im übrigen die Übersicht bei Klaus Geppert, Art. Sexualdelikte, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. IV (1988) Sp. 1169-1172.
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mung neu Karriere gemacht hat 19 . Mit diesem Recht ist die Befugnis des Einzelnen gewährleistet, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Es wurde entwickelt als Element des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das in dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit der Garantie der Würde des Menschen in Art. 1 Abs. 1 GG seinen normativen Ort hat. Selbstverständlich ist mit diesen beiden Beispielen die Bestandsaufnahme nicht erschöpft. In der Gesetzessprache kommt dem, was mit Selbstbestimmung gemeint ist, wohl besonders nahe § 136 a der Strafprozeßordnung. Danach darf „die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten nicht beeinträchtigt werden durch Mißhandlung, durch Ermüdung, durch körperlichen Eingriff, durch Verabreichung von Mitteln, durch Quälerei, durch Täuschung oder durch Hypnose." Ausdrücklich sind auch Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten beeinträchtigen, verboten. Aber ansonsten hält sich der Gesetzgeber mit der Verwendung des Wortes Selbstbestimmung offenbar zurück. Hingegen bieten Judikatur und Schrifttum etliche weitere Beispiele, in denen der Topos Selbstbestimmung bzw. der Begriff Selbstbestimmungsrecht eine Rolle spielen20, ja man wird feststellen, daß das Thema Selbstbestimmung - oder sagen wir: die Sache Selbstbestimmung - die ganze Rechtsordnung durchzieht, und das ist naturgemäß so, da es in ihr allenthalben um das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, von Freiheit und Bindung, von Recht und Pflicht sowie um Kollision bzw. Koordination von Interessen geht. Einige Beobachtungen seien hier festgehalten: Die Sache Selbstbestimmung ist selbstverständlich im Falle der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) sowie bei der strafrechtlichen und polizeirechtlichen Behandlung der Selbsttötung bedeutsam21. Ein bemerkenswertes Licht wird auf die Problematik des hier analysierten Leitbegriffs geworfen, wenn man feststellt, daß sich das Bundesverfassungsgericht im ersten Abtreibungsurteil von 1975 noch darauf eingelassen hat, die damals besonders gängige und kämpferisch eingesetzte Vokabel vom Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren zu gebrauchen, auch wenn es eindeutig zu dem Ergebnis kam, die Entscheidung müsse zugunsten des Vorrangs 19 BVerfGE 65, 1 (42 f.). Zusammenfassend dazu Walter Schmitt Glaeser, Schutz der Privatsphäre, in: Handbuch des Staatsrechts, hrsg. von Josef Isensee und Paul Kirchhof, Bd. VI, § 129, S. 41 ff., bes. 84-106. 20
Vgl. etwa BVerfGE 72, 155. Hier werden Probleme des Vertretungsrechts ausdrücklich mit den Kategorien „Selbstbestimmung" und „Fremdbestimmung" verhandelt. Auch in einer Entscheidung zur Schlüsselgewalt (§ 1357 Abs. 1 BGB) wird das „Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten" bemüht und betont, daß es in deren finanziellen Beziehungen untereinander durch Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt werde: BVerfGE 81, 1 (10). 21 Grundorientierung bei Eduard Seidler/Hildburg Kindt / Annemarie Pieper / Bernhard Stoeckle/Albin Eser, Art. Selbsttötung, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. IV (1988) Sp. 11541163. Vgl. auch Udo Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung. Verfassungsrechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit Selbsttötungen, Köln 1992.
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des Lebensschutzes für die Leibesfrucht vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren fallen 22 . Demgegenüber springt ins Auge, daß im zweiten Abtreibungsurteil von 1993 die Kategorie des Selbstbestimmungsrechts offenbar von vornherein bewußt vermieden wurde 23 . Ein reiches Anschauungs- und Anwendungsfeld unter der Perspektive Selbstbestimmung bietet das Arztrecht, worüber man sich im einzelnen insbesondere bei Adolf Laufs kundig machen kann 24 . Und um noch Beispiele ganz anderer Art anklingen zu lassen: Im Bereich des Hochschulrechts gibt es Sachverhalte, in denen die Selbstbestimmung des Forschers und Lehrers vor allem in Abgrenzung von Befugnissen kollegialer Organe relevant wird 25 . Das Arbeitsrecht lenkt in spezifischer Weise auf das Thema Selbstbestimmung und Mitbestimmung26 hin. Im Prozeßrecht stellen sich Fragen, die man ebenfalls unter dieser Perspektive diskutieren kann, so im Strafprozeß etwa die Frage „leugnen oder gestehen?" Mit dieser kleinen Blütenlese muß es sein Bewenden haben. Es ist dringlich, nunmehr die Sonde einer auf das Prinzipielle gerichteten Fragestellung anzulegen.
III. Im Volkszählungs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts findet sich als Ausgangspunkt für die Herleitung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung folgender Satz: „Im Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ordnung stehen Wert und Würde der Person, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft wirkt" 2 7 . 22 BVerfGE 39, 1 (43 f.). Als Leitsatz 3 wurde formuliert: „Der Lebensschutz der Leibesfrucht genießt grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren und darf nicht für eine bestimmte Frist in Frage gestellt werden". 23 BVerfGE 88, 203 (254). Es wird nur - unter Anführung der konkreten Normen des Grundgesetzes - vom „Anspruch der schwangeren Frau auf Schutz und Achtung ihrer Menschenwürde", von ihrem „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" und von ihrem „Persönlichkeitsrecht" gesprochen. 24
Adolf Laufs, Arztrecht, 5. Aufl., München 1993, passim. Vgl. auch Eduard Seidler/Dieter Giesen, Art. Arzt, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. 1 (1985) Sp. 364-374, bes. Sp. 371. Aus der neueren Diskussion ist noch zu verweisen auf R. Harri Wettstein, Leben- und Sterbenkönnen. Gedanken zur Sterbebegleitung und zur Selbstbestimmung der Person, Bern 1995; Stella Rouka, Das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen bei ärztlichen Eingriffen, Frankfurt am Main 1996; Torsten Verrel, Selbstbestimmungsrecht contra Lebensschutz, in: Juristenzeitung 1996, S. 224-231. 2 5 Vgl. etwa BVerfGE 35, 79 (112-116). Siehe auch den Versuch in § 3 des Hochschulrahmengesetzes, die Freiheit von Forschung und Lehre sowie die Freiheit des Studiums genauer zu umschreiben. 26 Zur Grundorientierung vgl. Bernd Rüthers / Gerhard Kleinhenz , Art. Mitbestimmung, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. III (1987) Sp. 1176-1185. 27 BVerfGE 65, 1 (41).
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Dieser in der Sprache der Judikatur formulierte Satz ist geeignet, an die Grundfrage heranzuführen: Was ist das, Selbstbestimmung im Recht? Was ist ihr Sinn? Wo liegen Grund und Grenze? Wenn im folgenden versucht wird, Antworten darauf zu geben, so geschieht das nicht mit der Intention, Neues zu sagen; es soll auch nicht der Anspruch erhoben werden, gewissermaßen einen transkulturell-universalistischen Anspruch zu erfüllen. Vielmehr geht es in erster Linie darum, das, was mit Selbstbestimmung im Recht gemeint ist, verstehbar zu machen und dabei Überzeugungen und Erfahrungen aus unserer Rechtskultur und unserer, der deutschen Rechtsordnung zu artikulieren. 1. Eine erste Reflexion gilt dem Verhältnis von Selbstbestimmung und Freiheit 28. Selbstbestimmung gehört unzweifelhaft in den Horizont von Freiheit, ja Selbstbestimmung ist ein anderes Wort für Freiheit. Damit hat die Sache, die es bezeichnet, Anteil an der abendländisch-europäischen Freiheitsgeschichte, die zwar in der griechischen Antike anhebt, aber dann erst durch das Christentum und - mit anderem Akzent, ja aufgrund eines Paradigmen wechseis - durch Aufklärung und idealistische Philosophie ihr spezifisches Gepräge findet. Wenn es wahr ist, daß - mit Hegel gesprochen - unsere Geschichte gekennzeichnet ist durch einen „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit" 29 , dann läßt sich auch von einem Fortschritt im Bewußtsein von Selbstbestimmung sprechen. Dem entspricht es, daß in vielen Bereichen und an vielen Fronten das Bedürfnis nach Selbstbestimmung empfunden und ein Recht auf Selbstbestimmung eingefordert wird. Wenn hier zunächst die Relation der beiden Begriffe näher beleuchtet wird, so bringt schon vom Wort her Selbstbestimmung im Verhältnis zu Freiheit zwei Elemente deutlicher zum Ausdruck: (1) Selbstbestimmung ist offenkundig der Gegenbegriff zu Fremdbestimmung und zielt auf Emanzipation aus Bindungen und Bedingungen, die von außen kommen. Es wird Unabhängigkeit von Personen und Sachen angestrebt. Mit Selbstbestimmung soll Entfremdung zugunsten eines Bei-Sich-Seins vermieden oder überwunden werden. Zugleich aber wird auf den Träger der Bestimmungsmacht verwiesen. Es ist das Selbst. Ganz in der Nähe dieses Gedankens formuliert übrigens Friedrich Julius Stahl in augenscheinlicher Prägung durch den deutschen Idealismus in seiner Rechtsphilosophie von 1833: „Das Wesen der Freiheit ist: nur durch sein eignes Selbst bestimmt zu werden" 30 . Das Selbst ist hier indes nicht verstanden als abstraktes Neutrum, sondern als konkretes Subjekt im Sinne des 28
Grundorientierung bei Hermann Krings, Art. Freiheit I—III, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. 11(1986) Sp. 696-704. 29 Die Vernunft in der Geschichte, ed. Johannes Hoffmeister, Hamburg 1955, S. 63. Im einzelnen vgl. Ludger Oeing-Hanhoff, Art. Fortschritt, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. I I (1986) Sp. 654 f. 30 Die Philosophie des Rechts. 2. Bd.: Rechts- und Staatslehre auf der Grundlage christlicher Weltanschauung, 5. Aufl., 1878 (Neudruck 1963) S. 321.
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vernunftbegabten Trägers von Bewußtsein und Wille, als seiner selbst bewußtes Subjekt, das, zumal im Recht, Person genannt zu werden pflegt 31 . „Person", so definiert bekanntlich Kant , „ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind" 32 . Die darin gründende, mit Würde näher charakterisierte Selbstzwecklichkeit des Menschen als Vernunft- und Freiheitswesen führt bei ihm zu dem Satz: „Ein jeder Mensch hat rechtmäßigen Anspruch auf Achtung von seinen Nebenmenschen, und wechselseitig ist er dazu auch gegen jeden anderen verbunden" 33 . Auf dieser von Kant vorgezeichneten Linie artikuliert Hegel die Verpflichtung zu wechselseitiger Achtung im § 36 der Rechtsphilosophie so: „Das Rechtsgebot ist daher: Sei eine Person und respektiere die anderen als Personen" 34. Er tut das aber bemerkenswerterweise nicht, ohne - wenn auch an anderer Stelle noch einmal an den maßgebenden historischen wie gedanklichen Ursprung zu erinnern: „Es ist wohl an die anderthalbtausend Jahre, daß die Freiheit der Person durch das Christentum zu erblühen angefangen hat.. ." 3 5 . Diesen philosophischen Aussagen sind andere, in Rechtstexten positivierte Formulierungen an die Seite zu stellen. So darf hinsichtlich des Personbegriffs insbesondere an klassische Aussagen zweier Naturrechtskodifikationen erinnert werden, die geradezu den Charakter von Legaldefinitionen haben. Das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 sagt: „Der Mensch wird, in so fern er gewisse Rechte der bürgerlichen Gesellschaft genießt, eine Person genannt" (§ 1 I l ) 3 6 . Und das Österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 spitzt zu: „Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte und ist daher als eine Person zu betrachten" (§ 16). Haben die philosophischen Texte das Fundament im Auge und betonen sie aber auch von vornherein die Korrelativität des Personseins in Gestalt wechselseitiger Verpflichtung auf Achtung der Personalität, so stehen bei den zitierten Rechtstexten konkrete Folgerungen in bezug auf die Innehabung und den Gebrauch „ge31 Grundorientierung dazu bei Hasso Hofmann, Art. Person II, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. IV (1988) Sp. 336-338. 32 Metaphysik der Sitten, Werke in Sechs Bänden, hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Bd. IV, S. 329. 33 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Werkausgabe IV, S. 60. 34 Grundlinien der Philosophie des Rechts, ed. Johannes Hoffmeister, § 36. 35 A. a. O. § 62. Zu den konkreten Belegen für den Begriff „Selbstbestimmung" bei Hegel gehört insbesondere § 502 der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften von 1830, wo in der Auseinandersetzung mit „Naturrecht" betont wird, daß das Recht und alle seine Bestimmungen sich allein auf die freie Persönlichkeit gründen, „eine Selbstbestimmung, welche vielmehr das Gegenteil der Naturbestimmung ist" (ed. Friedhelm Nicolin/Otto Pöggeler, S. 397). 36 In § 10 I 1 hat das Preußische Allgemeine Landrecht eine konkrete Konsequenz daraus gezogen: „Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungeborenen Kindern, schon von der Zeit ihrer Empfängnis". Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht daran erinnert und, darauf gestützt, formuliert: „Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu, nicht erst dem menschlichen Leben nach der Geburt oder bei ausgebildeter Personalität": BVerfGE 88, 203 (251).
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wisser Rechte" im Vordergrund, wird hier also auf konkrete Rechte und Freiheiten verwiesen, die notwendigerweise mit dem Personsein verbunden sind. Gewiß, in bezug auf solche Texte und Konzepte, die einer bestimmten historischen Entwicklungsstufe entstammen, stellen sich manche Interpretationsprobleme. Aber es ist doch wohl offenkundig: Solche Aussagen bilden gewissermaßen den Humus, den Verstehenshorizont für das Phänomen der Person als dem maßgebenden Subjekt der Selbstbestimmung und dessen Einbindung in ein Gefüge interpersonaler Beziehungen. Personales Selbstsein ist von vornherein personales Mitsein, wenn dieser Sachverhalt so ausgedrückt werden darf 37 . Diese Wurzel sitzt oder liegt tief und prägt unser rechtskulturelles Bewußtsein in einer Tiefenschicht, die sich bis in die Mentalität hinein auswirkt. Es ist nicht ersichtlich, daß andere Konzeptionen oder Theoreme sie verdrängen oder ersetzen könnten. Das gilt etwa für die Konzeption des mit einer Diskurstheorie des Rechts verbundenen Theorie des kommunikativen Handelns im Sinne von Jürgen Habermas 3*. Sie ist letztlich eher ein Beleg für die Richtigkeit eines auf Vernünftigkeit basierenden personalistischen Grundansatzes als ein Argument dagegen. Demgegenüber läßt sich von der Systemtheorie im Sinne von Niklas Luhmann wohl keine Unterstützung erwarten 39. Aber man wird doch fragen müssen, ob nicht der systemtheoretische Formalismus und Funktionalismus, so wertvolle Einsichten man ihm verdankt, in der Luft hängt, wenn er den Rückbezug auf den Menschen als den maßgebenden Akteur vergißt oder seine Rolle minimalisiert. (2) Das zweite Element, das hervorgehoben zu werden verdient, ist dies: Selbstbestimmung umfaßt, wenn man den zweiten Wortbestandteil akzentuiert, im Vergleich zu Freiheit ein deutlich aktiv-positives, dazu determinativ-dezisives und damit voluntatives Moment. Daß Freiheit auf ein bestimmtes Ziel hin verwirklicht werden soll, ist hier eher im Blick. Die Frage nach dem „wozu" oder „woraufhin" von Freiheit, also die klassische Frage nach dem „Worumwillen", erhält durch die Wahrnehmung der Selbstbestimmung eine konkrete Antwort und verbleibt nicht im Abstrakt-Allgemeinen. Kurzum: Selbstbestimmung aktiviert Freiheit, vollzieht, ja vollstreckt sie gewissermaßen. Das sind nur erste Beobachtungen, die naturgemäß das Problem nicht ausschöpfen. Sie verkennen auch nicht die ins geradezu Unheimliche gesteigerte Komplexität der heutigen Lebenswelt, die reale und effektive Selbstbestimmung immer prekärer macht. Aber sie halten doch betont und bewußt an dem unhintergehbaren Grundcharakter des Menschen als Subjekt, als eines der Freiheit und Selbstbestimmung fähigen personalen Vernunftwesens fest. 37 Dazu immer noch wertvoll der Grundansatz bei Werner Maihofer, Recht und Sein. Prolegomena zu einer Rechtsontologie, Frankfurt am Main 1954. 38 Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt am Main 1992. 39 Grundorientierung dazu bei Otto-Peter Obermeier, Art. System, Systemtheorie, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. V (1989) Sp. 416-420.
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2. Außer mit Freiheit ist Selbstbestimmung naturgemäß auch mit Autonomie in Beziehung und ins rechte Verhältnis zu setzen40. Die Verwandtschaft mit diesem klassischen Begriff würde auch einen spezifisch historischen Zugang zu dem hier behandelten Problemkreis ermöglichen. Das Wort mit seinem griechischen Ursprung deutet schon an, daß es aus der politisch-rechtlichen Sphäre kommt. Grundlegend hat Herodot Autonomie verstanden als innere und äußere politische Freiheit im Gegensatz zu einer äußeren Abhängigkeit durch Fremdherrschaft und zu der inneren Abhängigkeit in der Staatsform der Tyrannis 41. Autonomie bezeichnet das Recht einer Gemeinschaft, in (begrenzter) Eigenverantwortung selbst Rechtsnormen zu setzen, Selbstgesetzgebung zu bewerkstelligen. In diesem Sinn gab es Autonomie der griechischen Kommunalstaaten, gab es später Autonomie von Herrschaftsbereichen innerhalb größerer und umfassenderer politischer Verbände. Die Forschungen von Martin Heckel zum Reformationszeitalter, insbesondere zum Augsburger Religionsfrieden, haben uns mit einem Werk aus dem Jahre 1586 bekannt gemacht, das den Titel „De autonomía" trägt, „das ist, von Freistellung mehrererlei Religion und Glauben", wie es im Untertitel heißt 42 . Heute erleben wir vielfältigen Anschauungsunterricht für Autonomie-Probleme in bezug auf den Status von Minderheiten oder von Bevölkerungsgruppen, die aus ethnischen oder sonstigen Gründen nicht mit der staatstragenden Nation übereinstimmen. Es brauchen nur Israel oder das ehemalige Jugoslawien erwähnt zu werden. Wir sprechen von Gemeinde-Autonomie oder von Hochschul-Autonomie und meinen damit Institutionen, die sich als Bereiche der Selbstverwaltung von der unmittelbaren staatlichen Verwaltung abheben und mit Satzungsgewalt ausgestattet sind 43 . Unsere Akademie ist in diesem Sinne eine autonome Körperschaft. Allenthalben geschieht hier, wenn auch in bisweilen engen Grenzen, Selbstnormierung und administrativer Selbstvollzug. Ein weiteres Beispiel: Tarifautonomie. Sie zielt, über den staatsinternen Bereich in das Verhältnis von Staat und Gesellschaft ausgreifend, auf die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingun40
Grundorientierung vermitteln Heinrich Oberreuter, Art. Autonomie, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. I (1985) Sp. 490-493; Rosemarie Pohlmann, Art. Autonomie, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1 (1971) Sp. 701-719; Ludger Honnefelder, Art. Autonomie I, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. I (1993) Sp. 1294-1296. Für die rechtsphilosophischen und verfassungstheoretischen Zusammenhänge erhellend Hasso Hofmann, Menschenrechtliche Autonomieansprüche. Zum politischen Gehalt der Menschenrechtserklärungen, in: Juristenzeitung 1992, S. 165-173. 4 * Zitiert nach Pohlmann, a. a. O. Sp. 701. 42 Autonomia und Pacis Compositio. Der Augsburger Religionsfriede in der Deutung der Gegenreformation (1959), in: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Klaus Schiaich, Bd. I, Tübingen 1989, S. 1-81. 43 Grundlegend dazu jetzt Reinhard Hendler, Das Prinzip Selbstverwaltung, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Heidelberg 1990, § 106, S. 1133-1170.
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gen, bleibt aber funktional begrenzt 44. Demgegenüber hat, was besonders zu unterstreichen ist, Privatautonomie einen anderen und noch weiteren Sinn-Horizont 45. Hier geht es um ein für die Rechtsordnung im ganzen grundlegendes Struktur- und Gestaltungsprinzip, das für das Privatrecht, genauer: für das Verhältnis von staatlicher Normierung und privater Disposition maßgebend ist. In der Tat ist Privatautonomie, wie Christoph Krampe es ausgedrückt hat, Selbstbestimmungsrecht in Angelegenheiten des Privatrechts 46. Dieses prägt sich bekanntlich vornehmlich in drei Einzelfreiheiten aus: der Vertrags-, der Eigentums- und der Testierfreiheit. Dabei ist das Prinzip der Privatautonomie im Grunde Ausdruck für den Grundsachverhalt einer auf der verantwortlichen Selbstbestimmung oder Autonomie der Person aufgebauten Rechtsordnung, für die der Staat nur den Rahmen oder, wenn man so will, die Infrastruktur schafft. Der Systemwechsel im Osten Deutschlands und in den osteuropäischen Ländern hat uns ja die ebenso prinzipielle wie eminent praktische Bedeutung dieses grundlegenden und struktur- oder systemprägenden Sachverhalts wieder voll bewußt gemacht. Eine besondere Facette in der Problematik der Verhältnisbestimmung von Autonomie und Selbstbestimmung bringt übrigens das Staatskirchenrecht ein. Hier wird nicht nur wegen der Autorität von Gerhard Anschütz, von dem schon eingangs die Rede war 47 , dem Begriff Selbstbestimmung der Vorzug gegeben, sondern in erster Linie aus einem sachlichen Grund. Jedenfalls in traditioneller Anschauungsweise wird Autonomie vielfach verstanden als verliehene, aus der virtuellen Allumfassendheit des Staates ausgesparte Gewalt 48 , während mit Selbstbestimmung zumindest angedeutet ist, daß das entsprechende Recht originär ist, daß die verfassungsrechtliche Verbürgung mithin Eigenrechtsmacht, potestas sui iuris, zum Gegenstand hat. Letzten Endes geht es dabei um eine grundsätzliche Weichenstellung in bezug auf das Rechtsverständnis überhaupt, speziell hinsichtlich der Frage, ob, wie es der Syllabus errorum einst formuliert hat, der Staat „omnium iurium origo et fons" 49 ist. Mit alledem ist das zentrale rechtsphilosophische Problem allenfalls im Zusammenhang mit der Erläuterung des Begriffs der Privatautonomie in Sicht gekommen. Denn natürlich erschließt sich Selbstbestimmung in ihrer prinzipiellen Bedeutung nur aus ihrer Verwandtschaft mit, genauer: aus ihrer Herkunft aus dem Begriff der Autonomie im philosophischen Sinne. Dieser Begriff ist, ungeachtet 44 Vgl. dazu Wilhelm Dütz, Art. Tarifrecht, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. V (1989) Sp. 423-427. 45 Vgl. dazu Christoph Krampe , Art. Privatautonomie, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. IV (1988) Sp. 566-568. 46 A. a. O. Sp. 566. 47 Siehe oben bei Anm. 15. 48 Vgl. dazu Hesse, a. a. O. (Anm. 17) S. 521. 49 Text bei Denzinger-Schönmetzer, Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, ed. 35 (1973) S. 580.
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von Linien, die in die ältere Historie zurückführen, bekanntlich ein Schlüsselbegriff der praktischen Philosophie Kants 50. In starker Verdichtung formuliert: Autonomie als Selbstgesetzgebung ermöglicht dem Menschen in Begrenzung und Überschreitung seiner Bedürfnisnatur die Freiheit als Vernunftwesen und konstituiert ihn als moralisches Subjekt, als Zweck an sich selbst. Autonomie, so sagt Kant, ist nicht nur „oberstes Prinzip der Sittlichkeit", sondern zugleich der „Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur" 51 . Autonomie heißt aber nicht isolierte, unabhängige und willkürliche Selbst-Gesetzgebung des empirischen Ich. Vielmehr besagt der Autonomie-Gedanke (nur), daß kein Anspruch als sittlich verbindlich betrachtet werden kann, der nicht von der Vernunft als solcher erkannt und anerkannt worden ist; er unterstellt nicht, daß die Vernunft die Quelle ist, die alle Normen und Ansprüche hervorbringt. Mit anderen Worten: Die Einsehbarkeit durch die Vernunft ist es, über die sich alle normative Verbindlichkeit vermitteln muß 52 . Nimmt man dies mit dem, was zum Prinzip Freiheit gesagt wurde, zusammen, so dürfte damit der philosophische Wurzelgrund beschrieben sein, auf dem der Gedanke der Selbstbestimmung erwachsen ist, wie er auch im Bereich des Rechts gebraucht wird. Der Rückbezug auf Kant macht aber auch in besonderer Weise bewußt, daß es ein Mißverständnis wäre, Selbstbestimmung als souveräne, ungebundene Dezision ex nihilo zu verstehen. Das Autonomie-Prinzip hebt den kategorischen Imperativ nicht auf, ja es findet darin seine Gestalt. Das gilt nicht zuletzt für die sog. Menschheitsformel des kategorischen Imperativs: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst" 53. Wie andererseits soll und kann sich Autonomie im Recht verwirklichen? Ist dieses nicht der Prototyp einer heteronomen Zwangsordnung? Wenn es aber wahr ist, daß sich alle Verbindlichkeit über die Einsehbarkeit durch die Vernunft vermittelt, dann muß auch das Recht auf Autonomie bauen. Es kann zwar um seiner elementaren Ordnungs- und Friedensaufgabe willen auf heteronomische Geltung, gegebenenfalls mit der Folge zwangsweiser Durchsetzung, nicht verzichten. Aber das heute so viel berufene Bemühen um Akzeptanz54 ist prinzipiell nichts anderes als ein Bemühen um Autonomie und damit um eine Sicherung der normativen und faktischen Geltung des Rechts, die diesem mehr Stabilität und Legitimität verleiht als Heteronomie. Jedenfalls ist mit Heteronomie allein im wahrsten Sinne des Wortes kein Staat zu machen. 50 Grundlegend aus neuerer Zeit Gerold Prauss, Kant über Freiheit als Autonomie, Frankfurt am Main 1983. 51 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Werkausgabe IV, S. 74 bzw. S. 69. 52 So besonders klar Honnefelder, a. a. O. Sp. 1295. 53 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Werkausgabe IV, S. 61. 54 Vgl. nur Thomas Würtenberger, Die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen, Baden-Baden 1996.
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Von diesem Gedanken aus öffnet sich auch ein Zugang zu dem Problem des Verhältnisses von Recht und Moral. Ich formuliere es mit einer zentralen Passage aus Gustav Radbruchs „Vorschule der Rechtsphilosophie" von 1947, aus einer Zeit übrigens, als Radbruch dieser Akademie angehört hat 55 . Das Recht kann sich, so heißt es hier, „nicht die Aufgabe setzen, der ethischen Pflichterfüllung unmittelbar zu dienen; ethische Pflichterfüllung ist begriffsnotwendig eine Tat der Freiheit und deshalb durch Rechtszwang nicht zu erfüllen. Das Recht kann ethische Pflichterfüllung nicht erzwingen, wohl aber ermöglichen: das Recht ist die Möglichkeit sittlicher Pflichterfüllung oder mit anderen Worten, dasjenige Maß äußerer Freiheit, ohne das die innere Freiheit der ethischen Entscheidung nicht existieren kann" 56 . Das Recht steht auf diesem Wege in engster Beziehung, ja gewissermaßen als conditio sine qua non in einem Dienstverhältnis zur Moral. Und das gilt dann auch in spezifischer Weise für das Verhältnis von Selbstbestimmung im Recht und Selbstbestimmung in der Moral. 3. Selbstbestimmung - Freiheit - Autonomie: Wie immer die Begriffe und ihr Verhältnis zueinander im einzelnen zu bestimmen sind, so stellt sich in bezug auf alle drei Erscheinungsformen die Frage nach der inhaltlichen Sinngebung und Zielrichtung, nach den Bestimmungsgründen. Die Antwort kann sich aus dem konkreten Kontext ergeben, etwa beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung hinsichtlich der Verfügung über persönliche Daten oder beim kirchlichen Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich des religiös-kirchlichen proprium. Aber im Blick auf Selbstbestimmung als allgemeines Leitprinzip zeigt sich die Notwendigkeit, ihr jeweiliges „Woraufhin" zu determinieren. Man steht damit vor der gleichen elementaren Aufgabe wie in bezug auf Freiheit 57 , bei der es in der Perspektive des Rechts darum geht, negative und positive, subjektive und objektive Freiheit zu vermitteln, d. h. nicht nur Willkür-Freiheit im Sinne von individueller Beliebigkeit zu entfalten, sondern sich frei auf Inhalte auszurichten und sich in Ordnungen einzufügen, die in tragfähiger Weise menschliches Zusammenleben in der Sozietät ermöglichen. Wie Freiheit, so muß Selbstbestimmung gewissermaßen verfaßt werden, wenn sie nicht zu Anarchie führen soll - lebt sie doch von bestimmten Bedingungen der Möglichkeit ihrer Entfaltung. Es ist offenkundig, daß gerade insoweit dem Recht mit dem Instrument des allgemeinen Gesetzes und der Gewährleistung von Lebensordnungen oder Institutionen eine zentrale und fundamentale Aufgabe zukommt. Aber damit ist die Frage nach Inhalten, nach dem, was Sinn-Orientierung ermöglicht, noch nicht beantwortet. Diese Frage kann hier natürlich nicht voll aus55 Vgl. dazu Udo Wennemuth,Wissenschaftsorganisation und Wissenschaftsförderung in Baden. Die Heidelberger Akademie der Wissenschaften 1909 -1949, Heidelberg 1994, S. 542. 56 Gustav Radbruch, Gesamtausgabe, Bd. 3: Rechtsphilosophie III, bearb. von Winfried Hassemer, Heidelberg 1990, S. 146. 57 Vgl. dazu und zum folgenden Ernst-Wolfgang Böckenförde (unter Mitarbeit von Christoph Enders ), Art. Freiheit I V / V , in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. I I (1986) Sp. 704-713, jetzt auch in ders. y Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt am Main 1991,5. 42-57.
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gebreitet werden. Zwei Gesichtspunkte sind aber in besonderer Weise herauszustellen. Zum einen wird man auf das verweisen, was man - trotz aller Problematik dieses Begriffs - Grundwerte nennen kann, Grundüberzeugungen und Grundhaltungen also, auf denen die Ordnung von Recht und Staat beruht, welche die tragenden Fundamente ausmachen58. Gemeint sind die - in welcher Weise im einzelnen auch immer begründeten - „bona", die „Güter", die, wie beispielsweise die Menschenrechte, sich aus philosophischer Reflexion in Verbindung mit einer Hermeneutik geschichtlicher Erfahrungen herleiten lassen. Zum anderen ergeben sich Inhalte oder zumindest Haltungen aus den Zielen, auf die hin der Staat in den von ihm getragenen Schulen Erziehungsarbeit leistet. Wenn etwa nach Art. 12 der Landesverfassung von Baden-Württemberg die Jugend „zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit" zu erziehen ist, so ist damit in der Substanz die Befähigung zu verantwortlicher privater und öffentlicher Selbstbestimmung gemeint. Das lenkt zugleich die Aufmerksamkeit darauf, daß es rechtlich geregelte Mündigkeitsstufen gibt, daß hier überhaupt Bildungs-, Wachstums- und Reifeprozesse im Spiele sind, ja daß Erziehung zur Selbstbestimmung zu den elementaren Bedingungen der Möglichkeit von Selbstbestimmung gehört. Insofern muß auch Freiheits- oder SelbstbestimmungsVorsorge 59 betrieben werden, und zwar sehr wohl durch den Staat selbst. Daran wird des weiteren deutlich, daß es eine ganze Reihe von Bedingungen der Möglichkeit von Selbstbestimmung gibt: anthropologische, pädagogische, ethische, kulturelle, soziale, ökonomische, ökologische, nicht zuletzt rechtliche. Die letzteren bieten wegen der Allbezüglichkeit des Rechts gewissermaßen die Infrastruktur dafür, daß Selbstbestimmung real werden kann. Und so darf denn - in Anlehnung an ein bekanntes Diktum von Ernst-Wolfgang Böckenförde 60 - gesagt werden: Sie, die Selbstbestimmung, lebt von Voraussetzungen, die sie selber nicht schaffen und garantieren kann. Zwar ist sie in allem das innere agens oder movens - und dies sowohl im individuell-privaten wie im öffentlich-politischen Bereich, insofern personale Freiheit überhaupt das maßgebende Konstitutionsprinzip der Moderne ist. Sie ist auch in Form des Bedürfnisses und Interesses oder, philosophischer gesagt, in Form einer vorgegebenen Intentionalität auf eine naturale Basis verwiesen. Aber sie ist konditionierte oder vinkulierte, keinesfalls bedingungslose oder gar absolute Freiheit bzw. Selbstbestimmung. Sie bedarf der Stüt58 Einen guten Einblick in die Diskussion vermittelt Ralf Dreier (Hrsg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, Stuttgart 1990 (ARSP-Beiheft 37). Klärend im übrigen Karl Lehmann, Art. Grundwerte, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. II (1986) Sp. 1131-1137. 59 Zu „Freiheitsvorsorge" (in Parallele zu „Daseinsvorsorge") vgl. vom Verfasser, Aspekte der Freiheitsproblematik im Recht, in: Philosophische Perspektiven V (1973) S. 29-41 (38). Wie sehr übrigens „Vorsorge" zu einer zentralen rechtlichen Kategorie wird, zeigt insbesondere das Umweltrecht. Grundlegend dazu jetzt Rainer Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge. Von der Staatsaufgabe zu den verwaltungsrechtlichen Instrumenten, Bonn 1995. 60 „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann": Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1967, S. 93, auch in ders ., Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt am Main 1991, S. 112.
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zung und des Schutzes durch Normen und Institutionen. Ihre Wirksamkeit im Kontext der Komplexität dieser Welt setzt einen staatlichen Rechtszustand bestimmter, ja hoher Qualität voraus 61. 4. Damit kommt nicht zuletzt die Frage nach den Grenzen in den Blick. Das Prinzip der Selbstbestimmung kann sich nur dann sinnvoll entfalten, wenn es mit Reziprozität verbunden ist, d. h. mit der wechselseitigen Achtung eines jeden als der Selbstbestimmung fähigen und dazu berufenen Person. Diese Achtungs- bzw. Anerkennungsbeziehung62 bildet die conditio sine qua non und damit zugleich eine notwendige Schranke der Selbstbestimmung. Über diesen elementaren Bereich hinaus ist es dann die Aufgabe des Rechts, eine Koexistenzordnung zu schaffen, in der sich selbst bestimmende Personen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammenleben und zusammenwirken können - bewußt erscheint hier die Anlehnung an Kants Rechtsdefinition 63. Wie das im einzelnen zu geschehen hat, dafür gibt es keine Patentformeln. Hier kommen unterschiedliche ideelle und politische Optionen zum Zuge. Aber der Schatz historisch-politischer Erfahrungen und prinzipienorientiertes Denken haben doch zu einem Grundbestand von Leitbildern geführt, die universale Verpflichtungskraft für sich beanspruchen dürfen, zumindest als Leitideen: Menschenrechte (als Gewährleistung grundlegender personaler, auf Freiheit abzielender Rechtspositionen), Demokratie (als Gewährleistung politischer Selbstbestimmung), Rechtsstaat (als die spezifische Form der Sicherung gesetzmäßiger Freiheit), Sozialstaat (als die spezifische Form der Sicherung realer Freiheit in einer gemeinwohlorientierten Ordnung des sozialen Ausgleichs). Vielleicht darf man auch das Prinzip der Subsidiarität 64 einbeziehen, und zwar in bezug auf das Verhältnis von Staat und Gesellschaft wie auf die Ordnung des Staates in sich und zu überstaatlichen bzw. zwischenstaatlichen Einrichtungen. Ganz gewiß ist es schließlich, daß die Idee der Gerechtigkeit 65 zu den unverzichtbaren Prinzipien der Gestaltung von Recht und Staat gehört. In alledem geht es letztlich um Normierung, d. h. um Abgrenzung und Zuordnung von Freiheit im Sinne der Schaffung einer sozialverträglichen Koexistenz-, Kommunikations- und Kooperationsordnung. Allenthalben muß dabei der Anspruch von Selbstbestimmung und Freiheit mit deren Schranken und Grenzen austariert werden. 61
Vgl. diesen Gedanken in bezug auf die Menschenrechte bei Hofmann, a. a. O. (Anm. 40) S. 168. 62 Zur philosophischen Fundierung dieses Sachverhalts Grundlegendes bei Ludwig Siep, Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, Freiburg i. Br./München 1979; ders. , Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus, Frankfurt am Main 1992. 63 Metaphysik der Sitten, Werkausgabe IV, S. 337. 64 Zur Grundorientierung vgl. Anton Rauscher / Alexander Hollerbach, Art. Subsidiarität, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. V (1989) Sp. 386-390. 65 Vgl. dazu vom Verfasser zuletzt: Reflexionen über Gerechtigkeit, in: Gerechtigkeit und soziale Ordnung. Für Walter Kerber, hrsg. v. Norbert Brieskorn/Johannes Müller, Freiburg i.Br. 1996, S. 42-55.
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Fast paradigmatisch kommt übrigens die rechtliche Grundstruktur dieser Konstellation in der für Deutschland geltenden verfassungsrechtlichen Norm über das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften zum Ausdruck. Gewährleistet ist deren Selbstbestimmung in ihren eigenen Angelegenheiten, aber „nur" „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes". Wie immer man diese Formel im einzelnen zu interpretieren hat: Eigenständige Freiheit bzw. Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften und Gemeinwohlverantwortung des Staates als Voraussetzung für realen Freiheitsgebrauch sind hier einander spannungsreich zugeordnet 66. In analoger Weise versucht das allgemeine Freiheitsbzw. Selbstbestimmungs-Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG das Problem zu lösen, indem es jedem das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit zusagt, „soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen das Sittengesetz verstößt" 67. Aber auch dort, wo die Freiheitsrechte keinen ausdrücklichen Schrankenvorbehalt aufweisen, sind sie als Elemente einer Gesamtordnung durch kollidierende Grundrechte anderer und sonstige von der Verfassung gewährleistete Rechtsgüter immanent beschränkt 68. 5. Die bisherigen Darlegungen hatten zwar nicht nur, aber doch eher die individuelle Selbstbestimmung in den Bereichen privater Disposition im Auge, ferner die Selbstbestimmung, die einer Institution oder Organisation im Gefüge der Rechtsordnung zukommt. Aber zu dem Gesamtphänomen gehört natürlich auch ganz wesentlich die innere Gestaltung der verschiedensten Formen menschlicher Vergemeinschaftung unter der Perspektive der Selbstbestimmung, vom Verein und Betrieb, von der Universität und der Akademie, von Gemeinde, Kreis und Land bis hinauf zum Gesamtstaat, ja zur Staatengemeinschaft. Wie lassen sich personale Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmung in diesen Zusammenhängen denken und realisieren? Ganz offenkundig nimmt hier Selbstbestimmung meist eine andere Gestalt an, nämlich die Gestalt der Mitbestimmung, die in geordneten Verfahrensweisen das Prinzip der Teilhabe, der Partizipation zur Geltung bringt 69 . Es handelt sich dabei um durchaus unterschiedliche Konstellationen, die man nicht alle über einen Kamm, etwa denjenigen des Demokratischen, scheren kann. Andererseits spitzt sich in der demokratischen Staatsgestaltung die Problematik zu, insofern hier - jedenfalls im Basisakt der Wahl - die radikal gleiche Teilhabe bzw. Mitbestimmung aller maßgebend ist. Der Gedanke von Mitbestimmung als Form 66 Vgl. dazu Hesse, a. a. O. (Anm. 17), ferner vom Verfasser, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, Heidelberg 1989, S. 534-538. 67 Neueste eindringliche Kommentierung durch Dietrich Murswiek, in: Grundgesetz. Kommentar, hrsg. v. Michael Sachs, München 1996, S. 154 f. 68
Vgl. dazu Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1995, S. 140 f. 69 Grundsätzliches dazu bei Peter Badura, Die parlamentarische Demokratie, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, Heidelberg 1987, § 23, S. 953-986. Siehe auch Walter Schmitt Glaeser, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 31, Berlin 1973, S. 180-265.
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der Selbstbestimmung macht es im übrigen leichter, das Mißverständnis abzuwehren, daß Demokratie einfachhin Selbstbestimmung, Selbstregierung des Volkes bedeute70. Diese auf die rousseauistische Identitätskonzeption hinauslaufende Auffassung läßt das unvermeidliche Widerspiel von Mehrheit und Minderheit, die bisweilen harte und unbarmherzige Entscheidung nach dem Mehrheitsprinzip außer Acht und verkennt, daß auch und gerade in der Demokratie Herrschaft ausgeübt wird, freilich immer wieder neu legitimationsbedürftige, begrenzte, kontrollierte und zu verantwortende Herrschaft. Der mit diesen Überlegungen beleuchtete Aspekt weist noch eine andere Note auf und führt damit zugleich zurück zu einem Zentralpunkt der hier dargelegten Konzeption. Das allgemeine Gesetz der Freiheit im Sinne von Kant, das für alle geltende Gesetz, von dem unsere Verfassung spricht, ja das Gesetz als Ermöglichung und Schranke von Freiheit und Selbstbestimmung überhaupt, muß realiter hervorgebracht und verbindlich gemacht werden. Wenn nun dieses Gesetz nicht einfach dem Bereich von Freiheit und Selbstbestimmung nur unvermittelt entgegengesetzt werden soll, dann muß gerade hier Teilhabe an der Normierung möglich sein. Jedenfalls läßt sich Selbstbestimmung insoweit nicht anders als in der Form der Mitbestimmung vollziehen. Dabei ist aber zu betonen, daß das nicht nur in bezug auf das parlamentarische Rechtssetzungsverfahren gilt. Auch dort, wo in einem allgemeinen Sinn und in oft diffuser Weise Bewußtsein, Überzeugung oder Meinung gebildet wird, auch und gerade dort kommt es auf Teilhabe durch Mitbestimmung, jedenfalls durch Mitwirkung an. Schließlich ist noch kurz auf eine Thematik hinzuweisen, die ein Licht auf eine spezifische Problematik wirft, die sich im Zuge unserer gesellschaftlichen Entwicklung ergeben hat: Der vielfach zu beobachtende Verlust oder die weitgehende Einschränkung von unmittelbarer inhaltlicher Selbstbestimmung wird oft kompensiert durch die entsprechende Gestaltung von Organisation und Verfahren. Konrad Hesse hat diesen Sachverhalt prägnant so formuliert: Organisation und Verfahren erweisen sich „als - möglicherweise sogar einzige - Mittel, die es, eher als der Gedanke der Teilhaberechte, ermöglichen, den veränderten Bedingungen menschlicher Freiheit im modernen Staat gerecht zu werden: der wachsenden Angewiesenheit auf staatliche Vorsorge und Verteilung, aber auch der steigenden Gefahr einer Kollision von Freiheitsrechten und der sie verbürgenden Grundrechtspositionen in der enger werdenden Welt von heute, die in zunehmendem Maße zu einer Abgrenzung, Begrenzung und Zuordnung dieser Bereiche zwingt. Gleiches gilt in Fällen einer Verknappung von Freiheitsvoraussetzungen. Hier läßt sich nur durch geeignete Organisations- und Verfahrensregelungen sicherstellen, daß nicht die einen alles, die anderen nichts erhalten und daß die verbleibenden Freiheitschancen gerecht verteilt werden" 71 . 70 Zu dem hier zugrunde gelegten Verständnis von Demokratie vgl. Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1995, S. 58 ff. Siehe ferner Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, Heidelberg 1987, § 22, S. 887-952.
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IV. Das Thema ist beileibe nicht erschöpft. Man könnte es noch einmal unter dem Gesichtspunkt „Freiheit und Verantwortung" 72 oder „Recht und Pflicht" 73 durchspielen. Offenkundig hatte in den hier vorgetragenen Reflexionen auch die Orientierung an einem bestimmten Menschenbild74 eine besondere Bedeutung. Des weiteren wäre das Thema „Pluralismus" 75 unter dem Blickwinkel von Selbstbestimmung zu erörtern. So gibt es gewiß Defizite in der Problembehandlung. Möglicherweise hat sich bei dem einen oder anderen aber auch ganz prinzipielle Skepsis aufgestaut: Ist denn Selbstbestimmung in unserer komplexen Lebenswelt mit ihren Abhängigkeits-, Vernetzungs- und Verantwortungsstrukturen überhaupt realisierbar? Handelt es sich vielleicht um eine haltlose Utopie oder ist es gar eine Selbsttäuschung? Angesichts der Notwendigkeit weiterer Differenzierungen und auch skeptischer Rückfragen spricht vieles für Zurückhaltung vor einer unangemessenen Völlmundigkeit, wird, anders gesagt, Realismus angemahnt. Und doch kann kein Zweifel sein: Unsere Rechtsordnung geht von der Potenz des Menschen zu Freiheit und Selbstbestimmung aus, und dies zu Recht. Nur muß auch der zweite Grundgedanke klar artikuliert werden: Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmung wollen gewiß gegenüber Unfreiheit, Heteronomie und Fremdbestimmung Möglichkeiten selbständiger Wahl und Entscheidung eröffnen und damit die freie Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit befördern. Aber Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmung, eingefügt in eine verbindliche Koexistenz-Ordnung, sind notwendigerweise bedingt und begrenzt. Sie müssen sich anderen Postulaten öffnen und dazu in ein konstruktives Verhältnis gesetzt werden: Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität, Verantwortung sind hier vornehmlich zu nennen76. Dann aber kann es sein, daß sich am Ende Selbstbestimmung nicht so sehr darstellt als das freie Wollen dessen, was man kann, sondern wie Heinrich Richert plastisch formuliert hat, als „das freie Wollen des Sollens" 77 , 71 A. a. O. S. 161. Vgl. auch die Analyse bei Erhard Denninger, Staatliche Hilfe zur Grundrechtsausübung, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, Heidelberg 1992, S. 307 f. 72 Grundlegend Jann Holl , Historische und systematische Untersuchungen zum Bedingungsverhältnis von Freiheit und Verantwortlichkeit, Meisenheim 1980. 73 Zuletzt vgl. dazu Hasso Hofmann, Grundpflichten und Grundrechte, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, Heidelberg 1992, S. 321-351. Vgl. auch vom Verfasser, Art. Pflicht II, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. IV (1988), Sp. 376-378. 74 Vgl. dazu Ulrich Becker, Das »Menschenbild des Grundgesetzes' in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Diss.jur. Freiburg i. Br., Berlin 1996. 75 Neuestens siehe dazu Ernst-Joachim Lampe (Hrsg.), Rechtsgleichheit und Rechtspluralismus, Baden-Baden 1995. 76 Vgl. dazu vom Verfasser, Globale Perspektiven: Recht, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. V I (1992) S. 46. 77 Allgemeine Grundlegung der Philosophie, 1921, S. 309 f.; Hinweis darauf bei Pohlmann, a. a. O. (Anm. 41) Sp. 713.
Selbstbestimmung im Recht mithin die freie Übernahme von Pflicht, Grenze und Bindung. Liegt vielleicht darin letztlich der Kern personaler Freiheit und Selbstbestimmung? Muß diese sich nicht gerade darin bewähren? 78
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Nach Abschluß des Manuskripts wurde mir zugänglich der wertvolle Artikel „Selbstbestimmung" von Volker Gerhardt im Historischen Wörterbuch der Philosophie, Bd. 9 (1995) Sp. 335-346. Darauf sei mit Nachdruck hingewiesen, insbesondere was die philosophische Problemgeschichte anlangt. Demgemäß müßten vor allem die oben zu Kant und Hegel gemachten Ausführungen differenziert werden. Zu Hegel vgl. vornehmlich §§7 und 15 der Rechtsphilosophie.
Reflexionen über Gerechtigkeit I. Es ist ein Gemeinplatz: Wenn es einen Zentral- oder Schlüsselbegriff der Rechtsphilosophie gibt, dann ist es gewiß derjenige der Gerechtigkeit. Deshalb ist es sinnvoll und geboten, es immer wieder neu damit aufzunehmen. Dabei erscheint es besonders angemessen, dies in einem Beitrag zur Ehrung von Walter Kerber 1 zu versuchen. Gerechtigkeit ist die Chiffre für ein großes, unerschöpfliches Menschheitsthema. Das Schiff der Theorie- und Reflexionsgeschichte 2 ist prall voll, vielleicht sogar überladen. Aber eben deshalb kann man kaum Neues erwarten, keinen Ausbruch aus dem Gefängnis der Formeln und Denkmuster, keinen Aufbruch zu ganz neuen Ufern. Erfolg verspricht es allenfalls, zu differenzieren und zu akzentuieren, ein paar neue Lichter zu setzen und dabei vielleicht eher Komplexität und Spannungsreichtum zu erhöhen als zu vermindern. Es geht um die Frage: Wie kann man verantwortlich mit dem Begriff Gerechtigkeit umgehen? Wie stellt er sich in einer, mit Hasso Hofmann 3 gesprochen, „prinzipienorientierten Rechtsphilosophie" dar? Erstveröffentlichung in: Gerechtigkeit und soziale Ordnung. Für Walter Kerber, hrsg. v. Norbert Brieskorn/ Johannes Müller, Freiburg (Breisgau): Herder 1996, S. 42-55. 1 Dabei ist mit Nachdruck an dessen eigene Beiträge zum Gerechtigkeitsproblem zu erinnern: Gerechtigkeit (Abschnitte I, I V - V I I ) , in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Teilband 17, 2. Aufl., Freiburg i. Br. 1981, 8-11, 20-75; Art. Gerechtigkeit (III), in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. II (1986) 903-905. 2 Man wird hier keine umfassenden Literaturnachweise erwarten. Doch sei (in alphabetischer Reihenfolge) auf die derzeit gängigen systematischen Gesamtdarstellungen von deutschen Autoren hingewiesen, in denen das Gerechtigkeitsproblem naturgemäß einen festen Ort hat: Norbert Brieskorn , Rechtsphilosophie, Stuttgart 1990, 92-97, 162-164; Helmut Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 5. Aufl., Berlin 1993, passim; Arthur Kaufmann, Grundprobleme der Rechtsphilosophie, München 1994, 139-174 (Kapitel 9-11); Kurt Seelmann, Rechtsphilosophie, München 1994, 125-134, 177-193; Reinhold Zippelius, Rechtsphilosophie, 3. Aufl., München 1994, 74-160 (Kapitel IV). Demgegenüber erfährt die Gerechtigkeitsfrage bei Stefan Smid, Einführung in die Philosophie des Rechts, München 1991, keine systematische Hervorhebung. Zur Rolle der Gerechtigkeit in der richterlichen Praxis bedeutsam Gerhard Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip. Über den Begriff der Gerechtigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Baden-Baden 1980. - Der vorliegende Versuch verarbeitet im übrigen meinen eigenen Beitrag zum Art. Gerechtigkeit, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. II (1986), 898-903 (Abschnitt II). 3 Rechtsphilosophie, in: Orientierung durch Philosophie, hrsg. v. Peter Koslowski, Tübingen 1991, 118-145 (123 f.), 140.
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Zu den Veranlassungen des nachfolgenden Versuchs gehört die Schrift von Bernd Rüthers mit dem provozierenden Titel: „Das Ungerechte an der Gerechtigkeit. Defizite eines Begriffs" 4. Weit entfernt davon, die damit angedeuteten Probleme und Schwierigkeiten zu verkennen, geht die Intention der hier vorgelegten Reflexionen freilich in eine andere Richtung. Man könnte sie vielleicht so formulieren: „Das Gerechte an der Gerechtigkeit. Chancen eines Begriffs".
II. Ein erster Gedankenschritt soll daran erinnern und mit neuem Nachdruck zur Geltung bringen, was man im Grunde schon bei Piaton lernen kann: Gerechtigkeit hat eine anthropologische, eine ethische und eine politische Dimension. Die Ausstattung des Menschen mit dem Bedürfnis und dem Streben nach Gerechtigkeit gehört zu den anthropologischen Grundbefindlichkeiten wie das Streben nach dem Wahren und dem Guten. Nirgendwo in der Geschichte gibt es eine grundsätzliche Bestreitung der „intentio iusti" als eines menschlichen Existenzials5. Der Mensch ist rechtliches Wesen, insofern er auf gerechtes Recht aus ist. Schon von diesem Ansatz her zeigt sich Gerechtigkeit als das eigentliche „Worumwillen" des Rechts. Die anthropologische Dimension verweist aber zugleich auf die spezifischen Erkenntnisbedingungen des Menschen, d. h. auf die hermeneutische Situation, in der der Mensch steht. Sie macht sich auch und gerade in Bezug auf das Gerechtigkeitsproblem, die Gerechtigkeitserkenntnis bemerkbar. Das bedeutet im einzelnen: Auch Gerechtigkeitserkenntnis ist nicht einfachhin lösbar von der Standortgebundenheit und Interessenbezogenheit menschlichen Erkennens. Es gibt unterschiedliche Gerechtigkeitsvorstellungen. Antworten auf die Frage nach der Gerechtigkeit bleiben der Frage nach ihrer Bedingtheit ausgesetzt. Die conditio humana macht sich aber auch darin bemerkbar, daß menschliches Denken der Endlichkeit, der Vorläufigkeit und Unabgeschlossenheit unterworfen ist. Das macht prinzipiell skeptisch gegen Behauptungen absoluter Gerechtigkeit. Absolute oder beste Gerechtigkeit - das ist allenfalls ein göttliches Attribut, wenngleich wir nicht davon dispensiert sind, nach der je besseren Gerechtigkeit zu suchen. Damit hängt unmittelbar das Moment der Geschichtlichkeit zusammen. Absolute Geschichte, das wäre Aufhebung der Geschichte als grundlegendes Strukturelement dieser Welt, das wäre Überschreiten der Welt in die Transzendenz, Umwandlung des Zeitlichen ins Ewige. Absolute Gerechtigkeit kann sich deshalb 4 5
Zürich/Osnabrück 1991 (Texte und Thesen 239).
Insoweit übereinstimmend Rüthers (Anm. 4), 134: „Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit ist ein Teil der persönlichen Sehnsucht nach Glück und Vollkommenheit, die in jedem Menschen angelegt ist".
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auch nicht aus einem vom Menschen nicht mehr erfaßbaren Endzustand der Geschichte ergeben. Aber fallen wir damit nicht völlig in die „absolute" Relativität, in die extreme Beliebigkeit und damit letzten Endes in die pure Positivität zurück? Darauf ist mit einigen Richtpunkten wie folgt zu antworten: Geschichtlichkeit ist kein defizienter Modus des Menschseins, sondern ein notwendiges inneres Moment, das eine Aufgabe bezeichnet. Der Mensch muß diese Aufgabe positiv übernehmen, sich in der Zeitstruktur des Daseins bewähren - und nicht Geschichte an sich geschehen lassen. Seine Potenz zu freier Selbstverantwortung schließt die Möglichkeit, Geschichte zu machen, ein und damit auch die Möglichkeit, Gerechtigkeit zu verwirklichen. Sodann darf die Dreidimensionalität der Geschichte nicht verkürzt werden. Der Mensch lebt aus Vergangenheit in Gegenwart auf Zukunft hin. Deshalb ist es dem Menschen zum einen notwendig verfügt zu erkennen, wie es gewesen ist und wie Gegenwärtiges geworden ist. Das schließt ein die Möglichkeit einer Hermeneutik geschichtlicher Erfahrungen, konkret im Blick auf Recht und Unrecht, auf Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Er ist in der Lage, Erkenntnisse zu artikulieren, die im Kampf gegen Ungerechtigkeit gewonnen wurden. Im Grunde ist Gerechtigkeit, wie Peter Noll es treffend formuliert hat, „Un-Ungerechtigkeit" 6. Was ist überhaupt das, was man über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sagen kann, anderes als der Niederschlag konkreter historischer Erfahrungen, die im Rechtsbewußtsein perzipiert und in bestimmte Rechtsinstitute umgesetzt bzw. in Rechtsgrundsätzen formuliert wurden? Aber der Mensch ist auch auf die Zukunft verwiesen, er muß seine Herkünftigkeit mit der Zukünftigkeit vermitteln und dabei auch in Rechnung stellen, daß er (nur) ein Glied in der Generationenfolge ist, daß ihm die Sorge für „intergenerationelle Gerechtigkeit" aufgetragen ist. Er muß Vörausentwürfe entwickeln, in denen seine Vorstellungen von der besseren Gerechtigkeit Niederschlag finden. Insofern steht Gerechtigkeitsreflexion notwendig in diesem geschichtlichen Horizont. Sie verfehlt aber ihre Aufgabe, wenn sie sich orientiert an einem utopischen, wirklichkeits- und geschichtsenthobenen Absolutum. Deswegen ist das, was sich aus der historischen Erfahrung ergibt bzw. was hier und heute an Zielvorstellungen entwickelt wird, mitnichten etwas Relatives im Sinne von Gleich-Gültigem und Beliebigem. Es geht um das Unbeliebige, das Verbindliche und Unverfügbare - ohne daß dies allerdings in einem streng metaphysischen Sinne als geschichtsenthoben un-bedingt, herausgelöst aus gesellschaftlich-politischen Bedingtheiten, mithin als absolut qualifiziert werden könnte. So ist es auch zu verstehen, wenn wir von irreversiblen Prozessen sprechen, von Prozessen, in denen Verfeinerungen im Bewußtsein der Freiheit ebenso wie im Bewußtsein der Gerechtigkeit gewonnen wurden, hinter die man nicht zurück kann. Gewiß, faktisch kann man dahinter zurück; aber eben doch nur, wie die Geschichte lehrt, um den Preis des Rückfalls in die Barbarei, des Verlustes von Rechtskultur. 6 Diktate über Sterben und Tod, Zürich 1984, 231. 5 Hollerbach
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Wenn von der ethischen Dimension der Gerechtigkeit gesprochen wird, so ist damit zweierlei gemeint. Zum einen bezeichnet sie den Zusammenhang zwischen dem Juridischen und dem Moralischen in deren eigentümlicher Spannungslage zwischen den Extremen von Identifikation und Beziehungslosigkeit. Gerechtigkeit steht im Kondominium von Moralphilosophie und Rechtsphilosophie. Doch soll es hier eher auf einen zweiten Aspekt ankommen: Gerechtigkeit ist und bleibt eine Kardinaltugend. Gerechtigkeit ist sittliche Tüchtigkeit, sittliche Grundkraft. Nicht von ungefähr haben die alten Gerechtigkeitslehren der Gerechtigkeit im subjektiven Sinne einen starken Akzent gegeben. Sie haben damit klargestellt, daß die sittliche Tüchtigkeit der unaufhörlichen und gleichsam bohrenden willentlichen Anstrengung bedarf. Gerechtigkeit ist nicht ohne spezifischen Willen zur Gerechtigkeit, sie fordert eine spezifische Haltung. Damit wird Gerechtigkeit als eine Aufgabe qualifiziert, als normative Anforderung an menschliches Erkennen und Handeln. Sie kommt nicht automatisch zustande, sondern es bedarf immerzu des engagierten Einsatzes. Gerechtigkeit ist also offenbar nicht etwas, was einfach zuhanden, verfügbar und in einem schlichten logischen Kalkül anwendbar ist. Was Gerechtigkeit jeweils ist, muß konkretisiert und determiniert werden. Bei Thomas von Aquin heißt es: „iustum dicitur aliquid ad quod terminatur actio iustitiae"7 - Gerechtes wird genannt das, worin die Tätigkeit der Gerechtigkeit ihren Abschluß findet. In umfassenderer Perspektive gesagt: Wir haben Gerechtigkeit nie hinter uns, sondern vor uns. Wie der Mensch unterwegs ist zur Wahrheit, so ist er unterwegs zur Gerechtigkeit. Die ethische Dimension verweist schließlich darauf, daß Gerechtigkeit als Aufgabe in unsere Verantwortung gegeben ist. Es wird also nicht nur an unseren „guten Willen", die „gute Meinung" und Gesinnung appelliert, sondern praktische Verwirklichung gefordert, für die man einstehen muß. So ist Gerechtigkeit wesentliches Element einer Verantwortungsethik und, wenn dieser Ausdruck gestattet ist, einer Verantwortungsjurisprudenz. Vielleicht darf man sogar von „Verantwortungsgerechtigkeit" sprechen. Eine spezifische Komponente der ethischen Dimension kommt ins Blickfeld, wenn im Gefolge von John Rawls der Begriff der Fairneß hier eingeordnet wird 8 . Gewiß betrifft er nicht nur die subjektive Haltung, sondern ist ein Grundsatz mit objektiv-institutioneller Relevanz. Doch findet er sein eigentliches Gepräge durch seine Hinordnung auf Verpflichtungen, die aus einer Übernahme von Verantwortlichkeiten oder auch nur aus dem Genuß von Vorteilen folgen. Man kann, im Hinblick auf bestimmte Konstellationen, geradezu „Solidarität" dafür einsetzen. Das ethische Gegenwesen ist natürlich die Ungerechtigkeit, aber vielleicht noch mehr, zumindest in gleicher Weise, die Selbstgerechtigkeit, die sich jeder kritischen Frage enthoben glaubt oder die wähnt, man könne Gerechtigkeit als fix und fertigen Besitz haben. 7 S. Th. I I - I I qu. 57, 1. 8 Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt am Main 1975, bes. 27-34.
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Zur Kennzeichnung der politischen Dimension der Gerechtigkeit läßt sich an die aristotelische Aussage anknüpfen, wonach die Gerechtigkeit etwas Politisches sei9. Damit wird hervorgehoben, daß die Gerechtigkeit der Sache nach in Beziehung zu dem Telos des politischen Gemeinwesens steht, nämlich das gute Leben der Menschen zu ermöglichen, und daß sie von daher ein Richtmaß erhält. Zum anderen verweist uns aber die politische Dimension der Gerechtigkeit darauf, daß sich Findung und Herstellung von Gerechtigkeit nicht in der Sphäre theoretischer Reflexion vollzieht, sondern daß sie vielmehr mit Hilfe politischen Handelns verwirklicht werden muß und damit dem politischen Prozeß unterworfen ist. Um Fragen der Gerechtigkeit wird gestritten, über Fragen der Gerechtigkeit wird abgestimmt, darüber werden sogar - horribile dictu - Kompromisse geschlossen. Hier ist dann aber auch der Ansatzpunkt für den Gedanken, daß Organisation und Verfahren so gestaltet sein müssen, daß sie diesem Prozeß der Findung und Herstellung von Gerechtigkeit dienlich sind. Das alles ist nicht anstößig, wenn man sich von der Vorstellung löst, als sei Gerechtigkeit ein realitätsfernes Abstraktum oder Absolutum. Wenn die Frage nach der Gerechtigkeit eine Antwort findet, so handelt es sich allerdings immer nur um eine Teilantwort, die überholbar bleibt und kritischer Prüfung ausgesetzt ist. Man kann sich fragen, ob mit dieser Trias von Anthropologie, Ethik und Politik als grundlegenden Dimensionen der Gerechtigkeit alles Wesentliche erfaßt ist. Weitere Differenzierungen sind möglich. Ökonomie und Ökologie wären vorrangig zu nennen. Doch handelt es sich dabei um Aspekte, die in die genannten GrundDimensionen eingebracht werden können.
III. In einem zweiten Gedankenschritt werden Erwägungen zu unterschiedlichen Formen von Gerechtigkeit angestellt, von Elementen, Aspekten oder Sinnschichten, wie man vielleicht auch sagen könnte. Dabei ist allerdings zu betonen, daß es sich nicht um Gerechtigkeiten im Plural handelt, vielmehr um die eine Gerechtigkeit in differenten Gestalten, Formen und Ausprägungen. Bernd Rüthers sagt zwar: „Die Verwendung des Singulars ... deutet in aller Regel den Anspruch des Verwenders an, den Inhalt zentraler überpositiver Rechtsprinzipien mit selbst ernannter Autorität und Kompetenz allein zu definieren" 10. Man wird aber, so ist zu hoffen, leicht erkennen, daß dieses harte Verdikt den vorliegenden Versuch nicht trifft. Es dürfte vertretbar sein, im Rahmen dieser Reflexionen kein weiteres Wort zu verlieren über die Gleichheits-Gerechtigkeit mit den beiden geläufigen Formen der iustitia commutativa und der iustitia distributiva. Deren Struktur und Verhältnis zueinander ist übrigens kaum anderswo schöner beschrieben als in Gustav Radbruchs 9
Eindringlich dazu Joachim Ritter, „Naturrecht" bei Aristoteles, Stuttgart 1961,14-31. 10 Rüthers (Anm. 4), 78.
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Rechtsphilosophie11. Aber gerade, wenn man dieses Werk gewissermaßen zur Folie nimmt, fällt auf, daß eine dritte, ja eigentlich die erste klassische Form, nämlich diejenige der iustitia legalis weithin in Vergessenheit geraten ist. Dieser Blickverengung gilt es entgegenzutreten. Die iustitia legalis betrifft die grundlegende Achtung vor dem Gesetz, dasjenige, was der Mensch als Mitglied der Gemeinschaft dieser schuldet und was eben im einzelnen durch das Gesetz bestimmt ist. Aber dieses ist damit keine bloß formale Größe. Vielmehr muß man, jedenfalls auf der Spur des Aristoteles , die teleologische Perspektive mitdenken. Der Gesetzgeber muß die Sinnerfüllung der Polis ermöglichen, und insofern ergeben sich daraus auch Anforderungen und Grenzen. Thomas von Aquin hat das später zur Gemeinwohl-Gerechtigkeit 12 weitergedacht und damit auch die besondere Gerechtigkeitsverantwortung der Regierenden ins Blickfeld gerückt. Man wird hier aber noch einen Schritt weitergehen müssen. Gerechtigkeit erschöpft sich keineswegs in der Lösung des Gleichheitsproblems im Sinne guter Verteilung und guten Ausgleichs von Gütern und Lasten. Sie darf keinesfalls darauf reduziert werden. Klassische Denkfiguren wie „iustum pretium", „bellum iustum" oder „iusta causa" verweisen auf eine tieferliegende Problemschicht. Auch unser Sprachgebrauch gibt uns einen Fingerzeig. Wir sprechen etwa von „kunstgerecht", von „kind- bzw. altersgerecht", von „mundgerecht"; es gibt geradezu eine Hypertrophie in der Verwendung des Wortes „gerecht". In alledem geht es um materiale Richtigkeit, also um dasjenige, was sachlich angemessen, was sachlich gerecht-fertigt ist, wofür sich legitimierende Gründe finden lassen. Kurzum: Es geht um Sach-Gerechtigkeit, und sie ist der Gemeinwohl- wie der Gleichheitsgerechtigkeit fundierend vorgelagert. Gerechtigkeit erscheint hier als Entsprechung zu einem vorgegebenen oder näher festzusetzenden Maß und den daraus folgenden Anforderungen. So ist entscheidend die Maß-Vorgabe, die den werthaften Sinn der Sache konstituiert. Die Sache, im umfassenden Sinne von Regelungsobjekt verstanden, kann natürlich nur dann Ziel und Maß sein, wenn sie normativ-werthaft strukturiert, wenn sie als bonum qualifiziert ist. Sache meint mithin nicht das factum brutum roher Faktizität, nicht Sache als naturale, sondern als bonum und damit als ein Bestand aus faktischen und normativen Momenten. Entscheidend an dieser Betrachtungsweise ist, daß Faktum und Wert nicht zwei Welten angehören, sondern in konkreter Wirklichkeit koexistieren, vermittelt durch das Bewußtsein und die Be-Wertung der Menschen, die freilich ihrerseits nicht freischwebend-beliebig erfolgen darf, sondern unter Berücksichtigung von Ist-Strukturen, von Elementen naturaler Basis. Gewiß, man muß sich insoweit vor dem naturalistischen Fehlschluß hüten; aber auch ein sozusagen anti-naturalistischer Fehlschluß wäre verfehlt. Diese Betrachtungsweise führt dann allerdings in der Tat auf die Frage nach für solche Werthaftigkeit konstitutive Grundüberzeu11 Vgl. jetzt Gesamtausgabe, Bd. 2: Rechtsphilosophie II, bearbeitet v. Arthur Kaufmann, Heidelberg 1993, 258 f. 12 Treffend dazu Arno Anzenbacher, Art. Gerechtigkeit, in: Katholisches Soziallexikon, 2. Aufl., 1980, 875 f.
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gungen, nach Grundwerten, aus denen sich Maßstäbe für Gerechtigkeit ergeben, zurück. Doch ist man damit nicht wieder am gleichen Punkt angelangt wie alle Naturrechtslehren oder wie beispielsweise auch Gustav Radbruch in seiner Gerechtigkeitskonzeption? Was Radbruch anlangt, so führt allerdings die Kategorie „Sachgerechtigkeit" über seine Konzeption hinaus, weil in dieser Betrachtungsweise nicht wie bei ihm zwischen formaler Gerechtigkeit und materialer Zweckmäßigkeit getrennt wird 1 3 . Vielmehr wird das material-inhaltliche Problem schon in der Gerechtigkeit selbst angesiedelt, wenn man von Sach-Gerechtigkeit spricht. Die vorliegende Konzeption führt über sonstige Gerechtigkeitslehren auch insofern hinaus, als andere materiale Sinnprinzipien des Rechts, wie insbesondere Freiheit, unmittelbar auf Gerechtigkeit bezogen werden können. Gerechtigkeit ist dann nicht nur von einem Kranz weiterer Sinnprinzipien umgeben, sondern diese haben alle letztlich ihren Brennpunkt in der Gerechtigkeit und stehen in einem spezifischen Verhältnis zu ihr. Sachgerechtigkeit betont schließlich in besonderem Maße, wie das konkret Gerechte im Kontext der Gesamtwirklichkeit aus der Sache und im Hinblick auf die Sache entwickelt werden muß. Das fordert genaue Analyse der Sach- und Problemlage, fordert Berücksichtigung aller maßgebenden Gesichtspunkte und Erwartungen. Sachgerechtigkeit erheischt Hellsichtigkeit, weshalb ihr übrigens das Symbol der Augenbinde äußerst suspekt ist. Diese Grundgedanken haben schon seit langem einen festen Ort im Problembereich der Strafgerechtigkeit 14. Eine Strafe ist nur dann gerecht, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters steht. Von da aus ist der Schritt nicht weit zu einer weiteren Ausprägung des Gerechtigkeitsgedankens, die in unserem rechtsstaatlichen Gefüge mehr und mehr eine beherrschende Stellung einnimmt, nämlich das Prinzip der Verhältnismäßigkeit 15. Es verkörpert ein Element der Idee der Gerechtigkeit und stellt eine Konkretisierung der Rechtsstaatlichkeit, besonders aber des Schutzgehaltes der einzelnen Grundrechte dar. Insofern kommt diesem Prinzip verfassungsrechtliche Qualität zu. Es gilt für staatliches Handeln in jeder Rechtsform und ist in besonderer Weise maßgebend bei der Bestimmung von Grenzen der Grundrechte. Der entscheidende 13 Die maßgebenden Texte zu diesen beiden Grundbegriffen (wobei „Zweckmäßigkeit" besser mit „Werthaftigkeit" wiedergegeben würde) jetzt in Band 2 der Gesamtausgabe, 255-263 einerseits, 278-289 andererseits. S. 278 letzte Zeile ist übrigens ein sinnentstellender Fehler zu korrigieren: Es geht gerade nicht um die „empirische", sondern im Gegenteil um die „überempirische" Zweckidee. 14 Als Problemhinweis diene der Titel der Arthur Kaufmann gewidmeten Festschrift: „Strafgerechtigkeit", Heidelberg 1993. Darin für den allgemeinen Gerechtigkeitsdiskurs besonders wichtig: Günter Stratenwerth , Wie wichtig ist Gerechtigkeit?, 353 - 362, und Werner Maihofer, Recht und Personalität, 219-248. Kurzorientierung bei Alexander Hollerbach , Art. Verhältnismäßigkeit, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. V (1989) 670 f. Aus dem neueren Schrifttum vgl. Rainer Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, München 1989; Manfred Stelzer, Das Wesensgehaltsargument und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Wien 1991.
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Grundgedanke zielt auf die Einhaltung einer bestimmten Zweck-Mittel-Relation, die durch drei Momente konstituiert wird, nämlich Geeignetheit, Erforderlichkeit und Proportionalität. Das ist vor allem dem am Polizeirecht geschulten Juristen geläufig. Wir haben hier im übrigen ein schönes Beispiel dafür, wie das Problem der Sachgerechtigkeit in einem Prinzip Ausdruck findet, ohne daß man dem Wort dafür noch den Gerechtigkeitsbezug ansieht. Ethik und Moral brauchen sich um Organisation und Verfahren nicht zu kümmern. Umso mehr liegt hier eine spezifische Aufgabe des Rechts. Es ist deshalb nur natürlich, wenn im Rechtsbereich auch die Frage nach einer Verfahrensgerechtigkeit artikuliert wird. Konkrete Gerechtigkeit muß gefunden, im Widerspiel der Meinungen erstritten und festgesetzt werden. Das macht das Verfahren so wichtig, durch welches dieser Prozeß der Gerechtigkeitserkenntnis und Gerechtigkeitsbildung reguliert wird. Vor Jahren hat Gerd Roellecke einmal geistreich formuliert: „Um die Gerechtigkeit läßt sich nur in einem förmlichen Verfahren herumreden. Nicht von Gerechtigkeit, sondern über das Verfahren sollte man daher reden, wenn man Gerechtigkeit meint" 16 . Man muß dem freilich entgegenhalten, daß es gerade die Idee der Gerechtigkeit selbst ist, die an ein solches Verfahren wiederum bestimmte Anforderungen stellt 17 . Hier gibt es im Elementarbereich zumindest deren zwei, die interessanterweise in der angelsächsischen Rechtskultur sub titulo „natural justice" erfaßt werden. Einmal geht es um das Prinzip, daß niemand Richter in eigener Sache sein könne, gemäß der Maxime „nemo iudex in causa sua". Zum andern geht es um die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, gemäß dem Grundsatz „audiatur et altera pars". Aber auch weitere Regeln, wie etwa diejenigen über die Befangenheit, sind in dieser Perspektive zu sehen. Darüber hinaus fordert Verfahrensgerechtigkeit eine Verfahrensgestaltung, die es ermöglicht, daß alle zur Erkenntnis der Sachgerechtigkeit notwendigen Gesichtspunkte erkannt und bei der Findung der gesetzgeberischen, verwaltungsmäßigen oder richterlichen Entscheidung berücksichtigt werden können. Gewiß gilt nicht in einem platten Sinne „procedura facit legem sive iustitiam". Aber Gerechtigkeit wächst im Verfahren, das seinerseits Anforderungen gerecht werden muß, die in der Personalität des Menschen ihren Grund haben und die größtmögliche Partizipation der Beteiligten im Sinne einer partizipativen Gerechtigkeit verlangen. Der Blick auf die politische Dimension der Gerechtigkeit führt schließlich zu dem hin, was Otfried Höffe „politische Gerechtigkeit" nennt, Gerechtigkeit als Legitimation und Limitation von Recht und Staat überhaupt 18. Sie besteht „in der 16 Grundfragen der juristischen Methodenlehre und die Spätphilosophie Ludwig Wittgensteins, in: Festschrift für Gebhard Müller, Tübingen 1970, 339. 17 Zum folgenden jetzt grundlegend die von mir angeregte Dissertation von Roland Hoffmann, Verfahrensgerechtigkeit. Studien zu einer Theorie prozeduraler Gerechtigkeit, Paderborn 1992. 18 Gerechtigkeit (I), in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. I I (1986) 897 f.; ausführlicher: Politische Gerechtigkeit. Grundlegung einer kritischen Theorie von Recht und Staat, Frankfurt am Main 1987. Dieser Problemdimension ist jetzt auch zuzuordnen der eindrucksvolle Entwurf
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streng gleichen Einschränkung von Freiheit zum Zweck ihrer allseitigen Sicherung". Sie ist gefaßt im Prinzip der gleichen Freiheit und findet ihre Ausprägung in den elementaren Menschenrechten, die grundlegende Rechtsgüter, die jedem in gleicher Weise zukommen, gewährleisten sollen. Hier schießen also gewissermaßen Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit zusammen und verknoten sich. Das klingt modern, hat aber durchaus historische Wurzeln. So wird man insbesondere darauf verweisen, wie im Vernunftrecht der Versuch gemacht wurde, die klassische Formel vom „suum cuique" näher zu bestimmen und „sua" im Sinne von einem jeden gleichermaßen zukommenden Rechten namhaft zu machen, so etwa Leben, Gesundheit, Ehre, Eigentum 19 . Auf dieser Spur finden wir bekanntlich auch den späten Radbruch. Wir verdanken ihm zum Verhältnis von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit die bekannte und gerade jetzt wieder so brennend aktuelle Formel 20 : „Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als »unrichtiges Recht4 der Gerechtigkeit zu weichen hat" 21 . Diese gradualistische Lösung steht indes auf tönernen Füßen, solange an dem streng formalen Charakter der Gerechtigkeit, den Radbruch auch hier zunächst noch betont, festgehalten wird. Aber fast unmerklich ist er in der entscheidenden Passage von „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht" davon abgerückt und kommt schließlich zu dem Satz: „Der Rechtscharakter fehlt ... allen jenen Gesetzen, die Menschen als Untermenschen behandelten und ihnen die Menschenrechte versagten" 22 . Erscheint schon hier der Rekurs auf die Menschenrechte als inhaltliche Füllung des Gerechtigkeitsprinzips, jedenfalls hinsichtlich seiner elementaren Basis, so erst recht in der „Vorschule der Rechtsphilosophie". Der Rückgriff auf die Menschenrechte erfolgt dort freilich nicht unmittelbar, sondern auf einem eigentümlichen Umweg. Der unmittelbare wert- oder güter-ethische Ansatz führt nicht zum von Jörg Paul Müller, Demokratische Gerechtigkeit. Eine Studie zur Legitimität rechtlicher und politischer Ordnung, München 1993. Vgl. ferner Rainer Forst, Kontexte der Gerechtigkeit. Politische Philosophie jenseits von Liberalismus und Kommunitarismus, Frankfurt am Main 1994. 19 Aufschlußreich dazu zwei Abhandlungen von Karl Olivecrona: Das Meinige nach der Naturrechtslehre, in: ARSP 59 (1973) 197-205; The Term „Property" in Locke's two Treatises of Government, ebenda 61 (1975) 109-115. 20 Neuestens dazu Robert Alexy, Mauerschützen. Zum Verhältnis von Recht, Moral und Strafbarkeit, Hamburg 1993; Helmut Lecheler, Unrecht in Gesetzesform? Gedanken zur „Radbruch-Formel", Wien 1994; Arthur Kaufmann, Die Radbruchsche Formel vom gesetzlichen Unrecht und vom übergesetzlichen Recht in der Diskussion um das im Namen der DDR begangene Unrecht, in: NJW 1995, 81-86. 21 Zitiert nach Gustav Radbruch, Gesamtausgabe, Bd. 3: Rechtsphilosophie III, bearbeitet von Winfried Hassemer, Heidelberg 1990, 89. 22 Ebd., 90.
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Ziel einer Überwindung oder Relativierung des Relativismus, den Radbruch auch hier zunächst noch einmal deutlich hervorkehrt; wohl aber der in seiner Substanz Kantische Gedanke, daß dem Menschen unverfügbar sittliche Pflichterfüllung aufgetragen ist und daß die Verwirklichung dieses Postulats Freiheit voraussetzt: „Ethische Pflichterfüllung ist begriffsnotwendig eine Tat der Freiheit und deshalb durch Rechtszwang nicht zu erfüllen. Das Recht kann ethische Pflichterfüllung nicht erzwingen, wohl aber ermöglichen: das Recht ist die Möglichkeit sittlicher Pflichterfüllung oder mit anderen Worten, dasjenige Maß äußerer Freiheit, ohne das die innere Freiheit der ethischen Entscheidung nicht existieren kann". Daraus wird dann die klare Konsequenz gezogen: „Jene äußere Freiheit zu garantieren, ist Wesen und Kern der Menschenrechte" 23. Das ist denn auch der Punkt, an dem die Selbstkorrektur Radbruchs in bezug auf seine bisherige Konzeption ganz offenkundig wird. Wenn es nämlich wahr ist, daß die Menschenrechte vom Grundwert der Freiheit leben, nicht von dem der Nation bzw. der Macht oder dem der Kultur 24 , dann können Freiheit, Nation bzw. Macht und Kultur nicht mehr als oberste Werte gleichberechtigt nebeneinander stehen. Damit bricht das bisherige Gebäude in sich zusammen. Die (formale) Gerechtigkeit erhält ihre inhaltliche Strukturierung und Ausrichtung nur durch das Prinzip Freiheit, nicht durch andere Prinzipien, zu denen man sich frei entscheiden kann. Im Rahmen der Erwägungen zur politischen Gerechtigkeit darf schließlich ein besonderer Aspekt hervorgehoben werden, der mit dem Begriff der sozialen Gerechtigkeit bezeichnet zu werden pflegt. In der Wendung gegen konservative Besitzstands-Gerechtigkeit und liberale LeistungsGerechtigkeit fordert die soziale Gerechtigkeit, wie Walter Kerber präzise darlegt 25 , eine gewisse Gleichheit nicht nur bezüglich der abstrakten Regeln und Normen, sondern auch der konkreten Lebensbedingungen. Aus der wesensmäßigen Gleichheit und Freiheit aller Menschen als Menschen und ihrer solidarischen Verbundenheit wird als sog. Chancen-Gerechtigkeit die doppelte Forderung abgeleitet: negativ nach Überwindung aller rechtlichen und sozialen Diskriminierungen; positiv nach gewissen Hilfen zum Ausgleich von Benachteiligungen. Ins Grundsätzlichere gewendet wird ebenfalls unter dem Stichwort „soziale Gerechtigkeit" im Namen der Menschenrechte ein gleicher Anspruch aller auf eine Grundausstattung mit bestimmten materiellen und immateriellen Gütern gefordert, deren jeder für ein menschenwürdiges Dasein bedarf, so etwas wie BedürfnisGerechtigkeit also. Es ist offenkundig die dem Sozialstaat mit seinen Aufgaben der sozialen Fürsorge, der sozialen Vorsorge und der sozialen Befriedung 26 (und damit dem gesam23
Im gleichen Band der Gesamtausgabe, 146. Dies aber die bekannte Trias der „Werte" in der Rechtsphilosophie von 1932, jetzt in: Gesamtausgabe Bd. 2, Rechtsphilosophie II, bearbeitet von Arthur Kaufmann, Heidelberg 1993, 284. In dem sich daran anlehnenden Text der „Vorschule" (a. a. O. 145, siehe vorige Anmerkung) ist „Nation" durch „Macht" ersetzt. 25 Vgl. die Belege oben Anmerkung 1. 24
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ten Sozialrecht) zugeordnete Gerechtigkeit - ein, wie Hans F. Zacher eindrucksvoll gezeigt hat, Bündel von Bedarfs-, Leistungs-, Besitzstands- und ChancenGerechtigkeit 27. Sie verweist aber zugleich auch auf globale Zusammenhänge, wie sie in der Perspektive des Welt-Gemeinwohls in Erscheinung treten. Nicht zuletzt wird dadurch die Verknüpfung des Gerechtigkeitsbegriffs mit den Menschenrechten in deren durch die sogenannten Generationen der Menschenrechte28 erweiterten Horizont hineingeführt. In alledem ist Gerechtigkeit nicht ein Deduktionsbegriff, aus dem man deduzieren und unter den man schlicht subsumieren könnte. Er ist vielmehr ein rechtsethisches Prinzip im Sinne der kompaßartigen Richtungs- oder Weg-Weisung und der damit verbundenen Legitimation.
IV. Dem Abschluß dieser skizzenhaften Reflexionen an diesem Punkt stellen sich noch zwei Fragekomplexe in den Weg. Der eine wird bezeichnet mit „Grenzen" der Gerechtigkeit und meint die Phänomene Billigkeit 29 , Gnade und Liebe 30 , auch Verzicht 31, Verzeihung und Barmherzigkeit. Führt er schon über die Grenzen der Philosophie hinaus, so erst recht der andere. In ihm geht es um die theologische Dimension, genauerhin um die Frage nach dem Verhältnis von menschlicher und göttlicher Gerechtigkeit. In dieser Richtung seien noch einige Reflexionen angefügt, zugleich als Beitrag zu dem Gespräch zwischen Rechtsphilosophie und Rechtstheologie. Es ist gewiß so, daß in der abendländischen Geistesgeschichte Theologie und Philosophie ineinander fließen, daß das eine das andere befruchtet, daß - um im Gefolge von Kant mit dem alten Bild der „ancilla" zu spielen - die Philosophie ihrer Herrin bald die Fackel vorausgetragen, bald die Schleppe nachgetra26 Diese Aufgaben werden in eindrucksvoller Klarheit herausgestellt von Ernst Rudolf Huber, Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft (1962), in: ders., Nationalstaat und Verfassungsstaat, Stuttgart 1965, 249-272, hier 270. 27 Sozialrecht und Gerechtigkeit, in: Rechtsstaat und Menschenwürde. Festschrift für Werner Maihofer zum 70. Geburtstag, Frankfurt am Main 1988, 669-691, hier 687. 28 Erhellend hierzu Eibe Riedel , Die Menschenrechte der dritten Generation als Strategie zur Verwirklichung der politischen und sozialen Menschenrechte, in: Das Recht auf Entwicklung als Menschenrecht, hrsg. von A. Perez-Esquivel u. a., München/Zürich 1989, 49 ff. 29 Zur Grundorientierung vgl. Alexander Hollerbach, Art. Billigkeit, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. 1(1985) 809-813. 30 Bemerkenswert dazu Ernst-Wolfgang Böckenförde , Recht und Liebe, in: Handwörterbuch religiöser Gegenwartsfragen, hrsg. von Ulrich Ruh/David Seeber/Rudolf Walter, Freiburgi.Br. 1986, 386-390. 31 Grundlegend dazu Norbert Brieskorn, Verzicht und Unverzichtbarkeit im Recht, Stuttgart 1988.
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gen hat 32 . Aber in bezug auf den Begriff der Gerechtigkeit jedenfalls kann man die eine Form nicht auf das Maß der jeweils anderen bringen. Man kann von menschlich-irdischer Gerechtigkeit nicht Übermenschliches, Welttranszendierendes erwarten - ebensowenig wie man göttliche Gerechtigkeit einfach auf irdische, menschliche Maße herabstufen darf. Aber was läßt sich positiv aussagen?33 Was den jüdischen Wurzelgrund anlangt, wie er uns im Alten Testament entgegentritt, so gilt: In dem Bundesverhältnis, in dem Gott und Mensch stehen, schenkt der gerechte Gott Gerechtigkeit im Sinne von Heil, das den ganzen Menschen ergreift. Umgekehrt besteht Gerechtigkeit des Menschen in der Erfüllung der sich aus dem Bund ergebenden Verpflichtungen in bezug auf seine ganze Lebensordnung, in der Erfüllung also des Bundesgesetzes, der Thora. Der Gerechte ist der Fromme, der sich gemäß Gottes Willen verhält. Bund - mit den beiden Polen Zuspruch und Anspruch: das bleibt auch für das in der biblischen Botschaft des Neuen Testaments gegründete Christentum der maßgebende Grundsachverhalt. Aber durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und sein im Kreuzestod kulminierendes Heilshandeln einerseits, durch die Theologie des Paulus andererseits kommt es zu einer Um- und Neuakzentuierung. Der Gesetzes-Gerechtigkeit des Alten Testaments wird die Rechtfertigung, d. h. die Gerecht-Machung durch Gott aus dem Glauben an Jesus Christus gegenübergestellt. Gerechtigkeit ist dann primär nicht Leistung oder sozusagen „iustitia legalis", sondern die Gerechtigkeit, die den Menschen durch Gnade vor Gott gerecht macht, ihm also Heil verschafft. Der Mensch, auf sich gestellt, kann in seiner Sündhaftigkeit immer nur annähernd Gerechtigkeit verwirklichen. Aber er bleibt unter der Anforderung, je bessere Gerechtigkeit anzustreben. So hat man den Schlüsseltext bei Matthäus 5, 20 zu verstehen: „Dico enim vobis: quia nisi abundaverit iustitia vestra plus quam Scribarum et Pharisaeorum, non intrabitis in regnum caelorum": Wenn eure Gerechtigkeit nicht viel besser oder „weit größer" 34 als diejenige der Schriftgelehrten und Pharisäer ist, wenn sie, so darf man vielleicht sagen, nicht abundant ist, werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen. Dabei muß natürlich bedacht werden, daß sich dies auf das Gottes- und Nächstenverhältnis im ganzen bezieht; eine Unterscheidung zwischen juridischer, moralischer und religiöser Gerechtigkeit ist hier nicht im Blick.
32 Der Streit der Fakultäten: Werke in 6 Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Bd. V I (1964) 290 f. 33 Zum folgenden vgl. die in Anmerkung 1 angeführten Arbeiten von Walter Kerber sowie die in Band 17 von „Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft" enthaltenen Beiträge von Claus Westermann und Bernhard Spörlein über Gerechtigkeit im Alten bzw. Neuen Testament (a.a.O. 12-19). Zur Grundorientierung wertvoll ferner Walter Kornfeld/Herbert Vorgrimler/Josef Pieper, Art. Gerechtigkeit (des Menschen), in: Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., Bd. IV (1960) 711-715, und Otto Kuss/ Karl Rahner, Art. Gerechtigkeit Gottes, ebenda 715-718. 34
So die Übersetzung der Jerusalemer Bibel.
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Mit alledem ist im Verhältnis zu den Kategorien und Formeln aus der griechischen Philosophie und dem römischen Recht eine tieferliegende und übergreifende Dimension zutage getreten, die bis heute und immer wieder neu Beachtung erheischt, die es im Grunde freilich nur erlaubt, den Begriff Gerechtigkeit in bezug auf Gott und seinen Bund mit den Menschen analog - und das heißt ähnlich, aber noch mehr unähnlich - anzuwenden. Auf der anderen Seite aber hat sich christliches Denken hinsichtlich des Gerechtigkeitsproblems in Recht und Moral nicht ausgeklinkt, sondern hat die Reflexionsund Theoriegeschichte mitgetragen. Zu erinnern ist vornehmlich an Thomas von Aquin, der seinerseits Aristoteles rezipiert und in den „Hegungsraum" (Josef Pieper) von Theologie und Kirche eingebracht hat. In der katholischen Moraltheologie und Soziallehre hat die Theorie von der Gerechtigkeit eine feste Heimstatt. Beiträge kommen aber natürlich auch aus der evangelischen Sozialethik. Ein bemerkenswertes neueres Zeugnis dafür ist die Denkschrift der EKD über „Gemeinwohl und Eigennutz. Wirtschaftliches Handeln in Verantwortung für die Zukunft" 35 . Zu Recht wird hier ein Abschnitt über „Gerechtigkeit und Gemeinwohl" so eingeleitet: „Im Begriff der weltlichen Gerechtigkeit bündelt sich das Erbe ethischen Bewußtseins seit der Antike. In ihm verbinden sich humane Vernunft und christliche Ethik in einem unaufgebbaren Grundanliegen". Es wird aber auch über das Verhältnis von weltlicher Gerechtigkeit und - wie es heißt - Glaubens-Gerechtigkeit reflektiert und dies mit dem Ergebnis: „Die christliche Freiheit ist die Freiheit von der Sorge um die eigene Gerechtigkeit vor Gott. Sie befreit und leitet an zur tätigen Liebe ... Das gilt auch für den Umgang mit weltlicher Gerechtigkeit. Insofern gibt es einen unlösbaren inneren Zusammenhang zwischen der GlaubensGerechtigkeit und dem Verständnis und der Praxis sozialer Gerechtigkeit". Nicht zu vergessen ist schließlich, daß Gerechtigkeit zusammen mit Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu einem großen ökumenischen Losungswort geworden ist. Es bleibt die Schlußfrage, ob sich dies im Hinblick auf eine Rechtstheologie ausmünzen läßt. Zwei Grundgedanken sind es, die hier die Richtung für weiteres Nachdenken bestimmen können und müssen: Grundkategorie eines in rechtstheologischer Perspektive fundierten Gemeinschaftslebens ist nicht das Individuum, nicht die Person in ihrer Rechtssubjektivität, sondern der Nächste36 in seiner Gottebenbildlichkeit und der dadurch begründeten Geschwisterlichkeit aller Menschen. Gemeinschaft dieser Art ist nicht ohne den zu denken, der diese Gemeinschaft gestiftet hat. Aus der sittlichen Botschaft des Mensch gewordenen Gottessohnes empfängt diese Nächsten-Gemeinschaft ihre Regeln. Und die zweite Gedankenreihe: Auch für eine solchermaßen nächstenrechtlich geordnete Gemeinschaft ist Gerechtigkeit in all ihren Dimensionen, 35 2. Auflage, Gütersloh 1991. Die beiden nachfolgenden Zitate 106 und 108. 36 Hier ist betont an den Ansatz zu erinnern, den Erik Wolf verfolgt hat: Recht des Nächsten. Ein rechtstheologischer Entwurf, Frankfurt am Main 1958. Instruktiv auch Hans G. Ulrich , Art. Nächste, der, in: Evangelisches Kirchenlexikon, 3. Aufl., Bd. 3 (1992) 598-600.
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Aspekten und Gestalten relevant; doch muß sie unterfangen sein durch die Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt. Hier begegnen sich menschliche und göttliche Gerechtigkeit. Nachbemerkung Zur Thematik vgl. vom Verfasser auch Artikel „Gerechtigkeit (2. Rechtlich)", in: Lexikon der Bioethik, Bd. 2 (1998) S. 73-75.
Billigkeit I. Grundorientierung aus der philosophischen Tradition. - II. Die Traditionslinie des römischen Rechts. - III. Die Traditionslinie des kanonischen Rechts. - IV. Equity. - V. Billigkeit als Begriff des geltenden Rechts. - VI. Notwendigkeit und Fragwürdigkeit der Billigkeit
B. (griech. emeLKEia, lat. aequitas) ist in der aus dem griechisch-römischen, germanischen und christlichen Erbe stammenden Rechtskultur eine Grundkategorie des Rechtsdenkens und ein vom positiven Recht selbst verwendeter Begriff. Die in der Alltagssprache gebrauchte Formel „recht und billig", die Berufung auf die Anschauung „aller billig und gerecht Denkenden" oder die Reaktion des Rechtsgefühls auf eine „grobe Unbilligkeit" zeigen an, daß B. etwas mit dem Wesen von Recht und Gerechtigkeit zu tun hat. Der Sinn des Begriffs weist freilich je nach Perspektive und Kontext eine gewisse Variationsbreite auf.
I. Grundorientierung aus der philosophischen Tradition Nach der bis heute grundlegenden Bestimmung des Aristoteles gehören das Billige und das Gerechte nicht zwei verschiedenen Gattungen an; das Billige ist ein Gerechtes, „aber nicht im Sinne der durch das Gesetz gewährleisteten Gerechtigkeit, sondern es ist eine Berichtigung der Gesetzes-Gerechtigkeit. Das hat seinen Grund darin, daß jegliches Gesetz allgemein gefaßt ist". Daraus ergibt sich die formelhaft-definitorische Aussage über das „Wesen" der B.: „Berichtigung des Gesetzes da, wo es infolge seiner allgemeinen Fassung lückenhaft ist" (Nik. Eth. V, 1137 b; vgl. auch Rhet. I, 13, 1374 a). B. (in einem objektiven Sinn) erscheint hier mithin als Inbegriff der individuell-konkreten Einzelfall-Gerechtigkeit im Unterschied zur generell-abstrakten Norm-Gerechtigkeit. Sie arbeitet die konkreten Umstände des Einzelfalls voll auf und geht allen relevanten Nuancen und Feinheiten nach. Sie ist „feiner strukturiert" (Erik Wolf) und hat deshalb einen höheren Rang, wenngleich sie mitnichten etwas „Meta-Rechtliches" ist. Von dieser Struktur her ist B. vornehmlich dem Rechtsanwender, insbes. dem Richter zugeordnet. Aristoteles versteht aber B. darüber hinaus als allg. Grundhaltung in und gegenüber dem Recht (B. im subjektiven Sinn): „billig" ist derjenige, der „nicht in kleinlicher Genauigkeit sein Recht so lange verfolgt, bis es zum Unrecht wird, sondern, obwohl das Gesetz auf seiner Seite stünde, geneigt ist, mit einem bescheideneren Teil Erstveröffentlichung in: Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft. 7., völlig neu bearb. Aufl., Freiburg (Breisgau): Herder, 1985-1993, Bd. 1 (1985), Sp. 809-813.
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zufrieden zu sein". Daß „summum ius" „summa iniuria" werden kann (vgl. Cicero , De off. I, 33), ist hier erstmals klassisch formuliert. Auch in der Scholastik wird die Höherwertigkeit der Einzelfall-Gerechtigkeit gegenüber der Norm-Gerechtigkeit betont (z. B. Albert d. Gr., De eth. V, 4, 1: „Iustitia quasi supra iustitiam"), insbes. aber wird die Problematik eingefügt in den Zusammenhang naturrechtlichen Denkens. So läßt Thomas von Aquin „Epikie" zu, wenn die Beobachtung des Gesetzes für das - naturrechtlich geforderte - Gemeinwohl schädlich wäre (S. th. I I - II, qu. 96 a. 6), und ermächtigt den Richter, gegen das geschriebene Recht auf „aequitas" zu rekurrieren, wenn die Befolgung des Gesetzes im konkreten Fall zu einer Naturrechtswidrigkeit führen würde. Kriterien für solche Inanspruchnahme von B. ergeben sich aus naturrechtlichen Prinzipien und davon geleiteten Argumentationen der praktischen Vernunft. Diese systematische Verortung hat auch zur Befestigung des B.sdenkens im kanonischen Recht beigetragen. Später ist das Problem von Kant noch einmal deutlich thematisiert worden (Metaphysik der Sitten, AA V I 234 f.). Er geht von der bei Aristoteles diskutierten Grundkonstellation aus und hebt geradezu als „Sinnspruch der B." hervor: „das strengste Recht ist das größte Unrecht". Auch begreift er B. durchaus als Element des Rechts, hält darauf gegründete Forderungen aber für nicht justitiabel und zwangsweise durchsetzbar, weil „ein Richter nach unbestimmten Bedingungen nicht sprechen kann". Insofern ist die B. ein „Recht ohne Zwang", „eine stumme Gottheit, die nicht gehöret werden kann". Demnach kann es in der richterlichen Anwendung des Gesetzes nur strikte Legalität geben, B.sjustiz schafft keine „öffentliche Gerechtigkeit", diese folgt „nicht aus dem Naturrecht, sondern aus dem Landrecht" (Streit der Fakultäten, AA V I I 23), d. h. dem möglichst genau bestimmten gesetzten Recht. Die kantische Position - am Beginn der Entwicklung zum gewaltenteilenden modernen Rechtsstaat - macht damit in Schärfe das Grundproblem bewußt: es geht um das Verhältnis des Richters zum Gesetz einerseits, des Gesetzes zu einem ihm vorausliegenden, es konstituierenden und gegebenenfalls korrigierenden Recht andererseits.
II. Die Traditionslinie des römischen Rechts Unbeschadet gewisser Einflüsse vornehmlich in der Gerichtsrhetorik, ist dem vorklassischen und klassischen römischen Recht die aristotelische Problemkonstellation fremd. Es ist, seiner ganzen Struktur nach, auf die Lösung eines konkreten Rechtsproblems ausgerichtet. „Aequum" und „iustum" werden weithin synonym gebraucht. Wenn das Recht als die „ars boni et aequi" bezeichnet wird, so hat das mit einem Spannungsverhältnis zwischen Einzelfall- und Norm-Gerechtigkeit nichts zu tun. Erst später dringt „aequitas" als Übersetzung von emeiKEia im aristotelischen Sinn in die römische Rechtssprache ein, ferner öffnet sich das römische Rechtsdenken christlichen Einflüssen, die aequitas in Richtung auf Mäßigung,
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Milde, ja Barmherzigkeit hin interpretieren. „In omnibus quidem, maxime tarnen in iure, aequitas spectanda est" (Dig. 50, 17, 19). Auf der anderen Seite pflegte man im römischen Recht zwischen „ius strictum" und „ius aequum" zu unterscheiden. Strenges, starres, meist formgebundenes Recht wird hier abgehoben von einem freieren, flexiblen, gewissermaßen weichen Recht, das sich besser den konkreten Situationen, insbes. den Bedürfnissen des rechtsgeschäftlichen Verkehrs, anpassen kann.
I I I . Die Traditionslinie des kanonischen Rechts Der Gedanke der B. hat früh im kirchlichen Recht eine Heimstatt gefunden (in der Ostkirche als „obcovofiia"), insofern dieses von seiner Zielsetzung her, der Förderung der „salus animarum", für eine individualisierende und gegenüber dem „rigor iuris" auch die Milde berücksichtigenden Betrachtungsweise offener war als das weltliche Recht. Von Gratian an erscheint „aequitas canonica" als terminus technicus der kirchlichen Rechtssprache. Im geltenden Kirchenrecht nimmt c. 19 CIC/1983 ausdrücklich darauf Bezug, wenn dort für die Rechtsfindung, insbes. für die Lückenfüllung, auch auf die „cum aequitate canonica" anzuwendenden allg. Rechtsprinzipien verwiesen wird, diese also dem proprium des kirchlichen Rechts angepaßt werden müssen. Bemerkenswert auch der Schluß-Canon (c. 1752), wo in dem speziellen Zusammenhang der Regeln über die Versetzung von Pfarrern betont auf die Rolle der B. und des „salus animarum"-Prinzips abgehoben wird. In der kanonistischen Doktrin wird B. gedeutet als eine „Art der Rechtsfindung, die aus dem Bemühen, die sittlichen Werte im rechtlichen Raum zu wahren, diesen zum Durchbruch verhilft in der Auslegung, der Ergänzung und der Berichtigung positiver Rechtsnormen". Demgemäß sei B. „das dynamische Prinzip in der Rechtsentwicklung; es geht ihr darum, das Ideal der Gerechtigkeit im praktischen Rechtsleben zu verwirklichen" (K. Mörsdorf). Kanonistik (und Moraltheologie) unterscheiden davon begrifflich die sog. Epikie, nämlich das Aufhören der Gesetzesverpflichtung im Einzelfall, sei es wegen Wegfalls des Gesetzeszweckes, wegen einer Normenkollision oder wegen Unmöglichkeit der Gesetzeserfüllung. Dabei wird dem subjektiven Gewissensurteil des einzelnen ein relativ weiter Spielraum eingeräumt. Demgegenüber ist die Dispens die amtlich-hoheitliche Befreiung von der verpflichtenden Kraft eines kirchlichen Rechtssatzes in einem besonderen Fall (c. 85 CIC/1983). IV. Equity Elemente der romanistischen und der kanonistischen Tradition verbinden sich im Phänomen der „equity" des englischen Rechts. Dieses weist in seiner historischen Entwicklung eine duale Struktur auf; es wird gebildet aus „common law" und „equity". Common law ist das urspr. von den königlichen Gerichtshöfen gesprochene (Fall-)Recht, das als ius strictum verstanden wurde. Mitbedingt durch
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eine gewisse Erstarrung, in die das common law geraten war, entwickelte sich demgegenüber etwa seit dem 14. Jh. eine zweite Form von Fall-Recht, dasjenige nämlich, das von dem urspr. meist dem Klerus angehörenden Kanzler und seinem Gericht (court of chancery) gesprochen und das als Ausdruck des ius aequum verstanden wurde. Man konnte damit neueren Verkehrsbedürfnissen besser Rechnung tragen. Die Unterscheidung der beiden Rechtsmassen war bes. sinnfällig in der Zweispurigkeit der Gerichtsbarkeit. Erst eine Justizreform der Jahre 1873/75 fügte den court of chancery und die common law-Gerichte zu einer einheitlichen Organisation von Gerichten zusammen, die beide Rechte anwenden. Als die größte Leistung der equity-Rechtsprechung gilt die Herausarbeitung des Rechtsinstituts der Treuhand (trust), ferner die Verfeinerung des (privaten) Deliktsrechts.
V. Billigkeit als Begriff des geltenden Rechts B. ist ein unabhängig von seiner Positivierung maßgebender Allgemeiner Rechtsgrundsatz, aber bisweilen auch ein unmittelbar in das positive Recht selbst aufgenommener Rechtssatz. Für explizite Berufungen auf B. im Privatrecht ist der gemeinsame Nenner entweder die Ausrichtung auf konkrete Angemessenheit einer materiellrechtlichen Regelung oder die Freistellung von strengen Form- oder Verfahrenserfordernissen bzw. die Einräumung eines breiteren Beurteilungsspielraums. Besonders signifikant sind die §§ 315, 317 und 319 BGB, weil hier Gesichtspunkte des materiellen Rechts und des Verfahrens ineinandergreifen. Weitere Beispiele sind die B.shaftung nach § 829 BGB oder die Pflicht zu „billiger Entschädigung in Geld" für bestimmte immaterielle Schäden (§ 847 BGB). Im Unterhaltsrecht (z. B. §§ 1361 Abs. 3, 1361 a Abs. 2, 1579 BGB) häufen sich die Fälle, welche die Gewährleistung von B. bzw. die Vermeidung von „unbilliger Härte" fordern oder die dem Richter eine Entscheidung nach „billigem Ermessen" auftragen. Neben diesen ausdrücklichen Bezugnahmen ist B. naturgemäß ein wesentlicher Faktor bei der Anwendung von Generalklauseln, wie „gute Sitten" und „Treu und Glauben" (§§ 133, 157, 242 BGB). Diese sind die wichtigsten Ventile geworden, um dem Richter die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermöglichen. Eine vergleichsweise große Rolle spielt das Thema B. seit einigen Jahren im Arbeitsrecht. So nimmt die R.spr. gegenüber Arbeitsverträgen, Betriebsvereinbarungen und betrieblichen Sanktionen eine B.skontrolle in Anspruch. § 75 Abs. 1 BetrVerfG verpflichtet Arbeitgeber und Betriebsrat ausdrücklich auf die Wahrung der Grundsätze von „Recht und B.". Im öffentlichen Recht hat der Gedanke der B. meist seinen Ort in Härteklauseln. So schreibt z. B. § 122 a BBauG für bestimmte Fälle der Rechts- oder Interessenbeeinträchtigung im Zuge städtebaulicher Maßnahmen einen Härteausgleich vor, „soweit es die B. erfordert". Ausdrücklich rechnet das Haushaltsrecht mit „Leistungen aus Gründen der B." (§ 53 BHO). Traditionellerweise kennt bes. das Steu-
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errecht ein B.skorrektiv (§§ 163, 227 AO 1977): danach können Erhebung oder Einziehung von Steuern unter bestimmten Voraussetzungen unterbleiben, wenn sie „nach Lage des einzelnen Falles unbillig" wären. Gerichtlicher Rechtsschutz erfolgt dabei nach den Maßstäben der Ermessenskontrolle; „unbillig" wird nicht als „unbestimmter Rechtsbegriff" ' mit voller gerichtlicher Überprüfbarkeit qualifiziert (BVerwGE 39, 355). Im internationalen Recht kommt B. als allgemeiner Rechtsgrundsatz zur Geltung, ferner in besonderer Weise in der dem Internationalen Gerichtshof eingeräumten Befugnis, einen Rechtsstreit mit Zustimmung der Parteien „ex aequo et bono" zu entscheiden (Art. 38 Abs. 2 IGH-Statut).
VI. Notwendigkeit und Fragwürdigkeit der Billigkeit Im Prinzip B. verschlingen sich vornehmlich drei Grundgedanken: es ist gegen abstrakte Norm-Gerechtigkeit auf die Verwirklichung der Gerechtigkeit im Einzelfall gerichtet, es zielt gegen Starrheit und Formalismus auf Anpassung und Flexibilität, es soll gegen den „rigor iuris" Härten vermeiden oder ausgleichen. In dieser Perspektive ist es ein legitimes integrierendes Moment von Recht überhaupt und ein Element der ständigen Fortbildung des Rechts, insofern sich unter Berufung auf B. verfeinertes Rechtsbewußtsein geltend macht. Aber es steht in einem deutlichen Spannungsverhältnis zu der dem Recht ebenso aufgetragenen Wahrung von Gleichheit und Sicherheit. Die Gefahr ist nicht zu verkennen, daß B. gewissermaßen als „Weichmacher" zum Feind für Recht und Gerechtigkeit wird. Dem kann nur gesteuert werden, wenn B. ihrerseits im jeweiligen Kontext an argumentativ vertretbare rationale Sachgründe gebunden bleibt und nicht in Willkür abgleitet. Daraus ergeben sich für die gesetzgeberische und die richterliche Kultur hohe Anforderungen. Literatur M. Rümelin, Die B. im Recht. Tübingen 1921. - E. Wohlhaupter, Aequitas canonica. Paderborn 1931. - C.J. Hering, Die B. im philosophischen Rechtsdenken. Diss. phil. Bonn 1938. - H K J. Ridder, Aequitas und equity, in: ARSP 49 (1950/51) 181 ff. - K Mörsdorf, Aequitas, in: StL. Bd. 1. 1957, 54 ff. - E. Kaufmann, Aequitatis iudicium. Königsgericht und B. in der Rechtsordnung des frühen Mittelalters. Frankfurt am Main 1959. - G. Kisch, Erasmus und die Jurisprudenz seiner Zeit. Basel 1960. - Summum ius summa iniuria. Individualgerechtigkeit und der Schutz allgemeiner Werte im Rechtsleben. Tübingen 1963 (darin bes. die Beitr. von F. Elsener, J. Esser und J. Gernhuber). - Ermessensfreiheit und B.sspielraum des Zivilrichters. Frankfurt am Main 1964 (darin bes. F. Rittner, 21 ff.). - V Frosini , Struktur und Bedeutung des B.surteils, in: ARSP 53 (1967) 179 ff. - G. Bien/K. H. Sladeczek, B., in: HWPh. Bd. 1. 1971, 939 ff. - E. Kaufmann, B., in: HRG. Bd. 1. 1971, 431 ff. - D. Henrich, Einf. in das englische Recht. Darmstadt 1971. - C. J. Hering, Aequitas und Toleranz. Ges. Sehr. Bonn 1971. - Equity in the world's legal systems. Hrsg. A. Newman. Brüssel 1973. M. Vollkommen Formenstrenge und prozessuale B. München 1973. - E. v. Savigny, Konflikte 6 Hollerbach
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zwischen Wortlaut und B. in der R.spr. des BGH, in: U. Neumann/J. Rahlf/E. v. Savigny, Juristische Dogmatik und Wissenschaftstheorie. München 1976, 60 ff. - J. Strangas, Die B. und ihr Standort im Rechtssystem. Athen und Hamburg 1976. - G. Frhr. v. HoyningenHuene, Die B. im Arbeitsrecht. München 1978. - G. Wingren, B., in: TRE. Bd. 6. 1980, 642 ff. - E. Wolf, Beharrung und Umwandlung des platonischen Rechtsgedankens in der Sozialphilosophie von Aristoteles, in: Ders., Studien zur Geschichte des Rechtsdenkens. Frankfurt am Main 1982, 1 ff . - P. Kirchhof, Gesetz und B. im Abgabenrecht, in: Recht und Staat im sozialen Wandel. FS H. U. Scupin. Berlin 1983, 775 ff.
Rechtsethik I. Begriffliches. - II. Aufgaben und Problemfelder
I. Begriffliches Das Wort R. scheint in den 20er und 30er Jahren dieses Jahrhunderts aufgekommen zu sein. Symptomatisch hierfür ist seine Verwendung als Buchtitel, so bei A. Egger (1939). Wohl beeinflußt von E. Huber, wird hier mit dem Gegensatzpaar Rechtstechnik - R. operiert. Jene verleiht mit Hilfe der Logik der rechtlichen Ordnung „Geschlossenheit und Folgerichtigkeit, Klarheit und Durchsichtigkeit, Festigkeit und Zuverlässigkeit". Diese „diktiert den Inhalt der Normen und bestimmt den Gerechtigkeitsgehalt der Ordnung ( . . . ) , die Rangordnung der Güter, sie setzt den Kosmos der Werte". In diesem Sinne hat es die R. mit den für das Recht maßgebenden Grundwerten zu tun. Nach K. Larenz (1979) hat die R. die Aufgabe, Prinzipien richtigen Rechts zu erkennen und zu entwickeln. Diese werden qualifiziert als „nähere inhaltliche Bestimmungen der Rechtsidee im Hinblick auf mögliche Regelungen, denen sie ihrerseits als Leitgedanken und Rechtfertigungsgründe zu dienen vermögen. Sie vermitteln zwischen der Rechtsidee als letztem Grund der Normativität des Rechts und konkreten Regelungen des positiven Rechts". Einen weiteren, spezifischeren Ansatzpunkt für eine Begriffsbestimmung bietet die Anknüpfung an den Begriff Ethik. Definiert man diese als vernunftbestimmte und methodische Reflexion von Moral und Ethos (H. Krings), kann R. verstanden werden als ebensolche Reflexion von Recht in seinen Beziehungen zu Moral und Ethos. Wie immer im einzelnen die philosophischen Grundlagen bestimmt werden: R. ist das Herzstück einer materialen, d. h. sachhaltigen, auf die Erkenntnis von Sinnund Werthaftigkeit ausgerichteten Rechtsphilosophie, die sittliche Maßstäbe für das Recht und seine Normen anerkennt. Als notwendig normative Theorie bildet sie einen Widerpart gegen Formalismus und Positivismus sowie gegen die Reduktion auf eine bloß funktionale oder soziologische Betrachtungsweise.
Erstveröffentlichung in: Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft. 7., völlig neu bearb. Aufl., Freiburg (Breisgau): Herder, 1985-1993, Bd. 4 (1988), Sp. 692-694. 6*
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II. Aufgaben und Problemfelder a) Insofern es in der R. um das rechtlich Gute, die Qualität und Bonität des Rechts geht, erweist sich als rechtsethisches Grundgebot - auch unabhängig von seiner verfassungsgesetzlichen Positivierung - die Achtung vor der Menschenwürde, die gegenseitige Anerkennung als Person. Es ist zugleich maßgebend für die nähere Bestimmung der fundamentalen, für Recht und Ethik in je spezifischer Weise relevanten Richtwerte Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und Friede. Ohne rechtsethische Reflexion lassen sich auch Kategorien aus dem Kondominium von Recht und Moral wie Pflicht, Gesinnung, Gewissen, Vertrauen, Schuld, Verantwortung und Toleranz kaum zureichend verstehen. Entsprechend stehen grundlegende Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Eigentum sowie die grundrechtlich geschützten (Einzel-) Freiheiten in einer rechtsethischen Dimension. Gleiches gilt für dem Juristen vertraute Begriffe wie Gemeinwohl, Billigkeit, Rechtsmißbrauch, Treu und Glauben, gute Sitten oder ganz generell für allgemeine Rechtsgrundsätze. Zu fragen ist auch nach einer spezifischen Tugend, einem rechtlichen Ethos. Man wird es in der Rechtlichkeit finden, d. h. der grundsätzlichen habituellen Bereitschaft, sich mit Rücksicht auf die Achtung vor dem Mitmenschen den Anforderungen des Rechts entsprechend zu verhalten. Zur R. i. w. S. gehört auch die Ethik der Rechtsberufe. Diese stehen in Anbetracht ihrer Bedeutung für das Gemeinwesen und ihrer Relevanz für die Lebenspraxis der Bürger allesamt unter einem hohen moralischen Anspruch. Das gilt für den Richter in prononcierter Weise, aber suo modo auch für den Staatsanwalt oder den Juristen in der Verwaltung, der Wirtschaft und den Verbänden, nicht zuletzt für den Rechtsanwalt. Der Rechtswissenschaftler vermittelt die Beziehungen zu einer Ethik der Rechtswissenschaft. b) Die R. gehört in den Kreis der zahlreichen Spezial-Ethiken; ihr kommt aber eine besondere Funktion zu. Insofern sie das Verhältnis von Moral und Recht zu ihrem Gegenstand hat, geraten alle anderen Ethiken vor ihr Forum, sobald es um die Frage der Umsetzung moralischer Vorstellungen in rechtsverbindliche Normen geht. Demgemäß wird sie potentiell aus allen anderen Spezial-Ethiken gespeist; das Recht hat es in seiner Allbezüglichkeit virtuell mit der Sphäre des Moralischen im ganzen wie in dessen einzelnen Teilen zu tun. c) Die aktuelle Situation wird von zwei Grundproblemen beherrscht: von Verschiebungen und Verwerfungen im Verhältnis von Moral und Recht sowie von der Frage nach der ethischen Kompetenz des Staates. (1) Das Recht kann es sich leisten, „ethisches Minimum" (G. Jellinek) in einer Gesellschaft zu sein, die in festgefügter Tradition aus einem moralischen Konsens lebt und in der es eine Sozialmoral von breiter Akzeptanz gibt. Diese Voraussetzung ist indes heute nicht mehr erfüllt. Es herrscht ein weitgehender ethischer Pluralismus. Konnte das Recht früher in ethisch sensiblen Bereichen eine dienende subsidiäre Rolle spielen, so kommt ihm jetzt eher eine dominierende Funktion zu,
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ja es muß heute vielfach die Stelle der Moral vertreten. Für viele macht etwa die Feststellung, daß das, was rechtlich erlaubt ist, noch nicht eo ipso moralisch erlaubt ist, keinen Sinn mehr. Damit kommt dem Recht einerseits eine gesteigerte Verantwortung für das sozialethische Fundament des Gemeinwesens zu, andererseits besteht die Gefahr, daß es mit solcher Substituierung der Moral überfordert wird. Jedenfalls aber wird die normative Kraft des rechtlich Normativen prekär, wenn sie keine Stütze in der normativen Kraft des moralisch Normativen findet. (2) Die Verantwortung des Staates für das Recht schließt diejenige für R., mithin für das ethische Fundament von Recht und Staat, ein. Gewiß ist der freiheitliche Verfassungsstaat nicht Wahrheits- und Tugend-Ordnung, sondern Friedensund Freiheits-Ordnung (E.-W. Böckenförde). Aber eben diese stützt sich auf den sittlich selbstverantwortlichen Bürger und lebt so letztlich aus dessen moralischer und religiöser Substanz. Im Hinblick darauf ist der Staat z. B. legitimiert, in Ausrichtung an von Verfassungs wegen festgelegten Zielen als Erziehungsträger zu wirken, in der Schule im Zusammenhang mit Wissen und Bildung ein Wertebewußtsein zu vermitteln, ja gegebenenfalls in aller Form Ethikunterricht zu veranstalten. Aber auch darüber hinaus ist es ihm nicht verwehrt, zumindest mittelbar der Pflege moralischer Kultur Sorge angedeihen zu lassen. Die R. ist dafür ein wichtiges Bindeglied. Literatur A. Egger, Über die R. des Schweizerischen Zivilgesetzbuches. Zürich 1939, 21950. E. Forsthoff, Der moderne Staat und die Tugend, in: Tymbos für Wilhelm Ahlmann. Berlin 1951, 80 ff.; auch in: Politik und Ethik. Hrsg. H.-D. Wendland. Darmstadt 1969, 336 ff. K. Larenz, Richtiges Recht. Grundzüge einer R. München 1979. - Katholizismus, R. und Demokratiediskussion 1945-1963. Hrsg. A. Rauscher. Paderborn 1981. - H. Schambeck, Richteramt und Ethik. Berlin 1982. - N. Hoerster, R. ohne Metaphysik, in: JZ 37 (1982) 265 ff., 714 ff. - J. C. Joerden, Ist R. ohne Metaphysik begründbar?, in: ebd., 670 ff. K. Lehmann, Politik - Moral - Recht, in: HK 40 (1986) 530 ff. - H. Schambeck, Ethik und Staat. Berlin 1986.
Rechtswissenschaft I. Begriff und Terminologie. - II. Gegenstand und Ziel. - III. Aufgaben und Gebiete. - IV. Wissenschaftspflege - Institutionen der Rechtswissenschaft. - V. Rechtswissenschaft und Rechtspraxis. - VI. Grundlinien der Wissenschaftsgeschichte. - VII. Zur wissenschaftssystematischen und -theoretischen Standortbestimmung
I. Begriff und Terminologie R. zielt auf methodisch erarbeitetes, systematisch geordnetes, objektiv gesichertes, lehr- und lernbares rationales Wissen vom Recht. Da Recht und Staat eng zusammenhängen, ist R. zugleich der Teil der Staatswissenschaft, der sich mit den rechtlichen Strukturen und dem rechtlichen Handeln des Staates befaßt. Die Bezeichnung der Wissenschaft vom Recht als R. ist erst im 19. Jh. üblich geworden. Bis dahin herrschte „Jurisprudenz" vor. Heute werden R. und Jurisprudenz teils synonym gebraucht, teils unterschieden. Dabei wird der Ausdruck „Jurisprudenz" bevorzugt, wenn Zweifeln am Wissenschaftscharakter der R. Raum gegeben oder wenn gerade ohne Anspruch auf Wissenschaftlichkeit positiv die besondere Eigenart der Jurisprudenz als praktische „Kunst" und „Rechtsklugheit" hervorgehoben werden soll. Im Französischen bedeutet „jurisprudence" Rechtsprechung und Judikatur im Unterschied zu „doctrine" als der wissenschaftlichen Lehre vom Recht. Im Englischen meint, jurisprudence" soviel wie Rechtstheorie oder Allgemeine Rechtslehre.
II. Gegenstand und Ziel Gegenstand der R. ist die Gesamtheit der rechtlichen Regeln und rechtlich geordneten Einrichtungen des menschlichen Soziallebens: in Ehe und Familie, in der Gruppe, im Verband, in Religionsgemeinschaften und Kirchen, im Staat, in überund zwischenstaatlichen Gemeinschaften, kurzum: die Rechtsordnung in ihren unterschiedlichen Gestalten. Dabei sind Normen und Institutionen sozusagen ihr Basis-Material. Sie hat sich aber auch mit der Schaffung und Anwendung von Normen sowie mit der Handhabung des „Rechts-Apparats" durch den „Rechtsstab" zu befassen. Ebenso interessiert sie sich für die innere Seite des Rechts, nämlich für Erstveröffentlichung in: Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft. 7., völlig neu bearb. Aufl., Freiburg (Breisgau): Herder, 1985-1993, Bd. 4 (1988), Sp. 751-760.
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Meinungen über das Recht und Einstellungen zum Recht, für Rechtsgefühl und Rechtsbewußtsein. Objekt der R. ist mithin „das ganze Ordnungsgefüge aus Rechtssätzen, -einrichtungen, -tatsachen, -gedanken und -erlebnissen" (Erik Wolf). In alledem ist die R. rechtsethischen Grundwerten (Rechtsethik) und zuhöchst der Leitidee der Gerechtigkeit verpflichtet, die sie zur Anschauung und zur Geltung zu bringen hat. Wollte sie sich einem bloßen Formalismus oder Funktionalismus in Form einer Sozialtechnologie verschreiben, würde sie ihre Aufgabe als „Gerechtigkeitswissenschaft" (E. Fuchs) verfehlen, damit auch das Ziel, zu ihrem Teil dem Menschen zu dienen, insofern das Recht notwendig zur „conditio humana" gehört. Sie würde zur „Rechtswissenschaft ohne Recht" (L. Nelson).
III. Aufgaben und Gebiete Die R. ist traditionell in einzelne Disziplinen gegliedert. Das Kernstück bildet die Rechtsdogmatik als Lehre vom geltenden Recht. Ihr Gegenstand ist die „lex lata"; sie hat durch Interpretation Sinn und Begründungszusammenhang der einzelnen Rechtssätze und Rechtsinstitute aufzuweisen, sie auf tragende Rechtsgedanken zurückzuführen und in ein stimmiges System zu bringen. Dabei hat sie in besonderer Weise die Normanwendung zu analysieren und kritisch zu begleiten. Vielfach wird sie als R. im eigentlichen oder engeren Sinne aufgefaßt. Eine rechtsdogmatische Disziplin ist auch die Rechtsvergleichung, insofern es in ihr um die Erkenntnis des anderswo geltenden Rechts geht, aber auch weil rechtsvergleichende Befunde zum Verstehen und gegebenenfalls zur Fortbildung des eigenen Rechts herangezogen werden können. R. erschöpft sich indes keineswegs in Rechtsdogmatik. Vielmehr umfaßt sie auch diejenigen Disziplinen, die sich mit den philosophischen, gesellschaftlichen und geschichtlichen Grundlagen des Rechts befassen. In diesem Sinne ist es üblich, drei Basis-Disziplinen oder Grundlagenfächer hervorzuheben: Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsgeschichte. Sie haben freilich im Gesamt der Wissenschaften einen Doppelstatus, denn sie gehören auch zur Philosophie, Soziologie und Geschichtswissenschaft. In gleicher Weise wäre die Rechtstheologie einzugruppieren, die freilich keine etablierte Disziplin darstellt, wohl aber die bedeutsame Frage nach den theologischen Grundlagen des Rechts überhaupt, des Kirchenrechts im besonderen, zum Gegenstand hat. Die neue Disziplin der Rechtsinformatik (Informatik) als Lehre von der mit technischen Hilfsmitteln betriebenen Verarbeitung von Informationen im Dienste des Rechts wird man mit der Methodenlehre am ehesten den Grundlagenfächern zuzuordnen haben. Als der Rechtssoziologie zugehörig darf man die bislang freilich erst in Ansätzen erkennbare „Soziologie der Jurisprudenz" ansehen. In einem nahen Verhältnis zur R. steht eine Reihe von Nachbar- oder Komplementärwissenschaften, so die Kriminologie, die Wissenschaft vom Strafvollzug, die Rechtsmedizin, die Politikwissenschaft, nicht zuletzt die Wirtschaftswissenschaft
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mit ihren einzelnen Zweigen. Eine Sonderstellung nimmt die Rechtspolitik ein. Als systematisch entfaltete Lehre von der Fortbildung und Verbesserung des Rechts, die Erörterungen „de lege ferenda" anstellt, wird sie aus allen Bereichen der R. und der Komplementärwissenschaften gespeist. Alle anderen Einteilungen sind der skizzierten Struktur nachgeordnet. Das gilt namentlich für die heute weithin üblich gewordene Aufgliederung in die vier „Kernfächer" - so § 5a Abs. 2 DRiG - Bürgerliches Recht CPrivatrecht ), Strafrecht, Öffentliches Recht und Verfahrensrecht (Verfahren, Verfahrensrecht), die ihrerseits wieder Untergliederungen aufweisen, aber auch für weitere, über den staatlichen Bezugsrahmen hinausführende Gebiete wie Völkerrecht, Europarecht oder Kirchenrecht. Solche Unterscheidungen und die weiteren Verästelungen machen auf die Vielfalt und Differenziertheit des rechtswissenschaftlichen Aufgabenfeldes aufmerksam, auf dem zwar die klassischen Materien einer Art „iurisprudentia perennis" ihren Standort behaupten, wo sich aber auch Neues herausbildet, man denke an Sozialrecht, Medienrecht (Medien II), Umweltrecht (Umwelt, Umweltschutz III), auch an Weltraumrecht (Weltraum II). Um so mehr kommt es darauf an, gegen den Trend zu immer weiterer Auffächerung und Spezialisierung Gegengewichte zu entwickeln und - wie die Einheit der jeweiligen Rechtsordnung als solcher - unter dem Anspruch der leitenden Zielvorgabe und mit Hilfe gemeinsamer Methoden die wissenschaftliche Einheit in der Vielfalt der einzelnen Disziplinen zu wahren und in systematischer Ordnung zur Darstellung zu bringen.
IV. Wissenschaftspflege - Institutionen der Rechtswissenschaft Träger der Forschung und Lehre auf dem Gebiet der R. sind die juristischen Fakultäten oder Fachbereiche an den Universitäten mit ihren Lehrstühlen und Instituten bzw. Seminaren. In der Bundesrepublik Deutschland bestehen nur noch in Bonn und in Saarbrücken Rechts- und Staats- bzw. Wirtschaftswissenschaftliche Fakultäten, wie es einer im 19. Jh. aufgekommenen Entwicklung entspricht. Auf wissenschaftlicher Grundlage erfolgt juristische Lehre auch an einigen Fachhochschulen. Allein der Forschung gewidmet sind die juristischen Institute der „MaxPlanck-Gesellschaft" (Forschung I I 2): für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Heidelberg), für ausländisches und internationales Privatrecht (Hamburg), für ausländisches und internationales Strafrecht (Freiburg), für europäische Rechtsgeschichte (Frankfurt), für Gewerblichen Rechtsschutz, Urheber- und Erfinderrecht (München), für ausländisches und internationales Sozialrecht (München). Foren der Wissenschaftspflege sind ferner die zahlreichen wissenschaftlichen Vereinigungen (z. B. „Deutscher Rechtshistorikertag", „Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer"), denen Gelehrte aus der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz und aus Österreich angehören, oder die international organisiert sind (so die „Internationale Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie", mit nationalen Sektionen). Das aus der notwendigen Verwiesenheit von Recht und Staat folgende nationale Gepräge ist in der R. nach wie vor vergleichsweise stark. Aber die
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Grundlagenfächer, die internationalrechtlichen Disziplinen und nicht zuletzt die auch in der klassischen Rechtsdogmatik heimisch gewordene Rechtsvergleichung eröffnen ein Feld der wiss. Kommunikation über Staats- und Systemgrenzen hinweg. Dabei bewähren sich immer noch Elemente der lat. Rechtssprache und des römischen Rechts als eine Art juristische „koine" oder Esperanto. Die R. teilt mit anderen Wissenschaften, was Publikationen anlangt, die üblichen wissenschaftlichen Formen: Hand- und Lehrbuch, Monographie, Jahrbuch, Zeitschrift, Festschrift. Eine spezifische Rolle spielen der Kommentar (zu Gesetzen) und die Besprechung (Rezension) von richterlichen Entscheidungen. Eine charakteristische, historisch alte Arbeitsform ist auch das Gutachten, das im Rahmen eines Prozesses oder eines sonstigen Verfahrens erstattet wird. In der Bundesrepublik Deutschland, ähnlich auch in Österreich und in der Schweiz, erfolgt die juristische (Grund-)Ausbildung an den juristischen Fakultäten. Von studienbegleitenden Leistungskontrollen (Zwischenprüfung), von eventuellen Sonderformen für ausländische Juristen (Graduierung zum „magister legum") sowie von Promotion und Habilitation abgesehen, liegt das Prüfungswesen organisatorisch in der Hand staatlicher Prüfungsämter (im Rahmen der Justizministerien oder diesen zugeordnet). Die Universitätslehrer sind aber an der Durchführung der Prüfungen maßgebend beteiligt. Andererseits schreiben staatliche Prüfungsordnungen die Struktur des Studienganges und den Prüfungsstoff weithin vor. Das hat Einfluß auf die konkrete Gestalt der Pflege der Wissenschaft an den Fakultäten, deren Lehr- und Forschungsfreiheit durch den Ausbildungszweck der Universität beschränkt wird.
V. Rechtswissenschaft und Rechtspraxis Ist schon das Ausbildungswesen in gewisser Weise ein Kondominium von Wissenschaftlern und Praktikern, so besteht auf Grund der historischen Entwicklung und der Struktur der dt. Rechtsordnung ein enges Beziehungsgeflecht, ja Interdependenzverhältnis von Wissenschaft und Praxis, zwischen den Rechtslehrern und den in der Rechtspflege (i. w. S.) tätigen Juristen (Richter, Staatsanwalt [Staatsanwaltschaft], Rechtsanwalt, Notar). Die Rechtskultur ist eine wissenschaftlich geprägte, von wissenschaftlich ausgebildeten „professionals" getragene Rechtskultur, in der die Wissenschaft sich zu der Aufgabe bekennt, für die Praxis Orientierungs- und Entscheidungshilfen zu geben, in der umgekehrt die Praxis den Rat der Wissenschaft sucht und mit wissenschaftlichen Methoden arbeitet. Wissenschaft begleitet Praxis kritisch; aus der Praxis, insbes. aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, kommen immer wieder Impulse für die Wissenschaft, ja ergeben sich oft geradezu Abhängigkeiten. „Die Inhalte des Studiums berücksichtigen die rechtsprechende, verwaltende und rechtsberatende Praxis" (§ 5 a Abs. 3 DRiG): Diese Aussage beschreibt einen Zustand, enthält aber zugleich auch ein Postulat. Die R. als solche ist zwar keine Rechtsquelle (mehr). Aber von ihr formulierte
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Rechtsgedanken und Sätze können, vor allem wenn sie zur „herrschenden Lehre" geworden sind, für die Ausbildung von Richterrecht Bedeutung erlangen und damit zu einem Element des geltenden Rechtes werden. In allgemeinen juristischen Vereinigungen wie dem Deutschen Juristentag wirken Universitätsjuristen und „Praktiker" eng zusammen. Die Universitäten ziehen vielfach Praktiker als Lehrbeauftragte heran oder berufen sie bisweilen auf Lehrstühle. Auch umgekehrt besteht keine strenge Inkompatibilität. Universitätslehrer können nebenamtlich Richter an den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Gerichtsbarkeit, Gerichtsverfassung) sowie der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit sein. Im Strafprozeß (§ 138 StPO) können die Rechtslehrer an dt. Hochschulen zum Verteidiger gewählt werden. Besonders sinnfällig ist der Anteil von Universitätslehrern an der Zahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts, nämlich 6 von 16 (1988); es handelt sich dabei um die einzige berufliche Tätigkeit, die mit der Richtertätigkeit am BVerfG vereinbar ist.
VI. Grundlinien der Wissenschaftsgeschichte Mit der Erscheinungsform von R. heute sind ein institutionelles Gefüge und ein Aufgaben- und Ideenkomplex erfaßt, die eine lange Geschichte hinter sich haben. Diese steht ihrerseits in einem engen Korrespondenzverhältnis zur allgemeinen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte. Sie mit ihren Entwicklungsphasen und ihren wechselnden Stilformen zu erhellen ist Aufgabe einer spezifischen „Geschichte der Rechtswissenschaft" (als Bezeichnung einer Disziplin oder eines besonderen Forschungsgegenstandes erst seit Beginn dieses Jahrhunderts gebräuchlich). Stand die Wiege der Rechts- und Staatsphilosophie in Griechenland, so die der Jurisprudenz in Rom. In einer „hochgemuten" Aussage {Erik Wolf) wurde sie dort bezeichnet als „Kenntnis der menschlichen und göttlichen Dinge", als „iusti atque iniusti scientia" (D. 1, 1, 10), gewidmet dem Recht als der „ars boni et aequi" (D. 1, 1, 1). Sich aus dem Zuständigkeitsbereich der Priester herauslösend und sich von der Rhetorik unterscheidend, fand sie Niederschlag in Gutachten juristischer Sachverständiger und in den Edikten des Prätors, später dann in der von bedeutenden Juristenpersönlichkeiten (wie Labeo, Celsus, Julian, Papinian, Gaius, Paulus, Ulpian) getragenen Rechtsliteratur der Früh-, Hoch- und Spätklassik. Zwar blieb das Rechtsdenken stark dem einzelnen „Fall" verhaftet, aber es zeigten sich früh über Kasuistik hinaus Ansätze zu methodischer Reflexion, zu Begriffs- und Regelbildung sowie zur Klassifizierung. Professionalisierung und Schaffung von Institutionen der Wissensvermittlung („Rechtsschulen") kennzeichnen die weitere allgemeine Entwicklung. Im Rahmen der Kodifikation des römischen Rechts durch Kaiser Justinian (6. Jh.) waren es insbes. die Digesten, die die Leistungen römischer Jurisprudenz für die Nachwelt bewahrten. In den Anfängen des mittelalterlichen Universitätswesens konnte daran angeknüpft werden. Beginnend mit Irnerius in Bologna (um 1100), kam es zu einer
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juristischen Renaissance. Man wandte sich mit scholastischer Methode und im Geist politischer Kontinuität zwischen römischem und mittelalterlichem Kaisertum dem im „Corpus iuris civilis" bis zu einem gewissen Grad schon aufbereiteten Stoff zu, glossierte und kommentierte ihn. Es begann sich eine „Fachjurisprudenz mit wissenschaftlichem Anspruch" zu bilden (Th. Mayer-Maly), es entwickelte sich „gelehrtes Recht". Die sich so mehr und mehr mit Hilfe von Universitätsjuristen verfeinernde Rechtskultur war aber zweipolig. Der Pflege des ius civile (i. S. v. römischem Recht überhaupt) trat seit dem Wirken von Gratian (Mitte des 12. Jh.) ebenbürtig an die Seite die Pflege des „ius canonicum". Beides zusammen macht das „ius utrumque" aus, das auch für wissenschaftliche Behandlung und Ausbildung maßgebend wurde. „Ius civile et canonicum sunt adeo connexa ut unum sine altero vix intelligi possit", so lautet eine Sentenz aus dem 14. Jh. Auf dieser Basis vollzog sich der Vorgang der Rezeption, der nicht Fremdes aufoktroyierte, sondern das „gemeine Recht" als das für ganz Europa maßgebende Recht zur Geltung zu bringen suchte. Demgemäß wird heute ein entscheidendes Wesenselement der Rezeption in der „Verwissenschaftlichung" (F. Wieacker) gesehen. In der weiteren Entwicklung gewann zunächst der Humanismus bedeutsamen Einfluß. Er führte gegenüber der Aufbereitung autoritativer Texte für die Praxis zu einer die Autoritätsbindungen relativierenden Bevorzugung philologisch-historischer, auch textkritischer, mithin stärker „akademischer" Arbeit. Das Etikett „mos gallicus" (in Entgegensetzung zu „mos italicus") weist darauf hin, daß es insbes. französische Juristen (Schule von Bourges) gewesen sind, die diesen Stil pflegten. Auch dt. Juristen, wie insbes. Ulrich Zasius, wurden von ihm geprägt. Späterhin trat mit dem sog. „usus modernus pandectarum" wieder eine stärker auf praktische Anwendung ausgerichtete Tendenz der wissenschaftlichen Behandlung auf den Plan (repräsentativ Samuel Stryk, 1640-1710). Darin spiegelten sich deutlich auch die Anforderungen wider, die im Zuge des Ausbaus des modernen Territorialstaats an die Jurisprudenz und die Juristen als maßgebende Funktionäre gestellt wurden. Eine Epochenschwelle bedeuten, unbeschadet aller Elemente der Kontinuität, das Aufkommen und die zunehmende Dominanz des Vernunftrechts als Ausprägung einer ganz vom Begriff der „ratio" als Wesenselement der menschlichen Natur her konzipierten Naturrechts-Lehre. In Deutschland sind, nach den Anfängen bei H. Grotius und Johannes Althusius, insbes. S. v. Pufendorf, Chr. Thomasius und Christian Wolff zu Repräsentanten dieses Denkens geworden. Es löste sich im Sinne einer Säkularisierung aus theologischen Begründungszusammenhängen und kirchlichen Bindungen und verschaffte so auch der Jurisprudenz Eigenstand. Es wandte sich kritisch gegen historisch Überkommenes und zog es vor den „Richterstuhl der Vernunft". Vernunftrechtliches Denken faßt den Menschen, nicht die Menschen ins Auge (G. Dahm), entsprechend den Staat, nicht die Staaten. Damit ging, nicht unbeeinflußt durch René Descartes und G. W. Leibniz, verstärkte methodologische Reflexion einher, vor allem aber hat sich vernunftrechtliches Denken in großen wissenschaftlichen System-Entwürfen niedergeschlagen, die für die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz maßgebend wurden. Das Bündnis mit
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dem aufgeklärten Absolutismus führte außerdem zu zahlreichen rechtsreformerischen Maßnahmen und schließlich zu großen systematisch fundierten Kodifikationen. R. wurde unmittelbar praktisch. Um die Wende vom 18. zum 19. Jh. machte als Gegenbewegung die Historische Rechtsschule in ihrem romanistischen (F. C.v. Savigny) und ihrem germanistischen Zweig (Karl Friedrich Eichhorn , Jakob Grimm) gegenüber dem Rationalismus der vernunftrechtlichen Ära wieder geschichtliches Denken geltend (Rechtsgeschichte 3); sie erkannte den Logos des Rechts nicht in seiner Vernünftigkeit, sondern in seiner Geschichtlichkeit, ohne dabei allerdings einem historistischen Relativismus zu verfallen. Zugleich versuchte sie, Impulse von /. Kant , später z. T. auch von G.W. F. Hegel aufnehmend, den Charakter der Jurisprudenz als Wissenschaft mit entsprechender Gewichtung von Methode und System unter einer leitenden Idee neu zu bestimmen und deren Autonomie gegenüber der Praxis zu verstärken. Sie mündete freilich in einer Denk- und Arbeitsweise, die das Recht weithin aus seinem gesellschaftlich-politischen Kontext herauslöste und ganz auf die fachspezifische Autarkie von „Begriff 4 , „Konstruktion" und „System" setzte. „Begriffsjurisprudenz" oder „wissenschaftlicher Rechtspositivismus und Formalismus" dienen hierfür als allgemeine Kennzeichnungen. Georg Friedrich Puchta und der frühe R. v. Ihering gelten als Repräsentanten dieser Anschauungsweise, die in der Pandektenwissenschaft vorherrschte, aber etwa auch auf das Öffentliche Recht (Staatsrecht) übergriff. Zu den sich dagegen am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jh. wiederum formierenden Gegenkräften gehören die Interessenjurisprudenz, die Freirechtsbewegung und die Anfänge einer wissenschaftlichen Rechtssoziologie (Max Weber), die sachlich mit einer vor allem außerhalb Deutschlands (in Skandinavien, in England und in den USA) hervortretenden Tendenz eines „legal realism" verwandt ist. Eine Schlüsselfigur in der Auseinandersetzung mit Positivismus und Formalismus ist O. v. Gierke. Auch die beginnende Erneuerung der Rechtsphilosophie (Neukantianismus, Neuhegelianismus, Phänomenologie) sowie das Aufkommen einer ausgesprochen geisteswissenschaftlichen Orientierung in der Jurisprudenz haben dazu beigetragen, die R. aus dem Bann einer dominierenden Konzeption zu lösen, wobei sich freilich in den einzelnen Sparten jeweils spezifische Entwicklungen abspielten. Andererseits mangelte es an einem Konsens in entscheidenden Grundfragen; der Methoden- und Richtungsstreit in der dt. Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit ist hierfür exemplarisch (H. Kelsen, C. Schmitt, R. Smend). So konnte nicht erwartet werden, daß die R. in Deutschland ein Bollwerk gegen den Nationalsozialismus mit seinem Postulat „völkischer Wissenschaft" bilden würde; eher zeigte sie sich anfällig für eine ideologische Indienstnahme und Instrumentalisierung, wodurch sie sich vom Standard der Wissenschaftskultur in der westlichen Welt zunehmend entfremdete. Durch die Emigration jüdischer Wissenschaftler verlor sie zudem Gelehrte von Rang und auch vielversprechende Nachwuchskräfte. Doch schloß das bedeutsame wissenschaftliche Leistungen im einzelnen keineswegs aus.
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Die Erneuerung der R. nach 1945 vollzog sich vornehmlich im Zeichen der Auseinandersetzung mit Relativismus und Positivismus, die man für das Debakel der NS-Herrschaft und das Versagen der R. mitverantwortlich machte. Zwar konnte die „ewige Wiederkehr des Naturrechts" (H. Rommen) die „ewige Wiederkehr des Positivismus" nicht verhindern, aber in dem Phänomen der sog. Wertungsjurisprudenz, die, begünstigt durch eine wertorientierte Verfassungsordnung, auf der Anerkennung unbeliebiger rechtsethischer Fundamentalprinzipien aufbaut, zeigte sich doch ein konstruktiver Ansatz für eine R. jenseits der in dieser Form unfruchtbaren Alternative „Naturrecht oder Rechtspositivismus". Kräftige neue Impulse sind dann namentlich von der Wiederbelebung der Topik ( Theodor Viehweg) und von der Entfaltung der hermeneutischen Philosophie (Hans-Georg Gadamer) ausgegangen. Naturgemäß hat auch der seit Mitte der 60er Jahre aufgekommene Disput über Marxismus, analytische Philosophie, kritischen Rationalismus und Systemtheorie (System, Systemtheorie) die R. nicht unberührt gelassen. Das hat der Behandlung von Fragen der Methoden- und Argumentationslehre und auch der Wissenschaftstheorie Auftrieb gegeben und vielfältige Versuche herausgefordert, Grund und Grenze der Rechtsdogmatik, das Verhältnis von Theorie und Praxis sowie von „juristischer Entscheidung und wissenschaftlicher Erkenntnis" (W. Krawietz) neu zu reflektieren. Heutige R. ist von ihrer Notwendigkeit und Unentbehrlichkeit für die Praxis des öffentlichen Gemeinwesens in einer verwissenschaftlichten Welt überzeugt, im Bewußtsein ihrer Fragwürdigkeit und Gefährdetheit aber von Selbstsicherheit und Uniformität weit entfernt.
VII. Zur wissenschaftssystematischen und -theoretischen Standortbestimmung Daß R. im Gegenüber von „sciences" und „humanities" (Methode III), von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften, zu den letzteren gehört, ist selbstverständlich; das Recht ist eine Hervorbringung menschlichen Geistes und nicht naturhaft gegeben, auch wenn es als Sollensordnung auf eine seinshaft-naturale Basis verwiesen ist. Mit der gleichen Grunderwägung kann man die R. auch den Kulturwissenschaften zuordnen und dabei besonders akzentuieren, daß das Recht ebenso ein Kulturprodukt wie seinerseits ein die Kultur mitprägender Faktor ist. Das versucht neuerdings etwa der von Peter Häberle propagierte kulturwissenschaftliche Ansatz in der Jurisprudenz zur Geltung zu bringen. Insofern es im Recht zentral um die Sozialexistenz des Menschen und seine Einordnung in soziale Institutionen und Prozesse geht, steht nichts im Wege, die R. als eine Sozialwissenschaft aufzufassen, unter der Voraussetzung freilich, daß man diesen Begriff nicht unsachgemäß verengt oder ihn gar - mit dem Ziel der „Entlarvung" oder „Verunsicherung" - der R. entgegensetzt. Die R., insonderheit die Rechtsdogmatik, bewahrt freilich trotz aller Zusammenhänge im Kontext der anderen Sozialwissenschaften ihre Eigenart. Dieses proprium kommt vornehmlich in folgenden Qualifikationen zum Ausdruck:
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(1) Die R. ist praktische Sozial Wissenschaft, da sie auf den Menschen als in der Sozietät handelndes Wesen bezogen ist und mit dazu beiträgt, dem Menschen Orientierung im (sozialen) Handeln zu vermitteln. Sie stellt eine praktische Wissenschaft aber auch in dem Sinne dar, daß sie im Hinblick auf die Funktionen des Rechts anwendungsbezogen ist, sich also mit „Theorie" nicht begnügen kann. (2) Die R. ist hermeneutische (Verstehens-)Wissenschaft. Eine wesentliche Aufgabe besteht in der Interpretation von vorgegebenen Norm-Texten oder doch jedenfalls von satzhaft formulierbaren normativen Aussagen. Sie verfährt aber hermeneutisch auch insofern, als sie konkrete soziale Wirklichkeit auslegt; denn zur Text-Hermeneutik tritt die Sachverhalts- oder Fall-Hermeneutik, und erst darin, daß „Norm" und „Fall" in Entsprechung gebracht werden, vollendet sich bei der Rechtsfindung der hermeneutische Prozeß. (3) R. ist schließlich normativ-dezisive Wissenschaft („Entscheidungswissenschaft"). Ihr „Material" sind verbindliche, autoritativ vorgegebene Normen, an deren Vorbereitung und Fortentwicklung sie freilich in unserer verwissenschaftlichten Rechtskultur selbst maßgebend beteiligt ist. Normen sind im Hinblick auf ihre Geltung mehr als empirisch vorfindliche Fakten, sie sind auch nicht bloße Faktoren oder Gesichtspunkte, die bei der argumentativen Problemerörterung zu berücksichtigen wären. Damit steht das Recht und mit ihr die R. in einer prinzipiell unausweichlichen Wert-Relationalität, da den Normen Wertungen, d. h. Überzeugungen vom (rechtlich) Guten bzw. Richtigen zugrunde liegen. Generell-abstraktes Normieren, individuell-konkretes Rechtsanwenden und erst recht richterliches Entscheiden - und R. bereitet darauf vor - heißt im Kern „be-werten" im Sinne inhaltlichen Qualifizierens und Festlegens von Präferenzen. Es geht mithin nicht nur um die Erkenntnis und systematische Ordnung von Normen, sondern auch um konkrete Sinndetermination oder Dezision in der Festlegung oder Anwendung einer Norm. Zwar entscheidet die Wissenschaft als solche nichts, dafür fehlt ihr im demokratischen Gemeinwesen die rechtliche Kompetenz und politische Legitimation. Aber die wissenschaftliche Aufbereitung des Rechtsstoffes und auch die wissenschaftliche Ausbildung der Juristen sind in starkem Maße hingeordnet auf den Entscheidungscharakter des Rechts als einer verbindlichen Sollensordnung. Aus dem Wertbezug und der Werturteilshaftigkeit des Rechts und seiner Abhängigkeit von Setzungen werden freilich immer wieder Bedenken gegen die Wissenschaftlichkeit der R. hergeleitet, ja wird ihr der Wissenschaftscharakter abgesprochen. Das wäre aber nur dann durchschlagend, wenn man den Wissenschaftsbegriff ungeschichtlich und auch philosophisch unsachgemäß auf das Konzept der Naturwissenschaften oder eines formalen Szientismus festlegen wollte. Jurisprudenz wird nicht dadurch zur Unwissenschaft, daß sie es mit einem Gegenstand zu tun hat, bei dem das Werten und Entscheiden zur Sache selbst gehört. Andererseits bedeutet die Wertrelationalität von Recht und R. alles andere als eine Absage an das wissenschaftliche Grundpostulat der Rationalität und damit an das Gebot der methodisch geleiteten, argumentativen Vermittlung von normativen Aussagen bzw. Entscheidungen. Diese müssen nachvollziehbar und kontrollierbar sein. Rechts-
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logik und Argumentationslehre, überhaupt die juristische Methodologie haben hier einen wichtigen Dienst zu leisten. Versteht man so die Jurisprudenz, unbeschadet ihrer Eigenart, als ein Glied in der „Familie" der Sozialwissenschaften, so kann man die bisweilen erhobene Forderung nach einer „sozialwissenschaftlich informierten Jurisprudenz" (A. Rinken ) nur dahin verstehen, daß sie sich nicht gegenüber anderen Sozialwissenschaften abschottet, sondern im gemeinsamen Bemühen um die Erfassung der vollen Wirklichkeit deren Erkenntnisse und Ergebnisse zur Kenntnis nimmt und, soweit das für ihre normative Aufgabe von Bedeutung ist, verarbeitet. Man wird freilich entsprechend in anderer Stoßrichtung fordern dürfen, daß die benachbarten Sozialwissenschaften sich ihrerseits als rechtswiss. informiert erweisen. In Anbetracht ihres Gegenstandes und ihrer Aufgabe steht die R. notwendig in Beziehung zum politischen System, in dem sie ihren Platz hat. Sie trägt dafür zu ihrem Teil öffentliche Mitverantwortung neben den Trägern der politischen Entscheidungskompetenzen. Deshalb betrifft sie in besonderer Weise die Norm des Grundgesetzes: „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung" (Art. 5 Abs. 3 S. 2). Andererseits geht R. in ihrer Beziehung zum politischen System nicht auf. In Sachlichkeit geführte kritische Auseinandersetzungen mit der Verfassung und deren Auslegung durch die Gerichte, erst recht mit der einfachgesetzlichen Rechtsordnung und deren Handhabung durch Justiz und Verwaltung gehört zu ihrem Auftrag. Ihre Freiheit und (partei-)politische Neutralität ist gerade die politische Funktion, die sie im Gesamtgefüge der gesellschaftlichen und staatlichen Potenzen im öffentlichen Gemeinwesen besitzt. Genau darauf bezieht sich auch das vom Rechtswissenschaftslehrer geforderte und erwartete Ethos. Es ist das Ethos der in Freiheit und Unabhängigkeit wahrgenommenen öffentlichen Verantwortung, die sich inhaltlich an den elementaren Rechtsgütern der Verfassung und dem höchsten Ziel der Gerechtigkeit ausrichtet.
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Zur Diskussion über den Wissenschaftscharakter die Eigenart der Rechtswissenschaft:
und
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Erwägungen zum Verhältnis von Recht und Religion im Hinblick auf eine philosophische Anthropologie des Politischen Diese etwas umständliche Überschrift macht zum einen klar, daß es nur um etwas Vorläufiges, Unabgesichertes geht, allenfalls um - humboldtisch gesprochen - „Ideen zu einem Versuch.. zum anderen wird deutlich, daß ich damit unmittelbar mit Hans Ryffel ins Gespräch kommen möchte 2 . Aus diesem Zusammenhang, aber auch von der Sache selbst her, versteht sich i m übrigen, daß „Recht und Religion" das Thema „Staat und Religion" einschließt 3 .
I. Rechts- und Staatsphilosophie sowie die Allgemeine Staatslehre 4 haben i m Angesicht alter und neuer Herausforderungen allen Anlaß, sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen. Da ist die Herausforderung durch ein revitalisiertes integralistisches Denken i m Islam, das nach wie vor von der Vorstellung einer theopolitischen Einheitswelt ausErstveröffentlichung in: Vom normativen Wandel des Politischen. Rechts- und staatsphilosophisches Kolloquium aus Anlaß des 70. Geburtstags von Hans Ryffel, hrsg. v. Erk Volkmar Heyen. Berlin: Duncker & Humblot, 1984, S. 173-180 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer; 94). 1 Wilhelm von Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen (1792), in: Werke in fünf Bänden, hrsg. von Andreas Flitner/Klaus Giel, Bd. I, Darmstadt 1960, S. 56-233. 2 Vgl. den Untertitel seiner „Grundprobleme der Rechts- und Staatsphilosophie" von 1969: „Philosophische Anthropologie des Politischen". 3 Wertvolle Beiträge zu diesem Thema bei Burkhard Gladigow (Hrsg.), Staat und Religion, Düsseldorf 1981. Für den Bereich des Christentums jetzt grundlegend Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat - Gesellschaft - Kirche, in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Teilband 15, Freiburg 1982, S. 5-120. Von meinen eigenen thematisch einschlägigen Arbeiten darf ich nennen: Katholische Kirche und Katholizismus vor dem Problem der Verfassungsstaatlichkeit, in: Anton Rauscher (Hrsg.), Der soziale und politische Katholizismus. Entwicklungslinien in Deutschland, Bd. I, München 1981, S. 46-71; Zum Verhältnis von Staat und Religion, in: Festschrift für Takasuke Kobayashi (im Erscheinen). 4 Ernst-Wolfgang Böckenförde hat zu Recht unlängst kritisch vermerkt, daß in der Disziplin der „Allgemeinen Staatslehre" diesem Fragenkreis kaum Beachtung geschenkt wird: Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Religion bei Hegel, in: Der Staat, 21 (1982), S. 481-503 (481). Um so erfreulicher ist die Ausnahme: Thomas Fleiner-Gerster, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1980, insbesondere S. 279-284, 378-388.
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geht und die Unterscheidung von Geistlich und Weltlich a limine verwirft. Dem frommen Muslim ist eine Vorstellung auf der Linie des Diktums der Zinsgroschenparabel „Gebt Gott, was Gottes ist; dem Kaiser, was des Kaisers ist" (Mt 22, 21) Häresie, ja Blasphemie5. Da steht auf der anderen Seite die prinzipielle Unversöhntheit von Religion und Marxismus-Leninismus. In der albanischen Verfassung lesen wir bekanntlich6: „Der Staat erkennt keinerlei Religion an und fördert und betreibt atheistische Propaganda, um in den Menschen die wissenschaftliche materialistische Weltanschauung zu verwurzeln." Man mag das für lächerlich halten. Aber hier wird mit einer gewissen Ehrlichkeit eine Konsequenz aus der marxistisch-leninistischen Religionskritik gezogen. Deren Ziel ist ja nicht nur die Gewährleistung von Religionsfreiheit, damit vielleicht der Maxime „Religion ist Privatsache" gehuldigt werden kann, sondern ist die Befreiung von der Religion schlechthin. Die von Karl Marx begrüßte „Dislokation" der Religion aus dem Staat in die Gesellschaft 7 ist nur eine Vorstufe für die Dislokation der Religion aus dem Menschen überhaupt, damit aber für ihren Untergang, da sie dann völlig ortlos geworden wäre. Eine Herausforderung stellt aber auch die neuaufgelebte Diskussion über die sog. Zivilreligion dar 8. Feiert nicht Rousseau fröhliche Urständ9 und wird nicht auch in freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnungen Religion in ihrer moralischen Dimension als Instrument der Beförderung von Konsens und zur Stärkung der Autorität neu in Dienst genommen? Als Symptom des weiteren dann die Herausforderung durch die Friedensbewegung, soweit religiöse Menschen daran beteiligt sind und bisweilen auch das kirchliche Amt sich dafür engagiert. Kaum hat man gegenüber einer in „Theologie der Revolution" und „Theologie der Befreiung" ausufernden „politischen Theologie" klarstellende und eingrenzende Positionen markiert 10 , tut sich ein Widerstreit von 5 Für eine erste Orientierung vgl. Adel-Th. Khoury, Einführung in die Grundlagen des Islams, 2. Aufl., Graz 1981, S. 260-263; Ernst Klingmüller, Recht und Religion im Islam, in: Anton Schall (Hrsg.), Fremde Welt Islam, Mainz 1982, S. 86-98. 6 Artikel 37. Text bei Georg Brunner/ Boris Meissner (Hrsg.), Verfassungen der kommunistischen Staaten, Paderborn 1980, S. 33. In Art. 55 (S. 35) wird ein Verbot religiöser Organisationen in eine Reihe gestellt mit dem Verbot von Organisationen faschistischen, antidemokratischen und antisozialistischen Charakters. 7 Zur Judenfrage, in: Frühe Schriften, Bd. I, hrsg. von Hans-Joachim Lieber/Peter Furth, Stuttgart 1962, S. 463. 8 Grundlegend hierzu Hermann Lübbe, Staat und Zivilreligion. Ein Aspekt politischer Legitimität, in: Norbert Achterberg / Werner Krawietz (Hrsg.), Legitimation des modernen Staates, Wiesbaden 1981, S. 40 - 64 (ARSP, Beiheft 15). 9
Grundlegend dazu immer noch Karl Dietrich Erdmann, Das Verhältnis von Staat und Religion nach der Sozialphilosophie Rousseaus, Berlin 1935; vgl. ferner Hans Maier, Revolution und Kirche. Zur Frühgeschichte der christlichen Demokratie, 3. Aufl., München 1973, S. 130-137. 10 Hierfür ist insbesondere zu verweisen auf Hans Maier, Kritik der politischen Theologie, Einsiedeln 1970; ferner auf Ernst-Wolfgang Böckenförde, Politisches Mandat der Kirche? 7*
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enormen Dimensionen auf und stellt sich die Frage nach der Unterscheidung von Geistlich und Weltlich, damit aber auch der Maßgeblichkeit und Reichweite einer religiös-kirchlichen „potestas directiva" neu. Schließlich ein knapper Hinweis auf ein weiteres Problem: Neue, ungewohnte „Religionen", vor allem in Gestalt von Jugendsekten, sind aufgetreten, deren Praktiken uns so sehr zu schaffen machen, daß wir uns fragen müssen, ob man insoweit überhaupt noch von „Religion" sprechen kann und ihnen ohne weiteres Freiheit der Entfaltung gewähren darf 11 . II. Sieht man sich einem solchen Befund gegenüber und versucht man Position zu beziehen, so ist vielleicht noch am leichtesten die Auseinandersetzung mit der marxistisch-leninistischen Konzeption. Man kann sich zunächst ganz einfach auf die Desavouierung der Theorie durch die Empirie berufen und auf das Phänomen der Unausrottbarkeit von Religion in einer Umformung den bekannten, auf Natur gemünzten Horaz-Vers anwenden: „religionem expellas furca tarnen usque recurret". Aber der empirische Befund hat seinen Grund in einer tiefer liegenden Schicht. Offenbar ist Religion - verstanden im Sinne der Öffnung für und der Bindung an etwas, das den Menschen übersteigt und ihm zugleich Sinn und Halt gibt - ein Anthropologicum ersten Ranges und gerade nicht eine Erscheinungsform der Entfremdung, sondern im Gegenteil des Bei-Sich-Selbst-Seins, der Identität. Warum? Weil Religion höchste Artikulation von Freiheit ist, die im Absoluten ihren Stand hat. Dann aber ist jedenfalls die Potenz zur Religion so sehr konstitutives Element menschlicher Würde, daß Ausrottung oder auch „Euthanasie" der Religion den Menschen in seinem Wesen zutiefst verletzt, daß einer Staats- und Gesellschaftsordnung, die darauf ausgerichtet ist, die Inhumanität auf die Stirn geschrieben ist. Vielleicht muß man in der Auseinandersetzung damit gar nicht bis zu diesem Punkt vordringen. Auf einer sozusagen mittleren Ebene könnte eine mehr immanente Kritik angesetzt werden, eine Kritik nämlich an dem reduktionistisch verstandenen Begriff des Bedürfnisses. Für das Gespräch etwa zwischen Christen und Marxisten ist es ein Topos, daß eine Philosophie, die der wahren Bedürfnis-Natur des Menschen dienen will, Mißtrauen auf sich zieht, wenn sie das so fundamentale (1969), in: ders., Kirchlicher Auftrag und politische Entscheidung, Freiburg i. Br. 1973, S. 206-223. Vgl. auch die Stellungnahme der Internationalen Theologiekommission zur „Theologie der Befreiung", hrsg. von Karl Lehmann, Einsiedeln 1977 (Sammlung Horizonte, N. F. 10). 11 Aus staatskirchenrechtlicher Sicht vgl. dazu insbesondere Axel Frhr. v. Campenhausen, Neue Religionen im Abendland. Staatskirchenrechtliche Probleme der Muslime, der Jugendsekten und der sog. destruktiven religiösen Gruppen, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, 25 (1980), S. 135-172; Jörg Müller-Volbehr, Neue Minderheitenreligionen - aktuelle verfassungsrechtliche Probleme, in: Juristenzeitung, 1981, S. 41 -49.
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religiöse Bedürfnis ausklammert oder es zumindest ganz an den Rand drängt. Es bleibt indes zu bedenken, daß solche Einbeziehung der Religion in ein „System der Bedürfnisse" ihrer besonderen Qualität, nämlich ihrer Ausrichtung auf das Ganze und Absolute, wohl nicht gerecht wird. In der wissenschaftlichen Debatte könnte es aber eine Hilfserwägung immerhin sein. Die Aktualitätsbezogenheit und der Praxisbezug solcher Überlegungen liegen auf der Hand. So wird etwa in Polen in der Auseinandersetzung von Staat bzw. Partei und katholischer Kirche deutlich, daß letzten Endes die Grundstruktur des sozialistischen Staates als eines totalitären Weltanschauungsstaates auf dem Spiel steht. Der Kampf zeigt, daß der kommunistische Staat, der einer atheistisch-religionslosen Ideologie verschrieben ist, und eine unabhängige Kirche, die auch eine öffentliche Potenz darstellt, im Grunde nicht miteinander vereinbar sind. Demgemäß ist die tatsächliche Situation im Nebeneinander von Staat und Kirche dort von größter Labilität und Fragilität. Jede Duldung der Kirche ist eigentlich nur ein taktisches Zugeständnis, das keinen Anker im Prinzipiellen hat. Auf der anderen Seite ist der Kampf der Kirche nicht nur ein Kampf für sich, für ihre eigene Freiheit, vielmehr zugleich ein Kampf für die Freiheit des Menschen und der Gesellschaft überhaupt. In der sozialistischen Staatenwelt kreist die Auseinandersetzung um die grundsätzliche Existenzberechtigung von Religion und um die Sicherung von „minimum conditions" für ihre freie Entfaltung. Der Islam stellt uns demgegenüber vor die Frage, ob es noch gerechtfertigt ist, Staat und Recht für eine Religion in Dienst zu nehmen, ja eine prinzipielle Identität dieser Größen aufrecht zu erhalten. Der Beobachter aus der westlichen Staatenwelt, die aus dem Erbe des Christentums stammt, konnte im Angesicht der Entwicklung der letzten Jahre der eminent freiheitsfördernden Kulturleistung bewußt, ja geradezu froh werden, die der große historische Prozeß der Säkularisierung 12 darstellt, in dem Staat und Religion, Staat und Kirche auseinandergetreten sind. Wird auch der Islam dieser, wie es scheint, weltgeschichtlichen Notwendigkeit unterworfen sein? Keinesfalls darf man natürlich illusionistisch erwarten, daß er in wenigen Jahren die abendländische Freiheits- und Gleichheitsgeschichte nachvollzieht, die, initiiert durch das Christentum, in unserem Kulturkreis durchlaufen und durchlitten worden ist. Aber vielleicht kommt gerade insoweit einer anthropologisch begründeten Philosophie des Politischen eine spezifische Aufgabe zu. Sie wird plausibel zu machen haben, daß Achtung vor der unverfügbaren Würde des Menschen einschließt auch die Gewährleistung der negativen Freiheit, genauer: das Anerkenntnis der Freiheit, sich gegen die objektive (religiöse) Wahrheit zu entscheiden. In anderer Wendung gesagt: daß in der Situation des Widerstreits mehrerer Wahrheiten eine rechtlichstaatliche Ordnung der Koexistenz und des Friedens nur gestiftet werden kann aus 12
Aus dem neueren Schrifttum zu dieser Thematik vgl. den Sammelband von Heinz-Horst Schrey, Säkularisierung, Darmstadt 1981, ferner Martin Heckel, Korollarien zur Säkularisierung, Heidelberg 1981.
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dem Prinzip des Vor-Rechts der Person, nicht des Vor-Rechts der (religiösen) Wahrheit 13. Nicht zuletzt wird es aber auch darauf ankommen zu zeigen, daß die gegenseitige Freigabe von Staat und Religion keineswegs zu wechselseitiger Isolierung und Indifferenz oder gar zum Absterben der Religion führen muß. Es kann im Gegenteil zu einer positiven Wiederbegegnung kommen. Man kann hier auf die bekannte Formel von Ernst-Wolfgang Böckenförde zurückgreifen, wonach der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst, d. h. mit den Mitteln des Rechtszwangs, nicht garantieren kann 14 . Mit anderen Worten bedeutet das: Der Staat ist letztlich auf Religiosität und Ethos seiner Bürger angewiesen, sofern er nur dann lebensfähig ist, wenn ihm - über Legalität hinaus - immer wieder freie, innere Zustimmung zuteil wird. So wird einerseits die Weltlichkeit und Neutralität des Staates zur Voraussetzung für die volle Freiheit von Religion und Kirche, andererseits bringen Religion und Kirche Kräfte ein, die den Staat als Friedens- und Ordnungseinheit tragen und dem Gemeinwesen sittliche Substanz vermitteln. Es steht uns nicht an, gegenüber anderen Kulturen mit missionarischem Eifer aufzutreten. Aber vielleicht liegt in der Bewußtmachung solcher Einsicht und solcher Erfahrung ein konstruktiver Beitrag zu einer allgemeinen Theorie des Verhältnisses von Staat und Religion. Auch er gründet übrigens letztlich in einer Grundüberzeugung philosophischer Anthropologie, daß nämlich das Prinzip Freiheit als Potenz zu eigenverantwortlichem Selbstentwurf und zu autonomer Bindung ein sichererer Garant für Richtigkeit ist als Zwang und heteronome Bevormundung. Den eingangs gegebenen Hinweisen zu den Stichworten oder Problemsachverhalten „Zivilreligion' 4 und „Politische Theologie" sowie dem Phänomen neuartiger Religionen kann nicht mehr im vollen Umfang nachgegangen werden. Sie zeigen Probleme und Konflikte an, machen deutlich, daß man nicht einfachhin von einer prästabilierten Harmonie von Geistlich und Weltlich, von Religiös und Politisch ausgehen kann. In der mit „Zivilreligion" anvisierten Problematik wird man dort deutlich Einspruch erheben, wo Religion auf Moral verkürzt und in utilitaristischer Manier vom Staat instrumentalisiert zu werden droht. Sie verweist auf der anderen Seite auf die unvermeidliche Notwendigkeit, dem Staat im Rahmen einer bestimmten politischen Kultur ein Wertfundament zu geben und zu erhalten, ein Fundament freilich, das demokratisch vermittelt und gesichert sein muß 15 . 13 Dies in Anlehnung an Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit, in dem oben FN 10 angeführten Sammelband, S. 191-205 (192). 14 Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation (1967), in: ders., Staat Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie im Verfassungsrecht, Frankfurt am Main 1976, S. 42-64 (60 f.). 15 Näher dazu Alexander Hollerbach, Grundwerte und Grundrechte in der Gesellschaft und im Staat, in: Akten des IV. Internationalen Kongresses für Kirchenrecht, Fribourg 1981, S. 811-833.
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„Politische Theologie": Hier stehen Fragen der inhaltlichen Reichweite politisch relevanter Aussagen der Theologie, damit verknüpft Fragen der formellen Kompetenz an. Mit dem alten Ruf „silete theologi in munere alieno" ist es heute nicht mehr getan, weil ja nicht nur Äußerungen des kirchlichen Amtes, sondern gegebenenfalls religiös-theologisch motivierte Haltungen und Meinungen des demokratischen Stimmbürgers und des parlamentarischen Repräsentanten zur Debatte stehen. Aber gerade darin wird offenkundig, daß unser Problem nicht nur ein solches im Verhältnis objektiver überindividueller Größen zueinander ist, sondern daß es sich auch und gerade um ein personal-existentielles Problem handelt, das sozusagen mitten durch die Person hindurchgeht. Diese wird mit der Frage konfrontiert: Kann ich meine religiöse Existenz und meine staatlich-politische Existenz ohne Schizophrenie integrieren? Kann ich ohne Schwierigkeiten und ohne inneren Selbstwiderspruch zugleich „homo religiosus" und „homo politicus" sein?
III. Die Bedingungen der Möglichkeit dafür, daß solche Fragen positiv beantwortet werden können, müssen von beiden Seiten her geschaffen werden: von Seiten des Staates, insofern er die prinzipielle Weltlichkeit und Neutralität in sich aufnimmt, von Seiten der Religion, insofern sie die weltliche Gemeinwohlverantwortung des Staates als „conditio sine qua non" für ein Leben nach den Maßstäben sittlicher Freiheit respektiert. Dann können der instrumentale Staat und die für Transzendenz als Eröffnung eines Zugangs zum Absoluten einstehende Religion zusammenkommen. Dem Kundigen wird nicht verborgen geblieben sein, daß in diesem letzten Satz Bestimmungen aufgenommen sind, die unser Jubilar in seinem Beitrag zur 1972 erschienenen Festschrift für meinen Lehrer Erik Wolf näher entfaltet hat 16 . Von hier aus fühlt man sich aber auch zurückverwiesen auf eine frühere Äußerung Ryjfels im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit dem Wertrelativismus bei Arnold Brecht 17, der, so konstatiert Ryffel, mit sichtlicher Sorge im Wegfall der religiösen Fundierung des Staates das Risiko seines Zerfalls gesehen habe. Ryffels Reaktion darauf 18: „In der Tat, wenn sich der Mensch nicht an das seiner Verfügung in jedem Betracht entzogene ,Absolute' bindet, an das er gemäß dem Grundsinn immer schon gebunden ist, wenn er nicht insofern im Bereich des Religiösen' Fuß faßt, verliert er allen Boden." Hier wäre wohl nun neu und wohl erst richtig fundamental einzusetzen: Was ist näherhin und - ohne Gänsefüßchen - das Religiöse? Wie verhält es sich zum Ab16 Zur Rolle des „Absoluten" in der Philosophie der Politik, in: Mensch und Recht. Festschrift für Erik Wolf zum 70. Geburtstag, hrsg. von Alexander Hollerbach / Werner Maihofer/Thomas Würtenberger, Frankfurt am Main 1972, S. 28-56 (55). 17 Sinn und Unsinn des wissenschaftlichen Wertrelativismus, in: Studia Philosophica 22 (1962), S. 191-203. 18 Ebd., S. 203.
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soluten? Was ist seine konkrete Relevanz für Recht und Staat? Muß man so nicht, wenn nicht eine Theologie, dann doch jedenfalls noch eine Religionsphilosophie des Rechtes und des Staates entwickeln? Die Auseinandersetzung mit Brecht und seiner These vom „latenten Platz" Gottes in der modernen politischen Wissenschaft ist in Ryffels Rechts- und Staatsphilosophie eingefügt, und hier lesen wir an der für unser Thema zentralen Stelle weiter 19 : „Den Verlust dieses Bodens und obendrein die Sanktionierung solchen Verlustes begünstigt aber heute, neben anderen Tendenzen, der wissenschaftliche Wertrelativismus in nicht geringem Maße. Das hohe Ethos seiner Vertreter ist zwar ein nicht zu unterschätzendes Bollwerk. Ob aber nicht gerade die Thesen dieser Wissenschaftler dereinst auch dieses Bollwerk unterwühlen? So sehr die Philosophie heute eine anthropologische Ausrichtung nehmen muß, kann sie nicht mit Protagoras sagen, daß der Mensch das Maß aller Dinge sei, vielmehr wird sie sich auf die Seite Piatos stellen und die Gottheit als das Maß aller Dinge anerkennen, vorausgesetzt, daß die Gottheit als das nicht weiter ausdeutbare Absolute gedacht wird und als nichts weiter. Dies jedenfalls in intersubjektivem Betracht, während so etwas wie ,Privatmetaphysik4 offensteht." Man sollte wohl Religion und Metaphysik nicht einfachhin gleichsetzen, wie das hier anklingt. Es bleibt auch zweifelhaft, ob man - für das Phänomen Religion gesprochen - überhaupt zwischen „privat" und „öffentlich" unterscheiden kann und darf. Zutreffend bleibt allerdings, daß in einer auf Friede, Gemeinverträglichkeit und Gemeinwohl verpflichteten Ordnung des Staates aus dem Prinzip von Freiheit und Gleichheit nur das an der Religion Anspruch auf Verbindlichkeit für das ganze Gemeinwesen machen darf, was sich als das Richtige ausweisen läßt und als solches Akzeptanz findet, wenngleich in den Prozeß der Wert- bzw. Sinngewinnung und -erhaltung durchaus das Ganze von Religion eingebracht werden darf. Insofern spielt sich aber die Suche nach dem Richtigen nicht einfach nur diesseits des Vorgegebenen ab, als sei dies schlechterdings verabschiedet; eher bewegt man sich in einer Art Dialektik von Vorgegebenem und Aufgegebenem, eine Dialektik, die nicht zuletzt so etwas wie eine Hermeneutik geschichtlicher Erfahrungen einzubeziehen und auszuarbeiten hätte.
19
Grundprobleme (FN 2), S. 329. Wichtiger Diskussionsbeitrag zu dieser Problematik jetzt bei Werner Marx, Gibt es auf Erden ein Maß? Grundbestimmungen einer nichtmetaphysischen Ethik, Hamburg 1983.
I I . Grundfragen der Verfassungstheorie und des Verfassungsrechts
Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung? 1 Z u Ernst Forsthoffs Abhandlung „Die Umbildung des Verfassungsgesetzes" in der Festschrift für Carl Schmitt 2
I. Forsthoffs aufrüttelnder Aufsatz muß nicht nur deshalb die gespannte Aufmerksamkeit der Staatsrechtswissenschaft beanspruchen, weil darin das schwierige Problem der Verfassungswandlung 3 angesprochen wird, sondern auch, wenn nicht in erster Linie, weil es sein grundsätzlich ernstzunehmendes Anliegen ist, zur Stärkung der „normativen Kraft der Verfassung" (Hesse) beizutragen. Es fragt sich, ob dieses Ziel erreicht, j a ob überhaupt der richtige Weg dahin beschritten wird. Indem diese Frage gestellt und dabei irgendwie schon ein B i l d vom Richtigen als Maßstab vorausgesetzt wird, behauptet der kritische Betrachter nicht, abschließend-gesichert zu wissen, welches der richtige Weg sei. Er w i l l , ohne Vollständigkeit zu erstreben, lediglich gewisse grundsätzliche Fragerichtungen markieren. Eine ins Detail ausgeführte Gegenthese zu entwickeln, ist nicht die Absicht dieser hauptsächlich auf Methoden- und Begriffsanalyse gerichteten Untersuchung. Forsthoffs sehr konziser Aufsatz, der mitten in die Grundlagenproblematik der gegenwärtigen deutschen Staatsrechtswissenschaft hineinführt, wirft eine Fülle von Fragen auf, zu denen nicht mit wenigen Sätzen Stellung genommen werden kann. Auch müssen wichtige Einzelprobleme der Verfassungsjudikatur und -praxis, die von ihm diskutiert werden, außer Betracht Erstveröffentlichung in: Archiv des öffentlichen Rechts 85 (1960), S. 241-270. 1 Dem Aufsatz liegt ein Referat zugrunde, das am 17. 2. 1960 in dem von Professor Dr. Konrad Hesse (Freiburg i. Br.) veranstalteten staatsrechtlichen Seminar über „Verfassungsänderung und Verfassungswandlung" gehalten wurde. Herrn Professor Hesse und einigen Seminarmitgliedern gilt herzlicher Dank für weiterführende Anregungen, die hier aufgenommen wurden. 2 Ernst Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, in: Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, hrsg. v. H. Barion/E. Forsthoff/W. Weber, Berlin 1959, S. 35-62; zit.: Umbildung. (Vgl. Schäle, Eine Festschrift, JZ 1959, S. 729 ff.) - Von den sonstigen Veröffentlichungen Forsthoffs, die für die vorliegende Untersuchung herangezogen wurden, steht dieser Arbeit thematisch am nächsten der Aufsatz „Die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG). Strukturanalytische Bemerkungen zum Übergang vom Rechtsstaat zum Justizstaat", DÖV 1959, S. 41 ff. (zit.: DÖV), aber ohne Berücksichtigung des Problems der Hermeneutik. Diesen Fragenkomplex, der Forsthoff früher lebhaft beschäftigte (vgl. vor allem „Recht und Sprache. Prolegomena zu einer richterlichen Hermeneutik", Halle 1940), hat er erst mit dem zu besprechenden Aufsatz wieder aufgenommen. 3 Umbildung S. 38: „Darstellung der Geltungswandlung des Grundgesetzes".
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bleiben. Ebenso mußte bei den literarischen Nachweisen auf Vollständigkeit verzichtet werden. II. Forsthoffs Ausführungen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Das Grundgesetz trägt als rechtsstaatliche Verfassung von bestimmter Formtypik vornehmlich technischen Charakter. Dazu gehört zuvörderst die auf rationale Evidenz und Stabilität hin angelegte „Gesetzesform der Verfassung" (36). Sie will ernstgenommen werden. Das geschieht am besten durch eine spezifisch juristische Auslegung des Verfassungsgesetzes, die sich auf einen gesicherten Bestand überkommener hermeneutischer Regeln stützen kann und muß. Gesetzesauslegung stellt sich dann dar als „die Ermittlung der richtigen Subsumtion im Sinne des syllogistischen Schlusses" (41). Demgegenüber wird die Verfassungstheorie und Staatsrechtslehre Rudolf Smends mit ihrer auf „Verstehen" ausgerichteten „geisteswissenschaftlich-werthierarchischen" Methode der Verfassungs-, insbesondere der Grundrechtsinterpretation, und mit ihrer These von der „fließenden Geltungsfortbildung des gesetzten Verfassungsrechts" 4 dem normativen Anspruch und der Wirklichkeit des Rechtsstaates nicht gerecht. Solche Interpretation überschreitet den Rahmen der Gesetzesauslegung, löst die Verfassung als Gesetz auf (42), indem sie deren formale Elemente übersieht (44), und führt so zu einer hochgradigen „Verunsicherung des Verfassungsrechts" (54). Da die Rechtsprechung weithin dieser geisteswissenschaftlichen, am „Wert" orientierten Auslegungsmethode huldigt, kam es, unterstützt durch die „Schubwirkung des sozialen Trends" (48), zu einem Abbau der Formqualitäten des rechtsstaatlichen Verfassungsgesetzes und so zu einer bedeutsamen Verfassungs Wandlung. Die Rechtsprechung zur sogenannten Drittwirkung der Grundrechte etwa offenbart eine Verfassungswandlung größten Ausmaßes (47). Entformalisierung des Verfassungsrechts und Entfaltung des Justizstaates gehen Hand in Hand (60). In diesem Wandlungsprozeß kommt dem Bundesverfassungsgericht schon durch seine das überkommene rechtsstaatliche Gefüge sprengende Existenz wie auch durch seine weithin kasuistische Rechtsprechung, die sich in besonderem Maße der geisteswissenschaftlich-werthierarchischen Methode bedient und nicht frei von politischen und zeitgeschichtlichen Erwägungen ist (60), eine führende Rolle zu, zumal es für sich die Stellung eines echten Verfassungsorgans beansprucht. M i t diesen (hier notwendigerweise grob skizzierten) Ausführungen w i l l Forsthoff zur Analyse des gegenwärtigen Verfassungsrechts beitragen (60). Er betont (51, 60), daß er die dargestellte Entwicklung - die neuartige Deutung des Verfassungsgesetzes sei längst eine objektive Realität geworden (50) - nicht kritisieren wolle: es gehe nicht um das Richtig oder Falsch, sondern um ihren „objektiven Sinn" (51); er spricht anderseits in dezidierter Form die doch wohl allein kritischwertend 5 zu verstehende Warnung vor der „Illusion" einer schrankenlosen Wandlungsfähigkeit und Verfügbarkeit des Rechtsstaats aus (62). 4 Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), in: Staatsrechtliche Abhandlungen, Berlin 1955, S. 242; vgl. Umbildung S. 38. 5 Auf S. 61 bemerkt Forsthoff, daß seine Darstellung nicht habe unkritisch bleiben können, was seinen Grund in den Überzeugungen des Verfassers und im Gegenstand selbst habe. In der Tat ist überall deutlich erkennbar, daß und wie Licht und Schatten verteilt sind.
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III. 1. Analyse der Begriffe Verfassung , Rechtsstaat , Sozialstaat , Verwaltung und Justizstaat In der Reihe der Begriffsklärungen, die im Rahmen einer kritischen Analyse zu vollziehen sind, ist zunächst nach dem Verfassungsbegriff zu fragen. Forsthoff folgt augenscheinlich der Carl Schmittsch&n Unterscheidung von „Verfassung im positiven Sinne" und „Verfassungsgesetz" 6. Hinter dem Verfassungsgesetz, der „Gesetzesform der Verfassung", der „Verfassung als Gesetz", wovon er ausgeht7, steht also die Verfassung als (notwendig formale 8) Entscheidung. Der moderne, auf eine „Legitimität" gegründete, „legalitär-normativ" gestaltete Verfassungsstaat9 ist seinem Wesen nach „Herrschaftsorganisation" 10. Das Verfassungsgesetz hat nun zwar die „politische Gesamtordnung des Staates"11 zum Gegenstand, es ist aber nicht Integrationsrecht 12. Nach Forsthoff ist für das Grundgesetz kennzeichnend, „daß es strenges Gesetzesrecht enthält und auf die sachliche Integration durch programmatisch verheißende Normierungen verzichtet" 13 . Demgemäß ist es die Aufgabe der Verfassung, lediglich die Sicherheit der staatlichen Form und Existenz sowie die Rechtssicherheit der Bürger zu gewährleisten 14. Wie das Rechtswesen allgemein auf Kontinuität angelegt ist 15 , ist der Verfassung in 6 Carl Schmitt, Verfassungslehre, 3. Aufl., Berlin 1957, S. 20 ff.; auf diesen verweist Forsthoff im Zusammenhang mit der Analyse des Verfassungsgesetzes „summarisch", Umbildung S. 36 Anm. 2. Vgl. auch Lehrbuch des Verwaltungsrechts, I. Bd. Allgemeiner Teil, 7. Aufl., München /Berlin 1958 (zit.: VerwR), S. 32 Anm. 2. Siehe ferner Horst Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, Berlin 1953, S. 36 ff. 7 Umbildung S. 36.
8 Vgl. die Kritik Ehmkes, a. a. O. S. 37 u. 43. Forsthoff, Die politischen Streikaktionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes..., Rechtsgutachten, Köln 1952, S. 27, ferner ebda. S. 20. !0 Forsthoff, Verfassungsprobleme des Sozialstaats, Münster 1954 (zit.: Verfassungsprobleme), S. 5: „ . . . wie freiheitlich er auch verfaßt sei... Der Staat beruht... auf dem Gehorsam. Man kann den Staat freiheitlich als Rechtsstaat in Schranken verweisen: innerhalb dieser Schranken bleibt er Herrschaft". 11 Umbildung S. 37. 12 Unter ausdrücklicher Berufung auf Smend sagt Forsthoff allerdings einmal im Hinblick auf Art. 4 Abs. 3 GG, die Bedeutung dieser Norm liege „nicht nur" in dem, was sie an spezifisch juristischer Wirkung hergebe, sondern „nicht minder" in ihrem „integrierenden Sachgehalt". Diesen sieht er in dem „Bekenntnis zur selbstverantwortlichen Gewissensentscheidung des einzelnen als solchem" (Wehrbeitrag und Grundgesetz. Rechtsgutachten..., in: Der Kampf um den Wehrbeitrag, 2. Halbbd., München 1953, S. 317; zit.: Wehrbeitrag). 13 Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, VVDStRL 12, 1954, S. 12 (zit.: Sozialer Rechtsstaat). 14 VerwR S. 62; vgl. auch ebda. S. 12, wo zum Begriff des materiellen Verfassungsrechts alle Normen gerechnet werden, „welche die wesentliche, die Staatsform bestimmende Organisation und Funktion der obersten Staatsgewalt und deren Verhältnis zu den Staatsgenossen, insbesondere die politischen Aktivrechte, zum Gegenstand haben". 9
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besonderem Maße das Moment der Dauer, der Abgeschlossenheit und Endgültigkeit eigentümlich; sie ist etwas Beharrendes, Zuständliches16. Diesem ihrem Wesen und ihrer Funktion gegenüber der Wirklichkeit kann sie nur gerecht werden, wenn ihre formalen Qualitäten als Gesetz im Sinne der abstrakten, generellen Norm und damit ihre „technische Strenge'4 beachtet werden 17. Es gilt die „Herrschaft des Gesetzes" mit seiner „Rationalität" und „Evidenz", mit seiner „Verläßlichkeit und Berechenbarkeit" 18. Damit wird das Gesetz zum Eckpfeiler der rechtsstaatlichen Verfassung. Die Erörterung des Verfassungsbegriffs muß so notwendig zu einer Betrachtung des für Forsthoffs Abhandlung zentralen Begriffs des Rechtsstaats führen. Unter all den verschiedenen Wendungen, mit denen er in je anderem Ansatz und Zusammenhang das Wesen des Rechtsstaats umschreibt 19, erscheint die folgende als die charakteristischste: „Der Rechtsstaat ist seinem Wesen nach nicht eine organisierte Gesinnungs- oder Erlebniseinheit, sondern ein institutionelles Gefüge, oder um es kraß zu formulieren, ein System rechtstechnischer Kunstgriffe zur Gewährleistung gesetzlicher Freiheit" 20 . Rechtsstaatlichkeit erfordert deshalb insbesondere die Regelung geordneter Rechtsschutzverfahren 21. Die wesentlichen Strukturelemente des Rechtsstaats, wie Gewaltenteilung, allgemeines Gesetz, das mit Vorrang ausgestattete Verfassungsgesetz, das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Gewährleistung der Grundrechte sowie die Unabhängigkeit der Gerichte, sind im einzelnen und damit die rechtsstaatliche Verfassung im ganzen durch eine hochgradige „Formalisierung" gekennzeichnet22. Forsthoff ist sich dessen sehr wohl bewußt, daß der so charakterisierte Rechtsstaat im Grunde der Konzeption des bürgerlichen Rechtsstaats des 19. Jahrhunderts entspricht. Obwohl dieser auf der Trennung von Staat und Gesellschaft beruhte, heute indes die Schranke zwischen Staat und Gesellschaft gefallen ist 23 , und diese beiden Sozialkräfte, wie Forsthoff einmal treffend gesagt hat 24 , in einem Zustand der „Osmose" leben, entfaltet nach seiner Auffassung der Begriff des Rechtsstaats 15 16 17 18
Umbildung S. 41. VerwRS. 12. Vgl. Sozialer Rechtsstaat S. 17 f. Ebda. S. 16.
19 Vgl. etwa DÖV S. 43, wo, unter Berufung auf Carl Schmitt, Verfassungslehre S. 127, gesagt wird: „Rechtsstaat ist ,Herrschaft des Gesetzes'". Siehe auch: Über MaßnahmeGesetze, in: Forschungen und Berichte aus dem Öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, München 1955, S. 222, 228 (zit.: Maßnahme-Gesetze). 20 Umbildung S. 61. 21 Umbildung S. 59. 22
Umbildung S. 61 und Sozialer Rechtsstaat S. 16. VerwR S. 3. Zum Verhältnis Staat und Gesellschaft vgl. auch Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im modernen Staat, VVDStRL 17, 1959, S. 116 (zit.: Parteien). 24 Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, Stuttgart 1959, S. 18 (zit.: Rechtsfragen). 23
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in diesem Sinne noch heute seine Lebenskraft. Er meint nämlich, infolge der Formalisierung und Technisierung der rechtsstaatlichen Strukturelemente trügen diese die Bedingungen ihrer Wirkweise in sich selbst25. Sie erleiden bei ihrer Wirkung im sozialen Raum zwar unter Umständen gewisse, die strenge Formtypik durchbrechende Modifikationen 26 , erweisen sich aber im ganzen gesehen als stetig und unverändert. Hieraus folgert Forsthoff grundsätzlich: Man kann das Verfassungsrecht des Rechtsstaats von dem Wechsel der „Ambiance", dem „soziologischen Grund", in hohem Maße isolieren 27 ; es bietet durchaus genügende Möglichkeiten der „Anpassung". Auch für die Bewältigung der Probleme des Sozialstaats hält er den Rechtsstaat für tauglich, woraus er ein besonderes Anrecht auf dessen Bestand abzuleiten geneigt ist 28 . Was Forsthoffs Verständnis des Begriffes Sozialstaat anlangt, so hat nach seiner Ansicht das Grundgesetz keinen spezifischen sozialen Gehalt 29 . Der Sozialstaat als Staat der Daseinsvorsorge, der Leistung und der Verteilung 30 ist ganz einfach „gegeben"31. Zwar wird der Rechtsstaat durch das sozialstaatliche Bekenntnis in gewisser Weise „inhaltlich determiniert", dies hat aber keine institutionelle Bedeutung. „Es berührt die strukturelle Verfassungsform der Bundesrepublik nicht. Diese ist nach wie vor mit dem Begriff Rechtsstaat erschöpfend bezeichnet. Rechtsstaat und Sozialstaat sind also auf der Verfassungsebene nicht verschmolzen" 32. Der Sozialstaat mit seinen materiellen Gehalten ergänzt auf der Ebene der Verwaltung die rein technische rechtsstaatliche Verfassung 33. Damit ist die weitere Frage nach dem Verhältnis von Verfassung und Verwaltung , von Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht gestellt. Verwaltung bedeutet „wertverwirklichende Gestaltung"; für das Verwaltungsrecht ist der „unmittelbare Rückgriff auf den Wert" typisch 34 . Demgegenüber ist das Verfassungsrecht ge25 Sozialer Rechtsstaats. 16. 26 Vgl. Umbildung S. 35 und bes. Maßnahme-Gesetze S. 228. 27 Sozialer Rechtsstaat S. 17; vgl. auch ebda. S. 30: Es erwies sich, „daß die Institutionen des Rechtsstaats sich... von der ursprünglichen gesellschaftlichen Wirklichkeit, der sie zugeordnet waren, ablösen ließen. Die Selbständigkeit der rechtsstaatlichen Institutionen gegenüber dem Wechsel der Ambiance war nur erreichbar durch die Technisierung dieser Institutionen". 28 Umbildung S. 61; vgl. aber Die Daseinsvorsorge und die Kommunen, Köln/Marienburg 1958, S. 7 (zit.: Daseinsvorsorge): die Freiheit verbürgende rechtsstaatliche Verfassung komme dem modernen Staat bei seiner Aufgabe der Daseinsstabilisierung nicht zu Hilfe. 29 Sozialer Rechtsstaat S. 24. 30 Verfassungsprobleme S. 8; vgl. ebda. S. 10 u. ö. sowie Daseins Vorsorge S. 9 zum Verhältnis von Sozialfunktion und Herrschaftsfunktion. 31 Vgl. Sozialer Rechtsstaat S. 8 und, sehr charakteristisch, S. 29: die Sozialstaatsklausel bedeutet lediglich die Bekräftigung einer Anforderung an staatliches Verhalten, „die auch ohne diese Bekräftigung bestehen würde". 3 2 Sozialer Rechtsstaat S. 29. 33 34
Vgl. ebda. S. 31. VerwR S. 78.
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kennzeichnet durch einen stilisierten Legalitätsschematismus technischer Normen, angelegt auf regulierendes, Willenssphären abgrenzendes, nicht gestaltendes Funktionieren mit strenger Effektivität. Die Verwaltung „als Träger der an jedem Tage notwendigen Daseins Vorsorge" 35, eines Bereichs, der an der rechtsstaatlichen Verfassung „vorbeilebt" 36 , legitimiert sich heute weitgehend aus sich selbst. Die Verfassung bedarf einer Legitimität von außen, aus einer von der Normativität nicht mehr erreichten Entscheidung, aus einem bestimmten politischen System37 oder aus welchen Momenten immer. Kurz: Verfassungsrecht ist technisch-formales, Verwaltungsrecht untechnisch-materiales Recht. So ist es nur konsequent zu sagen, die Verfassungsprobleme unserer Zeit seien in Wahrheit Verwaltungsprobleme 38. Dem Begriff Rechtsstaat wird der Begriff Justizstaat schroff gegenübergestellt. Damit ist zunächst der Staat gemeint, der (wie das Grundgesetz durch Art. 19 Abs. 4) in umfassender Weise Rechtsschutz gewährt, also der „Rechtsschutzstaat" 39 , der Rechtswege-Staat. Strukturell gesehen ist aber nach Forsthoff für den Begriff des Justizstaates entscheidend „die Überlegenheit der Rechtsprechung über Gesetz und Gesetzgebung"; denn „darüber, wann er an das Gesetz gebunden ist, wann er unter Berufung auf das Recht von der Gesetzgebundenheit frei ist, entscheidet heute der Richter selbst" 40 . Als das besondere Stigma des Justizstaats erscheint dann das Bestehen und die Wirkweise einer mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteten und sich als echtes Verfassungsorgan verstehenden Verfassungsgerichtsbarkeit 41. Für das Bundesverfassungsgericht ist es charakteristisch, daß es durch seine „Funktionsweisen", nämlich: Kasuistik und Bestreben, „durch Vermeidung jurisdiktioneller Selbstbindung offen zu bleiben und keine Kontrollen endgültig aus der Hand zu geben" 42 , in dem Prozeß der Entformalisierung des Verfassungsrechts eine ganz überragende Rolle spielt. 2. Formales oder materiales Verfassungsdenken? Hält man an diesem Punkt zu einer kritischen Besinnung inne, so müssen insbesondere die folgenden Fragerichtungen angedeutet werden: 1. Der Begriff des Rechtsstaats , wie er sich im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt hat, wird von Forsthoff gewiß nicht einfach unkritisch, ohne Berücksichtigung der tiefgreifenden Veränderungen in der sozialen Wirklichkeit übernommen. Doch werden diese Veränderungen deswegen für unmaßgeblich er35 36 37 38 39 40
VerwRS. 13. Daseinsvorsorge S. 9. Vgl. VerwR S. 13. Rechtsfragen S. 48 f. DÖV S. 43. Ebda. S. 44.
41 Umbildung S. 55 ff., 60. 42 Umbildung S. 60.
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klärt, weil von vornherein eine Entscheidung für den Rechtsstaat im formal-technischen Sinne, also für den „ Gesetzesstaat " mit seiner Präponderanz des Selbstwerts der „Ordnung" 423 und der „Rechtssicherheit" getroffen wurde 43 . Hierin liegt doch wohl in gewisser Weise eine petitio principii: was aus dem geschichtlichen Verlauf erklärt werden soll, ist im Grunde schon vorausgesetzt, und zwar in einer Weise, die etwas vom Verfahren der Begriffsjurisprudenz an sich hat. Der historisch fixierte Begriff ist, von Randkorrekturen und Adaptationen abgesehen, intransigent gegenüber der sozialen Wirklichkeit mit ihren Veränderungen. Soziale Wirklichkeit erscheint dann für die Norm lediglich als Anwendungsfeld, als Grenze, sie ist factum brutum . Da jedoch mit ihr die Macht der Tatsachen verbunden ist, ist sie mächtig genug, an bestimmten Druckstellen und Reibungsflächen dem Normenkomplex Zugeständnisse abzuringen. Norm und Faktum stehen für eine solche Auffassung nicht im Verhältnis einer echten korrelativen Zuordnung 44, einer polardialektischen Spannung und Verschränkung. Sie haben zwar sozusagen aufeinander Rücksicht zu nehmen, aber das erscheint nicht als ihr Wesen kraft einer ihnen strukturell innewohnenden intentional-entelechialen Konvergenz, sondern es ist lediglich empirische Notwendigkeit. Indem Forsthoff so mit dem logisch gefügten Begriffsblock Rechtsstaat operiert, kann er seiner eigenen Forderung, den Rechtsstaat „von der heutigen Wirklichkeit aus" 45 neu zu denken, letztlich nicht gerecht werden 45a . 2. Es kann nur lebhaft zustimmend unterstrichen werden, wenn Forsthoff selbst einmal sagt, die Sozialordnung sei nicht nur zweckhaft, sondern als „ein auf Gerechtigkeit angelegtes Gebilde" zu verstehen, und es sei - ohne Geringschätzung 42
a In seiner Würdigung Carl Schmitts (vgl. unten Anm. 135) meint Forsthoff, ohne Ordnung und ohne Parteinahme für sie sei „die Unterscheidung von Recht und Unrecht überhaupt nicht möglich". Zur Kritik dieser These, die in einen dezisionistischen Positivismus hineinführt, hat Erich Kaufmann das Nötige gesagt (Carl Schmitt und seine Schule. Offener Brief an Ernst Forsthoff, in: Deutsche Rundschau 1958 S. 1013). 43 Sozialer Rechtsstaat S. 17: in diesem Sinne allein könne der Rechtsstaat ernst genommen werden; vgl. auch ebda. S. 14: „Option für den Rechtsstaat". Demgegenüber wird in auffälliger Diskrepanz hierzu VerwR S. 4 gesagt, für die „Verwaltungsrechtswissenschaft", (nur für diese?) bestehe Anlaß, „sich von jener technischen Auffassung des Rechtsstaats loszusagen, welche die Gewährleistung des Rechts in den spezifischen Struktureigentümlichkeiten dieses Staates: Gewaltenteilung, Grundrechte und Prinzip der gesetzmäßigen Verwaltung hinreichend gesichert fand". 44 Vgl. hierzu Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, Tübingen 1959, S. 7; ferner Leibholz, Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, in: Strukturprobleme der modernen Demokratie, Karlsruhe 1958, S. 280. 45 VerwR S. 55; vgl. auch ebda. S. 71. 45a Vgl. demgegenüber etwa Hesse, Der Gleichheitsgrundsatz im Staatsrecht, AöR 77 (1951/52), S. 214: Der bisherige Rechtsstaatsbegriff hat „die Ausschließlichkeit seines Geltungsanspruchs verloren und bedarf eines neuen, lebendigen Inhalts, der nur unter materialen Gesichtspunkten gefunden werden kann". Als wesentliches Element wird hierbei der Gleichheitssatz „als Prinzip gerechter sozialer und politischer Gleichordnung" eine Rolle spielen. Zum Begriff des materiellen Rechtsstaates als freiheitlich-sozialem Staat vgl. Bäumlin, Die rechtsstaatliche Demokratie, Zürich 1954, bes. S. 60 ff. 8 Hollerbach
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von gegebenen „rechtstechnischen Vorkehrungen" - Rechtsverwirklichung „im Sinne einer Verwirklichung der tragenden, nicht notwendig an den formulierten Gesetzesausdruck gebundenen Gerechtigkeitsprinzipien" aufzufassen 46. Wenn demgegenüber ausdrücklich an einem formalisierten (und das heißt doch: inhaltsentleerten 47), technischen und lediglich auf formale Rationalität abzielenden Verfassungs- und Rechtsstaatsbegriff festgehalten wird, so fragt es sich dann aber, welche Rolle der Verfassung bei der Erfüllung dieser Aufgabe zukommen kann. Offenbar keine zentrale! Gegenüber der Verwaltung als „weitverwirklichender Gestaltung" hat sie dann allenfalls die Komplementärfunktion der Verstetigung, des Schutzwalls gegen jegliche Dynamisierung. Gewiß, diese Funktion darf und soll keineswegs gering geachtet werden. Sieht man jedoch nicht mehr als dies, so verliert die Verfassung ihren Charakter als bildendes, alle Lebensäußerungen des Staates durchwaltendes zusammen-ordnendes „Grund-gesetz". Verfassung und Verwaltung 48 , Rechtsstaat und Sozialstaat49 fallen dann auseinander, eine Sinnmitte der Rechts- und Sozialordnung des Staates ist nicht mehr vorhanden bzw. wird entweder in einen außernormativen oder in einen Bereich abgeleiteter Normen verlagert. Wenn die Verfassung so - in letzter Konsequenz - zu einer Summe rechtstechnischer Regeln zum Zweck der Abgrenzung von Willenssphären denaturiert ist und sie nur noch als Mittel einer technisch ermöglichten „Herrschaftsmechanik" 49a erscheint, verliert sie gegenüber der hochdifferenzierten, teleologisch-material erfüllten Verwaltungsrechtsordnung schließlich jeglichen substantiellen Eigenwert und unterliegt dadurch der Gefahr der Instrumentalisierung „von unten" aus der Sphäre der mächtigen, eigengesetzlichen Verwaltung 50. 3. In einem technisch-formalistischen Verfassungsverständnis hat das Phänomen des Politischen keine echte Heimstatt, vielmehr wird dadurch die eigengesetzlich vorhandene Tendenz des Politischen zur völligen Emanzipation von der Normativität und zur Instrumentalisierung normativer Ordnungen für bestimmte Zwecke 46 VerwR S. 4. 47 Besonders deutlich DÖV S. 43 f. 48 Aspekte zum positiven Verhältnis zwischen Verfassung und Verwaltung bei Dürig, Verfassung und Verwaltung im Wohlfahrtsstaat, JZ 1953, S. 193 ff.; Werner, Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht, DVB1. 1959, S. 527 ff.; Reuß, Die Wirkungseinheit von Verwaltungs- und Verfassungsrecht, DÖV 1959, S. 321 ff. Vgl. ferner Partsch, Verfassungsprinzipien und Verwaltungsinstitutionen, Tübingen 1958, sowie Imboden, Das Gesetz als Garantie rechtsstaatlicher Verwaltung, Basel u. Stuttgart 1954, bes. treffend S. 45. 49 Dazu vgl. vor allem Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates. Der soziale Rechtsstaat in verwaltungsrechtlicher Sicht, VVDStRL 12, 1954, S. 37 ff.; Gerber, Die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes. Ein Rechtsgutachten, AöR 81, 1956, S. 1 ff.; Jahrreiß, Freiheit und Sozialstaat. Vom Bürgersinn, in: Mensch und Staat, Köln/Berlin 1957, S. 69 ff. 49a Dieser Ausdruck bei Forsthoff selbst: Daseinsvorsorge S. 29. 50 Forsthoff bezieht auch in seiner Sicht des Verhältnisses von Verfassungs- und Verwaltungsrecht genau die Gegenposition zu Smend. Für diesen ist Staatsrecht „Integrationsrecht", Verwaltungsrecht „technisches Recht" (Verfassung S. 236). Freilich ist auch diese Antithese nicht unproblematisch.
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nur noch verstärkt. Verfassung wird dann zum bald gut, bald schlecht funktionierenden, technischen Hilfsmittel im Dienste des Machterwerbs. Die Aussage, das Verfassungsgesetz habe die „politische Gesamtordnung des Staates"51 zum Gegenstand, muß dann aber als fragwürdig erscheinen. Das hier entscheidende Anliegen sei noch einmal so formuliert: Verfassung hat (zumindest auch) den Auftrag zu einer sinnvollen, daseinsgestaltenden Verwirklichung einer gerechten Sozialordnung zum Inhalt und kann sich deshalb nicht in bloßer Schrankenziehung erschöpfen, die dem Staat und den politischen Kräften infolge mangelnder Zusammenordnung in einem Maße Spielraum läßt, daß es ihnen ein leichtes wäre, im Falle des Nichtfunktionierens das formalistisch erstarrte Gefüge zu sprengen und außer Kraft zu setzen. 4. Technik und Formalität vermögen zwar Legalität zu verbürgen, was gewiß nicht unterschätzt werden soll; sie können aber nicht Grundlage für umfassende Legitimität> 52 sein, wenn auch Stetigkeit, Kontinuität und Effektivität legitimitätsbildende Faktoren darstellen. Von einem technisch-formalistischen Verfassungsverständnis aus kann es ferner keinen positiven Ansatz zu einer Verfassungsethik? 3 geben. Zwar ist Forsthoff selbst einmal dem Verhältnis von modernem Staat und „Tugend" nachgegangen und hat deutlich gemacht, daß der Staat der Tugend bedarf; diese heißt: „allgemeine Verläßlichkeit im ethischen Sinne" 54 . Diese Tugend ist aber nicht nur als gesinnungsethische in hohem Grade eine rein formale - es ist die Tugend, mit der man einen Apparat, der gut funktionieren soll, bedient, oder mit der man sich in einen hochfunktionalisierten Betrieb einfügt - , sie hat insbesondere keinen spezifischen, verantwortungsethischen Bezug zur normativen Ordnung der Verfassung. 5. Im Rahmen dieser kritischen Besinnung muß noch auf eine charakteristische Äußerung Forsthoffs hingewiesen werden, die ein wichtiges Motiv für die von ihm bejahte „Option für den Rechtsstaat"55 erschließt. Er meinte einmal 56 , nach den verschiedenartigsten Staatsumbrüchen der letzten Jahrzehnte sei kein „Staats 51 Umbildung S. 37. 52 Vgl. die Abwehr demokratischer „LegitimitätsVorstellungen": Maßnahme-Gesetze S. 222. 53 Vgl. aber Smend, Art. Integrationslehre, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. V (1956) S. 301. 54 Der Staat und die Tugend, in: Tymbos für Wilhelm Ahlmann. Ein Gedenkbuch, hrsg. von seinen Freunden, Berlin 1951, S. 89. Vgl. Umbildung S. 53: nach Max Weber fordere der Güterverkehr im Maße seiner Ausdehnung und Komplizierung „Loyalitäten und gesinnungsbedingte Verhaltensweisen". Im Rechtsformalismus sind allerdings „pathetische sittliche Postulate" (Max Weber) ein Fremdkörper! 55 Sozialer Rechtsstaat S. 14. 56 Diskussionsbemerkung in der Aussprache über „Das Gesetz als Norm und Maßnahme", VVDStRL 15, 1957, S. 85 f. Vgl. auch Rechtsfragen S. 15 ff., wo von einem „rasanten Verschleiß aller staatsideologischen Substanzen mit dem Ergebnis einer nahezu vollständigen tabula rasa am Ende der nationalsozialistischen Zeit" die Rede ist. Vgl. auch Bachof, Grundgesetz und Richtermacht, Tübingen 1959, S. 40 f. 8*
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bewußtsein" mehr vorhanden; dadurch erscheine die staatliche Wirklichkeit gefährdet. „In dieser Wirklichkeit sind uns die entscheidenden Hilfen die Formalhilfen, die technischen Hilfen, die sozusagen das technische Gerüst des Handelns sind...". Diese Äußerung, in der offenkundig ein gerüttelt Maß skeptischer Resignation mitschwingt, darf nicht leicht genommen werden; denn in der Tat spielt es eine sehr entscheidende Rolle, ob in einer Sozialordnung ein (natürlich nicht psychologistisch mißzuverstehendes) integres Staats-, allgemeiner: ein Rechtsbewußtsein als tragende, legitimierende Kraft lebendig ist. Gegen Forsthoffs Feststellung muß aber sogleich gefragt werden, ob nicht gerade das Fehlen eines Staatsbewußtseins mit eine Folge formalistisch-technischen Rechtsstaats- und Verfassungsverständnisses ist. Kann nicht gerade ein materiales Rechtsstaats- und Verfassungsverständnis dazu beitragen, Staats- und Rechtsbewußtsein anregend mitzubilden? Es ist nicht das Anliegen dieser Betrachtung, dieses positive Gegenbild im einzelnen zu entwerfen; einige Momente dürften im Ansatz der Kritik zum Ausdruck kommen. Nur eines sei angedeutet: Materiale Verfassungslehre steht keineswegs in einem kontradiktorisch-ausschließenden Gegensatz zu formalem Verständnis. Es ist einer der Wesenszüge materialer Betrachtungsweise, die Erscheinungen und Probleme nicht zu isolieren, sie vielmehr in ihrer Verschränkung und in ihrem jeweiligen Gesamtzusammenhang zu sehen. Recht verstanden schließt das die Berücksichtigung der technischen Formalhilfen an ihrem Ort und in ihrer eigentümlichen Wirkweise gerade ein. Sie sind aber nicht das Ganze und machen insbesondere nicht das Wesen der auf die politische Gesamtordnung des Staates ausgerichteten Verfassung aus. Oder sollte es wirklich die Quadratur des Zirkels bedeuten, eine materiale Verfassungstheorie zu entwickeln, in welcher Formalität und Technizität ihr relatives Recht behalten? 6. In seiner kritischen Strukturanalyse glaubt Forsthoff, vor allem im Hinblick auf die Verfassungsgerichtsbarkeit, von einer „Ablösung des Rechtsstaats durch den Justizstaat"57 sprechen zu können. Dabei denkt er indes zu stark von Carl Schmitts „Hüter der Verfassung" her 58 , als daß er der Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung gerecht werden könnte. Kasuistik etwa ist keineswegs ein dekadentes Necessarium, sondern sie erscheint, zumal für das „Transitorium" des Grundgesetzes (Th. Heuss), - zumindest auch als Positivum mit verfassungsstabilisierender Wirkung. Wenn übrigens Forsthoff dem Bundesverfassungsgericht die „Vermeidung jurisdiktioneller Selbstbindung"59 und die „Auflösung" selbst technischer Normen in Kasuistik vorwirft, so muß jedenfalls insoweit seine Beweisführung 60 als mißglückt angesehen werden: 57 DÖV S. 44. 58 Vgl. VerwR S. 468 f. Maßnahme-Gesetz S. 231 gibt er unter Berufung auf Carl Schmitt (a. a. O. S. 36 ff.) ausdrücklich seinem Zweifel daran Ausdruck, ob die Prüfung von Gesetzesnormen auf ihre inhaltliche Übereinstimmung mit der Verfassung „nicht den Rahmen der durch Subsumtion bestimmten richterlichen Tätigkeit überschreitet". 59 Umbildung S. 60. 60 Umbildung S. 56.
Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung? Er konstruiert zwischen den Entscheidungen BVerfGE 5, 13 und 6, 55 einen Widerspruch, der gar nicht existiert. Hier gilt es, sehr klar die technische Verschiedenheit der Normen und des Verfahrens zu beachten. Die erstere Entscheidung ist in einem Verfahren der Verfassungsbeschwerde ergangen und hat die Frage nach dem Geltungsumfang des in Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG normierten Zitiergebots zum Gegenstand. Dieses bezieht sich nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf vorkonstitutionelle Gesetze, aber auch nicht auf solche nachkonstitutionellen Gesetze, „die lediglich bereits geltende Grundrechtsbeschränkungen unverändert oder mit geringen Abweichungen wiederholen" (16) . Dabei qualifiziert das Gericht jedoch § 372a ZPO i. d. F. d. Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit vom 12. 9. 1950 keineswegs, wie Forsthoff zu Unrecht behauptet, als vorkonstitutionelles Recht, ordnet diese Vorschrift vielmehr der zweiten Kategorie zu. BVerfGE 6, 55 kommt dann im Hinblick auf § 26 EStG 1951 zu dem Ergebnis, daß die unverändert gebliebene Norm eines nach Verkündung des Grundgesetzes im übrigen geänderten Gesetzes dann nicht als vorkonstitutionelles Recht zu behandeln ist, wenn der an das Grundgesetz gebundene Gesetzgeber auch jene Bestimmung in seinen Willen aufgenommen hat (65); diese Entscheidung wurde in einem Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG getroffen. Allein solche Fälle aber hat die das Verwerfungsmonopol umgrenzende Leitentscheidung BVerfGE 2, 124 im Auge. Es ist deshalb völlig zutreffend, wenn Zeidler in seiner ausführlichen Anmerkung zu dem Beschluß des BVerfG vom 6. 10. 1959 61 , in welcher er die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 100 GG überblickt, die angeblich inkonsequente Entscheidung 5, 13 mit keinem Wort erwähnt und von einer „kontinuierlich" verlaufenen Entwicklung spricht. U m i m übrigen, abgesehen von diesen wenigen Bemerkungen, gegenüber Forsthoffs Verständnis von Justizstaat Ansatzpunkte und Elemente der Kritik bzw. der vom Grundgesetz geforderten positiven Sehweise erkennbar werden zu lassen, muß es hier genügen, auf die Arbeiten von Leibholz 62, Marcic 63 und Bachof 64 hin64a
zuweisen
. 3. Grundrechte und „ Wertsystem "
Es ist nunmehr auf ein bisher unbesprochen gebliebenes Element des Rechtstaatsbegriffs, nämlich die Grundrechte , zurückzugreifen. Besteht das Wesen des Rechtsstaats in einem technisch-formalen Normengefüge, das der Abgrenzung von W i l lenssphären dient, so ist es konsequent, daß auch die klassischen Grundrechte, j a gerade sie, lediglich als technische Mittel der „Ausgrenzung" von bestimmten Freiheitsräumen und ausschließlich mit Blickrichtung auf den Staat gesehen werden 6 5 . 61 DÖV 1960, S. 23 ff. Vgl. BVerfGE 10, 124. 62 Verfassungsgerichtsbarkeit im demokratischen Rechtsstaat, in: Strukturprobleme der modernen Demokratie, Karlsruhe 1958, S. 168 ff. 63 Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, Wien 1957, bes. S. 336 ff. 64 Grundgesetz und Richtermacht, Tübingen 1959, übrigens schon mit kritischer Bezugnahme auf Forsthoff, DÖVa. a. O. (S. 10,40). 64a Neueste Stimmen in der Diskussion: Werner, Das Problem des Richterstaates, Berlin 1960; Ermacora, Verfassungsrecht durch Richterspruch, Karlsruhe 1960. 65 Sozialer Rechtsstaat S. 18: „ . . . alle klassischen Grundrechte sind Ausgrenzungen, die Aufrichtung von Bereichen, vor denen die Staatsgewalt Halt macht". Wenn es dann weiter
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Es ist deshalb sehr verständlich, daß für Forsthoff die sog. Drittwirkung der Grundrechte einer der größten Steine des Anstoßes i s t 6 6 Betont wendet er sich gegen Smends Auffassung, wonach der Grundrechtskatalog eine „sachliche Reihe von einer gewissen Geschlossenheit, d. h. ein Wert- oder Güter-, ein Kultursystem" normieren w i l l 6 7 . Vielmehr stünden die Grundrechte trotz gewisser „systematischer Disponiertheiten" mit eigener „ L o g i k " für sich, ein normimmanenter, systematischer Zusammenhang sei nicht erkennbar 68 . U m ihrer Effektivität willen müsse die Technizität der Grundrechte gewahrt bleiben. Nach solcher Auffassung sind dann aber die Grundrechte nicht mehr als punktualistische „Spezialisierungen des ohnehin selbstverständlichen Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung"69. Wenn Forsthoff bemerkt, auch historisch gesehen fehle jeder Anhalt für eine Systembezogenheit der Grundrechtsnormierungen, so bedarf diese These, was hier nur kurz angedeutet werden kann, zumindest einer Überprüfung. Die natur- bzw. vernunftrechtlichen Gedanken vor allem Pufendorfs und Lockes, die auf die Konzeption der Menschen- und Bürgerrechte in erheblichem Umfang eingewirkt haben, waren in starkem Maße von einem rational-systematischen Schema her geprägt 70. Zutreffende historische Analyse wird auch erkennen, daß selbst für das 19. Jahrhundert der Gedanke der bloßen Entgegensetzung zum Staat den Gehalt der Grundrechte nicht erschöpft 71. heißt, die Ausgrenzung bezeichne „nur" die technisch-normative Seite der Sache, sie besage nichts darüber, aus welchem Grunde und mit welcher Intensität die Ausgrenzung erfolge, so zeigt sich gerade hier wiederum die verhängnisvolle Reduktion des Normativen auf das Technisch-Formalisierte. 66
Dieses vielschichtige Problem wird hier ausdrücklich ausgeklammert. Doch darf bemerkt werden: auch wenn man grundsätzlich Smends Grundrechtskonzeption für richtig hält, folgt daraus nicht automatisch die (undifferenzierte) Anerkennung einer Drittwirkung. Leider hat sich Forsthoff, abgesehen von einem bestimmten methodischen Aspekt (Umbildung S. 45 f. m. Anm. 18) nicht mit dem Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts auseinandergesetzt (BVerfGE 7, 198), wo immerhin das Bundesarbeitsgericht wegen zu weitgehender Folgerungen aus BVerfGE 6, 55 und 6, 84 gerügt wird (204). Neuester Diskussionsbeitrag hierzu bei Th. Ramm, Die Freiheit der Willensbildung. Zur Lehre von der Drittwirkung der Grundrechte und der Rechtsstruktur der Vereinigung, Stuttgart 1960. 67 Verfassung S. 264; Forsthoff, Umbildung S. 38 ff. 68 Umbildung S. 40. 69 Smend, Verfassung S. 262. 70 Vgl. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 2. Aufl., Göttingen 1955, S. 156 ff. und: Ein Kapitel aus der Geschichte der amerikanischen Erklärung der Menschenrechte. John Wise und Samuel Pufendorf, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche, Festg. f. R. Smend, Göttingen 1952, S. 387 ff. 71 Vgl. Smend, Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht (1933), in: Staatsrechtliche Abhandlungen a. a. O. S. 314 ff., 318. Erst jüngst hat Wilhelm Hennis (Zum Problem der deutschen Staatsanschauung, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 7, 1959, S. 8) unter Berufung auf Ernst Fraenkel (Jb. öff. R. N. F. 2, 1953, S. 45) wieder daran erinnert, daß alle Grundrechte im angelsächsischen Rechtsbereich nicht als „subjektive öffentliche Rechte" gegenüber einer potentiell allmächtigen Staatsgewalt begriffen werden. Aufschlußreiche Beobachtungen hierzu neuestens bei Ramm, a. a. O. S. 42 ff. In der Tat dürfen die Grundrechte nicht nur als individuelle negative Abwehrrechte gegen den Staat aufgefaßt, sondern sie müs-
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Woran sich Forsthoff besonders stößt, ist die Vorstellung des „ Wertsystems das Smend an die Grundrechte herantrage, womit er normfremde Hypostasierungen vornehme 72. So sehr für Forsthoff Verwaltung als „wertverwirklichende Gestaltung" gekennzeichnet werden kann 73 , so sehr bedeutet ihm das Operieren mit Wertvorstellungen auf der Ebene des Verfassungsrechts offenbar heillose Auslieferung an unsichere Ideologien und subjektivistische Philosophie. Das Wertproblem kann hier selbstverständlich nicht entfaltet werden. Jedenfalls aber existieren für Smend 74 - gemäß der philosophischen Grundlegung bei Th. Litt 75 - „Werte" nicht als abstrakte Wesenheiten, als in sich ruhende statische Blöcke außerhalb des realen Lebensvollzugs, die wie etwas Vorzeigbares, Fremdes äußerlich an Rechtsnormen herangetragen werden könnten76. Vielmehr führen die Werte ein reales Leben nur in der konkreten Verwirklichung, d. h. aber, auf das Recht bezogen, nur in der Positivierung 77. Es ist bezeichnend, daß im Sinne Smends für Wert oft einfach „Sachgehalt", „Prinzip", „Rechtsgut", „politisches Gut" 7 8 steht und stehen kann. Zu dem „Weitsystem" gehören auch „Minderheitswerte und Kompromisse" 79 . Demgemäß meint „Wertsystem" nicht einen abstrakten, kryptonaturrechtlichen, nach bestimmten Gesetzen und Notwendigkeiten funktionierenden Schematismus von intransigenter Geschlossenheit80. Die Rede vom „Wertsystem", sen „zugleich auch als Prinzipien der Begründung und Gewährleistung sachlich gerechtfertigter Gesamtordnung" verstanden werden (so, im Sinne Smends, Hesse, Parteien S. 32; vgl. auch ebda. S. 28). 72 Vgl. Umbildung S. 39. 73 VerwR S. 78. 74 Ich beschränke mich auf eine Verteidigung Smends, was natürlich das Problem nicht erschöpft. Damit soll das oft zu vorschnelle Umgehen mit „Werten" in der neueren Literatur und Rechtsprechung keineswegs entschuldigt werden, wie überhaupt Forsthoffs Appell zu methodisch sauberem, diszipliniertem Denken in Jurisprudenz und Judikatur sehr ernst genommen wird. 75 Vgl. etwa Ethik der Neuzeit, 1926, S. 182 ff.; Das Allgemeine im Aufbau der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis, Leipzig 1941, S. 65 ff. 76 Vgl. Verfassung S. 160. 77 Vgl. Verfassung S. 264: der Grundrechtskatalog „normiert, „positiviert". Siehe ferner: Das Recht der freien Meinungsäußerung (1928), in: Staatsrechtliche Abhandlungen a. a. O. S. 92: grundlegende Elemente eines bestimmten Kultursystems sind als „oberstes Gesetz ... normativ anerkannt", und S. 96: die Grundrechte nehmen „zu bestimmten sachlichen Kulturgütern in einer bestimmten geschichtlich bedingten Wertkonstellation von Verfassungs wegen Stellung". Vgl. auch die starke „Betonung der Positivität der Grundrechte, unbeschadet ihrer legitimierenden und regulierenden Eigenart", Verfassung S. 267 Anm. 17. 78 Meinungsäußerung S. 91. 79 Ebda. S. 92. so Ein „System" muß nicht eine perfektionistische „Vollständigkeit und Geschlossenheit" (Umbildung S. 40 Anm. 8) erreicht haben, um als System gelten zu können. In der Jurisprudenz gibt es allenthalben „offene" Systeme, vgl. etwa Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, Tübingen 1956, S. 44, 238 u. ö.; Würtenberger, Die geistige Situation der deutschen Strafrechtswissenschaft, 2. Aufl., Karlsruhe 1959, S. 12. Zu diesem Problemkreis in bezug auf das Verfassungsrecht vgl. Smend, Art. Staat, in: Evan-
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wie allgemein vom „Sinnsystem" oder von der „Sinnmitte", hat auch hier zunächst einmal die Bedeutung: Überwindung der punktualistischen Vereinzelung, Intendieren und Sehen des Zusammenhangs und der Bezogenheiten, die zwischen den vielen Einzelnormen einer Verfassung und Rechtsordnung obwalten. Jedes Einzelne verweist schon aus sich immer auf das Allgemeine, ist überhaupt Einzelnes nur als Einzelnes eines Allgemeineren. Insofern ist die „systematische Disponiertheit" durchaus eine normimmanente, die freilich in einem bloß formal-logischen Verfahren als solche nicht erkannt werden kann. Für ein formal-logisches AufeinanderBeziehen muß in der Tat vieles als normtranszendent und als „Hypostasierung" erscheinen, was in Wirklichkeit normimmanent ist. In ähnlicher Weise folgen auch die angeblichen „interpretativen Rangstufungen" 81 nicht etwa einem freischwebenden Schema, sondern suchen das immanente Sinngefüge der Normen zu erweisen. Wovon hier andeutend die Rede ist, hat mit „dynamischem" Verfassungsverständnis nichts zu tun. Ist nicht solche Sehweise: vom Einzelnen zum Ganzen und wieder zurück, also eine Art in sich zurückschwingende Induktion, gerade auch vom Gedanken des institutionellen Gefüges her gefordert?
4. Institutionelles Rechtsdenken und geisteswissenschaftliche Interpretation Mit diesen Überlegungen ist der Forsthoff zutiefst bewegende, in der Tat grundlegende Fragenbereich der Interpretation und damit letztlich des Wissenschaftsbegriffs erreicht. Hier ist zuerst auf die methodologische Grundlegung einzugehen, die Forsthoff in seiner knappen Skizze des sog. institutionellen Rechtsdenkens im Rahmen seines Lehrbuchs des Verwaltungsrechts entfaltet 82; diese Art von Rechtsdenken erheischt nach seiner Intention unzweifelhaft Geltung für den gesamten Bereich des Rechts. Die institutionelle Rechtsauffassung geht von der Grundüberzeugung aus, daß das Recht eine Kulturerscheinung und als solche Teil der „objektiven Kulturwerte" ist, innerhalb deren die Erscheinungen des Rechts nach Rang und „Sinnzusammenhang" ihren festen Ort haben. Gegenüber dem Positivismus hält sie von dieser Grundüberzeugung aus an den „unverlierbaren Einsichten geisteswissengelisches Kirchenlexikon, Bd. III, 1959, Sp. 1109 und Hesse, Parteien S. 20 m. Anm. 25, wo in der Offenheit des Verfassungssystems geradezu die Legimität der politischen Ordnung des Grundgesetzes gesehen wird. Forsthoff, Umbildung S. 55, konstatiert zwar, daß das Verfassungsrecht „offen" geworden sei, versieht das jedoch im Hinblick auf die unsichere „Kasuistik" mit einem negativen Wertakzent. 81 Umbildung S. 38. 82 VerwR S. 151 f. Zur geistesgeschichtlichen Herleitung des institutionellen Rechtsdenkens vgl. Forsthoff, Zur Problematik der Rechtserneuerung, in: Zeitwende 1947/48, S. 679 ff. Wie sich mit jenen Ausführungen, die auf Luthers Rechtsauffassung und das reformatorische Menschenbild zurückgreifen, die neuesten Thesen Forsthoffs vereinbaren lassen, erscheint ziemlich rätselhaft.
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schaftlicher Forschung in den letzten Jahrzehnten" fest 83 . So ist es ihr besonderes Anliegen, „zu einer Art der Rechtsanwendung zu gelangen, die das positive Recht in seiner Strenge bestehen läßt, es jedoch im Zusammenhang mit den tragenden allgemeinen Rechtsgedanken versteht und handhabt". Dieses Ziel wird erreicht, wenn man die Rechtsordnung als ein „sinnvolles Gefüge von Institutionen, d. h. von gestalthaften Rechtsgebilden" begreift. „Staat, Verfassung , Selbstverwaltung, Eigentum.., Gesetz, ... Ehe und Familie stellen sich als solche Gebilde dar, die je ein Sinnganzes sind, zu dem sich die Vorschriften des positiven Rechts und die sie tragenden allgemeinen Rechtsgedanken zusammenfügen. Einen Rechtssatz auslegen heißt also, ihn wörtlich interpretieren und aus dem immanenten Sinnzusammenhang der Institution und der Stellung der Institution im Ganzen der Rechtsordnung verstehen " 8 4 . Mit Recht betont Forsthoff, daß diese Auffassung nicht nur zu einem richtigeren Verständnis der Normativität des Rechts in ihrem Verhältnis zu den tragenden Grundgedanken beitragen kann, sondern daß hiermit auch der Wirklichkeitsbezug des Rechts erst adäquat zur Geltung komme. „So vermeidet das institutionelle Denken eine Gefahr, welcher der Normativismus immer wieder erliegen muß, der, indem er die Rechtssätze als Sollenssätze versteht und seine Aufgabe ausschließlich in ihrer Auslegung aus sich selbst heraus versteht, notwendig den Zusammenhang mit der Seinssphäre verlieren muß" 85 . Es kann hier nicht darum gehen, Grundlagen und Tragfähigkeit der institutionellen Rechtsauffassung oder etwa ihr Verhältnis zum „konkreten Ordnungsdenken" 86 näher zu untersuchen87. Es verdient lediglich festgehalten zu werden, daß Forsthoff damit eine auf Sinnverstehen hin angelegte geisteswissenschaftliche Interpretationsmethode anerkennt, die jeden isolierenden normativistischen Formalismus zu vermeiden trachtet, indem sie Sinnganzheiten in einem Sinnzusammenhang sieht. Sie ist bestrebt, bei allem Bemühen, die „heilsame Strenge" des positiven Rechts zu wahren, eine Entfremdung der Norm von der sozialen Wirklichkeit zu verhindern. 83 VerwR S. 152 Anm. 2 zitiert Forsthoff beifällig eine Äußerung von Erich Kaufmann , VVDStRL 4, 1928, S. 81, wonach sich Rechtssätze und Institute nur „geistesgeschichtlich" erfassen lassen. 84 VerwR S. 151 f. Hervorhebungen vom Verf. 85 VerwR S. 152. 86 Vgl. hierzu v. Krockow, Die Entscheidung, Stuttgart 1958, S. 94 ff. Siehe auch E. W. Böckenförde , Gesetz und gesetzgebende Gewalt, Berlin 1958, S. 137 m. Anm. 29. 87 Die große Gefahr der institutionellen Methode liegt, falls das ihr an sich innewohnende Element der Dialektik vernachlässigt wird, in ihrer Tendenz zu statischer Vergegenständlichung und starrer begrifflicher Blockbildung mit der Folge, daß die Institutionen gleichsam als fensterlose Monaden erscheinen. Demgegenüber bedürfte sie notwendiger Korrektur durch die Berücksichtigung alles Dynamisch-Prozeßhaften im Rechtsleben. Keineswegs alle Rechtserscheinungen stellen (nur) „gestalthafte Gebilde" dar. Insbesondere Staat und Verfassung sind eben „Institution und Ereignis" (.Leuba), womit die einzuschlagende Denkrichtung schlagwortartig angedeutet sei. Vgl. hierzu auch Hesse, Parteien S. 19, sowie Marsch, Art. Institution, RGG 3 III, 1959, Sp. 783 ff.
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Kehrt man von hier aus zu den entsprechenden methodologischen Erörterungen in Forsthoffs Beitrag zur Carl-Schmitt-Festschrift zurück, so springt die Diskrepanz mit dem soeben Dargelegten in die Augen. Trotz gewisser verbindender Momente erscheint sie nicht hinreichend erklärbar. Soll nicht der naheliegende Eindruck entstehen, als ob hier ein grundsätzlicher Meinungsumschwung vorliege, so darf insbesondere zu diesem Problemkreis eine baldige, der Verwirrung vieler abhelfende Klarstellung Forsthoffs erwartet werden 873 . Gesetzesauslegung bedeutet für ihn, so wie er es in der zu analysierenden Abhandlung darlegt, „Ermittlung der richtigen Subsumtion im Sinne des syllogistischen Schlusses"88. Hierfür stehen dem Richter und jedem, der das Recht anzuwenden hat, eine Summe „klassischer" Regeln, ein überkommenes, zum Kernstück der abendländischen Kultur 8 8 a gehörendes System der juristischen Hermeneutik, eine spezifisch juristische Methode zur Verfügung. Als solche, sich aus der „immanenten Logik" der Normen ergebende Regeln erscheinen etwa die Sätze „lex specialis derogat legi generali", „lex posterior derogat legi priori" 89 , oder der Grundsatz, daß der Rückgriff auf den „systematischen Zusammenhang" erst zulässig ist, wenn die Auslegung über „Wortlaut und Sinn" der Textstelle nicht zum Ziele führt 90 . Für Forsthoff gibt es weiter offenbar feststehende Regeln der Analogie, wozu etwa der Grundsatz gehört, daß „aus Gründen der Logik" (?) jede Ausnahme der Erstreckung durch Analogie entzogen ist 91 . Im übrigen aber bleibt das herkömmliche System klassischer hermeneutischer Regeln eine weithin ungeklärte 87a Die jüngste, unser Thema betreffende Abhandlung Forsthoffs, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft, NJW 1960, S. 1273-1277, bringt keine Klärung, unterstreicht vielmehr das in der Carl-Schmitt-Festschrift Dargelegte. Die „neuen" Formen der richterlichen Rechtsfindung, die einen weiten Entscheidungsraum usurpierende Selbstbefreiung des Richters „von den Kunstregeln und logischen Prozeduren der gesetzanwendenden Rechtsfindung" (1277) seien vor allem bedingt durch die mit den Jahren nach 1945 eingetretene „Veränderung" des Rechtsbewußtseins; dieses sei bei gleichzeitiger „geistiger Minimalisierung" des Staates am Individuum mit seinen Rechtsschutz-Erwartungen in einem Maße orientiert, „für das sich ein historisches Vorbild schwerlich finden lassen dürfte" (1274, 1275).
88 Umbildung S. 41. In diesem Zusammenhang darf an Forsthoffs Äußerung (Sozialer Rechtsstaat S. 128) erinnert werden, wonach er immer bescheidenere Vorstellungen von dem Beruf des Juristen in dieser Zeit habe. Ganz anders noch etwa Recht und Sprache, a. a. O. passim, bes. deutlich S. 29: „Indem wir anerkennen, daß der Richter zu einer schöpferischen, das heißt das Recht fortführenden Rechtsprechung befähigt und befugt ist - was heute eines Beweises nicht mehr bedürftig sein sollte - , schließen wir die Deutung der Rechtsfindung als bloße Gesetzesvollziehung aus". Anderseits wiederum Umbildung S. 61: „Der Abbau der formal-rationalen Qualitäten des Verfassungsgesetzesrechts ist zugleich auch die Depossedierung der Rechtswissenschaft und des Juristen im Raum der Verfassung". Vgl. hierzu auch NJW 1960, S. 1277: „Reduzierung des Juristen auf den Rechtsfachmann". 88a Dies wurde von Forsthoff neuestens (NJW 1980, S. 1277) noch einmal betont; ausdrücklich wird dann von diesem Gedanken her über die (angebliche) „Preisgabe" des hermeneutischen Systems das Verdikt der „Primitivierung" verhängt. 89 Vgl. etwa Umbildung S. 38 Anm. 5 u. S. 43. 90 Umbildung S. 40 f. 91 VerwR S. 154.
Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung? Größe 9 2 . Von dem „verwirrenden Prinzipienantagonismus" 93 in der Interpretationslehre 9 4 scheint Forsthoff keinerlei Notiz zu nehmen. Larenz hat sich scheinbar getäuscht, wenn er seine Untersuchung über „Wegweiser zu richterlicher Rechtsschöpfung" mit der Feststellung beginnt, es bedürfe heute keiner Ausführung mehr, daß jede richterliche Tätigkeit, auch wenn sie nur in der schlichten Anwendung der Gesetzesnorm auf den Sachverhalt besteht, ein „schöpferisches Moment" enthalte 9 5 . Selbst ein so sehr der Logik verpflichteter, jeglicher Spekulation abholder Autor wie Engisch betont, daß die juristische Logik eine materiale Logik ist, „die Besinnung wecken soll auf das, was zu tun ist. Sie ist eine philosophische Logik und keine Technik" 9 6 . Dabei wird er nicht müde, die „Mehrdimensionalität" 9 7 oder den „Perspektivenreichtum" jeder Auslegungsmethode sowie die „Sinnbezüglichkeit jedes Rechtssatzes auf die Gesamtrechtsordnung" 98 hervorzuheben. Der Grundcharakter der von Forsthoff prätendierten spezifisch juristischen Hermeneutik wird dadurch bezeichnet, daß sie von jeder Art „geisteswissenschaft92 Trotz der Berufung auf Savigny: Umbildung S. 36! Dessen Auslegungstheorie mit ihren verschiedenen Elementen gehört zwar „zum einigermaßen festen Bestand der juristischen Hermeneutik" (Engisch, Einführung in das juristische Denken, 2. Aufl., Stuttgart 1959, S. 77); aber sie bedürfen einer viel stärkeren Differenzierung und werfen im Grunde mehr Fragen auf als sie lösen, wie gerade etwa in der Darstellung Engischs allenthalben deutlich wird. Jedenfalls aber sind sie nur mittels geisteswissenschaftlicher Methode hinreichend zu verstehen. 93 So Bender, Zur Methode der Rechtsfindung bei der Auslegung und Fortbildung gesetzten Rechts, JZ 1957, S. 593. 94 Aus der Fülle des Schrifttums wird hier verwiesen auf Betti, Teoria generale della interpretazione, 2 vol., Milano 1955; ders., Zur Grundlegung einer allgemeinen Auslegungslehre, in: Festschrift für Ernst Rabel, Band II, 1954, S. 79 ff.; Coing, Die juristischen Auslegungsmethoden und die Lehren der allgemeinen Hermeneutik, Köln/Opladen 1959; Kronstein, Rechtsauslegung im wertgebundenen Recht, Karlsruhe 1957; vgl. ferner die Beiträge von Esser, Zur Methodenlehre des Zivilrechts, und von Jescheck, Methoden der Strafrechtswissenschaft, in: Studium Generale 1959, S. 97 ff., 107 ff. 95 Larenz, Wegweiser zu richterlicher Rechtsschöpfung. Eine rechtsmethodologische Untersuchung, in: Festschrift für Arthur Nikisch, Tübingen 1958, S. 275, „weil sowohl die Auswahl der ,zutreffenden' Norm wie die Würdigung des Sachverhalts nach den in der Norm angegebenen Kriterien eine nicht lediglich mechanische Denktätigkeit erfordert. Die Anwendung des Gesetzes ist niemals nur ein Rechnen mit im voraus genau bestimmten Größen". Vgl. auch Wieacker, Gesetz und Richterkunst, Karlsruhe 1958, passim, bes. S. 17, ferner Bachof, a. a. O. S. 8 und Köttgen, Kommentare zum Grundgesetz, AöR 85 (1960), S. 76 f. 96 Engisch, a. a. O. S. 5; ders., Aufgaben einer Logik und Methodik des juristischen Denkens, in: Studium Generale 1959, S. 76 ff. Dort wird besonders deutlich herausgestellt, daß der Schwerpunkt auf der „mit vielen Zweifeln belasteten Gewinnung der Prämissen" liegt (S. 86). Die logischen Formeln „klappen" erst dann, wenn die Prämissen richtig sind, also wenn etwa festgestellt, welche Norm die allgemeine und welche die besondere ist usw. Siehe hierzu auch Klug, Juristische Logik, 2. Aufl., Berlin / Göttingen / Heidelberg 1958, S. 145 ff., der ausdrücklich gegen die Verwechslung von „Auslegung" und „juristischer Logik" Front macht. 97 Einführung S. 79. 98 Einführung S. 81.
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licher", und das heißt für ihn: „philosophischer" (ideenwissenschaftlicher) Deutung polemisch abgesetzt wird". Zwar hat für ihn die „Rechtskunst" der Auslegung „Sinnerfassung" zum Gegenstand, diese geschieht jedoch nicht durch „Verstehen". Sie läßt nicht wie die geisteswissenschaftliche Methode die formalen Elemente beiseite, die durch das „Gesetz" im Sinne des Rechtsstaats gegeben sind, anderseits verzichtet sie auf die verstehende Erkenntnis einer „Sinnmitte" und intendiert gerade nicht eine Sinnerfassung „durch Einordnung in weitere geistige Zusammenhänge"100. Selbstverständlich ist es geboten, auf die polemische Richtung solcher Thesen zu achten und das Anliegen Forsthoffs, mittels einer „exakten" 101 juristischen Methode die Normativität der Verfassung zu stärken, in Rechnung zu stellen. Es muß aber gefragt werden: Wenn die juristische Methode - und Forsthoff spricht im allgemeinen von ihr, nicht nur bezüglich des Verfassungsrechts - nicht eine geisteswissenschaftliche ist, was ist sie dann? Wenn sie nicht „verstehen" will, was tut sie dann? Hat Jurisprudenz dann überhaupt noch Wissenschaftscharakter, und, wenn ja, welcher Kategorie von Wissenschaft ist sie zuzuordnen? Der moderne Begriff der Geisteswissenschaften wird u. a. durch den Gegensatz zu den Naturwissenschaften bezeichnet102. Spricht man der Rechtswissenschaft den Charakter einer Geisteswissenschaft ab, so liegt es dann nahe, sie als Naturwissenschaft zu qualifizieren, als Wissenschaft also, die nicht durch die Methode des „Verstehens", sondern durch die des „Erklärens" gekennzeichnet ist, die es nicht in erster Linie mit Qualitäten, sondern mit Quantitäten, nicht mit „Grund und Folge", sondern mit der Verknüpfung von „Ursache und Wirkung" zu tun hat, die nicht Freiheit, sondern (nur) Notwendigkeit kennt, die nicht auf „Gewißheit", sondern auf „Evidenz" angelegt ist. Es kann schwerlich angenommen werden, daß Forsthoff mit seiner Abwehr des Verstehenselementes die juristische Methode und damit die Jurisprudenz überhaupt im Bereich der Naturwissenschaften habe ansiedeln wollen. Immerhin weisen die Betonung der bloßen Subsumtion, des syllogistischen Schließens, auch die Vorstellung, daß die hermeneutischen Regeln „exakt" seien, und nicht zuletzt der Gesetzesbegriff unbezweifelbar in die Nähe formal-quantifizierender naturwissenschaftlicher Denkweise. Eine andere Möglichkeit der „Auslegung" der Forsthoffschen Darlegungen ist die der Leugnung des Wissenschaftscharakters der Interpretation überhaupt. Vielleicht ist sie nur Anwendung formal-technischer „Kunstregeln", zu deren Kenntnis es lediglich empirischer „Kunde", „mechanischen Scharfsinns" 103 bedarf, auf 99 Umbildung S. 41. 100 Umbildung S. 44. 101 Umbildung S. 38 oben. 102 Vgl. Gadamer, Art. Geisteswissenschaften, RGG3 II (1958), Sp. 1304; Rombach, Art. Geisteswissenschaften, Staatslexikon6 III (1959), Sp. 664; siehe auch Engisch, Einführung S. 7 u. 71. 103 So Schelling, Werke III, S. 335, bezüglich der Auslegung des Privatrechts.
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einen ebenso formal-technisch verstandenen Normenmechanismus; vielleicht ergeben sich aus deren Zusammenspiel „automatisch" „notwendige" Konsequenzen, die es lediglich zu registrieren gilt. So sehr wiederum auch solche Elemente mitschwingen, macht doch das Festhalten Forsthoffs an einem wissenschaftlichen 104 „System" der Hermeneutik, in dem rational-evidente Regeln von logischer Stringenz zusammengefügt sind, diese Deutung unmöglich. Danach bliebe nur noch die Möglichkeit, juristische Methode und Jurisprudenz als ein spezifisches aliud zwischen Natur- und Geisteswissenschaften aufzufassen. Sollte Forsthoff dies meinen, so wäre dem freilich grundsätzlich zu widersprechen. Rechtswissenschaft - und Verfassungsrechtslehre zumal! - ist eine geisteswissenschaftliche Disziplin, weil sie es mit dem Menschen und einer bestimmten Objektivation menschlichen Geistes, mit „Menschenwerk" in der besonderen Form des „Sprachwerks" 105 zu tun hat 1 0 6 . Als solche, als „angewandte Geisteswissenschaft" 107 , ist sie notwendig, ja geradezu „existentiell" 1073 auf verstehende Interpretation angelegt und angewiesen, und zwar sowohl in ihrer historischen wie in ihrer dogmatischen Form, als „Forschungsdenken" wie als „Meinungsdenken"108. Juristische Methode und Interpretationslehre stehen in engem sachlichen Zusammenhang mit den Lehren der allgemeinen geisteswissenschaftlichen Hermeneut i k 1 0 9 . Auch hier kann man sich wiederum auf Engisch als unverdächtigen Zeugen berufen: „Nur der Jurist, der nach dem wahren Sinn und dem rechten Verstehen der Rechtsvorschriften strebt, macht glaubhaft, daß die Rechtswissenschaft eine Geisteswissenschaft ist, so gewiß Sinn und Verstehen nach moderner Auffassung das maßgebliche Kriterium der Geisteswissenschaften sind" 110 . Für solchermaßen 104 Vgl. Umbildung S. 36 u. 41 („wissenschaftliche Auslegung"). 105 Vgl. Rothacker, Die dogmatische Denkform in den Geisteswissenschaften und das Problem des Historismus, Wiesbaden 1954, passim. 106 Vgl. Rombach, a. a. O.: „Geist" meint das immer schon notwendig mitgegebene und -aufgegebene „Selbstverhältnis und Selbstverständnis ... des Menschen in seiner Totalität" (Sp. 662 f.). Alles Handeln, alle Objektivation geht notwendig „durch das Medium einer Selbst- und Seinsauslegung" hindurch. „Die geisteswissenschaftliche Methode liegt... in der Zurückführung der Fakten auf das Ganze eines Lebens- und Seinssinnes, also in der »Interpretation'" (Sp. 665). Zum Problem der Hermeneutik (nicht nur in theologischer Hinsicht) sehr gut orientierend Ebeling, Art. Hermeneutik, RGG3 III (1959), Sp. 242 ff., wo auch betont wird, daß das Vorverständnis im Vorgang des Verstehens selbst jeweils der kritischen Klärung ausgesetzt bleibt (Sp. 257).
107 Coing, a. a. O. S. 23. i07a Vgl. Stern, Interpretation - eine existentielle Aufgabe der Jurisprudenz, NJW 1958, S. 695-698. 108 Vgl. hierzu Viehweg, Zur Geisteswissenschaftlichkeit der Rechtsdisziplin, in: Studium Generale 1958, S. 334 ff., bes. S. 338, 340. 109 Dies zu zeigen ist, in Übereinstimmung mit Betti, das besondere Anliegen Coings in der Anm. 94 angeführten Schrift. ho Einführung S. 71. Treffend auch S. 98: „Das rechte Verstehen des Gesetzes setzt voraus, daß wir uns selbst recht verstehen." Umbildung S. 53 redet Forsthoff zur Wahrung von Rationalität und Berechenbarkeit einer „sinnvollen Veralltäglichung" von Normen mit ethi-
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aufgefaßte Interpretation ist es wesentlich, daß dabei - im Sinne des „hermeneutischen Zirkels" 111 und unter Bewußtmachung der hermeneutischen Situation des Menschen - der Blick „vom Ganzen zum Teil und vom Teil zum Ganzen" geht. „Das Ganze existiert nur in den Teilen und wird allein in diesen begriffen; diese selber sind aber nur aus jenem verständlich" 112 . Auf einige Momente aus dem hier angeschnittenen Problemkreis ist noch hinzuweisen: (1) Normsetzung setzt ein Verstehen des zu normierenden Sachverhalts voraus, wenn anders sie nicht bloße Deskription bleiben will. Die Norm hat also ein verstehend Erkanntes zum Gegenstand. Es ist dann aber nicht einsichtig, wie ein in der juristischen Auslegung sich vollziehendes Erkennen dieses Erkannten und dessen Weiterdenken auf eine konkrete Entscheidung hin ohne Verstehen möglich, inwiefern hier eine [ieräßaoig eig äkXo yevog 113 notwendig sein soll. Dies gilt auch dann, wenn man Normierung in erster Linie in einer Dezision sich erschöpfen läßt; auch diese setzt ein bestimmtes Verstehen des zu regelnden Sachverhalts voraus. (2) Eine juristische Methode, die eine nicht-verstehende zu sein vorgibt, versteht allein schon damit sich und ihren Gegenstand in bestimmter Weise mittels eines unbewußten oder bewußt verschleierten „Vorgriffs". Erst recht kann sie, wie das selbstverständlich auch Forsthoff tut, soziologische oder historische Erkenntnisse - und sei es nur bezüglich der Entstehungsgeschichte114 eines Gesetzes - , aus denen ganz bestimmte, zum Teil normative Folgerungen abgeleitet werden, nur im Wege verstehender Sinnerfassung gewinnen. Nur scheinbar verzichtet sie hierbei auf eine Sinnmitte und auf die Einordnung in weitere geistige Zusammenhänge. Solches ist, jedenfalls unterschwellig, immer schon mit im Spiel. (3) Mit der betonten Einbeziehung der Jurisprudenz in den Bereich der Geisteswissenschaften ist allerdings nicht gesagt, daß sie nicht bezüglich ihrer Methode spezifische Unterschiede von anderen Geisteswissenschaften aufwiese und daß nicht auch innerhalb der rechtswissenschaftlichen Einzeldisziplinen weitere Differenzierungen bestehen könnten. Das ergibt sich schon aus der grundlegenden Einschen oder religiösen Gehalten durch die richterliche Interpretation das Wort; demgegenüber Engisch, S. 84: es ist notwendig, „daß der Jurist beim Interpretieren das Gesichtsfeld des bloßen Praktikers durchbricht und um ein rein geisteswissenschaftliches Verstehen ringt". in Heidegger, Sein und Zeit, 8. Aufl., Tübingen 1957, S. 152 f.; Gadamer, Vom Zirkel des Verstehens, in: Martin Heidegger zum 70. Geburtstag. Festschrift, Pfullingen 1959, S. 24 ff. 112 Rombach, a. a. O. Sp. 665. Vgl. auch (im Anschluß an Betti) Coing S. 14 u. 18 f. zum hermeneutischen Canon der „Einheit" im Sinne von D. 1, 3, 24: „Incivile est nisi tota perspecta lege una aliqua particula eius proposita iudicare vel respondere" (Celsus). 113 Vgl. Umbildung S. 41; für Forsthoff ist umgekehrt jede verstehende Sinnerfassung pLExdßaoig eig ölko yevog, und zwar der Philosophie. Dabei bleibt aber der Bereich, aus dem ein Überschreiten angenommen wird, weithin im Unklaren. 114 Umbildung S. 48 meint Forsthoff: „Wo nichts gemeint ist, läßt sich auch nichts interpretieren." Vgl. demgegenüber aber den berechtigten Hinweis Coings (S. 16, 21) auf den hermeneutischen Gesichtspunkt der „überschießenden Bedeutung eines Geisteswerks".
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sieht in die Gegenstandsbezogenheit und -abhängigkeit jeder Methode, und insofern ist die Rechtswissenschaft eine typische „Normwissenschaft" 115, gehört die juristische Auslegung zu den Auslegungstypen „in funzione normativa" 116 . Der Gesetzesinterpretation sind durch ihren Gegenstand in der Tat Schranken gesetzt, und es ist richtig, wenn Forsthoff darauf insistiert, daß es eine „Beliebigkeit der Auslegungsprozeduren" 117 nicht gibt. Mit Recht hat er auch schon früher betont, daß es auf das grundsätzliche Verhältnis von Gesetzgebung und Rechtsanwendung, insonderheit auf die verfassungsmäßige Stellung des Richters ankomme 118 . Aber es ist ein Irrtum zu glauben, wahre geisteswissenschaftliche Auslegung übersehe dies 119 und ermögliche eine beliebige Methodenvielfalt 120 . Wenn geisteswissenschaftliche Interpretation sich bewußt ist, in jenen oben beschriebenen hermeneutischen Zirkelgang „vom Einzelnen zum Ganzen und wieder zurück" eingespannt zu sein, so läßt dies nicht zu, die besonderen Formqualitäten des Rechts und des Gesetzes, ihren spezifischen Stellenwert innerhalb des Ganzen zu vernachlässigen. Sie nimmt die Positivität des Rechts ernst - denn in der Tat bedeutet die Überwindung des Positivismus nicht die Preisgabe der Positivität überhaupt 121 - , ist aber nicht des Glaubens, die Wirklichkeit von Recht und Gesetz könne sich darin erschöpfen oder das Recht bedürfe keiner „Rechtfertigung" mehr. Sie stimmt gerade nicht ein in die „heute verbreitete summarische Diskreditierung des Positivismus" 1 2 2 , und ebenso ist ihr eine oberflächliche „Diskreditierung der Legalität" 123 fremd, wogegen sich Forsthoff mit Grund wendet. 115
Vgl. etwa Hesse, Normative Kraft, S. 5. U6 ßetti, Teoría II, p. 790 sq. und in Festschrift Rabel II, S. 145: „Auslegung von Richtlinien des sozialen Verhaltens, die als Maxime einer Entscheidung oder eines Handelns, überhaupt als Maßstab der Wertung eines Verhaltens im Rahmen und nach Maßgabe einer geltenden Rechtsordnung zu beachten sind." Entsprechend auch Coing, S. 23, 50. i n Umbildung S. 36. Iis Recht und Sprache S. 45; vgl. auch Engisch, S. 94 f. 119 Es ist deshalb unrichtig, daß die geisteswissenschaftliche Methode die überkommene juristische Hermeneutik „abstreife" oder daß sich die sogenannte geisteswissenschaftlichwerthierarchische Methode und die sonstigen herkömmlichen Methoden ausschlössen, Umbildung S. 51. Vgl. Anm. 109. 1 20 Jedenfalls kann man nicht Smend eine solche Beliebigkeit vorwerfen oder meinen, er sehe nicht die Grenzen der Verfassungsauslegung, die sich aus der Verfassung selbst ergeben. In seinem Gutachten zur Frage des Wehrbeitrags etwa (in: Der Kampf um den Wehrbeitrag, 2. Halbbd., München 1953, S. 569) erinnert er - bei aller Anerkennung der Elastizität einer Verfassung (vgl. Verfassung S. 190) - ausdrücklich daran. „Der Verfassungsgesetzgeber soll nach dem Grundgesetz klar reden, die Auslegung des Grundgesetzes muß daher sorgfältig und restriktiv sein, damit die Bürger der Bundesrepublik sich auf das Wort des Grundgesetzes verlassen können - ein ... dringendes Gebot der Verfassungsmoral". S. 572 ff. erhebt er im einzelnen Bedenken dagegen, daß „aus dem Grundgesetz entweder zuviel herausgelesen oder daß es in unzulässiger Weise ergänzt wird"! 121 Umbildung S. 39. Allerdings wäre dann alsbald zu fragen, was man unter Positivität versteht, ein durchaus klärungsbedürftiger Begriff. 122 Umbildung S. 37. 123 D Ö V S. 43.
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(4) Wie schon angedeutet, hat für ihn geisteswissenschaftliches Vorgehen die „Abdankung der juristischen Methode" 124 und eine heillose Auslieferung an die Philosophie, hinter deren jeweiligen Systemen sie überdies nachhinke 1243 , an Philosopheme und Ideologien, an Subjektivismus und divergierende „Werte" zur Folge. Die sich hier auftuenden Schwierigkeiten sollen wahrlich nicht bagatellisiert werden, und es wäre falsch, Forsthoffs Warnungen ohne kritische Besinnung einfach in den Wind zu schlagen. Es soll auch nicht gesagt sein, daß das philosophische Fundament der Integrationslehre Smends, gegen die er vornehmlich polemisiert, jeglicher Kritik entrückt sei 125 . Es kann ferner nicht verkannt werden, daß heutige Jurisprudenz oft zu schnell geneigt ist, zu Philosophemen und Werten ihre Zuflucht zu nehmen, womit sie vielfach gerade die ihr aufgetragene „Sachlichkeit" verfehlt 125a . Aber es ist vor einer juristischen Vogel-Strauß-Politik zu warnen. Der Jurist muß sich der Gefahr des Subjektivismus oder welcher notwendig mit unserem Menschsein verbundenen Gefahr immer stellen; denn das Ausweichen in die reine Positivität und Technizität des Rechts ist immer, wie Larenz zu Recht betont, eine „Selbsttäuschung". „In Wahrheit ist die Metaphysik, der man den offenen Zutritt versagt, in den unausgesprochenen Voraussetzungen immer schon enthalten." 1 2 6 Ähnlich muß man mit Coing die Meinung für einen „Grundirrtum" halten, „man könne aus der Jurisprudenz alle Auslegungsgesichtspunkte außer dem logischen ausschalten, man könne die juristische Interpretation ausschließlich auf deduktive Logik zurückführen und Weitgesichtspunkte völlig vermeiden" 127 . 124 Umbildung S. 41. 124a Vgl. Umbildung S. 41 u. 52. 125 Vgl. hierzu in erster Linie Smend selbst, Art. Integrationslehre, Hdwb SozWiss., Bd. V, S. 299 ff.; Momente der Korrektur sind auch in seinem Art. Staat, Ev. Kirchenlexikon, Bd. III (1959), Sp. 1105 ff., erkennbar. Vgl. ferner/fowe, Normative Kraft, S. 12 u. ö., Hennis, a. a. O. S. 22, Häußling, Art. Integration, Staatslexikon6, Bd. IV (1959), Sp. 341 ff., und Ehmke, a. a. O., wo S. 60 eine umfassende Würdigung des Werkes von Theodor Litt postuliert wird. Welches aber auch immer das Ergebnis einer solchen Untersuchung sein mag, es geht nicht an, die Philosophie Theodor Litts kurzerhand als „drittrangiges Philosophem" zu disqualifizieren; dies aber tut Forsthoff offenbar, wenn er anläßlich einer Besprechung von Carl Schmitts Verfassungsrechtlichen Aufsätzen (1958) sagt, das neue Werke sehe sich einem Verfassungswesen konfrontiert das im Begriff stehe, „seinen juristischen Rang in der Hingabe an Gemeinplätze und drittrangige Philosopheme zu verlieren" (Das historisch-politische Buch, 1958, S. 246). !25a So fragt neuerdings etwa, allerdings ganz im Banne Forsthoffs, Scheerbarth , Ist im Verwaltungsrecht die Hermeneutik auf Abwegen?, DVB1. 1960, S. 185 ff. Kritisch hierzu Haueisen, Zur Rechtsfindung auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts, DVB1. 1960, S. 350 ff. 126 Larenz, a. a. O. S. 290. Deshalb ist Forsthoffs - relativ berechtigter - Ruf nach der „Eigenständigkeit der Rechtswissenschaft" gegenüber der Philosophie (Umbildung S. 52 Anm. 30) im Grunde trügerisch. Will die Jurisprudenz nicht auf theoretische Fundierung und auf ihren Wissenschaftscharakter verzichten, und soll nicht doch die ernsthafte Gefahr bestehen, daß das Rechtswesen „außer Zusammenhang mit den geistigen Bewegungen der Zeit" (Umbildung S. 41 Anm. 9) gestellt wird, so muß die Rechtswissenschaft (zumindest) für philosophisches Fragen, und das heißt vordergründig schlicht: ganzheitliches Fragen, Fragen nach dem Grund, auf dem man sich bewegt, offen sein.
127 Coing , S. 22. Vgl. auch Bachof, S. 40 f.
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5. Verfassungswandlung
und „ Umbildung "
Nachdem versucht worden ist, in kritischer Beleuchtung die verschiedenen methodischen und sachlichen Elemente im Denken Forsthoffs aufzuhellen, muß noch thesenhaft kurz auf das Problem der Verfassungswandlung eingegangen werden; alle jene Elemente spielen hierfür eine Rolle. In dem zu besprechenden Aufsatz erscheint der Begriff der Verfassungswandlung undiskutiert. Andernorts kennzeichnet sie Forsthoff ausdrücklich im herkömmlichen Sinne als „Wandlung des materiellen Gehalts der Verfassung bei formell unverändertem Bestehen des Verfassungstextes" 128. Da „Verfassung und Wirklichkeit" einander „zugeordnet" seien, sei mit der Möglichkeit einer Verfassungswandlung als „rechtlicher Gegebenheit", also einer Änderung des „Sinngehaltes" von Verfassungsnormen zu rechnen. Eine Verfassungswandlung liegt aber nach Forsthoff nur dann vor, wenn sich in einem historischen Prozeß ein „echter Wandel der Wirklichkeit" vollzogen hat; einmalige, in einem bestimmten historischen Ereignis manifeste, bewußt-gesetzte oder intentional-gesteuerte Veränderungen der Wirklichkeit können dagegen nicht Grundlage einer Verfassungswandlung im Rechtssinne sein.
Bezüglich der „Umbildung" des rechtsstaatlichen Verfassungsgefüges unterscheidet Forsthoff in seinem Beitrag zur Carl-Schmitt-Festschrift zwei Arten von Verfassungswandlung 129: einmal solche, die sich, ohne das Gefüge grundsätzlich in Frage zu stellen, lediglich als „Zugeständnisse an die veränderte soziale Wirklichkeit", als „Adaptierungen" „aus Gründen der Notwendigkeit" darstellen. Hier ist so gedacht, wie es schon oben charakterisiert wurde 130 : Norm und Wirklichkeit stehen sich grundsätzlich als festgefugte Blöcke gegenüber. - Verfassungswandlungen dieser Art sind von jenen zu unterscheiden, die im Sinne einer „Umbildung" das rechtsstaatliche Gefüge in seinem Wesensgehalt verändern. Als wichtigstes Vehikel gerade einer solchen Verfassungswandlung erscheint bei Forsthoff die auf einer bestimmten staatsrechtlichen und verfassungstheoretischen Methode aufbauende Verfassungsinterpretation. Die Frage nach normativen Grenzen einer verfassungswandelnden Umbildung (oder nach Abhilfen dagegen!) wird nicht ausdrücklich gestellt; doch wird man im Sinne Forsthoffs sagen müssen, daß mit der grundsätzlichen Veränderung eines begrifflichen Gefüges auch normativ die Grenzen einer Verfassungswandlung überschritten sind. Hier wird deutlich, wie eng für ihn Verfassungswandlung und Begriffswandlung zusammenstehen. Der eigentliche Bezugspunkt, von dem aus beurteilt wird, ob eine Verfassungswandlung vorliegt oder nicht, ist dann - in letzter Konsequenz, der sich freilich Forsthoff zumindest sehr anzunähern scheint - nicht die konkrete Verfassung in ihrer Ganzheit, mit ihren antinomischen Prinzipien, sondern der Begriff, den man in der Verfassung rein institutionalisiert sieht. Es bedürfte einer umfassenden Würdigung des Grundgesetzes, um zu zeigen, daß es die Elemente des Rechtsstaats, des So128 Wehrbeitrag S. 326 f. 129 Umbildung S. 35. 130 S. 248. 9 Hollerbach
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zialstaats131 und des Justizstaats bewußt auf der Ebene des Verfassungsrechts zusammenordnet und gerade ihr Spannungsverhältnis will, so daß sie nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Das Grundgesetz hat mit der Sozialstaatsklausel, mit der Schaffung der Verfassungsgerichtsbarkeit und der allgemeinen Stärkung der „dritten Gewalt" diese Zusammenordnung von vornherein intendiert. Es ist deshalb nicht möglich, hierin vom Standpunkt des Grundgesetzes aus eine Verfassungswandlung zu sehen, allenfalls von einem reinen Typusbegriff des formalen Rechts- bzw. Gesetzesstaats oder möglicherweise von der Weimarer Reichsverfassung aus. Gewiß, in der Verfassungspraxis hat sich dieser Zug verstärkt, jener ist zurückgetreten, man kann Akzentverschiebungen konstatieren; das soll nicht geleugnet werden und bedürfte im einzelnen sorgfältiger Untersuchung, vor allem im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 132. Es gibt auch ein legitimes, vielleicht sehr spannungsgeladenes Einleben in die Verfassung, wobei gewisse in der Verfassung angelegte Linien und Intentionen erst mit Leben erfüllt werden und widerstreitende Prinzipien sich zu dem von der Verfassung gewünschten optimalen Maß auspendeln. Es wird hier nicht untersucht, ob auch schon vom Standpunkt des Grundgesetzes aus Fälle echter Verfassungswandlung festgestellt werden können; jedenfalls kann aber von einer „Umbildung" im Sinne Forsthoffs, von einer „Ablösung" des Rechtsstaats durch den Justizstaat begründetermaßen nicht gesprochen werden. Forsthoff behauptet, der Prozeß der „Umbildung des Verfassungsgesetzes" mit seinen vollendeten oder sich anbahnenden Verfassungswandlungen sei unterstützt durch den Wechsel der herrschenden staatsrechtlichen Methode, wenn nicht letztlich allein eine Folge davon. Er macht gewissermaßen, wenn das so pointiert gesagt werden darf, Rudolf Smend für alle von ihm kritisch analysierten Erscheinungen verantwortlich 133 . Nun kann sicherlich ein grundsätzlicher Wandel in der Methode interpretative Verfassungswandlungen zur Folge haben. Aber einmal ist die Lehre Smends nicht erst von 1949; zum andern ist die Frage, welche Methode die angemessene ist, richtigerweise nicht allein abstrakt nach dem „Richtig" oder „Falsch" der wissenschaftlichen Methoden, sondern in erster Linie von der kon!3i Vgl. E. R. Huber, Zur Problematik des Kulturstaats, Tübingen 1958, S. 4: „Das rechtsstaatliche und das sozialstaatliche Moment sind dem modernen Verfassungsstaat per definitionem zugeordnet.... Der moderne Staat ist Verfassungsstaat in dem Maß, in dem er als Rechtsstaat und Sozialstaat sich bewährt." 132 Vgl. W. Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 2. Aufl., Stuttgart 1958. 133 Dabei ist Forsthoff dem methodischen Grundansatz und sachlichen Anliegen Smends schwerlich gerecht geworden. Was speziell dessen - zugegeben: weiterer Klärung und „Absicherung" bedürftige - These von der „fließenden Geltungsfortbildung des gesetzten Verfassungsrechts" (Verfassung S. 242) anlangt, so übersieht Forsthoff völlig, daß es für Smend, zumindest wenn man von ihm aus weiterdenkt, selbstverständlich auch Grenzen der Geltungsfortbildung gibt. Vgl. auch Hesse, Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, Göttingen 1956, S. 28 ff., 33. Eine technisch-formalisierte Norm kann allerdings an einer Geltungsfortbildung nicht teilhaben.
Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung?
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kreten Verfassungslage aus zu beurteilen. Hier aber dürfte es, schon von einem vordergründigen historischen Sinnverständnis her, als sicher gelten, daß dem Grundgesetz nichts ferner lag, als ein formal-technisches Verständnis eines reinen, ausschließlich als institutionelles Gefüge gesehenen Rechtsstaats - mit dessen Annahme Forsthoffs Interpretationsmethode steht und fällt - zu restaurieren.
6. Forsthoffund
Max Weber
Abschließend wird in gedrängter Skizzierung versucht, den philosophischwissenschaftstheoretischen Wurzelgrund der Auffassungen Forsthoffs unter wissenschaftsgeschichtlichem Blickpunkt 134 aufzuspüren. In stärkstem Maße zeigt sich Forsthoff von Max Weber 135 - auf den er sich in seinen Schriften allenthalben als Autorität beruft 136 - und damit von Neukantianismus 137 beeinflußt. Schon aus diesem Grunde muß übrigens der Vorwurf, Smend huldige einer Philosophie „von vorgestern" 138, als rein zeitlich nicht zutreffend zurückgegeben werden. Einige Einzelmomente sind zur Sprache zu bringen: Schon Erich Kaufmann 139 hat, u. a. gerade mit Blick auf Max Weber , die für die neukantische Richtung bezeichnende „Eindimensionalität des Denkens" deutlich signalisiert und hervorgehoben, daß isolierend-statisches Denken notwendig eine entgeistigende und entwirklichende Technisierung (Stilisierung, Formalisierung) zur Folge hat. Nicht als ob Kaufmann Notwendigkeit und Berechtigung der Technisierung, im besonderen der Rechtstechnik übersehen habe; aber er betont mit vollem Recht, daß die Rechtstechnik lediglich eine „relative Berechtigung" habe, und wehrt sich dagegen, daß man unter Verkennung ihrer Funktion die Technik zum Prinzip mache und so Recht ausschließlich als „soziale Technik" begreife. Eben dies ist aber kennzeichnend für Max Webers Anschauung von Staat und Recht. Für ihn ist der Staat „Betrieb", ein, wie treffend gesagt worden ist, „Kon134 Vgl. auch Sontheimer, Zur Grundlagenproblematik der deutschen Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, ARSP XLVI (1960), S. 39 ff. 135 Die Vermittlung durch Carl Schmitt , Webers „gelehrigen Schüler" (Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik 1890-1970, Tübingen 1959, S. 380), und dessen selbständiger Einfluß werden hier außer Betracht gelassen. Vgl. Forsthoff, Der Staatsrechtler im Bürgerkrieg. Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, in: Christ und Welt, Nr. 29 v. 17. 7. 1958, S. 14. Dieser Würdigung Carl Schmitts ist Erich Kaufmann mit vollem Recht entgegengetreten (Carl Schmitt und seine Schule. Offener Brief an Ernst Forsthoff, in: Deutsche Rundschau, 84. Jg. 1958, S. 1013-1015). 136 Vgl. etwa Umbildung S. 40, 52 f., 57; auch Grenzen des Rechts, Königsberg 1941, S. 12, wonach Max Weber „unverlierbare Einsichten in das Wesen des modernen Rechts" zu verdanken sind.
1 37 Vgl. u. a. Erik Wolf Max Webers ethischer Kritizismus und das Problem der Metaphysik, in: Logos XIX (1930), S. 359 ff. (360). 138 Umbildung S. 52. 139 Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, Tübingen 1921, S. 64 ff., 75. 9*
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Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung?
glomerat von Techniken" zu bestimmten Zwecken 140 , eine res fungibilis gewissermaßen. Indem bei Weber bloß „kausalwissenschaftlich-sozialtechnologisches" 141 Vorgehen und der Gedanke der technisch-formalen Rationalisierung beherrschend sind, kann er den Staat nur als ein auf „Gewaltsamkeit gestütztes Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen" 142 , als rationalen Anstaltsbetrieb mit dem Monopol physischer Gewalt 143 und die Verfassung als System praktischer Spielregeln 144 sehen. Diese Technisierung und Formalisierung beruht letztlich, wie schon erkennbar wurde, auf der neukantischen Entgegensetzung von Wirklichkeit und Wert, von Norm und Faktum. Danach tritt alles geistige Wissen und Verhalten in ein „wissenschaftlich wertfreies und dämonisch wertendes" 145 auseinander. Mitbedingt durch die Wirkung der damals aufstrebenden Naturwissenschaften verschließt sich nach dieser Auffassung „wahre Wissenschaft" allen Problemen der Weitung, ist wertneutral. Ihr oberstes Ziel ist „Verzicht auf Spekulation ... Analytische Arbeit, ohne Voraussetzung oder Zielsetzung eines Gesamtsinnes, Diagnose, nicht Therapie" 146 . Dahinter stehen ein ethischer Kritizismus 147 mit der Folge eines historistischen Wertrelativismus und ein theoretischer Agnostizismus mit der Folge einer Staatsfremdheit 148. Darüber darf das Positive solcher Haltung nicht übersehen werden; denn es wird hier geradezu mit ethischem Rigorismus um entideologisierte, entmythologisierte Objektivität gerungen. In der Forderung nach „intellektueller Rechtschaffenheit" drückt sich dieses ernstzunehmende „Ethos selbstkritischer Wahrhaftigkeit" 149 aus. Daran zu erinnern und zu solcher Haltung zu mahnen, ist wohl ein Anliegen von Forsthoffs Abhandlung über die Umbildung des Verfassungsgesetzes. Insofern ist 140 Smend, Verfassung S. 184 f. 1 41 Smend, Verfassung S. 158 f. Zur Auseinandersetzung Smends mit Max Weber siehe auch Staat und Politik (1945), in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 1955, S. 370 ff., 375. 1 42 Staatssoziologie (hrsg. v. J. Winckelmann), Berlin 1956, S. 28. Hierzu Hennis, a. a. O. S. 21 (vgl. oben Anm. 71); dort findet sich eine scharfe Kritik an der technisch-formalen Rechts- und Staatsauffassung Max Webers mit weiteren Hinweisen zur gegenwärtigen MaxWeber-Diskussion. Siehe dazu noch G. Richter, Max Weber als Rechtsdenker, Diss. iur., Tübingen 1953. 1 43 Vgl. hierzu auch Winckelmann, Gesellschaft und Staat in der verstehenden Soziologie Max Webers, Berlin 1957, S. 41. 144 Vgl. Mommsen, a. a. O. S. 402. 145 A. Bergstraesser, Max Weber. Der Nationalstaat und die Politik, in: Aus der Geschichte der Rechts- und Staatswissenschaften zu Freiburg, hrsg. v. H. J. Wolff, Freiburg 1957, S. 73; vgl. auch Mommsen, a. a. O. S. 69 ff. 146 So treffend Erik Wolf, a. a. O. S. 363. Von hier aus fällt ein deutliches Licht auf Forsthoffs „strukturanalytische" Intention und seine immer wieder betonte Urteilsenthaltung, vgl. oben II. Hierin kommt ferner die Neigung zu einem soziologischen Positivismus zum Ausdruck, der sich der „Verfallstheorie" bedient; zum letzteren vgl. Erich Kaufmann an der Anm. 135 genannten Stelle. 147 Hierzu Erik Wolf, a. a. O. 148 Smend, Verfassung S. 123 149 Bergstraesser, a. a. O. S. 73.
Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung?
sie positiv zu bewerten und könnte sich trotz ihrer bisweilen allzu flüchtigen Skizzenhaftigkeit mit ihrer scharfen Analyse und Kritik in der verfassungstheoretischen Grundlagendiskussion als heilsam erweisen. Aber sie schlägt nicht den richtigen Weg zur Stärkung der „normativen Kraft der Verfassung" ein.
Bibliographischer Hinweis Willi Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, Kolloquium aus Anlaß des 100. Geburtstags von Prof. Dr. Dr. h.c. Ernst Forsthoff, Berlin 2003 (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Bd. 30).
Ideologie und Verfassung* I. Zur Problemstellung Während das geplante Hauptreferat eine gezielte und griffige Analyse der gegenwärtigen Verfassungsrechtsordnung und Verfassungsrechtsprechung erwarten ließ, sind die Überlegungen und Thesen, die hier vorgetragen werden, verfassungstheoretisch akzentuiert. Freilich haben sie auch insoweit nur eine ganz vorläufige, fragmentarische und bisweilen aphoristische Werkskizze im Sinne einer „Vorschule" und einer ersten Vergewisserung über das Problemfeld zu bieten. Es handelt sich sozusagen um Ideen zu einem Versuch, einige Grundfragen der Verfassungstheorie im Lichte der Ideologieproblematik zur Diskussion zu stellen. Über Aktualität und Notwendigkeit gerade dieser Thematik ist vor diesem Forum kein weiteres Wort zu verlieren. Doch mag eigens darauf hingewiesen werden, daß der verbreiteten Rede vom „Ende des ideologischen Zeitalters" 1 in eigentümlicher Weise die Rede von der „Auflösung des Verfassungsbegriffs" 2 korrespondiert. Man könnte deshalb meinen, Ideologie und Verfassung teilten kraft innerer Wesensverwandtschaft das gleiche Schicksal in Entstehen, Wirken und Vergehen. Aber „Ideologie" und „Verfassung" bezeichnen perennierende Sachprobleme. Es verwundert deshalb nicht, wenn, der auf beide Problembereiche bezogenen Absterbensthese zum Trotz, „Ideologie" und „ideologisch" oder die scharfe Waffe des Ideologieverdachts zunehmend in das verfassungsrechtliche und verfassungstheoretische Schrifttum eindringen, ja man kann beinahe von einem ideologischen Erstveröffentlichung in: Ideologie und Recht, hrsg. v. Werner Maihofer. Frankfurt am Main: Klostermann, 1969, S. 37-61. Dieser Band enthält die Referate, die beim Kongreß der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie im Frühjahr 1966 in Köln gehalten worden sind. * Der Vortrag war als Koreferat konzipiert. Das Hauptreferat über „Ideologien in der Verfassungsinterpretation" sollte Wolfgang Abendroth halten, der jedoch kurze Zeit vor der Tagung absagen mußte. - Der Vortrag wird, von wenigen unwesentlichen Änderungen abgesehen, so wiedergegeben, wie er gehalten worden ist; die literarischen Nachweisungen beschränken sich auf das Nötigste. Das Bewußtsein der Unzulänglichkeit des vorgelegten Versuches hat sich in den über zwei Jahren seit der Kölner Tagung nur noch verstärkt. Der Verfasser würde jetzt manches anders sehen und sagen. So ist es ihm nicht leicht gefallen, dem Abdruck in dieser Form zuzustimmen. - Herrn Dr. Peter Häberle habe ich für viele kritische Anregungen zu danken. 1 Otto Brunner, Das Zeitalter der Ideologien: Anfang und Ende, in: Neue Wege der Sozialgeschichte, 1956, S. 194-219. 2
Georges Burdeau, Zur Auflösung des Verfassungsbegriffs, in: Der Staat, 1. Bd., 1962, S. 389-404.
Ideologie und Verfassung
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oder ideologiekritischen Nachholbedarf sprechen3. Dabei ist man freilich weit davon entfernt, sich in einer klaren Begrifflichkeit zu bewegen oder auch nur der Sinnrichtung nach übereinzustimmen. So sind etwa die Grundprinzipien unserer gegenwärtigen Verfassung einfachhin sub titulo „ideologischer Gehalt" abgehandelt worden 4. Oder es wird bisweilen die - man beachte den Akzent - „staatsideologische Unterbilanz" 5 in der Bundesrepublik Deutschland konstatiert und damit offenbar ein Mehr an Ideologie für wünschbar gehalten. Andererseits ist es gerade die vielberufene „ideologische Schwere allen Verfassungsrechts", welche man mit großem Gestus beschwört und nüchtern abzubauen sucht. Und doch könne der Jurist, so liest man bei einem Autor in besonders signifikanter Weise, nur durch die „Flamme der Ideologie" in „das feste Haus der Verfassung" geleitet werden6. Was hat es damit auf sich? Die Frage nach Sinn oder Unsinn des konjunktiven „und" in der Formulierung des Themas ist in mehreren gedanklichen Schritten zu entfalten: zuerst ist zum Ideologiebegriff Stellung zu nehmen, um den Fragehorizont deutlich zu machen; dann muß die philosophische Grundposition offengelegt werden, von der aus gedacht wird; dem folgt eine Erörterung des Verfassungsbegriffs, schließlich ist eine Reihe von Bauelementen der Verfassungstheorie zu entwickeln, die in besonders engem Zusammenhang mit der Ideologieproblematik stehen. Zuletzt wird zusammenfassend nach dem Ertrag eines Gesprächs zwischen Ideologielehre und Verfassungstheorie zu fragen sein.
II. Zum Ideologiebegriff Grundfragen der Verfassungstheorie sollen „im Lichte der Ideologieproblematik" erörtert werden. Es wird bewußt von Ideologieproblematik gesprochen, da es einen einheitlichen und feststehenden Ideologie-Begriff, der Maßstab sein könnte, nicht gibt 7 . Es kann auch nicht Aufgabe dieses Referats sein, einen solchen Begriff 3
Die Frage ist im juristischen Schrifttum etwa aufgenommen worden von: Richard Lange, Rechtsidee und Rechtsideologie in West und Ost, 1958; Adolf Arndt, Das nicht erfüllte Grundgesetz, 1960; Willi Geiger, Ideologische Einbrüche im Recht, in: Gewissen, Ideologie, Widerstand, Nonkonformismus. Grundfragen des Rechts, 1963, S. 18-49; Niklas Luhmann, Wahrheit und Ideologie, in: Der Staat, 1. Bd., 1962, S. 431-448. Vgl. ferner die wichtigen Arbeiten von Karl Löwenstein, Über die Verbreitung der politischen Ideologien, und: Über das Verhältnis von politischen Ideologien und politischen Institutionen, beide in: Beiträge zur Staatssoziologie, 1961, S. 245 ff.; 271 ff. 4 Helmut Rumpf, Der ideologische Gehalt des Bonner Grundgesetzes, 1958. 5 So ist überschrieben der erste Abschnitt von Ernst Forsthoffs Schrift: Zur Problematik der Verfassungsauslegung, 1961, S. 11 -16. 6 Walter Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, 1964, S. 71. 7 Aus der Fülle des Schrifttums ist vornehmlich zu verweisen auf: Hans Barth, Wahrheit und Ideologie, 2. Aufl. 1961; Ernst Topitsch, Begriff und Funktion der Ideologie, in: Sozialphilosophie zwischen Ideologie und Wissenschaft, 1961, S. 15-52; Jakob Barion, Was ist
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zu entwickeln. Man wird aber, im vollen Bewußtsein der Notwendigkeit weiterer Differenzierungen, stark vereinfachend und unter Hintanstellung der begriffs- und geistesgeschichtlichen Bezüge zwei Grund-Typen unterscheiden können: 1. Der erste Grund-Typus - Ideologie im Sinne der kritischen Ideologielehre stellt Ideologien vor als - ich zitiere Ernst Topitsch 8 - „unwahre, halbwahre oder unvollständige Gedankengebilde, die sich auf soziale Sachverhalte beziehen und auf eine Befangenheit ihrer Träger zurückzuführen sind, welche durch ihre gesellschaftliche Situation verursacht ist". Demgemäß entfaltet sich Ideologie-Lehre als Ideologie-Kritik, die soziale Standortbindungen und Interessenverflechtungen, Voreingenommenheiten und Optionen aufzudecken sucht, die - allgemeiner formuliert - auf die „Einsicht in die soziale Bedingtheit von Bewußtseinsstrukturen und Bewußtseinsgehalten und in deren soziale und politische Funktion" gerichtet ist 9 Ideologie-Kritik soll die „Verfälschungen und Verzerrungen feststellen und ausschalten, die das menschliche Denken durch die sozialen Gegebenheiten erfährt" 10 , sie hat mit anderen Worten die Aufgabe, „die gesellschaftlich bedingten Abweichungen von der Wahrheit zu analysieren und nach Möglichkeit auszuschalten" 11 . Ideologiekritik steht mithin, so verstanden, im Dienste der Wahrheitserkenntnis, und zwar speziell im Hinblick auf die Wahrheit des Sozialen. Sie ist deshalb immer zugleich auch Sozialkritik. Von diesem ersten Grund-Typus aus stellt sich an die Rechtswissenschaft, als deren Teil sich Verfassungstheorie versteht, zunächst die Grundfrage nach der Seins-Bewußtseins-Relation, dann aber vornehmlich die Frage nach der Konstituierung von „Weiten", d. h. von Zielvorstellungen, Gütern und Normen, nach denen sich rechtliche Ordnung des menschlichen Zusammenlebens richten soll. Zur besonderen Herausforderung wird hier die gegenwärtig wohl vorherrschende Spielart der kritischen Ideologielehre. Sie geht von einem positivistischen Wissenschaftsbegriff aus und verwirft nicht nur - insoweit agnostizistisch - jegliche Metaphysik, sondern betont schon im Vorfeld theoretischer Erkenntnis den „tiefgreifenden Unterschied zwischen Tatsachenaussage und Werturteil" 12 in einer Weise, die den Wissenschaftscharakter einer normativen Wissenschaft grundsätzlich in Frage stellt, soweit diese mehr als bloße Normlogik sein will. Es ist für unser Thema wohl nicht von ungefähr, daß diese Richtung unter dem maßgebenden Einfluß Hans Kelsens 13 steht, also gerade eines Verfassungsjuristen; in seinem Werk tritt Ideologie? 1964 und Kurt Lenk (Hrsg.), Ideologie. Ideologiekritik und Wissenssoziologie, 2. Aufl. 1964. s Ernst Topitsch , Art. Ideologie, in: Staatslexikon, 4. Bd., 6. Aufl. 1959, Sp. 193. 9 Hans Joachim Lieber/Peter Furth, Art. Wissenssoziologie, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 12. Bd., 1965, S. 337. 10 E. Topitsch, a. a. O. (Anm. 7) S. 27 f. 11 E. Topitsch, a. a. O., S. 28. 12 E. Topitsch, a. a. O., S. 31. 13 Vgl. neuerdings dessen Aufsätze zur Ideologiekritik, hrsg. v. E. Topitsch, 1964.
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die ganze Schärfe der Problematik des Verhältnisses von Ideologie und Verfassung zutage. 2. Als zweiter Grund-Typus dessen, was man Ideologie nennt, erscheint heute im wissenschaftlichen Sprachgebrauch Ideologie im Sinne von umfassender und damit zugleich militant-polemischer, sendungsbewußter Weltanschauungsdoktrin, deren von politischen Instanzen autorisierte und mit Frage-Verboten umgebene Dogmen auch die sozialen Phänomene beherrschen und funktionalisierend in Dienst nehmen14 - oder doch Ideologie jedenfalls im Sinne von zu Indoktrinierung neigendem System mit „holistischer Tendenz"15. Im Verhältnis dazu, zu Ideologie als doktrinärer Gesamt-Ideologie, stellt sich vor allem die Frage nach dem Eigenstand und den spezifischen Aufgaben und Wirkweisen von Recht und Verfassung. 3. Es bleibt fraglich, ob diese vereinfachende Typisierung ein sachgemäßes und taugliches Raster darstellt. Die Reduzierung auf „in Dienst nehmende dogmatische Gesamt-Ideologie" einerseits und „gesellschaftlich bedingtes Verfehlen der Wahrheit" andererseits ermöglicht zwar eine einigermaßen klare Begrifflichkeit, die einer Verwendung des Begriffes als Allerweltswort und damit einer „Pan-Ideologisierung" zu steuern geeignet ist. Aber es bleibt die Frage, ob das Merkmal „gesellschaftliche Bedingtheit" genügend konturiert ist, wenn man, was sicher unzulässig wäre, diesen Begriff nicht auf „Klasse" oder überhaupt materialistisch verengen will. Zwar ist das Maß der sozialen Mobilität und des „Freischwebens" der Intelligenz immer größer geworden; aber im Hinblick auf die grundlegende kommunikativ-geschichtliche Seinsverfassung des Menschen gibt es gesellschaftlich unbedingtes Denken überhaupt nicht. Andererseits wird man aber in Anbetracht dieser Schwierigkeit kaum so weit gehen dürfen, jedes Verfehlen der Wahrheit als ideologisch zu bezeichnen, etwa auch dann, wenn es einfach auf schlechtes wissenschaftliches Handwerk zurückzuführen ist. Richtiger erscheint es, bestimmte Arten von unsachgemäßem, die Wahrheit verfehlendem Denken herauszuheben. Allenfalls diese wären dann ideologisch zu nennen, sofern sie ganz spezifische Nähegrade zum Ideologiebegriff im eigentlichen Sinne aufweisen oder sich in der Weise in das Begriffsfeld einfügen, als in ihnen Elemente zum Vorschein kommen, die in der Begriffs- und Problemgeschichte von Ideologie eine Rolle gespielt haben16. Das ist von den einzelnen Wissenschaften her zu untersuchen, die auf diese Weise gewissermaßen berufstypische Ideologie-Gefährdungstatbestände herausarbeiten können. In der Verfassungstheorie tritt unter solchem Betracht das folgende zutage, was hier, zum Teil vorgreifend, festgehalten werden muß: Wir kennen „ideologische Aufladungen" oder „Unterwanderungen", die - erstens einzelne Elemente einer Verfassung oder der Verfassungstheorie unter Verkürzung der Gesamtproblematik hypostasieren, sie zu allbeherrschenden Wesenheiten hin14 Vgl. dazu die eindringliche Analyse von Max Imboden, Politische Systeme - Staatsformen, Neudruck 1964, S. 42 ff.; 122 ff. 15 Carl August Emge , Das Wesen der Ideologie, 1961, S. 40 f.
16 Zur Begriffs- und Problemgeschichte vgl. vor allem: H. Barth, a. a. O. (Anm. 7).
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Ideologie und Verfassung
aufsteigern oder sonstwie Teilaspekte absolutieren. „Ideologische Aufladungen" gibt es aber - zweitens - vor allem in der Weise, daß Maßstäbe, Theoreme oder Modelle von außen herangetragen und substituiert werden, die im Gesamt der Verfassung keinen genügenden Rückhalt finden. Es gibt freilich auch das Gegenstück, das man die „ideologische Unterkühlung" oder „Verarmung" nennen könnte: man simplifiziert und minimalisiert eine Verfassung, indem man sie auf die rein technische Funktion eines Organisationsstatuts oder - im Sinne der Normlogik - auf ihre Eigenschaft als ranghöchste „Rechtsquelle" reduziert. Das geschieht zwar gerade im Namen von Ideologiefreiheit, macht sie aber umso mehr anfällig für ideologische Aufladungen oder Verfremdungen, wenn ihr spezifisches Gewicht nicht durch optimale Sinnentfaltung zur Geltung gebracht wird. Schließlich gehört in diesen Problembereich der Tatbestand des Spannungsverhältnisses von Legalstruktur und Sozialstruktur, von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit. Hier würde - und dabei klingt das bekannte napoleonische Verdikt über die „Ideologen" an 17 - mit Recht von der Verfassung als „reiner Ideologie" gesprochen werden, wenn sie nur noch als real unwirksamer, bodenloser „Überbau" ohne Sachhaltigkeit erschiene, der allenfalls mit Hilfe von Fiktionen oder Vergewaltigungen der Wirklichkeit aufrechterhalten werden kann. So dürfen die eben charakterisierten, ihrer Struktur nach Verhältnis-Beziehungen betreffenden Ideologie-Gefährdungstatbestände neben und mit den beiden GrundTypen des Ideologiebegriffs, mit denen sie ihrerseits aufs engste, wenn auch in unterschiedener Weise zusammenhängen, in den Fragehorizont der Ideologieproblematik einbezogen werden, in deren „Licht" Grundfragen der Verfassungstheorie erörtert werden sollen. I I I . Philosophische Grundposition Skizzenhaft wie dieser Problemaufriß muß auch der nunmehr folgende Versuch bleiben, vor Eintritt in die genauere Einzelanalyse das philosophische Fadenkreuz kenntlich zu machen, in dessen Rahmen gedacht wird; das ist für ein Gespräch mit der Ideologielehre offenkundig unerläßlich. Es wird noch im einzelnen darzustellen sein, was man unter Verfassung zu verstehen hat. Soviel kann aber hier schon festgehalten werden: Einer Verfassung kommt die Aufgabe zu, die politische Existenz eines Gemeinwesens zu legitimieren und zu normieren. Damit wird auch hier die bekannte Funktionszweiheit eingeführt, die Erik Wolf für das Verständnis des Naturrechtsgedankens entwickelt hat 18 . Die Verfassung bestimmt Grund, Maß und Grenze und gibt so vornehmlich „Orientierung zum Handeln" 19 für Politik und Recht im Hinblick auf das kategorisch 17 Vgl. dazu: H. Barth , a. a. O., S. 27. 18 Erik Wolf Das Problem der Naturrechtslehre, 3. Aufl. 1964, S. 197 ff. 19 Jürgen Habermas , Dogmatismus, Vernunft und Entscheidung, in: Theorie und Praxis, 1963, S. 240.
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aufgegebene Ziel des „eu zen" als der dank neuerer Bemühungen wieder bewußt gewordenen maßgebenden Bestimmung des Politischen20. Wie die politische Wissenschaft ist Verfassungstheorie demgemäß der praktischen Philosophie zugeordnet. Einige Grundeinsichten müssen thetisch vor Augen geführt werden 21. 1. Unverfügbares Datum ist die kommunikative und geschichtliche Seinsverfassung des Menschen, der immer schon in einem intentionalen Sinnbezug zu dem „Wahren" und „Guten" als dem letzten „Woraufhin" des menschlichen Daseins steht. Der Mensch existiert personal-sozial, das will heißen: immer auch als „Zweck an sich selbst" 22 und im notwendigen Mitsein mit anderen, ausgestattet mit der Potenz zu Freiheit und Verantwortung; der Mensch existiert geschichtlich, das will heißen: er lebt als endliches, kontingentes Wesen aus Vergangenheit in Gegenwart auf Zukunft hin. Kommunikative und geschichtliche Existenz ereignet sich auf dem Grund und im Horizont eines „Umgreifenden": sonst wäre weder Intersubjektivität (sondern nur radikale Vereinzelung fensterloser Monaden) noch wäre Intertemporalität (sondern nur kontinuitäts- und bewußtseinsloses Hintereinander „je einmaliger" Situationen) möglich. Dem Menschen ist diese Seinsverfassung in dieser Welt zwar unentrinnbar verfügt, aber darin auch aufgegeben. Mangelnde Autarkie, Wandelbarkeit und Endlichkeit, die Notwendigkeit, sich immerzu neu verstehend zu orientieren, bezeichnen nicht eine Defizienz, sondern eine zu bewältigende, kraft der Fähigkeit zu Freiheit und Verantwortung zu übernehmende Aufgabe. 2. In solcher Seinsverfassung steht der Mensch sich orientierend, verstehend und handelnd in einer Gesamt-Wirklichkeit, in der als „Momente" Ideelles und Materielles, Idealfaktoren und Realfaktoren am Werke sind, die demgemäß philosophico modo nur in der Weise eines auf den Menschen bezogenen Ideal-Realismus erschlossen werden können. Die (Teil-)Wirklichkeiten des Ideellen und des Realen sind determinierende und interdependente korrelative Kräfte. Demgemäß stellen die sog. Seins-Bewußtseins- und die sog. Wirklichkeit-Wert-Relation keine einfachen eindimensionalen Ableitungsverhältnisse dar - etwa im Sinne von „Unterbau" und „Überbau" - noch bezeichnen sie apriorische Scheidungen, die erst nachträglich wieder in eine (künstliche) Beziehung zueinander gesetzt werden. Subjektivität und Objektivität, Ideal- und Realfaktoren, Sein und Bewußtsein, Faktum und Norm sind immer schon umgriffen in einer allerdings keineswegs harmo20 Vgl. dazu vor allem: Wilhelm Hennis, Politik und praktische Philosophie, 1963; Hans Maier, Art. Politische Wissenschaft, in: Evang. Staatslexikon, 1966, Sp. 1580 ff. 21 Für das folgende ist der Verf. vornehmlich verpflichtet: Ulrich Hommes, Das philosophische Problem des Ideologieverdachts (noch unveröff.) und Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts, in: Colloquium Philosophicum. Studien Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, 1965, S. 9-36. 22 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Werke, Ausgabe Weischedel, 4. Bd., S. 66.
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nisch prästabilisierten, vielmehr spannungsreichen Gesamt-Wirklichkeit. Im Hinblick auf die kommunikativ-soziale Seinsverfassung des Menschen ist diese Gesamt-Wirklichkeit gesamtgesellschaftliche Wirklichkeit; im Hinblick auf die geschichtliche Seinsverfassung des Menschen und der Welt ist sie Wirklichkeit, die sich in geschichtlicher Bewegung entfaltet. 3. Daraus folgen methodische Konsequenzen für die Rechts- und Verfassungstheorie: sie kann sachgemäß nur betrieben werden im Hinblick auf die gesamtgesellschaftliche Gesamt-Wirklichkeit, die zuinnerst geschichtlich strukturiert ist; als eindimensionale Ideen- oder Wert-Wissenschaft würde sie ihre Aufgabe verfehlen. Freilich muß die Mehrdimensionalität integriert werden, integriert in der Aufgabe rationalen Sinnverstehens der Wirklichkeiten Recht und Verfassung. Die methodischen Konsequenzen für die Verfassungsrechtslehre lassen sich so charakterisieren: Jurisprudenz ist im Bezugsfeld umfassender gesellschaftlicher Wirklichkeit normativ-exegetische Wissenschaft. Sie ist ausgerichtet an der Aufgabe der Norm, in einem geschichtlichen Gemeinwesen die beiden korrelativen Grundmomente innerhalb der Gesamt-Wirklichkeit in einer wie immer im einzelnen gearteten autoritativen „Geltungsanordnung" 23 zu vermitteln. Sie steht damit von vornherein gegen isolierenden Normativismus wie gegen funktionalistische „Realanalyse". Das Merkmal „exegetisch" andererseits will auf die Problematik der Hermeneutik hinweisen, welche die innere Struktur der Norminterpretation offenlegt 24 . Die Determinanten des hermeneutischen Spannungsfeldes sind hier nur abkürzend zu bezeichnen: „Vor-Urteil" und „Perspektivität", die Abhängigkeit von raumzeitlich bedingten „Leitbildern und Fragestellungen" 25, schließlich als Hinweise auf die spezifischen Probleme juristischer Exegese: „Topos und Nomos", „Fall und System", „Wertung, Konstruktion und Argument" 26 .
IV. Erörterungen zum Verfassungsbegriff Von dieser Basis aus - sie bleibt freilich immer in die Fragebewegung mit einbezogen - muß das Gespräch zwischen Ideologielehre und Verfassungstheorie geführt werden. Damit wird jetzt die Frage dringlich, was eigentlich „Verfassung" meint 27 . 23
Vgl. Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1960, S. 151 ff. Für die Verfassungsinterpretation ist zu verweisen auf: Peter Schneider/Horst Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 20, 1963; Friedrich Müller, Normstruktur und Normativität, 1966; Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967. 25 Vgl. E.-W. Böckenförde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder, 1961, dort S. 19 und 80 f. grundsätzliche Ausführungen zur Problematik der Ideologiekritik. 24
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So der Titel einer Schrift von Josef Esser, 1966. Zum folgenden kann jetzt verwiesen werden auf: Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1967, S. 3-20. 27
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1. „, Verfassung' heißt nichts anderes, als daß die Herrschaftsausübung innerhalb des Staates gewissen Regeln folgt", liest man in der Rechtssoziologie Theodor Geigers 2*. Es liegt auf der Hand, daß auch und gerade im Lichte der Ideologieproblematik diese Umschreibung nicht zureicht, wenn man sich nicht mit einer „Verfassungslehre ohne Verfassung" begnügen will. Ebenso müßte die Anknüpfung an den „absoluten" Verfassungsbegriff Carl Schmitts 29 versagen: Verfassung als der „konkrete Gesamtzustand politischer Einheit und sozialer Ordnung eines bestimmten Staates". Er ist als Generalnenner tauglich allenfalls für eine universale Verfassungsgleichung, die aber zu einem Gespräch zwischen Ideologie und Verfassung nicht viel beitragen kann. Das gilt in gleicher Weise für den „positiven" Verfassungsbegriff Carl Schmitts 30, der Verfassung als „Gesamt-Entscheidung über Art und Form der politischen Einheit" vorstellt, wobei die Kategorien von Entscheidung und Einheit - von der spezifischen Fermentierung des PolitikBegriffs ganz abgesehen - von vornherein auf eine unsachgemäße Verkürzung hindeuten. Schließlich müssen auch andere Deutungen, wie sie K. Loewenstein oder C. J. Friedrich vorgetragen haben, wegen ihres vereinseitigenden Funktionalismus ungenügend bleiben 31 . 2. Das Bemühen muß einem materialen Verfassungsbegriff gelten, insbesondere dann, wenn ein Gespräch mit der Ideologielehre sinnvoll sein soll. Hier sei nun die These gewagt: Verfassung ist ein Gefüge (oder vorsichtiger: ein Ensemble) von normativen Sinnprinzipien, denen die Aufgabe zukommt, begründend, weisend und begrenzend die rechtliche Grund-Ordnung des politischen Gemeinwesens zu konstituieren. Unter Verfassung ist, mit anderen Worten, zu verstehen der grundlegende, auf bestimmte Sinnprinzipien ausgerichtete Strukturplan für die Rechtsgestalt eines Gemeinwesens, in der dieses als politisches existiert und seinen geschichtlichen Auftrag zu erfüllen sucht. Dieser Versuch einer begrifflichen Umschreibung und Erfassung des rechtlichen und politischen Phänomens Verfassung bedarf in vieler Hinsicht einer näheren Entfaltung. Eine erste Überlegung gilt der historischen Genese. Der Verfassungsbegriff enthält von vornherein bestimmte inhaltliche Richtpunkte und Verweisungslinien, insofern er nicht von seinem „Mutterboden", dem Begriff des Verfassungsstaates 32, 28 Theodor Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, hrsg. v. Paul Trappe, 1964, S. 376. 29 Carl Schmitt, Verfassungslehre, Neudruck 1957, S. 4. 30 C. Schmitt, a. a. O., S. 20 ff. 31
Vgl. dazu: Peter Häberle, Allgemeine Staatslehre, Verfassungslehre oder Staatsrechtslehre?, Zeitschrift für Politik, 12. Bd., 1965, S. 381. 32 Vgl. dazu: Herbert Krüger Art. Verfassung, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 11. Bd., 1961, S. 72 ff.; ders., Allgemeine Staatslehre, 1964, S. 783 ff.; Ernst Rudolf Huber, Nationalstaat und Verfassungsstaat, 1965, darin besonders: Bismarck und der Verfassungsstaat, S. 188 ff.
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zu lösen ist, wie er sich im 18. und 19. Jahrhundert entwickelt und dann in das 20. Jahrhundert hinein fortgesetzt und in seinen Gehalten gewandelt und differenziert hat. Denn in diesem Begriff ist eine ganze Reihe von Sinnprinzipien, und das will heißen: Rechtsgüter sowie verfassungsinstitutionelle und verfassungsorganisatorische Elemente enthalten oder angelegt, welche sich für hochdifferenzierte Sozialordnungen, die durch die industrielle Revolution hindurchgegangen sind, als irreversibel erweisen; reversibel wären sie nur um den Preis der Perversion und der Primitivierung, die den Staat nur noch als Naturerscheinung oder Machtapparatur erscheinen lassen würden. Als solche unumkehrbare Sinnprinzipien von „Verfassung" im Sinne des Verfassungsstaates wären mindestens zu nennen: Beschränkung, Rationalisierung und Ermächtigung politischer Macht bzw. öffentlicher Gewalt, grundsätzliche Gewaltengliederung, Maß- und Formgebung durch das Recht, insbesondere durch Gesetz, Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte, die Teilhabe des Volkes an politischer Willensbildung in freier Gruppenkonkurrenz, die Anerkennung einer öffentlichen Meinung, nicht zuletzt die Gewährleistung von abwehrenden und Teilhabe gewährenden Menschen- und Bürgerrechten sowie die Anerkennung von vorgefundenen Institutionen des menschlichen Gemeinschaftslebens. Diese „elementaren" Elemente des verfassungsstaatlichen Verfassungsbegriffs bezeichnen in ihrem Kern unumkehrbare und insofern schlechthin verbindliche „absolute" Sinnprinzipien. Bezogen auf heutige Verfassungsstaatlichkeit sind diese Sinnprinzipien in den Begriffen Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat „aufgehoben"; darüber wird in einzelnen Hinsichten noch zu sprechen sein. Worauf es hier im Rahmen dieser grundsätzlichen Überlegungen ankommt, ist dies: Diese Sinnprinzipien sind keine Aprioritäten der „reinen Vernunft". Aber sie sind Objektivationen von Rechtsüberzeugungen, die sich, Postulaten der „praktischen Vernunft" und der „historischen Vernunft" folgend, als Antworten auf politische Erfahrungen gebildet und entwickelt haben. Dabei sind sie mehr als pragmatische Sätze. Sie hätten ihren Rang im Rechtsbewußtsein nicht gewinnen und ihre Wirksamkeit in der Gestaltung staatspolitischer Ordnungen nicht entfalten können, würden sie nicht ihren Rückhalt in anthropologischen Strukturen und sozialphilosophischen Einsichten finden, die ihrerseits als leitende Ideen bestimmende Faktoren in dem Prozeß der Bewußtwerdung und der normativen Ausformung der genannten Sinnprinzipien gewesen sind. Als solche „idées directrices" ( Hauriou )33, d. h. als wegweisende Richtgedanken und Strebensziele, wird man zu nennen haben: die personale Würde des Menschen, negativ bestimmt als Nichtfungibilität, positiv als Potenz zu freier Selbst- und Sozialgestaltung und -Verantwortung; darauf bezogen die in Solidarität verbundene Gleichheit der Menschen; als leitende Idee schließlich für die Gestaltung einer politisch-sozialen Ordnung das „gemeine Beste" in Gerechtigkeit, umfassend Friede, Schutz und Wohlfahrt. 33 Zu Hauriou vgl.: P. Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 1962, S. 73 ff. und passim.
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Bei diesen Ideen als Wirklichkeitsfaktoren handelt es sich nicht um verdinglichte Wesenheiten, die man in einem logischen Kalkül systematisieren und dann einfachhin „anwenden" oder aus denen man subsumtionsautomatisch deduzieren könnte. Sie sind allgemeine Weisungen, die, menschliches Denken und Handeln stimulierend und motivierend, Ziele und Richtungen in unumkehrbarer Weise angeben, die aber je und je in Konfrontation mit anderen Faktoren der gesamtgesellschaftlichen Wirklichkeit konkreter Vermittlung in Imperativen bedürfen, zur Näherbestimmung der negativen Grenze (oder, um mit Theodor Viehweg zu sprechen, des „injustum naturale") 34 und der positiven oder direktiven Wegemarken - dabei sei etwa auf die wichtigen Studien Fritz von Hippels verwiesen 35. Der geschichtlich existierende Mensch hat dies zu leisten. Diese Konkretisierungs- und Vermittlungsbedürftigkeit, die Instabilität und Gefährdung ebenso einschließt wie Offenheit und Chance, ist aber ebensowenig wie die Geschichtlichkeit der menschlichen Existenz selbst Ausdruck einer „uneigentlichen" Defizienz. Es obwaltet vielmehr ein positives Bezugsverhältnis. Ideen sind auf Konkretisierung und Vermittlung nicht so sehr angewiesen denn zuallererst darauf angelegt. Sie bezeichnen Aufträge und Aufgaben, deren Realisierung dem tätigen Vollzug anheimgegeben ist. Ideen bleiben ohnmächtig, wenn sie nicht ergriffen werden; und von der ideenbestimmten Verfassung gilt angesichts ihrer spezifischen, sozusagen sanktionsschwachen Normstruktur in ganz besonderer Weise, daß ihr Sinn als „Norm und Aufgabe" 36 nur dort erfüllt werden kann, daß sie ihre normative Kraft nur dort optimal entfalten kann, wo der „Wille zur Verfassung" - ich greife die bekannte Formel meines Lehrers Konrad Hesse auf 37 - lebendig ist und der Verfassungs-„Sinn" der Bürger sie mit-trägt. In dem soeben Dargelegten dürften geschichtlich bewährte ideelle Elemente der Wahrheit und des rechten Verstehens von Verfassung zum Vorschein gekommen sein. Sie gehören zur Gesamt-Wirklichkeit. Damit kündigt sich nun aber eine Grenze für ideologiekritische Analyse an: würde die von ihr zu Recht angestrebte Ent-Ideologisierung sich zu einer Ent-Ideierung übersteigern, so würde sie gerade „ideologisch" die Gesamt-Wirklichkeit verkürzen und verfälschen. Der Verfassungsjurist wird sich hier der Stimme Erich Kaufmanns erinnern, der in einem 1932 gehaltenen, aber erst jetzt in seinen Gesammelten Schriften veröffentlichten Vortrag unter dem Titel „Ideologie und Idee" eben diese Grenzlinie zu markieren versucht hat 38 . Aber damit ist das Referat in diesem Stadium vielleicht schon zu weit vorgeprescht. Es muß nunmehr behutsam versucht werden, in weiterer Entfaltung des 34 Theodor Viehweg , Rechtsphilosophie als Grundlagenforschung, in: Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie, 47. Bd., 1961, S. 538. 35 Fritz von Hippel , Die Perversion von Rechtsordnungen, 1955; ders., Recht und Unrecht, in: Zur Frage nach dem richtigen Recht. Bericht über die Tagung der deutschen Sektion der Internationalen Juristenkommission am 2. und 3. Dezember 1961 in Würzburg, S. 68-108. 3 6 Ulrich Scheuner, Art. Verfassung, in: Staatslexikon, 8. Bd., 6. Aufl. 1963, Sp. 118 f. 37 38
K. Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, 1959. Erich Kaufmann, Ges. Schriften, 3. Bd., 1960, S. 297-303.
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thetisch vorgelegten Verfassungsbegriffs Problemkreise anzuschneiden, die für ein Verfassungsverständnis im Lichte der Ideologieproblematik bedeutsam sind.
V. Verfassungstheorie und Ideologieproblematik 1. Dieser Versuch hat sich zunächst über das Begriffsmerkmal „politisches Gemeinwesen" zu erklären. Die kennzeichnende Verwendung dieses Begriffes scheint einer modischen Strömung zu folgen, von der man zu sagen geneigt ist, sie weiche der harten Realität des „Staates" aus39. Nun steht nichts mehr im Wege, weiterhin von „Staat" als dem maßgebenden Bezugsobjekt der Verfassung zu sprechen, wenn man diesen Begriff nur richtig versteht und nicht eine starre Entgegensetzung von Staat und Gesellschaft und eine personifizierende Hypostasierung „des" Staates und „der" Gesellschaft als vorausgesetzter Einheiten impliziert. Eben eine solche „juristische Zwei-Reiche-Lehre" 40, die unter den Bedingungen des modernen Sozial- und Industriestaats keinen Rückhalt in der sozialen Wirklichkeit mehr findet, eben eine solche ideologiegefährdete Engführung sucht der Begriff des politischen Gemeinwesens zu vermeiden. Gewiß, Staat und Gesellschaft sind und bleiben zwei zu unterscheidende, in einem realen Spannungsverhältnis zueinander stehende Funktionsschichten. Aber ihre Verklammerung im Begriff des politischen Gemeinwesens kann dazu beitragen, beide Momente vor einer unsachgemäßen Hinaufsteigerung zu in sich ruhenden Größen zu bewahren. Darüber hinaus ist er geeignet, adäquat das Bezugsfeld von Verfassung zum Ausdruck zu bringen, die Staatsverfassung und Gesellschaftsverfassung in einem ist, wenngleich in unterschiedlicher Dichtigkeit. 2. Verfassung folgt der Idee einer Ordnung, in welcher auf der Grundlage eines „bloc des idées incontestables" (Hauriou ) oder eines „Gerüsts des Unbezweifelten" 41 die Kräfte und Sachbereiche einer gesamtgesellschaftlichen Wirklichkeit auf der immerzu aufgegebenen Sudle nach menschenwürdiger und gerechter Gemeinwohlverwirklichung zu einer Lebens- und Wirkeinheit zusammengefügt werden, der geschichtliche Daseinsbewältigung im Raum des Politischen aufgetragen ist. Verfassung ist dabei selbst Produkt, zugleich aber mitbestimmender Faktor in der gesamt-gesellschaftlichen Gesamt-Wirklichkeit. Das Zusammenfügen zu einer mit den Mitteln des Rechts verfaßten politischen Lebens- und Wirkeinheit geschieht - nach Maßgabe der mit den Begriffen Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat bezeichneten Konstitutionsprinzipien - durch Ordnung des Willens39 Vgl. zu dieser Problematik: Joseph H. Kaiser, Art. Staatslehre, in: Staatslexikon, 7. Bd., 6. Aufl. 1962, Sp. 593 ff.; U. Scheuner, Art. Staat, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 12. Bd., 1965, S. 653 ff. 40
H. Ehmke, „Staat" und „Gesellschaft" als verfassungstheoretisches Problem, in: Staatsverfassung und Kirchenordnung. Festgabe für Rudolf Smend, 1962, S. 23 ff. 41 Weimer von Simson, Die Souveränität im rechtlichen Verständnis der Gegenwart, 1965, S. 17, 264.
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bildungsprozesses, durch Instituierung von Organen, Ämtern und Verfahrensweisen, durch entsprechende Verteilung und Zuordnung von Aufgaben, schließlich durch die Statuierung grundlegender Rechtsgüter. In alledem will die Verfassung Konsens und auf der Grundlage des Konsenses lebendige, freie, kämpferische, aber doch auch kompromißbereite Auseinandersetzung über die „Erfüllung" der Verfassung, über die Verwirklichung des Verfassungssinnes. Verfassung ist so integrative, Einheit in der Unterschiedenheit anstrebende und gewährleistende Gesamtordnung, aber gerade nicht „integralistische" oder totale Gesamtordnung. Das gilt in verschiedener Hinsicht. Die Verfassung ist nicht ein Codex, nach dem ein System dogmatischer Wahrheiten über diese Welt verwaltet wird, und erst recht ist sie nicht „dux ad coelestia". Sie macht keine verbindlichen Aussagen über das Gesamt der Wirklichkeit. Auf der anderen Seite steht sie nicht außerhalb jeglichen Bezuges dazu, insofern sich Suche und Findung der Wahrheit und „the pursuit of happiness" in gesellschaftlichen Formen und Prozessen vollziehen - und sie behauptet ihre eigene Wahrheit, deren Elemente sich aus ihrer Aufgabe ergeben. Als integrativer Gesamtordnung eines kommunikativ-geschichtlichen Lebensund Wirkzusammenhangs kommt ihr nun allerdings in gewisser Weise eine Allbezüglichkeit zu. Doch wird diese Allbezüglichkeit der Verfassung determiniert durch die elementare Aufgabe, die sie dem Staat zumißt, nämlich in einem Räume in höchster Instanz Friede und Ordnung zu wahren 42. Mit anderen Worten: die Allbezüglichkeit äußert sich im Hinblick auf das politische Gemeinwesen im Ganzen nur als Dienst- und Schutzfunktion (insofern verfaßte Ordnung conditio sine qua non menschlicher Existenz überhaupt ist), nicht aber in einer totalen, inhaltlich ingerierenden Regelungs- und Gestaltungsfunktion. Sie bedeutet weder Omnipotenz noch Omnikompetenz. 3. Damit wird die Erörterung auf wichtige Einzelmomente der Verfassung und ihrer Theorie gelenkt. In der modernen Gesellschaft ist ihr Lebenselement der sog. Pluralismus 43. Er stellt ein positives Konstituens freiheitlicher Gesamtordnung dar. In einem materiellen Sinne bedeutet er Vielfalt geistiger und ökonomischer Kräfte und Interessen, die sich in einem von der Verfassung zu gewährleistenden freien und offenen Lebensprozeß44 müssen auswirken können; insofern ermöglicht übrigens freiheitliche Verfassung geradezu Ideologien und ebenso Ideologiekritik. In einem formellen Sinne bedeutet er die Intermediation von Gruppen und Verbänden zwischen den gouvernementalen Institutionen und dem Bürger. Eine entscheidende Frage ist indes die nach den Grenzen des Pluralismus. Wenn die Verfassung integrative Gesamtordnung ist, so ist es ihre große Aufgabe zu ge42 U. Scheuner, a. a. O. (Anm. 39). 43
Vgl. dazu: Ernst Fraenkel, Der Pluralismus als Strukturelement der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie, 1964; jetzt auch: Roman Herzog, Art. Pluralismus, in: Evang. Staatslexikon, 1966, Sp. 1541 ff. 44 Vgl. dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 64 ff. 10 Hollerbach
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währleisten, daß durch allen Pluralismus hindurch Integration in Konsens und Kompromiß möglich bleibt. Nur so entgeht man einer Ideologisierung des Pluralismus. Andererseits ist es nicht „staatsideologische" Verhärtung, sondern Konsequenz aus ihrer grundlegenden Aufgabe, wenn die Verfassung institutionelle Vorkehrungen gegen Kräfte trifft, die im Zeichen einer doktrinären Gesamt-Ideologie den freien und offenen Lebensprozeß pluraler Kräfte geradezu zu beseitigen trachten. Freilich sollten hier so lange wie möglich und tragbar die Prozeduren freier pluralistischer Auseinandersetzung zum Zuge kommen. 4. Mit dem Phänomen des Pluralismus hängt aufs engste zusammen das von Herbert Krüger so genannte Prinzip der Nicht-Identifikation 45. Es soll hier verstanden werden als Nicht-Identifikation der Verfassung mit religiösen, philosophischen oder weltanschaulichen Gesamtkonzeptionen. In der Tat wird damit ein beherrschender Grundzug des modernen Verfassungsstaates offengelegt. Ohne seine normative Wirksamkeit wären die grundlegende, in der Personenwürde verwurzelte Freiheit und die einzelnen Freiheiten, wären Gleichheit und pluralistische Gruppenkonkurrenz nicht möglich. Von hier aus zeigt sich die prinzipielle Unvereinbarkeit von Verfassung und doktrinärer Gesamtideologie, welche Verfassung als Werkzeug im Interesse einer Rasse oder Klasse in Dienst nimmt und damit die grundlegende Aufgabe der Verfassung, im Ausgleich der Kräfte einen freien und offenen Lebensprozeß zu gewährleisten, verfehlt. Zweierlei gilt es hier zunächst im einzelnen zu erläutern, wobei dankbar an eine wichtige Untersuchung Peter Schneiders angeknüpft werden kann 46 . Doktrinäre Gesamtideologie ist in der Regel von ihrem sendungsbewußten Totalitätsanspruch her mit der Behauptung objektiver Gesellschafts- und Geschichtsgesetzlichkeit verbunden, sie ist futuristisch, wenn nicht utopisch oder - in einem säkularisierten Sinne - eschatologisch. Dagegen ist Verfassung gekennzeichnet durch ihre „epoche" gegenüber geschichtsphilosophischen Prognosen, objektiven Gesetzlichkeiten im Geschichts- und Gesellschaftsprozeß sowie gegenüber Utopien. Gewiß ist sie (ebenso wie Antwort auf eine bestimmte geschichtliche Situation) auch Vorausentwurf in die Zukunft, damit menschenwürdige Daseinsführung möglich bleibt, sie enthält programmatische und dirigierende Elemente, die auf Veränderung des Überkommenen oder Bestehenden abzielen. Aber sie intendiert jeweils reale, bestmögliche Ordnung im Hier und Jetzt und vermeidet die Doppelbödigkeit eines vertröstenden Mythos, der gegenüber dem ehernen ein goldenes Zeitalter verspricht. Der zweite, hier zu bedenkende Sachverhalt ist der: Das Prinzip der NichtIdentifikation wendet sich nicht nur gegen die Indienstnahme der Verfassung für eine Gesamtideologie, sondern auch gegen die einzelnen Ausprägungen des in 45
H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1965, S. 178 ff. und passim. P Schneider, Prinzipien des totalitären Staats- und Rechtsdenkens, in: Fragen des Staatsrechts im Ostblock, 1958, S. 5 -18. 46
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einem gesamtideologischen System in Gang kommenden „Identifikationsmechanismus" 47 , insbesondere gegen die Identifikation von Individual- und Kollektivwille; von Kollektiv- und Parteiwille; von Parteiwille und objektiver Gesetzmäßigkeit und so zuhöchst mit einer amtlich verwalteten Wahrheit. Demgegenüber ist die Theorie der Verfassung beherrscht von einem integrativen Differenzdenken. Dieses fingiert reale Spannungen nicht durch Identifikationen hinweg, sondern nimmt sie in sich auf. Es wähnt nicht, die notwendige Einheit durch unmittelbaren Zugriff auf die Wahrheit zu erreichen, sondern ist überzeugt, daß dies nur in steter geistiger Auseinandersetzung durch frei gebildeten Konsens und Kompromiß gelingen kann. Hier haben die grundlegende Kategorie der Repräsentation, das Mehrparteienprinzip und überhaupt das Wechselspiel von Mehrheit und Minderheit sowie von Regierung und Opposition, hier haben schließlich die rechtsstaatlichen Elemente der Gewaltenteilung, -balance und -kontrolle ihren Ort. Damit ist indes das mit dem Begriff Nicht-Identifikation angeschlagene Thema nicht erschöpft. Ihm kommt nicht nur Stoßrichtung gegen doktrinäre Gesamtideologie zu. Hierher gehört vielmehr auch das Problem des Verhältnisses von Verfassung und sachlichen Teilsystemen, oder allgemeiner des Verhältnisses von Verfassung und ideeller ambiance: zu Menschenbildern und Soziallehren, zu allgemeinen politischen Wunschvorstellungen und Partei- oder Interessentenprogrammen, zu wissenschaftlichen, insbesondere ökonomischen Theorien, zu Traditionen und überkommenen Begriffsschemata und Typologien. Alle diese Momente gehen an einer Verfassung als einem historischpolitischen, raumzeitlich bedingten Phänomen nicht spurlos vorüber, sie gehören gewissermaßen zum „ H o f der Verfassung bei ihrer Entstehung und ihrer Geltungsverwirklichung. Dabei folgt Verfassung nie der Reinheit eines Konstruktionsmodells oder eines Idealtypus. Sie ist immer „complexio oppositorum" oder, um den von Richard Bäumlin fruchtbar gemachten Gedanken Gratians aufzugreifen 48, „concordantia discordantium", gefügt aus heterogenen, oft antagonistischen Elementen, die von ihr in ein Verhältnis der Wechselwirkung und zum Ausgleich gebracht werden und gebracht werden müssen, wenn sie eine Effektivitätschance haben will. Gerade darin liegt der Sinn der Verfassung. Das bedeutet des näheren: sie trägt ihren „Logos" in sich selbst und ist deshalb nicht manipulierbares Werkzeug, das von außen in Dienst genommen werden kann. Sie ist vielmehr der „Eckstein" in dem doppelten Sinne unverbrüchlicher, ranghöchster Grundlage für die konkrete Gestalt eines politischen Lebensund Wirkzusammenhanges und eines Richtmaßes, an dem sich alle außerhalb ihrer selbst entwickelten Theoreme gewissermaßen „brechen" und durch welches sie mediatisiert werden, d. h. ihre alleinige Maßstäblichkeit verlieren, sofern sie nicht kraft auctoritatis interpositio in die Verfassung rezipiert worden sind. Hier liegt nun freilich das schwierigste Problem der Verfassungsauslegung. Diese hat einmal die Verfassung als Einheit, als stimmiges Sinngefüge zur Geltung zu bringen, ohne 47 Vgl. dazu: H. J. Lieber, Ideologie und Wissenschaft im totalitären System, in: Wissenschaft im totalen Staat, hrsg. v. Walter Hofer, 1964, S. 11-37. 48 Richard Bäumlin, Staat, Recht und Geschichte, 1961, S. 27. 10*
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daß tragende Grundelemente verkürzt, andere übersteigert werden - hier besteht in besonderem Maße Ideologiegefährdung. Zum anderen gilt das grundsätzliche Gebot der Auslegung der Verfassung aus sich selbst. Aber, das wurde früher schon angedeutet, als Sprachwerk unterliegt die Verfassung den Gesetzlichkeiten geisteswissenschaftlicher Hermeneutik und darüber hinaus den spezifischen Gesetzlichkeiten der Norm-Interpretation. Auslegung der Verfassung aus sich selbst (Eigenmaßstäblichkeit der Verfassung) kann deshalb nicht bedeuten die Herauslösung der Verfassung und des Verfassungsinterpreten aus dem Stromfeld geistiger oder allgemeiner: gesellschaftlicher Kräfte, die im Zeitpunkt der aktualen Geltungsverwirklichung wirksam sind; sie kann sich deshalb nicht in quantifizierbaren Messungen vollziehen. Vor-Urteile und Vor-Verständnisse, raumzeitlich bedingte Leitbilder und Fragestellungen sind hier immerzu am Werk. Worauf es freilich entscheidend ankommt, ist die Rationalisierung des Auslegungsprozesses, die Offenlegung und Diskussion der mitbestimmenden Faktoren im Dienst optimaler Sinnerhellung und Sinnverwirklichung anhand methodischer Grundsätze und richterlicher, von der Theorie immer wieder kritisch zu prüfender Kunstregeln. Nur dies vermag die Gefahren ideologischer Aufladungen und ideologischer Unterkühlungen zu bannen, die vor allem drohen, wenn versucht wird, Verfassung in unmittelbarem Rückgriff auf ihr Vorausliegendes, auf extra- oder para-konstitutionelle Gedankengebilde zu interpretieren. Hier hätte nun konkrete Interpretationsanalyse einzusetzen, bezogen auf Lehre, Judikatur und Staatspraxis. Man wird als ideologieanfällig und ideologiegefährdet in dem früher erläuterten Sinne vornehmlich die folgenden Sachbereiche anzusprechen haben: das sog. Wertsystem der Grundrechte, insbesondere im Hinblick auf die Freiheit und ihre Grenzen, das Thema Staat und Kirche, das Problem der sog. Wirtschaftsverfassung, weiter die verfassungsrechtliche Stellung der Parteien, der Sozialpartner und der Verbände, das rechte Verständnis von Gewaltenteilung und Bundesstaatlichkeit, schließlich etwa jene Komplexe, in denen es um Probleme der sog. militanten Demokratie, um hochpolitische Fragen oder um die sog. Bewältigung der Vergangenheit geht. Um nur wenige Beispiele kurz anzuleuchten: Es ist auf der Aktivseite zu buchen, daß das Bundesverfassungsgericht der Versuchung widerstanden hat, dem Grundgesetz ein bestimmtes wirtschaftspolitisches System oder Theorem zu substituieren 49. Oder es sei an die auch wegen ihrer methodischen Aussagen wichtige Entscheidung im 10. Bande zum väterlichen Stichentscheid erinnert 50. Auf der Passivseite müßte dagegen erscheinen, wenn versucht wird, de constitutione lata die Geltung eines laizistisch oder kulturkämpferisch verstandenen Prinzips negativer Trennung von Kirche und Staat zu behaupten, die religiöse Neutralität in eine Verpflichtung zur Abwehr alles Religiösen umzudeuten51 oder der negativen Bekenntnisfreiheit 49 Vgl. BVerfGE 4, 7 (17 f.). 50 BVerfGE 10, 59 (81, 84 f.). 51 Vgl. dazu: K. Hesse, Freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, 11. Bd., 1964/65, S. 360, Anm. 60 gegen Erwin Fischer, Trennung von Staat und Kirche, 1964.
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einen absoluten Vorrang einzuräumen 52. Um schließlich noch ein Beispiel aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes anzuführen: Unter dem hier herausgestellten Gesichtspunkt müßte die Aberkennung der parlamentarischen Mandate von Angehörigen verbotener politischer Parteien kritisiert werden; denn das läßt sich nur halten, wenn man einer bestimmten Theorie vom sog. Parteienstaat folgt, die den Art. 38 GG insoweit überspielt 53. Doch ist in den Gang der grundsätzlichen Überlegungen zurückzukehren: Nach alledem liegt der besonders enge Bezug des Prinzips der Nicht-Identifikation zur Ideologieproblematik, und zwar zur gesamten Ideologieproblematik in dem eingangs skizzierten Sinne auf der Hand. Zugleich zeigt sich die hilfreiche Relevanz ideologiekritischer Betrachtungsweise im Rahmen der Verfassungstheorie. Indes ist noch auf zwei wichtige Momente aufmerksam zu machen, um Mißverständnisse zu vermeiden. Zum ersten setzt die Maßgeblichkeit des Prinzips geradezu voraus, daß die Verfassung mit sich selbst identisch bleibt, will sagen: daß sie sich mit den grundlegenden Konstitutionsprinzipien und Aufgaben identifiziert in dem Sinne, daß sie sich ernst nimmt und ihre Normativität nicht preisgibt. Deshalb sind Unantastbarkeiten, welche die tragenden Sinnprinzipien der Verfügung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber entziehen, grundsätzlich legitim und, soweit sie die irreversiblen Elemente des Verfassungsstaates zum Ausdruck bringen, nicht ideologische Verhärtungen oder im Rahmen des freiheitlichdemokratischen Systems ein Sündenfall. Das zweite, was hier noch hervorzuheben bleibt, ist der positive Aspekt der Nicht-Identifikation. Sie ist nämlich ein Moment der Offenheit der Verfassung, die Sach- und Lebensbereiche des gesellschaftlichen Wirkens nicht indifferentistisch abdrängt und feindlich in eine Sphäre der Uneigentlichkeit verweist, der gegenüber der Staat nur umso mehr in seiner Hoheit und „Einzigkeit" erstrahlt; sie werden vielmehr, soweit sie sich nicht ihrerseits gegen die Verfassung kehren, gerade als belangvolle Faktoren des politischen Gemeinwesens anerkannt und geschützt. Erst so kommt die Fülle des staatlichgesellschaftlichen Wirkzusammenhangs zur Geltung. 5. Weitere Überlegungen sind der Problematik des Sozialstaats zu widmen. Sie gehört in den Zusammenhang des Themas aus zwei Gründen: Der Verfassungstheorie ist heute unverzichtbar aufgegeben, die Einheit von Rechtsstaat und Sozialstaat zu begreifen 54; wollte man das Sinnprinzip Sozialstaat vernachlässigen, so würde man sich allein schon um deswillen einer ideologiegefährdeten Verkürzung schuldig machen, weil die Verfassung selbst, nach der wir leben, Sozialstaatlich52
Vgl. dazu: E.-W. Böckenförde, Religionsfreiheit und öffentliches Schulgebet, in: Die öffentliche Verwaltung, 1966, S. 30 ff. in Auseinandersetzung mit dem Urteil des Hess. Staatsgerichtshofes v. 27. 10. 1965. 53 Vgl. dazu jetzt: K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 53, 222. 54 Vgl. dazu: E. R. Huber, Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft, in: Nationalstaat und Verfassungsstaat, 1965, S. 249-272; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 81 ff.
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keit gebietet55. Zugleich ist hier nun der Ort, wo das Verhältnis von Legalstruktur und Sozialstruktur in besonderer Weise zum Problem wird, so daß hier die Ideologieanfälligkeit im Sinne einer Entfremdung von Norm und Wirklichkeit besonders groß ist. Dem kann nur gesteuert werden, wenn der Sinn von Sozialstaatlichkeit voll entfaltet wird. Dabei ist der Sinn gewiß nicht nur Deskription eines vorhandenen Zustandes, sondern zugleich Aufgabe und Auftrag. Sozialstaat ist derjenige Staat, dem es in allem Planen, Verteilen und intervenierenden Gestalten auf reformierende Evolution des gesamten Sozialgefüges ankommt und der damit, um Sozialrevolutionäre Umbrüche tunlichst zu vermeiden, „soziale Integration" erstrebt. Entscheidend ist nun aber, daß Sozialstaatlichkeit nicht einfach additiv als zusätzliche Komponente moderner Staatlichkeit zur Rechtsstaatlichkeit hinzutritt, sondern daß sich beide Momente durchdringen. In der Tat gilt, wie Huber* 6 es formuliert hat: „Der Rechtsstaat ist in unserer Zeit nur noch, wenn er zugleich Sozialstaat ist, sinnvoll und möglich". Dabei sei etwa, um ein konkretes Problem zu erwähnen, an das Postulat „freiheitlicher Planung" erinnert, von dem schon Karl Mannheim eindrucksvoll gesprochen hat 57 . Diese Erkenntnis der notwendigen Verschränkung von Rechts- und Sozialstaat hat unmittelbare Bedeutung für unser Thema und lenkt auf das Grundsätzliche zurück. Es wurde von Ideen gesprochen, von Menschenwürde, von Freiheit und Gleichheit, Gerechtigkeit und Gemeinwohl. Dies mochte als unkritisch erscheinen und zu wenig darauf Bedacht nehmen, daß es auf die Realisierung dieser Ideen und die besonderen Bedingungen ihrer Realisierung in der Welt der zweiten industriellen Revolution und der Technokratie ankommt. Sie können wahrlich nur real wirksam sein in verfaßter Staatlichkeit, deren Institutionen wesentlich eine soziale Funktion zukommt. Der Sozialstaat mit seinem Bemühen um Existenzsicherung, um soziale Gerechtigkeit, um tatsächliche Freiheit und tatsächliche Gleichheit, ist zur Bedingung individuellen und kollektiven Lebens überhaupt geworden. So dürfte im Begriff „sozialer Rechtsstaat" das regulative Sinnprinzip gefunden sein, das unverzichtbar auf jene Leitgedanken hin angelegt ist und zugleich - im Ganzen der Verfassung - die Aufgaben und Wege kennzeichnet, wonach ideelle und faktische Wirklichkeit real vermittelt werden können. 6. Zuletzt ist in zwei Richtungen auf mögliche Einwände einzugehen. Sie lassen sich allgemein in der Frage fassen, ob nicht durch die hier vorgetragenen Überlegungen die Verfassung selbst in eine Rolle hinaufgesteigert wurde, die ihr nicht oder nicht mehr zukommt, ob sie nicht geradezu zum Fetisch gemacht und damit ihrerseits ideologisiert wurde. Erstens: Verfassung und Verfassungsstaatlichkeit hängen aufs engste mit dem Nationalstaatsprinzip zusammen58. Nun bekennt sich aber, wie Klaus Vogel treff55
Vgl. dazu vom Verf., Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung?, in: Archiv des öffentlichen Rechts, 85. Bd., 1960, S. 241 ff., 266. 56 E. R. Huber, a. a. O. (Anm. 54) S. 270. 57 Karl Mannheim, Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus, Neuausgabe 1958, S. 7, 16.
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lieh gezeigt hat, unsere Verfassung selbst zum Prinzip der „offenen Staatlichkeit" 5 9 . Auch faktisch ist staatliche Existenz nur noch in übergreifenden Zusammenhängen möglich. Mit der Relativierung der Nationalstaatlichkeit ist so aber auch eine Relativierung der Verfassung notwendig verbunden, und zwar in ihren entscheidenden Elementen60. Dieser schwierig zu meisternde Sachverhalt ist aber keineswegs derart, daß er Verfassung und Verfassungsstaatlichkeit grundsätzlich in Frage stellt oder Verfassung zum Absterben verurteilt. Im Gegenteil: auch für beschränkte supranationale Funktionsgemeinschaften und erst recht für ein umfassendes internationales Föderativsystem stellt Verfaßtheit nach dem Maß verfassungsstaatlicher Sinnprinzipien das unabdingbare Ziel dar und - was noch wichtiger ist - beruhen jene Gebilde auf der verfassungsstaatlichen Verfaßtheit ihrer Glieder. Denn nur dies vermag über die schmale Basis vital-existentieller Legitimitätskomponenten hinaus - wie Friedens- und wirtschaftliche Überlebenssicherung - volle Legitimität zu verleihen. Der zweite denkbare Einwand, der sich gegen den vorgelegten Versuch geltend macht, läßt sich mit dem Stichwort Technokratie 61 kennzeichnen. Technokratie: das bedeutet Vorherrschaft streng rationalen, quantifizierbaren naturwissenschaftlichen Denkens, bedeutet Kybernetik, Planifikation, Instrumentalisierung, Beherrschung aller menschlichen Lebensbereiche durch „Sachzwänge", bedeutet damit aber auch absolute Bedrohung der Existenz von Mensch und Welt überhaupt. Von einer Sprengkraft der Ideologien zu sprechen ist vergleichsweise harmlos angesichts der Sprengkraft der technokratischen Mittel. Hat es hier überhaupt noch Sinn, auf Verfassung als Gefüge normativer Sinnprinzipien zu insistieren? Muß Verfassung nicht abdanken zugunsten eines von Rechtsingenieuren oder „Experten" manipulierten „Generalplans" von möglichst hoher technisch-ökonomischer Effektivität? So sehr Verfassung sich wandeln muß, um der neuen Probleme mit den Mitteln des Rechts Herr zu werden: die gestellten Fragen sind entschieden zu verneinen, solange Recht und Verfassung ihr Maß von der Aufgabe empfangen, menschenwürdige Daseinsführung zu gewährleisten, ja ihre Bedeutung wird sogar wachsen. Verfassungstheorie möchte hier geradezu die Ideologiekritik zu Hilfe rufen, sofern diese bereit ist, sich gegen die in der Technokratie sich verlangende neue Ideologie zu wenden.
58 Zum folgenden vgl. E. R. Huber, Nationalstaat und supranationale Ordnung, in: Nationalstaat und Verfassungsstaat, 1965, S. 273-291. 59 Klaus Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964, S. 33 f. 60 Zu dieser Problematik vgl. die grundlegenden Referate von Joseph H Kaiser und Peter Badura, Bewahrung und Veränderung demokratischer und rechtsstaatlicher Verfassungsstruktur in den internationalen Gemeinschaften, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 23,1966. 61 Vgl. dazu: Hermann Lübbe, Zur politischen Theorie der Technokratie, in: Der Staat, 1. Bd., 1962, S. 19-38.
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VI. Die Verfassung im Spannungsfeld gesellschaftlicher Gesamtwirklichkeit Es ist zum Schluß zu kommen. Das Referat wollte einige Grundlagen der Verfassungstheorie im Lichte der Ideologieproblematik zur Diskussion stellen. Es konnte nicht mehr geben als einen präliminaren Problemaufriß. Es hat sich insbesondere darum bemüht, mit dem Aufweis der kommunikativ-geschichtlichen Seinsverfassung des Menschen, dem praktische Verwirklichung guter Gemeinschaftsordnung nach dem Maß ideeller Sinnbezüge kategorisch aufgetragen ist, philosophische Ansatzpunkte einer materialen Verfassungstheorie kenntlich zu machen, die Wesen und Aufgabe der Verfassung im Spannungsfeld gesamtgesellschaftlicher Gesamtwirklichkeit zu begreifen sucht. Dann sollten unter Hervorhebung bestimmter inhaltlicher Momente Wesen und Aufgabe der Verfassung als Gefüge normativer Sinnprinzipien für die rechtliche Grund-Ordnung eines politischen Gemeinwesens einigermaßen klar erfaßt werden. Schließlich wurden mit „politisches Gemeinwesen", „Pluralismus", mit dem „Prinzip der Nicht-Identifikation" und mit „Sozialstaat" einige ideologie-nahe Problembereiche der Verfassungstheorie erörtert - leider ist hier die thematische Verlustliste sehr groß: zu denken wäre etwa an das Thema Verfassunggebung und Ideologie, an „Souveränität" 6 2 , an „Autorität und Freiheit", an den Begriff der „Öffentlichkeit", an das Verhältnis von Verfassung und einfachem Recht, soweit dieses in einer ideologischen Gefährdungszone steht, an die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit als solche (dabei speziell an die Problematik des „judicial selfrestraint") und anderes. Der Ertrag dieses Gesprächs zwischen Verfassungstheorie und Ideologielehre sollte weder über- noch unterschätzt werden. Im Angesicht doktrinärer Gesamtideologie vermag Verfassung gewissermaßen zu sich selbst zu kommen; sie zeigt ihr Wesen als Ordnung einer „société ouverte" 63 , deren Lebensprinzip die freie geistige Auseinandersetzung ist, deren geradezu „naturrechtliche" Bedeutung Hans Welzel M so eindrucksvoll hervorgehoben hat. Was die Ideologie-Kritik anlangt, so dürfte sich erwiesen haben, daß die Verfassungstheorie die ideologiekritische Fragestellung positiv in sich aufnehmen kann und soll, solange sich Ideologiekritik nicht in ideologischer Verkürzung übersteigert; denn auf der Suche nach menschenwürdiger Lebensführung und Daseinsgestaltung im Raum des Politischen vermag sie Orientierung im Sinn-Verstehen, im Normieren und im Handeln nicht zu vermitteln. Dies aber ist - zu ihrem Teil - eine der vornehmsten Aufgaben einer materialen Verfassungstheorie.
62 Vgl. dazu jetzt die eindringliche Problemübersicht bei R Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion um das Problem der Souveränität, in: Archiv des öffentlichen Rechts, 92. Bd., 1967, S. 259 ff. 63 Werner Kägi, Rechtsstaat und Demokratie, in: Demokratie und Rechtsstaat. Festgabe für Zaccaria Giacometti, 1953, S. 107 ff. 64 Hans Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Aufl. 1962, S. 251.
Grundwerte und Grundrechte in der Gesellschaft und im Staat L Für den Referenten aus der Bundesrepublik Deutschland steht dieses Thema in einem spezifischen Kontext, nämlich dem der sogenannten Grundwerte-Debatte, die dort seit einigen Jahren geführt wird 1 . Vielleicht wird man diese Debatte eines Tages unter die signifikanten Charakteristika des achten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts i m Bereich von Politik und Sozialethik rechnen. Sie hat sich vornehmlich an schwerwiegenden Auseinandersetzungen über gesetzgeberische Maßnahmen i m Strafrecht sowie i m Ehe- und Familienrecht entzündet, hängt aber auch mit der tiefgreifenden Herausforderung zusammen, der die freiheitlich-demokratische Ordnung durch marxistisch inspirierte Tendenzen auf Systemveränderung und durch den Terrorismus ausgesetzt war und noch ist. Über die äußeren Anlässe hinaus ist die Grundwerte-Debatte zu einem Symptom für eine geistige Krise geworden: „ Symptom des Verlustes an ethischer Instinktsicherheit und innergesellschaftlichem Vertrauen" 2. Quantitatives Wachstum ist an seine Grenze gekommen, Emanzipation schlug in selbstzerstörerische Bindungslosigkeit um. Konsens ist Erstveröffentlichung in: Les droits fondamentaux du chrétien dans l'église et dans la société: Actes du IV. Congrès International de Droit Canonique, Fribourg (Suisse) 6.-11. 10. 1980 = Die Grundrechte des Christen in Kirche und Gesellschaft, publ. par Eugenio Corecco, Nikiaus Herzog; Angelo Scola. Fribourg: Ed. Univ. [u. a.],1981, S. 811-833. 1
Der literarische Niederschlag, den diese Debatte gefunden hat, kann hier nicht voll dokumentiert werden. Unentbehrlich sind die folgenden Sammelbände: Günter Gorschenek (Hrsg.), Grundwerte in Staat und Gesellschaft, München 1977; Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 11, Münster 1977 (mit Beiträgen von Karl Lehmann, Wolf gang Kluxen, Josef Isensee); Otto Kimminich (Hrsg.), Was sind Grundwerte? Zum Problem ihrer Inhalte und ihrer Begründung, Düsseldorf 1977; Ansgar Paus (Hrsg.), Werte - Rechte - Normen, Graz/Wien/Köln 1979. Aus der Zeitschriften-Literatur sei besonders verwiesen auf Josef Isensee, Verfassungsgarantie ethischer Grundwerte und gesellschaftlicher Konsens, NJW 30 (1977) 545-551; Oswald von Nell-Breuning, Der Staat und die Grundwerte, StZ 195 (1977) 378-388;. ders., Grundwerte, Gesellschaft und Staat, a.a.O. 196 (1978) 158-170; ders., Freiheit - Menschenrecht und Grundwert, a.a.O. 197 (1979) 260-268; Alfons Auer, Die Sinnfrage als Politikum. Zum Grundwerte-Papier der SPD, a. a. O. 247-259; Manfred Spieker, Grundwerte in der Bundesrepublik. Probleme ihrer Begründung, Geltung und Stabilisierung, Civitas 15 (1977) 21-50. Für eine Übersicht über den Verlauf der Debatte sehr hilfreich die Berichterstattung und die Kommentierung in der Herkorr. Hervorgehoben seien Beiträge in Herkorr 30 (1976) 381-384 (D. A. Seeher), 31 (1977) 13-18 (K. Lehmann), 32 (1978) 244-252 (H. Rapp), 33 (1979) 357-362 (£. Teufel). 2
So Josef Isensee, Ethische Grundwerte im freiheitlichem Staat, in: Paus (Anm. 1) 140.
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Grundwerte und Grundrechte in der Gesellschaft und im Staat
brüchig geworden, die Frage nach Sinn erhielt keine klare Antwort mehr. Vielfach wurde der Ruf nach neuer Orientierung laut, vor allem sittlich-normativer Orientierung. Bis zu einem gewissen Grad jedenfalls wurde die von Ernst-Wolfgang Böckenförde schon vor Jahren in bezug auf den freiheitlichen Staat deutlich artikulierte Frage akut: „ Worauf stützt sich dieser Staat am Tag der Krise? " 3. Im Laufe dieser Debatte ist - fast möchte man sagen: naturgemäß - in besonderer Weise problematisiert worden, wie sich Grund werte und Grund rechte zueinander verhalten. Sachlich notwendig ist damit die Thematik zu einem spezifischen Element der für die deutsche Verfassungstheorie typischen und ebenfalls in den letzten Jahren wieder aufgelebten Diskussion über das Verhältnis von Staat und Gesellschaft geworden 4. In diesem Rahmen wiederum bekam die Frage nach Status und Aufgaben der Kirchen einen besonderen Stellenwert. Diese selbst hatten die Grundwerte-Debatte mitausgelöst5 und sind immer wieder mit amtlichen Stellungnahmen hervorgetreten6. Zuletzt haben sie unter dem Titel Grundwerte und Gottes Gebot eine vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz verantwortete Gemeinsame Erklärung als Beitrag in die Diskussion eingebracht7. Wenn im folgenden versucht wird, zu der Thematik Grundwerte und Grundrechte in der Gesellschaft und im Staat Stellung zu nehmen, so kann und soll dabei der soeben skizzierte deutsche Kontext nicht verleugnet werden. Das geschieht natürlich weder, um vor diesem internationalen Forum querelles allemandes auszubreiten, noch um für die deutsche Diskussion einen besonderen Rang zu beanspruchen. Wohl aber geschieht es in der Überzeugung, daß damit paradigmatisch und in gewisser Weise stellvertretend ein Problem behandelt werden kann, das im Kern der Sache, ungeachtet unterschiedlicher historischer, politischer und juristischer Ausgangspunkte und anderer Determinanten der Auseinandersetzung, allenthalben aufgebrochen ist und alle angeht8. Es führt letzten Endes auf die Frage nach der axiologischen Legitimation von Staat und Recht überhaupt und erweist sich so 3 Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien: Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1967,94; Wiederabdruck dieses bedeutsamen Aufsatzes in: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat - Gesellschaft - Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt am Main 1976,42-64. 4 Vgl. dazu insbesondere den Sammelband: Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, Darmstadt 1976. 5 Abgesehen von den Äußerungen zu den konkreten Problemen der damaligen Gesetzgebungspolitik ist besonders signifikant die Erklärung vom 20. 5. 1976 über Gesellschaftliche Grundwerte und menschliches Glück; Text in Herkorr 30 (1976) 367-370. 6 Texte bei Gorschenek (Anm. 1) 246-277. Vgl. auch das auf der Vollversammlung im November 1977 verabschiedete Hirtenwort der deutschen Bischöfe zum Thema Grundwerte verlangen Grundhaltungen, Text in Herkorr 31 (1977) 614-617. 7 Gütersloh /Trier 1979. Das Vorwort trägt das Datum vom 17. Juli 1979. Vgl. neuerdings auch den Bericht Bischöfe: nochmals Grundwerte, Herkorr 34 (1980) 161-163. 8 Für die weltweite Dimension des Problems vgl. den interessanten Bericht von Philipp Schmitz, Grundwertediskussion in den USA, Herkorr 33 (1979) 469-501.
Grundwerte und Grundrechte in der Gesellschaft und im Staat
als eine moderne, vielleicht modische Form der alten Frage nach dem Naturrecht 9. Grundwerte, das könnte geradezu ein neuer Name für Naturrecht sein. Unter den verschiedenen Zugängen zu der komplexen Problematik des Themas, die man sich denken kann, scheint derjenige dem Juristen am gemäßesten zu sein, der bei Theorie und Praxis der Grund rechte im staatlichen Verfassungsrecht ansetzt. Aber das Feld der Grundwerte erschließt sich auch und gerade für den Juristen nicht nur von hier aus; er hat vielmehr auch andere Bereiche der Verfassung einzubeziehen, ja dem Grundwerte-Bezug der Rechtsordnung im ganzen nachzudenken. Vor diesem Hintergrund wird es möglich sein, die Frage der Wertrelationalität von Staat und Recht in ihrer Eigenart aufzugreifen und auf die grundsätzliche Problematik des Verhältnisses von Rechtskultur und moralischer Kultur hinzuführen. Schließlich wird der Rolle der Kirchen zu gedenken sein, die ihnen in der Sache Grundwerte und Grundrechte in der Gesellschaft und im Staat zukommt. In alledem dürfen abschließende Antworten nicht erwartet werden, am wenigsten zur philosophischen Grundfrage nach Existenz und Legitimation von Werten 10. II. 1. Die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland normierten Grundrechte 11 sind alle einem obersten Sinnprinzip, das heißt einem materialethischen Gut zugeordnet, ja in ihm gewissermaßen radiziert, nämlich dem der Würde des Menschen. Die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, sie zu achten und zu schützen, steht auch schon äußerlich an erster Stelle (Art. 1 Abs. 1) und bestimmt damit das eigentliche Telos des politischen Gemeinwesens. Auf diese Grundnormierung folgt unmittelbar, mit einem „darum" begründend verknüpft, das Bekenntnis zu „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gesellschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt" (Art. 1 Abs. 2). Die Verfassung stellt sich damit bewußt 9 In dieser Richtung zu Recht Ernst Feil, Grundwerte und Naturrecht. Legitimationsprobleme in der gegenwärtigen Diskussion, StZ 195 (1977) 651-666. 10 Hilfreiche Problemübersicht dazu bei Gerhard Luf, Zur Problematik des Wertbegriffes in der Rechtsphilosophie in: Ius Humanitatis. Festschrift zum 90. Geburtstag von Alfred Verdoss, Berlin 1980, 127-146. Bemerkenswert auch der Versuch von Dieter Waldemar Lerner, Das Problem der Objektivität von rechtlichen Grundwerten. Zürich/St. Gallen 1967. 11 Die folgende Erörterung ist vor allem den zusammenfassenden Darstellungen von Konrad Hesse verpflichtet: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 12. neubearb. Auflage, Karlsruhe 1980, 117-151; Bestand und Bedeutung der Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland, EuGRZ 5 (1978) 427-438. Sie knüpft ferner an einen eigenen Versuch des Verfassers an: Aspekte der Freiheitsproblematik im Recht, Philosophische Perspektiven 5 (1973) 29-41. Aus der Fülle der Grundrechts-Literatur seien im übrigen hervorgehoben: Wolf gang Martens / Peter Häherle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972) 7-141; Hans Hugo Klein, Die Grundrechte in demokratischen Staat, Stuttgart 1972; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, in: ders., Staat - Gesellschaft - Freiheit (Anm. 3) 221-252.
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in die Traditionslinie der klassischen Menschen- und Bürgerrechtserklärungen, für die naturrechtliches Gedankengut konstitutiv ist. Der Verweis auf die Menschenrechte umschließt so das Anerkenntnis, daß sie überpositive Rechtsgrundsätze zum Ausdruck bringen und sich in dieser Qualität nicht Staat oder Verfassung verdanken, sondern eine setzungsunabhängige oder setzungsvorgeordnete Rechtswahrheit 12 aussprechen, freilich mit der Maßgabe, daß sie an Staat und Verfassung gerade die Anforderung stellen, sie als Rechtssätze verbindlich zu formulieren und zu sichern. Man kann das mit Josef Isensee auch so ausdrücken: „Die Verfassung will Menschenwürde und Menschenrechte nicht gewähren, sondern nur gewährleisten" 13. Jedenfalls ist damit klar, daß die Menschenrechte „Grundlage und legitimierende Quelle " u für die im einzelnen positivierten Grundrechte sind. Darauf aufbauend kann dann im Blick auf das Verhältnis von Staatsverständnis und Grundrechtsverständnis gesagt werden, daß die deutsche Verfassungsordnung „statt von einer Vorgegebenheit des Staates von der Vorgegebenheit der konkreten lebenden Menschen ausgeht" 15. Das macht aber den Staat ebensowenig zum bloßen Epiphänomen wie den Einzelnen zum Maß aller Dinge. Schon positivrechtlich ergibt sich, daß das Prinzip der Menschenwürde und der menschenrechtliche Kern der Grundrechte nicht zur Disposition von Volk und Gesetzgeber stehen (Art. 79 Abs. 3 GG). Unter Absage an die Selbstgerechtigkeit des souveränen Staates16 und des selbstherrlichen Menschen ist hier jene Unbeliebigkeit erreicht, die der Willkür und Entscheidungsfreiheit des Subjekts entzogen ist, die mithin ein objektives bonum darstellt, das der Staat nicht setzt, sondern voraussetzt. In diesem Sinne gibt es auch für den Staat und für den Menschen Unverfügbarkeiten, die jedenfalls in ihrer Funktion dem jus divinum in der Kirche vergleichbar erscheinen 17. 2. Vor diesem Hintergrund lassen die neueren Entwicklungen in einem modernen demokratischen und sozialen Rechtsstaat wie dem der Bundesrepublik Deutschland eine Plurifunktionalität der Grundrechte hervortreten, die mit der überkommenen Sichtweise des bürgerlich-liberalen Rechtsstaates allein nicht mehr erfaßt werden kann. a) Die Grundfunktion und der unverzichtbare Kern der Grundrechte liegen allerdings nach wie vor in ihrem Charakter als individuelle oder korporative Abwehrrechte gegen den Staat. Die in Einzelgewährleistungen vertypten Freiheiten 12 Zu dieser Sprechweise vgl. Günter Ellscheid, Art. Naturrecht, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, München 1973,969 f. 13 Ethische Grundwerte im freiheitlichen Staat, bei Paus (Anm. 1) 146. 14 Hervorgehoben von Hesse, Bestand und Bedeutung der Grundrechte (Anm. 11) 432. 15 So wiederum Hesse, a. a. O., 438. 16 Zu diesem Gedanken vgl. Werner von Simson, Die Souveränität im rechtlichen Verständnis der Gegenwart, Berlin 1965, 221 ff. 17 Vgl. dazu Verfasser, Göttliches und Menschliches in der Ordnung der Kirche, in: Mensch und Recht. Festschrift für Erik Wolf zum 70. Geburtstag, Frankfurt am Main 1972, 212-235 (222).
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wenden sich als subjektive Rechte abwehrend gegen staatliche Gewalt. In sachlichem Rückbezug auf anthropologische Grundausstattungen des Menschen und auf Gehalte geschichtlich gewordener und bewährter Rechtsüberzeugungen konstituieren sie Freiheitsräume von Personen oder Gruppen und umhegen Lebensbereiche oder institutionelle Lebensordnungen, in die der Staat im Wege des Rechts nicht eingreifen darf. Aber in dieser negativen Abwehrfunktion erschöpft sich der Grundcharakter der Grundrechte als subjektiver Rechte nicht. Vielmehr normieren sie, je nach Sachbereich in unterschiedlicher Weise freilich, zugleich die Potenz zur Aktualisierung der Freiheiten in den Raum des Öffentlichen und damit des politischen Prozesses hinein, was insbesondere für die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit auf der Hand liegt. Deshalb sind die Grundrechte nicht nur Gewährleistungen privater bourgeoiser Beliebigkeit, sondern auch öffentlicher Wirksamkeit des citoyen, die es den Bürgern und Gruppen ermöglichen, am Prozeß der geistigen, sozialen und politischen Auseinandersetzungen im politischen Gemeinwesen teilzunehmen und - in den Grenzen der Unantastbarkeiten der Verfassung, die Inhalte zu bestimmen, die im solchermaßen freiheitlichen Gemeinwesen nicht schon durch eine der Verfassung vorausliegende Gesamtideologie fixiert sind. Unter diesem Blickpunk sind Grundrechte auch positive und öffentliche Freiheiten, insofern also Mitwirkungsrechte. b) Über ihren Charakter als subjektive Rechte hinaus sind die Grundrechte aber auch objektive Prinzipien, das heißt Elemente objektiver, den Staat in seinem Sinn konstituierender Ordnung. So sind die Grundrechte als subjektive Abwehrrechte zugleich negative Kompetenzbestimmungen für staatliches Handeln; damit bezeichnen sie die für staatliches Handeln unverfügbare Grenze, wenn der Staat von seinen (sonstigen) Kompetenzen Gebrauch macht. Darüber hinaus aber charakterisieren die Grundrechte als Elemente der Gesamtrechtsordnung - in Verbindung mit anderen Staatszielbestimmungen - diese in ihrer sachlichen Eigenart, so wenn sie Grundlagen der Privatrechts- und Strafrechtsordnung oder bestimmte Lebensbereiche normieren oder wenn sie die konkrete Struktur der Demokratie oder des sozialen Rechtsstaates näher determinieren. Den Grundrechten kommt eine weitgehende „ Ausstrahlungswirkung " zu, sie geben für staatliches Handeln „ Richtlinien und Impulse" 1*. Sie rücken damit in die Nähe positiver Kompetenzbestimmungen, insofern es um die Schaffung von Voraussetzungen für die Wahrnehmung von Freiheit überhaupt geht. Es ergibt sich mithin vielfach eine positive Verpflichtung der staatlichen Gewalten, alles zu tun, um die Verwirklichung von Grundrechten zu ermöglichen, auch wenn hierauf ein subjektiver Anspruch des Bürgers nicht besteht19. Die Entfaltung dieser Bedeutungsschicht der Grundrechte ist Ausdruck einer tiefgreifenden Veränderung der Situation, in der sich der Mensch mit seiner Frei18 Die zitierten Begriffe finden sich in dem grundlegenden Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. 1. 1958, BVerfGE 7,198 (205-207). 19 Hesse, a. a. O., 433.
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heit dem Staat gegenüber befindet. Wenn Freiheit nicht nur papieren, sondern real und die Freiheit möglichst vieler sein soll, dann kann der moderne Staat Freiheit nicht mehr ohne Rücksicht auf die soziologischen und ökonomischen Bedingungen und den damit gegebenen Realisierungschancen sich selbst überlassen. Auch Freiheit wird knapper und teurer! Sie bedarf der Stützung und Förderung seitens des Staates. Er muß Freiheit subventionieren, ja muß sie in gewisser Weise planen. Unter diesem Aspekt gewinnt die Freiheit die spezifische Qualität sozialstaatlicher Freiheit, erscheint sie als konstitutives Teilelement einer staatlichen Ordnung, in welcher der Staat aktiv steuernd und planend in den gesamten Sozialprozeß eingreift. Kurzum: heute ist in weitgehendem Maße Grundrechtsverwirklichung durch den Staat gefordert 20. Es liegt deshalb nahe, dem Staat nicht nur, wie das seit Jahrzehnten selbstverständlich geworden ist, die Aufgabe der Daseinsvorsorge 21, sondern auch die der Freiheitsvorsorge 22 zuzuerkennen. Der Staat bewegt sich hier freilich in einer schwerwiegenden Gefahrenzone. Der Staat der Freiheitsvorsorge würde pervertieren und Freiheit in der Substanz beeinträchtigen, wenn er zum Freiheitsversorgungsstaat würde, wenn also der Bürger auch in Sachen Freiheit nur noch zum Kostgänger des Staates würde; wenn der einzelne oder die Gruppe vom Risiko der Selbstbehauptung und der verantwortlichen Mitsorge für die Gestaltung seiner selbst und seines Lebensraumes entlastet und befreit wäre - denn solche Befreiung könnte nur um den Preis voller Vorplanung und Indienstnahme geschehen. Wenn man in dieser Weise Grundrechtsverwirklichung als Staatsaufgabe erkennt, weil Grundrechte Elemente objektiver Ordnung darstellen, liegt es nahe, in den Grundrechten eine objektive Wertordnung, ein Wertsystem zu sehen. Das ist in der Tat die - früh entwickelte und bis heute durchgehaltene - Auffassung des Bundesverfassungsgerichts 23. Damit ist eine schwerwiegende Problematik verbunden, die eine nähere Bestimmung des Verhältnisses von Wert und Recht, von Grundwert und Grundrecht dringlich macht. Das gilt umso mehr, als eine Linie der Kritik, die von Ernst Forsthoff 24 und Carl Schmitt 25 ausgeht, sich geradezu in eine Diffamierung des Wertbegriffs hineinsteigert. 20 Hesse, a. a. O., 430. 21 Kurzinformation dazu bei Alexander Hollerbach/Achim Krämer, Art. Daseinsvorsorge, in: Praktisches Wörterbuch der Pastoralanthropologie, Wien/Göttingen 1975, Sp. 167 f. 22 Zu diesem Gedanken vgl. den oben Anm. 11 angeführten Aufsatz des Verfassers, bes. 38. 23 Nähere Darstellung und weitreichende, indes streckenweise zu undifferenzierte Kritik bei Helmut Görlich, Wertordnung und Grundgesetz, Baden-Baden 1973. Durchweg positive Akzentuierung der Wertaussagen des Bundesverfassungsgerichts bei Otto Kimminich, Die Grundwerte im System des demokratischen Rechtsstaats, in dem oben Anm. 1 angeführten Sammelband Was sind Grundwerte?, 53-57. 24 Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, in: Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, Berlin 1959, 35-62. Zur Kritik daran vgl. Alexander Hollerbach, Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung? AÖR 85 (1960) 241 -270. 25 Die Tyrannei der Werte, in: Säkularisation und Utopie (Anm. 3) 37-62.
Grundwerte und Grundrechte in der Gesellschaft und im Staat
Demgegenüber darf zum Verständnis der Position des Bundesverfassungsgerichts zunächst auf folgendes hingewiesen werden: (1) Die Qualifikation des Grundrechtskatalogs als Wertsystem gehört in den Zusammenhang der Abwehr eines wertneutralen Gesetzespositivismus. Das Gericht hat hierbei aber mitnichten ein bestimmtes naturrechtliches System oder eine wertphilosophische Konzeption dem positiven Recht übergestülpt, sondern gerade das positive Recht aus den Grundintentionen des Verfassungsgebers von 1949 ernstgenommen. (2) Das Gericht hat mit der Betonung des Systemcharakters der Grundrechte der Gefahr des Pointiiiismus zu steuern und demgegenüber den sachlichen Zusammenhang der Einzelgrundrechte hervorzuheben versucht, der sich aus ihrer Zuordnung zu den Grundprinzipien von Würde, Freiheit und Gleichheit ergibt. (3) Dem Gericht ging und geht es nicht um den unvermittelten Rückgriff auf Werte , die beliebiger Deutung fähig sind, vielmehr hat der übergreifende Gedanke des Wertsystems mit dazu beigetragen, einen gewissen Standard von Gesichtspunkten und Regeln zu entwikkeln, mit deren Hilfe es möglich ist, den Wertgehalt von Grundrechtsnormen im einzelnen zu erkennen und juristisch zu operationalisieren 26. (4) Wenn sich das Gericht der zeitweilig gängigen Diskreditierung des Wertbegriffs nicht angeschlossen hat, so liegt seine Haltung eher auf der Linie dessen, was Ernst Rudolf Huber einmal so ausgedrückt hat: „Selbstverständlich können die Rechtsphilosophie und die Staatstheorie die Lehre von den Verfassungs- und Rechtswerten und die Methode der ,wertenden Rechtsauslegung ' nicht festhalten, ohne sich mit der Erschütterung der philosophischen Grundlagen der Wertformel auseinanderzusetzen. Auf die Kritik an der Wertphilosophie mit einem Rückfall in den normativen Positivismus zu reagieren, erscheint mir jedoch als ein wissenschaftlicher Kurzschluß, der die Tür der Diskussion nicht öffnet, sondern verklemmt. Solange zur Kennzeichnung der übergesetzlichen Rechtsgüter kein anderer Begriff zur Verfügung steht, wird die Rechts- und Staatslehre des Begriffs , Wert ' nicht entraten können " 21. Ungeachtet der Notwendigkeit weiterer Vertiefung darf so festgehalten werden, daß Grundrechte Grund werte in den Bereich des Rechts transponieren und inkorporieren. Es wäre ein Streit um Worte, wollte man nicht die Möglichkeit einräumen, Grundrechte juristische Grundwerte zu nennen, und zwar in dem Sinne, daß ihr sachlicher Grundgehalt nicht ein Erzeugnis des Rechts ist, sondern diesem vorausliegt. Mit anderen Worten: sie verkörpern Sinnprinzipien, die als Konkretisierungen des Guten Ziele für sittlich-vernünftiges Handeln angeben. b) Mit der Bedeutung der Grundrechte als objektive Prinzipien hängt aufs engste die Frage zusammen, ob sie auch subjektive Rechte auf Teilhabe an staatlichen Leistungen gewährleisten 28. Die Frage ist eindeutig zu bejahen für soge26 In dieser Richtung, bei grundsätzlicher Zurückhaltung nicht gegenüber dem Wertbegriff als solchem, wohl aber gegenüber dem Gedanken eines Systems , Hesse, Bestand und Bedeutung der Grundrechte (Anm. 11) 432. 2 ? Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. III, Stuttgart 1963, 1010; eine Bemerkung, die deutlich gegen Ernst Forsthoffund Carl Schmitt gerichtet ist. 2 « Auch dazu mit Hinweisen auf die Judikatur Hesse, a. a. O. 433 f.
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nannte derivative Ansprüche, das heißt Ansprüche auf Gleichbehandlung in einem vom Gesetzgeber geschaffenen System staatlicher Leistungen. Hier kann Abwehr einer Diskriminierung Teilhabe schaffen. Dagegen ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht so weit gegangen, auch originäre Teilhaberechte anzuerkennen, das heißt einen Freiheitsanspruch in einen Leistungsanspruch umzudeuten. Der entscheidende Grund dafür liegt wohl nicht so sehr in einem bestimmten Prinzip oder einer bestimmten Struktur, an der auf alle Fälle festgehalten werden müßte. Entscheidend ist vielmehr die Einsicht, daß die Gewährung von Teilhaberechten ein Handeln des Gesetzgebers voraussetzt, dessen Aufgabe es ist, einen Ausgleich unter konkurrierenden Freiheitsansprüchen und überhaupt zwischen Freiheiten und Belastungen zu finden. Umso deutlicher schlägt dann aber die objektivrechtliche Seite der Grundrechte, also ihr Wertgehalt, wieder durch: Der einzelne verfügt zwar nicht über einen einklagbaren Individualanspruch, aber die staatlichen Organe unterliegen gemäß dem objektivrechtlichen Sozialstaatsgebot der Pflicht, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Freiheit effektiv werden kann. Das ist die Antwort des Grundgesetzes auf die Frage nach sozialen Grundrechten. d) Unter den Funktionen der Grundrechte tritt immer deutlicher eine organisations- und verfahrensrechtliche hervor, das heißt es wird anerkannt, daß Organisation und Verfahren einen bedeutsamen Stellenwert für Grundrechtsverwirklichung und Grundrechtssicherung besitzen29. Dieser Gedanke hat schon darin seinen Niederschlag gefunden, daß über den für das gerichtliche Verfahren geltenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs hinaus (Art. 103 Abs. 1 GG) ein im Rechtsstaatsprinzip begründeter allgemeiner Anspruch auf ein faires Verfahren anerkannt wird. Aber die spezifische Stoßrichung aus der Erkenntnis des Zusammenhangs von Grundrechten, Organisation und Verfahren wird erst in anderen Konstellationen deutlich, so wenn materielle Grundrechte die Auslegung von Verfahrensvorschriften bestimmen, wenn aus materiellen Grundrechten überhaupt verfahrensrechtliche Anforderungen entwickelt werden oder wenn schließlich für die Ordnung bestimmter Sachbereiche im Hinblick auf ihren Freiheitsgehalt die Gestaltung von Organisation und Verfahren vorgeschrieben wird. In alledem zeigt sich, daß der Bürger in seiner Subjektstellung gestärkt werden soll, es zeigt sich aber auch, daß überhaupt eine Entsprechung zwischen materiellrechtlichem und formellrechtlichem Status herrschen soll, ja, daß die sachgerechte Ausgestaltung von Organisation und Verfahren sich geradezu als Stück materieller Freiheit darstellt. e) Die Bedeutung der Grundrechte im modernen Rechts- und Sozialstaat wird schließlich auch darin erkennbar, daß sie unter bestimmten Voraussetzungen für Rechtsbeziehungen relevant sind, an denen der Staat nicht unmittelbar beteiligt ist, wo also nicht das Staat-Bürger-Verhältnis in Rede steht, sondern wo man sich im Bereich der Gesellschaft bewegt. So wurde in der bekannten Entscheidung des 29 Mit systematischer Relevanz im Anschluß an Häberle (vgl. oben Anm. 11) herausgearbeitet von Hesse, a. a. O. 434-436, aber auch in seinem Lehrbuch (Anm. 11) 151.
Grundwerte und Grundrechte in der Gesellschaft und im Staat
Bundesverfassungsgerichts zu § 218 StGB eine Pflicht des Staates angenommen, das Rechtsgut Leben auch vor rechtswidrigen Eingriffen anderer zu bewahren 30, und von diesem Grundgedanken geht auch die Entscheidung im Entführungsfall Schleyer 31 aus. Zwar wird hier die klassische rechtsstaatliche Aufgabe angesprochen, die Rechtssphären von Grundrechtsträgern voneinander abzugrenzen und Schutz zu gewähren 32, neu ist jedoch, daß das Problem von der Ebene der einfachgesetzlichen Rechtsordnung auf die Grundrechts-Ebene gehoben ist und dort den Charakter einer fundamentalen Pflicht bekommt. Geläufiger ist diese Problematik indes unter dem Gesichtspunkt der sogenannten Drittwirkung von Grundrechten, einer Wirkung also nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber Privaten, insbesondere, wenn sie wirtschaftliche und soziale Macht besitzen, die sich genauso freiheitsgefährdend wie staatliche Macht auswirken kann. Die Rechtsprechung hält sich insoweit auf der Linie einer mittelbaren Drittwirkung, das heißt die Grundrechte wirken in ihrem objektivrechtlichen Gehalt nicht unmittelbar, sondern auf dem Weg über die Auslegung der Vorschriften des Privatrechts, vor allem der Generalklauseln und anderer wertausfüllungsbedürftiger Begriffe. Das ist die dem freiheitlichen Rechts- und Sozialstaat gemäße Linie. Einerseits gilt nämlich: „Eine uneingeschränkte Bindung Privater an Grundrechte würde zu einer empfindlichen Einschränkung der Privatautonomie, mithin zu einer nicht unerheblichen Einengung selbstverantwortlicher Freiheitführen und damit Eigenart und Bedeutung des Privatrechts prinzipiell verändern" 33. Andererseits würde der Staat mit einer völligen Abschottung des Privatrechts gegenüber dem Verfassungsrecht seine Schutzaufgabe verfehlen und die Rechtsordnung in eine schizophrene Spaltung hineintreiben. 3. Diese Übersicht über die Plurifunktionalität der Grundrechte im freiheitlichen Verfassungsstaat sollte vor allem deutlich machen, daß Grundrechte mehr sind als subjektive Freiheitsansprüche des einzelnen gegenüber dem Staat, daß sie vielmehr auch eine Ordnung geschützter Rechtsgüter konstituieren, die für den freiheitlichen Staat wesentlich sind und daß sie diesem bestimmte Aufgaben stellen. In diesem Sinne bezeichnen sie grundlegende Rechtswerte. Es ist indes notwendig, noch einige Gesichtspunkte zu erörtern, die spezifische Züge des staatlichen Grundrechtsverständnisses hervortreten lassen. a) Für die Gewährleistung von Grundrechten ist wesentlich, daß diese eine positive und eine negative Seite haben. Religionsfreiheit zum Beispiel umschließt nicht nur die Freiheit, positiv sich zu einer Religion zu bekennen und dafür tätig zu sein, sondern auch die Freiheit, sich gegenüber dem Phänomen der Religion negativ zu verhalten, sich nicht zu einem Glauben zu bekennen oder sich religiöser 30 BVerfGE 39, 1 (41 f.). 31 BVerfGE 46, 160(164). 32 Vgl, dazu Isensee, Verfassungsgarantie ethischer Grundwerte und gesellschaftlicher Konsens (Anm. 1), 547 Anm. 17. 33 So Hesse, a. a. O. 437. 11 Hollerbach
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Unterweisung zu entziehen usw. Auch beim Grundrecht der Vereinigungsfreiheit etwa treten positive und negative Sinnrichtung deutlich in Erscheinung. Nun gibt es immer wieder Versuchungen, diese Zweipoligkeit zu übersehen. Aber: „Freiheit hört auf, Freiheit zu sein, wenn sie nicht das Entscheidungsrecht über Handeln und Nicht-Handeln in sich schließt. .. Es ist das Ende der Freiheit, wenn die Verbindung von positiver und negativer Freiheitsgarantie an irgendeinem Punkt gelöst wird" 34. Demgemäß sind positive und negative Freiheit als solche vor dem Forum des Rechts gleichwertig. Aber auch wenn man sich darin grundsätzlich einig ist, so gehört es gleichwohl zu den schwierigsten Aufgaben, im Einzelfall positive und negative Freiheit in ein Verhältnis optimalen Ausgleichs zueinander zu bringen 35. b) Im freiheitlichen Gemeinwesen sind Freiheitsgewährleistungen eingeordnet in einen umfassenden Verantwortungszusammenhang. Grundrechte, auch wenn sie vorbehaltlos formuliert sind, unterliegen deshalb Begrenzungen. „Grundrechtliche Freiheiten sind rechtliche Freiheiten und als solche stets inhaltlich bestimmt, das heißt aber begrenzt. Grundrechtsbegrenzung ist Bestimmung dieser Grenzen; sie legt die inhaltliche Tragweite des jeweiligen Freiheitsrechts fest" 36. Insofern stehen (begrenzend-inhaltsbestimmendes) Recht und Freiheit ineinander, in einem spannungsreichen Verhältnis der Wechselbezüglichkeit: Recht ist auf Freiheit angelegt, Freiheit kann nur als rechtlich bestimmte und begrenzte Freiheit real wirksam werden. Es ist ein ganz zentrales Stück juristischen Dienstes an der Freiheit, die (begrenzten) Freiheitsbereiche nach Maßgabe verläßlicher normativer Kriterien einander so zuzuordnen, daß sie gleichwohl zu optimaler Wirksamkeit gelangen. Über diesen allgemeinem Grundgedanken hinaus erschließen die speziellen Begrenzungsvorbehalte weitere Richtpunkte für die Bestimmung der konkreten Reichweite des Freiheitsschutzes und bezeichnen ebenfalls verfassungskräftig anerkannte Rechtsgüter. So nennt Art. 2 Abs. 1 GG Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz, Art. 5 Abs. 2 verweist auf Jugendschutz und persönliche Ehre, Art. 5 Abs. 3 fordert von dem, der das Grundrecht der Freiheit wissenschaftlicher Lehre für sich in Anspruch nimmt, „ Treue zur Verfassung". Weitere Beispiele sind „Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2) oder „öffentliche Sicherheit und Ordnung" (Art. 13 Abs. 3). Es zeigt sich mithin ein differenziertes Gefüge von Begrenzungen, denen Freiheit um der Gemeinverträglichkeit willen unterworfen ist. In keinem Fall allerdings, so sagt Art. 19 Abs. 2 GG ausdrücklich, darf ein Grundrecht durch eine Begrenzung in seinem Wesensgehalt angetastet werden, d. h. in seiner grundsätzlichen wertbezogenen Sinnrichtung 37. 34
So, mit Bezug auf das Grundrecht der Religionsfreiheit, Huber, a. a. O. (Anm. 27)106. Lebendiges Anschauungsmaterial jetzt in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Schulgebet vom 16. Oktober 1979, BVerfGE 52, 223. 36 So, in prägnanter Kürze, Hesse, Grundzüge (Anm. 11) 131. 37 Zu dieser Problematik vgl. die nach wie vor grundlegende Monographie von Peter Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, Karlsruhe 19722. 35
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c) Wenn es wahr ist, daß sich die freiheitliche Demokratie als ein umfassender Verantwortungszusammenhang darstellt, legt sich die Frage nahe, ob nicht Grundrechten auch Grundpflichten entsprechen müssen. Das Grundgesetz hat zwar in deutlicher Antiposition zur Weimarer Reichsverfassung bewußt auf einen Katalogisierung von Grundpflichten verzichtet; aber auch ihm ist die Sache nicht fremd 38 . Insbesondere aber zeigt sich in der einfachen Gesetzgebung, daß sich aus der Fülle von Rechtspflichten einige herausheben lassen, die im Hinblick auf ihren fundamentalen Charakter als Grundpflichten qualifiziert werden dürfen, so die Schulpflicht, die Steuerpflicht und die Wehrpflicht als die entscheidenden Pflichten gegenüber dem Staat39. Des weiteren könnte man von einer Grundpflicht zur Toleranz als Komplementärprinzip bei der Wahrnehmung von Grundrechten sprechen 40 . Die neuere Entwicklung des freiheitlichen Gemeinwesens scheint mir die Aufgabe dringlich zu machen, dem Phänomen der Grundpflichten und überhaupt der Pflichtbindungen im Recht wieder stärkere Beachtung zu schenken. d) Das staatliche Recht macht nicht zuletzt bewußt, daß grundrechtliche Gewährleistungen auf besonderen Schutz angewiesen sind. In der normativen Ordnung des Grundgesetzes ist nicht nur in Gestalt des Garantie umfassenden gerichtlichen Rechtsschutzes, vor allem durch das spezifische Institut der Verfassungsbeschwerde bei Grundrechtsverletzungen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG), weitreichende verfahrensrechtliche Vorkehr dafür getroffen. Zugleich ist einerseits normiert, daß in keinem Fall ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden darf (Art. 19 Abs. 2); andererseits kann bei Mißbrauch von Freiheitsrechten „zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" die Ausübung von Grundrechten verwirkt werden (Art. 18). In beiden Fällen geht es um den Schutz der Freiheit gegen innere Aushöhlung: im einen Fall gerichtet gegen den Staat - Garant und potentieller Feind grundrechtlicher Freiheit in einem - , im anderen gegen den Bürger, der ebenfalls Mitverantwortung für die Herrschaft der Autorität der Freiheit trägt. e) Damit wird am Ende noch einmal deutlich, daß auch im staatlichen Recht die in Einzelfreiheiten vertypte Freiheit nicht einfachhin Freiheit zur Beliebigkeit oder gar Freiheit zur Selbstaufhebung ist. Die von der Verfassung intendierte Freiheit ist diejenige der sittlich autonomen Persönlichkeit, die sich aus eigenem Entschluß einbindet in den Verantwortungszusammenhang des politischen Gemeinwesens. Solche Freiheit gibt sich, trotz weit hinausgeschobener Toleranzgrenzen, nicht relativistisch preis, sondern nimmt sich ernst und identifiziert sich mit sich selbst. Hier wird etwas vom unverfügbaren Grund auch politischer und rechtlicher Freiheit sichtbar. Aber gerade an dieser Stelle bedarf es zur Erfassung der Tiefenschärfe des kontrastierenden Blicks in die sozialistische Staaten weit 41 . In einer sozialistischen Ver38 39 40
Ii*
Einführende Übersicht bei Rolf Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, Berlin 1979. In historischer Perspektive vgl. dazu Huber, a. a. O. (Anm. 27) 101. Vgl. dazu Günter Püttner, Toleranz als Verfassungsprinzip, Berlin 1977.
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fassung, die vom Gedanken sowohl einer völligen gesellschaftlichen Interessenharmonie als auch eines absoluten staatlichen Rechtsmonopols ausgeht, können grundrechtliche oder institutionelle Gewährleistungen nicht als Garantien einer rechtlicher Verfügung prinzipiell entzogenen staatsfreien Sphäre verstanden werden; sie können ihre Legitimation und Sinnerfüllung vielmehr nur dann finden, wenn sie im Dienst des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaft wahrgenommen werden. Anders gewendet: Grundrechte stellen dort Wegbereiter zur vollen Einbeziehung des einzelnen in die Gesellschaft und die sozialistische Entwicklung dar. Demgemäß werden die sozialistischen Grundrechte durch die gesellschaftlichen Interessen und die Suprematie der marxistisch-leninistischen Parteiführung immanent beschränkt. Es ist dieses Gegenbild, ebenso wie das Gegenbild des Nationalsozialismus42, das den Freiheitsgedanken der verfassungsstaatlichen Ordnung in Deutschland wesentlich mitgeprägt hat. Für diese Ordnung ist die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft im Dienste der Abwehr jeder Form des Totalitarismus wesentlich und unverzichtbar. Die subjektiven Grundrechte als Elemente der Verfassung der pluralistischen Gesellschaft umschreiben nur ermächtigende rechtliche Potenzen, nicht rechtliche Pflichten. Für die konkrete Gestalt des politischen Gemeinwesens ist es zwar nicht gleichgültig, ob die Bürger, beispielsweise, Meinungen äußern, Verbände bilden, Privatschulen gründen oder sich über die Kirchenmauern hinaus religiös betätigen. Aber der Staat kann nicht vorschreiben, daß, und erst recht nicht: mit welchem Inhalt sie es tun. Er muß es auch hinnehmen, wenn von den Freiheiten überhaupt kein Gebrauch gemacht wird oder nur ein solcher, der den privaten Bezirk nicht überschreitet - auf die Gefahr hin, daß das Gemeinwesen stirbt, wenn es nicht mehr vom Willen zur Freiheit getragen und Freiheit nicht mehr öffentlich eingesetzt und verantwortet wird. Aber was dieser Staat de iure nicht zugestehen kann, das ist der kämpferische Gebrauch der Freiheit zu ihrer Selbstaufhebung. Wenn irgendwo, dann wird hier noch einmal eine grundsätzliche Wert-Option sichtbar. Diese Wert-Option zielt im letzten auf die sittlich autonome Persönlichkeit, die - trotz aller konkreten Bedingtheit - Staat und Gesellschaft transzendiert und für die das Recht nicht schon selbst die Erfüllung des Lebenssinnes gewährleistet 43, wohl aber im Dienst solcher Sinn-Erfüllung eine conditio sine qua non bildet.
41 Vgl. dazu Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat, München 19672; Georg Brunner, Einführung in das Recht der DDR, München 1975, 94-98; Iring Fetscher, Die Frage ethischer Grundwerte und der Grundrechte im Marxismus, in: Paus, Werte - Rechte - Normen (Anm. 1) 203 - 254. 42 Charakteristisch das Kapitel Von den Grundrechten zur volksgenössischen Rechtsstellung bei Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, Hamburg 1939, 359-368. 43 Wichtig dazu der Gedankengang bei Isensee, Ethische Grundwerte im freiheitlichen Staat, bei Paus (Anm. 1) 153.
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III. 1. Die besondere Betonung des Zusammenhangs von Grundwerten und Grundrechten darf nicht zu einer Blickverengung führen. Nicht nur die Grundrechte sind Ausdruck werthafter Materialität. Vielmehr gründet sich die Verfassung auch in ihren übrigen Teilen auf fundamentale Weitüberzeugungen. Das kommt insbesondere in den sogenannten Staatszielbestimmungen oder verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen zum Vorschein, ja, dieser Bereich ist es gewesen, in dem zuerst der Begriff Grundwerte zur Bezeichnung des unverfügbaren und zu verteidigenden Ordnungsfundaments verwendet worden ist 4 4 . Das demokratische Prinzip verweist auf das Leitbild der sittlich autonomen Persönlichkeit und der Selbstbestimmung des Volkes; es umschließt außerdem den Gedanken der Verantwortlichkeit des Mandats- und Amtsträgers. Das Rechtsstaatsprinzip zielt, um es mit einer Formel Wilhelm von Humboldts kurz anzudeuten, auf die „ Gewißheit der gesetzmäßigen Freiheit" 45, fordert also etwa Rechtssicherheit, Rechtsschutz und Gleichheit vor dem Gesetz. Das Sozialstaatsprinzip unterstreicht, daß es die Aufgabe des Staates ist, Gemeinwohl im Sinne materialer Gerechtigkeit zu verwirklichen und so für sozialen Frieden zu sorgen. Wenn heute bisweilen die Kulturstaatlichkeit des Gemeinwesens besonders hervorgehoben wird 4 6 , so liegen auch hier die Wertbezüge auf der Hand, ja sie verdichten sich. Kulturstaatlichkeit umfaßt nämlich außer den verschiedenen Formen von Kunst den gesamten Bereich von Erziehung, Bildung und Wissenschaft. Auf diese Weise wird der Staat nicht nur für die Gewährleistung der Freiheit der Wissenschaft in Lehre und Forschung verantwortlich, er hebt vielmehr im Rahmen der Festlegung von Bildungs- und Erziehungszielen eine ganze Reihe von Gütern auf die Ebene verfassungsinkorporierter Grundwerte. Ehrfurcht vor Gott, christliche Nächstenliebe, Brüderlichkeit aller Menschen, Friedensliebe, Liebe zu Volk und Heimat, sittliche und politische Verantwortlichkeit, berufliche und soziale Bewährung, freiheitliche demokratische Gesinnung: das ist zum Beispiel die Liste, die sich aus Art. 12 Abs. 1 der Landesverfassung von Baden-Württemberg ergibt 47 . Die wertbeziehende Blickrichtung läßt des weiteren erkennen, daß auch das Bundesstaatsprinzip von bestimmten Wertentscheidungen geprägt ist. Als Element 44
Signifikant etwa Werner Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates, Zürich 1945, 63-65. In der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts taucht der Begriff in bezug auf die freiheitliche demokratische Grundordnung (Art. 21 GG) zuerst im SRP-Urteil vom 23. Oktober 1952 auf: BVerfGE 2, 1 (12). Vgl. dazu und zum folgenden besonders Isensee, a. a. O., 148-153. 45 Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, Werke in 5 Bänden, hrsg. v. Andreas Flitner/Klaus Giel, Bd. I (1960) 147. 46 Grundlegend Ernst Rudolf Huber, Zur Problematik des Kulturstaats, Tübingen 1958; weiterführend zuletzt Peter Häberle, Kulturpolitik in der Stadt - ein Verfassungsauftrag, Heidelberg 1979. 47 Zu der damit verbundenen Problematik jetzt zusammenfassend Hans-Ulrich Evers, Die Befugnis des Staates zur Festlegung von Erziehungszielen in der pluralistischen Gesellschaft, Berlin 1979.
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vertikaler Gewaltenteilung steht es im Dienst der Freiheit, als Element der Dezentralisierung im Staatsaufbau ermöglicht es politische und kulturelle Differenzierung, ist es schließlich Ausdruck des Grundwerts der Subsidiarität. Darüber hinaus muß man mit Isensee festhalten: „Selbst bloße Verfahrens- und Kompetenznormen enthalten ein ethisches Telos: etwa die Ausschaltung von Selbsthilfe, die gewaltfreie, geordnete Austragung von Konflikten und ihre sachgerechte Beilegung, die Herstellung des Bürgerfriedens " 48. So machen Grundrechte und verfassungsgestaltende Grundentscheidungen über Zielsetzung und Struktur des Staates ein Gefüge von Normen aus, die zwar - unter Beachtung ihrer verfassungsrechtlichen Eigenart - juristische Normen sind und als solche ausgelegt werden müssen, die aber in ihrem vollen Sinn nur erfaßt werden können, wenn man sie aus ihrem Beziehungsverhältnis zu den Wertüberzeugungen, deren Ausdruck sie sind, nicht herauslöst. In diesem Sinne ist die Verfassung im ganzen die auf Grundwerte verpflichtete rechtliche Grundordnung des politischen Gemeinwesens. 2. Dieser ihr Charakter sorgt dafür, daß man im Verfassungsrecht immer wieder auf die Dimension des Beziehungsverhältnisses Recht - Wert gestoßen wird. Aber man wird betonen müssen, daß es sich um eine für das Recht überhaupt typische Struktur handelt, die demgemäß auch für die einfachgesetzliche Rechtsordnung maßgebend ist. Diese Struktur eröffnet sich einerseits von einem eher traditionellen Ansatz her, nämlich von der Erkenntnis allgemeiner Rechtsgrundsätze oder rechtsethischer Prinzipien 49, in denen die jeweiligen Sachbereiche ihre Stützpfeiler finden. Andererseits tritt gerade heute die Angewiesenheit der Verfassung auf Vollzug durch den Gesetzgeber wieder deutlicher ins Bewußtsein50; es ist dann wieder der Zusammenhang mit der Verfassung, der den Blick für die Wertkomponenten des einfachen Rechts eröffnet. Nicht zuletzt ist es der Richter, in dessen Tätigkeit tagtäglich die konkrete Vermittlung von Recht und Wert geleistet werden muß. Dabei ist der hermeneutische Zirkel, in dem alle Auslegung steht, zugleich ein axiologischer Zirkel, jedenfalls ist das positivistische Leitbild der formallogischen Subsumtion eine haltlose Illusion 51 . 3. Der gleiche Sachverhalt kommt auch in den Blick, wenn man ihn unter der Perspektive des Verhältnisses von Recht und Moral betrachtet. Es ist geradezu ein Verdienst der Grundwerte-Debatte, das Korrespondenzverhältnis wieder deutlich gemacht zu haben, in dem diese beiden Phänomene aus der Welt des Normativen zueinander stehen. Nun ist für den freiheitlichen Staat die Unterscheidung von 48 A.a.O. 136. 49 Im neueren Schrifttum besonders bemerkenswert Karl Larenz, Richtiges Recht. Grundzüge einer Rechtsethik, München 1979. 50 Vgl. etwa Isensee, a. a. O., 143. 51 Im vorliegenden Zusammenhang darf an eine schon vom Titel her signifikante Schrift erinnert werden, die mehr Beachtung verdient hätte: Heinrich Kronstein, Rechtsauslegung im wertgebundenen Recht, Karlsruhe 1957.
Grundwerte und Grundrechte in der Gesellschaft und im Staat
Recht und Moral zwar konstitutiv und unverzichtbar 52; aber auf dieser Grundlage befinden sich beide nicht in einem Verhältnis der Beziehungslosigkeit, sondern der gegenseitigen Relevanz. Das zeigt sich an verschiedenen Punkten. So ist es gerade die neuere praktische Philosophie, die erkennt, daß ethisches Handeln der Institutionen bedarf, daß in diesem Sinne Moral auf Recht angewiesen ist, dieses aber dadurch eine besondere Dignität erhält 53 . Sodann sieht man wieder eher, daß die Verhältnisbestimmung nicht nur einseitig - etwa aus strafrechtlicher Perspektive im Sinne der Formel vom ethischen Minimum 54 vorgenommen werden kann. Jedenfalls darf sie nicht minimalistisch mißdeutet werden. Es kann sehr wohl sein, dass das Recht auch viel fordert: vom Beamten die Verfassungstreue, vom Polizisten und Soldaten das Gesundheits- und Lebensrisiko. Selbst von jedem schlichten Verkehrsteilnehmer erwartet § 1 der Straßenverkehrsordnung von Rechts wegen „ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtalso eine durchaus intensive Tugendhaftigkeit. Man ist auch wieder offener für den Sachverhalt, daß sich die Grenzen zwischen Recht und Moral verschieben können, und zwar nicht nur so, daß sich das Recht zurückzieht - also in einem rechtsrezessiven Sinne 55 - , sondern auch so, daß das Recht Terrain gewinnt, wenn die Moral nicht mehr ausreicht also in einem rechtsaugmentativen Sinne, wie das derzeit etwa im Bereich des Umweltschutzes beobachtet werden kann.
IV. 1. Die Erkenntnis von der Wertrelationalität des Rechts führt nun freilich erst in das Zentrum der aktuellen Probleme, wenn man dessen gewahr wird, daß wichtige Wertentscheidungen des Rechts vielfach nicht mehr durch gesellschaftlichen Wertkonsens gedeckt sind und wenn damit das auch und gerade für die pluralistische Ordnung unverzichtbare Homogenitätsfundament berührt ist. Zwar wird die formale juristische Geltung des Rechts, zu dessen Aufgaben ja durchaus kontrafaktisches Wirken gehört, nicht unmittelbar betroffen. Aber das Recht lebt nicht in einer autarken Welt des von der Wirklichkeit abgehobenen Sollens, sondern es ist vielfach bedingt, nicht zuletzt durch das in einer Gesellschaft gelebte Ethos. Noch so schöne Werte büßen ihre Wirkkraft ein, wenn sie nicht mehr aus innerer Überzeugung akzeptiert und realisiert werden. Wie der Glaube ohne Werke tot ist, so sind auch Werte ohne Wertverhalten tot. Dieses Spannungsverhältnis ist nicht auf eine 52 Zum Grundsätzlichen sehr erhellend Böckenförde, Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat, München 19672, 89-91. 53 Vgl. hierzu besonders die Arbeiten von Otfried Höffe, Freiheit in sozialen und politischen Institutionen, IKZ 8 (1979) 433-451; Moral und Recht. Eine philosophische Perspektive StZ 198 (1980) 111-121. Zum Ganzen jetzt auch Neue Hefte für Philosophie 17 (1980) zum Thema Recht und Moral 54 Georg Jellinek , Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe, 19082,45. 55 Zu diesem Phänomen in der neueren Kanonistik vgl. Heribert Schmitz, Tendenzen nachkonziliarer Gesetzgebung, Trier 1979, 31.
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glatte Formel zu bringen. Und so können aus der Perspektive des Rechts nur einige Gesichtspunkte zur Bewältigung des Problems beigetragen werden. Das Recht ist nicht einfach nur die Kodifikation des Tatsächlichen, es hat nicht nur die Aufgabe der Umsetzung demoskopischer Erhebungen in ParagraphenForm. Immer wieder ist im Zuge der Debatten betont worden, daß es eine Fehlvorstellung wäre, dem Recht nur die Funktion des beurkundenden Notars zuzuerkennen 56 . In dem Prozeß der Werterkenntnis und Wertbildung muß das Recht vielmehr seinen eigenen Beitrag, seine Wahrheit, einbringen: die Überzeugung von der Notwendigkeit, daß bestimmte Grundentscheidungen dem Wechsel der Tageswertungen entzogen und außer Streit gestellt werden müssen; daß es Freiheiten nur als begrenzte, mit Pflichten und Verantwortlichkeiten korrespondierende Freiheiten geben kann; daß das Recht Grundforderungen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit gerecht werden muß; vor allem aber: daß eine Hermeneutik geschichtlicher Erfahrungen im Umgang mit Recht und Unrecht grundlegende Strebeziele des Menschen erkennen läßt, in denen sich die Überzeugungen vom Guten niederschlagen. Die Entwicklung der Rechtskultur zeigt jedenfalls einen Fundus von normativen Antworten, die auf fundamentale Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens gegeben worden sind. Natürlich haben diese nicht die Kraft von Naturgesetzen; man kann sie faktisch mißachten - aber das geschieht letzten Endes um den Preis der Rebarbarisierung, wie etwa die Erfahrung mit dem Nationalsozialismus lehrt. Solche Überlegungen führen nicht zu einem Naturrechtssystem, das man nur deduktiv anzuwenden bräuchte; wohl aber zu einem Bestand von Leitbegriffen und Grundsätzen, die dann durch Rechtssätze in ihrem Sinne näher zu determinieren sind. „Naturrecht kann heute nicht mehr als ein Normenkatalog, eine Art Metaverfassung, aufgefaßt werdenso hat es Robert Spaemann einmal formuliert 57 . Man wird ihm in der Tendenz auch grundsätzlich zustimmen, wenn er sagt: „Es ist eher eine Denkweise, und zwar eine alle rechtlichen Handlungslegitimationen noch einmal kritisch prüfende Denkweise". Man wird nur hinzufügen müssen, daß es darauf ankommt, Kriterien für diese kritische Prüfung zu entwickeln. Die Verfassungsgeschichte, insonderheit die Geschichte des freiheitlichen Verfassungsstaates, bietet hierfür ein reichhaltiges Arsenal 58. 2. Gleichwohl ist die Konsensproblematik in ihrer praktisch-gesellschaftlichen Relevanz damit nicht gelöst. Im letzten ist das Recht macht- und hilflos, wenn es nicht von der Überzeugung von seiner inneren Legitimation, vom „ Willen zur Verfassung " 5 9 oder allgemeiner: vom Willen zum Recht getragen wird. 56
Vgl. etwa die Fragestellung Wertgestalter - Wertnotar bei Hans Maier, Grundwerte und Grundrechte, in: Paus (Anm. 1) 90. 57 Die Aktualität des Naturrechts, in: Naturrecht in der Kritik, hrsg. v. Franz Böckle/ Emst-Wolfgang Böckenförde, Mainz 1973, 276. 58 In dieser Richtung wichtige Anregungen bei Martin Kriele, Einführung in die Staatslehre, Reinbek b. Hamburg 1975, sowie jetzt: Befreiung und politische Aufklärung, Freiburg i. Br. 1980.
Grundwerte und Grundrechte in der Gesellschaft und im Staat
Es gibt ein bekanntes, viel zitiertes Wort von Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Andererseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots, zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und - auf säkularisierter Ebene - in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat" 60. Die gleiche Sinnrichtung ist mit Wendungen wie diesen zum Ausdruck gebracht worden: mit Grundrechten allein ist kein Staat zu machen61, oder: mit ethischen Minimalia ist kein Staat zu machen62. In beiden Fällen wird die Doppeldeutigkeit der sprachlichen Formulierung im Deutschen bewußt eingesetzt. Aber was bedeutet das des näheren im Hinblick auf die Rolle von Staat und Recht? Auch Recht und Staat leben im Grunde von Kräften, die aus Moral und Religion kommen, und die dasjenige, woraufhin sich menschliche Freiheit entwirft und woran sie sich bindet, inhaltlich bestimmen. Wenn das so ist, dann ist es eine erste Forderung an den Staat, daß er Moral und Religion Freiheit der Entfaltung gewährt, und zwar nicht nur in einem negatorischen Sinne der Freiheit vom Staat, sondern auch im positiven Sinne der Freiheit zum Staat. Der Staat darf und muß solche Freiheit fördern. Auch wenn er seine eigenen Voraussetzungen nicht garantieren kann, so darf er ihnen doch zumindest auf diese mittelbare Weise Pflege angedeihen lassen. Religionsfreiheit und Freiheit der moralischen Überzeugungsbildung sind deshalb erstrangige Fundamentalia für den Staat um seiner selbst willen. Es gehört in diesen Zusammenhang auch die neuerdings wohl wieder gewachsene Erkenntnis, daß die Rechtskultur insgesamt des Widerlagers und der Ergänzung in einer moralischen Kultur bedarf 63. Das muß und darf gerade der Jurist betonen; er weiß in besonderem Maße, daß die Ordnung, für die er verantwortlich ist, zwar unverzichtbar ist, aber doch nur eine partielle Funktion und einen fragmentarischen Charakter hat. 59 Zentrale Kategorie in der grundlegenden Schrift von Konrad Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, Tübingen 1959. 60 In dem oben Anm. 3 angeführten Werk 93; in: Staat - Gesellschaft - Freiheit, 60. Das Thema ist auch aufgenommen in der Schrift Böckenfördes, Der Staat als sittlicher Staat, Berlin 1978, 36 f. 61
Isensee, Ehische Grundwerte im freiheitlichen Staat, bei Paus (Anm. 1) 153. Hollerbach, Aspekte der Freiheitsproblematik (Anm. 1)41. 63 Wichtig dazu Isensee, a. a. O. 154-162. 62
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Wir sind geneigt, es als politische Rhetorik abzutun, wenn es etwa in Art. 15 der Virginia Bill of Rights heißt: „Keine freie Regierung oder die Segnungen der Freiheit können einem Volk anders erhalten bleiben als durch ein festes Beharren in Rechtlichkeit , Mäßigung , Enthaltsamkeit , Sparsamkeit und Tugend und durch häufige Wiederbesinnung auf die fundamentalen Prinzipien " 6 4 . Aber solche Formulierungen, die von des positivistischen Gedankens Blässe nicht angekränkelt sind, zeigen die Einsicht in eben diesen Zusammenhang von Rechtskultur und moralischer Kultur. „Ethische Selbstdisziplinierung ist unerläßliche Funktionsbedingung der Demokratie " 6 5 ; es gibt für sie ja keine äußere Gewähr, vielmehr liegt die Gewähr allein in ihr selbst, das heißt in den Bürgern. Man kann und muß davon sprechen, daß dem Katalog der Bürgerfreiheiten geradezu ein Katalog der Bürgertugenden entsprechen muß. Die Grundwerte Freiheit, Gleichheit und Solidarität müssen in einem gelebten Ethos gewissermaßen verkittet sein. Eine ganz zentrale Rolle spielt auch die Toleranz. Man wird des weiteren etwa Gemeinsinn, Verantwortungsbereitschaft, Aufrichtigkeit und Fairneß (vor allem in der politischen Auseinandersetzung) oder auch Kompromißbereitschaft nennen. Das allgemeine Bürgerethos muß ergänzt sein durch ein spezifisches Amtsethos. Auch hier ergeben sich Ansätze zu einem Katalog, bei dem etwa Loyalität, Unparteilichkeit, Uneigennützigkeit, Unbestechlichkeit, Verpflichtung auf das Gemeinwohl oder Einsatzbereitschaft genannt werden müßten. Mag das Disziplinarrecht hier noch eine Strecke weit rechtliche Gewähr zu bieten versuchen; im letzten muß es versagen. Vor allem aber gibt es für jenen Bereich, in dem es um das Zusammenspiel der obersten Organe des Staates geht, keine rechtlich erzwingbare Sicherung, sondern nur das Vertrauen auf die Wirkmächtigkeit ethischer Grundhaltungen. Nur mit Verweis darauf kann auch die immer wieder gestellte Frage: quis custodiet custodes? beantwortet werden. Je höherrangig und grundlegender das Recht, desto ungesicherter ist es. Es gibt keinen obersten Gerichtsvollzieher. Das Gewissen wird zur irdisch letzten Instanz. Politische Kultur kommt durch geglückte Kooperation von Rechtskultur und moralischer Kultur zustande. Aber muß nun der Staat die Hände in den Schoß legen, wo es um jene Bereiche geht, die über das Recht hinausgreifen? Auch hier darf man auf ein Ergebnis der Grundwerte-Debatte verweisen, dem nicht prinzipiell widersprochen worden ist. Innerhalb der Schranken der Verfassung obliegt dem demokratischen Rechtsstaat „die Sorge dafür, daß das ethische Fundament des Gemeinwesens unversehrt bleibt" 66, aber auch, daß es weiterentwickelt wird. Der Staat kann hier nicht mit Befehl und Zwang wirken; wohl aber mit den Mitteln pflegender Staatstätigkeit, nicht zuletzt durch Erziehung und Bildung. So läuft das Thema Grundwerte nicht von ungefähr auf das Thema Erziehungs - und Bildungs64 Text bei Fritz Härtung , Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte von 1776 bis zur Gegenwart. Göttingen 19643, 40/41; dazu Isensee, a. a. O. 157. 65 Isensee, a. a. O. 159. 66 Wiederum Isensee, a. a. O. 162.
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ziele hinaus. Hier, in der Schule, ist der Ort, wo der Staat tagtäglich mit den Voraussetzungen konfrontiert wird, von denen er lebt, auf deren Entfaltung und Pflege er Einfluß nehmen kann und muß 67 - nicht als Monopolist oder Inhaber eines autoritativen Lehramts, wohl aber so, daß er in einem freiheitlichen, auf offene, positive Neutralität 68 verpflichteten Schulwesen durch den Einsatz von sachlichen und personellen Mitteln seine Verantwortung wahrnimmt. Diese Überlegung zeigt, daß es nicht nur praktisch unmöglich, sondern auch theoretisch verfehlt ist, Verantwortungen zwischen dem Staat und der Gesellschaft auseinanderzudividieren 69. Wir stehen vor einer gemeinsamen Aufgabe von Staat und Gesellschaft, vor einer unauflöslichen Korrelation von Grundwerten und Grundrechten.
V. In der Bundesrepublik Deutschland sind die Kirchen, wie allgemein bekannt, rechtlich und wirtschaftlich gut situiert. Es ist im Grundsatz auch unbestritten, daß sie in besonderer Weise Sinn-Instanzen sind 70 , denen gerade in dem Diskurs über Grundwerte eine bedeutsame Funktion zukommt. „Ihre Bedeutung für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens wird anerkannt" 71: Der Gehalt solcher und ähnlich formulierter Verfassungsbestimmungen ist neu bewußt geworden. Aber es besteht doch wohl Veranlassung, diesen Sachverhalt in der aktuellen Situation nach einigen Richtungen hin näher zu bedenken, auch wenn hier nur noch Ansatzpunkte markiert werden können. 1. Die Kirchen werden sich dagegen wehren müssen, vom Staat in eine Alleinverantwortlichkeit für das sittliche Fundament des politischen Gemeinwesens gedrängt zu werden. Sie haben ein moralisches Mandat, aber kein GrundwerteMonopol 72 . Aber auch soweit respektiert wird, daß es bloß um Mitverantwort67
Interessantes Anschauungsmaterial dazu bei Otfried Höffe, Ethikunterricht in pluralistischer Gesellschaft, in: ders., Ethik und Politik. Grundmodelle und -probleme der praktischen Philosophie, Frankfurt am Main 1979,453-481. 68 Grundlegend dazu nach wie vor Klaus Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip vornehmlich im Kulturverfassungs- und Staatskirchenrecht, Tübingen 1972. 69 Diese Tendenz bei Helmut Schmidt, Ethos und Recht in Staat und Gesellschaft, in: Gorschenek (Anm. 1) 26: „Der Staat - das sind der Bundestag, das Bundesverfassungsgericht, die Bundesregierung - hat die Grundrechte der Menschen zu wahren. Er hat den Grundrechten Respekt und Geltung zu verschaffen. Wo es aber die Grundwerte zu wahren gilt, dort... gilt: Tua res agitur! Dies ist Deine Sache - jedes einzelnen Sache. Sache jeder Gemeinschaft, Sache der Kirche 70 Grundlegend dazu Karl Lehmann, Die Funktion von Glaube und Kirche angesichts der Sinnproblematik in Gesellschaft und Staat heute: in Essener Gespräche 11 (Anm. 1) 9 - 3 3 . Vgl. auch Johannes Neumann, Kirche als Sinnträger in einer pluralen Gesellschaft? Anmerkungen zum Selbstverständnis der (katholischen) Kirche, in: Herbert Schambeck (Hrsg.), Kirche und Staat. Fritz Eckert zum 65. Geburtstag, Berlin 1976, 27-70. 71 Art. 4 Abs. 2 Landesverfassung Baden-Württemberg. 72 So zu Recht Isensee, a. a. O., 163.
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lichkeit gehen kann, haben die Kirchen deutlich zu machen, daß ihr Auftrag weitergreift und nicht rationalistisch-utilitaristisch auf Sinnvermittlung verkürzt werden darf. 2. In dem Prozeß der Pflege und Entfaltung des Wertbewußtseins werden die Kirchen den Bereich der öffentlichen Moral und damit den der Gesetzgebung nicht ausklammern. Aber in erster Linie kommt es auf die Klarheit ihrer sittlichen Botschaft und auf das moralische Engagement ihrer eigenen Mitglieder an. Fast ist man geneigt, an das Wort der Schrift zu erinnern: „Suchet vor allem das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und dies alles wird euch dazu gegeben werden " 73. Wenn etwa Katholiken und Protestanten in einer Einheitsfront den Schwangerschaftsabbruch - aus eigener Überzeugung und ohne des staatlichen Rechts als Orientierung zu bedürfen - nicht für ein legitimes Mittel hielten, wäre der § 218 StGB nur ein Randproblem in unserer Gesellschaft. Gleiches gälte für die Ehescheidung. In einer Gesellschaftsordnung, in der über 90 % der Bevölkerung Mitglieder der großen Kirchen sind, ist naturgemäß eine Grundwerte-Krise auch eine solche im Raum der Kirche. 3. Das Grundwerte-Problem ist für die Kirchen eine ökumenische Herausforderung. In der Bundesrepublik Deutschland haben sie ihr mit der schon erwähnten Gemeinsamen Erklärung Grundwerte und Gottes Gebot 74 zu begegnen versucht, die den Dekalog als Zeugnis der Schrift in den Mittelpunkt stellt. Es ist hier nicht der Ort, dieses Dokument näher zu analysieren. Es kann aber nicht unerwähnt bleiben, daß sich eigentümlicher Weise, trotz des Ansatzes in der Botschaft der Wortoffenbarung, im evangelischen Bereich starke Kritik geltend macht 75 . Unzweifelhaft verdient es aber im ganzen eine gute Note, ohne daß man sich nun freilich auf diesem Ergebnis des ökumenischen Dialogs ausruhen dürfte. Der katholische Partner wird die Diskussion in Richtung auf eine schöpferische Synthese aus Dekalog, Evangelium und Naturrecht weiterführen wollen, er wird in besonderer Weise die Impulse aufnehmen, die von der sozialethischen Verkündigung des regierenden Papstes ausgehen76. 4. Das Thema Grundwerte und Grundrechte gibt zuletzt Veranlassung, die Frage nach der Grundrechtsbindung der Kirche jedenfalls noch zu berühren 77. Die deutsche Verfassungsordnung ist so gestaltet, daß - mit der Ausnahme des Art. 9 Abs. 3 GG - die Grundrechte der Staatsverfassung im kirchlichen Bereich nicht gelten, es 73 M t . 6 , 74
33.
Oben bei Anm. 7. 75 Hans-Richard Reuter, Grundwerte als Gottes Gebot?, Zeitschrift für Evangelische Ethik 24 (1980) 74-76; vgl. dazu die Antikritik von Tilman Winkler, ebenda 225-227. 76 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Das neue politische Engagement der Kirche. Zur „politischen Theologie" Johannes Pauls II., StZ 198 (1980) 219-234. 77 Zusammenfassende und klärende Behandlung des Problems zuletzt bei Konrad Hesse, Grundrechtsbindung der Kirchen?, in: Im Dienst an Recht und Staat. Festschrift für Werner Weber zum 70. Geburtstag, Berlin 1974, 447-462.
Grundwerte und Grundrechte in der Gesellschaft und im Staat
sei denn, die Kirche nimmt öffentlich-rechtliche Kompetenzen wahr. Diese Regelung respektiert das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und trägt der Neutralität des Staates Rechnung. Das ist gut so. Aber wenn eine Kirche in einem Gemeinwesen mit hoher Grundrechtskultur lebt, wird sie sich erst recht nicht der Frage der Anerkennung von Fundamentalrechten in der Kirche entziehen können. Auch und gerade aus der Sicht des staatlichen Rechts wird sie aber betonen, daß die grundrechtliche Sicherung von Lebens- und Sachbereichen sehr wohl Differenzierung legitimiert und daß alles auf die Entwicklung einer eigenständigen, aus dem Selbstverständnis der Kirche begründeten Lösung ankommt. Das vermag dann auch die Kommunikation zwischen staatlichem und kirchlichem Recht neu zu befruchten. Anhang Literaturnachtrag
zu Anmerkung 1
Alexander Schwan, Grundwerte der Demokratie. Orientierungsversuche im Pluralismus, München 1978. - Ethel Behrendt, Recht auf Gehör. Grundrecht und Grundwert, München 1978. - dies., Gott im Grundgesetz. Der vergessene Grundwert Verantwortung vor Gott, München 1980. - Grundwerte. Vortragszyklus 1979-80, Schule der Bundeswehr für Innere Führung. Beiträge von Ernst Benda, Martin Honecker, Werner Lange, Karl Lehmann, Werner Maihof er, Heinz Rapp, Friedrich-Wilhelm Freiherr von Seil, Richard von Weizsäcker, Bonn 1980 (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, 168).
B. Beiträge zum Kirchenund Staatskirchenrecht I. Kirchenrecht
Göttliches und Menschliches in der Ordnung der Kirche* Wenn das Thema von einem Kirchenrechtler und Rechtsphilosophen behandelt wird, so liegt es nahe, daß hier vornehmlich von der rechtlichen Ordnung der Kirche, der Ordnung der Kirche durch Recht, die Rede ist, mithin von jener Problematik, die meist mit den Begriffen ius divinum und ius humanum umschrieben zu werden pflegt. Dabei kann allerdings der Gesamtkomplex der mit „Gottesrecht" bezeichneten Sache, die sich auf das Rechtsphänomen im ganzen bezieht, nicht erörtert werden; es ist auch unmöglich, die Naturrechtsfrage hier voll zu thematisieren. Wenn demgemäß von der rechtlichen Ordnung der Kirche vornehmlich bezüglich des Verhältnisses von ius divinum positivum und ius ecclesiasticum gehandelt wird, so sollte doch darüber nicht vergessen werden, daß selbstverständlich auch und gerade sowohl der ordo moralis wie der ordo pastoralis die Ordnung der Kirche mitkonstituieren und deren Ordnung als praktizierte Lebensordnung mitschaffen, daß deshalb allerdings auch die Unterscheidung und rechte Zuordnung dieser Bereiche oder Ordnungsmodi selbst ein eminentes Ordnungsproblem ist. Die Mischehenfrage etwa wäre ein signifikanter Beleg dafür. Doch muß auch dieser Fragenkreis zurückstehen. Einleitend gilt es zunächst, die Bedeutung der Fragestellung sichtbar zu machen. Sodann sind einige theoretische Grundprobleme zur Diskussion zu stellen. Schließlich soll der Versuch gemacht werden, konkrete praktische Einzelfragen zu erörtern.
Erstveröffentlichung in: Mensch und Recht. Festschrift für Erik Wolf zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Alexander Hollerbach/Werner Maihofer/Thomas Würtenberger. Frankfurt am Main: Klostermann, 1972, S. 212-235. * Dem Aufsatz liegt in der hier dargebotenen Form ein Vortrag zugrunde, der bei einer Tagung der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg über „Göttliches und Menschliches in der Kirche" am 22. Januar 1972 gehalten wurde. Die Grundgedanken sind schon früher entwickelt und unter dem Titel „Göttliches und menschliches Kirchenrecht" in meiner (unveröffentlichten) Freiburger Antrittsvorlesung vom 19. Februar 1965 vorgetragen worden. Ein Ausschnitt aus diesem Themenkreis, nämlich „Die Problematik des ius divinum im katholischen Verständnis", wurde am 30. Oktober 1964 in einem Referat in Villigst behandelt; davon existiert ein hektographiertes Manuskript. - Erik Wolf hat allen Anspruch darauf, daß ihm gerade diese Abhandlung, die ohne die Begegnung mit ihm nicht denkbar wäre, als kleines Dankeszeichen gewidmet wird. 12 Hollerbach
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Göttliches und Menschliches in der Ordnung der Kirche L
Wer häufiger über die anstehende Thematik nachdenkt und sich ihrer enormen Schwierigkeiten methodischer und sachlicher Natur voll bewußt ist, wird bisweilen in der Versuchung stehen, die Frage nach der Unterscheidung und Zuordnung von Göttlichem und Menschlichem in der Ordnung der Kirche für müßig, zumindest für zweitrangig zu halten. Er wird sich etwa an die bekannte Konzils-Aussage in „Lumen Gentium", der Dogmatischen Konstitution über die Kirche, erinnern, wo die Kirche, und zwar gerade hinsichtlich ihres Ordnungsgefüges, als eine „einzige komplexe Wirklichkeit" bezeichnet wird, „die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst" - „coalescit", wie der lateinische Text sagt 1 . Das könnte dazu veranlassen, die solchermaßen vorgestellte „Koalition", für deren nähere Kennzeichnung sich bei uns fast unwillkürlich auch alsbald das Beiwort „organisch" einstellt, gar nicht durch kritisches Fragen zu stören und in Anbetracht der Komplexität des Sachverhalts die Hände in den Schoß zu legen. In einer solchen Versuchungs-Situation trifft uns jedoch mit geradezu schneidender Schärfe ein Schriftwort aus dem 7. Kapitel bei Markus (Mk. 7, 1 - 1 3 ) 2 . Es empfiehlt sich in unserem Zusammenhang, es - in der Übersetzung von Otto Karrer - einmal wörtlich i m ganzen zu zitieren: „Es fanden sich auch die Pharisäer und einige Schriftgelehrte bei ihm ein, die von Jerusalem gekommen waren. Da bemerkten sie, daß einige seiner Jünger mit gewöhnlichen Händen, das heißt ohne sie zu waschen, ihre Mahlzeit nahmen - die Pharisäer, ja die Juden überhaupt halten nämlich zäh an der Überlieferung der Alten und essen nur, wenn sie sich die Hände etwas abgespült haben. Vom Markte kommend essen sie nicht, ohne zuvor die Hände zu waschen; und so sind noch manche Vorschriften, die sie nach strenger Sitte beobachten: Waschungen von Bechern, Krügen und Kesseln. Deshalb stellten ihn die Pharisäer und Schriftgelehrten zur Rede: ,Warum wandeln deine Jünger nicht nach der Überlieferung der Alten, sondern essen mit unreinen Händen?' Da sprach er zu ihnen: ,Ihr Heuchler, treffend hat euch Isaias im voraus gezeichnet, wie geschrieben steht: ,Dieses Volk ehrt mich nur mit den Lippen, doch ihr Herz ist weit von mir. Vergeblich meinen sie mich zu ehren, da sie ihre Lehrsprüche hersagen, Satzungen von Menschen!' Gottes Gebot gebt ihr preis und verkrampft euch in menschliche Überlieferungen'. Und er sprach zu ihnen: ,Fein wißt ihr das Gebot Gottes zu entkräften, wenn ihr nur eure Überlieferung wahrt! Hat doch 1 Lumen Gentium, Nr. 8, 1-12: „Unicus Mediator Christus Ecclesiam suam sanctam, fidei, spei et caritatis communitatem his in terris ut compaginem visibilem constituit et indesinenter sustentât, qua veritatem et gratiam ad omnes diffundit. Societas autem organis hierarchicis instructa et mysticum Christi Corpus, coetus adspectabilis et communitas spiritualis, Ecclesia terrestris et Ecclesia coelestibus bonis ditata, non ut duae res considerandae sunt, sed unam realitatem complexam efformant, quae humano et divino coalescit elemento. Ideo ob non mediocrem analogiam incarnati Verbi mysterio assimilatur. Sicut enim natura assumpta Verbo divino ut vivum Organum salutis, Ei indissolubiliter unitum, inservit, non dissimili modo socialis compago Ecclesiae Spiritui Christi, earn vivificanti, ad augmentum corporis inservit (cfr. Eph. 4,16)" (Hervorhebung von mir). 2 Vgl. dazu auch Hans Küng, Strukturen der Kirche, 2. Aufl. Freiburg i. Br. / Basel/Wien 1962, S. 291 (Quaestiones Disputatae, 17).
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Moses gesagt: ,Ehre Vater und Mutter!' Und: ,Wer Vater und Mutter flucht, soll des Todes sein' - ihr aber meint, wenn jemand zu Vater oder Mutter sage: ,Korban?, das heißt: ,als Weihegeschenk bestimme ich, was du von mir zugute hast', so könntet ihr ihn der Verpflichtung gegen Vater und Mutter ledig erklären, und setzt damit Gottes Wort außer Kraft um euerer Überlieferung willen, die ihr weitergegeben - und so noch in manchem andern."
Jedenfalls bezüglich einiger grundlegender Elemente ist hier unser Problem klar exponiert: (1) Es gibt, im Glauben erkennbar, Gottes Gebot für die Ordnung der Kirche. Es gibt in der und für die Ordnung der Kirche auch Menschensatzungen, die aber von Gottes Gebot zu unterscheiden sind. (2) Gottes Gebot ist das kritische Richtmaß, an dem Menschensatzungen zu messen sind. Diese können keine Verbindlichkeit beanspruchen, wenn sie jenem widersprechen. Die Frage nach der Unterscheidung und Zuordnung von Göttlichem und Menschlichem ist also mitnichten eine müßige oder zweitrangige. Sie ist dem Christen vielmehr durch ein ausdrückliches Gebot Christi aufgetragen. Deshalb wäre es natürlich ein Fehlverständnis, wenn man sich bei dem Gedanken einer gewissermaßen „organischen Koalition" beruhigen wollte. Es wäre, was sofort hinzuzufügen ist, auch ein Mißverständnis der Lehre des II. Vatikanischen Konzils. So wird denn dort an anderer Stelle, nämlich in der Liturgie-Konstitution, ausdrücklich gesagt, daß das Verhältnis der beiden Elemente zueinander von ganz bestimmter Art ist, derart nämlich, daß in der Kirche „quod humanum est ordinetur ad divinum eique subordinetur" 3. Macht schon das allgemeine kategorische Gebot, das wir uns aus Markus haben sagen lassen, die Bedeutung der Fragestellung deutlich, so zeigt sich diese erst recht, wenn man sich in zwei konkreten Hinsichten von anderen wichtigen konziliaren Aussagen leiten läßt. Da ist einmal das Bekenntnis zur ständigen Erneuerungsbedürftigkeit der Kirche, und zwar auch und gerade ihres Rechts4. Die sachliche Übereinstimmung mit dem von den reformatorischen Kirchen immer wieder stark hervorgehobenen Satz von der „ecclesia Semper reformanda" 5 liegt auf der Hand. Freilich soll die Kirche der ständigen Erneuerung nur bedürfen, soweit sie menschliche und irdische Einrichtung ist. Das aber macht es offenkundig notwendig, zwischen dem „divinum" und dem „humanum" zu unterscheiden, ja man wird den Appell zu „perennis reformatio" nicht zuletzt gerade auf die Prüfung der Frage 3
Sacrosanctum Concilium , Nr. 2, 6 - 8 : „.. .genuinam verae Ecclesiae naturam, cuius proprium est esse humanam simul ac divinam.. .et ita quidem ut in ea quod humanum est ordinetur ad divinum eique subordinetur..." (Hervorhebung von mir). 4
Unitatis Redintegratio, Nr. 6, 3 - 9 : „Ecclesia in via peregrinans vocatur a Christo ad hanc perennem reformationem qua ipsa, qua humanum terrenumque institutum, perpetuo indiget; ita ut si quae, pro rerum temporumque adiunctis, sive in moribus, sive in ecclesiastica disciplina, sive etiam in doctrinae enuntiandae modo - qui ab ipso fidei deposito sedulo distingui debet - minus accurate servata fuerint, opportuno tempore recte debiteque instaurentur" (Hervorhebungen von mir). 5 Vgl. G. Bárczay, Ecclesia semper reformanda, Zürich 1961. 12*
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Göttliches und Menschliches in der Ordnung der Kirche
beziehen müssen, ob die gängigen Unterscheidungen und Bereichszuweisungen gerechtfertigt sind. Die mit menschlichen Kategorien erfolgende Grenzziehung selber unterliegt also der Reformabilität. Es ist kein Zufall, daß die eben zitierte Maxime im Ökumenismus-Dekret formuliert wird. Sie hat also nicht nur Bedeutung für die Arbeit an der kritischen Prüfung und Fortentwicklung der rechtlichen Ordnungsstrukturen intra muros, sondern auch und gerade für die Bewegung auf Einheit hin. Das kommt denn auch einmal an anderer Stelle dieses Dokumentes zum Ausdruck 6. Unter Berufung auf die Entscheidung des sog. Apostelkonzils (Apg. 15, 28) heißt es, zur Wiederherstellung oder Erhaltung der Gemeinschaft und Einheit sei es unerläßlich, keine Lasten aufzuerlegen, die über das Notwendige hinausgehen. Auch damit ist man wiederum auf die Unterscheidung von Göttlichem und Menschlichem verwiesen; denn wenn es etwas gibt, das als Notwendiges zu qualifizieren ist, dann kann es nur das Göttliche sein. In der Tat: eben das Notwendige für die Ordnung der Kirche wird im göttlichen Recht erkannt und bezeugt.
II. 1. Die nunmehr des näheren umrissene Fragestellung bezeichnet eine Aufgabe, die für das In-Ordnung-Sein von Kirche schlechthin von grundlegender Bedeutung ist. Sie ist mitnichten etwa nur eine katholische Eigentümlichkeit. Das lehrt schon ein Blick in das neuere Schrifttum. So ist die Frage nach der Unterscheidung und Zuordnung von göttlichem und menschlichem Kirchenrecht in der reformatorischen Kirchenrechtslehre ein zentrales Thema. In der lutherischen Theologie ist sie es, so muß man genauer sagen, wieder geworden, und zwar in der Auseinandersetzung mit dem Kirchenrechtsnegativismus RudolfSohms und aus den Erfahrungen des Kirchenkampfs im Dritten Reich. Hier hat sich, um mit Siegfried Grundmann zu sprechen, eine „Wiederentdeckung des ius divinum" vollzogen. „Während es früher in der evangelischen Kirche beinahe verpönt war, den Begriff »göttliches Recht' auch nur in den Mund zu nehmen", so schrieb dieser Autor einmal7, „sprechen wir heute fast mit Selbstverständlichkeit von ius divinum". Es gebe auch in der Kirche des Evangeliums von Christus gestiftete Ordnungen, die man als ius divinum positivum verstehen müsse: die Kirche selbst als geistliches Gemeinwesen, in diesem das Predigtamt, die Schlüsselgewalt und die Sakramente. Hinzu trete das Grundprinzip für das Verhältnis Christi zu den Seinen und für das Zusam6
Unitatis Redintegratio, Nr. 18, 1 - 4 : „.. .haec Sacrosancta Synodus rénovât id quod a Sacris praeteritis Conciliis nec non a Romanis Pontificibus declaratum est, nempe ad communionem et unitatem restaurandam vel servandam opus esse ,nihil ultra imponere oneris quam necessaria' (Act. 15, 28)". 7
Verfassungsrecht in der Kirche des Evangeliums (1964/65), jetzt in: Abhandlungen zum Kirchenrecht, Köln/Wien 1969, S. 73. Vgl. auch. Martin Hechel, Summum lus - Summa Iniuria als Problem reformatorischen Kirchenrechts, in: Summum lus Summa Iniuria, Tübingen 1963, S. 240-266.
Göttliches und Menschliches in der Ordnung der Kirche
menleben der Christen: die lex charitatis. Die gottgestifteten Ordnungen und das Gesetz der Liebe machten zusammen den Gesamtkomplex des evangelisch verstandenen ius divinum aus. Es sei „ius aeternum und perpetuum" im Unterschied zu dem geschichtlich wandelbaren Recht in der Kirche 8. Auch wenn diese Auffassung nicht einmütig akzeptiert worden ist und es kritische Gegenstimmen immer gegeben hat, so darf sie doch als repräsentativ gelten. Vielleicht muß man hinzufügen: noch. Denn mit dem Nachlassen des geradezu epochalen rechtstheologischen Impetus, der die beiden ersten Nachkriegsjahrzehnte geprägt hat9, beginnt sich auch die Skepsis wieder stärker zu artikulieren. So ist - bezeichnenderweise von einem Vertreter der jüngeren Generation - diese Wiederentdeckung kritisch als „Repristination" apostrophiert 10 und wieder einmal ein (lutherischer) Protest formuliert worden, der im Namen der Freiheit ius divinum als in Sätzen und Institutionen faßbares Gottesrecht letztlich verwirft. Während es im Luthertum einer „Wiederentdeckung" des ius divinum bedurfte, hat reformiertes Kirchenrechtsdenken im Anschluß an Calvin - unbeschadet gewichtiger Gegenstimmen auch hier - im allgemeinen immer an dem Gedanken eines göttlichen Rechts für die Kirche festgehalten. „Quant est de la vraie église, nous croyons qu'elle doit être gouvernée selon la police que notre Seigneur Jésus Christ a établie", sagt die Confessio Gallica 11 . Nach der Verfassung des Reformierten Weltbundes ist „an der presbyterianischen Ordnung festzuhalten, die sich auf das Neue Testament gründet und mit ihm übereinstimmt" 12. Aber auch dieses Denken ist neu entfaltet und auf die Gewinnung eines ökumenisch-gemeinreformatorischen Verständnisses ausgerichtet worden. Dafür werden Erik Wolf die maßgebenden Impulse verdankt 13. Er sieht die göttlich-rechtliche Grundstruktur der Kirche 8 A.a.O.S. 73-77. Vgl. dazu Wilhelm Steinmüller, Evangelische Rechtstheologie, Köln/Graz 1968. 10 So in der Überschrift des 9. Kapitels der Arbeit von Uvo Andreas Wolf, Ius divinum. Erwägungen zur Rechtsgeschichte und Rechtsgestaltung, München 1970 (Jus Ecclesiasticum, 11). Art. 29. Vgl. dazu Karl Barth, Die Ordnung der Gemeinde, München 1955, S. 13. 12 Art. III Nr. 7; Text bei Hans-Ludwig Althaus, Ökumenische Dokumente, Göttingen 1962, S. 20. 13 Grundlegend: Rechtsgedanke und biblische Weisung, Tübingen 1948; weiterführend: Recht des Nächsten, Frankfurt am Main 1958 (2. Aufl. 1966); Ordnung der Kirche, ebda. 1961, bes. S. 458-469. In lexikographisch komprimierter Form hat Erik Wolf zweimal zum Komplex „ius divinum" Stellung genommen: RGG 3 III (1959) Sp. 1074-1076, und Evangelisches Staatslexikon (1966) Sp. 831-835. Der letztere Artikel ist jetzt auch in den von mir herausgegebenen Rechtstheologischen Studien Erik Wolfs (Frankfurt am Main 1972, S. 322-328) abgedruckt. In diesem Sammelband finden sich außerdem andere wichtige Arbeiten, die deutlich die zunehmende Dominanz des Problems der „Dialektik von menschlicher und göttlicher Ordnung" - so ein Titel aus dem Jahre 1961 - im Werk Erik Wolfs belegen. Ansätze zur Würdigung und kritischen Auseinandersetzung bei Günther Wendt, Rechtstheologie und Kirchenrecht bei Erik Wolf, in: Quaestiones et Responsa, hrsg. v. Thomas Würtenberger, Frankfurt am Main 1968, S. 18-23; W. Steinmüller, a. a. O. S. 257-453; U. A. Wolf, a. a. O. S. 196-200; vgl. auch Walter Heinemann, Die Relevanz der Philosophie Martin Heideggers für das Rechtsdenken, Diss. iur. Freiburg i. Br. 1970, S. 340-378. 9
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Göttliches und Menschliches in der Ordnung der Kirche
in der „bruderschaftlichen Christokratie". Im einzelnen manifestiert sich nach ihm göttliches Recht in der „biblischen Weisung": sie gibt in Richtschnuren, Direktiven oder Grundsätzen den göttlichen Ordnungswillen kund, der je und je bekennend in der Gestaltung von Ordnung der Kirche nach menschlichem Recht bezeugt werden muß. 2. Während so auf protestantischer Seite immerhin - wenn man von den Ergebnissen einmal absieht - der Acker gründlich durchpflügt worden ist und die Dinge in Bewegung geraten sind, erweist sich die katholische Kirchenrechtslehre für die ihr gestellte Aufgabe als nicht sonderlich gut gerüstet 14. Auch soweit sie das positivistische Gehäuse, in dem sie sich spätestens nach 1917 einigermaßen bequem einrichtete 15, mit rechtstheologischen Fragestellungen durchbrach 16, ist die Problematik des ius divinum zunächst nicht fundamental aufgegriffen worden. Ein durchaus positivistischer Umgang mit dem ja „glücklicherweise" weithin positivierten göttlichen Recht herrschte vor 17 . Dabei ergab sich übrigens eine eigentümliche Diskrepanz im kirchlichen Rechtsdenken: bezüglich des weltlich-staatlichen Rechts betonte man immer wieder die kritische Funktion des Naturrechtsgedankens, soweit man auch hier nicht einem Naturrechtspositivismus zum Opfer fiel; im kirchlichen Recht war davon sowohl von der Seite des natürlichen als auch des positiven göttlichen Rechts kaum etwas zu spüren 18. In gewisser Weise stand man vor einer Mauer des Schweigens. Sie zum ersten Mal durchbrochen zu haben, ist das unbestreitbare Verdienst von Karl Rahner, der vor nunmehr 10 Jahren in der ersten Erik-Wolf-Festschrift den Versuch unternommen hat, in Anbetracht des Spannungsverhältnisses zwischen exegetischem Befund und kirchenrechtshistorischer Erkenntnis einerseits und dogmatischen sowie kirchenrechtlichen Aussagen andererseits, ius divinum mit Hilfe geschichtstheoretischer Kategorien neu zu begründen bzw. neu denkbar und verstehbar zu machen19. Dabei ließ auch ökume14
Vgl. dazu auch den Beitrag von Wilhelm Steinmüller in diesem Bande, unten S. 236 ff. 15 Zum positivistischen Duktus in der Entstehungsgeschichte des kirchlichen Gesetzbuchs aufschlußreich Ferdinand Elsener, Der Codex Iuris Canonici im Rahmen der europäischen Kodifikationsgeschichte, in: Müller/Elsener/Huizing, Vom Kirchenrecht zur Kirchenordnung? Einsiedeln/Zürich/Köln 1968, S. 29-53. 16 Exemplarisch der Ansatz bei Klaus Mörsdorf in der „Grundlegung des Kirchenrechts" im Rahmen seines Lehrbuchs des Kirchenrechts, Bd. I, 11. Aufl. München /Paderborn /Wien 1964, S. 1 - 2 6 ; zur Thematik dieser Abhandlung freilich auch hier nur die wenigen Sätze S. 22 f. 17 Vgl. die aufschlußreiche Arbeit aus der Schule Hans Barions von Johann Adam Faßbender, Das göttliche Recht im Codex Iuris Canonici, Diss. Kath. Theol. Bonn 1949 (masch.). Vgl. auch Hans Barion selbst: Die gegenwärtige Lage der Wissenschaft vom katholischen Kirchenrecht, ZevKR 8 (1961/62) S. 228-290. Für die historische Sehweise exemplarisch Ernst Rößer, Göttliches und menschliches, unveränderliches und veränderliches Kirchenrecht, Paderborn 1934; dazu die kritische Auseinandersetzung bei U. A. Wolf, a. a. O. S. 13-16. 18 Vgl. dazu demnächst vom Verfasser, Das christliche Naturrecht im Zusammenhang des allgemeinen Naturrechtsdenkens, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde/Franz Böckle (Hrsg.), Naturrecht in der Kritik, Mainz 1972.
Göttliches und Menschliches in der Ordnung der Kirche
nisch seine Feststellung von der „Pluripotentialität des urkirchlichen Systems"20 aufhorchen. Nach Rahner gab es nicht nur eine wesensnotwendige Entwicklung. Vielmehr konnte die Kirche innerhalb der Zeit der apostolischen Urkirche als der Zeit der noch geschehenden Offenbarung in einem Konkretisationsprozeß rechtschaffender Art entscheiden, in welcher Richtung und Weise sie ihr eigenes rechtliches Wesen aus der größeren Zahl der an sich vorliegenden Möglichkeiten heraus als dem Wesen entsprechend konkret entfaltet. Seine sich auf die Hauptmomente Unumkehrbarkeit, Wesensgemäßheit und Urkirchlichkeit stützende These lautet in seiner eigenen Zusammenfassung: „eine wesensgemäße (dem Wesen legitim entsprechende) rechtschaffende und irreversible Entscheidung der Kirche kann dann als ius divinum betrachtet werden, wenn sie in der Zeit der Urkirche erfolgte" 21 . Rahner hat allerdings die Möglichkeit der Einleitung irreversibler Prozesse, die auf ius divinum hinführen, auch für die nachapostolische Zeit nicht grundsätzlich ausgeschlossen, da ius divinum eben prinzipiell evolutiv zu verstehen sei. Es mindert Rahners Verdienst nicht, wenn neuerdings gegen seine Konzeption auch im katholischen Raum Bedenken angemeldet werden, wie das jüngst in eindrucksvoller Weise durch Helmut Riedlinger geschehen ist 22 . Er bejaht zwar die Grundintention, nämlich „der heute drohenden Zerreißung des Zusammenhangs von Gottesrecht und Menschenrecht entgegenzutreten"; er führt aber Rahners Position auf eine von ihm als zu undifferenziert kritisierte „Theologie der Gott-WeltMensch-Einheit"23, auf ein Identitätsdenken zurück, das zumindest in der Gefahr steht, einer gewissen Vermenschlichung des Göttlichen und einer gewissen Vergöttlichung des Menschlichen zuzuneigen, weshalb denn auch bei Rahner geradezu zwangsläufig die Kategorie „gottmenschliches Recht" 24 ins Spiel kommt. Darin erblickt Riedlinger die möglicherweise gefährliche „Tendenz zu übertriebener Stabilisierung des Bestehenden". Damit werden in der Tat Gefahrenmomente signalisiert 25. Keinesfalls dürfte man sich bei dem Gedanken einer organischen Evolution beruhigen; Erfolgsmetaphysik wäre eine geschichtstheologisch fragwürdige Anschauungsweise. 19 Über den Begriff des ,Ius divinum' im katholischen Verständnis, in: Existenz und Ordnung. Festschrift für Erik Wolf, Frankfurt am Main 1962, S. 62-86; abgedruckt in Schriften zur Theologie, Bd. V, Einsiedeln 1962, S. 249-277. 20 A. a. O. S. 77.
21 A.a.O.S.72. 22 Anmerkungen zum Problem des ,ius divinum', in: Ulrich Mosiek/Hartmut Zapp (Hrsg.), Ius et salus animarum. Festschrift für Bernhard Panzram, Freiburg i. Br. 1972, S. 31 — 41. 23 A. a. O. S. 36 u. 39. 24 A. a. O. S. 82. 25 Eindrucksvoll hierzu auch M. Heckel, a. a. O. (Anm. 7) S. 246, wo die Gefahr der Sakralisierung des kirchlichen Rechts beschworen und betont wird: „Gerade in dieser höchsten Erhebung des Rechts liegt seine summa iniuria: indem solches dem irdischen Kirchenwesen als göttliches Recht unverfügbar vorgeordnet wird, ist das ius divinum in Wahrheit dem Zugriff menschlicher Autoritäten ausgeliefert worden".
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Unter den katholischen Stimmen, die sich der Problematik des ius divinum angenommen haben, sind schließlich Werner Böckenförde 26, Petrus Huizing 21 und Johannes Neumann 28 zu nennen. Im Rahmen der nachkonziliaren Entwicklung haben sie wichtige Beiträge zur kritischen Aufarbeitung der Sache geleistet, die gesonderter Würdigung bedürften. In diese Gesprächsrunde möchte ich mich mit den nachfolgenden Erwägungen einschalten29. Sie stehen betont unter zwei Herausforderungen. Die eine sei unter Verweis auf das vorhin zum Ökumenismus-Dekret Gesagte abkürzend als die ökumenische bezeichnet. Die Suche nach dem rechten Verständnis von ius divinum muß noch stärker ein zentrales Thema des ökumenischen Gesprächs werden. Die andere Herausforderung ergibt sich nicht zuletzt aus der Tatsache, daß gegenwärtig für die katholische Kirche unausweichlich die Verfassungsfrage gestellt ist 30 . Die Verfasser des römischen Entwurfs einer Lex Ecclesiae Fundamentalis hatten die Grundfrage zu klären, ob dieses geplante Gesetzgebungswerk nur Vorschriften göttlichen Rechts oder auch solche menschlichen Rechts umfassen solle. Sie kamen einmütig zu der Auffassung, daß eine Beschränkung auf die lex divina nicht möglich sei; es müßten darüberhinaus die Tradition und die historische Entwicklung berücksichtigt werden. Man hat sich in dieser Meinung getroffen umsomehr - so heißt es in der amtlichen Begründung - , als es nicht selten schwierig, wenn nicht unmöglich sei, mit Sicherheit zu bestimmen, welche Vorschriften göttlichen und welche menschlich-kirchlichen Rechtes seien31. Damit ist erneut die Notwendigkeit intensiver Besinnung dargetan.
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Das Rechtsverständnis der neueren Kanonistik und die Kritik Rudolf Sohms. Eine ante-kanonistische Studie zum Verhältnis von Kirche und Kirchenrecht, Diss. Kath. Theol. Münster 1969. 27 »Göttliches Recht' und Kirchenverfassung, in: Stimmen der Zeit 183 (1969) S. 162 — 173. 28 Das ,ius divinum' im Kirchenrecht, in: Orientierung 31 (1967) S. 5 - 8 ; kritisch dazu U. A. Wolf a. a. O. S. 179 f. 29 Kurz vor Abschluß des Manuskripts erschien noch die Arbeit von Ralf Dreier, Das kirchliche Amt. Eine kirchenrechtstheoretische Studie, München 1972 (Jus Ecclesiasticum, 15), mit einem wichtigen Abschnitt über „göttliches Recht" (S. 92 ff.). 30 Zu diesem Komplex vgl. Kein Grundgesetz der Kirche ohne Zustimmung der Christen. Text des Entwurfs und kritische Beiträge von Johannes Günter Gerhartz, Walter Kasper und Johannes Neumann, Mainz 1971 (Publik-Bücher); Hans Dombois, Die ökumenische Tragweite der Kodex- Reform. Zum Entwurf eines Grundgesetzes' der katholischen Kirche, in: Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 22 (1971) S. 50-53; Oswald von Nell'Breuning, Ein Grundgesetz der Kirche? in: Stimmen der Zeit 188 (1971) S. 219229; Wilhelm Steinmüller, Die Lex Ecclesiae Fundamentalis - ein ökumenisches Ärgernis, ebda. S. 386-400; Matthäus Kaiser, Grundgesetz der Kirche? ebda. 189 (1972) S. 99-111. 31 Schema Legis Ecclesiae Fundamentalis. Textus emendatus cum relatione de ipso schemate deque emendationibus receptis, 1971, p. 64 sq.
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III. 1. Aber was ist nun eigentlich die Sache des ius divinum, von der Riedlinger 32 zu Recht sagt, daß sie in den Kernbereich der christlichen Glaubensgeschichte und abendländischen Rechtsgeschichte gehört? Erik Wolf zeigt das Zentrum mit der „Definition" an: „Ordnungswille Christi für die Seinen"33, der erkennbar ist in biblischen Weisungen für Ordnung und Recht, in Ordnungs- oder Rechtsweisungen also. Diese stellen zwar keine Sammlung zwingender Rechtssätze dar; aber im ganzen ergeben sie eine „Richtschnur weisender Rechtsgrundsätze" 34. Wenn es derart um den für die rechtliche Ordnung relevanten „normativen Grundgehalt der Offenbarung" 35 geht, in der Tat also um „Rechtsoffenbarung", so scheint sich mir zur Kennzeichnung die Hilfsformel „geoffenbarte Grundverfügungen " nahezulegen. Dann dürfte göttliches Recht bestimmt werden können als Inbegriff geoffenbarter Grundverfügungen für die geordnete Auferbauung des Gottesvolkes im Haus der Kirche. Es sind im Blick Grundverfügungen, die für das Wesen der Rechtsgestalt der Kirche in ihrer „konstitutionellen", ihrer Verfassungsordnung, und ihrer „tätigen", ihrer Lebensordnung 36, schlechthin konstitutiv und in dem Sinne notwendig sind, daß sie die Identität der Kirche in ihren entscheidenden Merkmalen prägen. Grundverfügung meint dabei gerade solches, was dem Menschen im Erlösungs- und Erwählungswerk Christi theonom verfügt ist - weshalb man sogar besser von Verfügtheiten spricht; was mithin als ihr „unverrückbarer Ordnungsgrund" 37 der Verfügung der Kirche nach menschlichem Gutdünken entzogen ist: um unverfügbare Grundverfügungen geht es also. Aus dem Wesen der Sache ius divinum würde deshalb folgen müssen, daß, um eine Konsequenz sogleich anzumerken, auch die höchste kirchliche Autorität strikt daran gebunden wäre, - es deshalb aber auch kein unbilliges Verlangen wäre, dies in einem Rechtssatz klar auszudrücken38. Wenn man die Frage so ansetzt, wird es übrigens zweitrangig, ob man von ius divinum sprechen will. Wird das Wesen des Rechts in seiner Aufgabe erblickt, im Dienst der Gerechtigkeit und anderer höchster Güter Zusammenleben der Menschen in einer Gemeinschaft zu ordnen, und zwar mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit, dann steht dieser Redeweise nichts im Wege; anders dann, wenn man 32 A. a. O. S. 34. 33 Ordnung der Kirche, S. 466. 34 Erik Wolf Art. Ius divinum, EvStL, Sp. 832. 35 So die Formulierung bei Dreier, a. a. O. S. 102. 36 Diese Begriffe in Variation des Sprachgebrauchs bei Klaus Mörsdorf, a. a. O. (Anm. 16) S. 176 f. 37 Erik Wolf, EvStL, Sp. 832. 38 Dementsprechend bedürfte can. 34 des Entwurfs der Lex Ecclesiae Fundamentalis dringend der Modifikation einerseits durch den ausdrücklichen Hinweis auf die Bindung an das ius divinum, andererseits durch Formulierung einer Zielbestimmung (etwa: in salutem animarum et bonum commune Ecclesiae).
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einen positivistischen und etatistischen Rechtsbegriff zugrundelegt. Doch sei damit sogleich ein Vorschlag verbunden. Man sollte jedenfalls für die hier in Rede stehenden Grundverfügungen den Begriff „lex" gegenüber „ius" bevorzugen. Zwar nicht deshalb, weil ius vielfach eher für den Begriff des subjektiven Rechts gebraucht wird (er andererseits freilich auch die consuetudo deckt), sondern deshalb, weil der Begriff lex sich eher in die biblische Quellensprache einfügt und damit auch sogleich in einen Zusammenhang mit anderen wichtigen Bestimmungen der „lex nova" eingeordnet wird, wie sogleich noch zu zeigen ist. „Lex divina" hat darüberhinaus den Vorzug, eine Sicht nicht zu verbauen, die - im Anschluß übrigens an Thomas von Aquin - zwischen lex und ius in bestimmter Weise unterscheidet. „Lex enim non est ius ipsum, sed aliqualis ratio iuris" 39 . Mit dieser fundamentalen Einsicht ist verwiesen auf die Notwendigkeit, die lex als Regel, als Prinzip, je und je zu aktualisieren in einem konkreten Werk der Gerechtigkeit und sie durch Sinndetermination in einem schöpferischen Akt auszuformen zu dem konkreten Recht hic et nunc. Entscheidend aber ist der folgende Grundgedanke, der von vornherein die Blickrichtung bestimmen muß. Die göttlich-rechtlichen Grundverfügungen für die Auferbauung der Kirche sind Teil der lex nova des Evangeliums, der lex Christi. Die Schrift charakterisiert diese näher mit „Gesetz des Glaubens" (Rom. 3, 27), des „Geistes" (vgl. Rom. 8, 2), mit „Gesetz der Gnade" (Joh. 1, 17), der „Freiheit" (Jac. 1, 25; 2. Kor. 3, 17), mit „lex charitatis" (vgl. Rom. 8, 15; 2. Tim. 1, 7). Aus dem damit umschriebenen spannungsreichen Horizont der geistlichen Wirklichkeit der neutestamentlichen Offenbarung darf ius divinum, darf die lex divina nicht herausgelöst werden. Geist, Glaube, Gnade, Freiheit und Liebe sind innere Bestimmungsgründe des göttlichen Rechts, auf sie ist es hingeordnet. Das widerstreitet von vornherein einem starren Juridismus oder normativistischen Positivismus im Umgang mit göttlichem Recht. Aus protestantischer Sicht ist übrigens gerade dieser Gedanke mit Beifall aufgenommen worden 40 . Freilich wurde kritisch angemerkt, diese Interpretation bleibe gleichwohl der Idee eines Normenbestandes von Weisungen bzw. Grundverfügungen verhaftet. Mir scheint das allerdings ganz unvermeidlich zu sein, wenn man sich dem konkreten Anspruchscharakter der Offenbarung nicht von vornherein entziehen und wenn man nicht schon im Ansatz die Verbindung von Offenbarung und zu ordnender Kirche lockern will. Andererseits ist klar, daß es nicht gelingen kann, der Grundverfügungen einfach in einer normativistischen Kodifikation abschließend habhaft zu werden. Das uns gewissermaßen als Dauerauftrag aufgegebene Bemühen um Klärung der Unterscheidungs- und Zuordnungsfrage, um Vergewisserung dessen, was gewiß sein soll, bleibt in die Geschichte eingebunden, bleibt unter dem Anspruch und Walten des Geistes überholbar. 39 S. th. II-II, 57, 1, ad 2. 40
Uvo Andreas Wolf, Gottes Recht und Menschenrecht. Decretum Dei contra ius divinum, in: Parrhesia. Karl Barth zum 80. Geburtstag am 10. Mai 1966, Zürich 1966, S. 522-541 (540 f.).
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2. Doch was heißt nun eigentlich „geoffenbart "? Es wurde gesagt, Grundverfügungen in dem gekennzeichneten Sinne von Rechtsweisungen seien dann göttliches Recht, wenn sie geoffenbart sind 41 . Der Inhalt der Offenbarung nun ergibt sich aus der der Kirche anvertrauten Heiligen Schrift. Die Überlieferung, in welche die Schrift eingebettet bleibt, bringt zu dem schriftlich geoffenbarten Wort Gottes quantitativ nichts hinzu; ihre Gewißheit freilich über das Geoffenbarte schöpft die Kirche, die sich im Lehramt artikuliert, nicht aus der Heiligen Schrift allein. Wenn dergestalt nach katholischer Auffassung Schrift, Überlieferung und Lehramt in einem ebenso notwendigen wie spannungsreichen Verhältnis zueinander stehen, so ändert das doch nichts daran, daß in der Sache unterschieden werden darf und muß, was - in unserem Zusammenhang - unmittelbar als Schrift-Recht und was allenfalls als Traditions-Recht bezeugt ist. Hinzu tritt die hier als selbstverständlich weiter vorausgesetzte Unterscheidung zwischen der Sache und dem sprachlichen Ausdruck in einer eventuellen lehramtlichen oder theologischen Aussage. Wenn es wahr ist, daß das Lehramt nicht über dem Wort Gottes steht, sondern ihm dient 42 , und wenn weiter wahr ist, daß die Tradition legitim nur keimhaft Vorhandenes entfalten kann, dann muß Raum sein für die ins Gericht rufende Funktion der Schriftoffenbarung, für den prüfenden Rückgriff auf die Schrift, auch wenn diese Rückverweisung als solche selbstverständlich noch keine Lösung bedeutet43. Andernfalls gälte wirklich als Entsprechung zum reformatorischen „sola scriptura" - als feststehende Größe hier einmal unterstellt - ein „sola ecclesia"44, was dann als „solo magisterio" gelesen werden müßte. Aber daß eine solche formalisierende Zuspitzung die Wirklichkeit des wahren Verhältnisses zwischen Offenbarung und Kirche verfehlen würde, liegt auf der Hand. Das berührt sich, bezogen auf den hier zur Debatte stehenden konkreten Problemkreis, mit den kritischen Einwänden, die Helmut Riedlinger gegenüber Karl Rahner geäußert hat. In der Tat: das, was in der Urkirche geschieht, hat nicht ohne weiteres die Würde eines Offenbarungsereignisses 45. Auch hier ist zu unterscheiden. Es ist demgemäß grundsätzlich unmöglich, daß sachlich neues ius divinum als - im strengen Sinne - Offenbarungsrecht nach der Zeit der „amtlich" geschehenen Offenbarung entsteht. Möglich ist allein eine weitere Bewußtseins- und Gestaltgeschichte. Andernfalls entfiele jegliches kritisches Richtmaß. Genau das, was die Kategorie göttliches Recht für die Erkenntnis des Grundlegenden und Notwendigen leisten soll, wäre sonst nicht mehr gewährleistet. Man könnte sie dann eigentlich entbehren 46. 41 Zum folgenden vgl. die vom 2. Vatikanischen Konzil erlassene Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung („Dei Verbum"), bes. Nr. 7-10. 42 Dei Verbum, Nr. 10,9/10. 43
Das ist zuletzt auch von Erik Wolf wieder betont worden: EvStL, Sp. 834. So prononciert Hans Barion , a. a. O. (Anm. 17) S. 288 f. 4 5 A. a. O. S. 39. 44
46
So mit Recht jetzt auch Dreier, a. a. O. S. 114.
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3. Zum allgemeinen Aufriß des theoretischen Gerüsts gehört in einem nächsten Schritt die Bestimmung der Funktion des göttlichen Gesetzes im Verhältnis zum menschlichen Recht in der Kirche. Diese Funktion läßt sich mit Erik Wolf 47 in dreifacher Hinsicht prinzipiell umschreiben: (1) Göttliches Recht legitimiert menschliches Kirchenrecht; es bildet dessen Grundlage, es macht deutlich, wo das proprium des Kirchenrechts, nämlich sein Charakter als geistliches Dienstrecht seinen Grund hat und in wessen Dienst es steht. (2) Göttliches Recht limitiert menschliches Recht, es bildet dessen Grenze: menschliches kann göttliches Kirchenrecht nicht außer Kraft setzen, gottesrechtswidriges menschliches Recht wäre nichtig. (3) Schließlich normiert göttliches menschliches Recht: ius divinum ist norma normans gegenüber der norma normata des rein kirchlichen Rechts. Jenes weist diesem maßgebend die Richtung an, in der es zu gestalten ist, auf die es sich vervollkommnend oder reformierend zu entfalten hat. Der Aufweis der Funktion des göttlichen Rechts im Verhältnis zum menschlichen Recht macht deutlich, daß beide Bereiche zwar unterscheidbar, aber nicht trennbar sind. Menschliches Recht in der Kirche steht nie außer Zusammenhang mit göttlichem Recht, es gibt, so gesehen, keine Adiaphora im Kirchenrecht. Kirchenrecht qua geistliches Recht kann es nur im Horizont von göttlichem Recht geben. Freilich ist menschliches Recht nicht einfach „Partizipation des göttlichen Rechts" 48 , sondern sinndeterminierende Ausrichtung eines göttlichen Auftrags zur Rechtsgestaltung in Verantwortung vor Gott und seinen Weisungen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe hat Gott die menschliche Vernunft ermächtigt. Nun ist der Zusammenhang zwischen göttlichem und menschlichem Recht nicht durchweg von gleicher Intensität. Je nach Sachbereich, je nach dem Verhältnis zum geistlichen Zentrum, gibt es unterschiedliche Grade der Nähe zum göttlichen Recht 49 . Manche Institute und Sätze stehen dem göttlichen Recht so nahe, daß man sie vielleicht als ius iuri divino propinquum oder gar proximum charakterisieren könnte, auch wenn man sich allemal vor vorschnellen Hinaufsteigerungen hüten muß. Insofern ist die gängige Unterscheidung von ius divinum positivum einerseits, ius mere ecclesiasticum andererseits zu grob, um damit aller Phänomene sachgerecht Herr zu werden. Aber auch innerhalb dessen, was als ius divinum bezeugt wird, bedarf es wohl im Interesse einer „Hierarchie der Wahrheiten" 50 der Differenzierung, etwa analog der Unterscheidung von principia primaria und secundaria im naturrechtlichen Systemdenken. Selbstverständlich ist schließlich, daß man auf dem Weg zu der Erkenntnis des nach dem Maß der Offenbarung Notwendigen den absolut indispensablen und unveränderlichen Kern, den „Wesensgehalt", von der kontingenten 47 Ordnung der Kirche, S. 468 f. 48 So Karl Rahner, LThK 2 VIII (1962) Sp. 1033; vgl. dazu auch Riedlinger, a. a. O. S. 38. 49 Vgl. dazu auch Hans Dombois, Das Recht der Gnade, 2. Aufl. Witten 1969, S. 1008. 50 Die allgemeine Maxime von Unitatis Redintegratio, Nr. 11, 11-13, muß auch hier zur Geltung kommen: „In comparandis doctrinis meminerint existere ordinem seu ,hierarchiam' veritatum doctrinae catholicae, cum diversus sit earum nexus cum fundamento fidei christianae".
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Erscheinung des göttlichen Rechts in der Gestalt menschlicher, in bestimmten geschichtlichen Situationen geformter Sätze abheben muß. 4. Man wird die bisherigen Ausführungen mit einem gewissen Recht als zu statisch empfinden. Sie sind in der Tat einzufügen in das Koordinatenkreuz der Geschichte , der Heilsgeschichte, in die Gott Mensch, Welt und Kirche gestellt und gerufen hat. Dabei erleben ja Christ und Kirche die Grundbefindlichkeit der Geschichtlichkeit, als das reflektierte Wissen um die Dreidimensionalität der Geschichte qua Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, besonders prononciert. Die Kirche ist auf einen unverfügbaren Anfang in der vergangenen Geschichte verwiesen, sie lebt aus diesem Anfang, ihn täglich erneuernd, und sie ist ausgespannt auf das zukünftige Eschaton. Deshalb kann einerseits göttliches Recht nur dann recht erfaßt werden, wenn es als Grundverfügung in die Zeit hinein verstanden wird, als Grundverfügung, die weniger eine Vör-Gegebenheit als eine Auf-Gegebenheit bezeichnet. Anders gewendet: mit göttlichem Recht allein kann man keine Kirche machen, der es aufgetragen ist, in dieser Zeit Gottes Wort und Sakrament auszurichten; alles andere wäre spiritualisierende Schrift- oder Urkirchenromantik. Von daher ergibt sich erneut ein innerer Wesenszusammenhang von göttlichem und menschlichem Kirchenrecht. Andererseits zeigt sich, daß die Geschichtlichkeit des kirchlichen Rechts kein defizienter Modus desselben, sondern eine positive Struktureigentümlichkeit ist. Die Geschichtlichkeit ist deshalb als Aufgabe positiv zu übernehmen. Recht ändern zu müssen, kann deshalb zwar de facto als lästig empfunden werden; es ist aber im Grunde etwas, was zur Normalität des Rechts als eines menschlichen Phänomens hinzugehört. 5. Zur Normalität des geschichtlichen Daseins von Recht gehört es aber schließlich auch, daß sich kirchliches Recht nicht außerhalb jeglichen Zusammenhangs mit weltlich-staatlichem Recht entwickelt 51 . Hier gibt es neben Abstoßung und Distanz auch Symbiose und Kommunikation, schon wegen der teilweise vorhandenen personellen Identität der Rechtsgenossen. Das Rechtsbewußtsein schafft die Brücke. Allerdings gilt gemäß der Weisung des Apostels (Rom. 12, 2): die Kirche kann sich der Welt nicht gleichförmig machen; es gilt aber auch: „alles prüfet, das Gute behaltet" (1. Thess. 5, 21). Eigentlich sollte es umgekehrt sein: das Kirchenrecht sollte, was die Achtung der Würde der Person und die Verwirklichung von Gerechtigkeit, von Freiheit und Friede, von Solidarität und Brüderlichkeit anlangt, exemplarisch für weltliches Recht sein 52 . Heute richtet sich der Blick eher auf eine exemplarische Funktion weltlichen Rechts, soweit es Ausdruck geläuterter Rechtskultur ist, insbesondere im Hinblick auf den Schutz personaler Rechte sowie auf die Ausbildung von Institutionen und Verfahrensordnungen, die Freiheit und Teilhabe gewährleisten sollen. 51 Vgl. dazu den schönen Vortrag von Erik Wolf, Entwicklung und Krisen des Kirchenrechts (1961), jetzt in: Rechtstheologische Studien, Frankfurt am Main 1972, S. 76-86. 52 Siehe dazu die Grundthese von Erik Wolf Ordnung der Kirche, S. 5: „Kirchenrecht muß beispielgebend sein für jede Form menschlicher Rechtsordnung".
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Hier könnte übrigens mit can. 3 des Entwurfs einer Lex Ecclesiae Fundamentalis ein grundsätzlich bedeutsamer Durchbruch erzielt sein, wenn hier ein ausdrückliches Bekenntnis zu den Fundamentalrechten des Menschen abgelegt wird und die Kirche diese gewissermaßen zu den ihrigen macht. Die selektive Auswahl und die ängstliche Einkleidung der danach formulierten Rechte des Christen in Bindungsund Vorbehaltsklauseln macht einem freilich sofort wieder Beschwer. So muß die Statuierung von Rechten als halbherzig erscheinen 53. Andererseits zeigt sich gerade hier die mangelnde rechtstheologische Aufarbeitung des Problems personaler Rechte in der Kirche, die nur aus ihrem Wesenszusammenhang mit dem Auftrag zum Dienst am Evangelium recht gedeutet werden können. Wenn die Kirche Rechtskirche (nicht: Gesetzeskirche!) in dem Sinne wird, in dem wir etwa von sozialem Rechtsstaat (nicht: formalem Gesetzesstaat!) sprechen, könnte das für sie hilfreich sein, ihre Sendung besser zu erfüllen. Es kommt schließlich hinzu, daß man jedenfalls heute auch weltliches Recht, ganz abgesehen vom Naturrechtsproblem, nicht schlechthin als schrankenlos veränderliches und wandelbares, rein funktionales Recht verstehen kann. Es gibt hier - man denke etwa an die materialen Grundwerte des freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaats - eine ähnliche Grundproblematik im Spannungsfeld zwischen unverfügbaren Grundlagen, die sich in einem irreversiblen Geschichtsprozeß herausgebildet haben, und der konkreten Ausgestaltung im einzelnen. Auch das ist ein Aspekt des Verhältnisses von Göttlichem und Menschlichem in der Ordnung der Kirche, die sich im Kontext der Welt darstellt.
IV. Es ist hoch an der Zeit, zu einer - natürlich nur exemplarisch möglichen - Erörterung konkreter Einzelfragen zu kommen. Dabei gehen meine Erwägungen zunächst in zwei Richtungen: zum einen sind Fragen aufzuwerfen, die sich auf Rechtssätze und Rechtsinstitute beziehen, die uns aus dem überkommenen Normenbestand des kanonischen Rechts geläufig sind; zum andern ist nach der Relevanz schriftrechtlicher Weisungen für die Fortentwicklung des Kirchenrechts zu fragen. Doch bevor diese beiden Richtungen eingeschlagen werden, muß noch eine Grundüberzeugung ausgesprochen werden, die allem folgenden zugrundeliegt und zugleich auf schon Gesagtes zurückverweist: die Grundüberzeugung nämlich, daß Gott, um es mit Psalm 99,4 alttestamentlich auszudrücken, „das Recht liebhat", daß er demgemäß nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens ist (1. Kor. 14, 33), zu dessen Herstellung das Recht seinen Beitrag leisten kann. Eben deshalb ergeht die von Paulus so formulierte Grundweisung, daß in der Kirche alles evoxrjtiovcug Kai Kaiä xa^iv geschehe (1. Kor. 14, 40). Es versteht sich, daß 53 Vgl. dazu jetzt die kritische Analyse bei René Metz, Droits de l'homme ou droits du chrétien dans le projet de la Lex Fundamentalis? Quelques réflexions, in: Festschrift für Bernhard Panzram (vgl. oben Anm. 22) S. 75-91.
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hier nicht eine formale Ordnung im Blick ist. Das Wort ist gesprochen im Hinblick auf das geistliche Zentrum der Gemeinde, den Gottesdienst. An anderer Stelle bei Paulus (Kol. 2, 5) stehen Ordnung und Glaube unmittelbar zusammen, so wie Ordnung und Gnade, Ordnung und Geist, Ordnung und Freiheit, schließlich Ordnung und Liebe ineinanderstehen. Zumindest dieser letztere Zusammenhang ist übrigens auch in einer in ihrem Gewicht auf dem Hintergrund der bisherigen Entwicklung nicht zu unterschätzenden Grundsatzaussage des Lex-Fundamentalis-Entwurfs aufgenommen und positiv ausgedrückt worden: das Recht dient dem Aufbau der Kirche in Liebe, Christus hat seiner Kirche als dem geordneten Volk Gottes „Caritas" als „suprema lex" verbindlich aufgetragen 54. Solche Aussagen folgen biblischer Ordnungsweisung, der es weder um die Verrechtlichung der Liebe noch um die Auflösung des Rechts in Liebe geht, sondern eben darum, daß Liebe wie Freiheit zu ihrer Entfaltung des Hegungsraumes des Rechts als einer dienenden conditio sine qua non bedürfen. Mit dieser Kompaßeinstellung sollte man an die Concreta herangehen. 1. Es ist nicht originell, in unserem Zusammenhang beispielshalber einmal can. 100 § 1 CIC ins Spiel zu bringen, wo gesagt wird, die Katholische Kirche und der Apostolische Stuhl hätten „ex ipsa ordinatione divina" den Charakter einer juristischen Person 55. Es liegt auf der Hand, daß man mit einem positivistischen Verständnis dieser Aussage auf einen Holzweg käme; denn weder die Differenzierung zwischen der Katholischen Kirche und dem Apostolischen Stuhl hat eine göttliche Anordnung für sich, noch und erst recht nicht die Qualifikation als juristische Person, womöglich noch in einem ganz bestimmten Sinne. Schriftrechtlich gewiesen und damit legitim ist allerdings die Inanspruchnahme von Freiheit und Unabhängigkeit, die durch Eigenrechtsmacht der Kirche gewährleistet werden. Im übrigen hat die Aussage des can. 100 § 1 CIC den Charakter von ius ecclesiasticum. Doch wird man gerade von hier aus zu einer anderen Überlegung gedrängt. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß eine solche Aussage zu den juristischen Fundamentalia für die Rechtsgestalt der Kirche in dieser Welt gehört, ähnlich wie anderes, was im CIC etwa als ein „nativum ius" der Kirche in Anspruch genommen wird. Aber Eigenrechte der Kirche brauchen nicht notwendig als göttliches Recht im Sinne von geoffenbarten Grundverfügungen behauptet zu werden. Die Kirche kann als geschichtliche Größe Rechtsüberzeugungen in Gestalt von Rechtssätzen und Rechtsinstituten entwickeln, die sie als für sich wichtig ansieht. Sie mag sich dabei auf eine naturrechtliche Begründung abzustützen versuchen 56; in einer Welt, in der „das" Naturrecht keine unbestrittene Grundlage menschlicher Sozialordnung mehr ist, wird sich die Kirche aber der besonderen Schwierigkeiten 54 Can.l § 1, § 2. 55 Vgl. dazu J. Neumann, a. a. O. (Anm. 27). 56 Vgl. dazu A. Landolt, Das Naturrecht im Codex Iuris Canonici, Diss. Freiburg / Sch. 1936 (Basel 1951).
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dieser Argumentationsweise bewußt sein müssen57. Andererseits bleibt es eine unverzichtbare Aufgabe, die Sache des Naturrechts immer wieder neu zur Geltung zu bringen, auch und gerade innerhalb der Kirche 58 . 2. In Richtung unserer ersten Fragestellung erscheint ein anderer sehr eigentümlicher Sachverhalt. Die Institution „Ökumenisches Konzil", die auch im CIC ihren festen Platz hat, gilt in der Meinung der Theologie überwiegend als Einrichtung menschlichen Kirchenrechts 59. Sie könnte also, wenn man diese Aussage ernst nimmt, abgeschafft werden; in diesem Sinne etwa kann man sagen hören, wenn man in Rom allen Stuck abschlage, bleibe nur noch der Papst übrig! Doch ergibt sich hier schon vom Codex und der traditionellen Lehre her eine Schwierigkeit, wird doch ausdrücklich gesagt, dem ökumenischen Konzil komme höchste Gewalt in der Kirche zu 60 . Das aber kann gewiß kein Satz des ius mere ecclesiasticum sein. Eine Bestimmung über den Träger höchster Autorität in der Kirche betrifft so sehr ihr Wesen, daß es hier wirklich um ein Merkmal ihrer Identität geht. Mit anderen Worten: hierfür muß es eine göttliche Rechtsweisung geben, wenn eine solche Bestimmung legitim sein soll. Man wird eine solche göttliche Rechtsweisung in der Existenz der apostolischen Gemeinschaft überhaupt und dazu im biblisch bezeugten Urbild der apostolischen Versammlung zu Jerusalem (Apg. 15) erblicken können. Darin tut sich die Weisung des Herrn kund: Apostolische Versammlungen sind ein wichtiger Weg der Wahrheitsfindung der Kirche. Diesem Urbild, dieser Weisung ist die Kirche allezeit gefolgt, durch allen Gestaltwandel hindurch, und über alle zum Teil Jahrhunderte währenden Intervalle hinweg 61 . Die Institution des Ökumenischen Konzils als solche ist mithin hinsichtlich ihrer Grundfunktion göttlich-rechtlich verfügt, also unverfügbar und daher aus der Kirchenverfassung nicht zu beseitigen. Das gilt umso mehr, wenn man mit dem Zweiten Vatikanum die Lehre von der Kollegialität der Bischöfe mit der Institution Ökumenisches Konzil verbindet. Jedenfalls insofern enthält die Kirchenverfassung kraft göttlichen Rechts ein synodales Element, wie das auch Klaus Mörsdorf klar hervorhebt 62. Diese Feststellung umschließt selbstverständlich mitnichten die weitere Behauptung, das konkrete Konzilsrecht habe göttlich-rechtlichen Charakter und sei invariabel. Hier ist natürlich geschichtlicher Rechtsgestaltung breiter Raum gelassen. Es liegt auf der Hand, daß insbesondere nach den ersten Erfahrungen mit der Insti57 Es ist eigentümlich genug, daß die vielberufene Hoch-Renaissance des Naturrechts nach 1945 am Kirchenrecht im wesentlichen vorbeigegangen ist. 58 Vgl. dazu die oben Anm. 18 erwähnte Arbeit des Verfassers. 59 Vgl. dazu die Nachweise bei Hans Küng, a. a. O. (Anm. 2), S. 17. 60 can. 228 § 1 CIC: Concilium Oecumenicum suprema pollet in universam Ecclesiam potestate. 61 Vgl. H. Jedin/H. Lais, Art. Konzil, LThK 2 V I (1961) Sp. 525-532; H. Küng, Art. Konzil, Sacramentum Mundi III (1969) Sp. 47-51. 62 A. a. O. S. 352.
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tution der Bischofssynode die konkrete Ausgestaltung dieses synodalen Elements iuris divini eines der vorrangigen Probleme künftiger Kirchenverfassung sein wird. Es dürfte aber jetzt schon klar sein, daß es jedenfalls verfehlt ist, den Synodus Episcoporum nur unter dem Aspekt des Hilfsorgans für den Papst zu sehen63. 3. Damit sind wir unversehens schon in die zweite Fragerichtung eingeschwenkt: das Problem der Fortbildung und Erneuerung kirchlichen Rechts im Lichte fundamentaler Ordnungsweisungen. In verfassungsrechtlicher Hinsicht kommt der Frage immer mehr entscheidendes Gewicht zu, ob die biblische und ekklesiologische Aussage über das Priestertum aller Gläubigen (sacerdotium commune) Weisungscharakter hat, ob sie also als eine Aussage von rechtlicher Relevanz gewertet wird. Der ekklesiologische Läuterungsprozeß, der sich auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil vollzogen hat, hat bekanntlich die Grundstruktur der Kirche deutlich zum Vorschein gebracht: Volk Gottes - Hierarchie - Laien. Das Konzil hat darin mit biblischer Begründung dem sacerdotium commune einen festen ekklesiologischen Ort gegeben und das in dem zentralen Satz von „Lumen Gentium" Nr. 10 zum Ausdruck gebracht: „Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das Priestertum des Dienstes, d. h. das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach. Dennoch sind sie einander zugeordnet; das eine wie das andere nämlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil". Wilhelm Steinmüller hat unlängst den normativen Gehalt dieser Aussage noch einmal mit der Formulierung hervorgehoben: „Die Unterscheidung zwischen Hierarchie und Laien... existiert nur unter der Voraussetzung einer übergeordneten Gleichheit und Freiheit aller Glieder des Volkes Gottes. Rechtliche Ungleichheit nur innerhalb und auf der Grundlage der Gleichheit der Kinder Gottes - das ist die Aussage des Konzils und die Grundverfassung der Kirche" 64 . Das Konzil hat nun seine Lehren nicht im Unverbindlichen gelassen, sondern eine juridische Konsequenz daraus gezogen. Es hat mit dem Blick auf Strukturen der Mitverantwortung einen Verfassungs- bzw. Gesetzgebungsauftrag zur Einrichtung von Räten (consilia) gegeben, die der Zusammenarbeit von Priestern bzw. Ordensleuten und Laien im Dienst der Heilssendung der Kirche dienen sollen. Offenkundig legt mithin das Konzil den Akzent nicht auf das Prinzip der Trennung von Laien und Klerikern, sondern auf das Prinzip partnerschaftlicher Kooperation 65. Was da in Gang gekommen ist, hat noch keine endgültige Gestalt. In der jetzigen Experimentier- und Bewährungsphase steht man vor einer Fülle von theoretischen und praktischen Schwierigkeiten 66. Das Prin63
So aber can. 36 § 2 des Entwurfs der Lex Ecclesiae Fundamentalis, w A. a. O. (Anm. 30) S. 393. 65 In einem konkreten Zusammenhang anschaulich verdeutlicht bei Heribert Heinemann, Mitbestimmung der Gemeinde bei der Besetzung des Pfarramtes? in: Christuszeugnis der Kirche. Theologische Studien, Essen 1970, S. 265-288 (282 f.). 66 Vgl. zu all dem jüngst die wichtige Studie von Eugenio Corecco, Kirchliches Parlament oder synodale Diakonie? in: Internationale Katholische Zeitschrift ,Communio' 1 (1972) S. 33-53. 13 Hollerbach
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zipielle daran ist aber entscheidend: kraft des gemeinsamen Priestertums übernehmen Laien Mitverantwortung und wirken in konsiliar-synodalen Gremien mit, aus eigenem, nicht von der Hierarchie abgeleiteten Auftrag. Das Konzil hat hier ein Zeichen gesetzt und die Grundstruktur „allgemeines Priestertum" als Ordnungsweisung verstanden, die in der kirchlichen Gesetzgebung zu realisieren ist. Es gehört zu den hervorstechenden kritischen Punkten, daß der Entwurf der Lex Ecclesiae Fundamentalis gerade dieser Linie nicht folgt. Der Entwurf meidet den Begriff des sacerdotium commune; er nimmt auch die präzise Konzils-Aussage über den Zusammenhang von sacerdotium commune und sacerdotium ministeriale nicht auf, ganz abgesehen davon, daß sich hier von allem Anfang an eine „hierarchologische" Engführung Geltung verschafft 67. So verwundert es denn auch nicht, daß dort, wo es um die konkrete Gestalt der Zuordnung von gemeinsamem Priestertum und Amtspriestertum geht, der Entwurf viel unbestimmter bleibt als das Konzil. Kein systematisch irgendwie gewichtiger Ansatzpunkt für die Entfaltung der vom Konzil anvisierten konsiliaren Struktur ist ersichtlich. Das Sachproblem Mitverantwortung und Beratung durch Laien scheint lediglich in der verkümmerten Form der allgemeinen und zudem ganz individuell getönten Feststellung, die Laien seien befähigt, von den geweihten Hirten in Angelegenheiten der Kirche nach Maßgabe des Rechts um Rat gefragt und je nach ihren Voraussetzungen auch mit kirchlichen Aufgaben betraut werden 68. Im übrigen begnügt man sich mit dem allgemeinen Auftrag, die Teilhabe der Laien an der Wahrnehmung der kirchlichen Dienste noch genauer zu bestimmen und zu regeln 69. Nun wäre das alles vielleicht nicht so fragwürdig, wenn sich hier nicht etwas noch Prinzipielleres abspielte70. Bei Lichte besehen kann das Theologumenon vom allgemeinen Priestertum nämlich deshalb keine institutionellen Konsequenzen in foro iuridico haben, weil es bei der vom Entwurf zugrunde gelegten überaus problematischen Unterscheidung von ecclesia qua communitas und ecclesia qua societas auf die Seite der „geistlichen" communitas, nicht der rechtlich relevanten, sichtbaren, von der hierarchischen Struktur geprägten societas fällt. Hier hat sich der Entwurf eine ganz unkatholische Spaltung des Kirchenbegriffs aufdrängen lassen, die zu einer Auseinanderreißung von „geistlich" und „rechtlich" führt. Das geistliche Wesen bleibt im Rechtsbereich folgenlos, allenfalls punktuell scheint ein konkreter Zusammenhang durch. Für diese Feststellung gibt es aus dem Entwurf der Lex Ecclesiae Fundamentalis noch einen anderen Beleg. Die gottesdienstliche Gemeinde in Gestalt der Ortsgemeinde hat in ihm keinen Ort. Sie ist offenbar keine Rechtsgröße von strukturspezifischem verfassungsrechtlichen Rang. Gerade hier aber liegt wiederum im Lichte der konkret gemeindebezogenen Ordnungsweisungen der Heiligen Schrift, die einen prinzipalen Rang der Ortsgemeinde er67
Can. 1 §§ 2 und 3 des Entwurfs. 68 Can. 30 § 3. 69 Can. 30 § 1. ™ Zum folgenden vor allem W. Steinmüller, a. a. O. (Anm. 30) S. 390-396.
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kennen lassen, eine wichtige Aufgabe für die Neugestaltung des Kirchenrechts vor. Die Hohenlieder der Gemeinde, etwa in den Konzilstexten von „Lumen Gentium" Nr. 26 oder von" Presbyterorum Ordinis" Nr. 6, sind jedenfalls einstweilen nur schöne Weisen. V. Was hier im Stil einer kleinen Vorstudie als Gesprächsbeitrag vorgelegt werden konnte, ist mehr ein Arbeitsprogramm, das bestimmte Fragestellungen und Zielrichtungen andeutet, als ein handliches Instrumentarium, mit dem man kurzerhand Probleme lösen kann. Bei Hans Dombois liest man: „Wir haben das ius divinum immer nur in der Form des ius humanuni" 71 . Damit ist nicht gemeint, daß es unverfügbare Grundverfügtheiten aus dem verpflichtenden Ursprung der Kirche nicht gebe. Akzentuiert ist damit aber das heute ganz entscheidende Problem, an das zuletzt noch einmal zu erinnern ist: daß menschliches Recht in der Ordnung der Kirche sich in den Dienst göttlicher Ordnungsweisung stellen muß, daß diese in der Geschichte als produktive Kraft sich erweisen muß, damit das kirchliche Recht gerade in seinem und wegen seines Dienstcharakters eine schöpferische Antwort findet auf die Herausforderungen dieser Zeit in Kirche und Welt, wozu der Dienst an der Einheit ganz vorzüglich gehört. In alledem geht es um ein Höchstes, für den Glaubenden letzthin Geheimnisvolles: um die geistgelenkte inkarnatorische Struktur der Kirche, in der Göttliches und Menschliches zusammenwirken, doch so, daß - ganz im Sinne der chalcedonensischen Formel „inconfuse, immutabiliter, indivise, inseparabiliter" - bei aller Bezogenheit Göttliches Göttliches und Menschliches Menschliches bleibt, daß Göttliches nicht herabgezogen, Menschliches, insbesondere menschliches Recht, nicht vergötzt wird; um die Geschichtlichkeit der Kirche, die zwar auf dem Grunde eines unverfügbaren Anfangs des Glaubens lebt, die aber in der Gegenwart und der Zukunft des Glaubens zu Offenheit und Reform gerufen ist, auf daß im Dienste des Heils „evangelica constitutio" immer neu glaubwürdig gelebt und bezeugt wird.
7i Das Recht der Gnade, S. 511 (vgl. ebda. S. 1008); dazu auch Dreier, a. a. O. S. 109. 13*
Ius divinum II. Kanonisches Recht 1. Im Kontext der Entfaltung einer allgemeinen theologisch-philosophischen Rechtslehre ist die Unterscheidung von ius divinum und ius humanum (dieses in der Form des - wiederum vom ius civile zu unterscheidenden - ius ecclesiasticum) altes kanonistisches Traditionsgut. Dabei umfaßt das ius divinum das in der „Wortoffenbarung" gesetzte göttl. Recht (ius divinum positivum) und das aus der „Werkoffenbarung" erkennbare natürliche göttl. Recht (ius divinum naturale). Innerhalb des ius ecclesiasticum (oder ius canonicum) wird traditionellerweise nur zwischen den klassischen Rechtsquellen „Gesetz" und „Gewohnheit" unterschieden, insbes. fehlt insoweit die Kategorie eines höherrangigen (Verfassungs-)Rechts. Das göttl. Recht gilt als schlechthin grundlegend, unveränderl. und indispensabel; es bezeichnet dasjenige, worüber die Kirche nicht verfügen kann, ohne ihre Identität zu verlieren. Auch die höchste Autorität (Papst, Konzil) ist daran gebunden, besitzt aber zugleich aus der Vollmacht des Lehramts die Interpretationskompetenz. Das ius ecclesiasticum ist demgegenüber geschichtl. wandel- und veränderbar; von ihm kann dispensiert werden. Man betont diese Unterschiede mit der Formel, menschl. Recht in der Kirche sei „ius mere ecclesiasticum" (Kirchenrechtsquellen II). 2. Auch der CIC/1983 steht in dieser Traditionslinie. An mehreren Stellen setzt er expressis verbis die Existenz eines „ius divinum" (cc. 22, 24 § 1, 1059, 1075 § 1, 1290, 1692 § 2) oder einer „lex divina" (cc. 98 § 2, 748 § 1, 1249, 1315, 1399) voraus. Ein paarmal erscheint ausdrückl. die Doppelpoligkeit von natürlichem und positivem göttl. Recht bzw. Gesetz (cc. 199 n. 1, 1163 § 2, 1165 § 2). Auf göttlichrechtliche Qualität verweisen auch Wendungen wie „ex divina ordinatione" (c. 113 für den Charakter der Kath. Kirche und des Apostol. Stuhles als moralischer Personen), „ex divina institutione" (c. 129 § 1: Leitungsgewalt, c. 207 § 1: Unterscheidung von Klerikern und Laien, c. 375 § 1: Apostol. Sukzession der Bischöfe, c. 1008: Weihesakrament) oder „statuente Domino" (c. 330: Zusammengehörigkeit des Petrus und der übrigen Apostel in einem Kollegium). Gleiches gilt für jene Normen, wo unmittelbar auf Christus und / oder die Apostel Bezug genommen ist (so c. 331: Petrusamt, c. 336: Bischofskollegium, cc. 840, 841: Einsetzung der Sakramente). Normen oder Institutionen göttl. Rechts haben auch diejenigen Vorschriften zum Inhalt, die, ohne das Wort ius divinum zu gebrauchen, tragende Erstveröffentlichung in: Evangelisches Staatslexikon, hrsg. v. Roman Herzog / Hermann Kunst/Klaus Schiaich /Wilhelm Schneemelcher, 3. neubearb. u. erw. Aufl. in 2 Bd., Stuttgart: Kreuz-Verlag, 1987, Bd. 1, Sp. 1414-1416.
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ekklesiologische Grundaussagen formulieren, so jetzt insbes. cc. 204 und 208. Zumindest ein göttlich-rechtliches Fundament haben ferner jene Normen, durch die ein „ius proprium" (c. 1671; cc. 232, 1401, hier verstärkt durch „et exclusivum") oder ein „ius nativum" (cc. 1254 § 1, 1260; c. 362 verbunden mit „et independens"; c. 1311 verbunden mit „et proprium") dem Staat gegenüber in Anspruch genommen wird. Auf diese Weise ist der Codex von Fundamentalkanones durchzogen, ohne daß diese an bestimmter Stelle systematisch zusammengefaßt wären (Kirchenrecht II, Kirchenverfassung II). 3. In der neueren wissenschaftlichen Diskussion, die durch Karl Rahner mit seiner Annahme der „Pluripotentialität des urkirchl. Systems", durch Bemühungen um eine spezifisch theol. Begründung von Recht und Gesetz in der Kirche (so etwa Eugenio Corecco), nicht zuletzt aber auch durch das ökumenische rechtstheol. Gespräch starke Anstöße erfahren hat, ist man sich deutlicher als früher der folgenden, die vorwiegend hermeneutischen Probleme anzeigenden Punkte bewußt geworden: (1) Es ist zwischen der Sache selbst und der oft zeitbedingten rechtssatzmäßigen Ausdrucksform zu unterscheiden. (2) Da das göttl. Recht immer auch in sprachlicher, d. h. menschl. Gestalt erscheint, gibt es kein „ius mere divinum". Deshalb ist es, so wurde auch von amtl. Seite eingeräumt, nicht selten schwierig, wenn nicht unmöglich, mit eindeutiger Gewißheit zu bestimmen, welche Norm göttl. und welche kirchl. Rechtes ist. (3) Gemäß dem Gedanken von der „Hierarchie der Wahrheiten" kann man schwächeres oder stärkeres göttl. Recht unterscheiden. In ähnlicher Weise legt sich unter Berücksichtigung des Problems der Geschichtlichkeit die Unterscheidung zwischen „ius divinum primarium" und „ius divinum secundarium" nahe (H. Heinemann). Entsprechend steht menschl. Recht in stärkerer oder geringerer Nähe zum göttl. Recht. (4) Es gibt Wandlungen zumindest in der Bewußtseinsgeschichte. So ist das synodale Prinzip als Strukturelement für das Bischofskollegium in seiner göttl.-rechtl. Qualität erst wieder entdeckt worden (Kirchenverfassung II), während sich etwa im Mischehenrecht die Bezugnahme auf eine - bei der Gefahr des Glaubensabfalls - verbietende lex divina (wie noch in c. 1060 CIC/1917) heute nicht mehr findet. (5) Insbes. hinsichtl. des Begriffs „lex divina" ist jeweils genau zu prüfen, ob und inwieweit ihm im Recht die gleiche Bedeutung zukommt wie in der Moral(-Theologie). Unter den Bedingungen der innerkath. Entwicklung wie unter der ökumen. Verpflichtung bedürfen die Bemühungen darüber der Fortsetzung, wie sich die identitätskonstitutiven Unverfügbarkeiten und Irreversibilitäten biblisch-hist. und dogmatisch überzeugend begründen lassen, damit man vor einem theol. und kanonistischen Positivismus gefeit ist. Das schließt die Frage ein, ob das Phänomen „göttliches Recht" mit einem oft einseitig sozialphilosophisch und ungeschichtl. verstandenen Rechts- und Gesetzesbegriff überhaupt adäquat erfaßt werden kann. Unterscheidung (nicht: Trennung) zwischen und Zuordnung (nicht: Vermischung einerseits, Beziehungslosigkeit andererseits) von Göttlichem und Menschlichem in
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der Kirche, auch im Bereich ihres Rechts, d. h. ihrer verbindl. Ordnung, bleiben aber unverzichtbar. Literatur (soweit nicht schon bei I): J. A. Fassbender, Das göttliche Recht im Codex Iuris Canonici, Diss. Kath. Theol. Bonn 1949 (masch.). - H. Riedlinger, Anmerkungen zum Problem des „ius divinum", in: Ius et salus animarum. Festschr. für B. Panzram, 1972, 31 - 41. A. Dulles, Ius Divinum as an Ecumenical Problem, in: Theological Studies 38 (1977) 681-708. - R Krämer, Theol. Grundlegung des kirchl. Rechts: Die rechtstheol. Auseinandersetzung zwischen H. Barion und J. Klein im Licht des II. Vatikanischen Konzils, 1977. E. Corecco, Theol. des Kirchenrechts. Methodologische Ansätze, 1980. - Ders., Theol. des Kirchenrechts, in: HdbKathKR, J. Listl u. a., (ed.), 1983, 12-24. - J. Neumann, Grundriß des kath. Kirchenrechts, 1981, bes. 90-96. - H. Heimerl/H. Pree, Kirchenrecht. Allg. Normen und Eherecht, Wien 1983, bes. 14-18. - H. Heinemann, Art. Ius divinum, in: StLexGG, m 1987 7 .
Zur Problematik der bedingten Taufe I.
Wird Taufe gemäß dem Taufbefehl Jesu (Matth. 28, 19) vollzogen, so wird in ihr ein Heilsgeschehen gewirkt, das in einzigartiger Weise sowohl christlicher Existenz des Einzelnen als auch kirchlicher Ordnung des Gottesvolkes den Grund legt. Die Taufe ist die entscheidende Heilstat, kraft deren Christus den Menschen in die personal-solidarische Existenz der Nächstenschaft und in die kirchliche Ordnung Seiner Nachfolge hineinruft 1, „sind wir doch alle in einem Geiste zu einem Leib getauft" (1. Kor. 12, 13). Er stiftet so die bündische, gegliederte Gemeinschaft unter Seiner Herrschaft. Indem sie ihn umschafft zu einer „neuen Kreatur" (2. Kor. 5, 17), fügt die Taufe den Menschen als „Einzelnen" ein in das geistlich-rechtlich geordnete Gefüge Seines auf die ßaoikeia rov Seov vorweisenden und zulaufenden „Reiches"; sie ist die Grundlage der „Hausordnung Gottes" (oiKovopia) 2. Vollzogen in einem „Rechtsakt"3 von göttlich-rechtlicher Legitimation4, verleiht sie zugleich mit einer existentielle Aktualisierung im Glauben fordernden „Inpflichtnahme" 5 das „Bürgerrecht" in der auf das JzoXirevpa ev ovpavolg ausgespannten einen Kirche Jesu Christi 6. Taufe und Kirche stehen damit in einem „ursprünglichen Zusammenhang"7. „Es geht bei der Frage nach Erstveröffentlichung in: Existenz und Ordnung. Festschrift für Erik Wolf zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Thomas Würtenberger/Werner Maihofer/Alexander Hollerbach. Frankfurt am Main: Klostermann, 1962, S. 122-154. 1 Vgl. Erik Wolf, Recht des Nächsten. Ein rechtstheologischer Entwurf, 1958, bes. S. 16 f., und, zur Bedeutung der urkirchlichen Taufordnung, Ordnung der Kirche. Lehr- und Handbuch des Kirchenrechts auf ökumenischer Basis, 1961, S. 155 f. 2 Wie sie etwa in Matth. 18 sichtbar wird; vgl. hierzu W. Trilling, Hausordnung Gottes, 1960. 3 Grundlegend O. Heggelbacher, Die christliche Taufe als Rechtsakt nach dem Zeugnis der frühen Christenheit, 1953. Vgl. von demselben auch: Vom römischen zum christlichen Recht. Iuristische Elemente in den Schriften des sog. Ambrosiaster, 1959, S. 103-112. 4 Daß in der Taufe göttliches Recht für die Kirche erkennbar sei, lehrten auch alle Reformatoren: Erik Wolf Art. Ius divinum, RGG 3 III (1959) Sp. 1075. Vgl. auch Ordnung der Kirche, S. 465. 5 Karl Barth, Die kirchliche Lehre von der Taufe, 31947, S. 23. 6 Phil. 3, 20. Zu der zentralen Stelle Eph. 4, 5 - Taufe als Zeichen und Verbürgung der Einheit - vgl. H. Schlier, Der Brief an die Epheser, 1957, S. 188 u. ö. Zur neutestamentlichen Lehre von der Taufe im ganzen vgl. von demselben: Die Taufe. Nach dem 6. Kapitel des Römerbriefes, in: Die Zeit der Kirche, 21958, S. 47 - 5 6 , sowie: Zur kirchlichen Lehre von der Taufe, ebda. S. 107-129.
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der Taufe wirklich um die ganze Höhe und Tiefe der kirchlichen Verantwortlichkeit" 8 . Wer sich angesichts dessen in ökumenischer Sicht mit dem kanonistischen Rechtsinstitut der bedingten Taufe 9 befaßt, scheint sich dem von Karl Barth 10 erhobenen Vorwurf auszusetzen, „kümmerliche Jurisprudenz" zu treiben, Zeit und Kraft an eine der typischen römischen „Haarspaltereien" zu verschwenden und so, wie es Matth. 23, 23 (und ähnlich Luk. 11, 42) ausdrückt, nach Art der Pharisäer und Schriftgelehrten Minze, Anis und Kümmel zu verzehnten, „was aber schwerer wiegt im Gesetze: das Recht, die Barmherzigkeit und den Glauben" hintanzustellen. Zitiert man mit Karl Barth auch das unmittelbar anschließende Wort des Evangeliums: „das eine müßte man tun und das andere nicht außer acht lassen", so soll das, „angewandt" auf die hier aufgegriffene „quaestio disputanda", gewiß nicht heißen, weiterhin haarspalterische, kümmerliche Jurisprudenz zu treiben. Vielmehr möchte darin ganz konkret der Auftrag zu erblicken sein, Erscheinungen des historisch gewachsenen Kirchenrechts auf ihren rechtfertigenden Grund hin zu befragen und sie ins rechte Verhältnis zu den maßgebenden theologischen Grundlagen zu setzen. Ein solcher Versuch, der schon aus äußeren Gründen bruchstückhaft und bisweilen undifferenziert bleiben muß, wird hier unternommen. Den Anstoß dazu gab nicht ein „akademisches" Interesse an der bedingten Taufe „als solcher", so sehr unter historischen und systematischen Gesichtspunkten davon gehandelt werden muß; entscheidend ist vielmehr die Tatsache, daß ihre häufige Anwendung bei Konversionen zur katholischen Kirche einen schmerzlichen Reibungspunkt im interkonfessionellen Verhältnis und eine schwere Belastung des brüderlichen Gesprächs darstellt. Weil sie geschickhaft alle Konvertiten gerade in ihrer Herkunft aus einer in derselben Taufe gegründeten christlichen Gemeinde betrifft, und weil sie aufs engste mit dem Problem der Gliedschaft in der Kirche zusammenhängt, ist die Frage nach der rechten Ordnung der Taufe bei Konversionen eine existentielle Ordnungsfrage. Als solche wird sie aufgeworfen, als solche muß sie aufgeworfen werden, soll die gewiß berechtigte Rede von der Taufe als dem „ökumenischen Sakrament" 11 nicht bloße Redensart sein. 7
Vgl. H. Mentz, Taufe und Kirche in ihrem ursprünglichen Zusammenhang, 1960. Bei dem an sich fruchtbaren Ansatz muß es umso mehr erstaunen, daß dieses Buch (S. 95) zu dem Ergebnis kommt, die Taufe sei kirchenrechtlich bedeutungslos! 8 Karl Barth, a. a. O. S. 26. 9
Der Sprachgebrauch ist nicht einheitlich. In der evangelischen Christenheit begegnet man vor allem dem Ausdruck „Konditional"- oder auch „Eventualtaufe". Der Codex Iuris Canonici spricht von „baptismus conditionatus" (can. 763 § 1). Eichmann/Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. II, 91958, S. 30, gebrauchen den Ausdruck „bedingte Wiedertaufe". Bei der historischen Belastung des Begriffes Wiedertaufe ist dieser Ausdruck jedoch geeignet, Mißverständnissen Vorschub zu leisten. „Bedingte Taufe" oder „Konditionaltaufe" dürfte deshalb vorzuziehen sein. 10
A. a. O. Auch die „altprotestantische Dogmatik" wird dessen geziehen! Peter Brunner, Pneumatischer Realismus, in: Ev. Luth. Kirchenzeitung 1951, S. 213. Vgl. dazu Th. Sartory, Die ökumenische Bewegung und die Einheit der Kirche, 1955, S. 184. 11
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In neuerer Zeit wurde diese ein altes gravamen 12 betreffende Frage, die auch Erik Wolfmifs stärkste bewegte13, vor allem von Hans Asmussen der katholischen Kirche in aller Eindringlichkeit vorgelegt. Unter seinen „Fünf Fragen an die katholische Kirche" 14 betrifft gleich die erste das hier zu besprechende Problem. Er nennt es ein „offenes Geheimnis", daß bei Konversionen die Taufe, wenn auch bedingungsweise, meistens wiederholt werde, ohne daß man hinreichend geprüft habe, ob die frühere Taufe rechtmäßig vorgenommen worden sei, und fragt dann: „Glaubt die katholische Kirche wirklich, daß eine rite vollzogene evangelische Taufe nicht wiederholt werden darf? Wenn das der Fall ist, dann bitten wir unsere katholischen Freunde: Schaffen Sie bitte innerhalb Ihrer Kirche eine öffentliche Meinung, die es bequemen Geistlichen schwer macht, etwas zu tun, was sie nicht tun dürfen!"
Für Asmussen steht die Frage nach dem rechten Gebrauch der bedingten Taufe im Vordergrund; es ist aber unerläßlich, auch nach ihrer grundsätzlichen Rechtfertigung zu fragen. Auf der Suche nach der Erkenntnis des richtigen Kirchenrechts muß sich die Kanonistik einmal durch die Entscheidung Luthers: „baptismum conditionalem simpliciter esse tollendum de ecclesia"15 zum Gespräch auffordern lassen. Dazu besteht umso mehr Anlaß, als das Problem in neuerer Zeit auch innerhalb der evangelischen Kirche wieder diskutiert wurde. So hat der Theologische Ausschuß der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands dazu Stellung genommen16. Die materialreiche, anregende Studie von Franz Lau: „Die Konditional- oder Eventualtaufe und die Frage nach ihrem Recht in der lutherischen Kirche" 17 dürfte damit im Zusammenhang stehen.
II. 1. Can. 732 § 1 CIC normiert, daß das Sakrament der Taufe, das ebenso wie Firmung und Priesterweihe ein unauslöschliches Heilszeichen einprägt, nicht wiederholt werden darf (iterari nequeunt). Gegenüber diesem prinzipiellen Iterationsverbot macht § 2 des gleichen Kanons indes sogleich eine (gemäß can. 19 CIC 12
Siehe vor allem R. Stehfen, Die Wiedertaufe in Theorie und Praxis der römisch-katholischen Kirche seit dem tridentinischen Konzil, 1908, mit reichem kasuistischen Material. 13 Ordnung der Kirche, S. 88 u. 302, sowie Theol.Lit.Ztg. 1955, Sp. 622 aus Anlaß einer Besprechung von Eichmann/Mörsdorf. 14 In: Una Sancta. Rundbriefe für interkonfessionelle Begegnung 11, 1956, S. 127 f. Die Fragen sind unter Berücksichtigung darauf eingegangener Antworten wiederholt in: Die Katholizität der Kirche, hrsg. v. H. Asmussen/W. Stählin, 1957, S. 376 f. Später hat F. Thyssen sehr behutsam den „Versuch einer Antwort" gewagt: Sakramente und Amt bei den nichtkatholischen Christen, in: Una Sancta 14,1959, S. 82 -108 (hier bes. S. 87 - 94). 15 Brief an Wenzeslaus Linck v. 12. Mai 1531, WA Br. 6, Nr. 1816, S. 96 f.
16 Stellungnahme des Theologischen Ausschusses der VELKD zur Konditionaltaufe, ABl. VELKD, Bd. I, Stück 9 v. 10. 11. 1957, Nr. 63, S. 110. 17 in: Luther-Jahrbuch XXV, 1958, S. 110-140.
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wohl strikt zu interpretierende) Einschränkung 18: Bleibt - nach selbstverständlich vorausgesetzter genauer, gewissenhafter 19 Prüfung - noch ein vernünftiger Zweifel bestehen, ob jemand überhaupt oder ob er gültig getauft ist, so muß die Taufe sub conditione wiederholt werden. Die Prüfung hat nach objektiven Kriterien ex officio zu erfolgen; ein „Antrag" oder ein „Begehren" der Konditionaltaufe seitens des Täuflings ist weder erforderlich noch ausreichend. Hinsichtlich der Form, in welcher die bedingte Zweittaufe zu spenden ist, wird man durch can. 733 § 1 CIC 2 0 auf das Rituale Romanum verwiesen; danach lautet die Formel: „Si tu non es baptizatus, ego te baptizo in nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti." Hierzu wird ausdrücklich die rechtsverbindliche Anweisung gegeben: „Hac tarnen conditionali forma non passim aut leviter uti licet sed prudenter et ubi re diligenter pervestigata probabilis subest dubitatio infantem non fuisse baptizatum."21 2. Für das solchermaßen in seinen Grundzügen bestimmte Rechtsinstitut der bedingten Taufe wird allgemein als ältester Beleg eine Entscheidung des Papstes Alexander III. (1159-1181), des bedeutenden Kanonisten Rolandus Bandinelli, angeführt 22. In einem Brief unbekannten Datums heißt es: „De quibus dubium est, an baptizati fuerint, baptizantur his verbis praemissis: Si baptizatus es, non te baptizo: sed si nondum baptizatus es, ego te baptizo.. " 2 3 .
Dieser Satz ist als cap. 2 des tit. 42 in das 3. Buch der Dekretalen Gregors IX., den sogenannten liber extra des Corpus Iuris Canonici, eingegangen. Der Eindruck konnte entstehen, als ob es sich bei der damit gemeinrechtlich normierten Konditionaltaufe um eine typische Erfindung 24 der Hochscholastik handle. In Wirklichkeit ist aber die Sonderform der bedingten Taufe viel älter. Das erste, immer wieder übersehene Zeugnis stammt schon aus dem Ende des 4. Jahrhun18 „Si vero prudens dubium existât num révéra vel num valide collata fuerint, sub conditione iterum conferantur." 19 Im ganzen Sakramentsrecht ist die Generalnorm des can. 731 § 1 CIC zu beachten: „Cum omnia Sacramenta Novae Legis, a Christo Domino Nostro instituta, sint praecipua sanctificationis et salutis media summa in iis opportune riteque administrandis ac suscipiendis diligentia et reverentia adhibenda est" (Hervorhebungen vom Verf.). 20 „.. .accurate serventur ritus et ceremoniae quae in libris ritualibus ab Ecclesia probatis praecipiuntur" (Hervorhebung vom Verf.). 21 II, 1, 9. Ähnlich schärft der Catechismus Romanus ein (p. 2 de Sacr. Bapt. N. 57): „Ea Baptismi forma... in illis tantum permittitur, de quibus re diligenter perquisita dubium relinquitur an baptismum rite susceperint. Aliter vero nunquam fas est, etiam cum adiunctione, Baptismum alicui iterum administrare." Vgl. hierzu auch Lau, a. a. O. S. 123. Bezüglich der Findelkinder siehe die besondere Erwähnung in can. 749 CIC („...re diligenter investigata..."). 22 Vgl. W. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, Bd. II, 1955, S. 227: die bedingungsweise Wiederholung der Taufe habe durch Alexander III. ihre »juristisch ausgeprägte Formel" erhalten. 23 Text bei H. Denzinger, Enchiridion Symbolorum, cd. 31, cur. C. Rahner, 1957, n. 399. 24 W. Jetter, Die Taufe beim jungen Luther, 1954, S. 36 Anm. 2 mit Bezug auf Gratian: „die Konditionaltaufe ist noch nicht erfunden!"
Zur Problematik der bedingten Taufe derts 2 5 . In seinen Responsa Canonica erklärt Timotheus /., von 3 8 1 - 3 8 5 Bischof von Alexandrien, auf die Frage, wie man verfahren solle, wenn ein Zweifel darüber obwaltet, ob ein Täufling früher schon getauft sei: „ o ßajtri^cov ovrog keyerar 3Eäv fxrj eßajtrio&rjg, ßami^o) oe .. ," 26. Ferner wird in einem syrisch-jakobitischen, bei Barhebraeus überlieferten Kanon des Patriarchen Severus von Antiochien (f 538) unter Berufung auf Cyrill von Alexandrien eine Konditionalformel erwählt 2 7 . Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß die Ostkirche trotz Ablehnung der Lehre vom character indelebilis 2 8 die Konditionaltaufe immer geübt hat und offenbar bis heute ü b t 2 9 . Dies allein zeigt schon, daß die Konditionaltaufe nicht eine Erfindung der Hochscholastik sein kann. Für den Bereich der Westkirche findet sich freilich eine ausdrückliche Bezeugung der bedingten Taufe erst i m 9. Jahrhundert. In einem jedenfalls vor 813 entstandenen Diözesanstatut, das auf einem Manuskript in Vesoul gefunden wurde und das man als „Institutio C a n o n u m " 3 0 bezeichnet, ist als can. 12 die Vorschrift enthalten: „Si de aliquibus in dubium omnimodis evenerit utrum sint baptizati, absque ullo scrupulo baptizentur, his tarnen verbis praemissis: Non te rebaptizo, sed si non es baptizatus, baptizo te.. ." 3 1 . 25 J. Corblet, Histoire dogmatique, liturgique et archéologique du sacrement de baptême, 1881,1, p. 298, hat darauf aufmerksam gemacht. 26 Text bei Pitra, Iuris ecclesiastici Graecorum historia et monumenta, 1864,1, p. 638. 27 Lat. Übersetzung bei Mai, Scriptorum veterum nova collectio, 1838, Bd. X / 2 , S. 13 (cap. II, sect. II): „Qui ignorât an fuerit baptizatus necne, illum sacerdos baptizet dicens: baptizo talem, si non est baptizatus, in nomine...". 28 Vgl. Karmiris, Abriß der dogmat. Lehre der orth. kath. Kirche in: Bratsiotis (Hrsg.), Die orthodoxe Kirche in griechischer Sicht, 1. Teil, 1960, S. 102. 29 Milasch, Das Kirchenrecht der morgenländischen Kirche, 21905, S. 556; v. Schaguna, Compendium des kanonischen Rechtes der einen heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche, 1868, S. 44; Vering, Lehrbuch des katholischen, orientalischen und protestantischen Kirchenrechts 31893 S. 833; vgl. ferner Staerk, Der Taufritus in der griechisch-russischen Kirche, 1903, S. 67. Man beruft sich dabei allerdings nicht auf den Timotheus-Text, der lange verschollen war und erst von Pitra wieder entdeckt wurde, sondern auf can. 27 Karthago und can. 84 Trullanum (so Milasch) bzw. auf „Conc. Carth. can. 52 nebst der im Pedalion dazu beigefügten Erklärung" (so Vering). Dies bedarf im einzelnen noch der Klärung, zumal da Th. Spâcil, Doctrina theologica orientis separati de sacramento baptismi, 1926, p. 203 [27] Zeugnisse pro und contra Konditionaltaufe anführt. 30 Vgl. hierzu P. Fournier, Notices sur trois collections canoniques inédits de l'époque carolingienne, in: Revue des sciences religieuses 6, 1926, pp. 78-92, 217-230, 513-526, sowie R. Naz, Dictionnaire de Droit Canonique [DDC] V (1953), col. 1448. Lau, a. a. O. S. 119 Anm. 34 meint, Fournier biete nur „neuere Lit." zum Problem der Statuta Bonifatii. Er weist vielmehr nach, daß Statuta Bonifatii und Benedictus Levita von der Institutio Canonum abhängig sind. 31 Text bei De Clerq, La législation religieuse franque de Clovis à Charlemagne, 1936, p. 369; cf. ibid. p. 284-288, sowie DDC I I (1937), col. 948.
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Von der Institutio Canonum haben zwei weitere, auch unter sich wiederum abhängige Quellen diese Norm über die Konditionaltaufe übernommen, nämlich die sog. Statuta B o n i f a t i i 3 2 und Benedictus L e v i t a 3 3 . Die Konditionalformel begegnet ferner noch in tit. 10 can. 17 der Canones-Sammlung des Bischofs Isaac von Langres 34. Jedenfalls also partikularrechtlich kannte man i m Frankreich des 9. Jahrhunderts die bedingte Taufe. Gratian indes weiß nichts von i h r 3 5 ! In der einschlägigen tertia pars dist. 4 de consecratione des Decretum Gratiani findet sich als c. 111 der can. 6 der 5. Karthaginensischen Synode (um 401) wieder, der bestimmt: „Placuit de infantibus quoties certissimi testes non inveniuntur qui eos baptizatos esse sine dubitatione testentur, neque ipsi sunt idonei per aetatem de traditis sibi sacramentis respondere, absque ullo scrupulo hos esse baptizandos, ne ista trepidatio eos faciat sacramentorum purgatione privari." 36 Diese Entscheidung wendet sich gegen eine Überspannung des strikten, durch kaiserliches Recht sanktionierten 37 Verbots der Wiedertaufe. Papst Leo I. ( 4 4 0 461) gibt als Begründung hierfür an: „ N o n potest in iterationis crimen venire, quod factum esse nescitur o m n i n o " 3 8 ; auch sie erscheint bei Gratian 39, der schließlich noch die Stelle aus einem Brief des Papstes Gregor II. ( 7 1 5 - 7 3 1 ) an Bonifatius 32
Text bei Mansi, Sacrorum conciliorum nov. et ampl. collectio, Bd. 12, S. 386. Im übrigen vgl. Fournier/le Bras, Histoire des collections canoniques en occident, 1,1931, p. 112 sv. 33 Text (II, 184) bei Migne, PL 96, 770. Zu Benedictus Levita vgl. zuletzt A. M. Stichler, LThK 2 I I (1958), Sp. 181. 34 Text bei Mansi 16, App. 633. 35 Bei der Bedeutung des Decretum Gratiani hat diese Feststellung gewiß relativ großes Gewicht. Gleichwohl wird sie bei Lau, a. a. O. S. 119 f., überpointiert. Es sollte nicht übersehen werden, daß das Corpus Iuris Canonici kein Corpus Clausum war, sondern im Bereich des ius humanum geschichtlicher Entwicklung Raum ließ. Vgl. Erik Wolf, Ordnung der Kirche, S. 201. 36 Mansi III, 925 (und ihm folgend Lau, a. a. O. S. 116 f.) ordnet diesen Text einer Svnode von Hippo aus dem Jahre 393 zu (can. 39). Vgl. hierzu auch W. Plöchl, a. a. O. Bd. I, 1960, S. 212. Später sachlich übereinstimmend can. 84 Trullanum (692), bei Mansi XI, 980. 37 Cod. Theod. XVI, 6, 1 u. 5, abgedruckt bei Mirbt, Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus, 51934, S. 82 f. Später konnte im Kampf gegen die „Täufer" aufgrund des „Wiedertäufermandats" v. 23. 4. 1529 sogar die Todesstrafe verhängt werden; vgl. H. Schraepler, Die rechtliche Behandlung der Täufer, 1957, S. 21 u. ö.
38 Migne, PL 54, 1, 1194. Von diesem Satz glaubte man später, er stehe (in der Form „Non potest dici iteratum quod nescitur esse factum") bei Augustin (vgl. Kirchenordnung Lüneburg 1575, Sehling, Die Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, V I / 1 , 1955, S. 667: „nach des lieben Augustini Spruch"). Er ist dort aber nicht nachweisbar, siehe Lau, a. a. O. S. 115 u. 117. In der Form „quia non intelligitur iteratum quod ambigitur esse factum" begegnet er an der wichtigen Stelle c. 3 X 3, 43 (de presbytero non baptizato), die hier leider nicht besprochen werden kann. 39 Can. 112 Decr, a. a. O. Can. 113 bringt eine weitere Äußerung Leos zu dieser Frage mit der schönen Erwägung: „conferendum videtur quod collatum esse nescitur quia non temeritas intervenit presumptionis ubi est diligentia pietatis" (Migne, a. a. O. 1208 f.).
Zur Problematik der bedingten Taufe
anführt, wonach es „Patrum traditiones" und einer Forderung der „ratio" entspreche, Kinder wiederzutaufen, wenn infolge Fehlens sicherer Zeugen unklar bleibt, ob sie schon getauft sind 40 . Die Traditionslinie, in die sich Gratian stellt, scheint also in der Tat die bedingte Taufe nicht gekannt zu haben. Trotzdem ist das Aufkommen der Konditionalformel auch im Verhältnis zu dieser Traditionslinie kein völliges Novum. Es ist einerseits klar, daß die angeführten päpstlichen Entscheidungen (und die Entscheidung Gratians) nicht eine bewußte Stellungnahme gegen die bedingte Taufe zum Inhalt haben, sondern eine Anwendungsregel für das prinzipielle Verbot der Wiedertaufe, gewissermaßen einen strafrechtlichen Entschuldigungsgrund statuieren wollen 41 . Andererseits will beachtet werden, daß sich die zitierten französischen Quellen gerade an die altkirchlichen Formeln anschließen. Auch sie gebrauchen zunächst die Formulierung „absque ullo scrupulo", fügen dann aber unbedenklich die Konditionalformel an. Beides wird für sachlich miteinander vereinbar gehalten. Auf diesem Standpunkt stand denn auch von Anfang an die Auslegung des Dekrets. Noch vor seiner Entscheidung, die er als Papst getroffen hat, schreibt Rolandus Bandinelli als maßgebender Interpret des Decretum Gratiani in seinen (1149 /1150 entstandenen) Sentenzen: „Queritur de expositis de quibus ignoratur utrum baptizati sint an debeant baptizari. Diximus quod debent baptizari in hac forma: si baptizatus, non te baptizo, sed abluo tantum. Verum si non es baptizatus, baptizo te.. ," 4 2 .
Kann so behauptet werden, daß die Normen für die Konditionaltaufe in unmittelbarem Anschluß an die altkirchlichen Formeln entwickelt wurden, so ist überdies folgendes zu bedenken: Obwohl die päpstlichen Dekrete und Gratian die Konditionaltaufe nicht kannten, gingen sie in Anbetracht des unbestrittenen und strengen Verbots der Wiedertaufe selbstverständlich davon aus, daß hinsichtlich der Wirkung der im Zweifelsfall wiederholten Taufe ein sicheres Urteil nicht möglich sei. Wenn sie anordneten, bei der Wiederholung „absque ullo scrupulo" zu taufen, so glaubten sie keineswegs, infolge mangelnder Bezeugung sei die erste Taufe, mag sie auch gültig gewesen sein, „annulliert" oder „gegenstandslos"43; sie taten 40 Can. 110 Decr. a. a. O.; bei Tangl (Hrsg.), Die Briefe des heiligen Bonifatius und Lullus, 1916, Nr. 26 v. 22. 11. 726, S. 46. Vgl. auch Deuz. 296a. 41 Ein Verstoß gegen das Verbot der Wiedertaufe machte irregulär. Vgl. oben Anm. 37 und die Nachweise bei P Hinschius, Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutschland, Neudruck 1959, I, S. 48 u. IV, S. 46 Anm. 2. Die irregularitas ex abusu baptismi wurde auch durch ungerechtfertigte bedingte Taufwiederholung hervorgerufen; diese, vor allem von Benedikt XIV. (Institutiones Ecclesiasticae, 1751, 84) im Anschluß an Catechismus Romanus vertretene Auffassung war allerdings umstritten. Der CIC kennt diese Art der irregularitas ex delicto nicht mehr; Mißachtung des Verbots der Wiedertaufe wäre freilich Häresie und würde insofern unter can. 985 n. 1 CIC fallen. Ausdrücklich wird durch can. 985 n. 2 CIC derjenige für irregulär erklärt, der sich außer im Falle der Todesgefahr wissentlich von einem Nichtkatholiken taufen ließ; vgl. hierzu Eichmann/Mörsdorf II, S. 117. 42
Text bei Gietl, Die Sentenzen Rolands nachmals Papstes Alexander III., 1891, S. 208. « So aber Lau, a. a. O. S. 118 u. 121.
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Zur Problematik der bedingten Taufe
dies vielmehr im Bewußtsein, daß die zweite Taufe möglicherweise nicht mehr die volle Wirkung entfalten konnte. Das hat Gratian selbst in einem Dictum deutlich ausgesprochen: ... de quo dubium est an sit baptizatus vel non debet baptizari; qui si prius baptizatus non fuerat, consequitur gratiam baptismi, si autem baptizatus erat, nihil accipit in secunda unctione, nec pertinet hoc ad reiterationem baptismi, sed ad cautelam salutis." 44
Die Zweittaufe stand also auch für Gratian jedenfalls unter diesem der Sache inhärenten „Vorbehalt" 45 der möglichen Unwirksamkeit; sie wurde lediglich (im ursprünglichen Sinne des viel gebrauchten Juristenwortes) „fürsorglich" noch einmal gespendet. Auf Grund dieser Daten und Erwägungen darf wohl die bedingte Taufe durchaus ein altkirchliches Institut genannt werden - jedenfalls liegen seine Wurzeln näher am verpflichtenden Ursprung der Kirchenordnung als bisher angenommen wurde - , wenn es auch gemeinrechtliche Geltung erst seit dem Dekret Alexanders III. erlangt hat. Aus seiner weiteren Geschichte sind nur wenige Momente hervorzuheben: Thomas von Aquin hat die Entscheidung Alexanders III. übernommen 46, aber ohne sie näher zu begründen oder systematisch zu entfalten. Hostiensis machte den Unterschied zwischen dubium facti und dubium iuris bewußt 47 . Im Jahre 1333 wurde das Dekret Alexanders III. durch Papst Johannes XXII. bestätigt48. Das Tridentinum sah keinen Anlaß, unmittelbar zur Frage der Konditionaltaufe Stellung zu nehmen. In der späteren kanonistischen Literatur begegnet die ausführlichste Abhandlung „de forma conditionata Baptismatis" bei dem zweiten großen Kanonisten auf dem päpstlichen Stuhl, bei Benedikt XIV. (Prosper Lambertini) 49 . Schließlich muß erwähnt werden, daß Pius VI. in seiner Konstitution „Auctorem fidei" vom 28. August 1794 unter den Irrtümern der Synode von Pistoia (1786) den „praetextu adhaesionis ad antiquos canones" (!) gemachten Vorschlag, in den Fällen zweifelhafter Ersttaufe die Erwähnung der Konditionalformel zu unterlassen, als „temeraria, praxi, legi, auctoritati Ecclesiae contraria" verworfen hat 50 . 44 c. 2 D. 68. Die Stelle, an der anschließend (übereinstimmend mit c. 20 D. 1 de cons.) ein Dekret des Nicaenischen Konzils angeführt wird, handelt von konsekrierten Kirchen. Vgl. dazu heute can. 1159 § 2 CIC: „Si de ea legitime constet, nec consecratio nec benedictio iterari potest; in dubium autem peragatur ad cautelam"! 45
Von der Sache her (vgl. auch das unten S. 137 f. zur Rechtsbedingung Gesagte) erscheint es deshalb nicht als „völlig beweislose Behauptung" (so aber Hinschius IV, S. 46 Anm. 4), daß schon die alte Kirche die Taufe nur bedingt zugelassen habe und daß die Bedingung stets als stillschweigend beigefügt gedacht worden sei, wie u. a. Benedikt XIV., De synodo dioecesana, VII, 6, 1 dargelegt hat. 46 Summa theologica 111, 66,9 ad 4. 4 ? Plöchl, a. a. O. II, S. 227. 48 Text der Instructio bei Odoricus Raynaldus, Annales ecclesiastici, ed. Mansi, t. V, 1750, ad annum 1333 n. 42, p. 566. 49 De synodo dioecesana, libri. XIII, ed. nov. Aug. Vind. 1769, lib. VII, cap. V I (wobei er sich u. a. auch auf Scotus beruft!). Über Benedikt XIV. vgl. P. Mikat, LThK 2 I I (1958), Sp. 177 f.
Zur Problematik der bedingten Taufe
3. Trotz der Verwerfung des Corpus Iuris Canonici durch Luther' 1 wurde in den ersten Jahren der Reformation die theologisch-kirchenrechtliche Legitimität der Konditionaltaufe weder in Theorie noch Praxis angezweifelt. Luther selbst hatte sich in seinem Taufbüchlein von 1523, in dem man mit Recht ein Beispiel „strikter Konservativst" gesehen hat 52 , zu dieser Frage nicht geäußert. Dementsprechend sahen die Nürnberger Taufordnung von Andreas Oslander aus dem Jahre 152453 und die Reformatio ecclesiarum Hassiae von 1526 54 keinen Grund, von der bisherigen Praxis abzuweichen. Auch Bugenhagen kennt noch die Konditionaltaufe, und zwar sowohl in der Hamburger Kirchenordnung von 152955 als auch in der damit übereinstimmenden Kirchenordnung von Lübeck aus dem Jahre 153156, während die ebenfalls von ihm stammende Braunschweiger Kirchenordnung von 1528 die Konditionaltaufe nicht erwähnt 57. In die öffentliche theologische Diskussion geriet die Frage nach dem Recht der Konditionaltaufe dann bei der Beratung der Brandenburgisch-Nürnbergischen Kirchenordnung. Die erste Fassung von 1528, nach der zunächst visitiert wurde, schrieb die bedingte Taufwiederholung noch vor, wenn sich bei der Prüfung einer Jähtaufe „merklich anzaigen" ergeben, „das geirret worden" 58 . Die Fassung von 1533 verwarf dann aber die Konditionaltaufe strikt: „Und wer also... jachgetaufft ist, der soll dabei bleiben, und ist on not, denselben zum andern mal (sub condicione) zu taufen, wie vormals ein unnötiger mißbrauch gewest ist, sunderlich darumb, das man nicht den widertaufern ires irtums große ursach gebe .. ." 5 9 . 50
Denz. 1527. Text der inkriminierten Bestimmung in: Atti e decreti del concilio dioecesano di Pistoja dell' anno 1786, 21788, Sess. IV, § 1, XII. Neueste Lit. über Pistoia bei Ernst Wolf, RGG 3 V (1960), Sp. 1091. 51 Vgl. Erik Wolf, Ordnung der Kirche, S. 348 f. Für den Bereich der Reformation Zwinglis und Calvins (und entsprechend in den späteren reformierten Kirchenordnungen) waren weder positive noch negative Zeugnisse zum Problem der Konditionaltaufe zu finden. Mit der „TotalVerwerfung des Corpus Iuris Canonici" (Wolf, a. a. O. S. 349) entfiel auch sie. Außerdem hatte sie - wenn von der allgemeinen Sakramentstheologie abgesehen werden darf - gewissermaßen keinen theologischen „locus" mehr, seit Calvin die Nottaufe durch Laien verworfen hatte (Institutio IV, 15, 20). Vgl. hierzu W. Nie sei, Das Evangelium und die Kirchen, 21960, S. 225; siehe auch unten Anm. 136, sowie die Abhandlung von Zeeden, unten S. 196. 52 E. W Zeeden, Katholische Überlieferungen in den lutherischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, 1959, S. 39. 53 Sehling, Die Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, X I / 1 , 1961, S. 38. 54 Richter, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, I, 1846, S. 61; vgl. auch Lau, a. a. O. 124. 55 Sehling V, S. 510 = Richter I, S. 130. 56 Sehling V, S. 356. 57 Sehling V I /1, S. 360. 58 Sehling X I / 1 , S. 135; vgl. auch Lau, a. a. O. S. 124 f. 59 Sehling X I / 1 , S. 177. Nach den Brandenburger Visitationsartikeln von 1536 (ebda. S. 322) war zu prüfen, „ob er sub condicione widermals taufe".
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Zur Problematik der bedingten Taufe
Hierzu kam es vor allem auf Grund der Stellungnahme von Johannes Brenz, der in einem Gutachten zwar nicht die völlige Abschaffung, aber doch eine Beschränkung der Fälle der Konditionaltaufe empfohlen hatte 6 0 , sowie auf die Intervention Luthers hin, der förmlich um Rat gefragt worden war. In einem Brief an Wenzeslaus Linck vom 12. M a i 1531 erklärte er, nachdem er sich mit beraten hatte:
Melanchthon 61
„.. .baptismum conditionalem simpliciter esse tollendum de ecclesia et ubi vel dubitatur vel ignoratur baptisatum esse hominem, ibi simpliciter baptisetur absque conditione ac si numquam esset baptisatus. Et ratio nostra haec est quod conditionalis nihil ponit neque negat neque affirmat neque dat neque tollit... At iam praestandum est, ut baptismus certus sit saltem baptisatoribus ipsis qui postea testari possint ecclesiae ... Nos vero incertum volumus suo fato relinquere et iudicio Dei committere ac certum baptismum administrare." 62 Diese Stellungnahme Luthers (zu der noch andere, zum Teil unklare, unsichere, j a dem widersprechende Äußerungen hinzukommen 6 3 ) hat sich in der evangelischen Christenheit als autoritative Entscheidung gegen die Konditionaltaufe ausgewirkt. So begegnen von dieser Zeit an in den späteren Kirchenordnungen nur noch Verwerfungen mit variierenden Formeln 6 4 . Auch evangelische Theologie und 60 Pressel, Anecdota Brentiana, 1868, S. 114 f. Vgl. hierzu Lau, a. a. O. S. 125. 61 Melanchthon schrieb schon vorher in einem Brief an Joach. Camerarius, Luther verwerfe derlei „conditiones in Baptismo quas videntur homines captiosi mutuari a forensibus formulis" (Corp. Ref. II, 1835, Nr. 983, Sp. 500). Vgl. auch Lau, a. a. O. S. 126. 62 WA Br 6, Nr. 1816, S. 96 f.; eingehend hierzu Lau, a. a. O. S. 126 f. Lau hat aber leider nicht zu dem nachfolgenden, „de lege conditionali in lege zelotypiae" (Num. 5, 29) handelnden Text Stellung genommen, worin ein wesentliches Moment von Luthers Begründung zum Vorschein kommt: „Nam lex et evangelium sunt diversae res. Evangelium est promissio Dei quae certa esse debet. Lex de rebus et operibus nostris agit.. .et facile patitur conditionem"! 63 Ausführliche Darlegung bei Lau, a. a. O. S. 127-131. 64 Vgl. die Liste bei Lau, a. a. O. S. 113 f. Die Bestimmungen stehen in der Regel im Zusammenhang mit der Prüfung einer Nottaufe (Jach-, Jähtaufe). Ein erster Typus schließt sich eng an die Formulierungen Luthers an und bezeichnet die Konditionaltaufe als „unleidlich mißbrauch" (z. B. Kirchenordnung Wittenberg 1533, Sehling I, S. 703). Ähnlich KO Pommern 1535, ebda. IV, S. 330: der Priester soll „frilick ane alle vare" taufen und soll „io bi live nicht spreken: Si tu non es baptizatus etc."; vgl. ferner Mansfeldische Kirchen-Agenda 1580, ebda. II, S. 219 f. u. Kurländische KO 1570, ebda. V, S. 95. Ein zweiter Typus befiehlt im Fall einer unsicheren Nottaufe das Kind „als ungetauft" zu nehmen und es „on alle condition" zu taufen; so KO Brandenburg 1540, Sehling III, S. 95; Sächsische KO 1539, Richter I, S. 267, ferner die Lüneburger und Wolfenbüttler KOO, Sehling V I /1, S. 162, 559 f. u. 667, sowie die kurpfälzische KO von 1556, bei Hauß-Zier, Die Kirchenordnungen von 1556 in der Kurpfalz und in der Markgrafschaft Baden-Durlach, 1956, S. 34. Die KO Wolfenbüttel von 1543 führt als Grund an: „eine twyffelhaftige döpe hefft in der christliken vorsamelinge keine platz" und befiehlt deshalb, den „papentand": si tu non es baptizatus etc, wegzulassen (Sehling V I /1, S. 64). Kurz und bündig sagt die KO „der christlichen Gemein zu Hall in Sachsen" von 1573: „Nachdem auch conditionalis baptisatio wider die schrift ist, sollen die diener sich derselben enthalten, denn wir müssen von den sacramenten als gottes wort und werk gewiß sein" (Sehling II, S. 440).
Zur Problematik der bedingten Taufe
Kirchenrechtslehre 65 ließen die Entscheidung Luthers unangefochten, mit der offenbar einzigen Ausnahme von Höfling, der sich als „Sakramentslutheraner" 66 zum „beredten Verteidiger" 67 der bedingten Taufe machte und sich „offen und unumwunden"68 für die Rückkehr zur katholischen Praxis aussprach. Entscheide man mit Luther und den alten Kirchenordnungen, so mache man „dem protestantischen Dogma zuwider die Heilskraft und Heilswirkung, die divino jure stattfindende Gültigkeit der Sakramente von etwas außerhalb der Integrität der göttlichen Handlung selbst Liegendem, von dem zufälligen Vorhandensein glaubwürdiger menschlicher Zeugnisse geradezu abhängig". Damit werde die „göttlich objektive Natur" des Sakramentes verkannt. Die evangelische Praxis ignoriere und verdecke nur den Zweifel, könne ihn aber nicht beseitigen; sie lasse „statt der bei dem Feststehen des einmaligen gültigen Getauftseins ganz indifferenten Frage, wann und zu welcher Zeit dasselbe erfolgt sei", den viel schwererwiegenden „Scrupel" aufkommen, „ob nicht ein Wiedertaufen und Wiedergetauftwerden stattgefunden habe" 69 . 4. Die neuere und neueste Entwicklung des evangelischen Kirchenrechts hielt an der Ablehnung der Konditionaltaufe durchweg fest 70 . Während einerseits mehrfach ausdrücklich betont wird: „Die Taufe schließt ihrem Wesen nach eine Wiederholung aus" 71 , wird andererseits verordnet: „Wenn nicht sicher festgestellt werden kann, ob eine Taufe überhaupt oder ob sie dem Befehl unseres Herrn Jesus Christus gemäß geschehen ist, so muß sie in jedem Fall vollzogen werden" 72 , oder: „Bestehen begründete Zweifel, ob eine Taufe überhaupt vollzogen oder ob sie stiftungsgemäß vorgenommen wurde, so ist sie nachzuholen."73 Für den Bereich der VELKD hat deren Theologischer Ausschuß im März 1957 eine Stellungnahme zur Konditionaltaufe erarbeitet, die so etwas wie eine authentische Interpretation dar65
Beispielshalber sei verwiesen auf J. H. Boehmer, Jus ecclesiasticum Protestantium, t. III ( 1774), lib. i n , tit. XLII, § L. 66 Vgl. H. Hohlwein, RGG3 III (1959), Sp. 393 f. 67 E. Chr. Achelis, Lehrbuch der praktischen Theologie. 3. Aufl., 1911, Bd. I, S. 439. 5
6 % J.W. F. Höfling, Das Sakrament der Taufe nebst den anderen damit zusammenhängenden Akten der Initiation, 1846, Bd. 1, S. 82. 69 A. a. O. S. 81 f. 70 Die anglikanische Kirche übt die Konditionaltaufe noch heute; auch die Vorschläge zur Revision des Book of Common Prayer von 1928 haben daran nichts geändert. Nachweis bei Lau, a. a. O. S. 124.
71 Ordnung des kirchlichen Lebens der Evangelischen Kirche der Union v. 6. 5. 1955 (ABl. EKD 1956, S. 157 ff.), Art. 1, 2; Baden: Kirchliche Lebensordnung. Die Heilige Taufe, v. 29. 5. 1955 (GVB1 1955, S. 22), Ziff. 1 Abs. 2; Lippe, Ordnung des kirchlichen Lebens v. 23. 11. 1954 (GVB1. 1955, S. 138), Art. 12 Abs. 2. Der Landeskirchenrat der Ev.-ref. Kirche in Nordwestdeutschland sah sich veranlaßt, das Verbot der Wiedertaufe streng einzuschärfen: Beschluß v. 28. 8. 1947, KGVB1. 10, 71 u. 106. 72 Ordnung des kirchlichen Lebens der VELKD 1, 8; Baden, a. a. O. Ziff. 11 fügt den Satz an: „Zum Nachweis einer rechtmäßig geschehenen Taufe genügt die Feststellung, daß die Taufe von einem verordneten Diener einer christlichen Kirche vollzogen worden ist." 73 Lebensordnung Hessen-Nassau v. 22. 3. 1957 (ABl. EKD 1958, S. 71), Art. 11 Abs. 2.
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stellt 74 . Drei Fallgruppen, die die Frage akut machten, werden genannt: Bei Übertritten von Freikirchen und Sekten sei oft zweifelhaft, ob die dort vollzogene Taufe stiftungsgemäß gespendet wurde; der gleiche Zweifel bestehe vielfach bei Kindern, die von DC-Pfarrern getauft wurden; schließlich komme es vor, daß bei Flüchtlingskindern nicht nachzuweisen ist, ob sie überhaupt die Taufe empfangen haben. Für alle diese Fälle heißt der Theologische Ausschuß der VELKD die unbedingte Nachholung der Taufe gut 75 . Die in der römisch-katholischen Kirche übliche Konditionaltaufe entspreche nicht der Taufverkündigung der evangelischlutherischen Kirche und sei daher zu unterlassen. „Nur eine ohne Vorbehalt und öffentlich, d. h. vor Zeugen vollzogene Taufe vermag dem Täufling und der Gemeinde die klare Gewißheit zu geben, daß der Täufling aus Wasser und Geist wiedergeboren und in die Gemeinschaft der gerechtfertigten Sünder aufgenommen ist." Nun möchte freilich auch der Theologische Ausschuß solche Fälle der Zweittaufe nicht schlechthin mit den „normalen" Fällen der Taufspendung gleichbehandelt wissen. Zwar müsse der eigentliche Taufakt wie bei allen anderen Taufen vor sich gehen. Durch eine „agendarische Taufvermahnung" soll aber auf die Besonderheit des Falles Bezug genommen werden. „In dieser Taufvermahnung (Taufansprache) ist auszusprechen, daß nicht die Absicht besteht, in der folgenden Handlung im Widerspruch zu der Einsetzung Christi eine Wiedertaufe zu vollziehen, sondern daß unter einem unentrinnbaren Notstand, aber im Gehorsam gegen den Taufbefehl gehandelt wird." 7 6
III. 1. Der Versuch einer systematischen Erörterung muß und kann glücklicherweise von einem Lehrkonsens der katholischen und evangelischen Kirche ausgehen, nämlich von dem Verbot und der Ungültigkeit der Wiedertaufe. Dies kann als ökumenischer Rechtssatz qualifiziert werden 77. Er basiert auf einem insoweit übereinstimmenden Verständnis der neutestamentlichen Aussagen über die Taufe 78 und auf der gemeinsamen Anerkennung vor allem jener altkirchlichen konziliar-synodalen und papalen Lehrentscheidungen, welche die Beendigung des Ketzertaufstreits erstrebt haben79. Demgemäß steht „die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit der Taufe ... in der ganzen Kirchengeschichte und in allen christlichen Konfes74
Vgl. oben Anm. 16. Z. B. Ziff. 3: „Ist auch durch gewissenhafte Nachforschung nicht sicher festzustellen, ob jemand getauft ist oder nicht (Flüchtlingskinder), muß die Taufe vollzogen werden auf die Gefahr hin, daß sich später doch noch herausstellen könnte, daß der Betreffende schon getauft war." 7 6 Ziff. 5 a. a. O. 75
77 7
Vgl. Erik Wolf, Ordnung der Kirche, S. 302 u. 533. « Mark. 16, 16; Joh. 3,4/5; Rom. 6, 3 ff.; Eph. 4, 5 u. a. Vgl. oben Anm. 6.
79 Texte bei Denz. 46, 53, 88 u. ö.; vgl. ferner B. Neunheuser, Handbuch der Dogmengeschichte, Bd. I V / 2 : Taufe u. Firmung, 1956, v. a. S. 4 1 ^ 7 .
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sionen außer Diskussion" 80 , ist die Einmaligkeit der Taufe das „unerschütterlichste Stück der kirchlichen Tauflehre" 81. Eine der neueren Lebensordnungen formuliert bündig: „Da die heilige Taufe das in Christus ein für alle Mal uns geschehene Heil dem Täufling grundlegend zusagt, schließt sie ihrem Wesen nach eine Wiederholung aus." 82 2. Wendet man sich vor diesem Hintergrund unter stärker juridischem Aspekt einer begrifflichen Analyse des Rechtsinstituts der bedingten Taufe zu, so muß die Verknüpfung einer „Bedingung" mit dem in seiner Wirkung so grundlegenden und weitreichenden sakramentalen Akt der Taufe als anstößig, als dogmatisch verfehlt und juristisch unmöglich erscheinen 83. Das ist umso mehr verständlich, als man sich bei einer ersten Betrachtung unwillkürlich von dem Rechtsbegriff der Bedingung leiten läßt, deren Wesen darin liegt, daß sie „das Rechtsgeschäft solange in der Schwebe hält, bis die Bedingung erfüllt oder endgültig entfallen ist" 8 4 . So entsteht der Eindruck, daß die bedingte Taufe „nihil ponit neque negat neque affirmat neque dat neque tollit", was Luther als ersten Grund für seine Ablehnung der Konditionaltaufe angeführt hat 85 . Diese Vorstellung von dem Verharren in einer unentschiedenen Schwebelage klingt selbst noch nach in der Erwägung, die römische Kirche „entziehe" sich in Fällen, in denen Zweifel an der Gültigkeit der früheren Taufe bestehen, den „Schwierigkeiten" durch die Konditionaltaufe 86, oder wenn gesagt wird, der Heilige Geist verkündige das Evangelium nicht in „Konditionalsätzen"87. Es bedarf aber keiner weiteren Diskussion, daß die der Taufformel zugefügte Bedingung keine „echte" Bedingung ist, bei welcher der ungewisse Umstand, von dem die Wirksamkeit eines Rechtsaktes abhängt, ein zu80 Gutachten der Evang. Theol. Fakultät der Universität Tübingen über Fragen der Taufordnung, ZThK 47, 1950, S. 265. 81 Jetter, a. a. O. S. 31 (mit Bezug auf Augustin); S. 326 ff. wird dargelegt, wie die „Einmaligkeit der Taufe" Luthers Hebräerbriefvorlesungen beherrschte. Vgl. auch Andersen, Art. Taufe, EKL, III (1959), Sp. 1302 f. 82 Hessen-Nassau I, 11 (vgl. oben Anm. 73). 83 Die Frage nach der Möglichkeit von Bedingungen im Sakramentsrecht ist neuerdings durch das in c. 83 10 matr. für die unierte Ostkirche ausgesprochene Verbot bedingter Eheschließung (die can. 1092 CIC in gewissen Grenzen zuläßt) wieder akut geworden. Zur Dogmengeschichte vgl. jetzt R. Weigand, Die bedingte Eheschließung im kanonischen Recht, Diss. theol. Würzburg 1961. Einen begrüßenswerten Vorschlag zur Änderung von can. 1092 CIC unterbreitet neuerdings H. Flatten, Zur Problematik der bedingten Eheschließung im kanonischen Recht, in: Österr. Arch. f. Kirchenrecht 12, 1961, S. 280-305. 84 Eichmann/Mörsdorf I, 91959, S. 226. Vgl. auch H. Flatten, Art. Bedingung, LThK 2 I I (1958), Sp. 95. 85 Vgl. oben S. 133. Diese Argumentation beruht übrigens vermutlich auf einem damals in der Bedingungslehre gebräuchlichen juristischen Topos. 86 Vgl. die Begründung des Beschlusses der Kirchenleitung der VELKD v. 4. 11. 1959 über die Anerkennung neuapostolischer Taufen (ABl. EKD 1960, S. 235). 87 So in polemischer Zuspitzung E. Schott, Die zeitliche und die ewige Gerechtigkeit, 1955, S. 77.
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künftiger sein muß. Wird die Konditionaltaufe angewendet, so besteht vielmehr nur subjektive Ungewißheit über ein in der Vergangenheit liegendes objektiv Gewisses - sei es positiv die gültige Spendung, sei es negativ die Nicht-Spendung oder ungültige Spendung der Ersttaufe. So betrachtet handelt es sich um eine „uneigentliche", „unechte" „conditio de praeterito" 88. Ihre ausdrückliche Erwähnung im Rechtsakt selbst bringt nicht eine neue Unsicherheit zu der schon bestehenden (und nicht zu beseitigenden!) hinzu, sondern hat nur die Bedeutung einer deklaratorischen Feststellung, einer Offenlegung der Voraussetzungen, unter welchen der Rechtsakt vollzogen wird. Folgt man den Begriffsdistinktionen einer allgemeinen Bedingungslehre, muß man sogar noch einen Schritt weiter gehen. Bei der „Bedingung": „si tu non es baptizatus..." handelt es sich nämlich in Wirklichkeit um eine Wirksamkeits- und Gültigkeitsvoraussetzung des Rechtsakts der Taufe überhaupt jeder Taufe, da sie nur einem „homo viator nondum baptizatus" (can. 745 CIC), also nur einmal gültig gespendet werde kann und darf, somit angesichts des strikten Verbots der Wiedertaufe um eine (negative) „conditio iuris" 89 . Die Verlautbarung einer solchen Rechtsbedingung, „quae inest tacite" oder „quae extrinsecus venit", wie die römisch-rechtlichen Quellen sagen90, hat erst recht keine konstitutive Bedeutung; sie enthält bloß „figuram", nicht „vim quoque conditionis" 91 . Ihre Hinzufügung ist deshalb an sich überflüssig, aber unschädlich92. Es gibt also für die Konditionalformel, so gesehen, keine rechtsbegriffliche, „sachlogische" Notwendigkeit: wegen des Verbots und der Ungültigkeit einer Wiedertaufe hängt das sakramentsrechtliche Schicksal der Zweittaufe so oder so von der Gültigkeit oder Ungültigkeit der Ersttaufe ab 93 . Kein geringerer als Leibniz hat dies bei der Erörterung der Frage „an baptismus sit conditionabilis" erkannt und deutlich ausgesprochen: „conditionis adjectio non necessaria, quia conditio inest pro
88 Vgl. Eichmann/Mörsdorf I, S. 227. 89 Im allgemeinen zur Rechtsbedingung vgl. Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15 1960, S. 1186 f.; P Oertmann, Die Rechtsbedingung (condicio iuris), 1924. Die dort gegebenen einengenden Definitionen passen allerdings nicht für den Fall der Konditionaltaufe (vgl. Oertmann, S. 28). Die „Uneigentlichkeit" der conditio iuris ist hier noch dadurch gewissermaßen gesteigert, daß sie „in praeteritum collata" ist. 90
Siehe Dig. 35, 1, 99 und dazu Windscheid/Kipp, 9. Aufl. 1906,1. Bd., S. 459 f.
Lehrbuch des Pandektenrechts,
9
* Vgl. Dig. 28, 5, 70 [69]. Vgl. Dig. 36, 2, 22, 1: supervacua, pro non scripto erit. Für bedingungsfeindliche actus legitimi (vgl. Dig. 50, 17, 77) galt allerdings der Satz: Expressa nocent, non expressa non nocent (Dig. 50, 17, 195). Vgl. auch Reg. Iur. 50 in VI o . 93 Vgl. hierzu auch F. Claeys Bouuaert, Art. Condition, DDC IV (1949), col. 3, wo aber offenbar davon ausgegangen wird, daß es sich um eine conditio de praeterito handelt. Klar spricht H. Flatten, a. a. O. S. 285 (vgl. oben Anm. 83) von „Rechtsbedingung". 92
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Specimen certitudinis seu demonstrationum in iure exibitum in doctrina conditionum, cap. VIII, theorema 53: in der Ausgabe von Ascarelli, Testi per la storia del pensiero giuridico I: Hobbes-Leibniz, 1960, p. 371 s. Die Stelle ist ein schönes Zeugnis für sein sozialtheologisches Denken; vgl. hierzu Erik Wolf, Recht des Nächsten, 1958, S. 21 ff.
Zur Problematik der bedingten Taufe
Wenn gleichwohl can. 732 § 2 C I C 9 5 die ausdrückliche Kundgabe der „Bedingung" vorschreibt, so muß die „ratio legis" anderswo als in formaler Begriffskonsequenz liegen. Die sozusagen „juristische" Erklärung, die Einfügung der Bedingung habe nur deklaratorischen Charakter, zeigt schon Richtiges an: Geistlichrechtlich, im Blick auf den im Dienst der Heilsverkündigung stehenden Auftrag des Kirchenrechts 96, liegt die „ratio legis" in der Bewußtmachung und Respektierung des Verbots der Wiedertaufe, somit letztlich in der Ehrfurcht vor dem möglicherweise schon gültig vollzogenen Sakrament. Die Zufügung der Konditionalformel bringt „offen und aufrichtig" 97 die besondere Situation des Zweifels zum Ausdruck, in der diese Taufe gespendet wird. Es wird in dem Rechtsakt selbst freimütig bekannt, daß menschliche Unwissenheit und Schwachheit nicht eindeutig die Voraussetzungen des der Kirche vom Herrn aufgetragenen Ausspendens seiner Geheimnisse klären können. Es wird bewußt gemacht, daß die Entscheidung bei Gott liegt, dessen Urteil sich der Spender der Taufe anheimgibt, indem er dessen eingedenk ist, daß sein „ad cautelam salutis" vollzogenes Handeln möglicherweise keine Wirkungen mehr äußern wird, wenn Gott diese Wirkungen schon gewirkt hat. Darin muß die rechtstheologische Legitimation der bedingten Taufe gesehen werden. Zusätzlich zu seinem aus strenger Begriffsanalyse gewonnenen Argument gegen die bedingte Taufe hat Leibniz an der genannten Stelle die zunächst bestechende Erwägung angestellt: „Apud Deum cordium scrutatorem, si cum ipso directe agatur, protestatio mentalis et verbalis aequipollent."98 Gewiß, Gott bedarf unserer Erklärungen nicht - aber der schwache, sündige Mensch, an dem das Sakrament vollzogen wird, und mit ihm die ganze Gemeinde im status viatoris. Um der Verkündigung willen, die nach 1. Kor. 14, 40 evoxrjixövcog Kai Kara xa^iv geschehen soll, kurz: um der inkarnatorischen Struktur der Kirche und ihres Rechts willen ist die Verlautbarung der „Bedingung" sinnvoll und geboten99. 95 Aber nur in Verbindung mit der (oben Anm. 21) zitierten liturgierechtlichen Norm des Rituale Romanum! Claeys Bouuaert, a. a. O., weist mit Recht darauf hin, daß für die beiden anderen nicht- wiederholbaren Sakramente der Firmung und der Weihe „le Rituel ne requiert pas formellement l'expression de la condition". In diesen Fällen genügt also eine „protestatio mentalis"! Im übrigen soll hier ausdrücklich vermerkt werden, daß - historisch und systematisch - der Zusammenhang mit der Problematik der Reordination genauester Beachtung bedürfte. 9 6 Vgl. etwa die Ansprache Pius' XII. an die Sacra Romana Rota v. 2. 10. 1945, AAS 37 (1945), 256- 262. Vgl. ferner Ansprache vom 3. 6. 1956, AAS 48 (1956), 498/499. 97 Höfling, a. a. O. S. 81. In diesem Zusammenhang verdient Beachtung - worauf (mit Belegen) Corblet, a. a. O. p. 296 aufmerksam gemacht hat daß bisweilen vorgeschrieben wurde, die Konditionalformel in der Landessprache auszudrücken, „pour bien montrer aux assistants qu'on ne baptise point deux fois". 98 A. a. O. Für die Ablehnung der Konditionaltaufe bei den „theologi nostrarum partium" beruft sich Leibniz auf Brochmand, Universae theologiae systema, 1633, t. II, cap. VII, cas. consc. VI. 99 Die SC Prop. entschied am 29. 5. 1838, daß „secondo la prassi generale ed attuale della Chiesa la condizione dev'essere espressa e non mentale" (Gasparri/Seredi, Codicis Iuris
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3. Wenn diese Bestimmung der rechtstheologischen ratio legis richtig ist, scheinen kaum Zweifel zu bestehen, daß sie materiell dem entspricht, was nach der Stellungnahme des Theologischen Ausschusses der VELKD Inhalt der empfohlenen Taufvermahnung sein soll 1 0 0 . Der Unterschied zwischen evangelischer und katholischer Taufpraxis in den Fällen zweifelhafter Ersttaufe scheint sich auf einen solchen der äußeren Form zu reduzieren: hier Aufnahme in die Taufformel selbst (und damit enge juridische Verklammerung) - dort mit der Taufhandlung verbundene „geistliche", „agendarisch" vorgeschriebene Erklärung. Man würde diesen Unterschied mit der divergenten Struktur des kirchenrechtlichen Denkens und der abweichenden Tradition erklären können. Dieses - harmonisierende - Verständnis verbietet sich aber angesichts der grundsätzlichen Erklärung, daß nur eine „ohne Vorbehalt und öffentlich" vollzogene Taufe gerechtfertigt sei. Daraus muß gefolgert werden, daß der Zweittaufe auf jeden Fall die volle Gültigkeit vindiziert, daß mit anderen Worten die zweifelhafte Ersttaufe wegen ihrer mangelnden Bezeugung als „gegenstandslos"101 betrachtet wird. Oder nimmt man - objektiv gesehen - in diesem Notstand eine Wiedertaufe bewußt in Kauf? Hier glaubt nun der katholische Betrachter Fragen an die evangelische Kirche richten zu dürfen, wenn es richtig sein soll, daß es sich bei dem Verbot und der Ungültigkeit der Wiedertaufe um einen ökumenischen Rechtssatz handelt. Lau meint, es habe in der christlichen Kirche niemals eine Konditionaltaufe gegeben anders denn als Ausdruck der Überzeugung von einem durch die Taufe verliehenen, ex opere operato und unabhängig vom Glauben eingepflanzten, dinglich wirkenden character indelebilis; er kommt dann zu dem Ergebnis: „In eine Theologie des Wortes Gottes und der durch die Unverbrüchlichkeit der durch Christi Einsetzungsworte und die in ihnen enthaltene Verheißung pro me objektiven Sakramente paßt eine Konditionaltaufe schlechterdings nicht hinein." 102 Schon mangels Zuständigkeit kann hier nicht - was aber im Grunde notwendig wäre - die ganze Sakramentenlehre in ihrem gegenwärtigen kontroverstheologischen Stand entfaltet werden, wobei nicht zuletzt das Theologoumenon von der Heilsnotwendigkeit der Taufe genauestens erörtert werden müßte. Es mögen aber einige Fragen erlaubt sein: Gegen Laus erste Annahme spricht der geschichtliche Befund; es gab Konditionaltaufe schon zu einer Zeit, als die Lehre vom opus operatum und vom character indelebilis noch nicht in der Weise wie seit der Hochscholastik oder dem Tridentinum reflex waren. Aber vielleicht gefährdet eben diese Lehre doch die Ökumenizität des Wiedertaufverbots? Es hat den Anschein, als ob Lau die Lehre vom „signum spirituale et indelebile" 103 als ein theologisch unbegründbares, unverbindliches Canonici Fontes VII, N. 4770). Eine „unbedingt" gespendete Taufe wäre aber nicht etwa deshalb ungültig, weil sie „bedingt" hätte gespendet werden müssen. 100 Vgl. oben S. 135. 101 Lau, a.a.O. S. 121. 102 A. a. O. S. 136 103 Denz. 852.
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Philosophem metaphysisch-ontologischer Provenienz ansehe. In Wirklichkeit ist sie aber doch der Ausdruck eines grundlegenden theologischen Sachverhalts: Im Taufcharakter tut sich die in der Schrift bezeugte Einmaligkeit der Taufe kund. Er ist „seiner Inhaltlichkeit nach die bleibende, durch ein sakramental geschichtliches Vorkommnis geschehende Beanspruchtheit des Getauften durch die Kirche Jesu Christi" 104 , in der sich der uns zusprechende Gnadenwille Gottes in Christus verleiblicht und fortsetzt. Ein für allemal hat Christus uns in der Taufe erwählt 105 nicht wir haben Ihn erwählt. Man muß deshalb fragen, ob von diesem Gedanken her ein materieller Dissens zu der Luther interpretierenden Aussage, das Verbot der Wiedertaufe gründe in der „Unverbrüchlichkeit der einmaligen Zusage Gottes" 1 0 6 , noch erkannt werden kann. Gleiches gilt für die Lehre vom opus operatum; auch sie kann ja letztlich nicht „ontologisch" begründet werden. Sie besagt negativ: die Wirksamkeit der Sakramentsspendung ist nicht von der Würdigkeit des Spenders abhängig; positiv aber heißt opus operatum: „die eindeutige, bleibende, von Gott unwiderruflich gemachte und als solche erkennbare, geschichtlich greifbare Zusage der Gnade an den einzelnen Menschen durch den Gott des neuen und eschatologischen Bundes" 107 . Von einer solchermaßen zu bestimmenden christologisch-ekklesiologischen Objektivität der Sakramente (zumal der Taufe!) aus könnte vielleicht eine Ebene des Gesprächs gefunden werden, das durch die Feststellung, die Konditionaltaufe widerspreche evangelischer Freiheit 108 und sie passe in eine Theologie des Wortes 109 nicht hinein, zu früh abgebrochen scheint. Am wenigsten kann die Ansicht überzeugen, wegen mangelnder Bezeugung sei die zweifelhafte Ersttaufe als „gegenstandslos"110 zu betrachten. Die altkirchlichen Zeugnisse bis hin zu Gratian können nicht in diesem Sinne gedeutet werden; das wurde oben gezeigt 111 . Diesem historischen Faktum kommt wegen des engen Zusammenhangs mit der unangefochtenen traditio Patrum hinsichtlich des Verbots der Wiedertaufe große Bedeutung zu. Im übrigen tritt in der hier abgelehnten Auffassung eine für evangelische Theologie auffällige forensische Betrachtungsweise zutage, die sich geradezu „quod non est in actis non est in mundo" zur Maxime zu 104 Karl Rahner, Kirche und Sakramente, 1960, S. 79. Vgl. auch J. Mulders, Art. Sakramentaler Charakter, LThK 2 I I (1958), Sp. 1020-1024 m. Lit. 105 Joh. 15, 16. Vgl. Erik Wolf, Ordnung der Kirche, S. 54 f. u. 68 f. In diesem Sinne lautet treffend die 6. der von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland erarbeiteten Thesen über die Taufe: „In der Taufe auf den dreieinigen Gott geschieht eine gnädige Beschlagnahme des Täuflings für Jesus Christus, der ein ursprüngliches Herrenrecht auf ihn hat" (Kirchl. Jahrb. 1958, S. 370 f.). 106 Lau, a. a. O. S. 138. 107 Karl Rahner, a. a. O. S. 30 f. los Vgl. a. a. O. S. 125 f. u. 128. 109 Vgl. demgegenüber allgemein zum Verhältnis von Wort und Sakrament (dieses als verbum visibile) L. Bouyer, Wort - Kirche - Sakrament in evangelischer und katholischer Sicht, 1961, S. 60 ff. ho Lau, a . a . O . S. 121.
in ObenS. 129 f.
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machen scheint - während andererseits, eine eigentümliche Ambivalenz, Melanchthon (mit Luther) gerade in bezug auf die Konditionaltaufe kritisch feststellte, sie sei forensischen Formeln entlehnt 112 ! Die dagegen gerichteten Einwände Höflings 113 sollten wohl doch noch einmal diskutiert werden. Nun muß sich freilich menschliches Kirchenrecht auch hinsichtlich gottgewirkter, sakramentaler Akte menschlichen Zeugnisses bedienen, und es wird sich dabei die alte Beweisregel aus Deut. 19, 15 (und Matth. 18, 16) zur weisenden Richtschnur nehmen, auf die auch Luther abgehoben hat 1 1 4 . So könnte man dann vielleicht sagen, eine in ihrer Faktizität oder Gültigkeit nicht hinreichend bezeugte Taufe sei für die Kirche keine, und es gelte, bezogen auf die Ersttaufe: in dubio contra baptismum. Wenn es aber in der Kirche etwas schlechthin Einmaliges gibt, dann ist es eben die Taufe wegen der schriftbezeugten Analogie mit Tod und Wiedergeburt. Die Beschlagnahme für Christus ist so sehr einmalig und so sehr Handeln Gottes von oben - wo es dann, wenngleich unverzichtbar notwendig, erst in zweiter Linie auf die Sicherheit des subjektiven Wissens ankommt, daß selbst mangelnde Bezeugung sie nicht ungeschehen machen kann, und daß deshalb im Zweifel immer noch mit der Möglichkeit ihrer gültigen früheren Spendung gerechnet werden muß. Und so muß wohl gelten: in dubio pro baptismo priori. Erfordert die „Beweislage" eine (bedingte) Zweittaufe, dann ist es allerdings selbstverständlich, daß sie „öffentlich" sein muß, um dem Täufling und der Gemeinde die Gewißheit zu geben, daß der Täufling spätestens jetzt der Gnade der Wiedergeburt teilhaftig und damit dem aöjfia Xpioxov inkorporiert wurde. Es mag sein, daß die ausdrückliche Hervorhebung dieses Motivs der Publizität in der Theologischen Erklärung der VELKD sich abgrenzend gegen die katholische Praxis richten zu müssen glaubt. Es besteht vielleicht die Meinung, daß es sich bei dem im Fall einer Konversion zulässigen „baptismus privatus" 115 um eine geheime, nicht-öffentliche Taufe handle. Auch wenn man davon absieht, daß jede Taufe per se „öffentlichen", weil gemeinschaftsbezogenen Charakter hat, ist einmal zu bedenken, daß die „private" Vollzugsform nicht unbedingt geboten (wenn auch weithin üblich) ist 1 1 6 . Zum andern steht baptismus privatus nicht im Gegensatz zu baptismus publicus - was es als besondere Form nicht gibt sondern zu baptismus sollemnis. Diese Form ist dadurch gekennzeichnet, daß zum eigentlichen Taufakt 112
Vgl. oben Anm. 61. A. a. O. S. 79 ff., etwa S. 82: „Wir können unsere Kirche, wenn sie in den Äußerungen Luthers und ihren alten KOO. den bloßen Mangel an festen und sichern, »öffentlichen und beständigen' menschlichen Zeugnissen geradezu als unzweifelhaften Ungültig- und Nichtigmachungsgrund einer Taufhandlung geltend zu machen scheint, in der That von dem Vorwurf einer dogmatischen Inkonsequenz nicht freisprechen ...". Vgl. Lau, a. a. O. S. 133. 115 Can. 759 § 2 CIC und dazu Eichmann/Mörsdorf II, S. 30. 116 Das in der Erzdiözese Freiburg übliche Formular über die „Aufnahme von Akatholiken in die Kirche" schreibt vor, daß die bedingte Taufe „omnino privatim, adhibitis duobus tantum testibus, omissis caeremoniis et servata solummodo forma substantiali" zu vollziehen sei. 113
Zur Problematik der bedingten Taufe noch gewisse Zeremonien hinzutreten 1 1 7 ; diese können bei der privaten, also: nicht-feierlichen Taufe weggelassen werden. Zwar ist die Hinzuziehung von Paten nicht notwendig 1 1 8 , wohl aber müssen wenigstens zwei Zeugen anwesend s e i n 1 1 9 . Damit ist nicht gesagt, daß auf volle „Gemeindeöffentlichkeit" verzichtet werden müsse. Wenn es tatsächlich geschieht, wenn also nur (zwei) Zeugen (oder Paten) mit dem taufenden Priester die Gemeinde repräsentieren, dann soll damit wegen des Zusammenhangs mit der abiuratio und der Lossprechung von der Zensur der besonderen Situation des Konvertiten Rechnung getragen und jeder Anlaß zu „scandalum vel suspicio interconfessionalis" vermieden werden 1 2 0 .
IV. 1. Die katholische Wochenschrift „Der christliche Sonntag" veröffentlichte unlängst folgenden, ein gutes Stimmungsbild vermittelnden Leserbrief 1 2 1 : „Gewiß, die evangelische Taufe wird von der Kirche voll anerkannt. Konditional-Taufe nur, wenn Zweifel bestehen, ob gültig getauft wurde. Mir selber ist allerdings, wenn diese Frage im Gespräch mit evangelischen Christen zur Sprache kommt, jedesmal deshalb nicht ganz wohl, weil sich immer wieder zeigt, daß bei Konversionen fast ausnahmslos sub conditione nachgetauft wird. Oft, wie mir scheinen will, aus Bequemlichkeit. Wenn man selber im nächsten Familienkreis drei Konversionen mitgemacht hat und jedesmal erlebte, daß doch immer »vorsichtshalber?' nachgetauft wurde, obwohl diese Konversionen wohlgemerkt nicht aus einem liberalen, sondern konservativ-gläubigen evangelischen Bereich kamen, einem Bereich, von dem der Kenner weiß, daß dort ohne Zweifel korrekt getauft wird, auch was die Intention angeht..., und wenn sich jetzt bei dem vierten Konversionsfall bereits wieder dieselben Schwierigkeiten abzeichnen, ja, wenn man erlebt, daß oft kaum der Versuch unternommen wird, die Gültigkeit der Taufe in Erfahrung zu bringen, dann wünscht man oft, wir möchten in der Praxis doch mehr zur Glaubwürdigkeit dessen beitragen, was der Theorie nach ohne weiteres klar ist. Weiß nicht auch der Orientierte, wie gering der Teil unter den evangelischen Pfarrern ist, bei dem man bezüglich Korrektheit der Taufe noch Sorge haben muß? Gewiß, der Geist des 19. Jhs. ist auch heute noch 117 Cf. can. 759 § 1 CIC: caeremoniae quae baptismum sequuntur (Hervorhebungen vom Verf.). 118 Vgl. can. 763 CIC - es sei denn, der Pate, der bei der ersten Taufe fungiert hat, steht zur Verfügung, was indes bei der Taufe von Konvertiten schon wegen can. 765 n. 2 CIC kaum vorkommen dürfte. Wegen der Unsicherheit, welche der beiden Taufen die vollwirksame ist, tritt die Wirkung der geistlichen Verwandtschaft nur ein, wenn bei beiden Taufen derselbe Pate zugezogen wird (can. 763 § 2 CIC). 119 Vgl. bezüglich der absolutio ab excommunicatione can. 2314 § 2 CIC: „coram .. .saltem duobus testibus." Selbst für die Nottaufe schreibt can. 742 § 1 CIC vor: „quatenus fieri potest, adhibeantur duo testes vel saltem unus, quibus baptismi collatio probari possit." 120 So in einem Responsum der SC Off. v. 15. 11. 1941 (zu can. 731 § 2 CIC), bei Sartori, Enchiridion Canonicum, 10 , 1961, p. 147 f.
121 Von F. W. Schilling, in Nr. 32 v. 6. 8. 1961, S. 256. Dieser Leserbrief war ein Echo auf den in Nr. 26 v. 25. 6. 1961 veröffentlichten Bericht über einen Vortrag von Hans Küng, in dem diese Frage angeschnitten wurde.
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nicht restlos überwunden ... nur will einem scheinen, daß wir hier doch sicher auch eine ökumenische Verantwortung haben, die es nicht erlauben sollte, allzu sorglos nachzutaufen. Natürlich wird es bei der Nachforschung über die Gültigkeit einer Taufe großer Behutsamkeit bedürfen. Vielleicht ließe sich ein Weg finden, wenn man den in Frage kommenden evangelischen Pfarrer liebevoll um Verständnis bittet .. .Vielleicht wird er dann ... nicht reserviert erklären, daß er keine Veranlassung habe, sich vor der katholischen Kirche zu legitimieren...".
Man kann die Berechtigung solcher Klage schwerlich rundweg in Abrede stellen. Das bereitet auch katholischen Christen ernste Sorge. Es besteht deshalb durchaus Anlaß, sich die Lehre der Kirche erneut bewußt zu machen. Obwohl man hier nicht mit klärendem Zahlenmaterial aufwarten und gewiß vorhandene regionale oder - im Grad der ökumenischen Aufgeschlossenheit von Bischöfen und Pfarrern begründete - „personale" Unterschiede nicht im einzelnen belegen kann, darf man andererseits jedoch nicht meinen, die katholische Praxis sei ohne Ausnahme so lax (und damit unkatholisch!) geworden, daß es nur noch Konversionen mit vorangegangener bedingter Taufe gebe; es wäre dann zum Beispiel unverständlich, weshalb mehrere deutsche Diözesen sich genötigt sahen, Bestimmungen über den Taufvermerk bei Konvertiten zu erlassen, „bei denen eine bedingte Taufspendung nicht erforderlich ist, da die Gültigkeit ihrer Taufe unzweifelhaft feststeht" 122 . 2. Das Sakrament der Taufe wird gültig gespendet, indem der Körper des Täuflings mit natürlichem Wasser abgewaschen wird - aut per infusionem, aut per immersionem, aut per aspersionem 123 - und gleichzeitig die Worte gesprochen werden: „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes." Damit die Taufe, deren „minister primarius" Christus ist, wirklich zu einem actus humanus wird 1 2 4 , muß sich der Spender in Seinen Dienst stellen, indem er die (virtuelle) Intention hat „faciendi quod facit ecclesia vel quod Christus instituit" 125 . Es genügt die intentio faciendi quod facit ecclesia. „Der Spender braucht darum nicht zu intendieren, was die Kirche intendiert, nämlich die Wirkung des Sakramentes ... hervorzubringen. Er braucht auch nicht zu intendieren, einen spezifisch katholischen Ritus zu vollziehen. Es genügt die Absicht, eine unter Christen übliche religiöse Handlung zu vollziehen." 126 3. Legt man diese Maßstäbe an die in der evangelischen Kirche gespendeten Taufen an, so zeigt sich hinsichtlich „Materie" und „Form" volle Übereinstimmung: „Zur Gültigkeit der Taufe gehört die Anwendung der trinitarischen Tauffor122 Der Erlaß ist abgedruckt in Arch. f. Kath. Kirchenrecht 129 (1959-1960), S. 530 f. 123 Can. 758 CIC; vgl. Eichmann/Mörsdorfs S. 24 u. 29. 124 Vgl. etwa Brinktrine, Die Lehre von den heiligen Sakramenten der katholischen Kirche, 1. Bd., 1961, S. 76 u. 81. 125 Denz. 672, 696, 860, 1318, 1470, 1848, 2304; can. 742 § 1, CIC. Vgl. Renwart, Art. Intention, LThK 2 V (1960), Sp. 723-725 m. Lit. 126 Ott, Grundriß der katholischen Dogmatik, 3 1957, S. 412.
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m e l . . . Der Kopf des Täuflings muß ... mit reinem Wasser begossen werden." 127 Im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es gewisse Kreise, die das Verpflichtetsein auf die trinitarische Taufformel als unevangelische Bindung ablehnten (Bremer Taufstreit 128 ); später haben es „irrlehrende" 129 deutschchristliche Pfarrer damit nicht ernst genommen. Aber die Zahl dieser Fälle blieb verhältnismäßig gering 130 ; es dürfte überdies in der Regel leicht festzustellen sein, wo solche Pfarrer amteten. Diese vereinzelten Verfehlungen rechtfertigen eine generalisierende Praxis nicht. Ebensowenig bestehen generelle Bedenken hinsichtlich der „Materie": die früher bisweilen geübte „Betupfungstaufe" wird heute allgemein verworfen 131 . Schwierigkeiten scheint das Erfordernis der Intention zu machen. Wenn aber der evangelische Pfarrer „im Gehorsam gegen den Befehl Jesu Christi (Matth. 28, 19-20) und im Glauben an seine Verheißung (Mark. 16, 16)" 1 3 2 tauft, so vollzieht er „quod Christus instituit". Es sollte auch kaum einer weiteren Erörterung bedürfen, daß er dabei in der Regel sicher mehr hat als die - geradezu minimalistische Absicht, „eine unter Christen übliche religiöse Handlung zu vollziehen". Weitere, hier nur thesen- bzw. frageförmig vorzubringende Überlegungen sollten Anlaß geben, die Beurteilung der Intention bei evangelischen Taufen zu überprüfen und zu revidieren: Einmal gilt es daran zu erinnern, daß Papst Pius V. in einem Dekret aus dem Jahre 1570 - zur Zeit der Gegenreformation also! - die Wiedertaufe von Calvinisten streng verbot; diese irrten nur hinsichtlich des effectus bap127
Erik Wolf, Ordnung der Kirche, S. 531. Beispielsweise sei die entsprechende Vorschrift einer reformierten Landeskirche der EKD, der Lippischen, zitiert; Art. 12 Abs. 1 und 3 des Kirchengesetzes über die Ordnungen des Lebens in der Gemeinde v. 23. 11. 1954 (GVB1. 1955, S. 138): „Die heilige Taufe wird nach Christi Befehl auf den Namen des dreieinigen Gottes vollzogen. Dabei wird das Haupt des Täuflings mit Wasser begossen. - Nur eine auf den Namen des dreieinigen Gottes mit Wasser vollzogene Taufe ist gültig...". Wichtig auch die Erklärung der VELKD zur Lehre vom Sakrament der heiligen Taufe v. 25. 7. 1950 (Kirchl. Jahrb. 1950, S. 41 ff.) mit ausdrücklichen „Verwerfungen". 128
Vgl. Gottschick, Die Lehre der Reformation von der Taufe. Ein theologisches Gutachten zum Bremer Taufstreit, 1906; Freericks, Die Taufe im heutigen Protestantismus, 1925, S. 184 f.; ferner Mulert, Art. Mauritz, RGG 2 III (1929), Sp. 2053. 129 Erik Wolf, Ordnung der Kirche, S. 302. 130
Asmussen, Art. Taufe, Weltkirchenlexikon, 1960, Sp. 1430, sowie in: Die Katholizität der Kirche, 1957, S. 376; Erik Wolf Ordnung der Kirche, S. 88. Nach Eichmann/Mörsdorf II, S. 186, ist „mancherorts" nicht richtig getauft worden. Die oben genannte Stellungnahme des Theol. Ausschusses der VELKD (Ziff. 4) spricht von „DC-Taufen in einzelnen Fällen" und bestimmt: „Allerdings sollen Taufen, die in der eigenen Kirche vollzogen sind, nicht in Zweifel gezogen werden, wenn keine Gewissensnot beim Pfarrer oder beim Täufling vorliegt." Vgl. auch den Erlaß der württembergischen Landeskirche über die Gültigkeit von DCTaufen v. 5. 3. 1946, ABl. EKD 1949, S. 31. 131 Ausdrücklich heißt es etwa in einer Verlautbarung der Sächsischen Landeskirche zur neuen Taufagende: „es darf nicht mehr vorkommen, daß statt des fließenden Wassers nur eine Benetzung mit nassem Finger geschieht" (ABl. EKD 1956, S. 200). 1 32 Lebensordnung VELKD I, 1.
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tismi, was die Intention unberührt lasse 133 . Dementsprechend normierte 1576 eine Synode von Evreux: „Hinc interdicimus omnibus curatis et presbyteris sub poena suspensionis ipso facto a divinis, ne allatos ad se pueros, iam baptizatos a Calvinistis, audeant iterum tingere sub illa condicione." 134
Benedikt XIV. hat sich später diese Entscheidung zu eigen gemacht 135 . Sie sollte auch heute noch zu denken geben. Ein zweites: die katholische Kirche erkennt seit alters jedem Menschen, sogar dem Nichtchristen, die Fähigkeit zu, die intentio faciendi quod facit ecclesia vel quod Christus instituit zu haben und also gültig zu taufen 136 - ist es dann gerechtfertigt, die Fähigkeit des ordinierten, auf die Verkündigung von Wort und Sakrament verpflichteten evangelischen Geistlichen hierzu praktisch immer wieder in Zweifel zu ziehen? 137 Schließlich sollte das folgende für die grundsätzliche Anerkennung der rechten Intention sprechen: Die Enzyklika „Mystici Corporis" (1943) kennt solche Menschen, die durch Antrieb der göttlichen Gnade „quodam desiderio ac voto ad mysticum Redemptoris Corpus ordinentur" 138 . Mit Recht ist nun gesagt worden, daß in der Ökumene „ein unstillbares Verlangen nach der einen Kirche" und „nach ihrer gottgewollten Sichtbarkeit" aufgebrochen sei; damit habe sich durch die Ökumenische Bewegung im Raum der evangelischen Christenheit ein „ökumenisches Glaubensbewußtsein" gebildet, „das als ein votum ecclesiae im Sinne der Enzyklika gewertet werden darf' 1 3 9 . Ist nicht die Taufe, von Christus als Zeichen der 133 Stehfen, a. a. O. S. 10. Zur Vorgeschichte vgl. Tromp, SC Concilii die 19 Junii 1570 de baptismo Calvinistarum seu de intentione ministri, in: Divinitas 3, 1959, 16-42. 134 Stehfen, a. a. O. S. 11. 135 De synodo dioecesana VII, 6. Ausdrücklich nimmt eine Instructio des Hl. Offiziums v. 30. 1. 1833 unter wörtlicher Wiedergabe darauf Bezug (Gasparri-Seredi, Fontes IV, N. 871). 136 Auf der Grundlage früherer Entscheidungen zur Frage der Häretikertaufe formulierte das auf dem Konzil von Florenz 1439 gefaßte Decretum pro Armenis: „In causa autem necessitatis non solum sacerdos vel diaconus, sed etiam laicus vel mulier, immo etiam paganus et haereticus baptizare potest, dummodo formam servet Ecclesiae et facere intendat quod facit Ecclesia" (Denz. 696). Vgl. can. 742 CIC. Siehe femer Plöchl, a. a. O. II, S. 227 und Erik Wolf, Ordnung der Kirche, S. 301. - Nach lutherischem Kirchenrecht kann im Notfall „jeder Christ u die Taufe spenden (vgl. Lebensordnung VELKD I, 5 und dazu Erik Wolf, a. a. O. S. 533). Nach reformiertem Kirchenrecht ist aber jede von einem Nichtberufenen verrichtete Taufe „ganz und gar nichtig". An diesen Grundsatz erinnert unter Berufung auf Disc. Eccl. XI, 1 ausdrücklich das Evangelisch-Reformierte Moderamen der Landeskirche Berlin-Brandenburg in seinen Erläuterungen zur Lebensordnung der EKU (ABl. EKD 1958, S. 66). 137 Dieser Gedanke klingt auch an bei Sartory, logie heute, 1957, S. 370.
Kirche und Kirchen, in: Fragen der Theo-
138 Acta Apostolicae Sedis 35, 1943, p. 243. Vgl. auch Sartory, Die ökumenische Bewegung und die Einheit der Kirche, 1955, S 145. 139 Sartory, a. a. O. S. 146. Vgl. auch P. Meinhold, Der evangelische Christ und das Konzil, 1961, S. 103 ff., bes. S. 126.
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Einheit gestiftet, das Medium dieses votum ecclesiae?140 Und muß dann nicht gesagt werden, daß die von einer kirchlichen Gemeinschaft, die sich jenem ökumenischen Glaubensbewußtsein verpflichtet weiß, rite gespendete Taufe in sich „intendiert", was die eine Kirche zum Zeichen der Einheit im Gehorsam gegen die verpflichtende institutio Christi tut? 4. Eine generalisierende Praxis, die theologisch-kirchenrechtliche Legitimität der in der evangelischen Kirche gespendeten Taufen zu bezweifeln, ist also - zumindest heute - materiell nicht (mehr) in Ordnung. Sie ist es aber, im Blick auf kanonische Vorschriften und Dekrete, auch formell nicht. Dabei kann zunächst auf das oben II. 1 Ausgeführte erinnert werden. „Nimia facilitas improbanda est in iteratione sub conditione huius Sacramenti." 141 Immer wieder, auch von neueren Diözesanstatuten142, ist strenge Prüfungspflicht im Einzelfall eingeschärft worden 143 . Nicht aus „quantulocumque indicio" 1 4 4 darf bedingt wiedergetauft werden, es genügt auch nicht „levis in contrarium suspicio vel scrupulus" 145 oder „generica tantum ac levissima praesumptio"; nur „rationes vere probabiles et prudentes", nur „substantiierte" Zweifel dürfen Anlaß zu einer bedingten Zweittaufe geben 146 . Sonst würde das Institut der bedingten Taufe zu einem bequemen Mittel, die Frage nach der Gültigkeit der evangelischen Taufe sozusagen (prozessualisch gedacht) „dahingestellt" sein zu lassen. An diesen Grundsätzen hielt auch das Dekret des Hl. Offiziums vom 20. 11. 1878 fest 147 . Negativ wird man aus dieser autoritativen Stellungnahme schließen müssen, daß keine Rechtsvermutung (praesumtio iuris) für die Gültigkeit einer Taufe spricht, daß es also keinen dem „favor matrimonii" (gemäß can. 1014 CIC) 140 Sartory, a. a. O. S. 184 sagt von der Taufe, sie sei ein „wahres vestigium ecclesiae" und künde die Anwesenheit einer „ekklesiastischen Realität". Vgl. auch H. Volk, Die Einheit der Kirche und die Spaltung der Christenheit, in: Catholica 14, 1960, S. 241: eine gültige Taufe sei gar nicht möglich ohne eine „heilshafte Partizipation an der Gnade Christi". SC Prop. v. 23. 6. 1830, Gasparri/Seredi VII, N. 4748. Zusammenfassend sagen (mit Quellenbelegen) Wernz/Vidal, Ius Canonicum I V / 1 , 1934, p. 51: „Nec nimia difficultate nec nimia facilitate propter meras praesumptiones generales in reiteratione baptismi est utendum, pariterque vitari debet nimius rigor et formalismus in peragenda praevia investigatione." 142 Vgl. Synodalstatuten des Bistums Trier (1959), Art. 213; Dekr. 487 der Kölner Diözesan-Synode 1954; Diözesanstatuten des Bistums Aachen v. 17. 4. 1960, Art. 402 u. 449. 143 Vgl. SC Off. v. 30. 1. 1833, Gasparri/Seredi IV, N. 871: „speciatim"; v. 5.7. 1853, ibid. 925: „[investigatione] ... facta meliori modo quo potuit"; v. 6.4. 1859, ibid. 950: „ . . . non praeceps, nec temere ...". 144 SC Off. v. 17. 9. 1681, ibid. IV, 757. 145 SC Off. v. 20. 6. 1866, ibid. IV, 994. 146 SC Off. v. 30. 1. 1833, ibid. IV, 871 mit eingehender Darlegung der strengen Auffassung Benedikts XIV.
!47 Ibid. IV, 1059 = Denz. 1848. Ausdrücklich (auch) auf „Lutherani et Calvinistae" bezogen ist das Responsum der SC Off. v. 5. 7. 1853, Gasparri-Seredi IV, 925.
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analogen „favor baptismi" gibt. Die Entscheidung läßt aber Raum für eine tatsächliche Vermutung, sei es zugunsten, sei es zuungunsten der Gültigkeit der Taufe, unbeschadet der Verpflichtung zur Prüfung im Einzelfall. 1867 hat ein Synodalstatut für Paderborn geglaubt anordnen zu müssen: „Si agitur de adultis in communionem ecclesiae recipiendis, qui a ministris acatholicis baptizati sunt, in universum ut res nunc sunt, praesumtio stat pro collati baptismi invaliditate proindeque si, re diligenter investigata, dubium de valore baptismi non tollatur, sub conditione iterandus est." 148
Eine solche Vermutung kann heute, „ut res nunc sunt", nicht mehr statthaben. Die heutige Praxis geht zwar, so könnte man sagen, nicht von einer Vermutung der Ungültigkeit aus; praktisch aber doch jedenfalls von einer Vermutung der Zweifelhaftigkeit, wenn in der überwiegenden Zahl der Fälle die evangelische Taufe als baptismus dubius 149 behandelt wird. Daß dies nicht richtig ist, sollten die bisherigen Darlegungen zeigen. Man ist vielmehr berechtigt und gehalten, heute die Gültigkeit einer in der evangelischen Ökumene gespendeten Taufe zu vermuten. Damit ist nicht etwa eine Dispensierung von der Prüfungspflicht im Einzelfall verbunden; diese bleibt bestehen. Aber diese Vermutung hätte ihre Bedeutung als Prüfungsmaxime und so - zumindest - für den „usus legis". Läßt man sich aus geistlicher Einsicht in die veränderte ekklesiologische Situation von einem in diesem (und nicht streng juridischen) Sinne verstandenen „favor baptismi" leiten, so würde das jedenfalls zu einer Umkehrung des jetzigen Regel-Ausnahmeverhältnisses führen müssen. Trotz des eben zu dem bekannten Dekret des Hl. Offiziums Gesagten darf und muß aber darüber hinaus gefragt werden, ob nicht sogar die Annahme einer Rechtsvtrmutung berechtigt und geboten ist, zwar nicht in Bezug auf Materie und Form, wohl aber im Hinblick auf die erforderliche Intention, wenn anders das vielberufene votum ecclesiae auch eine \lxch&nrechtliche Realität sein soll. Für den Bereich der kanonischen Ordnung der Ehe ist dies schon Rechtens. Gemäß can. 1070 § 2 in Verbindung mit can. 1014 CIC wird - quoad matrimonium - nach der Eheschließung bis zum Beweis des Gegenteils die Gültigkeit eines baptismus dubius und damit das Zustandekommen einer sakramentalen Ehe (can. 1012 CIC) de iure vermutet. Dementsprechend hat das Hl. Offizium in einem Responsum vom 28. 12. 1949 erklärt, „in diiudicandis causis matrimonialibus" sei, richtige Anwendung von Materie und Form vorausgesetzt, die bei den Disciples of Christ (!), bei Presbyterianern, Kongregationalisten, Baptisten (!) und Methodisten gespendete Taufe auch hinsichtlich der erforderlichen intentio 148 Archiv f. Kath. Kirchenrecht 20, 1868, S. 357. Text auch bei Stehfen, a. a. O. S. 57 und bei Mirbt, a. a. O. S.474N. 1. 149 So der Terminus in can. 1070 § 2 CIC. Noldin/Schmitt/Heinzel, Summa Theologiae Moralis III, 1957, p. 63 meinen noch bezüglich der akatholischen Taufe: „hodie recte praesumitur esse dubius"!
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faciendi quod facit ecclesia vel quod Christus instituit als gültig zu vermuten, „nisi in casu particulari contrarium probetur" 150 . Nun gilt diese Vermutung formal freilich nur im Rahmen des can. 1070 § 2 CIC; ihr Anwendungsbereich ist auf die Beurteilung der Gültigkeit von Ehen eingeschränkt 151. Gleichwohl steckt darin mittelbar eine gesetzliche Vermutung für den gültigen Taufempfang. Das Hl. Offizium hätte nicht so entscheiden können, wenn nicht diese Rechtsvermutung sich auf eine Realität gründen ließe (es handelt sich ja nicht etwa um eine Fiktion!), und wenn es nicht der Auffassung wäre, daß die korrekte Anwendung von Materie und Form die Richtigkeit der Intention gewissermaßen, um einen strafrechtlichen Terminus zu gebrauchen, „indizieren" könne. Die Gültigkeit der Taufe wäre auch nicht (mittelbar) einer Vermutung zugänglich, wenn es sich bei dem grundlegenden Status-Sakrament der Taufe nicht um ein Rechtsverhältnis handelte, das von großer Bedeutung für das kirchliche „Gemeinwohl" ist 1 5 2 . Materielle Grundgedanken solcher Art dürften doch wohl hinter dieser Entscheidung des Hl. Offiziums stehen. So gesehen, müßte de lege utenda, jedenfalls aber de lege ferenda, diskutiert werden, ob nicht Grund besteht, eine solche praesumtio intentionis und damit eine praesumtio validitatis baptismi auch außerhalb des eherechtlichen Bereichs zur Geltung zu bringen. Natürlich könnte dies nicht schlechthin für jede außerhalb der katholischen Kirche gespendete Taufe gelten. Die in einer auf die Basis 153 der Ökumene verpflichteten kirchlichen Gemeinschaft gespendete trinitarische Wassertaufe sollte aber die Rechtsvermutung der Gültigkeit für sich haben, bis das Gegenteil ausdrücklich erwiesen ist 1 5 4 . Dabei soll hervorgehoben werden, dass die Entscheidung des Hl. Offiziums, die Anlaß gab, diese Frage einmal zur Diskussion zu stellen, im Verhältnis zu Denominationskirchen ergangen ist; für die originär reformatorischen Kirchen - die lutherische und die reformierte sowie deren Zusammenschlüsse - müßte demnach das Gesagte erst recht gelten. 5. Ein letztes, tiefreichendes Bedenken muß kurz zur Sprache gebracht werden. Hinschius hat es im Jahre 1888 so formuliert: „Wenn man..., wie dies die neuere Praxis tut, von der Vermutung ausgeht, daß die in den protestantischen Kirchen erteilte Taufe ungültig ist, so führt dies logischer Weise dazu, auch die weitere Vermutung anzuerkennen, daß die Protestanten nicht die Mitgliedschaft 150 AAS 41, 1949, p. 650 = Denz. 2304. Zur Interpretation im einzelnen vgl. F. Hürth, in: Periodica de re morali, canonica, liturgica 39,1950, pp. 107 -115, ferner J. Creusen in: Nouv. Theol. 72, 1950, pp. 522-530. 151 Vgl. R. Motzenbäcker, Die Rechtsvermutung im kanonischen Recht, 1958, S. 442 f. 152 Vgl. Eichmann/ Mörsdorf II, S. 136. 153 Vgl. Erik Wolf Ordnung der Kirche, S. 761 f. 154 Thijsen, a. a. O. S. 89 stellt es (schon jetzt) als katholische Lehre dar, daß die Intention als vorhanden betrachtet werde, wenn man taufe, wie die Kirche tauft, „und das Gegenteil sich nicht ausdrücklich zeigt". Entsprechend nimmt mit guten Gründen B. Leeming eine allgemeine „Presumption of Intention" an; in: The Irish Theological Quarterly XXIII (1956), pp. 325-349.
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in der katholischen Kirche erlangt haben, und dann kann man im Zweifel das menschliche Recht der letzteren für sie nicht mehr als bindend betrachten." 155
Diesem Einwand muß man sich stellen. Nach can. 87 CIC wird jeder, auch der außerhalb der katholischen Kirche gültig Getaufte „persona in Ecclesia Christi", und can. 12 CIC spricht aus, daß jeder gültig Getaufte den kirchlichen Gesetzen grundsätzlich verpflichtet ist. Es ist nun innerhalb der katholischen Theologie trotz der Aussagen der Enzyklika „Mystici Corporis" von 1943 156 kontrovers, ob, wie es diese beiden Canones nahezulegen scheinen, allein durch die gültige Taufe die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche begründet wird. Mörsdorf 51 bejaht dies; die Taufe verleihe die „konstitutionelle Gliedschaft", welche die Voraussetzung bildet für die „tätige Gliedschaft" derer, die in der vollen, unter dem Nachfolger Petri geeinten Gemeinschaft des einen Glaubens stehen. Karl Rahner l5 % (und ihm folgend Gommenginger 159) lehnt diese Unterscheidung ab. Die Taufe begründe zwar die (freilich auf volle Gliedschaft hingeordnete) „Untertanschaft"; „Mitglied" aber könne nur der sein, bei dem außer dem vinculum baptismale auch das vinculum symbolicum, communionis et hierarchicum vorhanden sei. Diese Kontroverse 160 spielt aber für den hier gegebenen Zusammenhang keine entscheidende Rolle, so daß hierzu nicht eindeutig Stellung genommen zu werden braucht. Die „Inpflichtnahme" durch die Taufe steht jedenfalls außer Zweifel, und der Einwand Hinschius' behält auch demgegenüber sein Gewicht. Papst Johannes XXIII. hat in der Enzyklika „Ad Petri Cathedram" erklärt 161 , er zögere nicht, auch die von der katholischen Kirche getrennten Christen seine Brüder und Söhne zu nennen, und Kardinal Bea hat dies so erläutert: „Durch die Taufe sind ... die getrennten Brüder Glieder des mystischen Leibes Christi geworden und daher Söhne des Papstes, wenn sie auch in der vollen Ausübung ihrer Rechte als Söhne gehindert sind durch ihre äußere Trennung von der Kirche." 162 155 A. a. O. IV, S. 45. Vgl. auch Stehfen, a. a. O. S. 149. Fraglich ist, ob man auf der Anerkennung der Taufe bestehen und dann „Beschwerden gegen die Folgen dieser Anerkennung" erheben kann; vgl. Thijssen a. a. O. S. 88. 156 AAS 35, 1943, pp. 193-248. V51. Dem. 2286. 157 Eichmann /Mörsdorf I, S. 185 ff. Vgl. auch H. Barion, Von der Tragweite des geltenden kanonischen Rechts, in: Festgabe für Joseph Lortz 1958, Bd. I, S. 568 ff. 158 Die Gliedschaft in der Kirche nach der Lehre, der Enzyklika Pius, XII. „Mystici Corporis Christi", in: Schriften zur Theologie II, 2 1956, S. 7 - 9 4 ; früher schon in: Zeitschr. f. kathol. Theol. 69, 1947, S. 129-188. 159 Bedeutet die Exkommunikation Verlust der Kirchengliedschaft?, in: Zeitschr. f. kath. Theol. 73, 1951, S. 1-71. 160 Vgl. insbes. noch Mosiek, Die Zugehörigkeit zur Kirche im Rahmen der Kanonistik, in: Theologie und Glaube 49, 1959, S. 256-268. 161 AAS 51, 1959, p. 515 s. 162 La Civiltä Cattolica v. 10. 12. 1960, 564; deutsche Übersetzung in Una Sancta 16, 1961, S. 28 ff. (30). Vgl. auch Stimmen der Zeit 167,1960/61, S. 296 f.
Zur Problematik der bedingten Taufe
Blickt man, dessen eingedenk, auf die Praxis der Taufe bei Konversionen, so drängt sich die Frage auf: dürfte man nicht ehrlicherweise nur noch von (sit venia verbo) „zweifelhaften" Brüdern und Söhnen sprechen, wenn in der Praxis der Grund dieser Sohn- und Bruderschaft immer wieder angezweifelt wird, ohne daß hierzu genügend Anlaß ist? Müßte dann nicht tatsächlich konsequenterweise vor jeder Anwendung eines verpflichtenden Kirchengesetzes auf einen Acatholicus geprüft werden, ob er gültig getauft ist? Die liebende Suche nach den getrennten Christen vermag jedenfalls nur dann Überzeugungskraft zu gewinnen, wenn man sich unter dem Eindruck solcher selbstkritischer Fragen in wahrer christlicher Brüderlichkeit 163 sorgt um die rechte Ordnung der Konversionen, um die Achtung und Anerkennung der evangelischen Taufe - als eines vestigium ecclesiae und vinculum oecumenicum - auch in der gelebten Ordnung der Kirche.
V. Es ist die Absicht dieser historisch-systematischen Erwägungen zur Problematik der bedingten Taufe, einen Beitrag zu leisten zur öffentlichen Meinung in der Kirche 164 . Sie wurden vorgelegt in der Überzeugung, daß auch für die katholische Kirche, in spezifischer Weise freilich, das Wort von der „ecclesia Semper reformanda" gilt 1 6 5 . Man mag dagegen Bedenken haben 166 ; unbestreitbar aber ist, daß die Katholizität der Kirche stets neu aktualisiert werden muß, daß ihrer institutionellen Ordnung die Fülle der gelebten Wahrheit und Überzeugungskraft nur da zukommt, wo sie auch existentiell in Ordnung ist. So darf die Formel gewagt werden: Ecclesia catholica Semper catholizanda. Ihr verpflichtet, muß für die göttliche Gabe und verpflichtende Aufgabe des unum baptisma im Sinne von Eph. 4, 5 als Voraussetzung für die JtpöoXrjipig, das JtXrjpcojua (Rom. 11, 15/12) eingetreten werden. Das „letzte kirchenrechtlich unzerreißbare Band" 1 6 7 zwischen katholischen und evangelischen Christen darf deshalb nicht verleugnet werden.
Nachbemerkung Für die heutige Rechtslage ist maßgebend c. 869 CIC/1983. Er hat folgenden Wortlaut: 163 Im Sinne von J. Ratzinger, Die christliche Brüderlichkeit, 1960, bes. S. 117-124. 164 Die Ausführungen Pius' XII. hierzu sind wiedergegeben bei Karl Rahner, Die Freiheit in der Kirche, in: Schriften zur Theologie II, 2 1956, S. 113 f. 165 Vgl. Hans Kiing, Konzil und Wiedervereinigung, 1960, S. 18 ff. u. S. 51. Der Ursprung der Formel ist nicht geklärt; vgl. hierzu G. Bärczay, Ecclesia Semper reformanda, 1961, S. 19. 166 G. Maron, Reform und Reformation, in: Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts 12, 1961, S. 41 ff. 167 Erik Wolf, Theol. Lit. Ztg. 1955, Sp. 622. 15 Hollerbach
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„§ 1. Wenn ein Zweifel besteht, ob jemand getauft ist oder ob die Taufe gültig gespendet wurde, der Zweifel aber nach eingehender Nachforschung bestehen bleibt, ist dem Betreffenden die Taufe bedingungsweise zu spenden. § 2. In einer nichtkatholischen kirchlichen Gemeinschaft Getaufte sind nicht bedingungsweise zu taufen, außer es besteht hinsichtlich der bei der Taufspendung verwendeten Materie und Form der Taufworte und ferner bezüglich der Intention eines, der als Erwachsener getauft wurde, und des Taufspenders ein ernsthafter Grund, an der Gültigkeit der Taufe zu zweifeln. § 3. Wenn in den Fällen nach Paragraphen 1 und 2 die Spendung oder die Gültigkeit der Taufe zweifelhaft bleibt, darf die Taufe erst gespendet werden, nachdem dem Täufling, sofern es sich um einen Erwachsenen handelt, die Lehre über das Tauf Sakrament dargelegt wurde und ihm bzw., falls es sich um ein Kind handelt, seinen Eltern die Gründe für die Zweifel an der Gültigkeit der gespendeten Taufe erklärt wurden."
Bemerkungen zum kanonischen Taufrecht I. Unter den Gemeinsamkeiten zwischen evangelischen und katholischen Christen, ja zwischen Christen überhaupt, spielt die Taufe eine so bedeutsame Rolle, daß ihr Stellenwert in den ökumenischen Beziehungen schwerlich überschätzt werden kann1. Die Taufe, so sagt das II. Vatikanische Konzil, begründet „ein sakramentales Band der Einheit zwischen allen, die durch sie wiedergeboren sind" 2 . Sie ist für den Status des Christen schlechthin konstitutiv, sie ist der maßgebende Ausweis für die Zugehörigkeit zum „Volk Gottes", zur „communio fidelium", zur „congregatio sanctorum" oder wie immer man die Wirklichkeit der Kirche terminologisch erfassen mag. „Die Notwendigkeit, die in der Taufe begründete Einheit wieder zu gewinnen, gehört zum Zentrum der ökumenischen Aufgabe und ist entscheidend für die Verwirklichung echter Partnerschaft innerhalb der christlichen Gemeinschaft", so heißt es im Lima-Papier 3. Die Gemeinsame römisch-katholische / evangelisch-lutherische Kommission spricht von der „für Heil und Gemeinschaft grundlegenden Bedeutung der Taufe" 4. Mögen die Fragen und Probleme, die sich hier stellen, im Verhältnis zu denjenigen bei den Themen „Abendmahl" und „Amt" einfach und leicht sein, so sind Theologie, Ordnung und Praxis der Taufe für die Gestaltung des ökumenischen Koordinatensystems doch schlechterdings fundamental. Hier werden Weichen gestellt; hier ist im Blick auf das biblisch begründete gemeinsame altkirchliche Bekenntnis vom „unum baptisma in remissionem peccatorum" ein Stück „Credo" unmittelbar präsent. Es ist deshalb in hohem Maße angezeigt, der Entwicklung des Taufrechts immer wieder Aufmerksamkeit zu schenken und sie in ökumenischer Perspektive zu analysieren. Erstveröffentlichung in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 29 (1984) S. 145-169. 1 Unter diesem Aspekt ist die Theologie der Taufe in den letzten Jahren insbesondere durch Arbeiten von Edmund Schlink gefördert worden: Die Lehre von der Taufe, Kassel 1969; Gottes Handeln durch die Taufe als ökumenisches Problem, KuD 24 (1978) S. 164 ff.; Ökumenische Dogmatik, Göttingen 1983, bes. S. 479 ff. Maßgebend ferner K. Lehmann, Das Verhältnis von Glaube und Sakrament in der katholischen Tauftheologie. Erwachsenen- und Kindertaufe, in: ders., Gegenwart des Glaubens, Mainz 1974, S. 201 ff. 2 „Unitatis Redintegratio" (Dekret über den Ökumenismus), Nr. 22: „Baptismus ... vinculum unitatis sacraméntale constituit vigens inter omnes qui per illum regenerad sunt." 3 Taufe, Eucharistie und Amt. Konvergenzerklärungen der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen, Frankfurt am Main/Paderborn 1982, S. 11. 4 Wege zur Gemeinschaft - Alle unter einem Christus, Paderborn/Frankfurt am Main 1980, S. 32. 15*
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Bemerkungen zum kanonischen Taufrecht
Die Taufe als „nota externa" für das Christsein steht auch an einer Nahtstelle zwischen kirchlichem und staatlichem Recht, wenn und soweit für dieses die Zugehörigkeit zu einer christlichen Religionsgemeinschaft relevant ist; denn dafür ist die Taufe ein konstitutiver Faktor. Zur ökumenischen tritt deshalb die staatskirchenrechtliche Dimension, die das wissenschaftliche und praktische Interesse immer wieder auf das Taufrecht lenkt 5 . In beiden Hinsichten kann der nachfolgende Beitrag über die Ordnung der Taufe nach dem neuen Codex Iuris Canonici 6 allerdings nicht mehr sein als ein erster Versuch der Aufbereitung des Materials, der zu weiterer Erörterung einlädt. Seine Widmung an Günther Wendt soll nicht nur einfachhin ein Zeichen dankbarer Verbundenheit aus langjähriger Zusammenarbeit in den allwinterlichen kirchenrechtlichen Seminaren in Freiburg darstellen; sie hat vielmehr einen spezifischen Grund: Fragen von Taufe und Gliedschaft als Grundelemente kirchlicher Lebensordnung gehören ins Zentrum seines rechtstheologischen und kirchenrechtlichen Interesses 7. II. Sedes materiae sind die Bestimmungen der can. 8 4 9 - 8 7 8 , die - nach dem „ A l l gemeinen Teil" des Sakramentenrechts (can. 8 4 0 - 8 4 8 ) - den 1. Titel des 1. Teils des 4. Buchs über den Heiligungsdienst der Kirche ausmachen. Daß der ganze 5
Grundlegende und zusammenfassende Arbeiten dazu im HdbStKirchR, Bd. I: Mörsdorf, Die Kirchenmitgliedschaft nach dem Recht der katholischen Kirche, a. a. O., S. 615 ff.; A. v. Campenhausen, Die Kirchenmitgliedschaft nach dem Recht der evangelischen Kirche, a. a. O., S. 635 ff.; ders., Staatskirchenrechtliche Probleme der Kirchenmitgliedschaft, a. a. O., S. 645 ff.; ders., Der Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, a. a. O., S. 657 ff. Vgl. auch ders., Staatskirchenrecht, München 19832, bes. S. 142 ff.; ferner Hollerbach, Staatskirchenrechtliche Aspekte der Kindertaufe, in: Kasper (Hrsg.), Christsein ohne Entscheidung oder Soll die Kirche Kinder taufen?, Mainz 1970, S. 225 ff. 6 Unter den bisher vorliegenden Gesamtdarstellungen ist in erster Linie zu verweisen auf das HdbkathKR, Regensburg 1983, und darin auf die Beiträge von Krämer, Die Zugehörigkeit zur Kirche (S. 162 ff.) und Hierold, Taufe und Firmung (S. 659 ff.). Vgl. ferner Schwendenwein, Das neue Kirchenrecht, Graz 1983, S. 321 ff.; Ruf, Das Recht der katholischen Kirche nach dem neuen Codex Iuris Canonici, für die Praxis erläutert, Freiburg 1983, S. 211 ff. Das Taufrecht spielt naturgemäß auch in den folgenden Spezialabhandlungen eine besondere Rolle: Aymans, Ökumenische Aspekte des neuen Gesetzbuches der lateinischen Kirche Codex Iuris Canonici, AkathKR 151 (1982) S. 479 ff.; A. Ebneter, Das neue katholische Kirchenrecht und die Ökumene, ÖR 32 (1983) S. 461 ff. Von evangelischer Seite vgl. Grote, Codex Iuris Canonici recognitus. Seine ökumenischen Bezüge, Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 34 (1983) S. 23 ff., bes. S. 24 f. 7 S. dazu seine Arbeiten: Art. „Paten", in: RGG 3 , Bd. V, Sp. 151 ff.; Art. „Taufe (rechtlich)", a. a. O., Bd. VI, Sp. 656 ff.; Zur kirchenrechtlichen Problematik der Ordnung kirchlichen Lebens, ZevKR 10 (1963/64) S. 101 ff.; Gesamtkirchliche Verankerung des Mitgliedschaftsrechts in den Gliedkirchen der EKD, in: FS Ruppel, Hannover 1968, S. 129 ff.; Bemerkungen zur gliedkirchlichen Vereinbarung über das Mitgliedschaftsrecht in der EKD, ZevKR 16 (1971) S. 23 ff.
Bemerkungen zum kanonischen Taufrecht
Komplex glücklicherweise nicht mehr unter der Generalüberschrift „De rebus" steht, braucht nur mit einem Wort erwähnt zu werden. Aber ist vielleicht nur alter Wein in neue Schläuche gegossen worden? Schon ein äußerer Vergleich zwischen den beiden Codices von 1917 und von 1983 läßt einige Beobachtungen zu, die an die Sache heranführen. Zu den früher 6 allgemeinen Normen des Sakramentenrechts sind 3 hinzugekommen8, darunter der die Taufe unmittelbar betreffende can. 842. Dieser hebt ausdrücklich hervor, daß die Taufe die conditio sine qua non für den gültigen Empfang der übrigen Sakramente ist (§ 1), und verschafft einer vom II. Vatikanischen Konzil aufgenommenen 9 Erkenntnis der neueren Sakramententheologie Geltung, wonach Taufe, Firmung und Eucharistie als Initiationssakramente in einem engen inneren Zusammenhang stehen (§ 2). Der Titel über die Taufe selbst10 ist demgegenüber durch eine Tendenz zur Straffung und Verringerung des Stoffs gekennzeichnet. Zählte man 1917 insgesamt 43 canones, so kommt man jetzt mit 30 aus. Das Bestreben, solche Vorschriften zu eliminieren, „quae non congruunt disciplinae iuridicae et casuisticam sapiunt" 11 , hat sich hier positiv niedergeschlagen, wobei übrigens die Stoffreduktion im Abschnitt über die Paten am stärksten zu Buche schlägt (nur noch drei gegenüber acht canones). Das Bemühen um Straffung und sachlogische Stringenz war wohl auch maßgebend bei der Veränderung der systematischen Untergliederung des Tauftitels in jetzt 5 gegenüber bisher 6 Abschnitten. Nach einer (damals wie heute) außerhalb bzw. vor der Einteilung in Abschnitte plazierten Grundaussage (can. 849) wird richtigerweise an erster Stelle „de baptismi celebratione" gehandelt (can. 850860) und dabei zusammengezogen, was früher in caput III („De ritibus et caeremoniis baptismi") und caput V („De tempore et loco baptismi conferendi") auseinandergerissen war. Es folgen die Abschnitte über den Spender (can. 861-863) und den Empfänger der Taufe (can. 864-871), wobei man aber (wie auch entsprechend bei den anderen Sakramenten) rechtssprachlich dem mißverständlichen „subiectum" den Abschied gegeben hat und einfach von „de baptizandis" spricht. Alte und neue Systematik treffen sich dann wieder in caput IV über die Paten (can. 872-874). Den Schlußabschnitt bilden (mit lediglich veränderter Reihen8 Der ökumenisch relevante can. 844 statuiert ein grundsätzliches Verbot der Sakramentengemeinschaft, verweist aber in § 1 selbst auf den Sondertatbestand des can. 861 § 2 aus dem Taufrecht, wonach im Notfall nicht nur ein Katholik die Taufe gültig spenden kann, und normiert in den § § 2 - 5 bedeutsame, wenn auch noch eng umschriebene Ausnahmen von dem Verbot für die Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung. Im einzelnen vgl. dazu Kaiser, Ökumenische Gottesdienstgemeinschaft, in: HdbkathKR, S. 643 ff. 9
Vgl. dazu „Ad Gentes" (Missionsdekret), Nr. 14. Der neue Codex gebraucht durchgängig das Wort „baptismus", während im alten - außerhalb des Taufrechts - auch „baptisma" vorkam; vgl. dazu Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Iuris Canonici, 1937 (Ndr. Paderborn 1967), S. 208. 11 Communicationes 3 (1971) S. 200. Die Vermeidung unangemessener Kasuistik zeigt sich besonders deutlich im ersatzlosen Wegfall der can. 746 und 748 CIC 1917. 10
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Bemerkungen zum kanonischen Taufrecht
folge in Überschrift und Anordnung) die Vorschriften über den Nachweis und die Eintragung der Taufspendung (can. 874-878). Für die Aussagen über die Taufe gibt es im Codex neben dem Abschnitt im Sakramentenrecht allerdings noch zwei bedeutsame Nebenzentren, die deutlich machen, daß durch die Taufe der Grundstatus des Christen bestimmt wird, und die so gewissermaßen die Scharniere zur Ekklesiologie bilden. Da ist einmal - in der Nachfolge des berühmten can. 87 CIC 1917 - can. 96 am Beginn der Bestimmungen über die natürlichen und juristischen Personen in Buch I; zum anderen sind es die in dieser Form neuen Grundaussagen über die Gläubigen, die Kirche und deren Einheit in den can. 204 und 205 am Anfang von Buch II. Hier kommt, schon an der Systematik ablesbar, der Tatbestand der Taufe in seiner verfassungsrechtlichen und - folgeweise - seiner ökumenischen Qualität und Bedeutung nachdrücklich zum Vorschein. Darüber hinaus gibt es selbstverständlich, über den Codex verstreut, vielfältige Bezugnahmen auf die Taufe. Davon wird, soweit erforderlich, in dem jeweiligen sachlichen Zusammenhang die Rede sein.
III. Es ist hier weder der Ort noch überhaupt auch schon die Zeit, im Vergleich der beiden Gesetzgebungswerke und im Hinblick auf die konkrete Entstehungsgeschichte12 des neuen Codex im einzelnen „Textstufen"-Forschung zu betreiben. Doch kann diese Perspektive auch schon jetzt dazu beitragen, hilfreiche Gesichtspunkte für Verständnis und Interpretation der neuen Normen ans Licht zu bringen. Das sei hier ansatzweise zunächst für den Grund-Canon 849 versucht. Geht man hierfür von can. 737 § 1 CIC 1917 aus, so zeigt sich schon diese Bestimmung als mehrschichtige Rechtsnorm 13. Sie hat ihren für den äußeren Rechtsbereich unmittelbar rechtsnormativ wirkenden Kern in der Festlegung der Voraussetzungen für die Gültigkeit der Taufspendung als solcher. Sodann aber (2.) bringt sie in der Tendenz, ein wichtiges Motiv für die traditionelle Taufpraxis namhaft zu machen, ein Stück Tauf-Theologie ein, freilich nur den Gesichtspunkt der Heilsnotwendigkeit der Taufe; ferner (3.) bestimmt sie den Ort der Taufe im Gefüge der Sakramente und damit zugleich eine wesentliche Voraussetzung für die Gültigkeit der Spendung aller übrigen Sakramente. 12
Zur Entstehungsgeschichte vgl. jetzt die zusammenfassende Skizze von H. Schmitz, Der Codex Iuris Canonici von 1983, in: HdbkathKR, S. 38 ff. Im folgenden wird vereinfachend der 1975 von der Päpstlichen Kommission erarbeitete Entwurf „Schema I " genannt, der 1980 bekanntgewordene Gesamtentwurf, der sich nach der Auseinandersetzung mit den Stellungnahmen der Bischofskonferenzen und anderen Institutionen ergab, „Schema II". 13 „Baptismus, Sacramentorum ianua ac fundamentum, omnibus in re vel saltem in voto necessarius ad salutem, valide non confertur, nisi per ablutionem aquae verae et naturalis cum praescripta verborum forma."
Bemerkungen zum kanonischen Taufrecht
Daß in Vorschlägen zur Neufassung die Kernschicht in der Substanz nicht verändert sein würde, war klar. Dagegen hat sich in Schema I eine interessante Veränderung hinsichtlich der anderen Schichten vollzogen 14 . Die Bezugnahme auf die Heilsnotwendigkeit der Taufe verschwand völlig, hingegen wurden zwei Wirkungen der Taufe mit rechtlicher Konsequenz aufgenommen, nämlich die Einprägung eines „character indelebilis" und die Eingliederung in die Kirche. Die dritte Sinnschicht wiederum erscheint lediglich in einer formal-numerischen Bestimmung, daß nämlich die Taufe das erste aller Sakramente sei. Die weltweite Konsultation und die weitere Diskussion15 haben schließlich zu einer Kombination aller aus dem CIC 1917 und dem Schema I stammenden SinnElemente geführt, ja zwei weitere hinzugefügt, nämlich die Befreiung von den Sünden und die Wiedergeburt. Der schon in Schema II gefundene endgültige Text ist dadurch komplexer geworden; er vermeidet dadurch aber auch die Selektion unter den Faktoren, die das theologische Fundament, die Zielrichtung und die geistlich-rechtlichen Wirkungen der Taufe ausmachen. Das dürfte auch für das ökumenische Gespräch eher hilfreich sein. Dabei bleibt bemerkenswert, daß in Abweichung von der alten Doppelformel nur noch von „ianua sacramentorum" die Rede ist; „fundamentum sacramentorum": das wäre nach neuerem Verständnis eher auf die Kirche als solche zu beziehen. Man wird auch nicht übersehen, daß die Aussage über die Heilsnotwendigkeit ohne das tendenziell ausschließende bzw. „vereinnahmende" „omnibus" auskommt und so einem verengten Verständnis keine Nahrung mehr gibt. Schließlich hat man wohl um der Nähe zur Bibel willen im Anschluß an Eph 5, 26 und Tit 3, 5 „ablutio" durch „lavacrum" ersetzt. Es bleibt natürlich das Grundproblem richtiger rechtstheologischer Sprachgestaltung und kanonistischer Begrifflichkeit. Man wird es im Interesse konstruktiver Weiterarbeit künftig wohl in besonderem Maße im Auge behalten müssen. Die Diskussion darüber wird auch zu beachten haben, zu welchen Lösungen das evangelische Kirchenrecht, hier insbesondere in Gestalt der Lebensordnungen16, gekommen ist.
14 Can. 9 § 1 Schema I: „Baptismus, primum quidem omnium sacramentorum, quo homines indelebili charactere Christo configurantur atque Ecclesiae incorporantur, valide confertur tantummodo per ablutionem aquae verae cum debita verborum forma." 15 Vgl. im einzelnen dazu Communicationes 13 (1981) S. 213 f. 16 Vgl. dazu im allgemeinen Wendt, Zur kirchenrechtlichen Problematik (Anm. 7); ferner jetzt die wichtige Arbeit von Plathow, Lehre und Ordnung im Leben der Kirche heute, Göttingen 1982. Beispielshalber sei die Grundaussage der in der Ev. Landeskirche in Baden durch Gesetz vom 29. April 1955, GVB1. S. 22, eingeführten Kirchlichen Lebensordnung „Die Heilige Taufe" zitiert: „Die Kirche tauft im Gehorsam gegen den Befehl Jesu Christi. In der Heiligen Taufe nimmt der Dreieinige Gott selbst den Menschen an sich, löst ihn vom Fluch der Sünde und des Todes, wendet ihm als seinem Kinde alle guten Gaben zu und gliedert ihn seiner Gemeinde ein. Dies will vom Getauften täglich neu in Dankbarkeit geglaubt und in tätiger Liebe bezeugt werden." Es folgt ein Zitat aus Mk 16, 16. Dem Ganzen vorangestellt ist der Text Mt 28, 19 - 20.
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IV. Folgt man der neugeordneten Systematik des kodikarischen Taufrechts, so dürfen aus der Perspektive dieser Abhandlung unter den Bestimmungen über die Feier der Taufe sogleich mehrere besondere Aufmerksamkeit beanspruchen. 1. In der Festlegung der näheren Ausgestaltung des rituellen oder agendarischen Vollzugs der trinitarischen Wassertaufe hält sich der Codex zwar zurück und verweist auf die liturgischen Bücher (can. 850) 17 . Doch fällt eine deutliche Abweichung vom „ius vetus" auf: Gem. can. 854 ist, nach näherer Maßgabe von Vorschriften der Bischofskonferenz, die Taufe durch Untertauchen oder durch Übergießen zu spenden, mithin als Immersions- oder Infusionstaufe. Die Taufe durch Besprengen, die Aspersionstaufe, hat in der kanonistischen Ordnung keinen Platz mehr, auch nicht übrigens im Fall der Nottaufe. Der alte Codex (can. 758) 18 hatte zwar auch schon den beiden erstgenannten Formen den Vorzug gegeben, aber die Aspersionstaufe doch ausdrücklich als dritte mögliche Form genannt und sie nicht in die Illegitimität verwiesen. Wenn das kanonische Recht damit die Neuordnung der Taufliturgie bestätigt hat, so unterstreicht es die im Vergleich zum evangelischen Taufverständnis strengere Linie der katholischen Sakramentstheologie. Das wird für die ökumenischen Beziehungen, insbesondere für die Anerkennungsfrage, nicht außer Betracht bleiben können. Zwar sagt etwa die Lebensordnung der Badischen Landeskirche eindeutig, daß die trinitarische Formel zu verwenden und das Haupt des Täuflings dreimal mit Wasser zu übergießen ist 1 9 , doch - so jedenfalls in den Worten von Albert Stein 20 - ist nach evangelischer Auffassung „zwar der Gebrauch von Wasser, aber nicht eine bestimmte Form des Untertauchens, Besprengens oder Begießens Voraussetzung der Gültigkeit der Taufe, ebensowenig wie der wörtliche Gebrauch einer bestimmten Formel bei der Anrufung Gottes". Indes ist es der gleiche Autor, der - zwar „nicht aus Sorge um die Gültigkeit des Sakraments, wohl aber aus ökumenischer Verantwortung" - von den evangelischen Kirchen größere Formstrenge, d. h. wirkliche Abwaschung unter gleichzeitiger Verwendung der trinitarischen Formel fordert, und man kann nur lebhaft unterstreichen, was er dazu anführt: „Würden wir nämlich hinter diesen Forderungen in unserem eigenen Taufhandeln zurückbleiben, so würden wir damit nur wieder die Gefahr der Nichtanerkennung unserer Taufen durch die Nachbarkirche heraufbeschwören. Der heute erreichte Verzicht römisch-katholischer Bischofskonferenzen auf eine grundsätz17 „Ordo Baptismi Parvulorum" (1969); entsprechend: „Die Feier der Kindertaufe" (1971). „Ordo Initiationis Christianae Adultorum" (1971); entsprechend: „Die Feier der Eingliederung Erwachsener in die Kirche" (1975). Vgl. im übrigen die Angaben dazu bei Hierold, a. a. O. (Anm. 6), S. 660. 18
Vgl. dazu im einzelnen Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. II, München 196711, S. 20. Text abgedr. in: Niens (Hrsg.), Das Recht der Evangelischen Landeskirche in Baden, Bd. II, Nr. 32. 19
20 A. Stein, Evangelisches Kirchenrecht, Neuwied 1980, S. 50. Strenger indes Erik Wolf, Ordung der Kirche, Frankfurt am Main 1961, S. 531.
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liehe ,bedingte Taufe 4 evangelischer Konvertiten ist durch das Vertrauen darauf erreicht worden, in der evangelischen Kirche werde ihren Agenden entsprechend ausnahmslos in einer auch für die katholische Kirche zureichenden Weise getauft." 21 Umgekehrt sollte freilich die im Prinzip berechtigte Strenge der katholischen Taufordnung nicht umschlagen in rubrizistische Enge und Ängstlichkeit. 2. Im Vergleich zum alten Codex ist eine absolute Novität die Einführung einer Bestimmung über die angemessene Taufvorbereitung in das Taufrecht (can. 851). Begründet in dem erneuerten Bewußtsein vom unauflöslichen Zusammenhang von Taufe und Glaube bzw. vom Zusammenhang der Taufe mit den anderen Sakramenten der Initiation 22 , hat die Taufvorbereitung damit auch einen juridischen Stellenwert bekommen. Sie ist nicht nur eine Einrichtung pastoraler Zweckmäßigkeit. Das zeigt sich besonders deutlich im Fall der Erwachsenentaufe (can. 851 n.l); denn hier führt der Wunsch, die Taufe zu empfangen, zur Aufnahme in den Katechumenat, zur Begründung also eines spezifischen Rechtsstatus, der dem Status des Getauften vorgelagert und auf diesen hingeordnet ist. Die dafür maßgebende allgemeine Grundnorm des can. 206 zieht die Konsequenz aus Weisungen des II. Vatikanischen Konzils 23 . Aber auch im Fall der Kindertaufe (can. 851 n. 2) werden an die Adresse der Eltern, der Paten und der Seelsorger deutliche Verpflichtungen ausgesprochen. Zwar ist eine entsprechende Taufvorbereitung nicht im strengen Sinn Voraussetzung für die Gültigkeit der Taufspendung, wohl aber für deren Erlaubtheit, insofern sie ein wesentliches Element für die Urteilsbildung des Taufspenders darüber darstellt, ob eine begründete, wie die Juristen auch sagen: eine substantiierte Hoffnung darauf besteht, daß das Kind in der katholischen Religion erzogen wird (can. 868 § 1 n. 2). Insofern ist die Verpflichtung zur Taufvorbereitung sogar sanktionsbewehrt. Auch hier ist übrigens ein Blick in das evangelische Kirchenrecht nützlich: Taufgespräch und Taufseminare erscheinen hier als Hilfen zur Taufvorbereitung, der großes Gewicht beigemessen wird 2 4 . 3. Ein grundsätzlicher Gleichklang zwischen katholischem und evangelischem Kirchenrecht ergibt sich auch in der ekklesiologisch und pastoraltheologisch wohlbegründeten Tendenz, Haus- und Kliniktaufen gegenüber der Taufe in der (Pfarr-)Kirche zurückzudrängen. „Haus- und Kliniktaufen sind auf dringende Notfälle zu beschränken", sagt die Lebensordnung der Badischen Landeskirche 25. Der 21 A. Stein, a. a. O., S. 51. 22 Vgl. dazu vor allem K. Lehmann, a. a. O. (Anm. 1). Vgl. auch Auf der Maur/Kleinheyer (Hrsg.), Zeichen des Glaubens. Studien zu Taufe und Firmung, 1972; Jorissen/H. B. Meyer, Die Taufe der Kinder, 1972. 23 Vgl. dazu Stoffel, Der missionarische Auftrag, in: HdbkathKR (Anm. 6), S. 552; ferner Hierold, a. a. O. (Anm. 6), S. 661, 666. 24 Badische Lebensordnung (Anm. 19), Ziff. 5: „Die Eltern sollen ihr Kind rechtzeitig vor dem Tauftag persönlich anmelden. Der Pfarrer führt mit ihnen das Taufgespräch. Taufseminare können das Taufgespräch vorbereiten und vertiefen und in der Gemeinde das Verständnis der Taufe fördern." 25 Lebensordnung Baden, Ziff. 7.
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Codex läßt selbstverständlich die Nottaufe auch in Privathäusern und in Krankenhäusern zu. Im übrigen aber differenziert er. Eine Haustaufe bedarf einer ausdrücklichen Erlaubnis des Ortsordinarius, die dieser aber nur aus schwerwiegendem Grund geben darf (can. 860 § 1). In Krankenhäusern darf - außer im Notfall auch „aus einem anderen zwingenden seelsorgerlichen Grund" die Taufe gefeiert werden - hier bedarf es also nicht der Erlaubnis des Ortsordinarius im Einzelfall; andererseits kann dieser in der generellen Zulassung weiter gehen (can. 860 § 2). Es scheint, als ob hier mit Rücksicht auf gewisse Traditionen und auch die Existenz katholischer Krankenhäuser die Strenge in der Verfolgung der Tendenz auf Zurückdrängung von Haus- und Kliniktaufen etwas nachgelassen hätte.
V. Die Regeln über den Spender der Taufe tragen in zwei Punkten neueren, vom II. Vatikanischen Konzil sanktionierten Entwicklungen Rechnung. Zum einen erscheint der Diakon 26 neben dem Bischof und dem Priester in der Reihe der ordentlichen Taufspender nach can. 861 § 1. Zum andern wird als außerordentlicher Spender ausdrücklich der Katechist genannt, eine vor allem aus den Missionsgebieten bekannte Figur aus der Ordnung kirchlicher (Laien-)Dienste, die jetzt mit can. 785 auch im allgemeinen Kirchenrecht einen Ort gefunden hat 27 . Darüber hinaus kann es aber auch ohne Bindung an das Amt des Katechisten die spezielle Beauftragung eines Laien (und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt) mit dem Dienst des Taufens geben - eine Möglichkeit, die auch can. 230 § 3 ausdrücklich vorsieht, dort im Zusammenhang mit der Normierung eines Katalogs von spezifischen Laienrechten und -pflichten 28 . Die grundsätzliche Bindung der Wahrnehmung von Regiminal- bzw. Jurisdiktionsgewalt an das geweihte Amt (can. 129 § l ) 2 9 erfährt hier eine bemerkenswerte Durchbrechung, von der vor allem angesichts der grundlegenden rechtlichen Bedeutung der Taufe fraglich sein dürfte, ob sie, wie das can. 129 § 2 nahelegt, nur als Mitwirkung bei der Ausübung sachgemäß qualifiziert werden kann. Geht es hier nicht wirklich um substantielle Teilhabe? Für den Fall der Nottaufe bleibt das kanonische Recht auf der Linie der alten, letztlich auf den Ketzertaufstreit 30 zurückführenden Tradition, daß jedweder 26 Zur allgemeinen Problematik vgl. Schwendenwein, Der ständige Diakon, in: HdbkathKR, S. 229 ff. 27 Vgl. dazu Stoffel a. a. O. (Anm. 23), S. 551. 28
Vgl. dazu Kaiser, Die Laien, in: HdbkathKR, S. 188 f. Zu dieser Problematik vgl. Krämer, Die geistliche Vollmacht, in: HdbkathKR, S. 127; Aymans, Die Träger kirchlicher Dienste, a. a. O., S. 193 f. 29
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Vgl. dazu zuletzt wieder Schlink, Ökumenische Dogmatik, a. a. O. (Anm. 1), S. 487 f. Im übrigen wurde für die Tradition maßgebend das 1439 auf dem Konzil von Florenz unter Eugen IV. erlassene „Decretum pro Armeniis": Der Spender dieses Sakraments ist der Prie-
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Mensch („quilibet homo") die Taufe gültig und erlaubt spenden darf, sofern er sie nach Materie und Form ordnungsmäßig und in der erforderlichen Intention vollzieht, er also dasjenige tun will, was die Kirche nach dem Taufbefehl Jesu tut (can. 861 § 2). Das ist ein zwar nicht ausreichendes, gleichwohl aber nicht unwesentliches Element für die Begründung der Anerkennung der Gültigkeit einer außerhalb der katholischen Kirche und nicht von einem ihrer Amtsträger gespendeten Taufe. Gegenüber der positiven Aussage im Ökumenismus-Dekret freilich, wonach gerade die Taufe zu den Gnadengaben gehört, die auch außerhalb der Grenzen der katholischen Kirche vorhanden sind 31 , mag die Berufung darauf sogar eher als eine positivistische Krücke erscheinen. Aber ist es gerechtfertigt, die Vollmacht zur Taufe im Notfall sogar von der Voraussetzung des eigenen Getauftseins des Spenders zu lösen? Die evangelischen Kirchen sind der altkirchlichen Tradition nicht in der äußersten Konsequenz und Radikalität gefolgt, wie sie für das kanonische Recht typisch ist. „Bei drohender Lebensgefahr des Täuflings kann jeder erwachsene Christ die Taufe vollziehen (Nottaufe)", so heißt es in der Lebensordnung der Badischen Landeskirche 32. Die Befähigung zur Taufe gründet danach im Priestertum aller Gläubigen33. Der Kanonist kann diese Frage nicht lösen. Immerhin ist darauf hinzuweisen, daß in den liturgischen Vorschriften das Problem gesehen worden ist und dort zu einer Differenzierung geführt hat: „Wenn kein Priester oder Diakon da ist, kann bei Lebensgefahr, besonders wenn es sich um akute Lebensgefahr handelt, jeder Gläubige, ja jeder Mensch, der die rechte Absicht hat, die Taufe spenden; zuweilen ist er dazu sogar verpflichtet. Wenn es sich lediglich um eine entferntere Lebensgefahr handelt, soll - wenn möglich - ein gläubiger Christ das Sakrament spenden .. ." 3 4 . Es wäre zu wünschen, daß diese sachgemäße und nicht in schlechtem Sinne kasuistische Abstufung auch im Recht des Codex Niederschlag findet. Für die Interpretation des can. 861 § 2 ist sie gewiß schon jetzt von Belang.
VI. Wie oben am Beispiel des can. 849 gezeigt worden ist, gibt es im neuen Codex Fälle, in denen gewissermaßen eine theologische Anreicherung stattgefunden hat. ster, dem es von Amts wegen zusteht zu taufen. Im Notfall aber kann nicht nur ein Priester und Diakon, sondern auch ein Laie, eine Frau, ja sogar ein Heide und Irrgläubiger taufen, wenn er nur die Form der Kirche einhält und das tun will, was die Kirche tut; lat. Text abgedr. in: Denzinger/Schönmetzer, Enchiridion Symbolorum, Nr. 1315. 31 „Unitatis Redintegratio" (Anm. 2), Nr. 3, 22. 32 Lebensordnung Baden (Anm. 19), Ziff. 2; vgl. auch Ziff. 8. 33 Dieser Gesichtspunkt wird von Wendt, Art. „Taufe (rechtlich)" (Anm. 7), Sp. 656, betont. 34 „Die Feier der Kindertaufe" (Anm. 17), Nr. 27 der Vorbem.; in Übereinstimmung mit Nr. 16 der Praenotanda Generalia zu „De Initiatione Christiana".
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Man trifft aber auch auf gegenläufige Beispiele. So verzichtet der Eingangscanon (can. 864) zum Abschnitt über den Empfänger der Taufe auf die schöne Formel vom „homo viator" aus can. 745 § 1 CIC 1917. Sie hatte eine umfassendere Dimension immerhin anklingen lassen und hätte im übrigen gut zu der Konzeption von der Initiation, also dem Stufengang der Einführung in den christlichen Glauben, gepaßt. Deshalb wird man die Reduktion auf „homo" eher bedauern, auch wenn einzuräumen ist, daß eine angemessene Übersetzung dieser Wendung wohl besondere Schwierigkeiten gemacht hätte. 1. In der systematischen Anordnung des Stoffs in diesem Abschnitt stellt der Codex zwar im Unterschied zu 1917 die Normen über die Erwachsenentaufe voran (can. 865, 866), aber nach wie vor entspricht die Kinder- oder Säuglingstaufe als Normal- und Regelfall der vom kanonischen Recht vorausgesetzten „Lebensordnung". Es ist indes bezeichnend, daß die Glaubenskongregation im Jahr 1980 sich veranlaßt gesehen hat, sich mit theoretischen und praktischen Einwänden dagegen auseinanderzusetzen35. Dabei wurden die Verwurzelung der Kindertaufe in der altkirchlichen Tradition, der Geschenk-Charakter der Taufe, aber auch ihr Wesen als sacramentum fidei stark hervorgehoben. In Anbetracht dessen unterliegen die Eltern einer entsprechenden Verpflichtung, wobei aber das „quamprimum" des can. 770 CIC 1917 in die Bestimmung „intra priores hebdomadas" abgemildert wurde (can. 867 § 1). Diese Verpflichtung der Eltern ist ein wesentliches Teilstück ihres fundamentalen „Pflichtrechts" zu christlicher Erziehung, das jetzt in can. 226 § 2 eine klare kanonistische Grundlage gefunden hat 36 . Der Gesetzgeber sieht diese Verpflichtung für so schwerwiegend an, daß er sich entschlossen hat, sie in Anlehnung an den alten can. 2319 § 1 n. 3 und 4 mit einer Strafsanktion zu bewehren (can. 1366): „Eltern oder solche, die Elternstelle vertreten, welche die nichtkatholische Taufe oder Erziehung ihrer Kinder veranlassen, sollen mit einer Beugestrafe oder einer anderen gerechten Strafe belegt werden." 37 Diese Norm hat im Hinblick auf Mischehen38 naturgemäß erhebliche Irritationen ausgelöst. Wenn aber der gleiche Gesetzgeber die normalerweise bestehende kategorische Verpflichtung des Katholiken zu katholischer Taufe und Erziehung 35 Instructio de baptismo parvulorum" vom 20. Oktober 1980, AAS 62 (1980) S. 1137 ff.; auch abgedr. in: Communicationes 13 (1981) S. 26 ff. Vgl. auch die Pastorale Anweisung der Deutschen Bischofskonferenz an die Priester und Mitarbeiter im Pastoralen Dienst vom 12. Juli 1979 über die rechtzeitige Taufe der Kinder, abgedr. In AkathKR 148 (1979) S. 466 ff. 36 Vgl. dazu auch Kaiser, Die Laien (Anm. 28), S. 188. Im übrigen s. insoweit auch can. 793, 1136. 37 Die Einfügung einer solchen Strafbestimmung wurde in der Sitzung vom 7. Mai 1977 einstimmig befürwortet (Communicationes 9 [1977] S. 319), aber ohne daß ihre Anwendbarkeit auf Mischehen diskutiert worden wäre. Im übrigen vgl. dazu Ebneter, a. a. O. (Anm. 6), S. 471. 38 Vgl. dazu insgesamt jetzt H. Heinemann, Die konfessionsverschiedene Ehe, in: HdbkathKR (Anm. 6), S. 796 ff., bes. S. 805 f.
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seiner Kinder im Fall der Mischehe auf die Verpflichtung zurücknimmt, alles in seinen Kräften Stehende zu tun, damit alle Kinder in der katholischen Kirche getauft und katholisch erzogen werden (can. 1125 n. 1), dann würde er, wollte er die Strafsanktion auch darauf beziehen, den Normzweck der Mischehenregelung ganz wesentlich verfehlen. Denn hinter dem „pro viribus" steht nicht nur die Ermächtigung, die faktische Situation zu berücksichtigen, sondern steht vor allem auch die Respektierung der Gewissensfreiheit des anderen Partners mit dem Ziel, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Die Strafdrohung steht dem entgegen, weil sie das Gleichgewicht verschiebt und jedenfalls eine Belastung und Störung bedeutet, die durch das neue Mischehenrecht, wie es 1970 eingeführt wurde, gerade beseitigt werden sollte. Schon aus Gründen der Logik kann man nicht annehmen, daß der Gesetzgeber mit der einen Hand etwas geben wollte, um es mit der anderen wieder zu nehmen. Richard A. Strigl ist deshalb voll zuzustimmen, wenn er ausdrücklich erklärt, die Bestimmung des can. 1366 könne sich nur auf Kinder einer rein katholischen Ehe beziehen39. 2. Die Pflicht katholischer Eltern, ihre Kinder taufen zu lassen, wiegt zwar schwer, aber die Spendung der Taufe setzt allemal ihre freie Taufbitte voraus. Deshalb gehört es zur Erlaubtheit der Taufe, daß die Eltern zustimmen; nach der Wortfassung des can. 868 § 1 n. 1 soll freilich auch die Zustimmung auch nur eines Elternteils (gleichgültig ob Vater oder Mutter) genügen. Diese Regelung erscheint äußerst bedenklich; sie stimmt nicht zusammen mit can. 226 § 2 einerseits, can. 1136 andererseits, wo zu Recht von einer Gleichberechtigung und Gleichverpflichtung der Elternteile ausgegangen wird 4 0 . Jedenfalls aber ergeben sich unter 39 Strigl, Die einzelnen Straftaten, in: HdbkathKR, S. 944. Andere Autoren gehen von einer prinzipiellen Anwendbarkeit des can. 1366 auf den Fall der Mischehe aus, betonen aber die gebotenen Einschränkungen. Nach H. Heinemann , a. a. O., S. 806, kann die Strafe nur dann verhängt werden, wenn der katholische Teil nicht das ihm Mögliche tut, für die katholische Taufe und Erziehen seiner Kinder zu sorgen; er betont außerdem, daß die Strafe nicht automatisch eintrete, sondern verhängt werden müsse. Ruf, a. a. O. (Anm. 6), S. 358, formuliert: „Die Straftat liegt sicher nicht vor, wenn in einer konfessionsverschiedenen Ehe trotz des ernsthaften Versprechens des katholischen Partners gemäß can. 1125 n. 1 die Kinder nicht katholisch getauft oder erzogen werden, weil die Kräfte des Katholiken zur Verwirklichung des Versprechens nicht ausreichen. Möglicherweise ist der Tatbestand aber erfüllt, wenn ein Katholik das Versprechen unaufrichtig abgibt, um die Befreiung vom Eheverbot oder die Dispens von der kanonischen Formpflicht zu erhalten, aber keinerlei Mühen aufwendet, das Versprechen zu realisieren." Für Aymans, Ökumenische Aspekte (Anm. 6), S. 488 f., kommt can. 1366 allenfalls dann zum Zuge, wenn der katholische Partner „offenkundig leichtfertig gehandelt hat"; außerdem wird darauf abgehoben, dass mit dem lateinischen Begriff „tradunt" ein aktives Handeln zum Ausdruck gebracht wird. Man darf wohl nicht zuletzt auch an die allgemeinen Voraussetzungen für kirchliches Strafen erinnern: Die Norm Verletzung muß „graviter imputabilis" sein (can. 1321 § 1); vorsätzliches Handeln (was hier vorausgesetzt ist) geschieht „deliberate" (can. 1321 § 2). Vgl. zum Ganzen auch die kritischen Erwägungen von Zapp, Kanonisches Eherecht, Freiburg 19836, S. 216. 40 Zu den hier anstehenden Grundsatzproblemen im Vergleich mit dem weltlichen Recht eindrucksvoll Neuhaus, Ehe und Kindschaft in rechtsvergleichender Sicht, Tübingen 1979, bes. S. 273 ff. In bezug auf das interrituelle Recht ist übrigens can. 111 zu beachten. Danach
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staatskirchenrechtlichem Gesichtspunkt Schwierigkeiten. In der Bundesrepublik Deutschland steht die elterliche Sorge beiden Ehepartnern zu (§ 1626 BGB); die Alleinentscheidung eines Elternteils könnte nur insoweit anerkannt werden, als sie nach staatlichem Recht überhaupt zulässig ist 41 . 3. Einen besonders sperrigen Brocken legt das neue Taufrecht mit seinem can. 868 § 2 dem Interpreten und Rechtsanwender in den Weg: „In Todesgefahr wird ein Kind katholischer, ja sogar auch nichtkatholischer Eltern auch gegen den Willen der Eltern erlaubt getauft." Hier feiert der alte, freilich nur auf das „infans infidelium" bezogene can. 750 § 1 CIC 1917 fröhliche Urständ. Dabei schien von allem Anfang an nichts selbstverständlicher als dies, daß - ganz abgesehen von einem besseren und weniger ängstlichen Verständnis vom Schicksal ungetauft sterbender Kinder 42 - auf alle Fälle das Recht auf Religionsfreiheit und das Elternrecht anerkannt werden müßten, daß mithin alles zu vermeiden sei, was als Zwangstaufe gedeutet werden könne. Schon in dem ersten Bericht über die Kommissionsarbeit wird hervorgehoben, daß ein Kind in Todesgefahr nicht getauft werden darf, wenn beide Eltern oder diejenigen, die die Elternstelle vertreten, ausdrücklich dagegen sind 43 . So war denn auch can. 16 Schema I gefaßt 44. In den „Praenotanda" dazu wurde ausdrücklich auf diese Änderung gegenüber can. 750 § 1 CIC 1917 hingewiesen und eindrucksvoll dazu Stellung genommen. Der Grund für diese Änderung liege darin, „quia actus fidei ipsa sua natura voluntarius est et requirit ut homo rationabile liberumque Deo praestet fidei obsequium (cfr. Conc. Vat. II, Deel. Dignitatis humanae, n. 10), et quia talem actum voluntarium ponere potest aut ipse baptizandus, si est adultus, aut eiusdem loco eius parentes, qui nempe lege naturali eiundem, si ipse non iam agere valeat, repraesentant, eiusdem ist bei der Kindertaufe grundsätzlich der gemeinsame Wille der Eltern maßgebend; fehlt eine Einigung, so soll das Kind dem Ritus des Vaters angehören (§ 1). Bei der Erwachsenentaufe ist das Prinzip der freien Rituswahl anerkannt; insoweit ist allerdings die Taufmündigkeit auf 14 Jahre festgesetzt (§ 2). Vgl. dazu Krämer, Die Zugehörigkeit (Anm. 6), S. 167. 41 Zu weiteren damit zusammenhängenden Fragen vgl. Hollerbach, a. a. O. (Anm. 5), S. 232 ff., ferner A. v. Campenhausen, Staatskirchenrechtliche Probleme (Anm. 5), S. 648 f. 42 Ohne diesen Fragenkreis hier ausschöpfen zu können, sei auf den Beschluß der Gemeinsamen Synode über „Schwerpunkte heutiger Sakramentenpastoral", abgedr. in: Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Offizielle Gesamtausgabe I, Freiburg 1976, S. 227 ff., verwiesen, wo es unter Ziff. 3.1.5 (a. a. O., S. 253) heißt: „In jedem Fall ist dem Kind in Lebensgefahr die Nottaufe zu spenden. Aber auch wo dies nicht geschieht, haben wir das zuversichtliche Vertrauen, daß auch solche Kinder in den allgemeinen Heilswillen Gottes eingeschlossen sind und das Heil erlangen. Diese Hoffnung kommt auch in dem kirchlichen Begräbnis solcher Kinder zum Ausdruck." Vgl. im übrigen dazu auch: Pastorale Hinweise der Deutschen Bischofskonferenz vom 18. August 1976 zur Spendung der Nottaufe, abgedr. in: AkathKR 145 (1976) S. 534 ff. 43 Communicationes 3 (1971) S. 200. 44 „Infans, sive parentum catholicorum sive etiam non catholicorum, qui in eo versetur vitae discrimine ut prudenter praevideatur moriturus antequam usum rationis attingat, licite baptizatur dummodo non sint expresse contrarii ambo parentes aut qui legitime eorundem locum tenent".
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officia atque iura exercentes" 45. Später hat es insoweit dann offenbar eine Verunsicherung gegeben. In den Beratungen vom März 1978 kehrte man - ohne ein Wort der näheren Erläuterung! - das Prinzip wieder um und betonte, daß ein Kind im äußersten Notfall „etiam invitis parentibus" getauft werden dürfe, fügte freilich hinzu „nisi exinde periculum exurgat odii in religionem" 46 . Dementsprechend war dann der Wortlaut von Schema II gefaßt (can. 822 § 2). Aber offenbarte sich nicht in dieser einschränkenden Ärgernis-Klausel ein Stück schlechten Gewissens? Doch ließ man in der Endphase des Normsetzungsverfahrens selbst diese Einschränkung wieder entfallen. Mag die Norm, wie sie jetzt ist, wenig praktisch werden oder mag man zu großer Zurückhaltung in ihrer Anwendung mahnen47, sie ist von großem grundsätzlichen Gewicht und ein Indikator für die Haltung der Kirche gegenüber dem Prinzip personaler Freiheit als notwendigem Gegenüber zum Heilshandeln Gottes. Unter diesem Aspekt aber bedeutet sie einen Rückfall in ein objektivistisch-apersonales Denken, das man mit dem II. Vatikanischen Konzil für überwunden halten durfte. Dem in can. 748 § 2 feierlich ausgesprochenen Bekenntnis zur Freiheit in der Annahme des Glaubens48, das sich nicht nur gegen den Staat, sondern auch gegen die Kirche richtet, widerspricht sie eklatant, nimmt sie diesem Bekenntnis zumindest ein wesentliches Stück seiner Glaubwürdigkeit. Sollte es wirklich in Anwendung von can. 868 § 2 zu einer Zwangstaufe kommen, so ist allerdings klar, daß ihr vor dem Forum des Staatskirchenrechts die Wirkung für den staatlichen Rechtsbereich versagt bleiben müßte. Wenn also etwa ein gegen den Willen der Eltern in Todesgefahr getauftes Kind überleben würde, so könnte es (beispielsweise kirchensteuerlich) nicht für die katholische Kirche in Anspruch genommen werden. Allenfalls vom Erreichen der Religionsmündigkeit an könnte der Makel der Zwangstaufe geheilt werden, wenn die dadurch begründete (zunächst allenfalls innerkirchlich wirksame) Mitgliedschaft aufrechterhalten wird 4 9 .
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A. a. O., S. 6 f. Entsprechend heißt es auch in den Pastoralen Hinweisen zur Nottaufe, a. a. O., S. 536: „Da die Kirche die Taufe nicht aufzwingen will, muß wenigstens eine vernünftigerweise zu präsumierende Taufbitte der Eltern (bzw. einer sonstigen berechtigten Person) vorliegen. Sicher soll kein Kind gegen den bekannten, gar ausdrücklich erklärten Willen der Eltern getauft werden." 4 6 Communicationes 13 (1981) S. 224. 4
? Damit behilft sich Hierold, a. a. O. (Anm. 6), S. 668. Zu dieser Fundamentalnorm vgl. Luf, Glaubensfreiheit und Glaubensbekenntnis, in: HdbkathKR (Anm. 6), S. 565 f., aber auch Hierold, a. a. O., S. 665. Unter der Überschrift „Kirchenrecht bricht Elternrecht" übt Ebneter, a. a. O. (Anm. 6), S. 470 f., scharfe Kritik an can. 868 § 2: „Man hat total zurückbuchstabiert." Vgl. auch Aymans, Ökumenische Aspekte (Anm. 6), S. 485, der diese Bestimmung vor allem unter dem Gesichtspunkt des Sakramentsverständnisses (can. 840) für problematisch hält. 49 Dies unter Zugrundelegung der Argumentation in BVerfGE 30, 415 (424). Vgl. dazu auch Hollerbach, Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (II), AöR 106 (1981) S. 249 ff. Neuerdings beachte zur Kirchensteuerpflicht katholisch getaufter Kinder auch BFH, NJW 1983, 2604. 48
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4. Probleme ergeben sich schließlich auch in bezug auf die Abgrenzung zwischen Kinder- und Erwachsenentaufe. Das kanonische Recht kennt die Unterscheidung zwischen Volljährigkeit und Minderjährigkeit und hat sie auch im neuen Codex normiert (can. 97) 50 . Aber die Differenzierung zwischen „adultus" und „infans" ist damit nicht identisch. „Infans" ist das minderjährige Kind bis zur Vollendung des 7. Lebensjahrs; von da ab wird vermutet, daß es im Besitz des Vernunftgebrauchs sei. Soweit diese Vermutung nicht widerlegt wird, gilt also das Kind bzw. der Jugendliche zwischen 7 und 18 Jahren schon als „adultus" im Sinne des Taufrechts - ein Anwendungsfall dafür, daß durch das kanonische Recht selbst das Elternrecht in seiner Beziehung auf einen Minderjährigen außer Kraft gesetzt ist (can. 98 § 2). In der Spanne zwischen dem 7. und 14. Lebensjahr kann das, staatskirchenrechtlich gesehen51, zu Schwierigkeiten führen, sei es, daß ein Kind sich gegen den Willen der Eltern taufen lassen will, sei es, daß umgekehrt Eltern ihr Kind taufen lassen wollen. Im ersteren Fall wäre die Taufe innerkirchlich zwar erlaubt; ihre Wirkungen im staatlichen Rechtsbereich könnten aber erst nach Erreichen des 14. Lebensjahrs eintreten. Im umgekehrten Fall dürfte eine Taufe nach Kirchenrecht nicht erfolgen - mit der Konsequenz, daß auch die Folgen der Mitgliedschaft im staatskirchenrechtlichen Sinne nicht geltend gemacht werden könnten. Hierold 52 will demgegenüber für den Bereich der deutschen Bistümer von vornherein eine beschränkte Taufmündigkeit annehmen. Davon könnte man allenfalls sprechen, wenn die staatlichen Regelungen über die Religionsmündigkeit eine vertragsrechtliche Grundlage i. S. v. can. 3 hätten oder als lex canonizata angesehen werden könnten. Dafür gibt es freilich keine durchschlagenden Gesichtspunkte. Dem genannten Autor ist aber ganz darin zuzustimmen, daß der kirchliche Gesetzgeber die Problematik des Verhältnisses von Taufmündigkeit und Elternverantwortung nicht in zufriedenstellender Weise gelöst hat. 5. Abgesehen von dieser spezifischen Problematik kommt die Eltern Verantwortung im neuen Codex naturgemäß dadurch in besonderer Weise zum Tragen, daß die Erlaubtheit der Taufspendung in deutlicherer Weise als bisher davon abhängig gemacht ist, daß eine begründete Hoffnung besteht, das Kind werde in der katholischen Religion erzogen (can. 868 § 1 n. 2). Das ist eine unverzichtbare, theologisch begründete Forderung aus dem Zusammenhang von Taufe und Glaube mit der Konsequenz, die nun auch im Recht klar gezogen wird: Wenn es an der „spes fundata" mangelt, dann ist, nach Offenlegung der Gründe den Eltern gegenüber, die Taufe nach näherer Maßgabe des Partikularrechts aufzuschieben. Damit hat das Rechtsinstitut des Taufaufschubs 53 in angemessener Weise einen Ort im ius 50
Im einzelnen vgl. dazu Pototschnig, Rechtspersönlichkeit und rechtserhebliches Geschehen, in: HdbkathKR, S. 113 ff. 51 Vgl. dazu im einzelnen Hollerbach , Staatskirchenrechtliche Aspekte (Anm. 5); A. v. Campenhausen, Staatskirchenrechtliche Probleme (Anm. 5). 52 Hierold, a. a. O. (Anm. 6), S. 667 Anm. 37.
Bemerkungen zum kanonischen Taufrecht universale bekommen. Was das Partikularrecht anlangt, so wird man einstweilen den einschlägigen Passus aus dem Beschluß der Gemeinsamen Synode über „Schwerpunkte heutiger Sakramentenpastoral" zur Richtlinie nehmen können, wo es heißt: „Wenn ,beide Eltern nicht nur die religiöse Praxis aufgegeben haben, sondern als ungläubig anzusehen sind' (Vorbemerkungen zum Kindertaufritus, Nr. 36), und wenn sie die Aufgabe der christlichen Erziehung niemand anderem übertragen, so muß die Taufe aufgeschoben werden. Die Entscheidung über einen solchen unvermeidlichen Taufaufschub - der niemals als Verweigerung der Taufe verstanden werden darf - soll der Seelsorger wenn irgend möglich im Einvernehmen mit den Eltern fällen. Wenn die Eltern bei der Bitte um die Taufe ihres Kindes bleiben und der Seelsorger glaubt, dieser Bitte nicht entsprechen zu können, darf er nur im Einvernehmen mit dem Dekan auf dem Taufaufschub bestehen. Ein Tauf aufschub kann notwendig sein, wenn etwa folgende Gründe zusammenwirken: - Es wird im Gespräch deutlich, daß die Eltern nicht aus religiösen Motiven um die Taufe bitten. - Die Eltern bekennen sich nicht zum christlichen Glauben. - Die Eltern sind nicht bereit, für eine christliche Erziehung ihres Kindes zu sorgen. - Die Eltern bleiben bewußt dem Taufgespräch fern und zeigen dadurch, dass sie nicht bereit sind, ihre Aufgabe zu erfüllen. Letzte Sicherheit ist hier nicht zu erreichen. Extreme sind in jedem Fall zu vermeiden: unangemessene Härte wie bequeme Kompromißbereitschaft. Im Konfliktfall kann der Seelsorger andere vertrauenswürdige Personen zu Rate ziehen. Den Eltern bleibt die Möglichkeit, sich persönlich an den Bischof zu wenden." 54 Man braucht nur die Entsprechung i m Recht der evangelischen Lebensordnung daneben zu halten, um zu erkennen, wie sehr hier angesichts der Gemeinsamkeit der praktischen Probleme Gemeinsamkeit der theologischen Grundanschauungen durchschlägt. So lautet etwa Ziffer 10 der Badischen Tauf-Lebensordnung: „Nach dem Befehl Jesu Christi wird die Taufe nur dort recht verwaltet, wo sie mit der christlichen Unterweisung verbunden ist. Die Taufe kann aufgeschoben werden, solange die Eltern es ablehnen, die mit der Taufe gegebene Verpflichtung zur christlichen Erziehung zu übernehmen, und es auch nicht möglich erscheint, daß diese Aufgabe an Stelle der Eltern von der Gemeinde übernommen wird. 53 Im einzelnen vgl. dazu die grundlegenden Arbeiten von H. Schmitz, Taufaufschub und Recht auf Taufe, in: FS B. Fischer, Zürich/Freiburg 1972, S. 253 ff.; ders., Taufauschub rechtlich betrachtet, AkathKR 143 (1974) S. 443 ff. 54 „Schwerpunkte heutiger Sakramentenpastoral" (Anm. 42), S. 252. Vgl. a. a. O., S. 270, auch die Formulierung der entsprechenden „Anordnung": „Wenn beide Eltern nicht nur die religiöse Praxis aufgegeben haben, sondern als ungläubig anzusehen sind, und wenn sie die Aufgabe der christlichen Erziehung niemand anderem übertragen, so muß die Taufe aufgeschoben werden. Wenn keine Übereinstimmung darüber mit den Eltern zu erreichen ist, darf der Pfarrer nur im Einvernehmen mit dem Dekan auf dem Taufaufschub bestehen. Die Eltern können sich an den Bischof wenden." S. ferner die Pastorale Anweisung über die rechtzeitige Taufe (Anm. 35), Ziff. 3.7.
16 Hollerbach
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Der Aufschub der Taufe gehört unter die Verantwortung des zuständigen Seelsorgers. Hat sich der Pfarrer nach gewissenhafter Prüfung und nach Anhörung des Ältestenkreises zum Aufschub der Taufe entschließen müssen, so können die betreffenden Eltern beim Dekan Einspruch gegen die Entscheidung erheben. Ein Kind, bei dem aus diesen Gründen der Vollzug der Taufe aufgeschoben worden ist, kann gleichwohl am Kindergottesdienst und an der kirchlichen Unterweisung teilnehmen und kann vom Zeitpunkt der Religionsmündigkeit an (Vollendung des 14. Lebensjahres) selbst die Taufe begehren, denn auch der Aufschub der Taufe will zur Gemeinde rufen." 55
VII. Ein spezifisches Element der Tradition des kanonischen Taufrechts bildet das Rechtsinstitut der bedingten Taufe, der Konditionaltaufe 56. Oft mißverstanden, aber auch oft dem Mißbrauch ausgesetzt, bedeutete diese Form lange eine Belastung für die ökumenischen Beziehungen, und zwar deshalb, weil die bedingte Taufe bei Konversionen meist ohne nähere Prüfung, sozusagen vorsichtshalber, allgemein zur Anwendung kam. Hier hat aber schon das Ökumenische Direktorium unter Berufung auf can. 732 § 1, 733 § 2 CIC 1917 und das Konzil von Trient, Sessio VII, can. 4 Klarheit geschaffen: „Der Brauch, unterschiedslos alle bedingungsweise zu taufen, welche die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche wünschen, kann nicht gebilligt werden. Denn das Sakrament der Taufe darf nicht wiederholt werden. Deshalb ist es nicht erlaubt, die Taufe bedingungsweise zu wiederholen, wenn kein begründeter Zweifel entweder an der Tatsache oder an der Gültigkeit der schon gespendeten Taufe besteht."57 Bei der Entstehungsgeschichte des neuen CIC gab es keinen Zweifel, dieser Linie zu folgen und sie ebenso wie die Weisung, in einem Zweifelsfall die Gründe offenzulegen 58, normativ zu „verankern". Aber die Sache erhielt dadurch einen neuen Akzent, daß man anfänglich auf das traditionelle Institut des „baptismus conditionatus" überhaupt verzichten und nur noch eine „absolute" Taufe vollziehen wollte, ja ganz generell die Möglichkeit der bedingten Spendung der drei nichtwiederholbaren Sakramente Taufe, Firmung und Weihe beseitigen wollte. Ohne daß man aus amtlichen Verlautbarungen die Begründung für die Abkehr von der 55
Lebensordnung Baden (Anm. 19), Ziff. 10. 56 Vgl. dazu Hollerbach, Zur Problematik der bedingten Taufe, in: FS Erik Wolf, Frankfurt am Main 1962, S. 122 ff.; ders., Taufwiederholung bei Konversionen?, Oberrheinisches Pastoralblatt 66 (1965) S. 321 ff. 57 Nachkonziliare Dokumentation (= NKD), Bd. 7, S. 26 (Ziff. 14). 58 NKD, a. a. O., Ziff. 15: „Wenn nach einer sorgfältig durchgeführten Untersuchung einer Taufspendung wegen eines begründeten Zweifels die Taufe bedingungsweise wiederholt werden muß, soll der Taufende - um der Lehre, nach der es nur eine Taufe gibt, gebührend Rechnung zu tragen . . . , sowohl den Grund für die in diesem Fall bedingungsweise wiederholten Taufe wie auch die Bedeutung dieses Ritus entsprechend darlegen...". S. jetzt can. 869 § 3, wo das Niederschlag gefunden hat.
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Tradition entnehmen könnte, lautete in Schema I die allgemeine Aussage im Zusammenhang mit dem Iterationsverbot einfach: „Si vero prudens dubium existat num revera aut num valide collata fuerint, censenda sunt non fuisse collata ita ut conferri debeant..(can. 3 § 2). Dementsprechend war dann im Abschnitt über die Taufe gesagt: „Qui dubie baptizatus est, dubio quidem post serium investigationem permanente, baptizetur" (can. 19 § 1). Als auf der Sitzung der Kommission vom 13./18. März 1978 der Relator über die eingegangenen Stellungnahmen berichtete, war darunter auch der Punkt: „Laudatur etiam quia praetermittitur baptismus sub conditione." 59 Man konnte sich dafür auf die liturgischen Bücher berufen, die von einer bedingten Taufe überhaupt keine Notiz mehr nahmen60. In einer nachfolgenden Sitzung (17./21. April 1978)61 ist man aber dann doch wieder zur Form der Taufe „sub condicione" zurückgekehrt und hat, abgesehen von einer nochmaligen stilistischen Änderung, die Textfassung beschlossen, die jetzt in can. 869 § 1 geltendes Recht ist. Sie lautet in der deutschen Übersetzung: „Wenn ein Zweifel besteht, ob jemand getauft ist oder ob die Taufe gültig gespendet wurde, der Zweifel aber nach eingehender Nachforschung bestehen bleibt, ist dem Betreffenden die Taufe bedingungsweise zu spenden." Entsprechend sieht auch die Vorschrift des can. 845 über die NichtWiederholbarkeit von Taufe, Firmung und Weihe im Allgemeinen Teil des Sakramentenrechts wieder die Form der bedingten Spendung vor. Die Konkretisierung der Frage auf den Fall der in einer nichtkatholischen kirchlichen Gemeinschaft gespendeten Taufe hat zu einer Diskussion Anlaß gegeben62. In der Fassung von Schema I wurde noch von einer widerleglichen Vermutung für die Gültigkeit der Taufe ausgegangen: „Qui in aliqua communitate ecclesiali non catholica baptizatus est, habeatur valide baptizatus et baptizari non potest, nisi..." (can. 19 § 2). Dem wurde aber von einem Consultor unter Hinweis auf die Existenz von Sekten, bei denen eine solche Vermutung nicht begründet sei, widersprochen. Man einigte sich schließlich auf einen Text, der in einem ersten Halbsatz eine allgemeine Untersuchungspflicht statuierte, in einem zweiten aber ein grundsätzliches Verbot der bedingungsweisen Spendung der Taufe formulierte, falls nicht ein Zweifel durch eine „seria ratio" begründet sei. Die endgültige Textfassung wurde demgegenüber noch einmal vereinfacht: „In einer nichtkatholischen kirchlichen Gemeinschaft Getaufte sind nicht bedingungsweise zu taufen, außer es besteht hinsichtlich der bei der Taufspendung verwendeten Materie und Form der Taufworte und ferner bezüglich der Intention eines, der als Erwachsener getauft wurde, und des Taufspenders ein ernsthafter Grund, an der Gültigkeit der Taufe zu zweifeln" (can. 869 § 2). Zwar hat die Aussage nicht die formale Struktur einer 59 Communicationes 13 (1981) S. 212. 60
Die Vermutung liegt nahe, daß überhaupt der Widerstand gegen die Form der bedingten Taufspendung in starkem Maße von Seiten der Liturgiker ausging. 61 Communicationes 13 (1981) S. 225 ff. In den Entwürfen gebrauchte man übrigens allenthalben noch „conditio". Im verbindlichen Text des CIC dagegen steht jetzt „condicio". 62 Communicationes 13 (1981) S. 226 f. 16*
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Vermutung, aber es kommt doch ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zur Geltung, insbesondere aber errichtet sie in der Form eines Verbots eine klare Sperre gegen einen unterschiedslosen Gebrauch der Konditionalform. Es kommt hinzu, daß selbstverständlich Raum bleibt für konkrete Vereinbarungen mit den betreffenden anderen kirchlichen Gemeinschaften, auf Grund derer von der Gültigkeit der Taufe ausgegangen werden kann. Darauf wurde übrigens im Rahmen der Kommissionsarbeit ausdrücklich hingewiesen63. Der Heilige Geist verkündige das Evangelium nicht in „Konditionalsätzen", so hat man gegen das Rechtsinstitut der Konditionaltaufe grundsätzlich eingewandt64. Hält man sich aber vor Augen, daß mit dem „si tu non es baptizatus" (nur) eine Rechtsbedingung formuliert ist, die prinzipielle Voraussetzung nämlich, daß es sich um einen noch nicht (gültig) getauften Menschen handelt, so kann es durchschlagende rechtliche oder theologische Gründe dagegen nicht geben. Auch nach evangelischem Verständnis würde man bei einer Taufe im Zweifelsfall wohl sagen müssen, wie es der Relator in Rom formuliert hat: „Si primus baptismus est revera validus, secundus nihil agit et versavice." 65 Wurde so die Konditionaltaufe schließlich doch aufrechterhalten, so ist der Bereich ihrer Anwendbarkeit im Zuge der Entrümpelung der alten Kasuistik des Taufrechts allerdings eingeschränkt worden. Das zeigt insbesondere ein Vergleich zwischen can. 747, 749 CIC 1917 einerseits und can. 824, 825 CIC 1983 andererseits. VIII. Es ist schon angedeutet worden, daß das Patenrecht 66 eine wesentliche Vereinfachung erfahren hat. So wird nicht mehr zwischen (im übrigen weit ausgefächerten) Gültigkeits- und Erlaubtheitsvoraussetzungen unterschieden; auch das Institut der geistlichen Verwandtschaft gehört nun ganz der Rechtsgeschichte an. Auf der anderen Seite wurde die spezifische Aufgabe des Patendienstes für die Taufe als Sakrament des Glaubens unterstrichen (can. 872, 874 § 1 n. 3). Das aber machte wiederum eine völlige ökumenische Öffnung unmöglich. Die Weichen waren schon vom Ökumenismus-Dekret gestellt worden. Es hat hervorgehoben, daß der Pate nicht nur als Verwandter oder Freund des Getauften die Sorge für dessen christliche Erziehung übernimmt, sondern daß er auch die Glaubensgemeinschaft vertritt und Bürge für den Glauben des Neugetauften ist. Gleichwohl „darf ein vom Glauben an Christus durchdrungener Christ, der einer anderen Glaubensgemein63 A. a. O., S. 227. 64 So Schott, Die zeitliche und die ewige Gerechtigkeit, 1955, S. 77; im einzelnen dazu Hollerbach, Zur Problematik der bedingten Taufe (Anm. 56), S. 137 ff. 65 Communicationes 13 (1981) S. 227. 66 Im einzelnen vgl. Hierold, a. a. O. (Anm. 6), S. 669; ferner Aymans, Ökumenische Aspekte (Anm. 6), S. 486 (hier auch zum Unterschied zwischen Tauf- und Firmzeugenschaft einerseits, Trauzeugenschaft andererseits).
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schaft angehört, auf Grund der Verwandtschaft oder Freundschaft zusammen mit einem katholischen Paten (Patin) als christlicher Zeuge dieser Taufe zugelassen werden" 67 . Dem folgt der neue Codex in can. 874 § 2, freilich in eher einengendabgrenzender Redeweise; nicht zuletzt wird diesem Zeugen das Adjektiv „christianus" leider vorenthalten. Doch ist klar, daß es sich um einen qualifizierten Zeugen handelt, schon insofern er die Möglichkeit zu „actuosa participatio" am Taufgottesdienst hat. Die evangelischen Lebensordnungen68 machen einen solchen Unterschied zwischen Pate und Zeuge nicht 69 . Aber selbstverständlich eröffnen auch sie nicht unbegrenzte Möglichkeiten. So sollen nach der Badischen Tauf-Lebensordnung die Eltern „konfirmierte evangelische Christen" zu Paten bitten; ferner heißt es dann: „Glieder anderer christlicher Bekenntnisse dürfen nur ausnahmsweise zur Patenschaft zugelassen werden; doch muß mindestens die Hälfte der Paten der evangelischen Kirche angehören." 70 Dazu wird in einer Fußnote überdies festgestellt: „Zum kirchlichen Patenamt können Mitglieder von Sekten nicht zugelassen werden, z. B. Adventisten, Christengemeinschaft, Christliche Wissenschaft (Christian Science), Mormonen (Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage), Neuapostolische Gemeinde, Zeugen Jehovas (Ernste Bibelforscher)."
IX. Die in dieser Abhandlung vornehmlich unter ökumenischen und staatskirchenrechtlichen Aspekten versuchte Durchmusterung des kanonischen Taufrechts muß am Ende auf das mit der Taufe unlöslich verknüpfte kirchenrechtliche Essentiale, nämlich die Begründung der Kirchengliedschaft 71, zurückkommen. Winfried Aymans 12 hat vor kurzem daran erinnert, daß der Codex von 1917 insoweit einem „umfassend vereinnahmenden Kirchenverständnis" folgte, und zwar mit der sich 67 NKD, a. a. O. (Anm. 57), S. 54 f. (Ziff. 57). 68 Im allgemeinen vgl. dazu Wendt, Art. „Paten" (Anm. 7); femer Erik Wolf (Anm. 20). S. 532 f. 69 Anders aber anscheinend Erik Wolf a. a. O., S. 533. 70 Lebensordnung Baden (Anm. 19), Ziff. 12.
a. a. O.
71 Freilich ist es nicht möglich, die Problematik hier auszuschöpfen. Vgl. dazu Krämer, Die Zugehörigkeit (Anm. 6), S 162 ff.; ferner Hubert Müller, Der ökumenische Auftrag, in: HdbkathKR (Anm. 6), S. 553 ff. Wichtig die Beiträge von Lehmann, Kaiser, Congar und Ratzinger in einem dem Gliedschaftsproblem gewidmeten Heft der Internationalen Katholischen Zeitschrift „Communio" (5 [1976] S. 193 ff.). Als Dokumentation des Verlaufs der neueren Diskussion in der katholischen und den evangelischen Kirchen hilfreich Meinhold (Hrsg.), Das Problem der Kirchengliedschaft heute, Darmstadt 1979. Wichtig sodann Lienemann-Perrin (Hrsg.), Taufe und Kirchenzugehörigkeit, München 1983. Das Thema zieht sich natürlich auch durch das Werk von Dombois, Das Recht der Gnade, Bd. I (1961) bis Bd. III (1983), hindurch; am eindringlichsten immer noch Bd. I, S. 296 ff. 72 Ökumenische Aspekte (Anm. 6), S. 481.
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aus can. 87 i.V.m. can. 12 CIC 1917 ergebenden Konsequenz, daß alle gültig Getauften an die Rechtsordnung der katholischen Kirche gebunden waren, sofern das kirchliche Recht (wie z. B. in can. 1099 § 1 CIC 1917) nicht selbst eine freistellende Ausnahme vorsah. Demgegenüber hat der neue Codex die zentralen ekklesiologischen Aussagen des II. Vatikanischen Konzils („Lumen Gentium" Nr. 8; „Unitatis Redintegratio" Nr. 3) rezipiert, mit der die Abkehr von einer „extensivvereinnahmenden Identifikation der katholischen Kirche mit der Kirche Jesu Christi" 73 markiert wird. Die Kirche Christi wird gebildet von jenen, „die durch die Taufe Christus eingegliedert, zum Volk Gottes gemacht und dadurch auf ihre Weise des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi teilhaftig geworden sind; sie sind gemäß ihrer je eigenen Stellung zur Ausübung der Sendung berufen, die Gott der Kirche zur Erfüllung in der Welt anvertraut hat" (can. 204 § 1). Daran schließt sich unmittelbar an: „Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfaßt und geordnet, ist in der katholischen Kirche verwirklicht, die von dem Nachfolger Petri und den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird" (can. 204 § 2). Die Kirche Christi ist in der katholischen Kirche verwirklicht, hat hier also ihre konkrete, authentische Existenzweise; aber sie ist nicht einfachhin mit ihr identisch, am wenigsten in einem exklusiven Sinne. Neben ihr gibt es noch andere Kirchen und kirchliche Gemeinschaften, „die nicht ohne Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heils" 74 sind, die indes nur anfanghaft und in unterschiedlichem Grade, aber noch nicht im Verhältnis der „plena communio" zur katholischen Kirche stehen75. Deshalb - und diese Konsequenz hat der neue Codex klar gezogen - ist es nicht mehr gerechtfertigt, alle Getauften dem Geltungsanspruch des kanonischen Rechts zu unterwerfen. Vielmehr werden durch rein kirchliche Gesetze nur „diejenigen verpflichtet, die in der katholischen Kirche getauft oder in diese aufgenommen worden sind" (can. 11). Darin steckt zugleich indirekt die Anerkennung, daß die anderen Christen ihren Status in Gemeinschaften haben, die ihrerseits ekklesiales Recht mit legitimer Verpflichtungskraft besitzen. Unberührt bleibt allerdings die Bindung an göttliches Recht; darüber kann der kirchliche Gesetzgeber jedenfalls im Sinne einer prinzipiellen Freistellung von der Verpflichtung darauf nicht verfügen. Die Klärung dieser ekklesiologischen Grundposition mit Wirkung für das kanonische Recht und die damit verbundene Entlastung von dem Vorwurf einer ebenso realitätsfernen wie theologisch illegitimen vollen Inanspruchnahme aller Getauften durch die katholische Kirche läßt freilich um so deutlicher hervortreten, daß die Taufe nach wie vor, ja jetzt erst recht, von fundamentaler, Gemeinsamkeit stiftender Bedeutung ist. Denn sie ist der maßgebende geistliche Rechtsakt, der in die 73
So wiederum Aymans, a. a. O., S. 482. „Unitatis Redintegratio" (Anm. 2) Nr. 3. 7 5 Vgl. dazu die grundlegende Arbeit von Saier, „Communio" in der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils, München 1973; ferner jetzt Aymans, Die Kirche - Das Recht im Mysterium Kirche, in: HdbkathKR (Anm. 6), S. 8 ff., sowie Krämer, Die Zugehörigkeit (Anm. 6), S. 169 ff. 74
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Kirche Christi eingliedert und den Menschen zum Angehörigen des Volkes Gottes macht. Aller Trennung und Spaltung oder - positiv ausgedrückt - aller noch nicht wieder voll hergestellten Gemeinschaft liegt voraus die schon bestehende Taufgemeinschaft aller Christen, als die sich die Kirche Christi darbietet, und zwar nicht als eine unsichtbare, jenseitige Gemeinschaft, sondern als eine sichtbare, am Getauftsein ablesbare Größe. Deshalb ist es zutreffend, wenn can. 96 - insoweit in Übereinstimmung mit der kanonistischen Tradition! - ausdrücklich sagt: „Durch die Taufe wird der Mensch der Kirche Christi eingegliedert und wird in ihr zur Person mit den Pflichten und Rechten, die den Christen unter Beachtung ihrer jeweiligen Stellung eigen sind ...". Unter diesem Blickwinkel darf man auch sagen, daß es, streng genommen, weder katholische noch evangelische, weder orthodoxe noch anglikanische (usw.) Taufe gibt, sondern nur christliche Taufe schlechthin. Und doch muß sich diese sakramental grundgelegte Basis-Gliedschaft, die den Grund für kirchliche Rechtssubjektivität als solche bildet, in einer konkreten Gemeinschaft spezifisch „verleiblichen"; es muß also durch weitere Faktoren eine Zuordnung zur rechtlich verfaßten Kirche erfolgen 76. In einer gewissen Abwandlung der von Klaus Mörsdorf geprägten Begrifflichkeit 77 könnte man also sagen: Zur „konsekratorischen" Gliedschaft, die für kirchliche Rechtspersönlichkeit überhaupt den Grund legt, muß die „konstitutionelle" (im Sinne der Normierung eines Status in der konkreten kirchlichen Verfassungsordnung) hinzukommen, auf der sich dann die aktive oder „tätige" volle Gliedschaft aufbauen kann. Mit solcher Berücksichtigung des Gedankens gestufter Gliedschaft überhaupt gewinnt man den Ansatzpunkt für die näheren Bestimmungen des can. 96 einerseits, des can. 205 andererseits. Diese dem CIC zugrunde liegende Konzeption schafft nun schon vom inneren Kirchenrecht her Klarheit über die Reichweite des kanonischen Rechts. Man muß also nicht erst das Staatskirchenrecht bemühen, um unter dem Gesichtspunkt der Religionsfreiheit oder der Prinzipien des weltlichen Körperschaftsrechts tatsächlichen oder vermeintlichen usurpatorischen Tendenzen oder Versuchungen entgegenzutreten. Zum anderen tritt freilich auch der Zusammenhang der Rechtsordnungen der christlichen Kirchen deutlich ins Licht. Er basiert auf der Gemeinsamkeit der Taufe und damit in ganz spezifischer Weise in einem 76 Die Pastorale Anweisung über die rechtzeitige Taufe (Anm. 35) sagt unter Ziff. 3.6 mit Recht: „Bestrebungen, die Taufe von der Zuordnung zu einer bestimmten Konfession zu lösen, sind aus theologischen und pastoralen Gründen nicht zu rechtfertigen." Auch darf an den Beschluß der Gemeinsamen Synode über „Pastorale Zusammenarbeit der Kirchen im Dienst an der christlichen Einheit", abgedr. in: Gesamtausgabe I (Anm. 42), S. 765 ff., erinnert werden. Dort heißt es unter Nr. 7.8.2 (a. a. O., S. 798): „Bestrebungen, die Taufe gemeinsam von Geistlichen beider Kirchen spenden zu lassen, werden von den Kirchenleitungen aus theologischen Gründen abgelehnt. Die Taufe wird von dem Seelsorger der Kirche vollzogen, der das Kind nach dem Willen der Eltern angehören soll. Doch kann, wenn die Eltern dies wünschen, bei der Taufe der Kinder in der einen Kirche die ökumenische Verbundenheit mit der anderen Kirche dadurch deutlich gemacht werden, daß der Seelsorger der anderen Konfession anwesend ist und sich etwa durch Gebet oder Segensspruch beteiligt sofern ihm dies durch die Ordnung seiner Kirche nicht verwehrt ist." 77 Vgl. dazu Mörsdorf, Die Kirchengliedschaft (Anm. 5), S. 618 ff.
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- für Begründung kirchlichen Rechts ja ohnehin konstitutiven - sakramentalen Geschehen. Deshalb begeht der Staat beispielsweise auch keine Anmaßung, wenn er die Kirchen in einer solchen Nähe miteinander sieht, daß er etwa die Möglichkeit gibt, durch zwischenkirchliche Vereinbarung die Modalitäten eines Übertritts (mit staatskirchenrechtlicher Wirkung) zu regeln und damit die Austrittsprozedur 78
zu ersetzen . Zuletzt darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Gliedschaftsproblematik auch intra-katholisch insofern einen neuen Akzent bekommen hat, als das Eherecht (can. 1117; vgl. auch can. 1086) denjenigen nicht mehr an die kanonische Eheschließungsform bindet, der sich in einem formellen Akt von der Kirche losgesagt hat („actu formali ab ea defecerit") 79. Wie immer man diese Abkehr von dem traditionellen Prinzip „semel catholicus, Semper catholicus" hinsichtlich seiner konkreten Folgen im Eherecht zu beurteilen hat: Es steckt darin ein Stück Anerkennung negativer Religionsfreiheit seitens der Kirche, wenn auch selbstverständlich nur im Sinne der Aufkündigung der konkreten, aktiven Gemeinschaftszugehörigkeit - ohne Lösung dem Bande nach, weil dem die Unwiderruflichkeit der Taufe entgegenstehen würde. Nun sieht allerdings das kanonische Recht selber bisher keine näheren Regeln über einen solchen formellen Akt vor. Es ist deshalb zutreffend, etwa die förmliche Anmeldung bei einer anderen Religionsgemeinschaft als einen solchen Akt gelten zu lassen, insbesondere aber auch die Austrittserklärung nach staatlichem Recht. Damit erscheint dann auch diese freilich nicht mehr nur als eine notgedrungen hingenommene Einrichtung des Staatskirchenrechts 80; sie gewinnt vielmehr auch unmittelbare kirchenrechtliche Valenz, insofern sie zu einer Beeinträchtigung der vollen Kirchenzugehörigkeit führt 81 .
X.
Bemerkungen zum ökumenischen Taufrecht - der Titel hat bewußt diese offene Form. So wird man auch kaum nach diesem ersten Versuch einer Analyse eine umfassende Bilanzierung erwarten. Auf der Linie des II. Vatikanischen Konzils gibt es Licht; es gibt freilich auch Schatten, ja ausgesprochene Anstößigkeiten. Trotzdem wäre es ungerecht zu sagen, der Geist des Codex von 1983 sei der Geist des Codex von 1917 82 ! In der Praxis wird viel von einem verantwortbaren „Pasto78
Vgl. dazu A. v. Campenhausen, Der Austritt (Anm. 5), S. 662. Vgl. dazu Primetshofer, Die Eheschließung, in: HdbkathKR (Anm. 6), S. 788 f.; ferner etwa Zapp, a. a. O. (Anm. 39), S 191 f.; Sebott, Das neue kirchliche Eherecht, Frankfurt am Main 1983, S. 154 f.; Lüdicke, Eherecht. Canones 1055-1165, Essen 1983, S. 66 f.; Prader, Das kirchliche Eherecht in der seelsorgerlichen Praxis, Bozen 1983, S. 129 f. 79
80
Signifikant noch Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. I, München 196411, S. 184: „Die staatsbürgerlichen Wirkungen des Kirchenaustritts erkennt die Kirche faktisch und nur faktisch an ...". 81 Vgl. im einzelnen Krämer, Die Zugehörigkeit (Anm. 6), S. 169. 82 So aber - in bestimmtem Zusammenhang - W. Böckenförde, Der neue Codex Iuris Canonici, NJW 1983, 2539.
Bemerkungen zum kanonischen Taufrecht
ralökumenismus" 83 abhängen. In der kirchenrechtlichen Theorie ist Weiterarbeit geboten, und dies in besonderem Maße durch vergleichende Forschung in ökumenischer Ausrichtung oder, im Anklang an katholische Sprechweise formuliert, in favorem unitatis redintegrationis. Es ist Günther Wendt zu danken, daß er dazu immer wieder anspornt, ja herausfordert.
83 Bemerkenswert dazu Plathow, Pastoralökumenismus. Der ökumenische Aspekt in kirchlichen Lebens- und Rechtsordnungen, ÖR 32 (1983) S. 443 ff.
I I . Staatskirchenrecht
Die Kirchen unter dem Grundgesetz1 I.
1. Dem Mitbericht fällt die Aufgabe zu, durch die Behandlung einzelner Themenkreise zur Erhellung der Gesamtproblematik2 beizutragen. Er lenkt das Augenmerk auf vier in Theorie und Praxis besonders neuralgische Punkte der gegenwärtigen staatskirchenrechtlichen Ordnung: auf die Problematik des „Rechtsschutzes durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich", um es mit Konrad Hesse zu sagen3, auf das Vertragsrecht, auf die Körperschaftsstellung der Kirchen, schließlich auf die Schulfrage. Doch ist es nicht möglich, sich diesen Konkreta zuzuwenden, ohne zuvor das Koordinatensystem zu bestimmen, innerhalb dessen die Thesen und Erörterungen ihren Platz haben. Hierfür empfiehlt es sich, sogleich die Herausforderung anzunehmen, die in der Formulierung des Themas4 liegt: Sie gebraucht nämlich einerseits mit dem Terminus „Kirchen" einen Begriff, der als Typusbegriff im Text des Grundgesetzes gar nicht vorkommt 5. Auf der anderen Seite kann sie so verstanden werden, als enthalte sie, indem sie die Kirchen dem Grundgesetz unterstellt, ihm sub-ordiniert sein läßt, eine kräftige polemische Spitze gegen das gängige, mit „und" operierende Denkschema. Erstveröffentlichung in: Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer 26(1968) S. 57-106. 1 Für das staatskirchenrechtliche Schrifttum der Nachkriegszeit ist jetzt ein für allemal zu verweisen auf die Bibliographie in: H. Quaritsch/H. Weber (Hrsg.), Staat und Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland. Staatskirchenrechtliche Aufsätze 1950 bis 1967 (1967) S. 446524. Dieser Sammelband vermittelt zugleich eine gute Problemübersicht. 2 Vgl. dazu die zusammenfassende Darstellung bei K Hesse, Art. Kirche und Staat, in: Evang. Staatslexikon (1967) Sp. 904-926. Aus dem neuesten Schrifttum (soweit es nicht in Quaritsch/Weber [Anm. 1] abgedruckt ist) kann für eine Orientierung über die Gesamtproblematik verwiesen werden auf U. Scheuner, Auseinandersetzungen und Tendenzen im deutschen Staatskirchenrecht, DÖV 1966, S. 145-153; H. Marré, Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Zeitschr. f. Politik 12 (1966) S. 388-403; H. Weber, Grundprobleme des Staatskirchenrechts, JuS 1967, S. 433- 444; F. Mayer, Kirche und Staat, in: Staat und Gesellschaft, Festgabe für G. Küchenhoff (1967) S. 60-78. 3
K. Hesse, Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich (1965). Sie erinnert an diejenige des Aufsatzes von E.-W. Fuß, Kirche und Staat unter dem Grundgesetz, DÖV 1961, S. 734-740 (= Quaritsch/Weber [Anm. 1] S. 233-247), der in der damaligen Diskussionslage bewußt eine kritische Wendung zum Ausdruck bringen wollte. 5 Der Begriff „Kirche" begegnet nur in der Sonderform „Staatskirche" in Art. 140 GG/137 Abs. 1 WRV, in adjektivischer Wendung („kirchliche Handlung") noch in Art. 140 GG/136 Abs. 4 WRV. 4
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Angesichts dessen dürfen die gestellte Aufgabe und der Ausgangspunkt für ihre Lösung genauerhin wie folgt umschrieben werden: Es ist zu handeln von der rechtlichen Stellung der religiösen Gemeinschaften 6 in der durch das Grundgesetz konstituierten Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Zu erörtern ist die Art der Zuordnung religiöser Lebensverbände in Gestalt von Groß- und Kleinkirchen sowie anderer christlicher oder nicht-christlicher Religionsgemeinschaften zum freiheitlich-demokratischen, sozialen Rechts- und Bundesstaat im Sinne des Grundgesetzes. Es geht mithin um ein konkretes Verfassungsproblem, für dessen Lösung die Verfassung 7 als die rechtliche Grundordnung des politischen Gemeinwesens maßgebend ist. Sie als ein die historische Dimension einschließendes teleologisches Sinngefüge bildet die normative Basis, das heißt: nicht ein sog. „staatskirchenpolitisches System", ein Modell 8 oder gar eine Ideologie, das heißt aber auch: nicht Weimar, sondern Bonn9. Das Bonner Grundgesetz hat vornehmlich durch Art. 4 und das doppelte Kompromiß 10 des Art. 140 über die Grundlinien der staatskirchenrechtlichen Ordnung Verfügung getroffen. Seine staatskirchenrechtlichen Normierungen, über die sogleich genauer zu handeln sein wird, sind in den Kontext einer freiheitlichen, auf bestimmte grundlegende Rechtsgüter unabdingbar verpflichteten Verfassung gestellt, welche, um mit Werner von Simson zu sprechen11 die „Selbstgerechtigkeit des Staates" preisgegeben hat. Die Staatlichkeit des Grundgesetzes ist eine sowohl nach außen wie nach innen offene Staatlichkeit12. Aber der Angelpunkt dieses 6 Der Begriff „Religionsgemeinschaft " wird unter Berufung auf Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG bevorzugt, der in der Terminologie bewußt von seinem Vorbild, dem Art. 149 Abs. 1 Satz 2 WRV, abweicht. Im übrigen sollte man den Sprachgebrauch möglichst von allen ideologischen Ingredienzien befreien. Vgl. auch K. Hesse, Art. Religionsgesellschaften, in: Evang. Staatslexikon (1967) Sp. 1850-1852. 7 Zum hier zugrundegelegten Verständnis der Begriffe Verfassung, Gemeinwesen und Staat vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland (1967) S. 3-20. 8 Zur Abwehr eines Schablonendenkens vgl. etwa A. Hollerbach, Trennung von Staat und Kirche?, in: Hochland 58 (1965/66) S. 63-67. 9 Damit wird die Grundthese des BVerfG akzeptiert (BVerfGE 19, 206 [219 f.]), daß die gegenwärtige staatskirchenrechtliche Ordnung nur aus dem Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes verstanden werden kann, ohne daß es indes gerechtfertigt wäre, die Historie so schroff zurückzuweisen, wie es das BVerfG tut. Vgl. dazu A. Hollerbach, Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 92 (1967) S. 113 f. (= Quaritsch/Weber [Anm. 1] S. 413 f.). 10
Von doppeltem Kompromiß ist im Hinblick auf die kompromißhafte Sachregelung der Weimarer Artikel und die Entstehungsgeschichte des Art. 140 GG die Rede, ohne damit einen negativen Wertakzent zu verbinden. 11 W. von Simson, Die Souveränität im rechtlichen Verständnis der Gegenwart (1965) S. 220 und passim. 12 Zur Offenheit der Verfassungsordnung vgl. K. Hesse (Anm. 7) S. 12 ff. und passim. Zur Offenheit nach außen vgl. K. Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit (1964), zur Terminologie S. 33 f.
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„Systems" eines freiheitlichen, selbstkritischen und doch zugleich selbstbewußten Verfassungsstaates ist die auctoritas, die „Hoheit" der Verfassung. Im Rahmen der Verfassung entfaltet sich das Leben der politischen Gemeinschaft, nach Maßgabe der Verfassung nehmen konstituierte Organe treuhänderisch für das Volk unter der Idee des Gerechten durch Erfüllung bestimmter sachlicher Aufgaben Gemeinwohlverantwortung 13 wahr, bis hin zu höchster, letztentscheidender Gemeinwohlverantwortung zur Gewährleistung von Friede und Ordnung. Aber Höchstzuständigkeit heißt nicht Allzuständigkeit. Die Verfassungshoheit ist, als ihrerseits verfaßte, von vornherein begrenzt und nur in bestimmten Richtungen konstituiert. Sie ist nicht grundsätzlich „allumfassend" 14 im Sinne von virtuell omnipotent und omnikompetent, wohl aber ist sie grundsätzlich allbezüglich, insofern die integrative Zusammenordnung aller Wirkkräfte und Sachbereiche in einem raumzeitlichen Gemeinwesen zur Gemeinwohlverantwortung gehört. Soweit die Verfassung Bestimmungen darüber trifft, stehen deshalb grundsätzlich auch die religiösen Gemeinschaften als Lebensverbände im Gemeinwesen unter der Autorität der Verfassung 15, deren Aufgabe es ist, die rechtlichen Voraussetzungen für eine gute öffentliche Gesamtordnung zu schaffen. 2. Die staatskirchenrechtlich relevanten Normen des Grundgesetzes, von denen die beiden Grundartikel - 4 und 140 - so zu lesen sind, als ob sie auch äußerlich, und zwar im Rahmen des 1. Abschnitts, ineinandergefügt wären, bilden eine historisch und funktionell mehrschichtige 16, strukturierte Einheit innerhalb der Einheit der Verfassung 17 im Ganzen. 13 Ohne daß hier alle Implikationen dieser Formel entfaltet werden könnten, sei ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß damit versucht wird, zu einem materialen verfassungsstaatlichen Souveränitätsverständnis beizutragen. Mit dem Verweis auf „Gemeinwohl" und „Verantwortung" bringt sie Grundsachverhalte politischer Ordnung zum Ausdruck, deren normativer Gehalt von der konkreten Verfassung her bestimmt werden muß. Vgl. auch P. Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion um das Problem der Souveränität, AöR 92 (1967) S. 259-287. 14 Von „virtueller Allumfassendheit" als einer „unendlich wertvollen Eigenschaft des modernen Staates" hat H. Krüger in Auseinandersetzung mit K. Hesse gesprochen: Rezension über „Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich", ZevKR 6 (1957/58) S. 75 (= Quaritsch/Weber [Anm. 1] S. 142). Das Problem ist von H. Krüger in seiner Allgemeinen Staatslehre (1964) S. 820 ff. näher entfaltet worden. 15 So kann freilich nur formuliert werden, wenn im Verfassungsbegriff von vornherein die innere Begrenzung auf die Säkularität mitgedacht und in Abkehr von einem etatistischen Rechtsmonopolismus anerkannt wird, daß es vorgegebene Sachbereiche und Lebensordnungen gibt, die ihre Gestalt nicht von der Verfassung oder dem staatlich gesetzten Recht empfangen. Es gilt zwar: ecclesia est in re publica, nicht aber gilt: ecclesia de re publica. Ergänzend wäre in diesem Zusammenhang, was hier nicht entfaltet werden kann, das Prinzip des Kulturstaats fruchtbar zu machen. 16 Zu dieser Mehrschichtigkeit vgl. M. Hechel, Zur Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts von der Reformation bis zur Schwelle der Weimarer Verfassung, ZevKR 12 (1966/67) S. 1 - 3 9 ; U. Scheuner, Erörterungen und Tendenzen im gegenwärtigen Staatskirchenrecht der Bundesrepublik, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 1
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In diesem Gefüge legt die Normentrias Art. 4 GG, Art. 137 Abs. 1 und Art. 137 Abs. 3 W R V das unumstößliche Fundament; durch sie wird - für alle Religionsgemeinschaften gleich - der konstitutionelle Grund-Status bestimmt. Sie garantiert ein freies Kirchenwesen i m weltanschaulich, religiös und konfessionell neutralen Staat. Recht verstanden gewährleistet dabei schon das Grundrecht der Religionsfreiheit in seiner korporativ-institutionellen Seite 1 8 Kirchenfreiheit 1 9 und zwar nicht nur für den kultisch-liturgischen Bereich, sondern für die gesamte „Religionsausübung" 20 . Das eröffnet den Religionsgemeinschaften die Chance zu öffentlichem Wirken und zur Erlangung von Bedeutsamkeit für die öffentliche Gesamtordnung 21 . Aufgrund dessen können sie ihren „Öffentlichkeitsauftrag" 2 2 wahrnehmen und dürfen sie als Kirchen - in Gleichberechtigung mit anderen öffentlichkeits-relevanten Kräften - vom Staat die Beteiligung an der Wahrnehmung öffentlicher oder staatlicher Aufgaben 2 3 beanspruchen, soweit diese zum Auftrag der Kirche einen legitimen Bezug haben. Diese öffentliche Kirchenfreiheit ist nach der Seite der Rechtsgestalt der Religionsgemeinschaften hin mitgewährleistet durch Art. 137 Abs. 3 WRV. Korporativ-institutionelle Religionsfreiheit und kirchliches Selbstbestimmungsrecht sind nur zwei Seiten ein und derselben Sache 24 . Es wird damit die Eigenständigkeit und (1967) S. 108-138, bes. S. 116. Einen schätzenswerten Überblick über die geschichtliche Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts bietet jetzt J. Listl, Staat und Kirche in Deutschland. Vom Preußischen Allgemeinen Landrecht bis zum Bonner Grundgesetz, in: Civitas V I (1967) S. 117-165. 17 Von diesem Leitgedanken her ist es bei aller Würdigung der unterschiedlichen historischen Wurzeln geboten, „Grundrechte" und „institutionelle Garantien" und eine ihnen entsprechende „grundrechtliche" und „institutionelle" Sichtweise zu verklammern. 18
Sie wird jetzt zu Recht hervorgehoben von U. Scheuner, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, DÖV 1967, S. 585-593. Wichtig dazu auch O. Dibelius, Überstaatliche Verbindungen der Kirchen und Religionsfreiheit, Diss. jur. Bonn 1967, vor allem S. 76 ff. 19 Vgl. dazu auch K. Hesse, Freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen, ZevKR 11 (1964/65) S. 345 ff. (= Quaritsch/Weber [Anm. 1] S. 349 ff.). 20 So im Wortlaut des Art. 4 Abs. 2 GG. Von exemplarischer Bedeutung ist die Anerkennung seitens des Staates, daß die Erfüllung von Werken der Nächstenliebe ein wesentlicher Teil christlicher Religionsausübung ist: so die amtliche Begründung zu Art. 14 NKV (bei W Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart [1962] S. 224); siehe jetzt Art. 1 Abs. 1 des Niedersächsischen Konkordats (NK). 21 Die notwendige, für den demokratischen Verfassungsstaat kennzeichnende Verbindung von „Öffentlichkeit" und „Freiheit" ist jüngst mit dem Begriff der „öffentlichen Freiheit" mehrfach von P. Häberle betont worden: JZ 1966, S. 388; JuS 1967, S. 73. 22 Wichtige Bemerkungen hierzu bei E. G. Mahrenholz, Das Niedersächsische Konkordat und der Ergänzungsvertrag zum Loccumer Vertrag, ZevKR 12 (1966/67) S. 274 ff. 23 Instruktiv: H J. Chronz, Die rechtliche Beteiligung von Vertretern der Kirchen in Gremien des staatlichen Kompetenzbereichs der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Bundesländer, Diss. Köln 1960. 24
In dieser Richtung zu Recht K. E. Schlief, Die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche und seine Ausgestaltung im Bonner Grundgesetz, Diss. Münster (1961) S. 212 ff.; O. Dibelius (Anm. 18) S. 87 ff.
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Unabhängigkeit kirchlicher Gewalt in einem Eigenrechtsbereich anerkannt 25, jedoch behält sich der Staat zur Wahrung seiner Gemeinwohl Verantwortung Schrankenziehung vor. Demgemäß müssen Eigenrechtsmacht der Kirche und Eigenrechtsmacht des Staates zum Ausgleich gebracht werden. In Anbetracht der grundlegenden Bedeutung der Gewährleistung von Kirchenfreiheit in einem säkularen Gemeinwesen kann ein „für alle geltendes Gesetz" nur ein solches sein, das zwingenden Erfordernissen für ein friedliches Zusammenleben von Kirche und Staat entspricht 26. Das Verbot der Staatskirche bringt die „Scheidung in der Wurzel" zwischen säkularem Staat und Kirche zum Ausdruck. Es verbietet eine institutionelle Verbindung von Staat und Kirche im inneren Verfassungsrechtskreis 27. Es verfügt aber nicht puristische Trennung, sondern läßt funktionelle Zusammenarbeit zu. Trifft diese Deutung der genannten Normentrias zu, so kann die von ihr mitverbürgte weltanschauliche, religiöse und konfessionelle Neutralität des Staates als ein objektives Konstitutionsprinzip nicht so verstanden werden, als gebiete sie Abwehr und Privatisierung des Religiösen oder als verbiete sie Kommunikation und Kooperation und damit verbundene Hilfen 28 . Dem neutralen Staat ist grundlegend die Sorge für die Religions- und Kirchenfreiheit aufgetragen, damit er Heimstatt für alle sein kann. Aber „cura libertatis religiosae" bedeutet nicht „cura indifferentismi". Zum konstitutionellen Grund-Status eigenständiger und öffentlicher Freiheit treten einige in der Verfassung einzeln normierte Gerechtsame hinzu - man denke an die Gewährleistungen von Religionsunterricht, Anstalts- und Militärseelsorge, von Kirchengut und Staatsleistungen - , durch welche eben diese Freiheit gestützt wird. Insbesondere aber wird der Grund-Status überlagert durch den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts, wie ihn die Kirchen und die meisten kleineren Religionsgemeinschaften besitzen. 25
Mit Recht sagt das BVerfG, der Staat anerkenne die Kirchen als Institutionen mit dem Recht der Selbstbestimmung, „die ihrem Wesen nach unabhängig vom Staat sind und ihre Gewalt nicht von ihm herleiten": BVerfGE 18, 385 (386). Damit wird implicite gegen eine Deutung des Selbstbestimmungsrechts nach den Maßstäben bloßer „Autonomie" Stellung genommen, die in der Tat der freiheitlichen Gesamtkonzeption des GG nicht mehr gemäß ist. Vgl. dazu A. Hollerbach (Anm. 8) S. 108. Für das Bemühen um begriffliche Klarheit erweist sich als hilfreich die rechtstheoretische Untersuchung von H Wagner, Die Vorstellung der Eigenständigkeit in der Rechtswissenschaft (1967). 26 Diese Umschreibung will nicht mehr als die grundsätzliche Richtung für die Deutung im einzelnen angeben; sie nimmt Bezug auf die Darlegungen bei A. Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland (1965) S. 120 ff. 27 Gegenüber der gängigen, auf Ernst Forsthoff (Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat [1931] S. 112) zurückgehenden Formel, wonach jede institutionelle Verbindung verboten sei, ist diese Einschränkung hervorzuheben, die dem Sinn des Staatskirchenverbots im Rahmen einer Verfassung, die Elemente der Verbindung aufrechterhält, besser gerecht wird. 28 Vgl. dazu K. Hesse, Grundzüge (Anm. 7) S. 147 f., und Freie Kirche (Anm. 19) S. 354 ff. 17 Hollerbach
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Für die staatskirchenrechtliche Ordnung des Grundgesetzes sind schließlich kennzeichnend Möglichkeit und Wirklichkeit vertragsrechtlicher Ausgestaltung und Sicherung der eingeräumten Rechtspositionen29. Hier findet noch über die angegebenen Stufen hinaus eine Verdichtung des kirchlichen Rechtsstatus statt. Nach allem sind Kirchen und Religionsgemeinschaften „unter dem Grundgesetz" rechtlich gut situiert. Sie verfügen über einen aus verschiedenen Elementen zusammengefügten verfassungsrechtlichen Gesamtstatus, der für die großen Kirchen vertragsrechtlich ausgestaltet ist. 3. In der bisher vorgenommenen Bestimmung von Basis und Rahmen sollte das Bemühen sichtbar werden, von vornherein einer Auswanderung des Staat-KircheProblems aus dem Ganzen der Verfassung zu steuern. Die Thematik sollte bewußt und betont in das Gravitationsfeld der konkreten Verfassungsordnung eingewiesen werden. Aber das darf weder normativistische Engführung noch staatskirchenrechtliche Introvertiertheit zur Folge haben. Verfassungsjuristische Arbeit kann sich nur im Angesicht der vollen Wirklichkeit vollziehen. Doch müssen im Rahmen dieses Korreferats wenige Bemerkungen und Problemhinweise zur allgemeinen Situationsklärung genügen. a) Die Kirchen „unter dem Grundgesetz" sind eingelassen in die politische Lebensordnung und den gesamtgesellschaftlichen Prozeß, auf den sich die Verfassung bezieht. Das ist ein Stück ihrer Inkarnation und Geschichtlichkeit. Nicht von diesem Gemeinwesen, leben sie aber doch in ihm; nicht Kreaturen der Verfassung, sind sie aber doch nicht zu vernachlässigende Faktoren des von der Verfassung geordneten Lebens. Auch für die konkrete Situation in der Bundesrepublik gelten zunächst allgemeine Befunde 30. Es lassen sich auch hier die Kennzeichen eines universalen Prozesses ausmachen, für den die Begriffe Säkularisierung 31, „Fundamentaldemokratisierung" 32 und Pluralisierung 33 maßgebend sind. Bei fortschreitender Inten29 Zum Vertragsrecht vgl. A. Albrecht, Koordination von Staat und Kirche in der Demokratie (1965) und A. Hollerbach (Anm. 26). Das wichtigste Material ist jetzt bequem zugänglich in der von H. Weber besorgten Textsammlung „Staatskirchenverträge" (1967); unentbehrlich daneben aber immer noch die Edition von W. Weber (Anm. 20). 30 Zum folgenden vgl. vornehmlich Hans Maier, Kirche - Staat - Gesellschaft. Historischpolitische Bemerkungen zu ihrem Verhältnis, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 1 (1967) S. 12-38; ders., Gegenwartsaspekte des Verhältnisses von Kirche und Staat, in: Civitas V (1966) S. 15-30; U. Scheuner, Die Kirche im säkularen Staat, in: Im Lichte der Reformation. Jahrb. des Evang. Bundes X (1967) S. 5-33. Aus der religionssoziologischen Literatur: Th. Luckmann, Das Problem der Religion in der modernen Gesellschaft (1963); H. Hoefnagels, Kirche in veränderter Welt (1964). 31 Vgl. dazu H. Lübbe, Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs (1965); E. W. Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien, Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag (1967) S. 75-94. 32 Grundlegend dazu K. Mannheim, Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus, dt. Ausgabe Darmstadt 1958, S. 51 ff. u. passim.
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sivierung dieses Prozesses wird die gesellschaftliche „Annahme" staatskirchenrechtlicher Normen, vor allem soweit sie Momente der Verbindung und der Privilegierung betreffen, und damit deren effektive Geltung, zusehends zum Problem. Die religionssoziologischen Befunde im besonderen berichten von einem „Ausrinnen" der Religion aus der Gesellschaft oder doch jedenfalls von ihrer „Segmentierung" 34 . Es werden beobachtet die „Phänomene der Abständigkeit und des Abfalls breiter Bevölkerungskreise von Kirche und Religion" 35 bei Aufrechterhaltung formeller Kirchenmitgliedschaft und feiertäglicher Kirchlichkeit, ganz grundsätzlich die „Dichotomie von Kirchlichkeit und Industriegesellschaft" 36 und damit zusammenhängend eine „Feminisierung, Verkindung und Vergreisung" 37 des religiösen Lebens. Das berechtigte Wort von der Diaspora- und Missionssituation der Kirchen 38 droht schon zu einem gängigen Schlagwort zu werden. Die Religionssoziologie vermag aber auch eine Aktivseite der Bilanz aufzumachen 39. Sie beobachtet neue Formen der Kirchlichkeit und der gesellschaftlichen Präsenz des Religiösen. Insbesondere aber stehen im Leben der ihrer Reformabilität und ihres Missionsauftrags bewußten Kirchen den Quantitäts- und Expansionsverlusten Qualitäts- und Intensitätsgewinne gegenüber: es gibt, zugespitzt ausgedrückt, eine Art Gesundschrumpfungsprozeß. Das biblische Bild von der „kleinen Herde" (Luk. 11, 32) wird vielfach beschworen. Gerade sie aber ist alles andere als ein musealer Traditionsbestand, gerade sie wird von gesellschaftlich-politischer Potentialität sein, insofern als hier ohne falsches Vertrauen auf „Bastionen" und „Positionen" der unerläßliche Prozeß der Personalisierung und damit der Aktivierung mitvollzogen, aber auch gegen alles Schwärmertum daran festgehalten wird, daß nur die „Institution" der legitime Ort des „Ereignisses" sein kann. Bei dem Versuch einer Realanalyse der konkreten Situation in der Bundesrepublik hätte man daran zu erinnern, daß die historischen Großkirchen, denen die Statistik 94,6 % der Bevölkerung zuschlägt40, nicht zuletzt dank vielfältiger staatlicher Hilfen äußerlich gut situiert, daß sie im öffentlichen Leben allenthalben präsent 33 Vgl. die eindringliche Problemübersicht bei R. Herzog, Art. Pluralismus, in: Evang. Staatslexikon (1966) Sp. 1541 -1547. 34 Vgl. dazu H Maier, Kirche - Staat - Gesellschaft (Anm. 30) S. 29 f. 55 H. Maier, a. a. O. S. 27. 3 6 H. Maier, a. a. O. S. 28. 37
L. Grond, Der Katholizismus in Europa, in: Herder-Korrespondenz XIV (1959/60) S. 443; zit. nach H. Maier, a. a. O. S. 29. 38 Im kath. Schrifttum hat vor allem Karl Rahner die epochale Bedeutung dieses Sachverhalts deutlich gemacht: vgl. etwa Art. Katholische Kirche, in: Staatslexikon6 IV (1959) Sp. 858 ff. (871 f.). Vgl. dazu auch K. Hesse (Anm. 19) S. 345 ff. mit weiteren Hinweisen. 39 Vgl. dazu H Maier, a. a. O. S. 28 ff. 40
Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland (1967) S. 42, nach dem Ergebnis der Völkszählung 1961. Davon entfallen 50,5% auf die in der EKD zusammengeschlossenen Kirchen, 44,1 % auf die Katholische Kirche. Zur religionssoziologischen Problematik der Kirchenzugehörigkeit vgl. W. Menges/N. Greinacher (Hrsg.), Die Zugehörigkeit zur Kirche (1964). 1*
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sind und daß sie von den Parteien - jedenfalls in der amtlichen Parteidoktrin - als öffentliche Größen akzeptiert werden 41. Sie gehören zum sog. establishment, wenn man dieses Modewort überhaupt gebrauchen will 4 2 . Es ist auch richtig, daß große Teile des Volkes die Maßstäbe für ihr sittliches Verhalten den Lehren der beiden großen christlichen Konfessionen entnehmen, wie es das Bundesverfassungsgericht einmal ausgedrückt hat 43 . Es gibt auch keine weit über ein normales Maß hinausgehende Kirchenaustrittsbewegung 44. Aber an dem Hiatus zwischen Erscheinung und Wirkkraft ist doch nicht vorbeizukommen 45. Vielleicht kann man die Situation mit der paradoxen Formel einfangen, die Bundesrepublik sei ein volkskirchliches Missionsland 46, man befinde sich in einer volkskirchlichen Diasporasituation. Dabei sind die Großkirchen einem nennenswerten Konkurrenzdruck durch Freiwilligkeitskirchen, wenn überhaupt, dann nur in bestimmten regionalen Gegebenheiten ausgesetzt47. Laizistische Kirchenfeindlichkeit und kämpferischen Antiklerikalismus gibt es aufs Ganze gesehen - jedenfalls bislang noch - nur diffus und verhalten 48. Hingegen formieren sich immer deutlicher die Kräfte einer neuen „kritischen Aufklärung", deren Denken und Handeln sich betont „außerhalb der christlichen Vörstellungswelt" 49 bewegt und die denn auch schon mit einem staatskirchenrechtlichen Werk auf den Plan getreten sind 50 . Mit 41
Von großer Bedeutung ist hier die Wandlung in der Haltung der SPD: das Godesberger Programm markiert mit den Stichworten „Eigenständigkeit", „freie Partnerschaft", „öffentlich-rechtlicher Schutz" deutlich die Abkehr von alten laizistischen und kirchenfeindlichen Positionen (Text bei W. Mommsen, Deutsche Parteiprogramme [1960] S. 693). 42 Es ist freilich eine Übertreibung, wenn Mahrenholz (Anm. 22) S. 273 behauptet, die Kirchen nähmen im politischen establishment Westdeutschlands „die erste Rangstelle" ein. 43 BVerfGE 6, 389 (435). 44 Vgl. dazu P. Ziegen RGG 3 III (1959) Sp. 1344-1348; N. Greinacher, LThK 2 V I (1961) Sp. 194-197. 45 Scharf hervorgehoben bei Hesse (Anm. 19) S. 345 ff. 46 Zum Begriff „Volkskirche" siehe jetzt den klärenden Beitrag von Ch. Link, in: Evang. Staatslexikon (1966) Sp. 2451 ff. Die Formel „volkskirchliche Missionssituation" will gerade die von Link (a. a. O. Sp. 2453) - in Übereinstimmung etwa mit Scheuner (Anm. 30) S. 10 u. passim - zu Recht hervorgehobene „missionarische Chance" der Volkskirchlichkeit betonen. 47 Die zahlenmäßig größte „Kleinkirche" dürfte gegenwärtig die Neuapostolische Kirche sein: vgl. J. Lehmann, Die kleinen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts im heutigen Staatskirchenrecht (1959) S. 23 f. Nach der Statistik (Anm. 40) sind 1,5 % der Bevölkerung kleineren christlichen Religionsgemeinschaften zuzurechnen. 48 Dabei verdient die zunehmend selbstkritische Haltung der Kirchen gegenüber dem Phänomen des Klerikalismus Beachtung: vgl. etwa H Fleckenstein, Art. K., in: Staatslexikon6 IV (1959) Sp. 1080 ff.; H. Lilje/W. Besson, Art. K., in: Evang. Staatslexikon (1967) Sp. 1067 ff. Zum Begriff des Laizismus vgl. A. von Campenhausen, Evang. Staatslexikon (1966) Sp. 1203 f. 49 So Gerhard Szczesny sogleich zu Beginn seines Vorworts zu: Club Voltaire: Jahrbuch für Kritische Aufklärung 1(1963) S. 11. 50 E. Fischer, Trennung von Staat und Kirche. Die Gefährdung der Religionsfreiheit in der Bundesrepublik (1964). Zuletzt hat sich E. Denninger eingehend damit auseinandergesetzt: Theologia Practica 2 (1967) S. 168-176.
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Aufmerksamkeit wird zu beobachten sein, ob in der Programmatik und den Aktionen der jüngst hervorgetretenen, einer gesellschaftlichen Revolution zugeneigten Kräfte Religion und Kirche überhaupt noch einen Ort haben. Im ganzen steht man vor einer sehr differenzierten, spannungsreichen Situation; Schwarz-Weiß-Malerei ist ihr nicht angemessen. Auf Seiten der Kirchen besteht weder Grund zu Defaitismus noch zu Triumphalismus 51; auf Seiten des Staates muß man weiterhin mit den Kirchen als Potenzen mit Lebenskraft rechnen. b) In den Zusammenhang der Beobachtungen zur vollen Wirklichkeit des StaatKirche-Verhältnisses ist sodann das Postulat nach Vermeidung staatskirchenrechtlicher Introvertiertheit zu stellen. Schon die gesamtdeutsche Dimension 52 des Problems verbietet bundesrepublikanische Blickverengung. Man kann ihr entgehen durch sorgfältige, hier nun freilich besonders schwierige Rechtsvergleichung 53. Diese wird einerseits die Rechtswirklichkeit in Deutschland als eine für die Kirchen vor allem in Anbetracht ihrer finanziellen Hilfen seitens des Staates besonders günstige Sonderlage erkennen lassen. Auf der anderen Seite aber wird gerade sie, und zwar vornehmlich bei einer Analyse der sog. „negativen" Trennung in Frankreich und der sog. „positiven" Trennung in den USA, zu einer Entzauberung mancher Wunsch- und Modellvorstellungen führen 54. Eine ihrer wichtigsten, von Hans Maier zu Recht herausgestellten Erkenntnisse ist ja doch die von der „Erosion" der traditionellen Modellformen und rechtlichen Ausgestaltungen in ihren ideologisch-soziologischen Grundlagen 55. Es muß genügen, an Axel von Campenhausens Arbeit über Frankreich 56, an Stichworte wie „concordat de separa-
Formulierung in Anlehnung an K. Rahner, Grenzen der Kirche. Wider klerikale Triumphalisten und laikale Defaitisten, in: Wort und Wahrheit 19 (1964) S. 249-262. 52 Siegfried Grundmann hat immer wieder auf die gesamtdeutsche Verantwortung der Staatskirchenrechtslehre aufmerksam gemacht: vgl. etwa Das Verhältnis von Kirche und Staat im zweigeteilten Deutschland, in: Kirche und Staat, hrsg. v. Th. Heckel (1960) S. 31 49. - Zur staatskirchenrechtlichen Lage im anderen Teil Deutschlands vgl. W. Meinecke, Die Kirche in der volksdemokratischen Ordnung der Deutschen Demokratischen Republik (1962); Ch. Meyer, Das Verhältnis zwischen Staatsgewalt und Kirche im Lichte der Glaubens- und Gewissensfreiheit in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Diss. Mainz 1964; H. Johnsen, Staat und Kirche in der DDR, in: Im Lichte der Reformation. Jahrbuch des Evangelischen Bundes X (1967) S. 51-70. 53 Vergleichendes Staatskirchenrecht und vergleichende Staatskirchenpolitik als wissenschaftliche Aufgabengebiete sind kaum gepflegt. Wertvolle Ansätze in den Arbeiten von Hans Maier, maß-setzend vor allem: Kirche und Staat seit 1945. Ihr Verhältnis in den wichtigsten europäischen Ländern, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 1963, S. 558 ff.; 694 ff.; 741 ff.; ders., Religionsfreiheit in den staatlichen Verfassungen, in: K. Rahner/H. Maier/U. Mann/M. Schmaus, Religionsfreiheit (1966) S. 24-53. 54 U. Scheuner hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß man sich zumeist ein „idealisiertes Bild" von der Lage der Kirchen in Ländern des Trennungssystems mache: a. a. O. (Anm. 30) S. 25 ff. 55 Kirche - Staat - Gesellschaft (Anm. 30) S. 17, 20. 56 A. Frhr. v. Campenhausen, Staat und Kirche in Frankreich (1962); vgl. auch J. Chelini, Die Beziehungen von Staat und Kirche in Frankreich von der Trennung bis zur Gegenwart,
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tion" 5 7 oder „kooperativer Separatismus"58 zu erinnern. Jedenfalls ist es klarer vergleichender Befund, daß eine Trennungskonzeption unter den Bedingungen moderner pluralistischer Gesellschaftsordnungen zum Scheitern verurteilt ist, wenn sie in ideologischem Rigorismus und Purismus nach positivistischer Manier versuchen wollte, eine feinsäuberliche, Religiosität und Kirchlichkeit in den Raum des für die öffentliche Ordnung Indifferenten und Beliebigen abdrängende Trennung zu verwirklichen 59 . Es ist eine Konsequenz daraus, wenn zutreffend beobachtet wird, daß der moderne demokratische Staat dahin tendiert, „extreme Polarisierungen zu vermeiden und die Gegensätze [sc. von „Einheit" und von „Trennung"] in einem System des Ausgleichs sich einpendeln zu lassen"60. Es ist erregend zu sehen, daß gerade unter diesem universalen Aspekt die Entscheidungen von Weimar und von Bonn nicht ohne Vernunft sind 61 , daß sie sich in ihrer Kompromißhaftigkeit und der damit gegebenen Offenheit als wirklichkeitsgemäßer und wirkkräftiger als Retortenlösungen erwiesen haben. c) Zur vollen Wirklichkeit des Staat-Kirche-Verhältnisses gehören selbstverständlich auch die Lehren der Kirchen von eben diesem Verhältnis. Die Theorie des Staatskirchenrechts muß deshalb insoweit auch ekklesiologisch hellsichtig 62 sein. Wenn in diesem einleitenden, situationsklärenden Zusammenhang eigens darauf hingewiesen wird, so geschieht das, um eines Sachverhalts von überragender Bedeutung zu gedenken, nämlich der Neuorientierung in der amtlichen Lehre der Katholischen Kirche 63 . Diese ist durch die Erklärung des 2. Vatikanischen Konzils über die Religionsfreiheit 64 im Verein mit anderen Verlautbarungen auf eine neue in: Das Verhältnis von Kirche und Staat. Studien und Berichte der Katholischen Akademie in Bayern, 30 (1965) S. 15-47. 57 H. Maier, Kirche und Staat seit 1945 (Anm. 53) S. 745. 58 Vgl. dazu J. C. Murray, Das Verhältnis von Kirche und Staat in den USA, in: wie Anm. 56, S. 5 1 - 7 1 (57). Vgl. auch H.-W. Bayer, Das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche als Problem der neueren Rechtsprechung des United States Supreme Court, ZaöRV 24 (1964) S. 201-235. 59 Vgl. H. Maier, Kirche - Staat - Gesellschaft (Anm. 30) S. 22 ff. 60 Maier, a. a. O. S. 17. 61 Das ist mit diesen Worten jüngst auch von E. G. Mahrenholz (Anm. 22) S. 280 hervorgehoben worden. 62 Das muß wohl gegenüber der zur gängigen Münze gewordenen Formel von der ekklesiologischen Farbenblindheit des weltlichen Rechts (H. Barion, Ordnung und Ortung im kanonischen Recht, in: Festschrift für Carl Schmitt [1959] S. 30) einmal betont werden, so sehr diese als einprägsame Umschreibung des Neutralitätsprinzips ihr Recht behält. 63 Vgl. zum folgenden E.-W. Böckenförde, Religionsfreiheit als Aufgabe der Christen, in: Stimmen der Zeit 176 (1965) S. 199 ff.; 7. C. Murray, Die Erklärung über die Religionsfreiheit, in: Concilium 2 (1966) S. 319 ff.; R Mikat, Kirche und Staat in nachkonziliarer Sicht, in: Kirche und Staat. Festschrift für H. Kunst (1967) S. 105-125 (= Quaritsch/Weber [Anm. 1] S. 427-443); A. Schwan, Katholische Kirche und pluralistische Politik (1966); J. Hamer/Y. Congar (Hrsg.), Die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit (1967). 64 Declaratio de libertate religiosa, zit. nach: Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils, Bd. VI, hrsg. v. Paulinus-Verlag, Trier, S. 128 ff. Maßgebende Textausgabe (mit Kom-
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Basis gestellt worden 65. Mit der Anerkennung und der Forderung des Rechts auf Religionsfreiheit als eines allgemein-gültigen Prinzips für die Gestaltung des weltlichen ordo iuridicus - unbeschadet der theologisch-ethischen Dimension dieses Problems - ist endgültig Abschied genommen worden von der lange herrschenden doppelbödigen Anschauung, wonach „eigentlich" die Katholische Kirche als Staatsreligion anzuerkennen sei und nur notfalls, gewissermaßen „uneigentlich", ihr paritätischer, auf dem Prinzip der Religionsfreiheit gegründeter Status hingenommen werden könne. Jedenfalls müssen die maßgebenden Darstellungen des Ius publicum ecclesiasticum gründlich umgeschrieben werden 66. In der katholischen Lehre erscheinen jetzt - in substantieller Übereinstimmung mit Verlautbarungen und Forschungsergebnissen des Weltrats der Kirchen 67 - individuelle Religionsfreiheit und korporativ-institutionelle Kirchenfreiheit im Rahmen des ordo publicus eines bestimmten Gemeinwesens als die naturrechtlichen, offenbarungstheologisch mitbegründeten Fundamentalia einer rechten staatskirchenrechtlichen Ordnung. Die Kirche anerkennt und fordert paritätische, aktive Freiheit, mit deren Hilfe sie als Kirche mit einem universalen Verkündigungs- und Missionsauftrag in die Öffentlichkeit hineinwirken kann 68 . Für die institutionellen Beziehungen entspricht diesen in dieser Form neuen Fundamentalaussagen der Katholischen Kirche nicht mehr der Leitgedanke der „ordinata colligatio" 69 zweier Souveränitäten oder societates perfectae, sondern der Leitgedanke der „sana cooperatio" 70 von freier Kirche und neutral-offenem Staat im Dienst an dem einen Menschen auf dem Grunde wechselseitiger Unabhängigkeit und substantieller Geschiedenheit. Es ist dann aber auch nicht nur eine schöne pastorale Floskel, sondern steht in der Konsequenz dieses neuen Denkens, wenn erklärt wird, die Kirche setze ihre Hoffnung nicht auf staatlich gewährte Privilegien und sie sei zum Verzicht bereit, wenn „durch deren Inanspruchnahme die Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt ist, oder wenn veränderte Lebensverhältnisse eine andere Regelung erfordern" 71.
mentar) jetzt in: Lexikon für Theologie und Kirche. Das Zweite Vatikanische Konzil, Bd. I I (1967) S. 703-748. 65 Nachweise und Besprechung im einzelnen bei Mikat (Anm. 63). 66 Das gilt vor allem für den 2. Band der Institutiones iuris publici ecclesiastici von A. Ottaviani (4. Aufl., 1960). 67 Vgl. dazu insbesondere A. F. Carillo de Albornoz, The Basis of Religious Liberty (1963); ders., Le Concile et la Liberté Religieuse (1967). 68 Vgl. dazu insbesondere die Abschnitte 3 - 7 und 14 der Erklärung über die Religionsfreiheit. 69 Das ist die Grundformel der Enzyklika „Immortale Dei" von 1885. Vgl. dazu etwa Höllerbach, Verträge (Anm. 26) S. 107 ff. und Mikat (Anm. 63) S. 114. 70 Davon spricht der Abschnitt 76 der Constitutio Pastoralis de Ecclesia in mundo huius temporis, der vom Verhältnis zwischen „communitas politica" und Kirche handelt. 71 Ebenda: „Ipsa Ecclesia rebus temporalibus utitur quantum propria eius missio id postulat. Spem vero suam in privilegiis ab auctoritate civili oblatis non reponit; immo quorundam iurium legitime acquisitorum exercitio renuntiabit, ubi constiterit eorum usu sinceritatem sui testimonii vocari in dubium aut novas vitae condiciones aliam exigere ordinationem."
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In alledem kommt aber auch eine grundsätzliche Bejahung der freiheitlichrechtsstaatlichen Demokratie zum Ausdruck, wie sie schon früher angebahnt war 72 . „Daß mit der katholischen Religion keine vernünftige Verfassung möglich ist" - das hat Hegel 73 einmal als seine entschiedene Überzeugung ausgesprochen. Heute ist das gerade Gegenteil wahr, sofern die Vernunft der Verfassung in ihrer Freiheitlichkeit und Weltlichkeit gesehen wird. Es liegt auf der Hand, daß dies für die Fortentwicklung der „Kirchen unter dem Grundgesetz" von großer Bedeutung ist. Der ekklesiologisch hellsichtige Staat wird sehr wohl darauf Bedacht nehmen und die Kirchen gegenüber Rückfällen in dyarchisches oder einseitig „positionales" Privilegiendenken ohne Rücksicht auf das Ganze der Verfassung gerade an diesen religionsfreiheitlichen Ansatz erinnern und sie daran festhalten. Aber auch die weltliche Staatskirchenrechtslehre sollte sich das, was in der kirchlichen Lehre jetzt Ausdruck gefunden hat, zu Nutz und Frommen sein lassen: denn ihr wird damit ein Spiegel der Freiheit vorgehalten, und sie wird damit an das weltliche „Wesen" des modernen „Staatswesens" erinnert.
II. Vor diesem Hintergrund ist nunmehr ohne weitere Umschweife die Besprechung der eingangs angekündigten Einzel-Problemkreise in Angriff zu nehmen, darunter zuerst das klassische Thema: Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich 74. Endgültig ausgestanden ist die Frage des Rechtsschutzes gegen kirchensteuerliche Rechtsakte der Kirchen 75 . Hier hat das BVerfG noch vollends Klarheit geschaffen 76. Insoweit begegnet man jetzt nur noch unterschiedlichen RechtswegRegelungen77. Ruhe dürfte jetzt auch endgültig in Friedhofssachen eingekehrt sein, nachdem das BVerwG in einem Urteil vom 16. 12. 1966 einen Versuch zurückgewiesen hat, diesen Sachbereich der Kognition staatlicher Gerichte zu entziehen78. Ist hier mit Recht an der Justizhoheit des Staates festgehalten worden, so scheint sich auf dem Felde dienst- und vermögensrechtlicher Streitigkeiten kirchlicher 72
Vgl. dazu die Nachweise bei Schwan (Anm. 63) S. 17 ff. Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Sämtliche Werke (ed. Glockner) XI, S. 560. 74 Neueste Übersicht bei G. Meier, Die Entscheidung kirchlicher Angelegenheiten durch staatliche Gerichte, DVB1,1967, S. 703 bis 710. 7 5 Vgl. BVerwGE 7, 189. 7 6 BVerfGE 19, 206 (217 f.), 19, 288 (289), hier unter dem Gesichtspunkt des § 90 Abs. 1 BVerfGG. 73
77 Übersicht bei K. Müller, Der Finanzrechtsweg nach Landesrecht, BB 1967, S. 623 ff. Die Mehrheit der Länder hat aufgrund § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO den Finanzrechtsweg eröffnet. 78 BVerwGE 25, 364 = DVB1. 1967, S. 451.
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Amtsträger ein Rückzug der staatlichen Gerichtsbarkeit vollzogen zu haben79. Man scheint am Ende einer Epoche zu stehen. Denn es ist, nachzulesen in Urteilen vom 19. 2. und vom 27. 10. 1966, nunmehr die gemeinsame Auffassung von BGH 8 0 und BVerwG 81 , daß die staatlichen Gerichte in vermögensrechtlichen Angelegenheiten kirchlicher Amtsträger nur noch kraft kirchlicher Zuweisung, oder genauer: nur noch kraft kirchlicher Annahme des vom Staat mit § 135 BRRG gemachten Angebots82 staatlicher Justizgewährung zuständig sind. Der BGH hat dabei, allen Anfeindungen zum Trotz, an seine eigene frühere Rechtsprechung angeknüpft 83, sie modifiziert und sie dann zu äußerster Konsequenz geführt, zu der Konsequenz nämlich, „daß die Kirchen berechtigt sind, den staatlichen Rechtsschutz in vermögensrechtlichen Angelegenheiten nicht nur durch Einrichtung eigener Gerichte ... sondern auch ersatzlos auszuschließen"84. Der staatliche Rechtsweg kommt also nicht mehr nur subsidiär zum Zuge, sondern er ist überhaupt von kirchlicher Zustimmung abhängig gemacht. Das BVerwG hat sich unter die Tutel des BVerfG begeben, hat dabei aber übersehen, daß just jene die Reichweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts betreffende Stelle aus dem Hessischen Gemeindeteilungsfall 85, auf die es sich stützt, eine schwache Stelle ist und daß insoweit von allem Anfang an mehrfach Kritik geübt worden ist 86 . Die neuen höchstrichterlichen Urteile halten einer Kritik nicht stand87. Was die Entscheidungsgrundlagen im einfachen Gesetzesrecht anlangt, so haben beide Ge79
Klärende Übersicht bei H. Weber, Der Rechtsschutz im kirchlichen Amtsrecht, NJW 1967, S. 1641-1646. so BGHZ 46, 98 = NJW 1966, S. 2162 = JZ 1967, S. 406 m. Anm. H. Maurer. 81 BVerwGE 25, 266 = ZBR 1967, S. 161 m. abl. Anm. v. D. Scheven = DVB1. 1967, S. 729 m. abl. Anm. v. A. Frhr. v. Campenhausen. 82 Die Rechtsprechung zeigt sich stark beeinflußt von der „Angebotstheorie" H. Maurers (Zur Anfechtbarkeit kirchlicher Verwaltungsakte vor staatlichen Gerichten, DÖV 1960, S. 749-753), die auf der Annahme eines zur „loyalen Partnerschaft" gewandelten Verhältnisses beruht, aufgrund dessen dem Schrankenvorbehalt des Art. 137 Abs. 3 WRV nur noch Appellfunktion zukomme. 83 BGHZ 34, 372 = L M 3 zu Art. 140 GG m. Anm. v. Kreft. Gegen dieses Urteil v. 16. 3. 1961 war übrigens Verfassungsbeschwerde eingelegt worden. Da es sich jedoch um eine Berliner Sache handelte, wurde sie nicht zur Entscheidung angenommen (Beschl. v. 27. 11. 1963, 2 BvR 181/61). Daraufhin wurde der kirchliche Rechtsweg beschritten. Das kirchliche Rechtsschutzverfahren endete mit dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs der EKU v. 11.1.1965, JZ 1966, S. 408 = ZevKR 13 (1967) S. 175 m. krit. Anm. v. H. Johnsen, das unter grundsätzlichen Aspekten von P. Häberle eingehend gewürdigt worden ist: „Gemeinrechtliche" Gemeinsamkeiten der Rechtsprechung staatlicher und kirchlicher Gerichte? JZ 1966, S. 384 - 389. 84 D. Scheven (Anm. 81) S. 163. 85 BVerfGE 18, 385 (387 f.). 86 Vgl. P Häberle, Kirchliche Gewalt als öffentliche und „mittelbar" staatliche Gewalt, ZevKR 11 (1964/65) S. 395-403; S. Grundmann, Das BVerfG und das Staatskirchenrecht, JZ 1966, S. 81-86; A. Hollerbach (Anm. 9) S. 108 f. 87 Vgl. die Nachweise in Anm. 79 und 81; nachdrückliche Kritik auch bei U. Scheuner, DÖV 1967, S. 591.
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richte die Tragweite des § 135 BRRG verkannt. Es muß dabei bleiben, daß ihm die Funktion der Freistellung der Kirchen von staatlicher Justizhoheit bzw. eines bloßen Angebots weder zukam noch zukommt. Die Gerichte sind aber auch bezüglich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts einer Fehldeutung unterlegen. Die Regelung des kirchlichen Amtsrechts ist zwar auch bezüglich der vermögensrechtlichen Seite eine eigene Angelegenheit der Kirche. Aber es geht hier um ein temporale, das nicht völlig aus der Mitverantwortung des Staates herausfällt; hier kommt der Vorbehalt des für alle geltenden Gesetzes zum Zuge. Die vermögensrechtliche Position des Einzelnen ist nämlich mitbestimmend für die Stellung in der sozialen Gemeinschaft und hat Auswirkungen in den staatlichen Rechtsbereich hinein; auch der Kirchenangehörige oder kirchliche Bedienstete bleibt insoweit „Weltkind" und Bürger. Der Staat ist aber im Hinblick auf seine Funktion der Existenzsicherung Garant des Rechtsschutzes gerade bezüglich vermögensrechtlicher Verhältnisse des Bürgers; dabei muß an Art. 140 GG/136 Abs. 2 WRV erinnert werden. Die Aufrechterhaltung staatlichen Gerichtsschutzes insoweit entspricht deshalb zwingenden Erfordernissen eines geordneten Zusammenlebens von Staat und Kirche; die staatliche Justizhoheit ist mithin als für alle geltendes Gesetz im Sinne von Art. 137 Abs. 3 WRV zu qualifizieren; diese Norm bildet auch den Maßstab für die Reichweite der staatsgerichtlichen Kontrollbefugnis gegenüber kirchlichen Akten 88 . Wenn hier dafür plädiert wird, an der staatlichen Justizhoheit hinsichtlich vermögensrechtlicher Angelegenheiten festzuhalten, so hat das nichts mit einem wiedererwachten staatskirchenhoheitlichen „recursus ab abusu" zu tun. Vielmehr ergibt sich die Pflicht des Staates zur Rechtsschutzgewährung aus der Verflochtenheit kirchlicher und staatlicher Rechtsordnung und aus der auch aus kirchlicher Sicht anzuerkennenden, nach Maßgabe der Verfassung wahrzunehmenden irdischen Gemeinwohlverantwortung des Staates. Man braucht es allerdings nicht für ausgeschlossen zu halten, daß der Staat seine Rechtsschutzaufgabe den Kirchen überträgt; doch könnte das in Anbetracht der großen Bedeutung dieser Frage nur durch eine normative Regelung geschehen. Außerdem könnte es dem Staat nicht verwehrt werden, an Struktur und Qualität kirchlicher Gerichtsbarkeit Anforderungen zu stellen, welche die Gleichwertigkeit mit dem Standard staatlichen Rechtsschutzes gewährleisten. Aber vorerst muß es bei der geltenden Rechtslage verbleiben. Daß sie sowohl in Karlsruhe als auch in Berlin verkannt worden ist, kann nur dadurch gemildert werden, daß die kirchlichen Gerichte sich bemühen, die von Peter Häberle zu Recht untersuchten „gemeinrechtlichen Gemeinsamkeiten staatlicher und kirchlicher Gerichtsbarkeit" zur Geltung zu bringen 89 , was freilich im Verhältnis zur Katholischen Kirche noch auf Schwierigkeiten stößt90. 88 Vgl. dazu im einzelnen K. Hesse (Anm. 3) S. 144 ff. Zur Problematik der Reichweite der Nachprüfung vgl. auch K. A. Bettermann, Der Schutz der Grundrechte in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, in: Die Grundrechte I I I / 2 (1959) S. 793 f. S9 Vgl. oben Anm. 83. 90 Gegenüber der optimistisch gestimmten Darstellung von O. Katholnigg, Katholische Kirche und Rechtsweg, Diss. Frankfurt am Main 1960, wird man der praktischen Hemmnisse
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Die eigentliche ratio decidendi, wie sie vornehmlich im BGH-Urteil hervortritt, ist nun aber eine bestimmte „Wesensschau" vom Staat-Kirche-Verhältnis. Der BGH geht nämlich aus von einer „grundsätzlichen Gleichordnung von Kirche und Staat"; das Selbstbestimmungsrecht der Kirche finde seine Grenze an dem Koordinationsverhältnis, in dem sie zum Staat stehe und das die Grundlage für die durch die Verfassung gewährleistete „Autonomie" der Kirche bilde. Hier werden die Grundlagen der geltenden staatskirchenrechtlichen Ordnung verkannt, ja auf den Kopf gestellt. Staat und Kirche leben nicht in einem irgendwie vorausgesetzten Koordinationsverhältnis, sondern sie leben zusammen gemäß der Verfassung 91. Der Staat erkennt die Eigenständigkeit der Kirchen an, aber nur innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes; dieses gibt ihm die Möglichkeit einseitiger Grenzziehung, läßt aber auch koordinative Rechtsgestaltung zu. Ein Koordinationsverhältnis ist also nicht vorausgesetzt - vorausgesetzt ist allein der Grundsatz der Kirchenfreiheit - , sondern eine Koordinationsordnung wird jeweils erst in konkreter Verständigung von Staat und Kirche geschaffen, und das Koordinationsverhältnis reicht deshalb auch nur soweit sich Staat und Kirche im Wege des Vertrages koordiniert haben. Wo das - wie in Sachen Rechtsschutz - nicht der Fall ist, sind allein Verfassung und Gesetz maßgebend. Nicht findet also, um an die Argumentation des BGH anzuknüpfen, das Selbstbestimmungsrecht seine Grenze an dem irgendwie vorausgesetzten Koordinationsverhältnis, sondern das Selbstbestimmungsrecht entfaltet sich im Rahmen einseitig oder koordinationsrechtlich festgesetzter Grenzen. Nicht bildet das Koordinationsverhältnis die Grundlage für die „Autonomie", vielmehr verhält es sich gerade umgekehrt, sofern man nur statt „Autonomie" „Eigenständigkeit" setzt: Schade, der BGH hat der guten Sache einer „aufgeklärten" Koordinationslehre einen Bärendienst erwiesen. Dieser Fragenkomplex ist sogleich wieder aufzugreifen; doch bedarf es zunächst noch einmal der Rückkehr zur Rechtsschutzproblematik, von deren sicherer Bewältigung Rechtsprechung und Lehre noch entfernt sind. Das läßt sich mit einem unlängst gefällten, noch nicht rechtskräftigen Urteil des VGH Baden-Württemberg illustrieren, das eine bemerkenswerte Fallgestaltung betrifft 92 . Der Evangelische Oberkirchenrat in Karlsruhe hatte es abgelehnt, für Verhandlungen mit ihm die Vertretung eines Pfarrers, wegen dessen Amtsführung es zu Meinungsverschiedenheiten gekommen war, durch zwei Rechtsanwälte anzunehmen. Diese sind mit ihrem auf § 3 Abs. 2 RAO gestützten Feststellungsbegehren, daß sie zur außereffektiver Rechtsschutzgewährung eingedenk bleiben müssen. Die Schaffung eines geordneten Verwaltungsrechtsschutzes ist denn auch ein wichtiger Punkt in den gegenwärtigen Bemühungen um eine Reform des kanonischen Rechts; vgl. dazu H. Schmitz, Möglichkeit und Gestalt einer kirchlichen Gerichtsbarkeit über die Verwaltung, ArchKathKR 135 (1966) S. 18-38. 91 Vgl. dazu näher unten Abschnitt C. 9 2 Urteil v. 23. 5. 1967 (HI 159/66), noch nicht veröffentlicht. Vgl. zur Problematik („Die außergerichtliche Vertretung von Pfarrern gegenüber den evangelischen Kirchenleitungen durch Rechtsanwälte") einerseits D. Selb, andererseits E.-W. Benn, ZevKR 12 (1966/67) S. 303-309 bzw. 309-313.
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gerichtlichen Vertretung des Pfarrers gegenüber dem Oberkirchenrat berechtigt seien, soweit diese Vertretung Rechtsangelegenheiten zum Gegenstand hat, durchgedrungen. Das Urteil wird von der Auffassung getragen, § 3 Abs. 2 RAO sei als Ausfluß des Art. 19 Abs. 4 GG ein für alle geltendes Gesetz im Sinne von Art. 137 Abs. 3 WRV. Die Anwälte seien deshalb berechtigt, den Pfarrer in allen Angelegenheiten, die im Streitfalle staatlichen Gerichten zur Entscheidung unterbreitet werden könnten, auch außergerichtlich zu vertreten. Der VGH hat sich mit Recht darum bemüht, den Anspruch der Anwälte klar einzugrenzen und hat dabei auf die Jurisdiktionsgewalt des Staates abgestellt. Dabei hat er incidenter schon gegen den Stachel gelockt, indem er das oben besprochene Urteil des BVerwG kritisierte und ihm von vornherein die Gefolgschaft versagte. Gleichwohl ist das Urteil unzutreffend. Unbeschadet staatlicher Justizhoheit über vermögensrechtliche Streitigkeiten aus einem kirchlichen Dienstverhältnis ist den Kirchen kraft des Selbstbestimmungsrechts die Befugnis zu eigenständiger Ordnung ihres Dienstrechts in materiellrechtlicher und in verfahrensrechtlicher Hinsicht eingeräumt. Die Kirchen dürfen in einem Verwaltungsverfahren und in einem kirchengerichtlichen Verfahren aus eigenem Recht kirchliche Rechtspflege üben. Dabei müssen die Kirchen Gestaltungsfreiheit genießen, wenn es nicht zu einer Verfälschung der Eigenart der kirchenrechtlichen Beziehungen zwischen Kirche und einem geistlichen Amtsträger kommen soll. Kirchliche Leitung, hier in einem Verfahren der Dienstaufsicht, kann nur, wie sich die Grundordnung der Badischen Landeskirche ausdrückt, „geistlich und rechtlich in unaufgebbarer Einheit 93 vollzogen werden; deshalb muß immediater Verkehr zwischen dem Pfarrer und dem kirchlichen Leitungsorgan, muß etwa „correctio fraterna" unter vier Augen durch den Bischof möglich sein. Es wäre unerträglich, wenn die Kirchen gezwungen wären, einen Anwalt zu akzeptieren, auch wenn sich dessen Verhandlungsbefugnis auf die staatlicher Jurisdiktionsgewalt unterworfenen Streitpunkte beschränkt. Das Gericht hat hier die Bedeutung des § 3 Abs. 2 RAO im Lichte des ebenfalls aufgeblähten Art. 19 Abs. 4 GG hinaufgesteigert, hat dabei aber die Gewährleistung des Art. 137 Abs. 3 WRV verkürzt. Es hat nicht den rechten Ausgleich gefunden. So hat es nicht beachtet, daß die Schranken des für alle geltenden Gesetzes ihrerseits im Lichte der Bedeutung der gewährleisteten Freiheit gesehen werden müssen94. Unter diesem Aspekt ist aber zwingendes Erfordernis für das rechte Zusammenleben von Staat und Kirche in einem Gemeinwesen nur - als ultima ratio - der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten, nicht jedoch die anwaltschaftliche Vertretung in einem legitimerweise vom innerkirchlichen Recht geregelten Verfahren. So schwankt die Judikatur - mit der Lehre - in Sachen Rechtsschutz zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig. 93 Grundordnung der Evangelischen Landeskirche in Baden v. 23. 4. 1958, § 90 Abs. 2 (KGVB1. 17). 94 Der vom BVerfG bei der Interpretation des Art. 5 Abs. 2 GG entwickelte Grundsatz der Wechselwirkung (BVerfGE 7, 198 [208 f.]) verdient bei der Bestimmung von Freiheitsgewährleistungen allgemeine Beachtung; vgl. dazu K. Hesse (Anm. 7) S. 28 f., 126 f.
Die Kirchen unter dem Grundgesetz III. Vielleicht wird mit der Feststellung des Schwankens zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig auch das besondere Kennzeichen der Diskussionslage i m Sektor Vertragsrecht getroffen. Über den jüngsten Schwierigkeiten in der Praxis 9 5 , wo man mit bestehenden Verträgen nicht gerade mit Seidenhandschuhen umgegangen ist, und über den Auseinandersetzungen i m Schrifttum 9 6 9 7 drohte nicht nur in Vergessenheit zu geraten, daß die Existenz von Konkordaten und Kirchenverträgen mitsamt einer großen Zahl von Trabanten-Vereinbarungen dem deutschen Staatskirchenrecht der Nachkriegszeit eine charakteristische Prägung gegeben h a t 9 8 , sondern auch daß sich diese Verträge, und nicht zuletzt das Niedersächsische Konkordat 9 9 , als angemessene und fruchtbare Instrumente zur Schaffung einer guten Ordnung zwischen Staat und Kirche erwiesen haben. Das gilt für die jeweils erreichte Rechtsvereinheitlichung, die technische und sachlich reformierende Rechtsbereinigung durch Entflechtung, Entrümpelung und Entbürokratisierung, das gilt aber auch für das grundsätzlichere Ziel, die freiheitliche Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche fortzubilden 1 0 0 . Die neueren Staatskirchenver-
95 Zur Situation in Baden-Württemberg vgl. etwa O. Basse, Der Schulkampf in BadenWürttemberg, Lutherische Monatshefte 1967, S. 75-80; 124-129. Hier wird (S. 125) auch die bezeichnende Äußerung des baden-württembergischen Kultusministers Prof. D. Hahn zitiert: „Die Zeit der Konkordate ist vorbei". 96 Vgl. die Kritik, die H. Quaritsch an A. Albrecht, Koordination von Staat und Kirche in der Demokratie (1965) und, besonders heftig, an dem Buch des Verf. (Anm. 26) geübt hat: Neues und Altes über das Verhältnis von Kirchen und Staat, in: Der Staat 5 (1966) S. 451-474 (= Quaritsch/Weber [Anm. 1] S. 358-381). Vgl. ferner die Kontroverse zwischen G. Scheffler und H. Marré, Zur Koordination von Staat und Kirche, DVB1. 1967, S. 442-445. 97 Weiteres wichtiges Schrifttum: S. Grundmann, Art. Vertragskirchenrecht, Evang. Staatslexikon (1967) Sp. 2378-2386; K. Obermayer, Staatskirchenrechtliche Grundvorstellungen in den Konkordatstheorien des 19. Jahrhunderts, DÖV 1967, S. 505-516; D. Pirson, Der Kirchenvertrag als Gestaltungsform der Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Kirche, in: Festschrift für Hans Liermann zum 70. Geburtstag (1964) S. 177-195; H. Rust, Die Rechtsnatur von Konkordaten und Kirchenverträgen unter besonderer Berücksichtigung der Bayerischen Verträge von 1924, Diss. München 1964. - Zur Problematik des Reichskonkordats vgl. zuletzt F. Müller, Schulgesetzgebung und Reichskonkordat (1966); H. Mosler, Wer ist aus dem Reichskonkordat verpflichtet? in: Gedächtnisschrift H. Peters (1967) S. 350- 374; E. W Böckenförde, Rechtsgutachten zu Fragen der Neuordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen (noch unveröffentlicht). 98 Überblick bei H. Weber (Anm. 29) und bei A. Hollerbach (Anm. 26). Um aus der Zahl der kleineren Abkommen neueren Datums ein (bei H. Weber nicht angeführtes) Beispiel zu geben, kann auf die beiden Vereinbarungen über die evangelische bzw. katholische Seelsorge im Bundesgrenzschutz verwiesen werden, die vom 20.-23. 7./12. 8. 1965 bzw. 29. 7./12. 8. 1965 datieren (GMB1. 1965, S. 374 bzw. 377). 99
Vgl. dazu E. G. Mahrenholz (Anm. 22); E. Ruppel, Konkordat und Ergänzungsvertrag zum Evangelischen Kirchenvertrag in Niedersachsen, DVB1. 1966, S. 207-212. 100 Vgl. z u diesen Zielen zusammenfassend K. Hesse, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts seit 1945, JöR n. F. 10 (1962) S. 32 ff.
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träge, die übrigens nur behutsam über den Kreis der herkömmlichen Vertragsmaterien hinausgegangen sind 101 , bieten den Kirchen eine wichtige Rechtshilfe, und zwar nicht einmal so sehr durch die Abreden über einzelne Positionen als dadurch, daß in den Verträgen die Achtung des Staates vor der Eigenständigkeit und die Anerkennung öffentlicher Potentialität der Kirchen zum Ausdruck kommt 1 0 2 . Es tut sich in ihnen ein gemeinsamer Ordnungswille im Hinblick auf staatlich-kirchliche Kommunikation und Kooperation kund. Dabei sind die Verträge gerade unter rechtsstaatlichem Aspekt von Bedeutung: in Anbetracht der unter den Bedingungen in Deutschland notwendigen Regelungsdichte im Staatskirchenrecht haben sie dazu beigetragen, graue Zonen zu vermeiden und im Grundsätzlichen wie im Einzelnen möglichst klare Verhältnisse zu schaffen. Es war früher beliebt, das politische Problem konkordatärer Vereinbarungen auf die Alternative „Bund von Staat und Kirche" oder „pluralistische Aufspaltung des Staates durch die Kirche" zurückzuführen 103. Es sollte keiner weiteren Diskussion bedürfen, daß heute eine solche Vereinfachung die Sache verfehlt. Die Staatskirchenverträge fügen sich vielmehr im ganzen ein in die Verfassungsintention, auf dem Grunde substantieller Scheidung von staatlicher und kirchlicher Gewalt und im Bewußtsein notwendiger Verflochtenheit im gemeinsamen personalen Substrat und in der Gemeinsamkeit von Aufgaben Kommunikation und Kooperation 104 voneinander unabhängiger Größen zu ermöglichen und zu fördern. Deshalb ist auch das Ende des „Zeitalters der Konkordate" noch nicht gekommen, solange es gelingt, mit ihrer Hilfe die freiheitliche Ordnung im Verhältnis von Staat und Kirche fortzubilden. Aber trotz solcher positiven Aussagen über das Vertragsrecht hinsichtlich seiner Leistung und seiner Funktion gibt es nach wie vor über einige wichtige Grundsatzfragen rechtsdogmatischer Art keinen Konsens. Dem hat der Mitberichterstatter, zum Teil in einem kritischen Gespräch mit sich selbst, nachzugehen. Für das politische Gemeinwesen wird das Verhältnis von Kirche und Staat von der Verfassung bestimmt 105 . Diese anerkennt einen Status eigenständiger und öffentlicher Freiheit und läßt vertragliche Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Kirche zu 1 0 6 . Die Verfassung gibt aber keine genügenden Anhaltspunkte dafür, 101 Für das NK vgl. E. G. Mahrenholz (Anm. 22) S. 256 ff. 102 Vgl. dazu E. G. Mahrenholz (Anm. 22) S. 267, 270. 103 Exemplarisch E. R. Huber, Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich (1930) S. 204 ff. 104
Der Gesichtspunkt der Zusammenarbeit des Staates mit freien Kräften - bei Wahrung der Gesamtverantwortung des Staates - ist leitend für das Urteil des BVerfG zum BSHG und JWG vom 18. 7. 1967 (BVerfGE 22, 180 [200 u. öfter]); für die rechte Sicht der Sozial- und Kulturstaatlichkeit ist das von großer Bedeutung und verdient auch für den Bereich des Staatskirchenrechts starke Beachtung. 105 Vgl. a u c h oben Abschnitt II. 106 Zur Möglichkeit von Staatskirchenverträgen nach staatl. Recht vgl. Hollerbach (Anm. 26) S. 83 ff.
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daß sie ein allgemeines Koordinationsverhältnis zwischen Staat und Kirche in dem Sinne voraussetzt, daß nur noch das Vertragsrecht die rechte Basis für die gegenseitigen Beziehungen bilden könnte. Aber Staat und Kirche - als historisch wirkmächtige Institutionen erster Ordnung - können sich nach dem Maß von „Kirchenordnung" und „Staatsverfassung" jeweils durch konkrete Verständigung koordinieren, sie schaffen - unter dem Schutz der Verfassung - eine Koordinationsrechtsordnung. Sie ist in der Bundesrepublik von großer Dichte, diese Art der Rechtsgestaltung entspricht verbreiteter Rechtsüberzeugung und tendiert zu gewohnheitsrechtlicher Verfestigung. Die Staatskirchenrechtslehre sieht sich nun aber vor die Frage gestellt, ob es eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Einigung zwischen Staat und Kirche in der Form des Vertrages, eine Pflicht zu koordinativer Rechtsgestaltung gibt. Oder hat das BVerfG recht, wenn es meint, es stehe „völlig im Belieben" des Staates, ob und mit welchen Kirchen er Verträge abschließen wolle 1 0 7 ? In dieser apodiktischen Form ist diese Auskunft unrichtig. So kann es aus Gründen der Parität eine Pflicht zum Vertragsschluß geben, nicht automatisch, aber doch dann, wenn auf Paritätswahrung angetragen wird und die Gleichstellung sachlich begründet ist. In der Sphäre des rechtlichen Dürfens jedenfalls besteht auch eine Pflicht zu vertraglicher Einigung, wenn es um Änderung oder Fortbildung eines bestehenden Vertrages geht. Darüber hinaus allerdings läßt sich aus der Verfassung eine Rechtspflicht zu vertraglicher Einigung nicht herleiten. Die Verfassung läßt Koordinierung zu, gebietet sie aber nicht zwingend. Insofern bringt die Hessische Verfassung die Rechtslage nach Bundesrecht zum Ausdruck, wenn sie als staatskirchenrechtliche Gestaltungsmittel „Gesetz oder Vereinbarung", und zwar gleichberechtigt, nennt (Art. 50 Abs. 1). Die Verfassung ist insoweit „konzeptionell mehrschichtig" 108 . Wenn sich so aus der Verfassung auch keine prinzipielle Verpflichtung zu koordinations-rechtlicher Regelung ergibt, so ist doch aus ihr eine entsprechende Direktive 109 abzuleiten. Wenn der Staat sie befolgt, wird er der Verfassung besser gerecht, handelt er mit größerer Legitimität. Denn: der Staat anerkennt in der Verfassung die eigenständige Existenz der Kirchen aus eigenem Recht, er anerkennt das hohe Gut der Kirchen- und Religionsfreiheit und damit, bekräftigt durch das 107 BVerfGE 19, 1 (12). Zur Kritik vgl. meine Besprechung (Anm. 9) S. 123 und H. Weber (Anm. 2) S. 441. 108 Den Ausdruck „konzeptionelle Mehrschichtigkeit" gebraucht H. U. Klose, Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und den Evangelischen Landeskirchen in Hessen unter besonderer Berücksichtigung des Hessischen Kirchenvertrages vom 18. 2. 1960 (1966) S. 54. Der Meinung, daß diese „konzeptionelle Mehrschichtigkeit" durch Art. 140 GG überwunden worden sei, kann freilich nicht gefolgt werden. 109 Der Begriff „Direktive" wird hier in einem freieren Sinn gebraucht als bei P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht (1961), oder Das BVerfG und die Verfassungsdirektiven, AöR 90 (1965) S. 341-372. Direktive meint Richtungweisung auf eine Erfüllung der Verfassung, die im Spielraum der Möglichkeiten der Wirklichkeit angemessener ist, der Sache besser gerecht wird.
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Verbot der Staatskirche, seine eigene Selbstbegrenzung als weltliche Ordnungsmacht. Daraus folgt ein striktes Nicht-Einmischungs-Gebot. Deshalb wird gerade der säkulare Staat, um nicht dagegen zu fehlen, die Vertragsform wählen. Sie ist vornehmlich indiziert, wo es um die dem Zentrum der Kirchenfreiheit nahen Zonen geht. So ist koordinationsrechtliche Ordnung im Verfassungsstaat eine zwar nicht prinzipiell sachnotwendige aber sachadäquate Lösung des Problems. Sie ist ein förderliches „Instrument zur Realisierung freiheitlich-demokratischer Staatlichkeit" 110 . Folgt man dieser Direktive nicht, so ist nicht zu übersehen, daß die heutige Gesetzgebung kontraktuelle Elemente enthält. Wenn man nicht gerade in einer Kampfsituation steht, wird es sich normalerweise bei formell einseitiger Regelung um ein paktiertes Staatsgesetz handeln. Darüber hinaus muß man es für eine gutem freiheitlich-rechtsstaatlichem Stil entsprechende Pflichtigkeit halten, den Kirchen vor Erlaß staatsgesetzlicher Regelungen in aller Form Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Diesen Rechtsgedanken hat bekanntlich § 14 Abs. 2 des Österreichischen Protestantengesetzes111 in eine normative Fassung gebracht. Die Überlegungen zur Frage der Koordinierungspflicht sind mit der Feststellung abzuschließen, daß der Staat gehalten ist, sich den besonderen Gesetzlichkeiten des Vertragsrechts zu unterwerfen, wenn er den Weg der Koordination wählt; insofern hat er sich dann legitimerweise eine Selbstbindung auferlegt. Er kann dann grundsätzlich nicht mehr amphibisch taktieren. Doch steht man damit nun erst recht in einem äußerst kontroversen und komplexen Fragenbereich. Der Mitberichterstatter gehört zu denjenigen, die den völkerrechtlichen Charakter der Konkordate bestreiten. Er hält daran fest und insistiert auf der sachlichen Eigenart als dem entscheidenden Kriterium 112 . Es scheint ihm auch nicht möglich zu sein, gerade von der Verfassung her, Verträgen mit Bischöfen oder vielleicht einmal mit der Bischofskonferenz eine andere Qualifikation als Verträgen mit dem Hl. Stuhl zuteil werden zu lassen113. Es ist freilich einzuräumen, daß die Veränderung der Struktur des Völkerrechts das Maß der Anomalie, welche die Qualifizierung der Konkordate als völkerrechtliche Verträge darstellt, als nicht mehr so groß erscheinen läßt 114 . Insbesondere aber wird man zuzugeben no Albrecht (Anm. 29) S. 157. 111 Bundesgesetz vom 6. Juli 1961 über äußere Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche, BGBl. Nr. 182/1961, § 14 Abs. 2: „Die Behörden des Bundes haben Gesetzentwürfe, die äußere Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche berühren, vor ihrer Vorlage, und Verordnungen dieser Art vor ihrer Erlassung der Evangelischen Kirchenleitung unter Gewährung einer angemessenen Frist zur Stellungnahme zu übermitteln". 112 Verträge (Anm. 28) S. 100 ff. In gleicher Richtung mit differenzierter Begründung A. Albrecht (Anm. 29) S. 78 ff. 113 A. a. O. S. 104. 114
Unter Berufung auf seine Abhandlung „50 Jahre Völkerrecht", in: Jahrb. f. Internationales Recht 12 (1965) S. 11-41, hat U. Scheuner festgestellt: „Heute, wo die Völkerrechtsordnung auch internationale Organisationen und in begrenztem Umfang sogar Individuen
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haben, daß die überkommene Anschauung nahezu gewohnheitsrechtlich verfestigt ist, daß es aber vor allem nicht angängig ist, wenn bei bestehendem Vertragsverhältnis der eine Partner anders qualifiziert als der andere; denn es muß davon ausgegangen werden, daß der Hl. Stuhl aus allgemeinen staatskirchenpolitischen Erwägungen am völkerrechtlichen Charakter festhält 115 . Aber auch dann, wenn man Konkordate als völkerrechtliche Verträge auffaßt, können ihnen evangelische Kirchenverträge im sachlichen Rang nicht nachstehen. Auch sie sind echte koordinationsrechtliche Verträge, und es ist gemeindeutsches Recht, daß auch sie den Rang von Staats Verträgen einnehmen116. Es handelt sich bei Staatskirchenverträgen um durch ihre Eigenart im Verhältnis zu anderen abgehobene Verträge auf der Ebene der Verfassung 117; die kodifikatorischen Status Verträge jedenfalls gehören materiell zum Bereich der Grundordnung. Sie sind, und das muß wohl doch wieder einmal ganz elementar betont werden, nicht Verträge mit „rechtsfähigen Verwaltungseinheiten" 118. Es ist in Anbetracht klarer Verfassungsnormierungen und einer langen Staatspraxis, die von einer insoweit klaren Rechtsüberzeugung getragen ist, einfach nicht mehr möglich, sich in den Bahnen eines Rudolf Sohm zu bewegen: für ihn konnten Staatskirchenverträge „nur der Ausdruck eines juristisch irrelevanten Consenses der Kirche zu einem staatlichen Gesetzgebungsact", konnte der Konsens der Kirche nur „Untertanen-Consens" sein 119 . Der Versuch, solche Legaltheorie aufzuwärmen, ist staatskirchliches Gebaren und widerstreitet Art. 137 Abs. 1 WRV. Des weiteren sollte man sich dessen bewußt sein: Sachgrund für vertragsrechtliche Koordination ist nicht die Eigenschaft der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, Sachgrund ist vielmehr die vom Staat respektierte Eigenrechtsmacht der Kirchen. als Träger von Rechten kennt und die internationale Ordnung überhaupt nicht mehr nur als zwischenstaatliches System, sondern als universale Grundordnung der Völker und Menschen erscheint, fügt sich auch die Stellung des Heiligen Stuhles als einer moralische Autorität verkörpernden Einheit leichter in die Gesamtordnung ein": Die Stellung des Ökumenischem Rates im internationalen Leben, in: Zeugnis und Dienst im Spannungsfeld der Zeit. Beiträge aus der EKU zum 60. Geburtstag von Franz-Reinhold Hildebrandt (1966) S. 49. "5 Darauf hat E. W. Böckenförde (Anm. 97) S. 9 abgehoben. Vgl. auch H. Mosler (Anm. 97) S. 366 ff. 116 Vgl. S. Grundmann (Anm. 97) Sp. 2381 f.; K. Hesse (Anm. 100) S. 32. 117 Vgl. etwa die Zuweisung der Staatskirchenverträge zur Sphäre des Verfassungsrechts bei E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts Bd. I ( 9 1966) S. 236. Nach Albrecht (Anm. 29) S. 227 handelt es sich „um eine im Unterschied zu den verwaltungsrechtlichen Verträgen dem Verfassungsbereich zugehörige besondere Erscheinung des öffentlich-rechtlichen Vertrages". Iis Siehe aber demgegenüber die praktische Gleichsetzung von (ev.) Kirchen Verträgen und Verträgen des Verwaltungsrechts bei H Quaritsch, Kirchenvertrag und Staatsgesetz, in: Hamburger Festschrift für Friedrich Schack (1966) S. 125-141 (bes. S. 139). U9 Das Verhältnis von Staat und Kirche aus dem Begriff von Staat und Kirche (1873, Neudruck 1965) S. 53. 18 Hollerbach
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Damit nähert man sich dem Zentralproblem des Verhältnisses von Staatskirchenvertrag, Verfassung und Gesetz. Vorweg darf der Überzeugung Ausdruck gegeben werden, daß die Theorie der Staatskirchenverträge gut daran täte, im Streit zwischen Transformations- und Vollzugslehre für die letztere Partei zu ergreifen 120: das Staatskirchenvertragsrecht wird als solches ohne Umschaffung seiner Geltungsqualität durch ein „ita ius esto" der zuständigen Organe oder durch einen generellen Vollzugsbefehl im jeweiligen Bereich anwendbar gemacht 121 . Aber wir sind ja - für den Bereich des Völkerrechts - durch den Bericht von Herrn Partsch eindringlich darüber belehrt worden, daß mit dieser Entscheidung das Rangproblem noch nicht gelöst ist 1 2 2 . Die herrschende Lehre geht aber, sofern eine ausdrückliche Rangentscheidung nicht getroffen ist, von einem Gleichrang des Vertragsrechts mit dem Gesetzesrecht aus, so daß die lex-posterior-Regel zum Zuge kommt, bei strikter Unterscheidung allerdings zwischen dem rechtlichen „Dürfen" einerseits, dem rechtlichen „Können" andererseits 123. Auf diesem Standpunkt steht man denn auch überwiegend in der Konkordatslehre 124 und läßt ihn auch - Herrn Quaritsch ausgenommen125 - für die Beurteilung der evangelischen Kirchenverträge maßgebend sein. Im übrigen ist es der Standpunkt der Judikatur: in der Gefolgschaft des BVerfG 126 hat ihn der VGH in Mannheim im baden-württembergischen Schulstreit kräftig hervorgekehrt, allerdings bezogen auf eine Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers127. Sollte diese Auffassung weiterhin die herrschende bleiben, so wird man größten Wert darauf legen müssen, daß der Unterschied zwischen dem rechtlichen Dürfen und dem rechtlichen Können nicht verschleiert wird, d. h. daß unbeschadet der innerstaatlichen Gültigkeit des vertragswidrigen Gesetzes Vertragsbruch Vertragsbruch genannt wird. Demgegenüber ist aber doch die Frage wachzuhalten, ob man hier einer undifferenzierten Anwendung der lex-posterior-Regel das Wort reden darf 128 . Es ist näm120 Vgl. jetzt (mit einem Votum für die Vollzugslehre): Die Anwendung des Völkerrechts im innerstaatlichen Recht. Überprüfung der Transformationslehre. Bericht von K. J. Partsch (Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 6, 1964). Grundsätzlich abweichend W. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht (1967). Vgl. auch G. Boehmer, Der völkerrechtliche Vertrag im deutschen Recht (1965). 121 Vgl. Hollerbach (Anm. 26) S. 154 ff. 122 A. a. O. (Anm. 120) S. 25, 93 ff. 123 Nachweise bei Boehmer (Anm. 120) S. 65 ff. 124 Nachweise bei Albrecht (Anm. 29) S. 210. 125 A. a. O. (Anm. 118) S. 139: nach ihm ist auch der Vertrag als solcher „unwirksam", „wenn und soweit ihm eine lex posterior die gesetzliche Deckung entzogen hat". Diese Auffassung ist mit Recht von U. Scheuner scharf kritisiert worden: (Anm. 30) S. 126 Anm. 28. 126 BVerfGE 6, 309 (346 ff., 363). 127 Beschluß v. 14. 2. 1967 (IV 814/66), BaWüVBl. 1967, S. 74 = DVB1. 1967, S. 462; Beschluß v. 2. 6. 1967 (IV 813/66), DÖV 1967, S. 637. 128 Die Notwendigkeit der Differenzierung wird immer mehr anerkannt für das Verhältnis von europäischem Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht: aus der Fülle der Literatur hierzu vgl. J. Frowein, Zum Verhältnis zwischen dem EWG-Recht und nationalem Recht aus
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lieh immer wieder an die Eigenart von Staatskirchenverträgen zu erinnern. Sie schaffen - in der Formulierung von Rudolf Smend 129 - eine „von Staat und Kirche verabredete und gemeinsam vollzogene kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Ordnung in dem gemeinsamen staatlich-kirchlichen Raum". Es ist - anders ausgedrückt - die spezifische Funktion des Staatskirchenvertragsrechts, in Übereinstimmung mit der Verfassung ein wesentliches Stück des inneren Verfassungslebens unter gemeinsamer Verantwortung von Staat und Kirche auf Dauer zu regeln und diese Normenordnung als konsentierte Ordnung aller Kommunikation und Kooperation zugrundezulegen. Dabei darf vor allem nicht übersehen werden, daß diese Verträge im Dienst überragender Rechtsgüter stehen, nämlich der Religions- und Kirchenfreiheit. Insofern erkennt der Staat, wenn er sich aus betonter Achtung der verfassungsrechtlich anerkannten Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirchen für koordinative Rechtsgestaltung entscheidet, den Verträgen eine besonders verfassungsnahe Qualität zu. Das rechtfertigt es, wie es das die nordrhein-westfälische Verfassung heute schon tut 1 3 0 , dem einfachen Gesetzgeber auch das rechtliche Können zu versagen, im Verhältnis von Staatskirchenvertragsrecht und Gesetzesrecht die Anwendung der lex-posterior-Regel also auszuschließen. Das wäre jedenfalls als rechtspolitische Forderung zu erheben, als Forderung nach einer klaren rangbestimmenden Verfassungsnorm, die den Übergesetzesrang für staatskirchenpolitisch bedeutsame Verträge generell festlegt oder den Zustimmungsgesetzgeber zu einer entsprechenden Rangeinstufung in concreto ermächtigt. Wenn man solche Überlegungen anstellt, so muß man sich allerdings davor hüten, „bündischen" oder „integralistischen" Gedankengängen zu verfallen, welche die unübersteigbare Dualität von Staat und Kirche zu überdecken drohen. Es gibt auch keinen „staatlich-kirchlichen Kollegialgesetzgeber" 131. Aber die Direktive der Verfassung zu vertraglicher Einigung sollte auch insoweit optimal zur Geltung der Sicht des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften, BB 1964, S. 233-238; klärend vor allem aber H. P. Ipsen, Das Verhältnis des Rechts der europäischen Gemeinschaften zum nationalen Recht, in: Aktuelle Fragen des europäischen Gemeinschaftsrechts. Europarechtliches Kolloquium 1964 (1965) S. 1 bis 27, wo für den Vorrang des Gemeinschaftsrechts auf die Gesichtspunkte Funktion, Eigenart und Wertdifferenz abgehoben wird. - Für das Volkerrecht hat Partsch (Anm. 120) S. 99 ff. einen Vorschlag entwickelt, der in der Sache ebenfalls von solchen Leitgesichtspunkten ausgeht, wenn er bei Verträgen von „ganz grundlegender Bedeutung", konkret bei Verträgen des Volkerverfassungsrechts und bei grundlegenden Vertragswerken zum Schutze der Würde des Menschen, dafür eintritt, daß solchen Verträgen im Zustimmungsgesetz Vorrang vor dem Gesetzesrecht beigelegt werden kann 129 JZ 1956, S. 266. 130 Art. 23 Abs. 2. Vgl. dazu auch Hollerbach (Anm. 26) S. 159; im gleichen Sinne jetzt E. W. Böckenförde (Anm. 97) S. 38 mit Nachweisen aus den Verfassungsberatungen, wo von dem Abg. Dr. Scholtissek gesagt wurde: „Wir erkennen damit nicht an, daß das Land das Recht hat, sich durch eigene Gesetze über bestehende Vertragsbindungen hinwegzusetzen." A. A. Quaritsch (Anm. 118) S. 129 Anm. 29, der jedoch über den Wortlaut der Norm hinweggeht. 131 Zutreffend Albrecht (Anm. 29) S. 217. 18*
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gebracht werden. Andererseits sollte damit die Fortentwicklung des vertragsrechtlichen Instrumentariums zum Zwecke besserer Anpassung des Vertragsrechts an den Stil demokratischer Rechtssetzung korrespondieren. Denn es darf nicht in seiner Bedeutung verkannt werden, daß Vertragsrecht erhöhte Bindung mit sich bringt, Hemmung der Fähigkeit, auf neue Lagen rasch zu reagieren. Immerhin kann hier die Freundschaftsklausel 132, wenn sie wirklich ernst genommen wird, etwas leisten, und zwar mehr, als gemeinhin angenommen wird. Einen begrüßenswerten Versuch bedeutet jetzt etwa die Revisionsklausel des Niedersächsischen Konkordats 133 . Aber warum sollte es darüber hinaus nicht auch einen befristeten oder kündbaren Staatskirchenvertrag geben? Das führt zuletzt auf Grundfragen der Vertragspolitik zurück. Es gibt so etwas wie einen „contractual self-restraint", wenn diese Formulierung erlaubt ist; er zahlt sich in der Regel aus. Maximalismus hingegen und erst recht „positionales Denken" dort, wo es nicht um einen articulus stantis et cadentis ecclesiae in re publica geht, pflegt nicht selten mit Schwierigkeiten und Streit erkauft werden zu müssen.
IV. Wer sich betont den Brennpunkten des Staatskirchenrechts zuwendet, darf selbstverständlich nicht versäumen, zu dessen „crux" 1 3 4 Stellung zu nehmen, zur - möglichen - öffentlich-rechtlichen Korporationsqualität der Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften nämlich 135 . Nun scheint sich zwar in der Interpretation des geltenden Rechts ein gewisser Konsens anzubahnen, nachdem vorgeschobene Linien zurückgenommen worden sind 136 . Aber man sieht sich gerade hier der kritischen Frage nach der Rechtfertigung und - de constitutione ferenda vel reformanda - der Frage nach einer Alternative ausgesetzt137. Die schon vorhin zum Ausdruck gebrachte These ist aufzugreifen und zu verdeutlichen: die Kirchen sind faktisch und - auf Grund des ihnen zukommenden konstitutionellen Grund-Status - auch normativ öffentliche Potenzen, insofern die 132
Zur Bedeutung des Grundsatzes der „amicabilis compositio" vgl. Albrecht (Anm. 29) S. 284 f., 304 f.; Hollerbach (Anm. 26) S. 249-254. 133 Art. 19 Abs. 2. Zutreffende Deutung bei Mahrenholz (Anm. 22) S. 245 ff. 134 K. Hesse (Anm. 19) S. 357. 135 Genaue Darstellung des Meinungsstandes und Erörterung der Einzelprobleme bei H. Weber, Die Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts im System des Grundgesetzes (1966). Wichtig die kritischen Anstöße bei P. Mikat, Kirchliche Streitsachen vor den Verwaltungsgerichten, in: Staatsbürger und Staatsgewalt I I (1963) S. 315-342. 136 So ist K. Hesse (Anm. 19) S. 358 ausdrücklich von seiner Auffassung abgerückt, daß ein notwendiger Zusammenhang zwischen Öffentlichkeitsauftrag, öffentlicher Bedeutung und öffentlicher Stellung der Kirche bestehe. 137 Zum folgenden vgl. den Versuch des Verf., Die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 1 (1967) S. 46-67.
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Verfassung sie dazu ermächtigt. Dabei soll unter „öffentlich" dasjenige verstanden sein, was betonten Bezug auf und gesteigerte Bedeutsamkeit für das überindividuelle Gesamtleben einer politischen Gemeinschaft hat 1 3 8 . „Öffentlich", so kann man sagen, sind diejenigen Kräfte, die im Prozeß der Entfaltung und Gestaltwerdung des Gemeinwesens und dabei vor allem im Prozeß der geistigen Auseinandersetzungen über die Lebensfragen des Volkes eine Rolle spielen, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß damit die Wirklichkeit des konkreten Gemeinwesens in seiner gesamtgesellschaftlichen Gestalt wesentlich verkürzt würde 139 . Die Kirchen sind aber nicht aus sich Institutionen des öffentlichen Rechts. Die Staat und Kirche umgreifende Einheit eines von der konkreten Verfassung unabhängigen ius publicum ist zerbrochen. „Ius publicum in sacris, in sacerdotibus, in magistratibus consistit": dieser Satz aus den Digesten 140 gilt heute, zumal in Anbetracht des Art. 137 Abs. 1 WRV, nicht mehr. Man kann zwar den Versuch machen, der Diskussion einen allgemeinen, theoretischen Begriff des öffentlichen Rechts zugrundezulegen, und dessen Kennzeichen in seiner eine menschliche Gemeinschaft zusammenordnenden Funktion und in seiner Amtsbezogenheit141 sehen. Aber man abstrahiert dann von den konkreten historisch-politischen Bezügen. Danach aber ist öffentliches Recht da, wo hoheitliche Gewalt - und damit potentiell zwangsbewehrte Gewalt - ausgeübt wird, die auf die gute Ordnung des Gemeinwesens im Ganzen bezogen ist. Das wiederum umschreibt die Aufgabe des Staates, der deshalb in einem politischen Gemeinwesen um seiner Gemeinwohlverantwortung willen gemäß der Verfassung über den Bereich des öffentlichen Rechts verfügt. Die Qualifizierung als öffentlich-rechtlich und die darin beschlossene Zuweisung eines öffentlich-rechtlichen Status ist von der Mitwirkung des Staates abhängig; seine Verfügung ist insoweit konstitutiv, aber auch grundsätzlich reversibel. Es ist ein verliehener Status, und zwar ein spezifizierter, innerhalb von ultra-viresGrenzen limitierter Status, kein universaler publizistischer Gesamtstatus. Vom unabdingbaren Grund-Status her erscheint er als Dreingabe. Freilich hat diese Dreingabe sinnvollen Bezug auf den Grund-Status; denn der Staat leistet abschirmend oder fördernd - in einem weiteren Sinne - Rechts- und Finanzhilfe zugunsten der Religions-Körperschaften, auf daß diese ihre eigenständige und öffentliche Freiheit optimal entfalten können 142 . Diese Hilfen (zusammen mit den anderen, aber von 138
Mit diesem Versuch, den Sinngehalt des Begriffes „öffentlich" material zu bestimmen, wird vornehmlich angeknüpft an R. Smend, Zum Problem des Öffentlichen und der Öffentlichkeit, in: Forschungen und Berichte aus dem öffentlichen Recht. Gedächtnisschrift für W. Jellinek (1955) S. 11 ff. Was hier mit „Öffentlichkeit" gemeint ist, liegt zwischen dem Öffentlichkeitsbegriff im normativen und im soziologischen Sinne, wie er bei H. Weber (Anm. 135) S. 63 ff. gefasst ist. 139 A. Albrecht (Anm. 29) S. 152 und passim spricht vom Rang der Kirche als öffentlich bedeutsamer „Institution der Wertbildung und Wertpropagierung". 140 D. 1, 1, 1, 2 (Ulpian). 141 Vgl. dazu insbes. A. Köngen, Das anvertraute öffentliche Amt, in: Staatsverfassung und Kirchenordnung. Festgabe für R. Smend zum 80. Geburtstag (1962) S. 119-149. 142 Im einzelnen vgl. A. Hollerbach (Anm. 137) S. 58 ff.
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der Korporationsqualität unabhängigen Einzelgerechtsamen) stützen die öffentliche Präsenz der Kirchen und verschaffen ihr, wie neuerdings vor allem Ulrich Scheuner mehrfach betont hat, „Möglichkeiten der missionarischen Wirkung" 143 . Zu wenigen Einzelproblemen ist Stellung zu nehmen. Was die mit der Korporationsqualität gegebene Art der juridischen Personalität anlangt, so ist es gewiß richtig, daß im Hinblick auf die von Amts- oder Dienstgedanken geprägte, institutionalisierte und weithin auch rechtlich durchnormierte Eigenstruktur der Kirchen die Robe der öffentlich-rechtlichen Körperschaft besser paßt als das bürgerliche Kleid des eingetragenen Vereins, obwohl auch die öffentlich-rechtliche Figur nur eine Hilfskonstruktion ist, welche der Eigenart der kirchlichen Rechtsgestalt nicht voll gerecht werden kann. Aber man sollte sich hüten, sich gerade hier auf Positionen zu versteifen und einen „horror privati" zu kultivieren; denn eine juridische Personalität nach allgemeinem bürgerlichen Recht würde an der vor allem mit Art. 137 Abs. 3 WRV verfassungskräftig gewährleisteten freien Eigenrechtlichkeit der Kirchen nichts ändern, und dies ist ja doch materiell das Entscheidende. Die Verfassung widerstreitet einer Gleichschaltung der Religionsgemeinschaften mit Vereinen, Verbänden und Verwaltungseinheiten in einem egalitären Eintopf sowohl auf der öffentlich-rechtlichen wie auf der privat-rechtlichen Ebene, die Religionsgemeinschaften haben allemal einen spezifischen staatskirchenrechtlichen Rechtsstand. Auch in dieser Frage sollte die in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat selbstverständlich anzustrebende Entideologisierung der starren Dichotomie von öffentlichem und privatem Recht ihre Früchte tragen. Jedenfalls ist entschieden dagegen Front zu machen, daß die öffentlich-rechtliche Qualität nur noch als Status-Symbol erscheint. Unter den einzelnen Korporationsrechten steht das kirchliche Besteuerungsrecht 144 naturgemäß obenan. Nachdem das BVerfG die Heckenschere angelegt und einige Triebe abgeschnitten hat - ob in allem zu Recht, muß hier dahingestellt bleiben 145 , sind gegen das geltende Kirchensteuerrecht durchgreifende Bedenken aus dem positiven Recht nicht mehr zu erheben. Um so mehr aber gibt das Kirchensteuerrecht Anlaß, die Frage nach seiner Rechtfertigung und damit nach der Rechtfertigung von kirchlichen Privilegien im demokratischen Gemeinwesen überhaupt zu diskutieren. Dabei darf zuerst auf die recht lebhafte und erfreulich offene i « (/. Scheuer (Anm. 30) S. 114. 144 Neueste Arbeiten dazu: P. Mikat, Grundfragen des Kirchensteuerrechts unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen, in: Gedächtnisschrift Hans Peters (1967) S. 328-349; H. Marré , Zum Wesen des gegenwärtigen kirchlichen Besteuerungsrechts, ebenda S. 302-327; ders., Zur Problematik der Kirchensteuer, in: Civitas V I (1967) S. 166-181; ders., Die Kirchensteuer. Entstehung, Problematik und Reform, in: Stimmen der Zeit 180 (1967) S. 311-325; H. Paulick, Kirchensteuer und Grundgesetz in: Staat und Gesellschaft. Festgabe für G. Küchenhoff (1967) S. 155 -171. 145 Vgl. dazu S. Grundmann, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Kirchensteuersachen und das Staatskirchenrecht, JZ 1967, S. 193-198, sowie den Bericht des Verf. (Anm. 9) S. 112 ff.
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Debatte im innerkirchlichen Raum hingewiesen werden 146 . Sie zeigt, soweit sich nicht Stimmen für eine radikale Abschaffung des geltenden Systems erheben, jedenfalls die Bereitschaft zu kritischem Umgang damit, zumal - für den Katholizismus - das 2. Vaticanum deutlich das maßgebende Kriterium: die Verträglichkeit mit dem Heilsauftrag ins Licht gerückt hat 1 4 7 . In der Tat würde derjenige, der das geltende System ohne kritische Dauerreflexion einfach akzeptiert, einem gefährlicheren Spiritualismus huldigen als derjenige, der dafür plädiert, den Arm des Staates nicht in Anspruch zu nehmen. Im einzelnen läßt die Debatte erkennen, daß man sich darum bemüht, in der Kirchensteuer den Charakter des theologisch legitimierten Beitrags hervortreten zu lassen, die Steuergerechtigkeit zu verfeinern, für die Publizität der Kirchenhaushalte zu sorgen und die Mitverantwortung der Laien zu aktivieren. Es wird darüber diskutiert, ob gegenüber dem geräuschlosen Staatsinkasso ein eigenverwaltetes Kirchenbeitragssystem eine größere pastorale Chance bietet. Man wird diese Chance nicht zu hoch veranschlagen dürfen; denn man maß wohl zweifeln, ob ein kirchliches Steueramt der Ort für ein fruchtbares seelsorgerliches Gespräch sein kann 148 . Unverkennbar sind auch die Gefahren etwa des amerikanischen Freiwilligkeits- und Opfersystems: eine Gemeinde, ja sogar die Verkündigung in der Gemeinde kann in zu starke Abhängigkeit von einem potenten Geldgeber geraten 149. Erst jüngst ist darauf hingewiesen worden, daß es mit der prekären finanziellen Situation der auf Spenden der Gemeindeglieder angewiesenen Kirchen zusammenhängt, wenn diese die Frage der Rassentrennung und Bürgerrechtsbewegung „wie den heißen Brei umgehen" 150 . 146 Außer den in Anm. 144 genannten Arbeiten vgl. für den katholischen Bereich H. Flatten, Fort mit der Kirchensteuer? (1964); V. Schmitt, Was macht die Kirche mit dem vielen Geld?, in: N. Greinacher/H. Th. Risse, Bilanz des deutschen Katholizismus (1966) S. 248 ff.; für den evangelischen Bereich vgl. W. Wilken, Unser Geld und die Kirche? (21964); W. Hammer, Zur volkskirchlichen Verantwortung im Umgang mit dem Geld. Vortrag in der Generalversammlung der Darlehensgenossenschaft der Westfälischen Inneren Mission am 24. 4. 1967 in Münster/Westf. (als Ms. gedr.). 147 Vgl. oben Anm. 71. 148 Hervorgehoben von Hanspeter Schickling, Die Steuersysteme der römisch-katholischen Kirche in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland, Diss.rer.oec. Innsbruck 1964, S. 189. 149 Vgl. dazu H. Marré in dem in Anm. 136 zuletzt genannten Aufsatz, S. 315 f. Hier die authentische Stimme eines amerikanischen Beobachters, der die Verhältnisse in der Schweiz und in den USA vergleicht: „In Switzerland, the ministers of religions appear to be much less engrossed in material activities than their counterparts in America. They have more time to be shepherds of their flocks and need devote little energy to conducting carnivals, raffles, and bingo games. One hears few,money sermons' from Swiss pulpits. It might also be suggested that a Swiss minister is likely to be much less inclined to trim his doctrine to satisfy the desires of a leading contributor. In general, his attempts to establish the proper rapport with his parishioners are perhaps less embarrassed, in as much as his support and that of his church does not depend upon the contributions given by those for whom he is spiritual guide": F. William O'Brien , Church and State in Switzerland: a comparative study, in: Virginia Law Review 1963, pp. 904 to 924 (920).
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Die Beurteilung aus staatlicher Sicht wird in dem Streben nach Entideologisierung sehr differenziert anzusetzen sein. So müssen etwa allgemein-gesellschaftspolitische Implikationen einer Änderung des gegenwärtigen Systems bedacht werden. Paul Mikat 151 hat z. B. darauf abgehoben, daß bei dem bei Wegfall der staatlich eingehobenen Kirchensteuer zu erwartenden Rückgang der Steuereinnahmen die Kirchen nicht mehr in gleichem Maße wie bisher in der Lage wären, ihre karitativen und sozialen, ihre diakonischen und kulturellen Aktivitäten zu verfolgen, die ja auch dem allgemeinen bürgerschaftlichen Gemeinwohl zugute kommen. Staat und Gemeinden müßten dann stärker in diese Funktionen eintreten mit der Folge einer bloßen Verlagerung der Steuerlast und einer zunehmenden Monopolisierung des gesellschaftlichen Lebens. Das verweist zugleich auf grundsätzliche Probleme des Strukturwandels der modernen Demokratie: der Staat dieser Demokratie kann nicht die gewährten Freiheiten völlig sich selbst überlassen. Er kann sich um seiner Freiheitlichkeit willen nicht der Aufgabe entziehen, die Freiheiten auch zu stützen und sie effizient werden zu lassen. Das gilt insbesondere für den nicht auf ökonomische Macht abgestützten geistig-kulturellen Sektor. Es ist deshalb nicht nur eine Entscheidung der positiven Verfassung, sondern entbehrt nicht der auch sachlichen Rechtfertigung, wenn der Staat in der Lage ist, gerade geistige Kräfte zu fördern und darunter die Kirchen als „Träger eines geistigen Auftrags am Menschen" 152 besonders zu berücksichtigen. Dem könnte nur die radikaldemokratische Konzeption absoluter Neutralität und Egalität entgegengesetzt werden, die jedoch jedenfalls dem Grundgesetz nicht zugrunde liegt. Es versteht sich indes beinahe von selbst, daß Präferenzen und Privilegien in der Demokratie ein gewisses, freilich im einzelnen schwer bestimmbares Maß nicht überschreiten dürfen. Übermaßprivilegien bedrohen Entwicklung und Lebensfähigkeit der Demokratie; sie kehren sich zuletzt gegen den Privilegierten selbst. Deshalb müssen die Kirchen für ihre Existenz im politischen Gemeinwesen das „Ethos der modernen Demokratie" 153 , müssen sie das Grundgesetz des Pluralismus ernst nehmen.
150 Vgl. den Bericht von Sabina Lietzmann, Ärger mit Pater Groppi, F. A. Z. Nr. 217 v. 19. 9. 1967. 151 Das Verhältnis von Kirche und Staat im Lande Nordrhein-Westfalen in Geschichte und Gegenwart (1966) S. 39. 152 u. Scheuner (Anm. 30) S. 115. H. Maier, Kirche-Staat-Gesellschaft (Anm. 30) S. 34 hat zutreffend beobachtet, daß „die Neigung der modernen Gesellschaft, sich in technisch perfekter Selbstbezogenheit als geschlossenes System zu etablieren", die Funktion der Kirchen als eines „pouvoir spirituel" verstärke.
1 53 Vgl. E.-W. Böckenförde, Hochland 50 (1957/58) S. 4-19.
Das Ethos der modernen Demokratie und die Kirche, in:
Die Kirchen unter dem Grundgesetz V. Man braucht es kaum auszusprechen, daß das Thema „Staat und Kirche in der Schule" für das Gesamtverhältnis von Staat und Kirche von der allergrößten Bedeutung i s t 1 5 4 . Die Schule ist und bleibt ein Gegenstand des intensivsten gemeinsamen Interesses und ein Feld der Kooperation. Die folgenden Erwägungen konzentrieren sich auf das Problem der religiös-konfessionellen Gestaltung des Volksschulwesens; sie stellen die mit dem Religionsunterricht 1 5 5 , der Konfessionalität der Lehrerbildung 1 5 6 und den konkordatären A b r e d e n 1 5 7 zusammenhängenden Fragen hintan. Dabei wird nicht verkannt, daß die Verfassungen, wenn überhaupt, es als ein Recht der Eltern, nicht der Kirchen ansehen, auf die konfessionelle Gestaltung der Schule Einfluß zu nehmen: es handelt sich um „Elternrecht", nicht um „Kirchenrecht". Gleichwohl muß man dafürhalten, daß die Verfassung auch den Kirchen als Institutionen ein schutzwürdiges Interesse an der Konfessionalität oder Christlichkeit der Erziehung in der Schule zubilligt; denn die Sorge für die - von der religiösen nicht zu trennende - geistig-sittliche Erziehung der Kirchenglieder gehört zum kirchlichen Auftrag, ist ein Stück Religionsfreiheit und hat insofern in Art. 4 eine Legitimationsbasis 1 5 8 . Dieses Interesse hat vielfach in Ver-
154 Neueste zusammenfassende Problemerörterung bei A. Frhr. v. Campenhausen, Erziehungsauftrag und staatliche Schulträgerschaft. Die rechtliche Verantwortung für die Schule (1967) Kap. 5 bis 11. Aus der Fülle des Schrifttums bleiben daneben zu nennen: W. Geiger /A. Arndt/F. Pöggeler, Schule und Staat. Studien und Berichte der Kath. Akademie in Bayern 9 (1959); H. Peters, Elternrecht, Erziehung, Bildung und Schule, in: Die Grundrechte I V / 1 (1960) S. 369-445; G. Dürig, Die Rechtsstellung der katholischen Privatschulen im Lande Bremen (1964); E. Fischer, Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschule? Die Antwort des Grundgesetzes (1966); S. Grundmann, Landschulreform und Bekenntnisschule, BayVerwBl. 1966, S. 37-43; ders., Die Schule als staatskirchenrechtliches Problem in der Bundesrepublik Deutschland, in: Speculum Iuris et Ecclesiarum. Festschrift für Willibald M. Plöchl zum 60. Geburtstag (1967) S. 141-154; K. Obermayer, Gemeinschaftsschule - Auftrag des Grundgesetzes (1967); H. Rust, Gemeinschaftsschule in Bayern - christlich oder weltanschaulich neutral, BayVerwBl. 1967, S. 44- 49; P Feuchte/R Daliinger, Christliche Schule im neutralen Staat, DÖV 1967, S. 361-374; W. Hofmann, Christliche Gemeinschaftsschulen in verfassungsrechtlicher Sicht, DVB1. 1967, S. 439 bis 442; W. Geiger, Schulreform und Recht (1967); W. Keim, Schule und Religion (1967). 1 55 R. Schmoeckel, Der Religionsunterricht (1964); A. Frhr. v. Campenhausen, Zum Verständnis des evangelischen Religionsunterrichts, ZevKR 13 (1967) S. 32-52. Vgl. auch P Feuchte, Wer entscheidet über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht? DÖV 1965, S. 661-666. 156 w. Weber, Die Konfessionalität der Lehrerbildung in rechtlicher Betrachtung (1965). 157 Vgl. die oben Anm. 97 zur Konkordatsproblematik genannten Arbeiten. 158 Dies setzt freilich voraus, daß man sich bei der Deutung des Art. 4 von der Blickverengung auf das Individuelle und Kultische freimacht (vgl. dazu oben bei Anm. 20). Zur Relevanz des Grundrechts der Religionsfreiheit für die Ordnung des Schulrechts vgl. U. Scheuner (Anm. 18) S. 591 f. und E.-W. Böckenförde, Religionsfreiheit und öffentliches Schulgebet, DÖV 1966, S. 30-38. Zu betonen bleibt allerdings, daß Art. 4 keine konkrete positive „actio" gibt, wohl aber eine Direktive entfaltet, die bei der Gestaltung der Schulordnung im Ausgleich der verschiedenen Gestaltungselemente Beachtung erheischt.
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trägen seinen Niederschlag gefunden 159, auch in solchen mit den Evangelischen Kirchen, wobei hier sogar eine gewisse „Eskalation" zu beobachten ist 1 6 0 . Jedenfalls soweit dies der Fall ist, muß man - etwa im Sinne staatlicher Normierungen ein rechtlich geschütztes Interesse bejahen 161 . Demgemäß hat auch die Privatschulfreiheit der Kirchen nicht nur in Art. 7 ihren Ort, sondern ist materiell in Art. 4 mitbegründet. Es stellen sich jedoch Zweifel ein, ob es sich angesichts der grundstürzenden Veränderungen im Bildungswesen überhaupt noch verlohnt, dieses Thema zu verhandeln. Wird nicht über kurz oder lang das Verhältnis Staat - Kirche von diesem Problem entlastet sein? Laufen nicht die gegenwärtig wirksamen Tendenzen, die vornehmlich auf eine entschiedene Zurückdrängung, wenn nicht Beseitigung der öffentlichen Bekenntnisschule zielen, auf eine gründliche Bereinigung des Terrains und auch auf einen Abbau des föderalistischen Gefälles hinaus? Schon wird aus der in der Tat zutreffenden Einsicht, daß eine schöpferische Lösung des Problems gefunden werden muß, ein „Bild künftiger Schulordnung in Deutschland" entworfen. Konrad Müller 162 hat die Umrisse dieses Bildes so gezeichnet: auf der einen Seite steht eine auf ein Höchstmaß an Leistungsfähigkeit ausgerichtete „einheitliche öffentliche Schule", die noch „beträchtliche Chancen" bieten soll, in ihr „christlichen Geist" wirksam werden zu lassen; auf der anderen Seite „eine freie Schule, in der die Kirche unangefochten konfessionell erziehen kann". Dieses Bild künftiger Schulordnung scheint nicht zuletzt deshalb durchaus realistisch zu sein, weil es im Grunde der recht verstandenen katholischen Schultheorie entspricht, sofern die Bildung und Unterhaltung freier Schulen durch eine großzügige Regelung der Genehmigungserfordernisse und finanzieller Hilfen durch den Staat eine 159 Exemplarisch zuletzt Art. 6, 19 Abs. 2 NK. 160 Vgl. Art. 5 NKV, Art. 6 SHKV, Art. 15 HKV, Art. 19 RPKV und jetzt Art. 4 Erg.Vertrag z. NKV, wonach sich das Land und die Kirchen verpflichten, in Schulangelegenheiten weiter nach den Grundsätzen zusammenzuarbeiten, „über die seit Neuordnung des niedersächsischen Schulwesens zwischen ihnen Übereinstimmung besteht". Vgl. dazu eingehend E. G. Mahrenholz (Anm.. 22) S. 247 ff., der übrigens schon für den Loccumer Vertrag daran erinnert, daß ein Dissens über die Schulfrage einen Vertrag dieses Charakters verhindert hätte (S. 239). 161 Bedenklich deshalb der Beschluß des VGH Baden-Württemberg vom 14. 2. 1967 zur Antragsbefugnis von Diözesen im Normenkontrollverfahren (DÖV 1967, S. 309 = DVB1. 1967, S. 459), soweit hier kurzerhand ein rechtlich geschütztes Interesse verneint wird. Das ideelle Interesse an der Beibehaltung oder Neuerrichtung von Bekenntnisschulen ist rechtlich anerkannt und geschützt durch die entsprechenden Vertragsnormen; der Schutz liegt (zumindest) in der Beschränkung des rechtlichen Dürfens auf der Seite des Staates. Soweit Rechte um der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten willen gewährleistet sind, ist zu beachten, daß es hierbei nicht nur um die Eltern als Individualpersonen geht, sondern auch als Glieder der Katholischen Kirche, als Angehörige des Religionsverbandes. Der notwendige Zusammenhang zwischen individuellem und korporativem Interesse bzw. Recht wird vom VGH nicht gesehen. 162 K. Müller, Schulpolitik im Wandel. Vortrag auf dem XII. Evangelisch-Katholischen Publizistentreffen in Königstein (Ts.), in: Der Katholische Gedanke 23 (1967) S. 1 -11; Teilabdruck in F. A. Z. Nr. 139 v. 20. 6. 1967, S. 13.
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reelle Chance hat. Die Erklärungen des 2. Vatikanums hierzu 163 werden richtig interpretiert, wenn gesagt wird: „Dem Konzil schwebt die vom Staat freie, aber mit öffentlichen Mitteln dotierte katholische Schule als Idealform vor, nicht zuletzt deswegen, weil sie dem Pluralismus der heutigen Gesellschaft und der weltanschaulich neutralen Struktur des modernen Staates am besten entspricht" 164 . Aber noch stoßen sich die Dinge in der Wirklichkeit des Schulrechts hart im Raum, und sie stoßen sich härter als vordem, da das Problemfeld insgesamt komplexer geworden ist und da die maßgebenden rechtlichen Grundnormen im Hinblick auf die Freiheitlichkeit der Verfassungsordnung des Grundgesetzes differenzierter gesehen werden. Eben deshalb ist aber auch das Bild künftiger Schulordnung nicht ohne Probleme. Wenn die künftige Einheitsschule zumindest der Potenz nach eine christliche Gemeinschaftsschule soll sein können, so muß die Frage nach der Vereinbarkeit einer solchen Schule mit dem Grundgesetz aufgeworfen werden. Umgekehrt aber ist die Frage keineswegs ad acta gelegt, ob nicht der Staat in Anbetracht der Gewissens- und Glaubensfreiheit der Eltern bzw. ihrer Kinder gehalten ist, die Möglichkeit zur Errichtung von Bekenntnisschulen als öffentlicher Schulen zu lassen. Wenn hierzu Stellung genommen werden soll, so wird bejahend vorausgesetzt die Grundsatzentscheidung für das offene Staatsschulsystem, gegen die „Versäulung" also 165 . Diese Entscheidung kann in einem freiheitlichen Gemeinwesen solange bejaht werden, als an dem Grundsatz festgehalten wird, daß Neutralität des Staates nicht auch notwendig Neutralität des Schulwesens bedeutet. Zum anderen aber hängt die grundsätzliche Bejahung des geltenden Systems mit der Überzeugung zusammen, daß der Staat - nach einem von Axel von Campenhausen treffend in diesem Zusammenhang gebrauchten Wort 1 6 6 - nicht nur „Zahlvater" ist, sondern daß seine Aufgabe sozialer Integration schon in der Schule beginnt und daß er einen eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrag hat. Dieser zielt auf den informierten, zu Selbst- und Sozialverantwortung im Rahmen der demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung fähigen und bereiten Bürger, der die Normen der „einfachen Sittlichkeit" akzeptiert. Aber diese Formel bezeichnet zugleich die Grenzen des staatlichen Bildungsauftrags. Der Staat kann sich für seinen Bildungsauftrag nur auf die Verfassung berufen; diese aber ist ein Rechtsinstrument und kein Erziehungsprogramm - oder doch jedenfalls nur partiell. Dabei intendiert die Verfassung, die eher ein Freiheits- denn ein Weitsystem 167 ist, gerade die Freiheit 163
Erklärung über die christliche Erziehung, Nr. 9. W. Seibel, „Bildung" und „Kultur" in den Konzilsdokumenten, in: Christliche Erziehung nach dem Konzil (1967) S. 31. Vgl. auch H. Hermans , Der Streit um die Konfessionsschule, in: Stimmen der Zeit 179 (1967) S. 178-193; ders., Die Zukunft der katholischen Schule in Deutschland, ebenda, S. 241-250. Eindringlich dazu auch E.-W. Böckenförde (Anm. 97) S. 136 ff. 165 Vgl. v. Campenhausen (Anm. 154) S. 212 ff. 164
166 A. a. O. S. 224. 167 Treffend B. Cordes, JZ 1964, S. 720.
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und Offenheit des geistig-sittlichen Lebensprozesses und damit auch des Erziehungs- und Bildungsprozesses 168. Dem Staat ist es deshalb verwehrt, diesen Prozeß auf die Maße seiner Rechtsordnung festzulegen 169, die zwar hohe Rechtsgüter anerkennt und schützt, die aber gerade um der Freiheit willen grundsätzlich dem Prinzip des ethischen Minimums folgt. Eine solche Fixierung stellte nicht nur eine pädagogische Unmöglichkeit dar, sondern beschwörte zugleich Gefahren für den freiheitlichen Kulturstaat herauf, die Gefahr vor allem, daß im Gewände der Neutralität die Offenheit der Freiheitsordnung in ein geschlossenes Weltanschauungssystem umgefälscht wird. Im übrigen bedarf es zu Erziehung und Bildung aus der Sache heraus mehr als des „ethischen Standards des Grundgesetzes", den Klaus Obermayer als das maßgebende Kriterium herausgestellt hat; bedarf es auch mehr als des „Allgemeinen" im Sinne von Herbert Krüger 170. Dem hat denn auch das Grundgesetz Rechnung getragen. Es anerkennt, den Ländern Gestaltungsfreiheit lassend, als Möglichkeiten verschiedene Formen der öffentlichen Volksschule, und es anerkennt, daß die inhaltliche und organisatorische Gestaltung des Erziehungswesens nicht nur von Art. 7 entschieden wird, sondern daß auch die Art. 3,4, 6 und 33 sowie der Sozialstaatsauftrag Determinationsfaktoren sind. Diese Normen sind miteinander zum Ausgleich zu bringen; jede von ihnen entfaltet ihre Wirkung als Direktive, die auf eine tunlichste Berücksichtigung ihres materiellen Gehalts zielt. Unter staatskirchenrechtlichem Aspekt kommt naturgemäß Art. 4 besondere Bedeutung zu, und es ist ohne Zögern einem verfeinerten Verständnis dieser Grundnorm zu folgen 171 , wonach damit auch ein möglichst freier Prozeß der Gewissens-, Glaubens- und WeltanschauungsMdwng gewährleistet sein soll. Dieses Verständnis kann aber nicht nur auf eine negativ abwehrende Funktion festgemacht werden, sondern es muß auch die positive Forderung einschließen. In der Tat steckt in der Forderung nach Konfessions-, nach christlichen Gemeinschafts- oder Weltanschauungsschulen ein durch Art. 4 legitimierter Freiheitsanspruch 172. Unter diesem Blickwinkel sollten deshalb auch künftig öffentliche Bekenntnisschulen nicht ausgeschlossen werden, ja ihm würde als Laboratoriumslösung am ehesten ein Wahlsystem nach Art des bisherigen nordrhein-westfälischen Schulrechts entsprechen 173. Frei168 Beachtlich hierzu Ekkehard Stein, Das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung in der Schule (1967). 169
Dies ist aber der leitende Gedanke in der Analyse von K Obermayer (Anm. 154). 170 Vgl. seine „Thesen zum Niedersächsischen Konkordat", in: Die niedersächsische Schule vor und nach dem Konkordat (1965) S. 108-111. 171 Vgl. die sorgsam abwägenden Erläuterungen zu Art. 4 von R. Zippelius im Bonner Kommentar (Zweitbearbeitung 1966). 172 K. Müller (Anm. 162); vgl. auch die Arbeiten von W. Geiger (Anm. 154), wo die Relevanz der Glaubens- und Gewissensfreiheit für die Gestaltung des öffentlichen Schulwesens nachdrücklich betont wird, wenn auch ein unmittelbarer Rechtsanspruch aus Art. 4 GG nicht hergeleitet werden kann (Schule und Staat, S. 41 ff.). 173 Art. 12 NRW Verf.
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lieh ist die Norm des Art. 4 nicht so stark, daß sie die den Ländern nach der herkömmlichen Struktur des deutschen Schulwesens eingeräumte Möglichkeit, die Gemeinschaftsschule zur Regel- bzw. Einheitsschule zu machen und die Bekenntnisschule auf den Weg der Antrags- bzw. Privatschule zu verweisen, aus dem Felde schlagen könnte 174 . Aber in Anbetracht der konfessionellen Gemengelage und der bildungspolitischen bzw. schulorganisatorischen Notwendigkeiten ist der springende Punkt des Problems die vielfach gegebene faktische Zwangslage für bekenntnisfremde Minderheiten, eine Bekenntnisschule des anderen Bekenntnisses besuchen zu müssen 175 . Die Katholische Kirche hat hier in der Doktrin eine klare Position bezogen und auf dem Konzil den allgemeingültigen Satz formuliert: Die Rechte der Eltern werden verletzt, „wenn die Kinder gezwungen werden, einen Schulunterricht zu besuchen, der der religiösen Überzeugung der Eltern nicht entspricht" 176 . Im staatlichen Rechtsbereich steht man insoweit in einem Prozeß der Fortbildung und Präzisierung der Rechtsüberzeugung: sein Ziel ist offenkundig die absolute Geltung des Art. 4 in der Weise, daß die Existenz auch nur eines bekenntnisfremden Schülers die Institution der Bekenntnisschule aus den Angeln hebt; danach dürfte es also öffentliche Bekenntnisschule nur noch als minderheitenfreie Schule geben. Das ist eine Rechtsüberzeugung, die dem geltenden Recht noch nicht zugrundeliegt 1 7 7 . Es geht noch davon aus, daß sich der Grundsatz der schulischen Gewissensbildungsfreiheit eine Einschränkung gefallen lassen muß, sofern eben auch die Institution der Bekenntnisschule verfassungsrechtlich zulässig oder gewährleistet ist, und dies jedenfalls insoweit als es sich um kleine Minderheiten handelt 1 7 8 . Das geltende Schulrecht nimmt aber durchaus die Einsicht ernst, daß das Maß der Spannung zwischen grundrechtlicher Freiheit und institutioneller Gewährleistung eine bestimmte „Opfergrenze" nicht überschreiten darf. Es versucht deshalb durch das Institut des Minderheitenlehrers einen Ausgleich zu schaffen; dieses ist übrigens in Bayern mit ausdrücklicher Billigung der Kirchen eingefühlt bzw. gesetzlich sanktioniert worden 179 . Aber man kann sich mit dem Bayerischen 174 Vgl. dazu E. W. Böckenförde (Anm. 158) S. 37 f. 1 75 Es gibt kaum noch jemand, der sich nicht an der apodiktischen Feststellung des BVerfG (BVerfGE 6, 309 [339 f.]) stieße, darin könne eine Beeinträchtigung der Gewissensfreiheit nicht erblickt werden. 1 76 Erklärung über die Religionsfreiheit, Nr. 5. 1 77 Anderer Meinung jedoch K. Obermayer (Anm. 154) S. 28. 1 78 Vgl. etwa Art. 29 Rheinland-Pfälzische Verfassung in der Fassung des Landesgesetzes v. 10. 5. 1967 (GVB1.137). ]7 9 Wie sich aus der mir vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus zugänglich gemachten Niederschrift ergibt, hat Staatsminister Dr. Huber in der 107. Sitzung des Ausschusses für kulturpolitische Fragen des Bayerischen Landtages am 7. 7. 1966 mitgeteilt, daß mit den Kirchen ein Einvernehmen erzielt worden sei. Nach einem am 22. 6. 1966 geführten Gespräch mit dem Evangelischen Landesbischof wurde in einer gemeinsamen Verlautbarung festgehalten: „Übereinstimmung wurde auch über den Text des Artikels 8 Abs. 4 des Gesetzentwurfs, der die Verwendung von Lehrern eines Bekenntnisses an Bekenntnis-
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Verfassungsgerichtshof schwerlich der Konsequenz entziehen, daß die Bekenntnisschule mit Minderheitenlehrer in Wahrheit eine (christliche) Gemeinschaftsschule ist180 Aber die Frage nach der rechten Ausgleichs-Schule ist ganz grundsätzlich gestellt, wenn es richtig ist, daß - aufs Ganze gesehen - die Steigerung der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Schulwesens, zumindest in der Stufe der Hauptschule, von der Bevorzugung der Gemeinschaftsschule als Regel- oder Einheitsschule abhängt, und wenn es sich immer mehr erweist, daß - vor allem nach der Seite der Lehrer hin - der säkulare Staat mit der Gewährleistung materieller Konfessionalität überfordert i s t 1 8 1 . Die Gestalt dieser Ausgleichsschule muß vom Landesgesetzgeber bestimmt werden, dem eine gewisse Gestaltungsfreiheit zukommt. Vom Grundgesetz her läßt schulen des anderen Bekenntnisses vorsieht, erzielt." Diese Verlautbarung hat am 24. 6. 1966 die Billigung des Landessynodalausschusses gefunden. Für die Katholische Kirche wurde ein Schreiben des Apostolischen Nuntius bekanntgegeben, das sich sowohl auf die „Zwergschulgarantie" als auch auf das Institut des Minderheitenlehrers bezieht, und das folgenden Wortlaut hat: „Der unterzeichnete Apostolische Nuntius beehrt sich, unter Bezugnahme auf die über die geplante Reform des Volksschulwesens mit der Regierung des Freistaates Bayern stattgefundenen Gespräche im Zusammenhang mit Artikel 5 Absatz 1 und Artikel 6 des Bayerischen Konkordats im Namen des Staatssekretärs Seiner Heiligkeit folgende Erklärung abzugeben: In Anbetracht der Entwicklung der Landschulreform besteht der Heilige Stuhl in der Anwendung des Artikels 6 des Bayerischen Konkordats nicht auf dem in Parenthese eingeführten Satz: „selbst in der Form einer ungeteilten Schule" unter der Voraussetzung, daß bei der Zusammenlegung kleiner Schulen der konfessionelle Charakter dieser Schulen tunlichst erhalten bleibt. Dem Heiligen Stuhl ist bekannt, daß in katholischen Bekenntnisschulen auch nichtkatholische Schüler Aufnahme finden, wenn ihnen sonst keine andere oder keine zumutbare Beschulung zur Verfügung steht. Diese Schüler müssen nach den Bestimmungen des Landes in diesen Schulen den ihrem Bekenntnis gemäßen Religionsunterricht erhalten. Infolgedessen betrachtet es der Heilige Stuhl als angemessen, daß diesen Schulen bei Erreichung einer bestimmten Schülerzahl des Minderheitsbekenntnisses ein Lehrer dieses Bekenntnisses für die Erteilung des Religionsunterrichtes zugewiesen wird, der zur Erfüllung seines restlichen Pflichtstundenmaßes auch mit dem Unterricht in anderen Fächern betraut werden kann. Dabei wird vorausgesetzt, daß das gleiche für katholische Kinder in evangelischen Bekenntnisschulen gilt." In Anwendung der Freundschaftsklausel wurde damit über die Auslegung und Handhabung von Konkordatsbestimmungen, die nach ihrem klaren Wortlaut der geplanten gesetzlichen Regelung entgegenstanden, ein förmliches Einvernehmen erzielt. Vgl. dazu auch H. Hermans, Die Zukunft der katholischen Schule in Deutschland (Anm. 164) S. 247, ferner E.-W. Böckenförde (Anm. 97) S. 115. 180 BayVerfGH, Entsch. v. 20. 3. 1967, DÖV 1967, S. 306 (308). 181 Das wird etwa belegt durch die Schwierigkeiten, vor die sich die Gerichte bei der Entscheidung schulbeamtenrechtlicher Streitigkeiten gestellt sehen: vgl. BVerwGE 17, 267 und 19, 252 und dazu O. Bachof Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts I I (1967) Nr. 85, 91, 97, 98, 129 mit weiteren Hinweisen.
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sich dafür wohl nur soviel ausmachen, daß es durchaus zulässig ist, „auf die Zugehörigkeit des größten Teils der Schüler und Lehrer zum christlichen Glauben" - wie sich der Schleswig-Holsteinische Kirchenvertrag ausdrückt 182 - Rücksicht zu nehmen und daß der Grundintention der Verfassung am ehesten ein Kompromiß entspricht, das sich nicht an dem niedrigsten gemeinsamen Nenner orientiert, sondern das ein Optimum positiver Freiheit ermöglicht, bei selbstverständlich vorausgesetzter absoluter Geltung des Toleranzgebots. Unter diesem Aspekt ist das von Klaus Obermayer entwickelte Modell einer bekenntnisneutralen pluralistischen Kompromißschule nach dem ethischen Standard des Grundgesetzes nicht geeignet, den rechten Ausgleich zu schaffen. Es ist offenkundig ganz vom Gedanken des Schutzes der kleinen bekenntnislosen Minderheit her bestimmt; Art. 4 wird vornehmlich in seiner negativen Stoßrichtung entfaltet. Nun darf gewiß nicht verschleiert werden, daß diese Minderheit in ihrem Interesse, „frei" erzogen zu werden, beeinträchtigt wird. Aber das Grundgesetz fordert nicht die rigoristische Außerachtlassung des Wunsches der großen Mehrheit der Bevölkerung nach christlicher Erziehung bzw. deren Verweisung auf den Weg der Privatschule 183. Zugespitzt ausgedrückt: das Grundgesetz fordert den durch effektive Befolgung des Toleranzgebots zu bewirkenden Schutz, nicht aber das zu Minimalismus und Nivellierung führende Diktat der Minderheit. Demgegenüber ist aus der Sicht des Grundgesetzes gegen eine materielle oder formelle christliche Gemeinschaftsschule grundsätzlich nichts einzuwenden. Dabei darf aber nun hier nicht verschleiert werden, daß die Bevorzugung der Gemeinschaftsschule, und sei sie noch so christlich, eine Beeinträchtigung des gemäß Art. 4 legitimierten Interesses der Anhänger der Bekenntnisschule bedeutet. Man versucht zwar vielfach, dies durch das Denkmodell des „plus-minus" zu verdrängen. Aber bei Licht besehen ist die Gemeinschaftsschule der Sache nach eben doch ein aliud 1 8 4 , weil die konfessionsspezifische Erziehung und Bildung nicht erst jenseits eines gemeinsamen und substantiellen „Allgemeinen" bei der Pflege von „Sondergut" ansetzt, sondern von vornherein, bei aller Offenheit, das Ganze schon in der Verschiedenartigkeit des Ansatzes ergreift 185 , so wenig andererseits die Möglichkeit einer christlichen Erziehung nach Grundsätzen, die beiden Konfessionen gemeinsam sind, damit in Abrede gestellt wird 1 8 6 . Für die rechtliche Wertung allerdings, unter der Notwendigkeit, einen fairen Ausgleich zu schaffen, darf der herkömmlichen Beurteilung des deutschen Schulrechts gefolgt werden, 182 Art. 6 Abs. 1 SHKV. 183 Vgl. auch R. Zippelius (Anm. 171) Rd. Nr. 27 zu Art. 4. 184 Vgl, vor allem H. Peters (Anm. 154) S. 409. 185 In dieser Hinsicht eindrucksvoll das von G. Schimansky, Evang. Staatslexikon (1966) Sp. 139-141, gezeichnete Bild einer evangelischen Bekenntnisschule. 186 Vgl. jetzt die von den Kirchen in Bayern erarbeiteten „Leitsätze für den Unterricht und die Erziehung nach gemeinsamen Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse": Herder-Korrespondenz 22 (1968) S. 52.
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daß es sich insoweit nur um einen graduellen Unterschied handelt und daß - unter dem Blickpunkt des Art. 4 - die Gemeinschaftsschule als Regel- oder Einheitsschule zumutbar ist 1 8 7 . Wenn man jedoch auch die Notwendigkeit des Schutzes der konfessionslosen Minderheit unter Schülern und Lehrern im Ausgleichskalkül noch entschiedener berücksichtigt, wird am Ende - etwa im Verhältnis zur Simultanschule badischer Prägung 188 - dem niedersächsischen Modell einer christlichen Gemeinschaftsschule die Palme gebühren 189. Es hat eine verfeinerte Form des Ausgleichs gefunden und gibt im Grunde nur einen „Freiheitsrahmen" 190. Von den Kirchen einerseits bereitwillig, andererseits zögernd akzeptiert, könnte sich dieses ausgewogene, wenngleich gewiß schwierig zu handhabende Modell einer Regel- oder Einheitsschule als besonders zukunftsträchtig erweisen. Obwohl der Mitbericht nicht das Ganze der mit dem Thema aufgegebenen Problematik erörtert hat, liegt doch auch für ihn nahe zu fragen, ob zum Schluß für die Ordnung des geltenden Staatskirchenrechts eine zusammenfassende Charakterisierung von kennzeichnender Kraft gefunden werden kann. Das Ziel und die Aufgabe dieser Ordnung, verwirklicht in Verfassung, Vertrag und Gesetz, ist mit jener formelhaften Wendung hinreichend bestimmbar, die Konrad Hesse geprägt hat und in deren Zeichen man sich ohne Zögern begegnen sollte: freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen191. Man hätte allenfalls zur Verdeutlichung und zur Vermeidung von Mißverständnissen hinzuzufügen, daß die Formel im Auge hat die freie Kirche als öffentliche Potenz im demokratischen Gemeinwesen. Sie kennzeichnet am ehesten aber auch die Epoche des Staatskirchenrechts, in der wir leben. Rudolf Smend 192 hat bekanntlich den Versuch gemacht, mit den Stichworten „Problemlosigkeit", „mißtrauische Distanzierung" bzw. „innere Fremdheit", „neue Nähe" die maßgebenden Wachstumsperioden und Stufen der Entwicklung des Staat-Kirche-Verhältnisses zu charakterisieren. Nun gehört aber das dialektische Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz zu der sich durch187 Vgl. Böckenförde (Anm. 158) S. 37 f. 188 Vgl. dazu E. Föhr, Die christliche Simultanschule im überlieferten badischen Sinn und das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Freistaate Baden vom Jahre 1932 (o. J. [1967]). 189 K. Müller, Das niedersächsische Modell der „christlichen Gemeinschaftsschule", in: Die Neue Gesellschaft 1966, S. 339-355. 190 K. Müller, a. a. O. S. 354. 191 Vgl. Anm. 19. Die scharfe Kritik von S. Grundmann, Laizistische Tendenzen im deutschen Staatskirchenrecht, in: Kirche und Staat. Festschrift für H. Kunst (1967) S. 126-133; richtet sich gegen den falschen Adressaten. Vgl. demgegenüber das interessante Plädoyer für ein „Umdenken und Neudenken" der vielfach noch perhorreszierten Cavourschen Formel bei H. Drimmel, Freie Kirche im freien Staat, in: Speculum Iuris et Ecclesiarum. Festschrift für W. M. Plöchl zum 60. Geburtstag (1967) S. 55-66. 192 Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, ZevKR 1 (1951) S. 4 - 1 4 = Staatsrecht!. Abh. (1955) S. 411-422 = Quaritsch-Weber (Anm. 1) S. 34-43.
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haltenden Eigenart dieses immerzu spannungsreichen Verhältnisses 193. Man wird deshalb zur Kennzeichnung des „Neuen" einer Formulierung den Vorzug geben, welche die Grundintention der geltenden Ordnung genauer und dazu in Entsprechung zu den allgemeinen Tendenzen in der demokratisch-verfassungsstaatlichen Welt zum Ausdruck bringt. Es fragt sich aber, ob es im Stile jener Kennzeichnungen, von denen die Stutz'schen sich als die einprägsamsten erwiesen haben 194 , eine Formel gibt, welche - mit Akzent auf der Rechtsgestalt - die gegenwärtige Ordnung angemessen und bündig umschreibt. Die alten sind allesamt unzulänglich 1 9 5 . In der Diskussion ist indes ein neuer Begriff aufgetaucht; Inge Gampl hat ihn aufgrund einer Analyse des österreichischen Staatskirchenrechts eingebracht, nämlich den Begriff „System paritätischer Konkordanz" oder einfach „Konkordanzsystem" 196. Diese Bezeichnung ist kanonistisch inspiriert, insofern als an Gratians Begriff der „concordantia 197 discordantium canonum" angeknüpft und eben das Zum-Ausgleich-Bringen verschiedenartiger Elemente zum Ausdruck gebracht wird, hier also vornehmlich Elemente der Staatskirchenhoheit, des Trennungs- und des Koordinationssystems. Darüber hinaus aber sieht Frau Gampl darin ausgedrückt die „Grundmaxime" staatlichen Vorgehens in Kirchensachen, nämlich „die Herbeiführung des möglichsten Einverständnisses mit den Kirchen" 198 . Man kann diesem Begriff, den man verdeutscht wohl am ehesten mit „System schiedlich-friedlichen Ausgleichs" wiedergeben würde, seine Sympathie nicht versagen, vorausgesetzt, daß man ihn weder mit „Konkordatssystem" gleichsetzt noch unter Konkordanz „eitel Harmonie" eines Bündnisses versteht; entscheidend wäre vielmehr abzuheben auf die Aufgabe immer wieder neuer Ausgleichung verschiedener Tendenzen und Strukturelemente. Seine Tauglichkeit für das Spezifische des Staatskirchenrechts wird indes dadurch entscheidend relativiert, daß der Begriff 193 Bedenken gegen die Smendsche Rubrizierung auch bei M. Heckel (Anm. 16) S. 2. Hinter die Behauptung von der „neuen Nähe" sind zunehmend Fragezeichen gesetzt worden: vgl. die eindringliche Analyse von H Maier, Staat und Kirche in Deutschland. Von der Fremdheit zur „Neuen Nähe"?, in: Das Verhältnis von Kirche und Staat (1965) S. 103-126 (Studien u. Berichte der Kath. Akademie in Bayern, 30). 194 System „hinkender Trennung": Das Studium des Kirchenrechts an den deutschen Universitäten, in: Deutsche Akademische Rundschau 6 (1924) Nr. 5, S. 2; Die päpstliche Diplomatie unter Leo XIII. (1926) S. 54 Anm. 1; System der „vertragsgesicherten autonomen Trennungskirchen": Konkordat und Codex, Sonderausg. Sitzungsber. Preuß. Ak. d. Wiss. (1930) S. 14. E. R. Huber hat die Weimarer Ordnung als „System der vertragsgesicherten Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts" qualifiziert (Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches [1939] S. 493). 195 Vgl. Hesse (Anm. 3) S. 81 f., auch zur Problematik einer zusammenfassenden Charakterisierung überhaupt. !96 /. Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht der Gegenwart. Gedanken zum Protestantengesetz 1961, ÖZÖR XIV (1964) S. 287-281; dies., Die Rechtsstellung der Kirchen und ihrer Einrichtungen nach österreichischem Recht (1965) S. 66 f. 197
Im ursprünglichen Titel lautet das Eingangswort allerdings „concordia", nicht „concordantia": vgl. W. M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts I I (21962) S. 470; H E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Die Katholische Kirche (41964) S. 277. w Österreichisches Staatskirchenrecht (Anm. 196) S. 281. 19 Hollerbach
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Die Kirchen unter dem Grundgesetz
der praktischen Konkordanz - und dies just unter Rückgriff auf Gratian - aufgrund eines vor allem von Richard Bäumlin 199 ausgegangenen Neu-Anstoßes in der Verfassungsrechtslehre Boden gewinnt als allgemeiner Leitgesichtspunkt für das rechte Verständnis einer Verfassung als eines vielschichtigen und spannungsreichen Sinngefüges überhaupt 200. In Anbetracht dessen muß man sich zuguterletzt wohl doch wieder bescheiden und seine Zuflucht bei einer langatmigeren Umschreibung suchen. Sie sei - ad experimentum - so formuliert: das staatskirchenrechtliche System des Grundgesetzes ist ein den Vertrag als Gestaltungsmittel bevorzugendes System sachlich begrenzter Kooperation; in ihm genießen die Religionsgemeinschaften, unterstützt durch Rechts- und Finanzhilfen des Staates, auf dem Grund substantieller Scheidung von staatlicher und kirchlicher Gewalt, in gestufter Parität 201 eigenständige und öffentliche Freiheit. Dieses Ausgleichs-System aber steht im Rahmen des größeren der Gesamt-Verfassung. In ihr müssen religiöse Bürgerfreiheit, paritätische Kirchenfreiheit und Neutralität des Staates für die Ordnung des demokratischen Gemeinwesens immer wieder neu zum Ausgleich gebracht werden.
199 R. Bäumlin, Staat, Recht und Geschichte (1961) S. 27 f. 200 Vgl. K. Hesse (Anm. 7) S. 28 f. 2 °i Vgl. zu diesem hier nicht näher behandelten Problem die Stellungnahme des Verf. JZ 1966, S. 271.
in
Neutralität, Pluralismus und Toleranz in der heutigen Verfassung* I.
Sie finden mich in einer paradoxen Situation: ich soll über Neutralität, Pluralismus und Toleranz in der heutigen Verfassung sprechen - aber keiner dieser drei Begriffe kommt im Text der geltenden Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, dem Grundgesetz, vor. Das gilt grundsätzlich auch für die Landesverfassungen, die ja im jeweiligen Bereich die konkrete Verfassungsordnung mitkonstituieren. Immerhin ist diese Feststellung insofern zu modifizieren, als die Anerkennung der „Duldsamkeit" als eines Grundwerts der schulischen Erziehung allen Landesverfassungen gemeinsam ist 1 - ein Sachverhalt von nicht zu unterschätzendem Gewicht. Trotz dieses Textbefundes bedarf es aber nicht vieler Worte, um deutlich zu machen, daß die Sache Neutralität, die Sache Pluralismus und die Sache Toleranz in der Verfassungsordnung vorkommen, ja, daß sie mit dieser aufs engste verwoben sind. Neutralität, Pluralismus und Toleranz bezeichnen nicht nur Phänomene und Probleme am Rande; sie haben vielmehr mit den Grundlagen und mit dem innersten Kern der Verfassungsordnung zu tun, weil sie - im Kontext des umfassenden Geschichtsprozesses der Säkularisierung 2 - Eigenart und Selbstverständnis des politischen Gemeinwesens als einer weltlichen Ordnungsgröße betreffen. Aber nicht nur dies: Neutralität, Pluralismus und Toleranz bezeichnen zugleich wichtige Punkte der Frontlinie zwischen der Verfassungsordnung freiheitlich-verfassungsstaatlicher Prägung und den Rechts- und Staatssystemen sozialistisch-kommunistischer Observanz3. Denn dort sind Neutralität, Pluralismus und Toleranz eigentlich Erstveröffentlichung in: Zum Verhältnis von Staat und Kirche, hrsg. v. Joseph Sauer. Karlsruhe: Badenia, 1976, S. 9 - 2 4 (Veröffentlichungen der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg). * Leicht überarbeitete Vörtragsfassung. Die Nachweisungen mußten auf das für das Verständnis des Textes Nötigste beschränkt werden. 1 Nachweise bei A. Hollerbach, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR 1, Berlin 1974, S. 240. 2 Aus der Fülle des Schrifttums vgl. dazu besonders H E. Todt, Art. S., in: Evang. Staatslexikon (1966) Sp. 1896-1901; E.-W. Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien, Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1967, S. 75-94. 3 Sehr hilfreich dazu nach wie vor E.-W. Böckenförde, Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat, 2. Aufl. München 1967. 19*
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Neutralität, Pluralismus und Toleranz in der heutigen Verfassung
Un-begriffe; es sind vielmehr maßgebend die Kategorien Parteilichkeit, Homogenität und Unduldsamkeit. Man wird schließlich schon bei einer ersten einführenden Überlegung auch rasch erkennen, daß alle drei Begriffe nicht nur strukturelle Sachverhalte im Auge haben, sondern daß sie auch notwendigerweise in die Dimension der politischen Ethik im allgemeinen, der Verfassungsethik im besonderen hineinreichen. Nun kann es natürlich nicht Aufgabe dieses Referates sein, die Thematik im ganzen und grundlegend zu verhandeln. So kann hier gewiß nicht alles nach vollzogen oder weitergedacht werden, was etwa Klaus Schiaich in seinem bedeutsamen Neutralitäts-Buch dargeboten hat 4 ; und es wäre vermessen, wollte man die weitverzweigte Pluralismus-Diskussion hier vorführen 5. Aber auch zum Thema „Toleranz" - wo es vielleicht derzeit am nötigsten wäre - ist hier keine neue umfassende These zu erwarten 6. Es können vielmehr nur ein paar verfassungstheoretisch akzentuierte Vorüberlegungen vorgetragen werden. Diese müssen leider die Historie vernachlässigen; sie müssen sich außerdem perspektivisch weithin auf das Problemfeld Staat-Kirche-Recht-Religion begrenzen. Sie bemühen sich, Schwierigkeiten und neuralgische Punkte namhaft zu machen; es kommt ihnen schließlich darauf an, den Zusammenhang der drei Phänomene zu bedenken. Dabei bitte ich allerdings darum, mir die Freiheit nehmen zu dürfen, die Reihenfolge in der Formulierung des Themas umzustellen und mit der Problematik des Pluralismus zu beginnen. IL In der deutschen Verfassungsgeschichte wird der Beginn eines religiös konfessionellen Pluralismus in Ablösung der überkommenen Einheit bekanntlich durch 4 Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, vornehmlich im Kulturverfassungs- und Staatskirchenrecht, Tübingen 1972 (Tübinger Rechtswiss. Abh., 34). 5 Es dürfen hier besonders Beiträge aus der Feder von Juristen verzeichnet werden: J. H. Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, Berlin 1956; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. Stuttgart 1966; R. Herzog, Art. P., in: Evang. Staatslexikon (1966) Sp. 1541 -1547; nicht zuletzt H. F. Zacher, Pluralität der Gesellschaft als Aufgabe, in: Stimmen der Zeit 185 (1970) S. 1-17. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive bleiben insbesondere die Arbeiten von E. Fraenkel grundlegend, vgl. z. B.: Der Pluralismus als Strukturelement der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie, in: Verh. des 45. Deutschen Juristentags, Bd. I I / B , 1965. 6
Gute lexikalische Einführung durch den Art. T. von Ernst Wolf/W. Hamel/S. Grundmann im Evang. Staatslexikon (1966), Sp. 2293 bis 2304. Im jurist. Schrifttum vgl. Th. Maunz, Toleranz und Parität im deutschen Staatsrecht, München 1953; F. Werner, Recht und Toleranz, in: Verh. des 42. Deutschen Juristentags, Bd. I I / B , 1962; O. Busch, Toleranz und Grundgesetz, Bonn 1967; U. Eisenhardt, Der Begriff der Toleranz im öffentlichen Recht, in: Juristenzeitung 1968, S. 214-219; J. Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971 (Staatskirchenrechtl. Abh., 1). Bemerkenswert aus soziologischer Perspektive A. Gehring, Toleranz. Ein Potential sozialen Wandels, in: Stimmen der Zeit 186 (1970) S. 396-405.
Neutralität, Pluralismus und Toleranz in der heutigen Verfassung
den Augsburger Religionsfrieden markiert. Was die Reformation brachte, so hat es Gerhard Anschütz einmal plastisch formuliert, „ist nicht Glaubensfreiheit, sondern Glaubenszweiheit" 1. Über die Gewährleistung der Glaubensfreiheit verlief die Entwicklung in einem differenzierten Prozeß weiter zur - freilich de facto immer begrenzt gebliebenen - Glaubensvielfalt. Das Verhältnis des Staates zu diesem Phänomen hat mit Hilfe des Rechtsinstituts der Parität eine immer mehr verfeinerte Regelung gefunden 8. Aber an dieses historisch verwurzelte Pluralismus-Modell denkt man heute schon kaum mehr, wenn man mit dem Begriff Pluralismus umgeht. In der Tat meint Pluralismus heute ein umfassenderes Problem. In einem materiellen Sinne ist darunter zu verstehen die Vielfalt geistiger und ökonomischer Kräfte und Interessen, die im Lebensprozeß eines politischen Gemeinwesens am Werke sind und um Einfluß ringen; in einem mehr formellen Sinne bedeutet Pluralismus die Intermediation von Gruppen und Verbänden zwischen den gouvernementalen Institutionen und dem Bürger 9. Von diesem Ansatz her ist zweierlei evident: (1) der religiöskonfessionell-kirchliche Pluralismus erscheint nur mehr als ein segmenthaftes Teilphänomen, in dessen Deutung oft die Tendenz hervortritt, ihn mit anderen Pluralismen auf gleiche Ebene zu stellen; (2) Pluralismus ist, insofern er abgestützt ist auf grundrechtliche Sicherungen und er hinzielt auf einen freien und offenen Lebens- und Willensbildungsprozeß überhaupt, ein notwendiges Element der verfassungsstaatlichen Demokratie. Diese kategorialen Vorklärungen bedeuten natürlich nur einen ersten Schritt auf die Sache und die Schwierigkeiten des Pluralismus zu. Davon soll jetzt - mehr thetisch als argumentativ - die Rede sein: 1. Man darf heute getrost von einem positiven Grund-Akzept der pluralistischen Demokratie seitens der christlichen Kirchen sprechen. Das Grundsätzliche ist nicht mehr das Problem. Wohl aber gibt es auf kirchlicher Seite, gelegentlich hervortretend, so etwas wie die anti-pluralistische, anders gewendet also die integralistische Versuchung 10. Sie möchte, wie Hans Maier es einmal ausgedrückt hat 11 , vom Staat etwas fordern, was man allenfalls vom mittelalterlichen Corpus Christianum fordern konnte. Es geht also um eine Versuchung, die wähnt, in der Rückkehr zu einer heilen Einheitswelt die in der Tat vorhandene Last des Pluralismus abschütteln oder doch leichter machen zu können. Fürwahr: Freiheit und demgemäß Pluralis7 Die Religionsfreiheit, in: HdbDStR II (1932) S. 676. 8 Vgl. dazu statt aller M. Heckel, Die religionsrechtliche Parität, in: HdbStKirchR 1 (1974) S. 445-544. 9 Vgl. dazu vom Verf., Ideologie und Verfassung, in: Ideologie und Recht, hrsg. v. W. Maihofer, Frankfurt am Main 1969, S. 52. 10 Vgl. dazu auch H. F. Zacher, Freiheitliche Demokratie, München/Wien 1969 (Geschichte und Staat 139/140) S. 133 f. 11 Christ und Politik - Aufgaben nach dem Konzil (1966), jetzt in: Kirche und Gesellschaft, München 1972, S. 282 f.
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Neutralität, Pluralismus und Toleranz in der heutigen Verfassung
mus sind enorm anstrengend und zugleich kostspielig. Aber hier hilft nur eine Besinnung auf das Grundlegende, wofür ich einen Satz von Karl Rahner aufgreife: „Pluralismus ist der Index der Kreatürlichkeit: nur in Gott ist alles eins; im Endlichen ist der Antagonismus der Wirklichkeiten unaufhebbar" 12. Das ist das eine; und auch das andere ist immer wieder zu erinnern: die Strukturgesetzlichkeiten der pluralistischen Demokratie sind eine unabdingbare Voraussetzung für Anerkennung und Vollzug der libertas ecclesiae. Der Anschauungsunterricht der sozialistischen Staatenwelt vor unserer Tür beweist das zur Genüge: Wo eine prinzipiell anti-pluralistische Ideologie Staat und Recht für sich in Dienst nimmt, wo weltanschauliche Homogenität dekretiert wird, kann es Freiheit für Religion und Kirche allenfalls als Zugeständnis aus soziologischen Zwängen oder politischen Rücksichtnahmen geben; bei Lichte besehen ist dort nämlich nicht Religionsfreiheit das Ziel, sondern Befreiung von der Religion 13 . 2. Es wurde soeben von anti-pluralistischer Versuchung im kirchlichen Raum gesprochen. Aber vielleicht ist das heute schon eine quantité négligeable im Vergleich zu dem handfesten Anti-Pluralismus bestimmter politischer Kräfte in unserem Land 14 . Bekanntlich ist der demokratische Pluralismus Zielscheibe der Kritik aus der Sicht der linksextremen Gruppen. Der Pluralismus wird verunglimpft als Verhüllungsideologie des Spätkapitalismus; er sei geeignet und dazu bestimmt, in der klassengespaltenen Gesellschaft einseitig die Interessen der herrschenden Klasse zu fördern. Die Konsequenz ist klar: Überwindung des Pluralismus durch einen ideologisch doktrinären und politisch totalitären Integralismus sozialistischkommunistischer Prägung. Doch soll dieser unverhüllt grobe Anti-Pluralismus im folgenden links liegenbleiben. Denn auf unserem engeren Problemfeld ist eine sublimere Machart am Werk, die nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Genesis der FDP-Thesen über „Freie Kirche im freien Staat" erkennbar geworden ist 15 . Man wird hier vornehmlich zwei Grundtendenzen sehen müssen: die eine huldigt im Grunde der alten individualistisch-laizistischen Maxime „Religion ist Privatsache"; sie führt zu einer Verdrängung von Religion und Kirche aus dem Bereich des Öffentlichen, zumindest zu einer Schwächung der Position in diesem Bereich. Das ist freilich mit einem aufgeklärten demokratischen Pluralismus nicht verträglich; denn - so hat es Hans Zacher einmal kurz und bündig ausgedrückt 16 „Pluralismus ist öffentlich oder er ist nicht". Der Gegenthese liegt allerdings, 12 Vgl. Art. Pluralismus, in: K Rahner/H. Vorgrimler, Freiburg 1961, S. 290. 13
Kleines Theologisches Wörterbuch,
Klassische Exposition des Problems bei K Marx, Zur Judenfrage, in: Frühe Schriften, 1. Bd., hrsg. v. H.-J. Lieber und P. Furth (1962) S. 462 ff. (478). 14 Für die Auseinandersetzung damit hilfreich F. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, Konstanz 1970, bes. S. 29 ff. 15 Zum folgenden vgl. vom Verf., Liberalismus und Kirchen: Fragen an die FDP, in: Internationale Katholische Zeitschrift 4 (1975) S. 160-169; vgl. ferner M. Spieker, „Freie Kirche im freien Staat", in: Die neue Ordnung 1975, S. 115-125. 16 A. a. O. (Anm. 5) S. 7.
Neutralität, Pluralismus und Toleranz in der heutigen Verfassung
genau besehen, noch etwas Tieferliegendes zugrunde: es ist der Übermut der Vernunft, für den Transzendenz, Religion, Kirche vor dem Forum der Wissenschaft kapitulieren und ihre Irrelevanz für die Probleme dieser Welt eingestehen müssen. Demgemäß kann es aber dann letzten Endes bei einer bloßen Privatisierung nicht sein Bewenden haben; vielmehr müssen Religion und Kirche als Hauptgestalten menschlicher Selbstentfremdung völlig aufgehoben werden und verschwinden. So muß man heute schon sehr genau zuhören, ob nicht derjenige, der lauthals „Religionsfreiheit" im Munde führt, in Wirklichkeit Freiheit, genauer: Befreiung von der Religion meint. Eine zweite Grundtendenz hängt damit zusammen: sie mißversteht Pluralismus als Egalität. So konnte es nicht überraschen, daß von den Jungdemokraten zunächst der alte Ladenhüter vom Vereinsstatus der Kirchen wieder hervorgeholt wurde; nachdem man sich über dessen Untauglichkeit belehren ließ, hat man sich an die Schablone eines allgemeinen Verbandsrechts geklammert, sehenden Auges, daß es so etwas in unserer Rechtsordnung noch gar nicht gibt - und selbst wenn es dies gäbe, würde es für Kirchen und Religionsgemeinschaften hinten und vorne nicht passen17. Wiederum fallen die letzten Entscheidungen in einer tieferen Schicht: unverkennbar ist das Unverständnis für Eigenrechtsbereiche, zumal wenn sie historisch verwurzelt und nicht allein säkular begründbar sind; unverkennbar ist aber auch der Versuch, von außen im Zeichen der sogenannten Demokratisierung oder anderer pauschaler Ideologumena das wahre Heil vorzuschreiben oder doch zumindest in starkem Maße Kontrolle auszuüben. Bei dieser Sachlage kommt viel darauf an, daß sich die Christen und die Kirchen in bewußter Frontstellung dagegen gerade zum entschiedenen Anwalt des freiheitlichen Pluralismus machen. 3. Der Pluralismus ist zwar ein fundamentales Strukturelement der freiheitlichrechtsstaatlichen Demokratie; aber - um es sogleich mit einer These zu sagen - : Pluralismus ohne Integration zerfällt. Ein politisches Gemeinwesen, das real wirksam sein und eine gute Gesamtordnung gewährleisten will, muß politische Einheit 18 bilden, wofür die Maxime stehen kann „e pluribus unum", d. h. so, daß sich Einheit aus der Unterschiedenheit aufbaut, daß umgekehrt Unterschiedenheit und Vielgestaltigkeit in der Einheit wirklich „aufgehoben", mithin integer bewahrt, zugleich aber eingefügt sind in eine Gesamtordnung. Für diesen Prozeß der Integration kommt der Verfassung eine entscheidende Rolle zu. Sie dient der Gewinnung einer integrativen Gesamtordnung, will sagen: es ist ihre große Aufgabe zu gewährleisten, daß durch allen Pluralismus hindurch Integration in Konsens und Kompromiß möglich bleibt. Sie muß diese Aufgabe erfüllen durch sachgerechten organisatorischen Aufbau des Staates, insbesondere aber durch die Statuierung 17 Beachtliche neuere Verhandlung des Problems - freilich in bejahender Richtung - bei W. Huber, Kirche und Öffentlichkeit, Stuttgart 1973 (Forschungen und Berichte der Evang. Studiengemeinschaft, 28), bes. S. 533 ff. 18 Im Grundsätzlichen folge ich hier K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 8. Aufl., Karlsruhe 1975, bes. S. 5 ff.
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Neutralität, Pluralismus und Toleranz in der heutigen Verfassung
grundlegender wertverwurzelter Rechtsgüter, wie sie uns gewissermaßen als geronnene historische Erfahrung im Grundgesetz insbesondere in Gestalt der Grundrechte begegnen. Das Problem ist freilich mit dieser Feststellung erst gestellt, nicht gelöst. Denn die Dialektik von Pluralität und Einheit tritt in anderem Gewände nun erneut und erst recht auf, nämlich in bezug auf die Auslegung, d. h. die Konkretisierung der Verfassung. Im Allgemeinen und Grundsätzlichen ist man sich ja vielfach einig, zumindest verbal, aber wie, wenn es für die Entscheidung eines konkreten Sachproblems zum Schwur kommt? Wir brauchen nur an die bevorstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen § 218 StGB zu denken19. Man kann nur hoffen, daß hier bis in die Formulierung der Begründung hinein so viel an Konsens wie nur möglich erkennbar wird. Zwar mögen manche Bereiche von Ethik und Recht eine gewissermaßen pluralistische Bandbreite von Entscheidungen und Begründungen vertragen - nicht indes jener Bereich, in dem es um die existentielle Frage der Verfügbarkeit oder Unverfügbarkeit des Lebens geht; denn damit stehen Wertgrundlage und Glaubwürdigkeit unserer freiheitlich-pluralistischen Ordnung auf dem Spiel. 4. Damit ist der letzte Aspekt des Pluralismusproblems, der hier zur Sprache gebracht werden soll, schon angeschnitten: es ist die Frage nach den Grenzen des Pluralismus. Sie sind bestimmt durch das, was die Verfassung an Grundlegendem und Unverfügbarem normiert, im besonderen durch die sogenannten Unantastbarkeiten des Artikels 79 Abs. 3 GG 2 0 , die sich, soweit inhaltliche Wertnormierungen in Rede stehen, auf das Prinzip der Menschenwürde beziehen, damit aber mittelbar auch auf andere wichtige Rechtsgüter, die in jenem Prinzip radiziert sind 21 - wie etwa das Grundrecht der Religionsfreiheit oder auch wie das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Wenn die Verfassung so ihre eigene Wertgrundlage offenlegt und in diesem Rahmen auch das pluralistische Prinzip verteidigt, so nimmt sie sich selbst ernst und identifiziert sich damit. Dann ist es aber nur konsequent und nicht etwa ein Sündenfall, wenn Vorkehrungen gegen Kräfte getroffen werden, die den freien und offenen Lebensprozeß pluraler Kräfte geradezu zu beseitigen trachten. Gewiß, hinter dieser Selbstverteidigung der sogenannten wehrhaften Demokratie steht ein großer Anspruch, der Anspruch, prinzipielle Einsicht und historische Erfahrung im Dienst der Bewahrung des Humanum auch für die Zukunft verbindlich zu machen. Aber, so meine ich, das erhöht nur die Glaubwürdigkeit der menschlichen Verfassungsordnung, und es vermag das Bewußtsein der Verantwortlichkeit zu stärken.
19 Das Referat wurde am 22. 2. 1975 vorgetragen. Die Verkündung des Urteils erfolgte am 25. 2. 1975: BVerfGE 39, 1. Zur Würdigung des Urteils vgl. R. Schmitt, Die Verpflichtung des Staates zum Schutz der Ungeborenen, in: Herder-Korrespondenz 29 (1975) S. 171 -176. 20 Das Grundverständnis dieser Norm nach K. Hesse (Anm. 18), S. 275 ff. 21 Vgl. dazu vom Verf., Aspekte der Freiheitsproblematik im Recht, in: Philosophische Perspektiven 5 (1973) S. 31 f.
Neutralität, Pluralismus und Toleranz in der heutigen Verfassung
III. Es ist nunmehr das Neutralitätsproblem aufzugreifen. Vor jetzt bald 10 Jahren hat badische Hartnäckigkeit - das gibt es auch! - dazu geführt, daß das Bundesverfassungsgericht sich im Streit um die Heranziehung juristischer Personen zur Ortskirchenbausteuer veranlaßt sah, eine verfassungsrechtliche Aussage über Neutralität zu machen. Es zählte einige wichtige einschlägige Bestimmungen des GG auf, so insbesondere das Grundrecht der Religionsfreiheit und das Verbot der Staatskirche, und betonte dann, durch diese Bestimmungen lege die Verfassung „dem Staat als Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person weltanschaulichreligiöse Neutralität auf 4 . Unmittelbar danach spricht das Gericht von religiöser und konfessioneller Neutralität, auf die der Staat verpflichtet sei; sie verbiete es, daß der Staat einer Religionsgesellschaft Hoheitsbefugnisse gegenüber Personen verleiht, die ihr nicht angehören22. Das ist uns heute selbstverständlich geworden; aber damit war das Neutralitätsprinzip natürlich nur nach einer Richtung hin entfaltet. Die ganze Komplexität des Neutralitätsprinzips ist eigentlich erst seitdem durch Infragestellungen und Verunsicherungen ins Licht getreten. Das ist zunächst anhand einiger Beispiele zu zeigen. 1. Vor wenigen Jahren hat ein Autor allen Ernstes behauptet, die Kindertaufe , wie sie in den beiden großen Kirchen geübt wird, sei verfassungswidrig 23. Man könnte über diese Verirrung hinweggehen, wenn sie nicht anfänglich auch noch die Debatten innerhalb der FDP beeinflußt hätte und wenn sie nicht in gewisser Hinsicht symptomatisch wäre: unter grundsätzlichem Aspekt zeigt sich nämlich die Gefahr einer ideologischen Unterwanderung, ja der Perversion des Neutralitätsgedankens, und zwar an zwei Punkten: zum einen würde das Recht des Kindes auf Freisein von religiösem Zwang dem Grundrecht der Eltern auf religiöse Erziehung ihrer Kinder einseitig vorgeordnet, womit sich die staatliche Rechtsordnung gerade nicht neutral, sondern im Sinne einer bestimmten Emanzipations-Ideologie sehr parteiisch verhielte; zum zweiten würde ein tragender Stützpfeiler des Neutralitätsgrundsatzes, nämlich die Gewährleistung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes praktisch weggestrichen mit der Folge einer erheblichen Einbuße im Umfang des kirchlichen Eigenrechtsbereichs. Es ist offenkundig, daß sich hier jener vorhin schon diagnostizierte AntiPluralismus und eine Auffassung die Hand reichen, für welche Staat und Recht in erster Linie Kampfinstrumente, nicht aber Vorkehrungen zum Schutz von Lebensbereichen und zum Ausgleich von Interessen sind. Neutralität ist hier dann ebenso ein Unbegriff wie Pluralismus.
22 BVerfGE 19, 206 (216). 23 J. Kahl, Erziehung ohne Religion, in: Club Voltaire, hrsg. v. G. Szczesny, Bd. IV (1970) S. 51. Kritisch dazu vom Verf., Staatskirchenrechtliche Aspekte der Kindertaufe, in: Christsein ohne Entscheidung oder Soll die Kirche Kinder taufen? Hrsg. v. W. Kasper, Mainz 1970, S. 225-241.
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Neutralität, Pluralismus und Toleranz in der heutigen Verfassung
Ich will nicht dramatisieren und eine literarische Entgleisung nicht mit einem höchstrichterlichen Urteil auf die gleiche Stufe stellen: aber es ist die nämliche Grundproblematik, die jetzt durch ein Urteil des Bremischen Staatsgerichtshofs aufgeworfen ist, wonach eine kirchenrechtliche Regelung der evangelischen Kirche ungültig sein soll, kraft deren Pfarrer und Kirchenbeamte, die ein politisches Mandat übernehmen, im kirchlichen Dienst beurlaubt werden 24. Fordert das Prinzip politischer Gleichheit aller Staatsbürger wirklich die Mißachtung einer autonomen Regelung, die im Sinne einer Unterscheidung von Weltlich und Geistlich politisch gerade sehr sinnvoll ist? Ist es zulässig, das kirchliche Selbstverständnis von kirchlichem Amt und Seelsorgedienst hier einfach für unmaßgeblich zu erklären? Ein differenziertes Verständnis von Neutralität müßte diese Frage gewiß verneinen. 2. Unter dem Aspekt der Neutralität ist noch kurz auf einen zweiten Sachbereich hinzudeuten: der Staat leistet bekanntlich den Kirchen in vielfältiger Weise Finanzhilfe und trägt überhaupt dazu bei, daß die Kirchen rechtlich und wirtschaftlich im allgemeinen gut situiert sind. Wird damit aber nicht die Pflicht zur Neutralität verletzt? Hier hat die wissenschaftliche Diskussion der letzten Jahre vor allem zweierlei sehr deutlich machen können: Erstens ist bewußt geworden, welch große finanzielle Aktivität der Staat auch in anderen Bereichen dessen entfaltet, was man heute Kulturverfassungs- und -verwaltungsrecht zu nennen pflegt 25 : Denkmalschutz, Bibliothekswesen, Kunstförderung durch Museen u. a., um nur einiges zu nennen. Wenn der Staat sich als Kulturstaat, d. h. für Kultur verantwortlicher Staat verstehen will, kann er gar nicht gegenüber diesen Phänomenen in neutralistischer Indifferenz verharren, er muß sich ihnen vielmehr positiv pflegerisch und d. h. aber auch notwendig wertend und beurteilend zuwenden26. Dahinter steht - und das ist das zweite, was es hier hervorzuheben gilt - ein Sachverhalt von der allergrößten grundsätzlichen Tragweite: In der Gegenwart, unter den Bedingungen des hochkomplexen modernen Industriestaates kann grundsätzlich kein Zweifel daran bestehen, daß der Staat im Interesse seiner Bürger, aber auch in seinem eigenen Interesse nicht mehr bloß materielle Daseinsvorsorge, sondern auch ganz allgemein Freiheitsvorsorge 27 treiben muß, nicht nur durch Schutz, sondern auch durch aktive Stützung und Förderung der - ebenfalls immer teurer werdenden Freiheit. Daß Freiheit - man denke an Presse-, Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit auch subventioniert werden muß, hat prinzipiell nichts Anstößiges an sich. Ja, Frei24 Entscheidung vom 15. 1. 1975, abgedruckt in: Juristenzeitung 1975, S. 365, und dazu die kritische Abhandlung von A. Frhr. von Campenhausen, Aktuelle Rechtsprobleme der Inkompatibilität, ebda. S. 349-356. 25 Verfassungstheoretisch grundlegend E. R. Huber, Zur Problematik des Kulturstaats, Tübingen 1958. Zusammenfassend Th. Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, Tübingen 1969. 26 Dieser Aspekt ist insbesondere von M. Heckel wieder ins Bewußtsein gerückt worden: Staat - Kirche - Kunst - Rechtsfragen kirchlicher Kulturdenkmäler, Tübingen 1968 (Tübinger Rechtswiss. Abh., 22). 27 Vgl. dazu und zum folgenden die Skizze des Verf. (Anm. 21) S. 38.
Neutralität, Pluralismus und Toleranz in der heutigen Verfassung
heit muß sogar (mit dem Einsatz finanzieller Mittel) geplant werden. Der Staat bewegt sich hier freilich in einer schwerwiegenden Gefahrenzone. Der Staat der Freiheitsvorsorge würde pervertieren und Freiheit in der Substanz beeinträchtigen, wenn er zum Freiheitsversorgwngsstaat würde, wenn also der Bürger auch in Sachen Freiheit nur noch zum Kostgänger des Staates würde; m. a. W.: wenn der einzelne oder die Gruppe vom Risiko der Selbstbehauptung und der verantwortlichen Mitsorge für die Gestaltung seiner selbst und seines Lebensraumes entlastet und „befreit" wäre - denn solche „Befreiung" könnte nur um den Preis voller Vorplanung und Indienstnahme geschehen. Es liegt auf der Hand, daß in solcher Sicht auch das Problem der religiös-konfessionellen Neutralität des Staates neue Züge gewinnt und daß demgemäß das System der staatlichen Rechts- und Finanzhilfen zugunsten der Kirchen nicht mehr nur als bloß historisch überkommenes Faktum erscheint, sondern geradezu eine neue sachliche Legitimation erfährt, daß mithin unsere staatskirchenrechtliche Ordnung insoweit durchaus Modernität für sich in Anspruch nehmen kann 28 . 3. Neutralität und Schulwesen - das wäre nun ein drittes Thema, und wahrlich, wie es ja auch geplant war, ein Thema für sich. Es können und sollen aber nur wenige grundsätzliche Bemerkungen gemacht werden. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind bislang vor allem zwei Sachverhalte ins Blickfeld geraten. Zum einen ist in der Garantie der Privatschule als Institution eine „Absage an ein staatliches Schulmonopol" gesehen worden. Es liegt darin zugleich eine Wertentscheidung, die eine Benachteiligung von Privatschulen gegenüber den entsprechenden staatlichen Schulen allein wegen ihrer andersartigen Erziehungsformen und -inhalte verbietet. Und es wird dann ausgeführt: „Dieses Offensein des Staates für die Vielfalt der Formen und Inhalte, in denen Schule sich darstellen kann, entspricht den Wertvorstellungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die sich zur Würde des Menschen und zur religiösen und weltanschaulichen Neutralität bekennt" 29 . Schon daraus ergibt sich, daß Neutralität im Schulwesen nicht Abschottung, nicht Abstraktion von gesellschaftlichen Kräften bedeuten kann, erst recht nicht ideologische Monopolisierung. Demgemäß wird in einer anderen wichtigen Entscheidung gesagt, der Staat müsse „in der Schule die Verantwortung der Eltern für den Gesamtplan der Erziehung ihrer Kinder achten und für die Vielfalt der Anschauungen in Erziehungsfragen soweit offen sein, als es sich mit einem geordneten staatlichen Schulsystem verträgt" 30 . Hat man dies als Leitlinie vor Augen, so ist offenkundig, daß die Ein28
Vgl. zu diesem Aspekt W. Kewenig, Das Grundgesetz und die staatliche Förderung der Religionsgemeinschaften, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 6 (1972) S. 9 - 3 5 ; A. Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, München 1973, S. 137 ff., neuerdings wichtig J. Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: HdbStKirchR I I (1975) S. 51 -90. 29 BVerfGE 27, 195 (201). 30 BVerfGE 34, 165 (183).
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seitigkeit, mit der heute vielfach die sogenannte neutrale Schule gefordert oder praktiziert wird, weder mit Pluralismus noch mit recht verstandener Neutralität etwas zu tun hat. Mit Recht ist gesagt worden, diese sogenannte neutrale Schule verkehre nur die alte Sünde des Vorrangs der Bekenntnisschule in ihr Gegenteil31. Keinesfalls aber kann - wie das vielfach interpretiert wird - staatliche Neutralität im Schulwesen das Establishment der „Nicht-Religion" in der Schule bedeuten32. Das würde die staatliche Bildungs- und Erziehungsaufgabe verfehlen. Es ist für einen Augenblick noch einmal auf das Grundsätzliche zum Neutralitätsproblem überhaupt zurückzukommen. Wir haben vor allem der schon eingangs erwähnten Studie von Klaus Schiaich die Einsicht zu verdanken, daß „nicht mehr so sehr die Neutralität durch Ausgrenzung, denn vielmehr die pluralistische oder ,neutrale Offenheit'... heute die Aufgabe einer freiheitlichen Verfassung" ist 33 . Demgemäß ist „Neutralität eines Staatswesen ... nicht Gegensatz und Gegenbegriff zum Pluralismus". Sie hat nicht das Ziel, „einen inhaltlich minimalisierten, dafür aber um so etatistischeren, zuerst und vornehmlich auf Staatlichkeit im Sinne abgeschlossener Souveränität und absoluten Gehorsamsanspruchs bedachten Staatsbegriff zu fordern". Vielmehr gilt: „Neutralität bewährt sich in der Offenheit der Verfassung, die den Eigengesetzlichkeiten und Selbstverständnissen der verschiedenen Sachbereiche Raum gibt und in Kollisionsfällen um einen freiheitlichen Ausgleich bemüht ist" 3 4 . Denn in der Tat ist ja das auf Neutralität verpflichtete politische Gemeinwesen kein abstraktes Neutrum, sondern das Gemeinwesen seiner Bürger. Mit anderen Worten: Neutralität hat nichts mit Indifferenz zu tun. Wenn ein solches positives und offenes Neutralitätskonzept vorherrscht, können sich die Christen und die Kirchen dem davon geprägten Staat sehr wohl anvertrauen, ja es liegt an ihnen, zu ihrem Teil Hüter solcher Neutralität zu sein, indem sie Zumutungen anderer abwehren, aber auch indem sie selber dem Staat nichts zumuten, was dieser ohne Verletzung seiner Lebensprinzipien nicht leisten kann.
IV. Wenn sich der Vortrag nunmehr dem 7b/eranzproblem zuwendet, so ist es hier wohl besonders schmerzlich, daß die ganze Geschichtsmächtigkeit dieses Themas nicht zur Geltung gebracht werden kann. Immerhin: wir haben ja im Bereich der katholischen Kirche ein bedeutsames Stück Geschichte selber erlebt. Es sind nämlich noch nicht ganz 10 Jahre her, seit das Zweite Vatikanische Konzil mit der Erklärung über die Religionsfreiheit den Schritt vom Prinzip der bloß hinnehmenden Toleranz zum Prinzip der aktiven und positiven Religionsfreiheit getan hat, 31 Zacher (Anm. 5) S. 15. 32 Zu dieser Problematik eindringlich A. Frhr. von Campenhausen, Erziehungsauftrag und staatliche Schulträgerschaft, Göttingen 1967, u. a. S. 5. 33 A. a. O. (Anm. 4) S. 244. 34 A . a. O. S. 262.
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damit auch den prinzipiellen Schritt vom „Recht der Wahrheit" zum „Recht der Person" 35. Sie hat damit eine Entwicklung nachgeholt, die sich im weltlich-staatlichen Bereich jedenfalls bei uns längst vollzogen hat, in bedeutsamen Ansätzen im 19. Jahrhundert, allgemein seit der Weimarer Reichs Verfassung. Darauf gestützt gibt es nun im juristischen Schrifttum die Meinung, Toleranz sei allenfalls noch eine allgemeine ethische Grundhaltung, sie sei aber grundsätzlich kein Rechtsgebot mehr 36 . Andere verstehen Toleranz lediglich als regulatives Prinzip der Rechtsausübung in dem Sinne, daß der Toleranzgedanke für die Begrenzung des Gesetzesgehorsams aus Bekenntnisgründen, also zur Begründung einer Art Dispens für Dissidenten herangezogen werden könne 37 . Nun ist es richtig, daß nach dem Grundgesetz hinsichtlich der verfassungsrechtlich gewährleisteten religiösen Freiheitsrechte im Verhältnis des Staates zu den Bürgern sowie den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht mehr von religiöser Toleranz, sondern nur noch von Religionsfreiheit gesprochen werden kann. Trotzdem kommt, wie insbesondere Joseph Listl zu Recht hervorgehoben hat 38 , der Toleranz in einer religiös und weltanschaulich nicht homogenen Gesellschaft wie der der Bundesrepublik Deutschland als einer unentbehrlichen Grundhaltung für die vom Staat zu schaffende und zu schützende Friedensordnung große, und zwar auch rechtliche Bedeutung zu. Das gilt sowohl für das Verhältnis der einzelnen Staatsbürger zueinander, ganz besonders aber für die Koexistenz verschiedener weltanschaulicher und religiöser Gruppen und Verbände im Rahmen desselben politischen Gemeinwesens. Unter dieser Perspektive erweist sich der Grundsatz der Toleranz als ein „ungeschriebenes Verfassungsprinzip, das erst eine allseitige und befriedigende Aktualisierung des Grundrechts der Religionsfreiheit und der übrigen Grundrechte bei den einzelnen Staatsbürgern und den religiösen Gemeinschaften" ermöglicht. Es darf insbesondere in bezug auf die Religionsfreiheit als „verfassungsrechtliches Komplementärprinzip" qualifiziert werden 39. Um praktisch zu werden: In einem konkreten Rechtsfall wird es wahrscheinlich in absehbarer Zeit auch über das Toleranzprinzip vor dem Bundesverfassungsgericht zum Schwur kommen. Es geht dabei um die grundsätzliche Zulässigkeit und um die Modalitäten eines Schulgebets. Das Bundesverwaltungsgericht 40 hat dazu festgestellt: Durch das GG, insbesondere die religiös-weltanschauliche Neu35 Eindringlich dazu E.-W. Böckenförde in der Einleitung zur Aschendorffschen Textausgabe der Erklärung über die Religionsfreiheit, Münster 1969, bes. S. 9. 36 Vgl. etwa A. Podlech, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, Berlin 1969, S. 85. 37 Grundsätzlich dazu E.-W. Böckenförde, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, in: Veröff. d. Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 28 (1970), S. 45 ff. Vgl. auch unten Anm. 41. 38
A. a. O. (Anm. 6) S. 11 f. Vgl. dazu auch U. Scheuner, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz (1967), in: Schriften zum Staatskirchenrecht, hrsg. v. J. Listl, Berlin 1973, S. 50 ff. 39 Listl, a. a. O. S. 251. 40 Urteil v. 30. 11. 1973, BVerwGE 44, 196.
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tralität des Staates, werden die Länder nicht gehindert, an einer Gemeinschaftsschule ein Schulgebet zuzulassen. Die Veranstaltung des Schulgebets ist auch bei Widerspruch eines Schülers bzw. seiner Erziehungsberechtigten zulässig und verletzt nicht das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, wenn der betunwillige Schüler die Möglichkeit hat, sich in zumutbarer Weise dem Schulgebet zu entziehen. Die negative Bekenntnisfreiheit gewährt in diesem Falle dem widersprechenden Schüler bzw. seinen Erziehungsberechtigten kein Recht, das Schulgebet der anderen Schüler zu verhindern. Und zu unserer spezifischen Frage nach der Toleranz heißt es in diesem Zusammenhang wörtlich: „Zum friedlichen Zusammenleben in einer Gemeinschaftsschule gehört es, daß die Schüler lernen, die religiöse Überzeugung anderer zu tolerieren und zu respektieren, auch dann, wenn man sie selbst nicht mitvollziehen kann oder will. Zur Einübung solcher gegenseitiger Toleranz kann auch ein Schulgebet dienen ...". Man sollte meinen, damit sei die Sache überzeugend entschieden. Aber der Kläger - oder muß man genauer sagen: die Humanistische Union? - gab sich damit nicht zufrieden und rief das Bundesverfassungsgericht an. Ansatzpunkt der Verfassungsbeschwerde wird vermutlich die Frage der in der Tat unverzichtbaren Freiwilligkeit der Teilnahme am Schulgebet sein. Hier wird nämlich auch in der Literatur gefragt 41, ob bei einem Schulgebet innerhalb von Schulklassen als, wie man heute sagt, „geleiteten sozialen Gebilden mit intensiver Kommunikationsstruktur" die Freiwilligkeit allein durch die Ermöglichung der Nichtanwesenheit oder äußeren Distanzierung gewährleistet ist. Und es ist dazu die Regel entwickelt worden, daß ein Schulgebet innerhalb einer Klasse, wenn Beteiligte Einspruch erheben, nur dann zulässig ist, wenn mit hinreichender Sicherheit feststeht, daß keinem Schüler psychische oder sonstige Nachteile aus der Teilnahme oder Nichtteilnahme erwachsen 42. So begrüßenswert im Interesse einer Verfeinerung des Minderheiten- und Dissidentenschutzes sachlich gebotene Differenzierungen sind, so erscheint doch diese These weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht überzeugend und tragfähig 43 . In unserer heutigen Schulwirklichkeit dürfte etwa die Nichtteilnahme am - wohlgemerkt - überkonfessionellen Schulgebet für sich schwerlich in der Lage sein, eine Außenseiterrolle zu begründen und damit psychische Nachteile hervorzurufen - genausowenig wie die Abmeldung vom Religionsunterricht! Jedenfalls sind andere Faktoren und Kriterien hierfür bestimmt in stärkerer Weise ausschlaggebend. Aber die Voraussetzung einmal akzeptiert: wie soll mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, daß keine psychischen oder sonstigen Nachteile ent41
Vgl. dazu insbes. E.-W. Böckenförde, Die Öffentliche Verwaltung 1974, S. 254. 42 Böckenförde, a. a. O. S. 257.
Vorläufige Bilanz im Streit um das Schulgebet, in:
43 Im folgenden wiederhole ich den wesentlichen Inhalt meiner Anmerkung zum Urteil des BVerwG, in: Juristenzeitung 1974, S. 597 f. Vgl. auch H. Maurer, Religionsfreiheit und Schule, in: Deutsches Verwaltungsblatt 1974, S. 633 ff.; D. Lorenz, Schulgebet und Toleranz, in: Juristische Schulung 1974, S. 436 ff. Vgl. neuestens auch E. Stein, Elterliches Erziehungsrecht, in: HdbStKirchR II (1975) S. All ff.
Neutralität, Pluralismus und Toleranz in der heutigen Verfassung
stehen, und welcher Art sollen diese Nachteile konkret sein? Muß man gar den psychologischen Gutachter bemühen? Insbesondere aber wird man einwenden müssen, daß in der vorgetragenen Meinung ein zentrales normatives Element gar nicht ins Spiel gebracht wird, und das ist eben die rechtliche Verpflichtung auf die Erziehung „zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen", wie das in Artikel 7 Abs. 2 der hier einschlägigen nordrhein-westfälischen Verfassung ausdrücklich gefordert wird. Wenn also von der Seite des Lehrers oder von der Seite der Schüler ein schlechtes, dem Dissidenten ungünstiges Klima herrscht, so müßte zunächst einmal durch kompensatorische Maßnahmen der Erziehung und der Bewußtseinsbildung alles getan werden, um die faktische Situation zu verbessern. Man vertraut heute so viel auf „Aufklärung": hier ist sie am Platze. Und umgekehrt wird auch dem dissidentischen Schüler klarzumachen sein, daß es nicht angemessen ist, nur seinetwegen eine Übung zu unterbinden, die von der überwiegenden Mehrheit bejaht wird. Ich meine, daß die Lösung in dieser Richtung zu suchen ist, und das ist die vom Toleranzgedanken geforderte Lösung: denn Toleranz muß gegenseitig sein; Toleranz darf nicht nur vom Dissidenten für sich gefordert und in Anspruch genommen werden; sie muß vielmehr auf von ihm gefordert werden. Sonst landen wir bei der Vorordnung der negativen vor der positiven Religionsfreiheit, bei der Vörordnung des Minderheitenschutzes vor der Gewährleistung der Rechte der Mehrheit. Andernfalls würde wirklich die Gefahr bestehen, daß Toleranz zur „repressiven Toleranz" wird.
V. Es sei mir noch eine rasche Schlußüberlegung erlaubt. Auch wenn das nicht am jeweiligen Ort explizit gesagt wurde, so ist doch wohl offenkundig geworden, daß Pluralismus, Neutralität und Toleranz als konstitutive, kennzeichnende Elemente aufs engste zusammengehören, ja, daß sie im Grunde komplementäre Aspekte der einen Sache sind: wie nämlich menschliche Vielfalt in politischer Einheit existieren kann und wie insbesondere religiös-weltanschauliche Vielfalt und der für das irdische Gemeinwohl verantwortliche säkulare Staat in ihrem Verhältnis zueinander in eine sachgerechte Ordnung kommen. Sie sind damit wesenhafte Aspekte der freiheitlichen, rechts- und sozialstaatlichen Demokratie. Prinzipien, Institutionen und Normen als solche sind weithin klar. Ein anderes ist die konkrete Verwirklichung. Prinzipien, Institutionen und Normen können nichts ohne uns. Wir müssen das, wovon in diesem Referat die Rede war, leben: den integrativen Pluralismus, die offene Neutralität, die gegenseitige Toleranz. Das ist eine Herausforderung. Die Menschen können sie nur bestehen, wenn sie einen ethischen Impuls in sich wirken lassen, wenn sie dazu erzogen werden und wenn sie die damit verbundenen Haltungen einüben. Hier, im Bereich der politischen Ethik und der politischen Pädagogik fallen letzten Endes die Entscheidungen.
Staatskirchenrecht oder Religionsrecht? Begriffs- und problemgeschichtliche Notizen I.
Ist „Staatskirchenrecht" die adäquate Bezeichnung für das Recht, durch welches die rechtlichen Beziehungen zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften geregelt werden? Wenn schon bisher diese Bezeichnung so verstanden wurde, daß damit nicht nur die christlichen Kirchen, sondern alle Religionsgemeinschaften erfaßt werden 1, ist es dann in Anbetracht der weiteren Pluralisierung im religiösen Bereich, nicht zuletzt angesichts der Tatsache, daß in der Bundesrepublik Deutschland konfessionsstatistisch der Islam nach den beiden sog. Groß-Kirchen zur drittstärksten „Gruppe" geworden ist 2 , an der Zeit, das auch terminologisch zum Ausdruck zu bringen? Und bietet sich dafür nicht der Terminus (staatliches) Religionsrecht3 an? Vielleicht sind für die Erörterung dieser Frage einige begriffsund problemgeschichtliche Beobachtungen nützlich, die trotz ihrer Vörläufigkeit und Ergänzungsbedürftigkeit im folgenden mitgeteilt werden sollen. Die Skizze ist Heribert Schmitz in dankbarer Verbundenheit gewidmet - einem Meister der Kanonistik, der in seinen Arbeiten die jeweiligen staatskirchenrechtlichen Bezüge höchst sensibel und sachkundig zu beachten weiß4.
II. In der Geschichte der einschlägigen wissenschaftlichen Terminologie steht, daran ist zunächst zu erinnern, nicht „Staatskirchenrecht" am Anfang, sondern Erstveröffentlichung in: Iuri Canonico Promovendo. Festschrift für Heribert Schmitz zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Winfried Aymans / Karl-Theodor Geringer. Regensburg: Pustet, 1994, S. 869-887. 1 Vgl. Klaus Schiaich, Art. Staatskirchenrecht, in: EvStL 3 I I (1987) 3426-3429; Alexander Hollerbach, Art. Staatskirchenrecht, in: StL 7 V (1989) 180-182; aus dem älteren Schrifttum besonders wertvoll Werner Weber, Art. Staatskirchenrecht, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften V (1956) 753-757. 2 Hinweis bei Alexander Hollerbach, Der verfassungsrechtliche Schutz kirchlicher Organisation, in: Handbuch des Staatsrechts, hrsg. v. Josef Isensee / Paul Kirchhof, Bd. V I (1989) 560 f. 3 Vgl. Jörg Tröder, Art. Religionsrecht, in: StL 7 IV (1988) 835 f. 4 Vgl. zuletzt: Katholische Theologie und kirchliches Hochschulrecht, Bonn/München 1992 (Arbeitshilfen 100).
Staatskirchenrecht oder Religionsrecht?
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„Kirchenstaatsrecht" 5 . Bisweilen wurde auch von „geistlichem Staatsrecht" gesprochen 6 . Beide Bezeichnungen dienten dazu, das äußere Kirchenrecht zu erfassen, den Rechtsbereich des ius bzw. der iura circa sacra, der eindeutig dem Staat zuzuordnen war. In diesem Sinne, als auf die Kirchen bezogenes Staatsrecht, findet man das ganze 19. Jahrhundert hindurch Belege. Nach Karl Friedrich Eichhorn erfaßt das Kirchenstaatsrecht i m wesentlichen die Stellung der Kirche gegen die bürgerliche Gesellschaft und ihr Rechtsverhältnis gegen andere Kirchen. Er spricht sich aber dezidiert dafür aus, inneres Kirchenrecht und Kirchenstaatsrecht nicht gesondert darzustellen; vielmehr hält er es für am zweckmäßigsten, „den gesamten Stoff lediglich nach den inneren kirchlichen Verhältnissen zu ordnen, und das Kirchenstaatsrecht nicht als einen besonderen Teil zu behandeln, sondern, was sich davon auf jene einzelnen Verhältnisse bezieht, an das innere Kirchenrecht anzuschließen" 7 . So verfahren denn auch die großen Kirchenrechts-Werke, die das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat 8 . Dagegen beschränken sich Gesamtdarstellungen des Staatsrechts, wie noch betont Max Seydel 1893 9 , auf das „Kirchenstaatsrecht". In der Zwischenzeit war i m Sprachgebrauch als Bezeichnung für die Gesamtheit der in der staatlichen Kirchenhoheit wurzelnden Rechte allerdings „Staatskirchenrecht" vorgedrungen 10 . Soweit ersichtlich wurde dieser Begriff in einem Buchtitel 5 Vgl. den Hinweis bei Klaus Schiaich, Art. Staatskirchenrecht (Anm. 1) 3427. In seinem Werk „Kollegialtheorie. Kirche, Recht und Staat in der Aufklärung" (München 1969) erwähnt Schiaich u. a. Just Carl Wiesenhauern, Grundsätze des allgemeinen und besonderen Kirchen-Staats-Rechts der Frotestirenden in Deutschland, Franckfurt u. Leipzig 1749. 6 Vgl. dazu die aufschlußreichen Erörterungen bei Anton Friedrich Justus Thibaut, Juristische Encyclopädie und Methodologie, Altona 1797, 74 f. Als Beispiel sei verwiesen auf Johann Christian Majer, Teutsches geistliches Staatsrecht, 2 Theile, Lemgo 1773 (angeführt bei Schiaich, Kollegialtheorie [Anm. 5] 307). 7 Grundsätze des Kirchenrechts der Katholischen und Evangelischen Religionspartei in Deutschland, 1. Bd., Göttingen 1831,451. 8 Als Klassiker vgl. Emil Friedberg, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts, Leipzig 1909 mit umfassenden Hinweisen auf das Schrifttum des 19. Jahrhunderts. Zu diesem Autor siehe im übrigen jetzt Christoph Link, Emil Friedberg (1837-1910). Kirchenrechtler der historischen Rechtsschule, „Staatskanonist" und Mitstreiter im „Kulturkampf 4 , in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. v. Helmut Heinrichs / Harald Franzki/ Klaus Schmalz/Michael Stolleis, München 1993, 283-300. 9 Bayerisches Staatsrecht, 6. Bd, Freiburg i. Br. 1893. Bei der Behandlung der „Verwaltung in bezug auf das geistige Leben" wird auch „das Recht der Glaubensgesellschaften" dargestellt; diese Darstellung, so wird betont, sei „eine rein staatsrechtliche". „Sie gibt nur bayerisches Kirchenstaatsrecht, nicht Kirchenrecht..." (101). Zu Seydel jetzt unerläßlich Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. 2. Bd., München 1992, 287 ff. u. ö. Interessanter Beleg auch Karl Gareis/Philipp Zorn, Staat und Kirche in der Schweiz. Eine Darstellung des eidgenössischen und kantonalen Kirchenstaatsrechts mit besonderer Rücksicht auf die neuere Rechtsentwicklung und die heutigen Konflikte zwischen Staat und Kirche, 2 Bde., Zürich 1877/1878. 10 Aufschlußreicher lexikalischer Niederschlag bei Heinrich Singer, Art. Kirchenrecht, in: Staatslexikon, Bd. III (4894) 781. Merkwürdigerweise unergiebig für die spezifisch begriffs-
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erstmals 1868 verwendet, und zwar von dem badischen Ministerialbeamten Georg Spohn in seinem Werk „Badisches Staatskirchenrecht" 11. Der Untertitel lautet: „Durch Mitteilung des Gesetzes vom 9. Oktober 1860 über die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staate so wie der anderen aufgrund desselben noch geltenden Gesetze und Verordnungen dargestellt". Im Vorwort betont Spohn, „dieses Hauptgesetz" „und damit das jetzt in Baden geltende Staatskirchenrecht" solle mitgeteilt werden, und er setzt in einem Klammerzusatz diesen Begriff mit „äußeres Kirchenrecht, ius circa sacra" gleich, nicht ohne als Pendant eine Darstellung des „inneren Kirchenrechts (ius in sacra)" anzukündigen12. Auch andernorts erscheint nun das Wort „Staatskirchenrecht" häufiger 13. Als charakteristisch für die Parallelentwicklung in Österreich darf man das Werk von Max von Hussarek, Grundriß des Staatskirchenrechts 14, anführen. Soweit die staatskirchenrechtliche Dimension im Rahmen eines umfassend verstandenen Kirchenrechts einbezogen wurde, dürfte wohl für die Endphase der Entwicklungsperiode des Konstitutionalismus symptomatisch die Gliederung bei Ulrich Stutz sein 15 . Nach ihm umfaßt das „System des Kirchenrechts" als ersten Titel „Allgemeine Lehren", wobei hervorgehoben wird, das Kirchenrecht wurzele einzig und allein in der kirchlichen Gemeinschaft, die modernen Staaten und die Kirchen seien „inkommensurable Größen", sodann „Das deutsche Staatskirchenrecht" (zweiter Titel), schließlich (dritter Titel) „Das katholische Kirchenrecht" und (vierter Titel) „Das deutsch-evangelische Kirchenrecht". Dem Ausdruck „Religionsrecht" begegnet man in dieser ganzen Zeit, soweit ersichtlich, nur bei Wilhelm Kahl, wenn er in seinem „System des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik" von 1894 das Kirchenrecht vom „jüdischen Kultusrecht" und vom „heidnischen Religionsrecht" unterscheidet, zugleich aber feststellt: „Das Kirchenrecht bildet selbst nur einen Teil des Religionsrechts überhaupt, welches als Inbegriff der Rechtsnormen für alle irgendwo und irgendwann bestandenen oder bestehenden Religionsgesellschaften sowohl das gesamte antike Sakralrecht, als die gegenwärtigen Gestaltungen mohammedanischer, indischer etc. Religionsver-
geschichtliche Fragestellung Paul Hinschius, Allgemeine Darstellung der Verhältnisse von Staat und Kirche, in: Handbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, hrsg. v. Heinrich Marquardsen, 1. Bd., 1. Halbbd., Freiburg i. Br. 1883,187-380. 11 Karlsruhe 1868. Georg Spohn war damals Ministerialrat und Vorsitzender Rat im Evangelischen Oberkirchenrat. 12 Ebd. IV u. VI. 13 Emil Dursy, Das Staatskirchenrecht in Elsaß-Lothringen, Straßburg 1876; Ferdinand Geigei, Das französische und das reichsländische Staatskirchenrecht, Straßburg 1884. 14 Leipzig 1899. 15 Ulrich Stutz, Kirchenrecht. Geschichte und System, in: Holtzendorff/Kohler: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung, Bd. V, Leipzig/Berlin 71914, 390 ff.
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fassungen in sich schließt" 16 . Hier erscheint Religionsrecht als eine Art Sammelbegriff für alles Religionsgemeinschaften jedweder Art betreffende Recht. III. Die Schaffung einer neuen reichsverfassungsrechtlichen Grundlage für das Verhältnis des Staates zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften durch das Verfassungswerk von Weimar, bei der „Religionsgesellschaft" zum Grund- und Schlüsselbegriff wurde, hat an dem Fortbestand und der Fortführung der überkommenen Terminologie nichts geändert. Für die erste Gesamtdarstellung dieses Sachbereichs verwendete Friedrich Giese ohne Zögern die Bezeichnung „Staatskirchenrecht" 17, und auch Godehard Josef Ebers hielt in seinem Werk „Staat und Kirche im neuen Deutschland" (1930) daran fest, obwohl er sich bekanntlich scharf gegen die Fortexistenz einer spezifischen „Staatskirchenhoheit" wandte18. Er war es auch, der einer „Sammlung der religions- und kirchenpolitischen Gesetze und Verordnungen des Deutschen Reiches und Preußens nebst den einschlägigen kirchlichen Vorschriften" den Titel „Reichs- und Preußisches Staatskirchenrecht" gab 19 . Mit Nachdruck ist schließlich an die bedeutsame Rezensionsabhandlung von Johannes Heckel über „Das staatskirchenrechtliche Schrifttum der Jahre 1930 und 1931" zu erinnern 20. IV. Auch in der Zeit des Nationalsozialismus ist „Staatskirchenrecht" nicht verschwunden. 1936 gab Werner Weber eine Quellensammlung unter diesem Titel heraus 21 und ergänzte sie zwei Jahre später 22. In einer bemerkenswerten Studie 16
Wilhelm Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik, Freiburg i. Br. / Leipzig 1894, 82. 17 Albert M. Koenige /Friedrich Giese, Grundzüge des katholischen Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts, Bonn/Köln 1924 (Der Staatsbürger. Sammlung zur Einführung in das öffentliche Recht, 6). Eine zweite, neubearbeitete und vermehrte Auflage dieses Werkes erschien 1932. 18 Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, bes. 119-135. Vgl. von Ebers auch den Artikel „Staatskirchenrecht" in: Stier/Somlo/Elster, Handwörterbuch der Rechtswissenschaft V (1928) 629-642. Über den Autor siehe im übrigen Alexander Hollerbach, Über Godehard Josef Ebers (1880-1958). Zur Rolle katholischer Gelehrter in der neueren publizistischen Wissenschaftsgeschichte, in: Festschrift für Ulrich Scheuner zum 70. Geburtstag, Berlin 1973, 143-162. 19 München 1932. 20 Verwaltungsarchiv 37 (1932) 280 ff.
21 Staatskirchenrecht. Textausgabe der neueren staatskirchenrechtlichen Bestimmungen mit Verweisungen und einem Sachverzeichnis sowie mit einleitenden und verbindenden Bemerkungen, München/Berlin 1936. Von Werner Weber vgl. außerdem: Die Entwicklung des neuen evangelischen Staats-Kirchenrechts (sie!) in: DJZ 1936, 88-94 (jetzt auch in: ders., Staat und Kirche in der Gegenwart. Rechtswissenschaftliche Beiträge aus vier Jahrzehnten, Tübingen 1978, 9-17); Die staatskirchenrechtliche Entwicklung des nationalsozialistischen 20*
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erörterte 1938 der Gerber-Schüler Johannes Poppitz „ D i e Grundfrage des Staatskirchenrechts" 2 3 . In der systematischen Gesamtdarstellung „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" von Ernst Rudolf Huber 24 erscheint es als „neues Reichskirchenrecht" 2 5 , wobei der Autor insofern auf eine Linie der spezifisch staatskirchenrechtlichen Tradition zurückgreift, als er die Notwendigkeit staatlicher Kirchenhoheit scharf hervorkehrt und unter Verwendung von überkommener Terminologie klipp und klar sagt: „Das völkische Reich muß auf dem ius circa sacra bestehen, d. h. es muß sich Kirchenhoheit in allen Angelegenheiten vorbehalten, die das völkische Ethos, die politische Ordnung und Existenz sowie den staatlichen Aufgabenbereich betreffen" 2 6 . Die Zeit des Nationalsozialismus ist freilich auch die Periode, in welcher der Begriff „Religionsrecht" in den wissenschaftlichen Sprachgebrauch einzudringen begann. Das geschah i m Zusammenhang mit dem 1938 gegründeten „Ausschuß für Religionsrecht" bei der Akademie für deutsches Recht 2 7 . Aus dem Bereich der Regimes in zeitgenössischer Betrachtung, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. Festgabe für Rudolf Smend, Tübingen 1952, 365-386 (jetzt auch in: ders., ebd. 114-134). Bei diesem letzteren Aufsatz handelt es sich um den unveränderten Text eines Vortrags, den Werner Weber am 24. April und 17. Mai 1941 unter dem Titel „Die staatskirchenrechtliche und kirchenrechtliche Entwicklung seit 1933" gehalten hat. 22 Neues Staatskirchenrecht. Zweiter Band der Textausgabe staatskirchenrechtlicher Bestimmungen mit Verweisungen und einem Sachverzeichnis sowie mit einleitenden und verbindenden Bemerkungen, München/Berlin 1938. Im Vorwort dazu heißt es: „Die staatskirchenrechtlichen Fragen der Gegenwart finden in der deutschen Rechtswissenschaft wenig Zuspruch". Man dürfe aber nicht „das Staatskirchenrecht in die Rolle eines esoterischen Beschäftigungsgegenstandes für einen allzu begrenzten Kreis, etwa den Kenner des inneren Kirchenrechts" abgleiten lassen. Im übrigen klingt hier in der von Werner Weber gegebenen „Übersicht über die neuere staatskirchenrechtliche Entwicklung" eine Tendenz an, die sich mit dem verbindet, wovon sogleich zu sprechen sein wird: In der Gliederung des Stoffes erscheinen nämlich vor den Abschnitten über katholisches und evangelisches Staatskirchenrecht „allgemeine religionsrechtliche Bestimmungen", in denen in einem spezifischen Sinne „gesamtvölkische Gesichtspunkte" maßgebend seien. Sie dienten der Sicherung des religiösen Friedens. In Wirklichkeit sind sie Ausdruck der sog. Entkonfessionalisierung und der, wie Weber auch offen formuliert, „Entpolitisierung des kirchlichen Gemeinschaftslebens" (2.). 23 Mit dem Untertitel „Der Anspruch des Staates und das geistliche Wesen der Kirche", Leipzig 1938 (Abhandlungen des Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Volkerrecht an der Universität Leipzig, N. F. 3). 24 Hamburg 1939. 2., stark erweiterte Auflage von „Verfassung", Hamburg 1937. 25 § 48: „Das neue Reichskirchenrecht", 497 ff. Der Akzent ist hier auf „neu" zu legen. Denn auch in der Weimarer Zeit begegnet der Ausdruck „Reichskirchenrecht". Er diente, soweit ersichtlich, damals der Hervorhebung des einheitlichen, das Landes-Staatskirchenrecht übergreifenden Rahmens, wie er durch die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung geschaffen worden war. Vgl. etwa Carl Israel, Geschichte des Reichskirchenrechts, dargestellt aufgrund der stenographischen Berichte über die Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Berlin 1922. 2 6 Huber, ebd. 499. 27
Zu diesem Ausschuß grundlegend Jörg Winter, Die Wissenschaft vom Staatskirchenrecht im Dritten Reich, Frankfurt am Main 1979, 67-173.
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Wissenschaft gehörten ihm Hans Barion, Ernst Forsthoff; Johannes Hechel und Werner Weber an. Der Name des Ausschusses wurde gewählt, um „die Bezeichnung »Kirchen4 und die damit verbundene Verengung des Gesichtskreises nicht im Zusammenhang mit dem neuen Ausschuß auftauchen zu lassen"28. Damit würde, so hieß es ausdrücklich, „auch der Anregung des Herrn Ministers Rechnung getragen" 29 . Als später noch einmal eine Debatte über den Namen des Ausschusses aufkam, wurde die Abstinenz gegenüber dem Ausdruck „Kirche" bekräftigt. Dabei argumentierte Ministerialdirigent Dr. Julius Stahn, Mitglied des Ausschusses aus dem Reichskirchenministerium, so: „Soweit man heute ,Kirchenministerium 4 oder ,Ausschuß für Staatskirchenrecht 4 oder so ähnlich heißt, sind die Leute der Meinung, wir seien entweder irgendeine oberste Kirchenbehörde oder mindestens ein Disziplinarrechtsausschuß für die Verurteilung von Geistlichen oder so etwas 4430 . Ansonsten finden sich keine Belege für eine grundsätzliche Erörterung der hier in Rede stehenden Begriffe. Wohl aber wurden Zielsetzung und Selbstverständnis des Ausschusses in der Eröffnungsansprache des Vorsitzenden am 28. September 1938 deutlich zum Ausdruck gebracht: Wir sind „selbstverständlich eine staatliche Stelle, und wenn es einmal zu Meinungsverschiedenheiten oder zu einem Kampf zwischen Staat und Kirche kommt, so ist es außer aller Frage, daß wir auf der Seite des Staates kämpfen, gewissermaßen als dessen Anwalt, berufen, unter der Autorität des Präsidenten der Akademie und damit des Reichskanzlers, der ihn ernannt hat, die nationalsozialistische Weltanschauung auf diesem Gebiet zu fördern oder besser: das Religionsrecht der nationalsozialistischen Anschauung anzupassen4431. Damit war klargestellt, daß es sich bei den berufenen Ausschußmitgliedern nur um Personen handeln konnte, die damals als politisch zuverlässig galten, die jedenfalls nicht in das Lager der „Kurialisten" oder der Sympathisanten der Bekennenden Kirche gehörten 32. Es ist hier selbstverständlich nicht der Ort, um die Arbeit des Ausschusses inhaltlich zu würdigen. Dafür darf auf die ausgewogene Beurteilung Jörg Winters verwiesen werden 33. Festzuhalten bleibt aber, daß man einerseits mit der Namenswahl, d. h. mit der Abkehr von „Staatskirchenrecht 44, versucht hat, Distanz gegenüber den Kirchen zum Ausdruck zu bringen, daß aber andererseits weitreichende prinzipielle Folgerungen daraus nicht gezogen wurden, am wenigsten übrigens zugunsten anderer Religionsgemeinschaften als der Kirchen.
28 So nach einem Aktenvermerk von Werner Weber vom 22. 12. 1937, zitiert nach Winter, ebd. 78, Anm. 227. 2 9 So in dem Aktenvermerk Webers, BA R 61 /261 fol.10, insoweit nicht zitiert bei Winter. Mit „Minister" kann sowohl Reichsminister Dr. Hans Frank als auch Reichskirchenminister Kerrl gemeint sein. 30 BA R 61/275 fol. 20.
31 Zitiert nach Winter, Die Wissenschaft vom Staatskirchenrecht (Anm. 27) 79. Zutreffend in diesem Sinne Winter, ebd. 80. 33 Zusammenfassend ebd. 171-173.
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V. Nach 1945 beherrschte „Staatskirchenrecht" zunächst wieder eindeutig und unangefochten das Feld. Schon 1948 erschien eine erste Gesamtdarstellung unter diesem traditionellen Titel, wenngleich nach Umfang, Form und Inhalt noch nachkriegsmäßig bescheiden34. Friedrich Giese brauchte sodann mit seinem „Staatskirchenrecht" nur aufzugreifen und fortzuführen, was er selber schon in der Weimarer Zeit ins Werk gesetzt hatte 35 . In den für die Ausrichtung der staatskirchenrechtlichen Theorie so einflußreichen und grundlegenden Aufsätzen von Rudolf Smend 36 und Johannes Heckel 37 steht trotz aller Sensibilität für die neue Lage in einer freiheitlichen Demokratie eine Änderung der Terminologie offenbar nicht zur Debatte. Letzterer weist zwar darauf hin, daß in rein grundrechtlicher Sichtweise, welche die Religionsfreiheit zum Angelpunkt nimmt, ein Staatskirchenrecht nicht mehr nötig sei, daß vielmehr ein „staatliches Religionsrecht" genüge. Aber in dieses „Religionsrecht des Individualismus" sei ein anderes „gemeinschaftsmäßiges, genauer gesagt »kirchliches4 hineinkomponiert", eben das Staatskirchenrecht, das nach wie vor der Gesamtsituation das Gepräge gebe38. Auch als Werner Weber und Hans Peters auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer im Oktober 1953 in Marburg über „Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts" referierten, sahen sie keinen Anlaß, sich etwa über das Thema „Staatskirchenrecht oder Religionsrecht" zu verbreiten 39. Nur bei Werner Weber klingt am Ende die Frage an, ob der Gebrauch des Wortes „Staatskirchenrecht" noch angemessen sei das aber gewiß nicht in Richtung auf eine Bevorzugung von Religionsrecht, ganz im Gegenteil. Entscheidend ist für Weber vielmehr, daß die Kirchen heute in einem „Beziehungssystem öffentlicher Ordnungsmächte" stehen, daß sie „in verantwortlicher Gliedschaft in das politische Gemeinwesen einbezogen sind". Demgemäß 34 Franz Tibor Hollös, Staatskirchenrecht, Erlangen 1948 (Erlanger Vorlesungshefte). Vom gleichen Autor: Die gegenwärtige Rechtsstellung der katholischen Kirche in Deutschland aufgrund des Reichskonkordates und der Länder-Konkordate, Würzburg 1948. Über den Autor vgl. den Nachruf von Hans Hermann, in: ZSavRG.Kan 40 (1954) 377. 35 Albert M. Koeniger/Friedrich Giese, Grundzüge des katholischen Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts, Augsburg/Göggingen 31949. 36 Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, in: ZevKR 1 (1951) 4 - 1 4 = ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, Berlin 1955, 411-422 = Staat und Kirchen in der Bundesrepublik. Staatskirchenrechtliche Aufsätze 1955-1967, hrsg. v. Helmut Quaritsch/Hermann Weber, Bad Homburg v. d. H. 1967, 34-43. 37 Melanchthon und das heutige deutsche Staatskirchenrecht, in: Um Recht und Gerechtigkeit. Festgabe für Erich Kaufmann, Stuttgart 1950, 83-102 = ders., Das blinde, undeutliche Wort „Kirche", Köln/Graz 1964, 307-327 = Staat und Kirchen in der Bundesrepublik (Anm. 36) 17-33; Kirchengut und Staatsgewalt. Ein Beitrag zur Geschichte und Ordnung des heutigen gesamtdeutschen Staatskirchenrechts, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. Festgabe für Rudolf Smend, Tübingen 1952, 103-143 = ders., Das blinde, undeutliche Wort „Kirche", 328-370 = Staat und Kirchen in der Bundesrepublik, 44-78. 38 Kirchengut und Staatsgewalt, an der zuletztgenannten Fundstelle S. 47. 39 Werner Weber/Hans Peters, Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, in: VVDStRL 11 (1954) 153-214.
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seien die überlieferten Vorstellungen von der staatlichen Kirchenhoheit und den iura circa sacra nicht mehr praktizierbar, ebensowenig wie diejenige eines Tren40
nungssystems . Standen diese Äußerungen noch bis zu einem gewissen Grad unter einem kritischen Vorzeichen, so wurden in der Folgezeit neuere Erscheinungen eines freiheitlichen Staatskirchenrechts eher positiv gedeutet, insbesondere die Stärkung der koordinativen Elemente, d. h. die Fortentwicklung des Vertragsstaatskirchenrechts, bei welcher der evangelischen Kirche eine führende Rolle zukam 41 . Dieses Phänomen gab schließlich sogar Anlaß zu der Erwägung, den Begriff „Staatskirchenrecht" durch denjenigen des „Staat-Kirche-Rechts" zu ersetzen 42. Demgegenüber waren es insbesondere Helmut Quaritsch 43 und Hermann Weber u, die gewissermaßen zur Besinnung riefen und dem Begriff „Staatskirchenrecht" in dem Sinne zu neuerlichem Glanz verhalfen, daß sie das Element der Religions- und Kirchenhoheit des Staates betonten und der Koordinationslehre eine Absage erteilten. Mit anderen Akzenten, insbesondere gegen Übertreibungen einer Partnerschaftsideologie und unter Hervorhebung der grundrechtlichen Elemente hat auch Konrad Hesse in einem berühmten Aufsatz eine deutliche Mahnung ausgesprochen45. Aber weder er noch Klaus Obermayer 46, der ebenfalls in der damaligen Diskussionslage seine Stimme erhoben hat, haben den Begriff „Staatskirchenrecht" als solchen in Zweifel gezogen. Martin Heckel und Alexander Hollerbach haben schließlich dazu beitragen können, wieder eine mittlere Linie zu finden und das sensible Verhältnis von Staat und Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften unter Vermeidung von einer40 Zitiert nach dem Wiederabdruck des Weberschen Referats in: Staat und Kirche in der Gegenwart (Anm. 21) 186. Es kam nicht von ungefähr, daß Ulrich Scheuner seinem Bericht über die Marburger Staatsrechtslehrertagung denfragenden Titel gab: „Auflösung des Staatskirchenrechts?", in: ZevKR 2 (1952/53) 382-393 = ders., Schriften zum Staatskirchenrecht, Berlin 1973, 85-98. 41 Grundlegend dazu Rudolf Smend, Der Niedersächsische Kirchen vertrag und das heutige deutsche Staatskirchenrecht, in: JZ 1956, 50-53; Ulrich Scheuner, Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersächsischen Kirchenvertrages von Kloster Loccum, in: ZevKR 6 (1957/58) 1 - 3 7 = ders., Schriften zum Staatskirchenrecht, Berlin 1973, 301-336. 42 Alexander Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main 1965, 100 u. ö. Vgl. auch Siegfried Grundmann, Das Verhältnis von Staat und Kirche auf der Grundlage des Vertragskirchenrechts, in: ÖAKR 13 (1962) 281-300 = Staat und Kirchen in der Bundesrepublik 248-264. 43 Kirchen und Staat. Verfassungs- und staatstheoretische Probleme der staatkirchenrechtlichen Lehre der Gegenwart, in: Der Staat 1 (1962) 175-197, 289-320 = Staat und Kirchen in der Bundesrepublik, 265 - 310. 44 Die Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts im System des Grundgesetzes, Berlin 1966; später dann: Grundprobleme des Staatskirchenrechts, Bad Homburg v. d. H. 1970. 45 Freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen. Zur Gegenwartslage des Verhältnisses von Staat und Kirche in der Bundesrepublik, in: ZevKR 11 (1964/65) 337-362 = Staat und Kirchen in der Bundesrepublik, 334-357. 4 Staatskirchenrecht im Wandel, in: DÖV 1967, 9 - 1 7 = Staat und Kirchen in der Bundesrepublik, 382- 400.
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seits staatskirchenhoheitlichen, andererseits „dyarchischen" Extrempositionen theoretisch wieder einigermaßen ins Lot zu bringen - auch sie übrigens, ohne Zweifel an der Tauglichkeit des Begriffs „Staatskirchenrecht" zu äußern 47.
VI. War in dieser Entwicklung, in der sich zwar mehr und mehr lebhafte Diskussionen abspielten, diese aber innerhalb des nach wie vor ziemlich einhellig mit „Staatskirchenrecht" bezeichneten Gesamtrahmens verblieben, überhaupt Raum für einen anderen Ansatz? Es bedarf fast eines Röntgenblickes, um ein schmales Rinnsal zu entdecken, in dem sich „Religionsrecht" gewissermaßen in Erinnerung brachte und sich bis in den Anfang der 70er Jahre präsent hielt. Dieser Sachverhalt ist unlöslich mit dem Namen Hans Barion verknüpft 48. Barion steuerte 1949 zu „Das Juristische Repetitorium. Öffentliches Recht" 49 einen 200-seitigen bemerkenswerten Beitrag über „Kirchenrecht" bei 50 . Im Rahmen der Übersicht über die Quellen des deutschen Staatskirchenrechts schreibt er: „Neben den beiden christlichen Großkirchen gibt es noch eine Reihe von kleineren Kirchen (die altkatholische Kirche und die evangelischen Freikirchen) sowie christliche Gemeinschaften, die keine Kirchen, sondern Sekten sind. Ferner gibt es auch nichtchristliche religiöse Gemeinschaften, die mit den christlichen Kirchen und Sekten vom Standpunkt des modernen, konfessionell neutralen Staates aus formal auf gleicher Stufe stehen. Für ihn sind sie alle rechtlich gleichwertige Religionsgesellschaften. Seine ihnen gewidmete Gesetzgebung ist daher mit dem hergebrachten Ausdruck Staatskirchenrecht nicht vollständig bezeichnet; richtiger würde man von staatlichem Religionsgesellschaftsrecht oder kurz von Religionsrecht sprechen" 51. Auch am Beginn der Darstellung des deutschen Staatskirchenrechts wird noch einmal betont, „daß es sich hier materiell zwar vorwiegend um Staatskirchenrecht handelt, daß aber das formelle Thema besser durch den Ausdruck »Staatliches Religionsrecht4 umschrieben würde, der jedoch noch nicht gebräuchlich ist" 5 2 . Schließlich wird bei einer Übersicht über unterschiedliche Gestaltungsformen des Staat-Kirche-Verhältnisses gesagt: „Die unterste Schicht des Staatskirchenrechts bildet ... ein grundsätzlich 47 Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: VVDStRL 26 (1968) 1-106. 48 Über ihn vgl. den Nachruf von Heinrich Platten, in: AfkKR 142 (1973) 71-79, ferner Werner Böckenförde, Der korrekte Kanonist. Einführung in das kanonistische Denken Barions, in: Hans Barion. Kirche und Kirchenrecht. Gesammelte Aufsätze, hrsg. von Werner Böckenförde, Paderborn/München/Wien/Zürich 1984, 1-23. Vgl. außerdem die autobiographischen Mitteilungen Barions (unter dem Titel „Erwiderung") in: Eunomia. Freundesgabe für Hans Barion zum 16. Dezember 1969 (Privatdruck), 205-219. 49
Hrsg. v. Heinrich Freymark, Salzgitter. Wie es dazu kam, schildert Barion in Eunomia, 216. 51 Ebd. 27. 52 Ebd. 169. 50
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welteinheitlich gestaltetes Religionsrecht für den einzelnen; erst darauf baut das staatliche Recht der Religionsgesellschaften bzw. Kirchen auf. Dieses Religionsgesellschaftsrecht ist das eigentliche Thema des Staatskirchenrechts .. ." 5 3 . Hier stehen zwar ganz die aktuellen Bezüge im Vordergrund; man darf aber nicht übersehen, daß Barion die Kategorie des Religionsgesellschaftsrechts auch von seiner Auseinandersetzung mit Rudolph Sohm her vertraut war 54 . Barion hat dann wohl auch durch seine Zusammenarbeit mit dem Verlag Brockhaus55 dafür gesorgt, daß „Religionsrecht" lexikalisches Stichwort wurde. Während der Große Brockhaus in seiner 15. Auflage 56 den Begriff noch nicht in die Nomenklatur aufgenommen hatte, begegnet man ihm in der 16. Auflage 57 und in der 17. Auflage, die als „Brockhaus-Enzyklopädie" bekannt ist 58 . An der letzteren Stelle heißt es, Religionsrecht sei „im weiteren Sinn das gesamte, für das Religionsbekenntnis des einzelnen und für die Religionsgesellschaften geltende Recht; im engeren Sinn nur das staatliche Recht hierzu, unter zusätzlicher Einbeziehung des die Weltanschauungsgemeinschaften betreffenden Rechts, nicht jedoch die eigenen Rechtsordnungen der Religionsgemeinschaften, die für die (christlichen) Kirchen als Kirchenrecht bezeichnet werden". Außerdem wird von Tendenzen gesprochen, den Ausdruck „Staatskirchenrecht" auf das nur für die Kirchen geltende Recht zu beschränken. Umgekehrt liest man im Artikel „Staatskirchenrecht" 59: „Heute wird der aus der Zeit enger Verbindung von Staat und Kirche stammende Ausdruck meist in dem allgemeinen Sinn von Religionsrecht gebraucht, also als Bezeichnung für das gesamte, das (religiöse oder weltanschauliche) Bekenntnis des einzelnen oder von Gruppen und alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, nicht nur die (Groß-)Kirchen, betreffende Recht". Mag man dieser lexikographischen Aktivität keinen besonderen Stellenwert einräumen, so ist sie aber doch ein Beleg dafür, daß Barion versucht hat, auch damit dem Begriff „Religionsrecht" Heimatrecht zu verschaffen. Das gilt erst recht für einige kritische Aufsätze von ihm, die den Begriff mehr oder weniger programmatisch im Titel führen: „Feudaler oder neutraler Staat. Das religionsrechtliche Problem der Bremer Klausel (Art. 141 GG)" 6 0 ; „Die religionsrechtliche Problematik der katholischen Kirchensteuer" 61. Barion verfolgt hier eine Linie, welche 53 Ebd. 173. 54 Vgl. Rudolph Sohm, Kirchenrecht, 2. Band, Berlin 1923 (Nachdruck 1970), 13 ff. und dazu Barion, Gesammelte Aufsätze (Anm. 48) 86, 116 f. 55 Dazu Eunomia, 210. 56 Bd. 15,1933. 57 Bd. 9, 1956. 58 Bd. 15, 1972. 59 Bd. 17,1973. 60 DÖV 1966,361-368. 61 DÖV 1968, 532-537. Der Titel wird erneut gebraucht für eine „erste Bilanz": DÖV 1971,31-35.
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die staatliche Neutralität formalistisch zuspitzt 62 und bei der historisch-politische Kompromisse oder Ausgleichslösungen vor dem Richterstuhl begrifflich scharf zugeschnittener Prinzipien keine Gnade finden.
vn. 1973 wagte es Axel Freiherr von Campenhausen mit frischem Mut, eine Gesamtdarstellung des Staatskirchenrechts zu liefern 63 . Das geschah ohne Problematisierung des Begriffs. Schon der Untertitel ist für das weite Verständnis von „Staatskirchenrecht" bezeichnend: „Ein Leitfaden durch die Rechtsbeziehungen zwischen Staat und den Religionsgemeinschaften". Im Vorwort 64 wird Staatskirchenrecht definitorisch das die Religionsgemeinschaften betreffende Staatsrecht genannt. „Religionsrecht" kommt nicht vor. 1974/75 erschien dann das monumentale „Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland"65. Zwar wurde hier an dem überkommenen Begriff festgehalten, dessen Nuancen und Facetten sowohl unter historischem wie unter systematischem Aspekt in dem einleitenden Beitrag von Ulrich Scheuner eindrucksvoll zur Geltung kommen 66 . Aber das Werk hat bewußt an prominenter Stelle auch einer Position Raum gegeben, die eine mit dem Leitbegriff „Religionsrecht" operierende Konzeption in die Diskussion einbrachte: Paul Mikat schrieb über „Die religionsrechtliche Ordnungsproblematik in der Bundesrepublik Deutschland"67. Damit hat die Fragestellung dieses unseres Festschrift-Beitrags eine neue Qualität gewonnen. Das wurde im übrigen unterstrichen durch einen nicht nur darauf Bezug nehmenden, sondern der Sache lebhaft zustimmenden Aufsatz von Peter Häberle: »„Staatskirchenrecht' als Religionsrecht der verfaßten Gesellschaft" 68. 62
Vgl. dazu auch sein bekanntes Diktum, wonach das weltliche Recht „ekklesiologisch notwendig farbenblind" ist: Ordnung und Ortung im kanonischen Recht, in: Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, dargebracht von Freunden und Schülern, hrsg. v. Hans Barion/Ernst Forsthoff /Werner Weber, Berlin 1959, 30. 63
München 1973. Vgl. dazu die Besprechungen von Ulrich Scheuner, in: AöR 101 (1976) 145 f. und von Alexander Hollerbach, in: ZevKR 19 (1974) 420-427, diese wiederabgedruckt unter dem Titel „Wohltemperiertes Staatskirchenrecht" bei Peter Häberle, Rezensierte Verfassungsrechtswissenschaft, Berlin 1982, 356-362. 64 Ebd. 7. 65 Hrsg. v. Ernst Friesenhahn/Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listl, 2 Bde., Berlin 1974 und 1975. 66 Das System der Beziehungen von Staat und Kirchen im Grundgesetz. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts, 5 - 86. 67 Ebd. 107-141. Kennzeichnend auch Paul Mikat, Religionsrechtliche Schriften. Abhandlungen zum Staatskirchenrecht und Eherecht, hrsg. v. Joseph Listl, Berlin 1974 (mit einer Einleitung des Herausgebers, Das religionsrechtliche Schrifttum Paul Mikats, 19-25). 68 DÖV 1976, 73-80. Wiederabgedruckt in: Peter Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, Berlin 1978, 329 ff., mit Nachtrag 1978, 346 f. = Kirche und Staat in der neueren Entwicklung, hrsg. v. Paul Mikat, Darmstadt 1980, 452-473.
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Was zunächst die Begrifflichkeit anlangt, so konstatiert man, daß Mikat in keiner Weise explizit an Hans Barion anknüpft 69. Sein Anliegen kommt vielmehr zunächst in folgender „Definition" zum Ausdruck: „Der Begriff »staatliches Religionsrecht4 wird hier in einem über die traditionellen staatskirchenrechtlichen Materien hinausreichenden Sinn verstanden. Er soll die Gesamtheit der Rechtsnormen bezeichnen, die im Zusammenhang mit individuellen oder korporativen religiösen Interessen stehen, z. B. im bürgerlichen Ehe- und Familienrecht, im Strafrecht oder aber auch im Arbeitsrecht (Vorschriften über Tendenzschutz)"70. Überall also, wo in der Rechtsordnung Religion, in welcher Form auch immer, relevant wird und in Rechtsnormen Niederschlag findet, ist Raum für Religionsrecht. Es ist jedenfalls nicht beschränkt auf das Verhältnis der Institutionen Staat und Kirche bzw. Religionsgemeinschaften zueinander (institutionelles Staatskirchenrecht) und auch nicht auf das Verhältnis des einzelnen zum Staat bzw. zu Kirchen und Religionsgemeinschaften (was man personal-korporatives Staatskirchenrecht nennen könnte). Es geht vielmehr um die Erfassung des Phänomens Religion im ganzen, soweit es Ausdruck religiösen Interesses ist. Damit tritt die für Paul Mikat entscheidende Kategorie zutage. Mit ihrer Hilfe will er dem Phänomen „Religion" in der pluralistischen Demokratie mit ihrer Interessenvielfalt einen sicheren Ort verschaffen und jedweder Diskriminierung des Religiösen gegenüber anderen legitimen Interessen - wie im Bereich von Kultur und Wirtschaft - wehren. Das öffnet den Blick für die Öffentlichkeitsrelevanz von Religion und läßt auch die, wie Häberle unterstrichen hat 71 , leistungsstaatliche Dimension der grundrechtlichen Basis nicht zu kurz kommen. Mit Hilfe dieses Begriffs in seiner Verankerung in der Kategorie „Interesse" wird zwar die Perspektive über die Kirchen hinaus geweitet, doch fehlt bei Mikat jeder Hinweis auf eine bewußt neutralisierenddistanzierende Tendenz. Er will im Gegenteil dazu beitragen, dem Staatskirchenrecht den Geruch des undemokratisch Privilegienhaften zu nehmen. Gegen den Versuch Mikats, die „religiöse Ordnungsproblematik" auf die Grundkategorie „Interesse" als Basis zu stellen, hat allerdings Ernst-Wolfgang Böckenförde starke Bedenken erhoben 72. Zwar führe dies bei Mikat nicht zur Qualifizie69 In der Dissertation des Mikat-Schülers Jörg Tröder, Staatskirchenrechtliche Gesamtstatusprobleme in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland (Diss. iur. Bochum 1979), kommt diese Frage allerdings zur Sprache. Tröder stellt dazu fest, die Verwendung des Begriffs Religionsrecht bei Hans Barion habe noch nicht die „definitorische Klarheit" wie bei Paul Mikat und erscheine bei Barion „eher als unspezifischer Sammelbegriff* (Anm. 7, S. 2 der Anmerkungen). Tröder ist im übrigen der Verfasser des oben Anm. 1 angeführten Lexikon-Artikels über „Religionsrecht", der ohne vergleichende Erörterungen im wesentlichen den Inhalt der Mikatschen Konzeption wiedergibt. 70 HdbStKirchR I, 107.
71 Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß (Anm. 68) 337. 72 Staat - Gesellschaft - Kirche, in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Teilband 15, Freiburg 1982, 113, Anm. 10 in Verbindung mit S. 60 des Textes. Wiederabgedruckt in Ernst-Wolfgang Böckenförde, Schriften zu Staat - Gesellschaft - Kirche, Bd. III, Freiburg i. Br. 1990, 113-211, hier 159.
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rung und Zuordnung der Kirche als gesellschaftlicher Verband, wie auch die Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft erhalten bleibe. Aber die Religion erscheine darin, säkular betrachtet, als bloßes Interesse, religiöse Betätigung einschließlich der religiösen Wirksamkeit der Kirche als Interessenwahrnehmung. Die gesellschaftlich-funktionale Reduktion und die Unterstellung unter die allgemeinen rechtlichen Bedingungen der Interessenbetätigung werde damit ebenso unvermeidlich wie die Betrachtung der religiösen Institutionen als, wie Mikat sagt, „soziale Einrichtungen geistlicher Daseinsvorsorge" folgerichtig sei. Auch die Kennzeichnung der religiösen Interessen als „personale Interessen" durch Mikat, wodurch sie von anderen abgehoben werden, reichten nicht hin, sie der immanenten Logik und Reduktion, die im Interessenbegriff liegt, zu entziehen. Böckenförde betont, „daß die Kirche nicht einfach eine Organisation von Bürgern zur Darstellung und Artikulation ihrer religiösen Interessen im Staat ist, vielmehr Verkörperung und Repräsentant einer von den Aufgaben des Staates prinzipiell unterschiedenen geistlichen Zielsetzung, die der heutige Staat bewußt außerhalb seiner Kompetenz läßt" 73 . Paul Mikat hat sich dieser Kritik gestellt und seinerseits betont, daß die Verknüpfung mit dem Interessen-Begriff die „tranzendentale Dimension religiöser Interessen" und den „universalen Heilsanspruch" der Kirche keineswegs vernachlässigen wolle. Er sieht eine Gemeinsamkeit mit seinem Kritiker in der Betonung der Notwendigkeit der „institutionellen Eigenständigkeit der Kirche auf der Grundlage der Religionsfreiheit" 74. Man wird zu dieser Debatte bemerken, daß „Bedürfnis" und „Interesse" hilfreiche Kategorien für eine Kommunikation mit dem Menschen von heute sind und daß sie ein Stück weit dazu beitragen können, im Hinblick auf Legitimation einen vernünftigen Diskurs zu führen. Es bleibt aber in der Tat dabei, daß die Zielsetzung von Religion und Kirche - auch in bezug auf ihre Präsenz im politischen Gemeinwesen - weit darüber hinausreichen. Dem hat sich - unter Wahrung von Säkularität, Neutralität und Parität - auch der Staat zu öffnen und adäquate Rechtsformen zur Verfügung zu stellen. VIEL Seit dem Dialog zwischen Mikat und Böckenförde ist die Diskussion nicht fortgesetzt worden. „Staatskirchenrecht" und (staatliches) „Religionsrecht" werden nebeneinander gebraucht 75. Was die erfaßten Materien anlangt, so lassen sich denn 73 Ebd. 65. 74 Art. Kirche und Staat, in: StL 7 III (1987) 488 f. 75 Als Beispiele seien angeführt Wolfgang Loschelder, Der Islam und die religionsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 20, Münster 1986, 149 ff.; Karl-Hermann Kästner, Säkulare Staatlichkeit und religionsrechtliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, in: ZevKR 34 (1989) 260-286.
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auch bei weitem Begriffsverständnis von „Staatskirchenrecht" 76 keine nennenswerten Unterschiede feststellen. Erwägenswert ist allerdings, nach dem Vorschlag von Hermann Lübbe11 von „Staatskirchenrecht" bzw. „Religionsrecht" ein spezifisches „religiöses Staatsrecht" abzuheben, Recht mithin, bei dem nicht das Interesse des einzelnen oder der Religionsgemeinschaften die Grundlage bildet, sondern das zum „Verfassungswillen" erhobene Interesse des Staates selbst. Gedacht wird dabei etwa an den Rekurs auf Gott in Präambeln oder an die Normierung religiös fundierter Erziehungsziele. Was ist aber nun die angemessene Bezeichnung? Gegen eine Ersetzung des Begriffes Staatskirchenrecht durch Religionsrecht gibt es keine prinzipiellen Bedenken, sofern der letztere Begriff nicht im Sinne der Trennungsideologie und einer formalistischen Neutralitätskonzeption verengt verstanden und mit einer kämpferischen Note versehen wird. Demgegenüber hat aber „Staatskirchenrecht" den großen Vorzug, die konkrete geschichtliche Herkunft dieser Rechtsmaterie bewußt zu machen und darauf hinzuweisen, daß nach wie vor das Verhältnis zu den Kirchen im Vordergrund steht78. Man bleibt damit dann auch in unmittelbarer Verbindung mit den Nachbarländern Österreich und Schweiz79. Vor allem aber ist der Begriff Staatskirchenrecht ein Hinweis darauf, daß die in der Weimarer Reichsverfassung unter Rückgriff auf ältere Formen grundgelegte Konzeption im wesentlichen an dem Verhältnis zu den beiden großen Kirchen entwickelt worden ist und sie von daher ihr spezifisches Profil erhält 80 . Dieses Profil in Gestalt einer geschichtlich 76 Siehe dazu Alexander Hollerbach, Art. Staatskirchenrecht, in: StL 7 V (1989) 180 f. 77 Staat und Zivilreligion. Ein Aspekt politischer Legitimität, in: Legitimation des modernen Staates, hrsg. v. Norbert Achterberg / Werner Krawietz, Wiesbaden 1981 (ARSP Beiheft 15), 47. 78 Sehr informativ Siegfried Marx, Staatskirchenrecht - Gegenstand, Wesen und Bedeutung für den Unterricht an Theologischen Fakultäten, St. Ottilien 1987 (Fuldaer Hochschulschriften 3). 79 Die wichtigsten bibliographischen Angaben müssen genügen: Inge Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien/New York 1971; Helmuth Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien/New York 1984; Hugo Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1992. - Dieter Kraus /René Pahud de Mortanges, Bibliographie des schweizerischen Staatskirchenrechts, Freiburg (Schweiz) 1991 (Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat 31); Dieter Kraus, Schweizerisches Staatskirchenrecht, Tübingen 1993. 80 Zusammenfassende Darstellungen: Axel Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrecht. Ein Studienbuch, München 21983; Alexander Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Josef Isensee/Paul Kirchhof, Bd. VI, Heidelberg 1989, 471-555; ders., Der verfassungsrechtliche Schutz kirchlicher Organisation, ebd. 557-593; ders., Freiheit kirchlichen Wirkens, ebd. 595-633. Zur Erfassung der historischen, theologischen, staatstheoretischen und rechtsdogmatischen Tiefendimensionen von „Staatskirchenrecht" ganz unerläßlich zahlreiche Arbeiten von Martin Heckel, jetzt in: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Klaus Schiaich, 2 Bde., Tübingen 1989, ferner: „In Verantwortung vor Gott und den Menschen ...". Staatskirchenrecht und Kulturverfassung des Grundgesetzes 1949-1989, in: 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland 40 Jahre Rechtsentwicklung. Ringvorlesung der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen, hrsg. v. Knut W. Nörr, Tübingen 1990, 1-27.
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fundierten und jetzt über Jahrzehnte bewährten sachgerechten Ausgleichslösung verdient es, auch in das europäische Konzert eingebracht zu werden 81. Insofern ist „Staatskirchenrecht" ein Markenzeichen und ein Hinweis auf ein Stück deutscher Identität. Und doch: Letztlich bleibt entscheidend die offene und unverkrampfte Diskussion der Sachfragen 82 - gewissermaßen jenseits von „Staatskirchenrecht oder Religionsrecht". 83 Nachtrag Bei der Abfassung des vorstehenden Aufsatzes wurden zwei wichtige Äußerungen zur Begriffsgeschichte übersehen. Sie wurden in einem Beitrag über „Staatskirchenrecht oder Religionsrecht?" in der Zeitschrift „Kirche und Recht" 1997, S. 1 - 3 in die Diskussion einbezogen. Dietrich Pirson S4 stellt fest, soweit ersichtlich habe Robert von Mohl das erste Mal den Begriff „Staatskirchenrecht" verwendet; er verweist dafür auf Mohls Werk „Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften", Band 1, Erlangen 1855, S. 489 (Neudruck Graz 1960), betont aber, daß von Mohl wie auch andere Autoren nach ihm gelegentlich noch von „Kirchenstaatsrecht" sprechen. Nach Inge Gampl gilt das Wort „Staatskirchenrecht" als Schöpfung des deutschen Staatsrechtslehrers Robert von Mohl" S5. Frau Gampl führt als Beleg Mohls Werk „Staatsrecht, Völkerrecht und Politik" an (2. Band. Politik, 1. Band, Tübingen 1862, S. 185) 86 . Der erstgenannte Beleg findet sich in Mohls Bericht über „Die 81 Erster Versuch einer zusammenfassenden Erörterung der anstehenden Fragen bei Alexander Hollerbach, Europa und das Staatskirchenrecht, in: ZevKR 35 (1990) 250-283. Maßgebend jetzt Gerhard Robbers, Die Fortentwicklung des Europarechts und seine Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 27, Münster 1993, 81-101. Unmittelbar zum vorliegenden Thema vgl. die Äußerungen in der Diskussion, ebd. 119 f. 82 Wertvolle Anregungen bei Gerald Göbel, Neue Bewegung im Staatskirchenrecht?, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (1990) 189-192, und bei Jörg Müller-Volbehr, Staatskirchenrecht im Umbruch, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (1991) 345-349. Vgl. auch Hans-Martin Pawlowski, Das Verhältnis von Staat und Kirche im Zusammenhang der pluralistischen Verfassung, in: Der Staat 28 (1989) 353 - 375. 83 Nach Abschluß des Manuskripts kam mir in die Hand Gerhard Czermak, Staat und Weltanschauung. Eine Auswahlbibliographie. Mit einer Abhandlung zu Entwicklung und Gegenwartslage des sogenannten Staatskirchenrechts, Berlin - Aschaffenburg 1993. Die Auseinandersetzung damit muß einer gesonderten Stellungnahme vorbehalten bleiben. 84 Die geschichtlichen Wurzeln des deutschen Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Joseph Listl / Dietrich Pirson, 2. Aufl., Bd. I, Berlin 1994, S. 11. 85 Staatskirchenrecht. Leitfaden, Wien 1989, S. 1. Bezugnahme darauf auch bei Joseph Listl, Das Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland (1990), jetzt in: ders., Kirche im freiheitlichen Staat, 1. Halbbd., Berlin 1996, S. 336. 86 Die Sachproblematik wird von Inge Gampl, Richard Potz und Brigitte Schinkele auch in dem von ihnen herausgegebenen Werk „Österreichisches Staatskirchenrecht. Gesetze, Ma-
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Literatur des Schweizerischen Staatsrechts" (S. 471-506). Hier wird im Rahmen einer Übersicht über Werke zum allgemeinen Kantonal-Staatsrecht hervorgehoben, daß die Zahl der einschlägigen Schriften, die das ganze Feld beackern, nicht groß sei, daß aber Werke „über das katholische Staatskirchenrecht der Kantone" (S. 489) existieren. Allerdings gebraucht keines der hier besprochenen Werke in seinem Titel den Begriff „Staatskirchenrecht". Wenn Mohl andererseits diesen Begriff für die Erfassung und zusammenfassende Würdigung dieser Werke verwendet, so handelt es sich wohl nicht um eine explizite Entscheidung, sozusagen um eine bewußte sprach- bzw. begriffsschöpferische Tat. Jedenfalls findet sich keine Erläuterung in dieser Richtung. Außerdem befindet sich „Staatskirchenrecht" hier mit „Kirchenstaatsrecht" tatsächlich noch in einer Schwebelage; wenige Seiten später (S. 492) wird nämlich von „kirchenstaatsrechtlichen Schriften" gesprochen, ohne daß ein sachlicher Unterschied erkennbar wäre. Man kann wohl nur soviel sagen: Staatskirchenrecht meint ein vom Staat ausgehendes Recht, das dessen Beziehungen zu den Kirchen zum Gegenstand hat bzw. das diese Beziehungen regelt. Wo es solche spezifischen Rechtsregeln nicht gibt, sondern die Beziehungen zwischen Staat und Kirche dem allgemeinen Recht überlassen werden, dort kann nicht von Staatskirchenrecht gesprochen werden. Es verwundert deshalb nicht, daß in dem nachfolgenden umfassenden Literaturbericht über „Das Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Amerika" (S. 507-599) in Anbetracht des dort herrschenden „Grundsatzes der völligen Trennung von Staat und Kirche" (S. 517) von Staatskirchenrecht nicht die Rede ist. Die zweite Belegstelle findet sich in der großen Abhandlung „Über das Verhältnis des Staats zur Kirche" (a. a. O. S. 171-292). Aber auch hier wird das Wort Staatskirchenrecht nicht mit systematischer Hervorhebung und dem Gewicht eines Leitbegriffs verwendet. Es kommt hier, soweit ersichtlich, überhaupt nur einmal vor, und zwar am Ende einer Skizze über die Systeme des Verhältnisses von Staat und Kirche. Hier heißt es: „Es ist ... sicher nicht bloß eine schlaffe Abneigung gegen Ungewohntes, welche in Europa sehr allgemein eine Abneigung gegen die Einführung des amerikanischen Systems im Staatskirchenrecht, oder richtiger gesprochen gegen eine Nachahmung der dortigen Aufhebung jedes besonderen Staatskirchenrechtes veranlaßt; sondern es hält eine richtige Einsicht in offenbare Mängel davon ab" (S. 185). Es ist offenkundig, daß Mohl die hier von ihm diagonostizierte Tendenz unterstützt und eben für ein Staatskirchenrecht im Sinne eines spezifischen Rechts für die Staat-Kirche-Beziehungen plädiert. Im übrigen ist seine Abhandlung eine Fundgrube für die Erörterung konkreter Streitfragen im Verhältnis von Staat und Kirche. Man erkennt, daß Mohl dieses Verhältnis „nach den Grundsätzen des Rechtsstaats" geordnet sehen will, um seinen bekannten Buchtitel anklingen zu lassen87. terialien, Rechtsprechung", Bd. 1 Wien 1990, S. V - V I I I , sorgfältig erörtert; hier allerdings ohne Bezugnahme auf die Begriffsgeschichte. 87 Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaats, 2 Bde., Tübingen 1832/33.
Staatskirchenrecht oder Religionsrecht? So wird man sich für den Wortgebrauch zwar auf Robert von Mohl stützen können. Näheren Aufschluß über den Gehalt und die Reichweite des Begriffs bekommt man indes nicht, geschweige denn, daß der Begriff bei ihm eine wissenschaftstheoretische Begründung und Einordnung erfahren würde 8 8 .
88 Für Person und Werk Robert von Mohls darf jetzt insbesondere verwiesen werden auf Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II, München 1992, bes. S. 172-176 und öfter. Einen überaus wertvollen Beitrag zur Problem- und Theoriegeschichte leistet Peter Landau, Die Entstehung des neueren Staatskirchenrechts in der deutschen Rechtswissenschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Religion und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Wolfgang Schieder, Stuttgart 1993, S. 29-61.
Zur Problematik staatskirchenrechtlicher Grundsatzaussagen in verfassungsgeschichtlicher Perspektive I.
Bei der Vorbereitung von Verfassungen der fünf neuen (Bundes-)Länder stellt sich u. a. die Frage, ob über konkrete Regelungen oder über die Übernahme und Bekräftigung der grundgesetzlichen Normen hinaus zum Verhältnis von Staat und Kirche eine Grundsatzaussage getroffen werden soll, die einer zusammenfassenden Charakterisierung und/oder einer Offenlegung der tieferen Begründung für die Einzelnormierungen bzw. für das „System" dienen kann. Nach dem sog. Gohrischen Entwurf einer Verfassung des Landes Sachsen scheint diese Frage bejaht zu werden. Der Abschnitt über „Die Kirchen und Religionsgemeinschaften" beginnt nämlich mit Artikel 110, der in seinen Absätzen 1 und 2 wie folgt lautet1: „(1) Die Bedeutung der Kirchen und Religionsgemeinschaften für die Bewahrung und Festigung der sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens wird anerkannt. (2) Die Kirchen und Religionsgemeinschaften entfalten sich in der Erfüllung ihrer religiösen Aufgaben frei von staatlichen Eingriffen."
Erst in Abs. 3 folgt dann die Artikel 140 GG nachgebildete und ihn bekräftigende Inkorporationsklausel, wonach die Bestimmungen der Art. 136, 137, 138, 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung Bestandteil dieser Verfassung sind.
II. Geht man von diesem Beispiel aus, so liegt ein erster historischer Bezug offen zutage. Der sächsische Entwurf ist nämlich von der Verfassung des Landes BadenWürttemberg vom 11. November 1953 inspiriert und lehnt sich an diese an. Die thematische Parallele findet sich dort im Art. 4, der lautet2: Erstveröffentlichung in: Staat und Parteien. Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Karl Dietrich Bracher/Paul Mikat/Konrad Repgen/ Martin Schumacher/ Hans-Peter Schwarz. Berlin: Duncker & Humblot, 1992, S. 97-105. 1
Der von Peter Häberle herausgegebene Text jetzt in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts, NF 39, 1990, S. 439 (454). Soweit ersichtlich enthält nur noch der Verfassungsentwurf Sachsen-Anhalts eine vergleichbare Formulierung, über deren Aufnahme in die Verfassung (Art. 41) allerdings noch keine Einigung erzielt wurde: „Die Bedeutung der Kirchen für die Wahrung der sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens wird anerkannt"; Text a. a. O., S. 455 (461). 21 Hollerbach
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„(1) Die Kirchen und die anerkannten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften entfalten sich in der Erfüllung ihrer religiösen Aufgaben frei von staatlichen Eingriffen. (2) Ihre Bedeutung für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens wird anerkannt."
Mag man der Umkehrung in der Reihenfolge der beiden Aussagen kein entscheidendes Gewicht beimessen und muß man sich auch dessen bewußt sein, daß die vermeintliche Einschränkung auf „anerkannte" Gemeinschaften irrelevant ist, da sie weder landesrechtlich handhabbar gemacht wurde noch überhaupt bundesrechtlich haltbar ist 3 , so fallen doch zwei Unterschiede auf: Der sächsische Entwurf nennt nicht ausdrücklich die Weltanschauungsgemeinschaften und spricht die Anerkennung nur aus in bezug auf die Bedeutung für die sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens, nicht aber auch für die religiösen 4. Was den ersten Punkt anlangt, so vermeidet der sächsische Entwurf damit allerdings eine Unstimmigkeit, die der baden-württembergische Text jedenfalls in seinem ersten Absatz in sich trägt: Weltanschauungsgemeinschaften 5 haben, wenn man trotz aller Abgrenzungsschwierigkeiten von einer deutlichen Differenz zwischen Religion und Weltanschauung ausgeht und wenn man auf die Praxis blickt, gerade keine religiösen Aufgaben, bei deren Erfüllung sie sich frei von staatlichen Eingriffen sollen entfalten können. Man könnte eigentlich nur von weltanschaulichen Aufgaben sprechen. Andererseits liegt Baden-Württemberg auf der Linie des Weimarer Kompromisses, für den die Einbeziehung der Weltanschauungsgemeinschaften, ja überhaupt der Gleichrang von Religion und Weltanschauung wesentlich war. Durch Art. 4 Abs. 1 GG ist diese Linie bestätigt, ja noch deutlicher ausgezogen worden. Gleichwohl folgt daraus für eine Landesverfassung nicht der Zwang, die Weltanschauungsgemeinschaften immer auch ausdrücklich zu nennen. Sie kann sich auf das Phänomen Kirche und Religionsgemeinschaft konzentrieren, muß sich aber jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des vorrangigen Bundesrechts eine Ergänzung gefallen lassen. Eine Landesverfassung wäre nicht befugt, Weltanschauungsgemeinschaften sozusagen zu verbannen. Der zweite Differenzpunkt ist gewichtiger. Warum soll nicht der Staat auch die Bedeutung der Kirchen und Religionsgemeinschaften für die Bewahrung und Festigung der religiösen Grundlagen des menschlichen Lebens anerkennen? Mein2 Vgl. dazu die Kommentierung des Verfassers in: Paul Feuchte (Hrsg.), Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart 1987, S. 86-98. Siehe ferner Klaus Braun, Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart 1984, S. 23 f., und Martin Hechel, Staatskirchenrecht, in: Baden-Württembergisches Staats- und Verwaltungsrecht, hrsg. v. Hartmut Maurer/Reinhard Hendler, Frankfurt am Main 1990, S. 582-587. 3 Dazu Verfasser, a. a. O., S. 93. 4
So aber noch der von der Arbeitsgruppe Bezirkstag Dresden erarbeitete Entwurf einer Landesverfassung für Sachsen, Art. 73 Abs. 2; Text bei Häberle, 1990, S. 425. 5 Vgl. dazu auch vom Verfasser, Art. Weltanschauungsgemeinschaften, in: Staatslexikon, Bd. V/1989, Sp. 927-929.
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ten die Verfasser des sächsischen Entwurfs, es gäbe solche Grundlagen nicht, oder gingen sie lediglich von der Inkompetenz des neutralen Staates aus, dazu eine Feststellung zu treffen? Um darauf eine Antwort zu finden, muß etwas weiter ausgeholt werden. Art. 4 Abs. 2 der baden-württembergischen Verfassung von 1953 stellt eine Aussage dar, die man fast schon klassisch nennen darf 6. 1952/53 bestand nach den Erfahrungen, die man mit dem Nationalsozialismus gemacht hatte, noch ein starkes Bedürfnis, in der Verfassung mehr zu sagen als 1919, wo man sich weithin juristisch nüchtern und neutral ausgedrückt hatte. Zumindest mit einem Satz sollte auf die allgemeine staats- und gesellschaftspolitische Bedeutung der Kirchen, der anderen Religionsgemeinschaften und der Weltanschauungsgemeinschaften hingewiesen werden. Der transzendenzoffene und menschendienliche Staat - Qualifizierungen, die sich aus der Interpretation des Vorspruchs und des Art. 1 der badenwürttembergischen Verfassung ergeben - spricht hier im Sinne einer positiven Würdigung eine förmliche Anerkennung des für die Öffentlichkeit bedeutsamen Wirkens aus und nimmt dieses damit gegen Bestreitung in Schutz. Die betreffenden Institutionen haben aus eigenem Recht einen Öffentlichkeitsauftrag, den der Staat nicht gewährt, sondern gewährleistet. Sie sind, davon geht die Verfassung aus, wichtige Faktoren im Prozeß der Wert- und Überzeugungsbildung, sie können es zumindest sein. Sie sind „Sinninstanzen", deren Wirken für den Staat selbst wertvoll ist. Denn der Staat selbst braucht bei aller Säkularität und Neutralität ein sozialethisches Fundament. Hier findet eine Einsicht Niederschlag, die Ernst-Wolf gang Böckenförde mit dem bekannten Satz bündig formuliert hat: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann"7. Damit soll gesagt sein, daß auch der säkularisierte weltliche Staat letztlich aus inneren Antrieben und Bindungskräften lebt, die ihm der religiöse Glaube seiner Bürger und deren moralische Substanz vermitteln. In Art. 4 Abs. 2 kommt mithin das Problem der Verfassungsvoraussetzungen zum Vorschein. Dabei ist in der Tat besonders bemerkenswert, daß der Verfassungstext nicht nur auf die sittlichen, sondern auch auf die religiösen Grundlagen des menschlichen Lebens zielt, und das nicht nur im Sinne ihrer Relevanz für den einzelnen, sondern auch für die politische Gemeinschaft. Aus diesem grundsätzlichen Zusammenhang ergibt sich, daß der Ausschluß der religiösen Grundlagen eine unzulässige, jedenfalls unangemessene Verkürzung der Perspektive darstellte. Der neutrale Staat überschreitet nicht seine Kompetenz, wenn er dazu etwas sagt, im Gegenteil: Er unterstreicht seine Eigenschaft als neutraler Staat, wenn er sich nicht selbst die Aufgabe zuschreibt, religiöse und sittliche Grundlagen zu vermitteln. 6
Das folgende im Anschluß an meine Kommentierung, a. a. O., S. 95 f. Zur Entstehungsgeschichte von Art. 4 vgl. jetzt auch: Quellen zur Entstehung der Verfassung von BadenWürttemberg, 4. Teil: November 1952 bis Januar 1953. Bearb. v. Paul Feuchte, Stuttgart 1990, S. 380 f., 387 f., 468. 7 Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation (1967), jetzt in: Ernst-Wolf gang Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt am Main 1991, S. 112. 21*
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Umgekehrt verdient Beachtung, daß die genannten Gemeinschaften nicht nur für die religiösen, sondern auch für die sittlichen Grundlagen eine Aufgabe zuerkannt bekommen. Es ist deshalb konsequent, wenn auf diesem Fundament und im Hinblick auf dieses religiös-sittliche Mandat den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften besondere Rechte zur Sicherung ihres Status und ihres Wirkens eingeräumt werden und wenn die Verfassung auf ihr besonderes Engagement im Bereich von Erziehung und Unterricht Rücksicht nimmt. Für all das bietet Art. 4 Abs. 2 der baden-württembergischen Verfassung über Tradition und positiv-rechtliche Regelung hinaus eine grundsätzliche Legitimation. Nicht zuletzt kommt darin zum Ausdruck, daß es gerechtfertigt ist, in den Kirchen, den anderen Religionsgemeinschaften und den Weltanschauungsgemeinschaften mehr zu sehen als bloße Repräsentationen eines organisierten Interesses oder als Verbände im Gefüge des gesellschaftlichen Pluralismus. Wenn hier von Mandat gesprochen wird, so freilich nicht in dem Sinne, daß der Staat als Auftraggeber erscheint, der einen Auftrag erteilt, sondern daß der Staat den Auftrag, den die Kirchen und Religionsgemeinschaften sich selbst zuschreiben, gewährleistet. Entscheidend und grundlegend bleibt der Status der Freiheit; „Mandat" bezeichnet lediglich einen bestimmten thematischen Inhalt der Freiheit, mit dessen Hilfe in die Öffentlichkeit von Staat und Gesellschaft hineingewirkt werden kann. Man muß indes betonen, daß aus dieser verfassungsmäßigen Gewährleistung kein Alleinvertretungsanspruch abzuleiten ist. Jeder, der von seinem Recht auf Religionsfreiheit oder auf Meinungsfreiheit Gebrauch macht, vor allem die Eltern, die kraft der ihnen besonders zukommenden Verantwortung handeln, tragen zum Prozeß der Bewußtseinsbildung im Bereich der „religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens" bei, und auch der Staat kann sich seiner ihm zukommenden Aufgaben, die sich in einer originären Kompetenz für „Erziehung und Unterricht" ausprägen, nicht entschlagen. In der hier entwickelten Interpretation spricht Art. 4 Abs. 2 der baden-württembergischen Verfassung exemplarisch etwas aus, was jedenfalls dem Grunde nach auch Inhalt der bundesverfassungsrechtlichen Ordnung ist. Nimmt man die Regelungen der Art. 4 und 140 sowie des Art. 7 GG zusammen, so liegt ihnen unzweifelhaft die Überzeugung eben von der „Bedeutung für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens" zugrunde. Es handelt sich gewissermaßen um den Generalnenner, auf den alle näheren Einzelbestimmungen des staatlichen Rechts bezogen sind. Es ist der Legitimationsgrund für den besonderen Freiheits- wie den spezifischen Rechte-Status, den die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften genießen, insbesondere im Hinblick auf ihre Teilhabe am Prozeß der Werterhaltung und Wertbildung im gesellschaftlich-politischen Leben, aber auch auf ihre konkrete Beteiligung an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben. So kann man es grundsätzlich nur befürworten, wenn die künftige sächsische Landesverfassung Art. 110 des Gohrischen Entwurfs geltendes Recht werden läßt,
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sinnvollerweise allerdings mit der hier vorgeschlagenen Korrektur, d. h. der Einbeziehung also auch der „religiösen Grundlagen".
III. Schon längst hätte gesagt werden müssen, daß Art. 4 der baden-württembergischen Verfassung von 1953 nicht vom Himmel gefallen ist. Art. 4 Abs. 2 stimmt vielmehr ad verbum mit Art. 29 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung von WürttembergBaden vom 28. November 1946 überein; Art. 4 Abs. 1 übernimmt in etwas anderer Formulierung den Grundgedanken von Art. 29 Abs. 1 Satz 2 der genannten Verfassung. Es handelt sich mithin, und das darf besonders unterstrichen werden, um Formulierungen der ersten deutschen Nachkriegsverfassung. Zum ersten Mal in einem deutschen Rechtsdokument wurde so die Anerkennung eines Öffentlichkeitsauftrags der Kirchen sowie der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zum Ausdruck gebracht8. Man weiß, daß kein geringerer als Carlo Schmid im Auftrag der Landesregierung einen ersten Entwurf für die württemberg-badische Verfassung erarbeitet hat9, ein Entwurf, der allerdings spezielle Bestimmungen über die Rechtsstellung der Kirchen noch nicht enthielt 10 . Eine Ergänzung in dieser Richtung wurde aber von einem vorbereitenden Verfassungsausschuß vorgenommen, dessen Textvorschlag im Rahmen eines Art. 82 Abs. 1 wie folgt lautete: „Die Kirchen und die anerkannten Religions- und Weltanschauungsgesellschaften dürfen sich im Rahmen der allgemeinen Gesetze zur Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens frei entfalten. Sie ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes." Von wem konkret dieser Vorschlag ausging, ist aus den Materialien nicht zu klären. Der Verfassungsvorentwurf in dieser Fassung wurde den Kirchen zugeleitet. Es war dann insbesondere der Evangelische Oberkirchenrat Stuttgart unter Landesbischof Theophil Wurm, der von der Möglichkeit einer Stellungnahme Gebrauch machte. Sie liegt in Gestalt eines 5 1/2-seitigen Memorandums über „Staat und Kirche in der kommenden Landesverfassung" vor und trägt das Datum vom 8 Vgl. dazu wiederum vom Verfasser, a. a. O., S. 91 (Rd.-Nr. 15 zu Art. 4). Wichtig dazu auch Paul Feuchte, Verfassungsgeschichte von Baden-Württemberg, Stuttgart 1983, S. 6 6 68. 9 Carlo Schmid, Erinnerungen, Bern 1980, S. 272 f. 10
Dazu und zum folgenden Bengt Beutler, Das Staatsbild in den Länderverfassungen nach 1945, Berlin 1973, S. 57 ff. Vgl. auch vom Verfasser, Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts in Baden und Württemberg in der unmittelbaren Nachkriegszeit, in: Demokratie in Anfechtung und Bewährung. Festschrift für Johannes Broermann, hrsg. v. Joseph Listl / Herbert Schambeck, Berlin 1982, S. 773-796. Eine genaue Darlegung der Entstehungsgeschichte auch bei Christian Zacherl, Verfassungsgerichtsbarkeit in Württemberg-Baden, Freiburg i. Br. 1983, S. 24 ff.
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27. Juli 194611. Darin heißt es: „Art. 82 des Entwurfs gewährleistet in Satz 1 u. a. den Kirchen im Rahmen der allgemeinen Gesetze freie Entfaltung ,zur Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens4. In der Begründung zum Entwurf ist gesagt, der Entwurf sehe in den Kirchen die wichtigsten Träger religiöser Kräfte im Volk, wolle aber auch Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften tolerieren. Mit der Zubilligung der Selbstverwaltung und freien Entfaltungsmöglichkeit nach außen bejahe der Entwurf ihre Aufgabe, zur Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des Menschenlebens tätig zu sein. Bei den Kirchen stehe die ,billigenswerte Zielsetzung außer Zweifel 4. Durch diese Begründung werden manche Bedenken zerstreut, die gegen den Wortlaut des Art. 82 S. 1 zunächst wachgerufen wurden, wo die Arbeit der Kirche unter einen Zweck gestellt wird, dessen nähere Bestimmung und Begrenzung wandelbaren menschlichen Auffassungen unterworfen sein könnte. Um vor solcher Mißdeutung geschützt zu sein, wird vorgeschlagen, dem Satz 1 des Abs. 82 eine andere Fassung zu geben, etwa: ,Die Bedeutung der Kirchen und der anerkannten Religions- und Weltanschauungsgesellschaften für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens wird anerkannt. Sie ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes und dürfen sich hiebei frei entfalten 4. Es wird die Absicht des Entwurfs sein, der Kirche mit der Autonomie ihrer Verwaltung und Ordnung in Art. 82 S. 2 auch das damit selbstverständlich gegebene Recht der freien Ämterbesetzung ohne Mitwirkung des Staats und der bürgerlichen Gemeinden zu gewährleisten (Art. 137 Abs. III S. 2 Weimarer Verfassung). Eine klarstellende Bemerkung in den Materialien der Verfassung wäre erwünscht." Dieser Vorschlag fand sogleich positive Resonanz. Im Verfassungsausschuß der verfassunggebenden Landesversammlung wurde er in erster und zweiter Lesung als Art. 27 Abs. 1 mit nur einer kleinen terminologischen Änderung - Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften statt Religions- und Weltanschauungsgesellschaften - so beschlossen12 und ist schließlich dann unverändert in den endgültigen Text der Verfassung eingegangen (Art. 29). In dem insoweit von Rudolf Weeber, einem juristischen Mitglied des Stuttgarter Oberkirchenrats, erarbeiteten Kommentar zur Landesverfassung heißt es dazu: „In 11 Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Altregistratur des Oberkirchenrats, Bund 103 III. Ich habe dem Landeskirchlichen Archiv Stuttgart dafür zu danken, daß es mir eine Kopie des Memorandums der Württembergischen Kirchenleitung einschließlich zweier Vorformen bzw. Entwürfe zur Verfügung gestellt hat. Insoweit nicht ergiebig sind die Memoiren von Theophil Wurm (Erinnerungen aus meinem Leben, Stuttgart 1953), in denen die Verfassungsberatungen keine Rolle spielen.
Im einzelnen siehe dazu die „Vergleichende Zusammenstellung des Vorentwurfs einer Verfassung für Württemberg-Baden und der Beschlüsse 1. und 2. Lesung des VerfassungsAusschusses der verfassunggebenden Landesversammlung" (Beilage 4, ausgegeben 12. September 1946).
Staatskirchenrechtliche Grundsatzaussagen in verfassungsgeschichtlicher Perspektive
Abs. 1 Satz 1 (des Art. 29) kommt zum Ausdruck, daß sich der Staat gegenüber den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht indifferent verhalten will. Es wird anerkannt, daß der staatliche Bereich bei aller gegenseitigen Unabhängigkeit durch das Wirken des kirchlich-religiösen Lebens durchdrungen wird und daß die Kirchen und die anderen Gemeinschaften einen Beitrag leisten zur Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens, auf denen auch die Ordnung des Staats beruht" 13 . IV. Die Formel des Art. 29 Abs. 1 S. 1 der württemberg-badischen Verfassung hat rasch Aufmerksamkeit gefunden. Sie ist insbesondere, freilich nur bezogen auf die Kirchen, von der rheinland-pfälzischen Verfassung vom 18. Mai 1947 rezipiert worden, und zwar mit der den Eingangsartikel zum Abschnitt „Kirchen und Religionsgemeinschaften" einleitenden Formulierung: „Die Kirchen sind anerkannte Einrichtungen für die Wahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens" (Art. 41 Abs. 1 Satz l ) 1 4 . Es läßt sich aus der Entstehungsgeschichte nachweisen, daß Adolf Süsterhenn bei der Erarbeitung seines Vorentwurfs den Entwurf der württemberg-badischen Verfassung vor Augen hatte und daß die von ihm vorgeschlagene Textfassung sowohl von Vertretern der katholischen als auch von Vertretern der evangelischen Kirche gebilligt worden ist 15 . Das spielte sich im Oktober 1946 ab, zu einem Zeitpunkt also, in dem in Württemberg-Baden die Arbeit des Verfassungsausschusses der verfassunggebenden Landesversammlung schon abgeschlossen war 16 . Bemerkenswerterweise taucht die Formel dann noch einmal bei den Beratungen des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat auf. So beginnt der Antrag der DPFraktion vom 19. November 1948 mit dem Satz: „Die Kirchen werden in ihrer Bedeutung für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen und staatlichen Lebens anerkannt und vom Staat geachtet und geschützt"17. Von da aus ging die Formel dann auch in den gemeinsamen An13
Kommentar zur Verfassung für Württemberg-Baden, hrsg. v. Rudolf Nebinger, Stuttgart 1948, S. 76 f. 14 Vgl. dazu im einzelnen Adolf Süsterhenn/ Hans Schäfer, Kommentar zur Verfassung für Rheinland-Pfalz, Koblenz 1950, S. 195 f. 15 Grundlegend dafür: Die Entstehung der Verfassung für Rheinland-Pfalz. Eine Dokumentation: bearbeitet von Helmut Klaas, Boppard 1978, insbesondere S. 102 f., 120-122, 149 f., 294 f., 386 f. Das Werk von Arno Mohr, Die Entstehung der Verfassung für RheinlandPfalz, Frankfurt am Main 1987, ist für die vorliegende Frage ganz unergiebig. 16 Aus der Darstellung Paul Mikats (Art. Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen, in: Staatslexikon, Bd. IV, 71988, Sp. 144) könnte der Anschein entstehen, als ob die Formel erstmals von der rheinland- pfälzischen Verfassung gebraucht worden sei. 17 Kontext und Erläuterungen dazu beim Verfasser, Verfassungsrechtliche Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Ernst Friesenhahn / Ulrich Scheuner i.V. m. Joseph Listl, Bd. I, Berlin 1974, S. 220 f.
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Staatskirchenrechtliche Grundsatzaussagen in verfassungsgeschichtlicher Perspektive
trag der Fraktionen von CDU/CSU, Zentrum und DP vom 29. November 1948 ein. Der erste Absatz sollte lauten: „Die Kirchen werden in ihrer Bedeutung für die Wahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens anerkannt. Es besteht keine Staatskirche 18." Die Entstehungsgeschichte der staatskirchenrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes nahm bekanntlich eine Wendung, die zum Verzicht auf Neuformulierungen und zur Inkorporation der wichtigsten Artikel der Weimarer Reichsverfassung hinführte 19. Damit war für eine Grundsatzaussage neuer Art kein Platz mehr. Aber für die damalige sozial-liberale Koalition im Parlamentarischen Rat, gegen deren Widerstand der genannte Antrag nicht durchgesetzt werden konnte, war diese Grundsatzaussage gewiß der geringste Stein des Anstoßes. Jedenfalls kann man aus der Tatsache, daß eine solche Normierung unterblieben ist, nicht den weitreichenden Schluß ziehen, die Formel dürfe nicht zur Charakterisierung des staatskirchenrechtlichen Systems des Grundgesetzes verwendet werden 20.
V. Formulierungen, wie sie erstmals in der württemberg-badischen und dann in der rheinland-pfälzischen Verfassung gebraucht wurden 21 , bedeuteten nach Form und Inhalt ein Novum in der Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Sie hatten weder in der Weimarer Reichsverfassung noch in den Landesverfassungen der Weimarer Zeit ein Vorbild. Dort dominierte die Konzentration auf Sachverhalte, die einer spezifisch juridischen Normierung bedurften. Programmatischen oder verfassungsgrundsätzlichen Aussagen gegenüber war man zurückhaltend. Man nahm damit einen Grundzug auf, der auch schon das große Paradigma, nämlich die Paulskirchenverfassung, in ihren §§ 144-151 geprägt hatte. Um so deutlicher erscheint als Motiv für die Aufnahme einer Grundsatzaussage über die Aufgabe der Kirchen und Religionsgemeinschaften die Erfahrung mit dem gottlosen und menschenverachtenden Staat der nationalsozialistischen Ära, umgekehrt die Stärkung des Bewußtseins, daß sich in der Tat die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Faktoren der Resistenz und der Stabilität bewährt hatten und - vielleicht noch mehr - daß man von ihnen jetzt, in der Zeit der noch andauernden Verwirrung und der notwendigen Neubesinnung, eben die Bewahrung und Festigung der religiösmoralischen Fundamente erhoffte. Wenn man sich diese Zusammenhänge bewußt 18 Wie vorige Anmerkung, a. a. O., S. 222 f. 19 Wie Anm. 17, a. a. O., S. 223 ff. 20 Eher kritisch dazu Wolfgang Huber, Kirche und Öffentlichkeit, Stuttgart 1973, S. 191 ff. 21 Noch prononcierter Art. 120 der Verfassung von Württemberg-Hohenzollern vom 18. Mai 1947: „Die Religionsgemeinschaften stehen unter den für sie gültigen göttliche Geboten. In der Erfüllung dieser religiösen Aufgabe entfalten sie sich frei von staatlichen Eingriffen. Als Träger des sittlichen Lebens des Volkes wirken sie neben dem Staat"; Text bei Ernst Rudolf Huber, Quellen zum Staatsrecht der Neuzeit, Bd. 2, Tübingen 1951, S. 385.
Staatskirchenrechtliche Grundsatzaussagen in verfassungsgeschichtlicher Perspektive macht, liegt es in Anbetracht einer gewissen Gleichsinnigkeit der Situation eher nahe als fern, der hier diskutierten Aussage heute nach 45 Jahren erneut einen Platz i m Landesverfassungsrecht - nunmehr dem mittel- bzw. ostdeutschen - einzuräumen 2 2 .
22 Während der Drucklegung erschien Hans von Mangoldt, Die Entfaltung staatskirchenrechtlicher Elemente im Verfassungsrecht der fünf neuen Bundesländer. Ausgangspunkt, Entwicklung, Stand der Diskussion (September 1991), in: Die Kirchen und die deutsche Einheit. Rechts- und Verfassungsfragen zwischen Kirche und Staat im geeinten Deutschland, hrsg. v. Richard Puza/Abraham Peter Kustermann, Stuttgart 1991, S. 55-83 (66 f.). Darauf sei nachdrücklich hingewiesen.
Rechtsbeziehungen zwischen kirchlicher und politischer Gemeinde Versuch einer Skizze anhand der Rechtslage in Baden-Württemberg I.
Es ist wohl symptomatisch, daß das Sachregister des Handbuchs des Deutschen Staatskirchenrechts kein Stichwort „Gemeinde" oder „Kommune" enthält1. Und während die 5. Auflage des Staatslexikons der Görres-Gesellschaft noch einen bemerkenswerten Artikel „Kirche und Gemeinde" brachte 2, glaubte man in der 6., der Nachkriegsauflage, einen solchen entbehren zu können. Auch das Evangelische Staatslexikon weist insoweit eine Lücke auf. Schon dieser äußerliche Befund deutet darauf hin, daß die Staatskirchenrechtslehre konzentriert, um nicht zu sagen: fixiert ist auf das zwischen den eigentlich staatlichen Institutionen Bund und Land einerseits, den Kirchen in Gestalt der Diözesen und Landeskirchen sowie der entsprechenden Zusammenschlüsse andererseits obwaltende Verhältnis. Nicht als ob im Schrifttum die auf der kommunalen Ebene der Gemeinde und Gemeinde verbände sich ergebenden Fragen nicht berührt würden 3; aber systematisches Gewicht wird ihnen offenbar nicht beigemessen. Auch im kommunalrechtlichen Schrifttum hat der Fragenkreis augenscheinlich keinen eigenen Stellenwert 4. Erstveröffentlichung in: Ex aequo et bono. Willibald M. Plöchl zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Peter Leisching/Franz Pototschnig/Richard Potz. Innsbruck: Universitätsverlag Wagner, 1977, S. 511 -530 (Forschungen zur Rechts- und Kulturgeschichte; 10). 1 Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (HdbStKirchR), hrsg. v. E. Friesenhahn/U. Scheuner i.V.m. J. Listl, Bd. II, Berlin 1975, 853 ff. Nicht anders der Befund bei /. Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien/New York 1971, 388 ff. Bei A. Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, München 1973, wird man mit Hilfe des Registers immerhin auf das Problem kommunaler Leistungen verwiesen (293). 2
Bd. III (1929) Sp. 142-146; Verfasser war W. Laforet, ein hervorragender Kenner des bayerischen und deutschen Kommunalrechts. 3 Die entsprechenden Hinweise finden sich nachfolgend bei der jeweiligen Sachfrage. 4 Am ergiebigsten noch eine Reihe von Hinweisen bei O. Gönnenwein, Gemeinderecht, Tübingen 1963, 3, 32, 88 u. ö. Ganz wenige Bezugnahmen auch im Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, hrsg. v. H. Peters, Berlin 1957, wobei bezeichnenderweise der Beitrag von Heinrich Gremmels über „Die besonderen kulturellen Aufgaben der Mittel- und Kleinstädte" (Bd. II, 231 ff.) unter dem Gesichtspunkt der „Heimatpflege" (!) einen kurzen Abschnitt zum Thema „Bürgergemeinde und Christengemeinde" enthält.
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Bei dieser Sachlage dürfte es nicht ohne Interesse sein, die staatskirchen- oder religionsrechtliche Sonde einmal i m kommunalen Bereich anzusetzen. Natürlich spricht dafür nicht nur ein wissenschaftssystematisches Bedürfnis. Man muß vielmehr mit der Einsicht Ernst machen, daß das Verhältnis von Staat und Kirche an der „Basis" beginnt, die in der politischen Demokratie wie in der Ordnung der Kirche eine maßgebliche Rolle spielt. Zudem haben Gesetzgebungs- und Verwaltungspraxis der letzten Jahre etwa i m Zusammenhang mit der Gebietsreform oder auf dem Felde des sozialstaatlichen Leistungsrechts zumindest mancherorts das spezifisch örtliche Beziehungsverhältnis von „Staat" und „Kirche" wieder neu bewußt gemacht. Der folgende Beitrag kann sich allerdings nur eine vorläufige und einführende Skizze zum geltenden Recht 5 zum Ziel setzen. U m der Konkretheit willen beschränkt er sich überdies auf das Recht eines Bundeslandes, dasjenige von BadenWürttemberg nämlich, das in paradigmatischer Absicht gewissermaßen als Leitfaden zur Erkenntnis von Strukturen und Problemen dienen soll, die mutatis mutandis auch andernorts bestehen 6 . Der Versuch ist auch nur darauf ausgerichtet, das äußere Feld der rechtlichen Rahmenbedingungen abzustecken. Es muß einer weiteren Studie vorbehalten werden, die Grundsatzfragen des Verhältnisses von „Christengemeinde und Bürgergemeinde" oder von „Gemeinde und Gesellschaft" in rechtstheologischer Perspektive 7 zu diskutieren.
5 Auf die historische Entwicklung kann nur gelegentlich hingewiesen werden. Zu erinnern ist aber an einige bedeutsame Studien, die für diesen Problemkreis unentbehrlich sind: A. Schultze, Stadtgemeinde und Kirche im Mittelalter, in: Festgabe für Rudolph Sohm, Leipzig 1914, 103-142; K. Beyerle, Die Pfarrverbände der Stadt Köln im Mittelalter und ihre Funktionen im Dienste des weltlichen Rechts, in: Jahresbericht der Görres-Gesellschaft 1929/30, Köln 1931, 95-106; F. Grass, Pfarrei und Gemeinde im Spiegel der Weistümer Tirols, Innsbruck 1950; K. S. Bader, Dorfgenossenschaft und Dorfgemeinde, Graz 1962, 182-234. Vgl. ferner folgende neuere Spezialstudien: E. Seidensticker, Vermögensrechtliche Beziehungen zwischen politischen Gemeinden und katholischen Kirchengemeinden im Gebiet des vormaligen Fürstbistums Paderborn mit Ausnahme der kirchlichen Baulast, Diss. jur. Würzburg 1965; G. Pfeiffer, Das Verhältnis von politischer und kirchlicher Gemeinde in den deutschen Reichsstädten, in: Staat und Kirche im Wandel der Jahrhunderte, hrsg. v. W. P. Fuchs, Stuttgart 1966, 79-99; W. Müller, Der Beitrag der Pfarreigeschichte zur Stadtgeschichte, in: Hist. Jahrbuch 94 (1974) 69-88. Nicht zuletzt aber ist hinzuweisen auf die umfassende Information über die Entwicklung des katholischen Pfarrer- bzw. Pfarrei-Rechts bei W. M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, I 2 (1960) 170 ff., 352 ff.; I I 2 (1962) 163 ff.; III (1959) 304 ff. 6
Leider gibt es für Baden-Württemberg bislang noch kein Gegenstück zu der schönen Studie von P Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat im Lande Nordrhein-Westfalen in Geschichte und Gegenwart, Köln/Opladen 1966 (jetzt auch in: ders., Religionsrechtliche Schriften, hrsg. v. J. Listl, Berlin 1974, 181-215), wie überhaupt das Landes-Staatskirchenrecht im Schrifttum stiefmütterlich behandelt wird. 7 Starke Betonung dieser Problematik durchgängig bei E. Wolf, Ordnung der Kirche, Frankfurt am Main 1961, bes. 564 ff. im Kapitel über „Ordnung der Gemeinde". Vgl. auch W. Steinmüller, Gemeinde und Gesellschaft. Die Zukunft der Kirche in einer demokratischen Gesellschaft, in: Una Sancta 24 (1969) 175-188.
Rechtsbeziehungen zwischen kirchlicher und politischer Gemeinde II. Es versteht sich, daß die Rechtsbeziehungen zwischen „Staat" und „Kirche" auf kommunaler Ebene bestimmt sind von den allgemeinen verfassungs- und vertragsrechtlichen Grundlagen 8, auf denen das staatskirchenrechtliche „System" in Bund und Land aufruht. Ein tragender Pfeiler der deutschen staatskirchenrechtlichen Ordnung ist das Verbot der Staatskirche gem. Art. 137 Abs. 1 WRV. Es kann kein Zweifel daran sein, daß diese Norm auch ein Verbot der - wenn man so formulieren darf - „Kommunalkirche" umfaßt 9 . Es gilt mithin der Grundsatz der institutionellen Trennung von politischer und kirchlicher Gemeinde. Des weiteren nehmen die Grundsatz-Normierungen des Verfassungs- und des Vertragsrechts an einigen Stellen ausdrücklich auf das Verhältnis an der örtlichen Basis Bezug. So unterstreicht Art. 137 Abs. 3 Satz 2 W R V in Abwehr historischer Verflechtungen das Prinzip der kirchlichen Ämterhoheit durch die normative Feststellung, daß jede Religionsgemeinschaft ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates „oder der bürgerlichen Gemeinde" verleiht 1 0 . In der Ablösungsnorm des Art. 138 Abs. 1 W R V spricht die Wortwahl dafür, daß Leistungen der Gemeinden nicht erfaßt sein soll e n 1 1 . I m Unterschied zu anderen Landesverfassungen 12 fügt die Verfassung des Landes Baden-Württemberg in ihren staatskirchenrechtlich relevanten Normierungen dem nichts hinzu, was unmittelbar auf die Rechtsbeziehungen am Orte hinzielte; doch sind die Artikel 6, 7 und 13 insoweit nicht ohne Relevanz 1 3 . 8 Vgl. dazu die Abhandlungen des Verf. in: HdbStKirchR I (1974) 215-265 und 267-296. Daraus würde man wohl zu folgern haben, daß ein Ortspfarrer nicht zum Bürgermeister wählbar ist, obwohl im Gemeinderecht dieses Falles nicht ausdrücklich gedacht wird. Hingegen ist die Mitgliedschaft von Geistlichen im Gemeinderat nach baden-württembergischem Recht nicht prinzipiell ausgeschlossen; wohl aber kann, „wer ein geistliches Amt verwaltet", aus dem Gesichtspunkt der beruflichen Inanspruchnahme die Übernahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit ablehnen oder sein Ausscheiden verlangen (§16 Abs. 1 Ziff. 1 GemO). Davon abgesehen wäre für katholische Kleriker die Verlautbarung der Deutschen Bischofskonferenz zur parteipolitischen Tätigkeit der Priester vom 24./27. September 1973 zu beachten; vgl. dazu J. Listl, ÖAKR 26 (1975) 166-176. Im Bereich der evangelischen Kirche hat die Frage der Mitgliedschaft von Pfarrern in kommunalen Körperschaften im bekannten Bremer Mandatsfall eine Rolle gespielt: Vgl. Beschluß des BVerfG v. 21. September 1976, Abdruck S. 33 f. - Vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Auflösung der engen Verbindung von politischer und kirchlicher Gemeinde sind auch die Fälle zu sehen, in denen das Läuterecht an Glocken strittig geworden ist; vgl. dazu die Entscheidungen KirchE 3, 88 und 7, 74 (= BVerwGE 18,341) sowie R. Smend, Zur Inanspruchnahme des Geläuts von Kirchenglocken durch bürgerliche Gemeinden, in: Kirchenrechtliche Gutachten in den Jahren 1946-1969, erstattet vom Kirchenrechtlichen Institut der EKD Göttingen, München 1972,365 - 369. 9
10 Zu den historischen Tatbeständen, wogegen sich diese Formel wendet, vgl. vor allem G. J. Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, 264 ff. Soweit übrigens in den heutigen Landesverfassungen die Weimarer Formel wiederholt wird, bevorzugt man bisweilen den Begriff „politische Gemeinde", so Art. 142 Abs. 3 BayVerf. und Art. 19 Abs. 2 NRWVerf. 11 Vgl. schon G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, 653. Siehe dazu aber auch unten im Abschnitt VII. 12 Vgl. Art. 145, 149 BayVerf.; Art. 45 RhPfVerf.; Art. 39 Saar Verf.; Art. 21 NRW Verf.
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Im Vertragsrecht ist das freie Ämterbesetzungsrecht bekräftigt 14. Klargestellt ist ferner, daß auch die gemeindlichen Gliederungen der Kirchen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts haben können 15 , schließlich wird hinsichtlich der staatlichen Mitwirkung bei der Bildung und Veränderung von Kirchengemeinden auf zwischen Staat und Kirche zu vereinbarende Richtlinien verwiesen 16. Für den Bereich des alten Landes Württemberg bleiben darüberhinaus bzw. anstelle fehlender vertraglicher Normierungen einige Vorschriften des württembergischen Kirchengesetzes zu beachten17, das im übrigen noch recht deutlich den Prozeß der Entflechtung von „Staat" und „Kirche" auf der örtlichen Ebene widerspiegelt und sogar ausdrücklich für „Streitigkeiten zwischen bürgerlichen und kirchlichen Gemeinden" Vorsorge trifft 18 . Steckt man in dieser Weise die Grundlagen für das kommunale Staatskirchenrecht ab, so müssen dabei selbstverständlich über spezifisch staatskirchenrechtliche Aussagen hinaus allgemeine Bestimmungen über Status und Kompetenz der Gemeinden in der staatlichen und der kirchlichen Rechtsordnung beachtet werden. Es gilt dann festzuhalten, daß die Regelung des Verhältnisses zu den Kirchen und die Gestaltung der Zusammenarbeit mit ihnen von der Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung 19 umfaßt wird. Jedenfalls sind „kirchliche Angelegenheiten" nicht eo ipso staatliche „Auftragsangelegenheiten" oder „Pflichtaufgaben nach Weisung" 20 . Insofern ist für den staatlichen Rechtskreis von dem Grundsatz auszugehen, daß die politische Gemeinde im Rahmen der ihr durch die staatliche Rechtsordnung zuerkannten Rechtsmacht befugt ist, ihre Beziehungen zu den kirchlichen Gemeinden unter der Rechtsaufsicht des Staates eigenverantwortlich zu regeln. Dieser Grundsatz darf als Leitgedanke umso mehr betont werden, als der Spielraum der gemeindlichen Autonomie in der heutigen Situation tatsächlich sehr eng geworden ist. Das katholische Kirchenrecht in der Gestalt des Codex Iuris Canonici kennt für die Pfarrei einen vergleichbaren Grundsatz, der dem soeben formulierten korrespondieren würde, nicht, da ihm der Gedanke der örtlichen Selbstverwaltung in 13
Vgl. dazu im einzelnen unten in den Abschnitten VI. und VII. 14 Art. 14 Abs. 1 RK. 15 Art. 13 RK. 16 Art. 12 RK, Art. IV Abs. 1 BadK; Art. I I Abs. 3 BadKV. 17
Württembergisches Gesetz über die Kirchen vom 3. März 1924 (RegBl. S. 93), insbes. §§ 1 - 6 . Das Kirchengesetz ist abgedruckt bei H. Weber, Staatskirchen Verträge, München 1967, 237 ff. 18 Vgl. etwa §§62, 74-76. 19 Art. 28 Abs. 2 GG; Art. 71 BaWüVerf. 20 Vgl. § 2 GemO und dazu Gönnenwein (Anm. 4), 86 ff. In anderem Zusammenhang ist von „Kirchenangelegenheiten" ausdrücklich die Rede: nach § 16 LVerwG sind sie nämlich von der Zuständigkeit der Großen Kreisstädte und der Verwaltungsgemeinschaften als unteren Verwaltungsbehörden ausgenommen, bleiben also beim Landratsamt konzentriert. Siehe dazu auch unten bei Anm. 27.
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einem prinzipiellen und umfassenden Sinne fremd ist 2 1 . Wenn es aber wahr ist, daß - unbeschadet der hierarchischen Struktur - auch in der Kirche das Subsidiaritätsprinzip gilt, so ist zumindest als rechtspolitische Maxime zu formulieren, daß die Pfarrgemeinde im Rahmen des gemeinen und des partikularen Rechts die Befugnis zu eigenverantwortlicher „Selbstverwaltung" hat 22 , was dann die Gestaltung der kommunal-staatskirchenrechtlichen Beziehungen einschlösse. Im evangelischen Kirchenrecht, das insoweit ohnehin dem staatlichen Recht nähersteht, ist diese Frage beantwortet 23. So stellt etwa § 30 der Grundordnung der Evangelischen Landeskirche in Baden fest, daß zwar nicht jede Pfarrgemeinde, aber jede Gemeinde, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt, d. h. jede Kirchengtmeinde, „ihre Angelegenheiten selbständig im Rahmen der landeskirchlichen Ordnung besorgt" 24. Es wird allerdings in bemerkenswerter Weise hinzugefügt, die Kirchengemeinde habe zu beachten, „daß sie im Ganzen der Landeskirche steht und aus der Verantwortung für den Auftrag der Kirche heraus auf die anderen Kirchengemeinden Rücksicht zu nehmen hat".
III. Das verfassungskräftig garantierte kirchliche Selbstbestimmungsrecht umschließt die Organisationshoheit der Kirchen. Diese können Seelsorgebezirke nach Maßgabe des Kirchenrechts einrichten, ohne dabei staatlicher Mitwirkung zu unterliegen. Demgegenüber bedarf es selbstverständlich einer Beteiligung des Staates, wenn die betreffende kirchliche Organisationseinheit den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzen soll 25 . Diese Beteiligung erfolgt in BadenWürttemberg nach der in § 24 Kirchensteuergesetz getroffenen Regelung in der 21
Zum Pfarrer-Recht nach dem Codex vgl. statt aller Eichmann/Mörsdorf, Kirchenrecht, Bd. I, 11. Aufl. München 1964, 461 ff. Bezeichnend, daß das Sachproblem bei A. Hagen, Prinzipien des katholischen Kirchenrechts, Würzburg 1949 nur unter dem Gesichtspunkt „Zentralisation - Dezentralisation" kurz berührt wird (137 ff.). 22
Zum Prinzip der Subsidiarität im Verhältnis von Diözese und Pfarrei bemerkenswert U. Mosiek, Verfassungsrecht der lateinischen Kirche, Bd. I, Freiburg i. Br. 1975, 62 f. 23 Grundlegend zu allen Fragen des evangelischen Kirchengemeinderechts H Frost, Strukturprobleme evangelischer Kirchenverfassung, Göttingen 1972, 32-155. Vgl. auch O. Friedrich, Einführung in das Kirchenrecht unter besonderer Berücksichtigung des Rechts der Evangelischen Landeskirche in Baden, Göttingen 1961, 281 ff. 24
Für die württembergische Landeskirche vgl. § 2 Kirchengemeindeordnung i. d. F. vom 28. Dezember 1971, ABl. EKD 1972, 147 ff. 2 5 Art. 12 RK, Art. IV Abs. 1 BadK; Art. I I Abs. 3 BadKV. Die hier vorgesehenen, von Staat und Kirche zu vereinbarenden Richtlinien sind nicht vertragsförmig festgelegt, vielmehr sind sie - von den Kirchen so akzeptiert - in §§ 24, 24a Kirchensteuergesetz enthalten. Vgl. demgegenüber die in Nordrhein-Westfalen maßgebende Vereinbarung über die staatliche Mitwirkung bei der Bildung und Veränderung katholischer Kirchengemeinden vom 8./18./ 20./22. und 25. Oktober 1960, abgedruckt bei W. Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart, Bd. I, Göttingen 1962, 96-99.
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durchaus schwachen Form der „Anerkennung". Freilich handelt es sich bei solcher Anerkennung nicht um die bloße Bestätigung von etwas schon Bestehendem, vielmehr hat sie die Qualität eines konstitutiven Akts, hier der Verleihung der Körperschaftsrechte 26. Gemeinden mit diesem Status sind im Sinne der deutschen staatskirchenrechtlichen Terminologie „Kirchengemeinden". Die Kirchengemeinde kann demnach mit einer Pfarrei oder Pfarrgemeinde identisch sein oder auch mehrere solcher Gliederungsformen umfassen; umgekehrt ist aber eine Pfarrei oder Pfarrgemeinde nicht notwendig zugleich Kirchengemeinde. Das staatliche Recht gibt keine Kriterien dafür an, unter welchen Voraussetzungen die Anerkennung gewährt oder versagt werden muß bzw. kann. Klar ist, daß es sich nicht um eine Ermessensentscheidung handelt, daß der Staat vielmehr insoweit gebunden ist, daß mithin ein Anspruch auf Anerkennung besteht, sofern - und das dürfte die einzige Voraussetzung sein - die betreffende Gemeinde kirchenrechtlich ordnungsgemäß errichtet und ihre organschaftliche Vertretung geregelt ist. Eine irgendwie geartete Mitbeteiligung der politischen Gemeinde ist dabei nicht vorgesehen, was man als Manko bezeichnen muß, auch wenn man davon ausgehen kann, daß de facto zumindest Informationen und Konsultationen erfolgen. Nur in einer Hinsicht kommt es zur Mitwirkung einer unteren Instanz. Nach § 24 Abs. 2 Kirchensteuergesetz sind die Kirchen verpflichtet, vor Änderungen im Bestand der Kirchengemeinden oder ihrer Abgrenzung den räumlich beteiligten unteren Verwaltungsbehörden das können wegen § 16 Landesverwaltungsgesetz27 nur die Landratsämter oder (§ 13) in Stadtkreisen die Bürgermeisterämter sein - Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Daß dies geschehen ist, wird denn auch in den kirchenamtlichen Verlautbarungen über Bestands- oder Grenzveränderungen ausdrücklich erwähnt 28. Vorkehrungen für den Fall, daß die staatliche Behörde negativ votiert, sind nicht getroffen, was die grundsätzliche Freiheit und Unabhängigkeit der Kirchen unterstreicht. Mit einer Novellierung des Kirchensteuergesetzes (§ 24 a) ist auch Klarheit darüber geschaffen worden, daß die für Kirchengemeinden getroffene Regelung entsprechend für die nächsthöhere Ebene der Dekanate bzw. Kirchenbezirke gilt 2 9 . 26
Vgl. zu diesem Fragenkreis jetzt statt aller E. Friesenhahn, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, HdbStKirchR I (1974) 545-585 (bes. 574 f.). 27 Vgl. oben Anm. 20. 28 Vgl. z. B. die Grenzänderungs- bzw. Umpfarrungsdekrete in ABl. Erzdiözese Freiburg 1976,407 f.: „Nach Anhören des Landratsamtes Breisgau-Hochschwarzwald ...". 2 9 § 24a wurde eingefügt durch Gesetz vom 10. Februar 1976 (GBl. S. 98). Gleichzeitig wurde § 5 Württ. Kirchengesetz über den Körperschaftsstatus von Dom- und Landkapiteln neu gefaßt und seine Geltung auf das ganze Land Baden-Württemberg erstreckt. Daran ist zweierlei merkwürdig: 1. Wie bisher wird nur „das Domkapitel" genannt; es gibt aber deren zwei, in Rottenburg und in Freiburg. 2. Nach wie vor ist nur von den „Landkapiteln" die Rede, obwohl es offenbar auch „Stadtkapitel" gibt. Im übrigen ist jedenfalls für den Bereich der Erzdiözese Freiburg unklar, ob das Nebeneinander der Rechtspersönlichkeiten „Dekanat" und „Kapitel" überhaupt noch fortbesteht. Das „Statut über die rechtliche Stellung und Amtsführung der Dekane im Erzbistum Freiburg" vom 25. Oktober 1968 (ABl. Erzdiözese Freiburg, 158) spricht sich darüber nicht eindeutig aus, hebt aber die alte „Satzung der Dekanate
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Die zitierten Normen standen, was ihre Anwendung anlangt, in der letzten Zeit in einer Hochblüte; denn die kirchliche Landkarte ist auch in Baden-Württemberg im Zusammenhang mit der Gebietsreform in nicht unerheblichem Umfang verändert worden. Zwar halten die Kirchen aus gutem Grund an dem Prinzip der gegenseitigen Unabhängigkeit von politischen und kirchlichen Grenzen fest 30 , aber in den meisten Fällen können Gründe der pastoralen Zweckmäßigkeit dafür ins Feld geführt werden, wenn man zu einer Anpassung der Grenzen gelangt. So sagt denn ein Erlaß des Erzbischöflichen Ordinariats Freiburg vom 10. Dezember 1974: „Die Veränderungen im kommunalen Bereich, die Schulreform und die Neuordnung der Landkreise haben Auswirkungen auf den Lebensraum der Menschen. Damit ist auch die Seelsorge betroffen. Aus pastoralen Gründen, nicht als schematischer Nachvollzug der staatlichen Verwaltungsreform, müssen daher nicht selten Dekanate und Pfarreien an die neuen Gegebenheiten angeglichen werden" 31 . In der Tat steht die Pastoralplanung in einem engen Korrespondenzverhältnis zur Planung des politischen Lebensraums, insonderheit zur Landes-, Regional- und Kommunalplanung. Davon geht nicht zuletzt auch die von der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland verabschiedete „Rahmenordnung für die pastoralen Strukturen und für die Leitung und Verwaltung der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland" aus 32 . Man wird freilich erst nach einiger Zeit aufgrund eingehender Analysen sagen können, ob sich die veränderten Strukturen bewährt haben. So viel darf aber jetzt schon als Maxime formuliert werden, daß im Interesse der Menschen und nicht nur aus spezifisch rechtlichen Gründen, im Verhältnis von politischer und kirchlicher Gemeinde (und entsprechend im Verhältnis der übergeordneten Gliederungsformen) ein Höchstmaß an gegenseitiger Information und Konsultation sinnvoll und geboten ist, damit auf den Feldern, auf denen sich „Staat" und „Kirche" im kommunalen Bereich begegnen, faire Zusammenarbeit ermöglicht und gefördert wird. Es gehört noch in diesen grundsätzlichen Zusammenhang, daß überhaupt das staatliche Planungsrecht für die besondere Stellung und die Aufgaben der Kirchen und Religionsgemeinschaften hinreichend Raum läßt. Von daher rechtfertigt sich und Kapitel der Erzdiözese Freiburg" vom 15. November 1932 (ArchKathKR 113, 1933, 118) vorbehaltslos auf. Zu dieser Regelung vgl. im übrigen Eichmann/Mörsdorf1,458. 30 Zu dieser Frage aus grundsätzlicher Sicht bedeutsam nach wie vor einerseits H. Barion, Ordnung und Ortung im kanonischen Recht, in: Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, Berlin 1959, 1 - 3 4 (bes. 22 ff.), andererseits K. Müller, Staatsgrenzen und evangelische Kirchengrenzen nach deutschem Recht, ungedr. jur. Diss. Göttingen 1948. 31 ABl. Erzdiözese Freiburg 184. 32 Text mit Einführung in: Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Offizielle Gesamtausgabe I, Freiburg 1976, 679-726. Entscheidend die Aussage in der Einleitung des Beschlusses: „Für die Ordnung pastoraler Strukturen haben ... die kirchlichen Handlungsziele Vorrang vor den Leitbildern staatlicher und kommunaler Raumordnung. Um keine unnötigen Spannungen zwischen Kirche und Gesellschaft aufkommen zu lassen, sollte jedoch von dieser Raumordnung nur abgewichen werden, wenn gewichtige pastorale Gründe das erfordern".
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etwa deren Vertretung im Landesplanungsrat33. Ausdruck davon ist aber insbesondere § 1 Abs. 5 Bundesbaugesetz, wonach die von den Gemeinden aufzustellenden Bauleitpläne die von den Kirchen und Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts festgestellten Erfordernisse für Gottesdienst und Seelsorge zu berücksichtigen haben34 IV. In besonders enge Berührung kommen politische und kirchliche Gemeinde im Bereich des Personenstands- und des Meldewesens 35. Unter den gemeindlichen Amtsstellen haben naturgemäß das Standesamt und das Meldeamt am meisten laufend mit kirchlichen Angelegenheiten zu tun. Dabei ist daran zu erinnern, daß nach der Konzeption der deutschen Rechtsordnung die dem Standesbeamten obliegenden Aufgaben Angelegenheiten des Staates sind, die den Gemeinden zur Erfüllung nach Weisung übertragen werden 36. Gleiches gilt für das Meldewesen, wie durch § 8 Meldegesetz bestätigt wird, wonach Meldebehörde die Ortspolizeibehörde ist. Es ist hier nicht der Ort, die sich in diesem Sachbereich ergebenden staatskirchenrechtlichen Fragen umfassend zu erörtern, aber es darf auf das in BadenWürttemberg geltende Recht und seine Besonderheiten hingewiesen werden. So ist in § 26 Kirchensteuergesetz das Verfahren des Kirchenaustritts 37 geregelt. Für die Entgegennahme der persönlich zur Niederschrift abzugebenden oder in öffentlich beglaubigter Form einzureichenden Austrittserklärung ist der Standesbeamte zuständig. Die Erklärung wird wirksam einen Monat nach Unterzeichnung der Niederschrift oder Eingang der eingereichten Erklärung; bis zu diesem Zeitpunkt kann sie in einer der beiden Formen widerrufen werden. Der Vorgang spielt sich aber nicht nur im Bereich des Standesamtes ab. Der Standesbeamte hat vielmehr der für den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Austretenden zuständigen Kirchengemeinde von der Erklärung unverzüglich Kenntnis zu geben. Schließlich muß der Standesbeamte die zuständige Kirchengemeinde ein zweites Mal informieren, nämlich darüber, ob die Austrittserklärung wirksam geworden ist oder ob ein Widerruf erfolgte. Diese Regelung des staatlichen Rechts kommt den pastoralen Interessen der Kirchen offenkundig sehr entgegen. In einem Erlaß des Erz33
Vgl. § 5 Nr. 13 Landesplanungsgesetz i. d. F. vom 25. Juli 1972. Grundlegend dazu nach wie vor K. Hesse, Das neue Bauplanungsrecht und die Kirchen, ZevKR 5 (1956) 62-77. 35 Vgl. dazu jetzt D. Lorenz, Personenstands- und Meldewesen, HdbStKirchR II (1975) 723-740; ferner A. Frhr. von Campenhausen, Staat und Kirche im Meldewesen, in: Im Dienst an Recht und Staat. Festschrift für Werner Weber zum 70. Geburtstag, Berlin 1974, 477-491. 36 So ausdrücklich § 51 Personenstandsgesetz. 37 Zusammenfassend dazu A. Frhr. von Campenhausen, Der Austritt aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, HdbStKirchR I (1974) 657-666. 34
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bischöflichen Ordinariats Freiburg vom 19. März 1970 wird dazu gesagt: „In der kurzen Zeit zwischen dem Eingang der ersten Mitteilung über die Erklärung des Austritts und seinem Wirksamwerden hat die Kirchengemeinde die Möglichkeit, mit dem Austretenden eine klärende seelsorgerliche Aussprache über die Gründe und die Bedeutung des Austritts zu führen. Wir bitten, diese Möglichkeit gewissenhaft zu nutzen" 38 . In einem zweiten wichtigen Punkt hat das baden-württembergische Recht durch eine gesetzliche Regelung Klarheit geschaffen. Nach § 13 Kirchensteuergesetz haben die Staats- und Gemeindebehörden die Pflicht, den kirchlichen Behörden Amtshilfe zur Durchführung der Besteuerung und Aufstellung der Wählerlisten für die Steuervertretungen zu leisten; sie sind insbesondere verpflichtet, Auskünfte zu erteilen und Einsicht in ihre Akten zu gewähren. Zum Vollzug schreibt Ziff. 27 der VerwaltungsVorschriften des Innenministeriums zum Meldegesetz vom 8. April i960 3 9 vor, daß den Kirchenbehörden auf Wunsch der Zuzug und Wegzug von Personen mitzuteilen ist, soweit dies zur Feststellung der Grundlagen der kirchlichen Besteuerung erforderlich ist. Außerdem wird vorgesehen, daß das Verfahren in örtlichen Vereinbarungen geregelt werden kann. Diese Bestimmungen bilden, auf der Grundlage der verfassungskräftigen Garantie des kirchlichen Besteuerungsrechts, die normative Basis für eine Praxis, wonach die Meldeämter laufend die entsprechenden Meldedaten mit Hilfe von Durchschriften der Meldescheine an die Pfarrämter übermitteln. Im Unterschied zu anderen Bundesländern kennt Baden-Württemberg bislang allerdings nicht eine ausdrückliche Regelung über die Einsichtnahme bzw. das Aushändigen von Meldeunterlagen, die über den Bereich des Kirchensteuerrechts hinausgeht und die in einem allgemeinen „Interesse kirchlicher Erfassung und geistlicher Versorgung" 40 ihre Grundlagen finden könnte. Praktisch wird aber dieses Bedürfnis mit dem Vollzug von § 13 Kirchensteuergesetz befriedigt. Die Kirchen haben so die Möglichkeit, mit Hilfe der ihnen von den Gemeindebehörden zur Verfügung gestellten Unterlagen nicht nur eine Kartei zu Kirchensteuerzwecken, sondern auch eine allgemeine Seelsorgekartei zu führen 41 . Im übrigen steht ihnen gegenüber den Personenstandsbehörden gem. § 69 a Abs. 2 Personenstandsgesetz ein spezielles und gezieltes Auskunftsrecht über die Kirchenzugehörigkeit einer Person zu. So eng das Beziehungsverhältnis zwischen Rathaus und Pfarrhaus auf diesem Sektor ist: eine strikte Trennlinie beherrscht nach wie vor das Eheschließungsrecht. Hier räumt das staatliche Recht, das seinen Ursprung aus dem Kulturkampf nicht verleugnen kann, dem Standesbeamten eindeutig den Vorrang vor dem Pfarrer ein 42 . 38 39 40
ABl. Erzdiözese Freiburg, 58. GABI. 1960, 271.
So von Campenhausen (Anm. 35) 484. Vgl. dazu auch R. Fischer- Wollpert, Einrichtungen und Institutionen der Pfarrgemeinde, in: Handbuch der Pastoraltheologie, Bd. III, Freiburg i. Br. 1968, 220 f. 42 Vgl. § 67 Personenstandsgesetz, aber auch Art. 26 RK und den dazu erfolgten Notenwechsel des Päpstlichen Staatssekretariats und der Deutschen Botschaft beim Hl. Stuhl vom 41
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In einem freiheitlichen Rechtsstaat wie dem der Bundesrepublik Deutschland überzeugt diese Lösung je länger desto weniger 43 . Zu den herkömmlichen, mit dem Personenstandswesen in Verbindung stehenden Materien, die im kommunalen Staatskirchenrecht eine Rolle spielen, gehört das Bestattungs- und Friedhofivesen 44. Das baden-württembergische Recht kennt zwar keine verfassungs- oder vertragsrechtliche Gewährleistung des Rechts auf kirchliche Friedhöfe, wohl aber ist dieses Recht gesetzlich eindeutig fixiert, allerdings darf die Genehmigung zur Anlage eines kirchlichen Friedhofs nur im Einvernehmen mit der Gemeinde erteilt werden 45. Im Rahmen des Bestattungsgesetzes haben die Kirchengemeinden eine verhältnismäßig große Freiheit zur Gestaltung der Rechtsverhältnisse im kirchlichen Friedhof im einzelnen. Seit langem ist geklärt, daß - ist der kircheneigene Friedhof der einzige am Ort - die Kirchen das Begräbnis eines Andersgläubigen oder eines Ungläubigen nicht ablehnen können46. Umgekehrt dürfen die Kirchen auf kommunalen Friedhöfen nicht in ihrem Recht auf Religionsausübung behindert werden; das folgt unmittelbar aus Art. 4 GG, dürfte aber auch eine Stütze in Art. 141 WRV haben.
V. Mit dem Verbot der Staatskirche war auch die grundsätzliche Trennung von Kirche und Schule verfügt, deren Verbindung auf der Ortsebene naturgemäß besonders intensiv gewesen ist. Die daraus resultierenden vermögensrechtlichen Beziehungen wirken zum Teil noch heute fort, jedenfalls sind die hier bestehenden Ablösungs- und Entflechtungsprobleme noch keinesfalls allenthalben gelöst47. Der baden-württembergische Gesetzgeber48 hat den Knoten jetzt dadurch durchgehauen, daß er alle örtlichen Schulstiftungen und Schulpfründen, deren Erträge stif16./17. Juli 1956, Text bei W. Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart, Bd. I, Göttingen 1962, 25 f. 43 Vgl. dazu vom Verf., Neuere Entwicklungen des katholischen Kirchenrechts, Karlsruhe 1974, 31 f. Besonders bemerkenswert dazu D. Pirson, Eherecht, HdbStKirchR II (1975) 762-769. 44 Zusammenfassend dazu zuletzt H. Engelhardt, Bestattungswesen - Friedhofsrecht, HdbStKirchR II, 779-798. 4 5 §§ 1 Abs. 2, 5 Abs. 1 Bestattungsgesetz vom 21. Juli 1970. Vgl. demgegenüber Art. 22 Abs. 2 Schleswig-Holsteinischer Kirchenvertrag als Beispiel einer vertragsrechtlichen Gewährleistung. 46 Vgl. dazu Engelhardt (Anm. 44) 792. Zu erinnern ist an die bemerkenswerte Vorschrift des Art. 149 BayVerf.: „In Friedhöfen, die nur für einzelne Religionsgemeinschaften bestimmt sind, ist die Beisetzung Andersgläubiger unter den für sie üblichen Formen und ohne räumliche Absonderung zu gestatten, wenn ein anderer geeigneter Begräbnisplatz nicht vorhanden ist". 47 Vgl. etwa K. H. Friauf, Die Rechtsverhältnisse an den noch nicht auseinandergesetzten Küster-Schulvermögen, in: Der Gemeindetag 1961,248-254; 272-278. 4 » Zum folgenden § 113 Schulgesetz i. d. F. vom 23. März 1976.
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tungsgemäß entweder ausschließlich für Zwecke der öffentlichen Volksschule oder zum Teil für die Volksschule und zum anderen Teil für kirchliche Zwecke bestimmt sind, für aufgehoben erklärt und im übrigen eine Regelung trifft, die unter tunlichster Respektierung der überkommenen Verhältnisse den Interessen von politischer und kirchlicher Gemeinde möglichst gerecht zu werden versucht. Ferner werden eine Reihe von altehrwürdigen Stiftungen, die als Stiftungen des öffentlichen Rechts anerkannt waren, in einer neuen öffentlichrechtlichen „Schulstiftung Baden-Württemberg" zusammengefaßt. Der zwölf Ziffern zählende Katalog liest sich wie ein Ausschnitt aus der Geschichte des konfessionellen Schulwesens in Baden, wenn hier etwa genannt werden „Altbadischer Evangelischer Schulhausbaukollektengelderfonds", „Evangelischer Schulmeliorationsfonds", „Pfälzer Katholischer Schulfonds" oder „Studienfonds Rastatt". Es liegt auf der Hand, daß ungeachtet der prinzipiellen Scheidung der beiden Bereiche politische Gemeinde und kirchliche Gemeinde sich auf dem Schulsektor nach wie vor besonders nahe sind. Die Grundlagen dafür schafft die Verfassung. Zum einen ist nach Art. 7 GG und Art. 18 Landesverfassung der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach an allen öffentlichen Schulen49. Auf diese Weise kommen vielfach der Ortspfarrer oder andere Seelsorgegeistliche, wenn sie zugleich als Religionslehrer tätig sind, unmittelbar mit der Schule als einer der wichtigsten kommunalen Einrichtungen in Berührung; sie gehören dann auch der Lehrerkonferenz an. Aber das Näheverhältnis von Kirche und Schule hat seinen Grund nicht nur in der Institution des Religionsunterrichts. Vielmehr sind ganz allgemein die Religionsgemeinschaften neben den Eltern, dem Staat, den Gemeinden und den Organisationen der Jugend als „verantwortliche Träger der Erziehung" anerkannt 50. Außerdem haben in Baden-Württemberg die öffentlichen Völksschulen die Form der christlichen Gemeinschaftsschule nach dem Modell der seit 100 Jahren bewährten badischen Simultanschule51. Dazu ist ausdrücklich bestimmt, daß eventuelle Zweifelsfragen, die sich bei der Auslegung des christlichen Charakters der Volksschule ergeben, in gemeinsamer Beratung zwischen dem Staat, den Religionsgemeinschaften, den Lehrern und den Eltern zu beheben sind 52 . Daraus wird man für die Ortsstufe die Maxime ableiten können, daß Schulträger, Schulleitung und die zuständigen Ortspfarrer zusammenwirken 49 Zusammenfassend dazu jetzt C. Link, Religionsunterricht, HdbStKirchR I I (1975) 503-546, dort 513 zu vielfach behaupteten Besonderheiten der Rechtslage in Baden-Württemberg. Vgl. im übrigen jetzt §§ 96-100 Schulgesetz. 50 Art. 12 Abs. 2 LVerf. Vgl. dazu Spreng/Birn/Feuchte, Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart 1954, 71 f. 51 Art. 15 Abs. 1 LVerf., dessen Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt wurde: BVerfGE 41, 29. Vgl. dazu den schönen Gedenkartikel von H. J. Faller, Hundert Jahre badische Simultanschule. Eine christliche Gemeinschaftsschule liberaler Prägung, in: Baden-Württembergische Verwaltungspraxis 1976, 266-270. 52 Art. 16 Abs. 3 LVerf.
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müssen, soweit es um diesen Fragenkreis geht, der ja bis in die Gestaltung des Stundenplans bzw. der Gottesdienstzeiten hineinreicht. Eine darauf basierende organisatorische Konsequenz hat das Schulrecht ausdrücklich gezogen: dem der örtlichen Schulverwaltung an die Seite gestellten Schulbeirat, der berechtigt ist, dem Schulträger und der Schulaufsichtsbehörde Vorschläge und Anregungen zu unterbreiten sowie in allen wichtigen Schulangelegenheiten gehört zu werden, gehört ein Vertreter einer jeden Religionsgemeinschaft an, für die an den Schulen im Gebiet des betreffenden Schulträgers Religionsunterricht erteilt wird 5 3 . Es gehört schließlich in diesen Zusammenhang, daß dem Schulleiter ausdrücklich die Pflege der Beziehungen zu den Kirchen zur Aufgabe gemacht ist 54 . Auf diese Weise spiegelt sich in den rechtlichen Bestimmungen wider, daß Schulhaus und Pfarrhaus nach wie vor stark aneinander verwiesen sind. Ein altes und noch heute bedeutsames Aktionsfeld der Kirche am Ort ist der Vorschulbereich, insonderheit das Kindergartenwesen. Hier sind die Kirchen als öffentlich anerkannte Träger der freien Jugendhilfe in die gesetzlichen Bestimmungen, welche die Vorbildung des Personals, die organisatorische Gestaltung und die Finanzierung der Kindergärten zum Gegenstand haben, einbezogen55. Kirchliche Kindergärten werden hier mit den Gemeinden, nicht zuletzt mit den Schulen zusammenzuarbeiten haben; kommunale Kindergärten werden sich umgekehrt einer Rücksichtnahme auf kirchliche Belange und einer Zusammenarbeit mit den örtlichen Kirchengemeinden nicht verschließen können, vor allem dann nicht, wenn sie Monopolcharakter haben. Die Stellung der Kirchen als verantwortliche Träger der Erziehung und das Interesse der Eltern rechtfertigen dies. Jedenfalls ginge es nicht an, den kommunalen Kindergarten zum Tummelfeld des Laizismus oder einer pädagogischen Ideologie zu machen, wenn das Schulwesen von Verfassungs wegen eine christliche Grundprägung haben muß. Wie andere Länder verfügt Baden-Württemberg seit einiger Zeit auch über eine gesetzliche Regelung des immer bedeutsamer werdenden Bereichs der Erwachsenenbildung 56. Schon die Landesverfassung hatte an Staat, Gemeinden und Landkreise den Auftrag gerichtet, die Erwachsenenbildung zu fördern 57. Das Gesetz normiert nunmehr im einzelnen die Kriterien für die Vergabe öffentlicher Förderungsmittel, die natürlich auch zugunsten der kirchlichen Arbeit eingesetzt werden 53 §§ 49, 50 Schulgesetz. 54 § 41 Abs. 1 Schulgesetz. 55 Kindergartengesetz vom 29. Februar 1972. Die beiden Kirchen haben gemeinsam eine Kindergartenordnung erarbeitet, vgl. die Veröffentlichung in ABl. Erzdiözese Freiburg 1976, 268 f. Wichtig in grundsätzlicher und inhaltlicher Hinsicht die Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz zur Verantwortung der Kirche im Kindergarten-Bereich vom 8. September 1976, abgedruckt ebda. 23-25. 56 Gesetz zur Förderung der Weiterbildung und des Bibliothekswesens v. 16. Dezember 1975 (GBl. 853). Zum Gesamtkomplex grundlegend P. Weides, Erwachsenenbildung und Akademien, HdbStKirchR I I (1975) 623-681. 57 Art. 22. Dazu Spreng/Birn/Feuchte (Anm. 50) 105.
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können, und sieht eine Mitgliedschaft der Kirchen im Landeskuratorium für Weiterbildung vor, wahrgenommen durch die Arbeitsgemeinschaften für evangelische bzw. katholische Erwachsenenbildung 58. So unvollkommen die rechtlichen Regelungen noch sein mögen, auf der Ortsebene besteht auch insoweit ein praktisch gelebtes, enges Beziehungsverhältnis, innerhalb dessen allerdings Raum ist für vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, wo im übrigen vielfach auch Konkurrenz herrscht, die sich bald als heilsam, bald als schädlich auswirken mag. Ähnliche Sachprobleme ergeben sich naturgemäß im Bereich der Jugendarbeit 59. Hier hat das Land Baden-Württemberg mit einem bemerkenswerten Gesetz zur Förderung der außerschulischen Jugendbildung (Jugendbildungsgesetz)60 eine rechtliche Grundlage geschaffen. Dieses Gesetz normiert die Voraussetzungen für eine Förderung der Jugendarbeit aus öffentlichen Mitteln, woran auch die Kirchen (mit ihren Jugendorganisationen), die als Träger der außerschulischen Jugendbildung anerkannt sind, partizipieren können. Es markiert allerdings auch Gefahrenmomente einer weitreichenden staatlichen Reglementierung der freien Verbände. Eine unmittelbare Vertretung der Kirchen im Landeskuratorium für außerschulische Jugendbildung ist dabei nicht vorgesehen; die Kirchen sind insoweit verwiesen auf die Mitgliedschaft ihrer Jugendorganisationen im Landesjugendring61. VI. Ein klassisches Feld kirchlicher Präsenz in der Öffentlichkeit - auch und gerade auf der lokalen Ebene - ist das gesamte Wohlfahrtswesen 62 im modernen Leistungsstaat63. Die Landesverfassung selbst spricht in Art. 6 eine besondere Gewährleistung der Wohlfahrtspflege der Kirchen und der anerkannten Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften aus und erfaßt die caritativ-diakonische Tä58 §§5-10, 18 des Gesetzes. 59 Aus dem kirchenrechtlichen Schrifttum vgl. E. Tauchert, Innerkirchliche Ordnung der evangelischen Jugendarbeit, Diss. jur. Freiburg i. Br. 1965. 60 Gesetz vom 6. Mai 1975, (GBl. S. 254). 61
Vgl. zum Vorstehenden §§ 4,15 Jugendbildungsgesetz. Vgl. dazu die zusammenfassenden Darstellungen von A. Rinken und P. v. Tding, Die karikative Betätigung der Kirchen und Religionsgemeinschaften, HdbStKirchR I I (1975) 345-400 bzw. 401- 416. Bedeutsam ferner J. H. Kaiser, Die Verfassung der öffentlichen Wohlfahrtspflege, in: Festschrift für Ulrich Scheuner zum 70. Geburtstag, Berlin 1973, 241 -258; M. Stolleis, Sozialstaat und karitative Tätigkeit der Kirchen, in: ZevKR 18 (1973) 376-404; Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 8 (1974), mit Beiträgen von R. VÖlkl, U. Scheuner und H. Geissler; A. Frhr. von Campenhausen (Hrsg.), Kann der Staat für alles sorgen? Zur Geringschätzung freier Initiativen durch die öffentliche Hand, Düsseldorf 1976 (Schriften der Kath. Akademie in Bayern, 72). 62
63 Für die Analyse dieses Phänomens grundlegend die Referate von W. Martens und P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972) 7-141, sowie vom letztgenannten Verfasser: „Leistungsrecht" im sozialen Rechtsstaat, in: Staat und Recht. Festschrift für Günther Küchenhoff zum 65. Geburtstag, Berlin 1972, 453-474.
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tigkeit der Kirchen noch einmal mit der ausdrücklichen Gewährleistung der Wohlfahrtspflege der freien Wohlfahrtsverbände (Art. 87), wozu auch die entsprechenden Organisationen der Kirchen wie der Deutsche Caritasverband und das Diakonische Werk mit ihren Untergliederungen gehören. Die Verfassung trifft auch, jedenfalls in Bezug auf Jugendschutz und Jugendpflege, eine besondere Aussage über das Verhältnis der freien Wohlfahrtspflege zur öffentlichen Hand. So normiert Art. 13 der Landesverfassung die Pflicht, die Jugend gegen Ausbeutung und gegen sittliche, geistige und körperliche Gefährdung zu schützen, und beauftragt Staat und Gemeinden, die erforderlichen Einrichtungen zu schaffen. Die Aufgaben von Staat und Gemeinden können aber - nach Satz 3 - auch durch die freie Wohlfahrtspflege wahrgenommen werden 64. Im Zusammenhang mit dem grundlegenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu einigen Normen des Jugendwohlfahrtsgesetzes und des Bundessozialhilfegesetzes 65 wird man diese Verfassungsnorm als Bekräftigung des überkommenen Systems partnerschaftlicher Zusammenarbeit und effektiver Koordination der Mittel zu verstehen haben, als Absage zugleich an ein Denken in den Kategorien von Vorrang bzw. Subsidiarität in einem strikten, sozusagen ideologischen Sinn. In den damit abgesteckten Rahmen fügt sich ein, was im einzelnen mit Relevanz für die Ortsebene gesetzlich geregelt ist. Nach § 5 Abs. 4 Jugendwohlfahrtsgesetz sind die Kirchen und sonstigen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt. Vertreter der Kirchen und der jüdischen Kultusgemeinde müssen dem bei jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt gebildeten Jugendwohlfahrtsausschuß als beratende Mitglieder angehören (§ 14 Abs. 1 Ziff. 6). Diese bundesrechtlichen Normen werden durch das Landesjugendwohlfahrtsgesetz 66 mit einigen organisatorischen Bestimmungen ergänzt (§§3, 7), insbesondere aber stellt § 11 Abs. 2 ausdrücklich fest, daß die Kirchen und die sonstigen Religionsgesellschaften öffentlichen Rechts sowie die dem Landesjugendring angehörenden Verbände und die in der Liga der freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Verbände im Sinne der Normativbestimmungen von § 9 Jugendwohlfahrtsgesetz als anerkannt gelten. Dabei wird hinzugefügt, daß dies auch für die Bezirks- und Ortsstellen dieser Träger sowie für die ihnen angehörenden Mitgliedsverbände und Mitgliedseinrichtungen gilt. Für den Sektor der Sozialhilfe sieht § 7 des Landesgesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes 67 vor, daß die Zusammenarbeit der Träger der Sozialhilfe mit den Kirchen, sonstigen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts und Verbänden der freien Wohlfahrtspflege durch Arbeitsgemeinschaften gefördert 64
Zu den vorstehend genannten Verfassungsartikeln vgl. im einzelnen die Kommentierung bei Spreng/Birn/Feuchte (Anm. 50), 52,72 f., 282 f. 65 BVerfGE 22, 180. 66 Gesetz vom 9. Juli 1963 (GBl. S. 99). 67 Gesetz vom 23. April 1963 (GBl. S. 33). Zur Einordnung der Sozialhilfe in ein Lehrsystem vgl. jetzt H. Bley, Sozialrecht, Frankfurt am Main 1975, 266-278.
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werden soll. Solche Arbeitsgemeinschaften bestehen u. a. auch auf der lokalen Ebene, nämlich in Stadtkreisen und Landkreisen als den örtlichen Trägern der Sozialhilfe. In diesen Arbeitsgemeinschaften werden wichtige Fragen der Sozialhilfe beraten, die bei der Zusammenarbeit der Träger der öffentlichen Sozialhilfe und der freien Wohlfahrtspflege auftreten. Damit kann dem in der Verfassung selbst grundgelegten Gebot partnerschaftlicher Zusammenarbeit in angemessener Weise Rechnung getragen werden. Innerhalb des Gesamtbereichs der Sozialarbeit hat die staatliche Gesetzgebung in den letzten Jahren insbesondere das Krankenhauswesen erfaßt. Den Anfang hat das Krankenhausfinanzierungsgesetz des Bundes68 gemacht, das von einem Krankenhausgesetz des Landes Baden-Württemberg 69 ergänzt wurde. Die Normativbestimmungen dieser Gesetze betreffen auch die Krankenhäuser in freier bzw. kirchlicher Trägerschaft, soweit sie öffentliche Mittel in Anspruch nehmen. Hier ist ein so starker Trend zu eingehender staatlicher Reglementierung und „Vorplanung" erkennbar geworden, daß Zweifel bestehen, ob der verfassungsmäßig gebotene freie Gestaltungsraum hinreichend gesichert ist, innerhalb dessen kirchliche Träger ihr proprium hinsichtlich der Motivation und Zielrichtung der Krankenpflege, der Ausbildung ihres Personals sowie der Organisationsformen und des vermögensrechtlichen Gebarens 69a zur Geltung bringen können. Die hier skizzierte Übersicht über die rechtlichen Rahmenbedingungen im Sozialwesen ruft nach einer Ausfüllung, die über die konkrete Praxis der Zusammenarbeit zwischen politischer und kirchlicher Gemeinde zu berichten hätte 70 . Hier tut sich ein breites Feld für Rechtstatsachenforschung auf, das bislang noch kaum beackert worden ist. Das gilt umso mehr, als sich das Erscheinungsbild kirchlicher und kommunaler Zusammenarbeit - von der zwischenkirchlich-ökumenischen Zusammenarbeit ganz abgesehen - in den letzten Jahren stark differenziert hat. Klärungsbedürftig wären hier insbesondere Probleme, die bei der Einrichtung von sogenannten Sozialstationen auftreten.
68 Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze vom 29. Juni 1972 (BGBl. IS. 1009). 69 Gesetz vom 16. Dezember 1975 (GBl. S. 838). 69a Vgl. dazu vor allem das Rechtsgutachten von O. Bachof und D. H. Scheuing, Krankenhausfinanzierung und Grundgesetz, Stuttgart 1971 (Schriften der Deutschen Krankenhausgesellschaft, 6), bes. 57-61. Die besonderen Probleme des Krankenhauswesens werden auch mehrfach in den Anm. 62 angeführten Schriften berührt. 70 Unter diesem Aspekt sehr nützlich E. Tiesler, Sozialhilfe I. Eine praxisorientierte Einführung in die Grundlagen des Bundessozialhilferechts unter Berücksichtigung verwaltungskundlicher Gesichtspunkte, Karlsruhe 1974. Vgl. ferner H. Reschke, Zusammenwirken und Konfliktsituationen zwischen freien Trägern und öffentlicher Hand auf kommunaler Ebene, in dem Anm. 62 zit. Sammelband von A. Frhr. von Campenhausen, 101-112.
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VII. Der letzte Abschnitt hat sich denfinanziellen und vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Staat und Kirche auf der Ortsebene zuzuwenden. Was dabei die Kirchensteuer 71 anlangt, so treten politische und kirchliche Gemeinden nur noch insoweit in unmittelbare Beziehung zueinander, als neben der als Landeskirchensteuer ausgestalteten Kircheneinkommen- bzw. Kirchenlohnsteuer von den Kirchengemeinden Steuern aus den Grundsteuermeßbeträgen für land- und forstwirtschaftliche Betriebe sowie aus den Grundsteuermeßbeträgen für Grundstücke (Kirchengrwfldsteuer) erhoben werden können 72 . Die Möglichkeit einer Kirchengewrfesteuer ist nämlich in Baden-Württemberg mit Wirkung vom 1. Januar 1970 nicht mehr vorgesehen; die insoweit noch ausstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird demgemäß nur noch für die Abwicklung früherer Verhältnisse Bedeutung haben73. Die Kirchen haben die Möglichkeit, die Verwaltung der Kirchengrundsteuer selbst vorzunehmen oder sie den politischen Gemeinden zu übertragen. Die Kirchensteuerordnung der Erzdiözese Freiburg etwa hat sich, alter Tradition folgend, für die erstere Möglichkeit entschieden74. Für diesen Fall schreibt § 13 Kirchensteuergesetz nicht nur eine allgemeine Amtshilfepflicht der Gemeindebehörden vor; außerdem würde nach § 15 des Gesetzes die Beitreibung von den für die Vollstreckung der Gemeindesteuern zuständigen Behörden nach den dafür geltenden Vorschriften zu veranlassen sein. Im Zusammenhang mit der neueren Gesetzgebung auf dem Gebiet der Kirchensteuer, durch die klare und weithin einheitliche Strukturen geschaffen worden sind, ist auch für die Verwaltung des Kirchenvermögens 75 eine - die jedenfalls in Baden schon traditionelle freiheitliche Linie 7 6 fortsetzende - Grundsatzregelung getroffen 71 Insoweit ist mit dem Gesetz über die Erhebung von Steuern durch öffentlichrechtliche Religionsgemeinschaften in Baden-Württemberg (Kirchensteuergesetz) vom 18. Dezember 1969 (GBl. 1970, S. 1) eine landeseinheitliche Rechtsgrundlage geschaffen worden. 72
§ 5 Abs. 1 Nr. 2 und 3 Kirchensteuergesetz. 3 Vgl. Vorlagebeschluß VGH Baden-Württemberg vom 15. Juli 1971, ZevKR 17 (1972) 317 = KirchE 12, 264. 7
74 Kirchensteuerordnung vom 27. August 1971 (ABl. Erzdiözese Freiburg 115), § 18. Seit dem Rechnungsjahr 1974 ist es aber den Kirchengemeinden freigestellt, überhaupt Kirchengrundsteuer zu erheben; offenbar steht das Aufkommen nicht mehr in einem vertretbaren Verhältnis zum Verwaltungsaufwand. Für 1974/1975 wird berichtet, die Kirchengemeinden hätten von der Erhebung der Kirchengrundsteuer ohne Ausnahme abgesehen: vgl. ABl. Erzdiözese Freiburg 1976, 103. 75 Grundlegend jetzt die Abhandlungen über das Kirchenvermögens- und Stiftungsrecht im HdbStKirchR II (1975): C. Meyer für den Bereich der evangelischen Kirche, 91-116; S. Marx für den Bereich der katholischen Kirche, 119-160, hier 144-150 speziell zur Rechtslage in Baden- Württemberg. 76 Vgl. das badische Stiftungsgesetz vom 19. Juli 1918 und das badische Kirchenvermögensgesetz vom 7. April 1927. Vgl. dazu im Blick auf die evangelische Landeskirche in Baden O. Friedrich (Anm. 23), 421 -425.
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worden 77. Danach ordnen die Religionsgemeinschaften für sich und ihre Unterverbände, Anstalten und Stiftungen die rechtsgeschäftliche Vertretung sowie die Grundzüge des Rechts der Wirtschaftsführung durch eigene Satzung, die dem Kultusministerium mitzuteilen und öffentlich bekanntzumachen ist. Lediglich in Bezug auf die Regelung der rechtsgeschäftlichen Vertretung steht dem Kultusministerium ein Widerspruchsrecht zu. Aus den für das Ortskirchenvermögen maßgebenden Bestimmungen78 ergibt sich, daß die politische Gemeinde weder an der Verwaltung dieses Vermögens noch an der Aufsicht darüber teilhat. Insoweit sind klare Trennlinien gezogen79. Anders verhält es sich mit konkreten Vermögenswerten Leistungsbeziehungen in Gestalt von Natural- oder Geldleistungen, welche die politischen Gemeinden an lokale kirchliche Rechtsträger zu erbringen haben80. Hier ist das Bild nach wie vor außerordentlich bunt 81 . Verfassungsrechtlich werden solche Kommunalleistungen, unter denen naturgemäß Baulastverpflichtungen im Vordergrund stehen, zum Teil von der Kirchengutsgarantie des Art. 138 Abs. 2 WRV erfaßt 82. Soweit das nicht der Fall ist, fragt sich, ob Kommunalleistungen zum Normbereich der Ablösungsdirektive des Art. 138 Abs. 1 WRV gehören. Entgegen der herrschenden Meinung wird man diese Frage mit Josef Isensee aufgrund der tiefgreifenden Veränderungen im Status der Kommunen bejahen müssen83. Damit wäre eine klare verfassungsrechtliche Zuordnung hergestellt, und Art. 7 Landesverfassung 84 wäre innerhalb der von der Norm des Bundesrechts gezogenen Schranken und unter Berücksichtigung von Art. 18 Reichskonkordat so zu lesen, daß er Leistungen der Kommunen 77
§ 25 Kirchensteuergesetz. Vgl. z. B. Verordnung über die Verwaltung des örtlichen katholischen Kirchenvermögens im Erzbistum Freiburg, badischen Anteils, vom 31. Dezember 1958 (ABl. Erzdiözese Freiburg 333); Ordnung für die Kirchengemeinden und ortskirchlichen Stiftungen in der Diözese Rottenburg vom 1. September 1972 (ABl. Diözese Rottenburg 153). 79 Zur historischen Entwicklung und zu den einzelnen Tatbeständen kommunalkirchlicher Verflechtung nach wie vor grundlegend S. Schröcker, Die Verwaltung des Ortskirchenvermögens nach kirchlichem und staatlichem Recht, Paderborn 1935. Vgl. auch das territorialgeschichtliche Material bei J. v. Bargen, Körperschaften, Anstalten und Stiftungen im Rechtssystem des Großherzogtums Baden, Freiburg/München 1971. 80 Zum Gesamtkomplex jetzt grundlegend J. Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, HdbStKirchR I I (1975) 51-90. 81 Rechtstatsächliches Material für Baden und Württemberg in mehreren Arbeiten von J. Schmitt: Simultankirchenrecht im Großherzogtum Baden (einschließlich des Altkatholikenrechts) unter der Herrschaft des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Karlsruhe 1909; Kirchenbaupflicht nach gemeinem und nach badischem Recht, Karlsruhe 1912; Die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften, Freiburg 1921. Aus dem neueren Schrifttum vgl. H.-J. Peter, Zur geschichtlichen Grundlegung der Staatsleistungen an die evangelische und katholische Kirche unter besonderer Berücksichtigung der badisch-württembergischen Gebiete, Diss. jur. Heidelberg 1971. 82 Vgl. dazu Isensee, a. a. O, 70 f, 86 f. 83 A. a. O. 69 f. 84 Vgl. dazu Spreng/Birn/Feuchte (Anm. 50) 52-55. 78
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mit umfaßt, das heißt: die dauernden Verpflichtungen auch der Gemeinden zu wiederkehrenden Leistungen an die Kirchen bleiben dem Grunde nach gewährleistet; Art und Höhe dieser Leistungen werden durch Gesetz oder Vertrag geregelt; eine endgültige allgemeine Regelung soll durch Gesetz oder Vertrag getroffen werden. An einer solchen verfassungsrechtlichen Fundierung - über die im Kirchensteuergesetz enthaltene bemerkenswerte gesetzliche Bekräftigung 85 hinaus - müßte umso größeres Interesse bestehen, als sich in den letzten Jahren gerade in Bezug auf kommunale Leistungen eine verhältnismäßig große Unsicherheit ausgebreitet hatte 86 . Neuerdings dürfte der Gefahr einer allzu leichthändigen Abschüttelung historischer Bindungen wieder gesteuert sein 87 . Doch bleibt natürlich eine Reihe von Problemfällen 88, die - aufgrund sorgfältiger Einzeluntersuchungen - im Interesse einer Bereinigung und Vereinfachung komplizierter rechtlicher und finanzieller Beziehungen einer Lösung zugeführt werden sollten. Jüngst kommt offenbar ein besonderer Anlaß zur Überprüfung alter kommunal-staatskirchenrechtlicher Beziehungen hinzu: Nach einer Mitteilung des Petitionsausschusses des Landtags von Baden-Württemberg, der sich mit entsprechenden Beschwerden zu befassen hatte, sollen die Oberkirchenbehörden im Landesteil Baden ihren Gemeinden empfohlen haben, in Anbetracht der veränderten Lebens- und Arbeitsgewohnheiten der Bevölkerung ihre Läuteordnungen zu überprüfen und insbesondere vom „Zeitläuten" oder - noch weitergehend - vom Glockenschlag in der Nacht absehen89. Hier wird man sich in den Gemeinden an einen Tisch setzen müssen; denn weder kann man von vornherein ein öffentliches Interesse an der Zeitansage durch Glockenschlag verneinen, noch kann man von den Kirchengemeinden - was die Konsequenz wäre - erwarten, daß sie auf die meist von den politischen Gemeinden aufzubringenden Mittel für die Unterhaltung von Kirchturm und /oder Uhr bzw. Glocken einfachhin verzichten 90. 85 § 31 Abs. 5 KiStG : „Der Bestand und die vorrangige Inanspruchnahme der nicht auf diesem Gesetz beruhenden Verpflichtungen zur Befriedigung kirchlicher Bedürfnisse bleiben unberührt". Damit ist Versuchen ein Riegel vorgeschoben, sich Leistungsverpflichtungen mit dem Argument zu entziehen, wegen der Einnahmequelle Kirchensteuer bestehe kein unbefriedigter Bedarf mehr. 86 Vgl. dazu insbesondere U. Scheuner, Fortfall gemeindlicher Kirchenbaulasten durch völlige Änderung der Verhältnisse? in: ZevKR 14 (1968/69) 353-361. Siehe ferner M. Baldus, Zur Baulast der politischen Gemeinden an Kirchengebäuden in Nordrhein-Westfalen, in: Juristische Rundschau 1970, 52-55. S7 Vgl. BVerwGE 38, 76; ferner OVG Münster, Urt. vom 17. Dezember 1975, in: Die Öffentliche Verwaltung 1976, 677 f. 88 Wertvoll dazu R. Steinberg, Gemeindliche Kirchenbaulasten in Baden, in: Baden-Württembergisches Verwaltungsblatt 1973, 37-41. 89 Meldung in Badische Zeitung Nr. 18 vom 24. Januar 1977, S. 13. Als Beispiel aus der Judikatur für die sich mehrenden Rechtsstreitigkeiten über das Läuterecht der Kirchen vgl. KirchE 12,491. 90 Als Rechtsgrundlage muß Art. 12 Kirchenbauedikt vom 26. April 1808 (RegBl. S. 114) beachtet werden. Danach ist der Turm „eine nicht bloß kirchliche, sondern vorzüglich auch weltliche Bauangehörde".
Rechtsbeziehungen zwischen kirchlicher und politischer Gemeinde
War bisher nur von altrechtlich-vorkonstitutionell begründeten Leistungsbeziehungen die Rede, so bedarf es nur noch eines kurzen klarstellenden Hinweises, daß einmalige oder laufende Zuwendungen aus dem kommunalen Budget auch neu begründet werden können. Sie sind - etwa für kirchliche Vereine oder für kirchliche Feste, aber auch im Bereich der Jugend- und Sozialarbeit - zumindest unter dem Gesichtspunkt der Mitverantwortung der Kommunen für die Kulturpflege zulässig, wohl aber auch allgemein aus dem Gedanken der Religionsförderung 91. Insoweit muß dann allerdings der Paritätsgrundsatz strikt beachtet werden.
VIII. Vielleicht wäre es angemessener gewesen, den Jubilar mit einem Beitrag zum gemeinen katholischen Kirchenrecht oder mit einer Abhandlung über Grundsatzfragen des Staat-Kirche-Verhältnisses zu ehren. Doch darf gerade von ihm, dem Meister der großen Linien wie des historischen und systematischen Details, ein ausgeprägtes Verständnis dafür erwartet werden, daß sowohl im inneren Kirchenrecht als auch im Staatskirchenrecht die Erforschung des übergeordneten Rechts und die Aufarbeitung des untergeordnet-partikularen Rechts Hand in Hand gehen müssen. Ein kleines Exempel hierfür sollte mit dem vorstehenden Versuch geliefert werden. Wie immer sich das Verhältnis von Staat und Kirche weiter entwickeln wird: die Beziehungen „vor Ort" werden immer einen wesentlichen Faktor des Gesamtverhältnisses bilden. Zumal im kleinstädtischen und ländlichen Bereich wird nach wie vor viel an der fairen Zusammenarbeit zwischen „Rathaus und Pfarrhaus" gelegen sein. Insofern dürfte sich denn auch die Lage in der Bundesrepublik Deutschland und in der Republik Österreich kaum unterscheiden.
9i Vgl. dazu Isensee (Anm. 80) 88 f.
I I I . Europäische Aspekte
Europa und das Staatskirchenrecht 1 I.
Wäre es heute, am 12. Juni 1990, nicht wichtiger, über „Deutschland und das Staatskirchenrecht" zu sprechen, nachdem der Prozeß der Wiederherstellung der deutschen Einheit einigermaßen zügig voranschreitet? Man mag darüber streiten. Aber auch von diesem Thema zu handeln, wäre nicht möglich ohne Hinblick auf Europa, ohne Berücksichtigung der europäischen Dimension. Wir brauchen uns nur die eindrucksvolle Formel der Präambel des Grundgesetzes bewußt zu machen. Das deutsche Volk bekundet dort den Willen, „seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen". Die deutsche Frage und die europäische Frage sind in der Tat unlöslich miteinander verknüpft 2. Das ist eine Binsenwahrheit. Aber inwiefern ist dabei - in bezug auf Europa - auch das Staatskirchenrecht berührt, verstanden als Komplex der rechtlichen Regelungen über das Verhältnis von Staat und Kirche bzw. von Staat und Religionsgemeinschaften? „Europa und das Christentum", „Europa und die Kirchen": Diese allgemeine Thematik, die einer spezifisch juristischen Fragestellung vorausliegt, ist in den letzten Jahren häufig aufgegriffen worden 3. Es ist wieder ins Bewußtsein gerückt Erstveröffentlichung in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 35 (1990) S. 250-283. 1 Überarbeitetes Manuskript eines Vortrags, der am 12. Juni 1990 im Rahmen der Kirchenjuristentagung 1990 der EKD in Landau/Pfalz gehalten wurde. Einige Passagen waren aus Zeitgründen nicht oder nur in verkürzter Fassung vorgetragen worden. 2 Vgl. dazu jüngst Hailbronner, Völker- und europarechtliche Fragen der deutschen Wiedervereinigung, JZ 1990,449-457 m. w. N. 3 Wertvoll dazu Kleindienst (Hrsg.), Christen bauen Europa. Festgabe zum 20. Bischofsjubiläum für Bischof Dr. Josef Stimpfle, Donauwörth 1983; Kardinal Wetter (Hrsg.), Kirche in Europa, Schriftenreihe der Katholischen Akademie in Bayern, Bd. 132, Düsseldorf 1989. Die „Una Sancta. Zeitschrift für ökumenische Begegnung" widmete ihr Heft 4 des 44. Jahrgangs 1989 dem Hauptthema „Europa ein gemeinsames Haus? Erbe und Aufgabe der Kirchen". Bemerkenswert auch Heft 5 / 6 (1989) der „Mitteilungen. Information - Diskussion Arbeitsmaterial der Ev. Landeskirche in Baden" zum Thema „Europa bewegt die Kirchen" und hier insbesondere der informationsreiche Beitrag von Epting, Was bedeutet Europa für die evangelische Kirche?, S. 4 - 9 . Zur allgemeinen historisch-politischen Situation vgl. die Grundorientierungen bei Schieder/Küsters/Kohler, Art. „Europa", in: StLGörrG 7, Bd.II, 1986, Sp. 414-432, und bei Scheuner, Art. „Europa", in: EvStL , Bd.I, 1987, Sp. 748-754; in beiden lexikalischen Darstellungen ist aber der Komplex „Europa und die Kirchen" eigentümlicherweise nicht eigens thematisiert.
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worden, daß Europa ohne das Erbe des Christentums und dessen Präsenz in Gestalt der großen christlichen Kirchen, nämlich der lateinischen, der orientalischen und der reformatorischen - einschließlich der anglikanischen - , nicht zu denken ist. Man erkennt auch eine spezifische Verpflichtung der Kirchen gegenüber und ihre besondere Verantwortung für Europa an. Ein paar charakteristische Aussagen mögen, gewissermaßen als Schlaglichter, zum Beleg angeführt werden. Von Kardinal Lustiger stammt der Satz: „Europa definiert sich nicht durch seine geographischen Eigenheiten und auch nicht durch seine politischen Metamorphosen. Es besteht aus Völkern und Nationen, die das Vorrecht hatten - Gnade zugleich und Auftrag - , die Kunde des biblischen Wortes, des Evangeliums zu empfangen; und dies schon während der ersten Periode seiner Geschichte.. ." 4 . Im Aufruf des Rates der EKD, der unter dem Leitsatz „Europa mitgestalten" im Mai 1989 verlautbart worden ist, lesen wir: „Europa darf nicht nur unter fraglos wichtigen wirtschaftlichen Aspekten gesehen werden, sondern braucht die Erinnerung an seine Herkunft, zu der innerhalb der Geschichte des Christentums besonders auch die Reformation und ihre kulturellen und politischen Folgen gehören."5 Den Nagel auf den Kopf trifft schließlich auch Alfred Grosser, wenn er betont, es gehe darum, „einen hinreichenden Schwung für die moralische Komponente des aufzubauenden Europas zu schaffen, das nicht ein Europa einzig der Händler und der Wirtschaft sein soll, sondern eines, das auf ethischen Grundlagen aufbaut." 6 Das ist im übrigen nur eine andere Wendung für die bisweilen gebrauchte Formel von einem „Europa der Werte". Aber wo gibt es hier eine Relevanz des Rechts, gar des Staatskirchenrechts? Das steht uns noch vergleichsweise wenig deutlich vor Augen, und gerade die professionellen Kirchen- und Staatskirchenrechtler werden einräumen müssen, daß sie erst seit relativ kurzer Zeit dabei sind, diese Materie zu entdecken7. Ich will mich der darin liegenden Herausforderung stellen und dem Thema in der dreifachen Schichtung nachgehen, die es aufweist: Erstens Europa als Ganzes, das neuerdings so vielberufene „Europäische Haus" in West und Ost, Nord und Süd, zweitens das Europa des Europarats, drittens das Europa der Europäischen Gemeinschaft 8 und diese auf ihrem Weg zur Europäischen Union. 4 Die geistliche Dimension Europas, in: Kardinal Wetter (Hrsg.), a. a. O., S. 11. Der Beitrag von Kardinal Lustiger ist auch abgedr. in: Communio 17 (1988) S. 50-63. 5 Zitiert nach Epting, a. a. O., S. 10. 6
Katholische Kirche und Europa, in: Kardinal Wetter (Hrsg.), a. a. O., S. 185. Ein erster Ansatz von mir selbst in dem Aufsatz „Entwicklungen im Verhältnis von Staat und Kirche", in: Schneider/Steinberg (Hrsg.), Verfassungsrecht zwischen Wissenschaft und Richterkunst. Konrad Hesse zum 70. Geburtstag, Heidelberg 1990, S. 82-84. 8 Ich schließe mich dem häufiger werdenden Sprachgebrauch an und verwende in der Regel den Singular, wohl wissend, daß es vor allem unter rechtlichem Aspekt geboten wäre, von den drei Gemeinschaften zu sprechen, nämlich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). 7
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II. 1. Die erste Dimension oder Ebene, das ganze Europa, hat keine rechtliche Gestalt. Es lebt in den Staaten, die geographisch zu Europa gehören. Aber es befindet sich in einem politischen Prozeß, der sich in einem grundlegenden Dokument artikuliert hat und der auch in einem sich immer wieder erneuernden Forum zum Ausdruck kommt, der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 9. Der durch sie geschaffene „feste Dialograhmen" 10 ist unstreitig eine wesentliche Komponente in dem Geflecht der Bedingungen, die zu den weitreichenden Wandlungen in Osteuropa geführt haben. Er wird auch weiterhin ein maßgebender Faktor für die Weiterentwicklung von „Europe as a whole" sein. Entsprechendes gilt für die am 1. August 1975 unterzeichnete Schlußakte von Helsinki. Sie stellt zwar keinen völkerrechtlichen Vertrag dar; sie gilt aber als eine „politische Willenserklärung von hohem Rang" 11 , der man zumindest eine auf Verpflichtung ausgerichtete normative Tendenz zuschreiben darf. Für unseren thematischen Zusammenhang ist bedeutsam, daß unter den zehn Prinzipien für die zwischenstaatlichen Beziehungen, die in dem sog. Korb I enthalten sind, auch die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten figuriert und daß es damit gelungen ist, erstmals die Menschenrechte auf die gleiche Ebene mit anderen völkerrechtlichen Prinzipien des zwischenstaatlichen Verkehrs zu heben. In diesem Rahmen wiederum wird der Religionsfreiheit, parallelgeschaltet mit der Gedanken-, Gewissens- und Überzeugungsfreiheit, besondere Beachtung gezollt: Die Teilnehmerstaaten werden die Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion achten. Sie werden die wirksame Ausübung der zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen sowie der anderen Rechte und Freiheiten die sich alle aus der den Menschen innewohnenden Würde ergeben und für seine freie und volle Entfaltung wesentlich sind, fördern und ermutigen. In diesem Rahmen werden die Teilnehmerstaaten die Freiheit des Individuums anerkennen und achten, sich allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu einer Religion oder einer 9 Gute Grundinformation bei Meyer-Landrut, Art. „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa", in: EvStL 3 , Bd. I, 1987, Sp. 1834-1838. Vgl. ferner Haftendorn, Sicherheit und Entspannung. Zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1955 -1982, Baden-Baden 1983; 10 Jahre Helsinki - die Herausforderung bleibt, Bergedorfer Gesprächskreis, Protokoll Nr. 78 (1985); Hafner, Bemühungen um ein gesamteuropäisches Streitbeilegungssystem im Rahmen der KSZE, in: FS Seidl-Hohenveldern, Köln 1988, S. 147-171; Isak (Hrsg.), Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) als Instrument europäischer Friedenspolitik, Schriften zur Friedens- und Konfliktforschung, Bd. I, Wien 1988; Staack, Fortschritte in der Menschenrechtspolitik. Perspektiven nach der KSZEKonferenz in Paris, EA 44 (1989) S. 533-542. 10 So Meyer-Landrut, a. a. O., Sp. 1837. 11 So wiederum Meyer-Landrut, a. a. O., Sp. 1835. 23 Hollerbach
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Überzeugung in Übereinstimmung mit dem, was sein Gewissen ihm gebietet, zu bekennen und sie auszuüben."12 (VII)
Es läßt sich nachweisen, daß an der besonderen Gewichtung der Menschenrechte im Rahmen von Korb I der Heilige Stuhl nicht unerheblichen Anteil hat 13 . Er hat sich, legitimiert durch die völkerrechtlich ausdrücklich anerkannte Friedensmission, in seiner Eigenschaft als Völkerrechtssubjekt an der Helsinki-Konferenz beteiligt, ebenso an allen Nachfolgekonferenzen. Unter diesen Nachfolgekonferenzen ist diejenige von Wien, die 1989 abgeschlossen wurde, für unseren thematischen Zusammenhang von ganz besonderer Bedeutung. Hier wird nämlich vor dem Hintergrund aktueller Erfahrungen in dem Abschlußdokument der Versuch gemacht, das Recht auf Religionsfreiheit zu konkretisieren und dabei eine verengt individualrechtliche Sicht zu überwinden. So verpflichten sich z. B. die Teilnehmerstaaten, das Recht der religiösen Gemeinschaften zu achten, „sich nach ihren eigenen hierarchischen und institutionellen Strukturen zu organisieren", „ihr Personal in Übereinstimmung mit ihren Bedürfnissen und Normen sowie mit eventuellen freiwillig anerkannten Regelungen zwischen ihnen und ihrem Staat auszuwählen". Ferner ist etwa vom Interesse religiöser Gemeinschaften die Rede, „am öffentlichen Dialog - auch mittels Massenmedien - teilzunehmen"14. 2. In unserer ersten Europa-Dimension gibt es noch einen zweiten beachtenswerten Aspekt. Es sind die institutionellen Vorkehrungen für die kirchliche Zusammenarbeit auf gesamteuropäischer Ebene. Das II. Vatikanische Konzil hat bekanntlich der Bischofskonferenz einen festen Platz im Gefüge der Kirchenverfassung zugewiesen15. Dabei ist von den Konzilsvätern der ausdrückliche Wunsch geäußert worden, daß zwischen den Bischofs12 Text in: Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Dokumente zum KSZE-Prozeß (einschließlich der KVAE), Bonn 1984, S. 56 f. 13 Vgl. dazu Köck, Die völkerrechtliche Stellung des Hl. Stuhls, Berlin 1975, S. 476; Der Hl. Stuhl im Dienste der Internationalen Völkergemeinschaft. Engagement für Frieden und Gerechtigkeit bei den Konferenzen von Helsinki und Belgrad. Dokumente, ausgewählt und eingeleitet von Joseph Rabas, Schriftenreihe der Ackermann-Gemeinde, Bd. 27, München 1978; Rabas, Vorschläge des Hl. Stuhls für die Konferenzen über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, in: Grulich (Hrsg.), Religions- und Glaubensfreiheit als Menschenrecht. Helsinki/ Belgrad/Madrid, Schriftenreihe der Ackermann-Gemeinde, Bd. 30, München 1980, S. 68-79. 14 Text bei Leite, Die Kirchen und die Schlußakte von Helsinki, US 1989, S. 298 (vgl. oben Anm. 2). Vgl. im übrigen auch Liedermann, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit. Behandlung in der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), in: FS Weiler, Berlin 1988, S. 141 -159; ferner Tretter, Die Menschenrechte im Abschließenden Dokument des Wiener KSZE- Folgetreffens vom 15. Januar 1989, EuGRZ 1989, S. 79-85; dort S. 85 ff. auch der vollständige Text. 15 Grundinformation bei H. Müller, Art. „Bischof 4 , in: StLGörrG 7, Bd. I, 1985, Sp. 813816; Listl, Plenarkonzil und Bischofskonferenz, in: HdbKathKR, Regensburg 1983, S. 304324.
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konferenzen verschiedener Länder Beziehungen gepflegt werden sollen, „um die höheren Ziele zu fördern und zu sichern", wie es heißt 16 . Das Motuproprio „Ecclesiae Sanctae" (I Nr. 41, § 5) führt eine Reihe von Maßnahmen und Aktivitäten auf, vor allem solche, die dem Informationsaustausch dienen, meint aber im übrigen, daß die Beziehungen zwischen den Bischofskonferenzen „zweckmäßiger- und angemessenerweise" durch die Sekretariate der Konferenzen gepflegt werden können 17 . In Europa ist die Entwicklung darüber hinausgegangen. Nach einer schon am 18. November 1965, also gegen Ende des Konzils, erfolgten ersten informellen Zusammenkunft der Präsidenten von 13 Bischofskonferenzen europäischer Länder kam es am 23./24. März 1971 zur förmlichen Konstituierung des Consilium Conferentiarum Episcopalium Europae (C.C.E.E.), des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen 18. Dieser Rat arbeitet auf der Grundlage von Statuten, die erstmals am 10. Januar 1977 und dann erneut am 19. Dezember 1981 vom Heiligen Stuhl approbiert worden sind. Der für jeweils fünf Jahre aus dem Kreis der von den einzelnen Bischofskonferenzen entsandten Delegierten gewählte Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Das Sekretariat mit einem Generalsekretär hat seinen Sitz in St. Gallen. Es ist hier nicht der Ort, über die Aktivitäten dieses Rates im einzelnen zu berichten. Er hat in regelmäßigen Abständen Symposien veranstaltet und ist durch Erklärungen hervorgetreten. Unter diesen verdienen besondere Erwähnung „Verantwortung der Christen für das Europa von heute und morgen. Ein geistlich vertieftes Wort der Europäischen Bischofskonferenzen" (1980) 19 und „Die kollegiale Verantwortung der Bischöfe und Bischofskonferenzen Europas in der Evangelisierung des Kontinents" (1982) 20 . Der Rat hat sich vor allem die „Schaffung eines gesamteuropäischen Verantwortungsbewußtseins" 21 auf seine Fahnen geschrieben. Auch die Staat-Kirche-Fragen sind eine zeitlang behandelt worden. Entsprechende Bemühungen führten, so wird berichtet, zu einer unvollständigen Zusammenstellung über die verschiedenen Situationen im Verhältnis von Kirche und Staat. Die Vollversammlung von 1980 habe jedoch festgestellt, daß ein weiteres Studium die vorhandenen Kräfte des CCEE übersteigen würde 22 - ein betrübliches Ergebnis, Christus Dominus, Art. 38, Nr. 5. 17 Text in: Nachkonziliare Dokumentation 3 (1967) S. 57 f. 18
Einstweilen kann dafür nur verwiesen werden auf Fürer, CCEE 1971-1982, in: Stimmen der Weltkirche 16, Bonn 1982, S. 66-86. Vgl. auch die Angaben dazu in: Annuario Pontificio 1990, S. 1043 und S. 1632 f. 19 Stimmen der Weltkirche 12, Bonn 1980. 20 Stimmen der Weltkirche 16, Bonn 1982. In der Reihe „Stimmen der Weltkirche" ist das Heft 29 soeben erschienen: Umgang des heutigen Menschen mit Geburt und Tod. VII. Symposium der europäischen Bischöfe in Rom, 12.-17. Oktober 1989. 21 Fürer, a. a. O. (Anm. 18), S. 69. Dort S. 81 ff. übrigens weitere Informationen über Gremien oder Kommissionen, die auf gesamteuropäischer Ebene arbeiten. Zum Zeichen dafür, daß nicht nur die Hierarchie tätig ist, darf besonders das „Europäische Forum nationaler Laienräte" hervorgehoben werden. 22 Füren a. a. O., S. 72.
23*
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das freilich auch als Ermunterung für die Wissenschaft verstanden werden kann, auf diesem Gebiet weitere Vorarbeit zu leisten. Eine letzte, aber doch recht signifikante Information in diesem Zusammenhang: Papst Johannes Paul II. hat während seines Besuches der Tschechoslowakei im Mai 1990 eine Sonderversammlung der Römischen Bischofssynode zum Thema „Europa" angekündigt - ein Zeichen dafür, welches Gewicht diesem Problemkreis auch aus der Perspektive der Universalkirche beigemessen wird 2 3 . Hat die katholische Kirche unbeschadet ihres traditionell großen allgemeinen Interesses an Europa erst relativ spät eine institutionelle Form gefunden, in der Europa-Arbeit geleistet wird, so sind die nicht-römischen Kirchen zeitlich demgegenüber in der Vorhand. Nach ersten Gesprächen und einer Vorbereitungstagung, die 1953 bzw. 1957 stattfanden, trat schon 1959 die Konferenz europäischer Kirchen mit ihrer ersten Vollversammlung ins Leben und hat seitdem eine bemerkenswerte Aktivität entfaltet 24. Die KEK stellt sich als eine Gemeinschaft von protestantischen, orthodoxen, anglikanischen und altkatholischen Kirchen aus allen europäischen Ländern dar; nur aus Albanien ist bislang niemand beteiligt. Wenn man so will, handelt es sich dabei um den europäischen Ökumenischen Rat der Kirchen - nicht von ungefähr ist die bekannte „Basis" des Weltrats auch die Grundlage der KEK. Organe sind die Vollversammlung, in der jede Mitgliedskirche durch wenigstens einen Vertreter repräsentiert ist, das fünf- bis siebenköpfige Präsidium und der 16-22 Personen umfassende Beratende Ausschuß. Präsidium und Beratender Ausschuß werden von der Vollversammlung gewählt. Ein Generalsekretariat erledigt die laufenden Geschäfte. Ein Großteil der Wirksamkeit vollzieht sich in ständigen oder ad hoc berufenen Arbeitsgruppen. Die ökumenische Zusammenarbeit findet institutionellen Ausdruck in dem jährlich zusammentretenden Gemeinsamen Ausschuß zwischen KEK und Rat der Europäischen Bischofskonferenzen 25. Weithin sichtbar geworden ist das Zusammenwirken dieser beiden Organisationen bei der im Mai 1989 stattgehabten europäischen ökumenischen Versammlung „Frieden in Gerechtigkeit" in Basel 26 , der ohne Frage auch europapolitische Relevanz zukommt 27 . 23
Vgl. dazu den kritischen Kommentar von Seeber, Europa-Synode, HK 1990, S. 253-
255. 24 Zum Folgenden vgl. Kemper, Art. „Konferenz europäischer Kirchen", in: EvStL 3 , Bd. I, 1987, Sp. 1831-1834. Bemerkenswert auch die „Kurze Einführung zur KEK" im Anhang zu: Stimmen der Weltkirche 16, Bonn 1982, S. 87-91. Vgl. ferner Kremkau , Art. „Europa", in: Ökumene-Lexikon, Frankfurt am Main 1983, Sp. 351-358, mit Informationen über weitere Formen der kirchlichen Zusammenarbeit in Europa. 25
Kurzinformation bei Fürer, a. a. O. (Anm. 18), S. 75-77. Als Beispiel für zahlreiche Berichte vgl. Ruh, Ökumene in Europa: Die Basler Versammlung als Markstein, HK 1989, S. 297-299. 27 Interessant hierzu Stobbe, Europäische Ökumene und Europa-Politik, US 1989, S. 301 305. Vgl. ferner das Europa-Memorandum des Bensberger Kreises, in Auszügen vorgestellt in: HK 1989, S. 420-426. 26
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So stehen Formen und Institutionen bereit, um die besondere Verantwortung der christlichen Kirchen für das ganze Europa in ihrem Leben und im politischen Prozeß wirksam werden zu lassen. Sie zu benutzen und auszufüllen, ist Sache der Alltagsarbeit. Johannes Paul II. hat, im Prinzip sicher zu Recht, einmal davon gesprochen, die Krise der europäischen Kultur sei die Krise der christlichen Kultur 28 . Ich möchte den Gedanken ins Positive wenden: Es gibt keine europäische Identität ohne das erneuerte verpflichtende Erbe und die lebendige Präsenz des Christentums. Das Staatskirchenrecht ist dabei insofern im Spiel, als es im jeweiligen Staat die freie Entfaltung der religiös-kirchlichen Kräfte und im übrigen sozusagen transnational den freien Austausch der Kräfte und auch die Freiheit des Zusammenschlusses und der Zusammenarbeit gewährleisten muß. Man wird gerade diese Bedeutungsschicht der Religionsfreiheit immer wieder betonen dürfen 29.
III. 1. Die zweite Dimension Europas findet im Europarat Gestalt. Er wurde 1949 in London gegründet, um - so sagt es Art. 1 lit. a) der Satzung - „eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern zum Schutze und zur Förderung der Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe bilden, herzustellen und ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu fördern". Der Europarat ist eine allein auf Völkerrecht beruhende und völkerrechtlich strukturierte internationale Organisation ohne die Befugnisse einer supranationalen Institution 30 . Mitglieder sind derzeit nach dem jüngst erfolgten Beitritt Finnlands 22 europäische Staaten. Die Staaten Osteuropas fehlen noch. Aber man darf davon ausgehen, daß sich der Europarat allmählich auf ganz Europa erweitern wird. Dann findet in ihm Europa als Ganzes - über den Helsinki-„Prozeß" hinaus - auch in einer Rechtsform institutionellen Ausdruck. Zu den konkreten Zielsetzungen des Europarats gehören der Schutz und die Fortentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Er erstrebt ferner gemeinschaftliches Vorgehen nicht nur auf wirtschaftlichem und sozialem, sondern auch auf kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet 31 . Es war deshalb fast zwangsläufig, daß die Kirchen dem Europarat ihr Interesse zugewandt haben. Der Heilige Stuhl ist, wenn auch erst seit 1970, beim Europarat 28
So der Leitsatz einer Ansprache, die der Papst an die Teilnehmer des 5. Symposiums des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen in Rom am 5. 10. 1982 gehalten hat; Text in: Stimmen der Weltkirche 16, S. 3 - 9 . 29
Nach wie vor bedeutsam dazu Scheuner, Die internationalen Beziehungen der Kirchen und das Recht auf freien Verkehr, in: HdbStKirchR, Bd. II, Berlin 1975, S. 299-344. 30 Grundinformation dazu bei Arnold, Art. „Europarat", in: StLGörrG 7, Bd. II, 1986, Sp. 469-472. 31 Art. 1 lit. b) der Satzung.
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durch einen Gesandten mit der Stellung eines Ständigen Beobachters vertreten. Der Nuntius in Brüssel nimmt dieses Amt in Personalunion wahr 32 . Darüber hinaus ist der Heilige Stuhl Mitglied des Rates für kulturelle Zusammenarbeit des Europarats, dies schon seit 1962; die Mitgliedschaft in diesem Rat wird durch den Gesandten des Heiligen Stuhles wahrgenommen. Die nicht-römischen Kirchen haben insoweit noch nicht ganz gleichgezogen. Immerhin besteht in Straßburg seit 1979 ein auf Anregung der Konferenz der Kirchen am Rhein geschaffenes Ökumenisches Sekretariat, in dem ein Pfarrer mit halbem Auftrag dafür zuständig ist, insbesondere die Kontakte zum Europarat, zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates und zu den Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten des Europarates zu pflegen 33. Dieses Sekretariat ist seit 1986 ein Büro in der Trägerschaft der Ökumenischen Kommission für Kirche und Gesellschaft in Westeuropa, die ihre Arbeit nunmehr auch auf den Europarat erstreckt. Über diese Kommission wird unten bei IV 1 noch Genaueres zu sagen sein. 2. Das Europa des Europarates findet nun aber in ganz besonderer Weise Niederschlag in einem Dokument, das mit seinem Namen unmittelbar verbunden ist, nämlich in der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 195034. Diese ist ihrerseits die Grundlage für die Tätigkeit der Europäischen Kommission für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg. Die EMRK enthält in ihrem Art. 9 eine Gewährleistung der Religionsfreiheit und im Zusatzprotokoll von 1952 eine Norm, die den Bereich von Bildung und Erziehung betrifft 35 . Das Europa des Europarats hat damit in Sachen Religionsfrei32 Vgl. dazu und zum Folgenden Köck , a. a. O. (Anm. 13), S. 741 f.; ferner die Angaben in: Annuario Pontificio 1990, S. 1259. Zum Besuch von Papst Johannes Paul IL beim Europarat im Oktober 1988 vgl. HK 1988, S. 506. Der Papst hielt eine Ansprache vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und - zeitlich deutlich davon abgehoben - vor dem Europäischen Parlament. Damit wurde der unterschiedlichen Struktur und Aufgabe der beiden Institutionen Rechnung getragen. 33 So Epting, a. a. O. (Anm. 2), S. 5 f. Vgl auch Kremkau, a. a. O. (Anm. 24), Sp. 356 f. 34 Grundinformation dazu bei Petzold, Art. „Europäische Menschenrechtskonvention", in: StLGörrG 7, Bd. II, 1986, Sp. 455-460. 35 Art. 9 hat folgenden Wortlaut: „(1) Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissensund Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, durch die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben. (2) Die Religions- und Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind." Das zur EMRK verabschiedete Zusatzprotokoll vom 20. 3. 1952 enthält folgenden Art. 2: „Das Recht auf Bildung darf niemandem verwehrt werden. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung
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heit eine feste und klare normative Basis 36 . Dabei steht der Individualrechtsschutz im Vordergrund. Nach längerem Zögern hat die Kommission aber auch den Religionsgemeinschaften selbst die Berufung auf Art. 9 gestattet und damit den korporativen Aspekt der Religionsfreiheit anerkannt. Logische Folge der Geltung der Religionsfreiheit für Kirchen und Religionsgemeinschaften ist dann allerdings auch die Anerkennung eines kirchlichen Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrechts, dessen Gehalt sich freilich allein aus dem Grundrecht ergibt und keine konkrete staatskirchenrechtliche Ordnung impliziert. Mit anderen Worten: Die Konvention stellt auch in objektiver Hinsicht nur eine Rahmenordnung auf, deren Ausgestaltung den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen ist 3 7 . Das Ergebnis ist wichtig: Der bestehende Pluralismus der staatskirchenrechtlichen Ordnungen in den Staaten des Europarates bleibt durch die Konvention unangetastet38: die Dominanz der orthodoxen Kirche in Griechenland, das Konkordatssystem in Spanien, die französische Trennung von Staat und Kirche, die besondere Stellung der Established Church in England usw. Das deutsche System hat gerade jüngst eine wichtige Bewährungsprobe bestanden. Im Falle Rommelfanger hat die Straßburger Kommission am 6. September 1989 die gegen die Bundesrepublik gerichtete Beschwerde für unzulässig erklärt 39 . Rommelfanger war der Arzt, dem von einem katholischen Krankenhaus wegen gewisser Äußerungen über die Abtreibungsfrage gekündigt worden war und der auch schon mit seiner Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG nicht erfolgreich gewesen war. Damit hat die bekannte Karlsruher Grundsatz-Entscheidung vom 4. Juni 1985 40 eine eindrucksvolle Bestätigung erfahren, obwohl juristischer Ausgangspunkt und Argumentationsweise differieren. Die Kommission hat anerkannt, daß die Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers geschützt sein müsse „against unreasonable demands of his employer". Aber, so sagt die Kommission: „If, as in the present case, the employer is an organisation based on certain convictions and value judgements which it considers as essential for the performance of its functions in society, it is in fact in line with the requirements of the Convention to give appropriate scope also to the freedom of expression of the employer. An employer of this kind would not be able to effectively exercise this freedom without imposing certain duties of loyalty on its employees." Man sieht: Die Entscheidung wurde nicht mit spezifisch staatskirchenrechtlichen Erwägungen begründet. Diese gehen eher in die Richtung des Tendenzund den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen." 36 Zum Folgenden jetzt eingehend mit den nötigen Belegen Blum, Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention, Diss, jur. Freiburg i. Br. 1988, i. E. als Bd. 19 der Staatskirchenrechtlichen Abhandlungen. 37 So die Zusammenfassung bei Blum, a. a. O., S. 239. 38 Vgl. ebenfalls Blum, a. a. O., S. 235. 39 Beschwerde Nr. 12242/86. 40 BVerfGE 70,138.
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schutzes. Aber im Ergebnis ist jedenfalls eindeutig anerkannt, daß Loyalitätspflichten auferlegt werden dürfen, die für Glaubwürdigkeit und Funktionstüchtigkeit der betreffenden Institution maßgebend oder wesentlich sind, die zu ihrem Profil, ja zu ihrer Identität gehören. Zur Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 ist 1961 die Europäische Sozialcharta hinzugekommen41. Für die Bundesrepublik Deutschland ist sie am 26. Februar 1965 in Kraft getreten 42. Damit ist die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich an die Europäische Sozialcharta gebunden, abgesehen von einigen - hier nicht interessierenden - Bestimmungen, zu denen sie Vorbehalte gemacht hat. Im übrigen gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die Sozialcharta unmittelbar geltendes Bundesrecht ist oder ob sie lediglich den Gesetzgeber und den rechtsfortbildenden Richter bindet oder wenigstens Auslegungsmittel für das nationale Recht ist 43 . Diese Frage kann hier offenbleiben. Selbst wenn die Europäische Sozialcharta unmittelbar geltendes Bundesrecht wäre, wäre sie es nur im Rang des einfachen Bundesgesetzes, könnte also Verfassungsrecht nicht aus dem Feld schlagen. Ebensowenig sind damit für den Gesetzgeber oder den Richter Bindungen aus den Angeln gehoben, die sich innerstaatlich aus dem Verfassungsrecht ergeben. Keinesfalls begründen die in der Europäischen Sozialcharta formulierten sozialen Rechte und andere Forderungen aus der umfangreichen sozialpolitischen Programmatik unmittelbar einklagbare subjektive Grundrechte. Demgemäß wird - darauf könnte sich eine konkrete Frage beziehen - das für die Kirchen in der Bundesrepublik verfassungsrechtlich fundierte System des Dritten Weges von Art. 6 EuSCh nicht tangiert 44. Was andere Bestimmungen anlangt, so ist nicht ersichtlich, daß es hier Kollisionen mit dem kirchlichen Dienstund Arbeitsrecht oder sonstigen staatskirchenrechtlichen Regelungen geben könnte. Umgekehrt darf man etwa aus Art. 2 Ziff. 2 und 5 eine Unterstützung der Forderung nach Gewährleistung des Sonn- und Feiertagsschutzes entnehmen45.
41
Grundorientierung bei Zacher, Art. „Europäische Sozialcharta", in: StLGörrG 7, Bd. II, 1986, Sp. 460-463. 42 Bkm. vom 9. 8. 1965, BGBl. I I S. 1122. 43 Vgl. dazu mit Belegen BVerfGE 58, 233 (254). 44 Art. 6 Ziff. 4: „Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien ... und anerkennen ... das Recht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen." 45 Der Text lautet: „Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf gerechte Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien: ... 2. bezahlte öffentliche Feiertage vorzusehen; ... 5. sicherzustellen, daß die wöchentliche Ruhezeit, soweit möglich, mit dem Tag zusammenfällt, der in dem betreffenden Lande oder Bezirk durch Überlieferung oder Gewohnheit als solcher anerkannt ist."
Europa und das Staatskirchenrecht
IV. So wichtig das ganze Europa und das Europa des Europarates im Hinblick auf unser Thema sind - das entscheidende Problemfeld liegt in der dritten Dimension Europas, nämlich der der Europäischen Gemeinschaft 46. Hier verdichten sich die Probleme und führen zu einer Präzisierung der Fragestellung. Sie lautet „Europarecht und nationales Staatskirchenrecht", Europarecht 47 verstanden als Recht der Europäischen Gemeinschaften. Hier tun sich Fragen auf, die, nicht zuletzt im Hinblick auf die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes zum 1. Januar 1993, zunehmend Relevanz, ja Brisanz gewinnen. Die katholische Kirche hat die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften von früh an mit bemerkenswertem Interesse verfolgt und dabei auch institutionelle Formen für ihre Präsenz entwickelt 48 . Schon 1956 wurde in Brüssel das Katholische Sekretariat für europäische Fragen gegründet. Seit November 1970 steht der Heilige Stuhl in förmlichen diplomatischen Beziehungen zu den Europäischen Gemeinschaften. Geschaffen wurde eine Ständige Vertretung des Heiligen Stuhles bei den Europäischen Gemeinschaften in der Rechtsform einer Apostolischen Nuntiatur. Deren Aufgaben werden durch den Nuntius in Brüssel wahrgenommen; insoweit besteht also Personalunion zwischen den beiden Nuntiaturen. Zehn Jahre später dann wurde die Commissio Episcopatuum Communitatis Europaeae (ComECE), die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft, genauer: aus Ländern der Europäischen Gemeinschaft gebildet 49 . Sie steht zwar in Verbindung mit der CCEE, ist aber von ihr unabhängig. Jede Bischofskonferenz in der EG ist durch einen Bischof vertreten. Der Vorsitzende der Kommission ist der Bischof von Luxemburg, Erzbischof Hengen. Sie verfügt sowohl in Brüssel als auch in Straßburg über ein Büro, dem ein Generalsekretär vorsteht. Die Statuten tragen das Datum vom 3. März 1980. Was die anderen Kirchen anlangt, so waren es bemerkenswerterweise zunächst einzelne Persönlichkeiten und private Initiativen, die auf den Plan traten 50. Einen ersten formalisierten Ansatzpunkt kann man in dem 1964 bei den europäischen Einrichtungen in Brüssel geschaffenen „Ökumenischen Zentrum von Kirche und 46
Ausgezeichnete Grundorientierung bei Everling, Art. „Europäische Gemeinschaften", in: EvStL , Bd. I, 1987, Sp. 764- 803, und bei Bleckmann/Zohlnhöfer, Art. „Europäische Gemeinschaften", in: StLGörrG 7, Bd. II, 1986, Sp. 435-454. 47 Vgl. zur ersten Orientierung Bleckmann, Art. „Europarecht", in: StLGörrG 7, Bd. II, 1986, Sp. 472-481. Aus der großen Zahl systematischer Gesamtdarstellungen seien - neben dem „Klassiker" H. P Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, Tübingen 1972 - hervorgehoben: Bleckmann, Europarecht, Köln 19854; Schweitzer / Hummer, Europarecht, Frankfurt am Main 19903. 48 Dazu Köck, a. a. O. (Anm. 13), S. 744-749. Vgl. auch die Angaben in: Annuario Pontificio 1990, S. 1440 und 1634. 49 Dazu Fürer, a. a. O. (Anm. 18), S. 68; ferner Kremkau, a. a. O. (Anm. 25), Sp. 354. 50
Zum Folgenden Kremkau, a. a. O., Sp. 354 f., und Epting, a. a. O. (Anm. 2).
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Gesellschaft" sehen, dessen Gründung (in der Rechtsform eines internationalen gemeinnützigen Vereins) auf EG-Beamte, sonstige Mitarbeiter, Journalisten und Pfarrer zurückgeht. Es hatte die Aufgabe, Kontakte und Gespräche über europäische Fragen zu ermöglichen und dabei insbesondere das Bewußtsein für die Verantwortung der Kirchen in Fragen der Europäischen Gemeinschaften zu fördern. In einem nächsten Schritt wurde ebenfalls noch 1964 ein „Beratender Ausschuß von Kirchen für die Europäischen Institutionen" ins Leben gerufen; ihm gehörten Vertreter aus den meisten evangelischen Kirchen in den Mitgliedstaaten der EG und auch aus der Anglikanischen Kirche an. Gleichwohl konnte unlängst festgestellt werden: „Die Aktivitäten wurden mehr oder weniger von interessierten Einzelnen angeregt und weitergeführt. Die evangelischen Kirchen in den EG-Staaten nahmen höchstens wohlwollend davon Kenntnis." 51 1973 kam es zu einer Umbenennung des Beratenden Ausschusses in „Kommission von Kirchen bei den Europäischen Gemeinschaften" 52. Als besonders bedeutsam erwies sich aber eine 1978 getroffene Maßnahme. Als Nachfolgerin des Beratenden Ausschusses konstituierte sich die „Ökumenische Kommission für Kirche und Gesellschaft in der Europäischen Gemeinschaft", die „Ecumenical Commission for Church and Society in the European Community" (ECCSEC) nach belgischem Recht als internationale gemeinnützige und kulturelle Vereinigung mit Sitz in Brüssel. Die bisherigen Mitarbeiter des Ökumenischen Zentrums wurden in den Stab der Kommission integriert - beide Quellflüsse gewissermaßen also zusammengeführt. Eine nächste Phase: Bei einer kirchlichen Konsultation, die im Oktober 1982 in Interlaken stattfand, wurde eine Erweiterung des Mandats der ökumenischen Kommission auf Fragen aus dem Bereich des Europarats empfohlen. Dementsprechend änderte die Kommission nunmehr ihren Namen und nannte sich nur noch „Europäische ökumenische Kommission für Kirche und Gesellschaft". Die Erwartung, daß daraufhin auch der Kreis der Mitgliedskirchen sich erweitern würde, wurde allerdings enttäuscht. Zu den bisherigen Mitgliedern aus den EG-Ländern kam lediglich der Schweizerische Kirchenbund hinzu. Vielleicht als Folge aus diesem Fehlschlag ist es zu verstehen, wenn der Name dann erneut noch einmal geändert wurde: „Ökumenische Kommission für Kirche und Gesellschaft in Westeuropa". Möglicherweise dient diese Fassung aber auch der Abgrenzung gegenüber der Konferenz europäischer Kirchen - das Verhältnis der beiden Institutionen zueinander ist offenbar nicht spannungsfrei. Eine „Constitution" vom September 1987 regelt Organisation und Verfahren. Organe sind die mindestens einmal jährlich zusammentretende Vollversammlung und das siebenköpfige Exekutiv-Komitee. Ihnen steht ein kleines Sekretariat mit drei hauptamtlichen Mitarbeitern zur Verfügung. 51 Epting, a. a. O., S. 5. 52 Für das Folgende kann ich mich dankenswerterweise auf Informationen und eine Ausarbeitung von Dr. Joachim Gaertner stützen.
Europa und das Staatskirchenrecht
Von allem Anfang an war die EKD Mitglied der ökumenischen Kommission; sie trägt, obwohl nur eine unter neun bzw. zehn Mitgliedskirchen, über 50 % der Kosten. Die EKD hat sich jetzt aber entschlossen, unabhängig von der ökumenischen Kommission, innerhalb derer es über die konkrete Wahrnehmung der Aufgaben offenbar nicht unerhebliche Meinungsverschiedenheiten gibt, einen eigenen Vertreter nach Brüssel zu entsenden. Er soll vornehmlich als „Rechtsbeobachter" für die EKD tätig werden. Er soll die Entwicklung des Gemeinschaftsrechts in allen Bereichen beobachten, die von kirchlichem Belang sind - genannt werden vor allem Dienst- und Arbeitsrecht, Steuerrecht und Staatskirchenrecht - , und für eine frühzeitige Unterrichtung der zuständigen EKD-Dienststellen sorgen, damit dort ggf. überlegt werden kann, ob Maßnahmen der Einflußnahme auf den Gesetzgebungsgang angezeigt sind. Daneben wird der EKD-Vertreter die Möglichkeit von Zuwendungen aus Mitteln der EG für kirchliche Einrichtungen, Programme, Projekte u. ä. zu erkunden haben und im Rahmen des Möglichen an dem Dialog über gesellschaftliche Grund- und Wertfragen in Brüssel teilnehmen. Organisatorisch wird er der Dienststelle des Bevollmächtigten des Rates der EKD am Sitz der Bundesrepublik zugeordnet sein. Wachsendes Volumen und Gewicht des Sachbereichs „Europa" schlägt sich aber auch darin nieder, daß gleichzeitig beim Kirchenamt der EKD in Hannover die Stelle eines Europa-Referenten bzw. einer Referentin geschaffen wird 5 3 . Daß die Bedeutung der Entwicklungen im Recht der EG immer scharfsichtiger wahrgenommen wird, kommt neuerdings des weiteren sinnfällig darin zum Ausdruck, daß auch andere kirchliche oder kirchennahe Einrichtungen und Verbände in Brüssel und/oder Straßburg präsent sind. So besteht seit vorigem Jahr in Brüssel eine EG-Vertretung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege; zu dieser gehören bekanntlich die Arbeiterwohlfahrt, das Diakonische Werk, der Deutsche Caritasverband, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, das Deutsche Rote Kreuz und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Der Deutsche Caritasverband besitzt darüber hinaus eine eigene Vertretung. Beide Vertretungen werden allerdings in Bürogemeinschaft geführt und in Personalunion geleitet. Zur Illustration sei aus einem Schreiben dieser EG-Vertretung zitiert: „Sinn und Zweck dieser Arbeit ist es, über das besondere System der Partnerschaft zwischen öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege in Deutschland zu informieren und für deren Bedeutung im Rahmen einer sich weiter entwickelnden EG zu werben. Zugleich soll damit versucht werden, auf die nationale wie auch auf die europäische Gesetzgebung Einfluß zu nehmen." Wie man hört, will das Diakonische Werk demnächst mit dem Deutschen Caritasverband gleichziehen und ebenfalls eine eigene Vertretung neben derjenigen der Bundesarbeitsgemeinschaft einrichten.
53
Dem Vernehmen nach gibt es ähnliche Überlegungen bei der Deutschen Bischofskonferenz bzw. beim Katholischen Büro. Unbeschadet der Mitgliedschaft in der ComECE erwägt man die Entsendung eines eigenen Vertreters nach Brüssel.
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y. Genug der Informationen über das organisatorische „framework". Wo aber liegen die Sachprobleme? Ich versuche zunächst eine kleine historische Annäherung. Ein erstes Signal dafür, daß im Gemeinschaftsrecht religions- und kirchenrelevante Fragen berührt werden können, war der Fall Prais, der durch Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 27. Oktober 1976 entschieden worden ist 54 . Die Klägerin, eine Engländerin jüdischen Glaubens, hatte sich um eine Stelle als Übersetzerin beim Rat der EG beworben. Sie wurde zu einer schriftlichen Auswahlprüfung geladen. Daran konnte sie jedoch nicht teilnehmen, weil diese auf den ersten Tag des jüdischen Festes Schawuot (Pfingsten) fiel; an diesem Fest durfte sie nach ihrer religiösen Überzeugung weder reisen noch schreiben. Ihre Bitte, ihr einen anderen Termin einzuräumen, wurde abschlägig beschieden. Der Rat hielt es für wesentlich, daß alle Bewerber die gleichen Prüfungen am gleichen Tag ablegten. Die Klägerin ist mit ihrer Auffassung nicht durchgedrungen, zwar nicht deswegen, weil der Gerichtshof das Grundrecht der Religionsfreiheit für unbeachtlich gehalten hätte, wohl aber deshalb, weil im vorliegenden Fall die Bewerberin ihre Terminschwierigkeiten religiösen Ursprungs nicht rechtzeitig mitgeteilt hatte. Die tragende Erwägung war, es könne nicht davon ausgegangen werden, „daß das Beamtenstatut oder die erwähnten Grundrechte die Anstellungsbehörde verpflichten, einen Konflikt mit einer religiösen Forderung zu vermeiden, von deren Existenz sie nicht unterrichtet worden ist". Die Entscheidung enthält freilich einen Appell, insofern es für wünschenswert erachtet wird, „daß sich die Einstellungsbehörde allgemein über die Daten, die möglicherweise aus religiösen Gründen nicht genehm sind, informiert und die Festsetzung der Prüfungen auf solche Daten zu vermeiden sucht". Ingolf Pernice hat damals dieses Urteil zum Anlaß genommen, in sehr grundsätzlicher Perspektive „religionsrechtliche Aspekte im europäischen Gemeinschaftsrecht" herauszustellen. Ausgehend von theoretischen Ansatzpunkten bei Paul Mikat und Peter Häberle konstatierte er: „Die rechtliche Institutionalisierung religiöser Interessen in Europa erhält durch das Fortschreiten des Integrationsprozesses und die damit mögliche zweckgebundene Ausdehnung der Gemeinschaftskompetenzen ein dynamisches Moment. Mit der (An-)Erkenntnis ihres - auch - gesellschaftlich öffentlichen Charakters wachsen die religiösen Interessen zugleich mit der Gesellschaft über die Grenzen des Nationalstaatlichen hinaus." Er hat auch betont, daß durch Mitarbeit und Mitverantwortung der Religionsgemeinschaften an Europa der technokratisch-wirtschaftlichen Integration manche zur politischen Einigung erforderlichen geistig-kulturellen Fundamente vermittelt werden könnten55. Sieht man einmal von diesen grundsätzlichen Aspekten ab, so muß man allerdings beachten, daß es im Fall Prais nur um eine sozusagen gemeinschaftsinterne 54 Rs.130/75 (Prais/Rat), Slg. 1976, 1589, abgedr. u. a. in: DÖV 1977, 408 f. mit Anm. von Rengeling. 55 Pernice, Religionsrechtliche Aspekte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, JZ 1977, I I I (781).
Europa und das Staatskirchenrecht
Konstellation ging. Immerhin ist die Entscheidung auch in grundsätzlicher Hinsicht bedeutsam, weil sie eine wichtige Station bildet auf dem Weg der Entfaltung eines Grundrechtskanons mit Bindungswirkung für die Gemeinschaft selbst56. Ohne entwicklungsgeschichtlich fortzufahren, springe ich in die Gegenwart bzw. die jüngste Vergangenheit und beziehe mich dabei zur Beleuchtung der Situation auf zwei Zeugnisse oder Dokumente: (1) Unter dem 12. Oktober 1989 ist im Bayerischen Senat ein Antrag zur „Wahrung der Stellung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Rahmen des Europäischen Gemeinschaftsrechts" eingebracht worden. In der Begründung heißt es: „Die bisherige Praxis der Organe der Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die mangelnde Beachtung der föderalen Struktur unseres staatlichen Gemeinwesens und die rigorose Ausdehnung ihrer eigenen Aktivitäten über die ihr zugewiesenen wirtschaftlichen Regelungsbereiche hinaus, gibt zu der Besorgnis Anlaß, daß auch der spezifischen Lage der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht das erforderliche Verständnis entgegengebracht werden könnte." 57 (2) Ebenfalls im vorigen Jahr ist der von der EG-Kommission erarbeitete Entwurf für eine „Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte" bekanntgeworden58. Sie gründet sich auf die sozialpolitische Kompetenz der EWG gem. Art. 117 EWG-Vertrag und lehnt sich an bestehende Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation und an die Europäische Sozialcharta an. Dieser von einer strikt unitarisierenden Tendenz getragene Entwurf hat die beiden großen Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland auf den Plan gerufen und, was das Gewicht der Sache unterstreicht, zu einem sog. Doppelkopfbrief geführt, d. h. einem Brief, den Bischof Binder in seiner Eigenschaft als Bevollmächtigter des Rates der EKD am Sitz der Bundesrepublik und Prälat Bocklet als Leiter des Katholischen Büros gemeinsam geschrieben haben. In diesem Brief wird die Arbeit der Kommission grundsätzlich positiv bewertet und hervorgehoben, wirtschaftliche und soziale Dimension des Europäischen Binnenmarktes müßten langfristig in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden. Dann aber heißt es: „Die dazu möglicherweise notwendigen Angleichungsmaßnahmen werden jedoch da ihre Grenze haben müssen, wo eine weitere Dimension des Einigungsprozesses berührt wird: die der gewachsenen und erhaltenswerten Kulturbereiche von Regionen mit einer unterschiedlichen Ausprägung bewährter Sozial- und Kirchenstrukturen. In der Bundesrepublik Deutschland hat sich 56
Wichtig dazu Schwarze, Schutz der Grundrechte in der Europäischen Gemeinschaft, EuGRZ 1986, 293-299. 57 SenDrucks. 289/89 vom 12. 10. 1989. Auf einstimmige Beschluß-Empfehlung des Rechts- und Verfassungsausschusses sowie des Ausschusses für Kulturpolitik (Drucks. 14/90) vom 7. 2. 1990 hat das Senatsplenum am 5. 4. 1990 dem Antrag bei zwei Enthaltungen zugestimmt. 58 Vorentwurf vom 30. 5. 1989, 2. Fassung vom 2. 10. 1989.
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zwischen Staat und Kirche ein wohlgeordnetes Verhältnis mit zahlreichen Besonderheiten entwickelt, die auch im kirchlichen Dienst- und Arbeitsrecht ihren Ausdruck gefunden haben. Eine Angleichung von Rechtsvorschriften sollte sich von der Aufrechterhaltung dieser seit langem bewährten Strukturen leiten lassen."59 Es ist deutlich erkennbar, daß eine besondere Sorge dem System des Dritten Weges gilt. Mögliche Konfliktpunkte könnten sich aber auch in Bezug auf das Kirchensteuerrecht, das Gemeinnützigkeitsrecht, den Sonn- und Feiertagsschutz, die kirchliche Wohlfahrtspflege und - auf dem Weg über Fragen der Freizügigkeit das Recht kirchlicher Bildungseinrichtungen ergeben. Es versteht sich, daß eine Klärung der damit skizzierten Problematik und eine Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nur vor dem Hintergrund einer Vergewisserung über grundsätzliche Positionen gelingen kann.
VI.
Die Bindungen, welche die Bundesrepublik Deutschland durch die einschlägigen Verträge, insbesondere den Vertrag zur Gründung der EWG eingegangen ist, finden ihre verfassungsrechtliche Grundlage in dem sog. Integrationshebel des Art. 24 I GG. Danach kann der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. Soweit eine solche Übertragung stattgefunden hat, gilt das Recht der Gemeinschaft supranational, d. h. es gilt unmittelbar und mit Vorrang vor dem nationalen Recht, auch vor dem nationalen Verfassungsrecht. Prägnant heißt es bei Konrad Hesse: „Die durchgängige unmittelbare Geltung des Gemeinschaftsrechts und sein Vorrang vor dem nationalen Recht sind Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften. Diese kann nicht von der Übereinstimmung ihres Rechts mit den möglicherweise unterschiedlichen Normierungen des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten abhängig gemacht werden. Deshalb kann Gemeinschaftsrecht durch nationales Recht weder aufgehoben noch geändert werden. Im Falle einer 59 Brief vom 31. 10. 1989. Vom gleichen Tag datiert die Textfassung der Gemeinschaftscharta, die vom Europäischen Rat am 8./9. 12. 1989 angenommen worden ist. Sie stellt eine politische Willenserklärung dar, mit der die Staats- und Regierungschefs der EG-Länder bekunden, die Charta werde ihnen als Bezugspunkt dafür dienen, daß die soziale Dimension bei der Entwicklung der Gemeinschaft in Zukunft in stärkerem Maße berücksichtigt wird. Im übrigen wird die Kommission aufgefordert, ein Aktionsprogramm zur konkreten Umsetzung der Charta zu entwickeln (Art. 28). Zum Ganzen vgl. die Verlautbarung über die Tagung vom 8./9. 12. 1989, in: Bulletin. Presse- u. Informationsamt der Bundesregierung, Nr. 147 vom 19. 12. 1989, S. 1243. Gegenüber dem Entwurf vom 2. 10. 1989 ist der endgültige Text an zwei entscheidenden Stellen (Nr. 9 und 13) so verändert worden, daß damit den Bedenken der Kirchen Rechnung getragen sein dürfte. So enthält die Gewährleistung des Streikrechts ausdrücklich den Vorbehalt zugunsten „der Verpflichtungen aufgrund der einzelstaatlichen Regelungen".
Europa und das Staatskirchenrecht
Kollision geht es dem nationalen Recht vor. Diese Unabhängigkeit des Gemeinschaftsrechts besteht auch gegenüber den nationalen Verfassungen. Es braucht mit deren Inhalt nicht übereinzustimmen und kann an deren Maßstäben nicht gemessen werden." 60 Dabei spielt nicht zuletzt eine Rolle, daß es „länderblind" ist, d. h. daß es in der Regel auf die bundesstaatliche Struktur der Bundesrepublik Deutschland keine Rücksicht nimmt 61 . Aber gilt das ohne jeden Vorbehalt? Läßt man sich mit dem Gemeinschaftsrecht sozusagen auf ein „Spiel ohne Grenzen" ein? Zur Klärung dieser Frage gibt es zwei Ansatzpunkte: Erstens die Interpretation der Verträge selbst im Hinblick auf ihre Reichweite, zweitens die Bestimmung der Reichweite der Integration aus der Sicht des nationalen Verfassungsrechts, hier unter besonderer Berücksichtigung der Frage der Gewährung von Rechtsschutz. 1. Gegenüber der politischen Dynamik des Integrationsprozesses, die unzweifelhaft eine usurpatorisch-holistische Tendenz aufweist, wird man ebenso nüchtern wie schlicht unter Berufung auf Wortlaut und Sinnzusammenhang der Vertragsnormen daran erinnern müssen, daß die staatlichen Partner sich zur Gründung einer europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zusammengefunden haben. Die Ziele, die in Art. 2 des EWG-Vertrages umschrieben sind (harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens in der Gemeinschaft, beständige und ausgewogene Wirtschaftsausweitung, größere Stabilität, beschleunigte Hebung der Lebenshaltung, engere Beziehungen zwischen den Staaten), sollen erreicht werden „durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten". Daraus wiederum lassen sich im Blick auf Art. 3 ganz konkrete Tätigkeiten und Aufgaben namhaft machen, die den Begriff „Wirtschaft" bzw. „Wirtschaftsgemeinschaft" näher konkretisieren und dabei zeigen, daß diese Begriffe allerdings nicht eng verstanden werden können. In einer schematisierenden Auflistung ergibt sich folgender Katalog 62 : Zollunion und Abschaffung der mengenmäßigen Beschränkungen, freier Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, gemeinsame Außenhandels-, Landwirtschafts- und Verkehrspolitik, Schutz vor Wettbewerbsverfälschungen, Koordinierung der Wirtschaftspolitik, Sicherung des Zahlungsbilanzgleichgewichts, marktbezügliche Rechtsangleichung, Schaffung eines europäischen Sozialfonds, Errichtung einer europäischen Investitionsbank, schließlich Assoziierung der außereuropäischen Länder und Hoheitsgebiete. Deutlich ist insbesondere, daß der Bereich der Sozialpolitik mit erfaßt wird. 60 Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg 1988 16 , S. 40 f. (Rdnr. 107) m. w. N. 61 Vgl. dazu jüngst Kewenig, Die Europäischen Gemeinschaften und die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, JZ 1990,458-466. 62 Vgl. zum Folgenden die übersichtliche Darstellung bei Schweitzer/Hummer, a. a. O. (Anm. 47), S. 253 ff. (§ 10).
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Die jüngste Entwicklung hat zu einer ausdrücklichen Einbeziehung auch der Regionalpolitik, der Forschungs-, Wissenschafts- und Technologiepolitik sowie der Umweltpolitik geführt. Man kann darüber hinaus von weiteren „begleitenden Politiken" sprechen, die in enger Berührung mit den Primär-Politiken stehen. Auch hier ergibt sich eine ganze Liste: Industrie- und Unternehmenspolitik, Energiepolitik, Entwicklungspolitik, Verbraucherpolitik, schließlich auch Bildungs- und Kulturpolitik. Vor hier aus läßt sich m. E. abgrenzend aber schon eindeutig feststellen: Weder die Bildungspolitik noch die Kulturpolitik als solche gehören in den primären Kompetenzbereich der EG 6 3 . Es kann allenfalls so etwas wie eine Annex-Kompetenz oder Kompetenz kraft Sachzusammenhangs geben, soweit bestimmte Maßnahmen im Rahmen der Wirtschafts- und Sozialpolitik Konsequenzen für den Bildungs- und Kulturbereich haben. Und um nun den I-Punkt zu setzen: Die EG hat keine Kompetenz für den Bereich der Religions- bzw. Kirchenpolitik, genauerhin für das Staatskirchenrecht. Sie hat nicht die Aufgabe, wenn man einmal so formulieren darf, einen gemeinsamen Religions- oder Kirchenmarkt herzustellen oder eine religiös-kirchliche Union mit einheitlichen staatskirchenrechtlichen Strukturen ins Werk zu setzen. Diese Positionsbestimmung macht es möglich, die Generalklausel des Art. 235 EWG-Vertrag richtig einzuordnen. Der hiernach mögliche Erlaß von Vorschriften für unvorhergesehene Fälle, wozu der Rat ermächtigt wird, ist nur zulässig, wenn ein Tätigwerden der Gemeinschaft „erforderlich" erscheint, „um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen". Art. 235 ist also keine Kompetenz-Generalklausel, gibt keine Kompetenz-Kompetenz. An diesem grundsätzlichen Befund ändert sich auch nichts durch das Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte vom 28. Februar 198664. Durch diesen das Primärrecht fortschreibenden Vertrag soll zwar die Umwandlung der EG in eine politische Union vorangetrieben werden. Soweit nicht die bestehenden Verträge ausdrücklich geändert worden sind, ergibt sich aber noch keine grundsätzliche Änderung im Kompetenzgefüge. Das Unionsziel verleiht keine Total-Kompetenz. Nicht zuletzt muß man sich auch dessen bewußt sein, daß die angestrebte politische Union institutionell nur als föderatives Gebilde organisiert werden kann, als ein Gebilde mithin, in dem Kompetenzen verteilt und damit aber auch begrenzt sind. Man wird freilich in Rechnung stellen müssen, daß insbesondere durch die in der Regel sehr integrationsfreundliche Judikatur des Europäischen Gerichtshofs die allgemeine Dynamik oder doch jedenfalls Zielgerichtetheit der Entwicklung 63
Mit Nachdruck ist in diesem Zusammenhang an zwei grundsätzliche Studien zu erinnern: Kaiser, Grenzen der EG- Zuständigkeit, in: EuR 15 (1980) S. 97-118; H P. Ipsen, Der „Kulturbereich" im Zugriff der Europäischen Gemeinschaft, in: GedS Geck, BadenBaden 1989, S. 339-354. 64 Zur Einordnung dieses Dokuments in die Gesamtentwicklung vgl. Schweitzer/Hummer, a. a. O., S. 40 f.
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umgesetzt wird in eine, wie Hans-Ulrich Gallwas jüngst formuliert hat, „Dynamisierung der bestehenden vertraglichen Befugnisse bis hin zum Einsatz des Art. 235 EWGV" 6 5 . 2. Die Grundsatz-Problematik ist jetzt in der Perspektive des Verhältnisses zwischen nationalem Recht und Europarecht aufzugreifen. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen nationalem Recht und Europarecht hat durch den Abschluß der Einheitlichen Europäischen Akte, die am 1. Juli 1987 in Kraft getreten ist und die Einrichtung eines europäischen Binnenmarktes bis zum 31. Dezember 1992 vorsieht, neue Bedeutung erlangt. Der Binnenmarkt umfaßt gem. Art. 8a des EWG-Vertrages einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages gewährleistet ist. Um einen einheitlichen Binnenmarkt einzurichten, müssen die Organe der Europäischen Gemeinschaft weitere Maßnahmen zur Rechtsvereinheitlichung treffen. Insoweit kann es vermehrt zu Konflikten zwischen nationalem Recht und Europarecht kommen. Nationale Rechtsordnungen und Gemeinschaftsrecht stehen einander als zwei selbständige Rechtsordnungen gegenüber. Regeln beide den gleichen Sachbereich, muß geklärt werden, welche Regelung verbindlich ist. Das bestimmt sich aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland nach nationalem Recht, insbesondere nach den Vorschriften des Grundgesetzes. Demgemäß ist für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht aus deutscher Sicht auf die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG abzustellen. Diese Rechtsprechung hat sich seit 1967 in mehreren Schritten entwickelt, die im folgenden kurz dargestellt werden sollen. Am Anfang der Rechtsprechung des BVerfG steht der Beschluß des Ersten Senats vom 18. Oktober 196766. In diesem Beschluß wurde festgestellt, daß Verordnungen des Rates und der Kommission der EWG keine Akte der deutschen öffentlichen Gewalt sind, so daß Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen diese Verordnungen oder gegen andere von Gemeinschaftsorganen im Rahmen ihrer Zuständigkeit erlassenen Hoheitsakte unzulässig sind. Der Senat wies aber ausdrücklich darauf hin, daß damit noch nicht entschieden sei, ob und in welchem Umfang das BVerfG im Rahmen eines zulässigerweise bei ihm anhängig gemachten Verfahrens Gemeinschaftsrecht an den Grundrechtsnormen des Grundgesetzes messen könne. Das hänge davon ab, ob und in welchem Sinne von einer Bindung der Organe der EWG an die Grundrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland gesprochen werden könne bzw. ob und in welchem Maße die Bundesrepublik Deutschland bei der Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 I GG die Gemeinschaftsorgane von solcher Bindung habe freistellen können. 65 Bildungsföderalismus in der Europäischen Gemeinschaft unter rechtlichen Aspekten, in: Verantwortung und Leistung, Heft 21, Mai 1990, S. 8 Anm. 33. 66 BVerfGE 22, 293. 24 Hollerbach
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Diese Fragen beantwortete der Zweite Senat mit seinem Beschluß vom 29. Mai 197467. Bereits 1971 hatte dieser entschieden, Art. 241GG besage bei sachgerechter Auslegung nicht nur, daß die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen überhaupt zulässig sei, sondern auch, daß die Hoheitsakte ihrer Organe vom ursprünglich ausschließlichen Hoheitsträger anzuerkennen seien. Dementsprechend entfalte das Gemeinschaftsrecht im innerstaatlichen Raum unmittelbare Wirkung, es überlagere und verdränge entgegenstehendes nationales Recht 68 . Diese Ausführungen hatten darauf hingedeutet, daß das BVerfG den insbesondere vom Europäischen Gerichtshof postulierten Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht anerkenne. Im Solange I-Beschluß von 1974 entschied der Zweite Senat jedoch, im Falle eines Konfliktes zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht genüge es nicht, einfach vom „Vorrang" des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht zu sprechen, um das Ergebnis zu rechtfertigen, daß sich Gemeinschaftsrecht stets gegen das nationale Verfassungsrecht durchsetzen müsse, weil andernfalls die Gemeinschaft in Frage gestellt werde. Art. 24 GG eröffne nicht den Weg, die Grundstruktur der Verfassung, auf der ihre Identität beruhe, ohne Verfassungsänderung, nämlich durch die Gesetzgebung der zwischenstaatlichen Einrichtung zu ändern: „Ein unaufgebbares, zur Verfassungsstruktur des Grundgesetzes gehörendes Essentiale der geltenden Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ist der Grundrechtsteil des Grundgesetzes. Ihn zu relativieren, gestattet Art. 24 GG nicht vorbehaltlos." 69 Den Vorbehalt umschrieb der Senat unter Bezug auf den seinerzeitigen Stand der Integration der Gemeinschaft. Sie entbehre noch eines unmittelbar demokratisch legitimierten, aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Parlaments, das Gesetzgebungsbefugnisse besitze und dem die zur Gesetzgebung zuständigen Gemeinschaftsorgane politisch voll verantwortlich seien; sie entbehre insbesondere noch eines kodifizierten Grundrechtskatalogs, dessen Inhalt ebenso zuverlässig und für die Zukunft unzweideutig feststeht wie der des Grundgesetzes und deshalb einen Vergleich und eine Entscheidung gestattet, ob derzeit der in der Gemeinschaft allgemein verbindliche Grundrechtsstandard des Gemeinschaftsrechts auf die Dauer dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes, unbeschadet möglicher Modifikationen, derart adäquat sei, daß die von Art. 24 GG gezogene Grenze nicht überschritten werde. Solange der Integrationsprozeß der Gemeinschaft nicht so weit fortgeschritten sei, daß das Gemeinschaftsrecht auch einen von einem Parlament beschlossenen und in Geltung stehenden formulierten Katalog von Grundrechten enthalte, der dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes adäquat sei, gingen im Fall einer Kollision die nationalen Grundrechtsgarantien dem Gemeinschaftsrecht vor 7 0 67 68 69 70
BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
37, 271 - „Solange I". 31, 145 (174). 37, 271 (280). 37, 271 (280 f.).
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Dieser Beschluß erging mit 5:3 Stimmen. Die drei Richter Dr. Rupp, Hirsch und Wand vertraten in einem Sondervotum die Auffassung, Rechtsvorschriften, die von Organen der Europäischen Gemeinschaften auf Grund der ihnen übertragenen Kompetenzen erlassen worden seien (sekundäres Gemeinschaftsrecht), könnten nicht auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechtsnormen des Grundgesetzes überprüft werden. Der Beschluß war aber nicht nur innerhalb des Senats umstritten, sondern stieß auch in der Literatur auf deutliche Kritik 7 1 . Dabei wurde insbesondere darauf abgehoben, durch die Entscheidung des BVerfG werde die Rechtseinheit in der Gemeinschaft gefährdet. Nicht zuletzt wohl in Reaktion auf die kritischen Stimmen im In- und Ausland ließ der Zweite Senat 1979 und 1981 erkennen, daß er möglicherweise zu einer Modifizierung seiner Rechtsprechung bereit sein könnte 72 . Man sprach von einem „Vielleicht"-Beschluß. Die damit als möglich angedeutete Wende in der Rechtsprechung des Zweiten Senats des BVerfG wurde durch den Beschluß vom 22. Oktober 1986 vollzogen, „Solange II"- oder auch „Mittlerweile"-Beschluß 73. In dieser Entscheidung vertritt der Senat die Auffassung, daß mittlerweile im Hoheitsbereich der Europäischen Gemeinschaften ein Maß an Grundrechtsschutz erwachsen ist, das nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes im wesentlichen gleichzuachten ist. Angesichts dieser Entwicklung des Grundrechtsschutzes hat der Senat folgende Feststellung getroffen: „Solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gemeinschaften, einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleichzuachten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt, wird das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, nicht mehr ausüben und dieses Recht mithin nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen; entsprechende Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG sind somit unzulässig."74 Gleichzeitig qualifiziert der Zweite Senat den Europäischen Gerichtshof als gesetzlichen Richter i. S. d. Art. 1011S. 2 GG 7 5 . Ein halbes Jahr später hat der gleiche Senat diese Qualifizierung noch einmal ausdrücklich bestätigt76. Damit ist faktisch der Vorrang des Gemeinschaftsrechts auch vor den Grundrechten des Grundgesetzes durchgesetzt. Zwar hat sich das BVerfG nicht prinzi71 72 73 74 75 76 2*
Übersicht bei Hilf, Solange II: wie lange noch Solange?, EuGRZ 1987, 1 ff. BVerfGE 52,187 (200 f.); 58, 1 (40 f.). BVerfGE 73, 339. BVerfGE 73, 339 (387). BVerfGE 73, 339 (366). BVerfGE 75, 223 (233 f.).
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piell zu der materiellen Rechtsfrage des Verhältnisses zwischen nationalem und Europarecht geäußert, es hat aber den Vorrang des Gemeinschaftsrechts durch den Verzicht auf die Ausübung seiner Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte oder Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, bewirkt. Dadurch wird den Inhabern von im Grundgesetz gewährleisteten Grundrechten die Möglichkeit genommen, sich gegenüber der Anwendung von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht auf diese Grundrechte zu berufen. Sie sind nunmehr allein darauf verwiesen, Grundrechtsschutz auf gemeinschaftsrechtlicher Grundlage vor dem Europäischen Gerichtshof zu suchen, soweit ihnen das Gemeinschaftsrecht dazu prozessuale Möglichkeiten einräumt. Gem. Art. 173 EWG-Vertrag bestehen solche Möglichkeiten durchaus, im Falle unmittelbarer und individueller Betroffenheit auch für juristische Personen, und dies ohne Differenzierung nach juristischen Personen des privaten oder des öffentlichen Rechts77. Allerdings gibt das BVerfG seine Kompetenz nicht völlig aus der Hand. Es behält sie sich vor für den Fall, daß der Europäische Gerichtshof nicht einen Grundrechtsschutz gewährt, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleichzuachten ist: „Der Wesensgehalt der Grundrechte und zumal der Menschenrechte ... ist unabdingbar und muß auch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft Bestand haben."78 Das ist aber nur ein allerletzter Anker oder Notnagel. Unwesentliche Abweichungen genügen nicht, es müßte um das innerste Wesen, den unabdingbaren Kerngehalt gehen. Die sehr restriktive Formulierung läßt vermuten, daß das BVerfG wohl nur unter extremen Umständen wieder dazu übergehen würde, seine Rechtsprechung auch bezüglich des Grundrechtsschutzes gegenüber Hoheitsakten deutscher Stellen auf der Grundlage abgeleiteten Gemeinschaftsrechtes auszuüben. Dazu dürften kaum einzelne Hoheitsakte genügen, die dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz nicht mehr entsprechen. Vielmehr käme ein Eingreifen des BVerfG nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung wohl nur bei einer generellen, deutlich wahrnehmbaren Absenkung des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsstandards in Betracht, der sich aus der EMRK und der Spruchpraxis der Straßburger Menschenrechts-Instanzen ergibt, obwohl die Gemeinschaft als solche nicht Mitglied der EMRK ist 7 8 a . Was bedeutet das alles für den Bereich des Staatskirchenrechts? a) Die EG-Kompetenz ist begrenzt, sie kann sich nur innerhalb von ultraviresGrenzen entfalten. Das Staatskirchenrecht liegt grundsätzlich jenseits dieser Gren77
Vgl. dazu Schweitzer/Hummer, a. a. O. (Anm. 47), S. 148. « BVerfGE 73, 339 (386). 78a Vgl. jetzt aber die Erklärung des Europäischen Parlaments über Grundrechte und Grundfreiheiten vom 12.4.1989, abgedr. in: EuGRZ 1989,204 ff., und dazu Beutter, ebd., S. 185 ff. 7
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zen. Es gehört unstreitig zu den Befugnissen des Europäischen Gerichtshofs, im Konfliktsfall selbst über die Einhaltung dieser Grenzen zu wachen. Da aber eine Kompetenzüberschreitung auch Art. 24 GG tangiert - sie wäre durch diese Vorschrift nicht mehr gedeckt - , kann sich auch das B VerfG nicht der Aufgabe entziehen, über die Einhaltung der deutschen Verfassungsordnung zu wachen. Es ist „Hüter der Verfassung" auch und gerade dort, wo es um das Verhältnis von nationalem und supranationalem Recht geht. Insoweit muß das „judicium finium regundorum" beim zuständigen staatlichen Gericht bleiben. Das schließt dann natürlich nicht aus, daß u. U. ein Konflikt entsteht zwischen dem Europäischen Gerichtshof und dem BVerfG. Ein juristisches Instrumentarium für die Lösung eines so möglicherweise auf der Ebene der Judikatur auftretenden Konflikts steht nicht zur Verfügung. Es käme nur eine politische Lösung in Betracht. b) Wie aber, wenn nicht eine unmittelbare Inanspruchnahme einer staatskirchenrechtlichen Kompetenz in Rede steht, sondern wenn es nur um mittelbare Auswirkungen einer im Prinzip unbestrittenen gemeinschaftsrechtlichen Kompetenz geht? Hier könnte es in Anwendung des Solange II-Beschlusses dazu kommen, daß das BVerfG seine Gerichtsbarkeit zugunsten derjenigen des Europäischen Gerichtshofs nicht ausübt. Dieser müßte dann aber, wenn vor ihm Rechtsschutz gesucht wird, mit folgenden Thesen konfrontiert werden: (1) Durch die Berufung auf das Grundrecht der Religionsfreiheit darf das institutionelle Gefüge des Staatskirchenrechts nicht aufgebrochen werden. Das ist auch in der Menschenrechtsjudikatur der Straßburger Instanzen eindeutig anerkannt 79 . (2) Ebenfalls auf der Linie der Straßburger Menschenrechtsjudikatur liegt es, das Grundrecht der Religionsfreiheit so zu verstehen, daß es prinzipiell auch die Gewährleistung der Selbstordnung und Selbstverwaltung der Religionsgemeinschaften innerhalb der Schranken, die sich aus dem ordre public ergeben, umschließt. In dieser Perspektive ist im Verhältnis zu Art. 9 EMRK Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III WRV keineswegs ein aliud; die dort normierte Garantie bezeichnet vielmehr lediglich eine spezifische Komponente des Grundrechtsschutzes. Sie dient der Freiheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften und soll sie schützen und stärken 80. Insofern müßte es gelingen, dasjenige, was sich in der Rechtsprechung des BVerfG als Entfaltung des grundrechtlichen Sachgehalts des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts darstellt, in die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs gewissermaßen hineinzutragen. Dabei ist vornehmlich an das Dienstund Arbeitsrecht zu denken. (3) Wie aber dort, wo es nicht um Grundrechte, sondern um sonstige Gewährleistungen wie sog. institutionelle Garantien und dergleichen geht 81 ? 79
Vgl. dazu oben im Text bei Anm. 38. Zu den Grundsatzfragen vgl. Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStR, Bd. VI, Heidelberg 1989, S. 534-538 und 549. 80
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Zu denken wäre an das kirchliche Besteuerungsrecht, den Religionsunterricht, die Einrichtung Theologischer Fakultäten, den Sonn- und Feiertagsschutz und nicht zuletzt die Garantie der Existenz und Wirksamkeit freier Wohlfahrtspflege. Kann das BVerfG den Schutz dieser verfassungsrechtlich fundierten Garantien aus der Hand geben? Die Antwort muß meines Erachtens „nein" lauten. Denn jedenfalls dann, wenn diese Gewährleistungen nicht nur in Randzonen berührt werden, stellt sich die Frage der Grenzen der Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsgewalt gem. Art. 241 GG. Der Bundesgesetzgeber hat in den genannten Beispielsfällen die verfassungsrechtlichen Garantien nicht zur Disposition der EG als Wirtschafts- und Sozialgemeinschaft gestellt. Die Frage spitzt sich im Falle der Gewährleistung freier (damit auch kirchlicher) Wohlfahrtspflege zu. Hier geht es nämlich, insofern damit der Monopolisierung der Wohlfahrtspflege beim Staat eine Absage erteilt und ein System der Kooperation des Staates mit freien Trägern verfassungsrechtlich legitimiert wird, um ein - mit den Worten des BVerfG gesprochen82 - zum „Grundgefüge" der geltenden Verfassung als freiheitlicher sozialer Rechtsstaat gehörendes „Essentiale", um eine wesentliche Struktur des Grundgesetzes - von der Verklammerung mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit einmal ganz abgesehen. In bezug auf die genannten Gewährleistungen kann also das BVerfG nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden. Jedenfalls wäre es nicht statthaft, ein entsprechendes Rechtsschutzbegehren von vornherein als unzulässig abzuweisen. (4) In der deutschen Rechtsordnung sind die maßgebenden Elemente der staatskirchenrechtlichen Ordnung nicht nur Gegenstand von Normen der Verfassung, sondern auch Gegenstand von vertraglichen Abreden 83. Im Fall der Konkordate kommt dem Vertragsrecht völkerrechtliche Qualität zu; aber auch die evangelischen Kirchenverträge besitzen in der deutschen Verfassungsordnung eine prinzipiell gleichwertige Geltungskraft. Damit ist die Frage aufgeworfen, wie es zu beurteilen ist, wenn eine Maßnahme des Gemeinschaftsrechts mit einer vertragsrechtlichen Garantie kollidiert. 81 Zur allgemeinen Problematik in diesem Zusammenhang wertvoll Herdegen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und die Bindung deutscher Verfassungsorgane an das Grundgesetz. Bemerkungen zu neueren Entwicklungen nach dem „Solange II"-Beschluß, EuGRZ 1989, 309-314. Der Autor stellt klar heraus, daß sich die Rechtsprechung des BVerfG nur auf die Einwirkungen in die Grundrechtsgarantien bezieht, nicht aber auf Eingriffe in das nationale Staatsorganisationsrecht. Es sind aber, wie ich zu zeigen versuche, noch weitere Differenzierungen geboten, da mit dem Raster Grundrechte-Staatsorganisation keineswegs alles Relevante erfaßt wird. In dieser kritisch-differenzierenden Tendenz sehe ich mich auch durch zwei neuere Arbeiten von großem Gewicht bestärkt: Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Baden-Baden1989, und Friauf/Scholz, Europarecht und Grundgesetz, Berlin 1990, deren Erwägungen und Ergebnisse hier im einzelnen freilich nicht verarbeitet werden konnten. 8
2 BVerfGE 73, 339 (375 f.). Zur Sache selbst darf an BVerfGE 22, 180 erinnert werden.
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Dazu und zum Folgenden Hollerbach, Grundlagen (Anm. 80), S. 497 ff., bes. S. 508-510.
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Die Antwort darauf gibt Art. 234 des EWG-Vertrages 84. Danach werden die Rechte und Pflichten aus Übereinkünften, die vor Inkrafttreten dieses Vertrags zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten einerseits und einem oder mehreren dritten Ländern (sprich: Völkerrechtssubjekten) andererseits geschlossen wurden, durch diesen Vertrag nicht berührt. Das bestehende Vertragsrecht bleibt also in Geltung und geht im Konfliktfall vor. Nach der Rechtsprechung des EuGH gilt Art. 234 unabhängig von dem in ihnen geregelten Gegenstand für alle internationalen Übereinkünfte, die sich auf die Anwendung des EWGV auswirken können. Demgemäß gilt der Anwendungsvorrang mit Sicherheit für das Konkordatsrecht; die zumindest analoge Anwendung auf evangelische Kirchenverträge ist aber wegen der Gleichheit der Interessenlage und wegen der gemeinsamen Fundamente in der vom säkularen Staat zu gewährleistenden Kirchenfreiheit geboten. Damit ist auch klargestellt, daß das Gemeinschaftsrecht nicht die Kraft hat, vertraglich abgesichertes Recht zu beseitigen. Wenn schon das Primär-Recht das nicht vermag, dann erst recht nicht das Sekundär-Recht! Allerdings verpflichtet Art. 234 den betreffenden Mitgliedstaat gemeinschaftsrechtlich zur Behebung von Vertragskollisionen. Das kann aber nur bedeuten, daß er mit seinem Vertragspartner in Verhandlungen über eine eventuelle Änderung oder Anpassung des (Dritt-)Vertrages eintritt. Er ist jedenfalls nicht zum Vertragsbruch verpflichtet. In allen Fällen also, in denen ein staatskirchenrechtliches Rechtsinstitut auch staatskirchenvertraglich verbürgt ist - und das ist praktisch in jeder Materie so - , müßte es der EuGH zulassen, daß die Einrede aus Art. 234 erhoben und daß damit der Mitgliedstaat nicht daran gehindert wird, seiner vertraglichen Verpflichtung nachzukommen. Hier eröffnet sich ein Weg zur Verteidigung und Sicherung der geltenden Ordnung, der bisher noch nicht genügend beachtet worden zu sein scheint. c) Im Rahmen des „Allgemeinen Teils" gilt es zuletzt, ein allgemeines Prinzip ins Bewußtsein zu heben, das auch und gerade für den Bereich des Staatskirchenrechts Bedeutung hat, insofern hier weitgehende Länderkompetenzen berührt sind. Gemeint ist das Prinzip der „Gemeinschaftstreue", für den Bundesstaat geläufig unter dem Namen der „Bundestreue" 85. Jedes Staatenverbundsystem steht unter dem Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme der Beteiligten 86 . Es funktioniert weniger durch exklusiv trennende Kompetenzabschichtungen als durch gegenseitige Abstimmung bei der Kompetenzausübung. Die Konfliktlösung ist im Wege des schonendsten Ausgleichs der gegen84 Vgl. dazu die wertvolle Kommentierung durch Vedder, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, Loseblattsammlung, Stand: Mai 1986, München 1986, bes. Rdnrn. 5 und 14. 85 Im EWG-Vertrag bildet den normativen Ansatzpunkt dafür Art. 5; vgl. Schweitzer / Hummer, a. a. O. (Anm. 47), S. 131. 86 Das Nachfolgende in enger Anlehnung an die trefflichen Ausführungen von Gallwas, a. a. O. (Anm. 65), bes. S. 9 f.
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seitigen Interessen zu suchen. Das bedeutet für das Verhältnis der EG zur Bundesrepublik Deutschland: Die Gemeinschaft ist zur Rücksicht auf den Bundesstaat Bundesrepublik, die Bundesrepublik andererseits zur Rücksichtnahme sowohl auf die Länder als auch auf die Europäische Gemeinschaft verpflichtet, die Länder schließlich zur Rücksicht auf Bund und Europäische Gemeinschaft. Man kann noch einen Schritt weitergehen und dieses Prinzip gegenseitiger Rücksichtnahme in drei Teilprinzipien konkretisieren: Erstens es besteht im Falle der Interessenberührung eine Pflicht zu rechtzeitiger und umfassender Information, zweitens die Beteiligten sind verpflichtet, einen Interessen- bzw. Kompetenzkonflikt gütlich beizulegen, drittens es besteht die Pflicht, bei der Ausübung eigener Kompetenzen mit den dadurch in Mitleidenschaft gezogenen Kompetenzen des anderen so schonend wie irgend möglich umzugehen. „Praktische Konkordanz" ist mithin das Ziel. Unter dieser grundsätzlichen Perspektive kommt dem Zustimmungsgesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte 87 , das in differenzierter Weise Informations-, Berücksichtigungs- und Begründungspflichten des Bundes gegenüber den Ländern statuiert, erhebliche Bedeutung zu. Zwar haben die Kirchen selbst mit ihren Instrumenten und Institutionen für die Wahrung ihrer Positionen und Interessen zu sorgen. Aber im Prozeß der Staatswillensbildung sind in Anbetracht der Kompetenzverteilung weitgehend die Länder sozusagen die Treuhänder der Kirchen. Sie haben die damit verbundenen Verpflichtungen im Rahmen des Bundesrates wahrzunehmen, der sich bekanntlich für die Behandlung von Europaangelegenheiten neue Regeln gegeben hat 88 . Relevant wird in diesem Zusammenhang aber auch die unmittelbare Präsenz der Länder in Brüssel 89. Mittlerweile haben alle elf Bundesländer dort Informationsbüros eingerichtet. Diese haben die Aufgabe eines „Frühwarnsystems". Die Büros sollen die jeweilige Landesregierung in die Lage versetzen, auf Grund frühzeitig erlangter Informationen schnell auf EG-Initiativen zu reagieren und, naturgemäß in Abstimmung mit der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik, direkten Kontakt mit den zuständigen Behörden und Amtsträgern der EG aufzunehmen. Für die Kirchen dürfte es nicht unwichtig sein, sich der Existenz dieser Länder-Informationsbüros bewußt zu werden. Dabei besteht zweifellos eine Verpflichtung dieser 87 G vom 19. 12. 1986, BGBl. I I S. 1102. Auf dieser Grundlage haben die Bundesregierung und die Regierungen der Länder eine - merkwürdigerweise nicht exakt datierte - „Vereinbarung" getroffen: GMB1. 1989, S. 698 f. Die Partner bekennen sich in der Präambel ausdrücklich „zur Europäischen Einigung auf der Grundlage der Verträge über die Gründung der Europäischen Gemeinschaften einschließlich deren Folgerecht sowie zu den sich daraus ergebenden Informations- und Handlungspflichten in wechselseitigem Treueverhältnis"(!). 88 S. dazu jetzt Abschn. IVa der Geschäftsordnung des Bundesrates i. d. F. der Bkm. vom 10. 6. 1988, BGBl. IS. 857. 89 Gute Informationen darüber bei Graf Vitzthum, Baden-Württemberg im bundesstaatlichen und internationalen Bezugsfeld, in: Maurer /Hendler (Hrsg.), Baden-Württembergisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt am Main 1990, S. 612 f.
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Büros zur Kommunikation und Kooperation mit den entsprechenden Vertretungen der Kirchen. Doch gilt das natürlich auch in umgekehrter Richtung.
VII. Nach diesem Versuch, zu den Grundsatzfragen in einer Art „Allgemeiner Teil" Stellung zu nehmen, geht es im folgenden um skizzenhafte Ansätze zu einem „Besonderen Teil". 1. Im Bereich des Ämter-, Dienst- und Arbeitsrechts stellt sich die Frage, ob und inwieweit das Prinzip der Freizügigkeit gem. Art. 48 EWGV auch gegenüber den Kirchen und Religionsgemeinschaften gilt, diesen also jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung verwehrt ist 90 . Von vornherein ist klar, daß sich Art. 48 schon von seinem „Normprogramm" her, nämlich im Hinblick auf die Schaffung des Gemeinsamen Marktes, nicht auf geistliche Amtsträger bezieht, also auf diejenigen, die durch Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung den spezifisch geistlichen Auftrag der Kirchen vollziehen, unabhängig davon, wie das Amts- bzw. Dienstverhältnis rechtlich konkret ausgestaltet ist. Ämterfreiheit ist eine notwendige Komponente des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, die ihrerseits in der Religionsfreiheit wurzelt. Diesen Bereich ordnen und verwalten die Kirchen aus eigenem Recht 91 . Einschränkungen der Personalhoheit und der Freiheit, über die Voraussetzungen für die Erlangung eines geistlichen Amtes zu befinden, sind nur im Wege der vertraglichen Verständigung möglich. Ausfluß davon sind die konkordatären und kirchenvertraglichen Regelungen über die Staatsangehörigkeit und die Ausbildungserfordernisse der Amtsträger 92. Im übrigen zeigt sich gerade an diesen Regelungen, daß die Kirchen immer schon Wert darauf gelegt haben, sich nicht strikt an das Staatsangehörigkeitsprinzip zu binden. Wenn von diesem Erfordernis abgesehen werden soll, bedarf es allerdings der konkreten Verständigung. Hier kann man sich eine Fortentwicklung des Vertragsrechts vorstellen, aber nur so, daß die Kirchen in ihrem Eigenrecht anerkannt bleiben und weder aus mitgliedstaatlichem Recht noch aus europäischem Gemeinschaftsrecht gezwungen werden, sich den Regeln der Arbeitnehmer-Freizügigkeit zu unterwerfen. 90
Soweit ersichtlich, hat im Schrifttum als erster Albert Bleckmann die damit zusammenhängenden Fragen aufgegriffen und erörtert: Das Europäische Parlament nach der Direktwahl, in: Listl/Schlick, Wahlen zum Europäischen Parlament. Stellungnahmen der Kirchen und der Christen, Deutsch-französische Kolloquien Kirche - Staat - Gesellschaft (Straßburger Kolloquien), Bd. 2, Kehl / Straßburg 1982, S. 21-24 („Die Anwendung des Europarechts auf die Kirchen"). 91
Vgl. dazu im einzelnen Hollerbach, Der verfassungsrechtliche Schutz kirchlicher Organisation, in: HdbStR, Bd. VI, Heidelberg 1989, S. 567 ff. 92 Vgl. Art. 14 Reichskonkordat und - exemplarisch für die evangelischen Kirchen Verträge - Art. 8 und 9 Niedersächsischer Ev. Kirchen vertrag.
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Was das sonstige Personal der Kirchen und Religionsgemeinschaften (Kirchenbeamte, Angestellte und Arbeiter im kirchlichen Dienst) anlangt, mithin das Dienst- und Arbeitsrecht, so fragt sich, ob insoweit die Ausnahmebestimmung des Art. 48 IV EWGV eingreift. Danach findet das Prinzip der Freizügigkeit keine Anwendung auf die Beschäftigung in der „öffentlichen Verwaltung" 93. Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, daß die Bestimmung darüber, was zur öffentlichen Verwaltung in diesem Sinne zählt, gemeinschaftsrechtlich und nicht nach dem nationalen Recht zu erfolgen hat. Schon deshalb reicht die für die deutsche Rechtsordnung maßgebende Qualifizierung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht aus, um die Kirchen mit ihrem „Apparat" der öffentlichen Verwaltung i. S. v. Art. 48 IV EWGV zuzuordnen. Aber auch aus der Sicht des deutschen Rechts liegt ja klar zutage, daß die kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts weder in den Staat organisch eingegliedert noch einer besonderen staatlichen Kirchenhoheit unterworfen sind, daß dieser Status vielmehr gerade die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirchen vom Staat und ihre originäre Kirchengewalt bekräftigen soll, wie die bekannte Grundsatzformulierung des BVerfG lautet 94 . Nur dort üben die Kirchen öffentliche Verwaltung i. S. v. Art. 48 IV EWGV aus, wo sie, wie im Falle des Besteuerungsrechts, ein ihnen verliehenes Hoheitsrecht wahrnehmen 95. Hier, aber auch nur hier kommt die vom EWG-Vertrag selbst vorgesehene Exemtion zum Zuge. Das entspricht im übrigen der vom EuGH favorisierten funktionellrechtlichen Betrachtungsweise. Das bedeutet aber nicht, daß das kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht im übrigen voll dem Zugriff des Gemeinschaftsrechts unterworfen wäre. Zum einen könnte nicht von Gemeinschaftsrechts wegen die Befugnis der Kirchen, Beamtenverhältnisse zu begründen, aus den Angeln gehoben werden. Diese Befugnis beruht auf dem nationalen Staatskirchenrecht und stellt einen Ausfluß der Körperschaftsstellung dar. Wie oben dargelegt 96, muß das Gemeinschaftsrecht die spezifisch staatskirchenrechtliche Ordnung respektieren, sofern nicht das Grundrecht der Religionsfreiheit beeinträchtigt ist. Zum anderen folgt gerade aus der auch der EG aufgegebenen Respektierung der Religionsfreiheit qua Kirchenfreiheit, daß jedenfalls in seiner Substanz dasjenige gewährleistet sein muß, was in der deutschen Rechtsordnung mit dem Begriff „Selbstbestimmungsrecht" gekennzeichnet zu werden pflegt. Dann aber kann man unmittelbar zur Geltung bringen, was das BVerfG so formuliert hat: „Die im Selbstbestimmungsrecht der Kirchen enthaltene Ordnungsbefugnis gilt nicht nur für die kirchliche Ämterorganisation, sondern allgemein für die Ordnung des kirchlichen Dienstes." Gewährleistet ist dann „das Recht der 93
Vgl. dazu die Kommentierung von Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), a. a. O. (Anm. 84), bes. Rdnrn. 59 ff.; ferner die Kurzinformation bei Schweitzer/Hummer, a. a. O. (Anm. 47), S. 294 f. 94 BVerfGE 30,415 (428), und dazu Hollerbach, Grundlagen (Anm. 80), S. 538 ff. 95 9
So ausdrücklich Bleckmann, Europäisches Parlament (Anm. 90), S. 22. 6 Vgl. oben im Text bei Anm. 37 und 38.
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Kirchen, alle eigenen Angelegenheiten gemäß den spezifischen kirchlichen Ordnungsgesichtspunkten, d. h. auf der Grundlage des kirchlichen Selbstverständnisses, rechtlich gestalten zu können" 97 . Die Kirchen bleiben dabei den Erfordernissen des ordre public und damit gewissen Schranken unterworfen, wofür die maßgebenden Gesichtspunkte aus dem Europarecht entnommen werden müssen. Aber dabei dürfen die Schranken nicht ohne Rücksicht auf das Gewicht der Freiheitsgarantie gezogen werden; es muß vielmehr zu einer Wechselwirkung von Freiheitsgarantie und Schrankenzweck kommen, wie das in der Rechtsprechung des BVerfG entwickelt worden ist und praktiziert wird 9 8 . 2. Wird im Zuge weiterer Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf das Steuerrecht und der Bemühungen um eine Steuerharmonisierung noch Platz sein für das deutsche Kirchensteuerrecht, das in seiner spezifischen Form im Raum der EG in der Tat ein Unikat darstellt 99? Zunächst ist zu beachten, daß Art. 99 EWGV nur die Harmonisierung der indirekten Steuern gebietet. Jedoch können auch die direkten Steuern erfaßt werden, indes nur unter dem Gesichtspunkt der für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes notwendigen Rechtsangleichung nach Maßgabe der Art. 100-102 1 0 0 . Aber auch wenn dieser Weg beschritten würde, könnte die Kirchensteuer keinesfalls direkt einbezogen werden. Zwar ist sie eine wirkliche Steuer 101 , aber ihr Aufkommen fließt nicht in den Staatssäckel; Steuergläubiger sind vielmehr die steuerberechtigten Kirchen und Religionsgemeinschaften, Steuerschuldner ist nicht jeder Bürger, sondern es sind nur die Mitglieder der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Die Kirchensteuer hat keine Auswirkung auf den Mechanismus der Preisbildung für Waren und Dienstleistungen. Die besondere Eigenart der Kirchensteuer im Rahmen des staatlichen Steuersystems kommt auch darin zum Ausdruck, daß die Aufwendungen für die Kirchensteuer als Sonderausgabe absetzbar sind. Das ist von grundsätzlicher Bedeutung. Damit soll nämlich ein Ausgleich im Verhältnis der steuerpflichtigen Bürger zueinander geschaffen werden. Wer als Mitglied einer Kirche oder Religionsgemeinschaft Kirchensteuer zahlt, soll gegenüber dem staatlichen Steuerfiskus nicht stärker belastet werden als derjenige, der keine Kirchensteuer zu zahlen hat. Unter diesem Aspekt erscheint die Absetzbarkeit der Kirchensteuerschuld nicht als willkürliches Steuerprivileg; sie erweist sich vielmehr als systemgerecht und notwendig, macht zugleich deutlich, daß die Unterworfenheit 97 BVerfGE 70,138 (164 f.). 98 Vgl. dazu ebenfalls BVerfGE 70,138 (167). 99 Vgl. dazu Marré , Die Kirchenfinanzierung in Kirche und Staat der Gegenwart. Die Kirchensteuer im internationalen Umfeld kirchlicher Abgabensysteme und im heutigen Sozialund Kulturstaat Bundesrepublik Deutschland, Essen 1982. 100 Vgl. dazu Bleckmann, Europäisches Parlament (Anm. 90), S. 23, ferner die Kommentierung von Art. 99 durch Wägenbaur, in: Grabitz (Hrsg.), a. a. O. (Anm. 84), bes. Rdnrn. 4, 7 und 8. 101 Zu den Grundsatzproblemen s. die zusammenfassende Darstellung bei Hollerbach, Schutz kirchlicher Organisation (Anm. 91), S. 584-586.
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unter die Kirchensteuer nicht als Diskriminierung qualifiziert werden kann und nicht zu einer Verfälschung bzw. Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen führt 102 . Von letzterem kann auch nicht im Hinblick auf die Verpflichtung der Arbeitgeber die Rede sein, die Kirchensteuer ihrer Arbeitnehmer einzubehalten und abzuführen. Insoweit handelt es sich um eine systemkonforme, verfassungsrechtlich zulässige Indienstnahme Privater für den Steuerfiskus, die allenfalls das Volumen der Verwaltungsarbeit betrifft 103 . Sollten trotzdem unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung der Arbeitgeber im europäischen Rahmen Bedenken erhoben werden, könnte man ihnen dadurch den Boden entziehen, daß der private Arbeitgeber durch ein Entgelt aus dem Kirchensteuer-Aufkommen, das bei ihm gewissermaßen durchläuft, entschädigt wird. Es versteht sich, daß in Anbetracht ihres akzessorischen Charakters, d. h. ihrer Anbindung an staatliche Maßstabsteuern, eine Harmonisierung der Steuersätze bzw. eine Verschiebung im Verhältnis von direkten und indirekten Steuern auf die Kirchensteuer durchschlagen würde. Das berührt aber das System nicht grundsätzlich. Es wäre Sache der Kirchen und Religionsgemeinschaften, u. U. mit einer Veränderung des Kirchensteuer-Satzes bzw. - im Fall der merklichen Absenkung des Kirchensteuer-Aufkommens - mit dem Instrument des Kirchgeldes zu reagieren, gegen das unter europarechtlichen Gesichtspunkten genauso wenig Bedenken erhoben werden können wie gegen die Kirchensteuer als solche. 3. Nach Maßgabe von Art. 57 EWGV können Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen erlassen werden. Mit Bleckmann 104 wird man annehmen müssen, daß darunter auch von kirchlichen Anstalten erteilte Diplome und Zeugnisse fallen. Aber sowohl in Bezug darauf wie in Bezug auf die entsprechenden Zeugnisse deutscher Theologischer Fakultäten als Einrichtungen in staatlicher Trägerschaft hätten solche Richtlinien die besondere Eigenart dieser Institutionen zu berücksichtigen, die letztlich, was die inhaltliche Prägung anlangt, in der Religionsfreiheit qua Lehrfreiheit, d. h. als Gewährleistung der Integrität der theologisch-kirchlichen Lehre gründet 105 . Jedenfalls könnte eine den effektiven Vollzug von Art. 57 voraussetzende Harmonisierung der Ausbildungssysteme nicht Grenzen überschreiten, die dem Staat von seiner prinzipiellen Säkularität und Neutralität her gezogen sind. Die EG als Staatengemeinschaft ist zumindest in gleicher Weise wie die Mitgliedstaaten dem Prinzip der Säkularität und Neutralität unterworfen.
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Zu diesem Fragenkreis wichtig P. Kirchhof, Kirchensteuer, DStZ 1986, 25 ff. 103 BVerfGE 44, 103.
Die Einkommensteuer als Maßstab für die
1 04 Europäisches Parlament (Anm. 90), S. 23. i° 5 Zu diesen Zusammenhängen wichtig VGH Baden-Württemberg, JZ 1985, 943 mit Anm. von M. Heckel.
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VIII. Nach diesem Versuch, das gesamte Problemfeld zu durchmustern, darf ich zum Schluß noch einmal eine Grundsatzüberlegung anstellen und dabei die folgenden Aspekte hervorheben: a) Jürgen Schwarze hat unlängst formuliert: „Die Geschichte Europas ist neben dem Streben nach Einheit immer zugleich auch der Ausdruck der kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Vielfalt gewesen, die seine Eigenart und Stärke begründet hat und deren auch die Europäische Gemeinschaft von morgen nicht entraten kann." 1 0 6 Dem kann man nur zustimmen, wenn man nicht Gefahr laufen will, die europäische Entwicklung ganz der Ökonomie und Technokratie zu überlassen. Schwarze hat auch zwei konkrete Folgerungen gezogen und betont, bei künftigen Verfassungsüberlegungen im Rahmen der EG komme dem Gedanken föderaler Gestaltung eine maßgebliche Rolle zu, vor allem aber dem Subsidiaritätsprinzip. Dieses sei für die Entscheidung über die bessere Aufgabenerledigung durch Gemeinschaft oder Mitgliedstaaten entscheidend. In diesen allgemeinen Rahmen fügt es sich ein, wenn sich der Staatskirchenrechtler gegen die Versuchung der Homogenisierung, der Unitarisierung, der Gleichschaltung - oder wie immer man es nennen mag - wendet. Das Staatskirchenrecht ist ein äußerst sensibler, stark traditionsgeprägter und zugleich mentalitätsprägender Bereich. Die Konsequenz daraus ist: Unter der Voraussetzung der Gewährleistung voller individueller und korporativer Religionsfreiheit kann und darf es einen Pluralismus der Ordnungen im vielberufenen europäischen Haus geben. Vor diesem Hintergrund kann ich mir auch eine Formulierung zu eigen machen, die vor kurzem Axel v. Campenhausen gebraucht hat: „Es ist eine Aufgabe der kommenden Jahre, darauf hinzuarbeiten, daß die europäische Einigung in staatskirchenrechtlicher Hinsicht nicht zu einem Kahlschlag bewährter freiheitsschützender Institutionen führt, sondern daß die Besonderheit der nationalen staatskirchenrechtlichen Ordnung erhalten werden kann als Ausdruck der nationalen Identität und als ein Teil des kirchlichen Erbes im Interesse der Staatsbürger jeden Bekenntnisses."107 Es wäre freilich verkehrt und ein Mißverständnis, wollte man daraus mit dem Ziel eines „noli me tangere" eine Immunisierungsstrategie ableiten. Man darf sich der kritischen Frage nach der Sinnhaftigkeit und Legitimität bestimmter Normen und Traditionen nicht verschließen. Aber es kommt in starkem Maße auf das Kriterium für eine solche kritische Prüfung an. Das Kriterium kann jedenfalls nicht die 106 Das Grundgesetz und das europäische Recht, in: 40 Jahre Grundgesetz. Der Einfluß des Verfassungsrechts auf die Entwicklung der Rechtsordnung. Ringvorlesung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br., Heidelberg 1990, S. 232. 107 Rheinischer Merkur/Christ und Welt, Nr. 44 vom 3. 11. 1989.
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Herstellung einer Einheit auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner sein, nicht ein rein individualistisches Grundrechtsverständnis mit Präponderanz der negativen Religionsfreiheit, nicht ein Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat, das die Bedeutung öffentlicher Potenzen ausblendet und sozialstaatliche Verflechtungen mißachtet. Kurzum: Das erreichte verfassungs- und staatstheoretische Reflexionsund Bewußtseinsniveau darf nicht unterschritten werden. b) Der zweite Punkt, der noch zur Sprache gebracht werden soll, ist in gewisser Weise nur die andere Seite der Medaille. Ich kann mich wiederum einer Aussage von Jürgen Schwarze bedienen: „Mehr als in der Vergangenheit in der deutschen Staatsrechtslehre und Staatspraxis üblich, bietet es sich ... an, das Verhältnis von Grundgesetz und europäischem Recht nicht nur unter dem Blickwinkel zu betrachten, wo die verfassungsrechtlichen Grenzlinien für den Integrationsprozeß verlaufen, sondern auch unter dem Aspekt, welche Gestaltungschancen darin liegen, nationale Verfassungsvorstellungen in den Prozeß des Ringens um Struktur und Recht der Europäischen Gemeinschaft einbringen zu können." 108 Das bedeutet konkret: Heraus aus der Defensive, Werbung für das, was man für richtig und sinnvoll hält, Beeinflussung des europäischen Rechts aus bewährten nationalen Rechtsvorstellungen. Eine wichtige Voraussetzung für ein gutes Gelingen auf diesem Feld ist die wissenschaftliche Kommunikation, deren Einsichten und Ergebnisse in den politischen und administrativen Prozeß hinein vermittelt werden müssen. In ganz besonderer Weise wird es übrigens darauf ankommen, in Anbetracht der großen Bedeutung des Richterrechts die Richter in Straßburg und in Luxemburg in den Adressatenkreis für solche Kommunikation einzubeziehen. Und schließlich: Diese Aufgabe fordert engste Zusammenarbeit zwischen Theorie und Praxis. Deshalb ist in besonderer Weise dafür zu danken, daß diese Überlegungen 109 vor diesem Forum vorgetragen werden durften 110 .
108 A. a. O., S. 230. 109 Zu deren Entfaltung haben Privatdozent Dr. Joachim Wieland und zwei „Praktiker", nämlich Oberkirchenrat Dr. Joachim Gaertner (Bonn) und Erzb. Oberrechtsdirektor Dr. Josef Jurina (Freiburg i. Br.), Wesentliches beigetragen. Ihnen gilt mein besonderer Dank. no Vgl. zu der vorstehend verhandelten Thematik jetzt auch den instruktiven Bericht von Christoph, Tagung über „Europäisches Gemeinschaftsrecht - kirchliches Dienst- und Arbeitsrecht", ZevKR 35 (1990) S. 181 -186 m. w. N.
Religions- und Kirchenfreiheit im KSZE-Prozeß L 1. Für das Grundverhältnis von Staat und Religion ist die Gewährleistung des Grundrechts der Religionsfreiheit schlechterdings fundamental. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs - unbeschadet früherer, mehr punktueller Ansätze - hat das auch in maßgebenden internationalen Rechtsdokumenten Niederschlag gefunden 1. Schon die Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 spricht in ihrem Artikel 13 vom Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Religion. Artikel 18 der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 beschlossenen, wenn auch nicht unmittelbar verbindlichen „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" formuliert: „Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden". Diese Norm begnügt sich nicht mit einer allgemeinen Aussage, sondern hebt bestimmte Aspekte und Dimensionen hervor: die Freiheit des Religionswechsels, die Religionsausübungsfreiheit, und diese als korporative und öffentliche Freiheit. Daß die Religionsfreiheit eine negative und eine positive Dimension hat, ist offensichtlich impliziert. Dagegen sind die Religionsgemeinschaften als solche nicht im Blick; die Existenz solcher Gemeinschaften wird zwar vorausgesetzt, aber sie erscheinen allenfalls unter dem Blickwinkel ihrer Radizierung im Individuum. „Selbstbestimmung" oder „Autonomie" der Gemeinschaften haben hier schwerlich einen Ort. Nicht vergessen ist aber das Schrankenproblem. Die Gewährleistung der Erstveröffentlichung in: Grundrechte, soziale Ordnung und Verfassungsgerichtsbarkeit. Festschrift für Ernst Benda zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Eckart Klein. Heidelberg: Müller, 1995, S. 117-133. 1
Grundorientierung bei Jochen Ahr. Frowein, Art. Religionsfreiheit (IV), Internationales und supranationales Recht, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. IV (1988) Sp. 830-832. Grundlegend im übrigen: Otto Kimminich, Religionsfreiheit als Menschenrecht. Untersuchung zum gegenwärtigen Stand des Völkerrechts, Mainz/München 1990 (Entwicklung und Frieden. Wiss. Reihe, 52). Für die (deutschen) Texte ist zu verweisen auf Sartorius II: Internationale Verträge - Europarecht (Stand 15. November 1993) sowie auf: Menschenrechte. Ihr internationaler Schutz. Textausgabe, hrsg. v. Bruno Simma/Ulrich Fastenrath, 3. Aufl., München 1992 (Beck-Texte im dtv). Vgl. auch Beat Kaufmann, Das Problem der Glaubens- und Überzeugungsfreiheit im Völkerrecht, Zürich 1989 (Schweizer Studien zum internationalen Recht, 62).
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Religions- und Kirchenfreiheit im KSZE-Prozeß
Religionsfreiheit steht zwar nicht unter einem speziellen bzw. spezifischen Vorbehalt, wohl aber gilt der allgemeine, inhaltlich weitreichende Vorbehalt des Artikel 29 Abs. 2: „Jeder Mensch ist in Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zwecke vorsieht, um die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten der anderen zu gewährleisten und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen". Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist alsbald zum Modell für Artikel 9 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 geworden, ja beide Normen stimmen, unbeschadet kleinerer terminologischer Divergenzen2, sachlich miteinander überein. Das gilt im Verhältnis zu Art. 29 Abs. 2 auch für den Schrankenvorbehalt, der hier in einem Absatz 2 unmittelbar angefügt ist 3 . In den Arbeiten von Nikolaus Blum 4 und Jochen Abr. Frowein 5 hat Art. 9 eine umfassende Würdigung erfahren. Daraus darf hervorgehoben werden, daß nach der Rechtsprechung der Straßburger Instanzen Artikel 9 zwar nicht eine volle Selbstbestimmungsgarantie enthält, daß aber auch die religiöse Vereinigung als Religionsgemeinschaft oder Kirche Teil der Gewährleistung mit der Folge ist, daß diese sich auf Art. 9 berufen kann6. Kehrt man von hier aus wieder, den europäischen Rahmen überschreitend, zur umfassenden völkerrechtlichen Ebene zurück, so tritt naturgemäß Artikel 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, in Kraft seit 23. März 1976, ins Rampenlicht7. Er bleibt, mit einigen Veränderungen in der Formulierung 8, auf der bisherigen Linie, fügt allerdings - wohl 2 Die EMRK gebraucht statt „Überzeugung" „Weltanschauung" und sagt am Ende: „ . . . durch Gottesdienst, Unterricht, durch die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben"; dies übrigens (Ausübung - ausüben) eine schlechte Übersetzung. 3 „Die Religions- und Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendigen Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind". 4 Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention, Berlin 1990 (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen, 19). 5 Die Bedeutung des die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit garantierenden Artikels 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 27, 1993, S. 46-60. Vgl. auch die Kommentierung bei Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention. EMRK-Kommentar, Kehl 1985, S. 211-222. 6
So ausdrücklich Frowein, a. a. O., S. 60 (Leitsatz 5). Wertvolle Ausführungen dazu bei Manfred Nowak, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll. CCPR-Kommentar, Kehl 1989, S. 325-354. 8 „(1) Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfaßt die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser 7
Religions- und Kirchenfreiheit im KSZE-Prozeß inspiriert durch Art. 2 des Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention vom 20. März 1952 - die Verpflichtung der Vertragstaaten hinzu, „die Freiheit der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds oder Pflegers zu achten, die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Überstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen" (Abs. 4). Damit ist klargestellt, daß das religiöse Erziehungsrecht einen wesentlichen Bestandteil der Religionsfreiheit bildet. Weitere Präzisierungen brachte die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 25. November 1981 verabschiedete Erklärung über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Weltanschauung 9 . Nach deren Art. 6 schließt das Recht auf Religionsfreiheit „unter anderem" folgende Freiheiten ein: ,,a) im Zusammenhang mit einer Religion oder Überzeugung einen Gottesdienst abzuhalten oder sich zu versammeln sowie hierfür Versammlungsorte einzurichten und zu unterhalten; b) entsprechende Wohltätigkeitseinrichtungen oder humanitäre Institutionen zu gründen oder zu unterhalten; c) die für die Riten oder Bräuche einer Religion oder Überzeugung erforderlichen Gegenstände und Geräte in angemessenem Umfang herzustellen, zu erwerben und zu gebrauchen; d) auf diesen Gebieten einschlägige Publikationen zu verfassen, herauszugeben und zu verbreiten; e) an hierfür geeigneten Orten eine Religion oder Überzeugung zu lehren; f) freiwillige finanzielle und andere Spenden von Einzelpersonen und Institutionen zu erbitten und entgegenzunehmen; g) im Einklang mit den Erfordernissen und Maßstäben der jeweiligen Religion oder Überzeugung geeignete Führer und Leiter auszubilden, zu ernennen, zu wählen oder durch Nachfolge zu bestimmen; h) im Einklang mit den Geboten seiner Religion oder Überzeugung Ruhetage einzuhalten sowie Feiertage und Zeremonien zu begehen; i) in religiösen und weltanschaulichen Fragen auf nationaler und internationaler Ebene Beziehungen zu einzelnen Personen und Gemeinschaften aufzunehmen und zu unterhalten". Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. - (2) Niemand darf einem Zwang ausgesetzt werden, der seine Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung seiner Wahl zu haben oder anzunehmen, beeinträchtigen würde. - (3) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind". 9 Deutscher Text in: Vereinte Nationen 1982, S. 107, und bei Kimminich, a. a. O., S. 210 ff., ebenda S. 132-144 eingehender Bericht und detaillierte inhaltliche Analyse. Vgl. auch Theo van Boven, Religious freedom in international perspective: existing and future Standards, in: Des Menschen Recht zwischen Freiheit und Verantwortung. Festschrift für Karl Josef Partsch zum 75. Geburtstag, hrsg. v. Jürgen Jekewitz/Karl Heinz Klein/Jörg Detlef Kühne/Hans Petersmann/Rüdiger Wolfrum, Berlin 1989, S. 103-113. 25 Hollerbach
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Religions- und Kirchenfreiheit im KSZE-Prozeß
Aus diesem Katalog wird man besonders hervorheben die Anerkennung religiös motivierter Liebestätigkeit als Bestandteil der Religionsfreiheit (b), die Gewährleistung der Ausbildungs- und Ämterfreiheit (g) und dasjenige, was man religiöse Kommunikationsfreiheit nennen kann (i). Insgesamt zeigt sich an diesem Dokument eine für die Praxis der „Anwendung" hilfreiche Tendenz zur Konkretisierung. Der Katalog bietet damit zugleich einen gewissen Anschauungsunterricht in Bezug auf die neuralgischen Punkte der Menschenrechtspraxis in einigen Ländern.
II. Das bisher Nachgezeichnete liegt einigermaßen offen zu Tage. Weniger bekannt und geläufig dürfte sein, ob und in welcher Weise die Problematik der Religionsund Kirchenfreiheit auch im Rahmen des KSZE-Prozesses einen Stellenwert besitzt 10 . Wenn im folgenden mit dem Ziel der Vermittlung von Informationen 11 dieser Frage nachgegangen wird, so bedarf es zunächst der Vergewisserung über die wichtigsten allgemeinen Daten und Entwicklungsschritte 12. Als am 1. August 1975 in Helsinki die Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) unterzeichnet wurde, war schon dies der vorläufige Abschluß eines Prozesses, dessen Ursprünge gut 20 Jahre davor lagen. Seit den 50er Jahren hatten die Sowjetunion und der Warschauer Pakt immer wieder die Idee einer europäischen Sicherheitskonferenz ins Gespräch gebracht. Sie 10
Ausführliche Darstellung unter sorgsamer Verwertung des einschlägigen Schrifttums bei Kimminich, a. a. O., S. 158-183. 11 Dabei stelle ich mir als Adressaten in erster Linie die Grundrechtsexperten und die Vertreter des Staatskirchenrechts vor. Vielleicht ist es symptomatisch, daß in dem trefflichen Beitrag von Axel Freiherr von Campenhausen über „Religionsfreiheit" im Handbuch des Staatsrechts, hrsg. v. Josef Isensee und Paul Kirchhof, Bd. V I (1989), S. 369 ff., lediglich Art. 9 EMRK, und dies nur am Anfang, kurz erwähnt wird. Zum Grundsätzlichen vgl. im übrigen Jochen Abr. Frowein, Übernationale Menschenrechtsgewährleistungen und nationale Staatsgewalt, in: ebenda, Bd. V I I (1992), S. 731- 765. Gebührend berücksichtigt ist die internationale Dimension bei Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971, S. 26-43. 12 Die maßgebenden Texte jetzt in der Lose-Blatt-Sammlung: KSZE. Dokumente der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, hrsg. v. Ulrich Fastenrath, Neuwied 1992, ferner in: Dokumente der KSZE. Textausgabe, hrsg. v. Theodor Schweisfurth/ Karin Oellers-Frahm, München 1993 (Beck-Texte im dtv). Gute inhaltliche Grundinformation bei Andreas Meyer-Landrut, Art. Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, in: Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl., Bd. I (1987), Sp. 1834-1838. Hervorzuheben ist ferner: Helga Haftendorn, Sicherheit und Entspannung. Zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1955-1982, Baden-Baden 1983; Hubert Isafe (Hrsg.), Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) als Instrument europäischer Friedenspolitik, Wien 1988 (Schriften zur Friedens- und Konfliktforschung, Bd. I); Victor Yves Ghebali t La Diplomatie de la Détente: La CSCE d'Helsinki à Vienne (1973-1989), Bruxelles 1989; Wilfried von Bredow, Der KSZE-Prozeß. Von der Zähmung zur Auflösung des OstWest-Konflikts, Darmstadt 1992.
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sollte dazu beitragen, in Europa ein kollektives Sicherheitssystem zu schaffen und den territorialen und politischen status quo, wie er im Gefolge des Zweiten Weltkriegs entstanden war, zu befestigen. Dabei war es der Sowjetunion wesentlich, die USA aus dem Kräftespiel herauszuhalten. Dem freilich widersetzten sich die westeuropäischen Staaten. Neue Impulse bekam die Idee einer europäischen Sicherheitskonferenz im Zusammenhang mit der in den 70er Jahren beginnenden Entspannungspolitik, die überhaupt das Klima zu verbessern half. Dabei war es das entschiedene Ziel des Westens, die USA und Kanada einzubeziehen. Außerdem drängte er darauf, den Themenbereich der angestrebten Konferenz um die sog. „menschliche Dimension" zu erweitern, d. h. insbesondere Probleme der menschlich-familiären Kontakte und der Menschenrechte einzubeziehen. Insgesamt hoffte man, Möglichkeiten für den friedlichen Wandel in Europa zu schaffen. Am 3. Juli 1973 trat in Helsinki eine Vorkonferenz zusammen. Vom 18. September 1973 bis 21. Juli 1975 tagte in Genf eine Expertenkonferenz, die die unterschriftsreife Schlußakte ausgearbeitet hat. Zu den Staaten, deren Vertreter dann zur feierlichen Unterzeichnung in Helsinki zusammentraten, gehörten 33 europäische Staaten sowie die USA und Kanada. Von den europäischen Staaten fehlte lediglich Albanien. Andererseits wird bei der Zahl 33 auch ein Nicht-Staat eingerechnet, nämlich der Heilige Stuhl, dessen Rolle für Helsinki beträchtlich gewesen ist 13 . Das Schlußdokument ist in drei Kapitel, Körbe genannt, gegliedert. Korb I betrifft „Fragen der Sicherheit in Europa"; Korb II die „Zusammenarbeit in den Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Technik sowie der Umwelt"; Korb III ist mit „Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen" überschrieben und betrifft im einzelnen menschliche Kontakte, Information, Kultur und Bildung. Der wesentliche Inhalt von Korb I sei in Erinnerung gerufen. Es handelt sich um 10 Prinzipien für die zwischenstaatlichen Beziehungen - man hat sich in der Zwi13 Eingehende Würdigung bei Kimminich, a. a. O., S. 158 ff. Im einzelnen ist dazu noch zu vergleichen: Heribert Franz Köck, Die völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls, Berlin 1975, S. 483-486; ders., Aktuelle Probleme der völkerrechtlichen Präsenz des Heiligen Stuhls, in: Pro Fide et Iustitia. Festschrift für Agostino Kardinal Casaroli zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Herbert Schambeck, Berlin 1984, S. 301-318; Der Heilige Stuhl im Dienst der internationalen Völkergemeinschaft. Engagement für Frieden und Gerechtigkeit bei den Konferenzen von Helsinki und Belgrad. Dokumente, ausgewählt und eingeleitet von Josef Rabas, München 1978 (Schriftenreihe der Ackermann-Gemeinde, 27); Rudolf Grulich (Hrsg.), Religions- und Glaubensfreiheit als Menschenrecht. Helsinki - Belgrad - Madrid, München 1980 (Schriftenreihe der Ackermann-Gemeinde, 30); José M. Leite, Die Kirchen und die Schlußakte von Helsinki, in: Una Sancta 1989, S. 296-300; Helmut Liedermann, Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Ein kontinuierlicher Prozeß, in: Festschrift Casaroli (siehe oben), S. 489-513; ders., Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit. Behandlung in der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), in: Friede und Gesellschaftsordnung. Festschrift für Rudolf Weiler, Berlin 1988, S. 141 -159; Alexander Hollerbach, Europa und das Staatskirchenrecht, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 35 (1990), S. 252-256.
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schenzeit daran gewöhnt, insoweit von einem „Dekalog" zu sprechen: 1. souveräne Gleichheit, Achtung der der Souveränität innewohnenden Rechte; 2. Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt; 3. Unverletzlichkeit der Grenzen; 4. territoriale Integrität der Staaten; 5. friedliche Regelung von Streitfällen; 6. Nichteinmischung in innere Angelegenheiten; 7. Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit; 8. Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker; 9. Zusammenarbeit zwischen den Staaten; 10. Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben. Es versteht sich, daß dieser Prinzipien-Katalog deutlich den Standard des modernen Völkerrechts widerspiegelt. Dabei ist freilich besonders bemerkenswert, daß es zum ersten Mal in einem solchen Dokument gelungen ist, die Menschenrechte (Prinzip 7) auf die gleiche Ebene mit anderen völkerrechtlichen Prinzipien des zwischenstaatlichen Verhältnisses zu heben. Überhaupt bedeutsam war die Bestimmung, daß alle zehn Prinzipien gleichermaßen vorbehaltslos angewendet und jedes von ihnen unter Beachtung der anderen ausgelegt werden sollen 14 . Schließlich bedarf der ausdrücklichen Erwähnung, daß Korb I noch ein „Dokument über vertrauensbildende Maßnahmen" enthält. Es betrifft den militärischen Bereich und hier speziell die Ankündigung größerer Manöver und größerer militärischer Bewegungen sowie den Austausch von Manöverbeobachtern. Die Sache, um die es dabei geht, braucht hier freilich weniger zu interessieren als das Wort: „vertrauensbildende Maßnahmen". Während Korb I I im Zusammenhang der vorliegenden Thematik von untergeordneter Bedeutung ist, muß mit Nachdruck auf Korb III hingewiesen werden, für den übrigens - ähnlich wie in Bezug auf die Menschenrechtsfrage - westliche Initiativen maßgebend waren. Hier kommt nämlich die „menschliche Dimension" zur Geltung. Im einzelnen geht es um Abmachungen über die Erleichterung von Kontakten zwischen den Bürgern, um die Erleichterung der Familienzusammenführung und der Eheschließung zwischen Bürgern verschiedener Staaten sowie über Jugendaustausch und Sportbeziehungen. Außerdem sind darin Vorschläge darüber enthalten, wie für die Bürger der Zugang zu Informationen und für Journalisten die Arbeitsbedingungen verbessert werden können. Schließlich gibt es zahlreiche konkrete Vorschläge, die auf eine Intensivierung der Kooperation in den Bereichen Kultur und Bildung hinzielen. Was die rechtliche Qualifikation der Schlußakte von Helsinki anlangt, so besteht Übereinstimmung darüber, daß sie keinen völkerrechtlichen Vertrag darstellt. Sie ist vielmehr eine „politische Willenserklärung von hohem Rang" 15 . Und doch ist sie nicht ohne Relevanz für das Völkerrecht, und zwar deshalb, weil sie völkerrechtliche Prinzipien namhaft macht und darauf so etwas wie einen Verhaltens14
Vgl. Fastenrath, in der Einführung zu der oben Anm. 12 angeführten Textausgabe, S. XI. 15 So Meyer-Landrut, a. a. O., Sp. 1835.
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kodex gründet, der seinerseits mit einem breit angelegten Programm der Zusammenarbeit verbunden wird. Zudem spiegeln sich in den niedergelegten Regeln und Direktiven mitunter auch Rechtsüberzeugungen wider, die zur Herausbildung von Volkergewohnheitsrecht führen können; auch allgemeine Rechtsgrundsätze lassen sich ihnen entnehmen16. III. Vor diesem Hintergrund ist die Grundaussage aufzugreifen, die das Thema Religionsfreiheit betrifft. Prinzip 7 lautet in seinen hier einschlägigen Absätzen 1 - 3 : „Die Teilnehmerstaaten werden die Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion achten. Sie werden die wirksame Ausübung der zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen sowie der anderen Rechte und Freiheiten, die sich alle aus der dem Menschen innewohnenden Würde ergeben und für seine freie und volle Entfaltung wesentlich sind, fördern und ermutigen. In diesem Rahmen werden die Teilnehmerstaaten die Freiheit des Individuums anerkennen und achten, sich allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu einer Religion oder einer Überzeugung in Übereinstimmung mit dem, was sein Gewissen ihm gebietet, zu bekennen und sie auszuüben".
Es springt in die Augen, daß in diesem Text der Religionsfreiheit, parallelgeschaltet mit der Gedanken-, Gewissens- und Überzeugungsfreiheit, besondere Beachtung gezollt wird, ja die Religionsfreiheit ist „das einzige Menschenrecht, das in der KSZE-Schlußakte ausdrücklich genannt und näher umschrieben wird" 1 7 . Darin kommt der fundamentale Rang dieser Freiheit unter den übrigen Freiheiten deutlich zum Ausdruck. Absatz 3 läßt dabei einen deutlichen Anklang an Artikel 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte erkennen. Im übrigen ist mit besonderer Betonung festzuhalten, daß an der spezifischen Gewichtung der Menschenrechte im Rahmen von Korb I der Heilige Stuhl entscheidenden Anteil hat. Er hat sich, legitimiert durch die völkerrechtlich ausdrücklich anerkannte Friedensmission, in seiner Eigenschaft als Völkerrechtssubjekt an der Helsinki-Konferenz tatkräftig beteiligt 18 . Bemerkenswert ist schließlich ein Passus aus Korb III, wo es um die Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen geht. In einem Abschnitt unter der 16 Hervorgehoben bei Fastenrath, a. a. O., S. XXX. Im einzelnen siehe dazu auch die ausführlichen Darlegungen bei Kimminich, a. a. O., S. 165 ff., ferner schon Theodor Schweisfurth, Zur Frage der Rechtsnatur, Verbindlichkeit und völkerrechtlichen Relevanz der KSZESchlußakte, in: ZaöRV 36 (1976), S. 681-726. 17 So Kimminich, a. a. O., S. 161.
i g Vgl. die Nachweise oben bei Anm. 12.
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Überschrift „Reisen aus persönlichen oder beruflichen Gründen" „bestätigen" die Teilnehmerstaaten, „daß religiöse Bekenntnisse, Institutionen und Organisationen, die im verfassungsmäßigen Rahmen der Teilnehmerstaaten wirken, sowie ihre Vertreter in den Bereichen ihrer Tätigkeit untereinander Kontakte und Treffen haben sowie Informationen austauschen können". Die allgemeine Aussage aus Korb I wird hier also schon nach einer Richtung hin spezifiziert, nämlich hinsichtlich der Freiheit zu auch grenzüberschreitender Kommunikation zwischen religiösen Institutionen19. IV. Aus heutiger Sicht ist offenkundig, daß sich die volle Bedeutung der KSZE erst erschließt, wenn man über Helsinki hinausblickt20. Schon die Schlußakte selbst faßte die Möglichkeit einer neuen Konferenz ins Auge, war also offen für einen Prozeß, für einen zu beschreitenden Weg 21 . Die erste Folgekonferenz tagte vom 4. Oktober 1977 bis 9. März 1978 in Belgrad. In einer schwierigen politischen Gesamtsituation - Polen, Afghanistan! - fand die zweite Folgekonferenz vom 11. November 1980 bis 6. September 1983 in Madrid statt. Hier wurde ein umfangreiches „abschließendes Dokument" 22 verabschiedet, das die Schlußakte bekräftigt und in einigen Bereichen erweitert bzw. konkretisiert. Außerdem gab Madrid das Mandat für einen zweiten Strang der Bemühungen, nämlich für die „Konferenz über Vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa" (KVAE). Diese Konferenz tagte als Treffen aller KSZE-Staaten in der Zeit vom 17. Januar 1984 bis 19. September 1986 in Stockholm und endete mit einem zum 1. Januar 1987 in Kraft getretenen Abschlußdokument, das sich aber ausschließlich auf den militärischen Bereich bezieht. Die Linie der Helsinki-Folgekonferenzen im engeren Sinne wurde vom 4. November 1986 bis 15. Januar 1989 in Wien fortgesetzt, hier nun schon an den Vorabend der großen politischen Veränderungen in Europa heranreichend 23. Diese Veränderungen haben dann zum ersten Mal im April bzw. Juni 1990 bei Konferen19
Vgl. dazu im einzelnen wiederum Kimminich, a. a. O., S. 172. Zum folgenden vgl. die instruktiven Beiträge eines „insiders", nämlich Heinrich Schneider: Das Wiener Nachfolgetreffen 1986 der KSZE-Teilnehmerstaaten, in: Österreichisches Jahrbuch für Politik '86, S. 583-617; Über Wien nach Gesamteuropa? Der KSZE-Prozeß nach dem dritten Folgetreffen, in: integration 2/89, S. 47-60; Vom KSZE-Prozeß zum Gesamteuropäischen Kooperationssystem: Die Europäische Sicherheit und ihr Architekturdilemma, in: integration 4/90, S. 150-164; Die KSZE: Bilanz eines Prozesses gesamteuropäischer Kooperation, in: Jahrbuch der europäischen Integration 1990/91, S. 41-52; Auf dem Weg zur „civil society". Die KSZE und die gesamteuropäische Zukunftsordnung, in: actio catholica 1991, S. 27-40; Der KSZE-Prozeß und die gesamteuropäische Kooperation, in: Jahrbuch der europäischen Integration 1992/93, S. 27-40. 20
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Übersicht in der Einführung zu der Textsammlung von Fastenrath, S. XIV-XX. Text im Auszug auch in der Sammlung „Menschenrechte" (Anm. 1), S. 454. Text des abschließenden Dokuments auszugsweise ebenda, S. 462.
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zen in Bonn und Kopenhagen24, vor allem aber bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs der KSZE-Staaten Niederschlag gefunden, das am 21. November 1990 in Paris stattfand. Hier wurde eine hochgemute „Charta für ein neues Europa" 2 5 verabschiedet, eine feierliche Erklärung, welche die maßgebenden Grundlagen der KSZE bekräftigt, die nicht zuletzt aber einen Prozeß der institutionellen Verfestigung eingeleitet hat. Als vierte KSZE-Folgekonferenz ist schließlich noch diejenige zu verzeichnen, die vom 24. März bis 10. Juli 1992 in Helsinki stattgefunden hat. Sie endete mit umfangreichen Beschlüssen zu den KSZE-Institutionen und -Strukturen sowie zu den einzelnen Sachbereichen und Aktivitäten. Seit 1990 ist die KSZE nicht mehr nur Prozeß im Sinne einer Folge von Konferenzen. Vielmehr zeigen sich nunmehr auch Organisationsstrukturen. Eine einschlägige Abhandlung ist kennzeichnend so überschrieben: „Vom Prozeß zur Institution" 26 . Man konstatiert „die Umformung eines Dialogprozesses zu einem System organisierter Zusammenarbeit" 27. Über Einzelheiten der organisatorischstrukturellen Verfestigung ist hier nicht zu berichten. Es darf aber hervorgehoben werden, daß es bei der offiziellen Mitgliedschaft des Heiligen Stuhles geblieben ist. In die neuestens auch eingerichtete Parlamentarische Versammlung der KSZE kann er zwei Vertreter entsenden, die den Status von Ehrengästen haben. Trotz dieser neuen Entwicklungsmomente ist die KSZE nach wie vor keine Staatengemeinschaft in einer der klassischen Formen, die wir aus dem Völkerrecht bzw. der allgemeinen Staatslehre kennen. Aber sie ist ein von den USA und Kanada mitgetragener und mitverantworteter „Ordnungsrahmen" 28 für das ganze Europa, sie bietet ein „Forum, mit dem sich die europäischen und nordamerikanischen Staaten für Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit einen festen Dialograhmen geschaffen haben" 29 . Schließlich kann auch auf eine Artikulation des Selbstverständnisses der KSZE verwiesen werden. So heißt es im Helsinki-Dokument von 1992: „Die KSZE ist ein Forum für Dialog, Verhandlung und Zusammenarbeit, das der Gestaltung des neuen Europa Richtung und Impulse gibt" (Nr. 22). Bemerkenswerterweise wird überdies in einer Zusammenfassung der Schlußfolgerungen des dritten Treffens des Rates der Außenminister der KSZETeilnehmerstaaten am 14./15. Dezember 1992 in Stockholm die Formel „Die KSZE als Wertegemeinschaft" verwendet - gemeint sind damit Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Freiheit als Fundament für 24 Dokument des Kopenhagener Treffens der Konferenz über die menschliche Dimension der KSZE vom 29. Juni 1990, ebenda, S. 480. 25 Text-Auszug ebenda, S. 500. 26
Stefan Lehne, Vom Prozeß zur Institution. Zur aktuellen Debatte über die Weiterentwicklung des KSZE-Prozesses, in: Europa-Archiv 45 (1990), S. 499-506. 27 Heinrich Schneider, Auf dem Weg zur „civil society" (Anm. 20), S. 30. 28 Vgl. dazu Daniel Thürer, „Soft Law" - eine neue Form von Volkerrecht? in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht 104 (1985), S. 429-453. 29 Meyer-Landrut, a. a. O., Sp. 1837.
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Frieden, Sicherheit und Stabilität, wie es in der gleichen Erklärung heißt. Offensichtlich kann nun der Ordnungs- und Dialograhmen mehr und mehr auch inhaltlich gefüllt werden. Es sind in der Tat „erstaunliche Fortschritte auf dem Weg zu einem gesamteuropäischen ordre public sichtbar geworden" 30.
V. Wenn nach dieser skizzenhaften Orientierung über die Entwicklung der KSZE die Frage nach spezifischen Beziehungen zum Themenbereich „Religions- und Kirchenfreiheit" wieder aufgegriffen wird, so darf, was die organisatorische Dimension anlangt, zunächst noch einmal an die mehrfach apostrophierte förmliche Mitgliedschaft des Heiligen Stuhls erinnert werden. Dieser dürfte sich dessen bewußt sein, daß ihm dieser kraft seiner Völkerrechtssubjektivität zukommende Status die Möglichkeit verschafft, als Sachwalter nicht nur der katholischen Kirche, sondern als Sachwalter von religiösen Interessen, der religiösen Dimension überhaupt, zu fungieren, was ihm aber zugleich auch Verantwortung für andere auferlegt. Der KSZE-Prozeß ist aber auch von nichtrömischer Seite begleitet worden, so von der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) 3 1 . Das wurde begünstigt durch die Bereitschaft der KSZE, auch mit nichtstaatlichen Organisationen Kontakte zu pflegen, eine Bereitschaft, die zunehmend deutlicher und konkreter artikuliert wurde. Bedeutsam ist insoweit insbesondere das Helsinki-Dokument von 1992, das für die Erweiterung der Rolle der nichtstaatlichen Organisationen detaillierte Direktiven gibt 32 . Wenn etwa auf privatrechtlicher Basis organisierte Menschenrechtsund Umweltgruppen Zutritt zu Konferenzen und Treffen haben, soweit dort ihre Angelegenheiten behandelt werden, gilt das auch für Kirchen und Religionsgemeinschaften. Jedenfalls steht aus der Perspektive der KSZE nichts im Wege, daß religiöse Gruppierungen, wie immer sie organisiert sind, diese ausdrücklich betonte Offenheit gegenüber nichtstaatlichen Organisationen ausnützen, und das ist auch faktisch so geschehen. Inhaltlich geht es dabei naturgemäß in erster Linie um Fragen des Schutzes der Religionsfreiheit. Das Basisdokument dafür ist, wie oben gezeigt, Prinzip 7 aus Korb I der Helsinki-Schlußakte, sozusagen das Siebte Gebot, wenn man die Rede30
So Heinrich Schneider, in: actio catholica (oben Anm. 20), S. 29. Grundinformation über diese Institution bei Claus Kemper, Art. Konferenz Europäischer Kirchen, in: Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl., Bd. I (1987), Sp. 1831 -1834. Speziell zum vorliegenden Zusammenhang vgl. Eckhard Krüger, Kirchen, KSZE und Menschenrechte. Entstehung, Umfeld und Verlauf des Menschenrechtsprogramms der Kirchen, in: Ökumenische Rundschau 36 (1987), S. 289-302; Peter Müller, Die menschliche Dimension der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa - ein Impuls für kirchliches Handeln, in: ebenda 38 (1989), S. 334-340. 32 Texte bei Fastenrath (Anm. 12), A 6, S. 26 f. 31
Religions- und Kirchenfreiheit im KSZE-Prozeß
weise vom Dekalog hier noch einmal verwendet. Die Nachfolgekonferenz von Belgrad hat dazu keinen weiteren Beitrag geleistet. Wohl aber hat Madrid 33 einen Schritt nach vorne getan, vor allem weil in bestimmten Hinsichten die Religionsgemeinschaften als solche in den Blick genommen wurden. Ganz besonders bedeutsam ist für den vorliegenden thematischen Zusammenhang jedoch die Wiener Konferenz von 198934. Der sachlich einschlägige Text verdient es, in seiner Gesamtheit zitiert zu werden: „(16) Um die Freiheit des einzelnen zu gewährleisten, sich zu seiner Religion oder Überzeugung zu bekennen oder diese auszuüben, werden die Teilnehmerstaaten unter anderem (16.1) - wirksame Maßnahmen ergreifen, um eine auf Religion oder Überzeugung gegründete Diskriminierung gegen Personen oder Gemeinschaften in Anerkennung, Ausübung und Genuß von Menschenrechten oder Grundfreiheiten in allen Bereichen des zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens zu verhindern und zu beseitigen und die tatsächliche Gleichheit zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen zu gewährleisten; (16.2) - eine Atmosphäre gegenseitiger Toleranz und Achtung zwischen Gläubigen verschiedener Gemeinschaften ebenso zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen schaffen; (16.3) - religiösen Gemeinschaften von Gläubigen, die im verfassungsmäßigen Rahmen ihres Staates wirken oder zu wirken bereit sind, auf ihren Antrag hin die Anerkennung jenes Status einräumen, der in ihrem jeweiligen Land für sie vorgesehen ist; (16.4) - das Recht dieser religiösen Gemeinschaft achten, - frei zugängliche Andachts- und Versammlungsorte einzurichten und zu erhalten, - sich nach ihrer eigenen hierarchischen und institutionellen Struktur zu organisieren, - ihr Personal in Übereinstimmung mit ihren jeweiligen Erfordernissen und Normen sowie mit etwaigen zwischen ihnen und ihrem Staat freiwillig vereinbarten Regelungen auszuwählen, zu ernennen und auszutauschen, - freiwillige Beiträge in finanzieller und anderer Form zu erbitten und entgegenzunehmen; (16.5) - Konsultationen mit Vertretern religiöser Bekenntnisse, Institutionen und Organisationen aufnehmen, um ein besseres Verständnis für die Erfordernisse der Religionsfreiheit zu erreichen; 33 Text bei Fastenrath (Anm. 12), B 2, S. 6 (Nr. 10), und in: Menschenrechte (Anm. 1), S. 454 f.: „Die Teilnehmerstaaten bekräftigen, daß sie die Freiheit des Individuums anerkennen und achten werden, sich allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu einer Religion oder Überzeugung in Übereinstimmung mit dem, was sein Gewissen ihm gebietet, zu bekennen und diese auszuüben; außerdem kommen sie überein, die zu deren Gewährleistung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. - In diesem Zusammenhang werden sie, wann immer erforderlich, religiöse Bekenntnisse, Institutionen und Organisationen, die im verfassungsmäßigen Rahmen ihres jeweiligen Landes wirken, konsultieren. - Sie werden Anträge religiöser Gemeinschaften von Gläubigen, die im verfassungsmäßigen Rahmen ihres Staates wirken oder zu wirken bereit sind, den Status zu erhalten, der in ihrem jeweiligen Land für religiöse Bekenntnisse, Institutionen und Organisationen vorgesehen ist, wohlwollend prüfen". Vgl. dazu auch Kimminich, a. a. O., S. 176 f. 34
Zum folgenden vgl. auch Kimminich, a. a. O., S. 179-184.
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Religions- und Kirchenfreiheit im KSZE-Prozeß
(16.6) - das Recht eines jeden achten, Religionsunterricht in der Sprache seiner Wahl einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen zu erteilen und zu erhalten; (16.7) - in diesem Zusammenhang unter anderem die Freiheit der Eltern achten, die religiöse und sittliche Erziehung der Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen; (16.8) - die Ausbildung von Personal religiöser Gemeinschaften in geeigneten Institutionen gestatten; (16.9) - das Recht von einzelnen Gläubigen und einzelnen Glaubensgemeinschaften achten, religiöse Bücher und Veröffentlichungen in der Sprache ihrer Wahl, sowie andere der Ausübung einer Religion oder Überzeugung dienende Gegenstände und Materialien zu erwerben, zu besitzen und zu verwenden; (16.10) - religiösen Bekenntnissen, Institutionen und Organisationen die Herstellung, Einfuhr und Verbreitung religiöser Veröffentlichungen und Materialien gestatten; (16.11) - das Interesse religiöser Gemeinschaften, am öffentlichen Dialog einschließlich mittels Massenmedien teilzunehmen, wohlwollend prüfen. (17) Die Teilnehmerstaaten erkennen an, daß die Ausübung der oben erwähnten Rechte hinsichtlich der Religions- und Glaubensfreiheit nur solchen Einschränkungen unterliegen darf, die im Gesetz verankert sind und mit ihren völkerrechtlichen und anderen internationalen Verpflichtungen in Einklang stehen. Sie werden in ihren Gesetzen und Verordnungen und bei deren Anwendung die vollständige und tatsächliche Verwirklichung der Gedanken», Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit gewährleisten".
Die Bedeutung dieses Textes liegt zunächst ganz allgemein in der erfreulichen Tendenz zur Konkretisierung des Prinzips der Religionsfreiheit. Sodann tritt der korporative Aspekt dieses Grundrechts deutlich hervor. Der Blick richtet sich auch nicht nur auf das Verbot rechtlicher Diskriminierung, sondern auch auf die Herstellung tatsächlicher Gleichheit von Gläubigen untereinander, freilich auch von Gläubigen und Nichtgläubigen. Besonders bedeutsam ist es aber, daß einzelne Elemente des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften namhaft gemacht werden und so die sonst in Menschenrechts-Deklarationen häufig anzutreffende Beschränkung auf die individualrechtliche Perspektive überwunden, jedenfalls aufgebrochen wird. Das gilt insbesondere für die Freiheit der Organisation und der inneren Ordnung, für die Ausbildungs- und Ämterfreiheit sowie für die Freiheit der Finanzierung. Auch der Religionsunterricht findet Beachtung. Auf diese Weise kommen personal-korporative und institutionelle Religionsfreiheit in ihrem notwendigen Komplementärverhältnis besser ins Lot. Nicht zuletzt findet das Interesse von Religionsgemeinschaften, am öffentlichen Dialog teilzunehmen und damit als freie Kraft in der Gesellschaft zu wirken, eine grundsätzliche Anerkennung. Dafür und auch im übrigen bedarf es nicht nur der Beseitigung rechtlicher und tatsächlicher Hindernisse, sondern in gewisser Weise auch einer aktiven Religionspolitik in dem Sinne, daß „eine Atmosphäre gegenseitiger Toleranz und Achtung" geschaffen wird. Der Text vermeidet den Begriff der Trennung von Staat und Kirche bzw. von Staat und Religion. Aber er legt offenkundig das Leitbild des freiheitlichen Staates
Religions- und Kirchenfreiheit im KSZE-Prozeß
zugrunde und versagt sich dem Modell des Glaubensstaates bzw. der Staatsreligion ebenso wie dem des Weltanschauungsstaates bzw. der Staatsweltanschauung. Hingegen wird Raum gelassen für Kooperation, wie überhaupt alle Anzeichen für eine Tendenz der Verdrängung aus dem Bereich der gesellschaftlichen Öffentlichkeit fehlen und offenbar von einer prinzipiellen Gleichrangigkeit religiöser mit anderen menschlichen Interessen ausgegangen wird. Während das, was Religionsfreiheit positiv zum Inhalt hat, relativ breit ausgefächert ist, kommt das Problem der Schranken nur in einer allgemeinen Wendung zur Sprache. Immerhin: Es geht sozusagen um die Polizeifestigkeit des Grundrechts, d.h. um die rechtsstaatliche Forderung, daß die Schranken gesetzlich bestimmt sein müssen, ferner um den Rekurs auf völkerrechtliche und andere internationale Verpflichtungen, womit vor allem auf die Schrankenklausel des internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte von 1966 verwiesen sein dürfte. Hingegen fehlt ein ausdrückliches Wort über die Möglichkeit des Mißbrauchs. Es gilt zu betonen, daß dieser Katalog zur Konkretisierung der Religionsfreiheit wie auch schon deren Hervorhebung als solche nicht isoliert stehen, und zwar nicht nur deshalb, weil sie sich aus dem Kontext der Menschenrechtsfrage ergeben, sondern weil auch dieser wiederum in einem größeren Zusammenhang gesehen wird, nämlich dem, was man die „menschliche Dimension" zu nennen pflegt. Im Blick darauf darf unterstrichen werden, daß - so selbstverständlich das klingen mag der Bereich der Religionsfreiheit zur menschlichen Dimension gerechnet wird, daß Religion bzw. Religiosität also ein Humanuni darstellt und nichts ist, was etwa vor dem Forum der Wissenschaft keine Daseinsberechtigung mehr hätte oder was zum Absterben verurteilt ist oder für das sogar gewissermaßen staatliche Sterbehilfe geleistet werden müßte. Im übrigen wird der Religionsfreiheit als Element der „menschlichen Dimension", insonderheit der „menschlichen Kontakte", mit folgender Aussage ein spezieller Tribut gezollt: Die Teilnehmerstaaten „werden es Gläubigen, religiösen Bekenntnissen und deren Vertretern gestatten, im In- und Ausland in Gruppen oder einzeln direkte persönliche Kontakte und Verbindungen untereinander aufzunehmen und zu pflegen, unter anderem durch Reisen, Pilgerfahrten und die Teilnahme an Versammlungen und anderen religiösen Veranstaltungen. In diesem Zusammenhang und im Einklang mit solchen Kontakten und Veranstaltungen ist es den betreffenden Personen gestattet, religiöse Publikationen und Gegenstände, die mit der Ausübung ihrer Religion oder ihres Glaubens in Zusammenhang stehen, zu erwerben, zu erhalten und mit sich zu führen" 35 .
In den speziellen der menschlichen Dimension gewidmeten Konferenzen von Kopenhagen und Moskau ist zwar das Thema Religionsfreiheit nicht weiter entfaltet worden, aber es fehlt nicht, sondern bildet einen unverzichtbaren Bestandteil. Dabei bekräftigt das Dokument von Kopenhagen die Maßgeblichkeit des inter35 Text bei Fastenrath (Anm. 12), B 3, S. 39 (Nr. 32). Vgl. auch Kimminich, S. 183.
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nationalen Standards36. Das Dokument von Moskau akzentuiert u. a. die Notwendigkeit des Unterrichts über Menschenrechte. Danach erkennen die Teilnehmerstaaten an, „daß ein wirksamer Unterricht über Menschenrechte einen Beitrag zur Bekämpfung von Intoleranz, von Vorurteilen und Haß aus religiösen, rassischen und ethnischen Gründen - auch gegen Roma von Xenophobie und Antisemitismus leistet" 37 . Eine spezifische Komponente stellt das Phänomen Religion im Rahmen der Bemühungen um den Schutz von Minderheiten dar. Hierfür darf aus jüngerer Zeit außer dem Wiener Dokument von 1989 insbesondere auf den Bericht des KSZEExpertentreffens über nationale Minderheiten vom 19. Juli 1991 verwiesen werden. Hier haben die Teilnehmerstaaten erneut bekräftigt, „daß Angehörige nationaler Minderheiten das Recht haben, ihre ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität frei zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und weiterzuentwikkeln, und ihre Kultur in all ihren Aspekten zu erhalten und weiterzuentwickeln, frei von jeglichen Versuchen, gegen ihren Willen assimiliert zu werden" 38 . Das findet eine Entsprechung im institutionellen Bereich, insofern auch das Recht von Angehörigen nationaler Minderheiten ausdrücklich anerkannt wird, „ihre eigenen Bildungs-, Kultur- und Religionseinrichtungen, -Organisationen und -Vereinigungen zu gründen und zu unterhalten" 39. Wie selbstverständlich erscheint hier Religion neben dem ethnischen Aspekt sowie neben Sprache und Kultur als identitätsstiftend - mit der Gefahr freilich, daß Religion seine Distanz gegenüber dem Politischen verliert und in den Sog nationalistischer Tendenzen hineingerissen wird. Ein letzter Hinweis gilt der Sorge für das kulturelle Erbe, die sich die KSZEStaaten zur Aufgabe gemacht haben. Das hat zuletzt in dem Krakauer Symposium vom 6. Juni 1991 Niederschlag gefunden. Hier wird die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß die Staaten „gemeinsame, durch die Geschichte geprägte Wertvorstellungen teilen" 40 und daß dazu die Achtung vor der Religionsfreiheit gehört. Sodann werden in speziellem Zusammenhang betont religiöse Baudenkmale genannt41. Vor allem aber wird eine prinzipielle „Anerkennung des bedeutenden Beitrags von Glaubensgemeinschaften sowie religiösen Institutionen und Organisationen zum kulturellen Erbe" ausgesprochen und daraus eine konkrete Folgerung gezogen, nämlich zum einen mit den Religionsgemeinschaften bei der Erhaltung des kulturellen Erbes eng zusammenzuarbeiten, zum andern speziell „jenen sakralen Baudenkmalen und Objekten, die nicht mehr von den ursprünglichen Gemeinden benutzt werden oder die sich in Gebieten befinden, in denen diese Gemeinden nicht mehr bestehen, gebührende Aufmerksamkeit zukommen 36 37 38 39 40
Text bei Fastenrath, Text bei Fastenrath, Text bei Fastenrath, Text bei Fastenrath, Text bei Fastenrath,
H 1, S. 8. H 4, S. 22 (Nr. 42.2). H 3, S. 5 (unter III). H 13, S. 8 (unter V). H 2, S. 1 (Vorspruch).
41 Text bei Fastenrath, H 2, S. 4 (Nr. 12).
Religions- und Kirchenfreiheit im KSZE-Prozeß
(zu) lassen"42. Für den Gesamtkomplex von Kultur ist jedenfalls klar, daß sie das Element der Religion einschließt, auch wenn diese nicht darin aufgeht.
VI. Die vorstehende Übersicht hat wohl hinreichend deutlich gemacht, daß die religiösen Phänomene im KSZE-Prozeß nicht vernachlässigt worden sind, daß sie vielmehr einen angemessenen Stellenwert besitzen und daß die Religionsgemeinschaften auch selbst die Möglichkeit genutzt haben, sich in diesem Prozeß zur Geltung zu bringen. Man könnte sich allerdings vorstellen, daß es auch einmal zu einem Symposion oder Expertentreffen speziell zu dieser Thematik kommt. Der Austausch von authentischen Informationen über die jeweils konkrete Regelung des Staat-Religions-Verhältnisses ist ja nach wie vor verbesserungsbedürftig und ausbaufähig. In diesem Sinne könnte der weitere KSZE-Prozeß als solcher für Kirchen und Religionsgemeinschaften relevant werden und zur Verwirklichung des in dieser Sache grundlegenden Postulats beitragen, nämlich zur Gewährleistung der Religionsfreiheit als tragendes Prinzip der interreligiösen Beziehungen. Umgekehrt könnte unterstrichen werden, wie bedeutsam Kirchen und Religionsgemeinschaften für das Wachsen der Wertegemeinschaft KSZE sind, welchen förderlichen Beitrag sie - als Gegengewicht gegen den um sich greifenden Säkularismus - für die Fortentwicklung des sozialethischen Fundaments leisten und wie sie einen Dienst an der Gesellschaft und am Staat tun können. Demgegenüber mag man daran zweifeln, ob die geschilderten Entwicklungen auch für die Grundrechtsdogmatik juristischen Gewinn abwerfen. In der Tat, für einen Beobachter aus der Bundesrepublik Deutschland oder aus einem anderen Staat mit einem eingespielten freiheitlichen Staat-Kirche-Verhältnis formulieren die Texte der KSZE weithin Selbstverständlichkeiten oder „minima iuridica". Gleichwohl bieten sie auch für ihn anschauliche exempla für die Konkretisierung und Spezifizierung des Schutzbereichs der Religionsfreiheit 43, lassen sie doch spiegelbildlich spezifische Verletzungstatbestände und Gefährdungen erkennen 44. Sie bestärken den Interpreten in dem Bemühen, beim Ausgleich von negativer und positiver Freiheit, von individualrechtlicher und kollektivrechtlicher Dimension zu konstruktiven Lösungen zu kommen, insbesondere aber die Verwurzelung des Selbstbestimmungsrechts im Grundrecht der Religionsfreiheit zu erkennen, dem mithin auch eine organisatorisch-institutionelle Komponente inhärent ist. Im Hinblick darauf läßt sich nicht zuletzt auch vorstellen, daß die KSZE-Texte als Texte 42 Text bei Fastenrath, H 2, S. 6 (Nr. 26). 43 Zu diesem Komplex vgl. zuletzt die umfassende Darstellung bei Axel Freiherr von Campenhausen, Religionsfreiheit, in: Handbuch des Staatsrechts, hrsg. v. Josef Isensee / Paul Kirchhof, Bd. VI, Heidelberg 1989, S. 369-434. Vgl. auch Alexander Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, ebenda, S. 531 f., 534-538. 44
Vgl. diesen Gedanken auch bei Kimminich, a. a. O., S. 173.
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des internationalen Rechts in besonderer Weise in die Interpretation der Europäischen Menschenrechtskonvention hinüberwirken und auch für die Entwicklung des Rechts der Europäischen Union, soweit dieses es mit Religion und Kirche zu tun hat, Markierungen bedeuten. Insgesamt bilden auch sie Bausteine für ein „Gemeineuropäisches Verfassungsrecht" 45.
45
Siehe dazu die gleichnamige grundlegende Studie von Peter Häberle, in: EuGRZ 1991, S. 261 ff., jetzt auch in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, Berlin 1992, S. 71-104.
IV. Verträge zwischen Staat und Kirche
Das Badische Konkordat vom 12. Oktober 19321 L Wer an einem 10. März wie heute über das Badische Konkordat 2 zu sprechen hat, kann nicht umhin, seine Zuhörer zu bitten, sich zuerst einmal auf den Tag genau um nunmehr 44 Jahre zurückzuversetzen: A m 10. 3. 1933 nämlich herrschte in Karlsruhe fieberhafte Spannung und Nervosität 3 . Zwei Tage zuvor hatte der Reichsinnenminister mitgeteilt, er habe aufgrund der Reichstagsbrand-Verordnung Robert Wagner als Reichskommissar eingesetzt. Unter dem, was damit in äußerste Gefahr geriet, waren nicht zuletzt die i m Oktober bzw. November 1932 mit der Katholischen und der Evangelischen Kirche abgeschlossenen Staatskirchenver-
Erstveröffentlichung in: Beiträge zur Rechtsgeschichte. Gedächtnisschrift für Hermann Conrad, hrsg. v. Gerd Kleinheyer/Paul Mikat. Paderborn [u. a.]: Schöningh, 1979, S. 283305 (Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft; N.E 34). 1
Überarbeitete Fassung eines Vortrags, der auf der ordentlichen Jahresversammlung des Kirchengeschichtlichen Vereins für das Erzbistum Freiburg am 10. März 1977 gehalten wurde. Die hier versuchte Analyse und Würdigung stand betont im Zeichen des Freiburger Bistumsjubiläums. Vgl. dazu: Das Erzbistum Freiburg 1827-1977, hrsg. v. Erzbischöflichen Ordinariat, Freiburg i. Br. 1977 (darin Hugo Ott, Das Erzbistum Freiburg im Ringen mit Staatskirchentum und Staatskirchenhoheit, S. 75-92); Gestalten und Ereignisse. 150 Jahre Erzbistum Freiburg 1827-1977, hrsg. v. Josef Sauer, Karlsruhe 1977 (darin Wolf gang Müller, Grundlinien der Entwicklung der Erzdiözese Freiburg, S. 23-59). 2 Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Freistaate Baden v. 12. Oktober 1932, GVB1. 1933, S. 20 = AAS 25 (1933) S. 177. Text bei Werner Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart, Bd. I, Göttingen 1962, S. 100 ff., und bei Hermann Weber, Staatskirchen Verträge, München 1967, S. 29 ff. - Grundlegend dazu die Arbeiten von Ernst Föhr: Das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Freistaate Baden vom 12. Oktober 1932, Freiburg i. Br. 1933; Geschichte des Badischen Konkordats, Freiburg i. Br. 1958. Vgl. sodann Erich Will, Das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Baden vom 12. Oktober 1932, jur. Diss. Freiburg i. Br. 1953; Georg May, Mit Katholiken zu besetzende Professuren für Philosophie und Geschichte an der Universität Freiburg nach dem Badischen Konkordat vom 12. Oktober 1932, in: Ius et salus animarum. Festschrift für Bernhard Panzram, hrsg. v. Ulrich Mosiek/Hartmut Zapp, Freiburg i. Br. 1972, S. 341-370; Alexander Hollerbach, Streiflichter zur Entstehungsgeschichte der Badischen Staatskirchenverträge von 1932, ZRG Kan. Abt. 61 (92) 1975, S. 324-347. Neuerdings vgl. auch Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. I, Frankfurt am Main 1977, S. 188-196, ferner Karl Stiefel, Baden 1648-1952, Bd. I, Karlsruhe 1977, S. 706-710. 3 Vgl. dazu im einzelnen Horst Rehberger, 1932/33, Heidelberg 1966, S. 102 ff. 26 Hollerbach
Die Gleichschaltung des Landes Baden
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Das Badische Konkordat vom 12. Oktober 1932
träge; denn die Nationalsozialisten hatten sie im Landtag bis zuletzt abgelehnt. Die Verträge waren am 9. Dezember 1932 parlamentarisch verabschiedet worden, konnten aber, da ein Dringlichkeitsantrag des Zentrums nicht erfolgreich war, frühestens nach 3 Monaten, d. h. eben am 10. 3. 1933 verkündet werden. Das geschah nun in der Tat, vorbereitet durch einen Beschluß des Staatsministeriums vom 16. Februar 1933. Der 10. März, an dem die Regierung im übrigen vor allem mit der Frage einer Klage beim Staatsgerichtshof gegen die Einsetzung des Reichskommissars befaßt war, brachte mithin die Veröffentlichung der Vertragswerke im Gesetz- und Verordnungsblatt. Aber ihr Inkrafttreten war noch abhängig vom Austausch der Ratifikationsurkunden. Dieser Akt mußte in der revolutionären Situation, in der man sich befand, nun so rasch wie möglich vollzogen werden. Er ging am nächsten Tag, am 11. März, gerade noch über die Bühne - die Nationalsozialisten standen für wenige Stunden noch gewissermaßen Gewehr bei Fuß. Nachdem der Nuntius Orsenigo mit dem Nachtschnellzug aus Berlin angereist war, wurden um 8.30 Uhr die Ratifikationsurkunden zum Badischen Konkordat ausgetauscht, um 10 Uhr diejenigen zum Badischen Kirchenvertrag, um 11 Uhr wurde das Gesetz- und Verordnungsblatt mit der amtlichen Bekanntmachung über diesen Akt ausgegeben, um 12 Uhr wurde die Regierung ihrer Funktionen entsetzt, Staatspräsident Schmitt 4 in Schutzhaft genommen. Der Urkundenaustausch war demgemäß die „letzte Amtshandlung der frei gewählten Regierung in dem demokratischen Land Baden"5. Die Verträge hatten damit gerade noch volle Geltung erlangt, bevor es der NSDAP auch in Baden gelungen war, mit Hilfe der Reichsregierung die Macht an sich zu reißen. Es war nicht das einzige Mal, daß das Schicksal der Badischen Staatskirchenverträge auf des Messers Schneide stand. Dramatisch ging es auch schon bei der parlamentarischen Verabschiedung zu. Es ist in der Konkordatsgeschichte ein wohl einmaliger Vorgang, daß nach dem Ausscheiden der SPD aus der Regierungskoalition das Konkordat in der ersten Lesung bei Stimmengleichheit nur mit Hilfe des Stichentscheids des dem Zentrum angehörenden Parlamentspräsidenten angenommen wurde. Bei der zweiten Lesung bedurfte es des Stichentscheids nur deshalb nicht mehr, weil zwei oppositionelle Abgeordnete nicht anwesend waren: 44:42 lautete am Ende das Abstimmungsverhältnis. Gewiß hatte es auch bei den Vorläuferkonkordaten in Bayern 6 und in Preußen7 erhebliche Spannungen und Auseinandersetzungen gegeben: aber die dortigen Vorgänge hatten nicht eine solche Dramatik wie in Baden erreicht. 4 Vgl. dazu Josef Bartilla/Alexander Hollerbach, Josef Schmitt (1874-1939). Bausteine zur Würdigung seines Wirkens als badischer Jurist und Politiker, Freiburger Diözesan-Archiv 97 (1977) S. 380-400. 5
So Ernst Föhr, Geschichte (Anm. 2) S. 55. Eine zusammenfassende Darstellung fehlt leider. Vgl. aber jetzt das wertvolle Material bei Ludwig Volk, Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917-1945, Bde. I u. II, Mainz 1975 u. 1978. 7 Vgl. dazu Dieter Golombek, Die politische Vorgeschichte des Preußenkonkordats (1929), Mainz 1970. 6
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IL Dieser Befund legt es nahe, der Entstehungsgeschichte im ganzen und im Detail noch einmal näher nachzugehen. Doch dürfte es sich im Rahmen dieser Skizze eher empfehlen, aus dem Komplex Entstehungsgeschichte nur einige Einzelpunkte herauszugreifen und zu beleuchten, und zwar vornehmlich solche, denen auch die weitere Forschung ihre besondere Aufmerksamkeit wird schenken müssen8. 1. Da ist zuerst das Verhältnis zwischen Rom und Freiburg. Gegenüber dem schon früh erkennbar gewordenen recht massiven Drängen der päpstlichen Kurie auf ein neues Konkordat hat Erzbischof Carl Fritz zunächst eine durchaus reservierte Haltung eingenommen, und er wußte sich darin mit maßgebenden badischen Zentrumspolitikern einig, insbesondere mit Joseph Schofel. Der Erzbischof hat Anfang 1926 eine eingehende Darstellung der Gründe nach Rom gegeben, die gegen die Opportunität eines Konkordats sprechen10. Er hebt einerseits den durch die Reichs- und Landesverfassung erzielten Freiheitsgewinn hervor, befürchtet andererseits, der Staat könnte versuchen, sich seiner finanziellen Lasten zu entledigen oder sie zumindest herunterzudrücken. Aber auch eine Erwägung wie diese hat in den Überlegungen des Erzbischofs Raum: behutsames Vorgehen „sei auch deshalb zweckmäßig, weil niemand sagen könne, ob und wie lange die jetzige Staatsform bleibe und ob nicht doch die großherzogliche Familie wieder an die Regierung komme oder ob nicht Deutschland wieder Monarchie werde; ein Vertrags Verhältnis, das nun einhundert Jahre dauere, und die Dotation, die auf ihm beruhe, hätten mehr Aussicht auf dauernde Einhaltung als ein Konkordat, das als Kind der Revolution eben erst abgeschlossen wurde und noch jung sei" 11 . So war Erzbischof Fritz aus pragmatischen wie aus prinzipiellen Erwägungen weder ein Konkordatsenthusiast noch ein Konkordatsideologe. Er hätte jedenfalls nicht, wie Nikolaus Hilling das damals einmal in fast blasphemischer Zuspitzung getan hat, ein „credo in concordatum" sprechen können 12 . Das erwähnte Memorandum des Erzbischofs ist in Rom auf ziemlich schroffe Ablehnung gestoßen. Kardinalstaatssekretär Gasparri ging so weit, nunmehr einfachen die Maßgeblichkeit des ius commune zu erklären. Das hat natürlich ver8
Die nachfolgenden Bemerkungen stützen sich im wesentlichen auf eine Durchsicht der beim Erzbischöflichen Archiv Freiburg verwahrten Akten. Einschlägig sind vornehmlich: Nachlaß Gröber, Fasz. 1; Nachlaß Föhr, Handakten zum Badischen Konkordat; ferner die Aktenfaszikel 29/137-139, 151 -152. 9 Vgl. dazu auch Heinrich Köhler, Lebenserinnerungen des Politikers und Staatsmannes 1878-1949, hrsg. v. Josef Becker, Stuttgart 1964, S. 322. 10 Schreiben vom 20. Januar 1926, Akten 29/138. 11 Diese, vom vorstehend zitierten Schreiben etwas abweichende Formulierung in einem handschriftlichen „Vorbericht" des Erzbischofs Fritz vom 18. Februar 1931 in den Akten 29/151. 12 Die Konkordatsfrage, ArchKathKR 110 (1930), S. 121 -135. Vgl. dazu auch vom Verf., Kirchenrecht an der Freiburger Rechtsfakultät 1918-1945, ZevKR 23 (1978), S. 34 Anm. 29. 2*
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stimmt. Es ist aber keineswegs so, daß nun etwa die weitere Entwicklung an der Herrenstraße bzw. am Münsterplatz vorbeigelaufen sei. Als konkrete Verhandlungen einsetzten, hat sich der Erzbischof, bereit, sich auf den Boden der Tatsachen zu stellen, sehr wohl - wenn auch vermittelt durch Ernst Föhr - mit sehr förderlichen und sachkundigen Stellungnahmen eingeschaltet. Auf diese Weise sind die ersten Textvorschläge von ihm mitbeeinflußt worden. Diese Linie wurde auch nach seinem Tode am 7. Dezember 1931 fortgesetzt. Kapitelsvikar Joseph Sester hat sich sofort intensiv mit der Konkordatsmaterie befaßt und seine Wünsche und Vorstellungen auf dem Weg über Ernst Föhr in die Verhandlungen eingebracht. Es lassen sich durchaus einige Punkte benennen, in denen seine Initiativen Erfolg hatten. Nicht alles geht also auf das Konto Föhr, wie es vordergründig vielleicht scheinen könnte 13 . Der neue Erzbischof Conrad Gröber, der natürlich keinen Grund hatte, in der Konkordatsfrage retardierend zu wirken, fand insoweit einen günstigen Boden vor, der für seine eigenen Bemühungen gut aufbereitet war. Für ihn wurde das übrigens eine Art Vorschule für sein Engagement beim Zustandekommen des Reichskonkordats. Jedenfalls hat er sich später in wichtigen Punkten am Badischen Konkordat orientiert und ihm eine große Bedeutung beigemessen14. 2. Noch nicht völlig aufgehellt ist die Rolle der Freiburger Theologischen Fakultät. Zunächst fällt schon auf, daß der damalige Inhaber des kirchenrechtlichen Lehrstuhls, Nikolaus Hilling, in keiner Weise offiziell zu den Vörberatungen oder den Verhandlungen zugezogen worden ist, weder auf Seiten der Regierung noch auf Seiten der Partei, auch nicht durch das Ordinariat. Immerhin ist er literarisch, wie schon angedeutet, als warmer Befürworter des Konkordatsgedankens aufgetreten 15. Dagegen hat sich die Fakultät offenbar schwer getan, ein positives Verhältnis zur römischen Studienbulle „Deus scientiarum Dominus" von 1931 zu finden, auf die im Konkordat Bezug genommen werden sollte. Schließlich gab es Ärger mit Josef Sauer 16. Er hatte eine Eingabe der Philosophischen Fakultät wegen der Konkordatsprofessuren unterstützt, während gleichzeitig ein Antrag in Rom 13
Wichtig vor allem die Stellungnahmen Sesters vom 14. 3. und 1. 4. 1932, sodann seine Darstellung vom 17. 3. 1933 (Akten 29/137). Zur Person von Sester Hinweise beim Verf., Streiflichter (Anm. 2), S. 333 Anm. 31. Vgl. dazu Ludwig Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933, Mainz 1972, S. 111 ff., ferner Clemens Bauer, Erzbischof Gröber und das Reichskonkordat, in: Alemannisches Jahrbuch 1970, S. 287-331. 15 Über ihn die Nachrufe von Klaus Mörsdorf, ArchKathKR 129 (1959/60), S. I - X , und von Bernhard Panzram, ZRG Kan. Abt. 47 (78) 1961, S. 434-436. Außer der oben Anm. 12 angeführten Stellungnahme zu Konkordatsproblemen vgl. von Hilling: Das bayerische Konkordat, Hochland 22/1 (1924/25), S. 672-683; Revolution und Konkordat. Zur Erklärung Benedikts XV. vom 21. November 1921 über das Erlöschen der Konkordate infolge von Neubildung und Verfassungsänderung der Staaten, in: Das Neue Reich 10 (1927/28), S. 458 f., 479-481,502-504. 16 Über ihn A. M. Schneider, Hist. Jb. 62-69 (1949), S. 970-983; A. Allgeier, FDA 69 (1950), S. 7 - 1 4 ; J. Kollwitz, LThK 2 IX (1964) Sp. 347.
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lief, ihn zum Prälaten zu machen. Daraufhin der Erzbischof Gröber lapidar in einem Brief an Pater Leiber: „Quertreibereien gegen das Konkordat oder Teile desselben verdienen die Prälatur vorerst nicht" 17 . Von Interesse dürfte es sein, auch die Position anderer Fakultätsmitglieder zu klären. So wird man etwa zu prüfen haben, ob nicht eine Stellungnahme von Franz Keller 18, dem damaligen Moraltheologen, in den Zusammenhang einer innerkatholischen kirchen- und konkordatspolitischen Opposition gehört oder doch jedenfalls Ausdruck einer eher reservierten Haltung ist - ein Komplex, der, vom Badischen Konkordat ganz abgesehen, noch gar nicht aufgearbeitet ist. Zu nennen ist etwa Karl Neundörfer 19, vor allem aber Ernst Michel 20. Sie haben mit zum Teil ernsten Gründen vornehmlich gegen die Tendenz zu integralistischem Maximalismus und gegen die Versuchung zentralistisch-kurialistischer Machtsteigerung Front gemacht. Dafür bot nun freilich das Badische Konkordat so gut wie keine Angriffsfläche. Immerhin hat man in Freiburg und Karlsruhe einen Vortrag über „Die Politik der Konkordate", den Ernst Michel am 23. 1. 1931 in Mannheim gehalten hat, aufmerksam registriert 21. 3. Bei der Beschäftigung mit dem vorliegenden Gegenstand empfindet man es als ein besonders dringendes Desiderat, die Vorgänge innerhalb der beteiligten politischen Parteien und sonstigen Gruppen in Baden noch genauer zu eruieren. Noch ist ja etwa die Geschichte des Badischen Zentrums in der Weimarer Zeit nicht geschrieben22, in dem mit den Namen Schofer und Föhr 23 auf der Ebene der geistlichen Führer, oder mit Wirth 24, Köhler 25, Trunk, Schmitt 26 und Baumgartner 21 auf der Ebene der herausragenden Politiker aus dem Laienstand ja durchaus unterschiedliche politische Akzente gesetzt waren, die auch für die Konkordats17 Dazu auch May (Anm. 2), S. 369. 18 Streiflichter zur Konkordatspolitik, in: Das Neue Reich 9 (1926/27), S. 775 f. Über Keller vgl. Karl Borgmann, LThK 2 IV (1961) Sp. 106 und Jakob Bilz, FDA 70 (1950) S. 227 f. 19 Vgl. dazu insbesondere: Zum Problem des Konkordates (1925), in: Karl Neundörfer, Zwischen Kirche und Welt. Ausgewählte Aufsätze aus seinem Nachlaß, hrsg. v. Ludwig Neundörfer/Walter Dirks, Frankfurt am Main 1927, S. 128- 139. 20
Vgl. dazu vor allem seine Schrift Politik aus dem Glauben, Frankfurt am Main 1926, und darin: Lehren des bayerischen Konkordats, S. 46-58. 2 1 Dazu auch May (Anm. 2) S. 358. 22 Materialien bei Karl Bachem, Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei, Bd. V m , Köln 1931, S. 437-474. 23 Über ihn ein erster Nachruf von Manfred Plate, in: Anzeiger für die katholische Geistlichkeit 86 (1977), S. 18-20. 24 Dazu neuestens Hans-Georg Merz, Zur Haltung des badischen Zentrums während der Parteikrise um den früheren Reichskanzler Joseph Wirth (1927/28). Ergänzende Dokumente, FDA 98(1978), S. 571-580. 2 5 Vgl. dazu die Edition seiner Lebenserinnerungen durch Josef Becker (Anm. 9). 26 27
Vgl. dazu jetzt die oben Anm. 4 angeführte Arbeit. Dazu vom Verf., Streiflichter (Anm. 2), S. 328-333.
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frage relevant sind. Doch ist so viel gewiß, daß man bei der Erfassung der Zentrumspolitik und ihrer Entwicklung nicht einfach mit dem Grobraster „links rechts" oder mit Begriffen wie „integralistisch" oder „kurialistisch" wird arbeiten können. Die Aufgabe einer Zentrumsgeschichte ist umso dringlicher geworden, als jetzt mit der Karlsruher Dissertation von Jutta Stehling ein Versuch über die SPD vorliegt 28 . In dieser Arbeit sind die schweren Auseinandersetzungen, die es um das Konkordat zwischen Partei und Fraktion gegeben hat, genau belegt. Der innere Zwiespalt der SPD in Sachen Religion und Kirche wird deutlich, und man kann - freilich ganz entgegen der Tendenz der Autorin - eindeutig feststellen, daß nicht die Macht des Zentrums oder eine Verschwörung von rechts die SPD aus der Koalition geworfen, sondern letzten Endes sie sich selbst eben wegen jenes inneren Zwiespalts in Verbindung mit einer schweren personellen und strukturellen innerparteilichen Krise hinausmanövriert hat. In der politischen Vorgeschichte des Badischen Konkordats ist schließlich von besonderem Interesse die Haltung der Nationalsozialisten. Man wird noch genauer fragen müssen, wie es dazu gekommen ist, daß sie erstmals im Laufe der in Baden geführten Diskussionen die Möglichkeit der Bereitschaft zu einem Vertragsabschluß mit den Kirchen signalisiert haben29. Es ist allerdings kennzeichnend genug, daß sie dabei offenbar sehr stark auf das Problem einer Entpolitisierung von Kirche und Klerus fixiert waren, wofür sie sich das Italienische Konkordat von 1929 zum Vorbild nahmen. Aber es ist nicht ersichtlich, daß es in Baden zwischen Zentrum und Regierung einerseits, NSDAP andererseits eine Gesprächsbasis gegeben hätte oder daß etwa der Versuch gemacht worden wäre, die Nationalsozialisten für eine Zustimmung zu den Verträgen zu gewinnen. Für diese war die Bekämpfung der Verträge ein wesentliches Stück Kampf gegen Weimar - umgekehrt war für das Zentrum der Einsatz für die Verträge ein wesentliches Stück Kampf für den demokratischen Rechtsstaat Weimarer Prägung. Gewiß, die Nationalsozialisten haben am 10./11. März 1933 das Inkrafttreten der Verträge toleriert, obwohl sie faktisch wohl dazu in der Lage gewesen wären, es zu verhindern. Aber es ist weder als Tatsachenbehauptung noch als Werturteil haltbar, wenn man jetzt in der vorerwähnten Studie von Stehling die These liest, das Badische Konkordat sei „wohl gerade und fast ausschließlich im Zusammenhang mit jener Zentrumspolitik im Reich zu sehen, die der Partei später den Vorwurf einbrachte, zum Steigbügelhalter der nationalsozialistischen Machtergreifung geworden zu sein" 30 . 28 Weimarer Koalition und SPD in Baden. Ein Beitrag zur Geschichte der Partei- und Kulturpolitik in der Weimarer Republik, Frankfurt am Main 1976. 29
Zeitlich zuerst Herbert Kraft (MdL), Vom badischen Konkordat, in: Der Alemanne Nr. 15 v. 16. Januar 1932, ein Artikel, der bisher nicht beachtet worden ist. Sodann, sachlich darauf aufbauend, Walter Köhler (MdL), Konkordatswehen in Baden, in: Volkischer Beobachter Nr. 327 v. 22. November 1932. Dazu Volk (Anm. 14), S. 59, Hollerbach, Streiflichter (Anm. 2), S. 336, und jetzt auch Scholder (Anm. 2), S. 209. 30 A. a. O. (Anm. 28), S. 332.
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Das Kapitel „Ausgewählte Probleme der Entstehungsgeschichte" kann nicht abgeschlossen werden, ohne nachdrücklich für eine Publikation der kirchlichen, staatlichen und privaten Akten zum Badischen Konkordat zu plädieren. Man braucht zur Begründung nur auf die heilsame Wirkung der entsprechenden Veröffentlichungen zum Reichskonkordat zu verweisen 31.
in. Es ist geboten, daß sich die Erörterung des Themas nunmehr dem Vertragswerk selbst zuwendet. Wenn seine Analyse und Würdigung betont im Blick auf das Bistumsjubiläum erfolgen soll, so fordert das zwar eine möglichst genaue Bestimmung seines Stellenwerts im historischen Verlauf der Geschichte von Staat und Kirche in Baden, aber wohl noch mehr seine Erfassung als ein bedeutsames Element für die heutigen und morgigen Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Kirche. In der Tat: das Badische Konkordat ist geltendes, praktiziertes Recht, ist - mit einer alten kanonistischen Formel gesprochen - ein Stück „vigens disciplina". Das Badische Konkordat ist Anfang 1933 ordnungsgemäß in Kraft getreten, dann in den Rahmen des Reichskonkordats einbezogen worden 32 und während der ganzen Zeit des Dritten Reiches in Geltung geblieben. Für die Kirche war es unzweifelhaft ein wichtiges Element der Rechtssicherheit, es hat ihr als Operationsund Verteidigungsbasis eine unschätzbare Hilfe geboten. Glücklicherweise gab es in den schweren Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche keine Probleme, die in spezifischer Weise ihre Ursache in den konkordatären Regelungen in Baden gehabt hätten. Andererseits bezogen sich das wachsende Mißtrauen 33, die immer mehr um sich greifende etatistische Interpretation vertraglicher Bestimmungen 34 und die Versuche der Aushöhlung konkordatärer Rechtspositionen, vor allem in bezug auf die Theologischen Fakultäten und die Staatsleistungen, natürlich auch auf das Badische Konkordat 35. Zunehmend wurde im übrigen deutlich, daß es 31 Alfons Kupper, Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933, Mainz 1969; Ludwig Volk, Kirchliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933, Mainz 1969. 32 Vgl. Art. 2. 33 Vgl. dazu den signifikanten (mit M. gezeichneten) Artikel „Zur Konkordatslage in Deutschland", in: Unser Wille und Weg. Monatsblätter der Reichspropagandaleitung der NSDAP 8 (1938), S. 260-265. 34 Siehe beispielshalber die Stellungnahme von Ernst Rudolf Huber zur politischen Klausel des Reichskonkordats, wo im Schlußprotokoll zu Art. 14 Abs. 2 Ziff. 2 ausdrücklich gesagt wird, ein staatliches Vetorecht solle nicht begründet werden: „Solche Feinheiten der kurialen Amtssprache können nicht darüber täuschen, daß die Ernennung eines Bischofs unzulässig ist und vom Staate nicht anerkannt zu werden braucht, wenn politische Bedenken erhoben werden" (Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, Hamburg 1939, S. 505). 35 Zur Gesamtentwicklung vgl. die Beiträge zu der von Dieter Albrecht herausgegebenen Aufsatzsammlung „Katholische Kirche im Dritten Reich", Mainz 1976. Vielfältiges Material bei Bernhard Stasiewski, Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bde. I und II, Mainz 1968 u. 1976.
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durchaus querlag zum Konzept radikaler Trennung von Staat und Kirche unter ideologischem Vorzeichen 36, und erst recht querlag zu jenen eigentümlichen Initiativen zur „Endlösung" der Kirchenfrage, die durch den Kultusminister Wacker ausgerechnet in Baden entwickelt worden sind 37 . Nachdem die tödliche Gefährdung in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft überwunden war, konnte man nach 1945 wieder ohne weiteres den Vertrag von 1932 in seinem vollen Rang zur Geltung kommen lassen und so an den gerade noch unter Weimar begründeten Standard anknüpfen. Nur im Schrifttum 38, niemals aber in der Staatspraxis hat es je Zweifel an der grundsätzlichen Fortgeltung des Badischen Konkordats gegeben. Die baden-württembergische Verfassung von 1953 beseitigt auch aus der Sicht des staatlichen Rechtes jegliche Zweifel, ja erklärt, daß Rechte und Pflichten, die sich aus Verträgen mit der Evangelischen und der Katholischen Kirche ergeben, von dieser Verfassung unberührt bleiben 39 . Demgemäß bilden - unbeschadet selbstverständlich seiner Einbeziehung in den Rahmen des Reichskonkordats - das Badische Konkordat von 1932 und die Verfassung von 1953, diese wiederum im Rahmen des Grundgesetzes, die maßgebende Grundlage für die staatskirchenrechtlichen Beziehungen zwischen dem Land BadenWürttemberg und der Erzdiözese Freiburg.
IV. Damit ist der Ausgangspunkt für eine genauere inhaltliche Durchmusterung des Konkordats als eines Dokuments des geltenden Rechts erreicht. Naturgemäß können nicht alle Probleme aufgegriffen werden, wohl aber sollen die wichtigsten zur Sprache kommen. Dabei geht es vornehmlich darum, das Konkordat auf dem Hintergrund seiner Entstehungsgeschichte mit der neueren Rechtsentwicklung in Staat und Kirche in Beziehung zu setzen. 1. Ein erster Sachkomplex läßt sich überschreiben mit „ Verfassung sation der Erzdiözese
und Organi-
36 Wichtig dazu Paul Gürtler, Nationalsozialismus und evangelische Kirchen im Warthegau. Trennung von Staat und Kirche im nationalsozialistischen Weltanschauungsstaat, Göttingen 1958. 37 Dazu Klaus Scholder, Baden im Kirchenkampf des Dritten Reiches, in: Oberrheinische Studien, hrsg. v. Alfons Schäfer, Bd. II, Karlsruhe 1973, S. 223-241. 38 Vgl. Erich Will, Konkordat (Anm. 2) S. 266 ff., femer Günter Ostermann, Die Fortgeltung des Badischen Konkordats von 1932, jur. Diss. Köln 1962. Dagegen schon vom Verf., Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main 1965, S. 281 f. 39 Art. 8. Vgl. dazu Rudolf Spreng/Willi Birn/Paul Feuchte, Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart/Köln 1954, S. 55 ff., insbesondere aber Hans Reis, Konkordat und Kirchenvertrag in der Staatsverfassung, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts N. F. 17 (1968), S. 331-348. Die Verfassungen für Württemberg-Baden vom 28. November 1946 und für Baden vom 22. Mai 1947 hatten keine Vertragsklauseln enthalten.
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(1). Das Konkordat hat die Zirkumskription der Erzdiözese, wie sie vor 150 Jahren festgelegt worden war, bekräftigt 40. Im Hinblick auf die politische Landkarte war ihr besonderes Signum die Einbeziehung Hohenzollerns, weswegen es übrigens seit langem zum Alltag der kirchlichen Verwaltung gehörte, auf zwei unterschiedlichen staatskirchenrechtlichen Ebenen zu arbeiten, nämlich der badischen und der preußischen. Bei dieser Zirkumskription ist es, abgesehen von einer kleinen Randkorrektur 41, bis heute geblieben. Mit der Gründung des Landes Baden-Württemberg ist für Freiburg und Rottenburg auch wieder die volle Übereinstimmung der Diözesangrenzen mit den äußeren Landesgrenzen erreicht worden 42 . Die jüngst vollzogenen, zum Teil erheblichen Veränderungen der inneren territorialen Strukturen der Staatsverwaltung haben nun allerdings zu Situationen geführt, die auf längere Sicht vielleicht den Gedanken an Änderungen in der Zirkumskription aufkommen lassen könnten. Es besteht indes immer wieder Anlaß, die prinzipielle Unabhängigkeit von Staats- und Kirchengrenzen zu betonen. Sollte es zu einer Anpassung kommen, so wäre freilich eine förmliche Änderung des Badischen Konkordats unerläßlich, ja es würde sich dann vermutlich die Frage einer konkordatären Regelung für das ganze Land Baden-Württemberg stellen. (2). Durch das Badische Konkordat ist die Verfassung des Domkapitels neu geordnet worden 43 . Zwar wurde der zahlenmäßige Umfang des Kapitels nicht erweitert, aber die Dignität des Dompropstes neu geschaffen. Was nun diese und die Dignität des Domdekans angeht, so gilt es, eine sachliche Änderung des Konkordats zu registrieren, die ihre Grundlage im Zweiten Vatikanischen Konzil und dem zu seiner Ausführung ergangenen Recht hat. Mit Rücksicht auf den in Nr. 1 Abs. 18 § 1 des Motuproprio „Ecclesiae Sanctae"44 ausgesprochenen Verzicht des Heiligen Stuhls auf gewisse Reservationen im Ämterbesetzungsrecht werden künftig die Dignitäten des Freiburger Domkapitels nicht mehr vom Heiligen Stuhl, sondern vom Erzbischof selbst verliehen, und zwar unter Anwendung der in Art. II Abs. 6 des Konkordats schon bisher für die Besetzung der Kanonikate und Präbenden vereinbarten Regelung, also „abwechselnd nach Anhörung und mit Zustimmung des Domkapitels". Die Landesregierung hat ausdrücklich erklärt, sie erhebe hiergegen keine Einwendungen45. Ob im übrigen die innerkirchliche Entwicklung daraufhinauslaufen wird, die Domkapitel zu beseitigen oder, um ein Modewort zu gebrauchen, umzufunktionieren, kann hier dahinstehen. Ihr staatskirchenrechtlicher Status ist jedenfalls unangefochten. 40 A r t .
II
A b s . 1.
41 1971 wurde die Pfarrei St. Pankratius in Schluchtern (Landkreis Heilbronn) in die Diözese Rottenburg eingegliedert: ABl. Erzdiözese Freiburg 1971, S. 104. 42 Die einzige Enklave ist die zum Bistum Mainz gehörende Pfarrei Bad Wimpfen. Vgl. dazu auch vom Verf. (Anm. 38) S. 61. 43 Art. I I Abs. 4 - 6 . 44 Text in Nachkonziliare Dokumentation Bd. 3 (1967). 45 Vgl. die Verlautbarung im Amtsblatt der Erzdiözese Freiburg 1974, S. 24.
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(3). In den Vertragsverhandlungen hat im Hinblick auf die Wahlbefugnisse des Domkapitels die Frage seiner Erweiterung um nicht-residierende Ehrendomkapitulare einen erheblichen Raum eingenommen. Man hat sich sehr schwer getan, eine angemessene Regelung zu finden. Man begnügte sich schließlich einfach damit, vier Stellen für Ehrendomkapitulare zu schaffen. Dabei waren sich die Vertragspartner in mündlicher Nebenabrede darin einig, daß diese Stellen nicht mit bestimmten Pfründen oder Ämtern gekoppelt sein sollten. Vielmehr sollte - ein durchaus nach vorn weisender Gedanke - „gleichsam eine Vertretung des Gesamtklerus (Stadt- und Land-Seelsorger und sonstige Geistliche)" geschaffen werden 46. Das ist nicht nur Programm geblieben, sondern auch tatsächlich Praxis geworden. Jedenfalls aus der derzeitigen Zusammensetzung ist eine Verteilung der Stellen nach sachlichen Gesichtspunkten deutlich erkennbar: repräsentiert sind der Stadtund der Landklerus, der hohenzollerische Anteil der Erzdiözese und als eine besonders wichtige Institution die Theologische Fakultät der Universität Freiburg. (4). Von zentraler Bedeutung ist natürlich die für die Besetzung des erzbischöflichen Stuhles getroffene Abmachung47, hatte diese Frage doch auch in der kirchenpolitischen Vorgeschichte des Konkordats eine ganz vorrangige Rolle gespielt. Das besondere Kennzeichen des Badischen Konkordats liegt über die als solche schon bedeutsame Gewährleistung des domkapitularischen Wahlrechts hinaus in der Zusage, daß der päpstliche Dreiervorschlag mindestens einen Angehörigen der Erzdiözese Freiburg enthalten wird 4 8 . Bei gleichzeitiger Ausschaltung von Einflußrechten der Suffraganbischöfe bedeutete das für den staatlichen Partner wie für die Erzdiözese eine aus kirchen- wie staatspolitischen Gründen hohe Einschätzung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, welche die Eigenart und Eigenständigkeit der bischöflichen Ortskirche zu unterstreichen geeignet war. Diese tendenziell moderne Regelung, für die man sich allerdings auch auf ein wichtiges historisches Argument berufen konnte 49 , ist denn auch für die weitere Entwicklung vorbildlich geworden. Bekanntlich wurde sie durch Art. 14 Abs. 1 des Reichskonkordats auf Mainz und Rottenburg sowie auf Meißen erstreckt. An der Freiburger Besetzungsregelung ist weiter bemerkenswert die Zusage, der Heilige Stuhl werde bei der Bestellung eines coadiutors cum iure successionis „im Benehmen" mit der badischen Staatsregierung vorgehen 50. Das ist nicht bloß als das Zugeständnis des 46
So Ernst Föhr, Das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Freistaate Baden vom 12. Oktober 1932, Freiburg i. Br. 1933, Anmerkung zu Art. I I Abs. 7, S. 35. 47 Art. III. Vgl. dazu Klaus Mörsdorf, Das neue Besetzungsrecht der bischöflichen Stühle unter besonderer Berücksichtigung des Listenverfahrens, Bonn/Köln/Berlin 1933, S. 161 — 164; Ludwig Link, Die Besetzung der kirchlichen Ämter in den Konkordaten Pius' XI., Bonn 1942, S. 260-263. 48 Art. III Abs. 1 und Schlußprotokoll dazu (Nr. 2). 49 Nach der Bulle „Ad dominici gregis custodiam" vom 11. April 1827 mußten die Kandidaten für das Bischofsamt zum „Diözesanklerus" gehören. Deutscher Text bei Ernst Rudolf Huber/Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. I, Berlin 1973, S. 269. so Schlußprotokoll zu Art. III Abs. 1 (Nr. 1).
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Erinnerungsrechts zu verstehen; vielmehr erscheint hier die Fühlungnahme mit der Regierung auch als gewisser Ausgleich für den Wegfall des Wahlrechts. (5). Ein weiteres bedeutsames Element ist in diesem Zusammenhang die politische Klausel 51 . Ihre Formulierung im Badischen Konkordat bedeutete einen wichtigen Schritt vorwärts im Prozeß der Verfeinerung des Verständnisses und damit zugleich der sachlichen Eingrenzung. Hatten sich das Bayerische und das Preußische Konkordat noch mit „Bedenken politischer Art" begnügt und auf eine Verfahrensregelung verzichtet, so werden jetzt, unter ausdrücklichem Ausschluß von parteipolitischen Bedenken, nur noch solche „allgemeinpolitischer Natur" zugelassen52. Außerdem wird im Zusatzprotokoll für den Fall einer Meinungsverschiedenheit ausdrücklich das Verfahren der amicabilis compositio vorgeschrieben und darüberhinaus klargestellt, daß das Erinnerungsrecht des Staates kein Vetorecht zum Inhalt hat. Damit war ein Standard erreicht, hinter den auch das Reichskonkordat nicht mehr zurückgehen konnte. Von größtem Nutzen war dafür im übrigen die Vorarbeit, die insoweit im Preußischen Kirchenvertrag geleistet worden war. Denn hier wurde schon präzisiert, daß als politische Bedenken „nur staatspolitische, nicht dagegen kirchliche oder parteipolitische gelten", außerdem wurde eine spezifische Verfahrensregelung getroffen 53. (6). In den Komplex Verfassung und Organisation der Erzdiözese gehört schließlich die Frage der Amterbesetzung und der innerkirchlichen Verwaltungsstruktur. Waren die Staatspatronate schon von Verfassungswegen abgeschafft 54, so konnte nunmehr bekräftigt werden, daß der Erzbischof sämtliche kirchlichen Ämter frei und unabhängig besetzt. Der einzige Vorbehalt wurde zugunsten der Privatpatronate gemacht55. Da diese jedoch nunmehr den kirchenrechtlichen Bestimmungen unterstellt wurden, waren sie von vornherein von der Tendenz zur Einschränkung, ja Abschaffung erfaßt. Hier hat das Zweite Vatikanische Konzil dann bekanntlich den Schlußpunkt gesetzt, ohne allerdings die Bischöfe zu ermächtigen, nichtlastenfreie Patronate einseitig aufzuheben 56. Vielmehr kommt hier nur eine vertragsmäßige Ablösung in Betracht 57. Die innere Gliederung der Erzdiözese tritt im Konkordat nur hinsichtlich der örtlichen Ebene der Kirchengemeinden unmittelbar in Erscheinung. Nach Art. IV 51
Grundlegend dazu nach wie vor Joseph H. Kaiser, Die politische Klausel der Konkordate, Berlin/München 1949, S. 135-146. 52 Art. III Abs. 2. 53 Schlußprotokoll zu Art. 7. 54 Art. 18 Abs. 3 Satz 5 Badische Verfassung vom 21. März 1919. Vgl. dazu Karl Glockner, Badisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. Karlsruhe 1930, S. 99 f. 55 Art. IV Abs. 2. 56 Vgl. Nr. 18 MP „Ecclesiae Sanctae" v. 13. August 1966 (Textnachweis oben Anm. 44). 57 Dies ist in der Verfügung des Erzbischöflichen Ordinariats über „Aufhebung von Rechten und Privilegien bei der Verleihung von kirchlichen Ämtern und Pfarreien" vom 1. März 1967 (ABl. Erzdiözese Freiburg, S. 30) nicht beachtet worden.
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Abs. 1 Satz 2 soll die staatliche Mitwirkung bei der Bildung und Veränderung von Kirchengemeinden nach Richtlinien erfolgen, die mit dem Erzbischof vereinbart werden. Dieser Konkordatsauftrag ist insofern nicht erfüllt worden, als es bis heute keine vertragsförmige Abmachung gibt. Die Frage ist aber nach vorheriger Verständigung mit den Kirchen im Rahmen der staatlichen Gesetzgebung, also durch paktiertes Gesetz, geregelt worden, und zwar durch § 24 des Kirchensteuergesetzes 58 . Danach geben die Religionsgemeinschaften vor Änderungen in dem Bestand der Kirchengemeinden oder ihrer Abgrenzung den räumlich beteiligten unteren Verwaltungsbehörden Gelegenheit zur Äußerung. Die Änderungen sind dann dem Kultusminister mitzuteilen und danach öffentlich bekannt zu machen. Die staatliche Gesetzgebung hat zur Klarstellung auch in bezug auf die Parallelfrage bei der Bildung und Veränderung von Dekanaten nachgeholfen. Hierfür ist jetzt in § 24a des Kirchensteuergesetzes eine entsprechende Regelung getroffen worden 59 . Im Zuge der Umorganisation der Dekanate und vieler Kirchengemeinden im Zusammenhang mit der staatlichen Verwaltungsreform hatten und haben diese Klauseln noch Hoch-Zeit! 60 2. Was die Frage der finanziellen und vermögensrechtlichen Ausstattung der Erzdiözese anlangt, so waren für die einschlägigen Detailregelungen im Zeitpunkt des Konkordatsabschlusses durch die Weimarer Reichsverfassung und die Badische Landesverfassung die Weichen schon deutlich in Richtung auf Freiheit und Sicherung gestellt. Gleichwohl war und ist die vertragliche Bekräftigung der Gewährleistung des kirchlichen Besteuerungsrechtes sowie der Garantie der Staatsleistungen und des Kirchenguts nicht unnütz. In die Verhandlungen darüber ist die Kirche gut vorbereitet gegangen; noch in der Schlußphase hat sich etwa Erzbischof Gröber durch den renommierten früheren Ministerialdirektor im badischen Kultusministerium Franz Schmidt 61 beraten und mit Zahlenmaterial versehen lassen. Aber die staatliche Seite, wo man ebenfalls über ausgezeichnete Experten verfügte, ist von vornherein keineswegs kleinlich gewesen, wie man aus Art. V und V I im einzelnen belegen kann. Wenige Punkte seien hier hervorgehoben: Es fand Anerkennung „der nach der bisherigen Rechtslage bestehende Anspruch auf Realdotation", was für die Kirche damals von großer rechtsgrundsätzlicher Bedeutung gewesen ist 62 . Des weiteren 58
Gesetz über die Erhebung von Steuern durch öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften in Baden-Württemberg v. 18. Dezember 1969 (GBl. 1970, S. 1), jetzt geltend i. d. F. v. 15. Juni 1978 (GBl. S. 370). Nach Art. 11 Abs. 1 des Badischen Ortskirchensteuergesetzes vom 30. Juni 1922 (GVB1. S. 501) bedurften Änderungen im Bestand der Kirchengemeinden der staatlichen Genehmigung. 59 Eingefügt durch Gesetz vom 10. Februar 1976 (GBl. S. 98). 60 Vgl. dazu auch vom Verf., Rechtsbeziehungen zwischen kirchlicher und politischer Gemeinde, in: Ex aequo et bono. Festschrift für Willibald M. Plöchl zum 70. Geburtstag, Innsbruck 1977, S. 511-530. 61 Angaben über ihn in der oben Anm. 4 zit. Arbeit, S. 388. Zu ergänzen Willy Hellpach, Wirken in Wirren, Bd. II, Hamburg 1948, S. 161 und S. 211 ff.
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war mit Art. V I Abs. 5 offengehalten, daß der Staat Zuschüsse zur Aufbesserung gering besoldeter Pfarrer leistete, und es war unberührt gelassen, daß vor allem auf der lokalen Ebene vielfältige weitere Leistungsbeziehungen fortbestanden. Vermutlich würde bei einer Fortentwicklung des Vertragsrechts bei dem letzteren Punkt anzusetzen und nach dem Modell von Nachkriegsverträgen eine gewisse Flurbereinigung in Angriff zu nehmen sein 63 . Doch muß natürlich betont werden, daß hier nur der Weg der vertraglichen Ablösung gegangen werden kann. Es ist auch nicht möglich, sich etwa unter Berufung auf das Kirchensteueraufkommen von anderen Leistungsverpflichtungen einfach loszusagen. In diesem Zusammenhang darf übrigens an eine ganz versteckte Norm des staatlichen Rechts erinnert werden, die hier Hilfe bietet: In § 31 Abs. 5 des Kirchensteuergesetzes wird nämlich gesagt, der Bestand und die vorrangige Inanspruchnahme der nicht auf diesem Gesetz beruhenden Verpflichtungen zur Befriedigung kirchlicher Bedürfnisse bleibe unberührt. In bezug auf die kirchliche Vermögensverwaltung waren schon vor dem Abschluß des Konkordats die entscheidenden Schritte unternommen worden, was die Verhandlungen entlastet und gefördert hat und was zugleich eine gewisse Trumpfkarte Freiburgs gegenüber Rom gewesen ist. Das Badische Kirchen Vermögensgesetz vom 7. April 1927 64 hat nämlich den kirchlichen Anspruch auf weitgehende Freiheit der Vermögensverwaltung anerkannt und - in Ablösung des alten Systems der staatlich-kirchlichen Mischverwaltung - die volle „Verkirchlichung" der Vermögensverwaltung ermöglicht, eine damals sehr fortschrittliche Lösung. So sehr die Kirche darauf gedrängt hatte, so lange hat es gebraucht, bis sie verwirklicht wurde, denn erst nach Abschluß des Konkordats ist sie im Jahre 1934 vollzogen worden 65 . Insoweit hat es übrigens von Seiten der neuen Machthaber keinerlei Schwierigkeiten gegeben; vielmehr wurden die übernommenen Verpflichtungen loyal erfüllt. Die weiteren Entwicklungen liefen dann auf dieser Grundlage, so insbesondere die 1958 erfolgte organisatorische Umbildung durch die Schaffung der Erzbischöflichen Finanzkammer 66. Aus der neueren staatlichen Gesetzgebung bleibt § 25 des Kirchensteuergesetzes zu beachten, wo anerkannt ist, daß die Reli62 Art. V I Abs. 3. Vgl. dazu Godehard Josef Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, S. 251 f. 63 Vgl. dazu jetzt die grundlegende Abhandlung von Josef Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. Ernst Friesenhahn/Ulrich Scheuner i.V. m. Joseph Listl, Bd. II. Berlin 1975, S. 51-90. 64 GVB1. S. 97 f.
65 VO des Staatsministeriums v. 4. April 1934, GVB1. S. 161, und Satzung über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens im Erzbistum Freiburg, badischen Anteils, v. 27. Februar 1934, ABl. Erzdiözese Freiburg, S. 195. 66 Satzung über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens im Erzbistum Freiburg, badischen Anteils, v. 19. September 1958, ABl. Erzdiözese Freiburg, S. 333, und Verordnung über die Errichtung einer Erzbischöflichen Finanzkammer v. 31. Dezember 1958, ibid. 334.
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gionsgemeinschaften für sich und ihre Unterverbände, Anstalten und Stiftungen die rechtsgeschäftliche Vertretung sowie die Grundzüge des Rechts der Wirtschaftsführung durch eigene Satzung ordnen. Das Kultusministerium hat lediglich bezüglich der rechtsgeschäftlichen Vertretung ein Einspruchsrecht. Damit ist den sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen für die Freiheit der kirchlichen Vermögensverwaltung optimal Rechnung getragen 67. Etwaigen Versuchen, diesen Rechtsbestand zuungunsten der Kirche abzubauen, würde im übrigen nicht nur die Verfassung, sondern auch das Konkordat selbst entgegenstehen, denn dort wird ausdrücklich normiert, daß über die Bestimmungen des Badischen Kirchenvermögensgesetzes und des Badischen Stiftungsgesetzes von 191868 hinaus im Rahmen der verfassungsmäßigen Bestimmungen eine Einschränkung der kirchlichen Rechte in bezug auf die Vermögensverwaltung nicht erfolgen wird. 3. Der dritte größere Sachkomplex, der hier aufzugreifen ist, betrifft die konkordatäre Regelung des Status der Theologischen Fakultät in Freiburg. Auch in diesem Punkt ist das Konkordat in starkem Maße lebendes Recht, das sich bis in den Alltag der Universität hinein auswirkt. Im Vergleich mit den vorangegangenen deutschen Konkordaten weist die für Baden getroffene Abmachung eine ganze Reihe von bemerkenswerten Momenten auf. Man hat ihr in der Entstehungsgeschichte völlig zu Recht größte Aufmerksamkeit geschenkt. Da ist etwa die Präzisierung der Bestandsgarantie im Hinblick auf die zur Zeit des Vertragsabschlusses geltenden Rechte69. Damit ist klargestellt, daß die Fakultät - bezogen auf 1932/1933 - weder staatlicherseits noch kirchlicherseits in ihren Rechten verkürzt werden darf. Diese Rechte sind nicht im einzelnen umschrieben; aber ganz gewiß gehört dazu die Garantie einer für eine sachgemäße theologische Lehre und Forschung erforderlichen Grundausstattung, die nicht unterschritten werden darf. Wenn der Bestand einer Fakultät garantiert ist - und die allgemeine Verfassungsgarantie für den Bestand der Universitäten kommt jetzt hinzu 70 - , so bedeutet dies in erster Linie die Garantie der Funktionstüchtigkeit. Damit sind aktuelle Probleme in bezug auf die Erhaltung oder Umwandlung von Lehrstühlen natürlich nicht gelöst. Aber man wird dem staatlichen Partner vor Augen halten müssen, daß insoweit seine Organisationshoheit, die sich im Prinzip unzweifelhaft auch auf die Theologische Fakultät bezieht, begrenzt ist 71 . Wichtiger ist aber vielleicht noch ein verfahrensmäßiger Gesichtspunkt: Wenn es hier Meinungsverschiedenheiten gibt, kann nicht der Staat einfach einseitig einen Federstrich machen, es bedarf vielmehr der Verhandlungen im Sinne der Freundschaftsklausel, notfalls auf höchster Ebene, 67 Vgl. dazu jetzt Siegfried Marx, Kirchenvermögens- und Stiftungsrecht, in: Handbuch des Staatskirchenrechts (Anm. 59), Bd. II, S. 117-160, bes. S. 144-147. 68 Art. IV Abs. 3. Das Stiftungsrecht ist jetzt neu geordnet durch das Stiftungsgesetz v. 4. Oktober 1977 (GBl. S. 408). 69 Art. IX Satz 1. 70
Art. 85 Landesverfassung. Vgl. in diesem Zusammenhang jetzt auch § 140 Universitätsgesetz v. 22. November 1977 (GBl. S. 473). 71
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das heißt auf der Ebene von Staatsregierung und Heiligem Stuhl. Das wird unterstützt durch eine bisher fast völlig unbeachtet gebliebene Zusatzfeststellung, die zwischen den Vertragspartnern zum Reichskonkordat getroffen worden ist. In einer Note Papens an Pacelli vom 8.7.1933 heißt es nämlich: „Sollten bei einer Umbildung von Lehrstühlen Schwierigkeiten entstehen, so werden diese im gegenseitigen freundschaftlichen Einvernehmen erledigt werden" 72 . So hat hier die allgemeine Freundschaftsklausel schon ihre entsprechende Konkretisierung für diesen Fall gefunden. Ein weiterer bemerkenswerter Punkt des Badischen Konkordats betrifft die Verweisung auf den Codex Iuris Canonici und, was nun erstmals möglich war, auf die Apostolische Konstitution „Deus scientiarum Dominus" vom 24. Mai 1931 mit ihren Ausführungsbestimmungen 73. Die Studienbulle von 1931 ist mittlerweile allerdings revidiert worden durch die sog. „Normae quaedam" von 196874. Es bleibt aber dabei, daß die hinsichtlich ihres hochschulrechtlichen Status und ihrer Organisation bestehende Eigenart der an den deutschen Staatsuniversitäten errichteten Theologischen Fakultäten durch die kirchlichen Rechtsbestimmungen nicht angetastet wird 7 5 . Andererseits bleibt das kirchliche Rahmen-Recht maßgebend für die Normierung von Studiengang und Prüfungsordnung. Im übrigen hat die Neuordnung des kirchlichen Rechts eine Erweiterung der Autonomie und Satzungsbefugnis der kirchlichen Universitäten und Fakultäten gebracht. Befürchtungen, wie sie 1932 gegenüber dem Gebot der Angleichung der Staatsfakultäten an das kirchliche Hochschulrecht 76 bestanden, sind dadurch weithin der Boden entzogen. In diesem Zusammenhang darf schließlich hervorgehoben werden, daß schon der Text des Konkordats Klarheit schafft durch die Klausel, daß die Studienordnung „den kirchlichen Vorschriften gemäß und auch den Bedürfnissen der Seelsorge entsprechend im Einverständnis mit dem Erzbischof 4 aufgestellt werden muß 77 . Die Kompetenz des Erzbischofs ist hier also ausdrücklich anerkannt; das mag für die Fakultät bisweilen eine Last, kann sicher aber oft auch eine Hilfe sein. Wiederum im Blick auf aktuelle Fragen sei schließlich erwähnt die bewußt weite Formulierung des Badischen Konkordats, wonach dem bischöflichen Beanstandungsrecht jeder unterworfen ist, der „zur Ausübung des Lehramtes berufen, zugelassen oder angestellt wird" 7 8 . Damit sind also außer den Professoren und Dozenten auch die Lehrbeauftragten und die zu selbständiger Lehre ermächtigten Assistenten erfaßt 79. 72 Text bei Alfons Kupper, Staatliche Akten (Anm. 31), S. 212. 73 Art. IX Satz 1. 74 Text in: Priesterausbildung und Theologiestudium, Nachkonziliare Dokumentation Bd. 25, Trier 1974, S. 330 ff. 75 Dazu und zum folgenden Heribert Schmitz in dem Anm. 74 angeführten Band, S. 284-295. 76 Vgl. Art. 11 Deus scientiarum Dominus. 77 Art. IX Satz 2. Vgl. dazu jetzt auch § 140 Abs. 3 Universitätsgesetz. 78 Art. X Abs. 1.
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Alle bisher besprochenen Elemente der konkordatären Regelung bringen Klarstellungen und Verfeinerungen, führen aber nichts substantiell Neues ein. In einem Punkt allerdings hat man badisches Sondergut vor sich, in der Regelung nämlich, daß sich das bischöfliche Beanstandungsrecht sachlich nicht nur auf Lehre und Lebenswandel, sondern auch auf „die Lehrbefähigung" („attitudine all'insegnamento") beziehen soll 80 . Die Entstehungsgeschichte macht die Richtung deutlich, in der damals dieser Begriff verstanden worden ist 81 . Der Entwurf der Zentrumsfraktion spricht von „pädagogischer Geeignetheit" und fordert in der Begründung dazu, daß der theologische Lehrer „die entsprechenden pädagogischen und methodischen Fähigkeiten auch als Lehrer und Erzieher der künftigen Priester besitzen" müsse; in dem Entwurf, der als Verhandlungsgrundlage der letzten Phase diente, ist die Rede von der „religionspädagogischen Eignung (Lehrbefähigung)", nachdem zwischenzeitlich dieses Kriterium auf Betreiben von Kultusminister Remmele ganz verschwunden war. Im übrigen nimmt Kapitelsvikar Sester zu Recht für sich in Anspruch, den Ausdruck „Lehrbefähigung" vorgeschlagen zu haben82. Diese Normierung, diese badische Spezialität ist in ihrer Rechtsgültigkeit allerdings nicht unangefochten. Gewichtige Stimmen im wissenschaftlichen Schrifttum behaupten die Unwirksamkeit dieser Regelung. Nach der Auffassung etwa von Werner Weber ist sie als Anomalie im deutschen Fakultätenrecht schon durch Art. 19 Satz 3 des Reichskonkordats beseitigt83. Ernst-Lüder Solte sieht einen unmittelbaren Widerspruch zu der Verfassung, da die Beurteilung der pädagogischen und wissenschaftlichen Qualifikation im Hinblick auf die Gewährleistung der Freiheit von Forschung und Lehre eindeutig in den Verantwortungsbereich des Staates falle 84 . Demgegenüber geht die erzbischöfliche Kurie von der Gültigkeit und Anwendbarkeit der fraglichen Klausel aus; dabei legt sie den Begriff „Lehrbefähigung" dahin aus, daß der Betreffende in dem in Rede stehenden Fach „ausgewiesen" sein muß 85 . Es ist hier nicht der Ort, zu dieser schwierigen Streitfrage definitiv Stellung zu nehmen. Der Hinweis kann aber nicht fehlen, daß die eben erwähnte Deutung der Lehrbefähigungsklausel seitens der erzbischöflichen Kurie von der Entstehungsgeschichte nicht gedeckt sein dürfte, auch wenn Gesichtspunkte der teleologischen Interpretation eher dafür sprechen. Im übrigen wird man auch bedenken müssen, daß selbst nach der Studienbulle von 1931 das Beanstandungsrecht des Magnus Cancellarius nur zum Zuge kommt, „si quis professor vel 79
Vgl. dazu Eugen Heinrich Fischer, Das kirchliche Mitwirkungsrecht bei Ergänzung des Lehrkörpers im katholisch-theologischen Fachbereich, in: Diaconia et Ius. Festgabe für Heinrich Flatten zum 65. Geburtstag, München 1973, S. 361-379. 80 Art. X Abs. 1. si Die Entwurfstexte bei Will, Konkordat (Anm. 2), S. 43 und 64. 82 Vgl. seine Stellungnahmen vom 14. 3. und 1. 4. 1932 sowie vom 17. 3. 1933 in den Akten 29/137. 83 Das Nihil obstat, ZgesStaatsWiss 99 (1939), S. 216. Jetzt auch in W. Weber, Staat und Kirche in der Gegenwart, Tübingen 1978, S. 49. 84 Theologie an der Universität, München 1971, S. 155. 85 Nach einer Auskunft des Generalvikars Dr. Schlund.
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doctrinam catholicam laeserit vel a vitae integritate defecerit" 86. Andererseits muß klar betont werden, daß aus einer eventuellen Verneinung der Rechtswirksamkeit nicht folgen würde, es sei dem Erzbischof überhaupt verwehrt, zur wissenschaftlichen Qualifikation eines Theologen und damit zu seiner Eignung für die Wahrnehmung eines bestimmten Lehrgebietes Stellung zu nehmen. Nur die rechtliche Bindung müßte einer solchen Stellungnahme versagt bleiben 87 . Bei dieser Sachund Rechtslage ist offenkundig, daß im Konfliktsfall eine Verständigung darüber im Sinne der Freundschaftsklausel zu erfolgen hätte. Die Fakultätsregelung wird ergänzt durch die Gewährleistung von zwei sogenannten Konkordatsprofessuren für Philosophie und Geschichte in der Philosophischen Fakultät88. In der Nachfolge des Bayerischen Konkordats, die Verknüpfung mit dem Trienniums-Erfordernis aber noch klarer zum Ausdruck bringend, hat man hier einen tatsächlich bestehenden Zustand nun auch normativ fixiert. Der entscheidende Anstoß, diesen Komplex einzubeziehen, ist wiederum von Kapitelsvikar Sester ausgegangen. Der Gedanke wurde dann von Erzbischof Gröber aufgegriffen und zu später Stunde in die Verhandlungen eingebracht. Nicht durchgesetzt hat man den ebenfalls in der Herrenstraße geborenen Wunsch auf Errichtung von Weltanschauungs-Professuren in Karlsruhe und Heidelberg. Die Regierung war nicht willens, ein weiteres Risiko auf sich zu nehmen, nachdem es wegen der Klausel für die Evangelisch-Theologische Fakultät in Heidelberg schon die allerschwersten Auseinandersetzungen gegeben hatte, welche die Verhandlungen über den Evangelischen Kirchenvertrag zum Scheitern zu bringen drohten 89. Dieses Element des Badischen Konkordats bezeichnet im Blick auf die heutige Rechtslage ebenfalls einen kritischen Punkt. Das historische Recht der Konkordatsprofessuren steht allerdings außer Frage, ja es wird zunehmend deutlicher erkannt 90 . Verfassungsrechtlich unbedenklich sind im Prinzip - wegen der Trienniums-Verpflichtung einerseits, der Struktur der Katholischen Theologie andererseits - Philosophieprofessuren, deren Inhaber „für die einwandfreie Ausbildung der Theologie-Studierenden geeignet" sein müssen. Insoweit erscheint die Rechtslage gesichert 91. Dagegen ist es nach wie vor mehr als zweifelhaft, ob es für eine 86 Art. 22. Text in der Anm. 74 zitierten Ausgabe. 87 In dieser Richtung ein nichtveröffentlichtes Rechtsgutachten, das Martin Heckel unter dem 26. Juli 1971 für das Kultusministerium Baden-Württemberg erstattet hat. Der Autor hat es mir freundlicherweise zugänglich gemacht. Vgl. auch Solte (Anm. 84), S. 155 Anm. 146. 88 Schlußprotokoll zu Art. IX. Dazu und zum folgenden die eingehende Analyse von Georg May in der oben Anm. 2 angeführten Abhandlung. 89 Vgl. dazu Otto Friedrich, Der evangelische Kirchenvertrag mit dem Freistaat Baden, Lahr 1933, S. 116-129. 90 Besonders eindrucksvoll Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. IV, Stuttgart 1969, S. 962 f. 91 Vgl. dazu vom Verf., Verträge (Anm. 38), S. 146 f.; ferner Konrad Tilmann, Die sogenannten Konkordatsprofessuren. Geschichtliche Entwicklung und heutige Rechtsproblematik, jur. Diss. Freiburg i. Br. 1971, sowie Solte (Anm. 84), S. 225 ff. 27 Hollerbach
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- abgekürzt gesprochen - katholische Geschichtsprofessur eine sachliche Rechtfertigung gibt, welche die Vereinbarkeit mit der Verfassung begründen könnte; denn Profangeschichte gehört nun einmal nicht zum theologischen Studienprogramm. Man muß dem heute umso deutlicher ins Auge sehen, als man sich sonst schwertut, die vielfach erhobene Forderung nach weltanschaulicher oder sonstwie außerwissenschaftlicher Bindung in anderen Richtungen abzuwehren. Man braucht das Stichwort „Tendenzuniversität" nur zu nennen92. Der Heilige Stuhl hat übrigens in Bayern schon die Konsequenz gezogen: Sanktioniert durch die Vertragsrevision von 1974 93 , sind dort die Konkordatsprofessuren für Geschichte an allen Universitäten abgeschafft, d. h. aus der traditionellen Bindung herausgenommen worden 94. Man mag diesen Befund bedauern. Aber es gibt nun einmal Grenzen dessen, was der an seine Verfassung gebundene weltanschaulich-konfessionell neutrale Staat leisten kann und was die Kirche von ihm fordern darf. 4. Im Rahmen der Übersicht über die einzelnen Sachgebiete muß nun zuletzt von Schule und Religionsunterricht die Rede sein. In präziser Übereinstimmung mit dem Badischen Kirchenvertrag enthält das Badische Konkordat lediglich eine Bestimmung über den Religionsunterricht 95. Es war nicht leicht gewesen, den Heiligen Stuhl davon zu überzeugen, daß mehr nicht durchgesetzt werden konnte. Aber kein Entwurf hatte das Regime der badischen Simultanschule berührt, geschweige denn angetastet, obwohl dies in der Öffentlichkeit immer wieder befürchtet worden ist 96 . Im Blick auf die politische Konstellation in Baden war das in der Tat eine maßgebende Grundvoraussetzung für den Erfolg der Vertragsverhandlungen überhaupt. Auch das Zentrum wäre wohl, trotz zunehmenden Drängens „von oben", in seiner Mehrheit nicht bereit gewesen, ein radikales Konfessionsschulprinzip zu verfechten und damit die Simultanschule in Frage zu stellen; denn diese hatte sich in ihrer spezifischen badischen Prägung trotz mancher Beschwernisse im großen und ganzen bewährt, zumal der gesetzlich legitimierte Schüler-Lehrer-Proporz vielfach zu de facto-Bekenntnisschulen geführt hatte 97 . 92 Von dieser Problematik geht aus Dieter Lorenz, Wissenschaftsfreiheit zwischen Kirche und Staat, Konstanz 1976. Vgl. auch Bernd Rüthers, Auf dem Wege zur Tendenzuniversität, FAZ Nr. 239 v. 23. Oktober 1976. 93 Vertrag zur Änderung und Ergänzung des Bayerischen Konkordats v. 4. September 1974 (BayGVBl. S. 541), Art. 3 § 5. 94
Es steht auf einem anderen Blatt, das hier nicht zu interessieren braucht, daß dieser Verzicht im Zusammenhang mit der Einbeziehung der Pädagogischen Hochschulen in die Universitäten durch die Schaffung einer Konkordatsprofessur für Gesellschaftswissenschaften (neben solchen für Philosophie und Pädagogik) gewissermaßen kompensiert wurde. Vgl. hierzu die scharfe Kritik von Friedrich Müller, Jenseits der Verfassung. Konkordatslehrstühle am Maßstab des Grundgesetzes, in: ders., Rechtsstaatliche Form - Demokratische Politik, Berlin 1977, S. 110-117. 9 5 Dort Art. VIII, hier Art. XI. 96 Zur Gesamtentwicklung vgl. Friedrich Wielandt, Schule und Politik in Baden während der Weimarer Republik, phil. Diss. Freiburg i. Br. 1976. 97 Maßgebend hierfür war § 34 des Schulgesetzes v. 7. Juli 1910 (GVB1. S. 385).
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Andererseits konnte man aus dem Schweigen des Vertragswerks über die Schulfrage nicht auf eine Anerkennung der Simultanschule als Prinzip bzw. den Verzicht auf die Ermöglichung von Bekenntnisschulen schließen. Hier war denn auch ein deutlicher Unterschied in der Haltung der beiden Kirchen zu beobachten. Beim evangelischen Vertragspartner war nämlich der Wunsch vorherrschend, eine positive Aussage zur Simultanschule zu treffen. Das war im Vertrag selber nicht möglich; aber es ist in hohem Maße signifikant, daß bei der Beschlußfassung über den Kirchenvertrag die Synode einstimmig folgende Erklärung verabschiedet hat: „Da im Staatsvertrag der Charakter der badischen Volksschule als Simultanschule nicht ausdrücklich festgelegt ist, hält es die Landessynode für unumgänglich nötig zu erklären, daß sie an der bisherigen bewährten Form der badischen Simultanschule festgehalten wissen will" 9 8 . Blieb somit die Regelung der Schulform außerhalb des Konkordats, so ist die Aussage über den Religionsunterricht nicht ohne auch heute noch fortwirkende Bedeutung. Nicht nur wird ausdrücklich gesagt, daß der Religionsunterricht nach Maßgabe von Art. 149 der Weimarer Reichs Verfassung ordentliches Lehrfach ist und daß er in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Katholischen Kirche erteilt wird; es wird vielmehr ausdrücklich im Schlußprotokoll hervorgehoben, daß Baden in Anwendung der Reichs- und Landesverfassung „die bezüglich des Religionsunterrichts an den badischen Schulen geltenden Rechte der Katholischen Kirche auch weiterhin aufrechterhalten" wird. Es ist keine einfach zu beantwortende Frage, was daraus im einzelnen für den heutigen Rechtszustand folgt. Immerhin kann man sich z. B. auf die durch das Konkordat bekräftigte badische Schulrechtstradition berufen, wenn man begründen will, daß die Konfessionalität des Religionsunterrichts durch die konfessionelle Homogenität der Zusammensetzung der Schülerschaft wesentlich mitbedingt ist 9 9 . Dagegen ist es in grundsätzlicher Hinsicht nicht zweifelsfrei, ob mit der etwa von Franz Schmidt 100 und auch von Ernst Föhr 101 gebrauchten Formel: „Der Religionsunterricht wird nicht im Auftrag des Staates, sondern kraft eigenen Rechtes seitens der Religionsgemeinschaften erteilt", auch noch der heutige Rechtszustand sachlich zutreffend umschrieben wird. Doch kann man sicherlich einen wichtigen Grundsatz aus der konkordatär abgesicherten badischen Schulrechtstradition entnehmen, den Grundsatz nämlich der engen Kooperation zweier Partner, die je zu ihrem Teil Verantwortung für den Religionsunterricht tragen. Die Ansicht klingt modern, sie ist aber schon in einer grundlegenden Entscheidung des Großherzoglich Badischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. März 1912 so formuliert, daß es sich beim Religionsunterricht „um eine Einrichtung handelt, die auf dem Zusammenwirken
98 Vgl. dazu Otto Friedrich (Anm. 89), S. 10. 99 Vgl. dazu vom Verf., Religionsunterricht in der reformierten gymnasialen Oberstufe, ArchKathKR 145 (1976), S. 459-490, bes. S. 468 f., 473. 100 Die Badische Volksschule, 2. Aufl., Karlsruhe 1931, zu § 40 Schulgesetz. 101 Die christliche Simultanschule im überlieferten badischen Sinn und das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Freistaate Baden vom Jahre 1932, o. O. o. J. (1966), S. 13. 27*
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von Staat und Kirche beruht" 102 . Man hat es also beim Religionsunterricht badischer Prägung mit einem betont kooperativen Modell zu tun. Es läßt für die Ausgestaltung im einzelnen einen breiten Spielraum, innerhalb dessen z. B. auch ein System gemeinsamer Finanzierung und gemeinsamer personeller Versorgung noch abgedeckt sein dürfte. Man wird hier im übrigen den engen sachlichen Zusammenhang bedenken müssen, der zwischen der Gewährleistung des Religionsunterrichts und der Schulformgarantie des Art. 15 Abs. 1 der Landesverfassung besteht, wonach die öffentlichen Völksschulen die Schulform der christlichen Gemeinschaftsschule nach den Grundsätzen und Bestimmungen haben, die am 9. Dezember 1951 in Baden für die Simultanschule mit christlichem Charakter in Geltung standen. Es läßt sich jetzt umso beruhigter darüber nachdenken, als das Bundesverfassungsgericht der badischen Simultanschule just zu ihrem hundertsten Geburtstag seinen Segen erteilt und ihre Verfassungsmäßigkeit bestätigt hat 1 0 3 . V. Das Badische Konkordat und - wenn das hier auch nicht näher erörtert werden konnte - der Badische Kirchenvertrag 104 sind das Ergebnis eines klugen und ausgewogenen Kompromisses. Aus heutiger Sicht zumal darf man die ruhige Entschiedenheit und das Augenmaß der in vorderster Front beteiligten Akteure durchaus bewundern. Die böse Erinnerung an das Scheitern der Konvention von 1859 105 und das Trauma des badischen Kulturkampfes 106 lasteten zu schwer, als daß man geneigt sein konnte, mit übertriebenen Forderungen die Lebensprinzipien des Partners anzutasten oder sonst unter Mißachtung der politischen Gesamtkonstellation einem gefährlichen Maximalismus zu huldigen. Der nüchterne Vertragstext hält sich zurück, Motive namhaft zu machen; aber an einer besonders empfindlichen Stelle schlägt doch, wenn man so sagen darf, der Puls etwas schneller, und Emotion dringt durch, wenn formuliert wird: „Einig in der Absicht und dem Willen, der Sicherheit und Festigung des religiösen Friedens zu dienen .. . " 1 0 7 . Demgemäß wurde nicht nur in der Schulfrage Zurückhaltung geübt; man hat sich insbesondere die paritätische Behandlung der beiden Kirchen in besonderem Maße angelegen sein lassen, 102 Zeitschrift für badische Verwaltung und Verwaltungsrechtspflege 44 (1912), S. 103 — 109 (107). 103 BVerfGE 41, 29. Vgl. dazu auch Hans Faller, Hundert Jahre badische Simultanschule, Baden-württembergische Verwaltungspraxis 1976, S. 266-270. 104 Vgl. d a z u Qtto Friedrich (Anm. 89) und von demselben Autor, Einführung in das Kirchenrecht, 2. Aufl., Göttingen 1978, S. 223-226. 105 Vgl. d azu Erich Will, Die Konvention zwischen dem Heiligen Stuhl und der Krone Baden vom 28. Juni 1859, in: Baden im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. III, Karlsruhe 1953, S. 99-188. 106 Grundlegend dazu Josef Becker, Liberaler Staat und Kirche in der Ära von Reichsgründung und Kulturkampf. Geschichte und Strukturen ihres Verhältnisses in Baden 1860-1876, Mainz 1973. 107 Schlußprotokoll zu Art. XI.
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und zwar nicht nur juristisch, sondern auch moralisch-politisch. Es ist schließlich offenkundig, daß die Partner auch in dem Bestreben einig gewesen sind, einen Beitrag zur allgemeinen politischen und sozialen Stabilität des Landes sowie seiner Eigenständigkeit zu leisten, eines Landes, in dem republikanische, demokratische und rechtsstaatliche Gesinnung hoch im Kurs standen, das deshalb im Verband des Reiches ein besonders verläßliches und maßvolles Glied gewesen ist. Nach alledem liegt auf der Hand, daß das Badische Konkordat in der Geschichte des Freiburger Erzbistums einen wichtigen Markstein bildet. Es hat in vielfacher Hinsicht klärend und sichernd gewirkt, und das bis heute, nachdem in der Zwischenzeit 44 Jahre ins Land gegangen sind. Wenn in diesem Vortrag auch neuralgische Punkte zur Sprache gekommen sind, so darf das nicht einen falschen Eindruck vermitteln. Man ist vielmehr durchaus zu der Feststellung berechtigt: die Ausnahme bestätigt die Regel - die Regel nämlich prinzipiell problemloser Geltung und Handhabung der Verträge. Allenfalls Veränderungen im Gesamtgefüge des deutschen Staatskirchenrechts könnten das Fundament und einzelne Bauelemente des Vertragswerks berühren. Solange das nicht der Fall ist, hat es die Chance, sich im Zusammenhang mit Verfassung und Einzelgesetzgebung weiter zu bewähren. So könnte es zu seinem Teil seinen Dienst leisten in der Erfüllung des mit dem Leitwort des Bistumsjubiläums gegebenen Auftrages: „damit sie auch morgen glauben können". Indes: greift man damit nicht zu hoch? Wird hiermit nicht einem Rechtsinstrument eine zu hohe Wertigkeit zuerkannt? Gewiß, rechtliche Regelungen, auch und gerade konkordatäre Normierungen, sind nicht das Letzte, vielleicht noch nicht einmal das Vorletzte. Aber wenn das kirchliche Recht in der cura animarum seinen Richtpunkt hat, und wenn das Recht überhaupt hingeordnet ist auf die Verwirklichung des Gemeinwohls in Staat und Kirche, dann erhält es von daher eine unerläßliche Funktion, Interessen gerecht auszugleichen, Rechtspositionen klar zu umschreiben und zu sichern, Verfahrensweisen zum Austrag von Konflikten festzulegen, kurzum: einen gewissermaßen hegenden Rahmen zu bestimmen, innerhalb dessen sich geordnetes kirchliches und geistliches Leben entwickeln kann. Ohne diesen Dienst, den das Recht mit seinen Normen und Formen leisten kann, wäre es schwer, auf Dauer geistliche Substanz zu haben 108 . Bibliographischer Hinweis Maßgebende Darstellung der Thematik jetzt bei Susanne Plück, Das Badische Konkordat vom 12. Oktober 1932, Mainz 1984 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeigeschichte, B 41). 108 Während der Drucklegung erschien der wichtige Aufsatz von Hans-Georg Merz, Katholische und evangelische Parteien in Baden seit dem 19. Jahrhundert, in: Die CDU in Baden-Württemberg und ihre Geschichte, hrsg. v. Paul-Ludwig Weinacht, Stuttgart 1978, S. 33-62. Auf ihn sei nachdrücklich hingewiesen, zumal da das Problem der Staatskirchenverträge in Baden darin einen hohen Stellenwert besitzt.
Die Lateranverträge im Rahmen der neueren Konkordatsgeschichte* Vor kurzem hat Konrad Repgen vor diesem Forum eine Probe seiner Meisterschaft gegeben1. Nach ihm zu sprechen und dabei auf positive Resonanz zu hoffen, ist schwer, wenn nicht unmöglich. Hinzu kommt, daß der heutige Vortrag von einem Juristen gehalten wird, dem nicht das Rüstzeug des Historikers zu Gebote steht. Und doch: gerade der mit dem Stichwort „Lateranverträge" bezeichnete Problemkomplex ist in gewisser Weise, vielleicht sogar in besonders hohem Maße, ein Kondominium, auf dem Historiker und Juristen aufs engste zusammenarbeiten müssen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich das Thema dieses Vortrags nicht frontal angehe und umfassend behandle, sondern in vier Durchgängen lediglich versuche, einzelne Aspekte zu erfassen. Dabei soll der Weg vom Besonderen zum Allgemeinen führen, und zwar in folgender Weise: Zuerst möchte ich einige Bemerkungen zum Thema „Laterankonkordat und Reichskonkordat" machen. Sodann ist zeitlich zurückzugreifen, und es sind anhand von Reaktionen, welche die Lateranverträge in der zeitgenössischen deutschen Rechtswissenschaft (einschließlich der Kanonistik) gefunden haben, einige Grundfragen darzulegen, die das Vertragswerk aufgibt. Der dritte Teil wird vornehmlich den internationalrechtlichen Fragen gewidmet sein, die durch die „Patti lateranensi" vom 11. Februar 1929 eine Lösung gefunden haben. Zuletzt möchte ich mir erlauben, einige allgemeine Grundsatzüberlegungen zum Konkordatswesen heute vorzutragen. Wenn allenthalben die Perspektive des deutschen Beobachters hervortritt, so möge das recht verstanden werden: Unter dem Gebot wissenschaftlicher Redlichkeit ist es ein Zeichen bewußter Beschränkung und Zurückhaltung, zugleich der Versuch, ein vielleicht spezifisch deutsches „Erkenntnisinteresse" als heuristisches Instrument zur Erfassung von Zügen des Ganzen einzusetzen.
Erstveröffentlichung in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 75 (1980) S. 51-75. * Redaktionell durchgesehene und mit Anmerkungen versehene Fassung eines Vortrags, der auf Einladung des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft am 31. März 1979 im Campo Santo Teutonico in Rom gehalten wurde. 1 Vortrag zum Thema: „Lateranverträge und Reichskonkordat", gehalten am 17. Februar 1979 im Campo Santo Teutonico in Rom auf Einladung des Römischen Instituts der GörresGesellschaft.
Die Lateranerträge im Rahmen der neueren Konkordatsgeschichte
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I.
Es ist unbestreitbar: „Die Lateranverträge gehören zur historischen Interpretation des Reichskonkordats hinzu" 2 , also des zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich am 20. Juli 1933 abgeschlossenen Konkordats. Dieser Sachverhalt ist durch die derzeit vor allem zwischen Konrad Repgen und Klaus Scholder geführte wissenschaftliche Auseinandersetzung3 wieder schärfer ins Bewußtsein getreten. Doch sind die insoweit bestehenden Zusammenhänge äußerst komplex und lassen sich nicht auf eine glatte Formel bringen, was auch und gerade der Jurist betonen muß. Das Problem ist bislang vor allem in zwei Hinsichten näher beleuchtet worden. Zum einen hat sich gezeigt, daß die Lateranverträge für die kirchenpolitische Vorstellungswelt der NSDAP eine nicht unerhebliche, damals vom deutschen Episkopat und vom Zentrum vielleicht nicht genügend beachtete Rolle gespielt haben4. Zum andern ist die Frage, ob und inwieweit das Laterankonkordat einen Schlüssel zum Verständnis der Haltung von Ludwig Kaas darstellt, der diesem Vertrag eine eindringliche wissenschaftliche Untersuchung gewidmet hat5. Diese beiden Punkte seien hier indes nicht weiter verfolgt. Wichtiger erscheint mir, im Sinne eines gerade dem Juristen obliegenden Diskussionsbeitrags etwas zu tun, was bisher eigentümlicherweise vernachlässigt worden ist, nämlich die konkrete Vergleichung der Texte der beiden Vertragswerke. Man sieht dann, wie sehr bei den Verhandlungen über das Reichskonkordat die kirchliche Seite bemüht war, Klarstellungen zu erzielen und das Instrumentarium normativer Aussagen zu verfeinern, zumindest von dem Zeitpunkt an, als man sich auf einer „Einbahn2
So - mit Betonung - K. Repgen, Nachwort zu einer Kontroverse, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 27 (1979) 160. 3 K. Repgen, Über die Entstehung der Reichskonkordats-Offerte im Frühjahr 1933 und die Bedeutung des Reichskonkordats. Kritische Bemerkungen zu einem neuen Buch, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 26 (1978) 499-534. Kl Scholder, Zur Vorgeschichte des Reichskonkordats. Eine Erwiderung, in: ebd. 535-570; K. Repgen, Nachwort zu einer Kontroverse, in: ebd. 27 (1979) S. 159-161. - Ausgangspunkt der Kontroverse war das Buch von Kl Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich 1: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934 (Berlin 1977) insbes. 184-211. Vgl. auch weitere einschlägige Veröffentlichungen K. Repgens aus jüngster Zeit: Die Außenpolitik der Päpste im Zeitalter der Weltkriege, in: H. Jedin/K. Repgen (Hrsg.), Die Weltkirche im 20. Jahrhundert (= Handbuch der Kirchengeschichte, 7) (Freiburg i. Br. 1979) 36-96; Pius XI. und das faschistische Italien: die Lateranverträge von 1929 und ihre Folgen, in: W. Pols (Hrsg.), Staat und Gesellschaft im politischen Wandel. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt, Festschrift Walter Bußmann (Stuttgart 1979) 331-359. 4 Als Dokument vgl. J. Stark, Nationalsozialismus und Katholische Kirche (München 1931). Während der Auseinandersetzungen um das Badische Konkordat haben sich dann badische Nationalsozialisten auf die Lateranverträge bezogen; Belege bei A. Hollerbach, Das Badische Konkordat vom 12. Oktober 1932, in: G. Kleinheyer/P. Mikat (Hrsg.), Gedächtnisschrift Hermann Conrad (Paderborn 1979) 179 mit Anm. 29. 5 Der Konkordatstyp des faschistischen Italien, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 3 (1933) 488-522.
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Straße"6 befand. Konkret ging es darum, die abwehrend-schützenden Elemente des Konkordats zu verstärken und seinen Charakter als „concordatum defensionis" 7, den es für die Kirche übrigens auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts von allem Anfang an hatte8, deutlicher hervortreten zu lassen. Nicht zuletzt läßt sich in diesem Zusammenhang belegen, daß das Reichskonkordat in der Tat nicht einfach eine unbesehen übernommene Kopie des Laterankonkordats gewesen ist. Drei wichtige Punkte sind hierfür maßgebend. Im ersten Punkt geht es um einen Vergleich zwischen Art. 37 Abs. 1 Laterankonkordat 9 und Art. 31 Abs. 4 Reichskonkordat 10. Nach der ersteren Norm wurden die Leiter faschistischer Jugendorganisationen verpflichtet, die Pläne ihrer Veranstaltungen so zu gestalten, „daß sie an den Sonntagen und gebotenen Feiertagen die Erfüllung der religiösen Pflichten nicht behindern". Auch bei den Reichskonkordatsverhandlungen tauchte zunächst in Bezug auf die staatlichen Jugendorganisationen diese und nur diese Klausel auf. Nicht von ungefähr enthält aber eine Punktation Pacellis vom 2. 7. 1933 die wesentlich weitergehende und viel prinzipiellere Forderung, daß den Mitgliedern solcher Organisationen nichts gegen den Glauben oder die Moral auferlegt oder von ihnen gefordert wird 11 . Im endgültigen Text heißt es dementsprechend zusätzlich zu der Sonn- und Feiertagsklausel, die Jugendlichen dürften „zu nichts veranlaßt werden, was mit ihren religiösen und sittlichen Überzeugungen und Pflichten nicht vereinbar wäre". Bewegt man sich schon mit diesem Punkt im Zentrum der strittigen Vertragselemente, so erst recht mit dem zweiten, dem sogenannten Entpolitisierungsartikel, wie er als Art. 32 in das Reichskonkordat Aufnahme gefunden hat 12 . Es braucht nicht weiter ausgeführt zu werden, daß dieser in Art. 43 des Laterankonkordats sein Vorbild hat 13 . Aber es ist von exemplarischer Bedeutung, wenn im Schluß6
L. Volk, Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933. Von den Ansätzen in der Weimarer Republik bis zur Ratifizierung am 10. September 1933 (Mainz 1972) 212-218 („Die Einbahnstraße zum Reichskonkordat"). 7
Zur Unterscheidung von Concordata pacis, amicitiae und defensionis vgl. statt aller A. Ottaviani, Institutiones iuris publici ecclesiastici 2 4 (Rom 1960) 260 ff. Ottaviani bemerkt übrigens (262): „hodie Concordata fere omnia possunt vocari Concordata defensionis". 8 Urteil vom 26. März 1957, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 6, S. 309 (336). 9 Text bei L. Schöppe, Konkordate seit 1800. Originaltext und deutsche Übersetzung der geltenden Konkordate (Frankfurt am Main 1964) 185. 10 Text bei W. Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchen Verträge der Gegenwart 1 (Göttingen 1962) 28. » Text bei Volk (Anm. 6) 229 und 231. 12 Text bei Weber (Anm. 10) 28 f.: „Auf Grund der in Deutschland bestehenden besonderen Verhältnisse wie im Hinblick auf die durch die Bestimmungen des vorstehenden Konkordats geschaffenen Sicherungen einer die Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche im Reich und seinen Ländern wahrenden Gesetzgebung erläßt der Hl. Stuhl Bestimmungen, die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschließen."
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Protokoll (Abs. 2) zu dem entsprechenden Artikel des Reichskonkordats gesagt wird: „Das den Geistlichen und Ordensleuten Deutschlands in Ausführung des Art. 32 zur Pflicht gemachte Verhalten bedeutet keinerlei Einengung der pflichtmäßigen Verkündigung und Erläuterung der dogmatischen und sittlichen Lehren und Grundsätze der Kirche." Der deutsche Text läßt allerdings die besondere Stoßrichtung dieser Aussage nicht genügend deutlich werden. Der italienische Text ist hier präziser. Er sagt nämlich, das Verbot „non significa limitazione di alcuna sorte nell'insegnare e spiegare pubblicamente, come e loro dovere, le dottrine e massime della Chiesa, non solo dommatiche, ma anche morali" 14 . Es wird hier also zum einen die öffentliche Verkündigungfreiheit betont, zum anderen die Kompetenz der Kirche im Bereich der Moral besonders unterstrichen - und das heißt nichts weniger als dieses: auch politische Fragen sind und bleiben ratione peccati bzw. sub specie salutis animarum dem sittlichen Urteil der Kirche unterworfen. Diese für die prinzipielle Haltung der Kirche äußerst kennzeichnende Aussage ist erwiesenermaßen auf Drängen Pacellis eingefügt worden 15 , und es ist sehr bezeichnend, daß er sich nach Abschluß des Konkordats mehrfach betont gerade darauf bezogen hat 16 . Genau gleiches gilt schließlich für den dritten wichtigen Punkt. Art. 19 des Laterankonkordats hatte sich bezüglich der sogenannten politischen Klausel 17 bei der Regelung über die Berufung ins Bischofsamt noch mit der nicht weiter spezifizierten Formel „ragioni di carattere politico" begnügt. Das Reichskonkordat hingegen läßt auf der Linie der vorangegangenen deutschen Staatskirchenverträge 18 nur „Bedenken allgemein politischer Natur" (obbiezioni di carattere politico generale) gelten und schließt damit insbesondere parteipolitische Bedenken einerseits, kirchenpolitische Bedenken andererseits aus. Vor allem aber wird im Schlußprotokoll (Abs. 2) zu Art. 14 Abs. 2 Satz 2 ausdrücklich klargestellt: „Questo capoverso non importa un diritto di veto da parte dello stato" - „Ein staatliches Vetorecht soll 13
Deutsche Übersetzung, nach Schöppe (Anm. 9) 186: „Der Italienische Staat erkennt die der Katholischen Aktion Italiens unterstehenden Organisationen an, soweit sie, nach der Anordnung des Hl. Stuhles selbst, ihre Tätigkeit außerhalb jeder politischen Partei und in unmittelbarer Abhängigkeit von der kirchlichen Hierarchie zur Verbreitung und Verwirklichung der katholischen Grundsätze entfalten. Der Hl. Stuhl benutzt die Gelegenheit des Abschlusses dieses Konkordates, um für alle Geistlichen und Ordensleute in Italien das Verbot zu erneuern, sich bei irgend einer politischen Partei einzuschreiben und zu betätigen." 14 Texte bei Weber (Anm. 10) 32. 15 Das ergibt sich aus einem Bericht Buttmanns vom 8. /9. Juli 1933, bei A. Kupper, Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933 (Mainz 1969) 174. 16 Vgl. dazu die Zeugnisse bei L. Volk, Kirchliche Akten über die Reichskonkordats Verhandlungen 1933 (Mainz 1969) 182, 212 und 297, ferner bei Kupper (Anm. 15) 359. 17 Grundlegend dazu nach wie vor J. H. Kaiser, Die politische Klausel der Konkordate (Berlin /München 1949). 18 Vgl. einerseits Schlußprotokoll (Abs. 2) zu Art. 7 des Preußischen evangelischen Kirchenvertrages vom 11. Mai 1931, andererseits Art. III des Badischen Konkordats vom 12. Oktober 1932, Texte bei Weber (Anm. 10) 174 bzw. 103.
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nicht begründet werden." Gewiß, ein angesehener Autor des deutschen Staatsrechts konnte einige Jahre später dazu schreiben: „Solche Feinheiten der kurialen Amtssprache können nicht darüber täuschen, daß die Ernennung eines Bischofs unzulässig ist und vom Staate nicht anerkannt zu werden braucht, wenn politische Bedenken erhoben werden." 19 Aber jedermann wird sehen, daß eine solche Stellungnahme schlechterdings nicht haltbar ist. Jedenfalls hat der kirchliche Verhandlungspartner in diesem Punkt das Äußerste getan, um Mißverständnisse auszuräumen 20 , und es ist wohl wahr, was in einer fachwissenschaftlichen Diskussion des Jahres 1939 dazu geäußert worden ist: „Die deutschen Unterhändler haben nicht gemerkt, was darin (sc. in der Klausel des Schlußprotokolls) liegt." 21 Interessante Beobachtungen macht man, worauf zuletzt noch ergänzend hingewiesen sei, auch bei einem Vergleich der beiden Regelungen über das Nihil obstat22. Ein deutscher Autor hat dazu einige Jahre nach Abschluß des Reichskonkordats festgestellt, es beruhe kaum auf einem Zufall, daß diese Rechtsfigur gerade in den Konkordaten mit den beiden autoritären Staaten aufgetaucht sei und daß dahinter das Drängen der Kirche stehe23. Diese macht damit in der Tat ein Stück Freiheit in der Ämterverleihung und der Ausübung ihrer Disziplin geltend. Meine Randbemerkungen zu dem Problemkomplex „Laterankonkordat und Reichskonkordat" können selbstverständlich kein abschließendes Gesamturteil tragen. Aber man wird auf der Forderung nach differenzierter Beurteilung beharren müssen, bei der auch die eben besprochenen Elemente Berücksichtigung finden sollten. Je mehr man dies tut, desto besser kommt man mit der sozusagen „genetischen Last" zurecht, die das Reichskonkordat an sich trägt.
19
E. R. Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches (Hamburg 1939) 505. Auch hier war die Hand Pacellis im Spiel, vgl. die Belege bei Kupper (Anm. 15) 169 und 302. 21 So Ministerialdirektor Dr. Meyer in der 7. Sitzung des Ausschusses für Religionsrecht bei der Akademie für Deutsches Recht, Bundesarchiv R 61/276 fol. 53. Zur Tätigkeit des genannten Ausschusses vgl. jetzt die materialreiche Arbeit meines Schülers J. Winter, Die Wissenschaft vom Staatskirchenrecht im Dritten Reich (= Europäische Hochschulschriften II, 212) (Frankfurt am Main 1979) 67 -173, zur Frage der politischen Klausel speziell 145 -155. 20
22
Art. 5 Abs. 1 Laterankonkordat (Text bei Schöppe [Anm. 9] 174): „Kein Geistlicher kann zu einer Anstellung oder einem Amte des Italienischen Staates oder von diesem abhängigen Körperschaften des öffentlichen Rechts angenommen werden oder darin verbleiben ohne das Nihil obstat des Diözesan-Ordinarius". - Art. 7 Reichskonkordat (Text bei Weber [Anm. 10] 17): „Zur Annahme einer Anstellung oder eines Amtes im Staat oder bei einer von ihm abhängigen Körperschaft des öffentlichen Rechtes bedürfen Geistliche des Nihil obstat ihres Diözesan-Ordinarius sowie des Ordinarius des Sitzes der öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Das Nihil obstat ist jederzeit aus wichtigen Gründen kirchlichen Interesses widerrufbar." 23 W. Weber, Das Nihil Obstat. Beiträge zum Verhältnis von Staat und katholischer Kirche, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 99 (1939) 193 u. 198 f; jetzt in: ders., Staat und Kirche in der Gegenwart. Rechtswissenschaftliche Beiträge aus vier Jahrzehnten (Tübingen 1978) 28 u. 32 f.
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II. Das durch die aktuelle wissenschaftliche Kontroverse veranlaßte besondere Interesse an dem Zusammenhang zwischen Laterankonkordat und Reichskonkordat darf nicht dazu führen, daß man sich darauf fixiert. Man sollte sich insbesondere nicht den Blick dafür verstellen lassen, daß das gesamte römische Vertragswerk in Deutschland alsbald nach seinem Zustandekommen ein außerordentlich starkes Echo gefunden und zahlreiche Stellungnahmen hervorgerufen hat 24 . Es kann nicht meine Aufgabe sein, dies alles hier auszubreiten. Aber soweit es um juristische Sachverhalte bzw. um Äußerungen in der juristischen Fachliteratur geht, sind doch einige Bemerkungen angebracht, wiederum als kleiner Beitrag zur Diskussion. 1. Der Abschluß der Lateranverträge vor fünfzig Jahren platzte mitten in die Verhandlungen über das Preußische Konkordat hinein, das dann am 14. Juni 1929 unterzeichnet wurde 25 . Fragen der inhaltlichen Einwirkung standen zwar nicht zur Debatte. Wohl aber waren Zweifel aufgekommen, ob der Heilige Stuhl nunmehr nach der Gründung des Staates der Vatikanstadt als „auswärtiger Staat" im Sinne von Art. 78 Abs. 2 Weimarer Reichsverfassung zu qualifizieren sei 26 . Wenn ja, hätte das Preußische Konkordat der Zustimmung des Reichs bedurft 27 . Aber daß dies nicht gerechtfertigt sei, ist doch alsbald auf wissenschaftlicher Ebene in einer Weise klargestellt worden, daß sich Belastungen für den weiteren Verlauf der Verhandlungen daraus nicht ergeben haben. Es hat sich rasch die Auffassung durchgesetzt, daß Vertragspartner bei einem Konkordat der Heilige Stuhl als solcher ist, nicht aber der Papst als Souverän des Vatikanstaates28. 2. Was nun die Analyse des Vertragswerks in der zeitgenössischen deutschen Rechtswissenschaft angeht, so spiegelt sich, schon äußerlich betrachtet, das starke Interesse daran in einer verhältnismäßig großen Zahl von Dissertationen wider 29 was später einmal unter nationalsozialistischem Vorzeichen als ganz unangemes24
Reichhaltiges bibliographisches Material bei Schöppe (Anm. 9) 553-558. Zum Stand der Verhandlungen im Februar 1929 vgl. D. Golombek, Die politische Vorgeschichte des Preußenkonkordats (1929) (Mainz 1970) 96. 26 „In Angelegenheiten, deren Regelung der Landesgesetzgebung zusteht, können die Länder mit auswärtigen Staaten Verträge schließen; die Verträge bedürfen der Zustimmung des Reiches." 27 Diese These vertraten Schwarz, Der neue Kirchenstaat, in: Deutsche Juristen-Zeitung 34 (1929) 343-348; R. Goldschmidt, Kann Preußen mit dem Hl. Stuhl ein Konkordat schließen?, in: Juristische Wochenschrift 58 (1929) 824. 28 In diesem Sinne etwa Zschucke, Der Vertrag zwischen dem Freistaat Preußen und dem HI. Stuhl, in: Deutsche Juristen-Zeitung 34 (1929) 1097-1100; O. Fischer, Konkordat und Staatsvertrag, in: Juristische Wochenschrift 58 (1929) 1105 f; H.-H. Lammers, Rezension, in: ebd. 1781 f. Bemerkenswert auch die kurze Stellungnahme von M. Hachenburg im Rahmen einer „juristischen Rundschau", Deutsche Juristen-Zeitung 34 (1929) 419 f. Zusammenfassend und mit überzeugender Klärung dann E. R. Huber, Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich (Breslau 1930) 91. 2 9 In der Bibliographie bei Schöppe (Anm. 9) 553 - 558 zähle ich 11! 25
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sen gerügt worden ist 30 . Aber davon ist hier nicht weiter zu sprechen. Zu erinnern ist indes, zumindest kurz, an die zeitlich wohl früheste Darstellung des Vertragswerks aus der Feder des Kanonisten August Knecht 31. Sie enthält eine signifikante Äußerung zum sogenannten Entpolitisierungsartikel, der „in weiten Landen, so auch im Deutschen Reich, zu grundsätzlichen und praktischen Erörterungen, auch zu besorgniserregenden Folgerungen Anlaß gegeben" habe. Dazu wird dann gesagt: „Zur Beruhigung darf hier wenigstens auf die Tatsache hingewiesen werden, daß die Bestimmungen, so wie sie vor uns stehen, zunächst nur italienische Verhältnisse betreffen und einzig auf diese anzuwenden sind." 32 Im folgenden konzentriere ich mich - aus der Fülle der Äußerungen - auf zwei größere Abhandlungen, mit denen sich zwei damals junge Gelehrte hervorgetan haben, nämlich Hans Liermann 33 und August Hagen 34, Protestant der eine, Katholik der andere. Hans Liermann, schon früh eine Autorität des evangelischen Kirchenrechts und des deutschen Staatskirchenrechts 35, hat die säkulare Bedeutung der römischen Verträge gebührend und im ganzen durchaus verständnisvoll hervorgehoben. Seine These allerdings, der Staat der Vatikanstadt sei nur ein „Scheinstaat", nur eine „exterritoriale Energiezelle" 36 war zwar wohlgemeint, aber juristisch so sicherlich nicht haltbar. Er blieb insoweit im Banne einer positivistisch geprägten Allgemeinen Staatslehre, für die in der Tat die spezifische Eigenart des neuen Gebildes kaum erfaßbar war. Eine wohl protestantisch motivierte Verengung der Perspektive lag auch darin, daß als entscheidender Grundgedanke für den kirchlichen Universalismus derjenige der päpstlichen „Weltherrschaft über die Gewissen eines Teils der Menschheit"37 herausgestellt wurde. Bei der Würdigung des Laterankonkordats hat nicht von ungefähr auch der Art. 43 sein besonderes Interesse gefunden. Es sei, so sagt er, eine schwerwiegende politische Entmündigung des Klerus zugestanden worden, aber er meint, die Fassung von Abs. 2 sei so gewählt, „daß der Heilige Stuhl keineswegs auf die Dauer gebunden ist, das Verbot aufrechtzuerhalten". Man habe offenbar kirchlicherseits sich vorbehalten wollen, rebus sie stanti30 E. Menzel, Die völkerrechtlichen Dissertationen 1933-1939 (= Zeitschrift für Völkerrecht. Beiheft zu Bd. 25) (Berlin 1941) 5. 31 Konkordat zwischen dem HL Stuhl und Italien, in: Klerusblatt 10 (1929) 456-458; 475-477, 489-491. Eine erste Inhaltsübersicht gab Knecht schon in dem Aufsatz „Die römische Frage", in: ebd. 201-303. Zum Autor vgl. K. Weinzierl, in: LThK 2 6 (1961) 356. 32 A. a. O. (Anm. 31) S. 457. 33 Staat und Kirche in den Lateranverträgen zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien vom 11. Februar 1929, in: Archiv des öffentlichen Rechts 57 (NF 18) (1930) 379 bis 410. 34 Die Rechtsstellung des Hl. Stuhles nach den Lateran Verträgen (= Tübinger Abhandlungen zum öffentlichen Recht, 24) (Stuttgart 1930). 35 Vgl. dazu die Hinweise bei A. Höllerbach, Kirchenrecht an der Freiburger Rechtsfakultät 1918-1945, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 23 (1978) 32-35. 36 Liermann (Anm. 33) 388 f. 37 Ebd. 384.
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bus auch die Geistlichkeit wieder als Führer in die politische Arena steigen zu lassen38. Mag diese Interpretation anfechtbar, wenn nicht unhaltbar sein, sie läßt jedenfalls das Problem deutlich hervortreten. Das gilt auch insofern, als Hermann auf das Junktim mit der Anerkennung der Katholischen Aktion abhebt, wobei er diese als „bemerkenswertes Zugeständnis" der staatlichen Seite interpretiert, wenn man bedenke, „wie scharf der Faschismus sonst nichtfaschistische Gesellschaftsgruppen aller Art unterdrückt" 39. Liermann hat nicht zuletzt zur Kenntnis genommen, daß die Verträge noch Konfliktsstoff genug übriglassen, und er hatte dabei die noch vor der Ratifizierung ausgebrochenen Differenzen zwischen Staat und Kirche vor Augen. Er bringt zwar die Hoffnung zum Ausdruck, daß die Gefahr des Kulturkampfs in weiter Ferne liege, sagt aber sehr klar: „Sollte es einmal in Italien zu einem Kulturkampf kommen, so hat die Kirche in den Verträgen jedenfalls ein festes Bollwerk." 40 Der Kanonist August Hägen 41 hat im Jahre 1930 „Die Rechtsstellung des Heiligen Stuhles nach den Lateranverträgen" zum Gegenstand seiner Tübinger akademischen Antrittsrede gemacht. Er sieht zwar den engen Zusammenhang zwischen Trattato und Laterankonkordat, aber sein vornehmliches Interesse gehört dem politischen Staatsvertrag. Es ist hier nicht im einzelnen zu rekapitulieren, was der Autor besonders akzentuiert. Wichtig erscheint mir ein Hinweis darauf, wie Hagen, aufs ganze gesehen, nüchtern bleibt. So wendet er sich gegen die Auffassung, daß jetzt die Geschicke des faschistischen Imperialismus und des katholischen Universalismus miteinander verknüpft seien, und betont angesichts der „teilweise unkirchlichen Ideenwelt des Faschismus": „Die Kirche schloß einen Bund mehr mit dem italienischen Volk als mit der augenblicklichen Regierung." 42 Es ist für Hagen klar, daß sich Mussolini ausschließlich von staatspolitischen Motiven leiten ließ, die „Versöhnung" also, wie es Konrad Repgen neuerdings formuliert hat, „wesentlich instrumentalen Charakter hatte und rein taktisch bedingt war" 43 . „Faschismus und Katholizismus begegneten sich deshalb auf dem Wege, weil der Faschismus aus dem Katholizismus eine gewisse Verwandtschaft herausfühlte (hierarchischer Aufbau, Autorität, Disziplin) und das Bedürfnis nach einer allseitigen Integration und Konzentration der Kräfte verspürte." 44 Es wird auch gesehen, daß sich der anti-individualistische, anti-sozialistische und anti-liberale Faschismus durch die Frontstellung gegen die gleichen Gegner mit der katholischen Kirche berührt 45. Aber da ist, so sagt Hagen, eine „dunkle Wolke", die 38 Ebd. 406. 39 Ebd. 40 Ebd. 409. 41 Über ihn biographische und bibliographische Angaben in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kan. Abt. 80 (49) (1963) 629. 42 Hagen (Anm. 34) 51. 43 So in dem oben (Anm. 3) angeführten Aufsatz aus der Bußmann-Festschrift 346. 44
Hagen (Anm. 34) 82. 5 Ebd. 85.
4
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über dem Vertragswerk schwebt.46 Wie schon bei Liermann, wird auch bei ihm ausdrücklich auf die schwerwiegenden Differenzen aufmerksam gemacht, die sogleich nach der Unterzeichnung der Verträge und noch vor ihrer Ratifikation aufgebrochen sind. Sie betrafen hauptsächlich das Recht der Kirche auf die Jugenderziehung gegenüber dem faschistischen Erziehungsmonopol. Dazu wird gesagt: „Die Erziehung zum Staatsbürger und die Erziehung zum Christen sollten sich bei einigermaßen gutem Willen miteinander vereinigen lassen, allein der Faschismus will Kirche und Religion keinen selbständigen Einfluß zugestehen, wie der Vollfaschismus in seinem Streben nach ungehemmter Kraftentfaltung des Staates nach außen wie nach innen mit einer Aufsaugung von Persönlichkeit und Familie endet." Es wird auch darauf hingewiesen, daß die im Konkordat anerkannte Katholische Aktion, „dieser Rest einer Vereinigungsfreiheit", Faschistenkreisen ein Dorn im Auge sei. So kann betont werden, daß eine Gesinnungsgemeinschaft zwischen Mussolini und dem Papst von Anfang an nicht vorhanden gewesen sei. Und am Ende steht der Satz: „Mit dem Konkordat ist der Kampf der Geister und der Ideen noch nicht abgeschlossen."47 Liermann und Hagen haben wohl bewußt darauf verzichtet, aus den römischen Vorgängen Konsequenzen für die Beurteilung der konkordatsrechtlichen und konkordatspolitischen Situation in Deutschland zu ziehen. Sie bieten weder ein „Handlungsprogramm" noch ein „Erklärungsmodell" 48, allenfalls Gesichtspunkte und Thesen, nicht mehr und nicht weniger. Insofern war und blieb die wissenschaftliche Diskussion offen; es gab, was man wohl bei der derzeitigen Diskussionslage unterstreichen muß, keine Einbahnstraße der Euphorie, auch und gerade nicht auf katholischer Seite. 3. In den Zusammenhang unserer Beobachtungen über das deutsche wissenschaftliche Echo auf die Lateranverträge gehört, und das ist ein dritter Komplex, den ich kurz beleuchten möchte, eine vielzitierte Abhandlung von Ulrich Stutz über „Konkordat und Codex" 49 . Ihr Inhalt ist am 11. Dezember 1930 in einer Sitzung der philosophisch-historischen Klasse der Preußischen Akademie der Wis46
Ebd. 87; hier auch das folgende Zitat. Ebd. 88. Vgl. auch S. 57: „Zwar ist vieles beim Faschismus noch im Fluß, und der Aktivismus geht über alles, allein die Verabsolutierung des Staats- und Nationalgedankens ist mit dem katholischen religiösen und ethischen Universalismus unvereinbar. Alles, was der Faschismus der Kirche bieten kann, hat sie angenommen und wird sie auch in Zukunft annehmen, aber einen absolutistischen stato fascista, einen faschistisch-katholischen Staat, wird sie niemals zugeben können." Hagen bezieht sich hier übrigens auf Heller, vgl. hierzu unten bei Anm. 64. 47
48 Begriffe, die in der Interprepation Repgens eine wichtige Rolle spielen, vgl. Reichskonkordats-Offerte (Anm. 3) 508, 511. 49 Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist.-Klasse 1930, Nr. 32, 688-706, auch als Sonderausgabe (Berlin 1930). Zum Autor vgl. insbesondere K. S. Bader, In memoriam Ulrich Stutz (= Alma Mater. Beiträge zur Geschichte der Universität Bonn 29) (Bonn 1969).
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senschaften in Berlin vorgetragen worden. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß - abgesehen von der Befassung des Autors mit Fragen der Staatskirchenverträge in Preußen 50 - die Lateranverträge ein auslösendes Moment für diese Untersuchung gewesen sind. Ihre These ist bekanntlich: In den staatskirchenrechtlich relevanten Materien sind die Nachkriegskonkordate als Instrumente zur „Einbürgerung" des Codex Iuris Canonici eingesetzt worden. Demgemäß steht am Ende der Untersuchung der markige Satz: „Eines ergibt wohl auch für den Fernerstehenden die Durchsicht der Konkordate und konkordatären Abmachungen des vergangenen Jahrzehnts: Auch in ihnen und durch sie marschiert der Codex." 51 Unter den dafür beigebrachten Belegen nimmt eine herausragende Rolle das Recht der Besetzung der Bischofsstühle ein. Und hier kommt auch das Laterankonkordat ins Spiel. Mit großer Betonung wird nämlich gesagt, daß selbst dem Hause Savoyen das Nominationsrecht vorenthalten worden sei 52 . Andererseits wird etwa die Aufrechterhaltung des domkapitularischen Wahlrechts in Preußen minimalisierend ausgelegt. Das Domkapitel sei im Grunde nur „Hilfsorgan". In Deutschland gelte nur „ein zugunsten des Kapitels und des Staates etwas umgebogenes, gemildertes päpstliches Besetzungsrecht"53. Weitere Beispiele stammen aus anderen Bereichen des Ämterrechts, besonders aber wird noch auf Art. 34 des Laterankonkordats bezüglich des Eherechts hingewiesen. Schließlich kann Stutz schon rein formal auf zahlreiche Verweisungen der Konkordate auf das gemeine Recht aufmerksam machen. Und doch darf man die Stutzsche These nicht pressen. Es ist und bleibt wahr, daß das gemeine Recht, wie es im CIC kodifiziert worden war, zur konkordatspolitischen Richtschnur genommen worden ist. Das erscheint ja auch schon deshalb nicht weiter verwunderlich, weil, abgekürzt und formelhaft gesprochen, Codex und Konkordate in einer Person gewissermaßen zusammenfließen, nämlich in Pietro Gasparri 54. Aber man muß dabei zweierlei im Auge haben: (1.) Stutz selbst weist auf die zum Teil erheblichen Abweichungen in der Erzielung der konkordatspolitischen Idealvorstellungen hin. Die Kurie könne es sich leisten, so sagt er zum Beispiel, fast gleichzeitig Staaten, mit denen sie Vereinbarungen trifft, ganz verschieden entgegenzukommen und Zugeständnisse von ganz verschiedenem Umfange und von ganz verschiedener Tragweite zu machen55. Hans Barion hat das später einmal auf die Formel gebracht, die CIC-Normen hätten einen mehr pro50 Vgl. dazu Hinweise bei A. Hollerbach, Streiflichter zur Entstehungsgeschichte der Badischen Staatskirchenverträge von 1932. Aus Anlaß eines Briefwechsels zwischen Ulrich Stutz und Eugen Baumgartner, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kan. Abt. 61 (92) (1975) 344 f., auch Golombek (Anm. 25) 115. 51 Stutz (Anm. 49) 706 (21). 52 Ebd. 702 (17). 53 Ebd. 703 (18). 54 Über ihn vgl. R. Bäumer in: LThK 2 4 (1960) 524. Wichtig in diesem Zusammenhang auch F. Elsener, Der Codex Iuris Canonici im Rahmen der europäischen Kodifikationsgeschichte, in: Müller/Elsener/Huizing (Hrsg.), Vom Kirchenrecht zur Kirchenordnung? (Einsiedeln 1968) 29-53. 55 Stutz (Anm. 49) 701 (16).
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grammatischen als absoluten, mehr visierenden als immobilisierenden Charakter 5 6 - (2.) Wenn die Kurie versucht hat, ihr Programm durchzusetzen, so natürlich nicht formal wegen des neuen kirchlichen Gesetzbuchs als solchem, sondern weil im Codex Iuris Canonici das Selbstverständnis von der Freiheit der Kirche gegenüber dem Staat einerseits, von der inneren Verfassungsstruktur der Kirche andererseits in authentischer Weise Niederschlag gefunden hatte. Nicht abstrakte Systemkonsequenz oder formale Normadäquanz war das oberste Gebot, sondern, wie eh und je, die Ziel Vorstellung des bonum commune ecclesiae57. 4. Sucht man nach dem Widerhall, den die Lateranverträge im deutschen Schrifttum, insbesondere im rechts- und staatswissenschaftlichen, gefunden haben, so darf man zu guter Letzt einen wichtigen Bereich nicht außer acht lassen, und zwar jene Schriften, die sich mit dem Faschismus auseinandersetzen. Doch muß man dabei zeitlich etwas zurückgreifen. Die erste ausführlichere Darstellung findet sich nämlich bei Erwin von Beckerath, Wesen und Werden des faschistischen Staates, erschienen 192758, nach dem Urteil von Ernst Nolte „ein wegweisender deutscher Beitrag zu der jungen Wissenschaft vom Faschismus"59. Hier werden schon entscheidende Gesichtspunkte markiert 60 . Der strenge hierarchische Aufbau der katholischen Kirche werde vom Faschismus bewundert und nachgeahmt; auch trete in der Konzeption des Staates als eines organischen Wesens Übereinstimmung zwischen katholischer und faschistischer Lehre hervor. Aber im Faschismus stecke eine Verabsolutierung des Staates, welche die Kurie nie akzeptieren werde. Wenn es zu einer Aussöhnung komme, dann unter realpolitischen Erwägungen, bei voller Wahrung des Universalismus der katholischen Kirche, die sich nicht vor den Karren eines italienischen Nationalismus und Imperialismus werde spannen lassen. Ebenfalls noch vor dem 11. Februar 1929 liegt auch die hellsichtige Schrift von Gerhard Leibholz über Probleme des faschistischen Verfassungsrechts 61. In bezug auf das Staat-Kirche-Verhältnis registriert der Autor die wechselnde Haltung des Faschismus bzw. seine Anpassungsfähigkeit 62. Er vertieft aber dieses Problem 56 Art. Kirche und Staat, in: RGG 3 3 (1959) 1337 f. Sorgfältig differenzierend auch A. Bertold, Attivitä concordataria e codificazione del diritto della Chiesa, in: Archivio Giuridico „Filippo Serafini" 111 (1934) 137-177. 57 Vgl. dazu auch Repgen (Anm. 2) 159 f. 58 Über den Autor siehe J. Salzwedel/N. Kloten, In memoriam Erwin von Beckerath (= Alma Mater. Beiträge zur Geschichte der Universität Bonn 20) (Bonn 1966). 59 Zeitgenössische Theorien über den Faschismus, in: ders., Marxismus, Faschismus, Kalter Krieg (Stuttgart 1977) 172. 60 Zum folgenden in der Schrift Beckeraths (bei Anm. 58) 69-72. 61 Zu den Problemen des faschistischen Verfassungsrechts. Akademische Antrittsvorlesung (= Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Volkerrecht 11) (Berlin/Leipzig 1928). Über den Autor vgl. die bedeutsame Würdigung durch R. Smend, Gerhard Leibholz zum 70. Geburtstag, in: Archiv des öffentlichen Rechts 96 (1971) 568- 572. 62 Leibholz (Anm. 61)9.
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nicht. Hingegen wird der zentrale Gedanke herausgearbeitet: Der faschistische Staat ist eine Diktatur; unter seiner Herrschaft sind frei nur diejenigen Individuen und Gruppen, welche die Grundlagen des faschistischen Staates bejahen63. Unter den damaligen literarischen Stimmen ist indes am erregendsten die scharfsinnige Analyse von Hermann Heller, die er 1929 und dann, in der insoweit unveränderten 2. Auflage, 1931 in seiner Schrift „Europa und der Faschismus" vorgetragen hat 64 . Heller war in der deutschen Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit eine Potenz ersten Ranges; aus dem revisionistischen sozialistischen Ideenkreis kommend hat er bedeutsame Beiträge zur Fundierung republikanisch-demokratischen und rechts- und sozialstaatlichen Denkens geleistet65. „Wie brüchig und zweideutig alle politischen Gehalte des Faschismus sind, zeigt am deutlichsten sein Verhältnis zum Katholizismus"66, so leitet er eine längere Passage ein, welche die ideologische Unvereinbarkeit von Faschismus und Katholizismus mit voller Klarheit herausstellt und die sich unter anderem mokiert über jenen „Als-ObKatholizismus" Mussolinis und seiner Anhänger oder über jene „höchst unorganische Aufpfropfung des Katholizismus auf den antik-heidnischen Staat des Faschismus" 67 . Hermann Heller kommt von hier aus zu der Auffassung, der Lateranpakt sei als Ausdruck ideeller und politischer Schwäche Mussolinis anzusehen, und schließlich heißt es: „Deshalb kann nur gänzliche Ahnungslosigkeit gutgläubig die Meinung vertreten, der Lateranpakt bedeute die ernstliche Aussöhnung des Vatikans mit dem antik-heidnischen Staatsgedanken des Faschismus. Nur eine faschistische Bewegung, die restlos alles, was sie bisher war, aufgibt, und Selbstmord begeht, kann auf mehr rechnen als einen augenblicklichen Waffenstillstand des Vatikans."68 Das aber bedeutet zugleich: Die Kirche hat die Zeichen der Zeit erkannt, hat sich eine Verteidigungsbasis geschaffen gegen die „atemberaubend stürmische Umarmung Mussolinis" 69 . Es ist in hohem Maße bemerkenswert, wie in dieser Stimme eines kirchlichen Dingen eher fern Stehenden die Akzente gesetzt werden und wie der Defensivcharakter in der Lösung der römischen Frage hervortritt, auch wenn in anderen Hinsichten die neuere Faschismus-Forschung Vorbehalte gegen Heller anmelden mag 70 . Zugleich darf mit diesem Beispiel belegt 63 Ebd. 19. 64 Der Text der 2. Auflage jetzt in: H. Heller, 463-609.
Gesammelte Schriften 2 (Leiden 1971)
65 Über den Autor vgl. P. Graf Kielmansegg, in: NDB 8 (1969) 477-479, sodann die wichtige Monographie von W. Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat. Hermann Heller und die staatstheoretische Diskussion in der Weimarer Republik (o. O. 1968) und dazu M. Friedrich, Der Methoden- und Richtungsstreit. Zur Grundlagendiskussion der Weimarer Staatsrechtslehre, in: Archiv des öffentlichen Rechts 102 (1977) 161-209. 66 Heller (Anm. 64) 58 (515). 67 Ebd. 64 (519). 68 Ebd. 64 (521). 69 Ebd. 64 (520). 70 Vgl. dazu Nolte (Anm. 59) 157 f. 28 Hollerbach
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werden, daß es in der zeitgenössischen deutschen Rechts- und Staatswissenschaft mitnichten, wie es einer Blickverengung bisweilen erscheinen könnte, eine, um noch einmal diesen Ausdruck zu gebrauchen, Einbahnstraße in Richtung auf den autoritären Staat faschistischer oder nationalsozialistischer Prägung gegeben hat.
III. Wenn im folgenden nunmehr von Problemen aus dem historischen Umfeld abgesehen werden darf, so treten bei einer Durchmusterung des Ertrags, den die Lateranverträge für die Gesamtkirche erbracht haben, vor allem zwei Faktoren hervor: die Anerkennung der Völkerrechtssubjektivität des Heiligen Stuhles und die Schaffung des neuen Völkerrechtssubjekts „Staat der Vätikanstadt". Es ist hier nicht der Ort, alle damit zusammenhängenden Fragen auszubreiten, zumal dafür jetzt auf ein monumentales, alle Ecken ausleuchtendes wissenschaftliches Werk verwiesen werden kann, nämlich dasjenige von Heribert Franz Köck 11. Aber man darf und braucht nicht unter den Scheffel zu stellen, daß das Vertragswerk vom 11. Februar 1929 insoweit unzweifelhaft eine Erfolgsbilanz aufweist. Dazu sind einige Bemerkungen angebracht. 1. Mag die Völkerrechtssubjektivität des Heiligen Stuhles unterschiedlich interpretiert und systematisch eingeordnet werden; mag man nicht einig sein hinsichtlich der Konsequenzen, die daraus für die Qualifikation der von ihm geschlossenen Verträge zu ziehen sind: Der Trattato hat die Frage der Völkerrechtssubjektivität als solche außer Streit gestellt, außer Streit gestellt damit das Prinzip der Unabhängigkeit dieser Stellung von jeder territorialen Grundlage. Allerdings, die entscheidende Leistung ist insoweit schon zwischen 1870 und 1929 erbracht worden, wo sich dieses Prinzip in besonderer Weise zu bewähren hatte 72 . Deshalb handelt es sich in Art. 2 des Trattato 73 in der Tat um die bloße Anerkennung eines juristischen Sachverhalts, der davon unabhängig aufgrund gewohnheitsrechtlicher Bildung schon existent war, der sich als gewissermaßen vertragstranszendent dieser Vertragsnorm nicht verdankt, sondern durch sie nur bekräftigt wurde. Man würde heute wohl darüber Erwägungen anzustellen haben, ob der Begriff der „Souveränität" in diesem Zusammenhang sinnvoll verwendet wird, weil er aus der Theoriegeschichte belastet ist und man vielfach „Absolutheit", „Impermeabilität" oder 71 Die völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls. Dargestellt an seinen Beziehungen zu Staaten und internationalen Organisationen (Berlin 1975). Aus dem neueren Schrifttum vgl. femer H. Oechslin, Die Völkerrechtssubjektivität des Apostolischen Stuhls und der Katholischen Kirche (= Freiburger Veröff. aus dem Gebiete von Kirche und Staat 16) (Freiburg/Schw. 1974). 72 Eindringlich dazu Köck (Anm. 71) 50-136, 207-250. 73
„Italien erkennt die Souveränität des Hl. Stuhles auf internationalem Gebiet als eine gemäß seiner Überlieferung und den Erfordernissen seiner Aufgabe in der Welt zu seinem Wesen gehörende Eigenschaft an" (Text bei Schöppe [Anm. 9] 162).
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„Allumfassendheit" damit assoziiert, von den territorialistischen und nationalistischen Momenten, die diesem Begriff bisweilen beigelegt werden, zu schweigen74. Versteht man den Begriff indes recht, so trifft er nach wie vor auch auf die Kirche zu. Gemeint ist in der Sache die von Fremdbestimmung unabhängige Eigenrechtsmacht, die aber sowohl inneren wie, im Rahmen der Volkerrechtsordnung, äußeren Grenzen unterliegt 75. Diese Eigenschaft kommt der katholischen Kirche als solcher zu. Es ist deshalb richtig, wenn gesagt wird, der Sache nach sei nicht der Heilige Stuhl, sondern die Kirche selbst Völkerrechtssubjekt, der Heilige Stuhl handle als ihr Organ, oder, anders ausgedrückt, die Kirche handle im Heiligen Stuhl, dieser verkörpere sie 76 . Das zu betonen trägt vielleicht in Anbetracht der bestehenden Völkerrechtspraxis juristisch-technisch nichts aus; aber es ist nicht ohne Bedeutung, die Sache selbst zutreffend zu benennen. In diesem Zusammenhang darf im übrigen betont werden, daß das Maß der Anomalie, die in dieser Anerkennung der Kirche bzw. des Heiligen Stuhls im Verhältnis zum Kreis der sonstigen Völkerrechtssubjekte liegt, heute nicht mehr so groß ist wie ehedem. Ich darf eine deutsche Autorität dazu zitieren, nämlich Ulrich Scheuner: „Heute, wo die Völkerrechtsordnung auch internationale Organisationen und in begrenztem Umfang sogar Individuen als Träger von Rechten kennt und die internationale Ordnung überhaupt nicht mehr nur als zwischenstaatliches System, sondern als universale Grundordnung der Völker und Menschen erscheint, fügt sich auch die Stellung des Heiligen Stuhles als einer moralische Autorität verkörpernden Einheit leichter in die Gesamtordnung ein." 77 Damit ist aber zugleich auch klar, daß diese Völkerrechtssubjektivität kein exklusives Privileg der katholischen Kirche mehr ist. So wäre, jedenfalls aus juristischer Sicht, prinzipiell nichts dagegen einzuwenden, wenn etwa auch der Ökumenische Weltrat der Kirchen in diesen Status hineinwüchse78. 2. Die Schaffung des Staates der Vatikanstadt war nicht nur einfachhin eine praktikable Lösung der römischen Frage, sondern eine wirklich konstruktive Lö74
Wichtig dazu P. Häberle, Zur gegenwärtigen Diskussion um das Problem der Souveränität, in: Archiv des öffentlichen Rechts 92 (1967) 259-287, jetzt mit Nachtrag in: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß. Materialien zu einer Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft (Berlin 1979) 364-395. 75 Vgl. dazu auch Köck (Anm. 71) 32, 34; ferner Oechslin (Anm. 71) 57, 60. 76 Dazu Köck (Anm. 71) 396, 402; Oechslin (Anm. 71) 120-123 (Zusammenfassung). Vgl. auch A. Hollerbach, Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland (Frankfurt am Main 1965) 102. 77 Die Stellung des Ökumenischen Rates im internationalen Leben (1966), jetzt in: ders., Schriften zum Staatskirchenrecht, hrsg. v. J. Listl (Berlin 1973) 559. 78 Vgl. dazu U. Scheuner, Die internationalen Beziehungen der Kirchen und das Recht auf freien Verkehr, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland 2 (1975) 336-343; ders., Christliche Kirche und internationale Ordnung, in: O. H. Pesch (Hrsg.), Einheit der Kirche - Einheit der Menschheit (Freiburg i. Br. 1978) 102-132. 28*
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sung, und zwar eine solche, die einen angemessenen Weg fand zwischen den Positionen bloßer Exterritorialität einerseits, der Aufrichtung eines neuen politischen Kirchenstaats andererseits. Der „Mini-Staat" der Vatikanstadt ist im Hinblick auf das Völkerrecht ein durch den Heiligen Stuhl handlungsfähiger Staat mit einem territorialen und personalen Substrat 79; er ist freilich insofern ein Staatsgebilde sui generis, als er ein funktionell limitiertes und von der Kirche vollständig abhängiges, ihr dienendes Gemeinwesen darstellt, ein „staatliches Akzessorium" 80. Seine Eigenart kommt wohl am besten zum Ausdruck, wenn man dieses Gebilde „Dienststaat" nennt, wie das auch jüngst in einem Artikel des Osservatore Romano geschehen ist 81 . Es kann kein Zweifel sein, daß es eines solchen Dienststaates an sich nicht bedürfte. Er kann keine Legitimation aus dem ius divinum sive positivum sive naturale für sich beanspruchen, er gehört - noch weniger übrigens als die Völkerrechtssubjektivität des Heiligen Stuhles - zum „esse ecclesiae", wohl aber, so darf man nach den Erfahrungen der letzten fünfzig Jahre sagen, zum „bene esse ecclesiae". Es gibt eigentlich nur eine theoretisch denkbare Alternative. Sie bestünde, als Mittel zur Sicherung der Unabhängigkeit des Heiligen Stuhles, in einer internationalen Garantie im Zusammenhang mit einer Konvention etwa folgenden Inhalts: Jener Staat, in welchem der Heilige Stuhl seinen Sitz hat, verpflichtet sich diesem gegenüber in einem den Amtssitzabkommen der internationalen Organisationen entsprechenden Vertrag, die Ausübung seines geistlichen Amtes völlig ungestört zu ermöglichen und die dafür notwendigen Privilegien und Immunitäten zu gewähren. Andere Staaten könnten an dieser Konvention als Garantiemächte teilnehmen, und zwar so, daß ihnen das Recht eingeräumt wäre, bei Beeinträchtigung der Freiheiten des Heiligen Stuhles eine Verletzung des Völkerrechts geltend zu machen, Abstellung und Entschädigung zu verlangen und unter Umständen Sanktionen zu ergreifen 82. Es ginge also um die Schaffung einer durch internationale Garantien gesicherten exterritorialen Zone. Es ist gut, sich einmal diese Alternative bewußt zu machen, eine Alternative, die übrigens unter ökumenischen Aspekten von Lukas Wischer zur Erwägung gestellt worden ist 83 . Aber es besteht wohl kein Anlaß, am jetzigen Zustand im Grundsätzlichen etwas zu ändern, sofern man in sachgerechter, d. h. in einer der geistlichen Mission der Kirche angemessenen Weise davon Gebrauch macht. Der Status der 79
Vgl. dazu im einzelnen Köck (Anm. 71) 147-165. so So treffend J. H. Kaiser, Art. Vatikanstadt, in: Wörterbuch des Völkerrechts 2 3 (1962) 484. 81 LM. Maasburg, 50 Jahre Staat der Vatikanstadt - 50 Jahre im Dienst der Kirche, in: L'Osservatore Romano (Wochenausgabe in deutscher Sprache) 9. Jg. Nr. 5 v. 2. Februar 1979. 82 So Köck (Anm. 71) 83 Anm. 143. 83 Der Heilige Stuhl, der Vatikanstaat und das gemeinsame Zeugnis der Kirchen, in: L. Vischer (Hrsg.). Ökumenische Skizzen (Frankfurt am Main 1972) 166-193. Vgl. auch G. Denzler, Kirchenstaat - Lateranverträge - Konkordatsrevision - Heiliger Stuhl, in: ders. (Hrsg.), Kirche und Staat auf Distanz. Historische und aktuelle Perspektiven (München 1977) 147-163.
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Exterritorialität ist im Streitfall labiler als der durch den Trattato geschaffene. Was man im übrigen 1929 vielleicht als Manko ansehen mochte, nämlich die fehlende förmliche Internationalisierung bei Begründung des neuen Rechtsstatus, ist materiell durch die Staatenpraxis längst nachgeholt. Man mag geradezu von einem Plebiszit der Völkerrechtsgemeinschaft sprechen, und es ist bemerkenswert, daß sich, soweit ersichtlich, auch Praxis und Völkerrechtsdoktrin der Ostblockstaaten hiervon nicht ausgeschlossen haben84. 3. Die sich vor allem im Gesandtschafts- und Vertragsschließungsrecht ausprägende Völkerrechtssubjektivität des Heiligen Stuhles und die Existenz des Dienststaates „Vatikan" sind Elemente einer Hilfe, die das Recht der universalen Mission der Kirche gewährt. Von daher, von diesem Gedanken der Hilfe oder des Dienstes aus ist auch die Frage ihrer ekklesiologischen und ökumenischen Rechtfertigung zu beantworten. Ohne diese „Rechtshilfe" - diesen Begriff natürlich in einem weiten Sinne genommen - ist die Entwicklung des letzten Halbjahrhunderts schwerlich vorstellbar. Sie prägt nicht nur die Konkordatsgeschichte85, sondern ist auch ein Stück Völkerrechtsgeschichte 86. Man kann dafür etwa auf den Zweiten Weltkrieg verweisen 87, ferner auf die Erweiterung der Aktivitäten des Heiligen Stuhls im Bereiche der Kriegsverhütung einerseits, des Schutzes und der Förderung der Menschenrechte andererseits 88. Und wer hätte geglaubt, daß, wie jüngst geschehen, in Anwendung von Art. 24 Abs. 1 des Trattato die schiedsrichterliche Funktion des Heiligen Stuhles wieder einmal aufleben könnte?89 Aber auch in der Kon84 Vgl. dazu auch Köck (Anm. 71) 272-282. Als Beleg aus der Literatur der DDR sei angeführt das von einem Autorenkollektiv unter der Gesamtredaktion von H. Kröger verfaßte Lehrbuch „Völkerrecht", Teil 1 (Berlin 1973) 221 f. 85 Unter juristischer Perspektive vgl. dazu die Berichte von Y. de la Brière, Le droit concordataire dans la Nouvelle Europe, in: Recueil des Cours 63 (1938) 367-468, und von A. Hollerbach, Die neuere Entwicklung des Konkordatsrechts, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts NF 17 (1968) 117-163. Eine Fortschreibung dieses letzteren Berichts ist in Vorbereitung. 86 Vgl. dazu statt aller U. Scheunen 50 Jahre Volkerrecht, in: Jahrbuch für internationales Recht 12 (1965) 11-41. Ein ausgezeichneter Spiegel der neueren Entwicklung des Völkerrechts bei A. Verdross /B. Simma, Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis (Berlin 1976), speziell zur Position des Hl. Stuhles 214-216. 87 Vgl. dazu etwa J. Becker, Der Vatikan und der II. Weltkrieg, in: E. Heinen/H. J. Schoeps (Hrsg.), Geschichte in der Gegenwart. Festschrift Kurt Kluxen (Paderborn 1972) 301317, jetzt auch in: D. Albrecht (Hrsg.), Katholische Kirche im Dritten Reich (Mainz 1976) 171-193. 88 Vgl. dazu eingehend Köck (Anm. 71) 438 -448 und 615-739. 89 Art. 24 Abs. 1 lautet: „Hinsichtlich der ihm auch auf internationalem Gebiete zustehenden Souveränität erklärt der Hl. Stuhl, daß er den weltlichen Streitigkeiten zwischen den anderen Staaten und den ihretwegen einberufenen internationalen Kongressen fernbleiben will und wird, sofern die streitenden Parteien nicht gemeinsam an seine Friedensmission appellieren. In jedem Falle behält er sich jedoch vor, seine moralische und geistige Macht geltend zu machen" (Text bei Schöppe [Anm. 9] 169). - Zur vatikanischen Vermittlung im argentinischchilenischen Grenzstreit vgl. die Kurzinformation in: Herder-Korrespondenz 33 (1979) 110.
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kordatsgeschichte im engeren Sinne läßt sich die positive Funktion solcher Rechtshilfe durch das Völkerrecht beobachten. Ohne sie wäre etwa der Vertrag mit Tunesien aus dem Jahre 1964 schwerlich denkbar, also ein Vertrag mit einem Staat, in dem der Islam Staatsreligion ist 90 . IV. Die Lateranverträge sind herausragende historische Dokumente. Sie haben, wenn ich mir diesen verbalen Anklang an Karl Marx erlauben darf, die Welt um ein kleines Stück verändert, vor allem aber haben sie sie vernünftig interpretiert. Damit haben sie, soweit ihre Regelungen hier in Rede stehen, einen wertvollen Beitrag zur Sicherung der Sendung der katholischen Kirche geleistet. Im Rahmen der nach dem Ersten Weltkrieg einsetzenden neuen Konkordatsära mögen sie wie ein natürlicher Höhepunkt erscheinen. Aber es wäre unredlich, wollte man diesen erinnernden Rückblick auf ein unbestreitbar säkulares Ereignis nicht zum Anlaß nehmen, die Faktizität dessen, was da ist, auf seine Rechtfertigung hin zu befragen, zumal dann, wenn man, wie in Italien, im Begriff ist, das Vertragssystem fortzuentwickeln 91 . Demgemäß dürfen nunmehr im letzten Teil meiner Ausführungen einige grundsätzliche Überlegungen zu Gegenwart und Zukunft vertraglicher Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Kirche stehen92. Dabei ist die Grundfrage die nach der Legitimation von Staatskirchenverträgen überhaupt. Diese Frage richtet sich an die Kirche ebenso wie an den Staat und an die Völkergemeinschaft. 1. Was zuerst die Kirche selbst anlangt, so hat das Zweite Vatikanische Konzil mit der Erklärung über die Religionsfreiheit vom 7. Dezember 1965 gegenüber der überkommenen Doktrin neue Akzente gesetzt, ja es hat die Lehre vom Verhältnis Staat - Kirche auf eine in dieser Form in der katholischen Kirche neue Basis gestellt, auf die Basis nämlich des Prinzips der Religionsfreiheit 93. In der katholischen Lehre erscheinen individuelle Religionsfreiheit und korporativ institutionelle Kirchenfreiheit im Rahmen des „iustus ordo publicus" eines bestimmten 90
Näher dazu Hollerbach, Entwicklung des Konkordatsrechts (Anm. 85) 154. 91 Vgl. dazu die Berichte in: Herder-Korrespondenz 31 (1977) 334 f. und 32 (1978) 114 f. - Text des Konkordatsentwurfs der Kommission Gonella - Casaroli in: II Diritto Ecclesiastico 88 (1977) 472-478. Vgl. auch die Hinweise in der gehaltvollen Würdigung von L. Carlen, 50 Jahre Lateranverträge (Civitas 1979) 273-280. 92 Ich greife damit schon früher entwickelte Stellungnahmen auf und führe sie fort; vgl. insbesondere: A. Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer 26 (1968) 57- 70; ders., Entwicklung des Konkordatsrechts (Anm. 85) 122-127; ders., Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland 1 (Berlin 1974) 267-296. Dort auch jeweils weitere Nachweise, die hier - aus Raumgründen nicht wiederholt werden können. 93 Von grundlegender Bedeutung für die Interpretation dieses Sachverhalts E.-W. Böckenförde, Die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit (1967), jetzt in: ders., Kirchlicher Auftrag und politische Entscheidung (Freiburg io. Br. 1972) 191 -205.
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Gemeinwesens als die naturrechtlichen, offenbarungs-theologisch mitbegründeten Fundamentalia einer rechten staatskirchenrechtlichen Ordnung. Die Kirche anerkennt und fordert paritätische und aktive Freiheit, mit deren Hilfe sie als Kirche mit einem universalen Verkündigungs- und Missionsauftrag in die Öffentlichkeit hinein wirken kann. Den zweiten Ansatz für das Selbstverständnis der Kirche bilden die bekannten, auf die leoninischen Grundgedanken zurückgreifenden Aussagen in Art. 76 der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute. Danach sind die politische Gemeinschaft und die Kirche auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und selbständig, haben aber eine gemeinsame Aufgabe im Dienst am Menschen. Um dieser gerecht zu werden, wird nicht mehr, wie es noch bei Leo XIII. hieß, „ordinata colligatio" gefordert - das deckte auch den engen Bund von Staat und Kirche - , sondern schlicht „sana cooperatio", was ich deutsch am ehesten mit „faire Zusammenarbeit" übersetzen möchte. Damit tritt neben die Freiheit als zweites Leitprinzip für die Staat - Kirche - Beziehung die Zusammenarbeit im Dienste der Menschen: freiheitliche Kooperation - kooperative Freiheit, das könnten die Kurzformeln für diesen Sachverhalt sein. Nun erwähnt freilich die Erklärung über die Religionsfreiheit das Instrument der Konkordate ebensowenig wie andere Konzilstexte das tun. Andererseits ergeben sich aus den Konzilserklärungen auch einige konkrete Direktiven, welche die Elemente eines Staatskirchen- bzw. konkordatspolitischen Programms sichtbar machen können. So ist man zu der grundsätzlichen Aussage berechtigt: das Mittel der Konkordate ist nicht verworfen; es behält seine Legitimität und Funktion, wenn und soweit es in den Dienst der Freiheit und der Zusammenarbeit gestellt wird. Mit anderen Worten, diese beiden Prinzipien bilden das maßgebende Koordinatensystem, wenn das Instrument des Vertrages eingesetzt wird. Konkordate können demgemäß nicht mehr pacta unionis sein, sondern „nur" noch, wenn diese lateinische Formel erlaubt ist, pacta libertatis et cooperationis. Das macht, um einen Begriff von Giovanni Lajolo zu gebrauchen, die „spiritualité dei concordati" aus 94 . Von großer Bedeutung ist gerade in diesem Zusammenhang die im Text des Art. 76 Gaudium et Spes alsbald folgende Erklärung, daß sich die Kirche zwar der irdischen Dinge bediene, soweit es ihre eigene Sendung erfordert, daß sie aber ihre Hoffnung nicht auf Privilegien setze, die ihr von der staatlichen Autorität angeboten werden; zugleich erklärt sie ihre Bereitschaft zum Verzicht, wenn die Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt wäre oder wenn die veränderten Umstände eine andere Regelung erfordern. Man wird dieser Erklärung sehr wohl einen allgemeineren, nicht nur auf konkrete Privilegien bezogenen Sinn geben dürfen. Sie ist ein Beispiel unter anderen für die Bereitschaft zur Abkehr von einem legalistischen Juridismus und zur évolutions- und reformwilligen Offenheit gegenüber den Bedingungen der modernen Welt. Demgemäß kann und wird die Kirche auch nicht 94 Concordati moderni. La natura giuridica internazionale dei concordati alia luce di recente prassi diplomática (Brescia 1968) 497-501.
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auf Konkordate ihre Hoffnung setzen. Und doch: auf die Basis der neuen Lehre gestellt behalten diese ihre grundsätzliche Legitimität. Die Kirche braucht ein Konkordatssystem nicht in dem Sinne zu fordern, daß alle anderen Formen als eine koordinative Rechtsgestaltung a priori illegitim wären, und insofern mag man sagen, daß sachliche Konkordanz wichtiger ist als ein förmliches Konkordat 95. Aber sie wird vertragliche Verständigung als besonders adäquates Mittel zur Regelung der gegenseitigen Beziehungen jederzeit anbieten und sich dafür bereithalten. Freilich wird sie eine wichtige Voraussetzung machen müssen: daß nämlich der staatliche Partner das Prinzip der Vertragstreue anerkennt und überhaupt Recht nicht als eine von politischer Macht völlig abhängige und beliebig instrumentalisierbare, sondern als eine diese begrenzende und legitimierende Größe versteht. Nur so wäre ein gemeinsamer, tragfähiger Rechtsboden vorhanden. Es wäre Stoff für einen neuen Vortrag, unter der Perspektive der Lehren und Forderungen des Zweiten Vatikanischen Konzils die jüngste Konkordatsentwicklung im einzelnen zu durchmustern. Aber schon jetzt läßt sich etwa im Blick auf die Verträge mit Venezuela und Argentinien 96, mit Kolumbien 97 , nicht zuletzt mit Spanien98, generell sagen, daß sie sich wirklich auf die konziliaren Prinzipien gründen. Fast ist man versucht, die alte Stutzsche Formel abzuwandeln: In ihnen und durch sie marschiert das Zweite Vatikanische Konzil 99 . 2. Wie aber ist die Frage der Legitimation von Staatskirchenverträgen aus der Sicht des Staatsrechts und der Verfassungstheorie zu beantworten? Sind diese nicht unter rechtsstaatlichem und demokratischem Gesichtspunkt von vornherein zumindest suspekt? Was soll überhaupt der Vertrag neben Verfassung und Gesetz? Muß man sich nicht, äußerstenfalls, mit dem paktierten Gesetz begnügen, also jenem Gesetz, das zwar inhaltlich auf einer Absprache der Partner beruht, aber eben doch formell einseitig erlassen ist? Es ist schwierig, darauf eine gültige Antwort zu geben. Denn es gibt keine normativ verbindliche Theorie des Verhältnisses von Staat und Kirche im modernen Verfassungsstaat. Aber vielleicht darf aus der Perspektive und der Erfahrung der deutschen Rechtsordnung, genauer: der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, eine These dazu vorgetragen werden 100 . Durch Verträge schaffen Staat und Kirche eine konkrete, auf die jeweilige Staats- und Kirchenverfassung bezogene Koordinationsrechtsordnung, durch welche die Regelungen der Verfassung und der Gesetze bekräftigt, konkretisiert oder 95 Der jetzige Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli soll einmal in einem Interview erklärt haben: „Konkordanz ist für mich wichtiger als ein Konkordat", so E. B. Kusch, in: Rheinischer Merkur Nr. 8 v. 23. Februar 1979, S. 30. 96 Vgl. dazu Hollerbach, Entwicklung des Konkordatsrechts (Anm. 85) 135 f. 97 Konkordat vom 12. Juli 1973, in: AAS 67 (1975) 421. 98 Vertrag vom 28. Juli 1976, AAS 68 (1976) 509, ferner die Verträge vom 3. Januar 1979 (noch nicht ratifiziert); vgl. Herder-Korrespondenz 33 (1979) 108 f. 99 Vgl. oben bei Anm. 51. 100 Zum Folgenden vgl. Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts (Anm. 92).
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ergänzt werden. Diese Form der vertraglichen Verständigung wird, und das ist schon ein wichtiges rechtsstaatliches Moment, gerade der säkulare, konfessionell und weltanschaulich neutrale Staat bevorzugen, da er gegenüber der mit einem weitgehenden Selbstbestimmungsrecht ausgestatteten Kirche einem strengen Einmischungsverbot unterliegt. Auf diese Weise kann bei der Regelung einzelner Materien auch am ehesten das kirchliche Selbstverständnis zur Geltung gebracht und gewahrt werden, auf dessen Berücksichtigung der Staat verfassungsrechtlich verpflichtet ist. Außerdem ist der Vertrag ein besonders adäquates und praktisch wirksames Mittel zur Ausgestaltung der Kooperation zwischen Staat und Kirche. Diese Koordinationsrechtsordnung hat aber nicht zur Basis eine abstrakte Koordination von Staat und Kirche im Sinne strikter Gleichrangigkeit zweier dyarchischer, prinzipiell gleichartiger „souveräner" Mächte, so etwa, daß eine einseitige Regelung im Bereich des Staat-Kirche-Verhältnisses überhaupt nicht möglich, sondern der Abschluß von Verträgen für alle Fragen zwingend geboten wäre. Jedenfalls nach dem in Deutschland vorherrschenden Verständnis gehört es im modernen Verfassungsstaat zur Gemeinwohlverantwortung und zur Höchstzuständigkeit der öffentlichen Gewalt im ordo civilis, daß die Grundprinzipien des Verhältnisses von Staat und Kirche durch die Verfassung selbst und damit einseitig festgelegt werden. Freilich gehört es zugleich zum Wesen des modernen demokratischen Verfassungsstaates, sich auf seine weltliche Aufgabe zu beschränken und demgemäß in Anerkennung des verfassungstranszendenten Wesens von Religion und Kirche Religions- und Kirchenfreiheit zu gewährleisten sowie der Zusammenarbeit mit kirchlichen Institutionen Raum zu lassen. Unter dieser Prämisse ist es nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll, daß Staat und Kirche im Rahmen und unter dem Schutz der staatlichen Verfassung einerseits, nach Maßgabe der Kirchenverfassung andererseits, ihre Rechtsbeziehungen koordinativ ausgestalten. Dabei kann deutsche Erfahrung mit einem paritätischen Vertragssystem lehren, daß diese Gestaltungsform einen bedeutsamen Legitimitätsfaktor für die gesamte Rechtsordnung darstellt. Es ist vor dem Hintergrund von Kultur- und Kirchenkampf geradezu zu einem Indikator für die Freiheitlichkeit des Gemeinwesens geworden. Unter rechtsstaatlichem Aspekt spricht für koordinative Rechtsgestaltung nicht zuletzt ein Plus, das dem Vertrag gegenüber der paktierten Rechtsetzung zukommt. Er entspricht besser dem zentralen Gebot der Verantwortungs- und Formenklarheit. Solange die Kirchen wichtige Faktoren in der Wirklichkeit des politischen Gemeinwesens sind und deshalb die Notwendigkeit umfassender Regelungen besteht, müssen für die öffentliche Gesamtordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche beide Partner zu ihrem Teil Verantwortung tragen, im Verhältnis zueinander wie zum Staatsbürger. Das muß sich auch nach außen manifestieren. Dafür ist der Vertrag ein vorzügliches Mittel. Der öffentliche Vertragsschluß zwingt beide Partner dazu, auf der Grundlage ihres Selbstverständnisses ihre Sachkonzeption klar zu entfalten; zudem eignet ihm wegen der besonderen Förmlichkeit eine gesunde Warnfunktion. Er dient dazu, das reale Verhältnis der Kräfte und Tendenzen bewußt und sichtbar zu machen. Das ist gerade dann gefordert, wenn der Staat seine
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Beziehungen zu einem Verband normiert, der innerhalb der staatlich-territorialen Ordnung seine Wirksamkeit entfaltet, aber grundsätzlich nach eigenem, unabgeleiteten Recht lebt. Es kann also keine Rede davon sein, daß der Abschluß von förmlichen Verträgen mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar sei oder zumindest in Spannung dazu stehe. Eher könnte man Bedenken gegen das Mittel des paktierten Gesetzes haben, zumal hier die Gefahr groß ist, sich im Falle einer Änderung des Gesetzes der internen, nicht auch förmlich manifestierten Bindung an den Partner zu entschlagen. Bisweilen wird nun freilich auch das Demokratieprinzip gegen die Zulässigkeit von Staatskirchenverträgen ins Feld geführt. Demgegenüber muß man zunächst einmal klar festhalten, daß Verträge wegen der Notwendigkeit parlamentarischer Zustimmung in Gesetzesform prinzipiell die gleiche demokratische Legitimation wie Gesetze besitzen. Allerdings kommt Regierung und Exekutive wegen ihrer Prärogative in der Vertragsabschlußkompetenz eine im Verhältnis zum normalen Gesetzgebungsverfahren noch stärkere Stellung zu. Man darf auch nicht minimalisieren, daß das Vertragsrecht in der Tat eine erhöhte Bindung mit sich bringt und daß damit auch die Fähigkeit, auf neue Lagen rasch zu reagieren, in gewisser Weise gehemmt wird. In beiden Hinsichten gibt es aber Möglichkeiten der Verbesserung. Zum einen kann die Prozedur verbessert werden, etwa durch Beteiligung parlamentarischer Kräfte an den Vertragsverhandlungen. Zum andern ist denkbar eine Verbesserung des Instrumentariums, etwa durch Revisionsklauseln oder durch eine konsequentere Aktivierung der traditionellen Freundschaftsklausel. Die These, das Vertragsrecht sei demokratisch suspekt, reicht freilich noch in eine tiefere Schicht der Begründung hinein. Sie erscheint als Ausdruck einer vorwiegend an „Souveränität" und „Dezision" orientierten, prinzipiell antipluralen Demokratiekonzeption rousseauistisch-radikaldemokratischer Prägung. Demokratie ist aber richtigerweise zu verstehen als Ordnung eines freien und offenen politischen Lebensprozesses, in dem auch Eigenrechtsbereiche ihre Anerkennung finden und in dem Religion und Kirche als wesentliche Faktoren des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens eine positive Würdigung erfahren. Wenn dem so ist, dann ist gerade der Vertrag ein besonders geeignetes und sachgerechtes Mittel, weil es hier in erster Linie nicht auf die Wahrung formaler Souveränität, sondern auf die Sachangemessenheit der inhaltlichen Regelung und auf den Konsens der Beteiligten ankommt. Gewiß widerstreitet der Grundsinn der modernen Demokratie einer quasi-ständestaatlichen „Kontraktualisierung" oder „Vermarktung" bei der Wahrnehmung von Gemeinwohlverantwortung. Wenn aber der demokratische Staat nach Maßgabe seiner Verfassung den Kirchen und Religionsgemeinschaften gegenüber das Instrument des Vertrages einsetzt, so zieht er damit eine der Sache dienliche Konsequenz aus seiner inneren Selbstbegrenzung auf Säkularität und Neutralität und aus der damit gebotenen strikten Verpflichtung auf Wahrung der Religionsfreiheit und des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts. Daraus folgt auch die Beantwortung der Frage, ob der Staat nicht den Kirchen und Religionsgemein-
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Schäften im Verhältnis etwa zu Parteien, Gewerkschaften oder anderen Verbänden des weltlich-säkularen Bereichs ein unangemessenes Privileg einräumt, wenn er nur mit religiösen Institutionen förmliche Verträge schließt. Diese Frage ist indes zu verneinen, da sich der Staat im Bereiche des Staatskirchenrechts immer an der Grenze seiner eigenen originären Zuständigkeit bewegt und da es um Angelegenheiten geht, die nicht von vornherein von seiner Gemeinwohlverantwortung umfaßt sind, von der er sich sonst durch Verträge nicht freizeichnen kann oder bei denen er sich nicht vertraglich binden darf. Bei alledem muß man freilich juristisch wie politisch die besondere sachliche Eigenart der Kirchen und Religionsgemeinschaften akzentuieren. Deren Erfassung ist mit der Qualifizierung als Körperschaft des öffentlichen Rechts, als Verband oder etwa - im Falle der katholischen Kirche - als Völkerrechtssubjekt noch nicht geleistet. Das sind zunächst nur formale Qualifikationen mit einer freilich nicht zu unterschätzenden juristischen Hilfsfunktion. Entscheidend ist vielmehr die Tatsache, daß die Kirchen Institutionen eigenen, nicht vom Staat abgeleiteten Rechtes sind und öffentliche Potenzen darstellen, die ihren spezifisch religiösen Beitrag zum staatlichen und gesellschaftlichen Leben leisten. Und dies ist auch der entscheidende Sachgrund dafür, daß der Staat mit ihnen vertragliche Beziehungen pflegt, pflegen kann und pflegen darf. 3. Was schließlich die Frage nach der Legitimation juristisch-vertraglicher Beziehungen aus der Perspektive der Völkergemeinschaft anlangt, so hat sich die katholische Kirche - und darauf muß ich mich hier beschränken - in dem bedeutsamen Text von Art. 89 der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute dazu erklärt 101 und ihr Selbstverständnis artikuliert: „Kraft ihrer göttlichen Sendung verkündet die Kirche allen Menschen das Evangelium ... Dadurch leistet sie überall einen wichtigen Beitrag zur Festigung des Friedens und zur Schaffung einer soliden Grundlage der brüderlichen Gemeinschaft unter den Menschen und Völkern ... Darum muß die Kirche in der Völkergemeinschaft präsent sein, um die Zusammenarbeit unter den Menschen zu fördern und anzuregen. Das geschieht sowohl durch ihre öffentlichen Institutionen wie durch die umfassende und aufrichtige Zusammenarbeit aller Christen, deren einziger Beweggrund der Wunsch ist, allen zu dienen." Es könnte sein, daß diese Grundposition auch in einer Lex Ecclesiae Fundamentalis Niederschlag finden wird; wenn, dann wohl in einer Weise, die eine deutliche Bezugnahme auf Art. 2 und Art. 24 des Trattato erkennen läßt. Ein Entwurfstext lautet: „Ecclesia, uti personam habens in societate gentium universali, in eadem cum societatibus civilibus vires coniungit ad iustitam, cooperationem, concordiam et pacem inter omnes gentes fovendas. Huius quidem societatis gentium operas et actiones Ecclesia participat tantum in causis quae ad missionem suam spiritualem pertinent, praesertim ad pacem in spiritu evangelii in mundo fovendam." 102 101 Vgl. dazu H. de Riedmatten, Die Volkergemeinschaft (= Kommentar zur Pastoralkonstitution 10) (Köln 1969).
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Die Kirche begibt sich damit nicht in eine ihrer Sendung und ihrem Dienstcharakter unangemessene Anspruchshaltung. Wenn sie eine öffentliche Potenz im staatlich-politischen Gemeinwesen ist und deshalb ihre Beziehungen dort auf Freiheit und Zusammenarbeit aufbaut, so gilt das auch für die übergreifende Gemeinschaft der Völker und Menschen. Das gilt umso mehr, je weniger der einzelne Staat aus sich und für sich allein existieren kann, und es gilt umso mehr, je größer die Notwendigkeit geistig-sittlicher Orientierung auf der Suche nach dem WeltGemeinwohl ist. Daß die Völkergemeinschaft sich diesen Dienst gefallen läßt, wurde in sichtbarer Weise unterstrichen durch den Besuch und die Aufnahme Papst Pauls VI. am Sitz der Vereinten Nationen 103 . Wie der moderne Verfassungsstaat 104 so hat sich auch die Völkerrechtsgemeinschaft von Religion und Kirche emanzipiert. Aber Religion und Kirche gehören nach wie vor zu den Kräften, aus denen auch für den politischen Bereich sittliche Substanz erwächst, im Staat wie in übergreifenden supranationalen oder internationalen Gemeinschaften. V. Es sei gestattet, daß ich am Ende noch einmal auf den Anfang zurückkomme. Dort war von dem Zusammenhang zwischen Laterankonkordat und Reichskonkordat die Rede, und es hat uns der Widerhall beschäftigt, den die Lateranverträge in Deutschland gefunden haben. Wenn nicht alles trügt, so wird die Wissenschaft in hoffentlich nicht zu ferner Zukunft Veranlassung haben, erneut auf Rom zu blicken und das Ergebnis der anstehenden Konkordatsrevision zur Kenntnis zu nehmen, so wie sie jetzt übrigens auch die neue Rechtslage in Spanien ganz besonders aufmerksam zu studieren hat. So sehr die jeweiligen staatskirchenrechtlichen Ordnungen und auch die entsprechenden Verträge gewissermaßen Individualitäten sind, geprägt von Geschichte und aktueller politischer Situation: sie bleiben doch in einem inneren Zusammenhang, ja in einer gewissen Interdependenz. So könnte es sein, daß nach fünfzig Jahren Lateranverträgen die weitere Entwicklung hier auch für Deutschland neue Akzente setzt. Jedenfalls ist die gespannte Aufmerksamkeit des Wissenschaftlers, des Historikers sowohl als auch des Juristen, gefordert.
102 Zur Problematik vgl. A. Hollerbach, Kirche - Staat - Gesellschaft - Völkergemeinschaft: Erwägungen zum 3. Kapitel des Entwurfs einer Lex Ecclesiae Fundamentalis, in: Diaconia et Jus. Festgabe Heinrich Flatten (München 1973) 315-333. 103 Eingehend dazu Köck (Anm. 71) 714-719.
104 Zu dieser Perspektive vgl. E.-W. Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation (1967), jetzt in: ders., Staat - Gesellschaft - Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht (Frankfurt am Main 1976) 42-64; ferner jetzt ders., Zum Verhältnis von Kirche und moderner Welt, in: R. Koselleck (Hrsg.), Studien zum Beginn der modernen Welt (= Industrielle Welt 20) (Stuttgart 1977) 154-177.
Aspekte der neueren Entwicklung des Konkordatsrechts I. Vor mehr als 35 Jahren hat mir Gerhard Leibholz die Chance gegeben, im Jahrbuch des Öffentlichen Rechts über die - damals - neuere Entwicklung des Konkordatsrechts zu berichten 1. Gewidmet war diese Arbeit einem Meister unseres Faches, nämlich Ulrich Scheuner, der am 24. Dezember 1968 seinen 65. Geburtstag feierte. Dieser Bericht bedarf dringend der Fortschreibung. Peter Häberle hat seit langem mein Versprechen, zu „seinem" Jahrbuch eine solche Fortschreibung - oder könnte man wie in der Schweiz auch von „Nachführung" sprechen? - beizusteuern. Dieses Versprechen „steht". Aber es hat sich als ebenso notwendig wie nützlich erwiesen, es zunächst einmal mit einer Vorstudie zu versuchen, die sich auf einige Aspekte der Thematik beschränkt. Sie soll in die dem Freunde gewidmete Festschrift eingebracht werden. II. Seit kurzem ist das Material durch José T. Martin de Agar, einen Mitarbeiter in der vatikanischen Zentrale, gut aufbereitet: Raccolta di Concordati 1950-1999 2 . Diese - mittlerweile ergänzte3 - Publikation stellt eindringlich vor Augen, daß die Erstveröffentlichung in: Verfassung im Diskurs der Welt: Liber amicorum für Peter Häberle zum siebzigsten Geburtstag, hrsg. v. Alexander Blankenagel. Tübingen: Mohr Siebeck, 2004, S. 821-839. 1 Die neuere Entwicklung des Konkordatsrechts, JöR n. F. 17 (1968) S. 117-156 (Text), 156-163 (Dokumenten-Anhang), im Folgenden angeführt als „Konkordatsbericht 1968". Seitdem gab es für mich bisweilen Gelegenheit, im Rahmen von Lexikonartikeln zum Stichwort „Konkordat" auf neuere Entwicklungen hinzuweisen, so StL 6 X (1970) Sp. 536-542; StL 7 III (1987) Sp. 620-625; RGG 4 4 (2001) Sp. 1599-1603. Jüngste Äußerung im deutschen Schrifttum bei Ilona Riedel-Spangenberger, Art. Konkordate, LKStKR I I (2002) S. 616-618. Aus dem ausländischen Schrifttum sind als besonders bedeutsam hervorzuheben Roland Minnerath, L'Eglise et les Etats concordataires (1846-1981). La souverainité spirituelle, Paris 1983 (mit einem sehr erhellenden Vorwort von Jean Gaudemet) und Joël-Benoît d'Onorio, Les Concordats et conventions postconciliaires, in: ders., Le Saint-Siège dans les relations internationales, Paris 1989, S. 195-245. 2 Libreria Editrice Vaticana 2000, im folgenden angeführt als Concordati I. Der Band enthält eine wertvolle Einführung (S. 9 - 3 9 ) und zu den einzelnen Verträgen Schrifttumshinweise, auf die ausdrücklich verwiesen werden darf. 3 I Concordati del 2000, Città del Vaticano 2001, im Folgenden angeführt als Concordati II.
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Entwicklung in den letzten drei bis vier Jahrzehnten weitergegangen ist. Die 1968 ausgesprochene Prognose hat sich erfüllt, es werde sich nämlich zeigen, „daß das ,Ende des konstantinischen Zeitalters4 noch nicht das Ende der Konkordate bedeutet. Vielmehr kann das Konkordat allenthalben ein förderliches Rechtsinstrument im Dienst friedlich-schiedlicher Koexistenz und Kooperation von freiem Staat und freier Kirche sein"4. Vor der Beleuchtung bestimmter Aspekte empfiehlt sich eine Klarstellung hinsichtlich der Terminologie bzw. des Begriffsgebrauchs. Was „Konkordat" anlangt, so unterscheidet man üblicherweise eine weitere und eine engere Bedeutung, und in der Tat muß man diese Unterscheidung treffen. Im weiteren Sinne meint „Konkordat" jeden Vertrag oder jede Vereinbarung zwischen dem Hl. Stuhl und einem Staat oder einer politischen Organisation ohne Rücksicht auf Form, Inhalt oder Tragweite. Diese Bedeutung liegt can. 3 CIC/1983 zu Grunde, wenn dort gesprochen wird von „conventiones initae ab Apostolica Sede cum nationibus aliisve societatibus politicis" 5 . Demgegenüber bedeutet Konkordat sensu stricto einen feierlichen, in diplomatischen Formen abgeschlossenen Vertrag zwischen dem Hl. Stuhl und einem Staat oder einer politischen Institution, der im Prinzip alle Gegenstände gemeinsamen Interesses zwischen Kirche und Staat erfaßt. In diesem Sinne ist das Konkordat ein kodifikatorischer Vertrag 6. In bemerkenswerter Weise erscheinen übrigens die beiden Bedeutungen des Begriffs „Konkordat" in can. 365 CIC /1983, wo es zu den Aufgaben des päpstlichen Gesandten, der zugleich die Vertretung bei einem Staat ausübt, gerechnet wird, „sich in besonderer Weise mit Konkordaten und anderen Verträgen dieser Art" zu befassen 7. Nun ist aber offensichtlich, daß ein Bericht über neuere Entwicklungen des Konkordatsrechts sich nicht auf Konkordate im engeren Sinne beschränken könnte. Seit 35 Jahren kennen wir nämlich nur zwei Vertragswerke, die den offiziellen Titel „Konkordat" tragen, nämlich das Konkordat mit Kolumbien von 19738 und das Konkordat mit Polen von 19939. Es ist deutlich, daß sich der Hl. Stuhl gegen4
Konkordatsbericht 1968, S. 156.
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Die amtliche deutsche Übersetzung gebraucht für „conventiones" „Vereinbarungen". Im Verhältnis zum CIC /1917 fällt einerseits in Bezug auf „conventiones" die gleiche Wortwahl auf, andererseits der Unterschied hinsichtlich der Bezeichnung der möglichen Vertragspartner: 1917 konnte man sich offenbar nur „nationes" als solche vorstellen, jetzt 1983 kommen bemerkenswerterweise auch „aliae societates politicae" als Partner in Betracht. Vgl. dazu auch Aymans- Mörsdorf, Kanonisches Recht I (1991) S. l l l f . , der ausdrücklich die UNO und die EG in Betracht zieht. Eingehend dazu Gerald Göbel, Das Verhältnis von Kirche und Staat nach dem Codex Iuris Canonici des Jahres 1983, Berlin 1993, S. 146-154. 6 Vgl. zu diesem Vorschlag schon meine Habilitationsschrift: Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main 1965, S. 69 f. 7 Lateinischer Text: „agere de concordatis aliisque huiusmodi conventionibus". Diese Norm hat im CIC /1917 kein Vorbild. s Concordati I (Fn. 2), S. 126-139. In AAS 67 (1975) S. 421-434 ist dieses Konkordat unter der Überschrift „Sollemnis conventio" promulgiert.
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über der Verwendung des Begriffs „Konkordat" sehr reserviert verhält. Diese Beobachtung kann aus persönlicher Erfahrung bestätigt werden: Obwohl die mit den neuen Bundesländern abgeschlossenen Verträge der Sache nach kodifikatorische Verträge in dem oben gekennzeichneten Sinne sind 10 , hat es der Hl. Stuhl abgelehnt, dafür den Begriff „Konkordat" zu gebrauchen - in auffälligem Selbstwiderspruch, wenn man an das Niedersächsische Konkordat vom 26. Februar 1965 denkt 11 . Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts also nur zwei amtlich als solche bezeichnete Konkordate! Demgegenüber ist aber die Zahl der sozusagen einfachen Verträge stark angestiegen. Unter diesen gibt es spezielle Formen, die man aus der Konkordatstradition kennt, so den Brief- oder Notenwechsel12, auch das „Protokoll" 1 3 , während es für „modus vivendi" aus der neueren Zeit nur das Beispiel des Vertrages mit Tunesien gibt 14 . Im übrigen verwendet man jetzt immer häufiger Bezeichnungen, die einen Hinweis auf den Inhalt 15 oder die Bedeutung bzw. die Tragweite 16 des betreffenden Vertrages enthalten.
III. Wenn man bei dem Versuch, das Material der letzten drei bis vier Dekaden zu analysieren und charakteristische Züge herauszustellen, von außen nach innen geht und zunächst das Erscheinungsbild ins Auge faßt, zeigt sich sogleich ein erster Aspekt, sozusagen die Konkordatsgeographie. 9
Dieser Vertrag datiert vom 28. Juli 1993, ist aber erst am 25. März 1998 ratifiziert worden, Concordati I (Fn. 2), S. 682- 696. Auch hier lautet die Überschrift bei der Promulgation in AAS 90 (1998) S. 310-329 „Sollemnis conventio". 10 Vertrag mit dem Freistaat Sachsen vom 2. Juli 1996, Concordati I (Fn. 2), S. 411-439; Vertrag mit dem Freistaat Thüringen vom 11. Juni 1997, Concordati I (Fn. 2), S. 440 - 470; Vertrag mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern vom 15. September 1997, Concordati I (Fn. 2), S. 471 -484; Vertrag mit dem Land Sachsen-Anhalt vom 15. Januar 1998, Concordati I (Fn. 2), S. 485-510. Bemerkenswerterweise gebraucht Martin de Agar für die genannten „Landeskonkordate" den Kolumnentitel „Accordo generale". n Text bei Joseph Listl, Die Konkordate und Kirchen Verträge in der Bundesrepublik Deutschland II, Berlin 1987, S. 5 - 3 1 ; ferner Concordati I (Fn. 2), S. 235-256. 12 Beispiele für Vereinbarungen durch Notenwechsel finden sich in Concordati I (Fn. 2), S. 46, 140, 144 und 199. Bedeutend ist der Briefwechsel zwischen König Hassan II. von Marokko und Papst Johannes Paul II. vom 30. Dezember 1983/5. Februar 1984, Concordati I (Fn. 2), S. 668-670. 13
Beispiele für Haiti, Concordati I (Fn. 2), S. 511 und 514. Mehrfach finden sich selbstverständlich Zusatz- oder Schlußprotokolle. 14 Concordati I (Fn. 2), S. 183 enthält aus früherer Zeit den Text des Modus vivendi mit Ecuador vom 24. Juli 1937. Der Modus vivendi mit Tunesien datiert vom 27. Juni 1964, Concordati I (Fn. 2), S. 838-840, dazu auch schon Konkordatsbericht 1968, S. 154 f. 15 Als Beispiel: „Accord de coopération", Concordati I I (Fn. 3), S. 48; „Accord sur le statut de l'enseignement catholique", AAS 93 (2001) S. 839. 16 „Fundamental agreement" mit Israel, Concordati I (Fn. 2), S. 516; „Accord-cadre" mit Gabun, ebd. S. 221.
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Historisch gesehen fanden sich Konkordate nur in Europa und in Lateinamerika. Seit einigen Jahren ist der Konkordatsraum aber dabei, sich in zwei andere Kontinente hinein zu erweitern, nämlich Afrika und Asien. Was Afrika anlangt, so hat der Hl. Stuhl schon 1964 einen mutigen Schritt getan, als er einen Vertrag mit Tunesien, einem islamischen Staat, abgeschlossen hat, um bedeutende Zeugnisse der christlichen Tradition dieses Landes und die freie Ausübung der katholischen Religion zu sichern 17. In die gleiche Linie gehört der Briefwechsel zwischen König Hassan IL von Marokko und Papst Johannes Paul IL vom 30. Dezember 1983/5. Februar 1984, ein ebenso sachlich bedeutsames wie bewegendes Dokument 18 . Hier eine charakteristische Passage aus dem Brief des marokkanischen Königs: „Depuis des temps immémoriaux, un esprit d'entente fraternelle a toujours marqué, dans Notre pays, les rapports entre chrétiens et musulmans. Nos Ancêtres en ont fait une règle de conduite qui ne fut à aucun moment transgressée, quelle que fussent les vicissitudes du temps passé. - Nous sommes certains qu'en créant chez Nous les conditions d'une coéxistence paisible entre musulmans et catholiques, Nous ne faisons que projeter dans la réalité marocaine l'esprit d'extrême tolérance qui caractérise l'islam et qui a toujours présidé à Nos rapports". Weitere Beispiele von Verträgen mit afrikanischen Staaten betreffen Kamerun 19 und die Elfenbeinküste 20. In beiden Fällen geht es allerdings um spezielle Sachverhalte. In besonderer Weise aber verdienen die vertraglichen Beziehungen mit Gabun21 die Aufmerksamkeit des Beobachters. Die Grundlage dafür wurde 1997 durch einen Rahmenvertrag (Accord-cadre) geschaffen, der sich auf die Prinzipien und bestimmte rechtliche Regelungen über die Beziehungen und die Zusammenarbeit der beiden Partner bezieht22. Dieser Rahmen, der einem Konkordat im engeren Sinne nahekommt, wurde durch einen Spezialvertrag über den Status der katholischen Schulen ausgefüllt 23. Was die Prinzipien anlangt, so ist besonders bemerkenswert, für ein frankofones Land aber auch verständlich, daß die Präambel 17
Nachweise soeben in Anmerkung 14. Concordati I (Fn. 2), S. 668-670. Eingehend dazu René Metz, Les relations du royaume du Maroc et de l'église catholique. La lettre du roi Hassan I I du 30. dec. 1983, in: Miscellanea Prosdocimi, Roma 1994, S. 817-830. 19 Vertrag vom 15. Juli 1989 über den Sitz des Institut catholique von Yaounde, Concordati I (Fn. 2), S. 117-121; Protokolle über die Anerkennung von Diplomen des Institut catholique vom 17. August 1995, ebd. 122-125. 20 Vertrag vom 14. August 1989 über Rundfunkstationen, Concordati I (Fn. 2), S. 149 f., und Vertrag vom 20. Mai 1992 über die internationale Stiftung „Notre Dame de la Paix de Yamoussoukro", ebd. S. 151 -153. 18
21 Grundorientierung über dieses Land in StL 7 VII (1993) S. 572 f. 22 Vertrag vom 12. Dezember 1997, Concordati I (Fn. 2), S. 221-230. In Anbetracht der exemplarischen Bedeutung dieses Vertrages ist es unerfindlich, warum er nicht in den AAS promulgiert wurde. 23 Vertrag vom 26. Juli 2001 über „Le Statut de l'enseignement catholique", AAS 93 (2001) S. 839-844.
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sich ausdrücklich auf das Prinzip der „laícité" des Staates beruft „et son corollaire, le respect de toutes les croyances et leur autonomie de principe en leur domaine". Nicht zuletzt hat das Interesse der katholischen Kirche für Afrika in einem Kooperationsvertrag mit der Organisation für afrikanische Einheit 24 Ausdruck gefunden, ein bemerkenswertes Dokument und erster Vertrag des Hl. Stuhles mit einer internationalen Institution 25 . Neben Afrika ist nun auch Asien unter den Konkordatsstaaten vertreten. Dabei zählt zwar kaum ein älteres spezielles Dokument über die Militärseelsorge auf den Philippinen 26 , wohl aber darf ein „Agreement on mutual relations" mit Kasachstan besondere Aufmerksamkeit beanspruchen, zumal es sich in exemplarischer Weise auf die elementaren Punkte der Staat-Kirche-Beziehungen konzentriert, nämlich Religionsfreiheit, Rechtsstatus der Kirche und ihrer Institutionen, Garantie der kirchlichen Aktivitäten auf dem erzieherischen und sozialen Sektor 27. Unter dem Gesichtspunkt der Geographie sind auch noch weitere neue Dokumente unter dem Titel „Asien" zu registrieren. Aber man zögert, dies zu tun, da es sich um eine ganz spezifische Situation handelt, in der es um ein besonders ausgeprägtes Interesse, eine ganz originäre und fundamentale Sorge des Hl. Stuhles geht, nämlich das Heilige Land 28 . Der erste Schritt wurde 1993 mit dem Abschluß eines Grundlagenvertrages (fundamental agreement) mit Israel gemacht29. Ihm folgte zur Ausführung dieses Vertrages (Art. 3 Abs. 3) ein spezielles Abkommen über die Rechtspersönlichkeit von katholischen Institutionen30. Die Grundsatzaussagen im Grundlagenvertrag sind von Gewicht. So beruft sich der Hl. Stuhl (Art. 1 § 2) ausdrücklich auf die beiden Konzilserklärungen „Dignitatis humanae" und „Nostra aetate", diese in Bezug auf die Haltung der Kirche gegenüber nichtchristlichen Religionen. Beide Partner erklären auch ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei der Bekämpfung jeder Form von Antisemitismus und Rassismus (Art. 2 § 1). Darüber hinaus heißt es in Art. 2 § 2: „The Holy See takes this occasion to reiterate its condemnation of hatred, persecution and all other manifestations of antisemitism directed against the Jewish people and individual Jews anywhere, at 24 Über die OAU (Organisation of African Unity) vgl. Reinhard Paesler, StL 7 VIII (1993) S. 503. Sie ist jetzt abgelöst durch die am 10. Juli 2002 feierlich gegründete „Afrikanische Union". 25 Cooperation agreement - Accord de coopération vom 19. Oktober 2000, Concordati I I (Fn. 3), S. 48-52. In AAS 93 (2001) S. 15-18 nur der englische Text. 26 Notenwechsel vom 20. September 1951/28. März und 18. Juni 1952, Concordati I (Fn. 2), S. 199-204. 27 Vertrag vom 24. September 1998, Concordati I (Fn. 2), S. 612-614. Dort zu ergänzen: AAS 92 (2000) S. 316-328.
28 Zur historischen Entwicklung sehr erhellend Heribert Franz Köck , Der Vatikan und Palästina. Ein Beitrag zur Völkerrechts- und Kirchengeschichte der neuesten Zeit, Wien/ München 1973. 29 Vertrag vom 30. Dezember 1993, Concordati I (Fn. 2), S. 516-525. 30 Vertrag vom 10. November 1997, Concordati I (Fn. 2), S. 526-552. 29 Hollerbach
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any time and by anyone. In particular, the Holy See deplores attacks on Jews and desacration of Jewish synagogues and cemeteries, acts which offend the memory of the victims of the Holocaust, especially when they occur in the same places which witnessed it". Natürlich mußte der Hl. Stuhl bei seinen Verhandlungen und Vertragsschlüssen mit Israel auch auf die komplexe Situation im Heiligen Land Bedacht nehmen. So gelang es schließlich, auch mit der PLO, der Organisation für die Befreiung Palästinas, ein Vertragsverhältnis zu begründen, und zwar durch ein „basic agreement" vom 15. Februar 2000 31 . Auch hier finden sich Aussagen von großer prinzipieller Bedeutung, wenn es in der Präambel heißt: „Calling for a peaceful solution of the Palestinian-Israeli conflict/. . ./to be reached through negotiation and agreement/ ... / on the basis of international law / . . . / declaring that an equitable solution for the issue of Jerusalem, based on international resolutions, is fundamental for a just and lasting peace in the Middle East, and that unilateral decisions and actions altering the specific character and status of Jerusalem are morally and legally unacceptable".
IV. Kehrt man nach diesem Blick auf Afrika und Asien in den klassischen Konkordatsraum Europa zurück, so wird man angesichts des neueren Materials sogleich mit einem erregenden Sachverhalt konfrontiert: Während der hegemonialen Herrschaft der Sowjetunion über Osteuropa, also während der Periode des Eisernen Vorhangs und des Kalten Krieges, hatte das Instrument des Vertrages mit dem Hl. Stuhl dort keinen Platz mehr. Lediglich in Ungarn 32 und in Jugoslawien33 gab es Versuche, bestimmte Fragen durch eine Art Agreement zu regeln. Nach dem Fall der Mauer und dem Zerfall des Ostblocks hat sich aber die Situation alsbald grundlegend geändert. In besonderer Weise sind in Deutschland die Probleme der Wiedervereinigung im kirchlichen Bereich vornehmlich mit Hilfe von Verträgen gelöst worden 34 . Ostdeutschland wurde von neuem ein integrierender Teil des in Deutschland tief verwurzelten und in der Nachkriegszeit erfolgreich praktizierten Vertragssystems 35. 31 Concordati II (Fn. 3), S. 53-56. 32
Vom 15. September 1964 datiert ein formeller Akt mit einem Protokoll und zwei Anhängen. Hinweis darauf Concordati I (Fn. 2), S. 852. Siehe auch Konkordatsbericht 1968, S. 149, 159 f. 33 Die maßgebenden Texte vom 25. Juni 1966 in Concordati I (Fn. 2), S. 605-611, und dazu auch Konkordatsbericht 1968, S. 149-153, 160-162. 34 Diese Perspektive hervorgehoben bei Alexander Hollerbach, Vertragsstaatskirchenrecht als Instrument im Prozeß der deutschen Wiedervereinigung, Kirche und Recht 1995, S. 1 -12. Den schon oben bei Anmerkung 10 angeführten „Landeskonkordaten" - es fehlt allerdings noch ein Vertrag mit dem Land Brandenburg - waren Verträge über die Neuordnung der diözesanen Verhältnisse, konkret die Verträge über die Errichtung der Diözesen Magdeburg, Görlitz und Erfurt sowie der Erzdiözese und Kirchenprovinz Hamburg vorangegangen. Diese Dokumente sind jetzt in Concordati I (Fn. 2), S. 380-410 bequem zur Hand.
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Aber auch in den anderen bisherigen Satellitenstaaten der Sowjetunion entwikkelte sich eine Bewegung zu Gunsten von konkordatären Vereinbarungen. A u f diese Weise ist Osteuropa wieder in den europäischen Konkordatsraum zurückgekehrt, wobei man in einigen Fällen an eine Tradition aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen anknüpfen konnte. Das gilt für Lettland 3 6 , für Polen 3 7 und für Litauen 3 8 . Weitere osteuropäische Staaten kamen hinzu: Estland 3 9 , die Slowakei 4 0 , Ungarn 4 1 , Kroatien 4 2 und sogar Albanien 4 3 , ein Land, das eine Verfassung von extremer Prägung durch den atheistischen Sowjetmarxismus besaß. Ein Vertrag mit der tschechischen Republik ist unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert 4 4 . Rumänien 4 5 und Slowenien dürften über kurz oder lang folgen. Es ist offenkundig, daß diese Entwicklung des Konkordatsrechts in diesem Teil der Welt sehr klar die politischen Veränderungen seit den Umbruchjahren 1989/90 widerspiegelt. Zugleich erkennt man, daß es gerade Kandidaten für den Beitritt zur Europäischen Union sind, die vertragliche Beziehungen mit dem Hl. Stuhl begründet haben. Und ganz gewiß sind diese Beziehungen, gegründet auf völkerrechtliche Verträge, ein 35 Wertvolle Analyse der Gesamtentwicklung bei Claudio Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, Tübingen 1999; wichtig ferner Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge, Tübingen 2000. 36 Lettisches Konkordat vom 30. Mai 1922, Text bei Lothar Schöppe, Konkordate seit 1800, Frankfurt am Main 1964, S. 284-289 - jetzt: Agreement vom 8. November 2000, Concordati I I (Fn. 3), S. 9 - 2 2 , von Martin de Agar als „Accordo generale" qualifiziert. 37 Polnisches Konkordat vom 10. Februar 1925, bei Schöppe (Fn. 36), S. 319 - jetzt: Polnisches Konkordat vom 28. Juli 1993, Concordati I (Fn. 2), S. 682-696. 38 Litauisches Konkordat vom 27. September 1927, bei Schöppe (Fn. 36), S. 290-297 jetzt: Drei Verträge („Agreement") vom 5. Mai 2000, a) Concerning juridical aspects of the relations between the catholic church and the state, b) On cooperation in education and culture, c) Concerning the pastoral care of catholics serving in the army, Concordati I I (Fn. 3), S. 23-47. 39
Vertrag durch Notenwechsel vom 23. Dezember 1998/12. März 1999, Concordati I (Fn. 2), S. 197 f. 40 „Accordo base" vom 24. November 2000, Concordati I I (Fn. 3), S. 57-70. 41 Hier wurde die Grundlage durch einen Vertrag über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vom 9. Februar 1990 geschaffen, Concordati I (Fn. 2), S. 851 f. Es folgten ein Vertrag über die Seelsorge beim Militär und der Grenzpolizei vom 10. Januar 1994, ebd. S. 853-857, und ein Vertrag über Fragen der Finanzierung kirchlicher Aktivitäten und des Denkmalschutzes vom 20. Juni 1997, ebd. S. 858-866. 42 Hier hat man sozusagen in einem Dreierpack vom 19. Dezember 1996 (Concordati I [Fn. 2], S. 154-175) die Grundlagen für ein vertragliches Netzwerk geschaffen: 1) Vertrag über rechtliche Fragen, 2) Über Zusammenarbeit im Erziehungswesen und der Kultur, 3) Über Militär- und Polizeiseelsorge. In einem weiteren Schritt kam am 9. Oktober 1998 ein Vertrag über ökonomische Fragen hinzu, Concordati I (Fn. 2), S. 176-182. 43 Agreement on the regulation of their mutual relations vom 23. März 2002, AAS 94 (2002) S. 660 - 664. 44 Nach einer Notiz in Kirche und Recht 3 - 4 (2002) S. 402 wurde der Vertrag am 25. Juli 2002 unterzeichnet. Zur Analyse der Situation hilfreich Jiri Rajmund Tretera, Die jüngsten Rechtsfragen des tschechischen Religionsrechts, ÖARR 49 (2002), S. 230-238.
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bedeutsamer Faktor i m Prozeß der Wiedergewinnung der nationalen Identität dieser Staaten. Fast ist man in Gefahr, über diesem dominierenden Strang der Entwicklung das übrige Europa zu vergessen: In Österreich 46 werden der Vermögens- und der Schulvertrag von 1960 bzw. 1962 jeweils fortgeschrieben. In Deutschland 4 7 hat sich auch in den alten Bundesländern das Netz der Verträge weiterhin verdichtet. In den Berichtszeitraum fallen auch interessante Verträge zu unterschiedlichen Themenbereichen in der Schweiz 4 8 , in M o n a c o 4 9 , in San M a r i n o 5 0 und auf Malt a 5 1 . Von besonderer Bedeutung ist aber dasjenige, was sich in Spanien und Italien abgespielt hat. In Spanien ist das Konkordat von 1953 i m Gefolge des II. Vatikanischen Konzils durch Verträge abgelöst worden, die das Verhältnis von Staat und Kirche nach Maßgabe des Prinzips der Religionsfreiheit auf eine neue Basis gestellt haben 5 2 . In Italien kam es am 18. Februar 1984 zu einem Vertrag zur Revision des Laterankonkordats, in dessen Zusatzprotokoll ausdrücklich festgestellt wurde, daß das Prinzip, daß die katholische Religion die einzige Religion des italienischen Staates sei, nicht mehr in Geltung stehe 53 . In Portugal 5 4 blieb - mit einer Ausnahme - das Regime des 1940 abgeschlossenen Konkordats, das sich freilich von den früheren Verträgen mit Italien und Spanien deutlich unterscheidet, unangetastet. 45 Hier ist an das rumänische Konkordat vom 10. Mai 1927 zu erinnern, bei Schöppe (Fn. 36), S. 376 ff. Vgl. dazu auch Konkordatsbericht 1968, S. 147 f. 46 Vgl. Konkordatsbericht 1968, S. 145-146, und dazu die neueren Verträge, allesamt in Concordati I (Fn. 2), S. 82-95. 47 Die Dichte des vertragsrechtlichen Netzwerks in Deutschland wird übrigens daran augenfällig, daß die Beispiele aus „Germania" in der Konkordatssammlung von Martin de Agar fast 300 Seiten ausmachen, ein knappes Drittel des Gesamtumfangs. Eine Analyse der neuesten Entwicklung in Deutschland im ganzen fehlt. Zu den Grundsatzfragen siehe Alexander Hollerbach , Vertragsrechtliche Grundlagen des Staatskirchenrechts, HdbStKirchR 2 I (1994) S. 253-287; ferner Dirk Ehlers , Problemstellungen des Vertragsstaatskirchenrechts, ZevKR 46 (2001) S. 286-318. 48
Von Interesse ist hier der Vertrag über das Bistum Basel vom 2. Mai 1978, Concordati I (Fn. 2), S. 836 f., mit der bemerkenswerten Formel eines feierlichen Versprechens an Stelle des überkommenen Treueids. 49 Vertrag vom 28. Juli 1981 über die Erhebung des Bistums zum Erzbistum, Concordati I (Fn. 2), S. 671 f. 50 Vertrag vom 11. Juli 1989 über die bürgerliche Anerkennung religiöser Feste und Vertrag über verschiedene Gegenstände vom 2. April 1992, Concordati I (Fn. 2), S. 739-748. 51 Hier handelt es sich um insgesamt sieben Verträge aus den Jahren 1985-1995. Texte und Nachweisungen in Concordati I (Fn. 2), S. 615-667. 52 Vertrag vom 28. Juli 1976, sodann vier Verträge vom 3. Januar 1979, Concordati I (Fn. 2), S. 785-819. Im deutschen Schrifttum grundlegend dazu Gerhard Robbers, Die neuen Konkordatsverträge zwischen dem Hl. Stuhl und Spanien, JZ 1981, S. 516-521. 53 Concordati I (Fn. 2), S. 553-561, nachfolgende Abkommen ebd. S. 561-604. Vgl. dazu auch Alexander Hollerbach, Art. Lateranverträge, RGG 4 5 (2002) Sp. 114 f. 54
Vgl. dazu Konkordatsbericht 1968, S. 128 f., und den Konkordatstext in Concordati I (Fn. 2), S. 697-711. Das Zusatzprotokoll vom 15. Februar 1975 ebd. S. 712 f.
Aspekte der neueren Entwicklung des Konkordatsrechts
Für Lateinamerika sind bedeutsame Entwicklungen und Veränderungen schon in meinem früheren Konkordatsbericht registriert und analysiert worden 55 . Was seither in Argentinien 56, in Bolivien 57 , in Brasilien 58 , in der Dominikanischen Republik 59 , in Ecuador 60, in San Salvador 61 und in Venezuela62 hinzugekommen ist, betrifft allein das Thema Militärseelsorge, das dort offenbar ein besonderes Interesse beansprucht. Demgegenüber ragt das Konkordat mit Kolumbien heraus 63. Von prinzipieller Bedeutung ist aber auch ein Vertrag mit Peru 64 , ferner ein Abkommen mit Haiti 65 . Unter dem Gesichtspunkt der Konkordatsgeographie mag übrigens auffallen, daß weder für Chile noch für Uruguay vertragliche Beziehungen bekannt sind. V. Eine durchaus überraschende Fülle des Materials! Man wird wohl sogar von einer neuen Konkordatsepoche sprechen können. Das alles aber wäre nicht möglich geworden ohne ein Ereignis von historischem Rang, nämlich das zweite Vatikanische Konzil 66 . Dieses Konzil ist die Conditio sine qua non für die Entwicklung, die vorstehend skizziert wurde. Das für die allgemeine Geschichte und für das Verhältnis von Kirche und Staat wahrscheinlich wichtigste Resultat dieses Konzils ist „Dignitatis humanae", die Erklärung über die Religionsfreiheit 67. Für unsere Thematik kommt hinzu „Gaudium et spes", die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute68. In diesen Dokumenten wurden für die Beziehungen zwischen der Kirche und der politischen Gemeinschaft zwei Prinzipien anerkannt: wechselseitige Freiheit und „sana cooperatio", faire Zusammenarbeit also. Vor dem Hintergrund der Geschichte bedeutet das einen Paradigmenwechsel, 55 56 57 58 59 60
Konkordatsbericht 1968, S. 132-136. Concordati I (Fn. 2), S. 46 f. Concordati I (Fn. 2), S. 111 -113. Concordati I (Fn. 2), S. 114-116. Concordati I (Fn. 2), S. 737 f. Concordati I (Fn. 2), S. 190-194.
61 Concordati I (Fn. 2), S. 195 f. 62 Concordati I (Fn. 2), S. 874-876. 63 Konkordat vom 12. Juli 1973, Concordati I (Fn. 2), S. 126-139. Ergänzende bzw. modifizierende Vereinbarungen 1974-1992, ebd. S. 140-148. 64 Vertrag über Angelegenheiten gemeinsamen Interesses vom 19. Juli 1980, Concordati I (Fn. 2), S. 678-681. 65 Vertrag vom 8. August 1984, Concordati I (Fn. 2), S. 514 f. 66 Schon im Konkordatsbericht 1968 (S. 122-127) galt es, seine Bedeutung herauszustellen. Aus dem neueren Schrifttum ist zur Orientierung vor allem zu verweisen auf den Art. „Vatikanische Konzilien. B. Vatikanum II" von Giuseppe Alberigo und Peter Walter, LThK 3 10 (2001) Sp. 561-568. 67 Zur Einführung Alexander Hollerbach, Art. Dignitatis humanae, LThK 3 3 (1995) Sp. 229. 68 Zur Einführung Wilhelm Christe, Art. Gaudium et spes, LThK 3 4 (1995) Sp. 304 f.
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in gewisser Weise eine Revolution, weil bis dahin die katholische Kirche im Prinzip die Rolle der Staatsreligion beanspruchte und ein Grundrecht des Individuums auf Religionsfreiheit nicht anerkannte. Diese neue Basis der katholischen Lehre hatte naturgemäß Konsequenzen für die Konkordats- bzw. Vertragspolitik. Konkordate konnten nicht mehr „concordata unionis" sein, sondern nur - bescheidener „concordata libertatis et cooperationis". Freiheit und Zusammenarbeit - das sind die Leitsterne der Politik des Hl. Stuhls auf dem Feld der Konkordate, allgemeiner gesagt, in den Beziehungen zu den Staaten überhaupt. Diese konziliaren Prinzipien, dieser Geist des Zweiten Vätikanums, haben seit den sechziger Jahren die Haltung der Kirche bestimmt und sie befähigt, für die Probleme, die sich in einer mehr und mehr säkularisierten und pluralistischen Welt stellen, tragfähige Lösungen zu finden. In zahlreichen Texten der neueren Verträge bezieht sich die Kirche ausdrücklich auf die Dokumente des Zweiten Vätikanums. Gleichzeitig hat sie keine Schwierigkeiten es zu akzeptieren, wenn sich der betreffende Staat auf Dokumente der Vereinten Nationen über die Menschenrechte bezieht69. Außer dem II. Vatikanum bildet ein anderes Dokument die Basis für die neuere Konkordatspolitik des Hl. Stuhles, nämlich der Codex Iuris Canonici von 198370. Die Bedeutung dieses Dokuments, das ja seinerseits Wurzeln im Zweiten Vatikanum besitzt, liegt aber wohl mehr im Bereich des Technischen als des Substanziellen und bezieht sich eher auf juridische Details. Für einen so markigen Satz wie denjenigen von Ulrich Stutz , geschrieben 1930 in Bezug auf den CIC von 1917: „Durch die Konkordate marschiert der Codex" 71 , gäbe es heute - mutatis mutandis - keine Rechtfertigung mehr. Immerhin ist der Codex von 1983 ein bedeutsamer Faktor für die Erkenntnis des Selbstverständnisses der katholischen Kirche gerade auch hinsichtlich ihres Verhältnisses zur Welt des Politischen72. VI. Im Rahmen dieses Beitrags können in bezug auf den Inhalt der Konkordate selbstverständlich nicht alle Materien oder Probleme besprochen werden. Herauszugreifen sind aber einige - im Licht der Konkordatsgeschichte gesehen - ebenso charakteristische wie sensible Elemente. Das Konzil hat den dezidierten Wunsch geäußert, daß künftig keiner politischen Autorität mehr das Recht oder das Privileg der Wahl, Nomination, Präsentation oder Designation eines Bischofs gewährt wird 7 3 . Die Kirche sollte bei der Beset69 Vgl. etwa den Rahmenvertrag mit Gabun, Concordati I (Fn. 2), S. 221 f. 70
Einführender Überblick bei Karl-Theodor Geringer, Art. Codex Iuris Canonici, LThK 3 2 (1994) Sp. 1243-1245; Richard Puza, RGG 4 2 (1999) Sp. 410. 7 1 So in der Schrift „Konkordat und Codex", Berlin 1930, S. 21. 72 Grundlegend dazu die schon oben Anmerkung 5 angeführte Studie meines Schülers Gerald Göbel über das Verhältnis von Kirche und Staat nach dem CIC /1983. 7 3 Vgl. dazu schon Konkordatsbericht 1968, S. 125.
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zung der Bischofsstühle volle Freiheit genießen. In dieser Perspektive wurde nur noch die sogenannte Politische Klausel für legitim gehalten, das heißt die Pränotifikation des Namens eines Bischofskandidaten gegenüber der zuständigen politischen Autorität und deren Recht, unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Politik Bedenken gegen den betreffenden Kandidaten geltend zu machen - Bedenken, die aber allenfalls die Wirkung eines suspensiven Vetos haben können, keinesfalls die eines absoluten Vetos74. Dieses „droit de regard" ist noch aufrecht erhalten in Frankreich und - wenn auch nicht mehr flächendeckend - in Deutschland, hat aber in den postkonziliaren Verträgen keinen Ort mehr, auch nicht im polnischen Konkordat. Hier und in den anderen neueren Verträgen 75 findet sich lediglich eine Regelung, wonach der Hl. Stuhl vor der Veröffentlichung des Namens des zum Bischofsamt Berufenen diesen vertraulich der betreffenden Regierung zur Kenntnis gibt. Das wird als Akt der Courtoisie verstanden, gibt aber kein Erinnerungsrecht. Eine bemerkenswerte Präzisierung findet sich im Vertrag mit der Slowakei. Hier sagt Art. 6 Abs. 2 Satz 2: „Die Vertraulichkeit der Mitteilung enthält die Pflicht der slowakischen Republik, keine Meinung über die betreffende Person zum Ausdruck zu bringen und auch nicht zur Entscheidung des Hl. Stuhls Stellung zu nehmen"76. Eine ängstliche oder gar von Mißtrauen diktierte Klausel? Ein anderes Institut des Konkordatsrechts, das in einem gewissen Zusammenhang mit der Politischen Klausel steht, ist der Treueid, den der neue Bischof gegenüber dem Staat zu leisten hat 77 . Dieser Eid ist aus den neueren Konkordaten völlig verschwunden 78. Die für das Bistum Basel vereinbarte, meines Erachtens sehr diskussionswürdige Zwischen- oder Kompromißlösung eines feierlichen Versprechens mit einer modernen, mit der konziliaren Lehre kompatiblen Formel, hat keine Nachahmung gefunden 79. 74
Grundlegend und wegweisend dazu immer noch Joseph H. Kaiser, Die politische Klausel der Konkordate, München 1949. Aus jüngster Zeit siehe dazu meinen Überblick in RGG 4 6 (2003) Sp 1468. 75 Art. 7 Abs. 4 polnisches Konkordat, Concordati I (Fn. 2), S. 586. Im Vertrag über die Errichtung von Erzbistum und Kirchenprovinz Hamburg heißt es in Art. 6 Abs. 2: „Das Metropolitankapitel informiert rechtzeitig vor der Veröffentlichung der Bestellung des Erzbischofs den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und die Landesregierungen von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein über die Person des Gewählten", Concordati I (Fn. 2), S. 405. Hier muß also - wie im preußischen Konkordat - die Mitteilung vom Kapitel (nicht vom Hl. Stuhl) ausgehen. 76 Concordati I I (Fn. 3), S. 60. Eigene Übersetzung aus dem Italienischen. 77 Umfassende Problemerörterung bei Marga Dahl-Keller, Der Treueid der Bischöfe gegenüber dem Staat, Berlin 1994; dies., LThK 4 10 (2001) Sp. 215 f. Vgl. auch Alexander Höllerbach, RGG 4 7 (2004) i. E. 78 Die Rechtslage in Deutschland ist gespalten: Art. 16 des Reichskonkordats, der den Treueid vorschreibt, wird - vertraglich so vereinbart - von den neuen Bundesländern, so lautet die Formel, nicht mehr angewandt. Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und SchleswigHolstein verzichten ausdrücklich auf die Leistung des Treueids, so die Formulierung in Art. 7 des Hamburger Vertrags, Concordati I (Fn. 2), S. 405 f.
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Auf der anderen Seite erkennt man einen Aspekt, in dem sich eine traditionelle Linie zeigt, eine Linie, die den Gedanken der Nation unterstützt, ja vielleicht sogar einen nationalistischen Zug offenbart. So schreibt beispielsweise das polnische Konkordat vor, daß nur ein polnischer Staatsangehöriger Bischof werden kann und daß kein Mitglied der polnischen Bischofskonferenz gleichzeitig der Bischofskonferenz eines anderen Staates angehören darf 80 . Entsprechend gibt es Beispiele, in denen sehr klar das alte Dogma oder Prinzip der Übereinstimmung von Staats- und Kirchengrenzen zum Ausdruck kommt 81 . Eine traditionelle Konkordatsmaterie ist bekanntlich das Eherecht, in besonderer Weise die staatliche Anerkennung der kanonischen Ehe. Dieses System steht weiterhin in Italien, Spanien und Portugal in Geltung 82 . Aber es ist besonders bemerkenswert, daß es nun auch in Polen 83 Eingang gefunden hat und daß die kirchliche Eheschließung als konstitutiv auch in Lettland 84 , in Litauen 85 , in der Slowakei 86 und in Kroatien 87 anerkannt ist. Auf diese Weise geraten die Staaten mit dem System der obligatorischen Zivilehe - wie Deutschland - mehr und mehr in eine Position der Minderheit 88 . Von weiteren traditionellen Materien können hier nur einige aufgezählt werden: Religionsunterricht in öffentlichen Schulen89, theologische Fakultäten an den (staatlichen) Universitäten 90, das Recht, Bildungseinrichtungen jeden Grades zu schaffen 91, Militärseelsorge 92, Seelsorge in Strafanstalten 93. Veränderte Situatio79 Siehe den Text im Vertrag vom 2. Mai 1978, Concordati I (Fn. 2), S. 837, und dazu Alexander Hollerbach, Zur Problematik des staatlichen Treueids der Bischöfe, in: Rechtsstaat - Kirche - Sinn Verantwortung. Festschrift Obermayer, München 1986, S. 193-201. 80
Art. 6 Abs. 4 und 5 sowie Art. 7 Abs. 3. 81 Art. 6 Abs. 2. 82 Vgl. dazu den Überblick bei Hartmut Zapp, Kanonisches Eherecht, 7. Aufl., Freiburg 1988, femer Richard Puza, Art. Zivilehe, LThK 3 10 (2001) Sp. 1474 f. 83 Art. 10 und 11, Concordati I (Fn. 2), S. 687 f. 84 Art. 8 Vertrag mit Lettland, Concordati I I (Fn. 3), S. 12. 85 Art. 12 Vertrag mit Litauen, Concordati I I (Fn. 3), S. 30. 86 Art. 10 Vertrag mit der Slowakei, Concordati II (Fn. 3), S. 62. 87 Art. 13, Concordati I (Fn. 2), S. 159. 88
Zur Diskussion in Deutschland siehe insbesondere Friedrich Wilhelm Bosch, Staatliches und kirchliches Eherecht - in Harmonie oder im Konflikt?, Bielefeld 1988, ferner Dietrich Pirson, Staatliches und kirchliches Eherecht, HdbStKirchR 2 I I (1994) S. 787-825. S9 Z. B. Vertrag mit Kroatien (1996) Art. 1 bis 3, Concordati I (Fn. 2), S. 163 -165. 90 Z. B.Vertrag mit Kroatien (1996) Art. 10 Abs. 2, Concordati I (Fn. 2), S. 167. Es ist nicht auszuschließen, daß diese Regelung den Hl. Stuhl dazu bewogen hat, entgegen anfänglichem Zögern, ja einem gewissen Widerstand, der Eingliederung der theologischen Fakultät Erfurt in die dortige staatliche Universität zuzustimmen. Siehe dazu jetzt den Vertrag vom 19. November 2002, AAS 95 (2003) S. 237 = Thüringer GVB1. 2002, S. 417. 91 Rahmenvertrag Gabun Art. 14, Concordati I (Fn. 2), S. 227. 92 Darüber sind vielfach SpezialVerträge abgeschlossen worden, zuletzt etwa Vertrag mit Litauen vom 5. Mai 2000, Concordati I I (Fn. 3), S. 43.
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nen kommen zum Tragen, wenn ausdrücklich der freie Zugang zu allen Formen der öffentlichen Kommunikation garantiert wird 9 4 . Auch das Sozialwesen tritt als Vertragsmaterie stärker ins Blickfeld. Ein interessantes Beispiel hierfür liefert Art. 16 des Rahmenvertrags mit Gabun, an dem man auch andere bedeutsame Elemente ablesen kann: ,,L'Eglise catholique peut créer librement des institutions pour exercer des activités de bienfaisance et d'assistance sociale liées à sa mission spirituelle. Pour ce faire, elle agira dans ce cadre de la législation civile, mais le statut des ces institutions fera aussi l'objet d'un accord particulier entre la Conférence des évêques et les Autorités gabonaises, dont le principe sera au moins l'équivalence avec le statut et les prérogatives reconnues aux autres institutions agissant dans ces domaines et qui devra recevoir l'approbation du Saint-Siège"95. Zur Interpretation wird man hervorheben: Die Aktivitäten der Kirche im Bereich von Wohltätigkeit und Sozialhilfe müssen mit der geistlichen Mission der Kirche verbunden sein; sie hat - anders gesagt - kein umfassendes unbegrenztes Recht, etwa ohne Rücksichtnahme auf die Verantwortung des Staates. Deshalb ist gerade hier die Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche unverzichtbar. Des weiteren besitzt die katholische Kirche insoweit kein Privileg. Die ganze Materie muß durch das Prinzip der Gleichheit bzw. Äquivalenz bestimmt sein. Und schließlich kommt hier zum Tragen, was auch in anderen Sachbereichen mehr und mehr relevant wird: Einzelheiten werden durch einen ergänzenden Vertrag geregelt, der nicht mit dem Hl. Stuhl, sondern mit der Bischofskonferenz als Repräsentantin der Ortskirche abgeschlossen wird, die freilich ihrerseits wiederum der Approbation des Hl. Stuhls bedarf. VII. Neben inhaltlichen Fragen verdienen naturgemäß auch Formelemente das Interesse des juristischen Beobachters. Durchweg begegnet man der Formensprache der internationalen, nach diplomatischen Regeln erarbeiteten Verträge. Die Frage, ob die Wiener Vertragsrechtskonvention auf Konkordate direkt anwendbar ist 9 6 , wird in bemerkenswerter Weise in einem Notenwechsel vom 2. Juli 1985 zum kolumbianischen Konkordat von 1973 eindeutig bejaht. 97 Die Verträge werden in aller Regel durch Präambeln eingeleitet. Sie können kurz oder mehr oder weniger technisch sein, vor allem natürlich bei Spezialverträgen. Im übrigen zeigte sich während der Verhandlungen über die Verträge mit den neuen Bundesländern in Deutschland, daß der Hl. Stuhl gegenüber der Ausgestaltung von Präambeln über gewisse Grundformeln hinaus sehr reserviert 93 Z. B. Art. 16 Vertrag Kroatien, Concordati I (Fn. 2), S. 160. 94 Z. B. Art. 11 Abs. 2 Vertrag Gabun, Concordati I (Fn. 2), S. 226. 95 Concordati I (Fn. 2), S. 228. 96 Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 findet nach dem Wortlaut seines Art. 1 auf „Verträge zwischen Staaten" Anwendung. 97 Concordati I (Fn. 2), S. 144.
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war 98 . Aber es gibt auch Beispiele für das Gegenteil. Auf dem Gipfel sozusagen sehen wir die Präambel des polnischen Konkordats, die sehr reichhaltig ist 9 9 . Sie nimmt Bezug auf die Rolle, die die Kirche in der tausendjährigen Geschichte des polnischen Staates gespielt hat, und auch auf die spezifische: Bedeutung des Pontifikats von Papst Johannes Paul II. für die gegenwärtige Geschichte Polens. Außerdem unterstreichen die Vertragspartner ihre Übereinstimmung über die Werte und Prinzipien des internationalen Rechts, speziell über die Achtung der Menschenrechte und der grundlegenden Freiheiten ebenso wie über die Beseitigung jeder Form von Intoleranz und von Diskriminierung aus Gründen der Religion. Auf diese Weise kommen in der Gestaltung solcher Texte Nähe oder Distanz der Partner bzw. der Grad der Wärme ihrer Beziehungen zum Ausdruck, und man kann so die spezifische Physiognomie des betreffenden Vertrages erkennen. Es liegt nahe, dem eine allgemeine Bemerkung hinzuzufügen: Die Konkordate weisen viele Ähnlichkeiten auf, aber sie antworten naturgemäß auf ganz spezifische Bedingungen und Situationen in den Ländern, für die sie abgeschlossen werden. Deshalb spielen die politische, kirchliche und juristische Ambiance und nicht zuletzt auch die nationale Mentalität eine beträchtliche Rolle - zugespitzt ausgedrückt: Jedes Konkordat ist eine Individualität, trotz der Gemeinsamkeit der Materien und der Formen 100 . Ein integrierender Teil der Konkordatsverträge ist die traditionelle Freundschaftsklausel, die im Falle von Differenzen auf die Notwendigkeit der „amicabilis compositio" verweist 101 . „Tout différend sera réglé à l'amiable" heißt es etwa in französischen Texten 102 , oder man äußert - im Englischen - den Willen, zu einer „amicable solution" zu kommen 103 . Auf der anderen Seite ist zu bemerken, daß man öfter nicht mehr diese traditionelle Formel gebraucht, sondern etwas kühler und formeller nur von der Aufgabe spricht, die Differenzen „par la voie diplomatique" zu beseitigen104. Bisweilen ist eine gemischte Kommission vorgesehen, wenn 98 Im Vertrag mit Mecklenburg-Vorpommern vom 15. September 1997 (Concordati I [Fn. 2] S. 471 f.) konnte man sich immerhin entschließen - und dies offenbar unter dem Eindruck einer vergleichbaren, sehr positiv aufgenommenen Formulierung im entsprechenden evangelischen Kirchenvertrag - Motivation und prinzipielle Ausrichtung deutlicher ins Wort zu bringen: „ - Im Bewußtsein der Eigenständigkeit von Staat und Kirche, im gegenseitigen Respekt vor ihrem Selbstbestimmungsrecht und in Bereitschaft zur Zusammenarbeit, - In Achtung vor der Religionsfreiheit des Einzelnen, - In dem gemeinsamen Anliegen, die Menschenwürde und die Menschenrechte zu achten und zu schützen, - In der Einsicht, daß christlicher Glaube, kirchliches Leben und karitatives Wirken einen Beitrag für das Gemeinwohl und den Gemeinsinn der Bürger in einer pluralen Gesellschaft leisten". 99 Der Text geht über zwei Seiten und formuliert neun Erwägungen! Concordati I (Fn. 2), S. 682 f. 100 Vgl. dazu auch schon Konkordatsbericht 1968, S. 155 f. 101
Grundorientierung dazu bei Alexander Hollerbach, Art. Freundschaftsklausel, LKStKR I (2000) S. 724 f. 102 So in den Verträgen mit Kamerun, Concordati I (Fn. 2), S. 121, und der Elfenbeinküste (ebd. S. 153). 103 So beispielsweise Art. 18 des Vertrages mit Litauen, Concordati I I (Fn. 3), S. 32. 104 So Art. 17 § 1 Rahmenvertrag Gabun, Concordati I (Fn. 2), S. 228.
Aspekte der neueren Entwicklung des Konkordatsrechts
es darum geht, neue oder ergänzende Lösungen zu finden 105 . Nicht ohne Interesse ist schließlich, daß der Hl. Stuhl bei der Freundschaftsklausel auf eine Formulierung Wert legt, die nicht nur Meinungsverschiedenheiten bei der Interpretation, sondern auch solche bei der Anwendung einer Vertragsbestimmung erfaßt 106 . Normalerweise werden die Verträge ohne Kündigungsklausel auf unbestimmte Zeit geschlossen. Es kann aber auch die Möglichkeit der Kündigung ausdrücklich vereinbart sein 107 . Wo dies nicht der Fall ist, darf man von der allgemein anerkannten Geltung der clausula rebus sie stantibus ausgehen108. Dabei finden sich in einigen Verträgen spezifizierende Klauseln, die dem Grundgedanken der Clausula entsprechen, so in Art. 19 Abs. 2 des Niedersächsischen Konkordats 109 . Vor allem aber darf auf die Regelungen in den vier Verträgen mit Kroatien 110 und auf Art. 18 Abs. 2 des Rahmenvertrages mit Gabun verwiesen werden 111 . Schließlich ist ein Blick auf die Sprachenfrage zu werfen. Es gibt einige Beispiele, wo Verträge nur in einer Sprache formuliert sind, sei es Spanisch112, Portugiesisch 113 , Französisch 114 oder Englisch 115 . Zweisprachigkeit ist aber die Regel, und zwar in der Kombination Landessprache und Italienisch 116 . Doch ist dessen dominierende Rolle zunehmend angefochten. So steht in Lettland, Litauen, Israel und im Vertrag mit der PLO der jeweiligen Landessprache eine englische Fassung 105 Ebenda Art. 17 § 2, Concordati I (Fn. 2), S. 228, und Art. 18 Vertrag mit Kroatien, Concordati I (Fn. 2), S. 161. 1 06 So in den eben angefühlten Texten: „interpretation or implementation" - „interprétation ou application". Vielleicht macht sich hier der Einfluß des Europarechts bemerkbar, denn nach Axt. 220 EG ist Aufgabe des EuGH und des Gerichts 1. Instanz „die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrages"! 107 So z. B. im Militärseelsorge-Vertrag mit San Salvador von 1968 (Art. XII), Concordati I (Fn. 2), S. 196. Siehe aber auch Kasachstan Art. 15 Abs. 2, Concordati I (Fn. 2), S. 614. los Zu diesem Rechtsinstitut siehe meinen Beitrag im LKStKR I (2000) S. 341 f. 109 „Die Vertragschließenden behalten sich das Recht vor, bei wesentlicher Änderung der derzeitigen Struktur des öffentlichen Schulwesens Verhandlungen über eine dem Geist dieses Vertrages entsprechende Anpassung seiner Bestimmungen zu begehren", Concordati I (Fn. 2), S. 247. no Art. 19 Abs. 2, Concordati I (Fn. 2), S. 162; Art. 15 Abs. 2, ebd. S. 170; Art. 12 Abs. 2, ebd. S. 175 - hier taucht ausdrücklich das Stichwort „aggiornare" auf, ebenso dann Art. 15 Abs. 2, ebd. S. 182. m Concordati I (Fn. 2), S. 229. 112 So Verträge mit Argentinien, Concordati I (Fn. 2), S. 43, Bolivien (ebd., S. 108 und 111) und Ecuador (ebd., S. 190). U3 Vertrag mit Brasilien, Concordati I (Fn. 2), S. 114. 114 Verträge mit Kamerun, Concordati I (Fn. 2), S. 117 und 122, Elfenbeinküste (ebd., S. 151) und Haiti (ebd., S. 511 und 514). 115 Vertrag mit Estland, Concordati I (Fn. 2), S. 197. h 6 In diesem Zusammenhang darf an die grundlegende Studie von Hans Barion, Über doppelsprachige Konkordate. Eine konkordatstechnische Studie, Deutsche Rechtswissenschaft 5 (1940), S. 226-249, erinnert werden.
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Aspekte der neueren Entwicklung des Konkordatsrechts
gegenüber 117. Der Vertrag mit der OAU ist nur französisch und englisch formuliert 1 1 8 . In einem Fall haben wir ein dreisprachiges Dokument vor uns: Der Vertrag mit Kasachstan existiert in kasachisch, englisch und russisch 119. Normalerweise sind die jeweiligen Fassungen gleichberechtigt. Aber der Vertrag mit Kasachstan betont zwar „all texts being equally authentic", bestimmt aber zugleich, daß im Falle einer Divergenz bei der Interpretation „the English language text shall prevail". Gleiches gilt nach Art. 15 des Grundlagenvertrages mit Israel für das Verhältnis von Hebräisch und Englisch sowie nach Art. 11 des PLO-Abkommens für das Verhältnis von Arabisch und Englisch.
VIII. Diese Vorstudie zu einem umfassenden Konkordatsbericht konnte nur sehr großflächig und nur unter ausgewählten Aspekten das Material präsentieren. Eine vertiefte Behandlung des Themas hätte insbesondere in Bezug auf die einzelnen Länder den „Sitz im Leben" der jeweiligen Verträge deutlich zu machen und dabei insbesondere das Verhältnis von Vertrag und Verfassung näher zu bestimmen 120 . Außerdem müßte der Blick auch darauf gerichtet werden, ob der betreffende Staat auch mit anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften Verträge schließt, und, wenn ja, mit welchen. Wir leben in Deutschland in einem paritätischen Vertragssystem, das uns sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen ist; Konkordate sind deshalb hier immer nur die eine Seite der Sache. Aber der Blick nach Italien und Spanien 121 zeigt, wie sehr auch andernorts das Instrument des Vertrages einen zunehmend festen Ort hat, wie sogar Frankreich sich in vertragliche Beziehungen eingelassen hat, und dies mit dem Zentralrat der Muslime 122 . In diesem Kontext steht dann neu auf dem Prüfstand, welches die sachliche Eigenart solcher Verträge ist und wie sich Konkordate, die die Praxis unstreitig als völkerrechtliche Verträge behandelt, zu solchen Verträgen verhalten. Handelt es sich wirklich um einen Unterschied des Ranges bzw. der juridischen Wertigkeit oder geht es vielleicht doch nur um eine symbolische Differenz? Die Frage bekommt eine besondere Dringlichkeit mit dem Blick auf die weitere Entwicklung in der Europäischen Union 1 2 3 . i n Concordati I I (Fn. 3), S. 53 ff. Iis Concordati I I (Fn. 3), S. 48 ff. ii9 Concordati I (Fn. 2), S. 614. 12° Für Deutschland siehe zu dieser Problematik meinen Versuch über „Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts", in: HdbStKirchR 2 1 (1994) S. 253-287. 121 Siehe dazu die Berichte von Ivan C. Ibän über Spanien und Silvio Ferrari über Italien in: Gerhard Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, Baden-Baden 1996, S. 93 ff. bzw. S. 169 ff. 122 Kurzinformation in Herder-Korrespondenz 2003, Heft 2, S. 65 f. 123 Zu dieser Problematik siehe Gerhard Robbers , Staat und Kirche in der Europäischen Union, in: ders. (Hrsg.), Staat und Kirche (Fn. 121), S. 332. Bemerkenswerter Diskussionsbeitrag jüngst von Ivan C. Ibän, Concordats in the European Union: A relic from the past or a
Aspekte der neueren Entwicklung des Konkordatsrechts
Die Frage, ob die EU in konkordatäre Beziehungen mit dem Hl. Stuhl eintreten kann, ist - ohne daß das in diesem Rahmen näher ausgeführt werden kann - grundsätzlich zu bejahen. Andererseits ist die EU strikt an das Gebot der Gleichheit gebunden. Mag die katholische Kirche aufgrund ihrer Stellung als Völkerrechtssubjekt eine Vorreiterrolle spielen - ein Vertragsprivileg kann sie nicht für sich in Anspruch nehmen. Die weitere Entwicklung in Europa jedenfalls könnte sich nur auf der Basis prinzipieller Gleichheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften vollziehen. IX. Aspekte der neueren Entwicklung des Konkordatsrechts: Man kann diesen Beitrag auch lesen in der Perspektive dessen, was Peter Häberle in seinen vielfältigen Publikationen in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht hat, wofür insbesondere auf sein opus magnum „Verfassungslehre als Kulturwissenschaft" verwiesen werden darf 124 . Die dort entfaltete Konzeption macht bewußt, daß das Verhältnis von Religion und Staat, konkret also von Kirche bzw. Religionsgemeinschaft und Staat in seiner Tiefe und Fülle nur als ein Phänomen der Kultur zu erfassen ist. Im Recht der Kirchen und Religionsgemeinschaften und im Staatsrecht des Verfassungsstaats begegnen sich differente Rechtskulturen, die kommunikationsfähig sind und die Grundlage für Kooperation bilden können. Von beiden Seiten ist Offenheit für eine Vergleichung gefordert, die den Respekt für die Lebensprinzipien des Partners zur Basis hat. So ist Staatskirchenrecht oder Religionsrecht im allgemeinen, Vertragsstaatskirchenrecht oder Vertragsreligionsrecht im besonderen 125 ein prominentes Anwendungsfeld für kulturwissenschaftliche Methode im Recht. Zugleich bietet das Material in Gestalt der Verträge reichen Anschauungsunterricht für den Umgang mit Texten in deren verschiedenen Formen - etwa den Präambeln 1 2 6 - und deren Entwicklung, wobei der besondere Reiz der Mehrsprachigkeit hinzukommt. Peter Häberle lehrt uns bekanntlich besondere Achtsamkeit hierfür. valid instrument for the X X I Century? in: Canon Law, Consultation and Consolation. Monsignor W. Onclin Chair 2003, Leuven 2003, S. 99-157. 124 Peter Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, zweite, stark erweiterte Aufl., Berlin 1998. Bedeutsam auch: Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates. Methoden und Inhalte, Kleinstaaten und Entwicklungsländer, Berlin 1992. 125 Den Problemen, die sich hinter diesen Begriffen verbergen, ist Ansgar Hense sorgsam nachgegangen: Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht: mehr als ein Streit um Begriffe?, in: Andreas Haratsch u. a. (Hrsg.), Religion und Weltanschauung im säkularen Staat, Stuttgart 2001, S. 9-47. Meine eigene Position ist thesenhaft in J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR VI, 2. Aufl., Heidelberg 2001, S. 472-474 dargelegt. Der gelegentlich vorgebrachte Hinweis, der Begriff „Staatskirchenrecht" verbiete sich, weil die Verfassung sagt „Es besteht keine Staatskirche", kann nicht die Wertigkeit eines Arguments für sich beanspruchen. In Deutschland ist nämlich der Begriff „Staatskirchenrecht" nie nur im Sinne des Rechts der Staatskirche im engeren Sinne verstanden worden. 126 Vgl. dazu den Abschnitt „Präambeln von Verfassungen" bei Häberle, Rechtsvergleichung (Fn. 124), S. 920-951.
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Aspekte der neueren Entwicklung des Konkordatsrechts
So bleibt am Ende auch im Angesicht dieser Spezialstudie der Ansporn, in bezug auf das Verhältnis von Religion, Recht und Staat - die überstaatliche und internationale Ebene immer eingeschlossen - den Dialog der Rechtskulturen fortzusetzen und zu intensiveren.
C. Wissenschaftsgeschichte
Zu Leben und Werk Heinrich Triepels L A m 23. November 1966 jährte sich zum zwanzigsten Male Heinrich Triepels Todestag. Wenn ein Angehöriger der jüngeren Generation diesen Anlaß benutzt, Triepel ein Gedenkblatt zu widmen und zur Würdigung seines Lebens und seines Werkes beizutragen 1 , so tut er es nicht, um ein Denkmal zu setzen, sondern um einen kleinen Baustein zur neueren Wissenschafts- und Gelehrtengeschichte zu liefern, ohne den Anspruch und ohne das Vermögen, die damit aufgeworfenen Probleme in umfassender Weise zur Diskussion zu stellen 2 . Dabei ist die Überzeugung leitend, daß es geradezu zu den Tagesaufgaben der publizistischen Wissenschaft gehört, sich in kritischer Reflexion des Weges zu vergewissern, den sie in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts mit seinen tiefgreifenden geistigen Auseinandersetzungen und seinen politischen Umbrüchen genommen hat.
II. In Triepels Nachlaß fanden sich auf wenigen Blättern Anfänge zu „Lebenserinnerungen eines deutschen Professors" 3 . Wenn man sich in einer raschen Skizze Erstveröffentlichung in: Archiv des öffentlichen Rechts 91 (1966), S. 417-441. Dort war S. 537-550 unter A. auch eine Denkschrift Triepels vom März 1946 abgedruckt, ferner S. 551-557 unter B. eine Bibliographie Heinrich Triepels. Soweit im folgenden darauf Bezug genommen ist, muß der Leser darauf verwiesen werden. 1 Aus dem bisherigen Schrifttum vgl: E. Kaufmann, Heinrich Triepel, zu seinem 60. Geburtstage, in: Der Tag v. 12. 2. 1928; R. Smend, Heinrich Triepel zum 70. Geburtstage am 12. 2. 1938, Forschungen und Fortschritte 14 (1938), S. 58 f.; H. Wehberg, Heinrich Triepel 70 Jahre alt, Die Friedens-Warte 38 (1938), S. 39-41; E. Kaufmann, Heinrich Triepel f, DRZ 1947, S. 60 f.; G. Leibholz, In memoriam Heinrich Triepel, DV 1949, S. 141 f.; ders., in der Einleitung zum Neudruck von „Die Hegemonie" (vgl. unten B I 22); C. Bilfinger, Heinrich Triepel 1868-1946, ZaöRV XIII (1950/51), S. 1 - 1 3 ; R. Smend, Zur Geschichte der Berliner Juristenfakultät im 20. Jahrhundert, in: Studium Berolinense (1960), S. 123 f.; U. Scheuner, Art. Triepel, Staatslexikon VII (1962), Sp. 1044 f. - Von R. Smend darf demnächst eine neuerliche Würdigung Triepels erwartet werden. 2 Für die hier vorgelegte Studie konnte Triepels Nachlaß verwertet werden, der im Bundesarchiv in Koblenz verwahrt wird. Er umfaßt 2 Faszikel „Personalakten" sowie 1 Faszikel „Manuskripte" (nämlich die unten als Dokument A veröffentlichte Denkschrift und die sogleich zu erwähnenden Lebenserinnerungen). Frau Hertha von Gebhardt, der Tochter Triepels, schulde ich für die bereitwillige Genehmigung zur Benutzung des Nachlasses herzlichen Dank. Wertvolle Anregungen und Hinweise verdanke ich meinem Freunde Dr. Josef Becker (Erlangen).
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den Lebensgang Triepels und sein Wirken vergegenwärtigt, so wird in der Tat augenscheinlich, in welch hohem Maße er den Typus des deutschen Professors im besten Sinne des Wortes repräsentiert. Carl Heinrich Triepel wurde am 12. Februar 1868 in Leipzig in einem weltoffenen, gebildeten Elternhause geboren. Sein Vater Gustav Triepel, der zunächst als Exportkaufmann tätig war, betrieb ein Kommissions-, Agentur- und Lotteriegeschäft. Seine Mutter war die Tochter des schweizerischen Sinologen und Literaturhistorikers Heinrich Kurz 4; in ihrem, dem reformierten Bekenntnis wurde Heinrich Triepel erzogen. „Vielleicht" ging, wie Triepel in seinen Lebenserinnerungen schreibt, der erste Anstoß Jurist zu werden, von seinem Onkel mütterlicherseits aus, dem Fürsprech Erwin Kurz in Aarau, der als (zeitweiliger) Präsident des Schweizerischen Nationalrates und des Aargauischen Kantonalrates auch politische Bedeutung erlangt hat 5 ; dieser habe ihn, wenn er in Ferien bei ihm weilte, gelegentlich auf Wagenfahrten zu auswärtigen Terminen als Begleiter mitgenommen. Nach einem glänzenden Abitur begann Triepel das Studium der Jurisprudenz in Freiburg i. Br. In den drei Semestern, die er hier verbrachte (1886/87), gehörten vornehmlich Carl von Amira, Fridolin Eisele, Gustav Rümelin (jr.), Richard Sontag und Heinrich Rosin zu seinen Lehrern. Bei dem letzteren hörte er „Verfassungsurkunde des Deutschen Reiches". Die entscheidende Prägung zum Juristen erfuhr er aber an der berühmten Leipziger Juristenfakultät der Binding, Bülow; Friedberg, Sohm, Wach und Windscheid, gefördert vor allem von seinem „väterlichen Freund" 6, dem Kriminalisten Karl Binding, der auch das Staatsrecht vertrat 7. Diese Fakultät hat ihn 1891 summa cum laude promoviert und ihn 1893 für Staats-, Völker- und Verwaltungsrecht habilitiert, ihr gehörte er sieben Jahre lang als Privatdozent und Extraordinarius an, während er gleichzeitig als Assessor und später als Hilfsrichter am Landgericht Leipzig fungierte. In der Leipziger Zeit hat Triepel auch seine Familie gegründet: am 10. 8. 1894 heiratete er Marie Ebers, eine Tochter des bekannten Ägyptologen und Romanschriftstellers Georg Moritz Ebers*. Zum Wintersemester 1900/01 wurde Triepel als Nachfolger von Gerhard Anschütz auf das Ordinariat für Allgemeines und Deutsches Staatsrecht, Völkerrecht 3
Der maschinengeschriebene Text („1. Kapitel: Familie und Kindheit") umfaßt 12 Seiten. Er bricht auf S. 12 mitten im Satz ab, wo Triepel von seinem Eintritt in das Leipziger Gymnasium zu St. Thomä und dessen Direktor, dem Philologen Eckstein, berichtet. 4 Über Heinrich Kurz (1805-1873) vgl. Schumann, ADB 17 (1883), S. 421-424, sowie Halder, Biographisches Lexikon des Aargaus (1958), S. 471 -473. 5
Über Erwin Kurz (1846-1901) vgl. Boner, Biographisches Lexikon des Aargaus (1958), S. 470 f. 6 Vorwort zu „Völkerrecht und Landesrecht", S. VI. Dieses Werk ist Binding gewidmet. 7 Ihm galt die wohl letzte, erst posthum veröffentlichte Arbeit Triepels, der Artikel über Binding in Neue Deutsche Biographie (NDB) I I (1955), S. 244 f. Über das Verhältnis Triepels zur Leipziger Fakultät vgl. auch seine Eröffnungsansprache zur Leipziger Staatsrechtslehrertagung von 1925: VVDStRL 2 (1925), S. 1 - 4 . 8 Über G. M. Ebers (1837-1898) vgl. K. Richter, NDB IV (1959), S. 249 f.
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und Einleitung in die Staatswissenschaft 9 in der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen berufen - die publizistischen Fächer hatten damals in Tübingen noch kein Heimatrecht in der juristischen Fakultät 10 . Seine Fakultät verlieh ihm alsbald den Grad eines Dr. sc. pol. honoris causa. Nach acht Jahren verließ Triepel Tübingen, um - ab Wintersemester 1908/09 - einen Lehrstuhl in Kiel zu übernehmen; zu seinen Lehrverpflichtungen gehörten Staats-, Verwaltungs-, Völker- und Kirchenrecht. Zugleich wirkte er dort als Lehrer für Völkerrecht an der Marineakademie. Albert Haenel hat schon bei einer ersten Begrüßung des nach Kiel Berufenen in einem Brief vom 31. 10. 1908 Triepels baldigen Übergang in „größere Verhältnisse" vorausgeahnt: tatsächlich wurde er zum 1. Oktober 1913 als Nachfolger von Ferdinand von Martitz Mitglied der Berliner Juristenfakultät. In ihr war er, von dessen Vorlesungen und Seminaren eine große Prägekraft ausgegangen sein muß, nach dem Urteil von Rudolf Smend „die geistig und sittlich überragende Figur des Fachs"11. Im akademischen Jahr 1926/27 hatte er das Amt des Rektors der Friedrich-Wilhelms-Universität inne. Es soll auch hier festgehalten werden, was Bilfinger 12 und Smend 13 zu berichten wissen: Triepel hat seinem Nachfolger den Rektormantel mit den Worten übergeben: „Dieser Mantel ist schwer, und das ist gut, man kann ihn nicht so leicht nach dem Winde hängen." Zum letztenmal hat Triepel im Wintersemester 1934/35 gelesen. Am 11.3.1935 wurde ihm mitgeteilt, er sei kraft Gesetzes - des Gesetzes nämlich über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlaß des Neuaufbaus des deutschen Hochschulwesens vom 21. Januar 1935 (RGBl. I, S. 23) - mit Ende März 1935 von den amtlichen Verpflichtungen entbunden. Er hat es strikt abgelehnt, durch einen Antrag die Befugnis zu weiterer Ausübung seines Lehramts zu erwirken 14 . Triepel hat sich späterhin ganz nach Grainau in Oberbayern zurückgezogen. Trotz eines schweren Augenleidens, das ihn schließlich nahezu erblinden ließ, war es ihm vergönnt, in seinem letzten Lebensjahrzehnt noch eine reiche wissenschaftliche Ernte einzubringen. Die ersten Anfänge des Wiedererstehens deutscher Staatlichkeit nach dem Zusammenbruch von 1945 konnte er noch miterleben. Am 23. November 1946 beschloß er seinen irdischen Weg. 9
Nach Bedürfnis sollte er auch über württembergisches Staatsrecht lesen; später wurde der Lehrauftrag formell auf Verwaltungs- und Kirchenrecht erstreckt. 10 Die Tübinger Fakultäts- und Fächergliederung - eine Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät wurde erst 1923 gebildet - entsprach damit noch der etwa von Savigny (Juristische Methodenlehre, hrsg. v. G. Wesenberg, 1951, S. 13) verfochtenen Ausschließung des Staatsrechts aus dem „Begriff der Jurisprudenz". Andererseits wird hier noch der enge Zusammenlang mit der älteren Lehre von der Politik bzw. der, gesamten Staatswissenschaften" sichtbar; vgl. dazu W. Hennis, Politik und praktische Philosophie (1963), S. 122 f. n Studium Berolinense (1960), S. 123. 12 A. a. O. (Anm. 1), S. 13. 13 A. a. O., S. 124. 14 Für die Klärung des Sachverhalts verdanke ich Rudolf Smend freundliche Auskunft. Vgl. auch Leibholz im vorletzten Absatz der Einleitung zu „Die Hegemonie". 30*
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Den Stationen des im engeren Sinne akademischen Wirkens sind zahlreiche Aktivitäten Triepels zugeordnet, die erst die ganze Vielfalt und Fülle seiner Wirksamkeit als Gelehrtenpersönlichkeit zum Vorschein bringen. Er, von dem Bilflnger sagen konnte, er sei „durch und durch Jurist" gewesen15, hat sich nicht in dem elfenbeinernen Turm eines Szientifismus bewegt, sondern er blieb, wie sein literarisches Werk insgesamt bezeugt, immer auch der juristischen Praxis und der Rechtspolitik in hohem Maße zugewandt15a. Bisweilen hat er in Tageszeitungen zu aktuellen Fragen Stellung genommen, und er war ein begehrter Gutachter. Fruchtbaren Boden bildete hierfür naturgemäß das Völkerrecht. Kurz vor seinem Weggang aus Tübingen hatte er die Betreuung des Recueil Martens übernommen; noch die letzten, 1944 erschienenen Lieferungen tragen seinen Namen, der allein schon wegen dieser großen editorischen Leistung in Völkerrechtswissenschaft und -praxis allenthalben bekannt und gerühmt ist. 1910 wurde ihm die Ehre zuteil, zum assoziierenden Mitglied des Institut de Droit International bestellt zu werden, aus dem er jedoch 1920 freiwillig ausschied, als das Institut in Abwesenheit der deutschen Mitglieder eine Resolution faßte, die er nicht billigen konnte 16 . Daß man Triepels internationales Ansehen schwerlich überschätzen kann, zeigt sich etwa daran, daß er bei der Wiedereröffnung der Völkerrechtsakademie im Haag im Jahre 1923 als erster Deutscher zu einer Vorlesung eingeladen wurde 17 . 1926 ist Triepel zum wissenschaftlichen Berater des neugegründeten Berliner Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht berufen worden 18 , wo dann auch der Recueil Martens bearbeitet wurde; bis zuletzt ist er diesem Institut - und dieses ihm - treu verbunden geblieben. Wir sehen Triepel schließlich als deutsches Mitglied in dem in Art. 13 des deutsch-niederländischen Schiedsgerichts- und Vergleichsvertrags vom 20. 5. 1926 vorgesehenen Ständigen Vergleichsrat. Vielfältig und bedeutsam war auch Triepels Wirken für die interne deutsche Rechtswelt. So ist etwa seiner Mitgliedschaft in dem vom Verein „Recht und Wirtschaft" eingesetzten Ausschuß zu gedenken, der 1918/19 einen bemerkenswerten 15 A. a. O., S. 2. i5a Nach einer Mitteilung von Gerhard Leibholz war Triepel Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei, ist aber aus der Partei ausgetreten, als Hugenberg die Führung übernommen hat. Ein exakter Nachweis hierfür ist aus dem Schrifttum oder aus Materialien zur Parteigeschichte nicht zu führen; insoweit verdanke ich Dr. Friedrich Freiherrn Hiller von Gaertringen eingehende Recherchen. Doch hat mir Herr Reichsminister a. D. G. R. Treviranus bestätigen können, daß Triepel „als Parteimitglied galt, obschon er sich nicht ... öffentlich bemerkbar machte". Mit anderen habe Triepel dem Groß-Berliner Arbeitskreis der Volkskonservativen Vereinigung seine Zustimmung zu Treviranus' programmatischer Herrenhausrede vom 28. Januar 1930 zugehen lassen (vgl. dazu E. Jonas, Die Volkskonservativen 19281933,1965, S. 58 ff.). Daraus darf jedenfalls auf eine Abkehr von der DNVP Hugenbergscher Prägung geschlossen werden. 16 Wehberg, a. a. O. (Anm. 1), S. 40. 17 Vgl. unten B II 24. 18
Vgl. dazu jetzt auch die Bemerkungen von F. Glum, Zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik (1964), S. 328 f.
Zu Leben und Werk Heinrich Triepels
Entwurf zu einer neuen Reichsverfassung ausgearbeitet hat 19 . Im Hinblick auf Triepels gewichtige Arbeiten zu Theorie und Praxis des Bundesstaates entsprach es geradezu der Natur der Sache, daß er - von Seiten der Reichsregierung - in den Verfassungsausschuß der Länderkonferenz berufen wurde 20 . Zwei Institutionen aber verdanken Triepel besonders viel: der Deutsche Juristentag und die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Auf der ersten Nachkriegstagung des Juristentags in Bamberg im Jahre 1921 wurde er zum Mitglied der Ständigen Deputation gewählt, welcher er während der ganzen Weimarer Zeit angehörte; zuletzt, seit 1931, hatte er den Vorsitz inne. In dieser Funktion widersetzte er sich entschlossen dem Versuch der Gleichschaltung dieser traditionsreichen Einrichtung im Frühjahr 193321. Auch an der inneren Gestaltung des Juristentags hatte Triepel maßgeblichen Anteil. Bis zur Bamberger Tagung von 1921 hatte der Juristentag das Verfassungsrecht gemieden22; selbst das Verwaltungsrecht war erst spät „juristentagsfähig" geworden 23. Die Einbeziehung des Verfassungsrechts in die Verhandlungsgegenstände dürfte aber gerade einer von Wilhelm Kahl unterstützten Initiative Triepels zu verdanken sein, und er hat auch sogleich in Bamberg ein Referat beigesteuert, dem auf der nächsten Tagung ein zweites folgte 24 . Triepels besonderes Verdienst ist schließlich die Gründung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, die auf seine Einladung hin im Oktober 1922 zu ihrer ersten Tagung zusammentrat25. Er habe damit, so urteilt Rudolf Smend, den Kreis der Fachgenossen vor einem „ihre fachliche Autorität und Glaubwürdigkeit bedrohenden Zerfall in streitende politische Parteien" gerettet 26. In seiner eindrucksvollen
19 Vgl. dazu Vorwort zu „Entwurf einer Verfassung des Deutschen Reichs", hrsg. v. Verfassungsausschuß des Vereins Recht und Wirtschaft e.V. in Berlin, Berlin o. J. (1919), S. 3 f. Siehe ferner Triepel selbst: Die Entwürfe zur neuen Reichsverfassung, Schmollers Jahrb. 43 (1919), S. 460 f., außerdem Erich Kaufmann, Grundfragen der künftigen Reichsverfassung (1919), jetzt in: Ges. Schriften I (1960), S. 254. 20 Vgl. dazu die Angaben bei F. A. Medicus, Reichsreform und Länderkonferenz (1930), S. 10, 27 und 52. Aus der Memoirenliteratur siehe Carl Severing, Mein Lebensweg I I (1950), S. 167. Ein wichtiges Votum Triepels findet sich in: Stenographische Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses der Länderkonferenz für Verfassungs- und Verwaltungsreform vom 22. bis 24. Oktober 1928 im Reichskanzlerhause (1928), S. 29-33.
21 Vgl. dazu H. Conrad, Der Deutsche Juristentag (1860-1960), in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben I (1960), S. 10 f.; ferner Leibholz, a. a. O. 22 Nur einmal, beim 19. Deutschen Juristentag im Jahre 1888, war ein spezifisch staatsrechtliches Problem behandelt worden. Hier haben sich Max von Seydel (I, S. 130-156) und Georg Jellinek (II, S. 121 -134) zu der Frage geäußert: „Empfiehlt es sich, die Prüfung der Wahlen für gesetzgebende Körperschaften als eine richterliche Tätigkeit anzuerkennen und deshalb der Rechtsprechung eines unabhängigen Wahlprüfungsgerichtshofs zu unterstellen?". 23 Conrad, a. a. O, S. 6 f.; dazu ferner Kahl, in: Verhandlungen des 32. DJT (1922), S. 2 f. und Triepel, ebenda, S. 11 f. 24 Vgl. unten B I I 17 und 25. 25 Über die Berliner Zusammenkunft vgl. den Bericht von Triepel selbst im AöR 43 (1922), S. 349 ff. und jetzt W. Apelt, Jurist im Wandel der Staatsformen (1965), S. 119 f. 26 Studium Berolinense (1960), S. 123 f.
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Eröffnungsansprache zur zweiten, der Jenaer Tagung von 1924, hat Triepel der Arbeit der Vereinigung im Grundsätzlichen die Richtung gewiesen: „der Auslegung des geltenden Rechts sowohl wie den Vorschlägen für die Entwicklung unseres öffentlichen Rechts die Rechtsidee und, was dasselbe ist, die Gerechtigkeit zugrundezulegen"; er hat aber auch - die Satzung bringt es ebenfalls zum Ausdruck - das Recht zu Mahnung und öffentlicher Stellungnahme in Anspruch genommen, was unter Umständen sogar „heilige Pflicht" sein könne 27 .
III. Die literarische Frucht von Triepels bis zuletzt unermüdlichem Wirken im Dienst von Rechtswissenschaft und Rechtspraxis liegt in einem quantitativ wie qualitativ gleich bewunderungswürdigen Œuvre vor. Für dessen Umfang darf auf die unten als Dokumentation abgedruckte Bibliographie verwiesen werden, die freilich Anspruch auf Vollständigkeit nicht erheben kann 28 . Das formtypologische Signum des Triepelschen Werks ist nicht das Lehrbuch oder der Kommentar, sondern die Monographie, in der großen wie in der kleinen Form. Triepel handhabte die strenge monographische Kunst meisterhaft und vorbildlich von allem Anfang an, mit sicherer Beherrschung insbesondere des Völkerund Staatsrechts sowie der Verfassungsgeschichte und der publizistischen Rechtsvergleichung. Staunenswert sind immer wieder das hohe Maß an Sachnähe und Konkretion und die geistige Durchdringung einer Fülle von akribisch verarbeitetem Material, das nicht nur aus dem Schrifttum sondern ebensosehr aus der Rechtsund der politischen Praxis geschöpft wurde. Nicht zuletzt hat man die Sauberkeit der Sprache und den noblen Stil wissenschaftlicher Auseinandersetzungen zu rühmen. Dies alles ließ Triepel, wie der Kanonist sagen würde, zu einem „probatus auctor" werden. Blickt man auf den sachlichen Gehalt des Triepelschen Werks, so kann es nun nicht das Ziel dieser Beobachtungen sein, dessen Genesis, Inhalt und Wirkung im ganzen zu erfassen und zu diskutieren. Dazu ist der Bogen von „Das Interregnum" (1892) bis „Vom Stil des Rechts" (1947) mit den drei großen Stützpfeilern „Völkerrecht und Landesrecht" (1899), „Die Reichsaufsicht" (1917) und „Die Hegemonie" (1938) zu weit gespannt. Aber es müssen die thematischen Schwerpunkte und Linienführungen namhaft gemacht werden, bevor dann im einzelnen Fragen auf27 VVDStRL 1 (1924), S. 10. 28
Das von Triepel selbst stammende Schriftenverzeichnis, das Erich Kaufmann bei seiner Würdigung noch vorgelegen hat (DRZ 1947, S. 60), war leider nicht mehr auffindbar. Die dort genannten Zahlen: 32 Bücher und im Buchhandel erschienene Schriften, 72 Abhandlungen und Aufsätze in Sammelwerken, Zeitschriften und Zeitungen, 145 Besprechungen, 90 gedruckte und ungedruckte Gutachten, konnten bei weitem nicht erreicht werden. Von großem Nutzen war mir die Separaten-Sammlung der Bibliothek des Bundesverfassungsgerichts. Wertvolle Hinweise verdanke ich Rudolf Smend.
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zugreifen sind, die im Umkreis der beiden über die engere Fachwelt hinaus bekannten Reden stehen, die Triepel in seinem Rektoratsjahr gehalten hat: „Staatsrecht und Politik" und „Die Staatsverfassung und die politischen Parteien".
IV. Nach dem Präludium der Schrift über das reizvolle Problem des Interregnums 29 hat Triepel die literarische Produktion seiner Leipziger Jahre vorwiegend dem Völkerrecht gewidmet und damit ein erstes Grundthema seines Lebenswerks angeschlagen. Die Völkerrechtswissenschaft verdankt ihm die paradigmatische Erarbeitung der Theorie des strengen Dualismus von „Völkerrecht und Landesrecht". In Denk- und Stilart von einem begriffsjuristischen Konstruktivismus geprägt, wie er auch für seinen Lehrer Binding kennzeichnend ist 3 0 , und determiniert vom positivistischen Willens- und Souveränitätsdogma seiner Zeit, ist Triepels erstes Hauptwerk von ungemein starkem Einfluß auf die völkerrechtliche Theorie gewesen und bis heute ein wesentliches Element in der unendlichen Diskussion um „Monismus" und „Dualismus" geblieben31. Insbesondere in Auseinandersetzung mit Kelsen hat Triepel in seiner Haager Akademie-Vorlesung von 1923 seine Position noch einmal verteidigt und an ihr bis zuletzt festgehalten, nach 1945 freilich den Gedanken an eine „Umwälzung des Völkerrechts" erwägend 32 und der Hoffnung auf eine neue effektive Völkerrechtsordnung Ausdruck gebend33. „Völkerrecht und Landesrecht" und die Vorlesung von 1923 sind aber die einzigen Beiträge zur völkerrechtlichen Grundlagendiskussion geblieben, wenn man von dem an entlegener Stelle publizierten Systementwurf des Völkerrechts absieht 33a . Um so stärker hat er sich speziellen Themenkreisen zugewandt, wie an den bibliographischen Titeln leicht abzulesen ist: angeregt wohl vor allen durch seine Lehrtätigkeit an der Kieler Marine-Akademie dem See- und Seekriegsrecht 34, drängenden Tagesfragen dann in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg, zuletzt gibt „Die auswärtige Politik der Privatpersonen" von seinem Spürsinn für Probleme des Völkerrechts und der internationalen Politik ein beredtes Zeugnis35. Das zweite Grundthema: Theorie und Praxis der Staatenverbindungen, insbesondere des Bundesstaats, hebt nach den ersten Stellungnahmen in Triepels völker29
Zur Selbstbeurteilung und Selbstkorrektur vgl. Reichsaufsicht, S. 289 und 537. 30 Vgl. dazu Triepel selbst in NDB II, S. 244. 31 Vgl. dazu die treffenden Bemerkungen von Wehberg, a. a. O. (Anm. 1) S. 40, und aus dem jüngsten Schrifttum H. Wagner, Monismus und Dualismus: eine methodenkritische Betrachtung zum Theorienstreit, AöR 89 (1964) S. 212-241 (bes. S. 231) mit umfassenden Belegen. 32 Vgl. Bilfingen a. a. O. (Anm. 1), S. 7. 33 In dem unten B IV 7 verzeichneten Zeitungsartikel. 33a Vgl. unten B I I 1. 34 Vgl. dazu E. Kaufmann, a. a. O. (Anm. 1). 35 Vgl. dazu Bilfingen a. a. O., S. 7 f.
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rechtlichem Hauptwerk mit „Unitarismus und Föderalismus im deutschen Staatsrecht" (1907) an. Es ist zur Dominante seines Lebenswerks geworden. Sein grundlegender Beitrag zur Laband-Festgabe und erst recht die monumentale Monographie über „Die Reichsaufsicht" - in der Tat ein „deutsches Reichsstaatsrecht sub specie der Reichsaufsicht" 36 - wirken bis heute fort 37 . In dem bis heute unübertroffenen, im Zeitalter neuer hegemonialer Konstellationen besonders aktuellen Alterswerk über die „Hegemonie" ist dieses zweite Grundthema schließlich in eine universalistische Dimension hineingeführt worden 38. Es ist kein Zufall, daß dieser gesamte Problemkreis Triepel gerade nach 1945 noch einmal aufs stärkste beschäftigt hat. Das fand seinen Niederschlag in einer kurz nach seinem Tode veröffentlichten Miszelle über „Zweierlei Föderalismus" mit der Beschreibung und Unterscheidung von „zentrifugalem" und „zentripetalem" Föderalismus 39. Hierher gehört zuletzt die als Dokumentation unten aus dem Nachlaß veröffentlichte Denkschrift über die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bundesstaat und Ländern vom März 194640. Wir haben in diesen beiden Stücken eine Art rechtspolitischen Vermächtnisses Triepels für die Neuordnung Deutschlands als Bundesstaat nach dem Zusammenbruch vor uns. Der Inhalt der Denkschrift, die keine spektakulären Vorschläge bringt und behutsam einige Gesichtspunkte aufgreift, die Triepel schon in der Weimarer Zeit in die Debatte eingeführt hatte 41 , bedarf keines Kommentars. Den darin ausgesprochenen Mahnungen, die im Sinne eines „zentripetalen Föderalismus" einer allzu starken „föderalistischen Rückwärtsbewegung" Grenzen setzen, wird man Gewicht beizumessen haben, wenn man bedenkt, an welchem Ort sie geäußert wurden, und wenn man sich die völlig ungewisse völkerund staatsrechtliche Lage Deutschlands im Frühjahr 1946 vor Augen hält. Es hieße die Denkschrift und „Zweierlei Föderalismus" mißverstehen, wollte man darin (im 36 Reichsaufsicht, S. 6. 37 Exemplarisch dafür einerseits E. Kiichenhoff, Ausdrückliches, stillschweigendes und ungeschriebenes Recht in der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung, AöR 82 (1957), S. 413-479, andererseits Frowein, Die selbständige Bundesaufsicht nach dem Grundgesetz (1961) und dazu Bullinger, Zum Verhältnis von Bundesaufsicht und Bundestreue, AöR 87 (1962), S. 488 ff. 38 Phänomen und Begriff der Hegemonie haben Triepel offenbar zeitlebens fasziniert; vgl. dazu schon „Unitarismus und Föderalismus", S. 107 ff. (mit der klassischen Definition S. 111 f.). Die grundlegende Bedeutung der Triepelschen Darstellung für das Problem des hegemonialen Bundesstaats kommt deutlich zum Ausdruck bei E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, I (1957), S. 637 f, und III (1963), S. 798 f. Zur Würdigung der „Hegemonie" vgl. im übrigen einerseits Carl Schmitt, Führung und Hegemonie, Schmollers Jahrb. 63 (1939), S. 513-520 andererseits G. Leibholz in der Einleitung zum Neudruck, der mit Recht die innere Frontstellung des Triepelschen Werkes gegen die nationalsozialistische Führerideologie hervorhebt. Aus der Sicht des Althistorikers siehe ferner Hans Schaefer, Zu Heinrich Triepels „Hegemonie", ZRG Rom. Abt. 63 (1943), S. 368-383. 39 SJZ 1947, Sp. 150-152. 40
Als Dokumentation unten, S. 537 abgedruckt. Vgl. dazu: Die Entwürfe zur neuen Reichsverfassung, Schmollers Jahrb. 43 (1919), S. 459 ff. (S. 474-502), insbesondere aber: Der Föderalismus und die Revision der Weimarer Reichsverfassung, Zeitschrift für Politik 14 (1925), S. 193-230. 41
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Vergleich zu früheren Äußerungen) einen radikalen Meinungsumschwung ausgedrückt finden; „Herzensunitarier" wird Triepel geblieben sein, sein „Vernunftföderalismus" ist derjenige eines Befürworters unitarischer (freilich nicht mehr hegemonialer) Bundesstaatlichkeit. Überzeugt von einem „Ewigkeitswert" 42 rechtsstaatlicher Prinzipien, hat sich Triepel einmal als einen Enthusiasten des Rechtsstaats bezeichnet43. Das deutet auf den dritten Themenkreis hin, der ihm am Herzen lag und der sozusagen eine Subdominante in seinem Werk bildet: die Rechtsstaatlichkeit der Verfassungsordnung. Probleme der Effektuierung des Rechtsstaatsprinzips haben ihn während der Weimarer Zeit immerzu beschäftigt. Er hat keine Theorie des Rechtsstaats entwickelt, aber umso mehr einzelnen rechtsstaatlichen Elementen der Weimarer Verfassung Geltung zu verschaffen versucht: vorab den Grundrechteten 44 als richtungweisenden „Legalwertungen", die „Richtschnur und Schranke" für die Verwaltung und die Gesetzgebung bilden 45 . So wurde er zum Schrittmacher für eine materiale Sinndeutung des Gleichheitssatzes, und er hat konsequent die Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz verfochten 46. Das Bemühen um eine ihrem Sinn gemäße Aktivierung der Grundrechte tritt auch in seinen Stellungnahmen zur Eigentumsgarantie 47 und zu den Rechten der Beamten und Hochschullehrer 48 zutage. Um die Wirksamkeit der Grundrechte zu gewährleisten, schien es ihm unerläßlich, das richterliche Prüfungsrecht in vollem Umfang anzuerkennen. Schon in seiner Arbeit über die Entwürfe zur Reichsverfassung hatte er in dieser damals geradezu entzweienden Frage eindeutig Stellung bezogen49. Es ist zwar unverkennbar, daß dabei eine Abneigung gegen das parlamentarische System der Parteien-Demokratie im Spiele war und ihn die Furcht vor einem Parlaments- und Gesetzesabsolutismus rousseauistischer Prägung bewegte50. Aber die Begründung des Postulats des richterlichen Prüfungsrechts hat tiefere Wurzeln. Triepel bestimmt den Charakter der Gesetzgebung nicht als „Souveränitätsakt", sondern als verfassungsmäßig gebundenen Akt der Staatsgewalt51. Rechtsstaatlichkeit bedeutet ihm so in erster 42 VVDStRL 7 (1930), S. 197. Später hat er einmal die Vermischung von Verwaltung und Rechtspflege geradezu als „widernatürlich" bezeichnet: Vom Stil des Rechts, S. 151. 43 VVDStRL 5 (1928), S. 28. 44 VVDStRL 4 (1927), S. 89: „Mehr und mehr finde ich jetzt, daß die Grundrechte fast den wichtigsten Bestandteil in der ganzen Verfassung bilden". 45 Vgl. dazu schon Entwürfe, a. a. O., S. 469; sodann VVDStRL 4 (1927), S. 90. Siehe ferner die Nachweise in den folgenden Anmerkungen. 46 Vgl. dazu vor allem Goldbilanzen-Verordnung (1924), S. 26 ff., ferner VVDStRL 3 (1926), S. 50 ff. 47 Vgl. dazu den unten B IV 4 angeführten Zeitungsartikel und dann insbesondere Goldbilanzen-Verordnung, S. 15 ff. 48 Siehe dazu die bibliographischen Titel unten B I I 15, 34, 35. 49 A. a. O., S. 470,473 f. 50 Ebenda, S. 468 f., 508. 51 Prägnant Goldbilanzen-Verordnung S. 28.
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Linie Unverbrüchlichkeit und Vorrang der Verfassung, die nicht einen formalen Gesetzesstaat etabliert 52, sondern die sich, gemäß der Einsicht, daß Gesetz und Recht nicht aus sich identisch sind, in den Dienst der Rechtsidee stellt 53 . Damit ist für ihn aber weder ein Rechtsdualismus naturrechtlicher Prägung noch eine Trennung von „rechtsstaatlicher" und „politischer" Verfassung verbunden 54. Unter den Forderungen materieller Rechtsstaatlichkeit begegnen im einzelnen weiter die innere Begrenzung von Rechtssetzungsermächtigungen an die Exekutive 5 5 ; umfassende, auf längere Dauer angelegte und zur Regel werdende Ermächtigungsgesetze verletzen die Verfassung 56, das Ermächtigungsgesetz vom 24. 3. 1933 wurde deshalb eindeutig als verfassungsumstürzender revolutionärer Akt qualifiziert 57 . Triepel forderte das Verbot von Verfassungsdurchbrechungen und gab seiner Absage an ein formalistisches Verständnis des Art. 76 WRV klaren Ausdruck 58 . Wichtiger Baustein im System des Rechtsstaates war für Triepel schließlich die Verfassungsgerichtsbarkeit, für deren Erweiterung über föderalistische Streitigkeiten hinaus er eintrat und deren Wesen und Aufgaben er in einer Weise analysiert hat, die sich für ein nichtpositivistisches Verfassungsdenken als grundlegend erwiesen hat 59 . Es ist sehr bezeichnend, daß er in einer kritischen Stellungnahme zu dem Urteil des Reichs-Staatsgerichtshofs in dem großen Konflikt Preußen contra Reich vom Oktober 1932 zwar das Urteil schalt und zu „judicial selfrestraint" mahnte, aber ausdrücklich im Namen des Rechtsstaates für eine Beibehaltung der Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit plädierte 60. Mit alledem hat er an der verbreiteten Verfassungsskepsis der Weimarer Jahre keinen Anteil. Er hat vielmehr vom Rechtsstaatsgedanken her zur inneren Aufwertung der Weimarer
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Vgl. Das Abdrosselungsgesetz, DJZ 1926, Sp. 850: „.. .Grundübel unserer Tage... Es ist die Herrschaft des Wahns, daß die Form alles, der Inhalt nichts bedeute, daß die Form des Gesetzes jeden Gesetzesinhalt heilige, daß der Gesetzgeber durch Anwendung einer Form jeder Gefahr eines Rechtsbruchs entgehen könne. Es gilt, diesen Wahn zu zerstören. Denn es geht in letzter Linie um ein höchstes Gut, um Recht und Gerechtigkeit selber. Wer der Göttin der Gerechtigkeit dient, soll ihren Thron auch vor den Angriffen eines machtlüsternen Gesetzgebers schützen, der sich vermißt, stärker zu sein als das Recht, das auch ihn bindet". 53 Vgl. etwa Goldbilanzen-Verordnung, S. 28; Streitigkeiten, S. 93 f. 54 VVDStRL 5 (1928), S. 7. 55 Vgl. das grundlegende Juristentags-Referat von 1921 (unten B I I 17); vgl. auch Delegation und Mandat, passim, bes. S. 112,120 f. 56 Vgl. die klare Stellungnahme in DJZ 1924, Sp. 6 f. 57 In dem unten B IV 6 verzeichneten Artikel in der DAZ vom 2. 4. 1933. 58 Vgl. das Juristentags-Referat von 1924 (unten B I I 25) und: Das Abdrosselungsgesetz, DJZ 1926, Sp. 845 ff. (849). 59 Vgl. dazu 33. DJT, a. a. O., S. 59 f., ferner zur Gesamtproblematik den Beitrag zur Kahl-Festgabe und das Referat auf der Staatsrechtslehrer-Tagung von 1928 (VVDStRL 5 [1928], S. 2 ff.). 60 In dem unten B I I 36 aufgeführten Aufsatz. Am Schluß (Sp. 1508) heißt es: „Den StGH ... soll man nicht antasten. Er ist ein Grundpfeiler unseres Rechtsstaats, und wir haben heute den geringsten Anlaß, auch nur einen einzigen Stein aus diesem Gebäude herauszubrechen".
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Verfassung entscheidend beigetragen 61, und er hat insbesondere in der Krisensituation Anfang der dreißiger Jahre gegen die Diskreditierung rechtsstaatlicher Ideen und Formen als überholter liberaler und bourgeoiser Institutionen deutlich Front gemacht62. Dieser skizzenhafte Überblick über das Triepelsche Gesamtwerk mit seinen drei beherrschenden Themenkreisen hat nunmehr zwei größere Arbeiten zu registrieren, die eine gewisse Sonderstellung einnehmen, die aber ihrerseits bei aller Verschiedenheit der Thematik typologisch aufs engste zusammenhängen: die beiden „Begriffsstudien" über „Staatsdienst und staatlich gebundener Beruf (1911) und über „Delegation und Mandat" (1942). Beide Abhandlungen demonstrieren überzeugend den hohen Wert juristischer Begriffsbildung und rechtlicher Konstruktion für die Erfassung von Erscheinungen der sozialen und politischen Wirklichkeit, ohne begriffsjuristischen oder konstruktivistischen Verfälschungen anheimzufallen. Auch wer kritische Einwendungen zu erheben hat 63 , wird der ersteren Arbeit den Rang einer bis heute überaus förderlichen Monographie des Berufsrechts zubilligen. „Delegation und Mandat" - eine alte Liebe von Triepel 63a und so wiederum ein Zeichen für die bewundernswerte Kohärenz seines Gesamtwerks - hat das Verdienst, erstmals im deutschen Schrifttum diesen Problemkreis auf der Grundlage umfassender historischer, kanonistischer und rechtsvergleichender Forschungen monographisch behandelt zu haben. Dieses Werk wirkt in besonderem Maße bis heute fort, wie sich gerade an einer kritischen Auseinandersetzung mit Triepel deutlich erkennen läßt 6 3 b . Mit Triepels letzter größerer Arbeit, seinen originellen Beiträgen zu einer Ästhetik des Rechts, wird der Kreis der publizistischen Werke überschritten. In gewisser Weise führen sie den universalistischen Zug der „Hegemonie" fort. In weitem Umfang Neuland erschließend, weithin gleichsinnig mit Gustav Radbruchs Elementen einer „Ästhetik des Rechts" 630 , wird mit starkem Systemwillen eine Fülle von Gesichtspunkten für eine Kulturgeschichte und -morphologie des Rechts erarbeitet 630. 61 Vgl. dazu auch Smend, Studium Berolinense (1960), S. 123. 62 VVDStRL 7 (1930), S. 197. 63 Vgl. Fritz Rittner, Unternehmen und freier Beruf als Rechtsbegriffe (1962), S. 18-20. Vgl. auch Bachof, in: Die Grundrechte I I I / 1 (1958), S. 184 f. 63a Schon in der Reichsaufsicht (S. 573 Anm. 4) hatte Triepel angekündigt, er werde demnächst über den Gegensatz zwischen dem öffentlich-rechtlichen Mandat und der Delegation gesondert handeln. Das Thema ist dann teilweise aufgegriffen im 1. Juristentags-Referat (unten B I I 17). 63b Günther Barbey, Rechtsübertragung und Delegation. Eine Auseinandersetzung mit der Delegationslehre Heinrich Triepels, Diss. Münster 1962 (mit Schrifttumsnachweisen). Im übrigen vgl. die Berichte und Beratungen über „Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat" (1952). 63c Vgl. Rechtsphilosophie, 6. Aufl., hrsg. v. Erik Wolf (1963), S. 205-208 und Vorschule der Rechtsphilosophie, 2. Aufl. (1959), S. 86-96. 63d Vgl. die eingehende Würdigung durch C.-F. Menger, ARSP 38 (1949/50), S. 443-446.
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Zugleich machen Triepels „Beiträge" philosophische und methodische Reflexionen geltend, die Licht auf das Fundament und das Koordinatenkreuz werfen, die für sein Denken bestimmend waren: eine Philosophie des Geistes in der Nachfolge des Deutschen Idealismus. Nicht zuletzt aber gibt „Vom Stil des Rechts" Zeugnis für Triepels starken Rechtsglauben, der trotz des Erlebnisses der „Perversion des Rechts" {Fritz von Hippel), das in diesem Buch Niederschlag gefunden hat, ungebrochen erscheint. V. Wer darangeht, im Sinne der eingangs markierten Fragestellung einen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte zu leisten und dabei besonders nach Situation und Funktion der Staatsrechtslehre in der Weimarer Zeit zu fragen, dessen besonderes Augenmerk wird sich unwillkürlich auf die beiden Reden richten, die Triepel als Berliner Rektor gehalten hat. „Staatsrecht und Politik" und „Die Staatsverfassung und die politischen Parteien" sind in der Tat Dokumente von symptomatischer Bedeutung. Freilich wird man sich immer Triepels Gesamtwerk gegenwärtig halten müssen, um ihren Stellenwert recht einzuschätzen. Triepels „Staatsrecht und Politik" hat zwei Brennpunkte: Es wird erstens nachzuweisen versucht, daß das Staatsrecht im Grunde gar keinen anderen Gegenstand habe als das Politische64. Staatsrecht ist politisches Recht. Aufgabe einer dem Leben zugewandten Staatsrechtswissenschaft ist es, „die Normen des Staatsrechts in die innigste Beziehung zu setzen zu den politischen Kräften, die sie schaffen und ausgestalten, und die ihrerseits wieder vom staatlichen Rechte gemeistert werden" 65 . Der Begriff des Politischen wird dabei vom Staate her bestimmt: „politisch" ist alles, was sich auf Staatszwecke oder auf deren Abgrenzung von individuellen Zwecken bezieht66. Zweitens ist Triepels Schrift - was mit seiner Sicht des Politischen aufs engste zusammenhängt - ein Plädoyer für eine gegenstandsbezogene wissenschaftliche Behandlungsart des Staatsrechts, näherhin für die teleologische Methode, für „Interessenjurisprudenz" im Staatsrecht. Das Recht sei, so wird gesagt, nichts als ein „Komplex von Werturteilen über Interessenkonflikte" 67. Deshalb könne ihm, und zwar einheitlich in allen seinen Bereichen, nur die teleologische Methode angemessen sein, die im Staatsrecht die Verbindung der politischen Erwägung mit der logisch-formalen Begriffsarbeit fordere. Zwar bleibe die erste Aufgabe der Jurisprudenz die „verstehende Konstruktion" durch begriffliche Analyse und systematische Synthese im Dienst der Vergewisserung des Rechts. Aber Konstruktion könne für das Geschäft der konkreten Auslegung nur als „Hypothese" dienen, es komme ihr nur eine heuristische, niemals selbst eine lücken64 65 66 67
A. A. A. A.
a. a. a. a.
O., S. 12. O., S. 19. O., S. 20. O., S. 37.
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füllende Funktion zu. Die Interessen- und Zweckjurisprudenz kaschiere die unumgängliche Abhängigkeit ihrer Ergebnisse von Werturteilen nicht wie die angeblich „reine" Rechtslehre hinter formallogischer Begrifflichkeit; sie sei gezwungen, Farbe zu bekennen. Die Wertungsmaßstäbe seien in erster Linie dem Gesetz, den „Legalwertungen" zu entnehmen. Wo es versagt, seien die Maßstäbe „im Rechtsbewußtsein der rechtlich verbundenen Gemeinschaft" als dem Ausdruck „überindividuellen Geistes" zu finden 68 . Art. 1 des Schweizerischen ZGB wird beschworen. Aber auch für die Interessenjurisprudenz bleibe der oberste Leitstern die Rechtsidee, die „ewige Gerechtigkeit". „Staatsrecht und Politik" erschien zu einer Zeit, als der Methodenstreit der zwanziger Jahre im Gefolge der Auseinandersetzung mit dem Neukantianismus seinem Höhepunkt zustrebte 69: der Streit zwischen den sog. Positivisten, insbesondere Kelsen und seinen Anhängern einerseits, und der ebenso wie ihr Gegenüber in sich sehr differenzierten Gruppe der Positivismus-Gegner. Triepel hat dazu Stellung genommen, freilich nicht mit einem Versuch, der den ganzen erkenntnistheoretisch-philosophischen Hintergrund dieser Auseinandersetzung ausleuchtete. Triepels methodologisches Manifest, wenn man es einmal etwas verstärkend so nennen darf, war vielmehr die Stellungnahme eines Juristen, der zutiefst von der praktischen Aufgabe seiner Wissenschaft im Dienste gerechter Sozialordnung überzeugt war 70 . Demgemäß suchte er die Dinge auf ihr Maß zurückzuführen und einen gemeinsamen Boden zu gewinnen, einen Boden, auf dem sich selbstkritischer, sozusagen „aufgeklärter" Positivismus und ebenso selbstkritischer, „aufgeklärter" Antipositivismus eben um der praktischen Aufgabe der Jurisprudenz willen treffen konnten. Bei dem Versuch, einige Gesichtspunkte zu erörtern, die für Deutung und Beurteilung der Triepelschen Schrift wichtig sind, wird man zunächst darauf zu achten haben, daß die erste Rektoratsrede keineswegs der Ausdruck eines Neuheitserlebnisses, eines etwa jetzt erst vollzogenen Umbruchs war. „Staatsrecht und Politik" 68
A. a. O., S. 39 f. Vgl. auch S. 25, wo die Überzeugung von der rechtsschöpferischen Kraft objektiver, in der Gesellschaft vorhandener, universeller Wertgedanken ausgesprochen wird. 69 Eine gültige Darstellung fehlt bislang. Aus der zeitgenössischen Literatur ist im Hinblick auf die engen Beziehungen des Autors zu Triepel besonders zu verweisen auf G. Leibholz, Zur Begriffsbildung im Öffentlichen Recht (1931), jetzt in: Strukturprobleme der modernen Demokratie (1958), S. 262-276. Wiederaufnahme der Diskussion und maßgebendes Schrifttum bei K. Hesse, Die normative Kraft der Verfassung (1959) sowie in den Referaten von P. Schneider und H. Ehmke über „Prinzipien der Verfassungsinterpretation", VVDStRL 20 (1961), S. 1-102. Vgl. auch die Bausteine zu einer Geschichte der Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit bei K Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik (1962), S. 79 ff. 70 Besonders prägnant Staatsrecht und Politik, S. 23: Jurisprudenz als praktische Wissenschaft, „der die Aufgabe gesetzt ist, die Rechtsanwendung durch Deutung des bestehenden und Gewinnung neuen Rechts vorzubereiten". Die unterschiedliche „juristische Berufsanschauung" (a. a. O., S. 30) wird deshalb auch mit Recht zu einem wichtigen Kriterium für die Beurteilung des Schulenstreits.
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ist kein ad-hoc-Produkt. Was Triepel jetzt vorträgt, ist schon eine Frucht der Tübinger Jahre unmittelbar nach der Jahrhundertwende, in denen er das Entstehen der Interessenjurisprudenz des Privatrechts, die vor allem mit den Namen der Tübinger Professoren Max Rümelin und Philipp Heck verknüpft ist 7 1 , aktiv miterlebt hat. Es hätte nicht des ausdrücklichen Selbsthinweises in „Delegation und Mandat" bedurft: er sei in Tübingen methodisch ein anderer geworden 72, um dies zu erkennen. Schon mit seiner Schrift über „Unitarismus und Föderalismus im deutschen Staatsrecht" von 190773 und mit seinem Beitrag zur Laband-Festgabe74 vom folgenden Jahr hat er sich entschieden auf den Boden einer publizistischen Interessenjurisprudenz gestellt und sich damit aus dem „Banne der Gerber-Labandschtn Schule" 7 5 gelöst. Erst recht wurde dann in der „Reichsaufsicht", die Max Rümelin gewidmet ist und deren Vorarbeiten in die Tübinger Zeit zurückreichen, das neue methodische Konzept praktiziert. Sie verläßt den, wie Triepel selbst sagt, „bequemen, aber sicherlich falschen Weg, Rechtssätze aus begrifflichen Konstruktionen abzuleiten"76. Triepel plädiert hier entschieden für eine von ihm so genannte „dynamische" Behandlung des Staatsrechts: sie läßt das Recht als durch politische Kräfte bedingt verstehen, sieht aber auch umgekehrt das Recht als eigengewichtigen, formenden undrichtungsweisenden Faktor im politischen Kräftefeld 77. Schon hier findet sich all das gesagt und in die Tat umgesetzt, was 1926 scheinbar neu und programmatisch und nun mit polemischer Absetzung gegenüber der normlogischen Schule ausgeführt wird. Auch die „Streitigkeiten" von 1923 bilden ein bemerkenswertes Glied in dieser Kette der methodologischen Kontinuität 78 . Und an diesem Konzept einer publizistischen Interessenjurisprudenz hat Triepel bis zuletzt, bis hin zu den theoretischen Reflexionen seiner Rechtsästhetik festgehalten 79. 71
Vgl. dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (1951), S. 341 f.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1960), S. 47 ff. - Signifikant im übrigen der Hinweis Max Rümelins auf Triepel: Erlebte Wandlungen in Wissenschaft und Lehre (1930), S. 22 Anm. 2. Siehe ferner Max Rümelin, in: Die Rechtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen, hrsg. v. H. Planitz, Bd. 2 (1925), S. 186: im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts habe sich eine Fakultätsgemeinschaft entwickelt, „wie man sie sich harmonischer und anregender nicht denken kann... Die nahen Beziehungen erstreckten sich auch auf die Staatsrechtslehrer, die damals zur Staatswissenschaftlichen Fakultät gehörten..(vgl. dazu auch oben bei Anm. 10). 72 A. a. O., S. III. 73
Sie trägt den bezeichnenden Untertitel „eine staatsrechtliche und politische Studie". 74 Vgl. u.a. S. 287, 316 ff., 326 f. 75 Staatsrecht und Politik, S. 9. Zur Wirkung Gierkes und Haenels auf Triepel vgl. Erich Kaufmann, DRZ, a. a. O. 76 A. a. O., S. 6. Vgl. auch die treffende Auseinandersetzung mit begriffsjuristischer Methodik in der unten B V 1 angeführten Rezension. 77 Reichsaufsicht, S. 2. Explizite methodologische Erwägungen im übrigen u. a. S. 9, 166 ff., 272, 289, 398, 537 f. ™ Vgl. etwa S. 49 ff. 79 Vgl. bes. S. 118 ff., wo er Begriffs- und Interessenjurisprudenz als zwei grundlegende Stilarten der Rechtswissenschaft vorstellt. Im übrigen tritt er hier für die Bezeichnung „Wert-
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Es geht hier nun nicht darum, die Tragfähigkeit dieser methodischen Basis im einzelnen zu prüfen. Es sei nur angedeutet: man wird das Verhaftetsein an den Schematismus von „Sein und Sollen" kritisch konstatieren und die Art und Weise der postulierten „Verbindung der politischen Erwägung mit der logisch-formalen Begriffsarbeit" ebenso wie den Prozeß der „verstehenden" und der „lückenfüllenden" Konstruktion im einzelnen ungeklärt finden. Zu diskutieren wäre die zugrundegelegte Geistphilosophie80, für die sich Triepel später vornehmlich auf Nicolai Hartmann berief 81 . Insgesamt wird man eine ausgefaltete materiale Staats- und Verfassungstheorie vermissen, in der allein eine publizistische „Wertjurisprudenz" ihren festen Ort haben könnte. Beläßt man aber Triepel in seiner Zeit und stellt man gebührend in Rechnung, daß er „durch und durch Jurist war" (.Bilfinger), nicht so sehr theoretischem und methodologischem Grundlagendenken als vielmehr der Arbeit am positiven Recht und der Rechtspolitik zugewandt813, so bedeutet „Staatsrecht und Politik" als Quintessenz einer schon vielfach erprobten methodischen Grundanschauung ein konstruktives Programm, mit dessen Hilfe es möglich war, die der Jurisprudenz gestellten Aufgaben zu erfüllen. Vielleicht läßt sich Triepels Grundkonzeption zusammenfassend als rechtsethisch gebundene, wertorientierte Teleologik charakterisieren, in welcher Recht und Wirklichkeit 82 positiv aufeinander bezogen sind und in welcher analytisch-systematische Konstruktion und sachnahe, zweckgerichtete Einzelexegese je zu ihrem Teil zusammenwirken. Er konnte damit Gefahren begegnen, denen die juristische Arbeit permanent ausgesetzt ist. Einmal war es von dieser Basis aus nicht mehr möglich, sich in das „Wetterhäuschen" (Horst Ehmke) eines begriffsjuristischen oder normativistischen Positivismus, auf eine „Rechtslehre ohne Recht" oder eine „Staatslehre ohne Staat" zurückzuziehen. Auf der anderen Seite war Triepel von der „normativen Kraft des Normativen" (Wilhelm Hennis) zutiefst überzeugt. Dadurch konnte er der Verfälschung des Rechts in einer Situationsjurisprudenz oder dem Abfall in einen soziologischen Positivismus wehren. Ebensowenig ließ sich von hier aus die Spannung zwischen Recht und Wirklichkeit im Bereich des Staatlich-Politischen zugunsten einer „Kinetik" (Petraschek) des ständig zu erneuernden Prozesses staatlicher Einheitsbildung verjurisprudenz" ein, weil „lnteressenjurisprudenz" einer materialistischen Blickverengung Vorschub leisten könne. 80 Vgl. dazu auch P. von Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus. Phil. Diss. (masch.) Göttingen 1953, S. 5 f. 81 Vom Stil des Rechts, S. 121 f. 81a Treffend dazu Smend, Forschungen und Fortschritte, a. a. O., S. 59: Triepel „hat seine Lebensaufgabe nicht in der Beteiligung am Methodenstreit gesehen, sondern in strengster und gewissenhaftester Arbeit am Stoff und in dem so zu gewinnenden Höchstmaß an Einsicht in die Dinge und in das Gesetz, das in und über den Dingen ist". 82 Triepels Forderung nach einer „dem Leben zugewandten Staats- und Rechtslehre" (Staatsrecht und Politik, S. 20) wird mißdeutet, wenn sie, „ganz im Sinne der populären Lebensphilosophie der Stunde" verstanden wird: so Sontheimer, a. a. O., S. 88. In der ersten Rektoratsrede ist davon jedenfalls nichts zu finden.
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kürzen. Schließlich wurde aber auch das positive Recht nicht auf ein vorausliegendes, ungeschichtlich ausgeformtes „weithierarchisches" Naturrechtssystem hin instrumentalisiert. Während Triepel sich dem im engeren Sinne Methodologischen einer neuen, aber keineswegs revolutionären Richtung des Privatrechts anschließt und damit eine im Zeichen des Privatrechts begriffsjuristischer Provenienz etablierte staatsrechtliche Schule83 zu überwinden trachtet, ist er in der Sicht des Politischen durchaus konservativ. Denn die Bestimmung des Politischen von Staatszwecken her 84 ordnet ihn noch ein in die alte Traditionslinie der Politik als der Wissenschaft von der guten Ordnung des Gemeinwesens und dem rechten Handeln in ihm, für welche die Frage nach dem „finis" staatlicher Wirksamkeit entscheidend ist 85 . Auch mit dieser Anknüpfung an die traditionelle Lehre von den Staatszwecken erweist Triepel, wie sehr ihm die Wissenschaft vom politischen Recht, vom Staatsrecht, eine im Horizont der philosophia practica stehende praktische Disziplin bedeutet. Und auch hier ist er typischen Gefahren entgegengetreten: die Anerkennung von Staatszwecken schließt immer die Annahme prinzipieller Begrenztheit staatlicher Wirksamkeit ein, sie geht nicht von dem Axiom der Omnipotenz oder Omnikompetenz des Staates aus. Das Politische hat darum nicht seinen Sitz im Prozeß des Machterwerbs. Erst recht nicht macht die Bestimmung von Freund und Feind das Wesen des Politischen aus: Triepel ist dieser bekannten These von Carl Schmitt einmal ausdrücklich entgegengetreten86.
VI. Die beiden Rektoratsreden Triepels liegen nur knapp ein Jahr aus einander. Aber in „Die Staatsverfassung und die politischen Parteien" herrscht eine ganz andere Atmosphäre: Nach Triepel ist die Parteiendemokratie, wie sie sich tatsächlich entwickelt hat, mit dem von Verfassungswegen normierten System der parlamentarischen Repräsentativdemokratie unvereinbar. Nach liberalen Prinzipien geformtes Recht und massendemokratische Wirklichkeit stehen sich unversöhnlich gegenüber 87 . Das Umsichgreifen von Parteiherrschaft und Parteienstaat könne aber nur als Symptom einer Krankheit gesehen werden, als Zeichen der Entartung des staatlichen Körpers 88. Diese Entartung sei letztlich nur der Ausdruck einer „atomi83 Siehe dazu die oben Anm. 80 angeführte Studie von Oertzens und von demselben: Die Bedeutung C. F. von Gerbers für die deutsche Staatsrechtslehre, in: Staatsverfassung und Kirchenordnung. Festgabe für Rudolf Smend (1962), S. 183-208, sowie W. Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert (1958). 84 Vgl. Streitigkeiten, S. 17; Staatsrecht und Politik, S. 10; VVDStRL 5 (1928), S. 7. 85 Vgl. dazu Hennis, Politik und praktische Philosophie (1963), S. 78. 86 VVDStRL 5 (1928), S. 6 f. 87 A. a. O., S. 33. 88 A. a. O., S. 34.
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stisch-individualistischen" Staatsauffassung 89. Diese gelte es aufzugeben und durch eine „organische" Staatsauffassung zu ersetzen. Triepel hält das nicht für eine romantische Illusion: die Stunde der Parteien werde schlagen; allenthalben seien „andere gemeinschaftsbildende Kräfte" am Werk, er spricht von Kräften einer personal und territorial reich gegliederten neuen Selbstverwaltung, die sich „mit elementarer Gewalt aus dem Schöße des Volks" herausringen werde. Dann herrsche nicht mehr Individualismus und Mechanismus, sondern der Staat werde zum „echten Organismus" werden. Von der Parteienrede konnte Karl Dietrich Bracher, der Geschichtsschreiber des Auflösungsprozesses der Weimarer Republik, sagen, in ihr zeichneten sich bei aller Zurückhaltung die Umrisse einer autoritären Staatstheorie ab, die dann die literarischen und politischen Befürworter der Präsidialregierung und besonders des Papen-Experiments hätten aufnehmen können90. Was hat es damit auf sich? Will man der Parteienschrift Triepels gerecht werden, so muß man sich natürlich die ganze Schärfe der zeitgeschichtlichen Situation vor Augen halten: die durch das herrschende Verhältniswahlsystem unterstützte Parteienzersplitterung, die Unfähigkeit zur Bildung stabiler Regierungen, die Radikalisierung der politischen Auseinandersetzungen im Zeichen der zunehmenden wirtschaftlichen Krise, das große Maß an Desintegration des politischen Gemeinwesens. „Integration" und „Organismus" mußten sich da als Kennzeichnungen für ein positives Gegenbild geradezu aufdrängen. Aber das Bekenntnis Triepels zu der prognostizierten neuen staatlichen Ordnung steht in einem eigentümlichen Halbdunkel. Es fällt das Wort von einer den Egalitarismus ablösenden „Führeroligarchie" 91, andererseits klingt der Gedanke einer korporativ-ständischen Gliederung des Staates an 92 . Von Demokratie und demokratischem Prinzip ist kaum mehr die Rede, um so mehr ist leitend der Gedanke der Rettung „des Staates" vor den Parteien. Auch hier darf zunächst eine werkgeschichtliche Beobachtung Platz greifen, die zeigt, daß die Parteienrede kein ad-hoc-Produkt ohne Vorgeschichte ist. Das Phänomen der politischen Parteien hat Triepel früh zu beschäftigen begonnen. Erstes Zeugnis hierfür ist die aufschlußreiche Studie über „Wahlrecht und Wahlpflicht" aus dem Jahre 1900, wo er in Abwehr von Mirabeaus Spiegeltheorie für den konstitutionellen Staat „nicht das Parlament, das ein getreues Abbild der Zerrissenheit des Volkes in unversöhnliche Parteien gewährt", als Ideal reklamiert, sondern das Parlament, „das aus den Kundigsten, Ehrlichsten und Fähigsten des Volkes be89 Dies und das folgende a. a. O., S. 36 f. 90 Die Auflösung der Weimarer Republik (3. Aufl. 1960), S. 39. Vgl. auch Sontheimer, a. a. O., S. 102. Zur Diskussion der Historiker über die Probleme des „Parteienstaates" vgl. W. Conze, Die Krise des Parteienstaates in Deutschland 1929/30, HZ 178 (1954) S. 74-83, sowie K. D. Bracher, Parteienstaat - Präsidialsystem - Notstand (1962), in: Deutschland zwischen Demokratie und Diktatur (1964), S. 33-49. 91 S. 35 f. 92 S. 35. 31 Hollerbach
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stehend das für das Volksganze Beste unabhängig nach oben und unten zu erreichen imstande ist" 9 3 . Diese liberal-aristokratische Grundauffassung vom Wesen des Parlamentarismus ist für ihn bestimmend geblieben. Für die fortwährende Beschäftigung mit dem Problemkreis „politische Parteien" spricht sodann die bemerkenswerte Tatsache, daß Triepel - ausweislich des Vorlesungsverzeichnisses - im Sommerhalbjahr 1906 an der Tübinger Universität einstündig über „Die politischen Parteien" gelesen hat. Diese Vorlesung mag im Zusammenhang gestanden haben mit der instruktiven Parteianalyse sub specie Unitarismus und Föderalismus 94 . Unmittelbar anknüpfen konnte die Parteienrede dann aber an einen Zeitungsartikel, den Triepel unter dem Titel „Der Staat und die politischen Parteien" in der Leipziger Zeitung vom 31.12. 1909 veröffentlicht hatte 95 . Zwar fehlen auch hier die kritischen Beobachtungen nicht, Parteigebundenheit und Parteidisziplin werden perhorresziert, Triepel sieht erste Zeichen einer „Amerikanisierung" des öffentlichen Lebens. Aber der Artikel ist in seiner Grundtendenz offener und parteienfreundlicher als die spätere Rede 96 , in der unverkennbar ein Anti-ParteienAffekt mitschwingt. Bei einer methodenkritischen Analyse von Triepels Parteienschrift wird man beobachten, daß es zu dem Konflikt zwischen Parteien und Staat geradezu begriffsnotwendig kommen muß : Partei sei eine, so wird gesagt, „in fester Form vereinsmäßig gestaltete Kampfgenossenschaft, die zur Erreichung politischer Ziele eine Macht über den Staat zu gewinnen strebt" 97 . Parteien seien, so wird ergänzt, vielfach fluktuierende Größen von oft nur ephemeren Zwecksetzungen, sie seien „ihrer Natur nach durchaus auf Eigennutz gestellt" und widerstrebten deshalb „schon von Hause aus der Einbeziehung in eine organische Staatsgemeinschaft" 98. Das wird also schon in apodiktischer Weise begrifflich vorausgesetzt, später werden nur die Folgerungen daraus gezogen. Das ist Inversionsmethode reinsten Stils, von Triepel sonst so sehr getadelt99. Dabei wird das Bild der politischen Parteien einfach „real93 Wahlrecht und Wahlpflicht, S. 34. Vgl. dazu auch den unten B IV 5 verzeichneten Zeitungsartikel. 94 Unitarismus und Föderalismus, S. 88-104. 95 Vgl. Bibliographie IV 2. In der Parteienrede finden sich S. 14-25 mehrfach wörtliche Übernahmen aus dem Artikel von 1909. 96 So heißt es etwa, Parteibildung sei eine gesellschaftliche Erscheinung, „die sich in jedem sozialen Körper aus innerer Notwendigkeit vollzieht und von keiner äußeren Autorität verhindert werden kann"; bei den politischen Parteien handle es sich um gesellschaftliche Gruppen, „auf deren Entstehung, Zusammensetzung und Ausdehnung der Staat nicht den geringsten gesetzlichen Einfluß ausüben kann, und deren Organisation und Tätigkeit sich jeder regelmäßigen Staatsaufsicht entzieht". Man könnte nicht die Einrichtung des Parlamentarismus wollen „und ihre notwendigen Folgen bekämpfen". Von der Gefahr der Übermächtigung des Staates durch die politischen Parteien ist ebensowenig die Rede wie vom Organismusgedanken. 97 A. a. O., S. 13. 98 99
A. a. O., S. 30. Vgl. etwa Staatsrecht und Politik, S. 23; Reichsaufsicht, S. 166.
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analytisch" von der soziologischen Wirklichkeit abgezogen, nach einer Aufgabe der Parteien, nach einem normativen Parteibegriff wird nicht eigentlich gefragt. Sie werden im Gegenteil von vorneherein als desintegrierende Kräfte dem als Einheit vorausgesetzten Staat gegenübergestellt. Ebensowenig wird versucht, nach dem Sinn des staatlichen Konstitutionsprinzips der Demokratie zu fragen. Statt dessen werden - und das ist der eigentliche methodische Sündenfall und der Selbstwiderspruch Triepels im Verhältnis zu „Staatsrecht und Politik" - nach seinen eigenen Worten „formales Recht" und „politische Dynamik" einander unverbunden gegenübergestellt 100. Dafür ist typisch, daß Art. 130 WRV, die einzige Norm, in der (negativ) von den Parteien überhaupt die Rede war, einerseits normativistisch verengt, andererseits über seinen eigentlichen Sinngehalt: die Sicherung sachlicher, unparteiischer und unparteilicher Verwaltungsführung hinaus erweitert wurde 101 . Bei solchen methodischen und sachlichen Engführungen mußte eine unversöhnliche Kluft aufbrechen: der Enthusiast des Rechtsstaats102 ist nicht auch der Enthusiast der Demokratie, deren notwendiges Lebenselement politische Parteien sind. So sehr sich Triepel dagegen verwahrte, Rechtsstaatlichkeit als unpolitisches Ordnungsprinzip zu verstehen 103, so wenig gelang es ihm, im Hinblick auf das Phänomen der politischen Parteien Rechtsstaat und Demokratie in ein positives Verhältnis, ein Innen-Verhältnis sozusagen, zu bringen. Wenn demgegenüber das Heil in einer organischen Staatsauffassung gesucht wird, so wäre es allerdings ein Mißverständnis, diesen Gedanken aus der Traditionslinie des von Ernst-Wolfgang Böckenförde treffend so genannten „organischen Liberalismus" 104 der nationalen Bewegung des 19. Jahrhunderts herauszulösen und die Lehre vom Organismus nur noch als Einfallstor für Irrationalismus oder gar mythischen Kollektivismus mit seiner Entsprechung in einem System der plebiszitären Führerdemokratie zu betrachten. Zwar ist die Parteienschrift Triepels nicht frei von mißverständlichen Wendungen, aber der eigentliche Gegner ist gerade die im Sinne eines jakobinischen Freiheits- und Gleichheitsideals egalitäre Masse, deren Anfälligkeit für cäsaristische Diktatur die geschichtliche Erfahrung zu sehen gelehrt hat. Deshalb bleibt die von Triepel beschworene Staatsauffassung des Organismus 105 - wie bei Hugo Preuß und wie bei diesem von der Gedanken100 Parteienschrift, S. 29. Vgl. dazu K. Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im modernen Staat, VVDStRL 17 (1958), S. 12, jetzt auch W. Henke, Das Recht der politischen Parteien (1964), S. 5 f. 101 A. a. O., S. 28; VVDStRL 4 (1927), S. 90. 102 Vgl. oben S. 426 ff. 103 VVDStRL 5 (1928), S. 7. 104 Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert (1961), S. 74 ff. 105 Triepel hat sich, soweit ersichtlich, andernorts nie einläßlich über die organische Rechts- und Staatslehre ausgesprochen; vgl. allenfalls Reichsaufsicht, S. 146, wo er aus Anlaß eines Einzelproblems mit Recht meint, man dürfe „bei aller schuldigen Achtung vor der organischen Staatsanschauung und vor ihrer staatstheoretischen wie politischen Bedeutung 3*
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weit Otto von Gierkes geprägt - notwendig mit Selbstverwaltung und Repräsentation, unverzichtbar aber auch mit Rechtsstaatlichkeit verbunden. Bei einer Gesamtwürdigung darf schließlich eine spätere sehr kennzeichnende Äußerung Triepels zu dieser Problematik nicht übersehen werden. Auf der letzten Tagung der Staatsrechtslehrervereinigung vor 1933 hat er ausführlich zu dem Referat seines Schülers Gerhard Leibholz über die Wahlrechtsreform Stellung genommen106. Daran ist bemerkenswert, daß er nun nicht mehr auf die Prognose der Parteienrede vom Absterben der Parteien rekurriert, die als Abkehr vom demokratischen Prinzip überhaupt verstanden werden konnte, sondern daß ihn jetzt die Gefahr des Umschlagens der parteienstaatlichen Massendemokratie in ein plebiszitär-autoritäres Staatssystem bewegt. Gerade deshalb wendet er sich nun dagegen, sich dem allgemeinen Trend einfach hinzugeben. Nicht die Sicherung des Staates als solchen vor einer Übermächtigung durch den Parteienpluralismus ist jetzt der leitende Gedanke, sondern die Sicherung des rechtsstaatlich-demokratischen Systems selbst 107 . Er tritt deshalb der schroff antithetischen Gegenüberstellung von parteienstaatlicher Massendemokratie (beruhend auf dem Verhältniswahlsystem) einerseits und Repräsentationsprinzip klassisch-liberaler Prägung (wesensmäßig verknüpft mit dem Mehrheitswahlsystem) andererseits entgegen. Er hält einen Ausgleich für theoretisch möglich und praktisch geboten. Er erwägt deshalb die Schaffung eines Zweikammersystems und schlägt die Einführung des Mehrheitswahlsystems vor, auch hier sich von Doktrinarismus freihaltend, insofern er eine Verbindung mit dem Verhältniswahlsystem für zulässig ansieht. So ist hier an die Stelle der Berufung auf Vokabeln wie „echter Organismus" wieder nüchterne rechtspolitische Überlegung im Hinblick auf die Erhaltung und Stärkung der Verfassungsordnung getreten. Indes, das Grundproblem des Verhältnisses von Rechtsstaat und Demokratie, die Frage nach ihrer Integrierung in einer Grundkonzeption, welche ihre wechselseitige Bedingtheit erkennen läßt, sollte in einer ganz neuen Konstellation noch einmal in einer Partikel des Triepelschen Werks aufbrechen. In einem am 2. 4. 1933 in der bürgerlich-national ausgerichteten „Deutschen Allgemeinen Zeitung" 1 0 8 erschienenen Aufsatz hat Triepel als „Mann des Rechts" und „warmer Verehrer des deutschen Rechtsgeistes" zum Verfassungsumsturz vom Frühjahr 1933 Stellung genommen. Auf die Qualifikation der Ereignisse als Revolution wurde schon oben verwiesen 109 . Im jetzigen Zusammenhang sind hervorzuheben niemals vergessen, daß sie nichts anderes enthält als eine Abstraktion aus einer Fülle einzelner realer Erscheinungen, und daß alle Verhältnisse von Staat zu Staatsgenossen stets Verhältnisse von Menschen zu Menschen sind, die sich nur durch die besondere Gemeinschaftsstellung der einen vor den übrigen Verhältnissen des Gemeinlebens auszeichnen". 106 VVDStRL 7 (1930), S. 194-198. i° 7 Hier, S. 197, die schon oben (S. 426 ff.) angezogene Apologie des Rechtsstaats, ferner etwa die Warnung vor dem Mißbrauch des Begriffs „Legitimierung" - „heute ist jedermann geneigt, alles, was ihm nicht gefällt, als nicht legitimiert zu bezeichnen". los Über die DAZ vgl. Rudolf Pechel, Staatslexikon I I (1958), Sp. 603 f.
Zu Leben und Werk Heinrich Triepels auf der einen Seite Triepels mahnendes Eintreten für Rechtsstaatlichkeit mit Worten, welche die schon f r ü h e r 1 1 0 eingelegte Verwahrung gegen die Diskreditierung liberalen Gedankenguts noch einmal bekräftigen 1 1 1 , auf der anderen Seite der kräftige Nachklang der Schlußpartie der Parteienrede, auf die sich denn Triepel mit wörtlichen Zitaten auch ausdrücklich beruft. „Heute lebe ich des fröhlichen Glaubens, daß mir ein gnädiges Geschick noch vergönnen wird, selbst zu sehen, was ich damals nur als schönen Traum zu deuten wagte" - so endet der Artikel. Man geht nicht fehl, wenn man Triepel zu denjenigen rechnet, die alsbald erkannt haben, daß ihre Hoffnung fehlgeschlagen ist. Die zum Siege gelangte Partei hat das Kleid einer Partei nicht abgestreift, sondern sich den Staat dienstbar gem a c h t 1 1 2 . Für die Wahrung von Recht und Freiheit und für die Verwirklichung des Konstitutionsprinzips körperschaftlicher Selbstverwaltung in einem organischen Gemeinwesen haben sich andere Maßstäbe Geltung verschafft, die nicht mehr die 109 Vgl. oben S. 427, Zum Ermächtigungsgesetz wird gesagt: „Der Inhalt des Gesetzes steht unzweifelhaft zu den Grundgedanken der Weimarer Verfassung in vollem Widerspruch. Denn wenn ein verfassungsänderndes Gesetz das ganze System des in einer Verfassungsurkunde vorgezeichneten konstitutionellen Lebens auf vier Jahre in Schlummer versetzt - wobei so gut wie sicher ist, daß das Schlummernde nicht wieder geweckt werden wird - so ist dies ein in sich revolutionärer Akt. Und doch ist er in formeller Legalität vor sich gegangen, woran auch die Tatsache nichts ändert, daß sich ein Teil der dem Gesetz Zustimmenden nur unter dem Druck der Besorgnis vor illegaler Revolution oder Bürgerkrieg zur Zustimmung bereitgefunden hat". Vgl. dazu auch Hans Schneider, Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 (2. Aufl. 1961), S. 38. no Vgl. VVDStRL 7 (1930), S. 197 und dazu oben S. 426 ff. 111
„Der Kanzler legt Wert darauf, sein Gefühl für das Recht überhaupt zu betonen. Wir nehmen ihn beim Worte. Das Ermächtigungsgesetz hat ihm in bündigster Form die Reichsverfassung zur Verfügung gestellt. Auch den Teil, der die Überschrift »Grundrechte und Grundpflichten des deutschen Volkes' trägt. In diesem Kapitel steht manches Wunderliche, manches Kompromißlerische und manches »Marxistische4. Soll es ausgemerzt werden, so weinen wir ihm keine Träne nach. Aber es ist dort auch vieles enthalten, was echtes altes deutsches Rechtsgut darstellt. Darunter manches »Freiheitsrecht', das man nicht mit einer Handbewegung als Erzeugnis eines überlebten Liberalismus' abtun darf, was vielmehr Jahrhunderte, bevor das Wort »liberal' erfunden wurde, in schweren Kämpfen von tapferen Männern germanischen Blutes in Deutschland, in den Niederlanden, in England dem Despotismus weltlicher und kirchlicher Gewalten abgetrotzt worden ist. Diese Freiheitsrechte können zwar in Not- und Ausnahmefällen angetastet, aber sie können nicht dauernd vernichtet werden. Der deutsche Bauer und der deutsche Arbeiter, aber auch der deutsche Handwerker und der deutsche Gelehrte, sie alle wollen ,als freies Volk auf freiem Grunde stehen'." 112 „Der wuchtige Stoß der nationalen Revolution hat sich gegen den demokratisch-parlamentarischen Parteienstaat gerichtet. Dieser ist dem Stoße erlegen und es gehört keine Sehergabe dazu, um zu prophezeien: der Tote wird nicht wieder auferstehen. Er wird es um so weniger, je rascher gelingt, was gelingen muß - ein heikler Punkt, der indessen in aller Offenheit erörtert werden muß - wenn es gelingt, der jetzt zum Siege gelangten Partei das Kleid einer Partei abzustreifen und sie zu verwandeln in eine das ganze Volk umfassende Gemeinschaft, der sich ein jeder in Freiheit einzuordnen imstande ist. Fast scheint es, als ob die Zerstörung des Parteienstaates nur dadurch geschehen kann, daß eine Partei zunächst alle andern vernichtet. Aber der Sieger wird sein wahres Ziel erst erreicht haben, wenn er selbst in der nationalen Gemeinschaft aufgegangen ist."
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Maßstäbe Triepels waren, sondern die schließlich zu einer Rechtsverwüstung geführt haben. Triepel hat später unter der scheinbar rein ästhetischen Kategorie der Häßlichkeit davon gehandelt - in Wirklichkeit war Häßlichkeit für ihn nur die Chiffre für „starken Mangel an Sittlichkeit" oder „hohes Maß an Unsittlichkeit" 113 .
vn. Heinrich Triepel ist kein Mann, an dessen Werk sich die Geister scheiden. Es ist auch fraglich, ob man ihn mit dem von Erik Wolf geprägten Begriff einen „großen Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte" nennen darf, wenn dieser Begriff Kontur bewahren soll. Doch handelt es sich bei dieser kleinen Studie nicht um die Schattenbeschwörung einer Randfigur der Geschichte der deutschen Wissenschaft vom öffentlichen Recht. Heinrich Triepel ist vielmehr ohne Zögern den Klassikern der deutschen Rechtswissenschaft zuzurechnen, deren Leben und Werk im Gang der Geschichte exemplarische Bedeutung behalten werden.
Bibliographischer Hinweis Die Thematik ist jetzt umfassend aufgearbeitet in der Tübinger Habilitationsschrift von Ulrich M. Gassner, Heinrich Triepel. Leben und Werk, Berlin 1999. Vgl. dazu die Besprechung in JZ 2001, S. 1181.
ii3 Vgl. dazu Vom Stil des Rechts, S. 150-153 (150).
Zu Leben und Werk Erik Wolfs* Vor fast genau 25 Jahren hielt Erik Wolf bei einer akademischen Gedächtnisfeier eine Gedenkrede auf Adolf Schönke. Er hat dabei die Aufgabe einer solchen Stunde und einer solchen Rede gültig umschrieben: nämlich „die Trauer in Würdigung zu verwandeln", vor allem aber „dankbar zu bedenken, was uns geblieben ist: das Werk des Gelehrten und die Wirkungen des akademischen Lehrers" 1 . Nun ist freilich das Werk Erik Wolfs so reich und sind seine Wirkungen so vielfältig, daß ein einzelner rasch an die Grenzen seiner Kompetenz und seines Vermögens kommt, wenn er die bleibende Gestalt des Dahingeschiedenen und das Vermächtnis von Person und Werk i m ganzen erfassen soll 2 . Doch, von äußeren Erstveröffentlichung in: Erik Wolf. Studien zur Geschichte des Rechtsdenkens, hrsg. v. Alexander Hollerbach. Frankfurt am Main: Klostermann, 1982, S. 235-271. In diesem Band sind außer Abhandlungen von Erik Wolf auch enthalten eine Fortschreibung seines Schriftenverzeichnisses, ein Bericht über seinen Nachlaß und ein Verzeichnis der von ihm betreuten Dissertationen und Habilitationsschriften. Darauf beziehen sich einige Verweise im nachfolgenden Text. * Überarbeitete und mit Anmerkungen versehene Fassung der Gedenkrede, die bei der Akademischen Trauerfeier am 10. Juni 1978 in der Aula der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. gehalten wurde. Einige Sätze und Passagen waren aus Zeitgründen nicht vorgetragen worden. - Zur bibliographischen Information sei vorweg bemerkt: Ein vollständiges Schriftenverzeichnis erschien zunächst in: Existenz und Ordnung. Festschrift für Erik Wolf zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Thomas Würtenberger/Werner Maihofer/Alexander Hollerbach. Frankfurt am Main 1962, S. 491-504 (Schriftenverzeichnis I). Es wurde dann ergänzt und fortgeschrieben in: Erik Wolf Rechtsphilosophische Studien. Ausgewählte Schriften I, hrsg. v. Alexander Hollerbach, Frankfurt am Main 1972, S. 317-321, gleichlautend in: Rechtstheologische Studien. Ausgewählte Schriften II, S. 343-347 (Schriftenverzeichnis II). Fortführung in diesem Band, oben S. 221-225. 1 Erik Wolf Adolf Schönke 1908-1953. Gedenkrede, gehalten auf der Akademischen Gedächtnisfeier der Universität Freiburg i. Br. am Freitag, 3. Juli 1953, Karlsruhe 1955, S. 7. 2 Schon zu Lebzeiten Erik Wolfs sind einige Arbeiten erschienen, die für das Verstehen und für eine kritische Analyse seines Werks ebenso hilfreich wie unentbehrlich sind: Wilhelm Steinmüller, Evangelische Rechtstheologie. Zweireichelehre, Christokratie, Gnadenrecht, Köln/Graz 1968, S. 257- 453; Walter Heinemann, Die Relevanz der Philosophie Martin Heideggers für das Rechtsdenken, Diss. jur. Freiburg i. Br. 1970, bes. S. 340-378. Von Interesse auch Hans Müller-Zetzsche, Rechtlich Handeln als christliche Maxime. Gedanken zur Rechtstheologie unter besonderer Berücksichtigung von Erik Wolfs „Recht des Nächsten" und der Rechtslehre Immanuel Kants, Diss. theol. Berlin (Humboldt-Universität) 1961 (masch.). Vgl. sodann Quaestiones et Responsa. Ein rechtsphilosophisches Gespräch für Erik Wolf zum 65. Geburtstag, veranstaltet am 15. Juli 1967 von Schülern und Freunden unter Leitung von Thomas Würtenberger, Frankfurt am Main 1968 (Wissenschaft und Gegenwart, 39) und darin: Werner Maihofer, Erik Wolf und die Frage nach dem Naturrecht, S. 15-17; Günther Wendt, Rechtstheologie und Kirchenrecht bei Erik Wolf, S. 18-23; Alexander Hol-
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Gründen ganz abgesehen, verbot es sich, die für Erik W o l f so kennzeichnenden Verschlingungen verschiedener Sachbereiche und Dimensionen aufzulösen und ihn j e gesondert als Strafrechtler, als Rechtsphilosophen, als Historiker der Rechtswissenschaft oder als Rechtstheologen und Kirchenrechtler zu würdigen. U m so weniger darf hier allerdings etwas Abschließendes erwartet werden, was allen Verzweigungen in gleicher Intensität nachzugehen hätte, allenfalls der fragmentarische Versuch einer ersten Bilanz in Gestalt eines Beitrags zur wissenschaftsgeschichtlichen Forschung 3 . Öffentlich danken muß ich der Witwe des Verstorbenen, Frau Olga Wolf, und Thomas Würtenberger für die Hilfe, die sie mir gewährt haben.
I. Dem am 13. M a i 1902 in dem später zu einem Teil Wiesbadens gewordenen Residenzstädtchen Biebrich geborenen Franz Erik Wolf waren Momente fruchtbarer Spannung und geistigen Reichtums gewissermaßen in die Wiege gelegt. Der Vater, von Beruf Chemiker, entstammte einer i m Hessen-Nassauischen beheimateten, bäuerlich-handwerklich geprägten Sippe; er war katholisch. Die Mutter, Gertrud Burckhardt, kam aus einem altbaslerischen Patriziergeschlecht, in dem man Juristen und verdiente Kantonspolitiker findet; sie war evangelisch-reformiert. In diesem Bekenntnis ist auch Erik Wolf erzogen und konfirmiert worden. Zu diesem religiösen Erbteil der Mutter tritt das sprachliche: die meisterliche Beherrschung des Alemannischen hat hier ihren Wurzelgrund. lerbach, Zum geschichtlichen Werk Erik Wolfs, S. 24-30. In der Festschrift für Erik Wolf zum 70. Geburtstag, die 1972 unter dem Titel „Mensch und Recht" erschienen ist, sind dem Dialog mit Erik Wolf in besonderer Weise gewidmet: Thomas Würtenberger, Über Rechtsanthropologie, S. 1 - 2 1 ; Werner von Simson, Zwei Bilder der Freiheit im Recht, S. 22-27. In der Politikwissenschaft sind die neueren rechtstheologischen Arbeiten Erik Wolfs besonders von Alexander Schwan beachtet worden: Personalität und Politik. Mensch, Mitmenschlichkeit und politisches Amt im Verständnis des Christen, in: Festschrift für Anton Betz, Düsseldorf 1963, S. 209-243. Des weiteren hat Erik Wolf sogar Eingang in ein „Wahlfachexaminatorium" gefunden; vgl. den engagierten Beitrag von Et hei Leonore Behrendt über „Rechtsphilosophie und Rechtstheologie" in: WEX 11 Rechtsphilosophie, Karlsruhe 1976, S. 125 — 140. Als Beispiel für die Resonanz im Ausland darf schließlich hingewiesen werden auf Chong-Ko Choi, Leben und Denken Erik Wolfs, in: Festschrift für Prof. Dr. Kyunghak Chang zum 60. Geburtstag, Seoul 1977 (koreanisch, mit deutscher Zusammenfassung), S. 286-317. 3
Zur Ergänzung und Vertiefung sei auf folgende Würdigungen, die seitdem erschienen sind, nachdrücklich hingewiesen: Thomas Würtenberger, Rechtsphilosophie und Rechtstheologie. Zum Tode von Erik Wolf, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 64 (1978) S. 535 546; Hans-Peter Schneider, Erik Wolf zum Gedenken, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 23 (1978) S. 337-342. Siehe ferner Achim Krämer, Erik Wolf f, Neue Juristische Wochenschrift 1978, S. 203 f.; Hanno Kühnert, Das Recht und die Nähe der Theologie. Zum Tode von Erik Wolf, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 244 vom 20. Oktober 1977, S. 25. Ich selbst habe, mit jeweils unterschiedlicher Akzentuierung, durch zwei Gedenkartikel in der Savigny-Zeitschrift zur Würdigung von Leben und Werk Erik Wolfs beizutragen versucht: Germanistische Abteilung 95 (1978) S. 485-491; Kanonistische Abteilung 66 (96) 1979, S. 455-461. Wegen mancher Einzelheiten, die in der Gedenkrede in Anbetracht ihrer zeitlichen Limitierung nicht erwähnt werden konnten, muß ich ausdrücklich darauf verweisen.
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Kindheit und Jugend verliefen nicht ungetrübt. Der Schulbesuch, teils in Deutschland, teils in der Schweiz, war durch längere Sanatoriumsaufenthalte unterbrochen. Diese frühe Erfahrung mit schwerer Krankheit hat Erik Wolf den Blick geschärft für persönliche und soziale Not. Wenn er später über das sozialärztliche Reformwerk Speyrershof berichtete4, ja in einem Lehrgang über Tuberkulose in Heidelberg-Rohrbach eine auch ins Schrifttum eingegangene, methodisch bemerkenswerte Analyse der soziologischen Grundlagen der Fürsorge und Wohlfahrtspflege vortrug 5, so wurde damit ein Stück höchstpersönlicher geistiger Auseinandersetzung mit dem Phänomen Krankheit dokumentiert. Im Herbst 1920 hat Erik Wolf in Frankfurt am Main als Extraneus die deutsche Reifeprüfung abgelegt und unmittelbar danach dort mit dem Studium begonnen. Man wird darin auch - bei aller fortdauernden Verbundenheit mit Basel und der Schweiz - eine Option für Deutschland zu sehen haben, eine Option, die auch später bewußt durchgehalten worden ist. An der noch jungen Frankfurter Universität 6 studierte Erik Wolf drei Semester, eines Nationalökonomie, zwei Jurisprudenz. So sehr er in den Welten von Natur und Kunst, von Geschichte und Philosophie heimisch war, drängte es ihn doch zu praktischer Bewährung im sozialen Leben. Dafür war mit der Hinwendung zur Rechtswissenschaft ein Ansatz gegeben. Unter den damaligen Frankfurter Rechtslehrern ist es wohl besonders Max Ernst Mayer 1 gewesen, der sein Interesse gefördert und ihn an rechtsphilosophische Grundfragen herangeführt hat. Ab seinem vierten Semester hat Erik Wolf in Jena8 studiert. Von seinen dortigen Lehrern, denen er förderliche Anregungen verdankte, hat er für das Zivilrecht 4
Ein sozialärztliches Reformwerk. Das Mittelstandssanatorium „Speyrershof bei Heidelberg, Frankfurter Zeitung, 1. Morgenblatt vom 4. September 1927. 5 Die soziologischen Grundlagen der Wohlfahrtspflege und des Fürsorgeproblems, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 124 (III. Folge 69) 1926, S. 513-534; unter dem Titel „Die soziologischen Grundlagen der Fürsorge und Wohlfahrtspflege" in umgearbeiteter und erweiterter Fassung 1927 bei Fischer in Jena selbständig erschienen. Zugrunde lag ein Vortrag, den Erik Wolf am 2. Oktober 1925 in einem Lehrgang über Tuberkulose im Krankenhaus Rohrbach des Kreises Heidelberg im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Soziale Fürsorge und des Landesversicherungsamts München gehalten hat. 6
Vgl. dazu im allgemeinen Paul Kluke, Die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main 1914 bis 1932, Frankfurt am Main 1972. 7 Über ihn vgl. Hermann Kantorowicz, Max Emst Mayer. Ein Nachruf, Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, Nr. 27 v. 11. Januar 1924, 1. Morgenblatt. Von Mayer (2. 7. 1875 -25. 6. 1923) erschienen damals: Macht, Gewalt und Recht. Rede zur Feier des 18. Januar 1921, Frankfurt am Main 1921 (Frankfurter Universitätsreden 1921), vor allem aber seine Rechtsphilosophie, Berlin 1922 (Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft, I), in der seine Theorie von der Korrelation von „Rechtsnormen und Kulturnormen" - so der Titel seiner grundlegenden Schrift von 1903 - näher entfaltet worden ist. 8
Zur allgemeinen Orientierung vgl. Geschichte der Universität Jena 1548/58-1958. Festgabe zum vierhundertjährigen Universitätsjubiläum, zwei Bände, Jena 1958; Erich Maschke, Universität Jena, Köln - Wien 1969 (Mitteldeutsche Hochschulen, 6).
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Hans Albrecht Fischet, für die Rechtsgeschichte Rudolf Hübner 10 hervorgehoben. Zu besonders engen Beziehungen ist es mit Franz Wilhelm Jerusalem 11 gekommen, dessen Bemühungen um eine Rechts- und Staatssoziologie ihn lebhaft interessiert haben. Aber in früher Reife hat sich Erik Wolf rasch zu erstaunlicher Eigenständigkeit entfaltet. Als er am 28. Februar 1924 die mündliche Doktorprüfung bestand und damit seine Studien formell abschloß, hatte er das 22. Lebensjahr noch nicht vollendet. Es darf von einem Grundakkord gesprochen werden, den Erik W o l f mit seiner Jenenser Dissertation angeschlagen hat. „ D i e Entwicklung des Rechtsbegriffs i m reinen Naturrecht" lautete ihr Thema 1 2 , und es war entfaltet an Hand von Grotius, Pufendorf und Thomasius. Er wollte damit auf der Grundlage einer ebenso methoden- wie geschichtsbewußten Kulturphilosophie zu einer „Gestaltgeschichte der deutschen Rechtswissenschaft" beitragen und auf diese Weise eine damals vorherrschende positivistisch-historistische Geschichtsschreibung der Jurisprudenz überwinden helfen. Dieses Bemühen verband sich mit der anderen Leitidee, Leben und Werk großer Juristen i m Dienst der Erziehung zu rechtsethischem Denken und sozial verantwortlichem Handeln zu vergegenwärtigen 13 . Damit waren für eine moderne Geschichte der Rechtswissenschaft neue Maßstäbe gesetzt.
9 Hans Albrecht Fischer (31. 5. 1874-21. 10. 1942) war seit 1918 Ordinarius für Zivilrecht in Jena. Seine Werke offenbaren eine starke (rechts-)philosophische Prägung, insbesondere: Die Rechtswidrigkeit, mit besonderer Berücksichtigung des Privatrechts, München 1911. Im vorliegenden Zusammenhang ist signifikant ferner die kleine Schrift: Rudolf Eucken und die Rechtsphilosophie, Langensalza 1927 (Schriften aus dem Eucken-Kreis, 28 = Fr. Manns Pädagogisches Magazin; 1144). Fischer hielt bekanntermaßen auch rechtsphilosophische Seminare; dort hat u. a. auch Hans Welzel wesentliche Förderung erfahren. 10 Über Hübner (19. 9. 1864-7. 8. 1945) s. H A. Schultze/v. Lasaulx, Neue Deutsche Biographie IX (1972) S. 717 f. und Hans Thieme, Handwörterbuch der Rechtsgeschichte I I (1978) Sp. 246-248. 11 Franz Wilhelm Jerusalem (21. 6.1883-29. 8. 1970) hat sich in seinem Werk früh soziologischen Fragestellungen geöffnet und in Jena Anfang der zwanziger Jahre ein „Soziologisches Seminar" ins Leben gerufen. In der Geschichte der Soziologie und der Rechtssoziologie scheint er aber heute so gut wie unbekannt zu sein. Erik Wolf hat seine „Soziologie des Rechts I. Gesetzmäßigkeit und Kollektivität" (1925) in einer ausführlichen Besprechung vorgestellt: Archiv des öffentlichen Rechts 49 (1926) S. 415-424, und auch späteren Werken sein Interesse nicht versagt. Vgl. die Besprechungen der „Grundzüge der Soziologie" (1930), Archiv des öffentlichen Rechts 59 (1931) S. 24 f., sowie der „Kritik der Rechtswissenschaft" (1948), Monatsschrift für deutsches Recht 1950, S. 127. Erik Wolf hat überdies seine Schrift „Fragwürdigkeit und Notwendigkeit der Rechtswissenschaft" (1953) Jerusalem zum 70. Geburtstag gewidmet, und zwar „in dankbarer Erinnerung an die Studienjahre in Jena 19221924". 12 Die Dissertation - Erstgutachter war E W. Jerusalem - lag zunächst nur maschinenschriftlich vor. In überarbeiteter Fassung erschien sie dann unter dem Titel Grotius, Pufendorf, Thomasius. Drei Kapitel zur Gestaltgeschichte der Rechtswissenschaft, Tübingen 1927 (Heidelberger Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte, 11) 13 Dazu Erik Wolf Über die geschichtliche Größe der Juristen, Die Tatwelt 2 (1926) S. 99-110.
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Auf Jena führt schließlich ein immer wieder zu entdeckendes Spurenelement im Denken Wolfs zurück. Er ist dort nämlich dem Existentialethiker Eberhard Grisebach begegnet, dessen Werk ihn stark beeinflußt hat 14 . Das Denken in Spannungen und Konflikten, kritische Zeitdiagnose, Hinwendung zu konkreter Tat in existentieller Verantwortlichkeit, Kritik am bürgerlichen Individualismus und religiösen Liberalismus: das sind einige Momente des Grisebachschen Werks, aus denen er Impulse aufgenommen hat. II. Eine zweite Entwicklungsphase steht ganz unter dem Signum Heidelbergs mit seinem ausgeprägten geistigen Reizklima. Wolf war dort zunächst für eine Art post-graduate-Studium in der philosophischen Fakultät eingeschrieben und hat Vorlesungen und Seminare bei Heinrich Richert 15, Karl Jaspers 16, Friedrich Gundolf 11, Alfred Weber 18 und Edgar Salin 19 besucht. Jeder dieser Namen steht für eine geistige Welt, in deren Kraftfeld der sensible Erik Wolf seinen weiteren Weg gesucht und gefunden hat. Für seine berufliche Karriere entscheidend sollte indes die Begegnung mit Alexander Graf zu Dohna20 werden. Ihm verdankt er, wie er es selbst formuliert hat, „die erste Wegleitung ins akademische Lehramt". Im Sommersemester 1925 war er sein Privatassistent, ab Herbst wurde ihm die Stelle des Bibliothekars des Juristischen Seminars anvertraut, bis man ihm ab 1. April 1926 die planmäßige Assistentenstelle der Juristischen Fakultät übertrug. Damit kam Erik Wolf in den Genuß einer wenn auch bescheidenen Remuneration, was es ihm ermöglichte, sich der Ausarbeitung seiner Habilitationsschrift zu widmen. 14 Über Grisebach beste Kurzinformation bei Rudolf Meyer, Neue Deutsche Biographie V I I (1966) S. 98. Als Zeugnis der intensiven Beschäftigung und Auseinandersetzung mit Grisebach vgl. von Erik Wolf: Gemeinschaft und Recht als Sinn gegenwärtigen Schicksals, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 20 (1926/27) S. 411 -421, ferner die Besprechung des Werkes „Gegenwart. Eine kritische Ethik" (1928), Archiv des öffentlichen Rechts 55(1929) S. 291-307. 15 Über ihn vgl. aus neuerer Zeit die aufschlußreiche Abhandlung von Rudolf Malter, Heinrich Rickert und Emil Lask, Zeitschrift für philosophische Forschung 23 (1969) S. 86-97. 16 Für eine erste Orientierung über Jaspers vgl. Richard Wisser, Neue Deutsche Biographie X (1974) S. 362-365. 17 Über ihn s. Viktor Schmitz, Neue Deutsche Biographie V I I (1966) S. 319-321. 18 Über ihn s. Arnold Bergstraesser, Handwörterbuch der Sozialwissenschaften X I (1961) S. 554-556. 19 Salin (10. 2. 1892 - 17. 5. 1974) wirkte von 1924 bis 1927 als Professor in Heidelberg. Material zu seiner Würdigung in: Antidoron. Edgar Salin zum 70. Geburtstag, Tübingen 1962; Symposion in memoriam Edgar Salin, Basel 1975. 20 Über ihn Erik Wolf selbst: Neue Deutsche Biographie IV (1959) S. 53 f. Er hat auch dessen „Kernprobleme der Rechtsphilosophie" (1940) bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft neu herausgebracht und mit einem Nachwort sowie einem Schriftenverzeichnis versehen: Darmstadt 1959 (Libelli, LVIH).
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Als Graf Dohna im Sommer 1926 Heidelberg mit Bonn vertauschte, hat sein Nachfolger Gustav Radbruch 21 ohne Zögern die weitere Wegleitung übernommen und Wolfs Habilitation betreut. Grundlage war dafür der später als Buch erschienene erste Teil einer „Strafrechtlichen Schuldlehre" 22. Der Probevortrag sodann, auf den Tag genau drei Jahre nach der Promotion gehalten (28. Februar 1927), behandelte „Die normativen Tatbestandselemente im Strafrecht". In der Antrittsvorlesung vom 30. April 1927 schließlich wandte sich Wolf mutig dem Thema „Verbrechen aus Überzeugung" zu 2 3 . Mit diesen Leistungen hat er sich in der Strafrechtswissenschaft auf Anhieb Rang und Namen verschafft. Erik Wolf hat sich in bezug auf diese frühen Arbeiten ausdrücklich zur geistigen Patenschaft Heinrich Richerts und Emil Lasks 24 bekannt und damit zu einem kultur- und wertphilosophisch orientierten Neukantianismus, der auf eine materiale Bestimmung des Sinns strafrechtlicher Begriffe ausging. Demgemäß war er um eine philosophische Fundierung zentraler strafrechtlicher Fragestellungen bemüht, und er erwies sich von allem Anfang an nicht nur als Strafrechtsdogmatiker, sondern auch, ja wohl in erster Linie, als Strafrechtsphilosoph. Andererseits war ihm auch die Kriminalpolitik ein integrierendes Element seines wissenschaftlichen Bemühens25. Dabei mußte es für einen Schüler von Dohna und Radbruch nahezu eine Selbstverständlichkeit sein, daß er kriminalpolitisch gegen die „Klassiker" die von Franz von Liszt 26 inaugurierte teleologische Reformlinie verfocht und sich zur Internationalen Kriminalistischen Vereinigung hielt 27 . 21 Auch für Radbruch ist Erik Wolf der maßgebende Biograph geworden. Vgl. dazu einerseits „Gustav Radbruchs Leben und Werk" als Einleitung zu der von Erik Wolf herausgegebenen 4. Auflage der Radbruchschen „Rechtsphilosophie" (Stuttgart 1950, S. 17-77), andererseits das erstmals in die 4. Auflage von „Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte" aufgenommene Radbruch-Kapitel (1963, S. 712-765). Nicht zuletzt besorgte Erik Wolf die Herausgabe von Radbruch-Briefen (Göttingen 1968). Aus der neueren Radbruch-Literatur ist jetzt nachdrücklich zu verweisen auf Günter Spendet, Jurist in einer Zeitenwende. Gustav Radbruch zum 100. Geburtstag, Heidelberg / Karlsruhe 1979 (Heidelberger Forum, 5). 22
Strafrechtliche Schuldlehre. 1. Teil: Die gegenwärtige Lage, die theoretischen Voraussetzungen und die methodologische Struktur der strafrechtlichen Schuldlehre, Mannheim/ Berlin/Leipzig 1928. 23 Verbrechen aus Überzeugung, Tübingen 1927 (Recht und Staat, 52). Vgl. zu dieser Thematik auch die Aufsätze: Das Tatmotiv der Pflichtüberzeugung als Voraussetzung einer Sonderstrafe, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 46 (1925) S. 203-218; Zum Problem der Anerkennung von Überzeugungsverbrechen, ebd. 47 (1927) S. 396-403. 24 Strafrechtliche Schuldlehre, S. V I und 2. Vgl. auch den Schrifttumshinweis oben bei Anm. 15 sowie Konrad Hobe, Emils Lasks Rechtsphilosophie, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 59 (1973) S. 221-235. 25 Bezeichnenderweise hat er sich einige Jahre hindurch maßgeblich an den Literaturberichten über „Kriminalpolitik" in der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft beteiligt, so in den Bänden 48 (1928) S. 381-395; 50 (1930) S. 167-184; 51 (1931) S. 272298; 52 (1932) S. 548-571. 26 Kurzportrait durch Erik Wolf in: Religion in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl. III (1929) Sp. 1670. Vgl. auch das Nachwort zu von Liszts berühmtem sog. Marburger Pro-
Zu Leben und Werk Erik Wolfs Man wird aber auch daran erinnern dürfen, daß Erik Wolf in Dohna und Radbruch zwei streng republikanisch gesinnten Rechtslehrern begegnet ist, zwei - wenn man das Wort richtig verstehen möchte - politischen Professoren, die i m Zeichen des demokratischen Liberalismus bzw. der Sozialdemokratie für Weimar gewirkt haben 2 8 . Das hat ihn nicht zu parteipolitischer Betätigung animiert, mit Sicherheit aber zu bewußterem politischen Erleben und zu politischem Nachdenken beigetragen. Es gibt dafür ein bemerkenswertes Dokument. Zusammen mit einem heraldisch bewanderten Freund entwarf er 1926 den Vorschlag einer neuen Reichseinheitsflagge mit den Farben schwarz-gelb-rot - mitnichten als Spielerei, sondern i m Interesse der Festigung der Republik, die in Überwindung der tiefverwurzelten Antagonismen zwischen „kleindeutsch-großdeutsch" und „monarchischdemokratisch" jenseits von „Parteidoktrinarismus" und „Parteipartikularismus" festen Halt finden sollte 2 9 . III. A m selben Tag, an dem Erik W o l f in Heidelberg seine Antrittsvorlesung gehalten hatte, begann für ihn mit der Übermittlung eines ministeriellen Vertretungsauftrags eine i m Rückblick zwar kurze, aber für die Entwicklung der Gelehrtenpersönlichkeit bedeutsame Periode der Wanderung i m Norden Deutschlands mit drei Vertretungssemestern in K i e l 3 0 und drei Ordinariatssemestern in Rostock 3 1 .
gramm, das Erik Wolf in der Reihe „Deutsches Rechtsdenken" ediert hat; vgl. dazu unten bei Anm. 78 sowie im Schriftenverzeichnis dieses Bandes, S. 223 f. 27 Wolf war Mitglied dieser Vereinigung seit 1926 und hat mehrfach an ihren Tagungen teilgenommen. Bei der Frankfurter Tagung vom 12./13. September 1932 hat er eine bemerkenswerte grundsätzliche Stellungnahme zur Strafrechtsreform abgegeben, mit der er den Beruf des deutschen Volkes zur Strafgesetzgebung im damaligen Zeitpunkt bezweifelte, da es „nicht von einer einheitlichen Weltanschauung und damit von einer einheitlichen Staats- und Rechtsgesinnung getragen" sei (Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung, N.F. 6, 1933, S. 190 f.), eine Auffassung, für die er selbst das Epitheton „jungkonservativ" gebrauchte. Er betonte indes deutlich, er sei nicht Nationalsozialist, und verwahrte sich dagegen, daß man „die gesamte jungnationale und jungkonservative Bewegung mit dem Nationalsozialismus identifiziert" (S. 191). Im übrigen trug er Gedanken vor, die Gegenstand seiner Freiburger Antrittsrede „Vom Wesen des Täters" (s. dazu unten bei Anm. 41) gewesen sind. Dabei kam es ihm insbesondere auf die Forderung an, sich philosophisch und politisch vom individualistischen Liberalismus, vom naturalistischen Positivismus und vom formalen Internationalismus abzukehren. 28 Während Radbruchs Mitgliedschaft in der SPD und seine Tätigkeit als Reichsjustizminister allgemein bekannt sind, bedarf es wohl des ausdrücklichen Hinweises darauf, daß Graf Dohna prominentes Mitglied der Deutschen Volkspartei war und der Weimarer Nationalversammlung angehört hat. Beide Persönlichkeiten spielen eine wichtige Rolle bei Herbert Döring, Der Weimarer Kreis. Studien zum politischen Bewußtsein verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik, Meisenheim 1975 (Mannheimer Sozial wissenschaftliche Studien, 10). 29
Die Reichseinheitsflagge. Ein Vorschlag, zusammen mit Otfried Neubecker, Heidelberg 1926, S. 16.
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A m Beginn seines dritten Rostocker Semesters, wo er Nachfolger von Friedrich Wachenfeld 32 geworden war, erreichte ihn ein Ruf nach Kiel, den er auch zum Sommersemester 1930 annahm. Aber da kam es zu einer fast dramatischen Wendung: noch in das Ende seiner Rostocker Zeit platzte der Ruf auf das durch den Weggang von Johannes Nagler 33 nach Breslau freigewordene Freiburger Ordinariat. Die Kostbarkeit eines solchen Rufes war offenbar schon damals so groß, daß Erik Wolf nicht lange zögerte. Allerdings gab ihn das Berliner Kultusministerium nicht schon zum Sommersemester 1930 frei; vielmehr mußte er - nun übrigens neben dem aus Freiburg dorthin berufenen Hermann Kantorowicz 34 - in K i e l die von ihm eingegangenen Verpflichtungen erfüllen. Mittlerweile hatte sich das strafrechtliche Gepäck erweitert und bereichert, vor allem durch die beiden großen Abhandlungen über den Sachbegriff und über die Verwaltungsdelikte, beides für die Entfaltung einer teleologischen Strafrechtswissenschaft fundamentale Arbeiten, die bis heute ihren Rang behalten haben 3 5 . Aber für die rechtsphilosophische Gesamtentwicklung bedeutsamer ist der intensive Kontakt geworden, den Erik Wolf in K i e l mit Gerhart Husserl 36 gehabt hat.
30 Über die damalige Kieler Situation vgl. Erich Döhring, Geschichte der juristischen Fakultät 1665-1965, Neumünster 1965, S. 192-195 (Geschichte der Christian-AlbrechtsUniversität Kiel 1665-1965, Band 3, Teil 1). Erik Wolf hatte den durch den Weggang von Radbruch freigewordenen Lehrstuhl zu vertreten, auf den dann zum 1. 4. 1929 Hermann Kantorowicz berufen wurde. Während dieser Zeit wirkte er neben Eberhard Schmidt (zu ihm: Richard Lange, Eberhard Schmidt. Seine Stellung im Wandel des strafrechtlichen Denkens, Juristenzeitung 1978, S. 541-544), mit dem er in einem regen geistigen Austausch stand. 1930 sollte er dann Nachfolger Schmidts in Kiel werden, der mittlerweile einem Ruf nach Hamburg gefolgt war. 31 Zur allgemeinen Orientierung vgl. Geschichte der Universität Rostock 1419-1969. Festschrift zur 550-Jahrfeier der Universität, Berlin o. J., 2 Bände; Paul Kretschmann, Universität Rostock, Köln/Wien 1969 (Mitteldeutsche Hochschulen, 3). 32 Friedrich Wachenfeld (geb. 6. Oktober 1865, gest. 11. Mai 1928) hatte das Rostocker Ordinariat für Strafrecht und Prozeßrecht seit 1899 inne. 33 Über Nagler und sein Wirken in Freiburg s. Thomas Würtenberger, Die Strafrechtswissenschaft in der Geschichte der Freiburger Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, in: Aus der Geschichte der Rechts- und Staatswissenschaften zu Freiburg i. Br., hrsg. v. Hans Julius Wolff, Freiburg i. Br. 1957, S. 41 f. 34 Zur Tätigkeit von Kantorowicz in Freiburg vgl. Würtenberger, a. a. O. S. 41 -43, zu derjenigen in Kiel vgl. Döhring, a. a. O. S. 195. In „Tat und Schuld" (Zürich und Leipzig 1933) hat sich Kantorowicz übrigens kritisch mit Erik Wolfs Schuldlehre auseinandergesetzt. Doch sagt er dazu in einem bestimmten Zusammenhang: „Ich muß allerdings mit der Möglichkeit rechnen, Wolfs System unrichtig dargestellt zu haben. Denn ich bekenne frei, daß ich sein Werk großenteils nicht verstanden habe" (S. 37 f., Anm. 5). 35 Der Sachbegriff im Strafrecht, in: Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben V (1929) S. 44-71; Die Stellung der Verwaltungsdelikte im Strafrechtssystem, in: Festgabe Frank I I (1930) S. 516-588. Vgl. im übrigen Schriftenverzeichnis I, S. 491 f. 36 Gerhart Husserl (22.12. 1893 - 8. 9.1973) wirkte von 1926 bis 1933 in Kiel; vgl. dazu Döhring S. 196. Das wichtigste Dokument über den Gedankenaustausch mit Gerhart Husserl ist Erik Wolfs Abhandlung „Recht und Welt. Bemerkungen zu der gleichnamigen Schrift von
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Die Phänomenologie schloß sich ihm auf und brachte die Stützen des neukantianischen Weltbildes ins Wanken. Zudem fiel in die Kieler Zeit eine erste Begegnung mit Martin Heidegger. Er lernte ihn dort am 15. Juni 1928 aus Anlaß eines KantVortrages kennen37. Es war der Beginn einer lebenslangen Beziehung und Gesprächspartnerschaft, die sich dann in Freiburg verdichten sollte, ja nicht nur dies: Martin Heidegger ist ihm zu einem seiner, wie er selbst formuliert hat 38 , „wirklichen Lehrer" geworden. IV. Mit dem Wintersemester 1930/31 begann Erik Wolfs Wirken in Freiburg. Sein Lehrauftrag war amtlich mit „Strafrecht, Strafprozeßrecht, Rechtsphilosophie, Allgemeine Rechtslehre und Gefängniskunde" umschrieben. Dazu wurde er in aller Form zum Direktor des von ihm in einer weitsichtigen Pioniertat neu gegründeten Seminars für Strafvollzugskunde ernannt 39. Damit fand ein Plan Verwirklichung, den er schon für Kiel gehegt hatte und der zeigt, wie sehr er das Ganze der Kriminalwissenschaften im Blick hatte 40 . Später kam ein weiteres signifikantes Moment hinzu: von 1937 bis 1945 fungierte Erik Wolf als Hilfsrichter am Freiburger Landgericht, und zwar in einer Großen Strafkammer und im Schwurgericht. Die dort gemachten praktischen Erfahrungen haben ihn immer wieder beschäftigt. Der Strafrechtstheoretiker Wolf hat sich am 12. November 1931 mit seiner programmatischen Antrittsrede „Vom Wesen des Täters" 41 in Freiburg öffentlich vorGerhart Husserl", Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 90 (1931) S. 328-346. Über G. Husserl vgl. den Nachruf von Alexander Hollerbach, Juristenzeitung 1974, S. 36 f. 37 In einer Tagebuch-Notiz heißt es: „Um acht Uhr Vortrag von Heidegger über Kant. Ihn nachher zu Husserls begleitet, lange dort". Der Vortrag dürfte, nach den entsprechenden Marburger Vorlesungen vom Wintersemester 1925 / 26 und 1927 / 28, die Grundgedanken der 1929 erschienenen Schrift „Kant und das Problem der Metaphysik" zum Gegenstand gehabt haben. 38
So in: Quaestiones et Responsa (Anm. 2), S. 31. Erik Wolf hat selbst kurz darüber berichtet: Ein Seminar für Strafvollzugskunde an der Universität Freiburg i. Br., Blätter für Gefängniskunde 62 (1931) S. 476. Zu den wissenschaftshistorischen Zusammenhängen vgl. auch Heinz Müller-Dietz, Strafvollzugskunde als Lehrfach und wissenschaftliche Disziplin, Bad Homburg v. d. H. 1969, S. 21. 39
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Das Wolfsche Seminar wurde nach dem Zweiten Weltkrieg erweitert und unter dem Titel „Institut für Kriminalistik und Strafvollzugskunde" von Karl Siegfried Bader geleitet. 1955 wurde Thomas Würtenberger zum Direktor des Instituts berufen, das nunmehr in „Institut für Kriminologie und Strafvollzugskunde" umbenannt wurde. Vgl. dazu auch: Das Studium der Rechtswissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br., hrsg. von Christian Determann, Freiburg i. Br. 1956, S. 87. Neuestens (1980) wurde das Institut unter seinem Leiter Klaus Tiedemann erneut umbenannt, und zwar in „Institut für Wirtschaftsstrafrecht und Kriminologie", so daß die auf Erik Wolf zurückführende Traditionslinie im Titel nicht mehr erkennbar ist. Die Institutsbibliothek enthält aber nach wie vor eine reichhaltige strafvollzugswissenschaftliche Sparte. 41
Vom Wesen des Täters. Freiburger Antrittsvorlesung, Tübingen 1932 (Recht und Staat, 87).
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gestellt und zugleich mit der Schrift über „Die Typen der Tatbestandsmäßigkeit"42 den originellen Versuch eines „Allgemeinen Teils des Besonderen Teils" gewagt. Hier ist anknüpfend an Gerhart Husserl und Martin Heidegger von dem Leitbild eines „phänomenologischen Personalismus" die Rede, von dem Programm einer spezifischen Verbindung von „wesenswissenschaftlicher Personlehre" und „juristischer Wertlehre" 43. Davon sind in der Strafrechtsdogmatik starke Anregungen ausgegangen, auch wenn es später zum Teil zu politischen Mißdeutungen gekommen ist. Insgesamt läßt sich von den frühen Wolfschen Arbeiten mit Hans-Heinrich Jescheck sagen, sie seien „nicht tote Vergangenheit", sondern als Vorstufe der neuesten Verbrechenslehre in Deutschland „ein Stück lebendiger Gegenwart" 44. War in Freiburg gleich zu Beginn die strafrechtliche Linie im Werk Erik Wolfs kräftig ausgezogen worden, so trat bald eine andere hinzu, die hinfort ebenfalls kennzeichnend und prägend werden sollte: die kirchliche und kirchenrechtlichrechtstheologische45. 1931 wurde er Mitglied des evangelischen Kirchengemeindeausschusses in Freiburg, 1932 des Kirchengemeinderates, wobei er sich zur Fraktion der Kirchlich-Positiven hielt, also nicht zu den religiösen Sozialisten, nicht zu den kirchlich Liberalen, erst recht nicht zu den Deutschen Christen, die er von ihrem Aufkommen an bekämpfen half. Am Jahresende 1932 schrieb er einen sehr signifikanten Aufsatz über „Kirche und Akademiker" nieder, der dann Mitte Januar 1933 in der Freiburger Studentenzeitung erschienen ist 4 6 In seiner Wendung gegen relativistischen Skeptizismus und gegen individualistisches „kirchenfeindliches Christentum" ist er vornehmlich Ausdruck entschiedener positiver Zuwendung zur Kirche, auch und gerade in ihrer Institutionalität. Existentielle Kirchlichkeit: das ist die Losung. Zugleich werden 42
Die Typen der Tatbestandsmäßigkeit. Vorstudien zur Allgemeinen Lehre vom Besonderen Teil des Strafrechts, in: Festschrift für Max Pappenheim, Breslau 1931, S. 379-439; ebd. auch selbständig erschienen als Heft 34 der Veröffentlichungen der Schleswig-Holsteinischen Universitätsgesellschaft. « Vgl. Vom Wesen des Täters, S. 5, 13, 15. 44
Aufbau und Stellung des bedingten Vorsatzes im Verbrechensbegriff, in: Existenz und Ordnung. Festschrift für Erik Wolf zum 60. Geburtstag, Frankfurt am Main 1962, S. 473, überhaupt ein wesentlicher Beitrag zur Würdigung der strafrechtlichen Arbeiten von Erik Wolf. Dieser Komplex kann hier nicht weiter differenziert und vertieft werden. Hilfreich dazu Hans Achenbach, Historische und dogmatische Grundlagen der strafrechtssystematischen Schuldlehre, Berlin 1974 (Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät, Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 12); Klaus Marxen, Der Kampf gegen das liberale Strafrecht. Eine Studie zum Antiliberalismus in der Strafrechtswissenschaft der zwanziger und dreißiger Jahre. Berlin 1975 (Schriften zum Strafrecht 22). 45 Außer dem oben Anm. 3 verzeichneten Nachruf in der Kanonistischen Abteilung der Savigny-Zeitschrift vgl. dazu im einzelnen Alexander Hollerbach, Kirchenrecht an der Freiburger Rechtsfakultät 1918-1945, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 23 (1978) S. 28-49. 46 Kirche und Akademiker, in: Freiburger Studentenzeitung, 6. Semester (1932/33) Nr. 3, Januar 1933, wiederabgedruckt in: Rechtstheologische Studien (1972) S. 257-263, die nachfolgenden Zitate hier S. 262.
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Grenzmarken gesetzt. Bei aller Bejahung des Gemeinschaftsgedankens und der Verflechtung mit der „Welt" wird die Kirche in ihrem Proprium von Staat, Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft abgehoben. Demgemäß werden, so sagt Wolf, „vor allem jene heutigen Versuche großer politischer Bewegungen, die Kirche dem totalen Staat einzuordnen, entgegen ihren Erwartungen die eben beginnende Wiedergeburt christlichen Lebens als kirchlichen Lebens nicht fördern können". Die Kirche darf „weder Gegnerin noch Dienerin des Staates und der Kultur sein. Sie bleibt immer das Jenseitige, Andere, dezidiert Verneinende, wo menschliches Selbstbewußtsein ins Unendliche sich entfaltet und seiner Grenzen vergißt". Mit dieser zugleich nach vorn weisenden Markierung ging Erik Wolf in das Schicksalsjahr 1933. V. Die Ereignisse dieses Jahres haben ihn vor die Herausforderung gestellt, sich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, den er bisher so gut wie nicht beachtet hatte. Aus der heutigen Perspektive sehen wir ihn dabei für eine kurze Wegstrecke in den Jahren 1933/34 straucheln und im Strudel gefährlicher Verstrickungen und Fehleinschätzungen, bis dann die „Kehre" sichtbar wird, die ihn zur Nichtanpassung, zur Distanzierung, ja schließlich zum Widerstand hinführt. Unter dem am 21. April 1933 neu gewählten Rektor Martin Heidegger, dem er aufs stärkste vertraute, wurde er Mitglied des Senats und als solches ein enger Mitarbeiter des Rektors 47. Später ernannte ihn dieser zum Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. Doch hat er dieses Amt nur ein halbes Jahr ausgeübt. Am 23. April 1934 ist er nach dem Rücktritt Heideggers vom Amt des Rektors seinerseits mit allen anderen Dekanen zurückgetreten, nachdem das Experiment einer Umgestaltung der Universitätsverfassung als gescheitert gelten mußte. Die Führungsmannschaft unter Heidegger hatte sich am Widerstand von Kollegen, aber auch am Widerstand und Beherrschungsanspruch der Partei aufgerieben. Schon diese Erfahrung hat Erik Wolf kritisch sensibilisiert. Leitungsaufgaben in der Universität hat er von da an nicht mehr übernommen. Die geistig-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus läßt sich an je zwei Schriften ablesen, die einerseits das Rechts- und Staatsdenken im allgemeinen48, andererseits das Verhältnis von Nationalsozialismus und evan47
Die damaligen Vorgänge sind noch nicht zusammenfassend dargestellt, vergleichbar etwa der wertvollen Arbeit von Uwe Dietrich Adam, Hochschule und Nationalsozialismus. Die Universität Tübingen im Dritten Reich, Tübingen 1977 (Contubernium 23). Zur Würdigung der Haltung Heideggers wichtig aber Alexander Schwan, Politische Philosophie im Denken Heideggers, Köln/Opladen 1965 (Ordo Politicus, 2), und Otto Pöggeler, Philosophie und Politik bei Heidegger, Freiburg i. Br/ München 1972. Zu den tatsächlichen Vorgängen vgl. auch Heidegger selbst in dem nach seinem Tode veröffentlichten Spiegel-Interview: Der Spiegel, Nr. 23 vom 31. Mai 1976, S. 193-219; dort S. 201 über Erik Wolf als Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. 32 Hollerbach
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gelischer Kirche 49 zum Gegenstand haben. Sie sind getragen von der optimistischen Erwartung, es komme zu einer Erneuerung von Rechtsdenken und Rechtspraxis im Dienst des Volkes, das heißt dessen sozialer Befriedung als Voraussetzung für die Überwindung der Krise der bürgerlichen Gesellschaft. In dieser Zielrichtung wird auch der Versuch unternommen, Nationalsozialismus und evangelisches Christentum, autoritären Führerstaat und Kirche in ein positives Beziehungsverhältnis zueinander zu bringen. Doch gibt es in diesen Schriften nirgendwo Total-Affirmation. Daß Volk und Staat der Rechtfertigung durch die höchste Autorität Gottes bedürfen, wird mehrfach hervorgehoben, oder es wird deutlich warnend ausgesprochen50, daß im Gedanken des totalen Staates „eine Tendenz zur Selbstautorisierung und Selbstrechtfertigung, ja zur Selbstvergottung" liegt. Man hat offenbar solche und andere Vorbehalte und Differenzierungen sehr wohl verstanden. So hat etwa im Jahre 1935 „Der Alemanne", das „Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens", Erik Wolf in einer heftigen Polemik mangelnde Orthodoxie in der Rassenfrage vorgeworfen 51. Auf solche Erfahrungen möchte man es zurückführen, wenn er einmal in einer Besprechungsabhandlung solches Schrifttum apostrophierte, das nichts anderes ist als „nullprozentiges Gerede oder hundertzwanzigprozentiges Geschrei" 52. Im Strafrecht hat Erik Wolf seine Arbeit fortgeführt und mit „Krisis und Neubau der Strafrechtsreform" von 1933 zunächst einen neuen Akzent gesetzt, indem er als Losung die „Verschmelzung des sozialen und des autoritären Elementes im Strafrecht" ausgab, ohne indes rechtsstaatliche Sicherungen abbauen zu wollen 53 . Aber er hat sein Programm nicht weiter entfaltet, weder das strafrechtsdogmatische noch das kriminalpolitische. Nach 1934 finden sich nur noch Gelegenheitsarbeiten von ihm 5 4 , die, wohl nicht zuletzt aufgrund zunehmender politischer Ernüchterung, in ihrem Elan stark gebremst erscheinen. 1939 schließlich verläßt Erik Wolf mit 48 Richtiges Recht im nationalsozialistischen Staate, Freiburg i.Br. 1934 (Freiburger Universitätsreden, 13); Das Rechtsideal des nationalsozialistischen Staates, Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 28 (1934/35) S. 348-363. 49 Die Aufgaben der evangelisch-christlichen Jugendbewegung im Dritten Reich, Wort und Tat 10 (1934) S. 21-25; Richtiges Recht und evangelischer Glaube, in: Die Nation vor Gott, hrsg. v. Walter Künneth/Helmuth Schreiner, 3. Aufl. Berlin 1934, S. 241-266. 50 In der zuletzt angeführten Arbeit, S. 251. 51 Hellmut Merzdorf, Gegen die Verfälschung des Rassebegriffes, Der Alemanne. Ausgabe vom Sonntag, 27. Oktober 1935. Merzdorf, der ausdrücklich als „Leiter der Abteilung Presse der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums" vorgestellt wird, bezieht sich dabei auf den oben Anm. 48 an erster Stelle angeführten Vortrag von Wolf und polemisiert insbesondere gegen dessen Bemerkung (S. 16), die juristische Bedeutung des Rassegedankens könne nicht in einer rechtlichen Bevorzugung nordischer Rassetypen gegenüber den andern liegen. Oberhaupt sei in der Wolfschen Rede „das klare Wesen der Rasse in einen höchst unklaren Begriff zerredet". 52 Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 55 (1936) S. 168. 53 Krisis und Neubau der Strafrechtsreform, Tübingen 1933 (Recht und Staat, 103) S. 29. 54
Vgl. im einzelnen die Nachweise im Schriftenverzeichnis von 1962, S. 492-494.
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einer größeren Bilanz über den Methodenstreit 5 5 die Bühne des strafrechtlichen Schrifttums. Aber er hat dieses Fach, zuerst neben Eduard Kern 56, dann neben Adolf Schänke 51, bis zum Kriegsende voll vertreten. Sein fruchtbares, den Geboten der Wissenschaftlichkeit verpflichtetes und zunehmend ideologiekritisches Wirken als Freiburger Strafrechtslehrer läßt sich nicht zuletzt ablesen an Arbeiten seiner Schüler. Zwei Habilitationsschriften und zahlreiche Dissertationen sind in jener Zeit von ihm betreut worden 5 8 . Daß dabei die Strafvollzugswissenschaft und die Strafrechtsgeschichte gebührend zum Zuge kamen, darf eigens hervorgehoben werden 5 9 . Das B i l d rundet sich, wenn man eine Dissertation aus dem Jahre 1942 vor sich hat, in der mit äußerster Schärfe gegen Tendenzen der Subjektivierung i m Strafrecht und gegen die Entartungen eines Gesinnungsstrafrechts Front gemacht wird60
55 Der Methodenstreit in der Strafrechtslehre und seine Überwindung. Bemerkungen zu der Schrift von Erich Schwinge, „Irrationalismus und Ganzheitsbetrachtung in der deutschen Rechtswissenschaft", Deutsche Rechtswissenschaft 4 (1939) S. 168-181. Wolf gibt hier einen aufschlußreichen Rückblick, der auch Persönliches anklingen läßt: „Nur wenige hatten an der Gestaltung des Neuen aktiv teilgenommen, die meisten kamen als zögernde, furchtsame oder eifrig- begeisterte Neulinge hinein. Jeder fand dabei seinen eigenen und besonderen, bisweilen beschwerlichen Weg. Dieses aufrüttelnde Erlebnis haben wir alle gehabt, es hat uns »mitgenommen*, teils einander entfremdet, teils wieder zusammengeschweißt. Jeder brachte außer dem guten Willen nur das hinein, was er sich vorher schon erarbeitet hatte. Das war sein Handwerkszeug, mit dem arbeitete er weiter. Dadurch entstand die Gefahr des Aneinandervorbeiredens. Auf einmal erschienen nämlich die verschiedensten Gedanken und Arbeitsweisen als Bestandteile oder Forderungen einer nationalsozialistischen Rechtslehre, nur weil ihre geistigen Urheber sich dem Nationalsozialismus verpflichtet und verbunden wußten" (a. a. O. S. 170). Diese Passage wird auch von Michael Stolleis als bezeichnend angeführt: Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, Berlin 1974, S. 39. 56 über Eduard Kern und sein Wirken in Freiburg s. Hans-Heinrich Jescheck, Eduard Kern. Leben und Werk, Goltdammer's Archiv für Strafrecht 1973, S. 232-241, besonders S. 236, 238 f. 57 Vgl. dazu im einzelnen die oben Anm. 1 angeführte Gedenkrede Wolfs auf Schänke. 58 Vgl. dazu im einzelnen das oben S. 229 ff. abgedruckte Verzeichnis. 59 Vgl. insbesondere die Dissertationen von v. Bülow; Hemken, Krell, Saarn, Schneider und Würtenberger sowie die Habilitationsschriften des letzteren und von Karl Alfred Hall. 60 Karl R. H. Salm, Über die Abgrenzung des strafbaren Versuchs. Studien zum Rechtsund Verbrechensbegriff, Diss. jur. Freiburg i. Br. (masch.) 1942. Darauf aufbauend hat Salm 1957 die Arbeit „Das versuchte Verbrechen. Studien zum Rechtsguts- und Verbrechensbegriff" vorgelegt (Freiburger Rechts- und Staatswissenschaftliche Abhandlungen, 8), die Erik Wolf „in Verehrung" gewidmet ist. Im Vorwort nimmt Salm auf seine Dissertation Bezug und sagt dann: „Inzwischen habe ich den Fragenkreis, wie ich hoffe, klarer und vielschichtiger aufzufassen gelernt. Ich verdanke das einem mehrjährigen Freiburger Seminar bei meinem verehrten Lehrer Erik Wolf; dort durfte, vor und nach Kriegsende, eine unvergeßliche Gemeinschaft von Angehörigen mehrerer Altersstufen, Forschungsrichtungen und religiöser Bekenntnisse aus der biblischen Sicht des Rechtsgedankens wesentliche Erkenntnisse gewinnen". Salm hat seine Konzeption später weiter entwickelt in: Das vollendete Verbrechen. Erster Teil: Über Fahrlässigkeit und Kausalität. Zwei Halbbände, Berlin 1963 und 1967 (Studien zur Erfolgshaftung im Strafrecht).
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VI. Man muß ein neues Blatt aufschlagen, wenn man der Fortführung des früher schon im Ansatz erkennbar gewordenen kirchlichkirchenrechtlichen Wirkens gerecht werden will 6 1 . 1933/34 gehörte Erik Wölf als Mitglied der Fraktion der Positiven der neugebildeten Synode der Evangelischen Landeskirche in Baden an 62 . Bei ihrer ersten und einzigen Sitzung, die im Juli 1934 stattfand, stimmte er mit seiner Fraktion gegen die Eingliederung der Landeskirche in die „Reichskirche" und konnte damit das Vorhaben der Deutschen Christen zu Fall bringen - freilich nur für wenige Tage, da mit deren Mehrheit die ordentliche Landessynode aufgelöst wurde und eine neue, ausschließlich deutschchristlich beherrschte Versammlung am 14. Juli 1934 das „Einigungswerk" beschloß63. Ein weiteres Zeichen seines Widerstandes gegen reichskirchliche Gleichschaltung und ideologische Überfremdung war die Mitgliedschaft im Freiburger Ortsbruderrat der Bekennenden Kirche. Wolf selbst hielt in Freiburg und Umgebung zahlreiche Bekenntnis-Gottesdienste! Im Februar 1936 erfolgte seine Berufung in die Verfassungskammer der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche, wo er sich maßgebend an der Ausarbeitung des Entwurfs einer Übergangsordnung der DEK beteiligte 64 . Die aktive Mitarbeit in der Bekennenden Kirche brachte ihn naturgemäß in Kontakt mit deren in der vordersten Front wirkenden Repräsentanten, so etwa mit Martin Niemöller, zu dessen Verteidigung in einem Strafprozeß Erik Wolf durch die Erstattung eines Rechtsgutachtens über die Auslegung des Kanzelparagraphen beigetragen hat 65 . Auch 61
Vgl. dazu auch die oben Anm. 45 angeführte Abhandlung des Verfassers, S. 38 f.; ferner Jörg Winter, Die Wissenschaft vom Staatskirchenrecht im Dritten Reich, Frankfurt am Main 1979, S. 243- 262. 62 Erik Wolf war vom Erweiterten Oberkirchenrat in die Synode berufen worden, und zwar unter dem 12. 9. 1933, Gesetz- und Verordnungsblatt der Evangelischen Landeskirche Baden 1933, S. 137. 63 Zu den Vorgängen vgl. Verhandlungen der Landessynode der Evangelisch-Protestantischen Landeskirche Badens. Ordentliche Tagung vom 4 . - 6 . Juli 1934, Karlsruhe 1935, S. 14 ff. Im Schrifttum s. Otto Friedrich, Die kirchen- und staatskirchenrechtliche Entwicklung der Evangelischen Landeskirche Badens von 1933-1953, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 3 (1953/54) S. 300-302; ders., Einführung in das Kirchenrecht, 2. Aufl. Göttingen 1978, S. 228 f.; Klaus Scholder, Baden im Kirchenkampf des Dritten Reiches, in: Oberrheinische Studien II, hrsg. v. Alfons Schäfer, Karlsruhe 1973, S. 230-236. Über die Gesamtentwicklung in Baden vgl. auch Kurt Meier, Der Evangelische Kirchenkampf, Göttingen 1976, Bd. 1, S. 436-442; Bd. 2, S. 316-321. 64 Zur Neugestaltung der Kirche. Entwurf einer Übergangsordnung für die Deutsche Evangelische Kirche, hrsg. v. Hans Böhm/Otto Dibelius, Hamburg o. J. (1936), S. 4. S. ferner Wilhelm Niemöller, Die Evangelische Kirche im Dritten Reich, Bielefeld 1956, S. 163 und 263. 65 Darauf basiert der Aufsatz „Anwendbarkeit und Auslegung des ,Kanzelparagraphen' in der Gegenwart", Archiv für evangelisches Kirchenrecht 3 (1939) S. 81 - 98. Zu dem Gesamtkomplex vgl. von Erik Wolf auch: Die Neuordnung der Religionsvergehen im kommenden Deutschen Strafrecht, ebd. 1 (1937) S. 13-39. Zur Würdigung der Beiträge Wolfs im Zu-
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Constantin von Dietze, der 1937 wegen der Abhaltung eines Bekenntnis-Gottesdienstes in Potsdam in ein Verfahren verwickelt war, hat er juristischen Beistand geleistet66. Die von da an datierende enge Beziehung zu von Dietze hat Erik Wolf dann auch in den Freiburger „Bonhoeffer-Kreis" geführt, der 1942 im Auftrag der Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche eine Denkschrift über die politische und soziale Neuordnung Deutschlands nach dem Kriege ausgearbeitet hat 67 . Die Teilnahme an diesen Beratungen mußte ihn natürlich auch der Gestapo verdächtig machen. So wurde er 1944 im Zusammenhang mit der Verhaftung von Dietzes mehrere Stunden von Spezialbeamten vernommen und mit Gewaltmaßnahmen bedroht. Die kirchliche Tätigkeit im Innern drängte auf Ergänzung durch Aktivitäten nach draußen, zur Ökumene hin. Schon seit 1935 ist Erik Wolf Mitarbeiter des Ökumenischen Rates für praktisches Christentum in Genf gewesen. 1937 sollte er an der 2. Konferenz von „faith and order" in Edinburgh teilnehmen; aber der Staat ließ ihn wie die anderen deutschen Vertreter aus der Bekennenden Kirche nicht ausreisen68. Was sich in diesem praktischen Engagement für die bedrängte evangelische Kirche zunehmend verdichtete, fand früh eine Entsprechung im akademischen und literarischen Bereich. Seit Wintersemester 1933/34 hatte Erik Wolf zu seinem großen Pensum auch noch einen Lehrauftrag für evangelisches Kirchenrecht übernommen und so mit dazu beigetragen, in dürftiger Zeit das Kirchenrecht als akademische Disziplin innerhalb der Jurisprudenz aufrecht zu erhalten 69. Zwei frühe, in bezug auf das Verhältnis von Nationalsozialismus und Christentum optimistisammenhang der damaligen Auseinandersetzungen vgl. Klaus J. Volkmann, Die Rechtsprechung staatlicher Gerichte in Kirchensachen 1933 -1945, Mainz 1978, S. 51 - 64. 66 Zu diesem Verfahren vgl. Volkmann, a. a. O. S. 113-115. Das von Erik Wolf unter dem 21. Februar 1938 erstattete Rechtsgutachten ist bisher nicht veröffentlicht. Von Dietze hat später selbst daran erinnert, daß „ein juristischer Kollege" einen „sachlich wichtigen Beitrag" zu seiner Verteidigung geleistet habe: Die Universität Freiburg im Dritten Reich, in: Mitteilungen der List-Gesellschaft 1960/61, S. 97. 67 Vgl. dazu jetzt: In der Stunde Null. Die Denkschrift des Freiburger „Bonhoeffer-Kreises": Politische Gemeinschaftsordnung. Ein Versuch zur Selbstbesinnung des christlichen Gewissens in den politischen Nöten unserer Zeit. Eingeleitet von Helmut Thielicke, mit einem Nachwort von Philipp v. Bismarck, Tübingen 1979. Der als Anlage 1 dieser Denkschrift beigefügte Abschnitt „Rechtsordnung" (S. 101 -107) war von Franz Böhm und Erik Wolf verfaßt. Erstveröffentlichung schon in: Zeugnisse der Bekennenden Kirche, hrsg. v. Erik Wolf, Heft II, Tübingen/Stuttgart 1946, S. 81-87. Zum Ganzen vgl. Christine BlumenbergLampe, Das wirtschaftspolitische Programm der „Freiburger Kreise", Berlin 1973, bes. S. 21-29 (Volkswirtschaftliche Schriften, 208). Zur Beteiligung von Erik Wolf 5. Gerhard Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, Stuttgart 1954, S. 511 f. und 546. 68 Vgl. dazu Erik Wolf selbst, Ordnung der Kirche, Frankfurt am Main 1961, S. 756. Vgl. femer Wilhelm Niemöller (Anm. 64), S. 333. 69 Vgl. dazu im einzelnen die oben Anm. 45 angeführte Studie des Verfassers, insbes. S. 36 f.
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sehe Aufsätze blieben Episode70. Die volle Zuwendung nämlich zur Bekennenden Kirche seit Sommer 1934 und die Erfahrungen des aktiv mitgetragenen Kampfes haben Erik Wolf vollends auf den Weg kirchenrechtlich-rechtstheologischer Grundlagenreflexion gebracht. Mit vier bedeutsamen Abhandlungen aus den Jahren 1936 und 1937 hat er gewissermaßen Flagge gezeigt und die Fundamente für eine Konzeption gelegt, die dann nach 1945 voll ausgebaut worden ist 7 1 . Dabei ist eine Abhandlung schon in sich ein wissenschafts- und zeitgeschichtliches Dokument. Es handelt sich nämlich darum, daß Wolf seinen Beitrag zu dem Sammelband „Die Nation vor Gott" über „Richtiges Recht und evangelischer Glaube" für eine Neuauflage ganz erheblich umgestaltet hat 72 . Bezugnahmen auf nationalsozialistische Gedanken und Autoren sind fast völlig ausgemerzt, er distanziert sich auch von sich selbst. So kann man schon an äußeren Faktoren ablesen, daß die Hoffnung auf die Herstellung einer Harmonie zwischen nationalsozialistischem und christlichem Rechts- und Staatsdenken zerbrochen war. Demgegenüber wird nun auf der Linie der Barmer Erklärungen und unter Vorwegnahme der Frage Karl Barths nach dem inneren Bezugsverhältnis von Rechtfertigung und Recht 73 die Einsicht in die Bekenntnisbedingtheit und Bekenntnisbestimmtheit des Kirchenrechts und demgemäß seine Eigenständigkeit gegenüber dem staatlichen Recht mit aller Entschiedenheit herausgestellt74.
VII. In der wissenschaftlichen Biographie Wolfs verdient der März 1939 besondere Hervorhebung. Hier erschien nämlich sein Buch „Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte"75. Damit hat er den Faden einer Geschichte des Rechts70
Vgl. die Angaben oben bei Anm. 49. 1. Kirche und Recht, Die Furche X X I I (1936) S. 352-364, wiederabgedruckt in: Rechtstheologische Studien, 1972, S. 264-279. - 2. Zur rechtlichen Neugestaltung der Kirche, Junge Kirche 4 (1936) S. 1072-1081, wiederabgedruckt in: Rechtstheologische Studien, 1972, S. 280-292. - 3. Vom Recht in der Kirche, Deutsches Pfarrerblatt 40 (1936) S. 742, 762 f., 824 f., 922 f.; 41 (1937) S. 138, 378, 446 f. Zu dem vierten Zeugnis s. nächste Anmerkung. 71
72 5. Aufl. 1937, S. 243-274, zur früheren Fassung vgl. oben bei Anm. 49. Im einzelnen dazu Verf. in der Anm. 45 angeführten Abhandlung, S. 43-48. 73 Rechtfertigung und Recht, Zollikon/Zürich 1938 (Theologische Studien, 1). 74 Schon 1934 formulierte Wolf: „Wer an das Menschenwesen glaubt, hat Rechtsglauben. Wer die Menschenwelt unter Gottes richtende und erlösende Gnade stellt, kann die Welt des Rechts nicht ausnehmen", Richtiges Recht und evangelischer Glaube, a. a. O. (Anm. 49) S. 241. 75
Die 1. Auflage trug den Untertitel „Ein Entwicklungsbild unserer Rechtsanschauung". Weitere Auflagen sind 1944, 1951 und 1964 erschienen. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, die Geschichte dieses Buches und seiner Aufnahme in der Fachwelt einmal gesondert zu untersuchen und dabei die leitenden Überzeugungen, von denen es ausgeht, zu diskutieren; ein Beitrag hierzu bei Stolleis (Anm. 55) S. 14 f.
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denkens und der Rechtswissenschaft wieder aufgenommen, der sein wissenschaftlicher Erstling gegolten hatte. Über ein Jahrzehnt lang hatte er entsprechende Vorlesungen gehalten76 und damit auch im juristischen Unterricht eine neue Dimension erschlossen sowie Brücken hinüber zu anderen geisteswissenschaftlichen Fächern gebaut. In der Zeit des Nationalsozialismus zudem wuchs diesem Bemühen eine spezifische Funktion zu. Es darf die Reminiszenz eines fachkundigen Zuhörers zitiert werden, bezogen auf das Jahr 1937: „Wem es vergönnt war, die Vorlesungen des bekannten und bei den Studenten beliebten Ordinarius zu hören, kann ermessen, was es für die jungen Hörer in einer Zeit, in der andere Klänge über das Recht und seine Aufgabe ertönten, bedeutete, einer Vorlesung zu folgen, die von einem lebendigen geschichtlichen Bewußtsein und einer tiefen Rechtsethik getragen wurde" 77 . In der Tat: Erik Wolfs „Große Rechtsdenker" sind ein Zeugnis der Nichtanpassung, ja in gewisser Weise Dokument des geistigen Widerstandes, der im Zeichen sittlich-religiös fundierten Rechtsdenkens vor allem gegen die ideologische Instrumentalisierung des Rechts im totalen Staat geleistet wurde. Dieses Werk mit seiner meisterhaften Verbindung von Lebens-, Werk- und Ideengeschichte hätte allein ausgereicht, um den Autor berühmt zu machen, auch als Repräsentanten deutscher Rechtswissenschaft, ja deutscher Rechtskultur, im Ausland. Erik Wolf kannte indes kein Ausruhen. Er arbeitete und produzierte rastlos, auch und gerade während des Krieges, trotz widriger Umstände. Den Zweiten Weltkrieg hat er bis zum bitteren Ende in Freiburg erlebt; nur ganz zu Anfang hatte man ihn für ein halbes Semester nach Leipzig zur Vertretung eines dortigen Strafrechtslehrstuhls dienstverpflichtet. In den Umkreis der Rechtsdenkerstudien und der Bemühungen um eine Geschichte der Rechtswissenschaft von modernem Profil gehört zunächst eine mit kundiger und sicherer Hand veranstaltete Edition von Quellentexten in der von ihm inaugurierten Reihe „Deutsches Rechtsdenken"78. Sie kamen als „Lesestücke für Rechtswahrer bei der Wehrmacht" heraus, nicht nur als Lehrmaterial, sondern 76 Unter dem Titel „Große Rechtsdenker" oder „Große deutsche Rechtsdenker" hat Erik Wolf in Freiburg von 1930 bis 1939 jeweils im Wintersemester (mit Ausnahme des WS 1934/35) einstündige publice-Vorlesungen gehalten, dann wieder SS 1941, WS 1941/42, 1942/43, zuletzt noch WS 1944/45. 77 So Hermann Conrad in einer Besprechung der vierten Auflage, Savigny-Zeitschrift, Germanistische Abteilung 82 (1965) S. 337. 78 Über die während des Krieges erschienenen Hefte s. das Schriftenverzeichnis oben S. 223 f. Signifikant dazu ein Brief Radbruchs an Erik Wolf vom 28. März 1943: Er dankt für das Gierke-Heft, „eine glänzende Eröffnung Ihres schönen Unternehmens, dessen Wichtigkeit ich nach den Erfahrungen mit Anselm hoch einschätze ... Zugleich ist Ihr Unternehmen die richtige Antwort auf die jüngst angekündigten Bestrebungen, das rechtswissenschaftliche Studium zu einer Schulung in der Berufs-Routine durch juristische Praktiker im Nebenamt zu degradieren. Sie zeigen, was die von Niemandem außer dem Rechtsgelehrten und Rechtsdenker zu lösende Aufgabe ist - die geistige und charakterliche Grundlage des JuristenBerufs zu legen" (Gustav Radbruch, Briefe, hrsg. v. Erik Wolf, 1968, S. 173).
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auch als geistige Nahrung zur Abwehr gegen tagespolitische und propagandistische Indoktrination. So wird im Geleitwort der „unzerstörbare Geist der deutschen Rechtsanschauung" beschworen, und es wird betont, daß es - ein Lieblingswort von Wolf - „gültige Richtschnuren für die Rechtsetzung und Rechtswahrung gibt, deren Kenntnis die sittlichen und politischen Kräfte des Volkes stärkt". Darauf heben auch die trefflichen biographischen Miniaturen immer wieder ab, die den Heften beigegeben sind. Nicht von ungefähr hat Erik Wolf sein „Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft", in dem ein Teil dieser Hefte gesammelt ist 7 9 , Gustav Radbruch zu dessen 70. Geburtstag am 21. November 1948 gewidmet; mit ihm war er während des Krieges wieder in einen intensiven Gedankenaustausch gekommen. Sodann tritt hervor die umfangreiche Studie über „Idee und Wirklichkeit des Reiches im deutschen Rechtsdenken des 16. und 17. Jahrhunderts" 80, wo das Denken der Reformatoren eine vertiefte Würdigung erfahren hat und wo mit Leibniz, Reinking und anderen bedeutende Gestalten der politischen Ideengeschichte stärker in Wolfs Gesichtskreis getreten sind. Interessanterweise hat er gerade im Zusammenhang damit eine wohl sehr treffende Selbstcharakterisierung gegeben: er sei nämlich „ein geistesgeschichtlich denkender Rechtsphilosoph"81. Darin liegt ein bis zuletzt durchgehaltenes Bekenntnis zu einer geistes- oder ideengeschichtlichen Methode - mit zeitgenössisch deutlicher Abwehr gegenläufiger Tendenzen, ohne daß er freilich seine von den Anfängen her deutlich ausgeprägte Ausrichtung auf eine Kultursoziologie vernachlässigt hätte. Mit der zitierten Selbstcharakterisierung grenzt sich Wolf, dem es immer um das Unbeliebige, Unwillkürliche, das Existentiell-Notwendige ging, natürlich auch ab gegen ein bloß historistisches Interesse; er kündigt nun allerdings auch schon an, daß man einen rechtsphilosophischen Systementwurf nicht von ihm erwarten dürfe 82 . Wie sich im Leben Erik Wolfs die Jahresringe vermehrt haben, so sind auch immer wieder Erweiterungen des geistigen Horizonts hervorgetreten, genauer gesagt: haben von allem Anfang an latent vorhandene Dimensionen seines geistigen Reichtums literarischen Niederschlag gefunden. Das gilt in besonderem Maße von den Studien zum Recht in der Dichtung, wo er Pionierarbeit geleistet und neue 79 Der Band ist allerdings erst 1950 erschienen. Wolf hatte die Herausgabe zweier weiterer Sammelbände geplant, doch ist es zu einer Verwirklichung dieses Planes nicht mehr gekommen. Über die weitere Entwicklung der Reihe s. im einzelnen das Schriftenverzeichnis oben S. 224. 80
Idee und Wirklichkeit des Reiches im deutschen Rechtsdenken des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Reich und Recht in der deutschen Philosophie, hrsg. v. Karl Larenz, Band 1, Stuttgart und Berlin 1943, S. 33 -168. si A. a. O. S. 35. 82 Deutlich ausgesprochen im Vorwort zu Griechisches Rechtsdenken I, 1950, S. 7: In den Jahren seit 1930 „fühlte ich mich von Versuchen, ein eigenes System der Rechtsphilosophie zu entwerfen oder die rechtsphilosophischen Bemühungen der Gegenwart zu schildern, immer mehr zurückgehalten".
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Maßstäbe gesetzt hat 83 . Die 1946 gesammelt publizierten Abhandlungen84 über QC
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Hölderlin , Stifter , Hebel und die Droste fallen alle in die Zeit des Krieges, wo die Frage nach dem Bleibenden und Gründenden naturgemäß ihre Zuspitzung erfahren hat. Vielleicht haben auch häufige Begegnungen mit Reinhold Schneider 89 die Zuwendung zur Dichtung neu intensiviert. Ganz gewiß aber ist es der maieutische Einfluß Heideggers gewesen, der ihm methodisch und sachlich geholfen hat, die Ursprünglichkeit des Dichterworts auch für eine Erkenntnis der Rechtswahrheit zu erschließen 90. Und so findet man hier Einsichten und Aussagen, die das Seinsdenken in Beziehung setzen zum Rechtsdenken, und wo dann etwa gesagt werden kann, echtes Sein sei sich selbst nomos91 - im Grunde eine Vorwegnahme des rechtsphilosophischen Grundsatzes, den Martin Heidegger dann im Humanismus-Brief formuliert hat 92 . Auch Aussagen über die wesenhafte „Zukünftigkeit" des Rechts gehören hierher 93. Es macht freilich, auch und gerade im Verhältnis zu Heidegger, eine Eigentümlichkeit im Denken von Wolf aus, daß die religiös-theologische Dimension ausdrücklich einbezogen und an den Grenzen der Philosophie nicht Halt gemacht wird 9 4 . Zunehmend wurde deutlich: philosophische und theologische Existenz werden zusammengedacht, ja sie werden zusammengelebt.
83 Im Wintersemester 1941/42 hat Erik Wolf eine einstündige publice-Vorlesung über „Der Rechtsgedanke in der deutschen Dichtung" gehalten. 84
Vom Wesen des Rechts in deutscher Dichtung, 1946 Zuerst: Das Wesen des Rechts in der Dichtung Hölderlins, Zeitschrift für deutsche Kulturphilosophie 6 (1940) S. 169-207. 86 Der Rechtsgedanke Adalbert Stifters, 1941. 85
87 Vom Wesen des Rechts in der Dichtung Johann Peter Hebels, in: Berichte der Naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg i. Br. 37 (1942) S. 144-179. 88 Die Arbeit „Vom Wesen des Rechts in der Dichtung Annette von Droste-Hülshoffs" sollte als Buch erscheinen. Die fertiggedruckte Auflage verbrannte jedoch beim Luftangriff auf Freiburg am 27. November 1944. Ihr erster Teil („Vom Wesen des Unrechts") war als Beitrag zu einer Festgabe zum 60. Geburtstag von Karl Jaspers zur Verfügung gestellt worden, die jedoch offenbar nicht als Buch erschienen ist. Von der Überreichung der Festschrift berichtet Radbruch in einem Brief an Erik Wolf vom 28. Mai 1943: Radbruch, Briefe, 1968, S. 176. 89 Beziehungen zu ihm sind belegt bei Franz Anselm Schmitt/Bruno Scherer, Reinhold Schneider. Leben und Werk in Dokumenten, 2. Aufl. Karlsruhe 1973, S. 130 und 150. 90 Bezeichnenderweise war das Stifter-Buch Martin Heidegger gewidmet. 9
1 So im Hebel-Kapitel, S. 198. Brief über den „Humanismus", 1947, S. 191: „Nur sofern der Mensch, in die Wahrheit des Seins eksistierend, diesem gehört, kann aus dem Sein selbst die Zuweisung derjenigen Weisungen kommen, die für den Menschen Gesetz und Regel werden müssen". Vgl. dazu eingehend Walter Heinemann (Anm. 2) S. 50 ff. 93 A. a. O. S. 216. 92
94
Eindringliche Analyse bei Heinemann (Anm. 2) S. 362 ff.
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Nachdem Erik Wolf nach dem Maß seiner Kräfte, sie oft bis ins Extrem ausschöpfend, j a überziehend, in der Zeit des Nationalsozialismus zur äußeren und inneren Selbstbehauptung der Universität, der Kirche, j a ganz allgemein des geistig-kulturellen Lebens beigetragen hatte, konnte es nicht ausbleiben, daß er sich seit dem Zusammenbruch i m Jahre 1945 einer Fülle von Erwartungen und Anforderungen gegenübersah. Für den kirchlichen Bereich darf zunächst an seine M i t arbeit i m Erweiterten Oberkirchenrat 95 und in der Landessynode erinnert werden, wo er wesentlichen Anteil am kirchlichen Wiederaufbau in Baden hatte; besonders die rechtstheologisch bedeutsame Wahlordnung ist sein W e r k 9 6 . Aber Erik Wolf hat sich, oft unter schwierigsten äußeren Bedingungen, auch für Belange gesamtkirchlicher Einheit eingesetzt, kulminierend in seiner maßgeblichen Mitbeteiligung an der Ausarbeitung der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 13. Juli 1948 9 7 . Das ist eine bleibende historische Leistung. Nun war auch nach außen sichtbar Beteiligung an der ökumenischen Bewegung möglich geworden: Ende August 1948 hat Erik W o l f als Delegierter an der konstituierenden Versammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Amsterdam teilgenommen, ein Erlebnis, auf das er immer wieder rekurrierte 98 . Die Überraschung war dann
95 Bekanntmachung vom 15. 8. 1945, Gesetzes- und Verordnungsblatt für die Vereinigte Evangelisch- protestantische Landeskirche Badens für das Jahr 1945, S. 23. 9 6 Kirchliche Wahlordnung vom 27. September 1946, ebd. 1946, S. 39. In der amtlichen Begründung, die Erik Wolf zum Mitverfasser haben dürfte, heißt es etwa: „Die Kirche ist Christus-Herrschaft, Christokratie. Sie ist also nicht Demokratie, nicht Aristokratie, nicht Hierarchie. Die Kirche als Leib Christi ist ein Organismus. Ihre Glieder sind also bei aller Einheit nicht gleich, sondern mannigfaltig. Es gibt Leitende und Geleitete. In der Kirche besteht aber nicht wie im Staat eine selbstherrliche menschliche Regierungsgewalt. Eine Souveränität, wie sie der Staat hat und haben muß, kann es in der Kirche nicht geben. Die Kirche ist auch insofern nicht Staat, als sie ihre Aufgabe nicht verändern, nicht beliebig verengen oder erweitern kann, wie dies der Staat oder ein Volk tun können. Welches auch die Funktion des einzelnen Gliedes der Kirche sein mag, so kann sie nur immer darin bestehen, dem Auftrag der Kirche zu dienen. Nicht Herrschaft wie beim Staat, sondern Dienstschaft ist das Wesen aller kirchlichen Ämter" (a. a. O. S. 44 f.). Vgl. dazu auch Günther Wendt, Das Ältestenamt im Aufbau der evangelischen Kirchenverfassung, in: Existenz und Ordnung. Festschrift für Erik Wolf zum 60. Geburtstag, Frankfurt am Main 1962, S. 87 f. 97
Dazu Erik Wolf selbst: Zur Entstehung der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gedenken an Hermann Ehlers, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 4 (1955) S. 1-26, wiederabgedruckt in: Rechtstheologische Studien, 1972, S. 47-75. Wichtiger Forschungsbeitrag jetzt bei Annemarie Smith-von Osten, Von Treysa 1945 bis Eisenach 1948. Zur Geschichte der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland, Göttingen 1980. In einem eigenen Kapitel (S. 81-91) wird hier Erik Wolfs für Landesbischof Wurm erstattetes „Gutachten über die rechtmäßige Neuordnung der Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland" behandelt. Text dieses Gutachtens bei Fritz Söhlmann (Hrsg.), Treysa 1945, 1946, S. 181 -195. 98 Literarischer Niederschlag in dem Artikel „Rückschau auf Amsterdam". Für Arbeit und Besinnung 2 (1948) S. 561-568; 594-598. Vorher schon hatte sich Erik Wolf im Evangeli-
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freilich groß, als er ein Jahr später alle seine kirchlichen Ämter niederlegte". Man konnte ihn von einem „zweiten Kirchenkampf 4 sprechen hören. Bestimmte Vorgänge in der badischen Landeskirche wertete er als „kalte Lutheranisierung" und als Bedrohung der Konsensus-Union. Dabei fühlte er sich insbesondere in liturgicis in seiner reformierten, aber eine echte Union durchaus bejahenden Grundhaltung bedrängt 100 . Eigentlich müsse er, so bekannte er öffentlich, „als Ältester und Synodale die drückende Last einer klaren Opposition eines in meinem Gewissen und auf mein Bekenntnis gegründeten Widerstandes auf mich nehmen. Dieser Aufgabe bin ich aber körperlich nicht mehr gewachsen, wenn ich die Anforderungen meines Berufes ferner erfüllen soll" 1 0 1 . Da ist aber noch eine zweite Linie der Aktivität ab der Stunde Null: Erik Wolf war für einige Monate eine wesentliche Stütze der sogenannten Christlichen Arbeitsgemeinschaft in Freiburg, einer lockeren Vereinigung von katholischen und evangelischen Christen. Aus deren Zusammenarbeit ist erwachsen eine Reihe von Dokumenten und Zeugnissen über „Das christliche Deutschland 1933-1945" 102 , wo Erik Wolf die evangelische Sparte herausgeberisch betreute 103 und wo es zu engen Kontakten mit Reinhold Schneider gekommen ist 1 0 4 . Die „Christliche Arbeitsgemeinschaft" hat aber auch für die politische Geschichte Bedeutung erlangt. Max Müller 105 - wie etwa Franz Büchner 106 und andere aktiv beteiligt - hat vor sehen Pressedienst geäußert: Hoffnung auf Amsterdam (13. 8. 1948), Rückblick auf Amsterdam (19. 9. 1948). 99 Verlautbarungen dazu in: Junge Kirche 10 (1949) Sp. 500 und 554 f.; 11 (1950) Sp. 110-112. 100 Vgl. dazu seinen Aufsatz: Musikalischer Gottesdienst? Grundsätzliche Bedenken gegen die Bestrebungen zur liturgischen Umgestaltung der Gottesdienstordnung in unierten und reformierten Kirchen, Reformierte Kirchenzeitung 90 (1949) S. 131 -138. In diesem Zusammenhang möchte man gerne erinnern an die schöne Studie von Edmund Schlink, Zum theologischen Problem der Musik, 2. Aufl. Tübingen 1950, die sich wie eine Antwort auf Erik Wolfs Fragen liest. 101 Junge Kirche 10 (1949) Sp. 555. i° 2 Das christliche Deutschland 1933-1945. Dokumente und Zeugnisse, hrsg. v. einer Arbeitsgemeinschaft katholischer und evangelischer Christen, Freiburg i. Br./ Tübingen /Stuttgart 1946 ff. i° 3 Zeugnisse der Bekennenden Kirche, 6 Hefte. Im einzelnen vgl. dazu das Schriftenverzeichnis oben S. 225. 104 Reinhold Schneider hatte das „Geleitwort" verfaßt, das jedem einzelnen Heft beigegeben war, ferner gab er, gemeinsam mit Konrad Hofmann und Erik Wolf als Heft 1 einer „Gemeinschaftlichen Reihe" heraus: Sieger in Fesseln, Christuszeugnisse aus Lagern und Gefängnissen, Freiburg i. Br. 1947. 105 Zur Vorgeschichte der Gründung der badischen CDU in Freiburg i. Br., in: Paul-Ludwig Weinacht (Hrsg.), Leo Wohleb - der andere politische Kurs. Dokumente und Kommentare, Freiburg i. Br. 1975, S. 118-129. Zu diesem Komplex jetzt grundlegend Paul-Ludwig Weinacht, BCSV und CDU in Baden, in: ders. (Hrsg.), Die CDU in Baden-Württemberg und ihre Geschichte, Stuttgart 1978, S. 83-112. 106 Von Franz Büchner vgl. dazu: Pläne und Fügungen. Lebenserinnerungen eines deutschen Hochschullehrers, München/Berlin 1965, S. 96-98.
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einiger Zeit anschaulich daran erinnert, daß diese Vereinigung die Keimzelle der „Badisch-Christlich-Sozialen Volkspartei" gewesen ist, der ersten überkonfessionellen Partei in diesem Land. Aus ökumenischer Gesinnung und zugleich in sozialethisch-politischem Verantwortungsbewußtsein hat Erik Wolf Starthilfe geleistet, sich dann freilich nicht mehr aktiv parteipolitisch betätigt. In diesen Zusammenhang gehört allerdings noch ein persönlich und sachlich außerordentlich bedeutsames Moment: Karl Barth kommt als Mahner und Helfer mehrfach aus Basel herüber nach Freiburg und nimmt Anteil an der geistig-geistlichen WiederaufbauArbeit 107 . So ist im Sommer und Herbst 1945 zu den großen Gesprächspartnern Gustav Radbruch und Martin Heidegger ein dritter getreten, hat eine intensive Freundschaft begonnen, die, obwohl keineswegs spannungsfrei, bis zu Karl Barths Tod am 9. Dezember 1968 anhielt. Dessen vermutlich letzte Zeilen sind ein an Erik Wolf gerichtetes Briefchen 108 . Auf dem Sektor Universität kam es noch ganz am Ende des Jahres 1945 zu einer wichtigen Weichenstellung. Auf seinen Antrag hin wurde Wolf von der Verpflichtung, das Strafrecht zu vertreten, entbunden. Sein Lehrstuhl wurde neu mit „Rechts- und Staatsphilosophie, Geschichte der Rechtswissenschaft und Kirchenrecht" umschrieben; außerdem wurde er zum Direktor des neugegründeten „Seminars für Rechtsphilosophie und evangelisches Kirchenrecht" bestellt 109 . Den Weg dazu hatte ein Ruf aus Göttingen geebnet, wo man ihm - durch den damaligen Rektor Rudolf Smend - versprochen hatte, er könne sich auf Rechtsphilosophie und Kirchenrecht beschränken. Die ausdrückliche Nennung von Geschichte der Rechtswissenschaft wies nicht nur berechtigtermaßen auf einen Forschungsschwerpunkt Erik Wolfs hin, vielmehr kam damit eine Disziplinbezeichnung zu Ehren, die in Freiburg schon 1908 bei der denkwürdigen Habilitation vom Hermann Kantorowicz eine Rolle gespielt hatte 110 . 107
Die Tagebuch-Notizen Erik Wolfs verzeichnen einen ersten Besuch von Karl Barth am 2. Juli 1945, es folgen weitere am 17. Juli, 9. und 21. /23. Oktober sowie am 2. November 1945. Vgl. dazu auch Eberhard Busch, Karl Barths Lebenslauf. Nach seinen Briefen und autobiographischen Texten, München 1978, S. 340: „Von damals datiert seine von gegenseitigem Respekt getragene Freundschaft mit Erik Wolf, den er für einen ,der interessantesten Zeitgenossen' hielt: ,gescheit und gelehrt nach allen Kanten und voll wehmütigen Humors, übrigens ein guter Freund von Martin Heidegger'" (Barth in einem Brief an G. Ott vom 7. 3. 1960). Ebenda S. 447 wird registriert, daß Barth am 31. Juli 1958 mit der Studentengemeinde von Freiburg i. Br. über die Frage der Atombewaffnung diskutierte, wobei aber, wie er in einem Brief an seine Kinder vom 12. Oktober 1958 schrieb, „es leider herauskam, daß der so liebe und kluge Erik Wolf ... auf dem lätzen Finger verbunden ist". Erinnert sei schließlich an den Beitrag Karl Barths zur ersten Festschrift für Erik Wolf: Von der Taufe des Johannes zur Taufe auf den Namen Jesu, in: Existenz und Ordnung, 1962, S. 3-14. 108 Karl Barth Briefe 1961 -1968, hrsg. v. Jürgen Fangmeier/Hinrich Stoevesandt, Zürich 1975, S. 543. Vgl. in diesem Band auch den aufschlußreichen Brief Barths an Erik Wolf vom 27. 11. 1968, S. 532-534. 109 Vgl. dazu auch: Das Studium der Rechtswissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau (Anm. 40) S. 83.
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Man darf es schon beim Namen nennen, daß Erik Wolf mit dieser Statusveränderung von Aufgaben befreit wurde, die im Beruf des Hochschullehrers oft eine schwere Last sind: er brauchte hinfort keine Übungen mehr zu halten und nicht mehr im Referendarexamen zu prüfen. Aber er hat diesen schönen Schatz der Freiheit nicht für sich behalten, sondern, wenn diese biblische Wendung hier erlaubt ist, sich in reicher, ja überreicher literarischer Produktion entäußert. Und ganz besonders darf hervorgehoben werden, daß diese Produktion nicht aus trockener Stubengelehrsamkeit kam, sondern daß fast alles in Vorlesungen, Seminaren oder Vorträgen entwickelt und gewissermaßen durchprobiert war. Das gehörte zum großen Reiz und der weitgreifenden Strahlkraft seiner Vorlesungen, und er war in der Tat, wie man so sagt, ein begnadeter Lehrer, zu dem „man" ging, obwohl oder vielleicht gerade deshalb, weil die von ihm vertretenen Fächer nicht unmittelbar examensrelevant waren. Er konnte freilich auch noch mit Grund darauf vertrauen, daß sich die Studenten, auch über die Grenzen der Jurisprudenz hinaus, für Rechtsphilosophie oder Kirchenrecht interessieren.
IX. Auf dem Denkweg Erik Wolfs, wie er nach dem Krieg manifest geworden ist, nehmen die Studien zum griechischen Rechtsdenken einen besonderen Rang ein 1 1 1 . Hier trat nun der große Humanist, der glänzende Philologe und zupackende philosophische Hermeneutiker auf den Plan, und zwar mit akribischen Rechtswortanalysen und produktiven Textinterpretationen, die in fast alle Verzweigungen des griechischen Denkens in Mythos, Dichtung, Literatur, Philosophie, Rhetorik und Politik eindrangen. Entgegen ursprünglicher Planung 112 endet die schließlich auf sechs Bände angewachsene Arbeit mit Piaton, erfaßt also nicht mehr Aristoteles und den Hellenismus, wofür man nun aber auf nachgelassene Arbeiten verweisen 110 Näheres dazu bei Alexander Hollerbach, Rechtsphilosophie in Freiburg (1805-1930), in: Kultur, Kriminalität, Strafrecht. Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag am 7. 10. 1977, Berlin 1977, S. 28 f. 111 Griechisches Rechtsdenken. Bd. I: Vörsokratiker und frühe Dichter, 1950; Bd. II: Rechtsphilosophie und Rechtsdichtung im Zeitalter der Sophistik, 1952; Bd. III, 1: Rechtsphilosophie der Sokratik und Rechtsdichtung der Alten Komödie, 1954; Bd. III, 2: Die Umformung des Rechtsgedankens durch Historik und Rhetorik, 1956; Bd. IV, 1: Piaton. Frühdialoge und Politeia, 1968; Bd. IV, 2: Piaton. Dialoge der mittleren und späteren Zeit, Briefe, 1970. - In den Ankündigungen von Lehrveranstaltungen erscheint dieses Interessengebiet zum ersten Mal im Wintersemester 1937/38; hier bietet Erik Wolf als rechtsphilosophisches Seminar an „Lesung ausgewählter Stellen aus Aristoteles' Schriften über Ethik und Politik". Im Sommersemester 1939 liest Wolf Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie I: Von den Vorsokratikern bis Hegel; im Wintersemester 1941/42 widmet er einen zweistündigen ersten Teil dieser Vorlesung allein der Antike. Im Sommersemester 1942 sind Piatons „Nomoi" Gegenstand des rechtsphilosophischen Seminars, im Wintersemester 1943/44 sind es vorsokratische Texte. Diese Linie wurde nach dem Krieg intensiv fortgesetzt. 112 Nach dem Vorwort zu Band I sollte ein dritter Band „die Studien über Piaton, Aristoteles und den Hellenismus vereinigen".
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darf 113 . Es gehörte zu den Kümmernissen des Autors, daß sein „Griechisches Rechtsdenken" bei den Altertumswissenschaftlern nicht so recht Anklang finden wollte 114 . Vielleicht steht die Wirkung dieses ganz auf Wort und Text gestellten monumentalen Werkes noch bevor. In der Materialfülle, und zwar speziell im Hinblick auf die griechische Rechtssprache, ist es bis heute unübertroffen; auch in der Eindringlichkeit der rechtsphilosophischen Interpretation kann man ihm nichts Gleichwertiges an die Seite stellen. Doch muß das hier im einzelnen auf sich beruhen. Wir haben vorrangig auf den Stellenwert in der Werkgeschichte Wolfs zu achten. Er sagt selbst, er habe sich „von Versuchen, ein eigenes System der Rechtsphilosophie zu entwerfen oder die rechtsphilosophischen Bemühungen der Gegenwart zu schildern", immer mehr zurückgehalten gefühlt; dagegen habe er stärker das Bedürfnis empfunden, „dem Ursprung dessen näher zu kommen, was der abendländische Mensch im Sinn hat, wenn er den Rechtsgedanken als einen tragenden Grund seines geschichtlichen Daseins erkennt und behauptet"115. Die systematische EJCOXV wendet sich also bewußt und unbeliebig der Epoche des historischen Ursprungs zu, durchaus aber, so würden wir heute sagen, mit systematischem Erkenntnisinteresse, das, vertieft und gewissermaßen aufgeklärt durch den Dialog mit Heidegger, sein Grundaxiom mit der daseinsanalytisch-fundamentalontologischen Einsicht in die ursprüngliche Einheit von „In-der-Welt-Sein" und „Im-Recht-Sein" schon gefunden hatte. Dabei möchte er vornehmlich erhellen „die dialektische Einheit von Geschichtlichkeit und Wahrheit" im allgemeinen, die sein Wesen ausmachende Geschichtlichkeit des Rechts im besonderen 116. Diese philosophische Grundstellung prägt das Werk über „Griechisches Rechtsdenken", und man hätte sich gewünscht, es wäre nicht „nur" bei diesem exemplarischen Modell geblieben. Aber Erik Wolf hat sich nicht dazu entschließen können, eine Gesamtdarstellung der Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie zu publizieren, obwohl er wie kein anderer dazu berufen gewesen wäre und obwohl er darüber mehrfach Vorlesungszyklen gehalten hat. Immerhin ist - über die bisher genannten Werke hinaus - reiches historisches Material unter dem systematischen Aspekt der Naturrechtsfrage zusammenfassend in Längsschnitten verarbeitet worden 1 1 7 Außerdem haben bis in die jüngste Zeit hinein kleinere Arbeiten dazu beigetragen, das Bild, das Erik Wolf von der Entwicklungsgeschichte des Rechtsdenkens entworfen hat, zu differenzieren und zu vervollständigen 118. Weitere Abii3 Vgl. in diesem Band S. 1-78. n 4 Aus dem juristischen Schrifttum vgl. etwa die Besprechungen von Band I durch Peter Schneider (Juristenzeitung 1952, S. 508 f.) und von Band I I durch Karl Salm (Juristenzeitung 1955, S. 354 f.). 115 Vorwort zu Band I, S. 7. 116 Band I, S. 10. 117 Das Problem der Naturrechtslehre. Versuch einer Orientierung, 1955; 2. Aufl. 1959; 3. Aufl. 1964. Iis Vgl. dazu etwa die Abhandlungen über Morus, Montaigne und Leibniz in den Rechtsphilosophischen Studien (1972).
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handlungen aus dem Nachlaß werden hinzutreten 119. Nicht zuletzt verdanken wir ihm eine Darlegung seiner Grundposition, die er unter dem Titel „Fragwürdigkeit und Notwendigkeit geschichtlicher Rechtsphilosophie" vorgetragen hat 1 2 0 . Sie ist ebensosehr Selbstcharakterisierung wie Leitbild für rechtes historisches Arbeiten überhaupt. Sie gipfelt in der Maxime, „die Sache Recht in ihrer Geschichtlichkeit geschichtlich zu bedenken" 121 , eine Aufgabe, der Erik Wolf ein Leben lang gedient hat. X. Aber ist „Geschichtlichkeit" nicht doch nur ein Moment am Wesen des Rechts? Reicht diese Auskunft denn zu für eine Antwort auf die quaestio perennis nach dem richtigen Recht für heute und morgen? Denk- und zeitgeschichtlich war es für Erik Wolf geradezu unumgänglich, zur Naturrechtsfrage Stellung zu nehmen 122 . Er hat das inmitten einer oft euphorischen Grundstimmung der „Hoch-Renaissance" des Naturrechts nach 1945 123 getan, ernüchternd aber nicht destruktiv 124 . In hochdifferenzierter, bisweilen spielerisch, bisweilen künstlich anmutender Exegese der Begriffe „Natur" und „Recht" und ihrer jeweiligen Kombinationen kam er zum Aufweis der Mehrdeutigkeit des Naturrechtsbegriffs, hielt aber um so deutlicher an der Erkenntnis der Eindeutigkeit des Naturrechtsgedankens und der Unentrinnbarkeit der Aufgabe, naturrechtlich zu denken, fest; das heißt, je und je nach dem legitimierenden Grund und nach dem normierenden Richtmaß für positives Recht zu fragen 125 . Nicht zuletzt betont er, die Naturrechtslehre folge den Grundfragen des Seins. In der näherer Explikation dieser These sind Elemente eines Seinsdenkens „aufgehoben", das, von der fundamentalontologisch-seinsgeschichtlichen Perspektive Heideggers ausgehend, in die Richtung eines philosophisch begründeten Naturrechts qua Seinsrechts weist 126 . 119 Siehe in diesem Band vor allem die Studien über Erasmus und über Machiavelli, oben S. 115-143 und 144-172. 120 In: Quaestiones et Responsa (Anm. 2), S. 32-41, wiederabgedruckt in: Rechtsphilosophische Studien, 1972, S. 132-139. 121 A. a. O. S. 137.
1 22 Unter historischer Perspektive hatte Erik Wolf die Naturrechtsfrage von allem Anfang an aufgegriffen, vgl. dazu seine Dissertation (oben bei Anm. 12); durch die Rechtsdenker-Studien (oben bei Anm. 75) zieht sie sich wie ein roter Faden. Im SS 1948 hat er dann erstmals, wie später noch öfter, eine Spezialvorlesung über „Das Problem des Naturrechts" gehalten. 123 Zum Stellenwert dieser Phase in der Gesamtentwicklung s. Alexander Hollerbach, Das christliche Naturrecht im Zusammenhang des allgemeinen Naturrechtsdenkens, in: Naturrecht in der Kritik, hrsg. v. Franz Böckle/Ernst-Wolfgang Böckenförde, Mainz 1973, S. 9-38. 124 Das Problem der Naturrechtslehre (Anm. 117). 125 Vgl. in der dritten Auflage von 1964 besonders S. 193-201. 126 Vgl. dazu Heinemann (Anm. 2) S. 379 ff. Wichtig auch schon Max Müller, Existenzphilosophie im geistigen Leben der Gegenwart, 2. Aufl. Heidelberg 1958, S. 100; 3. Aufl. 1964, S. 88.
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Dann wäre dies das Eine, worin, wie Werner Maihofer gefragt hat 1 2 7 , Natur und Recht ihren vorgängigen Grund und ihrrichtunggebendesMaß haben, oder „Sein" wäre - im Sinne der von Joachim Ritter gestellten Frage 128 - der Punkt, an dem die Beliebigkeit des philosophischen Fragens nicht mehr möglich ist. Aber im letzten könnte das für Wolf wohl doch nur eine vorläufige Hypothese ohne volle Stringenz sein, da in einem nach seiner Meinung auch vom Wissenschaftler geforderten jueravoelv Rechtsphilosophie von Rechtstheologie überholt und kraftlos, letztlich unverbindlich gemacht wird. Mit teilweise schneidender Schärfe wird das etwa expliziert in einer Analyse des Phänomens allgemeiner Rechtsgrundsätze129 oder aus Anlaß einer Auseinandersetzung mit dem Problem der Rechtsanthropologie 1 3 0 . Die These 131 ist nunmehr ganz eindeutig: Rechtsphilosophie gründet und mündet in Rechtstheologie, diese ihrerseits hat gewissermaßen ihre „notae" in „Biblischen Weisungen", aus denen sich Personalität und Solidarität als sozialtheologische Grundbeziehungen sowie Grundsätze des Nächstenrechts entfalten lassen. Alles ist zusammengefügt in einer Recht und Liebe dialektisch zusammenbindenden Ordnung. Ob nicht damit zu schnell die Kommunikationsbasis mit demjenigen, der die theologischen Prämissen nicht teilt, aufgegeben wird - diese Frage hat ihn im Ernst seiner existentiellen Option für die Theologie, genauer: für christliche Existenz, wenig gekümmert. Dabei darf vermutet werden, daß es nicht zuletzt die intensive Beschäftigung mit Kierkegaard 132 gewesen ist, die ihn darin bestärkt hat. Es sind vor allem - umrankt von kleineren, bezeichnenderweise auch exegetischen Studien 133 - drei Werke, in denen diese Position näher ausgearbeitet worden 127
Erik Wolf und die Frage nach dem Naturrecht (Anm. 2), S. 15. „Naturrecht" bei Aristoteles, Stuttgart 1961, S. 34 (= ders., Metaphysik und Politik, Frankfurt am Main 1969, S. 177 f.). 129 Die Natur der allgemeinen Rechtsgrundsätze, in: Deutsche Landesreferate zum VI. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Hamburg 1962, Berlin/Tübingen 1962, S. 132-150 = Rechtsphilosophische Studien, 1972, S. 89-106. 130 Das Problem einer Rechtsanthropologie, in: Die Frage nach dem Menschen. Festschrift für Max Müller zum 60. Geburtstag, Freiburg i. Br./München 1966, S. 130-155 = Rechtstheologische Studien, 1972, S. 160-185. 131 Zusammenfassend, fast epigrammatisch im Art. „Rechtsphilosophie", in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Bd. V (1961) Sp. 847-855 (854 f.) = Rechtsphilosophische Studien, 1972, S. 69-82 (80 f.). 128
132 Auf die Rolle Kierkegaards im Denken von Erik Wolf weist zu Recht auch Thomas Würtenberger in seiner oben Anm. 2 angeführten Würdigung mit Betonung hin (S. 544). 133 Zur biblischen Weisung des Rechts. Rechtstheologische Exegese von Sachaija 7, 8 - 1 2 , in: Antwort. Karl Barth zum 70. Geburtstag am 10. Mai 1956, 1956, S. 773-779; Zur Dialektik von menschlicher und göttlicher Ordnung. Rechtstheologische Interpretation von Mk 12, 13-18, in: Naturordnung in Gesellschaft - Staat - Wirtschaft. Festschrift für Johannes Messner, 1961, S. 48- 49; Gottesrecht und Nächstenrecht. Rechtstheologische Exegese des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20, 1-16), in: Gott in Welt. Festgabe für Karl Rahner zum 60. Geburtstag am 5. März 1964, 1964, S. 640-662; Zur rechtstheologischen Dialektik von Recht und Liebe, in: Studi in onore di Emilio Betti, vol. I, 1961,
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ist: „Rechtsgedanke und biblische Weisung" von 1948 134 , „Recht des Nächsten" von 1957 135 - vorgetragen als These und Programm beim damaligen Universitätsjubiläum schließlich „Ordnung der Liebe" von 1963, wo Erik Wolf zu „Gottes Gebot und Nächstenrecht im Heidelberger Katechismus" Stellung nahm 136 . In seinen späteren Arbeiten wandte sich Wolf dann wieder eher vom systematischen Entwurf einer Rechtstheologie ab und griff - in methodischer Parallele zum „Griechischen Rechtsdenken" - die Frage nach den biblischen Ursprüngen wieder auf. Er machte seine Bemühungen zum Gegenstand eines nach der Emeritierung geschaffenen Alterswerks mit dem Titel „Gewiesene Ordnung. Studien zur Sozialterminologie des Neuen Testaments", das jedoch nach des Autors Willen nicht mehr zu seinen Lebzeiten erscheinen sollte. Es ist eine auf Wort und Text gestützte Summe, die sich in umfassender Weise der biblischen Grundlagen rechtstheologischen Denkens zu vergewissern sucht 137 .
XL Es bleibt noch ein kurzes Wort zu Erik Wolfs Kirchenrecht zu sagen. Als es, „Ordnung der Kirche" betitelt 138 , 1961 erschien, war es ein wissenschaftsgeschichtliches Ereignis ersten Ranges. Wir besaßen zwar den verdienstvollen Grundriß von Adalbert Erler 139, aber keine umfassende Darstellung, keine zudem, S. 479-500; Personalität und Solidarität im Recht, in: Vom Recht. Hannoversche Beiträge zur politischen Bildung, Bd. 3, 1963, S. 189-209. 134 Rechtsgedanke und biblische Weisung. Drei Vorträge, Tübingen 1948 (Forschungen der evangelischen Akademie, 5). Hier ist erstmals näher entfaltet worden, was schon 1936 in den Aufsätzen „Kirche und Recht" und „Zur rechtlichen Neugestaltung der Kirche" (beide in Rechtstheologische Studien, 1972, S. 264-292) grundgelegt wurde. Vgl. dazu auch oben bei Anm. 71. 135 Recht des Nächsten. Ein rechtstheologischer Entwurf, Frankfurt am Main 1958 (Philosophische Abhandlungen, XV); 2. Aufl. 1966. Die Vortragsfassung war auch erschienen in: Die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 1457-1957. Die Festvorträge bei der Jubiläumsfeier, Freiburg i. Br. 1957, S. 43- 56. 136 Ordnung der Liebe. Gottesgebot und Nächstenrecht im Heidelberger Katechismus, Frankfurt am Main 1963. Es handelt sich dabei um einen Vortrag zur 400-Jahr-Feier des Heidelberger Katechismus, der am 9. Juni 1963 im Auftrag der Evangelischen Landeskirche in Baden und des Reformierten Bundes in Heidelberg gehalten wurde. 137 Vgl. dazu oben S. 226 ff.
1 38 Ordnung der Kirche. Lehr- und Handbuch des Kirchenrechts auf ökumenischer Basis, Frankfurt am Main 1961. Unter den grundlegenden Vorarbeiten dafür ist außer den in Anm. 134 angeführten Werken insbesondere Erik Wolfs Beitrag zur Niemöller-Festschrift von 1952 zu erwähnen: Zur Rechtsgestalt der Kirche, in: Bekennende Kirche 1952, S. 254-261 = Rechtstheologische Studien, 1972, S. 312-321. Im Schrifttum ist „Ordnung der Kirche" insbesondere von Ulrich Scheuner ausführlich vorgestellt worden: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 10 (1963/64) S. 46-60. 1 39 Kirchenrecht, Frankfurt am Main 1949; 2. Aufl. 1957. Spätere Auflagen erschienen 1965 und 1975. 33 Hollerbach
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die den theologischen, historischen und soziologischen Grundlagen so weiten Raum gewährt. Vor allem aber ist es ausgezeichnet durch seine ökumenische Ausrichtung und die rechtstheologische Grundkonzeption, die naturgemäß im evangelischen Teil voll zum Tragen kommt und dort den Sohmschtn Kirchenrechtsnegativismus nicht nur im Grundsatz, sondern auch in vielen Einzelheiten überwindet. Die Leitgedanken aus der allgemeinen Rechtstheologie, nämlich „Biblische Weisung" und „Nächstenrecht", sind hier mit der theologisch anspruchsvollen These vom „Bekennenden Kirchenrecht" und mit der Erkenntnis der christokratisch-bruderschaftlichen Grundstruktur der Kirche auf fruchtbare, auch rechtssystematisch ausgemünzte Weise zusammengefügt 140. Mit Sicherheit hat es Erik Wolf eine große Ermutigung auf dem Weg zur Ausarbeitung seines Kirchenrechts bedeutet, als Karl Barth in seiner „Kirchlichen Dogmatik" für das Thema „Ordnung der Gemeinde" Wolfs Grundgedanken adoptierte 141. Deshalb ist sein Kirchenrecht im ganzen gewiß nicht einfach „barthianisch", wohl aber fließt ihm aus der reformierten Traditionskomponente ein hohes Maß an engagierter Entschiedenheit und auch an kritischer Potentialität zu. Das verleiht ihm im Verhältnis zu den anderen großen Entwürfen einer evangelischen Rechtstheologie, wie sie Johannes Heckel und Siegfried Grundmann einerseits, Hans Dombois andererseits vorgelegt haben 142 , ein besonderes Prägemal. Dabei dürfte es offenkundig sein, daß das Kirchenrecht dasjenige Feld geworden ist, auf dem der Philosoph und Theologe, der Historiker und Jurist in Erik Wolf aufs glücklichste zusammenstimmen. Er hat, wie Günther Wendt es einmal treffend formuliert hat 1 4 3 , die „Lebensganzheit" des Kirchenrechts erfaßt und zu luzider Darstellung gebracht. Vom Material des positiven Rechts her ist „Ordnung der Kirche" heute schon bis zu einem gewissen Grade veraltet. Aber in bezug auf die rechtstheologische Fundierung, die Systematik und die rechtsdogmatische Verarbeitung hat dieses Werk bleibenden Wert und zumindest die Funktion der heilsamen Herausforderung, insbesondere in einer Zeit, in welcher der spezifisch rechtstheologische Impetus eher nachzulassen scheint 144 . 140
Zum Zentralbegriff der Christokratie vgl. jetzt den instruktiven begriffsgeschichtlichen Beitrag von Peter Frowein, Christocratia. Zu einem verfassungstheoretischen Begriff, Archiv für Katholisches Kirchenrecht 145 (1976) S. 491 -499. 141 Kirchliche Dogmatik, Bd. IV, 2, 1955, S. 765-824. Der betreffende Abschnitt wurde unter dem Titel „Die Ordnung der Gemeinde. Zur dogmatischen Grundlegung des Kirchenrechts" auch separat veröffentlicht: München 1955. Auf Erik Wolf wird hier mehrfach namentlich Bezug genommen; ganz allgemein sagt Barth, die Beiträge von ihm dürften „als besonders erhellend hervorgehoben werden" (S. 767). 142 Vgl. zu diesem Komplex die grundlegende Analyse von Wilhelm Steinmüller, gelische Rechtstheologie, 1968 (oben Anm. 2). 143 Rechtstheologie und Kirchenrecht bei Erik Wolf (Anm. 2) S. 20.
Evan-
144 Zur Einordnung von Wolfs Werk vgl. aus dem neueren Schrifttum insbes. die erhellende Rezension der Rechtstheologischen Studien durch Martin Heckel, Savigny-Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Kan. Abt. 61 (1975) S. 448-456, ferner Albert Stein, Zur Entwicklung der deutschen evangelischen Kirchenrechtswissenschaft 1961 -1975. Versuch einer Bestandsaufnahme, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 22 (1977) S. 6 - 2 5 ; Ralf Dreier,
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xn. Ein reich erfülltes, ungewöhnliches Leben ist am 13. Oktober 1977 zu Ende gegangen. Die Hinterlassenschaft ist groß und fast unausschöpfbar. Einiges konnte in diesem fragmentarischen Bericht auch nicht annähernd angemessen behandelt werden, insbesondere nicht jenes, was auch zu Erik Wolf gehört, nämlich seine große naturwissenschaftliche Bildung und hier besonders seine Expertenschaft in der Coleopterologie 145. Anderes bedarf biographisch sowie zeit- und werkgeschichtlich weiterer Klärung und interpretatorischer Differenzierung. Es bleibt das eindringliche Zeugnis des wissenschaftlichen Werkes 146 , das nicht minder eindringliche verpflichtende Zeugnis der persönlichen Existenz des universal gebildeten Professors alter Schule und des im Grunde einfachen, frommen, aus dem Wort Gottes lebenden Christen. Gibt es ein kurz formulierbares Vermächtnis? Als ihm die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung 1972 den Preis für wissenschaftliche Prosa verliehen hat - erstmals einem Juristen bedankte sich Erik Wolf mit einer Reflexion über „Verpflichtende Sprache im Rechtsdenken" und hat uns dabei alle gemahnt, der Forderung gerecht zu werden, „sowohl bei der Sache zu bleiben als auch im Stand des Fragens nach ihr zu verharren" 147 . Das ist vielleicht das eine. Das andere: Zwei Hefte aus der Reihe über die Bekennende Kirche tragen als Titel die von Erik Wolf ausgewählten Schriftworte „Im Reiche dieses Königs hat man das Recht lieb" aus Psalm 9 9 1 4 8 sowie „Suchet der Stadt Bestes" aus Jeremia 29 1 4 9 . Im Zeichen solcher Weisungen hat er uns zum Vorbild seinen Dienst als Lehrer und Forscher des Rechts getan, hat er dem Unrecht und der Selbstgerechtigkeit gewehrt, hat er bekannt und gekämpft, freilich nicht im mindesten auf Irdisches vertrauend. „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir": dieses Wort aus dem Hebräerbrief (13, 14) hat er selbst zur Losung
Methodenprobleme der Kirchenrechtslehre, ebd. 23 (1978) S. 343-367. Eine gewisse Wiederbelebung der rechtstheologischen Diskussion läßt sich ablesen an Ulrich Nembach (Hrsg.), Begründungen des Rechts, Göttingen 1979, und Konrad von Bonin (Hrsg.), Begründungen des Rechts II, Göttingen 1979, Sammelbände, in denen das Hofgeismarer JuristenTheologen-Gespräch dokumentiert ist. Für eine Pflege der Rechtstheologie plädiert auch eindringlich Ethel Leonore Behrendt, Recht auf Gehör. Grundrecht und Grundwert, München 1978, und: Gott im Grundgesetz. Der vergessene Grundwert „Verantwortung vor Gott", München 1980; vgl. auch die oben Anm. 2 angeführte Abhandlung dieser Autorin. 145
Vgl. die bibliographischen Angaben im Schriftenverzeichnis II, S. 320 bzw. S. 346. Erik Wolf hat eine Reihe von bemerkenswerten Ehrungen erfahren, die hier zusammengestellt seien: D. theol. h. c. Heidelberg (1948), Dr. iur. h. c. Athen (1972), Dr. phil. h. c. Tübingen (1977). 1959 wurde ihm das Taxiarchenkreuz des Griechischen Phoenix-Ordens verliehen. w Verpflichtende Sprache im Rechtsdenken, Scheidewege 3 (1973) S. 233-237 (234). Vgl. auch oben S. 215-220. 148 Heft II: Der Kampf der Bekennenden Kirche um das Recht, 1946. 149 Heft V: Worte der Bekennenden Kirche an den Staat, 1948. 146
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für sein Begräbnis bestimmt, und sein Freund Konrad Jutzier hat es damals in Oberrotweil zum Gegenstand seiner Predigt gemacht - in den schlimmen Tagen der Schleyer-Entführung und der Aktion von Mogadischu. Wir haben allen Anlaß, uns gerade auch in dieser Stunde des Gedenkens von dem Anspruch dieses Wortes betreffen zu lassen. Eine allerletzte Minute gestatten Sie mir bitte für einen Hinweis. Nach dem musikalischen Ausklang dürfen wir Schüler durch die Hilfe guter Geister draußen vor der Tür Ihnen eine kleine, vom Verlag Klostermann gestaltete Gabe mit auf den Weg geben. 1970 hat Erik Wolf im Dorfbildungswerk Oberrotweil über das Thema „Der unbeliebte, aber unentbehrliche Jurist" gesprochen. Diesen bisher unveröffentlichten Vortrag mögen Sie mitnehmen zur Besinnung und zur Erinnerung 150 . So beschenkt Sie und uns Erik Wolf selbst auch noch in dieser Stunde.
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Der unbeliebte, aber unentbehrliche Jurist. Als Manuskript hrsg. v. Alexander Hollerbach/Hans-Peter Schneider im Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1978.
Im Schatten des Jahres 1933: Erik Wolf und Martin Heidegger* I. In den >Tatsachen und Gedanken< zu seinem Rektorat 1933/34 berichtet Martin Heidegger: „ Z u Dekanen für das Wintersemester 1933/34 ernannte ich Kollegen, die nicht nur nach meinem persönlichen, sondern nach allgemeinem Urteil i n der wissenschaftlichen Welt und in ihrem Fach einen Namen hatten und zugleich die Gewähr boten, daß jeder in seiner Weise den Geist der Wissenschaft i n die Mitte seiner Fakultätsarbeit rückte. Keiner der Dekane war Parteigenosse. Der Einfluß von Parteifunktionären war ausgeschaltet. Die Hoffnung bestand, eine Überlieferung des wissenschaftlichen Geistes in den Fakultäten zu erhalten und zu beleben". 1 Einer dieser Dekane war Erik Wolf, seit Herbst 1930 Freiburger Ordinarius für Strafrecht, Strafprozeßrecht, Rechtsphilosophie, Allgemeine Rechtslehre und GeErstveröffentlichung in: Martin Heidegger und das „Dritte Reich". Ein Kompendium, hrsg. v. Bernd Martin. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1989, S. 122-140. * Zuerst in: Freiburger Univ.bl. 92 (1986), S. 33-47. - Durchgesehene und redaktionell überarbeitete Fassung. Die inzwischen fortgeführte Heidegger-Diskussion hat, soweit ersichtlich, in bezug auf Erik Wolf nichts Neues zutage gefördert. Gleichwohl wird das Thema im Kontext der Freiburger Universitäts- und Fakultätsgeschichte neu aufzugreifen sein. 1 Martin Heidegger, Die Selbstbehauptung der deutschen Universität. Das Rektorat 1933/ 34, hrsg. v. Hermann Heidegger, Frankfurt am Main 1983, S. 35. Vgl. auch schon die Äußerung im Spiegel- Interview vom 23. September 1966: „In der Absicht, die technische Organisation der Universität zu überwinden, das heißt die Fakultäten von innen heraus, von ihren sachlichen Aufgaben her, zu erneuern, habe ich vorgeschlagen, für das Wintersemester 1933/34 in den einzelnen Fakultäten jüngere und vor allem in ihrem Fach ausgezeichnete Kollegen zu Dekanen zu ernennen, und zwar ohne Rücksicht auf ihre Stellung zur Partei.. (Der Spiegel 30. Jg. Nr. 23, 31. Mai 1976, S. 201). Zu den Vorgängen im ganzen vgl. jetzt die intensive Fakten-Analyse und den Versuch einer Würdigung in den Studien von Hugo Ott, Martin Heidegger als Rektor der Universität Freiburg i. Br. 1933/34, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 132 (1984), S. 343-358, I: Die Übernahme des Rektorats der Universität Freiburg durch Martin Heidegger im April 1933, in: Zeitschrift des BreisgauGeschichtsvereins (Schau-ins-Land) 102 (1983), S. 121 -136, II: Die Zeit des Rektorats von Martin Heidegger (23. April 1933 bis 23. April 1934), in: Ebendort 103 (1984), S. 107-130. Zu verweisen ist femer auf Karl August Moehling, Martin Heidegger and the Nazy Party. An Examination, Diss. phil. Northern Illinois University 1972. Für die weitere Diskussion unentbehrlich auch Otto Pöggeler, Den Führer führen? Heidegger und kein Ende, in: Philosophische Rundschau 32 (1985), S. 26-67. Ausgezeichnete Grundorientierung (auch über die „politischen Verstrickungen") bei Alexander Schwan, Art. Heidegger, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. I I (1986), Sp. 1225 ff.
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fängniskunde. 2 1902 in Biebrich als Sohn eines Chemikers und einer Schweizerin aus dem Basler Geschlecht der Burckhardt geboren, hatte er sich nach juristischen Studien in Frankfurt am Main und in Jena, die er mit der Promotion abschloß, 1927 in Heidelberg unter dem Patronat von Gustav Radbruch habilitiert. Danach hat er drei Semester lang eine Lehrstuhlvertretung in Kiel wahrgenommen, folgte anschließend einem Ruf nach Rostock und dann alsbald nach Kiel, zog aber rasch nach Freiburg weiter, wo er Nachfolger von Johannes Nagler wurde. Zwei bedeutende Frühwerke weisen auf Schwerpunkte seines damaligen wissenschaftlichen Arbeitens hin: In seiner zu der Monographie >Grotius, Pufendorf, Thomasius< ausgebauten Dissertation zeigte er seine „Klaue" als Interpret der Geschichte des Rechtsdenkens, insbesondere im Hinblick auf dessen geistes- und philosophiegeschichtliche Komponente. Seine Habilitationsschrift Strafrechtliche Schuldlehre< wies ihn als Strafrechtsdogmatiker und Strafrechtsphilosophen aus. Sein philosophisches „Credo" hatte seine Wurzeln vornehmlich im Neukantianismus Heidelberger Prägung. Gleichwohl war Erik Wolf immer auf der Suche geblieben. Intensive Kontakte mit Gerhart Husserl erschlossen ihm die Phänomenologie und brachten die Stützen des neukantianischen Weltbildes ins Wanken. Im Hause Husserl in Kiel war es auch zu einer ersten Begegnung mit Martin Heidegger gekommen. Er lernte ihn dort am 19. Juni 1928 aus Anlaß eines KantVortrages kennen.3 Das war der Beginn einer lebenslangen Beziehung der Gesprächspartnerschaft. II. In Freiburg hat sich der Strafrechtstheoretiker Wolf am 12. November 1931 mit seiner programmatischen Antrittsrede >Vom Wesen des Täters< öffentlich vorgestellt und zugleich mit der Schrift über >Die Typen der Tatbestandsmäßigkeit den originellen Versuch eines „Allgemeinen Teils des Besonderen Teils" gewagt. Hier ist, anknüpfend an Gerhart Husserl und Martin Heidegger, von dem Leitbild eines „phänomenologischen Personalismus" die Rede, von dem Programm einer spezifischen Verbindung von „wesenswissenschaftlicher Personlehre" und Juristischer Wertlehre". Davon sind in der Strafrechtsdogmatik starke Anregungen ausgegangen, auch wenn es später zum Teil zu politischen Mißdeutungen gekommen ist. Noch 1962 konnte Hans-Heinrich Jescheck betonen, diese Arbeiten seien „nicht tote Vergangenheit", sondern als Vorstufe der neuesten Verbrechenslehre in Deutschland „ein Stück lebendiger Gegenwart". 2
Für das folgende vgl. Alexander Hollerbach, Zu Leben und Werk Erik Wolfs, in: Erik Wolf, Studien zur Geschichte des Rechtsdenkens (Ausgewählte Schriften III), Frankfurt am Main 1982, S. 235-271; dort auch die erforderlichen Nachweise, die hier aus Raumgründen in der Regel nicht wiederholt werden. 3 In einer Tagebuchnotiz heißt es: „Um acht Uhr Vortrag von Heidegger über Kant. Dm nachher zu Husserls begleitet, lange dort." Der Vortrag dürfte, nach den entsprechenden Marburger Vorlesungen vom Wintersemester 1925 / 26 und 1927 / 28, die Grundgedanken der 1929 erschienenen Schrift Kant und das Problem der Metaphysik zum Gegenstand gehabt haben.
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War in Freiburg gleich zu Beginn die strafrechtliche Linie im Werk Erik Wolfs kräftig ausgezogen worden, so trat bald eine andere hinzu, die hinfort ebenfalls kennzeichnend und prägend werden sollte: die kirchliche und kirchenrechtlichrechtstheologische. 1931 wurde Wolf Mitglied des evangelischen Kirchengemeindeausschusses in Freiburg, 1932 des Kirchengemeinderates, 4 wobei er sich zur Fraktion der Kirchlich-Positiven hielt, also nicht zu den religiösen Sozialisten, nicht zu den kirchlich Liberalen, erst recht nicht zu den deutschen Christen, die er von ihrem Aufkommen an bekämpfen half. Am Jahresende 1932 schrieb er einen sehr signifikanten Aufsatz über >Kirche und Akademiker nieder, der dann Mitte Januar 1933 in der Freiburger Studentenzeitung erschienen ist. In seiner Wendung gegen relativistischen Skeptizismus und gegen individualistisches „kirchenfeindliches Christentum" ist er vornehmlich Ausdruck entschiedener positiver Zuwendung zur Kirche, auch und gerade in ihrer Institutionalität. Existentielle Kirchlichkeit: das ist die Losung. Zugleich werden Grenzmarken gesetzt. Bei aller Bejahung des Gemeinschaftsgedankens und der Verflechtung mit der „Welt" wird die Kirche in ihrem Proprium von Staat, Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft abgehoben. Demgemäß werden, so sagt Wolf, „vor allem jene heutigen Versuche großer politischer Bewegungen, die Kirche dem totalen Staat einzuordnen, entgegen ihren Erwartungen die eben beginnende Wiedergeburt christlichen Lebens als kirchlichen Lebens nicht fördern können". Die Kirche darf „weder Gegnerin noch Dienerin des Staates und der Kultur sein. Sie bleibt immer das Jenseitige, Andere, dezidiert Verneinende, wo menschliches Selbstbewußtsein ins Unendliche sich entfaltet und seiner Grenzen vergißt." 5 Mit dieser zugleich nach vorn weisenden Markierung ging Erik Wolf in das Schicksalsjahr 1933.
in. An dieser Stelle soll und kann nun Erik Wolf selbst das Wort gegeben werden. Er hat sich nämlich in einem ebenso aufschlußreichen wie bewegenden Dokument Rechenschaft von seinem geistigen und politischen Weg und darin insbesondere von seinem Verhalten 1933/34 gegeben, und zwar in der Form eines Briefes an Karl Barth. Dieser Brief ist jedoch nie abgeschickt worden. Er fand sich im Nachlaß von Erik Wolf und umfaßt insgesamt 39 Schreibmaschinenseiten. Er ist in seinem größeren Teil am 15. Oktober 1945 geschrieben worden, bricht dann allerdings mitten in der Darstellung ab. Erst am 11. November 1968 hat Erik Wolf ihn weiter- und zu Ende geführt. 6 4 Zu den damaligen Kirchenwahlen in Freiburg vgl. Ernst Schulin, Die Geschichte der Evangelischen Kirchengemeinde Freiburg 1807-1982, Freiburg i. Br. 1983, S. 21 f. 5 Wiederabdruck bei Erik Wolf, Rechtstheologische Studien, Frankfurt am Main 1972, S. 257-263 (hierS. 262). 6 Es ist Frau Olga Wolf, der Witwe Erik Wolfs, sehr dafür zu danken, daß sie der Veröffentlichung der thematisch einschlägigen Teile dieses „Briefes" zugestimmt hat. In den
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Es kommt nicht von ungefähr, daß sich Selbstreflexion und Selbstprüfung Erik Wolfs in der Form eines Gesprächs mit Karl Barth vollziehen. Kannten sich die beiden Persönlichkeiten vorher nur literarisch, so setzte alsbald nach Kriegsende eine intensive Beziehung ein, die sich zu einer Gesprächspartnerschaft, ja zu einer Freundschaft verdichtete. Im Sommer und Herbst 1945 kam Karl Barth mehrfach nach Freiburg, wo er als Mahner und Helfer an der geistigen, insbesondere der kirchlichen Wiederaufbauarbeit Anteil nahm. Die Tagebuchnotizen Wolfs verzeichnen Besuche von Karl Barth am 2. und 17. Juli, sodann am 9. und 21./ 23. Oktober sowie am 2. November 1945. Am Ende des „Briefes" heißt es7: „Du kämest als einer der Ersten aus Basel im Mai 1945 zu mir. Wir sprachen, arbeiteten und lebten viel zusammen. Da faßte mich das Verlangen, Dir eine Art mögliche Erklärung für das zu geben, was Dich überrascht hat, als man Dir davon erzählte: meine Teilnahme an Heideggers Rektorat und meine beiden Aufsätze zur rechtsphilosophischen Standortbestimmung des Nationalsozialismus8 und was daraus an Konsequenzen sich ergeben hat. Es ist kein Anliegen der Selbstrechtfertigung. Als ich den Irrtum in dieser Sache erkannt hatte, habe ich ihn bekämpft." Dazu paßt, was an anderer Stelle wie ein Leitmotiv formuliert wird: „Wir sollten ... das über uns kommende Gericht nicht als ein äußerliches Leidensschicksal beklagen, sondern in ihm ein Gleichnis unseres innerlichen Gerichts der Selbstprüfung erkennen. Nur so können wir uns den Weg zur Freiheit bahnen und christliche Würde bewahren. Die Selbstprüfung kann freilich jeder nur bei sich selbst beginnen. So will auch ich gleich damit anfangen .. .". 9
IV. Wo sich die weit ausholende autobiographische Darstellung Wolfs der Schlußphase der Weimarer Zeit zuwendet, beginnt die unter der Perspektive dieses Beitrages entscheidende Passage10: Tagebuch-Notizen Wolfs ist unter dem 15. Oktober 1945 in der Tat vermerkt: „Brief an Karl Barth geschrieben." Warum der Brief auch 1968 seinen Adressaten nicht erreicht hat, ließ sich nicht klären; vielleicht geschah es mit Rücksicht auf Karl Barths Gesundheitszustand. Barth ist wenige Wochen später, am 9. Dezember 1968, gestorben. Eine Publikation des Briefes im ganzen bleibt vorbehalten. 7 Manuskript, S. 39. 8
Richtiges Recht im nationalsozialistischen Staate, Freiburg i. Br. 1934 (Freiburger Universitätsreden 13); Das Rechtsideal des nationalsozialistischen Staates, in: Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 28 (1934/35), S. 348-363. Zu der erstgenannten Schrift übrigens ein interessantes zeitgenössisches Echo bei Engelbert Krebs, Jesuitischer und deutscher Geist, Freiburg i. Br. 1934, S. 33, und dazu Remigius Bäumer, Die Theologische Fakultät Freiburg und das Dritte Reich, in: Freiburger Diözesan- Archiv 103 (1983), S. 277. 9 Manuskript, S. 11/12. 10 Manuskript, S. 21-33.
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„Vor jedem Hinblicken auf Tagespolitik blendete ich mich innerlich ohne Anstrengung fernerhin ab. Zwar dünkte mich die Art des präsidial betonter gewordenen Reichs-Regiments bedenklich; hatte ich mich doch schon bei der Wahl des neuen Reichspräsidenten nach Eberts Tode ( . . . ) für Marx entschieden und erst später bei der Stichwahl zwischen Hindenburg und Hitler ersterem meine Stimme gegeben - wohl noch in dankbarer Erinnerung seiner freundlichen Aufnahme des von mir zusammen mit dem jungen Heraldiker Ottfried Neubecker 1926 gemachten und gedruckten Vorschlags, als Reichseinheitsflagge die Versöhnungsfarben schwarz-gelb-rot einzuführen. 11 Im Winter 1932 empfand ich dann die Selbstauflösung der Demokratie durch das hilflose Verhalten des Reichstags unter dem Regime von Schleicher und Papen bedenklich. Eine zukunftsverheißende Politik auf dem Boden der Weimarer Verfassung erschien mir daher unwahrscheinlich. Um allen Gesprächen mit Kollegen darüber auszuweichen, fuhr ich in den Weihnachtsferien nach Davos und suchte dort mit meinem Bruder seltene Gesteine. Seine Erzählungen von der Zunahme nationalsozialistischer Gesinnung unter den Schülern des deutschen Alpinen Gymnasiums ,Friedericianum\ an dem er als Biologielehrer wirkte, riefen mir eine schon halb vergessene Erinnerung wach an ein Erlebnis, das ich zwei Jahre früher beim Sommeraufenthalt in Davos hatte, als ich in einer kleinen Pension die Ferienwochen über eifrig Coleopteren sammelte und determinierte. Als einziger Gast war dort außer mir ein junger Tübinger Rechtsstudent. Er hatte mir anvertraut, daß er im Referendarexamen durchgefallen war. Deshalb repetierte ich mit ihm den nötigen Examensstoff im Straf- und Prozeßrecht. Auf einer Wanderung zum Gipfel des Schwarzhorns hatte er, leidenschaftlich begeistert für die politischen Ideen Hitlers auf sozialem Gebiet, versucht, mich dafür zu gewinnen, weil er in mir einen, wie er sagte, von akademischem Dünkel freien Professor gefunden zu haben glaubte. Was ich damals leichthin abgewehrt hatte, machte mir jetzt Gedanken. Sollte vielleicht doch mehr hinter dem vielbelächelten Gefreiten und so entsetzlich fad aussehenden Mann und seinem rhetorischen Fanatismus stecken? Sollten wir in unserer geistigen Isolation verschlossenen Intellektuellen uns getäuscht und verkannt haben, daß hier ein einfacher Mensch aus dem Volk sich anschickte, die drohende Not der Arbeitslosen ( . . . ) vielleicht erfolgreicher zu bekämpfen, als es die zerstrittenen Theoretiker und interessenbedingt handelnden Wirtschaftsbosse vermochten? Wäre es solchen unbekannt gebliebenen, unmittelbaren Volkskräften dieser Volksbewegung, die schon beinahe die Hälfte aller Stimmbürger hinter sich hatte, möglich, den Haß der sozialen Gruppen widereinander zu überwinden und die ermüdenden oder aufreizenden Parteiprogramme, all das abgestandene und abgeschmackte politische Unwesen durch einen kühnen Brückenschlag zu überwinden? Sollte ihr Heraufkommen ein Anzeichen des Gerichts über unseren eigennützigen Standesdünkel sein? Und ein berechtigter Vorwurf für unser unvolkstümliches Abseitsstehen in Klüngeln und Kreisen? Ich begann jetzt den »sozialen4 Gedanken dieser Leute politisch ernster zu nehmen,
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Vgl. dazu die Nachweise bei Hollerbach (Anm. 2), S. 243.
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wie er mir schon in meiner kirchlichen Tätigkeit mit dem Problem der »Nächstenschaft 4 wichtig geworden war - inmitten des lächerlich nachgeäfften Partei-Unwesens der kirchlich-positiven, kirchlich-liberalen, kirchlich-sozialistischen »Gruppen4. Daß es hier um ein genuin religiöses Grundprinzip von Gemeinschaftsexistenz ging, war mir aber zuerst noch unbestimmt durch den Kopf gegangen, als ich im Dezember 1932 einen Aufsatz über >Akademiker und Kirche< für die Freiburger Studentenzeitung geschrieben hatte, der im Januar 1933 erschien. 12 Einen Vortrag Radbruchs in Freiburg um diese Zeit konnte ich nicht hören, die mit ihm vorgesehene Reise zum Kongreß der I V R 1 3 in Palermo mußte ich aufgeben. Auch andere Fachkollegen sah ich nicht, bis ich erfuhr, daß vom Senat der Universität für die politisch erforderlich gewordene Neuwahl des Rektors Martin Heidegger vorgeschlagen worden sei, und er erwäge, mich durch Wahl in den neuzubildenden Senat zu berufen, weil er mich von den Juristen am meisten schätze. Davon war ich ganz verblüfft, denn ich hatte mit dem Philosophen, den ich seit 1927 14 kennengelernt hatte, niemals ein politisches Gespräch gehabt. Ich kannte seine Einstellung nicht und fühlte mich deshalb in dieser entscheidenden Situation recht hilflos und dafür ungeschickt. Doch waren zwei philosophische Aussprüche Heideggers für mich sehr bedeutsam gewesen und wurden von mir im seither vergangenen Jahrzehnt, in dessen Verlauf ich auch sein Kant-Buch und später >Sein und Zeit< gelesen habe, immer wieder bedacht. 1. Der erste war mir insofern zu einem geistig verpflichtenden Anruf geworden, als er meine (schon durch Husserl-Lektüre vorbereitete) kritische Wendung gegenüber dem bisher vertretenen Neukantianismus Heidelberger Prägung zur Reife gebracht hat. Er bestand in Heideggers Antwort auf meine 1927 in Kiel nach seinem Vortrag über Kant dort an ihn gerichtete Frage: Wo in seinem Verständnis von Kants Denken als Ansatz zu einer existentialen Ontologie noch Raum für den Primat der praktischen Vernunft geblieben sei? Er hatte mir kurz erwidert: ,Sehen Sie denn nicht, daß die Freiheit in der Notwendigkeit enthalten, in sie hineingenommen ist?4 Ich verstummte staunend, denn wenn dieses fürwahr gelten sollte, fiel die mein bisheriges Denken bestimmende Vorstellung vom Wesen des Rechts als idealem Gesollten mit dem realen Sein politischer Wirklichkeit zusammen. Dann aber löste sich alles Ethisch-Normative im Ontologisch-Gegebenen auf; jedes Bemühen, die Welt des Rechts ethisch-theologisch verbindlich zu erweisen, wurde überflüssig, sein Unbedingtes verfiel kausalhistorischen Bedingtheiten. Rechtsdog12
Vgl. dazu o. bei Anm. 5. = Internationale Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie. Wolf ist hier ein Versehen unterlaufen. In Wirklichkeit handelte es sich um eine Tagung der AIDP = Association Internationale de Droit Pénal; so Wolf selbst in seiner Radbruch-Biographie in: Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4. Aufl., Tübingen 1963, S. 742. 14 Es muß „1928" heißen; vgl. o. bei Anm. 3. Jedenfalls gibt es für eine schon in das Jahr 1927 zu datierende persönliche Begegnung keinen Beleg. 13
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matik und Rechtsphilosophie hatten keine grundlegende Bedeutung für die Rechtsgeschichte und Rechtspolitik mehr. Die doppelsinnige Fragwürdigkeit des Rechts erschien auf ganz andere Weise, mußte neu erfahren und erkannt werden. Dem nachgrübelnd suchte ich einen geistigen Standort jenseits' der traditionellen Zweiteilung in Begriff und Idee, Wert und Wirklichkeit des Rechts, Naturrecht und Rechtspositivismus zu finden. Vom Herbst 1932 an glaubte ich ihn im Rechthaben vom Dasein, in der menschlichen Existenz als Je-immer-schon-im-Recht-sein fassen zu können. Mit diesem Entwurf einer existentiellen Rechtslehre, die auch der christlichen Wahrheit am ehesten zu entsprechen schien, weil sie auf Selbstrechtfertigung des Rechts verzichtete, tat sich mir der Sinn vom Vorläufigen allen ,Rechts4 und vom Ungenügen alles »Rechten4 auf und erneuerte mein zuvor formal-dialektisch ausgerichtetes Denken material oder existentialdialektisch, auf ,geschichtliche4 statt,historische4 Art begründet. 2. Der zweite dieser Aussprüche Heideggers fiel mir ins innere Ohr bei einem offenen Abend der Studienstiftung, deren Vertrauensdozent ich 1930-1933 in Freiburg gewesen bin. Er besagte ungefähr, daß im Zerfall aller traditionell erstarrten Glaubens-, Bildungs- und Verfassungsformen ein neuer Weg zu ursprünglichem Denken und Handeln gesucht und gegangen werden müsse; auf die Weise des »einfachen Lebens4 im Ursprünglichen und darin eigentlich ,Wahren4. Auch diese Äußerung entsprach meinem damals erwachsenen Bedürfnis, der äpxrj wahren Glaubens im Evangelium, wahren Denkens bei den frühen Philosophen und wahren Gefühls bei den großen Dichtern inne zu werden. Ich begann die Heilige Schrift, die Vorsokratiker und die für wahres Leben wesentlich empfundene Dichtung auf ihre Rechtsweisung hin zu befragen, womit ich noch heute, 1945 beschäftigt bin. Diese neuen Ziele meiner geistigen Arbeit verdanke ich also der Begegnung mit Heidegger. Doch führten sie mich auch in entscheidender Weise tiefer in mein Christus-Verhältnis, und das bedeutete: von ihm gleichzeitig fort. Von meiner seit 1930 begonnenen praktischen Mitarbeit in der unierten badischen Landeskirche wußte Heidegger nichts, meine biblische Rechtstheologie war ihm teils fremd, teils dachte er sie von seiner Beziehung zu Bultmann her auf,liberal-soziale 4 Art, was sie gerade nicht war; ich gehörte sogar der ,positiv-konservativen4 Gruppe in den kirchlichen Gremien an. Heidegger hat in mir weder den Kirchenmann noch den Parteimann gesucht, überhaupt keinen Vertreter irgendeiner »Weltanschauung4 oder Angehörigen eines »Kreises4, sondern einen denkenden Menschen der jüngeren Generation, dem die innere Erneuerung der Universität angelegen war. Um diese Art von Erneuerung nämlich, sagte er mir schon im ersten der wenigen Gespräche, die ich in den 3/4 Jahren seines Rektorats mit ihm führen konnte, gehe es ihm. Ich stimmte dem zu, deutete aber auch eine Gewissensangst an, die mich angesichts sich abzeichnender Gewaltsamkeiten und Abhängigkeiten bedrängte. Sie hatte mich noch am Tage der Neuwahl des Senats bewogen, im Kreise der Fakultätskollegen zu erklären: Ich wünschte schon wegen meines Halbschweizertums und meiner Jugend, aber auch schwacher Gesundheit wegen die Wahl nicht und ließ
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mich erst im Senatssaal, als meine Nominierung dann doch einstimmig erfolgte, bewegen, den Sitz im Senat anzunehmen. Die allgemeine Stimmung war: es gelte jetzt nicht untätig zu bleiben, sondern die einmalige Stunde zu nutzen und in der kommenden Neuordnung den Standort des Geistes zu wahren, so wie es der neue Rektor in seiner Antrittsrede als ,die Selbstbehauptung der Universität 4 bezeichnet hat. Er wollte damals ernstlich, davon bin ich überzeugt, die Universität nicht so sehr ,retten4 als ,erneuern 4, in eine verjüngte Gestalt der Lebens- und Arbeitsgemeinschaft ihrer Glieder überführen. Dabei hoffte er, die verrosteten Schranken der Fakultätsabsonderung aufsprengen zu können und den ganzen, viele Jüngere bedrückenden Ballast bürokratisch-technisierter, als überlebt und unvolkstümlich empfundener Institutionen und Verwaltungsschemata des akademischen Corpus wie der studentischen Korporationen abzuschaffen - zugunsten einer selbstverantwortlich-freien und sachlich (nicht berufsständisch) umgebildeten Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden - inspiriert vom Geist der platonischen Akademie. Darin schien auch mir nach Jahren des Mißvergnügens an einem bloß technisch gespielten, wo nicht gar ideologisch-vorgespiegelten, nur noch in Festivitäten der Selbstbewunderung aktiven Scheinwesens der Universität ein echter, Verantwortlichkeit und Einsatz heischender Sinn von Hochschule auf- und vorzuleuchten. In seinem Licht fiel mir der freilich jähe Ab- und Umbau der korporativen Kollegien in ein geistiges Führungsgremium nicht so schwer wie manchem älteren Kollegen. Angesichts der Begeisterung, mit der fast alle Studenten und der größte Teil jüngerer, aber auch viele ältere Wissenschaftler, führende Köpfe der Wirtschaft, die Beamten nahezu ausnahmslos, fast sämtliche Richter und Anwälte, aber auch viele Künstler und Literaten den neuen Staat begrüßten, kam mir ein vereinzeltes Widerstreben von Angehörigen oder Sympathisanten derjenigen politischen Parteien, die sich im Frühjahr 1933 selbst sofort gleichgeschaltet hatten (wie den »Deutschnationalen4) oder zur Selbstauflösung (wie die Sozialdemokraten) bereit waren, unglaubwürdig vor. Zwar bekümmerten mich auch, und ich mißbilligte einzelne Fälle polizeilicher Fehlgriffe und spontaner Zerstörungsaktionen. Um so mehr dünkten mich die ersten Schritte des neuen Strafgesetzgebers im Mai 193315 durch ihre zugleich soziale und autoritäre Zielsetzung nützlich zu sein. In dieser Verbindung des Sozial-Fortschrittlichen mit dem Autoritär-Konservativen sah ich keinen Widerspruch zu meiner dialektischen Grundhaltung. Nachdem ich diesen theoretischen Sinn der neuen Gedanken zum Strafrecht richtig gefaßt zu haben glaubte, entwarf ich - im Vollzug meines seit 1932 verfolgten Bemühens, den ,Schulenstreit4 zu überwinden - den Text einer im Juli 1933 veröffentlichten Schrift über >Krisis und Neubau der Strafrechtsreform< 16. 15 Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften vom 26. Mai 1933 (RGBl. I, S. 295). Zu den Zusammenhängen vgl. Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 2. Aufl. Göttingen 1951, S. 419 ff.; ferner Hinrich Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, München 1981, S. 94 ff. 16 Tübingen 1933 (Recht und Staat, 103).
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Heideggers Entschluß, mich im Herbst 1933 zum Dekan zu ernennen, hat mich dann freilich mehr erschreckt als erfreut. 17 Ich bin seinem Anruf (verstört von den inzwischen verübten Rechtsverletzungen durch Partei-Organe) nur mit innerem Widerstreben gefolgt. Meine Fakultät, die mich anfänglich vorgeschoben hatte, verhielt sich jetzt in mehr oder minder heimlicher Obstruktion, als ich versuchte, universitätsreformerische Gedanken, z. B. die Teilnahme der Extraordinarien und Privatdozenten an den Sitzungen, zu realisieren. Dabei wurde mir erst die Mißhelligkeit meiner Lage klar. Die, wie sie damals noch genannt wurde, ,nationale Revolution4 zeigte ja zunächst nationalistische Züge weit stärker ausgeprägt als sozialistische. Eigentlich deutschem Nationalismus aber stand ich seit jeher fremd gegenüber. Nun aber lag im Symbol des ,Tages von Potsdam4 der Akzent auf dem Ort; das hatte ich schon im März 18 bei meinem Unbehagen an der Ernennung zum Senator deutlich gespürt. Mein Hinweis damals: ich sei schon durch Abkunft und Erziehung sowie durch mein früher betätigtes allgemeinmenschliches Interesse nicht geeignet für betont-nationale Repräsentanz in Deutschland, zumal ich auch der deutschen soldatischen Tradition fern stand. Auf dies hatte ich schon im Frühjahr Heidegger aufmerksam gemacht und ihn deshalb gebeten, mich nicht noch mehr ,herauszustellen4, weil mir das ungemäß und andern ein Ärgernis sei. In dieser Stimmung hatte ich auch bereits im Frühjahr 1932 die mir vom damaligen Rektor, dem katholischen Theologen Sauer, angetragene Festrede zum Reichsgründungstag abgelehnt. Heidegger appellierte nun an mein Verantwortungsgefühl mit dem Hinweis, daß er mir nun einmal gerade um deswillen vertraue, daß ich nicht aus dem üblichen deutschen Akademiker-Milieu komme und daß mich die Studenten aller Fakultäten wegen meiner sozialen Tätigkeit in den Gremien, wie der Studienstiftung, schätzten; auch sei er überzeugt, daß es im Neuen Staat um die Verwirklichung eines ganz neuen Geistes gehen werde, zu dessen Durchsetzung es nicht Parteifunktionäre, sondern unabhängiger Persönlichkeiten bedürfe. Heidegger in seinem neuen Amt zur Seite zu stehen, habe ich auf die folgende Art versucht, die sich nach drei von seinen Mitarbeitern, den neu ernannten Dekanen, vorgetragenen Leitgedanken ausrichtete. a) Erstens hofften wir auf eine innere Regeneration der Universität im platonischen Sinn geistiger Vereinigung aller Kräfte über die Fakultätsschranken hinweg, unterstützt durch sparsame und einfache Verwaltung, Abschaffung unnötiger Repräsentationspflichten, Einschränkung des bürokratischen ,Betriebes4, Heranziehen aller dozentischen und studentischen Kräfte der Selbsterziehung zu einer auch 17 Sehr treffend hat Max Müller einmal formuliert: „Das Jahr 1933 stürzte Erik Wolf zunächst in ziemliche Verwirrung. Er glaubte sich dem Ruf des so verehrten Martin Heidegger als Rektor nicht verschließen zu können und sich ihm als Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zur Verfügung stellen zu müssen" (Erik Wolf. Zum 60. Geburtstag, in: Rheinischer Merkur Nr. 19 vom 11. Mai 1962). 18 Die Wahlen fanden am 21. April 1933 statt; vgl. dazu im einzelnen die o. Anm. 1 angeführten Studien von Hugo Ott.
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zum Verzicht auf pekuniäre Vorteile und zur Selbstbescheidung bereiten Lebensführung exemplarischer Art. b) Zweitens hofften wir, durch Abbau aller egoistischen Motive im akademischen Leben die rein sachgerechten Ziele der Lehr- und Forschungsgemeinschaft bei Berufungen, Prüfungen, Gutachtertätigkeit, Leitung von Seminaren und Instituten zu fördern. c) Drittens hofften wir auf eine rasche Überwindung der revolutionären Anfangsphase der Neuordnung durch gelassene Evolution aller, auch die verschreckten oder sich zurückhaltenden Kollegen zur Mitarbeit zu gewinnen, die demokratisch-ganzheitlichen Züge der »Bewegung' zu stärken und so die Universität vom Abrutschen in die Herrschaft einer auf die Parteiprogrammpunkt-Ideologie verbohrten Minderheit,alter Kämpfer* zu bewahren. In diesem Vertrauen stärkten mich anfänglich die begeisterten Stimmen vieler meiner es mit Wissenschaft und Leben ernstmeinenden Studenten. Ersichtlich lehnten diese jungen Leute ein sog. ,sacrificium intellectus4 ab, waren jedoch willig, ihren oft leicht verstiegenen Individualismus und Intellektualismus gegenüber der durch Arbeitslosigkeit und Interessenkämpfe dringend gewordenen Aufgabe einer Sozialreform zurückzustellen. Dieser,Wille zum Einsatz für das Volksganze4 war, den Anfängen der Jugendbewegung vergleichbar, echt und erklärt ihre Freiwilligkeit, sich den verlockend geschilderten Erfordernissen eines echten ,Dienstes am Volk4 unterzuordnen, sei es Wissens-, Arbeits- oder Wehrdienst, wie es Heidegger damals formulierte. Freilich machten auch in Freiburg nicht ausgebliebene einzelne Rechtsbrüche und der ins Amoralische abgleitende Starrsinn fanatischer Parteigänger auch diese idealistisch Gutwilligen bald stutzig und zurückhaltend. Ich denke dabei an meinen damaligen Assistenten, von Studenten liebevollscherzhaft als ,anima candidissima4 bezeichnet,19 an einen Mediziner unter unseren akademischen Hausbewohnern voller Helferidealismus, an einen eifrigen Dostojewski-Leser und für die östliche Religiosität schwärmenden jungen Juristen; auch an uns näherstehende junge Vikare der Landeskirche, die in der Ablehnung der sog. ,Glaubensbewegung deutsche Christen 4, einer rein nationalsozialistisch geführten kirchlichen Gruppe gegenüber unverführbar festblieben. Sie alle traten, wie es von den Zwanzigjährigen durchwegs verlangt wurde, in eine der paramilitärischen Organisationen, wie SA oder NSKK, ein, spotteten zwar über das ewige ,Soldatenspielen4, redeten aber mit Ernst und Wärme von ihren Gesprächen mit jungen Arbeitern, Bauern und Handwerkern und Beispielen echter Kameradschaftlichkeit. Aber auch ältere Männer, die wir als besonnene und gewissenhafte Personen (besonders in den ländlichen Gemeinden um Freiburg von entomologischen Exkursionen her) gut kannten, meinten in der einmal geschaffenen, durch eigenes 19 Gemeint ist Karl Alfred Hall (1906-1974). Er war noch in Rostock unter Erik Wolf promoviert worden, hat sich dann 1933 in Freiburg habilitiert und wirkte später als Strafrechtslehrer in Gießen und Marburg.
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Versagen, Unentschlossenheit zu politischer Selbstbestimmung, bloßes Nörgeln, aber auch sich Verlieren an altväterische Illusionen mitbedingten Lage der Nation, ,auf dem Posten bleiben4, ,nicht abseits bleiben4 zu sollen. Auch kleine Beamte, die in der rechtsstaatlichen Tradition der Pflicht- und Gesetzestreue aufgewachsen waren, wollten diese Werte in das neue Staatsleben hineintragen, um so die rasch aufkommende Konjunkturritterei, die Berufsrevolutionäre, zu bekämpfen. In diese Haltung lebten sich besonders idealistische Naturen ein, die - abgestoßen von der Zerfahrenheit eines selbstsüchtigen Materialismus und gegenüber dem Papierkrieg der Parteipolitiker vor 1933 ratlos - sich einer sozial-konservativen, jungkonservativen4, jungreformatorischen 4 Ideologie angeschlossen hatten - Gruppen, die über ein keineswegs unbeachtliches geistiges Kapital, gute Literatoren und Nachwuchskräfte verfügten. Dabei hat es sich durchaus nicht um ein charakterloses Sich-,Zurverfügungstellen 4 (wie es leider beim Militär und der höheren wie unteren Beamtenschaft anzutreffen war) gehandelt, man strebte nicht nach Ämtern und anderen persönlichen Vorteilen, handelte vielmehr aus echter Verantwortung, um eine gute Entwicklung der Dinge besorgt. Die Angehörigen dieser Gruppen wollten nicht emigrieren, konnten es auch gar nicht - zumal im Ausland gar keine Neigung bestand, außer den verfolgten Juden und abgesetzten Politikern der Linken, solche Flüchtlinge aufzunehmen. Mir selbst sagte ein hochangesehener schweizerischer Verwandter bei einem Besuch in Basel: ,De wirsch doch nit eppe au no welle ko?4, was auch bei der Überfülle der Hilfsgesuche nur allzu begreiflich erscheint. Man wollte nicht - auch nicht durch Befolgen der Mahnung Hans Carossas: »emigriere zu Hause4 (wer konnte es schon, der nicht über 60 Jahre alt, berühmt oder wenigstens durch Vermögen unabhängig war?) - den Lauf der Dinge sich selbst überlassen. Vielmehr wollten wir uns unter Hinnahme des von den Parteistellen gehegten Mißtrauens wider alles und jedes ,Akademische4 oder »Kulturelle4, auch Zurücksetzung oder Übergangenwerden bei Beförderungen ein »inneres Reich4 erhalten und es zu festigen versuchen, immer darauf hoffend, es werde sich am Ende kraft besseren Wollens, größerer Sachkunde und höherer Moral gegen die ewigen »Revolutionäre4 mit ihrem gefährlichen Geschwätz von politischer Dynamik und »totalem Staat4 durchsetzen. Dazu hat auch die Enttäuschtheit vieler jüngerer geistiger Menschen beigetragen, die das klägliche Anpassungsverhalten eines Großteils der bürgerlichen bisherigen Führungsschicht beobachten mußten. ( . . . ) Zwar hatte vielen von diesen die »Machtergreifung 4 durch den Nationalsozialismus von ihrer großen Lebensangst, der vor den Kommunisten befreit, weshalb sie sich meist hüteten, etwas Kritisches zu äußern oder an irgendeiner Stelle zu widerstehen; sie genossen die wirtschaftliche Scheinblüte in vollen Zügen, vermieden aber jedes nachweisliche ,Mitmachen4 oder zogen sich als sog. fördernde 4 Mitglieder irgendeiner Organisation in die gleiche unanfechtbare Verantwortungsscheu zurück, ohne in die schweren inneren wie äußeren Konflikte zu geraten, die gerade für diejenigen erwuchsen, die aus idealistischen Beweggründen an irgendeiner Stelle des nationalsozialistischen Staates tätig waren. Diese mußten später vielfach unter großen persönlichen Opfern, unter Verfolgungen und Schädigungen ausgekämpft werden.
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So erging es auch mir, der ich, um guten Willen zur Selbstkritik an den Fehlern des bürokratischen Beamtenstaates der Nachkriegszeit zu beweisen, im Sommer 1933 dem NS-Juristenbund beigetreten bin und für den sog. ,Opferring 4 der NSDAP monatlich einen Gehaltsanteil gespendet, wähnend, das Geld werde wohltätigen Zwecken zugeführt ( . . . ) . Irgendeinen materiellen Vorteil habe ich von dieser Zeit an bis zum Ende der NSHerrschaft von der Partei nie gehabt, im Gegenteil! Das Mißtrauen gegen mich im Kultus- wie im Justizministerium (wohl wegen meiner Beziehungen zu Radbruch, dann aber auch wegen meiner Ablehnung der Todesstrafe und besonders wegen zweier FörderungsVorschläge bedürftiger jüdischer Studenten) veranlaßte Bespitzelung, auch durch das Abhören von Telefongesprächen, das im Mai 1934 einmal zum Verhör durch zwei Kriminalbeamte geführt hat, die einen Haftbefehl schon bei sich hatten, der aber unvollzogen blieb, weil es sich um einen leicht aufklärbaren Irrtum (Hörfehler) beim Abhören gehandelt hatte. Obwohl ich zwischen 1928 und 1930 Rufe an drei deutschen Universitäten erhalten, auch von 1933 bis Sommer 1934 auf Berufungslisten nach Bonn und Marburg stand, bin ich bis zum Frühjahr 1945 nie mehr vorgeschlagen worden. Zu den Strafrechts-Reformkommissionen wurde ich nicht beigezogen und weder zum Mitglied der Akademie des deutschen Rechts noch zur Mitarbeit in einer ihrer Kommissionen ernannt; auch auf keiner Strafrechtslehrertagung bekam ich ein Referat übertragen - ich habe auch nur noch an einer solchen Tagung teilgenommen. Sogar Fachzeitschriften, die sich vorher um meine Mitwirkung bemüht hatten, fragten nie mehr an; mein langjähriges Literaturreferat in der Deutschen Literaturzeitung wurde mir stillschweigend entzogen. Auf ausdrückliche ministerielle Anweisung hin durfte ich keiner Prüfungskommission mehr angehören, erst 1937 veranlaßte die Fakultät meine Mitgliedschaft im Justizprüfungsamt Karlsruhe. So war es mir denn bereits im Herbst 1933, als Heidegger mich auf Grund der neuen Hochschulverfassung zum Dekan ernannte, sehr schwer zumute. Ich fühlte mich allenthalben isoliert, und das Vertrauen meiner Hörer allein konnte die Anfechtungen dieser Lage nicht ausgleichen. Ich bat erst um Entlassung und trat dann mit dem Rektor und den anderen Dekanen im März 1934 20 zurück ...". An dieser Stelle bricht der am 15. Oktober 1945 verfaßte Text zunächst ab. In ganz anderer Situation hat Erik Wolf aber, wie schon erwähnt, seine Darstellung unter dem 11. November 1968 weitergeführt. Hier lesen wir dann 21 : „Dreiundzwanzig Jahre lang, verehrter und lieber Freund, blieb dieser Brief - unterbrochen durch ich weiß nicht mehr was für Umstände und Aufgaben - unvollendet. Es war im Anfang die beschleunigte und immer mehr eskalierende Beanspruchung durch akademische und kirchliche Anliegen. In solch restaurative Geschäftigkeit nach einer vielleicht allzu kurzen Pause der Selbstbesinnung hineingezogen, verlor ich die Lust, mich weiter über das Vergangene auszusprechen. Jetzt endlich als ,Emeritus4 von diesen Bindungen frei geworden und bemüht, 20 2
Nach den Tagebuch-Aufzeichnungen Erik Wolfs erfolgte der Rücktritt am 23. April. 1 Manuskript, S. 34-37.
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meine Sachen aufzuräumen, den Abschluß der Lebenstätigkeit vorzubereiten, nehme ich ihn wieder zur Hand, weil sich eben meine Frau zu einem Besuch bei Dir anschickt. Auch lockt mich etwas, ihn zu beenden, nachdem eine (nicht sehr vertrauenerweckende) Persönlichkeit mich durch Publikation alter Zitate aus Aufsätzen von mir in der Zeit nach 1933 anzuprangern bemüht 22 und ich in einer zur Rehabilitation Martin Heideggers verfaßten Broschüre eines jungen Franzosen23 mit ähnlich verzerrtem Lob bedacht worden bin wie seitens des deutschen Aggressors aus dem Kreis eines heute sog. ,engagements'. Laß mich dessen nicht weiter achtend weiter zu Dir sprechen ,als ob nichts geschehen wäre 4, also ganz so, wie Du es in >Theologische Existenz heute Teil-Abdruck in: Verfassung und Verwaltung der Schule. Eine Auswahl rechts- und sozialwissenschaftlicher Beiträge, hrsg. von Knut Nevermann, Ingo Richter. Stuttgart: Klett-Cotta, 1979, S. 339-348 3. Zum geschichtlichen Werk Erik Wolfs, in: Quaestiones et Responsa. Ein rechtsphilosophisches Gespräch für Erik Wolf zum 65. Geburtstag. Frankfurt am Main: Klostermann, 1968, S. 24-30 (Wissenschaft und Gegenwart; 39) 4. Ideologie und Verfassung, in: Ideologie und Recht, hrsg. von Werner Maihofer. Frankfurt am Main: Klostermann, 1969, S. 37-61 5. Staatskirchenrechtliche Aspekte der Kindertaufe, in: Christsein ohne Entscheidung oder Soll die Kirche Kinder taufen? Hrsg. von Walter Kasper. Mainz: Matthias-GrünewaldVerl., 1970, S. 225-241 6. Die staatskirchenrechtliche Ordnung des Grundgesetzes in der gegenwärtigen Diskussion, in: Hollerbach, Alexander/Scheuner, Ulrich / Strauss, Walter: Totalrevision des Grundgesetzes? Karlsruhe: Badenia-Verl., 1971, S. 43-53 (Veröffentlichungen der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg; 24) —• Wiederabdruck in: Kirche und Staat in der neueren Entwicklung, hrsg. von Paul Mikat. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1980, S. 121 - 138 (Wege der Forschung; 566) 7. Das Kirchenrecht an den deutschen Rechtsfakultäten, in: Ius et salus animarum. Festschrift für Bernhard Panzram, hrsg. von Ulrich Mosiek/Hartmut Zapp. Freiburg i. Br.: Rombach, 1972, S. 327-339 (Sammlung Rombach; N.F., 15) 8. Göttliches und Menschliches in der Ordnung der Kirche, in: Mensch und Recht. Festschrift für Erik Wolf zum 70. Geburtstag, hrsg. von Alexander Hollerbach/Werner Maihofer/Thomas Würtenberger. Frankfurt am Main: Klostermann, 1972, S. 212-235. *Vgl. auch VIII,3 9. Kirche - Staat - Gesellschaft - Völkergemeinschaft. Erwägungen zum 3. Kapitel des Entwurfs einer Lex Ecclesiae Fundamentalis, in: Diaconia et Ius. Festgabe für Heinrich Flatten zum 65. Geburtstag, hrsg. von Heribert Heinemann /Horst Herrmann/Paul Mikat. München [u. a j : Schöningh, 1973, S. 315-333 10. Das christliche Naturrecht im Zusammenhang des allgemeinen Naturrechtsdenkens, in: Naturrecht in der Kritik, hrsg. von Franz Böckle/Emst-Wolfgang Böckenförde. Mainz: Matthias-Grünewald-Verl., 1973, S. 9 - 3 8 11. Über Godehard Josef Ebers (1880-1958). Zur Rolle katholischer Gelehrter in der neueren publizistischen Wissenschaftsgeschichte, in: Festschrift für Ulrich Scheuner zum 70. Geburtstag, hrsg. von Horst Ehmke/Joseph H. Kaiser 7 Wilhelm A. Kewenig/Karl M. Meessen/Wolfgang Rüfner. Berlin: Duncker & Humblot, 1973, S. 143-162 12. Das Verhältnis der katholischen Naturrechtslehre des 19. Jahrhunderts zur Geschichte der Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, in: Theologie und Sozialethik im Spannungsfeld der Gesellschaft. Untersuchungen zur Ideengeschichte des deutschen Katholizismus im 19. Jahrhundert, hrsg. von Albrecht Langner. München [u. a.]: Schöningh, 1974, S. 113-133 (Beiträge zur Katholizismusforschung. Reihe B, Abhandlungen)
Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten 13. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Ernst Friesenhahn/ Ulrich Scheuner i.V.m. Joseph Listl. Bd. 1, Berlin: Duncker & Humblot, 1974, S. 215265 14. Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, ebd. S. 267-296 15. Liberalismus und Kirchen. Fragen an die F.D.P., in: Möglichkeiten und Grenzen liberaler Politik, hrsg. von Kurt Sontheimer. Düsseldorf: Patmos, 1975, S. 85-99 (Schriften der katholischen Akademie in Bayern; 70) *Vgl. auch 111,11 16. Schellings Rechts- und Staatsbegriff in den Jahren 1796-1800, in: Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen, hrsg. von Manfred Frank/Gerhard Kurz. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1975, S. 307-325 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft; 139) -Auszug aus 1,1, unverändert 17. Probleme der Verfassungsinterpretation. Dokumentation einer Kontroverse, hrsg. von Ralf Dreier/Friedrich Schwegmann, Baden-Baden: Nomos-Verl.-Ges., 1976, S. 8 0 - 109 (Studien und Materialien zur Verfassungsgerichtsbarkeit; 3) * Wiederabdruck von 111,1 18. Neutralität, Pluralismus und Toleranz in der heutigen Verfassung, in: Hollerbach, Alexander/Forster, Karl /Maier, Hans: Zum Verhältnis von Staat und Kirche, hrsg. von Joseph Sauer. Karlsruhe: Badenia, 1976, S. 9 - 2 4 (Veröffentlichungen der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg) 19. Katholische Kirche und FDP, in: Katholiken und ihre Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Günter Gorschenek. München [u. a.]: Olzog, 1976, S. 197-204 (Geschichte und Staat; 200-202) 20. Zur Entstehungsgeschichte der staatskirchenrechtlichen Artikel des Grundgesetzes, in: Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers, Bd. 2: Beiträge der Wissenschaft, hrsg. von Dieter Blumenwitz/Klaus Gotto/Hans Maier/Konrad Repgen/Hans-Peter Schwarz. Stuttgart: Dt.-Verl.-Anst., 1976, S. 367382 21. Rechtsbeziehungen zwischen kirchlicher und politischer Gemeinde. Versuch einer Skizze anhand der Rechtslage in Baden-Württemberg, in: Ex aequo et bono. Willibald M. Plöchl zum 70. Geburtstag, hrsg. von Peter Leisching/Franz Pototschnig/Richard Potz. Innsbruck: Wagner, 1977, S. 511-530 (Forschungen zur Rechts- und Kulturgeschichte;
10) 22. Rechtsphilosophie in Freiburg (1805 -1930), in: Kultur - Kriminalität - Strafrecht. Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag am 7. 10. 1977, hrsg. von Rüdiger Herren / Diethelm Kienapfel / Heinz Müller-Dietz. Berlin: Duncker & Humblot, 1977, S. 9 - 3 7 23. Katholizismus und Jurisprudenz in Deutschland 1876-1976, in: Gestalten und Probleme katholischer Rechts- und Soziallehre. Beiträge von Clemens Bauer, Alexander Hollerbach und Adolf Laufs. Paderborn: Schöningh, 1977, S. 55-90 (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft; N.F., 29) 24. Seminar: Die juristische Methode im Staatsrecht. Über Grenzen von Verfassung und Gesetzesbindung, hrsg. von Hans-Joachim Koch. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977, S. 455-484 (Suhrkamp-Taschenbücher Wissenschaft; 198) *Wiederabdruck von 111,1; gekürzt um Abschnitte V und VI 36 Hollerbach
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25. Verfassung. Beiträge zur Verfassungstheorie, hrsg. von Manfred Friedrich. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1978, S. 153 -190 (Wege der Forschung; 452) * Wiederabdruck von 111,1 26. Der bürgerliche Rechtsstaat, hrsg. von Mehdi Tohidipur. Bd. 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1978, S. 206-235 (Edition Suhrkamp; 901) *Wiederabdruck von 111,1 27. El sistema de concordatos y convenios eclesiásticos, in: Constitución y relaciones iglesia-estado en la actualidad. Actas del Simposio Hispano-Alemán organizado por las Universidades Pontificias de Comillas y Salamanca (Madrid, 13-15 marzo 1978). Salamanca: Univ. Pontificia, 1978, S. 179-192 (Bibliotheca Salmanticensis, Estudios; 24) Auch in: Constitución y relaciones iglesia-estado en la actualidad. Salamanca: Univ. Pontificia de Salamanca, 1978, S. 317-330 (Salmanticensis; 25, fase. 2) 28. Das Badische Konkordat vom 12. Oktober 1932, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte. Gedächtnisschrift für Hermann Conrad, hrsg. von Gerd Kleinheyer/Paul Mikat. Paderborn [u.a.]: Schöningh, 1979, S. 283-305 (Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft; N.F., 34) 29. Kirchensteuer, Kirchenbeitrag, in: Grundriß des nachkonziliaren Kirchenrechts, hrsg. von Joseph Listl/Hubert Müller/Heribert Schmitz. Regensburg: Pustet, 1980, S. 720728 30. Kunst- und Denkmalpflege, ebd., S. 740-743 31. Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Deutschen Demokratischen Republik, ebd. S. 875-882 32. Savigny y la Filosofía, in: Juretschke, Hans / Hollerbach, Alexander/Iturrioz, Jesus: Aspectos del humanismo alemán. Conferencias pronunciadas en la Fundación Universitaria Española y en la Sociedad Goerres los días 23, 25 y 30 de Octubre de 1979. Madrid: Fundación Universitaria Española, 1981, S. 53 - 81 33. Katholische Kirche und Katholizismus vor dem Problem der Verfassungsstaatlichkeit, in: Der soziale und politische Katholizismus. Entwicklungslinien in Deutschland 1803-1863, hrsg. von Anton Rauscher, Bd. 1. München [u. a.]: Olzog, 1981, S. 4 6 - 7 1 (Geschichte und Staat; 247-249) 34. Grundwerte und Grundrechte in der Gesellschaft und im Staat, in: Les droits fondamentaux du chrétien dans l'église et dans la société: Actes du IV. Congrès International de Droit Canonique, Fribourg (Suisse) 6. - 11. 10. 1980 = Die Grundrechte des Christen in Kirche und Gesellschaft, publ. par Eugenio Corecco/Nikiaus Herzog/Angelo Scola. Fribourg: Ed. Univ. [u. a.], 1981, S. 811-833 35. Zur Entwicklung des Staatskirchenrechts in Baden und Württemberg in der unmittelbaren Nachkriegszeit, in: Demokratie in Anfechtung und Bewährung. Festschrift für Johannes Broermann, hrsg. von Joseph Listl/Herbert Schambeck. Berlin: Duncker & Humblot, 1982, S. 773-796. *Vgl. auch 111,22 36. Zu Leben und Werk Erik Wolfs, in: Wolf, Erik: Studien zur Geschichte des Rechtsdenkens, hrsg. von Alexander Hollerbach. Frankfurt am Main: Klostermann, 1982, S. 235271 (Ausgewählte Schriften; 3). *Vgl. auch VIII, 4 37. Verträge des Staates mit den evangelischen Kirchen in Deutschland, in: Politik und Konfession. Festschrift für Konrad Repgen zum 60. Geburtstag, hrsg. von Dieter Albrecht/ Hans Günter Hockerts / Paul Mikat / Rudolf Morsey. Berlin: Duncker & Humblot, 1983, S. 565-582. *Vgl. 111,23
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38. Kirchensteuer und Kirchenbeitrag, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, hrsg. von Joseph Listl/Hubert Müller/Heribert Schmitz. Regensburg: Pustet, 1983, S. 889900 39. Kunst- und Denkmalpflege, ebd. S. 915-919 40. Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Deutschen Demokratischen Republik, ebd. S. 1072-1081 41. Zum Verhältnis von Staat und Religion, in: Gendaihô no shoryôiki to Kenpô rinen. Kobayashi Takasuke Kyôju kanreki kinen ronshû, [hensha daihyô Moriizumi Akira/Muroi Tsutomu/Higuchi Yôichi]. Tôkyô: Gakuyô Shobô, 1983, S. 1 -21[= Festschrift für Herrn Professor Takasuke Kobayashi zu seinem 60. Geburtstag, Tokyo, 1983, als gesond. Nachtr. gedruckt] 42. Erwägungen zum Verhältnis von Recht und Religion im Hinblick auf eine philosophische Anthropologie des Politischen, in: Vom normativen Wandel des Politischen. Rechtsund staatsphilosophisches Kolloquium aus Anlaß des 70. Geburtstags von Hans Ryffel, hrsg. von Erk Volkmar Heyen. Berlin: Duncker & Humblot, 1984, S. 173-180 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer; 94) 43. Die Entwicklung des Verwaltungsrechts als akademische Disziplin und Prüfungsfach an der Universität Freiburg i. Br.; in: Wissenschaft und Recht der Verwaltung seit dem Ancien Régime. Europäische Ansichten, hrsg. von Erk Volkmar Heyen. Frankfurt am Main: Klostermann, 1984, S. 285-305 (lus commune. Sonderhefte; 21) 44. Religion - Christentum - Kirche. Die Antwort der Landesverfassung, in: 30 Jahre Verfassung von Baden-Württemberg, hrsg. von Alexander Hollerbach. München [u. a.]: Schnell & Steiner, 1984, S. 42-61; Vorwort, S. 6 f. (Schriftenreihe der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg) *Vgl. auch VIII, 13 45. Kirchensteuer, in: Handwörterbuch religiöser Gegenwartsfragen, hrsg. von Ulrich Ruh/ David Seeber/Rudolf Walter. Freiburg i. Br. [u. a.]: Herder, 1986, S. 207-212 46. Patronatspfarreien der Freiburger Universität. Ein Rechtsgutachten von Ulrich Stutz, in: Festschrift für Hans Thieme zu seinem 80. Geburtstag, hrsg. von Karl Kroeschell. Sigmaringen: Thorbecke, 1986, S. 377-390 47. Zur Problematik des staatlichen Treueids der Bischöfe, in: Rechtsstaat, Kirche, Sinnverantwortung. Festschrift für Klaus Obermayer zum 70. Geburtstag, hrsg. von Richard Bartlsperger/Dirk Ehlers/Werner Hofmann/Dietrich Pirson. München: Beck, 1986, S. 193-201 48. Kommentierung von Vörspruch, Artikel 1 - 1 0 und Artikel 87, in: Verfassung des Landes Baden-Württemberg. Kommentar, hrsg. von Paul Feuchte. Stuttgart [u. a.]: Kohlhammer, 1987, S. 48-142 und S. 727-730 49. Religiöse Vereinigungen. Unter Mitarb. von Willi Frank und Hartmut Krebber, in: Verbände in Baden-Württemberg, hrsg. von Herbert Schneider. Stuttgart [u. a.]: Kohlhammer, 1987, S. 305-322 50. Aus der staatskirchenrechtlichen Praxis in Baden 1948/49, in: Gelb-rot-gelbe Regierungsjahre. Badische Politik nach 1945; Gedenkschrift zum 100. Geburtstag Leo Wohlebs (1888-1955), Paul-Ludwig Weinacht (Hrsg.), Sigmaringendorf: Regio-Verl. Glock und Lutz, 1988, S. 251 -262 3*
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Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten
51. Die Entwicklung der Freiburger Rechtsfakultät 1805-1945, in: Les universités du Rhin Supérieur de la fin du Moyen Age à nos jours. Actes du Colloque organisé à l'occasion du 450e anniversaire des enseignements supérieurs à Strasbourg. Strasbourg, 1988, S. 117-129 52. Der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an den öffentlichen und freien Schulen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Religionsunterricht heute. Seine elementaren theologischen Inhalte, hrsg. von Albert Biesinger/ Thomas Schreijäck. Freiburg i. Br. [u. a j : Herder, 1989, S. 212-225 53. Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Josef Isensee/Paul Kirchhof, Bd. VI: Freiheitsrechte. Heidelberg: Müller, 1989, S. 471-555 54. Der verfassungsrechtliche Schutz kirchlicher Organisation, ebd. S. 557-593 55. Freiheit kirchlichen Wirkens, ebd. S. 595-633 56. Rechtsprobleme der katholischen Kirche im geteilten Deutschland, in: Die Rechtsstellung der Kirchen im geteilten Deutschland. Symposium 1./3. Oktober 1987, [hrsg. von Gottfried Zieger]. Köln [u. a.]: Heymanns, 1989, S. 127-143 (Schriften zur Rechtslage Deutschlands; 14) 57. Wissenschaft und Politik: Streiflichter zu Leben und Werk Franz Böhms (1895-1977), in: Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift zum 65. Geburtstag von Paul Mikat, hrsg. von Dieter Schwab/Dieter Giesen/Joseph Listl/ Hans-Wolfgang Strätz. Berlin: Duncker & Humblot, 1989, S. 283-299. *Vgl. auch 111,31 58. Im Schatten des Jahres 1933. Erik Wolf und Martin Heidegger, in: Martin Heidegger und das „Dritte Reich". Ein Kompendium, hrsg. von Bernd Martin. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1989, S. 122-140 *(durchges. und redaktionell Überarb. Fassung von 111,25) 59. Verfassungsgeschichtlicher Hintergrund und Entstehung des Landes Baden-Württemberg, in: Baden-Württembergisches Staats und Verwaltungsrecht. (BWStVR), hrsg. von Hartmut Maurer/Reinhard Hendler. Frankfurt am Main: Metzner, 1990, S. 1 - 2 6 60. Entwicklungen im Verhältnis von Staat und Kirche, in: Verfassungsrecht zwischen Wissenschaft und Richterkunst. Konrad Hesse zum 70. Geburtstag, hrsg. von Hans-Peter Schneider/Rudolf Steinberg. Heidelberg: Müller, 1990, S. 73-85 (Freiburger rechtsund staatswissenschaftliche Abhandlungen; 52) 61. Das Verhältnis von Staat und Kirche in den mitteldeutschen Landesverfassungen, in: Zeugnis des Glaubens, Dienst an der Welt. Festschrift für Franz Kardinal Hengsbach zur Vollendung des 80. Lebensjahres, hrsg. von Baidur Hermans. Mülheim an der Ruhr: Werry, 1990, S. 741-750 62. Staat und Bischofsamt, in: Zur Frage der Bischofsernennungen in der römisch-katholischen Kirche, Gisbert Greshake (Hrsg.). München [u.a.]: Schnell & Steiner, 1991, S. 51 - 8 4 (Schriftenreihe der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg) 63. Juristische Lehre und Forschung in Freiburg in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Die Freiburger Universität in der Zeit des Nationalsozialismus, hrsg. von Eckhard John/ Bernd Martin/Marc Mück/Hugo Ott. Freiburg i. Br. [u. a.]: Ploetz, 1991, S. 91-113 64. Staat und Kirche, in: 40 Jahre Baden-Württemberg. Aufbau und Gestaltung 1952-1992, hrsg. von Meinrad Schaab. Stuttgart: Theiss, 1992, S. 111 -124
Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten 65. Notizen zu Radbruchs „Vorschule der Rechtsphilosophie", in: Festschrift für Günter Spendel zum 70. Geburtstag am 11. Juli 1992, hrsg. von Manfred Seebode. Berlin [u. a.]: de Gruyter, 1992, S 141 -151 66. Zur Problematik staatskirchenrechtlicher Grundsatzaussagen in verfassungsgeschichtlicher Perspektive, in: Staat und Parteien. Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag, hrsg. von Karl Dietrich Bracher/Paul Mikat/Konrad Repgen/ Martin Schumacher/Hans-Peter Schwarz. Berlin: Duncker & Humblot, 1992, S. 97-105 67. Finances and Assets of the Churches. Survey on the Legal Situation in the Fédéral Republic of Germany, in: Stati e confessioni religiöse in Europa, modelli di finanziamento pubblico, scuola e fattore religioso = Church and State in Europe, State financial support, religion and the school. Atti dell'incontro, Milano/ Parma, 20-21 ottobre 1989. Milano: Giuffrè, 1992, S. 57-76 (Pubblicazioni di diritto ecclesiastico; 7) 68. Heinrich Rosin (1855-1927). Pionier des Allgemeinen Verwaltungsrechts und des Sozialversicherungsrechts, in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. von Helmut Heinrichs/Harald Franzki / Klaus Schmalz/Michael Stolleis. München: Beck, 1993, S. 369-384 69. Begegnungen in und mit Heidelberg, in: Festschrift zum 65. Geburtstag und zur Emeritierung von Professor Dr. Hans Kiefner, hrsg. von Freunden, Kollegen und Mitarbeitern. [Münster]: [Inst, für Kirchenrecht], [1994], S. 125-130 70. Die vertragsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Joseph Listl / Dietrich Pirson, Bd. 1, 2., grundlegend neubearb. Aufl., Berlin: Duncker & Humblot, 1994, S. 253-287 71. Trennung von Staat und Kirche. Internationale Aspekte und deutsche Erfahrungen, in: Trennung von Kirche und Staat. Vorträge an einer Tagung an der Universität Freiburg, Schweiz = Séparation de l'église et de l'état, hrsg. von Louis Carlen. Freiburg/ Schweiz: Univ.-Verl., 1994, S. 21-36 (Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat; 41) 72. Staatskirchenrecht oder Religionsrecht? Begriffs- und problemgeschichtliche Notizen, in: Iuri canonico promovendo. Festschrift für Heribert Schmitz zum 65. Geburtstag, hrsg. von Winfried Aymans / Karl-Theodor Geringer. Regensburg: Pustet, 1994, S. 869-887 73. Theologische Fakultäten und Staatliche Pädagogische Hochschulen, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Joseph Listl / Dietrich Pirson, Bd. 2, 2. Aufl., Berlin: Duncker & Humblot, 1995, S. 549-599 74. Religions- und Kirchenfreiheit im KSZE-Prozeß, in: Grundrechte, soziale Ordnung und Verfassungsgerichtsbarkeit. Festschrift für Ernst Benda zum 70. Geburtstag, hrsg. von Eckart Klein. Heidelberg: Müller, 1995, S. 117-133 75. La Situation en Allemagne, in: La culture religieuse à l'école. Enquête, prises de position, pratiques européennes, sous la direction de Francis Messner. Paris: Éd. du Cerf, 1995, S. 187-193 (L'historié à vif) 76. Gustav Radbruch: neu und wiedergelesen, in: Politik - Bildung - Religion. Hans Maier zum 65. Geburtstag, hrsg. von Theo Stammen/Heinrich Oberreuter/Paul Mikat. Paderborn [u. a j : Schöningh, 1996, S. 209-219
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Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten
77. Reflexionen über Gerechtigkeit, in: Gerechtigkeit und soziale Ordnung. Für Walter Kerber, hrsg. von Norbert Brieskorn/ Johannes Müller. Freiburg i. Br. [u. a.]: Herder, 1996, S. 42-55 78. KSZE-Prozess für Kirchen und Religionen? in: Multiconfessional Europe = Multikonfessionelles Europa I I - Priestertum in Ost und West. München [u. a.]: Kovar, 1996, S. 70-89 (Kanon. Jahrbuch der Gesellschaft für das Recht der Ostkirchen; 13) 79. Der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an den öffentlichen und freien Schulen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Gott — mehr als Ethik? Der Streit um LER und Religionsunterricht, hrsg. von Albert Biesinger und Joachim Hänle. Freiburg i. Br. [u. a.]: Herder 1997, S. 133-146 (Quaestiones disputatae; 167) 80. Selbstbestimmung im Recht aus der Sicht der Rechtsphilosophie, in: Selbstbestimmung in der modernen Gesellschaft aus deutscher und japanischer Sicht. Symposion der Rechtswissenschaftlichen Fakultäten der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Städtischen Universität Osaka, hrsg. von Dieter Leipold. Heidelberg: Müller, 1997, S. 35 - 4 6 (Freiburger rechts- und staatswissenschaftliche Abhandlungen; 62) 81. Zur Entwicklung des katholischen Kirchenrechts im Gebiet der ehemaligen DDR, in: Kirchenrecht in der ehemaligen DDR unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Dokumentation eines Fachgesprächs. Frank Hartmann (Hrsg.), Baden-Baden: Nomos-Verl.-Ges., 1997, S. 83-91 82. Julius Federer (1911-1984): Rechtshistoriker und Verfassungsrichter, in: Wirkungen europäischer Rechtskultur. Festschrift für Karl Kroeschell zum 70. Geburtstag, hrsg. von Gerhard Köbler/Hermann Nehlsen. München: Beck, 1997, S. 377-393 83. National identity, the constitutional tradition and the structures of law on religions in Germany, in: Religions in European Union Law. Proceedings of the colloquium, Luxembourg/Trier, November 21-22, 1996 = Les religions dans le droit communautaire. Bruxelles: Bruylant [u. a.], 1998, S. 89-92 (Pubblicazioni di diritto ecclesiastico; 13) 84. New rights and new social developments in Germany, (mit Axel de Frenne) in: „New liberties" and church and state relationships in Europe : proceedings of the meeting Tilburg, November 17-18, 1995 = „Nouvelles libertés" et relations églises-état en Europe. European Consortium for Church State Research. Bruxelles: Bruylant [u. a.], 1998, S. 131 -139 (Pubblicazioni di diritto ecclesiastico; 14) 85. Religion und Kirche als Garanten des freiheitlichen Verfassungsstaates? Zum Verhältnis von Staat und Religion, in: Kirche in Staat und Gesellschaft. Grundlegungen - Erfahrungen - Perspektiven. Bernhard Nacke (Hrsg.), Mainz: Matthias-Grünewald-Verl., 1998, S. 165-172 86. Kommentierung von Art. 140 GG, in: Hesselberger, Dieter: Das Grundgesetz. Kommentar für die politische Bildung, 11. Aufl., Neuwied [u. a.]: Luchterhand, 1999, S. 375-381 87. Kirchen- und Staatskirchenrecht in Freiburg 1945-1967, in: Festschrift für Martin Heckel zum 70. Geburtstag, hrsg. von Karl-Hermann Kästner/Knut Wolfgang Nörr/ Klaus Schiaich. Tübingen: Mohr Siebeck, 1999, S. 85 - 1 0 1 88. Rechts- und Staatsdenken im deutschen Katholizismus der Weimarer Zeit, in: Dem Staate, was des Staates - der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag, hrsg. von Josef Isensee /Wilhelm Rees/Wolfgang Rüfner. Berlin: Duncker & Humblot, 1999, S. 49-66 (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen; 33)
Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten 89. Kirchensteuer und Kirchenbeitrag, in: Handbuch des Katholischen Kirchenrechts, hrsg. von Joseph Listl / Heribert Schmitz. 2., grundlegend neubearb. Aufl., Regensburg: Pustet, 1999, S. 1078-1092 90. Kunst- und Denkmalpflege, in: Handbuch des Katholischen Kirchenrechts, hrsg. von Joseph Listl/Heribert Schmitz. 2., grundlegend neubearb. Aufl., Regensburg: Pustet, 1999, S. 1109-1114 91. Grundmodelle einer möglichen Zuordnung von Kirche und Staat, (mit Joseph Listl), ebd. S. 1256-1268 92. Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, (mit Joseph Listl), ebd. S. 1268-1293 93. Kyôkai ni okeru kihonken - kyôkai no kihonken. Kyôkaihô oyobi kokka, kyôikuhôteki kanten kara no kôsatsu. [= Grundrechte in der Kirche - Grundrechte der Kirche. In japan. Übers.], in: Ningen no songen to gendai horiron. Hose Yonparuto kyôju koki shukuga, henshû iin Yoshiomi Mishima, Ryôsuke Inagaki, Masanori Shiyake. Tokyo: Seibundô, 2000. [= Dt.: Die Menschenwürde und die Rechtstheorie der Gegenwart. Festschrift für Professor José Llompart zum 70. Geburtstag. Tokyo, 2000], S. 691 -712 94. Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, in: Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1930-2000. Verlagsgeschichte und Bibliographie, unter Mitarb. von Siegfried Blasche, Frank-Rutger Hausmann, Alexander Hollerbach und Uwe Jochum, hrsg. von Vittorio E. Klostermann. Frankfurt am Main, 2000, S. 44-50 95. Laudatio auf Hasso Hofmann, in: Philosophie des Rechts und Verfassungstheorie. Geburtstagssymposium für Hasso Hofmann, hrsg. von Horst Dreier, Berlin: Duncker & Humblot, 2000, S. 9 - 2 3 (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte; 26) 96. Der Mainzer Priester Dr. iur. Karl Neundörfer (1885-1926). Aspekte seines Lebens und Wirkens, in: Weg und Weite. Festschrift für Karl Lehmann, hrsg. von Albert Raffelt. Freiburg i. Br. [u. a.]: Herder, 2001, S. 313-326 Online unter: http: // www.freidok.uni-freiburg.de / / volltexte / 318 97. Recht gegen Gesetz? Zum Fall Marschall in wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive, in: Staat - Kirche - Verwaltung. Festschrift für Hartmut Maurer zum 70. Geburtstag, hrsg. von Max-Emanuel Geis und Dieter Lorenz. München: Beck, 2001, S. 381-395 98. Kommentierung von Art. 140 GG, in: Hesselberger, Dieter: Das Grundgesetz. Kommentar für die politische Bildung. 12. Aufl., Neuwied: Luchterhand, 2001, S. 377-383 99. Im Schatten des Jahres 1933. Erik Wolf und Martin Heidegger, in: Martin Heidegger. Ein Philosoph und die Politik, hrsg. von Gottfried Schramm /Bernd Martin, 2., erw. Aufl., Freiburg im Breisgau: Rombach, 2001, S. 117-148 (Rombach Wissenschaften. Reihe Studeo; 8) 100. Die wissenschaftlichen Anfänge Hans Liermanns in Freiburg, in: Bürgerliche Freiheit und christliche Verantwortung. Festschrift für Christoph Link zum 70. Geburtstag, hrsg. von Heinrich de Wall/Michael Germann. Tübingen: Mohr Siebeck, 2003, S. 49-64 101. Fragen zum Schulrecht in Baden-Württemberg, in: Im Dienste der Sache. Liber amicorum für Joachim Gaertner, hrsg. von Ricarda Dill, Stephan Reimers und Christoph Thiele. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang, 2003, S. 327-336 (Schriften zum Staatskirchenrecht; Bd. 8)
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Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten
102. Zum staatskirchenrechtlichen Diskurs im deutschen Katholizismus der Nachkriegszeit, in Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner, hrsg. von Stefan Muckel. Berlin: Duncker & Humblot, 2003, S. 341-353 103. Zur Geschichte des öffentlichen Rechts an der Freiburger Rechtsfakultät. Von den Anfängen bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Die schöpferische Kraft der Japanischen und Deutschen Verfassungslehre. Festschrift für Hisao Kuriki zum 70. Geburtstag, Tokyo, 2003, Bd. II, S. 708-730 104. Aspekte der neueren Entwicklung des Konkordatsrechts, in: Verfassung im Diskurs der Welt. Liber Amicorum für Peter Häberle zum siebzigsten Geburtstag, hrsg. von Alexander Blankenagel/Ingolf Pernice/Helmuth Schulze-Fielitz. Tübingen: Mohr Siebeck, 2004, S. 821-839 105. Die rechtliche Stellung der theologischen Fakultäten in der Bundesrepublik Deutschland, in: Adrian Loretan (Hg.): Theologische Fakultäten an europäischen Universitäten. Rechtliche Situation und theologische Perspektiven. Münster: Lit Verlag 2004, S. 67-82 106. Wie christlich darf, wie christlich muß unser Schulwesen sein? anmerkungen aus der Sicht des Juristen, in: Christliche Gemeinschaftsschule in pluraler Gesellschaft - Auslaufmodell oder zukünftsfähig? Referate der ptz-Jahrestagung 2003, Stuttgart 2004, S. 21-28 107. Hans Großmann-Doerth im Kontext der Freiburger Rechts- und Staats wissenschaftlichen Fakultät, in: Das selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft. Zum Gedenken an Hans Großmann-Doerth (1894-1944), hrsg. von Uwe Blaurock/Nils Goldschmidt/ Alexander Hollerbach. Tübingen: Mohr Siebeck, 2005, S. 19-43
III. Aufsätze in Zeitschriften und anderen Periodica 1. Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung? Zu Ernst Forsthoffs Abhandlung „Die Umbildung des Verfassungsgesetzes" in der Festschrift für Carl Schmitt, in: Archiv des öffentlichen Rechts 85 (1960), S. 241-270 *Vgl. auch 11,17; 11,24; 11,25; 11,26 2. Diritto e Stato nella tarda filosofia di Schelling, (übers, von Alessandro Baratta) in: Rivista internazionale di filosofia del diritto 38 (1961), S. 601-628 3. Taufwiederholung bei Konversionen? Eine kanonistische Studie über die bedingte Taufe, in: Oberrheinisches Pastoralblatt 66 (1965), S. 321-333, Forts. S. 353-362 *(Neubearb. von II, 1) 4. Zu Leben und Werk Heinrich Triepels, in: Archiv des öffentlichen Rechts 91 (1966), S. 417-441; Dokumente, S. 537-557 5. Juristische Lehre und Forschung in Mannheim, in: Juristenzeitung 23 (1968), S. 174-178; ohne Anm. wiederabgedr. in: Gesellschaft der Freunde der Universität Mannheim. Mitteilungen 17 (1968) Nr. 2, S. 32-38 6. Die neuere Entwicklung des Konkordatsrechts, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, N.F., 17 (1968), S. 117-163 7. Die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 1 (1969), S. 46-67 (als Manuskript gedruckt 1967)
Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten 8. Vormärz, Revolution und Nachmärz im Spiegel des Wirkens des badischen Juristen Anton Christ (1800-1880), in: Baden-Württembergisches Verwaltungsblatt 14 (1969), S. 1 - 8 9. Aspekte der Freiheitsproblematik im Recht, in: Philosophische Perspektiven 5 (1973), S. 29-41 10. Zur Geschichte der Vertretung des Kirchenrechts an der Universität Freiburg im Breisgau im 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 90 = 59 (1973), S. 343-382 11. Liberalismus und Kirchen: Fragen an die FDP, in: Internationale katholische Zeitschrift „Communio" 4 (1975) S. 160-169 *Vgl. auch 11,15 12. Das Verhältnis von Kirche und Staat. Notizen zur gegenwärtigen Diskussion, in: Lebendige Seelsorge 26 (1975), S. 341-349 13. Streiflichter zur Entstehungsgeschichte der Badischen Staatskirchenverträge von 1932. Aus Anlaß eines Briefwechsels zwischen Ulrich Stutz und Eugen Baumgartner, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 92 = 61 (1975), S. 324-347 14. Der Katholische Juristen verein, gemeinsam mit Günter Laudahn, in: Civitas. Jahrbuch für Sozialwissenschaften 14 (1976), S. 24-37 15. Josef Schmitt (1874-1939). Bausteine zur Würdigung seines Wirkens als badischer Jurist und Politiker, gemeinsam mit Josef Bartilla, in: Freiburger Diözesan-Archiv 97 (1977), S. 380-400 16. Religionsunterricht in der reformierten gymnasialen Oberstufe. Dokumentation und gutachtliche Stellungnahme zur Rechtslage in Baden-Württemberg, in: Archiv für Katholisches Kirchenrecht 145 (1976), S. 459-490. Überarb. Fassung auch in: Der Religionsunterricht als bekenntnisgebundenes Lehrfach. Sechs Rechtsgutachten von Christoph Link, Armin Pahlke, Joseph Listl, Ulrich Scheuner und Alexander Hollerbach zur Frage der Möglichkeit der Teilnahme von Schülern am Religionsunterricht einer anderen Konfession, hrsg. von Joseph Listl. Berlin: Duncker & Humblot, 1983, S. 79-112 (mit Nachwort 1983) (Staatskirchenrec htliche Abhandlungen; 15) 17. Kirchenrecht an der Freiburger Rechtsfakultät 1918-1945, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 23 (1978), S. 28-49 18. Erik Wolf f, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 95 (1978), S. 485-491 19. Erik Wolf f, in: ebd. Kanonistische Abteilung 96 = 66 (1979), S. 455-461 20. Die Lateran Verträge im Rahmen der neueren Konkordatsgeschichte, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 75 (1980), S. 51 - 75 21. Die Theologischen Fakultäten und ihr Lehrpersonal im Beziehungsgefüge von Staat und Kirche, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 16 (1982), S. 69-102 22. Das Verhältnis von Staat und Kirche in Baden-Württemberg (1. Teil), in: Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg 3 (1982) S. 217-225 *Vgl. auch 11,35 23. Le convenzioni con le chiese evangeliche nella Repubblica federale tedesca, in: Cittä e regione 8 (1982), S. 214-230. *Vgl. auch 11,37
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Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten
24. Bemerkungen zum kanonischen Taufrecht, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 29(1984), S. 145-169 25. Im Schatten des Jahres 1933: Erik Wolf und Martin Heidegger, in: Freiburger Universitätsblätter, Jg. 25, Heft 92 (1968), S. 33-47. *Vgl. 11,58 26. „Es geht um ein fundamentales Recht". Ein Gespräch mit Professor Alexander Hollerbach über Probleme des neuen kirchlichen Vereinsrechts, in: Herder Korrespondenz 41 (1987), 10, S. 473-479 27. Der Prozeß gegen Paulus wegen „Nachdrucks" der Berliner Vorlesungen Schellings, in: UFITA. Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht 106 (1987), S. 189-201 *Wiederabdruck aus 1,1 28. La enseñanza de la religión como asignatura ordinaria en las escuelas públicas y privadas de la República Federal de Alemania, in: Estudios eclesiásticos 62 (1987), S. 441-453 —> Auch in: Constitución y acuerdos Iglesia-Estado. Actas del I I simposio hispano-alemán. Carlos Corall y Joseph Listl (ed.), Madrid: UPCM, 1988, S. 187-199 29. In japanischer Übersetzung von Masanori Shiyake: Das Naturrechtsproblem in der heutigen deutschen Jurisprudenz, in: Jahrbuch der Japanisch-Deutschen Gesellschaft für Rechtswissenschaft 9 (1985), S. 19-40 30. In japanischer Übersetzung von Kaguyoshi Kawatsu: Grundgesetz und Religion, ebd. S. 4 1 - 6 1 31. Zu Leben und Werk Franz Böhms in: Freiburger Universitätsblätter Jg. 27, Heft 102 (1988), S. 81-89 *Vgl. oben 11,57 32. 100 Jahre Juristisches Seminar, in: Freiburger Universitätsblätter, Jg. 29, Heft 108 (1990), S. 4 1 - 5 1 33. Europa und das Staatskirchenrecht, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 35 (1990), S. 250-283 34. Geistige Behinderung aus rechtsphilosophischer Sicht, gemeinsam mit Christof Gramm, in: Geistige Behinderung 29 (1990), S. 330-338 35. Staatliche Ersatzleistungen für den evangelischen Religionsunterricht, gemeinsam mit Christof Gramm, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 36 (1991), S. 17-41 36. Globale Perspektiven der Rechts- und Staatsentwicklung, in: Freiburger Universitätsblätter, Jg. 30, Heft 111 (1991), S. 33-47 37. Aktuelle Fragen aus dem Recht der Theologischen Fakultäten, in: Theologische Quartalschrift 171 (1991), S. 251-264 38. Vertragsstaatskirchenrecht als Instrument im Prozeß der deutschen Wiedervereinigung, in: Kirche & Recht 1 (1995), S. 1 - 1 2 39. „Der Staat ist kein Neutrum". Ein Gespräch zum Kruzifix-Urteil mit dem Staatskirchenrechtler Alexander Hollerbach, in: Herder Korrespondenz 49 (1995), 10, S. 536-541 —> Wiederabdruck in: Das Kreuz im Widerspruch. Der Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts in der Kontroverse. Hrsg. von Hans Maier. Freiburg [u. a.]: Herder, 1996, S. 28-39 (Quaestiones disputatae; 162) 40. Le droit allemand des religions dans le cadre de la réunification, in: Revue de droit canonique 45 (1995), S. 53-62
Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten 41. Rosin, Heinrich, in: Badische Biographien. N.F., Bd. 4 (1996), S. 242 42. Staatskirchenrecht oder Religionsrecht? in: Kirche & Recht 3 (1997), S. 1 - 3 = [Fach] 110, S. 4 9 - 5 1 43. Staat und Kirche vor neuen religiösen Herausforderungen, in: Kirche & Recht 3 (1997), S. 141 -148 = [Fach] 130, S. 15-22 44. Heinrich Rosin, in: Rektoramt und Rektoren an der Albert-Ludwigs-Universität (14601906), in: Freiburger Universitätsblätter, Jg. 36, Heft 137 (1997), S. 137-141 45. Die Garantie der Friedensordnung durch den Staat. Zugleich Besprechung von: Simson, Werner von: Der Staat als Teil und als Ganzes, Baden-Baden, 1993, in: Archiv des öffentlichen Rechts 123 (1998), S. 122-128 46. Quelques remarques sur la neutralité de l'état en matière religieuse en RFA, in: Archives de sciences sociales des religions, Jg.43, Nr. 101 (1998), S. 61 - 6 5 47. Grundlinien der Universitätsverfassung von 1805-1933, in: Rektoramt und Spitzengremien der Universität Freiburg im 20. Jahrhundert (= Freiburger Universitätsblätter, Jg. 38, Heft 145 (1999), H. 3, S. 7 - 1 3 48. Concordati e accordi concordatari in Germania sotto il pontificato di Giovanni Paolo II, in: Quaderni di diritto e politica ecclesiastica 1999, fasc. 1 (April), S. 73-80 49. Erik Wolf (1902-1977): Zur Erinnerung an einen bedeutenden Freiburger Rechtsgelehrten, in: Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg (2004), S. 443 - 447
IV. Miszellen 1. Zur Auslegung des § 74 RAGebO, in: Neue Juristische Wochenschrift 9 (1956), S. 1019-1020 2. Die Jurídica in der Bibliothek des Rastatter Gymnasiums, in: Humanitas. 150 Jahre Ludwig-Wilhelm-Gymnasium Rastatt. Rastatt: Pabel, 1958, S. 100-106 3. „Existenz und Ordnung". Professor Erik Wolf sechzig Jahre, in: Badische Zeitung Nr. 109 vom 12. /13. Mai 1962, S. 5 4. „Patron der Juristen". Der heilige Ivo. Zu seinem Fest am 19. Mai, in: Der christliche Sonntag, 14. Jg., Nr. 20 vom 20. Mai 1962, S. 160 5. Zum Kapitel „Staat - Recht" (Interpretationshilfen zu Texten von Rudolf Jhering und Jacob Grimm), in: Ernst Bender (Hrsg.): Deutsches Lesebuch für Höhere Schulen. Bausteine zu Bd. 7 (Lehrerhandbuch), Karlsruhe: Braun, 1962, S. 105-116 6. Trennung von Staat und Kirche? (Zu Fischer, Erwin: Trennung von Staat und Kirche, München, 1964), in: Hochland 58 (1965/66), S. 63-67 7. Einige grundsätzliche Aspekte der gegenwärtigen Notstandsdiskussion, in: Die Ampel. Studentenzeitschrift der Wirtschaftshochschule Mannheim, Nr. 33, November 1966, S. 4 - 6 8. Zum Gedenken an Heinrich Triepel, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, N.F. 16(1967), S. 3 - 4 9. Gymnasium und Universität, in: Humanitas. Blätter der Vereinigung der Freunde des Ludwig-Wilhelm-Gymnasiums Rastatt 9 (1967), S. 18-26
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Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten
10. Die Trennung von Staat und Kirche, in: Publik, Nr. 12 vom 13. Dez. 1968, S. 17 11. Auf dem Weg zu einem Grundgesetz für die Katholische Kirche, in: Mitteilungen. Evangelischer Oberkirchenrat : Information, Diskussion, Arbeitsmaterial für Mitarbeiter der Evangelischen Landeskirche in Baden, Nr. 6, Juni 1971, S. 32-34 —> In erw. und veränderter Fassung, in: Informationen, Berichte, Kommentare, Anregungen. Erzbistum Freiburg, Nr. 6, Juni 1971, S. 13-18 12. Wahlfachgruppe Kirchenrecht. Kurzbericht, in: Die Öffentliche Verwaltung 24 (1971), S. 768-771 13. Erik Wolf zum 70. Geburtstag am 13. Mai 1972, in: Juristenzeitung 27 (1972), S. 290. Auch in: Freiburger Universitätsblätter, Jg. 11, Heft 36, (1972), S. 9 - 1 0 14. Gerhart Husserl f, in: Juristenzeitung 29 (1974), S. 36-37. —• In leicht veränd. Fassung auch in: Freiburger Universitätsblätter, Jg. 13, Heft 43, (1974), S. 7 - 8 15. Alfred Schühly 85 Jahre alt, in: Juristenzeitung 29 (1974), S. 192-193 16. Wilfried Löwenhaupt zum Gedenken, in: Freiburger Universitätsblätter, Jg. 14, Heft 47 (1975), S. 12-14 17. Zum Gedenken an Alfred Schühly, in: Baden-Württembergische Verwaltungspraxis 4 (1977), S. 250-251 18. Erik Wolf zum Gedenken, in: Freiburger Universitätsblätter, Jg. 17, Heft 59 (1978), S. 13-15 19. Glückwunschadressen für Ernst von Caemmerer, in: Ansprachen anläßlich der feierlichen Übergabe der Festschrift für Ernst von Caemmerer zum 70. Geburtstag am 21. Januar 1978 in Freiburg i. Br., als Manuskript hrsg. von Hans G. Leser. Marburg, 1978, S. 21-24 u. S. 37-40 20. Glückwunschadresse für Werner von Simson am 21. Februar 1978 zum 70. Geburtstag, in: Freiburger Universitätsblätter, Jg. 17, Heft 60 (1978), S. 14-16 21. Antrittsrede, in: Jahrbuch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften für das Jahr 1978. Heidelberg, 1979, S. 103-106 22. Rechte eines Professors. Was Konkordate über das Verhältnis von Staat und Kirche in Universitäten sagen, in: Rheinischer Merkur, Christ und Welt Nr. 2 vom 11. Jan. 1980, S. 27 23. Fragen und Bemerkungen (Diskussionsbeitrag), in: Ludwig Hasler (Hrsg.): Schelling, seine Bedeutung für eine Philosophie der Natur und der Geschichte. Referate und Kolloquien der Internationalen Schelling-Tagung Zürich 1979, Stuttgart/Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 1981, S. 307-308 (Problemata; 91) 24. Laudatio anläßlich der Verleihung des Ehrenringes der Görres-Gesellschaft an Professor Dr. Dr. h.c. J. J. M. van der Ven, in: Jahres- und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft 1987.(1988), S. 88-91 25. Paul Feuchte 70 Jahre alt, in: Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg 10 (1989), S. 477-479 26. Laudatio anläßlich der Verleihung des Ehrenringes der Görres-Gesellschaft an Professor Dr. Theo Mayer-Maly, in: Jahres- und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft 1989. (1990), S. 127-129
Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten 27. Karl Engisch 15.3. 1899-11.9. 1990 (Nachruf), in: Jahrbuch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften für 1991. (1992), S. 104-108 28. Interview (durch Johannes Falterbaum) u. d. T. „Die Laien wirken mit", in: Rheinischer Merkur, Nr. 28 vom 14. Juli 2000, S. 24 29. Erinnerung an Erik Wolf, in: Freiburger Universitätsblätter, Jg. 41, Heft 158 (2002), S. 99-109 30. Nachruf auf Hans Reschke (22. 03. 1904-17. 10. 1995), in: Jahrbuch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften für 1996, Heidelberg 1997, S. 133-135 31. Brief an Werner Maihofer zum 80. Geburtstag, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 84(1998), S. 565-566 32. Heiner Marré 70 Jahre, (gemeinsam mit Joseph Listl): in: Kirche und Recht, 5 (1999), S. 65-66 = [Fach] 980, S. 197-198 33. Konrad Hesse. Akademische Feier zum 80. Geburtstag, dokumentiert von Peter Häberle und Alexander Hollerbach, Heidelberg: Müller, 2000, VIII, 23 S.
V. Lexikon-Artikel Lexikon für Theologie und Kirche, begr. von Michael Buchberger. 2., völlig neu bearb. Aufl., hrsg. von Josef Höfer und Karl Rahner. Freiburg i. Br. [u. a.]: Herder, 1957-1968 Erschienen: Bd. 1 - 1 0 ; Reg., Suppl. 1 - 3 - Evangelisches Kirchenrecht, Bd. 6 (1961) Sp. 250-252 - Naturrecht, V.: im evangelischen Verständnis, Bd. 7 (1962) Sp. 828-829 - Presbyterialverfassung, Bd. 8 (1963) Sp. 722-723 Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft. 6., völlig neu bearb. und erw. Aufl. Freiburg i. Br. [u. a.]: Herder, 1957-1970 Erschienen: Bd. 1 - 1 1 - Schelling, Bd. 6 (1961) Sp. 1100-1105 - Konkordat, Bd. 10 (Erg.-Bd. 2) (1970) Sp. 536-542 - Staatskirchen und Staatsreligionen, I. Christliche Staatenwelt, Bd. 11 (Erg.-Bd. 3) (1970) Sp. 298-304; 314-315 Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, hrsg. von der Görres-Gesellschaft. 7., völlig neu bearb. Aufl. Freiburg i. Br.): Herder, 1985-1993 Erschienen: Bd. 1 - 7 - Anstaltsseelsorge, Bd. 1 (1985) Sp. 168 - Billigkeit, ebd. Sp. 809-813 - Gemeinwohl III (Juristische Aspekte), Bd. 2 (1986) Sp. 862 f. - Gerechtigkeit I I (Gerechtigkeit und Recht), ebd. Sp. 898-903,905 f. - Kind I I B. (Strafrechtlich), III (Schutz und Förderung des Kindes in Staat und Gesellschaft), Bd. 3 (1987) Sp. 407 f. - Kirche und Staat VI, 2, VII, ebd. Sp. 497-502 - Kirchliche Lehrbeanstandung III (Staatskirchenrechtlich), ebd. Sp. 519 f. - Kirchliche Werke I I (Evangelische Kirche), ebd. Sp. 534 f.
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Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten Klerus I I (Staatskirchenrechtlich), ebd. Sp. 549 f. Konkordat, ebd. Sp. 620-625 Konkordatslehrstühle, ebd. Sp. 625-627 Leistung III (Der Rechtsbegriff), ebd. Sp. 897 f., 901 Menschenrechte I (Begriffliche Unterscheidungen), V (Private Initiativen zum Schutz der Menschenrechte), ebd. Sp. 1103 f., 1113, 1118 Naturrecht IV 3 (Naturrecht und Kirchenrecht), V (Naturrecht im Protestantismus) ebd. Sp. 1312-1318 Norm I I (Rechtsnorm), Bd. 4 (1988) Sp. 67-69 Pflicht I I (Im Recht), ebd. Sp. 376-378 Rechtsethik, ebd. Sp. 692-694 Rechtswissenschaft, ebd. Sp. 751-760 Reichskonkordat II, ebd. Sp. 789-792 Rotteck, ebd. Sp. 944 f. Schiedsgerichtsbarkeit II, ebd. Sp. 1025-1027 Staatskirchenrecht, Bd. 5 (1989) Sp. 180-182 Staatskirchen und Staatsreligionen, ebd. Sp. 182-186 Staatskirchenverträge, ebd. Sp. 186-188 Stahl, ebd. Sp. 244-246 Subsidiarität I I (Rechtliche Aspekte), ebd. Sp. 389 f. Theologische Fakultäten, ebd. Sp. 461-464 Verhältnismäßigkeit, ebd. Sp. 670 f. Volk I I (Verfassungsrechtliche Aspekte), ebd. Sp. 770 f Wahlen, kirchliche I I (Evangelische Kirche), ebd. Sp. 845 f. Weltanschauungsgemeinschaften, ebd. Sp. 927 - 929 Globale Perspektiven, Kapitel 5: Recht, Bd. 6: Die Staaten der Welt I, S. 38-47 *Vgl. auch 111,35 Art. Deutschland VI, C 2 (Religion), ebd. S. 167
International encyclopedia of the social sciences. David L. Sills, ed. New York: Macmillan [u. a.], 1968-1979 Erschienen: Bd. 1-17, Suppl. - Jellinek, Georg, Bd. 8 (1968) S. 252- 254 Lexikon der Pastoraltheologie, hrsg. von Ferdinand Klostermann/Karl Rahner/Hansjörg Schild. Freiburg i. Br. [u. a.]: Herder, 1972, (Handbuch der Pastoraltheologie; 5: Lexikon) - Kirche und Staat S. 258 - 259 Neue Deutsche Biographie, hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Berlin: Duncker & Humblot, 1953- Jhering, Rudolf von, Bd. 10 (1974) S. 123-124 - Jellinek, Georg, ebd. S. 391-392 - Rosin, Heinrich, Bd. 22 (2005) S. 91 f. Praktisches Wörterbuch der Pastoralanthropologie. Sorge um den Menschen, hrsg. von Heimo Gastager... Wien [u. a.]: Herder [u. aj, 1975 - Daseinsvorsorge (gemeinsam mit Achim Krämer), Sp. 167-168
Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte. HRG, hrsg. von Adalbert Erler/Ekkehard Kaufmann, Berlin: Schmidt, 1971-1998 Erschienen: Bd. 1 - 5 - Konkordat (seit 1801), Bd. 2 (1978) Sp. 1070-1074 Katholisches Soziallexikon, hrsg. von Alfred Klose/Wolfgang Mantl/Valentin Zsifkovits, 2., gänzl. überarb. und. erw. Aufl., Innsbruck [u. a.]: Verl. lyrolia [u. a.], 1980, Sp. 2358 - 2362 - Rechtsphilosophie, Sp. 2358-2362 Evangelisches Staatslexikon, begr. von Hermann Kunst u. Siegfried Grundmann. Hrsg. von Roman Herzog. 3., neubearb. u. erw. Aufl. in 2 Bd., Stuttgart: Kreuz-Verl., 1987 - Gemeinde III (in der katholischen Kirche), Bd. 1 (1987) Sp. 1049-1052 - Ius divinum II (Kanonisches Recht), ebd. Sp. 1414-1416 Lexikon für Theologie und Kirche, begr. von Michael Buchberger. 3., völlig neu bearb. Aufl. hrsg. von Walter Kasper. Freiburg [u. a j : Herder, 1993-2001 Erschienen: Bd. 1 - 1 1 -
Dignitatis humanae, Bd. 3 (1995) Sp. 229 Erziehungsrecht, ebd. Sp. 855 - 856 Fakultäten (II), ebd. Sp. 1158-1162 Freiheit der Wissenschaft in der Kirche, Bd. 4 (1995) Sp. 113-115 Oldendorp, Johannes, Bd. 7 (1998) Sp. 1039 Presbyterialverfassung, Bd. 8 (1999) Sp. 539 Staatskirche, Bd. 9 (2000) Sp. 899-900 Staatskirchenrecht, ebd. Sp. 900 - 903 Staatsreligion, ebd. Sp. 905-907 Verhältnismäßigkeit, Bd. 10 (2001) Sp. 669-670 Wolf, Erik, ebd. Sp. 1276-1277 Zasius, Ulrich, ebd. Sp. 1386-1387
Lexikon der Bioethik, hrsg. im Auftrag der Görres-Gesellschaft von Wilhelm Korfu/ Lutwin Beck/Paul Mikat. Gütersloh: Gütersloher Verl.-Haus, 1998 Erschienen: Bd. 1 - 3 -
Elternrecht/elterliches Sorgerecht (1. Elternrecht), Bd. 1, S. 547-548 Gerechtigkeit (2. Rechtlich), Bd. 2, S. 72-75 Naturrecht (1. Rechtlich), Bd. 2, S. 738-742 Todesstrafe, Bd. 3, S. 585-587
Religion in Geschichte und Gegenwart. RGG. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 4., völlig neu bearb. Aufl., hrsg. von Hans Dieter Betz/Don S. Browning/ Bernd Janowski/Eberhard Jüngel. Tübingen: Mohr, 1998-
Anstaltsseelsorge, Bd. 1 (1998) Sp. 518 - Sp. 1554 Bickell, Johann Wilhelm, ebd. Sp. 1554 Heiner, Franz, Bd. 3 (2000) Sp. 1597 Hilling, Nikolaus, ebd. Sp. 1738 Huber, Ernst Rudolf, ebd. Sp. 1918 Konkordate, Bd. 4 (2001) Sp. 1599-1603
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Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten Lateranverträge, Bd. 5 (2002) Sp. 114 f. Nihil obstat, Bd. 6 (2003) Sp. 319 f. Politische Klausel, ebd. Sp. 1468 Reichskonkordat, Bd. 7 (2004) Sp. 223 f. Treueid, Bd. 8 (2005) Sp. 588 Wolf, Erik, ebd. Sp. 1680 f. Zirkumskriptionsbulle, ebd. Sp. 1882
Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, hrsg. von Axel von. Campenhausen /Ilona Riedel-Spangenberger/Reinhold Sebott unter Mitarbeit von Heribert Hallermann. Paderborn [u. aj: Schöningh, 2000-2004 -
Anstalt III, Bd. 1 (2000) S. 118-119 Clausula rebus sie stantibus, ebd. S. 341-342 Freundschaftsklausel, ebd. S. 724-725 Invocatio Dei-Formel, Bd. 2 (2002) S. 319-320 Lateranverträge, Bd. 2 (2002) S. 690-691 Wolf, Erik, Bd. 3 (2004) S. 897-898
VI. Urteilsanmerkungen und Rechtsprechungsberichte 1. Anmerkung zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 28. 4. 1965 (1 BvR 346/ 61) betr. Parität und Staatsleistungen, in: Juristenzeitung 20 (1965), S. 612-615 2. Anmerkung zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 4. 10. 1965 (1 BvR 498/ 62) betr. Umsatzsteuerfreiheit von privatrechtlichen Religionsgesellschaften, in: Juristenzeitung 21 (1966), S. 270-272 3. Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (I), in: Archiv des öffentlichen Rechts 92 (1967), S. 99-127; wiederabgedruckt in: Staat und Kirchen in der Bundesrepublik. Staatskirchenrechtliche Aufsätze 1950-1967, hrsg. von Helmut Quaritsch/Hermann Weber, Bad Homburg v. d. H. [u. a.]: Gehlen, 1967, S. 401 426 (Dokumentationen zum öffentlichen Recht; 1) 4. Anmerkung zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. 11. 1973 (VII C.59.72) betr. Schulgebet, in: Juristenzeitung 29 (1974), S. 578-580 5. Das Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (II), in: Archiv des öffentlichen Rechts 106 (1981), S. 218-283 6. Anmerkung zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. 06. 1997 (7C 11.96) betr. Verleihung des Körperschaftsstatus an eine Religionsgemeinschaft (hier: Zeugen Jehovas), in: Juristenzeitung 52 (1997), S. 1117-1119
VII. Buchbesprechungen / Rezensionen 1. Radbruch, Gustav: Paul Johann Anselm Feuerbach. Ein Juristenleben, 2. Aufl., hrsg. von Erik Wolf. Göttingen, 1957, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 45 (1959), S. 601-604
Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten 2. Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Gesetz und gesetzgebende Gewalt. Berlin, 1958; Kopp, Hans W.: Inhalt und Form der Gesetze als ein Problem der Rechtstheorie, 2 Bände, Zürich, 1958, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 77 (1960), S. 351-354 3. Wilhelm, Walter: Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert. Die Herkunft der Methode Paul Labands aus der Privatrechtswissenschaft. Frankfurt am Main 1958, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 77 (1960), S. 354-360 4. Langner, Albrecht: Der Gedanke des Naturrechts seit Weimar und in der Rechtsprechung der Bundesrepublik. Bonn, 1959, in: Philosophisches Jahrbuch 69 (1961 / 62), S. 192 -195 5. Larenz, Karl: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. Berlin [u. a.], 1960, in: Philosophisches Jahrbuch 69 (1961/62), S. 426-429 6. Badura, Peter: Die Methoden der neueren Allgemeinen Staatslehre. Erlangen, 1959, in: Philosophisches Jahrbuch 70 (1962/63), S. 216-219 7. Weiß, Antonia Ruth: Friedrich Adolf Trendelenburg und das Naturrecht im 19. Jahrhundert. Kallmünz, Opf., 1960, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 48 (1962), S. 441-446 8. Kaufmann, Erich: Rechtsidee und Recht. Gesammelte Schriften Bd. 3, Göttingen, 1960, in: Philosophisches Jahrbuch 70 (1962/63), S. 418-419 9. Hommes, Ulrich: Die Existenzerhellung und das Recht. Frankfurt, 1962, in: Philosophisches Jahrbuch 70 (1962/63), S. 427-431 10. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Briefe und Dokumente, hrsg. von Horst Fuhrmans, Bd. 1 (1775-1809). Bonn, 1962, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 49 (1963), S. 366-368 11. Jahrbuch des öffentlichen Rechts N.F. Bd. 11. Tübingen 1962, in: Neuer Literaturanzeiger, Nr. 2 vom 1. 4. 1963 (Anzeige) 12. Del Vecchio, Giorgio: Grundlagen und Grundfragen des Rechts. Göttingen, 1963, in: Philosophisches Jahrbuch 72 (1964/65), S. 443-444 13. Häberle, Peter: Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz. Karlsruhe, 1962, in: Philosophisches Jahrbuch 72 (1964/65), S. 444 (Anzeige) 14. Konkordate seit 1800, zusammengestellt und bearb. von Lothar Schöppe, Frankfurt am Main [u. a.], 1964; Wenner, Joseph: Reichskonkordat und Länderkonkordate, 7. verb. Aufl., Paderborn, 1964, in: Archiv des öffentlichen Rechts 90 (1965), S. 252-256 15. Klose, Hans-Ulrich, Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und den Evangelischen Landeskirchen in Hessen unter besonderer Berücksichtigung des Hessischen Kirchenvertrages vom 18. 2. 1960. Berlin 1966, in: Juristische Rundschau 1968, S. 357-358 16. Festschrift für Hans Liermann zum 70. Geburtstag, hrsg. von Klaus Obermayer/Hans Rudolf Hagemann, Erlangen, 1964, in: Archiv des öffentlichen Rechts 93 (1968), S. 157 (Anzeige) 17. Gundlach, Gustav: Die Ordnung der menschlichen Gesellschaft, Köln, 1964, in: Der Staat 8 (1969), S. 101-103 18. Campenhausen, Axel von: Erziehungsauftrag und staatliche Schulträgerschaft. Göttingen, 1967, in: Stimmen derZeit 183 (1969), S. 425-426 37 Hollerbach
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19. Schneider, Hans-Peter: Justitia Universalis. Quellenstudien zur Geschichte des „christlichen Naturrechts" bei Gottfried Wilhelm Leibniz. Frankfurt, 1967, in: Zeitschrift der Savigny Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 86 = 55 (1969), S. 581 — 585 20. Steinmüller, Wilhelm: Evangelische Rechtstheologie. Köln [u. a.], 1968, in: Internationale Dialog-Zeitschrift, Beilage zu Heft 1 (1970) (Anzeige) 21. Weber, Hermann (Hrsg.): Staatskirchenverträge. München, 1967, in: Archiv des öffentlichen Rechts 95 (1970), S. 324-326 22. Dießelhorst, Malte: Ursprünge des modernen Systemdenkens bei Hobbes. Stuttgart, 1968, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung 88(1971), S. 547-549 23. Marcic, René: Geschichte der Rechtsphilosophie. Freiburg, 1971, in: Juristenzeitung 27 (1972), S. 447 - 448 24. Schiaich, Klaus: Kollegialtheorie. München, 1969; Plassmann, Engelbert: Staatskirchenrechtliche Grundgedanken der deutschen Kanonisten an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Freiburg, 1968, in: Der Staat 12 (1973), S. 129-133 25. Campenhausen, Axel von: Staatskirchenrecht. München: Goldmann, 1973, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 19 (1974) S. 420 - 427. Wiederabdruck in: Rezensierte Verfassungsrechtswissenschaft, hrsg. von Peter Häberle, Berlin: Duncker & Humblot, 1982, S. 356-362 (Schriften zum öffentlichen Recht; 414) 26. Heller, Hermann: Gesammelte Schriften, hrsg. von Martin Drath/Gerhart Niemeyer/ Otto Stammer, Fritz Borinski. 3 Bände, Leiden, 1971, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 61 (1975), S. 585-589 27. Weber, Werner: Die deutschen Konkordate und Kirchen Verträge der Gegenwart, Band 2. Göttingen, 1971, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 93 = 62 (1976), S. 535-536 28. Carlen, Louis: Kirchenrecht und Kirchenrechtslehrer an der Universität Freiburg i. Ü., Freiburg (Schweiz), 1979, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 97 = 66 (1980), S. 536-537 29. Lepa, Manfred: Das Grundgesetz in Fällen. München, 1978, in: Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg 2 (1981), S. 414-415 30. Feuchte, Paul (Bearb.): Quellen zur Entstehung der Verfassung von Baden-Württemberg, 1. Teil, Stuttgart, 1986, in: Der Staat 26 (1987), S. 622-623 31. Gustav Radbruch, Gesamtausgabe, hrsg. von Arthur Kaufmann, Heidelberg, 1987 - Erschienen: Bd. 1 -20, jeweils in Juristische Rundschau (JR) Bd. 1: Rechtsphilosophie I, bearb. von Arthur Kaufmann, Heidelberg, 1987, in: JR 1988, S. 130 f. Bd. 16: Biographische Schriften, bearb. von Günter Spendel, Heidelberg, 1988, in: JR 1988, S. 481 f. Bd. 3: Rechtsphilosophie III, bearb. von Winfried Hassemer, Heidelberg, 1990, in: JR 1991, S. 395 Bd. 17: Briefe I (1898-1918), bearb. von Günter Spendel, Heidelberg, 1991, in: JR 1992, S. 262 f.
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Bd. 9: Strafrechtsreform, bearb. von Rudolf Wassermann, Heidelberg, 1992, in: JR 1993, S. 351 Bde. 12 und 13: Politische Schriften aus der Weimarer Zeit I und II, bearb. von Alessandro Baratta, Heidelberg, 1992/1993, in: JR 1994, S. 350 Bd. 2: Rechtsphilosophie II, bearb. von Arthur Kaufmann, Heidelberg 1993, und Bd. 10: Strafvollzug, bearb. von Heinz Müller-Dietz, Heidelberg, 1994, in: JR 1995, S. 526 f. Bd. 18: Briefe II (1919-1949), bearb. von Günter Spendel, Heidelberg 1995, in: JR 1996, S. 43 Bd. 7: Strafrecht I, bearb. von Monika Frommel, Heidelberg, 1995, in: JR 1997, S. 40 f. Bd. 6: Feuerbach, bearb. von Gerhard Haney, Heidelberg, 1997, in: JR 1998, S. 394 f. Bd. 5: Literatur- und kunsthistorische Schriften, bearb. von Hermann Klenner, Heidelberg, 1997, in: JR 1998, S. 439 Bd. 8: Strafrecht II, bearb. von Arthur Kaufmann, Heidelberg, 1998, in: JR 2000, S. 87 Bd. 19: Reichstagsreden, bearb. von Volkmar Schöneburg, Heidelberg, 1998, in: JR 2001, S. 84 f. Bd. 15: Rechtsvergleichende Schriften, bearb. von Heinrich Scholler, Heidelberg, 1999, in: JR 2001, S. 216 f. Bd. 11: Strafrechtsgeschichte, bearb. von Ulfrid Neumann, Heidelberg, 2001, in: JR 2002, S. 130 f. Bd. 14: Staat und Verfassung, bearb. von Hans-Peter Schneider, Heidelberg, 2002, In JR 2003, S. 218 Bd. 4: Kulturphilosophische und kunsthistorische Schriften, bearb. von Günter Spendel, Heidelberg, 2002, in: JR 2003, S. 394 Bd. 20: Nachtrag und Gesamtregister, bearb. von Berthold Kastner, Heidelberg, 2003, in JR 2004, S. 176 32. Listl, Joseph (Hrsg.): Die Konkordate und Kirchen Verträge in der Bundesrepublik Deutschland, 2 Bände, Berlin, 1987, in: Die Öffentliche Verwaltung 42 (1989), S. 177178 33. Heckel, Martin: Gesammelte Schriften. Staat, Kirche, Recht, Geschichte. 2 Bände, hrsg. von Klaus Schiaich, Tübingen, 1989, in: Archiv des öffentlichen Rechts 117 (1992), S. 303-304 (Anzeige) 34. Hofmann, Hasso: Repräsentation, 2. Aufl., Berlin, 1990, in: Archiv des öffentlichen Rechts 117 (1992), S. 304-305 (Anzeige) 35. Heckel, Martin: Die theologischen Fakultäten im weltlichen Verfassungsstaat. Tübingen, 1986, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 37 (1992), S. 214-218 36. Puza, Richard ; Kustermann, Abraham Peter (Hrsg.): Die Kirchen und die deutsche Einheit. Rechts- und Verfassungsfragen zwischen Kirche und Staat im geeinten Deutschland. Stuttgart, 1991, in: Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg 13 (1992), S. 486 37. Linsenmann, Franz Xaver: Sein Leben, Band 1: Lebenserinnerungen, hrsg. von Rudolf Reinhardt, Sigmaringen, 1987, in: History of universities 12 (1993), S. 436-438 37*
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Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten
38. Paarhammer, Hans / Pototschnig, Franz /Rinnerthaler, Alfred (Hrsg.): 60 Jahre österreichisches Konkordat. München, 1994, in: De processibus matrimonialibus. Fachzeitschrift zu Fragen des kanonischen Ehe- und Prozeßrechts, 2 (1995), S. 394-395 39. Campenhausen, Axel von/Christoph, Joachim E.: Göttinger Gutachten. Kirchenrechtliche Gutachten in den Jahren 1980-1990, erstattet vom Kirchenrechtlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland. Tübingen, 1994, in: Archiv des öffentlichen Rechts 121 (1996), S. 169-170 (Anzeige) 40. Pointierte Analysen, in: Rheinischer Merkur, Nr. 13 vom 28. März 1997, S. 26 (Besprechung von: Axel von Campenhausen: Staatskirchenrecht, 3. Aufl., München, 1996; Gesammelte Schriften, Tübingen, 1995; Kirchenrecht und Kirchenpolitik. Stellungnahmen im kirchlichen Zeitgeschehen, Göttingen, 1996) 41. Schnizer, Helmut: Rechtssubjekt, rechtswirksames Handeln und Organisationsstrukturen. Ausgewählte Aufsätze aus Kirchenrecht, Rechtsgeschichte und Staatskirchenrecht. Freiburg/Schweiz, 1995, in: Neue Juristische Wochenschrift 49 (1996), S. 1663-1664 42. Deutsche Sektion der Internationalen Juristenkommission (Hrsg.): Religionsfreiheit. Jahrestagung vom 29. September - 2. Oktober 1995 in Erfurt, Heidelberg, 1996, in: Die Öffentliche Verwaltung 51 (1998), S. 129 43. Spendel, Günter: Jugend in einer Diktatur. Erinnerungen eines Zeitzeugen 1933-1945, Asendorf 1998, in: Juristische Rundschau 1999, S. 395 44. Grundgesetz. Kommentar, hrsg. von Horst Dreier. Bd. 1 (1996) und Bd. 2 (1998), Tübingen, in: Juristenzeitung 54 (1999), S. 888-889 45. Stolleis, Michael: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 2 (1992) und Bd. 3 (1999) München, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 33 (2000), S. 354-355 46. Friedrich, Manfred: Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin, 1997, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 86 (2000), S. 449-451 47. Kleinwächter, Marietherese: Das System des göttlichen Kirchenrechts. Der Beitrag des Kanonisten Hans Barion (1899-1973) zur Diskussion über Grundlagen und Grenzen des Kanonischen Rechts, Würzburg, 1996, in: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 23 (2001), S. 157-159 48. Grundgesetz, Kommentar, hrsg. von Horst Dreier. Bd. 3, Tübingen, 2000, in: Juristenzeitung 56 (2001), S. 1083 49. Gassner, Ulrich: Heinrich Triepel. Leben und Werk. Berlin 1999, in: Juristenzeitung 2001, S.1181 50. Rudolph Sohm: Staat und Kirche als Ordnung von Macht und Geist. Ausgewählte Texte zum Verhältnis von Staat und Kirche. Hersg. und mit einem Anhang versehen von HansMartin Pawlowski. Freiburg/Berlin 1996, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 89 (2003) S. 140-142 51. Link, Christoph: Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte. Frankfurt am Main, 2000, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 120 (2003), S. 701-703 52. Claus Dieter Classen: Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht in der Grundrechtsordnung. Tübingen 2003, in: Juristenzeitung 2005, S. 515 f.
Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten
VIII. Herausgebertätigkeit 1. Existenz und Ordnung. Festschrift für Erik Wolf zum 60. Geburtstag, hrsg. von Thomas Würtenberger/ Werner Maihofer/Alexander Hollerbach. Frankfurt am Main: Klostermann, 1962, 502 S. *Vgl. auch 11,1 2. Christlicher Friede und Weltfriede. Geschichtliche Entwicklung und Gegenwartsprobleme, hrsg. von Alexander Hollerbach/Hans Maier. Paderborn: Schöningh, 1971. 146 S. (Görres-Gesellschaft. Veröffentlichungen der Sektion für Rechts- und Staatswissenschaft; N.F., 8) 3. Mensch und Recht. Festschrift für Erik Wolf zum 70. Geburtstag, hrsg. von Alexander Hollerbach/Werner Maihofer/Thomas Würtenberger. Frankfurt am Main: Klostermann, 1972, 249 S. *Vgl. auch 11,8 4. Wolf, Erik: Ausgewählte Schriften. Frankfurt am Main: Klostermann, 1972-1982. Erschienen: Bd. 1 - 3 . *Vgl. auch 11,36 Bd. 1: Rechtsphilosophische Studien, 1972. X, 328 S. Bd. 2: Rechtstheologische Studien, 1972. XII, 352 S. Bd. 3.Studien zur Geschichte des Rechtsdenkens, 1982. VIII, 276 S. 5. Mitherausgeber (zusammen mit Hans Maier/Paul Mikat) von: Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft. Paderborn: Schöningh, seit N.F. Heft 9, (1972) 6. Mitherausgeber (zusammen mit Ernst Friesenhahn/Paul Mikat/Hans Maier /Klaus Mörsdorf/Ulrich Scheuner) der Serie: Staatskirchenrechtliche Abhandlungen. Berlin: Duncker & Humblot, seit Bd. 1 (1971). Mitherausgeber derzeit (1996): Josef Isensee/ Joseph Listl/Wolfgang Loschelder/Hans Maier/Paul Mikat/Wolfgang Rüfner 7. Mitherausgeber mit Klaus Hemmerle / Robert Spaemann von: Symposion. Philosophische Schriftenreihe. Freiburg i. Br. [u. a.]: Alber, ab Bd. 51 (1975) bis Bd. 100 (1994) 8. Jhering, Rudolf von: Der Kampf ums Recht, [Bearb. von Alexander Hollerbach] 5. Aufl. Frankfurt am Main: Klostermann 1977, 39 S. (Deutsches Rechtsdenken; 10) 9. Hrsg., redaktionell bearb. und mit einem Vorwort versehen: Rödig, Jürgen: Naturrecht oder Rechtspositivismus? in: Gesetzgebungstheorie, Juristische Logik, Zivil- und Prozeßrecht. Gedächtnisschrift für Jürgen Rödig, hrsg. von Ulrich Klug/Thilo Ramm /Fritz Rittner/Burkhard Schmiedel. Berlin [u. a.]: Springer, 1978, S. 369-393 10. Erik Wolf. Der unbeliebte, aber unentbehrliche Jurist, als Manuskript hrsg. von A. Hollerbach/Hans-Peter Schneider. Frankfurt am Main: Klostermann, 1978, [11 S.] 11. Bibliographie Konrad Hesse, hrsg. von Peter Häberle/ Alexander Hollerbach. Heidelberg [u. a.]: Müller, 1979, 31 S. Vollständig: Heidelberg: Müller, 1999, VII, 25 S. 12. Festheft für Günther Wendt zum 65. Geburtstag am 23. September 1984, Hrsg. zusammen mit Klaus Engelhardt/Jörg Winter. Tübingen, 1984 (= Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 29 (1984), Heft 1/2) 13. 30 Jahre Verfassung von Baden-Württemberg. München [u. a.]: Schnell & Steiner, 1984, 71 S. (Schriftenreihe der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg) *Vgl. auch 11,44 14. Jhering, Rudolf von: Der Kampf ums Recht, [Bearb. von Alexander Hollerbach] 8., erg. Aufl., Frankfurt am Main: Klostermann, 2003,39 S. (Deutsches Rechtsdenken; [N.F.], 10)
Promotionen bei Prof. Dr. Alexander Hollerbach (Mannheim) Reis, Hans: Konkordat und Kirchenvertrag in der Staatsverfassung, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart; N.F., 17. Tübingen: Mohr, 1968; S. 166-394 Zugl.: Mannheim, Univ., Diss., 1968 Knecht, Erwin Rudolf: Das Landesplanungsrecht von Rheinland-Pfalz unter besonderer Berücksichtigung der Regionalplanung, 1969; IX, 185 S. Mannheim, Univ., Diss., 1970 Blum, Dieter Johannes: Das passive Wahlrecht der Angehörigen des öffentlichen Dienstes in Deutschland nach 1945 im Widerstreit britisch-amerikanischer und deutscher Vorstellungen und Interessen. Ein alliierter Versuch zur Reform des deutschen Beamtenwesens. Göppingen: Kümmerte, 1972; XV, 581 S. (Göppinger akademische Beiträge; 46) Zugl.: Mannheim, Univ., Diss., 1970 ISBN 3-87452-10-6 Madeyski, Peter: Das Entwicklungsland Bolivien und seine Kirche. Ein Beitrag zum Verhältnis von Staat und Kirche, 1970. in, 218 S. Mannheim, Univ., Diss., 1970 Greulich, Helmut: Staatliche Rechtsordnungen in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Beitrag zur Lehre vom Bundesstaat unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsnatur und Rechtwirkungen interförderativen Rechts, 1972; XIII, 385 S. Mannheim, Univ., Diss., 1972
Promotionen bei Prof. Dr. Alexander Hollerbach (Freiburg) WS 1965/66 Dietrich, Anselm: Die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens im Großherzogtum Baden bis zur Errichtung des katholischen Oberstiftungsrates (1803-1869). Eine rechtshistorische Studie unter Berücksichtigung der Entwicklung in den süddeutschen Staaten, 1966; XLIV, 403 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1966 WS 1969/70 Schwarz, Reinhard: Der Rheinland-Pfälzische Kirchen vertrag vom 31. März 1962, 1970; XLII, 210 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1970 Vitzthum, Stephan: Linksliberale Politik und materiale Staatsrechtslehre. Albert Hänel 1833 1918/Stephan Graf Vitzthum. Freiburg i. Br.: Alber, 1971; 218 S. ISBN 3-495-47220-7 Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1970 SS 1970 Löwenhaupt, Wilfried: Politischer Utilitarismus und bürgerliches Rechtsdenken. John Austin (1790-1859) und die „Philosophie des positiven Rechts". Berlin: Duncker & Humblot, 1972; 386 S. (Schriften zur Rechtstheorie; 28) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Diss., 1969. WS 1970/71 Tilmann, Konrad: Die sogenannten Konkordatsprofessoren. Geschichtliche Entwicklung und heutige Rechtsproblematik, 1971; XXXI, 212 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1971 WS 1971/72 Pfahls, Ludwig-Holger: Staat, Kirche und Volksschule in Bayern, 1971; XXXIII, 341 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1971 WS 1972/73 Kaiser, Volker: Zwischenkirchliche Verträge. Juristisch-analysierende Untersuchung der nach 1945 vornehmlich von deutschen evangelischen Landeskirchen mit anderen kirchlichen Gemeinschaften abgeschlossenen Verträge, 1972; XIII, 257, X V - X X V S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1972
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Promotionen (Freiburg)
SS 1973 Gackenholz, Friedrich: Die Vertretung der Universitäten auf den Landtagen des Vormärz. Insbesondere dargestellt am Beispiel der Universität Freiburg i. Br. Karlsruhe: Müller, 1974; 246 S. (Freiburger rechts- und staatswissenschaftliche Abhandlungen; 40) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1973 ISBN 3-8114-0006-1 Hofmann, Johannes: Die Mitwirkung der Arbeitgeber bei der Erhebung der Kirchensteuer. Zur Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit, 1973; XXII, 208 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1973 WS 1973/74 Bohnert, Joachim: Über die Rechtslehre Georg Friedrich Puchtas (1798-1846). Karlsruhe: Müller, 1975; 209 S. (Freiburger rechts- und staatswissenschaftliche Abhandlungen; 41) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1974 ISBN 3-8114-0019-3 SS 1975 Lee, Orlan: Legal and moral systems in Asian customary law. The legacy of the Buddhist social ethic and Buddhist law. San Francisco: Chinese Materials Center, 1978; 9, XXIV, 456 S. (Asian library series; 7) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1975 ISBN 0-89644-524-0 WS 1975/76 Bartilla, Michael-Josef: Der badische Staatsmann und Jurist Josef Schmitt (1874-1939). Ein Beitrag zur badischen Geschichte und zur Geschichte des Staatskirchenrechts in der Weimarer Republik. Frankfurt am Main: Haag und Herchen, 1980; XIII, 212 S. Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1976 ISBN 3-88129-055-9 SS 1976 Hager, Hilmar: Das Hauptfreiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG und das Vorverständnis von Freiheit am Beispiel von Hobbes, Hegel, Marx und Jaspers, 1976; 234, VIIIS. Freiburg, (Breisgau), Univ., Diss., 1976 Volkmann, Klaus J.: Die Rechtsprechung staatlicher Gerichte in Kirchensachen 1933-1945. Mainz: Matthias-Grünewald-Verl., 1978; XXXIX, 241 S. (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte: Reihe B, Forschungen; 24) Teilw. zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1976 ISBN 3-7867-0685-9 WS 1976/77 Winter, Jörg: Die Wissenschaft vom Staatskirchenrecht im Dritten Reich. Frankfurt am Main [u. a.]: Lang, 1979; IV 315 S. (Europäische Hochschulschriften: Reihe 2, Rechtswissenschaft; 212) Teilw. zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1976/77 ISBN 3-8204-6510-3
Promotionen (Freiburg)
SS 197 Quaas, Michael: Staatliche Hilfe an Kirchen und kirchliche Institutionen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Beitrag zur historischen Entwicklung und Gegenwartsproblematik des Verhältnisses von Staat und Kirche in den USA. Berlin: Duncker & Humblot, 1977; 149 S. (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen; 6) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1977 ISBN 3-428-04056-2 WS 1977/78 Oberthür, Peter: Die Säkularisation im Urteil der deutschen Kirchenrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, 1979; VII, 256 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1978 Wiegand, Christian: Über Friedrich Julius Stahl (1801 -1862). Recht, Staat, Kirche. Paderborn [u. a.]: Schöningh, 1981; 302 S. (Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft; N.F., 35) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1978 ISBN 3-506-73335-4 SS 1978 Pak, Un-Zong: Über Rechtsontologie. Die ontologische Fragestellung in der neueren deutschen Rechtsphilosophie, 1978; VI, 226 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1978 WS 1978/79 Petrig, Dieter: Emil Erich Hölscher (1880-1935) und Karl Otto Petraschek (1876-1950) im Zusammenhang des katholischen Rechtsdenkens. Ein Beitrag zur Geschichte der juridischen Neuscholastik und der Rechtsphilosophie in Deutschland. Paderborn [u. a.]: Schöningh, 1981; 264 S. (Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft; N.F., 36) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1978 ISBN 3-506-73336-2 Robbers, Gerhard: Gerechtigkeit als Rechtsprinzip. Über den Begriff der Gerechtigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Baden-Baden: Nomos-Verl.-Ges., 1980; 205 S. (Studien und Materialien zur Verfassungsgerichtsbarkeit; 16) Teilw. zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1979 ISBN 3-7890-0529-0 Choi, Chongko: Staat und Religion in Korea. Zur Grundlegung eines koreanischen Religionsrechts, 1979; IV, 330 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1979 SS 1979 Kindhäuser, Urs Konrad: Intentionale Handlung: Sprachphilosophische Untersuchungen zum Verständnis von Handlung und Strafrecht. Berlin: Duncker & Humblot, 1980; 232 S. (Schriften zur Rechtstheorie; 90) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1979 ISBN 3-428-04611-0
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Promotionen (Freiburg)
Rath, Hans-Dieter: Positivismus und Demokratie. Richard Thoma 1874-1957. Berlin: Duncker & Humblot, 1981; 213 S. (Schriften zur Rechtsgeschichte; 22) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1979 ISBN 3-428-04815-6 WS 1979/80 Spyropoulos, Philippos C.: Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Griechenland unter besonderer Berücksichtigung der orthodoxen Kirche, 1981; 183 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1979 SS 1980 Hasenkamp, Holger G.: Die Freie Hansestadt Bremen und das Reich 1928-1933. Eine verfassungsgeschichtliche Untersuchung. Bremen: Staatsarchiv, 1981; 301 S. (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen; 47) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1980 Lübbe-Wolff, Gertrude: Rechtsfolgen und Realfolgen. Welche Rolle können Folgenerwägungen in der juristischen Regel- und Begriffserklärung spielen? Freiburg (Breisgau) [u. a.]: Alber, 1981; 179 S. (Alber-Broschur Rechts- und Sozial Wissenschaft) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1980 ISBN 3-495-47472-2 Rübsaamen, Thomas: Die Verwaltung des Ortskirchenvermögens im badischen Anteil der Erzdiözese Freiburg, 1980; Getr. Zählung Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1980 WS 1980/81 Kirchberg, Christian: Der badische Verwaltungsgerichtshof im Dritten Reich. Eine Quellenstudie zur Justiz- und Verwaltungsgeschichte des ehemaligen Landes Baden unter dem Nationalsozialismus. Berlin: Duncker & Humblot; 1982; 272 S. (Schriften zur Rechtsgeschichte; 24) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1981 ISBN 3-428-05028-2 SS 1981 Feist, Michael: Die rechtliche Situation der evangelischen Studentengemeinden. Frankfurt am Main: Haag und Herchen, Bd. 1 - 2. 1982 Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1981 ISBN 3-88129-554-2 ISBN 3-88129-555-0 WS 1981/82 Faber, Bernd Joachim: Kirche und Staat im Saarland. Eine staatskirchenrechtliche Untersuchung, 1981; XXXII, 283 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1981 Kuss, Wolfram: Der Staat in der Philosophie Nietzsches, 1980; VIH, 453 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1982
Promotionen (Freiburg)
SS 19 Herr, Michael: Die Kirche in England und der königliche Supremat im Spiegel der zeitgenössischen kirchenpolitischen Publizistik, 1981; III, 492 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1982 Kose, Antoni: Recht und Sittlichkeit im sozialistischen Staat, dargestellt am Beispiel Polens, 1982; VIII, 266 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1982 WS 1982/83 Muscheler, Karlheinz: Relativismus und Freirecht. Ein Versuch über Hermann Kantorowiez. Heidelberg: Müller, 1984; XI, 266 S. (Freiburger rechts- und staatswissenschaftliche Abhandlungen; 44) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1982 ISBN 3-8114-6483-3 Zacherl, Christian: Verfassungsgerichtsbarkeit in Württemberg-Baden. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte der unmittelbaren Nachkriegszeit (1946-1952). Freiburg: Hochschulverl., 1983; 238 S. (Hochschulsammlung Rechtswissenschaft: Rechts- und Verfassungsgeschichte; 1) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1983 ISBN 3-8107-2184-0 SS 1983 Nickel, Heinz: Der badische Ratschreiber. Ein Beitrag zur badischen und baden-württembergischen Kommunalrechtsgeschichte, 1983; LV, 725 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1983 WS 1984/85 Kitzler, Albert: Die Auslegungslehre des Anton Friedrich Justus Thibaut. Berlin: Duncker & Humblot, 1986; 145 S. (Freiburger rechtsgeschichtliche Abhandlungen; N.F., 7) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1985 ISBN 3-428-06085-7 Penz, Jürgen: Die Geschichte der Juristenausbildung in Württemberg unter besonderer Berücksichtigung des 19. Jahrhunderts, 1985; IX, 226 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1985 SS 1985 Veiel, Axel: Beiträge lateinamerikanischer Rechtsphilosophie zur Frage des Zusammenhangs zwischen Gesetz und richterlichem Urteil, 1985; 226 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1985 WS 1985/86 Lenz, Gisela: Die Rechtsbeziehung zwischen dem Land Hessen und der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Bistumsverträge vom 9. März 1963 und 29. März 1974. Frankfurt am Main [u. a.]: Lang, 1987; XXIX, 312 S. (Europäische Hochschulschriften: Reihe 2, Rechtswisschaft; 540) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1986 ISBN 3-8204-9488-X
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Promotionen (Freiburg)
WS 1986/87 Gramm, Christoph: Zur Rechtsphilosophie Ernst Blochs. Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.Ges., 1987; IX, 212 S. (Reihe Philosophie; 8) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1985 u.d.T.: Gramm, Christof: Aspekte der Rechtsphilosophie Ernst Blochs ISBN 3-89085-205-X Fachet, Siegfried: Verwaltungsgerichtshof, Kompetenzgerichtshof und Disziplinargerichte in Württemberg unter dem Nationalsozialismus. Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.-Ges., 1989; XV, 328 S. (Reihe Rechtswissenschaft; 55) Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1987 ISBN 3-89085-210-6 SS 1987 Matthiessen, Irene Marie: Der Schleswig-Holsteinische Kirchen vertrag vom 23. April 1957, 1987; 250 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1987 WS 1987/88 Wirth, Thomas: Adelbert Düringer, Jurist zwischen Kaiserreich und Republik. Mannheim: Inst, für Landeskunde und Regionalforschung der Univ., 1989; XIX, 235 S. (Südwestdeutsche Schriften; 6) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1988 ISBN 3-87804-198-5 SS 1988 Bogdandy, Armin von: Hegels Theorie des Gesetzes. Freiburg [u. a.]: Alber, 1989; 278 S. (Symposion; 89) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1986 ISBN 3-495-47683-0 Eberle, Susanne: Sozialstationen in kirchlicher Trägerschaft. Eine Untersuchung aus der Sicht des Kirchenrechts, des Staatskirchenrechts und des Sozialrechts. Essen, Ludgerus-Verl., 1993; XVIII, 254 S. (Münsterischer Kommentar zum Codex iuris canonici: Beiheft; 8) Teilw. zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1988 ISBN 3-87497-196-1 WS 1989/90 Blum, Nikolaus: Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Berlin: Duncker & Humblot, 1990; 202 S. (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen; 19) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1989/90 ISBN 3-428-06921-8 Niens, Hans: Kirchengut, Pfarrbesoldung und Baulast in der Evangelischen Landeskirche in Baden. Entstehung - Entwicklung - Probleme. Heidelberg: Müller, 1991; XII, 337 S. (Freiburger rechts- und staatswissenschaftliche Abhandlungen; 55) Zugl.: Freiburg, Univ., Diss., 1990 ISBN 3-8114-7190-2
Promotionen (Freiburg) Schläfereit, Stephan: Verfassungsgerichtsbarkeit in der Freien und Hansestadt Hamburg. Geschichte, Kompetenzen, Aufbau und Verfahren. Frankfurt am Main [u. a.]: Lang, 1991; XXVIII, 244 S. (Europäische Hochschulschriften: Reihe 2, Rechtswissenschaft; 1049) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1990 ISBN 3-631-42871-5 Spieldiener, Bernhard: Weltanschauung und Weltanschauungsgemeinschaften im Recht der Bundesrepublik Deutschland: Zum Begriff der Weltanschauungsgemeinschaften und zur sachlichen Bedeutung der Gleichstellung dieser mit den Religionsgesellschaften in der Grundgesetzbestimmung des Art. 140 GG, 137 VII WRV sowie in anderen ausgewählten Rechtsbereichen, 1987; VI, 445, XXIS. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1990 SS 1990 Erasmy, Walter: Entstehung und Entwicklung der Kirchensteuer in Baden bis 1945. Aachen: Shaker, 1995; XIX, 345, [27] S. (Berichte aus der Rechtswissenschaft) Bearb. Fassung von: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1990 ISBN 3-8265-5009-9 Lenthe, Christian von: Zur politischen Betätigung von kirchlichen Mitarbeitern in den evangelischen Landeskirchen der EKD und ihrer Zusammenschlüsse. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang, 1991; 322 S. (Europäische Hochschulschriften: Reihe 2, Rechtswissenschaft;
1102) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1990 ISBN 3-631-43154-6 WS 1990/91 Hoffmann, Roland: Verfahrensgerechtigkeit. Studien zu einer Theorie prozeduraler Gerechtigkeit. Paderborn [u. a.]: Schöningh, 1992; 264 S. (Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft; N.F., 65) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1991 ISBN 3-506-73365-6 WS 1991/92 Bohnert, Cornelia: Zu Straftheorie und Staatsverständnis im Schulenstreit der Jahrhundertwende. Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.-Ges., 1992; 222 S. (Reihe Rechtswissenschaft; 146) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1992 ISBN 3-89085-724-8 Böhler, Britta: Gerhart Husserl. Leben und Werk, 1992; XII, 229 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1992 Schüle, Klaus: Der Staatsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof von WürttembergHohenzollern. Zur Geschichte der Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes Württemberg-Hohenzollern (1946-1952). Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.-Ges., 1993; 163 S. (Reihe Rechtswissenschaft; 144) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1992 ISBN 3-89085-706-X
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Promotionen (Freiburg)
Ukert, Nikolaus: Das Recht der Evangelisch-Methodistischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. München: Diss.-Verl. NG-Kopierladen, 1993; 264 S. Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1992 ISBN 3-928536-06-0 SS 1992 Escher, Alfred: Neukantianische Rechtsphilosophie, teleologische Verbrechensdogmatik und modernes Präventionsstrafrecht. Eine biographische und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung über Alexander Graf zu Dohna (1876-1944). Berlin: Duncker & Humblot, 1993; 298 S. (Schriften zur Rechtstheorie; 162) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-07803-9 Göbel, Gerald: Das Verhältnis von Kirche und Staat nach dem Codex Iuris Canonici des Jahres 1983. Berlin: Duncker & Humblot, 1993; 229 S. (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen; 21) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-07679-6 Maschke, Andreas: Gerechtigkeit durch Methode. Zu Karl Engischs Theorie des juristischen Denkens. Heidelberg: Winter, 1993; XIII, 295 S. (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse; Jg. 1993, Abh. 1) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1990/91 ISBN 3-8253-0095-1 Michel, Wolf-Rüdiger: Das württembergische Gesetz über die Kirchen vom 3. März 1924. Entstehung und Entwicklung. Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.-Ges.,1993; XXV, 345 S. (Reihe Rechtswissenschaft; 150) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1992 ISBN 3-89085-743-4 Paroussis, Michel: Theorie des juristischen Diskurses. Eine institutionelle Epistemologie des Rechts. Berlin: Duncker & Humblot, 1995; 170 S. (Schriften zur Rechtstheorie; 169) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-08402-0 Pope, Michael: Alfred Delp S.J. im Kreisauer Kreis. Die rechts- und sozialphilosophischen Grundlagen in seinen Konzeptionen für die Neuordnung Deutschlands. Mainz: MatthiasGrünewald-Verl., 1994; XX, 233 S. (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte: Reihe B, Forschungen; 63) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1992 ISBN 3-7867-1769-9 WS 1992/93 Strunz, Christian: Rechtliche und rechtstatsächliche Fragen der katholischen Vereine im kirchlichen und weltlichen Recht, 1991; III, 163 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1992
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SS 193 Freiling, Paul-Stefan: Das Subsidiaritätsprinzip im kirchlichen Recht. Essen: LudgerusVerl., 1995; XI, 245 S. (Münsterischer Kommentar zum Codex iuris canonici: Beiheft; 13) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1993 ISBN 3-87497-201-1 Isak, Axel: Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts. Berlin: Duncker & Humblot, 1994; 354 S. (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen; 24) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-07954-X WS 1993/94 Campenhausen, Otto von: Günther Holstein. Staatsrechtslehrer und Kirchenrechtler in der Weimarer Republik. Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.-Ges., 1997; IX, 131 S. (Reihe Rechtswissenschaft; 177) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1993 ISBN 3-89085-976-3 Kollmann, Andreas: Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht. Berlin: Duncker & Humblot, 1996; 743 S. (Schriften zur Rechtsgeschichte; 68) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-08977-4 Kräßig, Stefan: Der Verband der Diözesen Deutschlands. Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.Ges., 1995; XXVIII, 208 S. (Reihe Rechtswissenschaft; 175) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1994 ISBN 3-89085-962-3 SS 1994 Vülpius, Carola: Gustav Radbruch in Oxford. Zur Aufarbeitung eines Kapitels länderübergreifender Rechtsphilosophie. Heidelberg: Müller, 1995; XVII, 189 S. (Freiburger rechts- und staatswissenschaftliche Abhandlungen; 59) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1994 ISBN 3-8114-6795-6 Falterbaum, Johannes: Entwicklungshilfe im nationalen und internationalen Recht. Eine Darstellung ausgehend von christlichen Einrichtungen der Entwicklungsförderung. Würzburg: Echter, 1995; XII, 221 S. (Studien zur Theologie und Praxis der Caritas und Sozialen Pastoral; 3) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1994 ISBN 3-429-01678-9 Maas, Roswitha: Die Verwaltungsrechtsordnung für Württemberg. Ein Versuch der Emanzipation des öffentlichen Rechts vom Privatrecht. Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.-Ges., 1996; XV, 222 S. (Reihe Rechtswissenschaft; 178) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1994 ISBN 3-89085-985-2
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WS 1 9 / Becker, Mathias: Natur, Herrschaft, Recht. Das Recht der ersten Natur in der zweiten; zum Begriff eines negativen Naturrechts bei Theodor Wiesengrund Adorno. Berlin: Duncker & Humblot, 1997; 242 S. (Schriften zur Rechtstheorie; 177) Teilw. zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08681-3 Schäfer, Christoph: Das Simultaneum. Ein staatskirchenrechtliches, politisches und theologisches Problem des Alten Reiches. Frankfurt am Main [u. a.]: Lang, 1995; XVI, 168 S. (Europäische Hochschulschriften: Reihe 2, Rechtswissenschaft; 1787) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1995 ISBN 3-631-49090-9 SS 1995 Sailer, Andreas: Die Stellung der Ordensangehörigen im staatlichen Sozialversicherungsund Vermögensrecht. Berlin: Duncker & Humblot, 1996; 269 S. (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen; 26) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1995 ISBN 3 428-08496-9 WS 1995/96 Kessler, Alexander: Die Entstehung der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Oktober 1947, 1996; XVIII, 286, 114 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1996 Rother, Ulrike: Die theologischen Fakultäten der Universität Straßburg. Ihre rechtlichen Grundlagen und ihr staatskirchenrechtlicher Status von den Anfängen bis zur Gegenwart. Paderborn [u. a.]: Schöningh, 2001; 462 S. (Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft; N.F., 84) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1995 ISBN 3-506-73385-0 Schinkel, Michael: Verfassung, Zuständigkeit und Verfahren des Baden-Württembergischen Staatsgerichtshofes, 1996; 129 Bl., Bl. A - F , X I Bl. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1996 Schneider, Wilfried: Wissenschaftliche Askese und latente Wertepräferenz bei Hans Kelsen, 1996; 190 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1996 Schäfer, Detmar: Das kirchliche Arbeitsrecht in der europäischen Integration. Essen: Ludgerus-Verl., 1997; X, 195 S. (Münsterischer Kommentar zum Codex iuris canonici: Beiheft; 18 Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1996 ISBN 3-87497-218-6 SS 1996 Himmelsbach, Rainer: Die Rechtsstellung der theologischen Fakultäten Trier, Paderborn, Frankfurt, St. Georgen und Fulda. Berlin: Duncker & Humblot, 1997; 292 S. (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen; 28) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-08972-3
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WS 1 9 6 / 7 Dahlheimer; Manfred: Carl Schmitt und der deutsche Katholizismus 1888-1936. Paderborn [u. a.]: Schöningh, 1998; 627 S. (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte: Reihe B, Forschungen; 83) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1996 ISBN 3-506-79988-6 SS 1997 Hernández Arias, José Rafael: Donoso Cortés und Carl Schmitt. Eine Untersuchung über die staats- und rechtphilosophische Bedeutung von Donoso Cortés im Werk Carl Schmitts. Paderborn [u. a.]: Schöningh, 1998, 275 S. (Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft; N.F., 83) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1997 ISBN 3-506-73384-2 Kirste, Stephan: Die Zeitlichkeit des positiven Rechts und die Geschichtlichkeit des Rechtsbewußtseins. Momente der Ideengeschichte und Grundzüge einer systematischen Begründung. Berlin: Duncker & Humblot, 1998,475 S. (Schriften zur Rechtstheorie; 183) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09318-6 Stukenborg, Gabriela: Kirchenasyl in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die SanctuaryBewegung in tatsächlicher und normativer Hinsicht. Berlin: Duncker & Humblot, 1998, 259 S. (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen; 31) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09399-2 WS 1997/98 Kotb, Alexander: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Evangelischen Landeskirche in Baden. Frankfurt am Main [u. a.]: Lang, 1998, XIV, 154 S. (Europäische Hochschulschriften: Reihe 2, Rechtswissenschaft; 2448) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1997 ISBN 3-631-33457-5 Mehrle, Gebhard: Trennung vom Staat - Mitarbeit in staatlichen Institutionen. Militärseelsorge und Religionsunterricht in den neuen Bundesländern. Berlin: Berlin-Verl. Spitz, 1998, 330 S. (Universitätsreihe. Recht; 3) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1997 ISBN 3-87061-761-6 Schäfer, Herwig: Juristische Lehre und Forschung an der Reichsuniversität Straßburg 1941 -1944. Tübingen: Mohr Siebeck, 1999; XIV, 273 S. (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts; 23) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1998 u. d.T.: Schäfer, Herwig: Juristische Lehre und Forschung an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Reichsuniversität Straßburg 1941-1944 ISBN 3-16-147097-4
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SS 19 Quilisch, Tobias: Das Widerstandsrecht und die Idee des religiösen Bundes bei Thomas Müntzer. Ein Beitrag zur politischen Theologie. Berlin: Duncker & Humblot, 1999; 255 S. (Beiträge zur politischen Wissenschaft; 113) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09717-3 Rosenstock, Susanne: Die Selbstverwaltung evangelischer Kirchengemeinden. Frankfurt am Main [u. a.]: Lang, 2000; 385 S. (Europäische Hochschulschriften: Reihe 2, Rechtswissenschaft; 2944 Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1998 ISBN 3-631-34254-3 Hochhuth, Martin: Relativitätstheorie des öffentlichen Rechts. Baden-Baden: Nomos-Verl.Ges., 2000; 554 S. Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1998 u. d.T.: Hochhuth, Martin: Kantianischer Partisan ISBN 3-7890-6831-4 WS 1998/99 Kastner, Berthold: Goethe in Leben und Werk Gustav Radbruchs. Mit einem Quellenanhang bisher unveröffentlichter Radbruch-Manuskripte. Heidelberg: Müller, 1999; XVII, 433 S. (Freiburger rechts- und staatswissenschaftliche Abhandlungen; 64) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1998 ISBN 3-8114-9905-X Jungraithmayr, Martin: Der Staat und die katholische Kirche in Litauen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Berlin: Duncker & Humblot, 2002; 423 S. (Zeitgeschichtliche Forschungen; 16) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-09969-9 SS 1999 Fingerle, Daniel: Das Recht der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Frankfurt am Main [u. a.]: Lang, 2000; XC, 429 S. Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1999 ISBN 3-631-35692-7 WS 1999/2000 Min, Kyung-Bae: Die Entwicklung des Rechts in der Volksrepublik China unter besonderer Berücksichtigung der Transformationen des „Hauptwiderspruchs", 1999; 224 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1999 Hallett, Mark: Staat und Kirche in Dänemark. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang, 2001; XVIII, 201 S. (Europäische Hochschulschriften: Reihe 2, Rechtswissenschaft; 3072) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 2000 ISBN 3-631-36977-8 Nagler, Markus: Das päpstliche Gesandtschaftsrecht unter besonderer Berücksichtigung der Apostolischen Nuntiatur in Deutschland, 2000; XVIII, 168 S. Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 2000
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WS 2001/2002 Wellnitz, Britta: Deutsche evangelische Gemeinden im Ausland. Ihre Entstehungsgeschichte und die Entwicklung ihrer Rechtsbeziehungen zur Evangelischen Kirche in Deutschland. Tübingen: Mohr Siebeck, 2003; XXII, 559 S. (Jus ecclesiasticum; 71) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 2001/2002 ISBN 3-16-147976-9 WS 2003/2004 Bürkle, Michael: Die Entwicklung des Sonn- und Feiertagsschutzes in Baden, 2004; 394 S. Freiburg (Breisgau), Univ. Diss., 2004
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Habilitationen bei Prof. Dr. Alexander Hollerbach Lege, Joachim: Pragmatismus und Jurisprudenz: über die Philosophie des Charles Sanders Peirce und über das Verhältnis von Logik, Wertung und Kreativität im Recht. Tübingen: Mohr Siebeck, 1999, 664 S. Zugl.: Freiburg, Univ., Habilitationsschrift, 1996/97 Robbers, Gerhard: Sicherheit als Menschenrecht. Aspekte der Geschichte, Begründung und Wirkung einer Grundrechtsfunktion. Baden-Baden: Nomos, 1987, 292 S. Zugl.: Freiburg, Univ., Habilitationsschrift, 1986/87
Namenregister Agar, José T. Martin de 445 Albert der Große 78 Alexander III. 202, 206 Althusius, Johannes 91 Amira, Carl von 466 Anschütz, Gerhard 45 f., 54, 293, 466 Aquin, Thomas von 66, 68, 75, 78, 186, 206 Aristoteles 68, 75, 77 f., 509 Arnold, Rainer 45 Asmussen, Hans 201, 245 Aymans, Winfried 245 Bachof, Otto 117 Bandinelli, Rolandus 202, 205 Barhebraeus 203 Barion, Hans 309, 312 f., 315,431 Barth, Karl 200, 502, 508, 514, 519 f., 532, 537, 543 f., 546 Bartuschat, Werner 43 Baumgartner, Eugen 405 Bäumlin, Richard 147, 290 Bea, Augustin 224 Beckerath, Erwin von 432 Benedikt XIV. 206, 220 Bilfinger, Carl 467 f., 479 Binder, Heinz-Georg 365 Binding, Karl 466,471 Bleckmann, Albert 380 Bloch, Ernst 27 Blum, Nikolaus 384 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 28, 41, 57, 85, 102, 154, 169, 315 f., 323,483 Böckenförde, Werner 184 Bocklet, Paul 365 Boll, Heinrich 556 Bonifatius 204 Bracher, Karl Dietrich 481 Brecht, Arnold 103 f. Brenz, Johannes 208
Büchner, Franz 507, 551 Bugenhagen, Johannes 207 Bülow, Bernhard von 466 Bultmann, Rudolf 523 Burckhardt, Gertrud 488, 518, 546 Burckhardt, Jakob 16 Caemmerer, Ernst von 26 Calvin, Johannes 181 Campenhausen, Axel Freiherr von 261, 283, 314,381 Carossa, Hans 527 Celsus 90 Christ, Anton 555 Cicero 78 Coing, Helmut 128 Corecco, Eugenio 197 Cyrill von Alexandrien 203 Dahm, Georg 91 Descartes, René 91 Dietze, Constantin von 501, 531, 543 Dohna, Alexander Graf zu 491 f. Dombois, Hans 195,514, 554 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch 526 Droste-Hülshoff, Annette von 505 Duden, Konrad 553 Ebers, Georg Moritz 466 Ebers, Godehard Josef 307 Ebers, Marie 466 Ebert, Friedrich 521 Egger, August 83 Ehmke, Horst 479 Eichhorn, Karl Friedrich 92, 305 Eisele, Fridolin 466 Engisch, Karl 123, 125, 549, 553, 555 Erler, Adalbert 513 Eucken, Walter 541
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Namenregister
Filbinger, Hans 537 Fischer, Hans Albrecht 490 Föhr, Ernst 404 f., 419 Forsthoff, Ernst 107 ff., 158, 309, 553 Frankl, Viktor E. 35 Friedberg, Emil 466 Friedrich, Carl J. 141 Fritz, Carl 403 Fro wein, Jochen Abr. 384 Fuchs, Ernst 87
Gadamer, Hans-Georg 93 Gaius 90 Gallas, Wilhelm 554 Gallwas, Hans-Ulrich 369 Gampl, Inge 289, 318 Gans, Eduard 14 Gasparri, Pietro 403,431 Geiger, Theodor 141 Gierke, Otto von 92, 484, 533 Giese, Friedrich 307, 310 Gommenginger, Alphons 224 Gratian 79, 91, 147, 204 ff., 215, 289 f. Gregor II. 204 Gregor IX. 202 Grimm, Jakob 92 Grisebach, Eberhard 491 Gröber, Conrad 404 f., 412,417 Grosser, Alfred 352 Grotius, Hugo 91,490, 518 Grundmann, Siegfried 180,514 Gundolf, Friedrich 491 Häberle, Peter 93, 266, 314 f., 364,445,461 Habermas, Jürgen 52 Haenel, Albert 467 Hagen, August 428 ff. Hall, Karl Alfred 537 Hartmann, Nicolai 479 Hassan II. 448 Hauriou, Maurice 142, 144 Hebel, Johann Peter 505 Heck, Philipp 478 Heckel, Johannes 307, 309 f., 514 Heckel, Martin 47, 53, 311,550, 554 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 29, 50 f., 92, 264
Heidegger, Martin 495 ff., 505, 508, 510 f., 517 f., 520, 522 f., 525 f., 528 ff., 533, 537, 540 ff. Heinemann, Heribert 197 Heller, Hermann 433 Hengen, Jean 361 Hennis, Wilhelm 479 Herodot 53 Hesse, Konrad 29, 47, 60, 107, 143, 253, 288,311,366, 549, 553 Heuss, Theodor 116 Hierold, Alfred E. 240 Hilling, Nikolaus 403 f. Hindenburg, Paul von 521 Hinschius, Paul 223 f. Hippel, Fritz von 143, 476 Hirsch, Martin 371 Hitler, Adolf 521 Höffe, Otfried 70 Höfling, Johann Wilhelm Friedrich 209, 216 Hofmann, Hasso 63 Hölderlin, Friedrich 505, 542 Horaz 100 Hostiensis 206 Huber, Ernst Rudolf 83,150, 159, 308 Hübner, Rudolf 490 Huizing, Petrus 184 Humboldt, Wilhelm von 165 Hussarek, Max von 306 Husserl, Gerhart 494,496, 518, 522, 540 Ihering, Rudolf von 92 Irnerius von Bologna 90 Isaac von Langres 204 Isensee, Josef 156, 166, 346 Jaspers, Karl 491 Jayme, Erik 44 Jellinek, Georg 23, 84 Jellinek, Walter 553 Jerusalem, Franz Wilhelm 490 Jescheck, Hans-Heinrich 24,496,518 Johannes Paul II. 356 f., 448,458 Johannes XXII. 206 Johannes XXIII. 224 Julian 90 Jünger, Ernst 535 Jünger, Georg Friedrich 537
Namenregister Justinian 90 Jutzler, Konrad 516 Kaas, Ludwig 423 Kahl, Wilhelm 306,469 Kaiser, Joseph H. 18 Kant, Immanuel 29, 31, 33, 43, 51, 55, 58, 60, 73, 78, 92,495, 522 Kantorowicz, Hermann 494, 508 Karrer, Otto 178 Kaufmann, Erich 131, 143 Keller, Franz 405 Kelsen, Hans 92,136,471,477 Kerber, Walter 63, 72 Kern, Eduard 499 Kiefner, Hans 552, 556 Kierkegaard, S0ren 512 Kiesinger, Kurt-Georg 532 Klostermann, Vittorio 537 Knecht, August 428 Köck, Heribert Franz 434 Köhler, Heinrich Franz 405 Kohler, Josef 14 Krampe, Christoph 54 Krause, Hermann 549, 553 f. Krawietz, Werner 93 Krings, Hermann 83 Krüger, Herbert 146, 284 Kühnhardt, Ludger 20 Kunkel, Wolfgang 549, 552 Kurz, Erwin 466 Kurz, Heinrich 466 Laband, Paul 472,478 Labeo 90 Lajolo, Giovanni 439 Lambertini, Prosper 206 Landau, Peter 554 Larenz, Karl 83, 123, 128 Lask, Emil 492 Lau, Franz 201, 214 Laufs, Adolf 49, 554 Leiber, Robert 405 Leibholz, Gerhard 117,432,445,484 Leibniz, Gottfried Wilhelm 91, 212 f., 504 Leo I. 204 Leo XIII. 439
Levy, Ernst 552 Liermann, Hans 428 ff. Linck, Wenzeslaus 208 Listl, Joseph 301 Liszt, Franz von 492 Litt, Theodor 119 Locke, John 118 Loewenstein, Karl 141 Lübbe, Hermann 317 Luhmann, Niklas 28, 52 Lustiger, Jean-Marie 352 Luther, Martin 201, 207 ff., 211, 215 f. Maier, Hans 261, 293 Maihofer, Werner 512, 542 Maine, Henry Sumner 28 Mancini, Pasquale 44 Mannheim, Karl 150 Marcic, René 117 Marschall von Bieberstein, Fritz Freiherr 553 Marschall von Bieberstein, Wolfgang Freiherr 553 Martitz, Ferdinand von 467 Marx, Karl 27, 38, 99,438, 521 Mayer, Max Ernst 489 Mayer-Maly, Theo 91 Melanchthon, Philipp 208, 216 Michel, Ernst 405 Mikat, Paul 280, 314 ff., 364 Mirabeau, Honoré-Gabriel-Victor du Riqueti 481 Mohl, Robert von 318 ff. Montesquieu, Charles de Secondât 18 Mörsdorf, Klaus 79,192, 224, 247 Müller, Konrad 282 Müller, Max 507, 541 Mussolini, Benito 429 f., 433 Nagler, Johannes 494, 518 Nelson, Leonard 87 Neubecker, Ottfried, S. 521 Neumann, Johannes 184 Neundörfer, Karl 405 Niemöller, Martin 500, 530 f., 543 Noll, Peter 65 Nolte, Ernst 432
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Namenregister
Obermayer, Klaus 284, 287, 311 Orsenigo, Cesare 402 Oslander, Andreas 207 Pacelli, Eugenio 415,424 f. Papen, Franz von 415,481, 521 Papinian 90 Partsch, Karl Josef 21, 274 Pascal, Blaise 24 Paul VI. 444 Paulus 74, 90, 190 f. Pernice, Ingolf 364 Peters, Hans 310 Petraschek, Karl Otto 479 Pieper, Josef 75 Pirson, Dietrich 318 Pius V. 219 Pius VI. 206 Piaton 64, 509 Poppitz, Johannes 308 Prais, Vivien 364 Preuß, Hugo 483 Pringsheim, Fritz 552 Puchta, Georg Friedrich 92, 555 Pufendorf, Samuel von 91, 118,490, 518 Quaritsch, Helmut 274, 311 Radbruch, Gustav 56, 68 f., 71 f., 475, 492 f., 504, 508, 518, 522, 528, 537 ff., 554 Rahner, Karl 182 f., 187, 197, 224, 294 Rawls, John 66 Rehbinder, Manfred 28 Reicke, Siegfried 553 Reinking, Dietrich 504 Remmele, Adam 416 Renner, Karl 44 Repgen, Konrad 422 f., 429 Rickert, Heinrich 61,491 f. Riedlinger, Helmut 183,185, 187 Rinken, Alfred 95 Ritter, Joachim 512 Roellecke, Gerd 70 Rommelfanger, Maximilian 359 Rommen, Heinrich 93 Rosin, Heinrich 466 Rousseau, Jean-Jacques 99
Rümelin, Gustav 466 Rümelin, Max 478 Rupp, Hans 371 Rüthers, Bernd 64, 67 Ryffel, Hans 98, 103 f. Salin, Edgard 491 Sauer, Josef 404, 525 Savigny, Friedrich Carl von 22, 27, 92, 555 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 550, 555 Scheuner, Ulrich 278, 314,435,445, 552 Schiller, Friedrich 43 Schiaich, Klaus 292, 300 Schlechtriem, Peter 26 Schleicher, Kurt von 521 Schleyer, Hanns-Martin 161, 516 Schmid, Carlo 325 Schmidt, Eberhard 553 Schmidt, Franz 412,419 Schmitt, Carl 92, 107, 109, 116, 122, 129, 141, 158,480,553 Schmitt, Josef 402,405 Schmitz, Heribert 304 Schneider, Hans-Peter 539, 542 Schneider, Peter 146 Schneider, Reinhold 505, 507 Schofer, Joseph 403,405 Scholder, Klaus 423 Schönke, Adolf 487,499 Schubert, Harald 554 Schwarze, Jürgen 25, 381 f. Sester, Joseph 404,416 f. Severus von Antiochien 203 Seydel, Max 305 Simson, Werner von 13, 21, 254 Smend, Rudolf 92, 108, 118 f., 128, 130 f., 275,288,310,467,469, 508 Sohm, Rudolf 180, 273, 313, 466, 514 Solte, Emst-Lüder 416 Sontag, Richard 466 Spaemann, Robert 168 Spendel, Günter 554 Spohn, Georg 306 Stadler, Willy 537 Stahl, Friedrich Julius 50 Stahn, Julius 309 Stehling, Jutta 406
Namenregister Stein, Albert 232 Steinmüller, Wilhelm 193 Stifter, Adalbert 505, 542 Stoll, Hans 26 Stoltzenburg, Joachim 554 Stresemann, Gustav 538 Strigl, Richard A. 237 Stryk, Samuel 91 Stumpf!, Friedrich 34 Stutz, Ulrich 289, 306,430 f., 440,454 Süsterhenn, Adolf 327 Teubner, Gunther 28 Thibaut, Anton Friedrich Justus 555 Thieme, Hans 549, 554 Thomasius, Christian 91,490, 518 Timotheus I. 203 Topitsch, Ernst 136 Triepel, Carl Heinrich 465 ff. Triepel, Gustav 466 Trunk, Gustav 405 Ulmer, Eugen 549, 553 Ulpian 90 Viehweg, Theodor 93, 143 Vischer, Lukas 436 Vogel, Klaus 150 Wach, Adolf 466 Wachenfeld, Friedrich 494
Wacker, Otto 408 Wagner, Robert 401 Wahl, Eduard 553 Wand, Walter Rudi 371 Weber, Alfred 491 Weber, Friedrich 553 Weber, Hermann 311 Weber, Max 28, 92,131 f. Weber, Werner 307, 309 f., 416 Weeber, Rudolf 326 Welzel, Hans 152, 552 Wendt, Günther 228, 249, 514, 544 Wieacker, Franz 25,91, 549, 552 Wilson, Woodrow 45 Windscheid, Bernhard 466 Winter, Jörg 309 Wirth, Karl Joseph 405, 538 Wolf, Erik 77, 87, 90, 103, 138, 181 f., 185, 188,201,486,487 ff., 517 ff., 528,531 ff., 535 ff., 549 f., 552, 554 f. Wolf, Johann Peter 536 Wolf, Joseph Georg 554 Wolf, Olga 488, 546 Wolff, Christian 91 Wolff, Hans Julius 554 Wurm, Theophil 325 Würtenberger, Thomas 488, 549 Zacher, Hans F. 73, 294 Zasius, Ulrich 91, 539 Zeidler, Wolfgang 117