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German Pages 640 [629] Year 1962
MARTIN LINTZEL • Ausgewählte Band
II
Schriften
MARTIN L I N T Z E L
AUSGEWÄHLTE SCHRIFTEN IN ZWEI BÄNDEN
AKADEMIE-VERLAG
B E R L I N • 1961
MARTIN LINTZEL
AUSGEWÄHLTE SCHRIFTEN B A N D II
Zur Karolinger- und Ottonenzeit, zum hohen und späten Mittelalter, zur Literaturgeschichte
AKADEMIE-VERLAG
• B E R L I N • 1961
Inhaltsverzeichnis ZUM A C H T E N U N D N E U N T E N J A H R H U N D E R T Der Codex Carolinus und die Motive von Pippins Italienpolitik Karl der Große und Karlmann Die Zeit der Entstehung von Einhards Vita Karoli Der Ursprung der deutschen Pfalzgrafschaften E. E. Stengel, Der Stamm der Hessen und das „Herzogtum" Franken
3 10 27 42 62
ZUM Z E H N T E N J A H R H U N D E R T Heinrich X. und das Herzogtum Schwaben Zur Erwerbung der heiligen Lanze durch Heinrich 1 Die Schlacht von Riade und die Anfänge des deutschen Staates 1. Die Quellen und die Örtlichkeit der Schlacht 2. Die Bedeutung der Schlacht Zur Geschichte Ottos des Großen 1. Die Wahlhandlung in Aachen 936 2. Die Wahl Wilhelms von Mainz 3. Johann XIII Das abendländische Kaisertum im neunten und zehnten Jahrhundert 1. 2. 3. 4. 5.
Die Kaiserkrönung und das römische Kaisertum Karls des Großen . . . . Karls fränkisch-abendländisches Kaisertum Das Kaisertum als Verkörperung der fränkischen Reichseinheit Das römische Kaisertum Lothars I. und Ludwigs II Das Kaisertum um die Wende des neunten und zehnten Jahrhunderts . . .
6. Das deutsche und das römische Kaisertum in der Zeit Ottos des Großen . . Die Kaiserpolitik Ottos des Großen Vorbemerkung Einleitung 7. Kapitel. 1. 2. 3. 4. 5.
Die territorialen Ergebnisse
Das Langobardenreich Rom Süditalien Die staatsrechtliche Bedeutung des Kaisertums Das Verhältnis der italienischen Erwerbungen zueinander
73 85 92 92 102 112 112 115 119 122 122 126 127 130 133 136 142 142 143 146 146 148 152 155 158
II. Kapitel. Der angebliche Zwang der Tradition
162
1. Das vierte Reich des Buches Daniel 2. Die Tradition der Antike 3. Das Vorbild Karls des Großen
162 164 166
Inhaltsverzeichnis 4. Die karolingische Tradition und der deutsche Staat 5. Das nichtrömische Kaisertum
168 172
¡11. Kapitel.
175
1. 2. 3. 4. 5.
Die Die Die Die Die
Die angebliche politische Notwendigkeit
Herrschaft über die deutsche Kirche Missionspolitik im Osten Hegemonie in Europa Sicherung der süddeutschen Stämme außenpolitische Sicherung des Reiches
IV. Kapitel.
. . . . . .
Nachteile und oppositionelle Regungen
1. Innerpolitische Nachteile 2. Die Lage im Osten und Norden 3. Oppositionelle Regungen
175 179 184 186 188 192 192 194 197
V. Kapitel. Die Bilanz von Ottos Kaiserpolitik
201
1. 2. 3. 4. 5.
201 202 203 206 207
Ergebnisse Ottos Rechtfertigung als „Held" Vorteile der Kaiserpolitik Die verschiedenen Phasen der Italienpolitik Ausblick
Anmerkungen
209
Miszellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts Vorwort
220
I. Der „Majordomat" Ottos von Sachsen und die Wahl Konrads 1 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Die Fragestellung Die Beteiligung der Stämme an der Forchheimer Wahl Die Glaubwürdigkeit Widukinds von Korvei Der „Majordomat" Ottos von Sachsen Das angebliche Thronangebot an Otto von Sachsen Die Bedeutung von Ottos „consultus" und die Stellung der deutschen Herzöge bei der Königswahl
II. Designation, Königsheil, Wahl und „Kur" Heinrichs 1 1. 2. 3. 4.
220
Die Das Die Die
Designationsfrage Königsheil Wahl Fritzlarer Wahlhandlung
222 222 223 226 229 234 237 240 240 245 251 257
III. Die Wahlen Ottos des Großen 936
261
1. Die Designation 2. Die Wahl am unbekannten Ort 3. Die Aachener Krönung
261 267 269
IV. Die Forschung und die Wahlen von 911, 919 und 936
272
V. Heinricus natus in aula regali
276
VT. Die Herzogserhebung Heinrichs I. und das Kaisertum Ottos des Großen in der Vita Mathildis antiquior 1. Die Herzogserhebung Heinrichs 1 2. Das Kaisertum Ottos des Großen VII. Der Reichstag von Verona im Jahre 983
283 283 286 291
Inhaltsverzeichnis
VII
ZUR G E S C H I C H T S C H R E I B U N G D E S Z E H N T E N J A H R H U N D E R T S Zur Chronik Reginos von Prüm
299
Die Entstehungszeit von Widukinds Sachsengeschichte
302
1. Die wissenschaftliche Kontroverse 2. Teile in der hypothetischen Fassung von 958, die sicher 968 geschrieben sind, und ihre Bedeutung für die Datierungsfrage 3. Die Gründe für die Datierung auf 958
302 303 306
Der Poeta Saxo als Quelle Widukinds von Korvei
312
Die politische Haltung Widukinds von Korvei
316
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Einleitung Widukinds religiöse Anschauungen Stellung zur Kirche Stellung zur Dynastie Sächsisches Nationalgefühl Stellung zum fränkisch-deutschen Reich Widukind und das Kaisertum
316 322 327 331 335 336 341
H. Beumann, Widukind von Korvei
347
Studien über Liudprand von Cremona
351
Vorwort
351
I. Zur Kritik der Historia Ottonis
352
Erstes Kapitel. Die Beziehungen zwischen der Historia und der Continuatio Reginonis
352
Zweites Kapitel. Historia
360
Die Kritik des Continuator Reginonis an Liudprands
II. Die Relatio de legatione Constantinopolitana III. Liudprands Stellung zur Kaiserpolitik
370 385
Erzbischof Adalbert von Magdeburg als Geschichtschreiber
399
Die Mathildenviten und das Wahrheitsproblem in der Überlieferung der Ottonenzeit
407
ZUM H O H E N U N D S P Ä T E N M I T T E L A L T E R Zur Wahl Konrads II
421
Die Entstehung des Kurfürstenkollegs
431
Vorbemerkung
431
Einleitung
432
Erstes Kapitel. Das Quellenmaterial
434
Zweites Kapitel. Das Vorstimmrecht der späteren Kurfürsten
442
1. Das Wesen des Vorstimmrechts 2. Das Alter des Vorwählergremiums 3. Die Ursachen des Vorstimmrechts
442 445 450
Drittes Kapitel. Die Entstehung des ausschließlichen Wahlrechts der Kurfürsten Das Bündnis Albrechts I. mit Bonifaz VIII
454 464
VIII
Inhaltsverzeichnis ZUR L I T E R A T U R G E S C H I C H T E Zur Datierung des deutschen Rolandsliedes
489
Die Mäzene der deutschen Literatur im 12. und 13. Jahrhundert
507
I. Die Gönner der dichtenden Geistlichen und „Spielleute" (bis etwa 1170) . .
508
II. Die Mäzene in der Zeit der Hochblüte der mittelhochdeutschen Literatur (bis etwa 1220)
512
III. Die Mäzene in der Zeit der Spätblüte der mittelhochdeutschen Literatur (bis etwa 1300)
525
Liebe und Tod bei Heinrich von Kleist Einleitung 1. Die Familie Schroffenstein 2. Penthesilea 3. Die Hermannsschlacht 4. Das Kàthchen von Heilbronn 5. Der zerbrochene Krug 6. Amphitryon 7. Prinz Friedrich von Homburg 8. Die Novellen 9. Ergebnisse: Liebe und Tod in Kleists Dichtungen 10. Der „metaphysische" Hintergrund der Liebe in Kleists Dichtungen 11. Die psychologischen Ursachen
533
. . . .
533 534 540 548 551 555 557 559 563 566 568 570
LETZTE VERÖFFENTLICHUNG MARTIN LINTZELS Heinrich I. und die fränkische Königssalbung
583
Vorbemerkung
583
1. 2. 3. 4. 5. 6.
583 588 590 598 603 612
Die Überlieferung von der Ablehnung der Salbung Die Motivierung Widukinds Die Königssalbung im Karolingerreich Politische Voraussetzungen der Ablehnung Die fränkische Tradition in Sachsen Die Salbung bei der Thronbesteigung Ottos des Großen
Bibliographie Martin Lintzel Register für Band I und II
613 Bd. I
468
Der Codex Carolinus und die Motive von Pippins Italienpolitik Historische Zeitschrift, Band 161, 1940, S. 3 3 - 4 1
Auf dem Braunschweiger Historikertag des Jahres 1912 und neuerdings wieder in seinem großen Werk über das Papsttum hat sich Johannes Haller ausführlich über die Motive von Pippins Italienpolitik geäußert E r meint, das Eingreifen des Königs zugunsten des Papstes und gegen die Langobarden habe der politischen Vernunft völlig widersprochen; Pippin habe den fränkischen Staat, der weder im Inneren fertig noch an seinen Grenzen genügend gesichert war, in ein Abenteuer gestürzt, von dem nur das eine vorauszusehen war, daß es ihm keinen Gewinn, sondern bloß Lasten und neue Verpflichtungen bringen würde. Der Bruder des Königs, Karlmann, und ein großer Teil des fränkischen Adels sei denn auch Gegner dieser Politik gewesen. Wenn Pippin sie trotzdem durchführte, so habe der Grund dafür ausschließlich in seiner religiösen Devotion gegenüber dem hl. Petrus und damit dem Papsttum gelegen. So habe, nach dem Bericht des Liber pontificalis, er selbst sein Verhalten motiviert, als er im Jahre 756 einem byzantinischen Gesandten erklärte, nicht um Menschengunst habe er zweimal gegen die Langobarden Krieg geführt, sondern allein aus Liebe zum Apostelfürsten. So sehe es vor allem aber auch die Quelle an, die sich als einzige außer dem Papstbuch über die Motive des Königs äußert: der Codex Carolinus; in ihm spiele nur das religiöse Moment als Grund für Pippins Eingreifen eine Rolle. Hier, in ihren Briefen, den authentischsten Zeugnissen, die man sich vorstellen könne, gäben die Päpste stillschweigend zu, daß es ein Opfer sei, das ihnen der König mit seiner Italienpolitik bringe; sie versuchten nie, es ihm durch politische Überlegungen erträglich zu machen, sondern operierten ausschließlich mit dem Hinweis auf den heiligen Petrus, dessen Strafen im Diesseits und Jenseits die Franken und ihren König treffen würden, wenn sie ihm nicht zu Hilfe kämen, und dessen zeitlicher und ewiger Lohn sie erwarte, wenn sie zu seinen Gunsten in Italien aufträten. Es sei unmöglich, daß die Päpste in ihren Briefen immer wieder die falsche Taste angeschlagen hätten; wenn sie Pippin die Italienpolitik nur mit religiösen 34 Gründen zu empfehlen versuchten, so sei sicher, daß andere nicht in Betracht kämen. Hallers These hat wenig Glauben gefunden. Sieht man von Th. Zwölfers Buch über St. Peter als Apostelfürst und Himmelspförtner 2 ab, so ist sie wohl überall 1
2
l*
Vgl. Joh. Haller, Die Karolinger und das Papsttum, H Z . 108 ( 1 9 1 2 ) , S. 3 8 ff.; ders., Das Papsttum I, 2. Aufl. ( 1 9 3 6 ) , bes. S. 4 0 3 ff. Vgl. Th. Zwölfer, St. Peter, Apostelfürst und Himmelspförtner. Seine Verehrung bei den Angelsachsen und Franken ( 1 9 2 9 ) .
4
Zum achten und neunten Jahrhundert
auf Ablehnung gestoßen: in der seit Hallers Braunschweiger Vortrag erschienenen Literatur wird Pippins Politik weiter politisch motiviert. Doch so unverkennbar diese Ablehnung ist, begründet wird sie, soviel ich sehe, nirgends. Das ist aber um so auffallender, als die quellenmäßige Grundlage von Hallers Anschauung nie angezweifelt worden ist und auch ganz unerschütterlich zu sein scheint: im Papstbuch und vor allem im Codex Carolinus ist wirklich nicht von politischen, sondern nur von religiösen Motiven die Rede (ein paar vereinzelte Kleinigkeiten kann man übersehen). Außerdem ist zuzugeben, daß ein so überragender Einfluß des religiösen Moments, wie ihn Haller für Pippin annimmt, an den Zuständen und den Persönlichkeiten des achten Jahrhunderts gemessen, auf den ersten Blick ganz plausibel erscheinen könnte. Haller weist, besonders in seinem Buch über das Papsttum, auf die starke Petrusverehrung bei den Angelsachsen und Franken und sogar bei den Langobarden hin. In der Tat, vor und in der Zeit Pippins ist diese Verehrung besonders groß: D i e Reform des Bonifatius setzt sich im Frankenreich durch; angelsächsische Könige legen ihre Kronen am Grabe Petri nieder; der Langobardenkönig Liudprand gibt auf die Bitten des Papstes seine Eroberungen heraus, und Pippins Bruder Karlmann, von Gewissensbissen getrieben, geht ins Kloster. In einer solchen Zeit, möchte man meinen, könnte auch der Leiter des fränkischen Reiches eine den fränkischen Interessen schädliche Politik getrieben haben, bloß weil es der Nachfolger Petri so wünschte. Nach alledem scheint Hallers Meinung so gut wie möglich gesichert zu sein, und es erscheint verständlich, daß er sie noch jetzt, genauso wie 1912, vertritt. Wenn man trotzdem an der herrschenden Ansicht festhalten will, so wird es nötig sein, das näher zu begründen. Zunächst: wenn es auch zuzutreffen scheint, daß manche Zeitgenossen Pippins kirchlichen Einflüssen und besonders der Petrusverehrung völlig willenlos erlagen, so gibt es doch genug Beispiele, die zeigen, daß auch das Gegenteil möglich war, und 35 wenn man sich jene Fälle eines anscheinend hilflosen Erliegens näher ansieht, so findet man oft genug, daß es damit gar nicht so schlimm bestellt ist, wie man zunächst vermutet. D a ß weder Pippins Vater Karl Martell, noch sein Sohn Karl der Große päpstlichen Wünschen zugänglicher waren, als es der fränkischen Politik nützte, ist bekannt genug. D a ß zu Pippins Zeit ein großer Teil des fränkischen Adels sich die Freiheit der eigenen Ansicht wahrte, beweist seine Opposition gegen Pippins Absicht, dem Papst zu Hilfe zu kommen. Wenn der Langobardenkönig Liudprand auch auf die Beschwörungen und Drohungen des Papstes seine Politik änderte, so kann man für sein Verhalten doch ebenso viel politische wie religiöse Gründe anführen. Sogar Bonifaz hat trotz aller Ergebenheit vor dem römischen Stuhl oft genug seine eigene Ansicht behauptet. Am bezeichnendsten ist vielleicht die Haltung Karlmanns, der als Mönch von Monte Cassino 754 ins Frankenreich reiste, um dort gegen den Papst und seine Hilferufe zu wirken. D i e christlich-kirchlichen Ideale waren in ihm so stark, daß er auf seine Stellung an der Spitze des Frankenreiches verzichtete, um Mönch zu werden, aber sie waren nicht stark genug, um ihn am Widerstand gegen die päpstliche Politik zu hindern. Weiter ist Hallers Meinung, man könne sich überhaupt keine politischen Gründe für Pippins Italienpolitik vorstellen, nicht haltbar (wenn zunächst auch dahingestellt
Der Codex Carolinus und die Motive von Pippins Italienpolitik
5
bleiben mag, ob solche Gründe tatsächlich wirksam waren). Durch die Kirchenreform war die Verbindung mit der Kurie längst geknüpft; im Frankenreich gewöhnte man sich daran, zu der Autorität des Stellvertreters Petri aufzusehen. War es da nicht nützlich für den König, sich diese Autorität zu verpflichten? Der Papst hatte den Staatsstreich von 751 und das Königtum Pippins sanktioniert; die politische Dankbarkeit ebenso wie die politische Klugheit verlangte, daß man ihn nicht zu einem Hofbischof der Langobarden werden ließ. Zwar haben die Langobardenkriege Pippins den Franken keinen Landgewinn gebracht. Aber sie brachten ihnen, abgesehen von Geldzahlungen und Tributen, die Hegemonie in Italien. Seit dem Siege Pippins und der Gründung des Kirchenstaates war der Frankenkönig der Schiedsrichter auf der Halbinsel; seitdem war man in Rom auf ihn angewiesen und in Pavia von ihm abhängig. Gewiß, es gab Gegengründe gegen Pippins Politik, und die Haltung Karlmanns und des oppositionellen fränkischen Adels beweisen, daß sie geltend gemacht wurden. Aber es ist, wie man sieht, nicht richtig, daß sich vom Standpunkt des Politikers bloß Gegengründe geltend machen ließen. Gewiß hat Haller recht, wenn er meint, die Franken hätten an den übrigen Grenzen und im Innern ihres Reiches noch 3® genug zu tun gehabt. Aber wann ist ein Staat jemals fertig? Und mußte nicht gerade der Triumph in Italien und das Übergewicht über das Papsttum und die Langobarden die Autorität des fränkischen Königs in seinem eigenen Reich und in der ganzen Welt heben? » Indessen, wenn man auch alle diese Gesichtspunkte gelten lassen wollte, so könnte man von Hallers Standpunkt äus doch einwenden, daß dadurch das Zeugnis des Liber pontificalis und vor allem des Codex Carolinus noch nicht erschüttert wird. Wenn man auch in der Theorie die Möglichkeit von Erwägungen, wie sie eben angestellt wurden, für Pippin zugeben wollte, so könnte man doch sagen: die Quellen beweisen, daß sie nicht angestellt worden sind, oder daß sie mindestens für Pippins Entscheidung nicht maßgebend waren; und auch wenn man die Folgen von Pippins Italienpolitik genauso beurteilte, wie es eben geschah, so könnte man doch geltend machen, daß es sich dabei nur um im Grunde nicht beabsichtigte Nebenfolgen einer Politik handelte, deren eigentlicher Kern und deren Ziel auf einem ganz anderen Gebiete lagen. Aber auch dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Im Liber pontificalis wird zwar tatsächlich berichtet, Pippin habe gegenüber dem byzantinischen Gesandten, der im Namen des Kaisers die Herausgabe von Ravenna forderte, betont, daß ihn nichts anderes als die Liebe zu Petrus nach Italien geführt habe. Aber selbst wenn Pippins Antwort wirklich ganz so war, wie das Papstbuch behauptet, was würde das beweisen? Sie war das billigste Mittel, byzantinische Ansprüche auf die Früchte des fränkischen Sieges zurückzuweisen, und braucht nicht mehr als eine diplomatische Phrase gewesen zu sein. Bezeichnender für Pippins Einstellung ist das Verfahren, das er gegenüber dem päpstlichen Legaten Sergius einschlug, der ihm im Auftrag des Papstes 743 ein kriegerisches Vorgehen gegen die Bayern verbot. Pippin hat die Bayern trotz des Verbotes am Tage nach der Unterhaltung mit Sergius angegriffen und geschlagen; dann hat er, nach dem Bericht der 3
Ähnlich hat man die Politik Pippins natürlich immer schon begründet; bloß diese Begründung ist zunächst nichts als eine unbewiesene Vermutung, und Haller wird damit noch nicht widerlegt.
6
Zum achten und neunten Jahrhundert
Metzer Annalen, zu dem gefangenen Sergius gesagt, er könne am Tage vorher unmöglich im Auftrag des Apostelfürsten gesprochen haben; sonst hätte Petrus den 37 Franken nicht den Sieg verliehen 4 . Ob es sich bei diesen Worten um Ironie oder, wie Haller will, um treuherzige, barbarische Einfalt des Hausmeiers gehandelt hat, möchte ich hier nicht erörtern; um darüber etwas Sicheres zu sagen, müßte man Pippins Charakter besser kennen, als es tatsächlich der Fall ist. Aber das eine scheint mir doch aus dieser Episode deutlich hervorzugehen: Pippin war durchaus kein willenloses Werkzeug in der Hand der Kurie. Sergius hat sicher im Auftrag des Papstes gehandelt; mindestens mußte Pippin damit rechnen, daß es so war. E r hat sich trotzdem über den Auftrag des Legaten hinweggesetzt. Auch dann, wenn er sich dabei mit dem Gedanken tröstete, St. Peter denke vielleicht anders als sein Gesandter, nahm er doch das Risiko auf sich, gegen den Willen des Apostelfürsten zu verstoßen. Der Vorgang beweist also auf jeden Fall, daß Pippin römischen Ansprüchen nicht blindlings folgte, sondern daß er wußte, was er wollte und entsprechend handelte. Ein ähnliches Verhalten läßt sich nun aber auch in Italien und gegenüber den italienischen Wünschen der Kurie beobachten. Gewiß, Pippin hat in Quierzy die sogenannte Pippinsche Schenkung gemacht und im Interesse der Kurie und auf ihren Wunsch die beiden Langobardenkriege geführt (wenn auch die Frage ist, ob nur in ihrem Interesse und nur auf ihren Wunsch). Aber davon, daß er in Italien wirklich alles tat, was die Kurie wollte, kann keine Rede sein. Es blieben dem Papst genug unerfüllte Wünsche. Das Schenkungsversprechen von Quierzy ist nie vollständig ausgeführt worden; bis ans Ende der Regierung Pippins hatte die Kurie dauernd und meist erfolglos zu bitten und zu mahnen. Dabei war der König nicht etwa bis an die Grenze des Möglichen gegangen. Daß er in den Friedensschlüssen mit den Langobarden für die Kurie nicht das erzwang, was sich hätte erreichen lassen, ergibt sich schon allein daraus, daß ein Teil der Friedensbedingungen den Franken zugute kam: Aistulf mußte ihnen, wie schon angedeutet, eine Kriegsentschädigung und jährliche Tribute bewilligen, und er mußte die Oberhoheit des Frankenkönigs anerkennen. Tatsächlich beweist Hallers entscheidendes Argument, der Inhalt des Codex Carolinus, nicht, was er beweisen soll. Denselben Ton, den die Papstbriefe gegen Pippin anschlagen, d. h. das fast ausschließliche Hervorkehren des religiösen Momentes, schlagen sie auch gegen Karl Martell, gegen Karl den Großen und gegen den oppositionellen fränkischen Adel an, der 754 nicht nach Italien ziehen wollte. Bei allen diesen Adressaten haben die religiösen Motive, mit denen die Briefe operierten, nicht verfangen; bei ihnen erwiesen sich politische Gründe als stärker als die Hingabe 38 an Petrus 5 . Wenn die Papstbriefe trotzdem auf diese Gründe nicht eingehen und statt dessen auch hier ebenso wie gegenüber Pippin immer nur religiös motivieren, so beweist das, daß ihre Motivierung nicht den tatsächlichen Motiven ihrer Empfänger zu entsprechen braucht. 4
6
Vgl. Ann. Mett. prior., hrsg. v. B . v. Simson in SS. rer. Germ, in us. schol. ( 1 9 0 5 ) , S. 3 4 f.; dazu Haller, Das Papsttum I, S. 3 8 1 . Wenn man mit Hallers Theorie Ernst machen wollte, dann müßte man behaupten, daß auch Karl der Große ohne politischen Verstand und nur aus religiöser Devotion in Italien gehandelt h a t ; es zeigt sich natürlich sofort, daß das unmöglich ist.
D e r Codex Carolinus und die Motive von Pippins Italienpolitik
7
Wie Pippins Motive in Wirklichkeit ausgesehen haben, das wird sich bei der Dürftigkeit der Quellen und unserer Unkenntnis seines Charakters in den Einzelheiten kaum entscheiden lassen. Man braucht nicht zu bezweifeln, daß für ihn wie für alle seine Zeitgenossen religiöse Überzeugungen, Hoffnungen und Befürchtungen sehr wirksam gewesen sind; er mag tatsächlich geglaubt haben, sich mit dem Eingreifen in Italien einen Platz im Himmel und die Bundesgenossenschaft St. Peters auf Erden zu verdienen. Das würde dem, was wir über das achte Jahrhundert und seine Stellung zu religiösen Dingen wissen, völlig entsprechen. Haller hat zweifellos recht, wenn er auf diese Dinge viel stärker hinweist, als es sonst in der Literatur im allgemeinen geschieht. Insofern nehme ich auch an, daß die Päpste in ihren Briefen nicht immer die verkehrte Taste angeschlagen haben. Aber ich glaube, die Taste, die sie anschlugen, war nicht die einzige, die hätte angeschlagen werden können. Selbstverständlich hat das religiöse Moment auch auf Karl Martell, Karlmann und den fränkischen Adel Einfluß ausgeübt; aber man sieht deutlich, daß dieser Einfluß unter Umständen einer Gegenwirkung leicht erlag. In Pippins Verhalten werden die Grenzen der Wirksamkeit des religiösen Motivs vielleicht nicht so rasch und einleuchtend erkennbar, aber vorhanden waren sie zweifellos. Seine religiöse Hingabe machte den König keineswegs zu einer Marionette in der Hand des Papstes. Wie Pippins Haltung auf dem bayrischen Feldzug von 743 und seine Gleichgültigkeit gegen die päpstlichen Wünsche nach 756 zeigt, ist nicht anzunehmen, daß er sich von religiösen Motiven bestimmen ließ, wenn seine politischen Interessen ernsthaft widersprachen. Wie sich in seiner Seele der Glaube an den hl. Petrus mit politischen Zweckmäßigkeitsgründen vereinigte, wie er einen Ausgleich fand, wenn sie sich widersprachen, wer will das sagen? Einen Hinweis darauf, wie er sich in schwierigen Fällen dieser Art geholfen haben mag, gibt sein Verhalten gegen Sergius 743. Jedenfalls dürfte er mit diesen Dingen nicht schlechter fertig geworden sein, als man im christ- 39 liehen Abendland und im christlichen Mittelalter überhaupt mit dem Problem Glaube und Politik fertig geworden ist. In allen Jahrhunderten des Mittelalters haben auch die gläubigsten und frömmsten Politiker neben der Religion die Politik selten zu kurz kommen lassen. Die religiösen Überzeugungen verlangten etwa, der Kirche Schenkungen zu machen; also machte man ihr Schenkungen, aber man schenkte ihr keineswegs alles. Man fühlte sich verpflicht.et, ihren Geboten zu gehorchen; also gehorchte man ihr, aber der Gehorsam war keineswegs unbegrenzt. Eine restlose Befolgung kirchlicher Wünsche hätte nur zu oft eine Selbstaufgabe des Politikers bedeutet; von wenigen Ausnahmen abgesehen ist es dazu nicht gekommen. Es ist schwer, eine allgemein verbindliche und allgemein verständliche Formel für das Verhältnis von Religion und Politik, seine Spannung und seinen Ausgleich in dieser Zeit zu finden. Genug, daß der Ausgleich da war und der Politik ihr Recht ließ. Anders wird es auch zu Pippins Zeit und in seiner Politik nicht gewesen sein: in seinem Eingreifen in Italien wurde die religiöse Devotion durch das politische Interesse des Königs ergänzt und zugleich begrenzt. Haller hat den Codex Carolinus sozusagen wörtlich genommen. Wie man sieht, ist das nicht berechtigt. Damit erhebt sich die Frage, wie es kommt, daß in den Papst-
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Zum achten und neunten Jahrhundert
briefen nur von religiösen Gründen gesprochen, von den andern Gründen aber, die außer ihnen für die Italienpolitik maßgebend waren, geschwiegen wird. Man könnte darauf zunächst sehr rasch mit der Antwort bei der Hand sein, daß es sich im Codex Carolinus nicht eigentlich um eine diplomatische Korrespondenz handelte. Jeder Brief wurde von einem Gesandten überbracht. Er könnte gewissermaßen das Beglaubigungsschreiben dieses Gesandten darstellen, eine Art Proklamation, die weniger für den internen politischen Gebrauch als für die breite Öffentlichkeit, für die Welt der Gläubigen bestimmt war. Die Politik wäre dann mehr oder weniger unabhängig von den brieflichen Phrasen gemacht und begründet worden. Aber wenn an dieser Erwägung auch etwas Richtiges sein mag, ganz dürfte sie den Kern der Sache doch nicht treffen. Die Briefe der Päpste an Pippin sind im allgemeinen viel zu konkret und lassen sich in ihren Forderungen und Wünschen auf zuviel Einzelheiten ein, als daß man sie nur als belanglose Empfehlungsschreiben für ihre Überbringer betrachten könnte. Tatsächlich dürfte das Problem, das uns der Codex Carolinus aufgibt, mit einer ähnlichen, viel allgemeineren Problematik zusammenhängen, die der gesamten historisch-politischen Überlieferung des frühen Mittelalters (und im Grunde aller Zeiten) anhaftet, und die ich hier nicht erschöpfend besprechen, sondern auf die ich nur kurz und andeutend hinweisen kann 6 . Ein Brief, der überreden und überzeugen will, greift aus den bewußten und unbewußten Motiven seines Schreibers und seines Empfängers im allgemeinen nur einen Teil heraus. Wie groß und wie geartet dieser Teil ist, hängt offenbar vor allem von zwei Faktoren ab; der eine Faktor ist die Fähigkeit des psychologischen Verständnisses, die Fähigkeit, die Psyche und ihre Umwelt zu verstehen und in Beziehung zu setzen, kurz, die psychologische Wirklichkeit zu durchschauen; der andere Faktor ist die Fähigkeit (und die Bereitschaft), diese Dinge auszudrücken und vor allem schriftlich auszudrücken. Wie es mit der Fähigkeit, die psychologische Wirklichkeit zu sehen, im frühen Mittelalter bestellt ist, kann hier unerörtert bleiben. Für unsere Fragestellung genügt die Tatsache, daß die Fähigkeit (oder die Bereitschaft), diese Wirklichkeit darzustellen, sehr gering ist. Ein Blick auf die Literatur aller Gattungen in dieser Zeit genügt, um das deutlich zu machen. Man stellt die Charaktere, ihre Beziehungen zur Umwelt und ihre Motive im allgemeinen so einfach wie möglich dar. D e r Held eines Heldenliedes etwa handelt nach einem ganz bestimmten, engen Kreis von Motiven, die eben „heldisch" sind; der Geistliche oder Heilige einer Bischofsvita handelt nach einem fast noch engeren Kreis von frommen Motiven. Die Wirklichkeit in ihrer Kompliziertheit wird in beiden Fällen nicht erfaßt. Der Teil der Wirklichkeit aber, der ausgewählt wird, liegt für die verschiedenen Literaturgattungen im wesentlichen fest; sowohl das Heldenlied wie die Bischofsvita verfahren dabei nach ganz bestimmten Stilprinzipien. Diese Feststellungen gelten sowohl für die mündliche wie für die geschriebene „Literatur", für die germanische Dichtung wie für die lateinische Literatur der Zeit: In einem Zeitalter, das literarisch und psychologisch noch jung und unerfahren ist (aber auch in einer alten und verbrauchten Zeit) wird sehr leicht nicht die Wirklich' Ich beabsichtige, diese Fragen in einem andern Zusammenhang ausführlich zu erörtern.
D e r Codex Carolinus und die Motive von Pippins Italienpolitik
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keit, sondern der Stil die entscheidende Rolle spielen. Diese Wirklichkeitsfremdheit mußte sich aber in der geschriebenen, d. h. lateinischen Literatur des frühen Mittelalters besonders stark bemerkbar machen. Im frühen Mittelalter erfolgt, wenn man so sagen darf, ein Zusammenstoß zwischen Schriftlichkeit und schriftloser Wirklich- 41 keit. In den Germanenländern ist die Kultur, das gesamte öffentliche und private Leben von Haus aus schriftlos und bleibt es, trotz des Eindringens der Schrift, noch auf lange Zeit. In den romanischen oder ehemals römischen Ländern ist das Leben weitgehend schriftlos geworden. Das Verhältnis von Schrift und Wirklichkeit ist in Rom zwar anders als in Regensburg oder in Aachen; aber überall besteht zwischen beiden Faktoren eine Entfremdung. Sie gehen nebeneinander her, fast ohne sich zu berühren - schon die Tatsache, daß man in einer anderen Sprache schreibt als man redet, ist dafür bezeichnend. Fast alles, was geschrieben wird, hat in besonderem Maße einen künstlichen, literarischen Charakter; der Stil kann hier seine beherrschende Stellung besonders leicht durchsetzen. Daß es so war, läßt sich auf allen Gebieten des Lebens leicht bemerken. Man kann es am Urkundenwesen und an der Gesetzgebung feststellen, in der lateinischen Geschichtschreibung und Lebensbeschreibung genauso wie im Brief. D a ß aber in einer solchen Zeit und unter solchen Voraussetzungen die Papstbriefe an einen Germanenkönig nicht anders ausfallen konnten, als sie im Codex Carolinus ausgefallen sind, ist verständlich. Mahnbriefe konnte man in Rom nur im geistlichen Stil, man möchte sagen, im Predigtstil schreiben. Das Papsttum führte seine Rechte und Ansprüche auf eine Instanz zurück, die nicht von dieser Welt war. Die Gestalt des hl. Petrus mußte als Hoffnung und Forderung über allem stehen, was ein Papst "forderte, sagte und schrieb. Sollte und konnte der Nachfolger Petri mit Politik und Diplomatie drohen und locken? Gewiß, in der Wirklichkeit dürfte die Politik oft genug eine Rolle gespielt haben. Sie auch in den Briefen der Päpste an Pippin eine Rolle spielen zu lassen, verbot der literarische Stil des Abendlandes und vor allem der literarische Stil der Kurie.
Karl der Große und Karlmann Historische Zeitschrift, Band 140, 1929, S. 1 - 2 2
I.
Auf dem Feldzuge gegen Hunald von Aquitanien im Jahre 769 hatte Karl d. Gr. in Duasdives eine Zusammenkunft mit seinem Bruder Karlmann, nach der dieser wieder in sein Reich zurückkehrte 1 . Als Grund für diese Begegnung führen die Reichsannalen in der sogenannten Einhardschen Bearbeitung a n 2 , Karl habe die Unterstützung seines Bruders für den aquitanischen Krieg in Anspruch nehmen wollen. Sie sei ihm jedoch abgeschlagen worden. Auch Einhard weiß in der Vita Karoli 3 von einer Verweigerung der Waffenhilfe durch Karlmann während des Aufstands Hunalds zu erzählen; er betont dabei, daß diese Hilfe ursprünglich zugesagt gewesen sei. Mit diesen näheren Angaben über Vorgänge und Verhandlungen, in deren Mittelpunkt das Zusammentreffen der Brüder in Duasdives gestellt wird, stehen die beiden nach Einhard benannten Quellen allein. D a sie eng verwandt und voneinander abhängig sind, so stützen sich ihre Angaben nicht gegenseitig und sind als ein Zeugnis zu bewerten. Gegen dieses Zeugnis beweist das Schweigen der übrigen Quellen und besonders der den Ereignissen von 769 näher stehenden Reichsannalen in der ältern Fassung 4 natürlich sehr wenig. Aber seine Zuverlässigkeit erscheint bei den häufigen Irrtümern und Entstellungen der beiden späten Quellen doch von vornherein einigermaßen fragwürdig und wird noch mehr verdächtigt durch die unverkennbar falschen Mitteilungen, die diese Quellen zum Jahre 769 über den Verlauf des aquitanischen Krieges machen: falsch ist die Angabe der Einhardannalen, ganz Aquita2 nien habe zu Karls Reich gehört 5 , und höchstwahrscheinlich falsch ist die Behauptung der Annalen und der Vita, 769 habe nach Karls Sieg über Hunald Lupus von Waskonien seine Unterwerfung unter das Frankenreich vollzogen 6 . 1
Vgl. Böhmer-Mühlbacher 1 1 9 a und b.
2
Vgl. Annales regni Francorum, ed. F. Kurze, SS. rer. Germ, in us. schol. ( 1 8 9 5 ) , a. 7 6 9 , S. 2 9 .
3
Vgl; Einhardi Vita Karoli, ed. O . Holder-Egger, SS. rer. Germ, in us. schol. ( 1 9 1 1 ) , c. 5, S. 7. Vgl. Annales regni Francorum 7 6 9 , S. 2 8 . Sie sprechen nur von der Zusammenkunft in Duasdives und der Umkehr Karlmanns.
4
5
D a ß Aquitanien 7 6 8 zwischen den Brüdern geteilt worden war, sagt die bestimmte und nicht zu bezweifelnde Angabe des Fredeg. Cont. cap. 5 3 ( 1 3 6 ) , SS. rer. Merov. II, S. 192 f. Vgl. dazu G . Wolff, Kritische Beiträge zur Geschichte Karls d. Gr., Marburger Dissert. 1 8 7 2 , S. 14 ff. und S. Abel und B. Simson, Jahrbücher d. fränk. Reiches unter Karl d. Gr. I, 2. Aufl. ( 1 8 8 8 ) , S. 24 f.
c
Vgl. Jahrbb. I, S. 4 8 .
K a r l der Große und Karlmann
11
Indessen dürfte, wenn man von allen Einzelheiten absieht, wenigstens die Nachricht der beiden Quellen, es sei in Duasdives zu einem Konflikte zwischen Karl und Karlmann gekommen, doch den Tatsachen entsprechen. Ganz abgesehen davon, daß es schwer verständlich wäre, wie diese höfischen Quellen, die sicher die Auffassungen Karls und seiner Umgebung in späteren Jahrzehnten wiedergeben, dazu kommen sollten, grundlos den aquitanischen Krieg in Beziehung zu dem Zwist der königlichen Brüder zu setzen, sie werden in dieser Hinsicht durch andere Nachrichten hinlänglich bestätigt. W i r wissen, daß das Verhältnis zwischen Karl und seinem Bruder äußerst gespannt war 7 . Aus welcher Zeit die Feindschaft zwischen ihnen datiert, ist unbekannt. Es ist möglich, daß sie schon in die Jugend der Könige, in die Jahre vor ihrer Thronbesteigung zurückreicht 8 . Doch zu Beginn ihrer Regierung bis mindestens zum Frühjahr 769 müssen die Beziehungen zwischen ihnen so gewesen sein, daß sie eine einigermaßen einheitliche äußere Politik ermöglichten: sofort nach dem Tode ihres Vaters trat der römische Stuhl mit beiden Königen zugleich in Unterhandlungen, und etwa im März 769 ordneten sie beide gemeinsam zwölf fränkische Bischöfe zur Teilnahme an einer Lateransynode ab 9 . In den folgenden Monaten nun muß dieser Zustand erheblich gestört worden sein. Wir besitzen einen Brief Stephans III., aus dem hervorgeht, daß in dieser Zeit die Feindschaft zwischen den beiden Frankenkönigen einen Grad erreicht hat, der ihre außenpolitische Aktivität völlig zu unterbinden schien 1 0 . Den einzigen Grund, den man für diese Änderung a der Lage zu finden vermag, bieten die Ereignisse, auf die Einhard und die Einhardannalen hinweisen. Daß aber in Duasdives der Streit zwischen den Brüdern, mindestens zu neuer Schärfe, entbrannt sein muß, scheint auch die Darstellung der ältern Reichsannalen zu ergeben. Ihr Bericht, daß Karlmann von Duasdives nicht seinem Bruder nach Angouleme folgte, sondern in sein Reich zurückkehrte, läßt sich doch kaum anders verstehen, als so, daß die Könige uneinig geworden waren n . Die Verantwortung für diesen Bruderzwist oder seine Verschärfung bürden die Vita Karoli und die Einhardannalen völlig Karlmann und seiner Umgebung auf. Es versteht sich von selbst, daß den Urteilen dieser für Karls Haus und Hof schreibenden Historiographie äußerst wenig Gewicht beizulegen ist. Man kann aber auch beweisen, daß sie höchstwahrscheinlich unrecht hat. 7 8
9
10
11
V g l . ebenda, S. 35 ff. Das wird im allgemeinen, aber ohne besondere Sicherheit aus dem Schreiben Kathwulfs an Karl, Epp. IV, S. 502 gefolgert, weil Kathwulf, der anscheinend chronologisch vorgeht, die Feindschaft der Könige vor ihrer Thronbesteigung erwähnt. Vgl. Vita Stephani III. im Liber pontificalis I, hrsg. v. L. Duchesne (1886), S. 473. Unhaltbar ist Simsons Meinung (a. a. O., S. 64), daß zur Zeit der Lateransynode der Konflikt zwischen den Brüdern bestanden haben könne, daß aber wenig später die Versöhnung erfolgte. Die einzige Nachricht, die auf einen Konflikt in dieser Zeit hindeutet, die Erzählung über die Begegnung von Duasdives, bezieht sich gerade auf den Sommer nach der Lateransynode, und alles, was wir wissen, zeigt, daß mindestens bis zur Lateransynode die Beziehungen der Brüder ungetrübt waren. Anders ist der Brief Stephans, Cod. Carol. Nr. 44, Epp. III, S. 558 ff., in dem der Papst seine Freude über die Versöhnung der Könige ausdrückt, nicht zu verstehen. Vgl. auch W o l f f , S. 4 0 f. Vor allem zeigt die Tatsache, daß überhaupt die Zusammenkunft und die Rückkehr Karlmanns in den wortkargen Annalen erwähnt werden, daß beiden eine große Bedeutung beizumessen ist.
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Zum achten und neunten Jahrhundert
Die altern Reichsannalen schreiben über die Begegnung der Könige: in ipso innere ... se rex (sc. Carolus) cum germano suo Carlomanno in loco, qui dicitur Duasdives, iungens, woraus sich herauslesen läßt, daß in Duasdives die Brüder ihre Heere vereinigten 12 . Diese Auffassung hat durchaus die historische Wahrscheinlichkeit für sich. Die Reichsannalen sagen, Hunald habe totarn Wasconiam etiam et Aquitaniam in Aufruhr bringen wollen. Auch wenn man es dahingestellt sein läßt, ob totam sich auch auf Aquitaniam oder nur auf Wasconiam bezieht, so erscheint doch sicher, daß das letzte Ziel von Hunalds Aufstand die Wiedergewinnung von ganz Aquitanien sein mußte. Selbst wenn man annehmen wollte, worüber die Quellen gar nichts sagen, daß die Empörung sich zunächst auf den zu Karls Reich gehörigen Teil des Landes beschränkte, so hatte doch Karlmann, dessen Gebiet unter allen Umständen gefährdet war, das größte Interesse an ihrer Niederwerfung. Auch ohne das Hilfegesuch Karls, von dem erst spätere Quellen zu berichten wissen, lag es für ihn also nahe, in die aquitanischen Verwicklungen einzugreifen 13 . 4
t
Wollte man das indessen verneinen, so erscheint es auf der andern Seite schwer verständlich, wie Karl dazu gekommen sein soll, seinen Bruder, ohne daß dessen Reichsteil behelligt war, zu ersuchen, ihm Hilfe zu leisten. Der Ausgang des Feldzuges hat bewiesen, daß er durchaus in der Lage war, allein, ohne fremde Unterstützung, Hunald niederzuwerfen14. Bei dem gespannten Verhältnis, in dem er zweifellos immer zu Karlmann gestanden hat, wäre es von Karl sehr töricht gewesen, sich ohne Not seinem Bruder gegenüber durch dessen Hilfeleistung zu verpflichten und durch seine Teilnahme am Kriege die Gelegenheit für unabsehbare Weiterungen zu geben. Doch von alledem ganz abgesehen: Die Tatsache, daß sich Karlmann überhaupt auf aquitanisches Gebiet nach Duasdives begab, beweist, daß er einer Beteiligung am aquitanischen Kriege nicht von vornherein ablehnend gegenüber gestanden haben kann, gleichgültig, ob das eigene Interesse oder die Bitte seines Bruders ihm diese Beteiligung empfahl. Wenn es dann gleichwohl zum Bruch zwischen den Brüdern und zur Umkehr Karlmanns kam, so müssen diesem Ausgang Verhandlungen vorangegangen sein, über deren Inhalt die Quellen schweigen. Daß jedoch die Schuld an ihrem Scheitern nur bei Karlmann lag, der eben erst seinen guten Willen bewiesen hatte, wird niemand glauben. Vielleicht läßt sich über die Gründe, die damals den Konflikt herbeiführten, noch eine einigermaßen wahrscheinliche Vermutung aussprechen. Zu Anfang des Berichts über den aquitanischen Feldzug machen die Einhardannalen die falsche Angabe, daß bei der Erbteilung von 768 ganz Aquitanien Karl 12
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14
Die Worte se iungens der Reichsannalen brauchen freilich vielleicht nur zu bedeuten: er hatte eine Zusammenkunft, wie es in dem Jahresbericht zu 770, S. 30, der Fall ist. Ähnlich L. v. Ranke, Zur Kritik fränkisch-deutscher Reichsannalisten, Abhandl. d. kgl. Akademie d. Wissensch, zu Berlin 1854, S. 419. In diesem Zusammenhang gewinnt vielleicht auch die Angabe der Kleinen Lorscher Frankenchronik zu 769, Neues Archiv 36, S. 30, Bedeutung: Carlas cum fratre Carlomanno Hunoldum in Aquitania rebellantem capiunt. Die Ann. regni Francorum, S. 28 betonen sogar, daß er mit nur wenigen Franken die Anschläge Hunalds zunichte machte. Vgl. auch Ranke a. a. O.
Karl der Große und Karlmann
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zugefallen sei. Daraus ergibt sich, daß nach Ansicht der Annalen 769 Karl auch ganz Aquitanien beanspruchte, unterwarf und seinem Reich angliederte. So falsch die Nachricht über die Teilung von 768 ist, so sehr ist möglich, daß der Annalist mit seiner Ansicht für 769 recht hat. Über die Frage, zu wessen Reich nach 769 Aquitanien gehörte, findet sich in allen übrigen Quellen keine Auskunft. Der Krieg gegen Hunald führte Karl bis in die Nähe der Garonne 1 5 . Ob er dabei auch den Osten Aquitaniens betreten hat, ist völlig unbekannt. Die beiden einzigen in Aquitanien ausgestellten Urkunden aus der s Zeit der gemeinsamen Regierung Karls und Karlmanns sind von Karl 769 erlassen worden. Sie sind während seines Feldzuges im Westen des Landes ausgestellt worden 1 6 und können also nichts dagegen beweisen, daß etwa der Osten Karlmann gehört hat. Auf der anderen Seite aber gibt es keine Nachricht, die auf eine Regierung Karlmanns in Aquitanien nach 769 hindeutet. Die verkehrte Behauptung der Einhardannalen, daß von Anfang an Aquitanien ein Bestandteil von Karls Reich war, läßt sich durch die Tatsache, daß 769 er allein gegen Hunald Krieg führte, nicht erklären; denn gerade diese Annalen erzählen ja, daß ursprünglich eine gemeinsame Aktion der Brüder geplant war. Und als verständlichen Irrtum, der weiter keiner Erklärung bedarf, scheint man diese falsche Angabe deshalb nicht abtun zu dürfen, weil sich deutlich zeigt, daß sie tendenziös ist: Die Annalen beteuern mit gar zu auffälliger Betonung zweimal hintereinander, daß Aquitanien zu Karls Reich gehörte. Es liegt nahe, zu vermuten, daß sie mit dieser Geschichtsfälschung die Tatsache verschleiern wollten, daß Karl im Jahre 769 Karlmann seines Anteils an dem Lande beraubte. Die rechtliche Begründung für diesen Raub war nicht schwer zu finden: Man konnte sich auf den Standpunkt stellen, daß beim Tode Pippins Aquitanien noch nicht völlig unterworfen war, und daß mithin der sterbende König auch kein Verfügungsrecht über das Land hatte. In der Tat scheint sich diese Auffassung in dem Bericht der Einhardannalen und der Vita Karoli widerzuspiegeln: Diese Quellen betonen, daß Karl von seinem Vater den noch nicht vollendeten aquitanischen Krieg übernommen hatte 1 7 . Nach der Erzählung der ältern Reichsannalen hat es den Anschein, als wenn Karl die Unterwerfung Aquitaniens bereits vor der Zusammenkunft mit Karlmann in Duasdives erreicht habe 1 8 . Jedenfalls dürfte er dort mit seinem Anspruch auf ganz Aquitanien hervorgetreten, und aus Gründen, die wir nicht 6 kennen, mag Karlmann genötigt gewesen sein, sich dem zu fügen 1 9 . 15 16 17 18
19
Vgl. Jahrbb., S. 47 f. Vgl. Böhmer-Mühlbacher 134 und 136. Vgl. die oben S. 10 Anm. 2 und 3 angegebenen Stellen. Es heißt dort S. 28: Carolus rex iter peragens partibus Aquitaniae . . . et cum paucis Francis auxiliante Domino dissipata iniqua consilia supradicti Hunaldi. Daß mit diesen Worten nicht etwa bloß eine allgemeine Bemerkung über die erst nach der Begegnung von Duasdives erzählte endgültige Beseitigung Hunalds gegeben werden soll, ergibt sich daraus, daß für diesen zweiten Teil der Unternehmung Karls erzählt wird, er habe plures Francos um sich gesammelt. Bei der Niederwerfung Hunalds mit den pauci Franci muß es sich also um etwas anderes gehandelt haben. Aus der Tatsache, daß Karlmann nach Duasdives kam und danach wieder abzog, hätten dann die Einhardannalen den Hilferuf Karls und die Hilfeverweigerung Karlmanns konstruiert.
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Zum achten und neunten Jahrhundert
II. Man nimmt allgemein an, daß nach dem aquitanischen Kriege, etwa vom Frühjahr 770 an, Karl und Karlmann im Einvernehmen miteinander die Regierung des Frankenreichs geführt haben und daß besonders die Handlungen, welche die fränkische Politik in der nächsten Zeit in Bayern und in Italien vornahm, auf ihre gemeinsame Leitung zurückgingen. An dieser Auffassung ist ohne Zweifel so viel richtig, daß in der Tat nach der Beendigung des aquitanischen Krieges eine Versöhnung der beiden Könige erfolgte: wir wissen, daß sie dies Ereignis durch eine Gesandtschaft dem Papste mitteilten 20 . Ihre Eintracht scheint auch wenigstens eine Weile gedauert zu haben oder doch vom Auslande vorausgesetzt worden zu sein: ein Papstbrief, der etwa aus dem Sommer des Jahres 770 stammen muß, nimmt sie noch als bestehend a n 2 1 . Im übrigen jedoch besitzen wir kein Zeugnis, das von weiteren freundlichen Beziehungen der Brüder zueinander spräche, und vor allem sagt keine Nachricht etwas davon, daß die äußere Politik des Frankenreiches von ihnen gemeinschaftlich geführt wurde. Den Beweis für die Annahme, daß das gleichwohl der Fall war, glaubt man in dem Umstände zu finden, daß in den außenpolitischen Vorgängen der nächsten Zeit die Königinmutter Bertha eine große, aktive Rolle spielt 2 2 : jene Vorgänge erscheinen als durchaus von ihr gebilligt und gefördert. Die Voraussetzung für die Stichhaltigkeit dieses Arguments ist die Ansicht, daß das Verhältnis Berthas zu ihren beiden Söhnen gut war. Diese Ansicht wird jedoch durch nichts beglaubigt. Eine, freilich späte, langobardische Überlieferung weiß davon zu erzählen, daß Bertha den Karlmann wegen seiner feindseligen Haltung gegen Karl verfluchte, worauf er das Augenlicht und bald auch das Leben verlor 23 . So sicher der sagenhafte Charakter dieses Berichtes ist, sowenig ist doch damit seine völlige Unglaubwürdigkeit erwiesen. Der Bericht besitzt eine zwar ins Anekdotenhafte verzerrte, aber im übrigen auffallend richtige und scharfe Vorstellung von dem Verhältnis der beiden fränkischen Brüder zueinander und zu dem bayrischen und dem langobardischen Herrscherhause 24 . Seine Ansicht von einem Zerwürfnis zwischen Karlmann und seiner Mutter ist durch nichts zu widerlegen und kann den historischen Tatbestand recht gut wiedergeben. Man hat vermutet, daß Karlmanns Versöhnung mit Karl das Werk Berthas gewesen sei 2 5 : in Selz, wo sie im Mai 770 mit Karlmann zusammentraf, habe sie es 20
Vgl. Cod. Carol. Nr. 44, Epp. III, S. 558 ff.; vgl. oben S. 11 Anm. 10. Ebenda Nr. 45, S. 560 ff. In dem Brief wird vorausgesetzt, daß beide Könige sich mit den Langobarden verbünden und langobardische Prinzessinnen heiraten wollten. Er ist also vor der Ehe Karls mit der Tochter des Desiderius (Herbst 770) und vermutlich vor der Ankunft Berthas in Rom (etwa Spätsommer 770), die über die fränkischen Pläne Aufklärung und Beruhigung brachte, geschrieben worden; er kann auf keinen Fall ins Jahr 771 gehören, was Epp. III, S. 560 für möglich gehalten wird. Vgl. auch unten Anm. 28. -- Vgl. z. B. Jahrbb. I, S. 65 ff. Diese Auffassung wird, soviel ich sehe, allgemein geteilt. 23 Andreae Bergom. hist. cap. 3. SS. rer. Langob., S. 223 f. 24 Er erzählt, daß Karl, Tassilo und Desiderius im Gegensatz zu Karlmann verbündet waren, was sich uns bestätigen wird. 25 Vgl. Jahrbb. I. S. 65.
21
Karl der Große und Karlmann
15
zuwege gebracht 26 . Beweisen läßt sich diese Vermutung nicht. Mindestens bietet für sie die einzige Quelle, die von der Aussöhnung der Brüder spricht, der erste Brief Stephans III. an die fränkischen Könige, keinen Anhaltspunkt 2 7 ; und bei der Weitschweifigkeit und dem lebhaften Interesse dieses Briefes für die Herstellung des Friedens im Frankenreiche mochte es naheliegen, in ihm der Mittlerrolle der Königin zu gedenken, wenn sie sie gespielt hätte. Aber selbst wenn man diese Rolle trotzdem annehmen wollte, was wäre damit für das Verhältnis Berthas zu Karlmann bewiesen? Die Möglichkeit, daß sie den Frieden im Sinne und im Interesse Karls herbeiführte, bliebe bestehen. Und endlich, die Tatsache der Versöhnung unter ihrer Vermittlung würde auf keinen Fall etwas dafür zu beweisen vermögen, daß bei den auf diese Versöhnung folgenden Ereignissen ihre Sympathien noch ebenso Karlmann wie Karl galten. Das einzige direkte Zeugnis, das sich für die Annahme freundlicher Beziehungen zwischen Bertha und Karlmann anführen läßt, ist eben die Nachricht von der Zusammenkunft in Selz im Jahre 770. Doch abgesehen davon, daß niemand weiß, was der Inhalt und Zweck dieser Besprechung war, so ist wahrscheinlich, daß sie (wenn durch sie nicht überhaupt das Einvernehmen zwischen Karl und Karlmann hergestellt ward) in eine Zeit fällt, in der das Verhältnis der beiden Brüder, mindestens äußer- s lieh, ungetrübt war 2 8 . Sie spricht also keinesfalls dafür, daß im Falle eines Konfliktes zwischen ihnen Bertha nicht gegen Karlmann Partei ergriff. Es läßt sich nach alledem über die Stellung der Königin zu ihrem jüngern Sohne von vornherein gar nichts aussagen, und wenn Bertha in die fränkische Politik eingriff, so steht darum nicht fest, daß sie das auch als Sachwalterin Karlmanns tat; und wenn wir Karl d. Gr. im Bunde mit ihr handeln sehen, so geht daraus nicht das geringste dafür hervor, daß er deshalb (mindestens indirekt) auch in Übereinstimmung mit seinem Bruder gehandelt haben muß. Wenn man die auswärtige Politik des fränkischen Reiches in den Jahren der gemeinsamen Regierung Karls und Karlmanns mit der der vorangehenden und folgenden Zeit vergleicht, so zeigt sich ein auffallender Unterschied. Während sie vorher und besonders nachher in dauerndem aggressiven Vorschreiten begriffen ist, wird sie in den Jahren 770 und 771 durch eine merkwürdige Passivität und ein starkes Friedensbedürfnis charakterisiert. Man schließt Freundschaftsverträge mit den Bayern und den Langobarden, ohne daß die so gewonnene Sicherheit im Süden und Südosten nun etwa zu einer Kraftentfaltung an einer andern Grenze des Reiches benutzt würde. Sofort nach dem Tode Karlmanns hat Karl seine Heere im Laufe von zwei Jahren nach Sachsen und nach Italien geführt; jetzt bleibt alles still. Aber die fränkische Politik verzichtete jetzt nicht bloß auf jeden Angriff, jeden Fortschritt, sie machte deutliche Rückschritte. Wenn auch der Freundschaftsvertrag mit den Lango26
Vgl. ebenda S. 77, Böhm.-Mühlb. 126 a; auch Wolff, S. 55. " Cod. Carol. Nr. 44. Vgl. S. 11 Anm. 10. 28 Erst in die Zeit nach dieser Zusammenkunft nämlich dürfte der Brief Stephans III., Cod. Carol Nr. 45 gehören, in dem noch das Einvernehmen der beiden Könige vorausgesetzt wird. Er muß etwa in den Wochen geschrieben worden sein, in denen Bertha nach Italien aufbrach, um die Beziehungen Karls zu Desiderius zu festigen. Vgl. auch Jahrbb. I, S. 80 ff. und oben Anm. 21
16
Z u m achten und neunten J a h r h u n d e r t
barden im ersten Augenblick noch keine offenkundige Schädigung ihrer Interessen darstellte, er bedeutete doch auf die Dauer den Verzicht auf die bisherige Interventionspolitik, die dem Frankenreiche die Rolle der entscheidenden Macht in Italien eingetragen hatte. E r warf es in die Position der Jahre vor den Pippinschen Feldzügen gegen Aistulf zurück, und es zeigte sich bald, daß das Ansehen, das die Franken unter Pippin in Italien behauptet hatten, niederging 2 9 . Noch mehr bedeutete der c Friedensschluß mit Bayern einen Bruch mit der früheren Politik und Tradition. Tassilo hatte bekanntlich 763 das fränkische Heer verlassen und die fränkische Oberhoheit abgeschüttelt. Pippin hat nie Gelegenheit gehabt, gegen den Empörer einzuschreiten, aber noch weniger hat er jemals die Empörung anerkannt. Tassilo galt immer als Rebell und seine Stellung als Usurpation. D e r Vertrag, der nun 770 zwischen ihm und dem Frankenreiche zustande kam, gab die alten fränkischen Ansprüche gegenüber Bayern auf 3 0 . D e r 763 ertrotzte Zustand wurde legalisiert und Tassilo als selbständiger Fürst mit dem Recht, eigene innere und äußere Politik zu treiben, anerkannt. D a ß diese anscheinend schwächliche Politik, die damals an allen Grenzen des Frankenreiches getrieben wurde, so nicht nach dem Herzen Karls d. Gr. gewesen sein kann, bedarf keines Beweises. Man hat denn auch für sie die Königinmutter Bertha verantwortlich zu machen gesucht 3 1 . Ihr Ziel sei ein allgemeiner Friedenszustand in Europa gewesen. E s mag richtig sein, daß Bertha solche Absichten, wenigstens zum Teil, verfolgte 3 2 . Wenn man aber annimmt, daß sie dafür auch Karl gegen seinen eigentlichen Willen gewann, so räumt man ihr damit einen Einfluß auf ihren ältesten Sohn ein, der weder durch das Charakterbild Karls d. Gr. noch durch die Tatsachen seiner Regierung irgendwie begründet wird. Später, nach Karlmanns Tode, hat Karl sich auch durch Berthas Einspruch nicht darin stören lassen, eine andere Politik als die bisher verfolgte aufzunehmen. In der Tat läßt sich für die Außenpolitik der Jahre 770 und 71 kein anderer Grund finden, als die Annahme, daß es innere Schwierigkeiten waren, die ein energisches Auftreten nach außen vereitelten. D i e Tatsache, daß dieser Zustand nach Karlmanns io T o d e verschwand, legt die Vermutung nahe, daß diese Schwierigkeiten in einem Zwist zwischen den beiden Brüdern bestanden. Wäre das aber richtig, so wäre selbstverständlich, daß jene ominöse auswärtige Politik nicht von ihnen in beiderseitigem Einverständnis geführt wurde. D i e Friedens- und Bündnisverträge mit dem Ausland könnten dann selbstverständlich nicht von beiden Brüdern zugleich, sondern 29
D a s beweisen die V o r g ä n g e in R o m im J . 7 7 1 . V g l . weiter unten S. 2 3 ff.
30
V g l . J a h r b b . I, S. 66 f. In d e n f o l g e n d e n J a h r e n ist T a s s i l o in a l l e m v ö l l i g s e l b s t ä n d i g . V g l . z. B . J a h r b b . I, S. 6 5 f . ; L . M . H a r t m a n n , G e s c h . Italiens im M A . II, 2 ( 1 9 0 3 ) , S. 2 5 1 ; A . H a u c k , Kirchengesch. D e u t s c h l a n d s II, 3. u. 4. A u f l . ( 1 9 1 2 ) , S. 7 8 . D a ß B e r t h a die politische Richtung, in der sie 7 7 0 tätig w a r , v o l l und g a n z v e r t r a t , zeigt sich darin, d a ß sie sich mit K a r l entzweite, als er v o n dieser Richtung abwich und die T o c h t e r d e s D e s i d e r i u s verstieß (vgl. E i n h . V i t a K a r o l i cap. 18, S. 2 3 ) . D i e A n g a b e E i n h a r d s ( e b e n d a ) , d a ß K a r l illa (sc. B e r t h a ) suadente die E h e mit der l a n g o b a r d i s c h e n Prinzessin einging, braucht nichts als eine Konstruktion zu sein, d i e E i n h a r d auf G r u n d der T a t s a c h e n , d a ß B e r t h a d i e V e r h a n d l u n g in P a v i a ü b e r n a h m , und d a ß d a s B ü n d n i s mit D e s i d e r i u s im G e g e n s a t z zu K a r l s späterer Politik steht, g e m a c h t hat. A b e r auch wenn E i n h a r d s A n g a b e richtig ist, so beweist sie doch nichts d a f ü r , d a ß jene E h e nicht auch d e m W u n s c h e K a r l s entsprach.
31
32
K a r l der G r o ß e und K a r l m a n n
17
nur von einem unter ihnen geschlossen worden sein und müßten eine mehr oder weniger deutliche Spitze gegen den andern gehabt haben. Aus der einzigen, freilich sagenhaften und erst der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts angehörenden Quelle, welche die Maßnahmen der fränkischen Diplomatie im Jahre 770 in einen innern Zusammenhang bringt, geht hervor, daß Karl, Tassilo und Desiderius im Bunde mit Bertha eine Koalition abgeschlossen haben, die die Gegnerschaft Karlmanns herausforderte33. Eine genauere Betrachtung der außenpolitischen Vorgänge bestätigt diese Nachricht völlig. Man bemerkt statt der angeblich einheitlichen Politik des fränkischen Hofes eine deutliche Spaltung des Königshauses: auf der einen Seite stehen Karl und Bertha, auf der andern steht Karlmann. Wenn zu Zeiten Pippins die Päpste ihre Gesandtschaften und Briefe auch an die Söhne des Königs richteten, so wandten sie sich stets an Karl und Karlmann zugleich 3 4 Sergius, der päpstliche Legat, der nach Pippins Tode ins Frankenreich kam, verhandelte mit beiden Brüdern 35 . Die beiden ersten Briefe, die Stephan III. nach der Versöhnung der Könige an sie schrieb, sind gleichfalls an beide gemeinsam adressiert36. Doch etwa im Sommer 770 wurde dieses Verfahren aufgegeben. Von da an schickte der Papst seine Schreiben entweder an Karl und seine Mutter oder nur an Karlmann 37 . Dieser Wandlung entspricht es völlig, was wir über diplomatische Missionen der beiden Könige im Ausland wissen. Im Frühjahr 769 hatten sie beide eine Reihe fränkischer Bischöfe zur Teilnahme an der Lateransynode nach Rom geschickt 38 ; nach ihrer Versöhnung hatten sie eine gemeinsame Gesandtschaft an den Papst abgeordnet39. Dagegen lassen sich vom Sommer 770 ab nur noch besondere Gesandte jedes einzelnen der Könige beobachten. Als Karls Bevollmächtigter tritt in Bayern der Abt Sturm von Fulda auf 4 0 ; in Rom und im Beneventanischen finden wir seinen Kanzler Itherius 41 ; in Ravenna 42 und später wieder in Rom 4 3 sind seine missi tätig, ohne daß ihnen Vertreter Karlmanns zur Seite stünden. Umgekehrt läßt sich eine selbständige Gesandtschaft Karlmanns an den Papst im Jahre 770 nachweisen 44 ; und im Jahre 771 erscheint in Rom als sein spezieller Bevollmächtigter Dodo 45 . Für all das wird man schwerlich eine Erklärung finden, wenn man an der Annahme einer gemeinsamen, freundschaftlichen Regierung der Brüder festhält. 33
Vgl. oben S. 14, A n m . 2 3 und 2 4 .
31
V g l . Cod. Carol. N r . 6 , ' 7 , 9, 10, 2 6 , 3 3 , 3 5 ( E p p . III, S. 4 8 8 ff.).
35
V g l . Liber pontificalis S. 4 7 3 .
36
Vgl. Cod. Carol. N r . 4 4 und 4 5 , E p p . III, S. 5 5 8 ff.
37
A n K a r l und B e r t h a Cod. Carol. N r . 4 6 und 4 8 , an K a r l m a n n N r . 4 7 .
38
Liber pontificalis S. 4 7 3 .
40
Vgl. Vita Sturmi cap. 2 2 ,
39
Vgl. Cod. Carol. N r . 4 4 .
SS. II, S. 3 7 6 . D a r ü b e r , d a ß diese Gesandtschaft vor der
Reise
Berthas nach Bayern erfolgte vgl. J a h r b b . I, 6 6 f . ; Wolff, S. 4 3 f. D a ß Sturms diplomatische Mission bei Tassilo ins J a h r 7 7 0 fiel, läßt sich freilich nicht beweisen, aber auch nicht, d a ß es nicht der Fall war. Selbst wenn sie aber bereits dem J a h r e 7 6 9 angehören sollte, so würde das doch nichts d a r a n ändern, d a ß ihre Spitze gegen K a r l m a n n gerichtet war. 4t
V g l . Cod. Carol. N r . 4 6 .
43
Vgl. Cod. Carol. N r . 4 8 .
44
Vgl. Liber pontificalis S. 4 7 7 f.
Vgl. Cod. Carol. N r . 4 7 . Ü b e r die Datierung dieser Gesandtschaft vgl. weiter unten S. 19 f. Anm. 58.
2
42
Lintzel Bd. II
45
Vgl. Cod. Carol. N r . 4 8 .
n
18
Zum achten und neunten Jahrhundert
Der Vertrag mit Tassilo von Bayern wurde durch Karls Gesandten Sturm von Fulda abgeschlossen und durch Berthas Besuch 770 bekräftigt 4 6 . Der Vertrag mit Desiderius wurde durch Bertha und einige Große aus Karls Umgebung im selben Jahre abgeschlossen und durch Karls E h e mit der Tochter des Langobardenkönigs besiegelt 4 7 . Davon, daß an diesen Verträgen Karlmann irgendwie Anteil hatte, sagen die Quellen kein Wort. D a ß es nicht der Fall war, vermag ihr Schweigen allein natürlich nicht zu beweisen. Für die Beurteilung von Karlmanns Stellung zur bayrischen Politik seines Bruders sind wir lediglich auf Rückschlüsse aus seiner Stellung zu der Verbindung mit dem langobardischen Hofe angewiesen. Diese aber vermögen wir um so genauer zu erkennen. E s zeigt sich nämlich deutlich, daß ein freundschaftliches Verhältnis Desiderius allein mit Karl und Bertha verband. Eine Wirkung dieses Verhältnisses war, daß der langobardische König sich zu Restitutionen und Zugeständnissen an die Kurie verstand 4 8 . Als Garanten dieser Zugeständnisse erscheinen aber nur Karl 12 und Bertha. Nur Karls Missi sind in Ravenna tätig, um hier die Wünsche des Papstes durchzusetzen 4 9 ; nur an Karl und seine Mutter wendet sich der Papst, um ihnen für ihre und ihrer Gesandten Bemühungen wegen der Rückgabe der römischen Patrimonien zu danken und um neue Hilfe zu erbitten 5 0 . In dem Briefe Stephans an Karlmann ist dagegen von all diesen Dingen nicht die Rede 5 1 . Doch Karlmann hat sich an dem Abschluß des Bündnisses mit den Langobarden nicht bloß nicht beteiligt; seine Haltung ihnen gegenüber war ganz offensichtlich feindselig. Er, dessen Reich dem langobardischen unmittelbar benachbart war, hat hier die Tradition der Pippinschen Politik aus der Zeit der Kämpfe gegen Aistulf fortgesetzt. Man erkennt das schon an den Ratgebern, die ihn umgaben. D i e langobardenfeindlichen, papstfreundlichen Politiker Pippins, deren Tätigkeit im Frankenreiche sich noch jetzt nachweisen läßt, finden sich am Hofe Karlmanns. In seinen Diensten stand wahrscheinlich derselbe Dodo, der 762 und 767 fränkische und römische Ansprüche gegen die Langobarden durchzusetzen hatte 5 2 . Ihm zur Seite stand der Abt Fulrad von St. Denis, der bedeutendste Vertreter der Interventions46 47 48 49
50
Vgl. Böhm.-Mühlb. 139 a. Vgl. Jahrbb. I, S. 66 f. u. 79 f. Vgl. Böhm.-Mühlb. 139 a und Jahrbb. I, S. 80. Vgl. Ann. Lauresh. 770, SS. I, S. 30 und Cod. Carol. Nr. 46. Vgl. Liber pontificalis S. 477 f. Hauck K G . II, S. 80, meint, die Entfernung des Erzbischofs Michael und die Einsetzung L e o s in Ravenna fielen in die Zeit nach Karls Entzweiung mit Desiderius. Doch die Entsetzung Michaels geschah in den letzten Monaten des Jahres 770, und erst kurz vorher war das Bündnis mit den Langobarden perfekt geworden. Weiter erscheint es sehr unwahrscheinlich, daß Karl damals die Macht hatte, gegen den Willen der Langobarden in Ravenna Erzbischöfe abzusetzen und einzusetzen. Endlich aber beweist der Bericht des Liber pontificalis über diese Vorgänge, daß K a r l dabei im vollen Einvernehmen mit der Kurie vorging, ja daß sie der Spiritus rector dabei war. Mithin muß der Umschwung in Ravenna vor die Niederwerfung der fränkischen Partei in Rom durch Desiderius fallen, denn die nach ihrer Niederwerfung bis zu Stephans T o d herrschende langobardische Partei hätte natürlich nicht den langobardenfreundlichen Michael im Bunde mit den Franken gestürzt. D e r Bruch Karls mit Desiderius aber gehört in die Zeit nach dem Sieg der Langobarden in Rom (vgl. dazu weiter unten S. 23 ff.). Cod. Carol. N r . 46.
51
Cod. Carol. N r . 47.
52
Vgl. Jahrbb. I, S. 92 Anm. 1.
Karl der Große und Karlmann
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politik unter Pippin 5S. Dem entspricht das wenige, was wir von Karlmanns Politik gegenüber Desiderius wissen. Auf die Nachricht, daß er (771) einen Feldzug nach Italien plante 54 , ist zwar nicht allzu viel Gewicht zu legen, denn dieser Plan fiel in 13 eine Zeit, in der auch die Tatsache der Freundschaft Karls zu Desiderius nicht mehr über jeden Zweifel erhaben ist. Entscheidend ist jedoch, daß Karlmanns Bevollmächtigter Dodo in Rom eine Politik vertrat, die die Langobarden in der schroffsten Weise bekämpfte 5 5 . Der natürliche Bundesgenosse Karlmanns gegen den Hof von Pavia war das Papsttum. Der Kampf zwischen den Langobarden und der Kurie war längst unvermeidlich und permanent geworden, und ebenso das Bestreben der päpstlichen Politik, Hilfe gegen sie im Frankenreiche zu suchen. Zur Zeit Pippins hatte sie diese Hilfe gefunden. Gleich Pippin waren einst auch seine Söhne von Stephan II. zu Patriziern ernannt worden. Bald nach ihrem Regierungsantritt hatten denn auch sowohl Karl wie Karlmann den Bund mit Stephan III., der in offener Feindschaft mit den Langobarden gewählt worden war, erneuert, indem sie seine erste Synode mit ihren Bischöfen beschickten. Auf das Gerücht, daß die fränkischen Brüder einen Ausgleich mit Desiderius suchten, hatte sie 770 der Papst in einem leidenschaftlichen Briefe beschworen, der Politik ihres Vaters treu zu bleiben 56 . Als aber trotz der Beschwörungen und Banndrohungen des Papstes der Abschluß zwischen Karl und Desiderius erfolgte, mußte man in Rom den Eindruck gewinnen, daß man die Freundschaft von Pippins ältestem Sohn verloren hatte. Die Kurie schien allein auf Karlmann angewiesen zu sein. Aus dem Briefe Stephans an ihn wissen wir, daß er eine Gesandtschaft mit geheimen Vorschlägen nach Rom schickte 57 . Worin diese Vorschläge im einzelnen bestanden, sagt keine Nachricht. Daß sie die Aufrechterhaltung des Bundes mit dem Papste bezweckten, wird nicht zu bezweifeln sein. Stephan antwortete zustimmend; er lobte Karlmanns Treue und Anhänglichkeit an den römischen Stuhl und sprach die Bitte aus, bei dem neugeborenen Sohne des Königs Patenstelle annehmen zu dürfen. Wie das Bündnis zwischen Karl und Desiderius durch eine leibliche Verwandtschaft, so sollte die Freundschaft zwischen Karlmann und Stephan durch eine geistliche Verwandtschaft bestätigt werden. Die Verhandlungen zwischen Karlmann und der Kurie dürften etwa in die Zeit 14 fallen, in der Bertha den Vertrag mit Desiderius vermittelte 58 . Sie haben nicht zu 63 54
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2*
Vgl. Jahrbb. I, S. 35 f. Vgl. Liber pontif. S. 487. Es ist hier zwar nur die Rede von einem bevorstehenden Feldzug Karlmanns nach Rom. Doch daß dieser Feldzug zugleich ein Krieg mit den Langobarden gewesen wäre, ist selbstverständlich, da sie damals die Schutzmacht des Papsttums waren und Karlmanns Kriegsgrund die Schwenkung der Kurie auf die langobardische Seite war. 58 57 Vgl. Cod. Carol. Nr. 48 . Vgl. Cod. Carol. Nr. 45. Vgl. Cod. Carol. Nr. 47. Der Brief Stephans an Karlmann, Cod. Carol. Nr. 47, kann nur geschrieben sein, nachdem Stephan erfahren hatte, daß seine im Cod. Carol. Nr. 45 ausgesprochene Meinung, auch Karlmann suche die Verständigung mit Desiderius, falsch war, und dürfte geschrieben sein, bevor das Bündnis Karls mit den Langobarden auch auf den Papst ausgedehnt wurde, d. h. vor der Ankunft Berthas in Rom. Er hat nur Sinn, solange die in Nr. 46 vorausgesetzte Verständigung der Kurie mit Karl und den Langobarden noch nicht erfolgt war, oder der Papst spielte nach
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ihrem eigentlichen Ziele geführt. E s gelang der Politik K a r l s d. Gr., d a s Papsttum in sein Bündnissystem einzubeziehen. Durch seinen Einfluß auf den Hof von Pavia war er in der Lage, Stephan mehr zu bieten als sein Bruder. D i e Königin Bertha setzte 770 ihre Reise von Pavia nach Rom fort. D i e Aussicht auf die Restitutionen der Kirchengüter, die durch K a r l s und Berthas Vermittlung erfolgen sollten und erfolgten, fesselte den Papst an das Interesse K a r l s und der Langobarden. Nicht bloß K a r l , auch die K u r i e nahm jetzt also eine Politik auf, die der Tradition der letzten Jahrzehnte zuwiderlief. D i e Anhänger dieser Tradition wurden in Rom in die Opposition gedrängt. D i e Führer der fränkischen, langobardenfeindlichen Partei, Christopherus und Sergius, verharrten in Feindschaft gegen Desiderius und entfremdeten sich infolgedessen nach und nach dem Papste, den sie einst im Gegensatz gegen die Langobarden erhoben hatten 5 9 . Ihr Verbündeter aber war Karlmanns Bevollmächtigter D o d o 6 0 , er arbeitete H a n d in H a n d mit ihnen, und Karlmann drohte ihren Untergang mit dem Schwerte zu rächen n i . Man sieht, die italienische Politik K a r l s befindet sich in offenem, tiefem Gegensatz zu der seines Bruders. Seine Verbündeten in Pavia und Rom waren die Feinde Karlmanns. E s erscheint demnach sicher, daß auch der Vertrag mit Tassilo von Bayern, dem Schwiegersohne des Desiderius, allein von K a r l veranlaßt und abgeschlossen worden ist. 15
Wir wissen auch unabhängig von diesen Erwägungen, daß sich das Verhältnis zwischen K a r l und seinem Bruder trotz der Versöhnung nach dem K r i e g e gegen Hunald von Aquitanien wieder trübte. Einhard sagt darüber in der V i t a K a r o l i 6 2 : Mansitque ista, quamvis cum summa difßcultate, concordia, multis ex parte Karlomanni societatem separare molientibus, adeo ut quidam eos etiam hello committere sint meditati. Sed in hoc plus suspecti quam periculi fuisse ipse rerum exitus adprobavit, cum defuneto Karlomanno uxor eins et filii cum quibusdam, qui ex optimatum eius numero primores erant, ltaliam fuga petiit, et nullis existentibus causis, spreto mariti fratre, sub Desiderii regis Langobardorum patrocinium se cum liberis suis cojitulit. Man wird diese einigermaßen dunkeln Worte nicht anders verstehen können, als so, daß Einhard sagen wollte, schließlich setzte sich die Meinung fest, d a ß es zwischen den Brüdern zum K r i e g e kommen werde; doch dieser Meinung lag nur eine leere Befürchtung und keine wirkliche G e f a h r zugrunde; wie groß die Befürchtung war, zeigt die Flucht von Karlmanns Witwe, wie gering die G e f a h r war, beweist die Tatsache, daß ihr K a r l nicht die geringste Veranlassung zur Flucht gab. Niemand wird behaupten wollen, daß Einhard mit diesen Sätzen die Auffassung von dem drohenden Bruderkrieg entkräftet habe, denn tatsächlich hatte Gerberga dieser Verständigung ein falsches Spiel, was bei seiner gefährdeten L a g e unwahrscheinlich ist. Ich vermute demnach, daß er vor N r . 46 zu stellen ist. 5 8 Vgl. Cod. Carol. N r . 4 8 ; Lib. pontif. S. 4 7 8 ; die bayrischen Annalen des sog. Crantz (a. 771), den Aventin benutzt hat, bei S. Riezler, Ein verlorenes bairisches Geschichtswerk des achten Jahrhunderts, Sitzungsber. d. philos.-hist. K l . d. K . bair. Akad. d. Wissenschaften zu München 1881, I, S. 253 f. 6 0 Vgl. Cod. Carol. Nr. 48. «' Vgl. Lib. pontif. S. 487. 6 2 cap. 3, S. 6.
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alle Veranlassung, mit ihren Kindern über die Alpen zu entweichen. Was aber die Hauptsache ist, die Art von Einhards Beschönigung und der Umstand, daß er nicht Karlmann als Angreifer nennt, beweisen deutlich, wie sehr ihm bewußt war, daß es Karl gewesen, von dessen Seite der Ausbruch des Krieges drohte. Selbst wenn dieses Zeugnis nicht bewiese, daß es Karl war, der einen Krieg gegen seinen Bruder plante, so wäre doch diese Tatsache nicht zu bezweifeln. Es wäre merkwürdig, wenn Karls Herrschernatur sich nicht das Ziel gesetzt hätte, Karlmann, der dauernd als sein Rivale erscheint, zu entthronen und damit die Möglichkeit für die ungehinderte Entfaltung seiner Macht zu schaffen 63 . Einhards Sätze über den drohenden Ausbruch des inneren Krieges beziehen sich anscheinend auf die letzte Zeit vor Karlmanns Tode, also den Herbst des Jahres 771; und auf Eroberungsabsichten Karls in dieser Zeit deutet die überraschende Schnelligkeit hin, mit der er i« nach Karlmanns Ende dessen Reich an sich riß 64 . Aber daß auch schon vorher die Lage im fränkischen Reiche äußerst gespannt war, geht aus Einhards Worten, nach denen die Eintracht zwischen den Brüdern nur unter den größten Schwierigkeiten erhalten blieb, hervor. Die Krise, die im Herbst 771 zum Ausbruch zu kommen drohte, hat ihre Wirkungen zweifellos auch schon auf die Entwicklung der politischen Situation im Jahre 770 ausgeübt. Damals läßt sich als Gegner Karls und seiner Verbündeten überall und allein Karlmann beobachten. Er allein kommt als Gegner, dem Karls Bündnispolitik gegolten hat, in Betracht. Karl hat es jederzeit in der Politik wie in der Strategie verstanden, seine Gegner zu umzingeln, sie einzukreisen und mattzusetzen, ehe es zum Schlagen kam. Er hat wohl nie Veranlassung gehabt, einen Krieg vorsichtiger und umfassender vorzubereiten als den gegen Karlmann. Nicht allein daß sein Bruder über ein Reich gebot, das dem seinen an Ausdehnung und Machtmitteln etwa gleich war; offenbar wurde die Rivalität zwischen den beiden Brüdern auch von gewissen Kreisen der fränkischen Aristokratie ausgenutzt, um die gegen das Königtum gerichteten Bestrebungen vorzutreiben. Wir haben Nachrichten darüber, daß es Große gab, die die Feindschaft zwischen ihnen schürten 65 . Die Gefahr, daß diese Großen aus einem Bruderkrieg für sich Gewinn ziehen würden, lag auf der Hand. Vor allem aber mußte die gespannte Lage, in der sich das Frankenreich beim Tode Pippins zu seinen Nachbarn befand, diese bei inneren Schwierigkeiten der Nachfolger des Königs zum Eingreifen reizen. Selbst wenn Karl bei seinen Verträgen mit Tassilo und Desiderius auf ihre aktive Bundeshilfe gar nicht rechnete, so mußte es für ihn doch von höchstem Wert sein, die Möglichkeit einer Interventionspolitik zu seinen Ungunsten auszuschalten. Aber weiter. Zu einer Entthronung Karlmanns war für Karl die Hilfe des Papsttums mindestens erwünscht. Ganz abgesehen davon, daß der Bund mit der Kurie ihm genug Handhaben bieten mußte, seinen Gegner moralisch zu vernichten der Papst war in gewisser Weise seit Pippins Staatsstreich der Garant der fränkischen 63
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Wie schlecht das Verhältnis der Brüder war, zeigt sich auch darin, daß Karl nach Karlmanns Tode dessen einstige Regierung fast völlig ignorierte (vgl. Jahrbb. I, S. 103) und vor allem darin, daß ihm Kathwulf dazu gratulieren konnte, daß er seines Bruders Reich ohne Blutvergießen gewann (vgl. Epp. IV, S. 502). 85 Vgl. Jahrbb. I, S. 103. Vgl. Vita Karoli c. 3, S. 6 und Ann. qui die. Einh. ad 769, S. 29.
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Verfassung, und welche Rolle seine Autorität bei fränkischen Thronstreitigkeiten spielen konnte und gespielt hat, haben die Vorgänge von 754 und 772/73 zur Genüge bewiesen. Das Einvernehmen mit der Kurie aber war an die Unterstützung ihrer 17 Ansprüche gegenüber dem Hofe von Pavia gebunden. D a Karls Reich nirgends an das langobardische grenzte, so war ihm im Gegensatz zu Karlmann eine Einwirkung auf die Politik des Desiderius im wesentlichen nur auf freundschaftlichem Wege möglich. Zu der Zeit, in der der Plan von Karls Ehe mit der Tochter des Desiderius in Italien bekannt wurde, etwa im Sommer 770, glaubte man in Rom noch an das Fortbestehen der Eintracht zwischen Karl und Karlmann 6 0 . Aber eben damals begann Karls Politik den diplomatischen Kampf gegen den Bruder aufzunehmen. Zu Ende des Jahres 770 war Karlmann isoliert. Gleichwohl ist damals und in den folgenden Monaten der Frieden zwischen ihm und seinem Bruder noch erhalten geblieben. Erst ungefähr ein Jahr später schien der Bruch unmittelbar bevorzustehen. Die Gründe, die diese Verzögerung veranlaßten, kennen wir nicht Sie mögen zum Teil der inneren Politik des fränkischen Reiches entsprungen sein. Zum Teil aber wohl auch den Verwicklungen der äußern Politik. Wie kompliziert die Dinge hier lagen, und wie schwierig es war, das Bündnissystem Karls wenigstens für einige Dauer aufrechtzuerhalten, beweisen die Vorgänge, die sich 771 in Italien abspielten.
III. Das Band, das die Freundschaft Karls und des Langobardenkönigs zusammenhielt, war, soweit wir zu sehen vermögen, im wesentlichen nur die gemeinsame Gegnerschaft gegen Karlmann und seine Verbündeten in Rom. Im übrigen gingen die Interessen und Pläne der beiden Bundesgenossen erheblich auseinander. Während Karls letztes Ziel die Entthronung Karlmanns und die Annexion seines Reiches war, konnte Desiderius an einer völligen Beseitigung von Karls Rivalen und an einer Einigung des Frankenreiches unter einer Hand nur wenig liegen. In Italien hatte Karl, obgleich die Kurie an das Bündnis mit den Langobarden angeschlossen wurde, doch zu verhindern verstanden, daß nun in Rom die langobardische Partei ans Ruder gelangte. Weder der von Karlmann begünstigte Sergius noch der mit Desiderius verbündete Paulus Afiarta beherrschten den Papst 6 7 . Karl scheint versucht zu haben, seine Stellung über beiden Parteien zu nehmen. Während der Langobardenkönig darauf hinarbeiten mußte, den Einfluß Karlmanns und Sergius' in Rom völlig aus18 zuschalten, und an dessen Stelle seinen eigenen zu setzen, entsprach wenigstens dieses letzte Ziel nicht den Wünschen Karls. Und die Tatsache, daß der Frankenkönig als Beschützer des Papstes daran festhielt, den Ansprüchen der Kurie gegenüber den Langobarden Genüge zu verschaffen, mußte der langobardischen Politik, deren Tendenz immer die Unterdrückung und Verkleinerung des aufkommenden Kirchenstaates gewesen ist, über kurz oder lang unbequem werden. 60 67
Vgl. oben S. 14 Anm. 21. Was daraus hervorgeht, daß Desiderius in Rom eingreifen mußte, um Paulus ans Ruder zu bringen.
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Die unüberbrückbare Divergenz zwischen den fränkischen und den langobardischen Interessen tritt in Italien in dem Marsch des Desiderius auf Rom und dem Sturz des Sergius und des Christopherus grell zutage 68 . Die Führer der fränkischen Partei verschwanden im Kerker, und der Papst hielt es für geraten, sich völlig auf die langobardische Seite zu schlagen. Der Leiter der päpstlichen Politik blieb von da ab bis zum Tode Stephans III. Paulus Afiarta, der Führer der langobardischen Partei in Rom. Bekanntlich fand das fränkisch-langobardische Bündnis damit sein Ende, daß Karl die Tochter des Desiderius verstieß 69 . Es ist die Frage, ob und wie dieses Ereignis mit der Umwälzung in Rom in Beziehung zu setzen ist. Die Beantwortung dieser Frage wird durch den Umstand erschwert, daß die Quellen keine pragmatische Verknüpfung der Vorgänge in Italien und am fränkischen Hofe geben und daß wenigstens die Verstoßung der langobardischen Königstochter 70 nicht genau datiert überliefert wird. Man könnte vermuten, daß das Eingreifen des Desiderius in Rom die Antwort auf den Bruch des Bündnisses durch Karl war, daß also die Lösung von Karls Ehe vor dem Sturz des Sergius und des Christopherus erfolgte. Doch einmal würde bei diesem Zusammenhang der Dinge das Verhalten Karls völlig unverständlich erscheinen. Die Gründe, die ihn zur Verstoßung der langobardischen Gattin führten, sind uns nicht bekannt. Sicher ist nur, daß die Prinzessin keine Schuld irgendwelcher Art traf 7 1 . Selbst wenn man annehmen wollte, daß rein persönliche Gründe damals bei Karl die Hauptrolle gespielt haben, so ist doch keine Frage, daß die Lösung der Ehe in erster Linie ein politischer Akt war, und Karl mußte sich darüber klar sein, daß sie den Bruch mit Desiderius bedeutete. Daß er 19 bei der gespannten Situation, in der er sich befand, sich dazu ohne zwingende politische Gründe entschlossen haben sollte, erscheint höchst unwahrscheinlich. Irgendwelche politischen Motive für Karls Verfahren lassen sich aber, solange vor Desiderius' Vorgehen gegen Sergius die Lage in Italien unverändert blieb, nicht entdecken. Außerdem aber und vor allem scheint aus dem Briefe, den Stephan nach dem Siege der langobardischen Partei in Rom an Karl und Bertha geschrieben hat 7 2 , mit Bestimmtheit hervorzugehen, daß damals das Bündnis Karls mit dem Langobardenkönig noch bestand. Zunächst deutet die Tatsache, daß der Brief auch an die Königin adressiert ist, darauf hin, daß diese zur Zeit seiner Abfassung sich noch im vollen Einvernehmen mit Karl befand. Wegen der Vertreibung der Schwiegertochter trat aber eine Entzweiung zwischen Mutter und Sohn ein 7:J , die selbstverständlich am Hofe von Pavia und infolgedessen auch in Rom bekannt sein mußte. Weiter geht aus dem Schreiben hervor, daß während des langobardischen Gewaltstreiches Missi Karls 68
Vgl. die S. 2 0 Anm. 5 9 angegebenen Quellen.
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Vgl. Böhm.-Mühlb. 142 b. Über ihren Namen vgl. Jahrbb. I, S. 80, Anm. 5 und S. Hellmann im Neuen Archiv 3 4 . S. 2 0 8 f.
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Das geht aus der Vita Karoli cap. 18, S. 2 2 und der Vita Adalhardi cap. 7, SS. II, S. 5 2 5 zweifelsfrei hervor. Vgl. auch Jahrbb. I, S. 9 4 f. 7 3 Vgl. Vita Karoli cap. 18, S. 2 3 . Vgl. Cod. Carol. N r . 4 8 .
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in Rom waren, die dem Eingreifen des Desiderius tatenlos zusahen 7 4 . Wäre ihr Herr mit den Langobarden verfeindet gewesen, so hätten sie zweifellos Widerstand geleistet. Endlich aber, der Papst hätte diesen Brief, in dem er offenbar Karls Zustimmung zu der neusten Wendung der langobardischen und der päpstlichen Politik erhoffte, unmöglich schreiben können, nachdem es zu einem offenen Konflikt zwischen Karl und Desiderius gekommen war. Die Freundschaft der Kurie mit den Langobarden hätte dann die Feindschaft mit Karl bedeutet; die siegreiche langobardische Partei würde den Papst zur Stellungnahme gegen ihren Feind gezwungen haben; und vor allem hätte Stephan sicher nicht über die höchst unkanonische Ehescheidung der Tochter seines neuen Bundesgenossen stillschweigend hinweggehen dürfen. Es erscheint somit sicher, daß die Trennung Karls von der langobardischen Königstochter erst in die Zeit nach dem Umschwung in Rom fällt. Man nimmt im allgemeinen an, daß sie die unmittelbare Folge dieses Umschwungs war 7 5 . Die ver2n lorene, von Aventin benutzte, unter dem Namen des Crantz bekannte bayrische Quelle aus dem achten Jahrhundert datiert den Zug des Desiderius gegen Rom auf die Fastenzeit des Jahres 771 7G, und es besteht kein Grund, die Glaubwürdigkeit dieser Nachricht zu bezweifeln. Man könnte demnach annehmen, daß die Verstoßung der Tochter des Desiderius dem Frühjahr oder doch dem Sommer des Jahres 771 angehört. Die einzige Quelle, die eine chronologische Angabe über das Ende von Karls Ehe mit der langobardischen Prinzessin macht, ist Einhards Vita Karoli. Nach ihr hat die Ehe ein Jahr gedauert 11 . Sie wurde 770 nach der Rückkehr Berthas aus Italien geschlossen. Bertha aber, die noch im Mai in Selz war 7 8 , dann über den bayrischen und langobardischen Hof nach Rom gereist ist, und auf jeder Station diplomatische Verhandlungen zu erledigen hatte, wird kaum vor dem Herbst 770 ins Frankenreich zurückgekommen sein. Man hätte also nach Einhards Bericht als frühsten Termin für die Verstoßung erst den Herbst 771 anzusehen. Doch da Einhards Zeitangaben, besonders für die ersten Jahre von Karls Regierung, reichlich ungenau sind, so ist auch dieser kein allzu großes Gewicht beizulegen. Bei dem Versuch, über Einhards Nachricht hinaus für jenes Ereignis ein festes Datum zu gewinnen, ergeben sich als Termini ante quos einmal die Flucht von Karlmanns Witwe Gerberga zu Desiderius, die den völligen Bruch zwischen diesem und Karl voraussetzt, und zweitens die Eingehung von Karls Ehe mit Hildegard. Die Flucht Gerbergas gehört erst in die Zeit nach Karlmanns Tode. Aber auch die Heirat mit Hildegard braucht nicht höher hinauf zu führen. Der letzte Termin, der für sie in Frage kommt, ist der..30. April 772 7 9 . Ein Terminus post quem scheint sich für sie zu ergeben durch die Erwägung, daß Hildegard einem alemannischen Geschlecht entstammte 8 0 . Schwaben gehörte zu Karlmanns Reich, und wenn sich Karl 74
73 76 78 su
D a sich der Papst nur über Dodo beschwert und Karl gegenüber auf das Zeugnis jener Missi beruft, so geht daraus hervor, daß sie den Vorgängen interesselos und objektiv gegenüberstanden. Vgl. z. B. Jahrbb. I, S. 94 ff. Ein Widerspruch dagegen ist mir nicht bekannt. 7 7 Vgl. Vita Karoli cap. 18, S. 22. Vgl. S. 20 Anm. 59 . 7 6 Vgl. Böhm.-Mühlb. 142 b. Vgl. Böhm.-Mühlb. 126 a. Vgl. Vita Karoli cap. 18, Thegani vita Hlud. cap. 2.
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seine Gemahlin von dort nahm, so liegt es am nächsten, zu vermuten, daß das erst nach dem Tode Karlmanns und der Annexion seines Erbes geschehen ist. Es ergibt sich somit die Möglichkeit der Annahme, daß die Lösung von Karls Bündnis mit den Langobarden in die Monate nach Karlmanns Tode fällt. Wenn sich diese Annahme mit Sicherheit auch niemals beweisen lassen wird, so spricht doch die größte Wahrscheinlichkeit dafür, daß sie richtig ist. Aus dem Briefe, den Stephan III. nach dem Sturz von Christopherus und Sergius an Karl und Bertha geschrieben hat, geht deutlich hervor, wie sehr man in Rom fühlte, daß Karl den vollen und scheinbar endgültigen Sieg der langobardischen Partei nicht gern sehen konnte. Gleichwohl hoffte man offenbar, daß es nicht zum Bruch kommen und wohl auch, daß Karl auf den besonders getroffenen Karlmann mäßigend einwirken werde. Von Karlmann wissen wir, daß er nach der Niederlage der fränkischen Partei einen Feldzug nach Italien plante 8 1 . Von Karl ist nichts Derartiges bekannt. Und in der Tat dürften seine Interessen durch den Umschwung in Rom auch nicht so schwer geschädigt worden sein, daß für ihn der Grund zu einem gewaltsamen Vorgehen vorgelegen hätte. Zwar hatte er offenbar seinen direkten Einfluß auf die Entschließungen der Kurie und damit seine Bewegungsfreiheit in Rom verloren. Aber so lange sein Bündnis mit Desiderius bestand, blieb ihm doch die Freundschaft des Papstes erhalten. Auf der andern Seite sieht man nicht, welche Vorteile ihm in dieser Lage ein Bruch mit den Langobarden gebracht haben sollte. Sein gespanntes Verhältnis zu Karlmann mußte jedes energische Auftreten in Italien hemmen. Die Verstoßung der langobardischen Gattin war geeignet, eine langobardenfreundliche Partei an seinem eigenen Hofe gegen Karl zu mobilisieren 82 . Und vor allem mußte eine Entzweiung mit Desiderius nicht bloß die Langobarden, sondern auch die Kurie und vielleicht auch den mit dem Königshaus von Pavia verwandten Bayernherzog 83 gegen Karl in die Schranken rufen. Ohne irgendwelchen Nutzen wäre die 770 zusammengebrachte Koalition zerfallen. Nimmt man dagegen an, daß Karl die Gattin erst nach Karlmanns Tode verstieß, so erscheint seine Politik vollkommen verständlich. Jetzt hatte das langobardische Bündnis seinen Sinn verloren. Politische Bedeutung hatten jetzt lediglich noch die Nachteile, die es einbrachte und die in Rom in die Erscheinung getreten waren. Karlmann hatte nach der Niederlage seines Vertreters Dodo an Krieg gedacht, und es ist anzunehmen, daß die führenden Kreise seines Reiches darin mit ihm einer Meinung waren: Das Frankenreich Karlmanns verfolgte die alte italienische Politik Pippins. In dem Augenblick, in dem Karl sich anschickte, dieses Reich zu übernehmen, konnte es nicht ausbleiben, daß er in die Bahnen seiner Politik hineingezogen wurde. Durch 81 82 83
Vgl. Liber pontificalis S. 4 8 7 . Vgl. Einh. Vita Karoli cap. 18, S. 23 und Vita Adalhardi cap. 7 a. a. O. Die Stellung Tassilos zu Desiderius ist nicht ganz klar. Er war zwar sein Schwiegersohn, aber bei seiner Entthronung 7 7 4 ist er bekanntlich nicht für ihn eingetreten. Die nach Crantz genannten bayrischen Annalen scheinen in ihrem Bericht über die Vorgänge in Rom zur Fastenzeit 7 7 1 (a. a. O.) eine antilangobardische Tendenz zu vertreten. Doch da sie erst nach Tassilos Sturz vollendet worden sind, so mögen sie fränkischen Anschauungen dienen. 7 7 2 hat Tassilo seinen kleinen SohnTheodo sowohl nach Pavia wie nach Rom, zu Desiderius' Gegner, Hadrian I., geschickt. Er scheint versucht zu haben, eine Vermittlungspolitik zu treiben.
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den Bruch mit Desiderius, durch die Trennung von der langobardischen Prinzessin und die Vermählung mit der schwäbischen Hildegard gewann oder verstärkte er die Sympathien der Großen, aus deren Händen er das Reich seines Bruders übernahm 84 . Durch den Frontwechsel Karls wurden die wenigen, die in der Opposition gegen ihn verharrten und an dem Hause Karlmanns festhielten, gleichfalls zu einem Frontwechsel gezwungen. Gerberga suchte bei dem Gegner ihres verstorbenen Gatten Zuflucht, sie floh mit ihren Kindern und Anhängern über die Alpen zu Desiderius 85 . In dem Augenblick, in dem das alte Verhältnis, d. h. die Spannung zwischen dem geeinten Frankenreiche und dem Hof von Pavia wiederhergestellt war, mußten auch in Rom die Dinge ein anderes Aussehen gewinnen. Ende Januar 772 starb Stephan III.; kurz nach seinem Tode, am 1. Februar, wurde Hadrian I. gewählt 8 6 . Er war, wie bekannt, ein erklärter Anhänger der fränkischen Partei, der sofort mit seiner Stuhlbesteigung die Abkehr von der langobardenfreundlichen Politik seines Vorgängers einleitete. Bis zum Tode Stephans hatte die langobardische Partei in Rom geherrscht; noch acht Tage vor dem Ende des Papstes hatte sie den eingekerkerten Sergius umbringen lassen und viele ihrer Gegner verbannt 87 . Vielleicht deutet dieser Vorgang darauf hin, daß sie sich in einer Krisis befand, deren sie sich durch einen Gewaltstreich zu erwehren suchte. Gleichwohl siegte bei der Papstwahl die Gegenpartei. Ihr Erfolg wird darin seine Erklärung finden, daß sie jetzt wieder eine außenpolitische Stütze am fränkischen Hofe besaß; und die Tatsache, daß die ersten Anzeichen des Umschwungs in Rom mit der Ermordung des Sergius etwa Mitte Januar 772 hervortreten, mag damit zusammenhängen, daß damals die Nachricht von der Schwenkung der Politik Karls dort eintraf. 81
85 8i
Bekanntlich ging unter andern Fulrad von St. Denis sogleich zu ihm über. Vgl. Böhm.Mühlb. 142 a. Wann die Flucht erfolgte, wissen wir nicht, vielleicht erst in den ersten Monaten des Jahres 7 7 2 . 8 7 Vgl. Jahrbb. I, S. 133. Vgl. Jahrbb. I, S. 133 f.
Die Zeit der Entstehung von Einhards Vita Karoli Kritische Beiträge 2ur Geschichte des Mittelalters, Festschrift für Robert Holtzmann, hrsg. von W. Möllenberg und M. Lintzel, 1933, S. 2 2 - 4 2
I.
Als Terminus ad quem für die Entstehungszeit von Einhards Vita K a r o l i 1 gilt im allgemeinen das Jahr 821; denn angeblich aus diesem Jahre stammt eine Notiz in einem Reichenauer Katalog, nach der die Vita zu den Beständen der Klosterbibliothek in Reichenau gehört hat. Den Terminus 821 hat vor einigen Jahrzehnten H. Wibel zu erschüttern versucht 2 , und Holder-Egger 3 und Halphen 4 sind ihm darin gefolgt. Aber andere haben Wibels Versuch abgelehnt, und neuerdings erscheint jener Terminus, vor allem durch die Autorität von Paul Lehmann 5 , wieder völlig gefestigt; fast jeder, der sich mit der Frage der Datierung der Vita Karoli befaßt hat, läßt sie im Jahre 821 im Reichenauer Katalog auftauchen und also schon vorher entstanden sein 6 . Von dem Katalog dér Reichenauer Bibliothek, um den es sich hier handelt, be- 23 sitzen wir zwei Überlieferungen 7 . D i e eine wird dargestellt durch einen Druck Im folgenden wird zitiert nach der Ausgabe von O. Holder-Egger, SS. rer. Germ, in us. schol. (1911). 2 Vgl. H. Wibel, Beiträge zur Kritik der Annales regni Francorum und der Annales q. d. Einhardi (1902), S. 213 ff. 3 Vgl. die Ausgabe der Vita S. VII Anm. 7 und S. X X V I f. 4 Vgl. L. Halphen, Études critiques sur l'histoire de Charlemagne (Paris 1921) S. 60 ff., besonders S. 98 ff. " Vgl. Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz I, bearb. v. P. Lehmann (1918) S. 242 f. D a b e i ist hervorzuheben, daß Lehmann über die Datierung der Vita eigentlich gar nichts sagt; er befaßt sich bloß mit der Datierung des Katalogs im allgemeinen und meint dann nur, die Erwähnung der Vita könne nicht gegen seine Datierung auf 821 sprechen, da sie schon vor 821 entstanden sein könne. 6 Vgl. (schon vor Lehmann) W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter I. 7. Aufl. (1904), S. 205 f.; M. Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters I (1911), S. 639 u. 6 4 3 ; sodann M. Buchner, Einhards Künstler- und Gelehrtenleben (1922), S. 169 f . ; K . Hampe, Mittelalterliche Geschichte in Wissensch. Forschungsberichte (1922), S. 34 f . ; E . Esselborn, Einhards Leben und Werke, Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde N . F. 15 (1926), S. 5 9 ; K . Heldmann, D a s Kaisertum Karls des Großen (1928), S. 3 2 1 ; S. Hellmann, Einhards literarische Stellung, Histor. Vierteljschr. 27 (1932), S. 41 besonders Anm. 5 ; vgl. übrigens auch F. Kurze, Einhard (1899), S. 29 f . ; sowie F. L . Ganshof, Notes critiques sur Eginhard, biographe de Charlemagne, Revue belge de philologie et d'histoire 3 (1924), S. 725 ff. 1
7
Vgl. zum folgenden Lehmann a. a. O. S. 240 ff.
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Neugarts, den dieser nach einer heute verlorenen Abschrift Johann Egons von einer gleichfalls verlorenen Pergamentrolle gemacht hat; sie gibt einen an einigen Stellen und besonders am Schluß offenbar verstümmelten und unvollständigen Text wieder; als Überschrift hat sie die Worte: Brevis librorum, qui sunt in coenobio SindleozesAuva, facta anno VIII. Hludovici imperatoris 8 ; und es findet sich darin die Notiz: Vita et gesta Karoli imperatoris Augusti volumen 9. Die zweite Überlieferung wird repräsentiert durch eine Handschrift der Genfer Universitätsbibliothek aus der Mitte des neunten Jahrhunderts; sie gibt den Neugartschen Text mit sehr starken Auslassungen, einigen unbedeutenden Änderungen und wenigen Zusätzen 10 . Die eben zitierte Überschrift des Katalogs, die Neugart überliefert, fehlt in ihr; aber auch sie notiert, wenn auch mit einer Änderung im Wortlaut gegenüber Neugarts Text: Vita et gesta Karoli volumen I. In welchem Verhältnis die Genfer Handschrift zu der von Neugart mitgeteilten Handschrift und in welchem Verhältnis beide zum Original stehen, ist nicht mit Gewißheit zu sagen. Nur das wird man als sicher ansehen dürfen, daß die Genfer Handschrift ein Exzerpt darstellt, sei es nun direkt aus dem Original oder aus dem Neugartschen Text oder auch aus irgendeiner Abschrift von einem von beiden 11 . 24 Nach welchen Gesichtspunkten jenes Exzerpt angefertigt wurde, läßt sich nicht entscheiden; aber aus der Tatsache, daß in ihm die Überschrift fehlt, kann man selbstverständlich nicht ein Verdachtsmoment gegen die Jahresangabe des Neugartschen Textes ableiten 12 . Für die Beurteilung der Frage, welche Bewandtnis es mit dieser Angabe hat, haben wir uns also zunächst allein an die von Neugart wiedergegebene Gestalt des Katalogs zu halten. Die Jahreszahl in Neugarts Text erscheint natürlich von vornherein keineswegs über jeden Zweifel erhaben. Wie die Handschrift aussah, aus der Egon sie abgeschrieben hat, wissen wir nicht; und die Möglichkeit, daß er oder daß später Neugart sich verlesen haben, wird sich mit absoluter Sicherheit niemals verneinen lassen Aber auch, wenn man die Überlieferung der Jahresangabe als ganz unanfechtbar betrachtet, so ist damit noch nichts dafür gesagt, daß sie als Datum für alle Teile des Katalogs und speziell für die Notiz über die Vita Karoli zu gelten hat. Es ist durchaus nicht ohne weiteres sicher, daß sie auf den ganzen von Neugart überlieferten Katalog zu beziehen ist; ebensogut könnte sie ursprünglich etwa nur an der 8
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a. a. O. S. 244. Es handelt sich also genau gesagt um die Zeit von Ende Januar 821 bis Ende Januar 822. a. a. O. S. 248. Die Abweichungen der Genfer Handschrift sind aus Lehmanns Textabdruck a. a. O. leicht ersichtlich. Vgl. Lehmann a. a. O., S. 241 f. Denn es fehlt, wie bemerkt, in der Genfer Handschrift sehr viel; und zwar fehlt gleich der ganze erste Abschnitt des Neugartschen Textes, mit dem auch die Überschrift fortgefallen sein dürfte. Das betont Wibel a. a. O. S. 225, und auch Lehmann S. 242 gibt das zu. - Die Möglichkeit, daß es sich bei dem Buch Vita et gesta Karoli gar nicht um Einhards Biographie, sondern um eine verlorene Vita Karls handelt, besteht natürlich. Aber sie ist doch gar zu unwahrscheinlich, als daß man ernsthaft darüber diskutieren könnte.
D i e Zeit der Entstehung von Einhards Vita Karoli
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Spitze eines ersten Teiles davon gestanden, oder der Katalog könnte Erweiterungen und Zusätze erfahren haben, die nicht schon im Jahre 821 vorhanden waren. Bei näherer Überlegung ergibt sich freilich, wie P. Lehmann gezeigt hat 1 4 , daß der Katalog wenigstens im ganzen und wesentlichen tatsächlich aus dem Jahre 821 stammen dürfte. Es existieren außer ihm noch einige andere Reichenauer Kataloge; wir besitzen Listen über Bücher, die unter dem Abt Erlebald (822 bis 838) und unter dem Abt Ruadhelm (838 bis 842) geschrieben sind 15 . D a von den Büchern, 25 die in diesen Listen aufgezählt werden, anscheinend nichts oder höchstens nur sehr wenig in dem Katalog von 821 verzeichnet ist 1 6 , so scheint das zu beweisen, daß dieser Katalog nicht noch nach 821 laufend fortgeführt ist, und daß also „von einer planmäßig durch mehrere Jahre durchgeführten Nachtragstätigkeit nicht die Rede sein" kann. Aber wenn der Katalog als Ganzes genommen auch dem Jahre 821 zuzurechnen sein wird, so wird sich doch andererseits die Möglichkeit nicht gut bestreiten lassen, daß er wenigstens einzelne Nachträge erfahren hat. Die Listen über die 822 bis 842 geschriebenen Bücher sind fragmentarisch, und sie geben zweifellos nicht alle in dieser Zeit erfolgten Neuerwerbungen der Klosterbibliothek an 17 . Wenn sie nichts oder nur sehr wenig von dem Inhalt des Katalogs von 821 enthalten, so beweist das also nicht, daß in ihm gar kein Buch verzeichnet gewesen sein kann, das erst nach 821 abgeschrieben oder erworben ist. Lehmann selbst meint, er wage nicht zu behaupten, daß der Katalog von 821 ganz zusatzlds sei 1 8 ; und es liegt doch gerade bei einem so unorganischen und zu Vervollständigungen auffordernden Gebilde wie dem Katalog einer Bibliothek, die sich ständig erweitert, die Möglichkeit von vornherein recht nahe, daß er hin und wieder Zusätze erfuhr, und daß von solchen Ergänzungen auch die Jahreszahl am Kopf des Ganzen nicht abgeschreckt hat. In der Tat scheinen einige Angaben des Katalogs darauf hinzudeuten, daß sie späteren Einschüben ihr Dasein verdanken. Der Katalog ist im allgemeinen recht 26 systematisch angelegt; die Büchertitel erscheinen in Rubriken, die mit Überschriften versehen sind, und sie entsprechen im großen und ganzen genau diesen Überschriften. Doch an einigen Stellen finden sich Ausnahmen; es tauchen bisweilen am Schluß einer Rubrik Titel auf, die mit ihrer Uberschrift gar nichts zu tun haben. D a liegt es doch sehr nahe, zu vermuten, daß diese Titel, welche die Ordnung des Ganzen 14 15
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a. a. O. S. 242 f. Sie sind abgedruckt bei Lehmann S. 252 ff. und S. 254 f.; dazu kommen noch zwei andere Verzeichnisse aus den Jahren 823 bis 842, a. a. O. S. 255 ff. Darüber läßt sich schwer etwas Genaues feststellen, da die Büchertitel nicht immer ganz sicher zu identifizieren sind, und da es auch möglich ist, daß man in Reichenau einige Bücher öfter besaß. Sie verzeichnen teilweise nur die Bücher, die in Reichenau geschrieben sind, also keineswegs alle, die neu zur Bibliothek hinzukamen, und sind auch sonst unvollständig. Außerdem ist zu bedenken, daß der Katalog von 821 selbst ja unvollständig überliefert ist; er endet mit einer Lücke am Schluß, und wieviel in ihm etwa noch fehlte, das läßt sich nicht ausmachen. Wenn er aber Nachträge erfahren hat, so dürften sie in erster Linie natürlich am Schluß des Ganzen angebracht worden sein; und da dieser fehlt, so läßt sich nichts darüber sagen, ob hier nicht doch noch recht viel Bücher verzeichnet waren, die auch in den späteren Katalogen stehen. a. a. O. S. 243.
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durchbrechen, spätere Zusätze sind 19. Daß es tatsächlich so ist, scheint sich aber in einem Fall mindestens sehr wahrscheinlich machen zu lassen. Als vorletzter Titel der Rubrik De vita patrum findet sich: De architectura volumen I20. Gemeint ist damit natürlich, wie auch Lehmann feststellt 21 , das Werk des Vitruv. Die gleiche Architectura des Vitruv erscheint nun aber in dem Verzeichnis der Bücher, die unter Ruadhelm (838 bis 842) geschrieben sind: Liber Vitruvii magistri de architectura comprehensa X libris 22. Man wird mit einiger Bestimmtheit sagen dürfen, daß die hier genannte Handschrift mit der des Katalogs von 821 identisch ist. Die Architectura des Vitruv war offenbar selten. In den von Lehmann veröffentlichten Katalogen der Diözesen Konstanz und Chur taucht sie außer in unsern beiden Verzeichnissen nicht wieder auf. Es erscheint also nicht eben wahrscheinlich, daß man in Reichenau zwei Handschriften davon besessen hat. Das bedeutet aber, daß der Katalog von 821 noch in den Jahren 838 bis 842 Nachträge erhalten haben dürfte. Schon nach diesen Feststellungen ist die Möglichkeit, daß die Angabe über die Vita Karoli erst nach 821 in den Katalog geraten ist, nicht von der Hand zu weisen. Daß es tatsächlich so war, dafür scheinen die folgenden Erwägungen zu sprechen. Die Notiz Vita et gestp. Karoli (imperatoris Augusti) volumen (I) findet sich am Ende einer Rubrik, die ohne Überschrift überliefert ist. Da der Rubrik in der Handschrift, die Neugarts Text zugrunde lag, eine Lücke vorangegangen zu sein scheint 2S , so mag es sein, daß hier ursprünglich eine Überschrift gestanden hat 2 4 . Auf jeden Fall aber erscheint die fragliche Rubrik sehr ungeordnet; die verschiedenartigsten Büchertitel finden sich in ihr systemlos durcheinandergewürfelt; schon dieser Gegensatz zu den übrigen Teilen des Katalogs scheint dafür zu sprechen, daß wir hier nicht einen ursprünglichen Textteil vor uns haben; und die Tatsache, daß die Vita gerade am Schluß dieser Rubrik verzeichnet ist, erhöht für sie noch die Wahrscheinlichkeit, daß es so war: hier würde man einen Einschub am ehesten angebracht haben. Aber noch mehr. Der Wortlaut der Notiz über die Vita Karoli scheint sie als einen fremden Bestandteil in dem Katalog zu kennzeichnen. Die übrigen Büchertitel, die sich dort finden, sind im allgemeinen recht kurz und sachlich gefaßt. Im Gegensatz dazu fällt unsere Notiz durch eine gewisse Schwülstigkeit und Umständlichkeit auf. Im Katalog ist einigemale von Kapitularien Karls des Großen und Ludwigs des Frommen die Rede; der Kaiser wird dabei regelmäßig domnus Karolus resp. domnus 19
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Lehmann S. 243 meint freilich, daß der Verfasser des Katalogs „einzelne sonst schwer unterzubringende Bände mit einer gewissen Willkürlichkeit angereiht haben" könne. Gegen diese Möglichkeit läßt sich natürlich nichts sagen; aber wahrscheinlicher erscheint doch, daß es sich um Zusätze handelt, zumal da sonst im Katalog für ganz alleinstehende, also auch „schwer unterzubringende" Bände besondere Rubriken erscheinen. a. a. O. S. 247. Vgl. Lehmanns Register S. 591. 23 a. a. O. S. 255. Vgl. a. a. O. S. 248. Vgl. dazu Lehmann a. a. O. S. 243. Aber auch mit einer Überschrift wie Libri diversorum auctorum würde sich diese Rubrik nicht eben glücklich in das Ganze einordnen. Sonst sind, wenn irgend angängig, die Rubriken nach Verfassern geordnet, und selbst wenn von einem Autor nur ein Buch da war, so wird für ihn eine besondere Rubrik eingerichtet. Hier, und besonders mit Einhards Vita Karoli, geschieht das nicht.
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Karolus Imperator genannt 2 5 : man sieht, die Angabe über die Vita Karls fällt völlig aus dem Rahmen dessen heraus, was sonst im Katalog üblich ist 2 6 . Und darüber hinaus hat schon Wibel darauf hingewiesen, daß die Art, wie die Vita hier bezeichnet wird, genau dem Titel entspricht, den ihr Walafrid Strabo in dem Prolog gegeben hat, den er ihr angefügt hat 2 7 ; da liegt es natürlich nahe, anzunehmen, daß dieser Titel aus Walafrids Prolog stammt. Das würde aber bedeuten, daß die Notiz über die Vita erst nach dem Jahre 840 in den Katalog gekommen ist. Gewiß, volle Sicherheit läßt sich hier nicht gewinnen. Aber selbst, wenn man nach alledem nicht einmal zugeben wollte, daß es äußerst wahrscheinlich ist, daß die Vita Karoli in dem ursprünglichen Katalog von 821 nicht verzeichnet gewesen ist, so genügt doch schon die gänzlich unbestreitbare Möglichkeit, daß es so war, um den Terminus ad quem 821 für die Abfassung der Vita zu Fall zu bringen. Wenn sich aus anderen Gründen ergeben sollte, daß die Vita damals noch nicht existiert haben dürfte, so wird man ihr Auftauchen in dem Reichenauer Katalog nicht mehr als Gegenargument ansehen können. Als nächster Terminus ad quem 28 bleibt demnach nur bestehen die Erwähnung der Vita in einem Brief des Lupus von Ferneres an Einhard, in dem es heißt: venil in manus meas opus vestrum, quo memorati imperatoris (sc. Karoli) clarissima gesta... clarissime litteris allegaslis 29. Der Brief ist von Lupus in Fulda geschrieben, wo er sich seit frühestens 828 bis 836 aufgehalten hat 3 0 . Ganz sicher zu datieren ist das Schriftstück freilich nicht. Da aber drei weitere von Lupus aus Fulda an Einhard gerichtete Briefe und ein Brief Einhards an Lupus vorhanden sind, die sämtlich dem Jahre 836 angehören 31 , so dürfte es am nächsten liegen, zu vermuten, daß auch unser Brief 836 oder jedenfalls nicht lange vorher geschrieben ist. Die Worte, mit denen Lupus hier der Vita gedenkt, lassen, wie man schon oft betont hat, nicht annehmen, daß sie damals eben erst veröffentlicht worden ist; Lupus scheint sie vielmehr in der Fuldaer Klosterbibliothek vorgefunden zu haben. Aber ob sie hier schon lange oder erst kurze Zeit gelegen hat, darüber ist aus Lupus' Brief nichts zu entnehmen. Zu entnehmen ist aus ihm nur, daß die Vita spätestens 836 vorhanden war. 85 28
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a. a. O. S. 247 f. Wenn freilich auch die Überschrift des ganzen Katalogs von Hludovicus imperator redet. Daß die Angabe über die Vita aus dem Rahmen des Katalogs herausfällt, spricht sich auch darin aus, daß in dieser Angabe nicht der Verfasser der Vita genannt ist, während sonst im Katalog fast durchgängig die Verfassernamen angegeben werden. a. a. O. S. 226 f. Walafrid bezeichnet die Vita gleichfalls als imperatoris Karoli vita et gesta; vgl. Ausgabe S. XXVIII. Auf die früher öfter vorgebrachten Argumentationen, die sich auf das Verhältnis der Vita zu den letzten Jahresberichten der Reichsannalen stützen, will ich hier nicht weiter eingehen. Sie sind oft genug widerlegt und auch völlig haltlos, da sich die Frage, wem hier die Priorität zukommt, auf Grund der zwischen den beiden Quellen bestehenden Parallelen allein nicht ent29 scheiden läßt. Vgl. Epp. Karol. aevi IV, Nr. 1 S. 8. Das ergibt sich daraus, daß Lupus vom Erzbischof Aldrich von Sens nach Fulda geschickt worden ist, der 828 Erzbischof geworden und 836 gestorben ist, und daß er, wie wir aus seinen Briefen wissen, Fulda 836 wieder verlassen hat. Vgl. Epp. Karol. aevi IV, Nr. 2 bis 5, S. 9 ff.
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II. Man nimmt bisweilen nicht nur an, daß die Vita Karoli schon vor 821 geschrieben worden sei; man behauptet mitunter sogar, Einhard habe sie unmittelbar nach dem Tode Karls des Großen abgefaßt 3 2 . Doch für diese Behauptung spricht schlechterdings nichts 3 3 . Bestimmend dafür, daß sie überhaupt aufgekommen ist, ist wohl das unbewußte, aber verständliche Bestreben gewesen, für die berühmteste Kaiserbiographie des Mittelalters einen möglichst hohen Grad von Glaubwürdigkeit und Authentizität zu retten, indem man sie so nahe wie möglich an die Ereignisse heranrückte, die sie beschreibt. Aber alles, was sich über die Vita und ihre Entstehung feststellen und sagen läßt, beweist, daß dies Bestreben in die Irre geht. Zwei Momente wenigstens, die dafür sprechen, daß die Vita frühestens erst einige Jahre nach 814 entstanden sein kann, hat man schon manchmal bemerkt und hervorgehoben 3 4 . Im cap. 17 redet Einhard von den Angriffen der Normannen und der Sarazenen auf das Karolingerreich zur Zeit Karls des Großen. Dabei betont er, daß das Reich diebus suis (sc. Karoli) weiter keinen Schaden erlitten habe als die Zer30 Störung von Civitavecchia durch die Mauren und die Plünderung einer friesischen Insel durch die Dänen. Die Hervorhebung der dies sui läßt vermuten, daß es zu der Zeit, da Einhard schrieb, anders aussah. Der erste Normanneneinfall unter Ludwig dem Frommen, von dem wir wissen, fand 817 statt; über die Maureneinfälle in den ersten Jahren seiner Regierung existieren zu wenig genaue Nachrichten, als daß sich eine einigermaßen sichere Datierung geben ließe. Aber die Geschichte der Wikingerzüge läßt jedenfalls erst für die Zeit nach 817 die Ausdrucksweise Einhards verständlich erscheinen. In cap. 12 ist von den Abodriten die Rede, qui cum Francis olim foederati erant. Einhard setzt in dieser Wendung offensichtlich voraus, daß das fränkisch-abodritische Bündnis zu der Zeit, da er schrieb, nicht mehr bestand. Die Abodriten sind, nachdem sie seit den ersten Jahren Karls des Großen, ja vielleicht noch länger, mit den Franken verbündet waren, 817 von ihnen abgefallen. Erst frühestens in diesem Jahre kann also Einhard auch seine Bemerkung über das Bündnis mit ihnen niedergeschrieben haben. Aus den eben erwähnten Angaben Einhards über Normannen, Sarazenen und Abodriten hat man für die Entstehung der Vita als Terminus post quem das Jahr 817 gefolgert 3 5 ; eine spätere Abfassungszeit als 821 hat man aber im allgemeinen nicht angenommen, und, wenn auch das, so ist man jedenfalls über die zwanziger Jahre des neunten Jahrhunderts nicht hinausgelangt. Diese Datierungsversuche hat vor einiger
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Vgl. die oben S. 27 Anm. 6 zitierte Literatur; besonders etwa Kurze, Wattenbach und Manitius a. a. O. Wenn man etwa von der Ansicht Kurzes absieht, die Tatsache, daß die Reichsannalen 814 angeblich den Verfasser wechseln, hänge damit zusammen, daß ihr bisheriger Verfasser Einhard damals an der Vita Karoli zu arbeiten hatte, so ist ein Beweis dafür auch nie versucht worden. Vgl. Kurze, Über die Karolingischen Reichsannalen von 741 bis 829 und ihre Überarbeitung, Neues Archiv 21 (1896), S. 55. Vgl. zum folgenden vor allem Wibel a. a. O. S. 214 f.; Holder-Egger S. X X V I f. Vgl. Wibel a. a. O.
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Zeit Halphen mit neuen Argumentationen zu überholen unternommen. Er hat wenigstens die Möglichkeit erwogen, die Abfassung der Vita in die Jahre nach 830 zu verlegen 3 6 . Anklang hat er damit freilich nicht gefunden 3 7 . Aber sowenig ich Halphens Gründe für durchschlagend oder erschöpfend halte, so möchte ich doch im folgenden den Nachweis zu führen versuchen, daß die Vita tatsächlich nach 830, oder vielleicht sogar erst nach 833 entstanden ist. Es ist richtig, daß die Bemerkungen Einhards über die Normannen- und die Abodritenkriege erst aus der Zeit nach 817 stammen können. Aber bei dieser Feststellung darf man nicht stehen bleiben. Man muß vielmehr sagen, daß jene Bemerkungen sich am besten erklären lassen, wenn man ihre Entstehung möglichst spät ansetzt. In den Angaben über die Däneneinfälle zur Zeit Karls des Großen bekommt die Ausdrucksweise Einhards doch erst einen rechten Sinn, wenn man annimmt, daß er schrieb, als die Hilflosigkeit von Ludwigs Reich gegen die Normannen schon deutlich hervorgetreten war. Das ist aber erst seit dem Ende der zwanziger und dem Anfang der dreißiger Jahre des neunten Jahrhunderts der Fall gewesen 3 8 . Und wenn Einhard über das Abodritenbündnis bemerkt, es habe olim bestanden, so läßt das nicht annehmen, daß es erst kurz, bevor er dies schrieb, gelöst wurde; es muß damals seit dem Abfall der Abodriten, also seit 817, schon eine ganze Reihe von Jahren vergangen sein. In der Einleitung zu der Biographie meint Einhard, er wolle die Taten Karls des Großen nicht mit Schweigen übergehen und sein Leben nicht, als wenn er nie gelebt habe, sine litteris ac débita laude lassen; er bezeichnet Karl als den rex sua aetate maximus und seine Taten als den Menschen des modernum tempus kaum erreichbar. Damit scheint er vorauszusetzen, daß schon eine längere Zeit seit Karls Tode verflossen w a r 3 9 ; denn ein paar Jahre nach seinem Ende konnte man nur schlecht den Umstand, daß sein Leben noch keine Beschreibung gefunden hatte, als Begründung für die Vermutung anführen, daß es überhaupt sine litteris ac laude bleiben könne; und vor allem wäre es sofort nach dem Ausgang von Karls Regierung ein 3r
' Vgl. a. a. O. S. 101 ff. Die Gründe, die Halphen anführt, sind einmal die schon von Wibel vorgebrachten; außerdem aber: «Le ton d'Einhard, dans la préface, est celui d'un homme qui écrit alors que beaucoup de témoins du grand règne ont déjà disparu et même, semble-t-il, en un temps où les idées ont changé, où le culte des belles-lettres a cessé d'être en honneur parmi les gens en place et les courtisans, où 1 'influence de l'auteur lui-même enfin a commencé à décliner» ; das scheine in die letzten Jahre Ludwigs des Frommen, in die Zeit zu weisen, da Einhard in Seligenstadt hauste, wo er nun den Laudator temporis acti spielen konnte. Auf dasselbe weise hin, daß Einhard in der Vita hervorzuheben scheint, was geeignet war, «à servir de leçon à ses contemporains: l'esprit de concorde que l'empereur faisait régner dans sa famille, ses efforts pour réaliser l'unité impériale par l'unité de loi, son goût pour la Cité de Dieu de saint Augustin, toutes choses, qu'il était opportun de méditer au cours des événements tumultueux qui se déroulèrent à partir de 830»; dahin gehöre auch Einhards Kritik an der Königin Fastrada; vgl. dazu unten S. 36 f.; und schließlich sollen nach Halphen auch die vielen Irrtümer der Vita auf eine möglichst späte Entstehungszeit hinweisen. . 37 Vgl. oben S. 27. 38 Vgl. dazu übrigens auch Holder-Egger S. XXVII. 59 Auch Halphen meint a. a. O., der Ton des Vorworts deute auf einen recht großen Abstand Einhards von der Zeit, die er beschreibt; vgl. Anm. 36.
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Lintzel Bd. II
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etwas sonderbares Verfahren gewesen, seine aetas in so pointierter Form dem tnodernum tempus gegenüberzustellen. Die Vita Karoli ist bekanntlich reichlich voll von Fehlern und Irrtümern; man hat diese Fehler oft festgestellt und hervorgehoben, und noch neuerdings hat sie Halphen Einhard gründlich und nicht eben freundlich nachgerechnet 40 . Dabei drängt sich sofort die Frage auf, wie es möglich war, daß ein Historiker sich soviel Irrtümer hat zuschulden kommen lassen, der unmittelbar nach dem Abschluß der Zeit, die er schildert, inmitten einer Umgebung geschrieben haben soll, die diese Zeit selbst handelnd und leidend miterlebt hatte. Auf diese Frage scheint man mir nun freilich noch nicht ohne weiteres die naheliegende Antwort geben zu können, daß das unmöglich ist, und daß man die Abfassung der Vita darum aus dieser Umgebung verbannen müsse. Eine solche Antwort würde voraussetzen, daß man für den mittelalterlichen Historiker und speziell für Einhard ähnliche Ziele und Grundsätze der Geschichtschreibung annimmt, wie sie der moderne Historiker kennt: Erkenntnis des tatsächlichen Verlaufs der Dinge und eine ganz bestimmte Art von Pragmatismus, kurz Prinzipien und Kategorien, wie sie uns im allgemeinen als selbstverständlich geläufig sind. In Wirklichkeit aber wissen wir über die Psychologie der mittelalterlichen Geschichtschreibung heute noch viel zu wenig, um etwa sagen zu können, daß Einhard von dem gleichen Drang nach historischer Wahrheit und Akribie beseelt gewesen sein muß, wie wir voraussetzen möchten. Die Absichten und Grundsätze seiner Geschichtschreibung können andere gewesen sein, als die, nach denen ihn seine Kritiker zu richten pflegen. Nur in einigen wenigen Fällen scheint für die Beurteilung der historischen Irrtümer in der Vita Karoli in der angedeuteten Art eine Kontrolle möglich zu sein; in einigen Fällen zeigt sich nämlich deutlich, daß Einhard hier wirklich die geschichtlichen Tatsachen genau hat wissen und wiedergeben wollen, daß aber seine Kenntnisse versagt haben. 33
In cap. 3 meint Einhard, Pippin habe annos XV aut eo amplius als König über die Franken geherrscht. In cap. 4 sagt er: De cuius (sc. Karoli) nativitate atque infantia vel etiam pueritia quia neque scriptis usquam aliquid, declaratum 'pst, neque quisquam modo superesse inventtur, qui horum se dicat habere notitiam. In cap. 18 spricht er von einer Tochter Karls de concubina quadam, cuius nomen modo memoriae non occurrit. Einhards Äußerung über die Zeitdauer von Pippins Regierung als König zeigt, daß er darüber eine möglichst genaue und korrekte Angabe machen wollte. Genauso steht es mit seiner Bemerkung über die Kindheit Karls des Großen; hier legte ihm sogar noch sein Vorbild, Suetons biographische Schriftstellerei, nahe, recht sorgfältig und ausführlich auf die Jugendgeschichte des Kaisers einzugehen. Und daß er den Namen von Karls Konkubine oder ihrer Tochter gern gewußt und angegeben hätte, ergibt sich aus seinen Worten ganz unzweideutig. Wenn nun aber Einhards Wissen in allen diesen Fällen unzureichend ist, so scheint mir das nicht bloß darauf hinzudeuten, daß die Vita schwerlich unmittelbar nach 814 geschrieben sein kann; es scheint mir vielmehr ganz deutlich zu beweisen, daß sie nicht am 44
a. a. O. S. 79 ff., vor allem S. 82 ff.; vgl. dazu Ganshof a. a. O., Hellmann a. a. O. S. 55 17.
Anm.
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kaiserlichen Hofe verfaßt worden ist. Denn in der Umgebung Ludwigs des Frommen mußte man doch über diese Dinge eine genauere Auskunft erhalten können. Es muß hier Männer gegeben haben, die über Pippins Regierungszeit und Karls Kindheit Bescheid wußten; und wenn man das etwa auch bezweifeln wollte - daß man hier die Namen von Karls Mätressen und ihren Kindern kannte, das ist wohl selbstverständlich. Die Vermutung, daß Einhard die Vita Karoli zu einer Zeit geschrieben hat, da er fern vom Hofe Ludwigs des Frommen weilte, dürfte sich noch durch einige andere, wesentlichere und zugleich interessantere Momente bestätigen, Momente, die auf der politischen Haltung beruhen, die Einhard in der Vita einnimmt. Daß die Vita Karoli das Lob der Vergangenheit singt, ist unverkennbar und wohl auch nie verkannt worden; der Glanz der Epoche Karls des Großen erscheint in ihr in deutlichem, wenn auch nicht immer deutlich ausgesprochenem Gegensatz zur Gegenwart; jene Zeit überragt das modernum tempus, und Karls Taten sind in diesem kaum nachzuahmen; er ist der praeclarissimus und maximus vir, seine perseverantia, magnanimitas und constantia werden ständig gerühmt. Nun ist es meist 34 eine mißliche Sache, den unmittelbaren Vorgänger des gerade regierenden Herrschers zu loben; und das galt bekanntlich besonders für die Zeit Ludwigs des Frommen. Seine Thronbesteigung hatte einen völligen Wechsel der bisherigen Politik und der bisher leitenden Männer, sie hatte geradezu einen Umsturz der alten Zustände gebracht. Eine Lebensbeschreibung Karls, die die Zeit des großen Kaisers in dem Maße pries, wie es in der Vita geschieht, konnte nur zu leicht als ein Affront gegen die Regierung Ludwigs des Frommen aufgefaßt werden. Dabei stellt sich aber Einhard ganz unzweideutig mit seiner eigenen Person auf die Seite der Vergangenheit, indem er seine Verehrung und Dankbarkeit für Karl nur zu deutlich betont und in der Einleitung zur Vita den großen Kaiser als seinen dominus und nutritor bezeichnet und preist 41 , während er von Ludwig dem Frommen und seinem Verhältnis zu ihm nichts Derartiges sagt. Doch nicht bloß das. Die Vita gibt darüber hinaus nicht selten geradezu Anlaß zu wenig erfreulichen Vergleichen zwischen der Zeit Karls des Großen und der Ludwigs; und sie hat mehr als eine Stelle aufzuweisen, in der man einen Seitenhieb oder doch eine Taktlosigkeit und Unhöflichkeit gegen Kaiser Ludwig erblicken konnte. Ludwig der Fromme wird in der Vita sehr selten erwähnt und noch weniger gerühmt. Das größte Lob, das ihm gespendet wird, ist die Bemerkung, daß er nach dem Tode Karls des Großen suiiima devotione für die Ausführung seines Testaments gesorgt habe 42 . Das einzige politische Urteil, das über ihn gefällt oder angedeutet wird, findet sich in cap. 30, wo in dem Bericht über seine Kaiserkrönung in Aachen 813 bemerkt wird: Susceptum est hoc eius (sc. Karoli) cotisilium ab omnibus qui aderant magno cum favore; nam divinitus ei propter regni utilitatem videbatur inspiratum. Auxitque maiestatem eius hoc factum et exteris nationibus non minimum terroris ineussit. Das erscheint doch sehr zurückhaltend und diplomatisch aus41
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Vgl. Vita Karoli S. 1.
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Vgl. cap. 33 S. 41.
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gedrückt. Über die Eignung Ludwigs wird nicht ein Wort verloren, und erinnert man sich, daß nach dem Bericht des Ermoldus Nigellus 43 Einhard selbst es gewesen ist, der als Sprecher der Versammlung von Aachen im Frühjahr 813 die Krönung des jungen Kaisers gefordert hat, so klingen seine Worte fast wie eine etwas nachdenkliche und verlegene Rechtfertigung dieser Krönung und seiner eigenen Mitwirkung dabei. Von diesen beiden Stellen abgesehen wird Ludwig noch ein einziges Mal in der Vita genannt: im Zusammenhang mit den Namen der andern Söhne Karls wird auch sein Name erwähnt 4 4 . Aber irgendein Lob, ein schmückendes Beiwort, ein Hinweis darauf, daß er der jetzt regierende Herrscher sei, findet sich nirgends 45 . Und nicht bloß das. Auch da, wo es nahegelegen hätte, Ludwig zu erwähnen und auf seine Taten hinzuweisen, wird er mit Stillschweigen übergangen. Einhard berichtet, daß es König Pippin von Italien war, der den Krieg gegen die Avaren vollendete 4C, und er erzählt, daß es Karl der Jüngere gewesen ist, der die Slawenkriege zum raschen Abschluß brachte 47 . Nun kommt er ausführlich auf die Politik des fränkischen Reiches an der spanischen Grenze zu sprechen; er beschreibt recht genau den Feldzug des Jahres 778 4 8 und er äußert sich an einer anderen Stelle über die Gründung der spanischen Mark 49 . Bekanntlich ist diese Gründung von Ludwigs Unterkönigreich Aquitanien aus vollzogen worden; und wenn das Verdienst Ludwigs dabei noch so gering war, sie geschah doch unter seinem Oberbefehl und in seinem Namen so . Einhard sagt nichts davon - die Taten von Ludwigs Brüdern erwähnt er, über die des Kaisers selbst geht er wortlos hinweg. In dem schon erwähnten Bericht über die Sarazenen- und Normanneneinfälle zur Zeit Karls des Großen werden die Tage des alten Kaisers, in denen es noch gelang, diese Einfälle abzuwehren, in einen unverkennbaren Gegensatz zu den weniger glücklichen Zeiten Ludwigs gestellt 5 1 ; die Regierung Ludwigs des Frommen kommt bei dieser Gegenüberstellung also nicht eben gut fort. Etwas Ähnliches zeigt sich im Anfang von cap. 17. Dort erzählt Einhard, daß Karl seinerzeit bei Mainz eine hölzerne Rheinbrücke gebaut habe, die kurz vor seinem Tode verbrannt sei 5 2 ; er habe damals geplant, eine neue, steinerne Brücke zu errichten; nec refici potuit propter festinatum illius decessum. Wenn Einhard dem Tod Karls des Großen die Schuld daran gibt, daß die steinerne Brücke nicht gebaut wurde, so sagt er damit doch indirekt, daß der Nachfolger des Kaisers es nicht fertig brachte, die Intentionen seines Vorgängers auszuführen. In cap. 20 ist von der Grausamkeit der Königin Fastrada die Rede, derentwegen es zu Verschwörungen im Frankenreiche gekommen sei 5 3 . Halphen hat darin eine 43 44 48 49 50
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Vgl. B. Simson, Jahrbücher des fränkischen Reiches unter Ludwig dem Frommen I (1874), S. 3. 45 Vgl. cap. 18 S. 22 . D a s ist schon Hellmann a. a. O. S. 43 Anm. 12 aufgefallen. 47 Vgl. cap. 13 S. IS. Vgl. cap. 13 S. 17. 49 Vgl. cap. 9 S. 12 f. Vgl. cap. 15 S. 18. Besonders bei der Eroberung von Barcelona im Jahre 801 trat das bekanntlich hervor; damals rief man Ludwig herbei, als die Stadt unmittelbar vor der Übergabe stand, um ihm die Ehre der Eroberung zuzuwenden. 52 33 Vgl. oben S. 32 . S. 20 . S. 26.
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Anspielung auf das Regiment der Kaiserin Judith sehen wollen 5 4 . Das erscheint natürlich mehr als unsicher 55 . Denn wenn Fastrada grausam war - warum sollte Einhard nichts davon schreiben, auch wenn er von Judiths Grausamkeit noch nichts wissen konnte? Aber an derselben Stelle erklärt Einhard, daß von den Empörungen gegen Fastrada abgesehen Karl immer cum sumtno omnium amore ac favore geherrscht habe, ut numquam ei vel minima iniustae crudelitatis nota a quoquam fuisset obiecta. Bekanntlich lagen die Dinge unter Ludwig dem Frommen ganz anders; ihm wurde schon sehr bald und sehr allgemein, nach der Blendung und dem Tode Bernhards von Italien, ungerechte Grausamkeit vorgeworfen. Über das Verhältnis Karls des Großen zu seiner Schwester Gisla erzählt Einhard: quam similiter ut matrem magna coluit pietate5e; und über die Beziehungen des Kaisers zu seinen Freunden sagt er: erat entm in amicitiis optime temperatus, ut eas et facile admitteret et constantissime retineret, colebatque sanctissime quoscumque hac 37 adfinitate sibi coniunxerat 5 7 . Nun war von Ludwig allgemein bekannt, daß er gegen seine Schwestern nicht eben freundlich verfuhr; sofort nach seiner Thronbesteigung hatte er sie vom Hofe verwiesen; und daß er in der Wahl seiner Freunde und Ratgeber sich sehr schwankend und unzuverlässig zeigte, war eine allgemein feststehende Tatsache. Man sieht: alle die eben erwähnten Hinweise auf Karls Beliebtheit und auf sein gutes Verhältnis zu seiner Schwester und seinen Freunden ließen sich als versteckte Äußerungen des Tadels gegen seinen Nachfolger auffassen. Aber nicht bloß das. Die Freunde Karls, von denen Einhard sagt, daß der Kaiser sie schätzte und daß er treu zu ihnen hielt, sind von Ludwig dem Frommen nach seinem Regierungsantritt bekanntlich gestürzt und verbannt worden. Und weiter. Einhard erzählt, daß Karl seine Kinder und besonders seine Töchter sehr geliebt und ständig um sich gehabt habe 5 8 . In cap. 33 weiß er sogar zu berichten, daß der Kaiser beabsichtigt habe, seine Töchter und die Kinder, die ihm seine Konkubinen geboren hatten, testamentarisch zu bedenken 5 9 ; und in cap. 19 hebt er hervor, daß Karl nach dem Tode seines Sohnes Pippin seinen Enkel Bernhard in dessen Königreich nachfolgen ließ 00 . Ludwig der Fromme dagegen hat jene Töchter und Kinder Karls vom Hofe vertrieben und er hat seinen Neffen Bernhard seines Reiches beraubt; er hat also die Maßnahmen des alten Kaisers, die Einhard ausdrücklich als pietatis suae praecipuum documentum bezeichnet 61 , umgestoßen. Muß man, wenn man das bedenkt, in Einhards Worten nicht eine, wenn auch wortlose, so doch sehr scharfe Kritik an Ludwig erblicken? Ja noch mehr. Einhard stellt sich mit seiner Person ganz unverkennbar auf die Seite der unter Ludwig kompromittierten und verdächtigten Kinder Karls des Großen: wie schon bemerkt, rühmt er Karl als seinen Schützer und nutritor; dabei betont er aber, daß er am Hofe des Kaisers mit eben a. a. O. S. 102; vgl. oben S. 33 Anm. 36. Vgl. gegen Halphen auch Hellmann a. a. O. S. 41 Anm. 5, wo er freilich meint, daß dies von allen Argumenten Halphens dasjenige sei, „das auf den ersten Blick einen gewissen Eindruck machen" könne. " Vgl. cap. 18 S. 23. " Vgl. cap. 19 S. 24. 5 8 Vgl. cap. 19 S. 24 f. " S. 37. 6 0 S. 24. 0 1 Vgl. cap. 19, S. 24. 54
"
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jenen Kindern aufgezogen worden sei und daß ihn Freundschaft mit ihnen verbunden habe G2. Gewiß, man würde zu weit gehen, wenn man sagen wollte, daß in der Vita Karoli eine deutliche Tendenz gegen Ludwig den Frommen hervortritt. Aber der Kaiser wird in ihr völlig ignoriert, bei Seite geschoben und mit gleichgültiger Geringschätzung behandelt; wer wollte, konnte aus der Vita sehr oft ein absprechendes Urteil über ihn und eine Parteinahme gegen ihn heraushören. Einhard fragt ganz offensichtlich nichts danach, ob Ludwig das, was er schreibt, lieb oder leid ist. Damit aber erhebt sich für uns die Frage, wieweit es denkbar erscheint, daß Einhard seine unhöfische und unhöfliche Vita Karoli am Hofe Ludwigs des Frommen verfaßt hat. Einhard ist bekanntlich einer der wenigen Männer gewesen, die unter Karl dem Großen eine Rolle gespielt hatten und es dann verstanden, auch in der Umgebung Ludwigs des Frommen ihre Position zu wahren 63 . Er war am Hofe des neuen Kaisers hoch angesehen. Nachdem er sich 813 für seine Kaiserkrönung eingesetzt hatte, ist er in den ersten Jahren Ludwigs mit Klöstern und andern Besitzungen beschenkt und auch sonst ausgezeichnet worden. 817 wurde er zum Berater und Erzieher Lothars bestellt: ein Zeichen für das Vertrauen, das er bei Ludwig genoß. In den zwanziger Jahren ist er als Rat und Sekretär des Kaisers tätig; wir besitzen Briefe von andern an Einhard, die ihn um seine Fürsprache bei Hofe bitten, und aus denen hervorgeht, daß man seinen Einfluß dort sehr hoch einschätzte; noch im Jahre 830 hat Einhard am Hofe Ludwigs eine bedeutende Rolle gespielt und auf der Seite des alten Kaisers gegen seine Söhne gestanden. Nun ist es natürlich keine Seltenheit, daß ein einflußreicher Mann einem Kaiser direkt oder indirekt unangenehme Wahrheiten sagt, auch wenn er nicht gerade ein Gegner dieses Kaisers ist. Aber einmal herrschte nach allem, was wir wissen, am Hofe Ludwigs des Frommen ein sehr panegyrischer und byzantinischer Ton, und vor allem: Einhard war sicher nicht der Mann, der es gewagt hätte, jene Wahrheiten zu sagen. Man weiß, daß er gern den Mantel nach dem Winde drehte; selbst sein Lobredner Walafrid Strabo verzeichnet mit einer etwas mißbilligenden Bewunderung die Art, wie es ihm gelungen ist, die politischen Wirren seiner Zeit einigermaßen heil zu überstehen 64 . Und man denke etwa an den salbungsvollen Brief, mit dem er 830 Lothar vom Kampf gegen seinen Vater zurückzuhalten versucht 65 , an die diplomatische Krankheit, unter deren Deckmantel er sich, ehe der Sturm losbrach, vom Hofe Ludwigs fortzustehlen versuchte 66 , an das nicht gerade charaktervolle Schreiben, mit dem er sich dann wieder bei Lothar einzuschmeicheln unternahm 67 , oder an die S. 2 ; eine Freundschaft mit Ludwig ist damit natürlich nicht gemeint; einmal befand sich Ludwig gar nicht am Hofe Karls, sondern in Aquitanien, und außerdem hätte er sonst natürlich besonders erwähnt werden müssen. 0 3 Die Geschichte Einhards ist oft genug beschrieben; vgl. auch die oben S. 27 Anm. 6 zitierte Literatur; ich begnüge mich daher hier mit kurzen Andeutungen. 6 4 Vgl. den Prolog zur Vita in der Ausgabe S. XXIX. " Vgl. Ep. Einh. 1 1 , Epp. Karol. aevi III, S. 1 1 4 f. 6 5 Vgl. Ep. Einh. 10, 13, 14, 15, S. 1 1 3 ff. 6 7 Vgl. Ep. Einh. 16, S. 1 1 8 . 62
Die Zeit der Entstehung von Einhards Vita Karoli
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Art, wie er später zwischen Ludwig dem Frommen, Lothar und Ludwig dem Deutschen lavierte 6 8 , und man sieht, daß dieser Mann kein Held gewesen und daß er dem Herrscher, dem er gerade diente, sehr servil gegenübergetreten i s t 6 9 . D a ß er zu der Zeit, da er noch am Hofe Ludwigs des Frommen eine politische Rolle spielte oder zu spielen versuchte, eine so unvorsichtige Biographie Karls des Großen wie die V i t a Karoli geschrieben hat, erscheint mir sehr schwer d e n k b a r 7 0 . D i e Untersuchung der politischen Haltung der V i t a führt also zu demselben Ergebnis w i e die ihrer historischen Irrtümer 7 1 . Im Jahre 830 hat Einhard bekanntlich den Hof verlassen; das Amt, das er dort bekleidete, hat er aufgegeben 7 2 ; er hat sich nach seiner Stiftung Seligenstadt zurückgezogen und seine politische Tätigkeit hat er jetzt als abgeschlossen betrachtet 7 3 . Ganz sind damit freilich die Fäden zur Reichsregierung nicht abgerissen w o r d e n ; gewisse Beziehungen bleiben; v o r allem blieb Einhard Untertan Ludwigs des Frommen, denn Seligenstadt lag in dessen Reich. Noch mehr änderte sich seine Stellung zum Kaiser im Jahre 833. Damals kam der ganze Osten des Reiches und damit auch Seligenstadt an Ludwig den Deutschen; und wenn Einhard auch Besitzungen in den Reichsteilen behielt, die Ludwig dem Frommen unterstellt waren, in erster Linie mußte er sich von jetzt an doch als Untertanen des ostfränkischen Königs betrachten. Gewiß, auch in den folgenden Jahren lassen sich noch hin und wieder Beziehungen zwischen ihm und Ludwig dem Frommen beobachten; der Kaiser hat ihn sogar einmal in Seligenstadt besucht 7 4 . D e r vorsichtige Einhard hat nach keiner Richtung alle Brücken abgebrochen. A b e r das ändert doch nichts daran, daß er Ludwig dem Frommen entfremdet w a r und blieb. A n seinen Hof ist er auf die Dauer nicht zurückgekehrt, und ein Brief, der aus dieser Zeit von ihm an Ludwig erhalten ist, atmet einen kühlen, frostigen Ton 7 5 . In einem Brief aus dem Jahre 834 (?) spricht Einhard geradezu aus, er wisse nicht, was am Kaiserhof vorgehe, und er w o l l e es auch nicht wissen 7 6 . Er hat sich von jetzt an im ganzen wohl zur Partei Ludwigs des Deutschen 68 69
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Auch das ergibt sich deutlich aus seinen Briefen, wie schon öfter bemerkt worden ist. Es sind häufig Rettungsversuche für Einhards politische Haltung gemacht worden, auf die hier nicht weiter einzugehen ist; sie sind sämtlich erfolglos geblieben; vgl. dazu zuletzt Hellmann a. a. O. S. 43 f. Nur eins sei kurz bemerkt: wenn man Einhard als konsequenten Anhänger Lothars hinzustellen versucht hat, vergißt man dabei, daß er selbst davon schreibt, er habe sich mit Lothar nach 817 und vor 830 nicht gut gestanden; vgl. Ep. Einh. 11, S. 114: licet in bis meam operam minus quam debuit utilem vobis sitis experti Daß Einhard auch vor 830 keineswegs restlos mit Ludwig d. Fr. übereinstimmte, ergibt sich vor allem aus der Translatio S. Marcellini et Petri III cap. 13, SS. XV, S. 252; aber dieselbe Stelle zeigt auch, wie vorsichtig er etwa abweichende Meinungen vorzubringen pflegte. 72 Vgl. vor allem die oben Anm. 66 zitierten Briefe. Vgl. dazu oben S. 34 f. Das sagt er z. B. in der Translatio S. Marcellini et Petri I cap. 1, SS. XV S. 239, Freilich steht das Jahr 830 für Einhards „Rücktritt" nicht mit ganz absoluter Sicherheit fest; manchmal wird auch ein etwas früheres Jahr, etwa 828 (nicht früher) angenommen. Ohne hier auf diese Dinge näher einzugehen, möchte ich doch bemerken, daß mir alles für 830 zu sprechen scheint. 75 Vgl. Ep. Nr. 40. S. 129 f. Im Jahre 8 3 8 . Vgl. Ep. Nr. 35 S. 127: Quidem de statu rerum palatinarum nihil mibi scribere peto, quia nihil ex bis, quae aguntur, audire delectat. Gewiß, es kann sein, daß diese Bitte, wie Hellmann S. 44 Anm. 19 meint, nur rhetorischen Wert hat; aber ihre Form beweist doch auf jeden Fall die bittere Stimmung, in der Einhard gegenüber dem Hofe war.
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gehalten; besonders bezeichnend dafür ist, daß sein Freund und Vertrauter Ratleik später Kanzler dieses Königs geworden ist 7 7 . In die Jahre nach 830, noch besser nach 833, scheint sich mir nun die Entstehung der Vita Karoli am bequemsten einfügen zu lassen. Nimmt man an, daß sie in dieser Zeit abgefaßt worden ist, so erklärt sich ihre Haltung am einfachsten: ihre Unkenntnis von Dingen, die man am Kaiserhofe wissen mußte, ihre Stellungnahme gegen die neue Zeit und ihre vollendete Indifferenz gegenüber Ludwig dem Frommen 7 8 . Jeder Satz der Vita scheint mir am besten auf die Jahre der freiwilligen Verbannung Einhards in Seligenstadt zu passen: Der gescheiterte Politiker und verletzte Höfling hält aus dem Exil der Gegenwart den Spiegel der Vergangenheit vor, in der alles noch besser war, und in der er selbst als Schützling und Vertrauter des großen Kaisers schönere Tage verlebt hatte. Darauf, daß die Vita in dieser Zeit und zwar wohl erst nach 833 entstanden ist, dürfte aber noch eine andere Eigentümlichkeit ihres Inhaltes und ihrer Form hindeuten. Einhard hat sein Werk bekanntlich nach dem Muster von Suetons Kaiserbiographien abgefaßt, und man hat manchmal, freilich nicht ganz richtig, gesagt, daß in ihm Karl der Große im Gewand eines römischen Imperators erscheine. Da ist es um so erstaunlicher, daß Karl nicht ein einziges Mal als Imperator bezeichnet wird: Einhard erzählt zwar bekanntlich von seiner Kaiserkrönung 79 , aber er nennt ihn durchgängig rex; selbst wenn er auf Ereignisse zu sprechen kommt, die in Karls Kaiserzeit fallen - Karl bleibt für ihn stets der König. Nun erinnere man sich, daß unter Ludwig dem Frommen das Kaisertum eine ganz bestimmte Färbung angenommen hat: mit dem Namen des Kaisers wird seit spätestens 817 der Begriff der fränkischen Reichseinheit, der Oberhoheit über alle erbberechtigten Frankenkönige verbunden. Wenn Einhard für dieses Kaisertum eingetreten wäre, so hätte er natürlich allen Grund1 gehabt, Karl auch entsprechend zu betiteln. In jener spannungsreichen Zeit, die die Kaiserwürde scharf umkämpfte, hätte er dann sicher nicht unterlassen, den Mann, auf den sie zurückging, auch wirklich der Nachwelt als Imperator hinzustellen. Daß er das nicht tut, dürfte darauf hindeuten, daß er sich für das Kaisertum nicht gerade einsetzte. Am Hofe Ludwigs des Frommen hatte Einhard kaum Veranlassung, gegen den Imperator und seine Stellung zu opponieren; er hat es auch nicht getan; selbstverständlich hat er das fränkische Kaisertum damals stets anerkannt 8 0 . Dagegen dürfte er in den Jahren 830 bis 833 zum mindesten keine Veranlassung gehabt haben, für das Kaisertum eine Lanze zu brechen; da er sich von der Politik zurückgezogen hatte, so dürfte er ihm, wenn nicht gleichgültig, so doch nach außen hin neutral gegenübergestanden haben 8 1 . Noch mehr aber mußte sich 77 78
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Vgl. etwa E. Dümmler, Geschichte des ostfränkischen Reichs I, 2. Aufl. (1887), S. 312. Eine ähnliche Haltung gegenüber Ludwig dem Frommen findet sich in der Translatio S. Marcellini et Petri, die ja sicher entstanden ist, nachdem Einhard den Hofdienst aufgegeben hatte. Vgl. cap. 28 S. 32. Wenn Einhard vor 830 überhaupt zu einer oppositionellen Richtung neigte, so stand er dabei anscheinend der Partei Walas nahe; diese Partei aber ist gerade immer für den Kaisergedanken und die Reichseinheit eingetreten. Das ergibt sich auch tatsächlich aus der Translatio S. Marcellini. Hier herrscht dem Kaisernamen gegenüber völlige Indifferenz; Ludwig wird bald als rex bald als Imperator bezeichnet. Freilich
Die Zeit der Entstehung von Einhards Vita Karoli
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seine Haltung in dem Augenblick ändern, in dem er Untertan Ludwigs des Deutschen geworden war. Ludwig der Deutsche war selbstverständlich ein Gegner des Kaisernamens. Die Tatsache, daß seit 833 ganz Deutschland zu seinem Reiche gehörte, hatte geradezu den Bankerott des Kaisertums und der Kaiserpolitik zur Voraussetzung. Daß Karl der Große die Kaiserkrone empfangen hatte, ließ sich nicht verschweigen. Aber Einhard betont, daß er sie nicht gern angenommen hat 8 2 . Und die Tatsache, daß er Karl nie mit seinem kaiserlichen Titel bezeichnet, wird sich am einfachsten damit erklären, daß er die Vita Karoli schrieb, als er in einem Reiche lebte, in dem die Opposition gegen Kaisertum, Kaiserpolitik und Kaisernamen zur Selbstverständlichkeit geworden sein mußte.
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kommt ein solches Durcheinander in den Quellen des 9. Jahrhunderts überhaupt nicht selten vor, ohne daß die Gründe dafür schon genügend untersucht wären. Auffallend bleibt aber auf jeden Fall die Konsequenz, mit der Einhard in der Vita Karoli den Kaisertitel vermeidet. Vgl. oben Anm. 79. Gegen die Glaubwürdigkeit der Nachricht von Karls Protest gegen die Kaiserkrönung ist damit natürlich nichts gesagt.
Der Ursprung der deutschen Pfalzgrafschaften Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Band 49, 1929, Germ. Abt., S. 233-263
„Das Emporkommen und später das Recht und die Wirksamkeit der Pfalzgrafen gehören zu den dunkelsten Teilen der deutschen Verfassungsgeschichte"Trotz dieses resignierten Urteils von Waitz hat sich eine recht bestimmte Auffassung über den Ursprung der vier deutschen Provinzialpfalzgrafschaften in Sachsen, Lothringen, Schwaben und Bayern gebildet. Waitz selbst vertrat die Meinung, daß diese Pfalzgrafschaften nicht aus der Karolingerzeit stammten; sie seien erst später entstanden. „Unter Otto dem Großen treten die Pfalzgrafen als Provinzialbeamte hervor, den großen Stammesgebieten entsprechend, offenbar bestimmt, hier die recht eigentlich königlichen Rechte neben den Herzögen wahrzunehmen" 2 . Waitz wiederholte damit in seiner vorsichtig tastenden Art eine Vermutung, die vor ihm schon etwas schärfer formuliert geäußert worden w a r 3 ; und seine bedenkliche Zurückhaltung hat nicht daran gehindert, daß nach ihm jene schärfere Formulierung durchgedrungen ist. Sie ist allmählich zu einer Art von Dogma geworden, das nur selten mit einiger Skepsis, 234 im allgemeinen aber gläubig aufgenommen und nachgeschrieben wird. Nach dieser Ansicht sind die vier Pfalzgrafen von Otto dem Großen eingesetzt worden, um in ihren Stammesgebieten als Vertreter der Krone und als Gegengewicht gegen die Herzöge zu fungieren 4 . 1
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Vgl. G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte VII (1876), S. 167. Dies Urteil ist häufig wiederholt. Derselbe, VG. V, 2. Aufl. (1893), S. 81. Vgl. besonders W. Dönniges, Das deutsche Staatsrecht und die deutsche Reichsverfassung I (1842), S. 354; W. v. Giesebrecht, Gesch. der deutschen Kaiserzeit I, 1. Aufl. (1855), S. 268; 5. Aufl. (1881), S. 287; vgl. auch schon G. Chr. Crollius, Abhandlung von dem Ursprung und Amte der Provinzialpfalzgrafen in Deutschland, Abhandl. d. kurf. bayr. Akad. d. Wissensch. 4 (1767), S. 49 f. Vgl. z. B. R. Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 6. Aufl., fortgef. von E . Frh. von Künßberg (1922), S. 547; auch K. v. Amira, Grundriß des germ. Rechts, 3. Aufl. (1913), S. 164 und 261; H. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte II, 1. Aufl. (1892), S. 112, 2. Aufl., bearb. v. Cl. Frh. v. Schwerin (1928), S. 154; S. Hellmann, Das Mittelalter bis zum Ausgang der Kreuzzüge, 2. Aufl. (1924), S. 105. Besonders auffallend sind die Ansichten und Urteile, die sich in den Spezialgeschichten einzelner deutscher Länder und Pfalzgrafschaften finden. Man entdeckt und bringt im allgemeinen zwar durchaus keinen Beweis für die oben skizzierte Entstehung und Bedeutung der gerade behandelten Pfalzgrafschaft und gibt dies mitunter auch zu. Man übernimmt aber aus der deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte die Ansicht von
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Der Ursprung der deutschen Pfalzgrafschaften I. V o n d e r E i n r i c h t u n g des P f a l z g r a f e n a m t e s d u r c h O t t o I. sagt k e i n e Q u e l l e
ein
W o r t . D a ß m a n t r o t z d e m a n sie glaubt, h a t seinen G r u n d e i n m a l d a r i n , d a ß a n g e b lich erst u n t e r d e r R e g i e r u n g O t t o s d i e ersten P r o v i n z i a l p f a l z g r a f e n
hervortreten.
W e i t e r f o l g e r t m a n aus d e r Stellung, w e l c h e d i e P f a l z g r a f e n in d i e s e r u n d d e r folg e n d e n Z e i t e i n g e n o m m e n h a b e n sollen, d a ß sie als H ü t e r d e r königlichen A n s p r ü c h e gegen d i e H e r z ö g e zu w i r k e n h a t t e n ; und d ä O t t o s i n n e r e Politik eine Schwächung d e r herzoglichen G e w a l t e n erstrebte, schreibt m a n i h m d i e offenbar in sein System p a s s e n d e B e g r ü n d u n g d e r P f a l z g r a f s c h a f t e n zu. A u c h d i e entschiedensten V e r f e c h t e r d e r e b e n skizzierten H y p o t h e s e müssen z u geben, d a ß d i e bei d e r Schaffung d e r Pfalzgrafschaften v o n O t t o I. angeblich
ge-
h e g t e n P l ä n e u n d E r w a r t u n g e n niemals ganz in d i e W i r k l i c h k e i t u m g e s e t z t w o r d e n sind 5 . D i e R e c h t e u n d Pflichten, w e l c h e d i e P f a l z g r a f e n in ihren P r o v i n z e n w a h r z u n e h m e n hatten, lassen sich n u r höchst u n v o l l s t ä n d i g n a c h w e i s e n ; offenbar w a r e n sie v o n A n f a n g ( d . h. v o n d e r Z e i t O t t o s ) a n v e r k ü m m e r t . jener Bedeutung der Pfalzgrafschaften im allgemeinen und sieht diese Ansicht nun auch für die gerade zur Debatte stehende Pfalzgrafschaft als richtig an. Vgl. z. B. L. Häusser, Gesch. der rheinischen Pfalz I (1845), S. 39 ff.; R. Usinger, Pfalzgraf Ezzo, in: S. Hirsch, Jahrbücher d. Deutschen Reiches unter Heinrich II., I (1862), S. 4 4 8 ; P. Wittmann, Die Pfalzgrafen von Bayern (1877), S. 3 ff.; M. Schmitz, Die Gesch. d. lothringischen Pfalzgrafen bis auf Konrad von Staufen, Bonner Dissert. 1878, S. 3 ; S. Riezler, Geschichte Bayerns I, 2. Aufl. (1880), S. 7 4 7 ; P. Fr. Stalin, Geschichte Württembergs I, 1 (1882), S. 226 f.; F. Kurze, Geschichte der sächsischen Pfalzgrafschaft bis zu ihrem Ubergang in ein Territorialfürstentum, Neue Mitteilungen aus dem Gebiet histor.-antiqu. Forschungen des thür.-sächsischen Vereins 17 (1889), S. 286 f.; P. Puntschart, Herzogseinsetzung und Huldigung in Kärnten (1899), S. 292 f.; H. Schwarz, Zur Geschichte der rheinischen Pfalzgrafschaft, Westdeutsche Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst 26 (1907), S. 145; E . Heinze, Die Entwicklung der Pfalzgrafschaft Sachsen bis ins 14. Jahrhundert, Sachsen und Anhalt, Jahrbuch der Historischen Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt 1 (1925), S. 20. Im Gegensatz zur herrschenden Meinung betont E . Mayer, Deutsche u. franz. Verf.-Gesch. II (1899), S. 3 3 6 : „Von einer Errichtung der Pfalzen durch die Ottonen als Gegengewicht gegen die Herzöge, wie man oft behauptet, reden die Quellen nicht." F. L. Baumann, Zur schwäbischen Grafengesch. I, Württemberg. Vierteljahrshefte für Landesgesch. 1 (1878), S. 28, meint, die Ansicht, daß die Ottonischen Pfalzgrafen etwas anderes seien, als die karolingischen, sei wohl unhaltbar. Auch A. Halbedel, Fränkische Studien (Berliner Dissert. 1915), S. 48 ff., verwirft die Ansicht von der Entstehung der Pfalzgrafschaften unter Otto I., setzt aber an ihre Stelle unhaltbare Konstruktionen. Sehr beachtenswert ist, daß E . Dümmler in den Jahrbüchern Ottos d. Gr. (1876), S. 539, meint, man könne schwerlich behaupten, „daß Otto den Herzögen nach einem umfassenden Plane durchgehends Pfalzgrafcn als Gegengewicht ihrer Macht gleichsam an die Seite gesetzt habe". Auch K . Hampe, Otto d. Gr. in: Meister der Politik, hrsg. v. E . Mareks und K . A. Müller I (1922), S. 290 drückt sich über die Stellung der Pfalzgrafen unter Otto außerordentlich vorsichtig aus. 5
Vgl v. Giesebrecht, 1. Aufl. S. 771, 5. Aufl. S. 817 f.: „Die Pfalzgrafschaft ist offenbar nie ganz das geworden, was sie ihrer Anlage nach werden sollte; sie bildete sich vielmehr früh zu einer Territorialgewalt neben andern Territorialgewalten aus, so daß man ihre besondere Bedeutung nur mühsam in den Quellen entdeckt." W . Dönniges, S. 359, meint, das Pfalzgrafenamt sei durch die Landeshoheit verdunkelt worden, so daß es schwierig sei, es „in seinem vollen Umfange und seiner ursprünglichen Reinheit zu erkennen".
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Man hat diese Rechte einmal in der obersten Gerichtsgewalt über die Provinzen und sodann in dem Verwaltungs- und Aufsichtsrecht über das königliche Fiskalwesen und das Reichsgut erblicken wollen 6 . Die Beweise, die man für die Annahme einer besonderen Stellung der Pfalzgrafen in der Gerichtsverfassung ihrer Provinzen wie des Reiches beigebracht hat, beziehen sich entweder auf Italien 7 oder sind ganz sporadischen Erscheinungen einer sich über Jahrhunderte erstreckenden Entwicklung entnommen 8 . Es ist richtig, daß in Italien der Pfalzgraf als Vertreter der Krone im Königsgericht erscheint9. Aber es ist falsch, aus den Funktionen des italienischen Pfalzgrafenamtes Analogieschlüsse auf die des deutschen, ottonischen Amtes zu ziehen. Denn wir wissen, daß in Italien das Pfalzgrafenamt bestimmt nicht von Otto eingerichtet worden ist: es bestand hier in ununterbrochener Fortdauer seit der Karolingerzeit 10 . Das fast völlige Ausbleiben von Nachrichten über eine jurisdiktioneile Tätigkeit der Pfalzgrafen in Deutschland mag man mit dem Versagen der Quellen, besonders mit dem Fehlen der Gerichtsurkunden entschuldigen und deshalb ein Argumentum e silentio abweisen. Aber man hört doch manchmal im Lauf der Jahrhunderte in erzählenden Quellen von Gerichtsverhandlungen am Hofe und in der Provinz u . Und auch hier ist im allgemeinen von den Pfalzgrafen und ihrer Wirksamkeit nicht die Rede. Wenn aber hin und wieder einmal ein Pfalzgraf im Königsgericht erscheint, so läßt sich doch nirgends zeigen, daß es sein Amt als Pfalzgraf war, das ihn zu diesem Erscheinen berechtigte oder verpflichtete12. Ähnlich verhält es sich mit der Annahme, daß die Pfalzgrafen finanzielle Befugnisse in ihren Provinzen auszuüben hatten. Gewiß tritt im Laufe der Jahrhunderte der eine oder der andere von ihnen als Inhaber solcher Befugnisse auf. Mitunter wird ein Pfalzgraf vom König mit ihrer Wahrung beauftragt 13 , und ein paarmal ist von ihm im Zusammenhang mit der Regelung vermögensrechtlicher Dinge als dem advocatus regis die Rede 14 . Aber eine konstante Verbindung jener Befugnisse mit der Pfalzgrafenwürde hat offenbar nicht bestanden. Mit ihrer Ausübung wurden Vgl. Dönniges, S. 359 ff.; v. Giesebrecht, 5. Aufl., S. 2 S 7 ; F. Walter, Deutsche Rechtsgeschichte ( 1 8 5 3 ) . S. 1 6 1 ; Waitz, VII, S. 1 7 3 ff. (sehr vorsichtig); R. Schröder, a. a. O. S. 5 4 7 ; v. Amira a. a. O. S. 1 6 4 . Die gleiche Ansicht findet sich fast überall in der S. 4 2 f. Anm. 4 zitierten Literatur. 7 Vgl. zuletzt und besonders Heinze, Sachsen und Anhalt 1, S. 23 f. Auch W a i t z VII, S. 1 7 4 weist auf Italien hin, ohne aber daraus Folgerungen für Deutschland zu ziehen. 8 Vgl. die Zusammenstellung der außerordentlich dürftigen Belege bei Waitz VII, S. 1 7 3 f. und eine Ergänzung dazu bei Heinze, Sachsen und Anhalt 1, S. 23, die sich übrigens auch schon bei Chr. Fr. Stälin, Wirtembergische Geschichte II ( 1 8 4 7 ) , S. 653 Anm. 2 findet. * Vgl. J . Ficker, Forschungen zur Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens I ( 1 8 6 8 ) , S. 3 1 2 ff. 1 0 Vgl. Ficker a. a. O. und Schröder a. a. O. S. 546. 1 1 Vgl. die Zusammenstellung bei O. Franklin, Das Reichshofgericht im Mittelalter ( 1 8 6 7 ) , I, S. 11 ff. 1 2 Vgl. Waitz VII, S. 1 7 3 f. 1 3 Vgl. W a i t z a. a. O. S. 1 7 5 ff. " Im Jahre 1 0 1 2 in DHII 2 5 0 ; um 1 1 2 2 in Mon. Boica X V , S. 370 f. (vgl. Stälin II, S. 6 5 3 Anm. 1 ) ; 1 1 4 7 , vgl. W a i t z VII, S. 1 7 5 Anm. 5. Es handelt sich, wie auch W a i t z betont, in all diesen Fällen offenbar um einen besonderen Auftrag. 6
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auch andere Personen betraut l ä ; und es läßt sich nicht nachweisen, daß sie ein Bestandteil des Pfalzgrafenamtes waren und vor allem nicht, daß sie sich allgemein, in allen Provinzen mit diesem Amte verbanden l e . Die materielle Bedeutung der Provinzialpfalzgrafenwürde in Deutschland läßt sich mithin nicht angeben. Daß sie glcichwohl nicht etwa einen leeren Titel darstellte, ist indessen nach den folgenden Beobachtungen nicht zu bezweifeln. Der Sachsenspiegel betont: Jewelk diidesch lant hevet sinen palenzgreven: sassen, beieren, vranken unde svaven 1 7 . E r schreibt den Pfalzgrafen das Recht zu, bei Klagen gegen den Kaiser über ihn zu richten 18 . Von einer Ausübung dieses Rechtes ist bis zum 13. Jahrhundert nichts zu bemerken, und auch von da an kommt es lediglich für den Pfalzgrafen bei Rhein, den lothringischen Pfalzgrafen, in Betracht 1 9 . Aber 238 die falsche Angabe des Spieglers sowie die Tatsache, daß er jedem Pfalzgrafen ein bestimmtes Amtsgebiet zuweist, lassen doch wenigstens erkennen, daß er ihnen eine erhebliche rechtliche Bedeutung beimaß. Es läßt sich vom zehnten Jahrhundert an beobachten, daß, wenn ein pfalzgräfliches Geschlecht ausstarb oder aus seiner Würde verdrängt wurde, die Pfalzgrafschaft nicht etwa erlosch, sondern an ein neues Geschlecht kam. Freilich ist aus diesem Umstand für den Amtscharakter der Pfalzgrafschaften nicht allzuviel zu schließen; denn die Übernahme des Titels kann mit der Übernahme des bisher pfalzgräflichen Territoriums zusammenhängen. Während es aber früh üblich wurde, daß beim Erbgang Grafschaften geteilt und besonders, daß der Grafenname auf sämtliche Erben des Erblassers vererbt wurde, blieb der Pfalzgrafentitel in jeder Provinz immer nur einer Person vorbehalten. Das scheint entscheidend zu sein. Zu einer den Worten des Sachsenspiegels entsprechenden Bedeutung hat es nur der lothringische Pfalzgraf gebracht; und das verdankte er in der Hauptsache einer besonderen territorialen Entwicklung 20 . Die territoriale Entwicklung ist denn auch überall für das Schicksal der Pfalzgrafschaften schließlich ausschlaggebend gewesen. Aber die Sachsenspiegelstelle, die Unteilbarkeit des Pfalzgrafenamtes und im Verein 15
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So erscheint z. B. unter Heinrich II. 1017 in Sachsen auch der Graf Thietmat als advocatus regis, vgl. DHU 374; und gleichfalls unter Heinrich II. wird (1003) dem Erzbischof Gisiler von Magdeburg die Verwaltung der königlichen Güter in Sachsen übertragen; vgl. Thietm. Merseb. ep. chron. (ed. F. Kurze, SS. rer. Germ, in us. schol. 1899) V, 39 (24), S. 129 [ed. R. Holtzmann, in SS. rer. Germ, nova series, 1935, S. 264 u. 266]. Vgl. F. Kurze a. a. O. S. 322. Wenn Rather von Verona den griechischen Logotheta mit dem Pfalzgrafen in Parallele setzt, so bezieht sich das, wie schon Waitz VII, S. 175 Anm. 7 betont, auf den italienischen Pfalzgrafen. Sachsenspiegel, Landrecht (hrsg. v. C. G. Homeyer, 1861) [1933 hrsg. v. K. A. Eckhardt in Fontes iur. Germ. ant. nova series] III, Art. 53, § 1. Art. 52, § 3. Vgl. Schröder a. a. O. S. 548. Vgl. Schröder, S. 548. Im übrigen dürfte für das Aufsteigen der lothringischen Pfalzgrafen eine Ursache weniger in der Tatsache liegen, daß ihr Amt in irgendeinem Zusammenhang mit Aachen stand, wie man im allgemeinen behauptet, als darin, daß sie als fränkische Pfalzgrafen im Regnum Francorum und neben dem König, der für seine Person fränkisches Recht hatte, als die eigentlichen Pfalzgrafen des Königs gelten mußten. Daher wird sich auch ihre „außerordentlich häufige Erwähnung unter den Begleitern des Königs" und der daraus zu schließende fast .„hofamtliche Charakter ihrer Stellung", von dem Schröder spricht, erklären.
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damit das oben besprochene zeitweise bemerkbare und schattenhafte Hervortreten bestimmter rechtlicher Funktionen der Pfalzgrafen deuten doch darauf hin, daß ihrer 239 Würde ganz allgemein ein gewisser Rechtsinhalt zugrunde lag. Man gewinnt den Eindruck, als ob ihr, wenn auch nicht anerkannte und durchgesetzte Rechte, so doch mindestens Rechtsansprüche oder Erinnerungen und Reste von Rechten innewohnten. Worin diese Ansprüche im einzelnen bestanden, ob sie das umfaßten, was man als Inhalt der pfalzgräflichen Aufgaben meist annimmt und einige Quellen andeuten, ob sie mehr oder ob sie weniger enthielten, ist nicht zu sagen. Man wird sich mit der allgemeinen Feststellung begnügen müssen, daß in ihnen eine Vertretung königlicher Regierungsrechte enthalten war. Mit diesen Feststellungen und Vermutungen ist über das Alter und die Entstehungszeit des Pfalzgrafenamtes noch nicht das geringste gesagt. Wenn man aber annimmt, daß es seine Entstehung Otto d. Gr. und seiner gegen die Herzöge gerichteten Politik verdankt, so muß man erwarten, daß die Pfalzgrafen unter seiner Regierung und in der folgenden Zeit besonders hervortreten, und daß unter ihm ihre Bedeutung besonders betont wird. Aus der Zeit Ottos hören wir durch eine erzählende Quelle von einem einzigen Pfalzgrafen: Arnulf, dem Sohne des gleichnamigen bayrischen Herzogs, der zum Jahre 953 als palatinus comes von der Vita Oudalrici erwähnt wird 21 . Eine Urkunde des Erzbischofs von Trier nennt im Jahre 959 den Heribertus comes palatinus-'1, und in einem Diplom Ottos I. vom Jahre 972 für St. Gallen findet sich ein Berno comes palatinus 23. Außer in diesen drei Zeugnissen wird für die Zeit Ottos nirgends ein Pfalzgraf genannt. Und welche Stellung sich hinter dem pfalzgräflichen Titel jener drei Männer verbirgt, ist lediglich durch Kombination mit den Zuständen späterer Zeiten zu schließen. Arnulf war danach Pfalzgraf von Bayern 24 , Berno Pfalzgraf von Sach240 sen 25 . Ob es sich bei Heribert um einen lothringischen Pfalzgrafen, wie man zunächst vermuten möchte, oder nur um einen lokalen Beamten, etwa einen Hofbeamten des Erzbischofs von Trier handelt, ist überhaupt nicht zu entscheiden 26 . 21 22
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Gerh. Vita S. Oudalrici ep. cap. 10, SS. IV, S. 398. Vgl. H. Beyer, Urkundenbuch der mittelrheinischen Territorien I (1860), Nr. 204, S. 265. Auf diese Erwähnung des Pfalzgrafen Heribert hat zuerst Halbedel, Fränkische Studien, S. 48 aufmerksam gemacht. D O I 419 b. Wie wohl allgemein angenommen wird. D e n Nachweis, daß Berno nicht, wie man früher annahm, aus Schwaben, sondern aus Sachsen stammt, gibt zuerst Waitz, D i e ersten sächsischen Pfalzgrafen, Forschungen zur deutschen Geschichte 14 (1874) S. 21 ff. Ein strikter Beweis dafür, daß Arnulf und Berno nicht etwa Reichs-, sondern Provinzialpfalzgrafen waren, fehlt freilich bisher; sie treten nicht gleichzeitig auf, und die Behauptung Halbedels, a. a. O. S. 48, daß Berno Reichspfalzgraf war, läßt sich mit dem Hinweis auf die aus der Zeit bald nach Otto I. bekannten Zustände doch nicht restlos entkräften. Sie ist aber deshalb falsch, weil es, wie sich unten zeigen wird, schon längst vor Otto nicht mehr Reichs- sondern nur Provinzialpfalzgrafen gegeben hat. Über Heriberts Person vermögen wir gar nichts auszusagen. Was Halbedel, S. 48, der in ihm einen Reichspfalzgrafen sieht, angibt und vermutet, schwebt in der Luft. In der Zeugenreihe der Trierer Urkunde von 959 tritt Heribert unter mehreren Personen, deren Amt und Titel nicht
Der Ursprung der deutschen Pfalzgrafschaften
47
V o n B e r n o a b l ä ß t sich für Sachsen e i n e ununterbrochene R e i h e v o n P f a l z g r a f e n verfolgen
27
. W e r in Bayern auf d e n im Jahre 9 5 4 g e f a l l e n e n A r n u l f f o l g t e , ist nicht
ganz sicher. W o h l schon im Jahre 9 6 5 ist H a r t w i g Pfalzgraf in B a y e r n g e w e s e n , aber erst im Jahre 9 7 7 ist er als solcher bestimmt n a c h w e i s b a r 2 8 . E i n mit Sicherheit erkennbarer Pfalzgraf v o n Lothringen erscheint z u m ersten M a l e 9 8 9 S c h w a b e n gar erst 100 5
30
29
, ein solcher für
. U n d w ä h r e n d w i r für B a y e r n u n d L o t h r i n g e n w e n i g s t e n s
v o n 9 7 7 u n d 9 8 9 a b d i e w e i t e r e B e s e t z u n g d e s pfalzgräflichen A m t e s z u kontrollieren v e r m ö g e n , tritt für S c h w a b e n bis z u m Jahre 1 0 5 3 e i n e L ü c k e ein, über d i e nichts bekannt ist
31
.
T r o t z d i e s e r d ü r f t i g e n u n d im wesentlichen v e r s a g e n d e n Z e u g n i s s e h a t m a n n i e b e z w e i f e l t , d a ß nicht b l o ß d i e Pfalzgrafschaften in Sachsen u n d Bayern, s o n d e r n auch in Lothringen u n d S c h w a b e n bereits unter d e r R e g i e r u n g O t t o s I. b e s t a n d e n ; und d a jeder A n h a l t s p u n k t für d i e spätere E n t s t e h u n g d i e s e r P f a l z g r a f s c h a f t e n fehlt, besteht auch kein G r u n d , d i e s z u b e z w e i f e l n . A b e r so w e n i g d a s S c h w e i g e n
der
Q u e l l e n g e g e n d i e A n n a h m e d e r E x i s t e n z der v i e r P f a l z g r a f s c h a f t e n zur Z e i t O t t o s d e s G r o ß e n b e w e i s e n kann, u m so mehr b e w e i s t es d o c h g e g e n d i e A n n a h m e d e r Einrichtung d i e s e r Pfalzgrafschaften durch Otto. W i r sind aus e r z ä h l e n d e n
Quellen
über d i e in dieser Z e i t a m t i e r e n d e n H e r z ö g e , ja selbst M a r k g r a f e n im a l l g e m e i n e n
27 cs
29
30 31
genannt werden, an zweiter Stelle auf. Es erscheint danach am wahrscheinlichsten, daß er ein Beamter des Erzbischofs von Trier war, ähnlich den Pfalzgrafen, die sich in der Umgebung der Bischöfe von Metz nachweisen lassen (vgl. über diese Waitz VII, S. 167 f.). Vgl. Waitz, Forschungen 14, S. 21 ff.; Kurze a. a. O. S. 295 ff.; Heinze a. a. O. S. 22 f. Vgl. D O I I 164. (Derselbe Hartwicus palatinus comes tritt auch in einer Freisinger Tauschurkunde zwischen 957 und 993 auf, vgl. Wittmann a. a. O. S. 11.) Bereits 965 erscheint Hartwig in D O I 279 als waltpoto, ebenso dann 977 in D O I I 163 und 979 in D O I I 203. D a die Bezeichnung waltpoto auch erscheint, nachdem Hartwig bereits als Pfalzgraf genannt worden ist, und sie etwa eine Stellung bezeichnet, die der für den comes palatinus anzunehmenden gleicht, so wird man in ihr einen Titel für den Pfalzgrafen zu erblicken haben (vgl. dazu auch weiter unten S. 50). Danach wäre also Hartwig bereits 965 Pfalzgraf gewesen. - Die Annahme Puntscharts, Herzogseinsetzung und Huldigung in Kärnten, S. 292 ff., daß der Hartwicus waltpoto Pfalzgraf von Kärnten war, der sich Schröder, S. 547 offenbar anschließt, indem auch er besondere kärntnische Pfalzgrafen annimmt, ist entschieden abwegig. Die bayrischen Pfalzgrafen aus dem Hause der Aribonen, zu denen der Hartwicus comes palatinus gehört, waren auch in Kärnten begütert, und nach Ekkehard von Aura gehörten sie zum kärntnischen Adel. Der Hartwicus comes palatinus und der waltpoto sind mithin identisch. So schon S. Hirsch, Jahrbb. d. deutschen Reiches unter Heinrich II., I (1862), S. 32 ff. Vgl. auch J. Egger, Das Aribonenhaus, Archiv für österr. Gesch. 83 (18,97), S. 385 ff. Der Titel waltpoto scheint freilich vornehmlich in Kärnten für den Pfalzgrafen gegolten zu haben. Vgl. in dieser Hinsicht auch die Urkunde Konrads II. vom 19. Mai 1027, D K I I 92. Ich gehe hier auf diese Dinge nicht weiter ein, da ich in einem andern Zusammenhang auf die Pfalzgrafen von Kärnten zurückkommen werde. Vgl. M. Schmitz a. a. O. S. 4 ff. Ob Hermann, der seit 945 als Graf nachweisbar ist, erst um 989 Pfalzgraf geworden, ist freilich nicht zu sagen. Vgl. P. Fr. Stälin, Gesch. Württembergs I 1, S. 227; Waitz VII, S. 169. In einer Urkunde Heinrichs III. vom 17. Mai 1053 für Schwaben erscheint der Pfalzgraf Friedrich. Vgl. P. Fr. Stälin a. a. O. und E. Steindorff, Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich III., II (1881), S. 226 f. D a ß der Pfalzgraf Friedrich Graf im Rießgau war, wie Stälin will, ist falsch. Als Inhaber des Rießgaus wird ausdrücklich der Fridericus comes genannt, der neben dem Pfalzgrafen Friedrich in der Urkunde auftritt.
241
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Zum achten und neunten Jahrhundert
recht gut unterrichtet. Wir kennen nicht bloß ihre Namen, sondern auch den Beginn und das Ende ihrer Regierungszeit. Die Vita Oudalrici nennt den Pfalzgrafen Arnulf von Bayern offenbar nur, weil er der Führer der bayrischen Opposition gegen Herzog Heinrich und den König war. Daß wir im übrigen über die Pfalzgrafen so gut wie gar nichts und vor allem nichts aus den für die Reichsgeschichte interessierten Quellen erfahren, läßt es höchst unwahrscheinlich erscheinen, daß zur Zeit Ottos ihre Stellung als Seitenstück gegen die der Herzöge gegolten hat. Gegen diese Argumentation läßt sich jedoch ein Einwand erheben. Wir wissen, daß die Quellen Personen, die sicher Pfalzgrafen waren, mitunter nicht als Pfalzgrafen bezeichnen 32 . Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß der eine oder der andere der in den Quellen auftretenden Männer, über deren Amt und Titel nichts Näheres gesagt wird, Pfalzgrafen waren. Gibt man diese Möglichkeit auch zu, so bleibt doch bestehen, daß die Pfalzgrafen Berno, Hartwig (und Heribert), die wir aus Urkunden kennen, in den erzählenden Quellen der Zeit Ottos überhaupt nicht erwähnt werden 33 . Als 1033/34 Konrad II. Burgund eroberte, fand er dort die Rechte und Güter der Krone verstreut und verloren in den Händen einer rebellischen Aristokratie. Einen Pfalzgrafen hat der Kaiser in Burgund nicht eingesetzt. In Italien bestand seit alters ein Pfalzgrafenamt, dessen Träger wenigstens einen Teil der Rechte inne hatte, die man den deutschen Pfalzgrafen zuschreibt: die Vertretung des Königs im Königsgericht 34 . Im Jahre 1014 hat es Heinrich II. aufgehoben 35 . Warum richteten die 243 deutschen Könige in Burgund und Italien keine Pfalzgrafschaften ein oder lösten sie auf, wenn sie in Deutschland als Institutionen zur Wahrung der königlichen Rechte gegenüber den Territorialgewalten angesehen wurden? Die im ersten Drittel des elften Jahrhunderts in Burgund und Italien gegenüber dem Pfalzgrafenamt befolgte Politik der deutschen Krone läßt sich schon im zehnten Jahrhundert in den deutschen Stammesgebieten beobachten. Man hat es als einen Beweis für die Stellung der Pfalzgrafen als Vertreter des Königs gegenüber den Herzögen angesehen, daß in dem herzoglosen Franken kein Pfalzgrafenamt bestand 36 . Doch dagegen ist einzuwenden, daß in Franken genauso wie in den eigentlichen Herzogtümern königliche Rechte wahrzunehmen und gegen die Territorialgewalten zu verteidigen waren. Alle Aufgaben, die man als Inhalt des Pfalzgrafenamtes annehmen könnte und angenommen hat, waren auch in Franken gestellt. Infolge des Fehlens eines Herzogs konnte ihnen vielleicht eine bestimmte politische Tendenz, nicht aber ihr eigentlicher Inhalt genommen werden. Daß es keinen fränkischen Pfalzgrafen gab, läßt sich mithin mit der Tatsache, daß dort seit 242
32
33
E4 35
So wird z. B. der bayrische Pfalzgraf Arnulf in allen Quellen außer der Vita Oudalrici nicht Pfalzgraf genannt. Vgl. auch oben S. 4 7 Anm. 28 und unten S. 50. Erst einige Zeit nach dem Tode Ottos d. Gr. wird Berno in Thangmars Vita Bernwardi cap. 1, SS. IV, S. 7 5 8 und in der Vita Johannis Gorziensis cap. 4 7 , SS. IV, S. 350, als Pfalzgraf genannt, und daß er in den Jahren Ottos I. irgendeine Rolle spielte, ist aus diesen Quellen nicht ersichtlich. Vgl. Ficker a. a. O. S. 3 1 2 ff.; Schröder a. a. O. S. 5 4 6 . 3 6 Vgl. besonders W a i t z VII, S. 1 7 1 f. Vgl. Ficker a. a. O. S. 3 1 5 f.
Der Ursprung der deutschen Pfalzgrafschaften
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Otto I. auch kein Herzogtum bestand, überhaupt nicht oder nur höchst unbefriedigend erklären. Doch auch die Voraussetzung des Argumentes, das man aus dem Fehlen der fränkischen Pfalzgrafen entnimmt, ist falsch. Der Satz, daß jedem Herzog ein Pfalzgraf entspricht, ist irrig. In Sachsen war das Herrschaftsgebiet des unter Otto I. entstehenden billungischen Herzogtums auf den Nordosten des Landes beschränkt. Im Südosten bestand bis 965 die Markgrafschaft Geros. Sie war völlig selbständig und unabhängig von den billungischen Herzögen; der Markgraf wird bisweilen als dux bezeichnet 37 , und tatsächlich glich seine Stellung der eines Herzogs. Bis 965 existierten somit in Sachsen faktisch zwei Herzogtümer. Wenn man die Tatsache, daß es in späterer Zeit, über die allein wir Bescheid wissen, immer bloß einen sächsischen Pfalzgrafen gegeben hat, auch auf die Jahre vor 965 nicht unbedingt übertragen 244 kann, so beweist doch der Umstand genug, daß der Sitz des sächsischen Pfalzgrafen außerhalb des billungischen Herzogtums lag, daß sich also die Grenzen des pfalzgräflichen Amtsbereichs keinesfalls mit denen des Herzogtums deckten 3 8 . Als 959 Lothringen in zwei Herzogtümer zerlegt ward, wurde doch keine oberlothringische Pfalzgrafschaft geschaffen. Und in dem 976 als selbständiges Herzogtum von Bayern abgetrennten Kärnten wurde gleichfalls keine besondere Pfalzgrafschaft eingerichtet a9 . Zur Zeit Ottos hat also keineswegs jedem Herzog gewissermaßen als Gegenspieler ein Pfalzgraf gegenübergestanden. Und daß damals die Krone dem pfalzgräflichen Amt kein großes Gewicht beigemessen haben kann, geht auch noch aus anderen Beobachtungen hervor. Solange in Italien das Pfalzgrafenamt existierte, ist es niemals erblich geworden; das Ernennungsrecht des Königs blieb unangetastet bestehen 40 . Im Gegensatz dazu ist in Deutschland das Amt, soweit wir es seit der Zeit Ottos beobachten können, von Anfang an nicht nach dem freien Ermessen der Krone besetzt worden. In Bayern scheint sich nach dem Tode Arnulfs 954 wenigstens der Anspruch auf die Pfalzgrafschaft auf seinen Sohn Berthold vererbt zu haben 41 . Und von Hartwig ab läßt sich das Pfalzgrafenamt im Besitz der Familie der Aribonen nachweisen 42 . Ähnlich wurde 245 in Sachsen offenbar bei seiner Besetzung das Erbrecht einer Familie berücksichtigt 43 ; " Vgl. DOI 76 und 105. nR Die Territorien der Pfalzgrafen lagen im zehnten Jahrhundert in den Gebieten um Werra, Leine und Harz, seit dem Anfang des elften in der Gegend von Merseburg. Auf diese Inkongruenz von Herzogtum und Pfalzgrafschaft hat schon Waitz, VII S. 171. aufmerksam gemacht. 33 40 Vgl. dazu oben S. 47 Anm. 28. Vgl. Ficker a. a. O. S. 313 f. " Meichelbeck, Histor. Frising. I, S. 182 weiß von einem Bertholdus palatinus zu erzählen, der sich an dem Aufstand Heinrichs des Zänkers beteiligt habe. So unglaubwürdig die übrigen Angaben Meichelbecks in diesem Zusammenhang auch sind, daß man von diesem Berthold sonst nichts weiß, wie Wittmann a. a. O. S. 162 behauptet, ist nicht richtig. Es ist so gut wie sicher, daß Berthold, der Sohn des Pfalzgrafen Arnulf, an Heinrichs Empörung teilgenommen hat, und mit ihm dürfte man den Bertholdus palatinus zu identifizieren haben, dessen hier gebrauchter Titel durchaus auf alte Überlieferung zurückgehen kann. Da aber offenbar schon 965 Hartwig Pfalzgraf war, kann in diesem Titel nur ein Anspruch ausgedrückt gewesen sein. 45 Vgl. Hirsch a. a. O. S. 32 ff. und Wittmann a. a. O. S. 11 ff. 43 Vgl. die oben S. 47 Anm. 27 zitierte Literatur. 4 Lintzel Bd. II
50
Zum achten und neunten Jahrhundert
und in Lothringen ist es seit den Zeiten des Pfalzgrafen Hermann vom Vater auf den Sohn übergegangen 4 4 . Man möchte annehmen, daß von einem neugeschaffenen Amte, das den Interessen des Königtums dienen sollte, der König den Erblichkeitsgedanken besser fernhielt. Viel Gewicht ist auf diesen Gesichtspunkt freilich nicht zu legen; es fragt sich, wieweit die Ottonen in diesem Punkte den allgemeinen Tendenzen der Zeit widerstreben konnten; und außerdem: sie könnten gehofft haben, daß die Pfalzgrafschaft, auch wenn sie zum Besitz einer Familie wurde, doch durch den Gegensatz zum Herzogshaus an die Partei des Königs gefesselt blieb. Wichtiger ist die Beobachtung, daß offenbar die königliche Kanzlei der Stellung der Pfalzgrafen gar keine Bedeutung beimaß. Wenn in Diplomen ein Pfalzgraf zusammen mit anderen Grafen aufgezählt wird, so erscheint er nicht etwa an erster, sondern an beliebiger Stelle mitten unter ihnen 4 5 : er wird ihnen völlig gleichgestellt. Vor allem aber: den Pfalzgrafen wird nicht bloß, wie schon angedeutet, in den erzählenden Quellen, sondern auch in den königlichen Urkunden keine einheitliche Amtsbezeichnung gegeben. Wahrscheinlich findet sich der sächsische Pfalzgraf Berno in einigen Urkunden Ottos des Großen und Ottos II. als comes wieder 4 6 . "Nicht anders steht es mit dem bayrischen Pfalzgrafen Hartwig. Nur 977 wird er als comes palatinus erwähnt 4 7 . In anderen Diplomen fehlt dieser Titel 4 8 . Aber mehr noch. In einigen Königsurkunden findet man als Amtsbezeichnung für denselben bayrischen Pfalzgrafen Hartwig den Titel waltpoto oder die Wendung: qui et ipse irtibi (d. h. 246 in seinem Comitat in partibus Karantanie) cognomlne waltpoto dicituri9. Die Ausdrucksweise dieser Wendung sowie die Tatsache, daß Hartwig von der Kanzlei sonst als comes oder comes palatinus bezeichnet wird, beweisen, daß die Bezeichnung waltpoto dem Volksmunde entstammt. Es erscheint gleich unwahrscheinlich, daß für ein eben erst vom König eingerichtetes Amt, an dessen Autorität die Krone interessiert war, die königliche Kanzlei keinen eigenen Titel zur Verfügung hatte oder den Titel, der seine Stellung charakterisierte, beliebig wegfallen ließ, wie daß sie für dieses Amt bereits einen im Volke gebräuchlichen Titel vorfand und annahm. Für die Beurteilung der Frage, ob unter Otto die Pfalzgrafen die königlichen Gerechtsame in den Provinzen wahrzunehmen hatten, besitzt man an urkundlichem Material eine leidlich sichere Kontrolle nur in den Interventionen der königlichen Urkunden. Hier werden nämlich mehrfach Intervenienten bei der Verleihung und Verschenkung königlicher Güter und Gerechtsame genannt. Man erwartet, daß als solche in erster Linie die von Otto mit der Fürsorge für das Reichsgut betrauten Pfalzgrafen auftreten. Es ist niemals der Fall. Statt ihrer erscheinen aber verhältnismäßig häufig Herzöge als Fürsprecher, und zwar vor allem, wenn es sich um die Vergebung von Gütern handelt, die in ihrem Amtsbereich liegen 5 0 . Kann man sich ein schärferes Indicium gegen die Annahme vorstellen, daß die Pfalzgrafen vom 44
Vgl. oben S. 47 Anm. 29 .
45
Vgl. auch Waitz VII, S. 1 6 9 .
Vgl. Kurze a. a. O. S. 2 9 5 ff. In D O I 4 1 9 a wird Berno ohne jede Amtsbezeichnung genannt. 4 7 Vgl. D O I I 4 8 Vgl. D O I 1 7 1 , 1 7 3 , 2 0 2 , 2 2 1 , D O I I 2 0 5 , 2 1 6 , 164. 230. 4 » Vgl. D O I 2 7 9 , D O I I 163, 2 0 3 . Vgl. auch oben S. 4 7 Anm. 2 8 . 46
50
Die Belege finden sich im ersten Bande der Diplomata so zahlreich, daß ich sie nicht im einzelnen aufzählen will.
D e r Ursprung der deutschen Pfalzgrafschaften
51
König beauftragt waren, das Reichsgut gegen die Territorialgewalten und besonders gegen die Herzöge zu schützen? 5 1 Mit dieser Beobachtung über einen Teil der angeblichen Wirksamkeit der Pfalzgrafen stimmt vollkommen überein, was sich über ihre angebliche Stellung als Ver- 247 treter der königlichen Interessen im allgemeinen aussagen läßt. Der Pfalzgraf Arnulf wurde in Bayern mit der Wahrnehmung der Interessen seines Herzogs beauftragt 5 2 . Als Vertreter des Königs erscheint nirgends ein Pfalzgraf. Anderen Personen dagegen hat Otto I. zuzeiten die Verwaltung des Reiches oder von Teilen des Reiches übergeben 5 3 ; während seiner Abwesenheit in Sachsen hat er bekanntlich sogar den Herzog Hermann zu seinem Stellvertreter ernannt 5 4 . Während der Kämpfe, welche die Ottonen und besonders Otto der Große um die Festigung der Reichsgewalt durchzufechten hatten, bildeten sich in mehreren Stammesgebieten Parteien, die auf der Seite der Krone standen. Die Namen ihrer Führer sind uns fast durchweg bekannt. Die Männer, die wir als Pfalzgrafen kennen, sind nicht darunter. Sie haben in diesen Kämpfen offenbar keine oder eine ganz untergeordnete Rolle gespielt. Der einzige Pfalzgraf, der in ihnen hervortritt, ist Arnulf von Bayern, und er stand auf Seiten der Feinde des Königtums. Positive Beweise für die Stellung der Pfalzgrafen zur Zeit Ottos des Großen fehlen. Über Argumenta e silentio und reichlich allgemeingehaltene Erwägungen kommt man kaum hinaus. Was jene Stellung im einzelnen bedeutete und umfaßte, ist nicht zu sagen. Aber das ist doch vollkommen deutlich: Die politische und verfassungsmäßige Rolle, die man den Pfalzgrafen für die Zeit Ottos zugeschrieben hat, haben sie nicht gespielt. Von hier aus fehlt jeder Grund für die Annahme, daß ihr Amt von Otto eingerichtet worden ist. II.
Schon vor der Zeit Ottos des Großen werden Pfalzgrafen in Deutschland erwähnt. Soweit man ihre Existenz nicht überhaupt ignoriert hat, hat man im allgemeinen einen Zusammenhang zwischen ihnen und den ottonischen Pfalzgrafen bestritten und sie für mehr oder weniger degenerierte und mißverstandene Überbleibsel des karolingischen Pfalzamtes erklärt 5 5 . Unter Heinrich I. war, wie Flodoard in seiner Reimser Kirchengeschichte erwähnt, ein Godefridus principis Heinrici (d. i. König Heinrichs) comes palatii 5 6 ; Flodoard 51
62
53
54 55 56
4*
D a ß die Bedeutung und das Ansehen der Pfalzgrafen nicht groß gewesen sein können, ergibt sich auch aus der Angabe Thietmars IV, 60 (38). daß die Ehe der Schwester Ottos III. mit dem lothringischen Pfalzgrafen Ezzo allgemein als nicht standesgemäß verurteilt wurde, während doch gegen Heiraten von königlichen Prinzessinnen mit Herzögen niemand etwas einzuwenden hatte. D i e Vita Oudalrici sagt a. a. O. ausdrücklich, daß ihm Herzog Heinrich den Schutz des Landes überließ. Vgl. E. Dümmler, Kaiser Otto d. Gr., in Jahrbücher d. deutschen Geschichtc (1876), S. 322 f. und 409. Vgl. E. Dümmler, ebenda S. 219, 323 f., 408. Vgl. die oben S. 42, Anm. 3 und 4 zitierte Literatur. Flodoardi hist. Rem. ecd. IV, 42, SS. XIII, S. 593 f.
248
52
Zum achten und neunten Jahrhundert
bringt ihn mit Vorgängen in Lothringen in Verbindung. Von Sigebert von Gembloux wird zum Jahre 938 der bekannte fränkische Herzog Eberhard als com.es palatii bezeichnet57. In seinen Annalen erzählt Flodoard, daß 926 Ebrardus quidam Transrhenensis von Heinrich iustitiam faciendi causa nach Lothringen gesandt worden sei S8 . Man hat diesen Eberhard mit dem Herzog identifiziert und seine Rechtspflege in Lothringen aus seinem pfalzgräflichen Amte abgeleitet 59 . Man hat jedoch auch, und zwar mit mindestens gleicher Wahrscheinlichkeit, den quidam Transrhenensis mit einem andern Eberhard, einem Verwandten König Heinrichs, gleichzusetzen versucht60, so daß es fraglich bleibt, ob der von Sigebert als Pfalzgraf bezeichnete Herzog Eberhard in Lothringen 926 als Vertreter des Königs aufgetreten ist. In einer Urkunde Konrads I. vom Jahre 912 wird der bekannte schwäbische Usurpator Erchanger als comes palatii aufgeführt01, 892 findet sich in einer Privaturkunde für St. Gallen ein Pfalzgraf Berthold fi2. Gleichfalls ein Pfalzgraf Berthold tritt in einer Urkunde Karls III. vom Jahre 880 für Reggio auf 63 . In einer St. Galler 249 Urkunde von 854 wird als Gau und Grafschaft des comes palacii Ruadolt der schwäbische Aphagau genannt 64 . Von demselben Pfalzgrafen wird zu 857 von den Fuldaer Annalen erzählt, daß er ein deutsches Heer gegen die Böhmen befehligte 65 . In einer Freisinger Urkunde erscheint 883 der palatinus comes Meginhard 6®. In den Jahren 843 bis 870 tritt mehrfach in Freisinger Urkunden der comes palatii oder comes palatinus Fritilo auf 67 . Von Thegan wird ein Pfalzgraf Morhad erwähnt, der Ende 833 im Auftrag Ludwigs des Deutschen am Hofe Ludwigs des Frommen verhandelte 68 . Wieder in einer Freisinger Urkunde wird im Jahre 830 der palacii comes Timo genannt 69 . Über denselben Pfalzgrafen wird offenbar in einem nicht genau datierbaren Gedicht De Timone comite gesprochen 70 , in dem es von ihm heißt: " 5R
Sigibert. Gembl. chron. 9 3 8 , SS. VI, S. 3 4 8 . Flodoardi Ann. 9 2 6 , SS. III, S. 3 7 6 f.
" a Vgl. z. B. L. Häusser, Geschichte der rheinischen Pfalz, S. 2 8 ; Kurze a. a. O. S. 2 7 9 . 60
Vgl. G. Waitz, Jahrbücher d. Deutschen Reiches unter König Heinrich I., 3. Aufl. ( 1 8 8 5 ) , S. 2 2 2 ff.; auch Usinger, Pfalzgraf Ezzo, in: S. Hirsch, Jahrbb. d. Deutschen Reiches unter Heinrich II., I, S. 4 4 8 Anm. 1.
Vgl. D K I 11. « 2 Vgl. H. Wartmann, Urkb. d. Abtei St. Gallen II ( 1 8 6 6 ) , N r . 6 8 4 , S. 2 8 6 .
61
M
Vgl. Böhm.-Mühlb. N r . 1 5 9 2 . Vgl. Wartmann II, N r . 4 3 3 , S. 5 1 .
"
Ann. Fuldenses, ed. F. Kurze (SS. rer. Germ, in us. schol., 1 8 9 1 ) , S. 4 7 .
58
Vgl. Th. Bitterauf, Die Traditionen des Hochstifts Freising I ( 1 9 0 5 ) , N r . 9 5 8 , S. 7 3 3 . 10. 8. 8 4 3 , Bitterauf N r . 6 6 1 ; 2 2 . 12. 8 4 3 , N r . 6 6 3 ; 10. 5. 8 4 5 , N r . 6 7 2 ; 8 5 7 bis 8 6 4 , N r . 8 0 7 ; 8. 2. 8 7 0 , N r . 8 9 9 . Thegan, cap. 4 5 , SS. II, S. 600. Ob es sich dabei freilich um einen ostfränkischen Pfalzgrafen
67
48
90
70
handelt, ist nicht ganz sicher zu sagen. Bitterauf N r . 6 0 3 . D e r in der Regensburger Urkunde von 8 3 7 (Th. Ried, Codex chronologicodiplomaticus episcopatus Ratisbonensis I, 1 8 1 6 , N r . 31, S. 3 3 ) genannte Timo ist, glaube ich, sicher nicht mit dem Pfalzgrafen gleichzusetzen, wie E . Dümmler, Gesch. d. ostfränkischen Reiches II, 2. Aufl. ( 1 8 8 7 ) , S. 4 4 1 tut. E r tritt ohne jede Amtsbezeichnung auf und steht unter den Zeugen nach einem Grafen und einem Laien, dessen Stand oder A m t nicht angegeben ist, an dritter Stelle, während sonst die Pfalzgrafen in diesem Jahrhundert fast durchweg an erster Stelle rangieren, vgl. dazu unten S. 5 5 . Poetae lat. II, S. 1 2 0 ff.
53
Der Ursprung der deutschen Pfalzgrafschaften
Timo
comes missusque
Iura bonis reddens, Noricus
tuus, rex inclite,
iure malos
in regnum qua se diffudit
Neglectum
legis restituebat
quidam
quaciens agellus
opus.
Man sieht, die Zahl der uns bekannten deutschen Pfalzgrafen aus der Zeit der ostfränkischen Karolinger und Konrads I. und Heinrichs I. ist im Verhältnis keineswegs geringer, als die, welche in der Zeit Ottos I. genannt werden. Schon diese Tat-
25c
sache allein deutet wieder darauf hin, wie wenig Grund besteht, in der Regierung Ottos eine neue Epoche in der Geschichte des Pfalzgrafenamtes zu erblicken. W e d e r über die in der Zeit Ottos noch über die in der Zeit der ostfränkischen Karolinger auftretenden Pfalzgrafen sagt eine Quelle, ob es sich um Reichs- oder um Provinzialpfalzgrafen handelt. D a ß die ottonischen Pfalzgrafen Provinzialpfalzgrafen waren, ist erst aus der späteren Geschichte zu schließen. D e m analog erscheint es von vornherein als eine offene Frage, ob die nicht näher bezeichneten Pfalzgrafen der ostfränkischen Periode noch den Hofpfalzgrafen der früheren
Karolingerzeit
oder ob sie bereits den Provinzialpfalzgrafen des zehnten Jahrhunderts gleichzustellen sind. Bekanntlich hatte sich das A m t des Pfalzgrafen unter K a r l dem Großen und Ludwig dem Frommen in der Weise ausgebildet, daß sein Inhaber nicht bloß die höchste richterliche Stellung nach dem König am Hofe und im Reiche innehatte, sondern daß er auch die Funktionen eines ersten Verwaltungsbeamten und Ministers erfüllte.
Er
bestimmte,
welche zur Entscheidung
stehenden Fragen
der
Recht-
sprechung und der Verwaltung vor den König gebracht werden sollten, er hielt Vortrag über diese Fragen, und er entschied selbständig in weniger wichtigen Dingen, die nicht vor den König kamen. E r erschien wie in jurisdiktionellen auch in administrativen Angelegenheiten als Stellvertreter der Krone. In seiner Hand liefen die Fäden der Reichsregierung zusammen
71
.
E s könnte so scheinen, und man hat es auch geglaubt, daß das Pfalzgrafenamt die große Bedeutung, die es im Karolingerreich besaß, im ostfränkischen Reiche nie gehabt h a t 7 2 . E s ist richtig, daß uns hier Pfalzgrafen verhältnismäßig selten entgegentreten, und daß wir hier unmittelbare Zeugnisse ihrer Tätigkeit fast gar nicht besitzen. Aber aus diesem Umstand ist kein Schluß auf diese Tätigkeit zu ziehen; er ist lediglich auf das Versagen der Quellen zurückzuführen. D a s Quellenmaterial, das in erster Linie über die richterliche Tätigkeit der Pfalzgrafen Auskunft geben könnte, die placita, fehlt im ostfränkischen Reiche völlig. E s fehlt aber auch schon fast ganz für die letzten Zeiten Karls und ganz für die Regierung Ludwigs des Frommen. Trotzdem ist für diese Zeit die hervorragende jurisdiktioneile Tätigkeit der Pfalzgrafen unbestritten und unbestreitbar 7 3 . Mithin ist auch für die folgende Zeit das Fehlen der placita als Argumentum e silentio nicht zu verwerten. Im übri71
Vgl. Schröder a. a. O. S. 1 8 5 f.; Brunner II, 2. Aufl., S. 151 ff.; H. E . Meyer, Die Pfalzgrafen der Merowinger und Karolinger, Zeitschr. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgeschichte 4 2 Germ. Abt., S. 4 1 9 ff., besonders S. 4 4 5 ff.
72
Das ist wohl die allgemeine Ansicht.
75
Vgl. Meyer a. a. O . S. 4 1 9 ff.
(1921),
251
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Zum achten und neunten Jahrhundert
gen aber kann die Einsilbigkeit anderer Quellen über die Personen und die Handlungen der Pfalzgrafen nichts beweisen; die Überlieferung des neunten Jahrhunderts ist bekanntlich so dürftig, daß wir auch über andere Männer, die in der Regierung und am Hofe der ostfränkischen Könige eine bedeutende Rolle gespielt haben oder gespielt haben können, so gut wie nichts wissen. Doch davon abgesehen, es läßt sich zeigen, daß im Reiche der ostfränkischen Karolinger wirklich die Pfalzgrafen eine ähnlich überragende Stellung eingenommen haben, wie im Reiche Karls des Großen. Auf das Zeugnis des Monachus Sangallensis, der in seinen „Gesta Karoli" den Pfalzgrafen in medio procerum Recht sprechen und von fremden Gesandten mit dem Kaiser verwechselt werden läßt 7 4 , soll zwar kein Gewicht gelegt werden. Denn wenn diese Erzählung auch beweist, daß der deutsche Mönch aus dem letzten Drittel des neunten Jahrhunderts eine recht lebhafte und erhebliche Vorstellung vom Pfalzgrafenamt gehabt haben muß, so wird äiese Vorstellung doch durch die Erinnerung an die Zeit Karls des Großen und an Einhards „Vita Karoli" bedingt gewesen sein. Nicht viel beweiskräftiger erscheint die „Ekbasis captivi", in der offenbar der Pfalzgraf als höchster Würdenträger im Reiche und als secundus rex angesehen wird 7 S . Denn auch diese lothringische Dich252 tung aus der Zeit Heinrichs I. mag durch altes Erinnerungsgut, vor allem aber durch solches, das nicht aus Ostfranken stammte, beeinflußt worden sein. Viel mehr schon besagt es für die Stellung der Pfalzgrafen, daß Walafrid Strabo in seiner Schrift „De exordiis et incrementis rerum ecclesiasticarum" die summt capellani, also die höchsten geistlichen Hofbeamten mit den comités palatii vergleicht und ihnen gleichstellt 76 . Zur Zeit Ludwigs des Deutschen scheint man also im Pfalzgrafen noch den ersten Hofbeamten gesehen zu haben, wenn auch möglich ist, daß Walafrids Vorstellung durch die Zustände im ganzen Frankenreich und in seinen nichtdeutschen Teilen Einwirkungen erfuhr. In ein ganz helles Licht aber wird die Bedeutung der deutschen Pfalzgrafen durch eine Forderung gerückt, welche die Synode von Quierzy im November 858 an Ludwig den Deutschen stellte. Man verlangte damals von ihm, daß er einem geistlichen Würdenträger eine Amtsstelle an seinem Hofe einräumte, welcher die geistlichen Angelegenheiten ebenso wahrnehmen sollte, sicut comes palatii in causis reipublicae 7 7 . Es ist klar, daß die Synode als Gegenstück und Vorbild für den geforderten Vertreter der kirchlichen Interessen am deutschen Hofe nur einen Beamten aufstellen konnte, dessen Stellung sehr bedeutend war. Diese Auffassung des pfalzgräflichen Amtes im ostfränkischen Reiche wird völlig durch das wenige bestätigt, das wir über die Stellung und die Tätigkeit einzelner Pfalzgrafen wissen. Der Pfalzgraf Timo erscheint in dem zitierten Gedicht als 74 71
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Mon. Sangall. Gesta Karoli II cap. 6, SS. II, S. 750. Vgl. E . Voigt, Ekbasis captivi (Straßburger Quellen und Forschungen 8, 1875), [1935 hrsg. von K. Strecker in SS. rer. Germ, in us. schol.] v. 263 ff., 565 ff. und 634 ff. Auf diese Stellen hat, wie mir scheint, mit vollem Recht, Halbedel, Fränkische Studien, S. 48, aufmerksam gemacht. Denn wenn sie auch direkt nichts über die Stellung der deutschen Pfalzgrafen besagen, so zeigen sie doch, welches die im Volke, oder wenigstens in Lothringen verbreitete Ansicht über diese Stellung war. 7 7 Capit. II, S. 432. cap. 32, Capit. II. S. 515.
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Bringer von Recht und Gerechtigkeit und als Stellvertreter des Königs 78 . Von dem Pfalzgrafen Ruadolt wird zum Jahre 857 berichtet, daß er (im Verein mit andern Männern) ein Heer gegen die Böhmen führte 7 9 . Von dem unter Konrad I. auftretenden Pfalzgrafen Erchanger wissen wir, daß er einer der bedeutendsten Großen im Reich und der mächtigste Mann in Schwaben war. Sämtliche in Urkunden erscheinenden Pfalzgrafen aber rangieren mit nur einer Ausnahme unter den Zeugen an erster Stelle vor den übrigen Grafen und Laien 8 0 ; in einem Falle steht sogar der Pfalzgraf vor dem Bischof von Konstanz 81 . Soviel wir wissen hat es immer oder doch meistens, bereits seit der Zeit der Merowinger, mehrere Pfalzgrafen am Hofe gegeben, die sich vielleicht, wie man häufig vermutet, in der Führung der Amtsgeschäfte abwechselten 82 . Sicher hat jedoch im neunten Jahrhundert die Tatsache, daß es eine Mehrzahl von Pfalzgrafen gab, eine andere Bedeutung gehabt. Hinkmar von Reims sagt in seiner Schrift „De ordine palatii" 8 3 : Sed nec illa sollicitudo deerat, ut si fieri potuisset, sicut hoc regnum Deo auctore ex pluribus regionibus constat, ex diversis etiam eisdem regionibus aut in primo aut in secundo aut etiam in quolibet loco idem ministri eligerentur, qualiter familiarius quaeque regiones palatium adire possent, dum suae genealogiae vel regionis consortes in palatio locum tenere cognoscerent. Was hier allgemein über alle Hofämter gesagt wird, hat zweifellos auch für das Amt des Pfalzgrafen zu gelten 84 . Die einzelnen regiones des Reiches waren möglichst durch besondere Pfalzgrafen am Hofe vertreten, damit jeder, der an den Hof kam, einen Genossen suae genealogiae vel regionis, d. h. seines Stammes, dort vorfand. Die Verschiedenheit der Stammesrechte machte es wünschenswert, daß am Hofe und im Hofgericht für jedes der großen Rechtsgebiete ein besonderer Vertreter des Königs, der dieses Rechtsgebiet aus eigener Erfahrung kannte, zur Verfügung stand. Hinkmar hat in dem zitierten Teile seiner Schrift nicht das Westfrankenreich seiner Zeit vor Augen. Er beschreibt die Verhältnisse am Hofe Karls des Großen und stützt sich dabei auf eine Schrift Adalhards aus den ersten Jahren Ludwigs des Frommen 85 . Die Annahme ist so gut wie selbstverständlich, daß die Art der Besetzung des Pfalzgrafenamtes vom Reiche Karls des Großen und Ludwigs des Frommen auf das ostfränkische Reich übertragen wurde: Auch hier dürfte es von Anfang an mehrere, nach den verschiedenen Stämmen ausgewählte Pfalzgrafen am Hofe gegeben haben. Die oben verzeichnete Aufzählung der Pfalzgrafen aus der vorottonischen Periode des ostfränkischen Reiches zeigt tatsächlich, daß damals mehrere Pfalzgrafen zugleich im Amte waren. Wenn man den 892 auftauchenden Berthold mit dem im Jahre 880 7fi 80
81 83 85
79 Vgl. oben S. 52 f. Anra. 70. Vgl. oben S. 52 Anm. 65. Eine Ausnahme macht lediglich der Pfalzgraf Fritilo in der Freisinger Urkunde vom 22. 12. 843 (Nr. 663), in der vor ihm ein Ratold comes steht. Darüber, daß später die Pfalzgrafen diese bevorzugte Stellung in den Urkunden nicht mehr haben vgl. oben S. 50. 82 In der oben S. 52 Anm. 62 zitierten Urkunde. Vgl. Brunner II, 2. Aufl., S. 151. 84 cap. 18, Capit. II, S. 5 24. So auch Brunner II, S. 154. Vgl. Capit. II, S. 517. Eine genaue Untersuchung über das Verhältnis Hinkmars zu Adalhards verlorenem Werk fehlt noch.
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erscheinenden Pfalzgrafen gleichen Namens zu identifizieren hat, (und es gibt keinen Grund, das nicht zu tun) 8 6 , so ist sicher, daß während der Amtszeit dieses Pfalz grafen noch ein anderer, der zu 883 erwähnte comes palatinus Meginhard amtiert hat. Völlig deutlich ist das Vorhandensein zweier gleichzeitig lebender Pfalzgrafen für die vorangehenden Jahrzehnte. Während der Zeit von 843 bis 870, in der der Pfalzgraf Fritilo nachweisbar ist, erscheint, 854 und 857, der Pfalzgraf Ruadolt. Die Tatsache, daß Fritilo durchweg in bayrischen Urkunden auftritt, während Ruadolt als Graf des schwäbischen Aphagaues genannt wird, könnte man lediglich als Bestätigung der Angabe Hinkmars auffassen, daß für die verschiedenen Stämme besondere Pfalzgrafen am Hofe waren 8 7 . Man könnte die Ansicht, daß wenigstens 255 Ruadolt Reichspfalzgraf war, damit begründen, daß er im Jahre 857 ein deutsches Heer gegen die Böhmen gefühlt hat.. Doch Ruadolt befehligte nicht allein das deutsche Heer. Neben ihm kommandierte Ernst, der Sohn des nordbayrischen Markgrafen 8 8 . Es liegt also nahe, anzunehmen, daß er der Führer nur eines Teils des deutschen Aufgebots war, und dieser Teil könnte dem Lande entstammt haben, für das Ruadolt als Pfalzgraf fungierte. Jedenfalls ist er nicht ein Hofpfalzgraf in dem Sinne gewesen, wie sie zur Zeit Karls des Großen amtierten, und wie sie Hinkmar beschreibt. Keiner jener alten Pfalzgrafen hatte einen Gau und konnte einen Gau als Verwaltungsbezirk haben; sie waren durchaus Hofbeamte 8 9 . Daß Ruadolt als Graf eines Gaues erscheint, beweist, daß sich dieses Verhältnis geändert hatte: der Pfalzgraf war vom Hofe in die Provinz übergesiedelt. Man nimmt mit einiger Wahrscheinlichkeit an, daß Ruadolt der Vater des 880 und 892 genannten Pfalzgrafen Berthold war 9 0 , und dieser der Vater Erchangers 9 1 . Das Amt der Pfalzgrafen ist im Reiche Karls des Großen nie erblich gewesen. Daß es dazu im Ostfrankenreiche anscheinend kam, deutet auf ein neues Moment der Entwicklung. Ekkehard IV. von St. Gallen nennt bekanntlich Erchanger camerae nuntius, womit er seine Stellung als Pfalzgraf bezeichnet. Daß er ihn dabei als Beamten für die schwäbischen Länder und nicht etwa als Hofbeamten ansieht, sagt er selbst 9 2 . Und daß Erchangers politische Ansprüche und Pläne sich wirklich bloß auf Schwaben und nicht etwa auf das Reich ausdehnten, wissen wir aus der Geschichte. Berücksichtigt man im Zusammenhang damit, daß bereits Ruadolt eine 60
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ss
Berthold war nach der Urkunde von 8 9 2 (vgl. oben S. 5 2 Anm. 6 2 ) ein Schwabe; die Urkunde von 8 8 0 (S. 5 2 Anm. 6 3 ) zeigt ihn im Gefolge Karls III., dessen Königreich damals von Schwaben gebildet wurde. Auch Meyer betont, obgleich er die ersten Anfänge der Territorialisierung des Pfalzgrafenamts im neunten Jahrhundert zugibt, „daß der karolingische Pfalzgraf immer und ausschließlich Hofund Reichsbeamter gewesen ist, und daß wir von wirklichen Territorialpfalzgrafen im neunten Jahrhundert keineswegs schon sprechen dürfen" (a. a. O . S. 4 4 1 und 4 5 7 ) . Vgl. Ann. Fuld. 8 5 7 .
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Auch Waitz, VII, S. 1 6 9 f. sieht als Unterscheidungsmerkmal der ottonischen von den karolingischen Pfalzgrafen an, daß jene immer eine Grafschaft innehatten, also den Provinzen, nicht dem Hofe angehörten.
00
Vgl. F . L. Baumann, Württemberg. Vierteljahrshefte f. Landesgeschichte 1 ( 1 8 7 8 ) , S. 3 0 ff. Vgl. ebenda und Dümmler, Gesch. d. Ostfränk. Reiches III, 2. Aufl. ( 1 8 8 8 ) , S. 5 7 9 . Ekkeh. IV. Cas. St. Galli, SS. II, S. 83.
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schwäbische Grafschaft innehatte, so erscheint alles klar. Die schwäbische Pfalzgrafenfamilie, die sich zur Zeit Erchangers als das vornehmste und mächtigste Geschlecht Schwabens erweist, besaß ihr Amt offenbar seit mindestens zwei Generationen ®3. Auf der andern Seite wird man in Fritilo und Meginhard bayrische Pfalzgrafen zu sehen haben: Deutsche ProvinzialpfalzgrafSchäften lassen sich schon um die Mitte des neunten Jahrhunderts nachweisen. Wie waren sie entstanden? Es ist eine oft bemerkte Tatsache, daß die Stellung der karolingischen Pfalzgrafen im Anfang des neunten Jahrhunderts eine enge Verwandtschaft mit der der Missi aufweist 9 4 . Der Inhalt ihrer amtlichen Funktionen war im wesentlichen der gleiche; beide fungierten im großen und ganzen als Stellvertreter des Königs. Nur der räumliche und zeitliche Umfang ihrer Ämter war verschieden. Während der Pfalzgraf ursprünglich für das ganze Reich und auf längere Zeit, meist wohl auf Lebenszeit, seines Amtes waltete, hatten die Missi nur einen vorübergehenden Auftrag für einen bestimmten Teil des Reiches. In Deutschland ist das Institut der Missi vielleicht nie völlig zur Durchbildung gelangt. Jedenfalls ist es sehr rasch verfallen 9 S . Unter den deutschen Karolingern ist von ihm in seiner eigentlichen Bedeutung nichts zu bemerken. Die Aufgaben, welche hier die Missi nicht erfüllten, fielen somit ohne weiteres den Pfalzgrafen zu: Für alle Angelegenheiten, die der Vertreter des Königs zu erledigen hatte, kamen hier nicht Missi und Pfalzgrafen, sondern allein die Pfalzgrafen in Frage. Die in der Natur der Sache liegende Amalgamierung des Missats mit dem Pfalzgrafenamt läßt sich im ostfränkischen Reiche an einigen Anzeichen deutlich beobachten. Der als Pfalzgraf bekannte Timo wird als Missus des Königs besungen 96 . Ekkehard IV. bezeichnet den Pfalzgrafen Erchanger als camerae nuntius, d. h. als Missus 97 . Und endlich scheint auch der Umstand, daß der bayrische Pfalzgraf Hartwig im zehnten Jahrhundert in Kärnten waltpoto genannt wird 98 , darauf hinzuweisen, daß man in den Pfalzgrafen die alten Missi, die Gewaltboten des Königs, erblickte. Der Amtsbereich der Hofpfalzgrafen war, wie wir bereits aus Hinkmar wissen, nach Stammesgebieten gesondert. Die Übernahme mindestens eines Teils der missarischen Funktionen mußte den provinziellen Charakter des Pfalzgrafenamtes noch erheblich verstärken. Faktisch wurde der ursprünglich als Hofbeamter gedachte Pfalzgraf zum Provinzialpfalzgrafen auch, wenn er noch am Hofe lebte. Von hier bis zur endgültigen Ausbildung des Provinzialpfalzgrafenamtes war nur ein kleiner Schritt. Ihn zu tun, mußte naheliegen bei dem im neunten Jahrhundert immer stärker hervortretenden politischen Sonderleben der deutschen Stämme. Gegenüber dem aufstrebenden Partikularismus dieser Stämme brauchte das Königtum Beamte, die an Ort und Stelle die Zentralgewalt vertraten. D a ß die Krone das naheliegende Bestreben hatte, die Führer der Stämme in ein enges Verhältnis zum königlichen 9:1
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Außer Baumann betrachtet auch schon F. Walter, Deutsche Rcchtsgeschichte, S. 159, Ruadolt als schwäbischen Pfalzgrafen. Vgl. zuletzt Meyer a. a. O. S. 443 f. Vgl. V. Krause, Gesch. d. Instituts der Missi dominici, MIÖG. 11 (1890), S. 250 ff. 97 98 Vgl. oben S. 52 f. Anm. 70. Vgl. oben Anm. 92. Vgl. oben S. 47 Anm. 28.
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Hofe zu bringen, zeigt sich in der später bemerkbar werdenden Verbindung der Hofämter mit den dem neunten Jahrhundert entstammenden Herzogtümern. Eine Parallelerscheinung dazu ist die Entsendung der obersten Hofbeamten in die Provinzen. Andrerseits dürfte es auch im Interesse der Stämme selbst gelegen haben, daß der rex secunrius, der in vielen Gerichts- und Verwaltungssachen letzte Instanz war, innerhalb ihrer Grenzen seinen Sitz hatte. Diese Entwicklung mußte noch dadurch verstärkt und befestigt werden, daß nach dem Tode Ludwigs des Deutschen das ostfränkische Reich in drei Teilreiche zerlegt wurde, von denen sich wenigstens zwei mit dem Umfang von Stammesgebieten deckten: hier wurde also der Reichspfalzgraf zum Stammespfalzgrafen 258 Die oben angegebenen Zeugen, besonders Walafrid Strabo und die Synode von Quierzy 1 0 °, besagen, daß noch in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts die deutschen Pfalzgrafen als Hofbeamte galten. Das ist in keiner Weise auffällig. Der Ubergang ihrer Stellung vom Hof- zum Provinzialamte wird nicht mit einem Male, sondern allmählich erfolgt sein, und auch als Richter und Verwalter ihrer Provinzen werden sie zunächst immer noch einen Platz unter den Würden und in der Rangordnung des Hofes behauptet haben, ähnlich den Herzögen in ihren Erzämtern am Hofe in späterer Zeit. Gegen die Annahme, daß der Ursprung der deutschen Provinzialpfalzgrafschaften bereits der Mitte des neunten Jahrhunderts angehört, kann die Tatsache, daß wir von einigen dieser Pfalzgrafschaften erst im zehnten Jahrhundert hören, nichts beweisen. Über die Existenz der schwäbischen Pfalzgrafen in der Zeit der Ottonen und später in der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts sagen die Quellen kein Wort, und trotzdem bezweifelt sie niemand. Ebenso besitzen wir keine Nachricht über die Pfalzgrafen des sächsisch-fränkischen Teilreiches Ludwigs des Jüngeren. Daß sie vorhanden waren, ist selbstverständlich. Man sieht, das Schweigen der Quellen ist in diesem Zusammenhang völlig bedeutungslos. Andererseits aber könnte man gegen die Behauptung, daß die Entstehung der Pfalzgrafschaften ihren Grund letzten Endes in dem Vorhandensein verschiedener Rechtsgebiete im ostfränkischen Reiche hatte, den Umstand ins Feld führen, daß in der Zeit, in der uns sämtliche Pfalzgrafschaften bekannt sind, keineswegs sämtliche Stämme eine PEalzgrafschaft aufweisen. Weder in Friesland noch in Thüringen und in Franken hat ein Pfalzgraf gesessen. Doch eine Zusammenstellung des wenigen, das sich über die Entwicklung der Pfalzgrafschaften in der vorottonischen Zeit beweisen oder vermuten läßt, zeigt, daß 259 eine Erklärung sehr wohl möglich ist. Sie wird bis zu einem gewissen Grade begünstigt durch den Umstand, daß uns bekannte historische Persönlichkeiten Pfalzgrafen gewesen sein können, ohne daß eine Quelle ein Wort davon sagt; daß Erchanger Pfalzgraf war, wissen wir nur aus einer einzigen Urkunde 1 0 1 ; alle übrigen Urkunden 99
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D a ß indessen die Existenz der ostfränkischen Teilreiche nicht etwa die Ursache für die E n t stehung der Plalzgrafschaften gewesen sein kann, wie Mayer, Verf.-Gesch. II, S. 3 3 6 anzunehmen scheint, geht daraus hervor, daß die Pfalzgrafschaften schon vor jenen Teilreichen bestanden haben. Vgl. oben S. 54.
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und die erzählenden Quellen, die von ihm sprechen, verraten es (wenn man von dem undeutlichen Zeugnis Ekkehards IV. absieht) nicht. Als um die Mitte des neunten Jahrhunderts die Provinzialpfalzgrafschaften in Deutschland entstanden, gehörte Friesland bekanntlich dem Reiche Lothars an; es fällt also aus dem Rahmen der deutschen Entwicklung heraus. Auch nach seiner Angliederung an das ostfränkische Reich nahm Lothringen in den folgenden Jahrzehnten unter den deutschen Provinzen noch immer eine mehr oder weniger hervortretende Sonderstellung ein: es galt als besonderes Königreich, hatte zeitweilig seinen eigenen König und noch öfter eine eigene Kanzlei 1 0 2 . Es liegt demnach die Annahme nahe, daß bei der Eroberung Lothringens die Verhältnisse der lothringischen Pfalzgrafschaft unverändert blieben, daß jedenfalls das kleine Friesland, dessen dauernd bemerkbare Emanzipationsbestrebungen zu fördern kein Grund vorlag, von ihr nicht abgetrennt wurde. Es erscheint durchaus möglich, daß auch Thüringen niemals eine eigene Pfalzgrafschaft gehabt hat. Dieses verhältnismäßig unbedeutende Stammesgebiet könnte von Anfang an der Pfalzgrafschaft des fränkischen Landes, mit dem es bis zum Beginn des zehnten Jahrhunderts immer in enger Verbindung gestanden hat, oder der von Sachsen, zu deren Bezirk es wahrscheinlich später gehörte 1 0 3 , angegliedert 260 worden sein. Andrerseits aber erscheint es auch durchaus denkbar, daß hier ursprünglich die pfalzgräfliche Würde von den Geschlechtern der Popponen und der Burcharde behauptet wurde 1 0 4 , die zu Anfang des zehnten Jahrhunderts ihre Herrschaftsstellung in Thüringen verloren und den sächsischen Herzögen Platz machen mußten. Die Entwicklung hätte dann in Thüringen der geglichen, die wir für Franken annehmen zu können glauben, und wäre der ähnlich gewesen, die in Schwaben sich vollzogen hat. Ekkehard IV. nennt den als Prätendenten für die fränkische Herzogswürde und als Gegner der Konradiner in Franken bekannten Adalbert und einen gewissen Werner, über den wir weiter nichts wissen, nuntii camerae als Verwalter Frankens 1 0 5 . Wie Vgl. H. Breßlau, Handbuch der Urkundenlehre I, 2. Aufl. (1912), S. 419 ff. i"3 Vgi_ Kurze a. a. O. S. 321. Mit dem hier angeführten Argument scheint mir Kurze freilich unrecht zu haben. Daß der sächsische Pfalzgraf einmal in einer thüringischen Urkunde auftritt, kann dafür, daß er Pfalzgraf in Thüringen war, ebensowenig beweisen, wie der Umstand, daß der sächsische Pfalzgraf Berno 972 in einer schwäbischen Urkunde erscheint (vgl. oben S. 46 Anm. 23), dafür beweist, daß er Pfalzgraf von Schwaben war. 1 0 4 Wir wissen von beiden zu wenig, um über die Grundlagen ihrer Herrschaft Genaueres aussagen zu können. Meist erscheinen sie als marchiones oder duces. 105 Yg] Ekkeh. a. a. O. Der mit Adalbert zusammen von Ekkehard genannte Werner soll nach Dümmler III, S. 323, Anm. 1 der vor 888 gestorbene Graf Werner im Lobdengau sein. „Durch diese Zusammenstellung Adalberts mit einem älteren Zeitgenossen seines Vaters wird die Nachricht Ekkehards unglaubhaft." Daß die Nachricht Mißverständnisse enthält, scheint sicher. Aber, daß sie darum unglaubwürdig wird, ist nicht zuzugeben. Die in demselben Zusammenhang von Ekkehard gemachte Angabe über den Kammerboten Erchanger entspricht ja auch den Tatsachen, obgleich auch hier offenbar ¿er ältere Berthold, Erchangers Vater, mit dem jüngeren, seinem Bruder, verwechselt wird. Außerdem sagt Ekkehard ausdrücklich, daß Werner vor der Katastrophe Adalberts gestorben sei. Ob, wenn man Adalbert als Pfalzgrafen betrachtet, auch Werner als solcher anzusehen ist oder ob er es nur seiner Feindschaft gegen die Bischöfe verdankt, daß Ekkehard ihn in diesen Zusammenhang bringt, bleibt eine offene Frage. 102
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schon angedeutet, trifft dieser Ausdruck etwa die Stellung, welche die Provinzialpfalzgrafen einnahmen. Da außerdem Ekkehard mit dieser Bezeichnung Adalbert dem Pfalzgrafen Erchanger gleichstellt, liegt die Vermutung nahe, daß auch Adalbert Pfalzgraf war. Aus dem Besitz der Pfalzgrafenwürde mag sich zum guten Teile die hervorragende Stellung herleiten, die sein, ursprünglich von den Königen begün261 stigtes, Geschlecht in Franken einnahm; und bei seinem Untergang dürfte sie den siegreichen Konradinern zugefallen sein. Diese Vermutung findet eine auffallende Bestätigung darin, daß Sigebert von Gembloux den Konradiner Eberhard als palatinus comes bezeichnet 106 . In Franken scheint danach also das Pfalzgrafenamt mit der Herzogswürde verbunden oder vielmehr diese aus jenem hervorgegangen zu sein. Damit erklärt sich das Fehlen einer fränkischen Pfalzgrafschaft in späterer Zeit. Mit dem Untergang des Herzogtums im Jahre 939 verschwand auch sie. Und ihre Erneuerung mag, soweit sie überhaupt noch jurisdiktioneile und administrative Bedürfnisse zu fordern schienen, als überflüssig angesehen worden sein, besonders deshalb, weil Franken demselben Rechtsgebiet angehörte wie Lothringen und deshalb der lothringische Pfalzgraf auch als Pfalzgraf in Franken erscheinen mochte. Auch in Schwaben scheint die Pfalzgrafschaft die Basis gewesen zu sein, von der aus ein Geschlecht des Landes nach dem Herzogtum strebte. Doch hier erlosch mit dem Untergang Erchangers 917 die Pfalzgrafenwürde nicht. Die neuen Herzöge scheinen sie nicht usurpiert zu haben, was vielleicht darin seine Erklärung findet, daß sie nicht als Feinde von Erchangers Haus auftraten. Die schwäbische Pfalzgrafschaft muß, wie ihr Hervortreten zu Beginn des elften Jahrhunderts beweist, im Verborgenen neben dem Herzogtum weiterbestanden haben. Über die Familienzugehörigkeit der bayrischen Pfalzgrafen im neunten Jahrhundert ist gar nichts Bestimmtes auszusagen. Ob und wie die in Bayern vorkommenden Pfalzgrafen Timo, Fritilo und Meginhard untereinander verwandt waren, ist unbekannt. Und ebenso ungewiß ist, ob das Geschlecht der Liutpoldinger, dem ein Pfalzgraf des zehnten Jahrhunderts, Arnulf, angehörte, etwa mit ihnen verwandt war. Jedenfalls ist nicht ausgeschlossen, daß im zehnten Jahrhundert die Pfalzgrafschaft ähnlich wie das Herzogtum im Hause der Liutpoldinger erblich war; daß 2 6 2 Berthold, der Sohn des 954 gefallenen Pfalzgrafen Arnulf von einer, freilich zweifelhaften, Quelle anscheinend als Pfalzgraf bezeichnet wird, wurde schon erwähnt 1 0 7 . Am wenigsten Anhaltspunkte haben wir für die Beurteilung der Entwicklung, welche die Pfalzgrafschaft in Sachsen genominen hat. Ob sie etwa hier ursprünglich in den Händen der Liudolfinger war, bis dann im zehnten Jahrhundert zur Zeit Ottos I. Herzogtum und Pfalzgrafschaft getrennt wurden, ob sie von Anfang an einem andern Geschlecht angehörte, das wegen der Übermacht der Liudolfinger bedeutungslos blieb, oder ob sie hier gar erst später eingerichtet wurde, ist nicht zu sagen, und die Frage weiter zu verfolgen, erscheint wegen des Fehlens allen Materials müßig. Die Geschichte der Pfalzgrafschaften ist offenbar von Anfang an in den einzelnen Provinzen verschiedene Wege gegangen. Ursprünglich vom Königtum als Vertreter loe
Vgl. oben S. 52 Anm. 57
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Vgl. oben S. 4 9 Anm. 4 1 .
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seiner Interessen eingesetzt, haben die Pfalzgrafen die Verbindung mit der Krone rasch verloren und sich dem Treiben der Territorialpolitik überlassen. Wo sie nicht schließlich selbst als Verfechter des Partikularismus der Stämme auftraten, sind sie ihm zum Opfer gefallen. Im zehnten Jahrhundert ist der Niedergang ihrer Stellung bereits vollkommen deutlich. Als typisch für diese Gestaltung der Dinge können etwa die Erscheinungen in der Geschichte der schwäbischen Pfalzgrafschaft gelten. Um die Mitte des neunten Jahrhunderts ist dort der Pfalzgraf Ruadolt der bevollmächtigte Vertreter des Königs, der das Heer im Dienste des Königs ins Feld führt. Zu Anfang des zehnten Jahrhunderts erscheint der Pfalzgraf Erchanger als Führer der partikularistischen Opposition gegen die Krone. Und in den folgenden Zeiten des zehnten Jahrhunderts ist die Pfalzgrafschaft so bedeutungslos, daß wir von ihren Inhabern ein Jahrhundert lang nichts mehr hören. Diese absteigende Entwicklung der Pfalzgrafschaften seit der Mitte des neunten Jahrhunderts erklärt das merkwürdig blasse Bild, das sie im Zeitalter der Ottonen zeigen. Ihre große Zeit war im neunten Jahrhundert gewesen. Die alte Stellung und die alten Rechte waren im 263 zehnten verloren. Nur noch Schatten davon waren geblieben, die durch die Jahrhunderte fortlebten 108 . >09
lange Ansprüche, die sich auf alte, längst nicht mehr anerkannte und wirksame Rechte stützten, lebendig bleiben konnten, zeigt auch das Schicksal der italienischen Pfalzgrafschaft. Obgleich sie im Jahre 1014 aufgelöst worden war, betrachteten sich doch die Nachkommen ihrer letzten Inhaber, die Pfalzgrafen von Lomello, noch anderthalb Jahrhunderte später als italienische Pfalzgrafen (vgl. Ficker a. a. O. S. 315).
Edmund E. Stengel, Der Stamm der Hessen und das „Herzogtum" Franken* Rezension Historische Zeitschrift, Band 164, 1941, S. 3 7 0 - 3 7 9
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Man kann den Inhalt von St.s Schrift kaum besser wiedergeben, als es St. selbst in einer Selbstanzeige im Deutschen Archiv 4, S. 293 f. getan hat. Ich drucke sie daher hier ab. „Die Chatten kennt man aus der römischen Kaiserzeit als mächtige Vorkämpfer germanischer Freiheit. Ihren Nachfahren aber, den Hessen, wird gemeinhin das eigenständige stammhafte Volkstum abgesprochen; sie gelten politisch, rechtlich, ja selbst völkisch nur als Bestandteil des fränkischen Stammes, der auf allen historischen Karten über das Rhein-Maingebiet hinaus auf das hessische Flußgebiet von Lahn, Eder, Fulda und über Kassel hinaus, selbst der Diemel erstreckt wird. Meine Abhandlung stellt zunächst fest, daß das fränkische Stammland sich von den übrigen Stammeslandschaften Innerdeutschlands als ausgesprochenes Kolonisationsgebiet unterscheidet, und tritt den Beweis an, daß sich ein Stammesherzogtum in diesem Neufranken nicht, wie in den Altstammgebieten des Reiches, ausgebildet hat. Sodann wird, unter Ausmerzung blinder Belege, dargetan, was die vermeintlichen Zeugnisse eines stammfränkischen Charakters Althessens (d. h. vornehmlich Kurhessens) in Wirklichkeit bedeuten: König Heinrich I. ist in Fritzlar, das damals eine königliche Pfalz besaß, nicht auf stamm-, sondern auf reichsfränkischem Boden gewählt worden; daß (Hann.-)Münden und Witzenhausen sich rühmen, auf .fränkischer Erde' zu liegen, ist gleichfalls nur eine Erinnerung an ihren Ursprung auf versprengtem Reichsgut im hessischen Land; und auch das ,fränkische Recht' hessischer Städte ist, wie im thüringischen Mühlhausen, nichts als ein Ausläufer des fränkischen Reichsgedankens. Die Voraussetzung für das Entstehen stammfränkischen Volkstums dagegen ist die fränkische Siedlung. Als deren ,Leitfossilien' nimmt meine Untersuchung für Innerdeutschland wieder nachdrücklich die viel umstrittenen ,heim-Orte' in Anspruch; sie findet sie in Althessen nur in verstreuten Inseln, nördlich des unteren Mains aber massenhaft, ja geschlossen - außer in Richtung auf die obere Werra nur im Raum und Vorfeld des Wetterau-Limes, des römischen Bollwerks gegen die Chatten. Dies ist entscheidend. Denn nur bis in diesen Raum reichen im hohen Mittel* (Festschrift Ernst Heymann I, 1940, S. 1 2 9 - 1 7 4 ) . Auch Sonderausgabe: Weimar, H. Böhlaus Nachf. 1940. IV, 46 S.
E. E. Stengel, Der Stamm der Hessen
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alter auch die das fränkische Stammesgebiet bezeichnenden Francia-Belege der Urkunden. Auf der Stammeskarte der deutschen Kaiserzeit ist also Rheinfranken (Francia occidentalis) umzuzeichnen. Seine nördlichsten Gaue sind Wetterau (später ohne ihren Nordostflügel), Nidda- und Rheingau. Hessen aber ist als eigenständige Stammeslandschaft zu werten, die mit Thüringen der mitteldeutsche Puffer zwischen Nord und Süd im Reich gewesen ist." Es versteht sich von selbst, daß St.s Schrift mit viel Sorgfalt und Scharfsinn gearbeitet ist und auf gründlichster Kenntnis der Quellen und der Literatur beruht. Sie gibt viele Anregungen und stellt schwierige und einer neuen Erörterung längst bedürftige Fragen wieder zur Diskussion. Es ist nicht möglich, hier auf die vielen Bemerkungen und Ergebnisse, die sie zu der Frage Hessen-Franken bietet, und denen man, wie ich glaube, zustimmen muß, im einzelnen einzugehen. Nur zwei Thesen St.s möchte ich genauer besprechen, die für die allgemeine Geschichte von großer Bedeutung sind, und denen ich nicht ganz folgen kann; nämlich die Thesen, daß die Hessen keine Franken, sondern ein selbständiger Stamm waren und daß es kein fränkisches Herzogtum gegeben hat. In beiden Fällen scheint mir St. gezeigt zu haben, daß die unbekümmerte Sicherheit, mit der man im allgemeinen die entgegengesetzte Meinung vertritt, schlecht begründet ist. Aber auch seine eigene Argumentation und ihre Ergebnisse scheinen mir Zweifel zu wecken. Die Hauptschwierigkeiten sowohl der älteren Anschauung wie von St.s Beweisführung scheinen mir mit den Begriffen zusammenzuhängen, die man im allgemeinen und herkömmlich mit den Worten Herzogtum und Stamm verbindet, und die den historischen Tatbeständen nicht ganz gerecht werden dürften. Man gebraucht das Wort Herzogtum, als wenn es sich dabei um eine einigermaßen feststehende und eindeutige Größe handelte. Aber in Wirklichkeit sind die Herzogtümer des 10. Jahrhunderts, die wir kennen, sehr verschiedene und sehr komplizierte Größen gewesen. Der bayrische Herzog Arnulf etwa mit seiner Herrschaft über Kirche und Bischöfc hatte sicher eine viel hervorragendere Stellung als die Herzöge von Sachsen und von Lothringen; und die doch noch verhältnismäßig mächtigen Liudolfinger in Sachsen wieder waren etwas anderes, als ihre Billungischen Nachfolger, die unter den sächsischen Großen nicht viel mehr als primi inter pares waren. Das allen Herzögen Gemeinsame war eine gewisse Führerstellung innerhalb ihrer Herzogtümer. Aber der Inhalt und die Bedingungen dieser Führerstellung waren in 372 den verschiedenen Herzogtümern und zu verschiedenen Zeiten keineswegs gleichartig. Wenn man das berücksichtigt, so wüßte ich nicht, was gegen ein fränkisches Herzogtum Konrads I. und seines Bruders Eberhard einzuwenden wäre. Konrad wird in einem Diplom Ludwig des Kindes dux genannt, und er selbst bezeichnet sich in einer Urkunde aus seiner Königszeit als quondam dux. St. meint, man habe Konrad in der Urkunde Ludwigs den Titel dux gegeben, um ihn von seinem in derselben Urkunde genannten gleichnamigen Vetter zu unterscheiden; wenn er aber tatsächlich Herzog gewesen sei, so habe es sich dabei um das thüringische Herzogtum gehandelt, das 892 schon sein Vater vorübergehend inne hatte. Doch wenn man Konrad von seinem Vetter unterscheiden wollte, so hätte es nahe gelegen und völlig genügt, ihn als filius Cuonradi zu bezeichnen, genauso wie die
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Urkunde den Vetter als filius Eberhardi bezeichnet. Daß sie Konrad dux nennt, spricht dafür, daß die Kanzlei ihn als Herzog ansah. Ein thüringisches Herzogtum dürfte für ihn aber schwerlich in Betracht kommen. Die Quellen sagen davon gar nichts, und trotz ihrer Dürftigkeit ist zu vermuten, daß sie eine Einsetzung Konrads in Thüringen nicht ganz mit Stillschweigen übergangen hätten: ein thüringisches Herzogtum Konrads hätte eine außerordentliche politische Bedeutung gehabt, schon allein infolge der dadurch bedingten verstärkten Rivalität der Konradiner gegen die Liudolfinger. Wenn andererseits St. meint, daß für ein fränkisches Herzogtum Konrads „jeder geschichtliche Ansatzpunkt fehlte", so kann ich dem nicht zustimmen. Die Kämpfe der Konradiner mit den Babenbergern lassen sich doch am besten, wie es stets geschehen ist, als Kämpfe um die herzogliche Stellung in Franken verstehen; und nach dem Untergang der Babenberger spielten die Konradiner in Franken tatsächlich eine Rolle, die sie zu Herzögen prädestinierte. Die Anschauung aber, die St. aus Teilenbachs Buch „Königtum und Stämme" zu übernehmen geneigt ist, daß es vor der Königszeit Konrads in Deutschland überhaupt noch keine Herzogtümer gegeben hat, ist ohne Frage unrichtig. Nun wird zwar, wie St. mit Recht betont, Eberhard in den königlichen Urkunden, die ihn nennen, nicht als dux bezeichnet. Als Argumentum e silentio ist das aber kaum zu verwerten. Die Diplome sind in der Verwendung des Herzogstitels auch für unzweifelhafte Herzöge bekanntlich sehr sparsam, und nach welchen Gesichtspunkten sie ihn gaben oder verweigerten, ist noch recht ungeklärt. Wenn Eberhard jedoch in einer Urkunde Konrads marchio genannt wird (schwerlich von Thüringen), so besagt das, daß er jedenfalls mehr war als ein gewöhnlicher Graf. Nun wird er aber in 37» sämtlichen erzählenden Quellen, die ihn erwähnen, als dux bezeichnet. Es ist zwar richtig, daß diese Quellen erst aus der Zeit nach seinem Tode stammen. Aber daß sie dadurch entwertet werden, wie St. meint, scheint mir nicht richtig zu sein. Einmal finden sich unter ihnen Quellen, wie die Annales Augienses und einige andere, die der Zeit Eberhards noch sehr nahe stehen. Und warum sollen sie und die andern sich geirrt haben? St. meint, sie hätten mit ihrer Terminologie mehr ihrer eigenen als der Zeit Eberhards entsprochen. Aber in der Zeit nach Eberhards Tode gab es kein fränkisches Herzogtum mehr. Wie soll man es dann aus dieser Zeit in die frühere übertragen haben? St. weist schließlich darauf hin, daß Liudprand von Cremona Eberhard nur als cotties potentissimus in Francia bezeichnet. Liudprand zählt die fünf deutschen „Stämme" auf und nennt für jeden den führenden Mann. Dabei bezeichnet er als duces nur Heinrich von Sachsen und Giselbert von Lothringen; Arnulf von Bayern und Burchard von Schwaben nennt er principes; er stuft offenbar ab; so gut wir aber in Arnulf und Burchard trotz Liudprands Ausdruck principes Herzöge sehen, sehe ich keinen Grund, den als comes potentissimus bezeichneten Führer der Franken nicht ebenso zu.behandeln. Man mag aus Liudprands Bemerkung und allem, was wir sonst wissen, folgern, daß das fränkische Herzogtum das schwächste, das unfertigste von allen war. Wenn St. einmal sagt, es habe ein fränkisches Herzogtum „in staatsrechtlich abgeschlossener Form nie gegeben", so ist dagegen wohl nichts einzuwenden. Man muß sich nur darüber klar sein, daß „staatsrechtlich abgeschlossen" das Herzogtum im 10. Jahrhundert nirgends gewesen ist.
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Darüber hinaus die Existenz des fränkischen Herzogtums überhaupt zu leugnen, besteht kein Grund, und Waitz' vorsichtige Formulierung, daß Konrad und Eberhard in Franken eine Stellung einnahmen, „die als herzoglich bezeichnet werden konnte", scheint mir den Tatsachen immer noch am besten gerecht zu werden. Nicht viel anders, doch noch erheblich komplizierter als mit dem Begriff Herzog verhält es sich mit dem Begriff Stamm. Was ist ein Stamm? Man meint im allgemeinen, daß er eine ethnologische, rechtliche, unter Umständen auch sprachliche Einheit darstellt. Aber was gehört wirklich zu seinen unerläßlichen Merkmalen? Die ethnologische Einheit? Nein. D i e Sachsen etwa setzten sich aus recht verschiedenen ethnologischen Gruppen zusammen. Die Einwohner des südlichen Ostfalens standen den Thüringern näher als den Nordalbingiern und Wigmodiern, und diese wieder waren mit den Angeln und Friesen mehr verwandt, als mit vielen ihrer sächsischen Stammesgenossen. Nicht anders steht es mit dem fränkischen Stamme. D i e Franken an der Rheinmündung gehören mit den Friesen und Nordsachsen näher zusammen als mit den Franken an der Mündung des Mains. Muß ein Stamm eine sprachliche 374 Einheit sein? Nein. D i e Grenze des Hochdeutschen gegen das Niederdeutsche geht mitten durch das fränkische Stammesgebiet, von andern unwesentlicheren Sprachgrenzen ganz zu schweigen. Muß er eine rechtliche Einheit sein? Auch das nicht. E s sind uns drei verschiedene Rechte bekannt, die im fränkischen Stammesgebiet galten: sie waren zwar alle drei „fränkische" Rechte und haben sich untereinander näher gestanden als anderen Rechten. Aber wir wissen, daß im Bereich des sächsischen Stammes für einen Gau, den Schwabengau, ein Recht galt, das nicht sächsisch war und offenbar zu den oberdeutschen Rechten engere Beziehungen hatte als zum sächsischen. Zwar sind manche Stämme dem Zustand einer ethnologischen, sprachlichen und rechtlichen Einheit erheblich näher gekommen als die Franken und Sachsen; so vor allem wohl die Thüringer und Friesen. Doch dieser Zustand ist keine Voraussetzung für die Existenz eines Stammes. Was aber macht dann, wenn es so ist, überhaupt das Wesen des Stammes aus? Was ist es, was den Stamm zum Stamm macht? Man wird nur die banale Antwort geben können: verschiedene Ursachen, die bei den verschiedenen Stämmen und zu verschiedenen Zeiten verschieden waren und verschieden wirkten. Die großen deutschen Stämme sind fast sämtlich erst in historischer Zeit, nach dem 2. Jahrhundert entstanden, und wenn wir auch wenig von ihrer Entstehung wissen, so ist doch so viel sicher, daß die meisten von ihnen aus einer größeren Anzahl kleinerer Stämme hervorgegangen sind. E s ist nun, mindestens bei den Sachsen, Franken und Thüringern offensichtlich weder eine sprachliche, noch eine ethnologische, noch eine rechtliche Verwandtschaft gewesen, die diese kleinen Stämme zu einem größeren Ganzen zusammengeführt hat. Was sie zusammenführte, war eine bestimmte politische Entwicklung: Unterwerfung der vielen durch einen Stamm, wie es bei den Sachsen, oder Zusammenschluß von vielen in einer Art Bundesstaat, wie es bei den Franken der Fall gewesen sein dürfte. Mit der Entstehung der Großstämme sind die kleinen Stämme, aus denen sie sich zusammensetzten, nun aber nicht einfach verschwunden. J e jünger der Großstamm war, um so lebendiger dürften sie noch gewesen sein. Sie verkümmerten dann vielfach, und es mögen überall Tendenzen zur Vereinheitlichung des neuen Stammesganzen in ethnologischer, sprachlicher und recht5
Lintzel Bd. II
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licher Hinsicht gewirkt haben; aber restlos sind diese Tendenzen nirgends durchgedrungen (man denke in Sachsen an die Nordschwaben, in Franken an die Chamaven), und an vielen Stellen haben sich im Lauf der Zeit auch wieder Tendenzen zur Verselbständigung und Loslösung von Stammesteilen geltend gemacht (man 375 denke an das Elsaß). War es ein politisches Moment gewesen, das die Stämme einst gebildet hatte, so ist dies Moment mit dem Verlust der Selbständigkeit der meisten Stämme im 6. bis 8. Jahrhundert stärker zurückgetreten. Es wurde ersetzt durch mehr oder weniger deutliche, aus der ehemaligen staatlichen Eigenart resultierende historische Traditionen, bei den meisten Stämmen auch durch das inzwischen ausgebildete Stammesrecht, das später sicher das deutlichste (wenn auch nicht immer unerläßliche) Merkmal des Stammes war; in jedem Fall aber (und das dürfte als Generalnenner für alle Stämme zu betrachten sein), durch ein bestimmtes Stammesgefühl, das vor den Stammesangehörigen und den Fremden den Stamm eben als Stamm bewußt machte. Für unsere Fragestellung ist wesentlich, daß er eine recht komplizierte Größe darstellte, und daß das Wort Stamm, das wir verwerten, durchaus nicht als eindeutiger Begriff zu fassen ist Das Maß der Festigkeit, die Art der Bindungen war in den verschiedenen Stämmen und zu verschiedenen Zeiten sehr verschieden. Dazu kommt noch, daß der Umfang des Stammesgebietes bei allen Stämmen im Laufe der Zeit wechselte; die Grenzen der Sachsen verliefen im 4. Jahrhundert anders als im 6., die der Franken sahen um 300 anders aus als um 500, und anderswo ist es nicht anders gewesen. Hält man sich das alles vor Augen, so wird es auch schwer, an einer scharfen, grundsätzlichen Unterscheidung der Begriffe Stamm und Reich festzuhalten, wie sie in der Literatur meistens üblich ist. Gewiß, es gibt Gebilde, die man mit Sicherheit dem Begriff Stamm, und andere, die man dem Begriff Reich zuordnen kann; niemand wird von einem Reich der Nordschwaben oder von einem karolingischen Stamm sprechen. Aber dazwischen gibt es andere Gebilde, die Übergangserscheinungen zeigen und sich nicht so eindeutig festlegen lassen. Man spricht vom sächsischen Stamm. Aber worin unterscheidet er sich, der die Nordschwaben und Boructuarier unterworfen hatte, der die Hand nach Thüringen ausstreckte, grundsätzlich von einer Erscheinung wie dem fränkischen Reich? Und wenn man genau angeben soll, wo der fränkische Stamm aufhört und das fränkische Reich beginnt, so stößt man auf erheblich größere Schwierigkeiten, als man auf den ersten Blick vermutet. St legt für den Beweis seiner Ansicht, daß die Hessen keine Franken waren, das größte Gewicht auf den ethnologischen Gesichtspunkt Für die Erkenntnis des „stammfränkischen Volkstums" seien in Innerdeutschland die -,heim-Orte" maßgebend ; da sie in Hessen so gut wie nicht vorkommen, so sei Hessen als nichtfränkisch erwiesen. Doch auch wenn man die heim-Orte mit St. als fränkische Siedlungen anzusehen hat, so scheint mir das das Hessen-Problem nicht zu entscheiden. Es ist doch 376 nicht so, daß überall im fränkischen Stammesgebiet die heim-Orte gleichmäßig zu Hause sind. Sie sind im Süden davon zahlreich nur in den Gebieten, die um 500 den Alemannen abgenommen wurden, und dürften, wie St selbst betont, auf die fränkische Kolonisation in diesen Gegenden während der folgenden Zeit zurückgehen. Wenn sie sich in Hessen wenig finden, so beweist das nur, daß dort in dieser Zeit
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die Franken nicht kolonisierten, nicht aber, daß Hessen nicht fränkisch war, so wenig das geringe Vorkommen der heim-Orte in den Ländern der Ripuarier etwas gegen ihre Zugehörigkeit zum fränkischen Stammesgebiet besagt. Tatsächlich braucht man, um die Hessen zu Franken zu machen, eine fränkische Kolonisation in ihrem Gebiet keinesfalls anzunehmen. Wenn sie Franken waren, so sind sie das vermutlich schon seit vorhessischer, chattischer Zeit gewesen, und sie sind Franken geworden nicht durch fränkische Einwanderung, sondern dadurch, daß sie dem „Frankenbund" beigetreten sind, genauso wie das die übrigen Stämme getan haben, aus denen der fränkische Großstamm hervorgegangen ist. Seine übrigen Argumente sieht St. selbst als weniger entscheidend an. Daß die Hessen in der Zeit des Bonifaz den Franken um Worms und Mainz sehr fern gestanden haben, bemerkt er nur nebenbei. In der Tat besagt es kaum etwas gegen den fränkischen Charakter der Hessen; denn auch in Würzburg dürfte man damals den Mainzern nicht viel näher gestanden haben. Auch daß im hohen und späten MA. Hessen offenbar nicht als fränkisch bezeichnet wird, dürfte nichts entscheiden. Der Beweis an sich, daß es so war, scheint mir St. völlig gelungen zu sein, und er ist auch zweifellos für die Beurteilung der spätem Verhältnisse sehr wichtig. Aber eine grundsätzliche Entscheidung in dem Sinne, daß die Hessen von Haus aus ein nichtfränkischer Stamm gewesen sind, scheint er mir nicht herbeizuführen. St. selbst weist darauf hin, daß in späterer Zeit sich der Frankenname auch aus der sicher fränkischen Wetterau zurückzieht; und bekanntlich haben auch die fränkischen Kernlande im salischen und im ripuarischen Gebiet ihren Frankennamen eingebüßt, ohne daß das etwas daran ändern konnte, daß sie einmal fränkisch waren und immer von Nachkommen der Franken bewohnt wurden. Noch wichtiger vielleicht ist die Frage des Rechts. St. meint, daß die Hessen salfränkisches Recht hatten, sei nicht bewiesen. Im übrigen läßt er die Frage, ob sie ein eigenes Stammesrecht hatten, offen. Wenn sich in einzelnen hessischen Ortschaften im hohen und späten MA. fränkisches Recht nachweisen lasse, so beruhe das auf einem besonderen Eindringen dieses Rechts; mit der Stammeszugehörigkeit habe das nichts zu tun. Doch die Meinung, daß das fränkische Recht in hessischen Orten von einem späteren Eindringen herrührt, beruht 377 auf der Voraussetzung, daß in Hessen von Haus aus nichtfränkisches Recht galt. D a diese Voraussetzung ungewiß bleibt, so bleibt auch jene Meinung unsicher. Andererseits wäre die Klärung der Frage, ob das hessische Recht fränkisch oder nichtfränkisch war, für die Beurteilung der hessischen Stammesqualität von der größten Bedeutung, daß sie bisher nicht geklärt ist, muß jeder Untersuchung über diese Stammesqualität den Charakter von etwas Vorläufigem aufdrücken. Auch wenn das hessische Recht nicht salfränkisch ist, so könnte es doch fränkisch sein; es könnte etwa ein fränkisches Sonderrecht wie das der Chamaven sein. Wenn es aber fränkisch wäre, so wäre damit das stärkste Indiz für die Zugehörigkeit der Hessen zu den Franken gegeben. Ja noch mehr. Daß sich in späterer Zeit in einzelnen hessischen Orten fränkisches Recht nachweisen läßt, scheint mir nicht ganz so belanglos zu sein, wie St. meint. Wenn man auch die Frage offen läßt, ob es sich hier um ein späteres Eindringen oder um ein Vorhandensein aus früherer Zeit handelt, so wird man auf jeden Fall sagen müssen: wenn in Hessen fränkisches Recht galt, so könnte das 5*
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mindestens auf ein Übergreifen des fränkischen Stammes auf Hessen hinweisen. Das Recht ist im hohen Mittelalter das wichtigste Merkmal des Stammes; mit der Zugehörigkeit zu einem Stammesrecht war im allgemeinen das Bewußtsein der Stammeszugehörigkeit verbunden. Mar. könnte fast sagen: wenn ein Hesse dem Recht nach Franke ist, so ist er nicht mehr weit davon entfernt, Franke zu sein. Zweifellos hat St. eine Reihe von Argumenten dafür, daß die Hessen Franken waren, beseitigt oder erschüttert. Außer dem, was er über die Ausdehnung des Namens Francia in Hessen sagt, ist beachtenswert (wenn auch nicht ganz überzeugend), was er über das Verhältnis von fränkischer Erde und Reichsgut ausführt. Aber es scheint mir trotzdem noch genug zu bleiben, das uns berechtigt, die Hessen mit leidlich gutem Gewissen zum fränkischen Stamm zu zählen. St. leugnet nicht, daß die Hessen zu den Franken in nahen Beziehungen standen. Er meint, sie seien zur Zeit Chlodwigs unterworfen worden. Sie hätten dann aber nicht zum fränkischen Stamm, sondern nur zum fränkischen Reich gehört, und St. denkt sich ihre Stellung zu den Franken und innerhalb der deutschen Stämme ähnlich wie die der Thüringer. Daß die Hessen erst um 500 politisch mit den Franken vereinigt wurden, läßt sich nicht beweisen. Die alte Ansicht, daß sie schon etwa seit dem 3. Jahrhundert zum Frankenbund gehörten, hat mindestens ebensoviel für sich. Aber wie sich das auch verhalten mag, gerade der Vergleich mit den Thüringern scheint mir zu zeigen, was den Hessen fehlte, und was es uns schwer macht, in ihnen einen selbständigen Stamm 378 zu sehen. Die Thüringer bilden um 500 ein großes Reich. Wir wissen von schweren Kämpfen zwischen ihnen und den Franken. Auch nach ihrer Unterwerfung versuchen sie immer wieder, eine politische Einheit zu bilden und sich selbständig zu machen. Schon im 7. Jahrhundert, unter Radulf, müssen die Franken ein thüringisches Herzogtum anerkennen. Am Ende des 9. Jahrhunderts ist wieder ein Herzogtum in Thüringen im Entstehen begriffen, und noch ums Jahr 1000 erfahren wir von einer thüringischen Herzogswahl. Während aller dieser Jahrhunderte seit ihrer Unterwerfung haben die Thüringer nach eigenem Recht gelebt. Von etwas Ähnlichem ist bei den Hessen nichts zu bemerken. Von einem besonderen hessischen Recht wissen wir wenigstens bis heute nichts. Von einem selbständigen Hessen erfahren wir im früheren MA. nichts. Irgendwelche Tendenzen nach Unabhängigkeit, nach der Bildung eines eigenen Staatswesens, eines Herzogtums oder dergl. sind bis ins hohe MA. nicht zu bemerken. Als sich aber im Anfang des 10. Jahrhunderts ein fränkisches Herzogtum entwickelt, da schließen sich ihm die Hessen ohne weiteres an. Sehr im Gegensatz zu den Thüringern werden die Hessen im frühen MA. von den Quellen im allgemeinen nicht besonders genannt, sondern zu den Fratici orientales, Austrasii usw. hinzugerechnet. Tauchen sie aber wirklich einmal auf, so bezeichnen die Quellen ihr Land gern als pagus. Daß ein unzweideutiges Zeugnis dafür fehlt, daß Hessen ein fränkischer Gau war, scheint mir nicht sehr schwer zu wiegen; das Material ist zu dürftig, und mit anderen Landschaften und Gauen steht es nicht viel besser. Aber einem Beweis scheint es mir mindestens nahe zu kommen, wenn in der Reichsteilungsurkunde von S39 Hessen ebenso wie das Sualafeld und der Nordgau zum ducatus Austrasien gerechnet, während Thüringen als besonderer ducatus erwähnt wird. Und ein gewisser Ersatz scheint mir auch zu sein, daß Konrad I. von Liudprand
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von Cremona als Francorum ex genere oriundus und von den Annales Ratisponenses als Francigena bezeichnet wird: Konrad war bekanntlich in Hessen zu Hause. Wir sahen schon, daß man bei unserer Fragestellung nur schlecht mit festen Begriffen arbeiten kann: die Begriffe Stamm und Reich haben zu fließende Grenzen. Aber wenn man alle Gesichtspunkte berücksichtigt, so wird man doch sagen dürfen, daß die Hessen nicht bloß zum fränkischen Reich gehört haben, wie das bei den Thüringern oder anderen deutschen Stämmen der Fall war. Gewiß, sie mögen sozusagen an der Peripherie des fränkischen Stammes gesessen haben. Aber sie scheinen mir doch Franken gewesen zu sein in etwa demselben Sinne, in dem die Chamaven Franken oder die Nordschwaben Sachsen oder die Elsässer Alemannen gewesen sind. Wenn man andererseits berücksichtigt, daß Stamm und Stammeszugehörigkeit nicht etwas für alle Zeiten Feststehendes sind, sondern daß die Stämme 37 9 ihre Grenzen und ihren Bestand ändern, so läßt sich vielleicht eine Basis finden, auf der man sich mit St. einigen kann. Wenn er meint, in den Karten des hohen MA. (vor allem des spätem!) sei Hessen nicht als fränkisch einzuzeichnen, so wird man dem nach seiner Beweisführung zustimmen können, nur wird man hinzufügen müssen, daß es für die frühere Zeit bis zum 10. Jahrhundert wohl doch dem fränkischen Stammesgebiet zuzuweisen ist.
Heinrich I. und das Herzogtum Schwaben Historische Vierteljahrschrift, Band 24, l . H e f t 1 9 2 7 , S. 1 - 1 7
Im Jahre 919, in dem Heinrich I. gegen Burchard II. von Schwaben zu Felde lag, um ihn zur Anerkennung seines Königtums zu zwingen, wurde der Herzog auch von Rudolf II. von Hochburgund bedrängt 1 . Ob die beiden Könige ein Bündnis geschlossen, ob ihre Züge gegen Schwaben einen Zusammenhang hatten, ja, ob sie nur einigermaßen gleichzeitig stattfanden, ist uns nicht überliefert. Aber man wird annehmen können, daß es die Wirren in Deutschland waren, die Rudolf II. veranlaßten, jetzt wieder die alten burgundischen Eroberungspläne aufzunehmen 2 , und daß dem deutschen König die kriegerischen Verwicklungen des schwäbischen Herzogs nur gelegen kamen. Man hat, was an sich nicht unwahrscheinlich ist, geglaubt, zeigen zu können, daß Heinrich auch in Schwaben selbst Verbündete gefunden hat. Doch die Behauptung von Waitz, daß wenigstens ein Teil des schwäbischen Episkopats an dar Wahl des Königs in Fritzlar teilgenommen habe, läßt sich nicht beweisen 3 ; und die Worte des Hepidannus: Iisdem diebus Burckhardo duce Alaman- 2 norutn bella gerente, populis etiam inter se dissidentibus propter Saxonicum Heinricutn regem factum *, aus denen Waitz auf einen Bürgerkrieg in Schwaben schließen wollte 5 , beziehen sich doch wohl auf die Kämpfe zwischen den deutschen Stämmen und nicht auf Streitigkeiten innerhalb eines Stammes. Wäre das gemeint gewesen, so hätte Hepidannus sicher populo inter se dissidente geschrieben. Es gelang Burchard bekanntlich, den König von Hochburgund in der Schlacht bei Winterthur zu schlagen 6 . Mit Heinrich dagegen scheint es überhaupt nicht, minde1
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Vgl. G. Waitz, Jahrbücher d. deutschen Reiches unter König Heinrich I., 3. Aufl. 1 8 8 5 , S. 4 2 ff. Waitz stellt übrigens die beiden Angriffe auf Schwaben als zusammenhanglos dar. Schon 9 1 1 oder 9 1 2 war ein burgundischer Einfall in Schwaben erfolgt. Vgl. A . Hofmeister, Deutschland u. Burgund im früheren Mittelalter, 1 9 1 4 , S. 35. Waitz a. a. O. S. 38. Die von Waitz angeführte Bemerkung des Continuator Reginonis (ed. F. Kurze, SS. rer. Germ, in us. schol. 1 8 9 0 ) beweist nichts für eine Anerkennung durch die Schwaben oder durch einen Teil von ihnen schon in Fritzlar, und Widukind versteht unter Franken nicht, wie Waitz annimmt, alle außersächsischen Deutschen. Vgl. H. Breßlau, Aufgaben mittelalterlicher Quellenforschung, Straßburger Universitätsschrift 1 9 0 4 , S. 47, Anm. 2. Vita S. Wiboradae, SS. IV, S. 453, Anm. 14. Waitz, S. 38, Anm. 3, meint selbst, daß man „diese W o r t e allenfalls auch von den verschiedenen Stämmen Deutschlands verstehen könnte". a. a. O. S. 38 u. 43. Die S. 43, Anm. 2 erwähnten Stellen über die Behandlung der Kirchengüter beweisen nichts für einen Konflikt schon 9 1 9 .
« W a i t z a. a. O., S. 42 f.
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stens nicht zu bedeutenden Kämpfen gekommen zu sein. Widukind berichtet darüber: Hic (Burchard) cum esset bellator intolerabilis sentiebat tarnen, quia valde prudens erat congressionem regis sustinere non posse, tradidtt semet ipsum ei cum universis urbibus et pepulo suo 7 . Welche Folgen der Frieden mit Heinrich etwa für den burgundischen Krieg gehabt hat, ob erst nach ihm die Schlacht bei Winterthur möglich wurde, ja, wie der Krieg endete, wissen wir nicht. Ebenso ist unbekannt, wieweit der Vertrag mit Heinrich durch die Kriegslage gegen Burgund beeinflußt wurde. Doch liegt es nahe, den Grund dafür, daß der König 919 Schwaben gegenüber so rasch und scheinbar ohne Schwertschlag zum Ziele kam, in dem Angriff des burgundischen Königs und dem Wunsche Burchards zu suchen, gegen ihn freie Hand zu haben. Über die Bedingungen, unter denen sich die Unterwerfung Burchards vollzog, läßt sich aus den Worten Widukinds so gut wie nichts folgern. Und die rechtlichen Grundlagen, auf denen in den nächsten Jahren die Beziehungen des schwäbischen Herzogs zum deutschen König basierten, lassen sich nur sehr dürftig und undeutlich aus einigen wenigen Nachrichten ermitteln. Sicher ist wohl bloß, daß Heinrich in 3 Schwaben als König anerkannt wurde, und daß diese Anerkennung hier mehr zu bedeuten hatte, als etwa die zwei Jahre später in Bayern erfolgte. Darüber lassen Widukinds Worte keinen Zweifel, der im Gegensatz zu dem, was er von Arnulfs Unterwerfung erzählt 8 , bei Burchard von einem freundlichen Empfang durch den König und Benennung als amicus regis nichts weiß. Diese Darstellung Widukinds scheint völlig bestätigt, wenn man sieht, daß in schwäbischen Privaturkunden aus der Zeit Burchards fast durchgängig nach Regierungsjahren des Königs datiert wird, während in Bayern nur eine Privaturkunde den Namen Heinrichs nennt 9 . Die Verfügung über das Königsgut in Schwaben hat der neue Herrscher offenbar bekommen oder behalten: 920 hat er einem Vasallen Burchards eine Verleihung daraus gemacht 10 . Reichlich unklar bleibt, wie das Verhältnis von König und Herzog zur schwäbischen Kirche war. In einer Urkunde vom 6. Januar 924 spricht Burchard, nachdem er alte kaiserliche Diplome eingesehen hat, einer Kirche bestimmte Einkünfte z u 1 1 : Der Herzog bestätigt königliche Verleihungen. Er beruft sich dabei in der Urkunde auf die licentia regis. Ob es sich bei dieser licentia um eine einmalige Vereinbarung oder um eine allgemeine Regelung handelt, ist nicht gesagt. Aber man möchte an das letzte denken, wenn man berücksichtigt, daß aus der RegierungszeitBurchards nicht ein einziges Diplom Heinrichs für eine schwäbische Kirche vorhanden ist, daß man sich dagegen auch in anderen Fällen, als in dem in der Urkunde vom 6. Januar 924 erwähnten, mit Sachen an den Herzog gewandt hat, die man sonst gern vor den König brachte. So erfahren wir aus einer Urkunde vom 8. März 920, daß unter Burchards Vorsitz ein Streit zwischen St. Gallen und dem Bischof von Chur 7
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Widukindi rer. gest. Saxon. libri tres, I, cap. 27, ed. K. A. Kehr, SS. rer. Germ, in us. schol. 1904. [1935 hrsg. von P. Hirsch und H.-E. Lohmann.] 9 Vgl. Waitz a. a. O., S. 248 f. Widukind a. a. O.
DHI 2.
Siehe Urkundenbuch der Stadt und Landschaft Zürich, 1. Band, bearbeitet von J . Escher u. P. Schweizer, 1888, Nr. 188.
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um die Abtei Pfaefers entschieden wurde 1 2 . In einer ähnlichen Angelegenheit urteilte der Herzog nach einer Urkunde aus dem Jahre 926 zugunsten des Klosters Waldkirchen 13 . Es sieht nach alledem so aus, als wenn Heinrich wenigstens einen Teil des Regiments über die schwäbische Kirche an Burchard abgetreten habe, ja, als wenn die Verfügung über das Kirchengut dem Herzog zugestanden hätte. Wäre das aber richtig, so läge die Vermutung nahe, daß Burchard - dem Eigenkirchenrecht entsprechend - auch die, sonst vom König ernannten, Vorsteher der Kirchen bestellt hat. Doch ein sicheres Urteil ist bei der Dürftigkeit der Quellen unmöglich. Wer zwischen 919 und 926 die Reichsklöster in Schwaben besetzt hat, ist unbekannt. Von Ernennungen schwäbischer Bischöfe in der in Frage kommenden Zeit sind wir nur über die Udalrichs von Augsburg 923 näher unterrichtet. In seiner Vita Oudalrici schreibt Gerhard darüber: Machinatione nepotis sui Burchardi ducis et aliorum propinquorum suorurn Heinrico regi praesentatus ... und weiter: rex .. .in manus eum accepit munereque pontificatus honoravit u . Danach setzte Heinrich den Bischof ein, der vom Herzog präsentiert war. Doch es ist gar nicht ausgeschlossen, daß der Verfasser der Vita das zu seiner Zeit geltende Recht mit der Erinnerung daran verquickt hat, daß Udalrich sein Bistum von Burchard erhielt. Wie aber auch die rechtliche Lage gewesen sein mag, tatsächlich waren die Beziehungen zwischen dem König und dem schwäbischen Herzogtum sehr locker. Es ist schon erwähnt, daß bis 926 keine Urkunde Heinrichs für ein kirchliches Stift in Schwaben vorhanden ist; ebensowenig für einen Laien, außer dem bereits erwähnten Diplom für einen Vasallen Burchards, das also eine Gunstbezeigung für diesen darstellt 1 5 . Für die Besetzung der Bistümer war, wie das Beispiel Augsburgs 923 zeigt, der Wille des Herzogs, nicht der des Königs maßgebend 1 6 . Auf der von Heinrich 922 nach Koblenz berufenen Synode war von den schwäbischen Bischöfen ein einziger anwesend, und es ist bezeichnend, daß es der war, dessen Bistum dem eigentlichen Machtbereich des schwäbischen Herzogs am fernsten lag: Richwin von Straßbürg 1 7 . Burchard hat sich, soweit wir sehen, am königlichen Hofe einmal eingefunden: im November 920 auf dem Hoftag in Seelheim 1 8 . Sollte sich etwa in diesem Besuch ein engeres Abhängigkeitsverhältnis zum König aussprechen, so dürfte dies bald ein Ende gefunden haben, und zwar durch eine Schwenkung der schwäbischen Politik. Im Jahre 922 hat Burchard seine Tochter Bertha mit Rudolf von Hochburgund vermählt 1 9 . In demselben Jahre rückte Rudolf in Italien ein 2 0 , wo er zunächst vermutlich diplomatisch, vier Jahre später bekanntlich auch militärisch von seinem Schwiegervater unterstützt wurde 2 1 . Es scheint sich bei dieser Verbindung nicht um 12
Siehe Urkundenbuch der Abtei St. Gallen, III, bearb. von H. Wartmann 1 8 8 2 , N r . 7 7 9 .
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Siehe Codex diplomaticus Alemanniae, hrsg. von P. T . Neugart, I, 1 7 9 1 , N r . 7 1 4 .
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Gerhardi vita S. Oudalrici, SS. IV, S. 3 8 7 , vgl. Waitz a. a. O., S. 75. D H I 2.
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Um so mehr, als Heinrich sehr wenig daran liegen konnte, das Herzogshaus durch den Augsburger Bischofsstuhl noch zu stärken. 1 8 Siehe D H I 2 ; vgl. W a i t z a. a. O., S. 5 0 f. Siehe Const. I, N r . 4 3 4 . Siehe W a i t z a. a. O., S. 65. Vgl. R. Poupardin, L e royaume de Bourgogne, Paris 1 9 0 7 , S. 4 0 . Siehe W a i t z a. a. O., S. 84.
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eine Vereinbarung zu handeln, die einseitig zugunsten Rudolfs erfolgt 22 . E r dürfte bei dieser Gelegenheit auf seine Absichten gegen Alemannien verzichtet haben, der Druck an der schwäbischen Südwestgrenze hörte auf. Das Bündnis mit Rudolf mußte Burchards Stellung stärken, und tatsächlich ist, soweit wir sehen, die Macht des Herzogs um 922 und in den folgenden Jahren besonders groß und selbständig gewesen. Burchards Stellung in Schwaben kennen wir so gut wie ausschließlich aus seinen Beziehungen zur schwäbischen Geistlichkeit. Er lebte bekanntlich in der Erinnerung des Klerus als sein Bedrücker fort. Die Verfasser der Vita Wiboradae 2 3 und der Miracula S. Verenae 2 4 sowie Ekkehard IV. von St. Gallen 25 und Hermann von Reichenau 20 beweisen das zur Genüge. In welcher Zeit der Herrschaft Burchards seine Gewalttaten gegen die Kirche geschehen sind, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. 6 Es mag sein, daß sie seine ganze Regierung durchdauerten. Aber es ist doch bezeichnend, daß die beiden einzigen Episoden daraus, über die wir besser unterrichtet sind und die wir datieren können, ins Jahr 922 und die Jahre danach fallen. Zu 922 berichtet Hermannus Contractus: Liudhardus a Burghardo duce, oppresso Heriberto, Augiae praepositus, et fratres in exilium missi sunt 27 . Und Ekkehard IV. und Hartmann, der Verfasser der Vita Wiboradae, erzählen von einer Verfolgung des Abtes Engelbert von St. Gallen 28 , der vielleicht 924, wahrscheinlich 925 gewählt worden ist 2 9 . Man hat freilich darauf hingewiesen, daß gerade in seinen letzten Jahren Burchard sich doch auch besser zur Kirche gestellt hat 30 . Zurzach hat er, angeblich auf ein Wunder der heiligen Verena hin, restituiert 31 . Die Bestätigung von Kirchengütern 924 32 , sowie eine Entscheidung zugunsten des Klosters Waldkirchen 926 3 3 wurden schon erwähnt. Auch darauf, daß sich Burchard in die Gebetsgemeinschaft von St. Gallen aufnehmen ließ, hat man Gewicht gelegt s i . Gewiß, aber gerade St. Gallen gegenüber hat er sich dadurch nicht hindern lassen, alle möglichen Wertgegenstände zu erpressen und zu behalten 35 , und man hat ihm denn auch dort ein iibles Andenken über den Tod hinaus bewahrt 3 6 . Von einem Umschwung in Burchards Kirchenpolitik oder gar von einem Zurückweichen vor dem Klerus kann sicher nicht die Rede sein. E r hat gerade in seiner letzten Zeit die Kirche mit Willkür behandelt; wenn er auf der einen Seite gab, so hat er auf der anderen genommen. Diese Gewaltherrschaft des Herzogs über die Geistlichkeit hatte ihre Bedeutung nicht nur für die innerschwäbischen Verhältnisse. Sie mußte, da die Kirche sich immer 22
Sonst hätte ihm Burchard kaum seine Tochter gegeben. D a ß das Bündnis von seiner Seite freiwillig war, zeigt sich vor allem darin, daß er auch 926 Rudolf beistand, als dieser in Italien auf Schwierigkeiten stieß. 23 SS. IV, S. 453 f. » SS. IV, S. 457 f. 25 Ekkeharti (IV.) Casus sancti Galli, cap. 50, hrsg. von G. Meyer von Knonau in: St. Gallische Geschichtsquellen, III, 1877. 27 ss " SS. V, S. 112. a. a. O. a. a. O. 59 Annales Sangallenses maiores 924, SS. I, S. 78; vgl. zur Datierung Poupardin, S. 372. 3a 31 Siehe Waitz a. a. O., S. 44 f. Miracula S. Verenae a. a. O. 31 36
Siehe oben S. 74, Anm. 11. Waitz a. a. O., S. 44, Anm. 7. Ekkehart, cap. 50.
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Siehe oben S. 75, Anm. 13. Vita S. Wiboradae cap. 26 u. 27, SS. IV, S. 453 f.
Heinrich I. und das Herzogtum Schwaben
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als Reichskirche fühlte, auch die Stellung zum Könige berühren. In der Tat haben wir Nachrichten, die darauf hindeuten. Ekkehard IV. erzählt: Purchardus . . . Engilbertum abbatem primo militibus suis petivit; postea utique, quod cum rege Saxonico sentiret, insimulatunt, ¡(¡uaecumque loca sancti Galli sui rapere vellent, patienter tulit 37 . Man hat die Richtigkeit dieser Nachricht b e z w e i f e l t D o c h sie wird durch eine Aufzeichnung der Annales Sangallenses maiores 39 vorzüglich beglaubigt. Dort heißt es zum Jahre 924 (in Wahrheit wohl 925): Engilbertus abbas efficitur, und zum Jahre 925 (in Wahrheit 926), nachdem der Tod Burchards und der Ungarneinfall erzählt sind: Engilbertus abba ab Heinrico rege abbatiam suatn suscepit. Dies letztere fand vermutlich, worauf D H I 12 hindeutet, im November 926 in Worms statt. Der von den St. Galler Annalen verzeichnete Zeitraum zwischen der Wahl Engelberts und seiner Einsetzung durch den König findet offenbar seine Erklärung durch das, was Ekkehard erzählt. Herzog Burchard hat den Abt verfolgt, er hat ihn zweifellos bis zu seinem Ende verhindert, mit dem König in Verbindung zu treten, und zwar quod cum rege Saxonico sentiret. Es liegt nahe, dieses Einverständnis mit dem ..sächsischen König" in der Absicht Engelberts zu sehen, sich von Heinrich investieren zu lassen, was zu Burchards Lebzeiten, ob mit oder ohne rechtliche Begründung wissen wir nicht, verhindert und erst nach seinem Tode ausgeführt wurde. Alles in allem sieht man deutlich, daß das kirchenfeindliche Vorgehen des Herzogs auch seine Spitze gegen die Krone hatte. Heinrich I. scheint nichts dagegen getan zu haben. Wenigstens bis 924 muß er sich mit Burchard äußerlich nicht schlecht gestanden haben. Er ließ es Ende 923 geschehen, daß das wichtigste schwäbische Bistum an einen Verwandten des Herzogshauses kam 40 , und die in der Urkunde vom 6. Januar 924 erwähnte licentia regis zu Burchards Bestätigungsakt 41 läßt sich doch nur verstehen, wenn die Beziehungen des Herzogs zum König ungetrübt waren.
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Ende April 926 ist Herzog Burchard in der Nähe von Novara umgekommen 42 . Als seinen Nachfolger in Schwaben setzte König Heinrich den Franken Hermann ein, » einen Vetter Herzog Eberhards 4 3 . Man bezeichnet die Bedeutung dieses Ereignisses nur sehr unvollständig, wenn man sagt 4 4 , daß es dem König gelang, an die Stelle eines widerspenstigen Herzogs einen ihm ergebenen zu setzen. Es handelte sich um mehr als um einen der Krone günstigen Personenwechsel. Die eigentümliche Stellung, welche die Herzöge zu Beginn des 10. Jahrhunderts in der Verfassung des Reiches einnahmen, beruhte zum größten Teil auf der Unabhängigkeit ihrer Einsetzung vom Königtum. Als Repräsentanten des Partikularismus der Stämme waren sie aufgekommen. Die Nachfolge im Herzogtum wurde, vielleicht auf den Landtagen, jedenfalls immer innerhalb der Stämme, als reine Stammesangelegenheit geregelt. Nur über wenige Fälle liegen deutlichere Nachrichten vor. ,T 33 39 40 42 44
Ekkeh., cap. 50. Siehe Waitz a. a. O., S. 38, Anm. 3 u. S. 44, Anm. 4; Meyer von Knonau, S. 190. Siehe oben Anm. 29. Vgl. auch Ekkeh., cap. 51. 41 Siehe oben S. 75, Anm. 14. Siehe oben S. 74, Anm. 11. 43 Vgl. Waitz a. a. O.. S. 84 . ebenda, S. 91. Wie, soviel ich sehe, allgemein geschieht.
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So hat Arnulf von Bayern 935 seinen Sohn Eberhard zu seinem Nachfolger ernannt und die bayrischen Großen ihm Treue schwören lassen 45 . König Heinrich selbst war 912 wahrscheinlich von den Sachsen zum Herzog gewählt 46 , und 936 hat er vero mutlich seinen Sohn Otto zum Nachfolger auch im Herzogtum wählen lassen 47 . In Schwaben hat man 911 wahrscheinlich auf einem Landtag über Burchards I. Anspruch auf das Herzogtum verhandelt 48 , er wurde verworfen. Auf welchem Wege 917 Burchard II. zur Herrschaft gelangte, wissen wir nicht genau. Aber zweifellos im Einverständnis mit seinem Stamm, denn gerade das schwäbische Herzogtum hat sich so deutlich wie möglich im Gegensatz zur Krone befunden. Jedenfalls hören wir nirgends von einem Ernennungsrecht des Königs. Von den bisherigen Herzogserhebungen war die Hermanns im Jahre 926 grundsätzlich verschieden. An die Stelle eines durch den Willen des Stammes erhobenen einheimischen Fürsten trat ein vom König eingesetzter stammfremder Beamter. Die Selbständigkeit des schwäbischen Herzogtums war damit vernichtet, Schwaben dem Reiche unterworfen. Daß dem wirklich so war, wird durch alle Nachrichten, die wir aus der folgenden Zeit über das Herzogtum Schwaben besitzen, völlig bestätigt. Aus den Jahren nach Burchards Tode stammen die ersten Diplome Heinrichs I. für schwäbische Kirchen. Am 3. November 926 hat er dem Bischof von Chur eine Ortschaft geschenkt 49 , am 4. November St. Gallen seine Rechte bestätigt 50 . Auch später hat er für schwäbische Stifter geurkundet 51 . Die von Burchard verhinderte Verbindung des alemannischen Klerus mit dem König wurde jetzt geknüpft. Der Abt von 43
40
47
4S
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50
Annales Juvavenses maximi 935. Hrsg. von E. Klebel, in Mitteilg. d. Ges. f. Salzbg. Landeskunde 61, 1921, S. 38 = SS. XXX, S. 743. Vita Mathildis ant. cap. 4, SS. X, S. 576. Waitz a. a. O., S. 19, Anm. 3 heißt: „V. Math. c. 4.: Principes quoque regni consilium ineuntes tractabant, quis beroum principatum teneret. At ipsi prioris non immemores gratiae, ipsum illum filium elegere ducem. Nam et armis Saxonum erat fortissimus. Nicht von einer Wahl der Sachsen, der Sächsischen Fürsten, kann hier die Rede sein, wie Giesebrecht I, S. 193 u. Löher S. 138 sagen; die Saxones stehen im Gegensatz zu den principes regni." Regmim bedeutet aber ebensogut wie das deutsche Reich einen Stamm. Bezöge der principatus des Nachsatzes sich nicht auf das regnum des Vordersatzes, so brauchte er noch eine nähere Bezeichnung; da die fehlt, sollen doch wohl die principes regni dieselben sein wie die, über die der principatus bestehen soll. Wieso die Saxones im Gegensatz zu den principes regni stehen, ist nicht einzusehen. Waitz interpretiert freilich (im Text) den letzten Satz: „Durch die Waffen der Sachsen sei der Herzog stark gewesen." Er soll doch aber wohl bedeuten: „Auch an Waffentüchtigkeit war er der erste der Sachsen". So aber paßt er ausgezeichnet. Denn er setzt offenbar als Selbstverständlichkeit voraus, daß ein Sachse gewählt wurde, was aber bei einer Wahl durch die Fürsten des Reiches durchaus nicht gesagt gewesen wäre. Hinzu kommt, daß die Nachricht, der sächsische Herzog sei von den deutschen Fürsten gewählt worden, unbedingt zu verwerfen wäre, während die, daß die Sachsen ihn erhoben hätten, durchaus annehmbar ist. [Vgl. dazu unten S. 283 ff.] Vgl. M. Lintzel, Die Beschlüsse der deutschen Hoftage von 911 bis 1056 (Histor. Studien, hrsg. von Ebering, Nr. 161, 1924), S. 47 [hier nicht aufgenommen. Bibliogr. Nr. 1], Vgl. E. Dümmler, Gesch. d. Ostfränk. Reiches, III, 2. Aufl. 1888, S. 569 f. Die Ann. Alam. 911, SS. I, S. 55 schreiben injusto juäicio. D H I 11. (Nachdem er schon im August einen Priester Baldmunt in Kempten freigelassen hatte, D H I 10.) 51 D H I 12. D D H I 15 u. 19.
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St. Gallen hat seine Investitur von Heinrich erhalten 5 2 . D i e schwäbischen Bischofswahlen zur Zeit Hermanns I. kennen wir noch schlechter als die unter Burchard. Doch scheint auf die einzige Wahl, über die wir etwas wissen, auf die Konrads von Konstanz 934, der Herzog keinen Einfluß gehabt zu haben 5 i . W i e es mit dem Einsetzungsrecht des Königs stand, ist nirgends gesagt, doch es ist als ganz sicher anzunehmen, daß es galt. D a ß der schwäbische Episkopat jetzt in ganz anderer Weise als zur Zeit Burchards in der Reichskirche aufgegangen war, zeigt die Erfurter Synode von 932. Auf ihr waren drei, also fast sämtliche schwäbischen Bischöfe zugegen, während die bayrischen noch immer ausnahmslos fehlten 5 4 . W i e nach 926 das Herzogtum in Schwaben der Kirche gegenüber seine Ansprüche aufgeben mußte, so war es jetzt auch mit seiner selbständigen Politik zu Ende. Von Unternehmungen Hermanns wie denen Burchards gegen Burgund und Italien hören wir nichts. Und in dem Kampfe, der zu Beginn der Regierung Ottos T. zwischen der Krone und den Herzögen um die Grundlagen der herzoglichen Macht ausbrach, ist allein Hermann von Schwaben immer auf der Seite des Königtums geblieben: in Schwaben war dieser Kampf bereits 926 entschieden.
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Über die Umstände, unter denen sich damals dieser Wandel dort vollzog, schweigen die gleichzeitigen Chronisten völlig. Doch kann man sich durch Schlüsse und Kombinationen wohl ein einigermaßen detailliertes Bild davon machen. D i e Einsetzung Hermanns ist sicher auf oder kurz nach dem Hoftag erfolgt, der Anfang November in Worms versammelt und hauptsächlich von schwäbischen Großen besucht war 5 3 . D e r Herzog scheint mindestens erst gegen Schluß der Tagung ernannt zu sein, denn in den beiden Urkunden, die in Worms ausgestellt worden sind 5 6 , wird sein Name noch nicht genannt, obwohl es nahe gelegen hätte, ihn als Intervenienten zu erwähnen 5 7 . Das deutet darauf hin, daß der Erhebung Hermanns längere Verhandlungen vorangegangen sind, was ohnedies anzunehmen wäre. In D H I 11, das in Worms ausgestellt ist, wird ein Ruodulfus rex als anwesend angeführt. Man nimmt heute wohl allgemein an, und es kann als sicher gelten, daß dieser Ruodulfus rex nicht König Rudolf von Frankreich, sondern Rudolf II. von Hochburgund w a r 5 8 . Mit diesem Aufenthalt Rudolfs II. am königlichen Hofe in Worms hat Hofmeister die Erwerbung der heiligen Lanze durch Heinrich I. und 52 53
Siehe oben S. 7 7 . Nach den bei Waitz a. a. O., S. 164, Anm. 6 erwähnten Quellen wurde er durch den Einfluß Udalrichs von Augsburg Bischof.
54
Vgl. Const. I, N r . 2. Vertreten waren Straßburg, Konstanz, Augsburg, es fehlte also, da Basel damals zu Burgund gehörte, nur Chur.
53
Außer dem Abt von St. Gallen sind nur die Bischöfe namentlich bekannt: Richwin von Straßburg, W a l d o von Chur (aus DHI- 11 u. 12), vielleicht auch Noting von Konstanz und Udalrich von Augsburg (vgl. W a i t z a. a. O., S. 89, und Böhmer-Ottenth. 13 a), also vielleicht alle schwäbischen Bischöfe außer Basel.
50
D D H I , 11 u. 12.
57
Hermann von Reichenau
erwähnt die Einsetzung Hermanns unmittelbar nach der Wormser
Versammlung, SS. V , S. 1 1 3 ; vgl. W a i t z a. a. O., S. 91, Anm. 1. 58
Vgl. A. Hofmeister, Die heilige Lanze, ein Abzeichen des alten Reichs. 1 9 0 8 , S. 16, auch ders.: Deutschland und Burgund, S. 36, Anm. 1.
n
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die Abtretung eines Teiles von Schwaben mit Basel an Burgund in Verbindung gebracht 59 . Hofmeister hat nachgewiesen B0 , daß von allen Berichten, die wir über diese Ereignisse haben, maßgebend allein der Liudprands von Cremona ist, da alle anderen auf ihn zurückgehen. Er hat weiter gezeigt, daß alle Datierungen dieser Vorgänge durch mittelalterliche Quellen willkürlich sind und daß, da Liudprand kein Datum gibt, die Erwerbung der heiligen Lanze uns undatiert überliefert ist. Hofmeister hat, wie gesagt, als Termin dieser Erwerbung den Wormser Hoftag 926 vermutet. Dieser Hypothese hat Hugelmann jede besondere Wahrscheinlichkeit bestritten 6 1 , er hält sie für möglich, aber für nicht wahrscheinlicher als andere Annahmen auch, während Hofmeister in einer späteren Äußerung ihr doch „einige Wahrscheinlichkeit" zubilligen möchte 6 2 . Die Liudprandstelle, um die es sich handelt, lautet in den hier wesentlichen Sätzen folgendermaßen 6 3 : Burgundionum rex Roduljus, qui nonnullis annis Italicis imperavit, lanceam ïllatn a Samson comité dono accepit. . . . Harte igitur Constantini Magni, sanetae filii Helenae . . . fuisse adfirmant.. . . Heinricus itaque rex, ut erat Dei timens totiusque religionis amator, audito Rodulfum tarn inaestimabile donum habere caeleste, nuntiis directis temptavit, si praemiis aliquibus id posset adquirere. ... Quod cum rex Rodulfus modis omnibus se numquam hoc acturum ediceret, rex Heinricus, quia mollire hune muneribus non potuit, minis terrere magnopere curavit. 12 Omne quippe regnum eius caede atque incendiis se depopulaturum esse promisit. Quia vero, quod petebatur, munus erat, quo caelestibus terrea deus conjunxerat, lapis scilicet angularis faciens utraque unum, Rodulfi regis cor emollivit )ustoque regi justa juste petenti cominus tradidit. Neque enim pace praesente simultati locus erat. Nam et eo, qui bis crucifixus est, a Pilato ad Herodem properante, facti sunt amici in illa die, qui prius inimici erant ad invicem. Quarvto autem amore rex Heinricus praefatum inaestimabile donum aeeeperit, cum in nonnullis rebus, tum in hoc praesertim claruit, quod non solum eo dantem se auri argentique muneribus, verum etiam Suevorum provinciae parte non minima honoravit... Bei der Verwertung dieses Berichtes hat Hofmeister eine Stelle für belanglos oder unglaubwürdig gehalten, nämlich die Bemerkung, daß Heinrich Rudolf durch eine Kriegsdrohung zur Herausgabe der Lanze zwingen wollte 6 4 . Man hat aber keinen Grund, sie ganz zu verwerfen. Dadurch, daß die übrigen von Liudprand in diesem Zusammenhang gemachten Angaben offenbar Glauben verdienen, wird doch auch sie gestützt. Gewiß erscheint es zunächst ungereimt, daß Heinrich die Auslieferung der Lanze, die er nachher mit einer Landabtretung und vielen Geschenken bezahlte, erst durch eine kriegerische Geste zu erpressen versucht haben soll. Aber gerade diese 59
Die heilige Lanze, S. 16 f. D a ß Basel zu der Abtretung gehörte: Hofmeister, Deutschland und Burgund, S. 3 6 f.
90
Die heilige Lanze, S. 10
62
I n : Deutschland und Burgund, S. 36, Anm. 1.
ff.
6i
Liudpr. antapod. IV, 2 5 . (Die Werke Liudprands von Cremona, hrsg. von J. Becker, SS. rer. Germ, in us. schol. 1 9 1 5 . )
84
Die heilige Lanze, S. 8 f. u. 16 f.
61
M I Ö G . , Bd. 32, S. 2 1 4 .
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logische Ungereimtheit, die in einer erdichteten Erzählung unmöglich stehen könnte, scheint mir zu beweisen, daß Liudprand auch hier nach den Tatsachen schildert Seine Worte zeigen zudem deutlich, daß ihm selbst dabei nicht recht wohl zu Mute war: Um alle Einwendungen zu beschwichtigen, nimmt er ein Wunder zu Hilfe 0 5 . Nur wird man, wenn man die von Liudprand berichtete Kriegsgefahr als historisch betrachtet, von vornherein die Möglichkeit zugeben, daß die Kriegsdrohung statt von Heinrich von Rudolf ausging, je nachdem, ob man die Erwerbung der heiligen Lanze oder die Erwerbung Basels für wertvoller hält. Es ist klar, daß in Liudprands Erzählung, der die heilige Lanze in den Vordergrund rückt, eine Dro- 13 hung, die in Wahrheit Rudolf aussprach, Heinrich zugeschoben werden mußte, was nicht einmal als eine bedeutende Verdrehung der Tatsachen erscheint, wenn man bedenkt, daß auf die Absichten des Burgunders der deutsche König vermutlich mit Kriegsvorbereitungen antwortete, von denen Liudprand am deutschen Hofe mehr erfahren haben mag als von den Ursachen, auf die sie zurückgingen. Aber ganz abgesehen davon: der Wert der heiligen Lanze ist vielleicht doch nicht so gering anzuschlagen, wie es Hofmeister tut 6 6 . Gerade nach dem, was er selbst über ihr Wesen als Konstantinslanze und über die Wirksamkeit der Konstantinserinnerungen zu Beginn des 10. Jahrhunderts sagt 6 7 , kann es doch kaum einem Zweifel unterliegen, daß sich in ihr mindestens für den burgundischen Hof, wenn auch sicher nicht staatsrechtlich, so doch ideell, Ansprüche auf das Erbe Konstantins, also auf Italien mit dem Kaisertum verkörperten. Danach wird man auch die Bedeutung, welche die Lanze für Heinrich I. haben mußte, einschätzen. Außer 926 kommen nach Hofmeister als Jahre, in denen sich deutsch-burgundische Beziehungen nachweisen lassen, und denen man daher Liudprands Erzählung einordnen könnte, noch 922 und 935 in Betracht 6 8 . Man könnte noch 919 hinzufügen. Gegen 919 und 922 spricht, wie Hofmeister bemerkt, daß nach Liudprand Rudolf die Lanze Continus an Heinrich übergeben hat, was auf eine persönliche Überreichung deutet, während wir von einer Zusammenkunft der Könige in den beiden Jahren nichts wissen, sie auch nicht wahrscheinlich machen können. Sodann scheinen die Worte: Rodulfus, qui nonnullis annis Italicis imperavit, lanceam illam ... accepit doch am natürlichsten verstanden zu werden, wenn man annimmt, daß Liudprand u 65
" 67
Noch dazu ein Wunder, das gar nicht zu der Art der sonst von Liudprand der Lanze zugeschriebenen Wunderkraft paßt. In der Schlacht bei Birten, von deren wunderbarer Entscheidung L. bei der Beschreibung der Lanze ausgeht, erweist sie sich als siegverleihend und durchaus nicht als friedestiftend wie in Worms. (Antap. I V , cap. 2 4 . ) D i e heilige Lanze, S. 17. „Der König von Burgund suchte mit dem Geschenk Stimmung zu machen für die Erreichung seiner politischen Ziele." Vgl. auch S. 2 5 . a. a. O . S. 18 ff. Gewiß hat Heinrich die Lanze kaum als Symbol deutscher Ansprüche auf Italien und das Kaisertum gebraucht, sie ist das, wie Hofmeister betont, in der folgenden Zeit nicht gewesen. E r hat sie bloß als Symbol der burgundischen Ansprüche an sich genommen, ohne sich ihrer weiter zu bedienen, was ihm bei dem sicher nicht unbestrittenen W e r t der Lanze geraten scheinen mochte. Für Heinrichs Ansichten über Italien beweist dies Verfahren aber doch immer noch genug: wenn er die angeblichen Rechte der anderen aus der W e l t schaffte, so blieben die deutschen Ansprüche allein bestehen.
68
a. a. O., S. 13 ff.
6
Lintzel Bd. II
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damit sagen wollte, Rudolf habe die Lanze während seiner Herrschaft in Italien, also nach 922 erhalten 6 9 . Endlich aber verbietet, was auch schon Hofmeister andeutet 7 0 , die politische Situation von 919 und 922, Liudprands Bericht auf diese Jahre zu beziehen. 919 so wenig wie 922 war Heinrich in der Lage, Rudolf einen Teil Schwabens abzutreten, da das Land fest in der Hand Burchards war. 919 war der Herzog gegen Rudolf siegreich und 922 verbündete er sich mit ihm. Zudem ist das Bestehen einer Kriegsgefahr zwischen Heinrich und dem König von Burgund im Jahre 919 mehr als unwahrscheinlich, weil beide faktisch im Kampf gegen Burchard Bundesgenossen waren. 922 nicht weniger, weil ein Krieg Heinrichs gegen den mit Schwaben verbündeten Rudolf aussichtslos sein mußte und ein Krieg Rudolfs gegen Heinrich, der die Eroberung des seinem Schwiegervater gehörigen Landes zum Ziele hatte, sinnlos war. 935 ist der burgundische König mit dem deutschen zusammengekommen 7 1 . Gegen die Verlegung der Liudprandstelle auf dieses Jahr läßt sich nur sagen, daß wir dann für die dort erzählten Ereignisse durchaus keinen Anknüpfungspunkt hätten 7 2 , die von Liudprand berichteten Verwicklungen müßten gleichsam aus heiterem Himmel erfolgt sein. Dagegen läßt sich seine Darstellung zwanglos dem Jahre 926 einordnen; etwas anders zu motivieren, als Liudprand es tut, ist ihm gegenüber ja erlaubt. Es wäre merkwürdig, wenn Rudolf II. 926 nicht versucht haben sollte, seine alten Pläne gegen Schwaben durchzusetzen. Seine Absichten auf den Süden, auf Italien, waren eben gescheitert. Um so mehr Aussichten schienen sich ihm jetzt wieder im Norden zu bieten. Burchard war tot und der schwäbische Stamm führerlos, Rudolf konnte seine Forderungen zudem mit Erbansprüchen seiner Gemahlin legitimieren. Es erfolgten, wie aus Liudprand hervorgeht, zwischen ihm und dem deutschen 15 Könige, der jetzt die deutsche Politik im Südwesten zu führen begann, Verhandlungen, in denen Heinrich die Auslieferung der heiligen Lanze verlangte. Wer die Verhandlungen eröffnet hat, wer zuerst seine Ansprüche anmeldete, wessen Forderung als Kompensation für die des anderen gedacht war, ist nicht festzustellen und auch ziemlich gleichgültig. Das Ergebnis war die Zusammenkunft in Worms, die Auslieferung der Lanze und die Abtretung Basels. Es ist wohl keine Frage, daß Heinrich diesen Verlust hätte verhindern können, wenn er ernstlich gewollt hätte: Rudolf war schon 919 dem schwäbischen Stamm allein gegenüber unterlegen und die eben in Italien erlittene Niederlage wird auch nicht zur Stärkung seiner Macht beigetragen haben. Aber Heinrich I. lag offensichtlich mehr als an Basel an dem, was er dafür eintauschte. Das schwäbisch-burgundische Bündnis wurde zerrissen, an Stelle des schwäbischen Herzogs trat der deutsche König in enge Beziehungen zu Hochburgund. Mit der Auslieferung der Lanze war doch wohl der Verzicht Rudolfs auf 69
Waitz a. a. O., S. 6 6 f. ist anderer Ansicht. E r verlegt die Erwerbung auf 9 2 2 . Ebenso Poupardin, a. a. O., S. 32. Danach war Burchard völlig der Unterlegene, trotz des Sieges von Winterthur: E r gab die Tochter, einen Teil von Schwaben und unterstützte Rudolf in Italien. Das läßt sich weder mit Burchards damaliger Stellung, wie oben gezeigt, und mit seinem Verhältnis zu König Heinrich, noch mit Liudprands Bericht vereinen.
70
Wenigstens für 9 2 2 , Die heilige Lanze, S. 15.
72
Vgl. Hofmeister, Die heilige Lanze, S. 16 f. [Vgl. dazu auch hier S. 85 ff.]
71
Vgl. W a i t z a. a. O., S. 166.
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seine italienischen Ansprüche verbunden und damit wohl auch die Anerkennung einer gewissen, formellen Oberherrschaft des deutschen Königs. Nach 926 hat sich Rudolf so wenig wie der Herzog von Schwaben in die italienischen Händel gemischt. Mit der Abtretung Basels erlangte Heinrich die Freundschaft des Burgunders, der jetzt dem geschädigten schwäbischen Stamme gegenüber auf die Hilfe des Königs angewiesen war und dem jede Schwächung des alemannischen Herzogtums willkommen sein mußte. Zugleich wurde der widerspenstige Stamm selbst durch den Verlust eines Gebietsteils empfindlich getroffen. Doch Heinrich hat sich 926 nicht bloß mit seinem alten Verbündeten von 919 geeinigt. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre mußte dem Klerus in Schwaben die Wiederkehr eines herzoglichen Regiments von der Art Burchards unerträglich sein, an der Neuregelung der Verhältnisse mußte er das größte Interesse haben. Der schwäbische Episkopat war denn auch in Worms fast vollzählig vertreten 7S . Aus den dort ausgestellten Urkunden geht, wie schon erwähnt, hervor, daß zwischen ihm und dem König freundliche Beziehungen bestanden. Ihre Kosten hat das Herzogtum zahlen müssen. Mit einer anderen Macht, der unter Umständen an der Umwälzung in Schwaben und an einem Übergewicht des Königs in Süddeutschland wenig gelegen war, stand oder stellte sich Heinrich damals offensichtlich gut: mit Arnulf von Bayern. Darauf dürfte eine Urkunde vom August 926 hinweisen, in der ein Wunsch des Herzogs erfüllt wurde 7 4 . Es mag auch sein, daß nach den Ereignissen vom Frühjahr 926 Arnulf, der, wie sich später zeigte, selbst Absichten auf Italien hatte 7 5 , ein Einschreiten des Königs gegen den westlichen Nachbarn nicht ungern sah, das dessen italienische Pläne unmöglich machte. Jedenfalls war Schwaben im November 926 isoliert und gezwungen, die Besetzung seines Herzogtums der Krone zu überlassen. Es ist nicht richtig, wenn, wie immer geschieht, gesagt wird, Heinrich I. habe sich auf Sachsen beschränkt und auf eine wahre KönigsgewaTt in Süddeutschland bewußt verzichtet, er habe sich Deutschland gewissermaßen als Staatenbund gedacht Gewiß, verzweifelte oder doch bedenkliche Kämpfe, wie sie Konrad I. und Otto I. um die Niederwerfung der Herzöge geführt haben, hat er vermieden. Aber er hat, indem er 926 den geeigneten Augenblick geschickt und gründlich ausnützte, fast mühelos dasselbe erreicht, was sein Sohn 938 bis 940 nach den größten Gefahren, nun allerdings mit einem Schlage in drei Herzogtümern erreicht h a t Die Ziele seiner Politik gegenüber den deutschen Stämmen waren im Grunde die gleichen wie die Ottos des Großen, nur die Mittel und das Tempo der Ausführung waren verschieden. Auch in der äußeren Politik dürfte er im wesentlichen dasselbe erstrebt haben wie später sein Sohn. Die Tatsache und die Art der Eingliederung Burgunds in die deutsche Einflußsphäre scheinen mir ein besonderes Licht auf den heißumstrittenen Bericht Widukinds über Heinrichs geplanten Römerzug 76 zu werfen. Mit der Anleh73 71
75
Vgl. DHI nicht 935,
oben S. 79, Anm. 55. 10. Eine Intervention Arnulfs für einen Kleriker des Klosters Kempten, also ein vielleicht ganz zufälliges Zeichen für ein Interesse des Herzogs an Schwaben. 75 vgl. Waitz a. a. O., S. 166 f. Widukind I, 40.
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nung Hochburgunds an Deutschland war wenigstens zum Teil die Flankendeckung für einen Einmarsch in Italien gegeben. Gleichgültig, ob bei dieser Anlehnung bei 7 reits der Gedanke an eine italienische Politik mitspielte oder ob sie ihn wachrief, sie war eine Etappe auf dem Weg dahin. Der Anspruch des deutschen Königs auf die heilige Lanze, sowie die Tatsache, daß Schwaben und Hochburgund sich in den Jahren nach 926 von Italien fernhielten, machen es wahrscheinlich, daß Heinrich sich den Süden reservieren wollte. Darauf dürften auch einige andere Momente aus späterer Zeit hinweisen. Nach Widukind fiel der Plan des Römerzuges in die letzte Zeit des Königs. 934 ist Arnulf von Bayern in die Lombardei eingefallen, um seinem Sohn die Krone zu verschaffen 77 . Er handelte sicher nicht im Einvernehmen mit Heinrich. Waren 926 mit der Erwerbung der Lanze tatsächlich Ansprüche des deutschen Königs auf Italien ausgedrückt oder angedeutet, so mußte Arnulfs Zug als ein Affront gegen ihn wirken. Zudem ist wahrscheinlich, daß sich Heinrich mit dem Gegner des Herzogs in Italien, Hugo von Niederburgund, gut stand 78 . Arnulfs Zug scheiterte. Wie der König sich 926 nach der Niederlage des schwäbischen Herzogs in dessen Stellung in der äußeren Politik drängte, so mochte es verlockend für ihn sein, jetzt auch Bayern gegenüber das gleiche zu tun und aus dem Schiffbruch in Italien für sich zu sammeln. Es ist auffällig, daß 935 Arnulf seinem Sohn vom bayrischen Adel Treue schwören ließ 79 . Fürchtete er für den Bestand seines Hauses in Bayern? Wollte er einem Schicksal seines Herzogtums vorbeugen, das dem des schwäbischen von 926 ähnlich war? Im gleichen Jahre 935 hat Heinrich I. eine Zusammenkunft mit den Königen von Frankreich und Hochburgund gehabt 8 0 . Auch das deutet auf Pläne von europäischer Bedeutung hin. 77 7f 70
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Ann. Juvav. max., 934, vgl. oben S. 78, Anm. 45. Waitz a. a. O., S. 1 6 7 . Liudprands Bemerkungen III, 21 u. 4 8 sind freilich undatiert. Siehe oben S. 78, Anm. 45. Vgl. H. Breßlau, Die ältere Salzburger Annalistik. Abhandig. d. preuß. Ak. d. Wiss. 1 9 2 3 , Phil.-hist. K l . Nr. 2, S. 6 1 . Waitz a. a. O., S. 1 6 6 . Der Bericht Flodoards über die Verhandlungsgegenstände (vgl. Waitz, S. 1 6 6 , Anm. 2) beweist natürlich nicht, daß nicht noch mehr, als er erzählt, zwischen den Königen besprochen worden ist. Er zeigt aber auf jeden Fall, daß Heinrich daran lag, im Westen ruhige Verhältnisse zu schaffen, was die Voraussetzung für einen Aufbruch nach Italien war.
Zur Erwerbung der heiligen Lanze durch Heinrich I. Historische Zeitschrift, Band 171, 1951, S. 3 0 3 - 3 1 0
Bekanntlich erzählt Liudprand von Cremona, daß Otto I. in der Schlacht bei Birten infolge der Wunderwirkung der heiligen Lanze, vor der er bei dem bedenklichen Stande des Gefechts im Gebet niedergesunken sei, den Sieg errungen habe 1 . Im Zusammenhang damit gibt der Italiener eine ausführliche Beschreibung der Lanze, und er berichtet, daß Heinrich I. sie einst von Rudolf II. von Hochburgund erworben, dem er dafür nach Angeboten von Geschenken und Geldzahlungen und nach Kriegsdrohungen einen Teil Schwabens (sicher Basel und Umgebung) abgetreten habe. Mit den aus diesem Bericht sich ergebenden Fragen, die in der Forschung schon öfter mehr oder weniger gründlich behandelt sind, befaßt sich Walther Holtzmann in einer vor drei Jahren erschienenen Schrift 2 , auf die ich hier etwas genauer eingehen möchte, als es sonst in einer Besprechung üblich ist. Die Schrift zerfällt, nach einer Einleitung, in fünf Abschnitte. Der erste erörtert die Frage, ob mit der von Liudprand beschriebenen Lanze das bekannte zu den Reichsinsignien gehörende Lanzenblatt identisch ist, das sich früher in Wien befand (wo ist es jetzt?). W. H. meint, die vielfach anerkannte These Weixlgärtners (Jahrb. der kunsthistor. Samml. in Wien NF. I, 1926, S. 15 ff.), die die Identität bejahte, sei zu bestreiten (S. 8), und er kommt dann nach der Vorführung verschiedener Verbesserungs- und Interpretationsversuche von Liudprands nicht gerade klarer und verständlicher Beschreibung zu dem Resultat, daß die Stelle bei Liudprand „so korrupt" sei, weil „er selber keine genaue Vorstellung von dem Gegenstand selbst" hatte (S. 12). Nach dieser mehr antiquarischen Angelegenheit bespricht der erste Abschnitt noch die besonders durch Höflers bekannte Expektorationen akut gewordene Frage, ob es sich bei der Lanze um eine Reliquie oder um ein Herrschaftssymbol gehandelt habe. W. H. meint auf S. 12, Liudprand kenne nur ihren Charakter als Reliquie oder Reliquienträger, und auf S. 17 etwas vorsichtiger, für Liudprand sei sie in erster Linie 304 Reliquie. Er sagt dabei, Liudprands Deutung der Lanze als Konstantinsspeer (nach L. hat ursprünglich Konstantin d. Gr. die Lanze besessen) habe ihren Ursprung „im 1
1
Vgl. Antapodosis IV, cap. 24 f. in D i e Werke Liudprands von Cremona, SS. rer. Germ, in us. schol., hrsg. von J. Becker (1915), S. 117 ff. König Heinrich I. und die hl. Lanze, Kritische Untersuchungen zur Außenpolitik in den Anfängen des Deutschen Reiches. Bonn, Universitätsverlag 1947, 64 S.
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Umkreise der auf die Erneuerung des Kaisertums lossteuernden imperialen Gedankenwelt des Hofes Ottos d. Gr.", kaum aber schon in der Zeit Heinrichs I. und Rudolfs II. (S. 17). Im zweiten Abschnitt wird die von Hofmeister (Die heilige Lanze, 1908 und Deutschland und Burgund im früheren Mittelalter, 1914) mit einiger Wahrscheinlichkeit angenommene und von mir (Histor. Vierteljschr. 24, 1927 [hier S. 73 ff.]) bestimmter behauptete und begründete Datierung der Erwerbung der Lanze und der Abtretung von Basel auf das Jahr 926 zurückgewiesen. Der dritte Abschnitt unternimmt es, den von Hofmeister verworfenen Vertrag Hugos von Italien und Rudolfs von Burgund im Jahre 933, in dem (nach Liudprand) Rudolf für den Verzicht auf seine italienischen Ansprüche Hugos Besitz oder Machtsphäre in Burgund eingetauscht haben soll, zu retten. Der vierte Abschnitt datiert den Lanzenerwerb, nachdem im zweiten das Jahr 926 dafür abgelehnt war, im Anschluß an Robert Holtzmanns Darstellung in seiner Geschichte der sächsischen Kaiserzeit auf das Jahr 935 um: er sei auf dem „Dreikönigstag" von Ivois erfolgt, wo sich Heinrich mit den Königen von Frankreich und Burgund traf. Im fünften Abschnitt schließlich kommt W. H. noch einmal auf die Frage zurück, ob die heilige Lanze ein Herrschaftsspeer oder eine Reliquie war, und er betont, indem diesmal freilich auch für Heinrichs Zeit eine gewisse staatsrechtliche Bedeutung zugegeben wird, den Charakter der Lanze als Reliquie; als solche vor allem sei sie für den primitiven und wundergläubigen Heinrich I. erstrebenswert gewesen. Bei der Dürre der Quellen, mit denen man in der von W. H. behandelten Zeit zu tun hat, ist es begreiflich, daß seine Untersuchung oft sehr ins einzelne geht und manchmal ein etwas umständliches und außerdem hypothesenreiches Aussehen annimmt. Trotzdem ist sie durchweg flüssig und anregend geschrieben, und ich habe sie überall gern gelesen (auch da, wo mir W. H., nicht gerade selten, etwas am Zeuge flickt). Viele seiner Einzelbeobachtungen scheinen mir auch nützlich und richtig zu sein; aber seinen Resultaten kann ich doch nur teilweise, den wesentlichen überhaupt nicht zustimmen, und bekehrt hat er mich nirgends. Was zunächst die Frage anlangt, ob die von Liudprand beschriebene Lanze in der Wiener Reichsinsignie wiederzufinden ist, so hat W. H. sicher recht, wenn er Diskrepanzen zwischen Liudprands Beschreibung und dem Wiener Lanzeneisen findet (er 305 hätte diese Diskrepanzen sogar noch schärfer betonen können, da bei L. von mehreren Nägeln die Rede ist, während man an dem Wiener Exemplar höchstens einen entdeckt); und es mag auch richtig sein, daß Liudprands „korrupte" Darstellung daher kommt, daß er selber keine genaue Anschauung von der Sache hatte, die er beschrieb. Aber wenn es so ist, so würde doch gerade das unbewiesen bleiben, was W. H. beweisen will, nämlich daß Liudprands Lanze nicht die Wiener ist; gibt der Italiener eine verkehrte Beschreibung der zu seiner Zeit vorhandenen heiligen Lanze, so bleibt recht gut möglich, daß sie in Wirklichkeit mit dem Wiener Stück übereinstimmte. Ich halte denn auch, was ich hier im einzelnen nicht erörtern kann, für das Wahrscheinlichste, daß die Wiener Lanze die alte von Heinrich I. erworbene Reliquie ist; wobei übrigens gar nicht nötig ist, daß sie heute noch genauso aussieht wie vor tausend Jahren: sie mag inzwischen einige Veränderungen und Reparaturen erfahren haben.
Zur Erwerbung der heiligen Lanze durch Heinrich I.
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In dem, was W. H. im ersten und fünften Abschnitt seiner Abhandlung über die Frage sagt, ob die Lanze als Herrschaftssymbol oder als Reliquie anzusehen ist, wird man ihm ohne weiteres zugeben, daß in den modernen Forschungen und Darstellungen die religiösen Gesichtspunkte und Motive der mittelalterlichen Menschen zugunsten „realpolitischer" Erwägungen häufig zu kurz kommen, und daß man gut tut, auch für Heinrich I. einen einigermaßen naiven und massiven Wunder- und Reliquienglauben anzunehmen (wobei übrigens zu sagen ist, daß der moderne Unglaube auf diesem Gebiet meist nicht weniger naiv und massiv ist). Sicher war die Lanze Reliquie, und sie galt nicht nur für Liudprand, sondern auch für Heinrich I. und Otto I. als Reliquie. Aber das schließt nicht aus, daß sie auch Herrschaftssymbol war, und die Frage Reliquie oder Herrschaftssymbol scheint mir falsch gestellt. Die Lanze war eben beides, und gerade weil sie Reliquie war, war sie Herrschaftssymbol. Wenn W. H. (freilich etwas schwankend) die letztere Bedeutung der Lanze erst der Zeit Ottos I. zuschreibt, so halte ich das für sehr unwahrscheinlich. Die Lanze war aus Italien gekommen, offenbar als Ermunterung für Rudolf II., dort einzugreifen, und sie wies von ihrem ersten Auftauchen an, jedenfalls seit der Zeit Heinrichs I. (was auch W. H. nicht bestreitet) Nägel vom Kreuze Christi auf; also galt sie vermutlich von Anfang an als Lanze Konstantins d. Gr., des „Wiederentdeckers" des hl. Kreuzes; und daß eine heilige Lanze, die Konstantin d. Gr. besessen hatte, ein imperiales Herrschaftssymbol war, versteht sich von selbst - wobei man natürlich über ihren Wert und ihre Wirksamkeit verschiedener Meinung sein konnte und kann. Mit dem eigentlichen Thema W. H.s steht das, was er im dritten Abschnitt über den umstrittenen italienisch-burgundischen Vertrag von 933 sagt, nur in einem in- 3os direkten Zusammenhang, und wenn er (S. 47 f.) meint, der Vertrag sei die Voraussetzung für den Lanzenhandel, insofern als erst durch den Verzicht Rudolfs auf Italien die Lanze „frei und anderweitig verfügbar" wurde (hier ist sie also anscheinend mehr Herrschaftssymbol als Reliquie), so kann ich dem nicht zustimmen. Auch wenn Rudolf noch Ansprüche auf Italien erhob, ja dann erst recht, konnte er von Heinrich veranlaßt werden, das Symbol (oder vielleicht besser: ein Symbol) dieser Ansprüche auszuliefern. Doch wie dem auch sei, über den Vertrag von 933 und die südburgundischen Verhältnisse dieser Zeit finden sich bei W. H. viele beachtenswerte Bemerkungen. Nur von einer wirklichen Widerlegung Hofmeisters scheint mir keine Rede zu sein. Man mag seine These, wie wohl meist geschieht, für nicht sehr wahrscheinlich halten; aber die Behauptung W. H.s, daß der Vertrag von 933 „nicht zu bezweifeln sei", scheint mir angesichts der Quellenlage im allgemeinen und besonders angesichts der fragwürdigen Zuverlässigkeit Liudprands und des Schweigens resp. der widersprechenden Angaben Flodoards zu weit zu gehen. Die für W. H.s Thema wichtigsten Abschnitte sind der zweite und der vierte: der Versuch der Widerlegung der Datierung des Lanzenerwerbs auf 926 und seine Umdatierung auf 935. Wenn W. H. zunächst den früher, z. B. von Waitz angenommenen Termin 922 mit Hofmeister und der gesamten neuern Forschung ablehnt, so dürfte das richtig sein; nur ist nicht richtig, wenn er meint, Hofmeister habe sich bei seiner Ablehnung das wichtigste Argument entgehen lassen,-nämlich, daß nach Liudprand Rudolf die Lanze
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Heinrich cominus übergab (was 922 nicht in Betracht kommt); tatsächlich hat Hofmeister dies Argument längst gebracht, und ich habe es wiederholt. Nicht weniger unrichtig aber scheint mir alles zu sein, was W. H. gegen 926 vorbringt. Sein Hauptargument ist, daß für die von Liudprand berichteten Verhandlungen Heinrichs mit Rudolf die „kurze Spanne eines halben Jahres" (vom Ende der italienischen Unternehmung Rudolfs, Ende April, bis zum Wormser Reichstag, Anfang November, wo die Zusammenkunft der beiden Könige stattfand) nicht ausreichte. (Die allgemeine Ansicht, daß es sich bei dem in Worms anwesenden König Rudolf um den burgundischen und nicht um den französischen Rudolf handelte, stützt W. H. übrigens mit guten Gründen.) Aber warum, selbst wenn man Liudprand so wörtlich nimmt, wie W. H. es tut (wozu keine Veranlassung besteht), um diese Verhandlungen zu führen, siebenmal die Strecke zwischen Genf und Merseburg von einem Boten oder einer Gesandtschaft überwunden werden mußte, ist unerfindlich: statt des umständlichen und sinnlosen Frage- und Antwortspiels, das W. H. annimmt, könnte der Wunsch nach der Auslieferung der Lanze, das Angebot der munera und im Falle der Ablehnung die Kriegsdrohung sehr wohl auf einmal abgemacht worden sein. Eine willkürliche Annahme ist weiter, daß sich Heinrich I. 926 dauernd im östlichen Sachsen, in Merseburg, aufgehalten habe, und daß ein Bote (oder eine Nachricht) am Tage nicht mehr als 30 km habe zurücklegen können. (Völlig unmöglich ist die Folgerung aus DD Ol 14 und 15 vom 21. und 27. September 937, daß man damals am sächsischen Hofe noch nichts von dem um den 12. Juli erfolgten Tode Rudolfs II. gewußt, daß also die Übermittlung einer Nachricht von Burgund nach Ostsachsen sogar mehr als elf Wochen gebraucht habe: sieht man sich die beiden Diplome genauer an, so merkt man sofort, daß der darin erwähnte Rudolf II. der Kanzlei genauso als verstorben bekannt sein konnte wie der gleichfalls erwähnte Heinrich I.) Nicht besser steht es mit W. H.s Meinung, daß infolge des Ungarntributs Heinrich 926 nicht in der Lage gewesen sei, Rudolf munera anzubieten und zu zahlen. Wir wissen weder wie groß die (übrigens fragwürdigen) munera noch wie groß die Ungarntribute waren, und es ist eine etwas kühne Behauptung, daß diese den deutschen König plötzlich arm wie eine Kirchenmaus gemacht haben; trotz der schönen Rede, die Widukind Heinrich I. vor der Schlacht bei Riade in den Mund legt und aus der W. H. u. a. diese Verarmung schließen will, hat man 932 auf der Erfurter Reichssynode von der Bevölkerung eine Kopfsteuer von einem Denar erhoben; und daß sowohl die Bevölkerung wie vor allem die Kirche 933 noch über genug Mittel verfügte, geht gerade aus Heinrichs Rede hervor (wenn man überhaupt mit solchen mehr als unsicheren Zeugnissen operieren will). W. H.s Ansicht, daß der Ungarneinfall vom Frühjahr 926 sowohl den deutschen wie den burgundischen König für den Rest des Jahres aktionsunfähig gemacht habe, ist gleichfalls mehr als unwahrscheinlich. Die Ungarneinfälle waren sehr lästig, aber sie verwüsteten doch nur einzelne Landstriche, und zu offenen Schlachten und Niederlagen ist es meistens, und so auch 926, nicht gekommen. Außerdem waren im Herbst, als sich Heinrich mit Rudolf auseinandersetzte, die Ungarn seit etwa einem halben Jahr verschwunden; und schließlich hat es sich, wenn sich die deutsch-burgundischen Beziehungen 926 so abwickelten, wie ich es mir denke, um eine im ganzen recht friedfertige und wenig anstrengende Politik gehandelt.
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Auf seine übrigen Argumente scheint W. H. selbst weniger Gewicht zu legen. Jedenfalls beweisen sie gleichfalls nichts. So die selbst unbewiesene und ganz unwahr- 308 scheinliche Ansicht, daß Heinrich I. vor 926 von Burgund nichts gewußt und erst auf dem Wormser Reichstag etwas von der heiligen Lanze gehört habe (eine Ansicht, die auf einem bei der Quellenlage unmöglichen Argumentum e silentio beruht); weiter, daß man den anerkannt unzuverlässigen und gern fabelnden Liudprand (weil er unsere einzige Quelle ist) völlig wörtlich zu nehmen habe, daß 926 burgundische Ansprüche auf Teile von Schwaben und Ansprüche Heinrichs auf die heilige Lanze unverständlich seien, daß es unbegreiflich sei, warum Heinrich 926 vor dem eben in Italien unterlegenen Rudolf „kapituliert" habe (indem er ihm Basel abtrat) usw. Ich kann das alles hier nicht im einzelnen durchsprechen und will nur kurz sagen, warum mir bei der Annahme, daß der Lanzenerwerb und die Abtretung Basels ins Jahr 926 gehören, nach wie vor alles in bester Ordnung zu sein scheint. Daß Rudolf II. seine Ansprüche auf Teile von Schwaben, nachdem er sie 919 vergeblich verfochten hatte, nicht völlig aufgab, ist keine Frage: das ergibt sich daraus, daß er sie irgendwann, gleichgültig ob 926 oder 935, eben mit der Erwerbung von Basel, durchsetzte. Diese Ansprüche aber gerade 926 zu erheben, lag für ihn ein sehr triftiger Grund vor: im April dieses Jahres war der Herzc^ Burchard von Schwaben vor Novara umgekommen, und da Rudolf mit seiner Tochter verheiratet war, so konnte er seine Gebietsforderungen mit Erbansprüchen (wenn auch noch so zweifelhafter Natur) legitimieren, ganz abgesehen davon, daß die mit dem Tod des Herzogs eintretende politische Krise des schwäbischen Stammes seine alten Wünsche wieder aufleben lassen mußte. Auf der anderen Seite Heinrich I. Bis 926 war Schwaben reichlich selbständig gewesen; nach dem Tode Burchards wurde auf dem Wormser Reichstag im November 926 diese Selbständigkeit gebrochen, indem der König den landfremden Hermann als Herzog einsetzte; es scheint mir ein naheliegender Gedanke zu sein, daß Heinrich, um die Unterwerfung Schwabens zu erreichen, sich mit Rudolf von Burgund verständigte und den schwäbischen Stamm schwächte, indem er an den Burgunder Basel abtrat; wobei die Frage offen bleiben kann, ob man diese Abtretung als Kompensation für die Auslieferung der heiligen Lanze oder diese als Kompensation für die Abtretung Basels anzusehen hat. Daß nach dem Zusammenbruch der schwäbisch-burgundischen Politik in Italien und der Liquidierung einer selbständigen schwäbischen Außenpolitik überhaupt (vielleicht auch der burgundischen) sich der König die als Herrschaftssymbol über Italien geltende Reliquie ausliefern ließ, ist leicht verständlich (aber auch, wenn sie bloß Reliquie, wie 309 W. H. meistens meint, und nicht zugleich Herrschaftssymbol war, wäre an ihrer Auslieferung im Jahre 926 nichts Verwunderliches). Wenn demgegenüber W. H. den Lanzenhandel ins Jahr 935 verlegt, so führt er (abgesehen von seinen Einwänden gegen 926) als Grund dafür an, daß Heinrich erst jetzt, nämlich nach dem Zusammenbruch der bayrischen Politik in Italien, angefangen habe, selbst an Italien zu denken, und also an dem imperialen Herrschaftssymbol Interesse hatte. Jedenfalls war das, was Heinrich nach W. H. 935 für die Abtretung Basels eintauschte, allein die Lanze; einen politischen Sinn, wie man ihn für 926 aufzeigen kann, hatte die Abtretung davon abgesehen nicht; und im übrigen
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erscheint die Lanze in diesem Zusammenhang durchaus als Symbol der Ansprüche auf Italien Daß Heinrich nach der Niederlage des bayrischen Herzogs 935 an eine Art Kaiserpolitik gedacht haben dürfte, habe ich früher (a. a. O.) selbst betont, und das halte ich auch jetzt für nicht unwahrscheinlich. Aber daß deshalb erst 935 und nicht schon 926, nach der schwäbisch-burgundischen Katastrophe, die heilige Lanze Heinrichs Interesse erregte, ist in keiner Weise gesagt. Die bayrisch-italienischen Auseinandersetzungen von 934 hatten sich abgespielt, ohne daß die Lanze dabei eine Rolle spielte, wie das bei den schwäbisch-burgundisch-italienischen Auseinandersetzungen von 926 der Fall gewesen war: sie war sozusagen antiquiert. Und wenn Heinrich 935 an eine italienische Politik dachte, wieso schließt das aus, daß er schon 926 vorbereitende Schritte in derselben Richtung tat? Der Zusammenbruch der schwäbischen Italienpolitik war dafür kein schlechterer Anlaß als der der bayrischen neun Jahre später. LTnd daß Heinrich seine Politik sehr behutsam trieb und seine Maßnahmen von langer Hand vorbereitete, kann man immer wieder beobachten; man denke etwa an sein Verfahren in der lothringischen oder in der Ungarnpolitik. Doch auch, wenn man sich nur an den Reliquiencharakter der heiligen Lanze hält, wird W. H.s Option für 935 nicht plausibler. Man mag Heinrich I. noch soviel Wunder- und Reliquienglauben zubilligen, die Tatsache, daß er unter unsern frühund hochmittelalterlichen Königen einer der nüchternsten Rechner war und daß er trotz aller selbstverständlichen Frömmigkeit und Kirchlichkeit kirchlichen Dingen verhältnismäßig reserviert gegenüberstand (nicht etwa nur in der Salbungsfrage), bleibt bestehen. Nun hatte Rudolf trotz des Besitzes der heiligen Lanze in Italien eine entscheidende Niederlage erlitten und seine Politik aufgeben müssen: die Lanze hatte sich (vom Herrschaftssymbol ganz zu schweigen) nicht gerade als siegverleihende Reliquie bewährt. Soll man Heinrich wirklich zutrauen, daß er aus keinem andern Grund, als um sie zu besitzen, einen Teil Schwabens opferte? So begehrt Reliquien waren, und so großen Wert auch die deutschen Könige des Mittelalters auf ihren Besitz legten, eine so hohe und vor allem eine so politisch gefärbte und wertvolle Bezahlung kommt sonst meines Wissens nirgends vor. 3
E s ist wohl deutlich: die Voraussetzung für W . H.s Argumentation für 9 3 5 ist, daß die Lanze, was W . H. sonst meist bestreitet, nicht bloß Reliquie, sondern auch Herrschaftssymbol war. D a diese Voraussetzung richtig sein dürfte (oder mindestens richtig sein kann), so braucht uns hier nicht weiter zu stören, daß W . H. durch sie mit sich selbst in Konflikt gerät. J a , man könnte unter dieser Voraussetzung seine Beweisführung für 9 3 5 noch zu stützen versuchen, indem man den von ihm postulierten burgundisch-italienischen Vertrag von 9 3 3 heranzieht. Man könnte nämlich sagen: Wenn Rudolf die hl. Lanze schon 9 2 6 an Heinrich ausgeliefert hätte, wie hätte dann 9 3 3 noch Hugo für die durch die Lanze symbolisierten Ansprüche auf Italien Südburgund an Rudolf überlassen können? D a ß er das tat, spricht dafür, daß Rudolf 9 3 3 noch über jene Ansprüche und also auch über die sie symbolisierende Lanze verfügte. J a , aber mit demselben oder mit noch größerem Recht könnte man sagen: wie konnte, nachdem Rudolf 9 3 3 auf seine italienischen Ansprüche gegenüber Hugo verzichtet hatte, die Lanze für Heinrich 9 3 5 noch irgendwelchen W e r t als Hctrschaftssymbol haben? Vor allem aber, warum hat Rudolf, wenn er sie noch besaß, sie 9 3 3 nicht an Hugo ausgeliefert? Schließlich erscheint Basel, wenn es 9 3 5 für weiter nichts als dieses sozusagen halbe und entwertete Herrschaftssymbol gezahlt wurde, als etwas reichlich hoher Preis.
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Schließlich noch eins. Wenn Heinrich Basel und die Umgebung von Basel für die Lanze abtrat, so hatte die Kosten nicht nur der deutsche König, sondern auch, und das in erster Linie, der schwäbische Stamm und der schwäbische Herzog zu zahlen. Das wäre völlig verständlich, wenn es 926 geschah, als es sich um eine Schwächung der schwäbischen Macht handelte, und als der vom König erhobene neue Herzog Hermann froh sein mußte, daß er überhaupt Herzog wurde. 935 hätte die Abtretung weiter nichts als eine unbegründete Verletzung der Interessen Schwabens und seines königstreuen Herzogs bedeutet. Es liegt mir fern, meine Argumentation für absolut zwingend zu halten: das ist bei dem desolaten Zustand unserer Kenntnisse nicht möglich. Es kann sich hier nur um eine Wahrscheinlichkeitsrechnung handeln, und ich bestreite nicht, daß bisweilen gerade das Unwahrscheinliche Tatsache ist, unter welcher Bedingung denn auch die Auffassung von W. H. richtig sein könnte.
Die Schlacht von Riade und die Anfänge des deutschen Staates Sachsen und Anhalt, Band 9, 1933, S. 2 7 - 5 1
1. (Die Quellen und die Örtlichkeit der Schlacht) Am 15. März hat sich zum tausendsten Male der Tag gejährt, an dem der deutsche König Heinrich I. die Ungarn bei Riade besiegte. Diese Schlacht ist eines der wenigen Ereignisse unserer mittelalterlichen Geschichte, von denen auch noch der Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts eine mehr oder weniger dunkle Vorstellung hat. Nicht bloß, daß jedes Kind in der Schule davon erfährt; auch außerhalb der Schulstube und nicht nur als von einer leicht vergeßbaren Bücherweisheit hört man von ihr. Seitdem sie geschlagen wurde, lebt die Erinnerung an sie im Volke fort. Es gibt kein Ereignis in der Geschichte Heinrichs I., mit dem sich die Phantasie aller Zeiten so beschäftigt hat, wie mit der Ungarnschlacht 1 . Seit dem zehnten Jahrhundert hat sie ihren Platz in den Chroniken der Geschichtschreiber wie in den Sagen und Legenden des Volkes. Ganze Dichtungen sind um sie entstanden. Und wenn diese Dichtungen auch meist vergessen sind, ein Überbleibsel aus ihnen wird noch heute gesungen: Das Volkslied „Kein schönrer Tod ist in der Welt" entstammt einem Epos aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges über die „Ungerische Schlacht" von 933 2 . 28 Noch in der Gegenwart spielt die Sage mit ihr: noch heute kennt das Volk die Quelle, in der Heinrich sein Roß tränkte, als er nach Riade zog 3 , und noch heute weiß es 1
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Auch die Sage vom Vogelherd kann es darin mit der Schlacht von Riade nicht aufnehmen, ganz abgesehen davon, daß der Vogelherdsage ja schwerlich ein geschichtliches Faktum zugrunde liegt. Vgl. über diese Dinge G . Waitz, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter König Heinrich I.. 3. Aufl. (1885), S. 209 ff. und 255 ff. Vgl. dazu U. Iiiig, Das Salzburger Fragment der Sächsischen Weltchronik, Veröffentlichungen des Histor. Seminars der Universität Graz 2 (1924), S. 26 f.; vor allem F. Eichler, Kein seeligr Tod ist in der Welt, Vierteljahrschr. für Literaturgeschichte 2 (1889), S. 246 ff. Das Volkslied ist die inzwischen stark umgebildete letzte Strophe eines Gedichts „Viel Krieg hat sich in dieser Welt" aus der Ungerischen Schlacht von Jacob Vogel, die 1626 erschienen ist. Das ganze Gedicht ist auch in Des Knaben Wunderhorn unter der Überschrift „Frommer Soldaten seligster T o d " abgedruckt. Erinnert sei hier auch an Klopstocks Ode „Heinrich der Vogler" (aus dem J , 1749), die gleichfalls die Schlacht von Riade besingt. Im Königsborn in der Nähe von Knapendorf bei Merseburg. D a ß Heinrich dort gelagert habe, erzählt schon Brotuff in seiner Chronika und Antiquitates des alten keiserlichen Stiffts, der römischen Burg, Colonia und Stadt Marsburg (1557). Natürlich ist denkbar, daß sich erst aus der Erzählung Brotuffs die Sage entwickelt hat, aber ebenso ist gut möglich, daß Brotuff die Sage bereits vorfand und verwertete.
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den Stein zu zeigen, an dem der König vor der Schlacht gebetet hat 4 . Noch heute aber wird in der Kirche von Keuschberg bei Bad Dürrenberg jährlich am Kirchweihtage ein Abschnitt aus der Chronik des Merseburger Bürgermeisters Brotuff über die Schlacht verlesen 5 . Als in der Zeit der Befreiungskriege der Turnvater Jahn über die nationalen Gedenktage des deutschen Volkes sprach und schrieb, da wollte er wie die Hermannsschlacht und später die Schlacht von Leipzig auch den Tag von Riade gefeiert wissen 6 . In diesem Jahre aber wird das Andenken an diesen Tag in allen Orten Mitteldeutschlands, die das Schlachtfeld in ihrer Nähe zu haben behaupten, festlich begangen. Die moderne Geschichtschreibung hat an der Schlacht von Riade immer wieder vor allem e i n e Frage interessiert. Mag auch die Sage wissen, wo König Heinrich während des Ungarnkrieges ritt und betete, die Wissenschaft weiß nicht, wo die Schlacht stattgefunden hat. Es sind viele Orte in Mitteldeutschland, die beanspruchen, das alte Riade zu sein. Die Aufgabe, zwischen diesen Ansprüchen zu entscheiden, hat sich die Forschung immer wieder gestellt, und sie ist dabei zu den verschiedensten 2» und jedenfalls zu keinen einheitlichen Ergebnissen gekommen. Daß sich über die Frage, wo die Schlacht geschlagen wurde, überhaupt verschiedene Meinungen haben bilden können, liegt natürlich daran, daß die Quellen in ihren Ortsangaben nicht eindeutig sind. Soweit sie Nachrichten über die örtlichkeit der Schlacht geben, nennen sie verschiedene Namen oder sind doch so gehalten, daß man ihre Lokalisierungen auf verschiedene Orte und Gegenden beziehen kann. Widukind von Korvei, der in der zweiten Hälfte der Regierungszeit Ottos des Großen schrieb, macht in seiner Sachsengeschichte folgende Angaben 7 : Avares iter agentes per Dalamantiam ab antiquis Opern petunt amicis. Uli vero scientes eos festinare ad Saxoniam Saxonesque ad pugnandum cum eis paratos, pinguissimum pro mutiere eis proiciunt canem. Et cum non esset iniuriam vindicandi locus ad aliam pugnam festinantibus, cum ridiculosa satis vociferatione longius prosequuntur amicos. Igitur quam potuerunt repentino inpetu intrant fines Tburingorum illam totam terram hostiliter pervagantes. Ibique divisis sociis alii ad occidentem pergebant, ab occidente * Und zwar ist das der Hunnenstein auf dem Burgberg zu Keuschberg, vgl. dazu A . Lippold, Dürrenberger Heimatklänge ( 1 9 2 8 ) , S. 36 (f.; nach O. Küstermann, D i e Schlacht bei Riade im Jahre 9 3 3 , Zeitschr. des Harzvereins 29 ( 1 8 9 6 ) , S. 5 4 0 wird in Schlechtewitz östlich von Corbetha an der Saale und südlich von Dürrenberg erzählt, Heinrich habe während der Schlacht auf einem großen, jetzt vor dem Schlechtewitzer Schulhaus liegenden Stein gesessen; auch sonst existieren in dieser Gegend noch viele Sagen, die an die Ungarnschlacht erinnern; und natürlich nicht nur in dieser Gegend; so gibt es etwa in der Nähe von Sondershausen ein Hunnental. vgl. A . Kirchhoff, Über den Ort der Ungarnschlacht von 9 3 3 , Forschungen zur deutschen G e schichte 7 ( 1 8 6 7 ) , S. 5 9 1 ; und auch sonst sind ja die Hunnentäler, Hunnenschanzen und Schlachtenberge nicht selten, an denen mit den Ungarn gekämpft sein soll. 5 W i e mir Herr Pfarrer Krüger in Bad Dürrenberg auf meine A n f r a g e freundlichst bestätigt. • Vgl. Fabarius, Die Schlacht von Riade, Neue Mitteilungen aus dem Gebiet historisch-antiquarischer Forschungen 1 9 ( 1 8 9 8 ) , S. 2 4 1 f . ; F. L. Jahn, Deutsches Volkstum ( 1 8 1 0 ) , S. 3 4 9 f., Werke, hrsg. von C. Euler I ( 1 8 8 4 ) , S. 3 2 0 f . ; danach sollten die Hermannsschlacht, die Ungarnschlacht und der „Tag des Religionsfriedens" als Volksfeste gefeiert werden; später fordert Jahn dann häufig dasselbe für die Schlacht bei Leipzig. 7
Vgl. Widukindi mon. Corbei. rer. gest. Sax. libri tres, I cap. 3 8 , ed. K . A . Kehr in SS. rer. Germ, in us. schol. ( 1 9 0 4 ) , S. 4 8 f. [Ausgabe von P. Hirsch und H.-E. Lohmann, 1 9 3 5 , S. 5 6 f-1
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et merìdie Saxoniam quaerentes intrare. Sed Saxones pariter cum Thuringis congregati inito cum eis certamine, caesis ducibus, ceteros illius exercitus occidentalis per totam illam regionem errare fecerunt. Quorum alii fame consumpti, alii frigore dissoluti, alii autem caesi vel capti, ut digni erant, miserabiliter perierunt. Qui autem in oriente remansit exercitus audivit de sorore regis, quae nupserat Widoni Thuringo erat namque illa ex concubina nata - quia vicinam urbem inhabitaret, et multa pecunia ei esset auri et argenti; unde tanta vi urbem obpugnare coeperant ut, nisi nox visum pugnantibus inpediret, urbem caperent. Ea vero node audientes de casu sociorum regisque super eos adventu cum valido exercitu - nam castra metatus est rex iuxta locum qui dicitur Riade -, timore perculsi relictis castris more suo igne fumoque ingenti agmina diffusa collegerunt. Rex vero posterà die producens exercitum exhortatus est, ut spem suam divinae clementiae committerent, divinum sibi auxilium quemadmodum in aliis preliis adesse non dubitarent; communes omnium bostes esse Ungarios; ad vindictam patriae parentumque solummodo cogitarent; hostes etto terga vertere vidissent, si viriliter certando persisterent. His optimis verbis erecti milites imperatoremque in primis, mediis et ultimis versantem videntes coramque 30 eo angelum - hoc enim vocabulo effigieque signum maximum erat insignitum acceperunt fiduciam magnamque constantiam. Rex vero veritus est, quemadmodum evenit, ut hostes viso milite armato fugae statim indulsissent; misit legionem Thuringorum cum raro milite armato, ut inermes prosequerentur et usque ad exercitum protraherentur. Actumque est ita; sed nichilominus videntes exercitum armatum fugerunt, ut per odo miliaria vix pauci caederentur vel caperentur. Castra vero invasa, et omnis captivitas liberata est. Der Bischof Liudprand von Cremona gibt in der Antapodosis, die er Ende der fünfziger Jahre des zehnten Jahrhunderts geschrieben hat, folgenden Bericht 8 : Rex nonnulla his similia dicere cuperat, cum volipes nuntius Hungarios in Meresburg, qitod est in Saxonttm, Turingionum et Slcavorum confinio Castrum, esse nuntiabat. Profecti denique exploratores (Hungariorum) Heinricum regem inmenso cum exercitu iuxta praefatum oppidum Meresburg contemplantur. Denique vix ad suos poterant repedare, adventum exercitus nuntiare; neque enim bis fuerat alius, verum rex ipse belli nuntius Saxones igitur ordinata aequaliter acie currunt, nec est, qui velociori tardiorem transeat equo; verum clipeis altrinsecus cooperti sagittarum super clipeos recipiunt ictus innocuos; deinde super hos cursu praepeti veniunt, adeo ut eorum prius vita cum gemitu fugeret, quam secundo iacülorum fulmina mitterentur. Fitque divini muneris pietate, ut potius hos fugere quam preliari luvet. Velox tunc sonipes piger queritur; falerarum praeterea decor armorumque honor non Hungariis tutelae, seid honeri erant. Abiectis quippe arcubus, dimissis spiculis, faleris etiam, quo expeditius equi currerent, proiedis, fugae solummodo operam dabant. Verum omnipotens Deus, qui pugnandi eis audatiam tulerat, fugiendi etiam copiam omnino negabat. Caesis igitur fugatisque Hungariis inmensa captivorum turba dissolvitur, atque in laetitiae cantum vox gemitus permutatur. Hunc vero triumphum tarn laude quam memoria dignum ad Meresburg rex in superiori cenaculo domus per 8
Vgl. Antapodosis II cap. 28 ff., Die Werke Liudprands von Cremona, J . Becker in SS. rer. Germ, in us. schol. (1915), S. 51 f.
3. Aufl.,
hrsg. von
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ZoyQatptiav, zografian, id est picturam, notare praecepit, adeo ut rem veram potius quam veri similem videas. Flodoard erzählt in seinen etwa gleichzeitig mit den Ereignissen geschriebenen Annalen zum Jahre 933 9 : Contra quos (sc. Hungaros) profectus Heinricus cum Baioariis et Saxonibus ceterisque quibusdam sibi subiectis gentibus, omnes usque ad internetionem sternit; quorum triginta sex milia caesa referuntur praeter eos, quos absorbuit fluvius et qui vivi capti sunt. Die Schwäbische Weltchronik aus dem elften Jahrhundert berichtet 10 : Heinricus 3 Ungarios in Syrbia interfecit. Ähnlich sagt Hermann von Reichenau 11 : TJngarii Soraborum provintiam petentes ab exercitu regis Heinrici caede profligati, fugati, multique ex iis capti sunt. Weitere Nachrichten überliefern die Pöhlder Annalen aus dem zwölften Jahrhundert 12 : Congregata ergo manu hostili, filii Belial sicut locuste terram operuerunt; et 50 milibus bellatorum in obsidione lndapolis et finitimarum munitionum dimissis, Ungarns in magna animi superbia cum totidem milibus partes orientis quasi pede conculcans, secus Elm castra metatus est. Econtra Imperator vires praetemtans, 12 tantum milia virorum recensuit; qui et ipsi tandem ad 4 vix milia secum permanserunt. Es ist dann die Rede von einem Nebel, der das Schlachtfeld verdeckte. Ilico inperator incautos occupans, pro tributo ferrum bis acutum obtulit, et ex eis non minus contrivit, quam lassandi necessitate dévictus plus contrivisse non potuit, Höstes igitur exbaustis viribus ad demissos in obsidione lechaburch refugerunt, quos et ipsos cesar, cuius fortitudo ut rinocerotis, die altera cum 16 milibus persequens ingenti plaga eliminavit. Eine mit diesem Text fast genau übereinstimmende Erzählung gibt die Sächsische Weltchronik 13, und ähnlich berichtet auch Eberhard von Gandersheim 14. Etwas andere Angaben enthält die Chronica Saxonum 15 : Ungarii cum 100 000 pugnatorum Saxoniam tendunt omnia loca transitus eorum devastantes; unde populus Thuringhorum in opido quod Lychen vocatur se recipiens, ibidem a quinquaginta milibus Ungariorum est obsessus, reliquis quinquaginta milibus in Saxoniam diffusis et predas et cedes atrociter agentibus. Henricus rex cum 4000 tantum bostes tmprovisos aggreditur et ad confusionem extremam exterminat. Qui gladium evaserunt, misere nudati recedunl. Qui fuga fuerunt elapsi, turpius in paludibus submerguntur; unde etiam dici solet, quod palus in Wagghersleve, qui dividit nemora Elmonem et Huyonem, ad tantam profunditatem ex tanta multitudine fugientium depressa sit. Qui vero ad fugam expeditiores erant, venientes ad socios in obsidione Thuringhorum, fuerunt eis horrori in tantum, ut simül cum fugientibus fugerent, et omnis terre populus exultans eis insultaret. 9
Vgl. Flodoardi Annales a. 933, SS. III, S. 381. Vgl. SS. XIII, S. 67. 11 a. 932 SS. V, S. 113. 12 SS. XVI, S. 61 f. 13 cap. 151, Deutsche Chroniken II, S. 159 f. 14 Vgl. Deutsche Chroniken II, S. 418 f. " Vgl. Liber de rebus memorabilioribus sive chronicon Henrici de Hervordia, hrsg. von A. Potthast (1859) S. 74. 10
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Damit sind die Quellen, die Erzählungen über den Krieg von 933 geben, noch längst nicht erschöpft. Im Gegenteil, noch das ganze spätere Mittelalter hindurch wird von dem Ungarnkrieg erzählt und gefabelt, wobei man sich freilich im allgemeinen und in den Grundzügen an das hält, was die eben zitierten Quellen auch berichten 16. Als Ort der ersten Schlacht gilt meist der Huy, der Elm oder die Gegend von Braunschweig; als Ort der zweiten Schlacht im allgemeinen Jechaburg, aber auch Merseburg oder sogar Regensburg; und die Flucht der Ungarn läßt man bis in die Nähe von Bernburg vor sich gehen. Ihre vollendetste und umständlichste Ausgestaltung in der Geschichtschreibung fanden schließlich alle diese Erzählungen zu Beginn der Neuzeit in den Werken Brotuffs, der unter Benutzung der Phantastereien Georg Rüxners die erstaunlichsten Dinge von Heinrich und seinem Kampf gegen die Ungarn erzählt 17 ; er lokalisiert die Schlacht in der Nähe von Merseburg, bei Keuschberg, wo denn auch, wie gesagt, sein Werk an jedem Kirchweihfest noch heute zu Ehren kommt. Diese späteren Überlieferungen berühren uns hier zunächst nicht weiter. Daß die Forschung sich in erster Linie an die ältesten Nachrichten zu halten hat, versteht sich von selbst; alles spätere läßt sich im besten Fall nur unter sehr vielen Vorbehalten und mit viel Skepsis verwerten; und es ist klar, daß diese Vorbehalte auch schon einem erheblichen Teil der oben ausführlich zitierten Quellen gegenüber am Platze sind. Sind die Quellen in ihren Angaben über den Ort, an dem es zum Kampf mit den Ungarn kam, recht buntscheckig, die Ansichten der modernen Wissenschaft darüber sind es fast noch mehr. Von den Versuchen und ihren Begründungen, Riade bei Wittenberg, Weimar, Jena, Zeitz oder auch bei Erfurt zu finden 18, mag hier ganz abgesehen werden. Heute werden diese Versuche wohl nirgends mehr ernsthaft vertreten. Vielmehr hat sich die Forschung in den letzten Jahrzehnten im wesentlichen auf die Ansicht festgelegt, daß Riade entweder an der Unstrut oder an der mittleren Saale, in der Gegend zwischen Weißenfels und Halle, zu suchen sei. In diesen beiden Gebieten sind es nun freilich wieder verschiedene Ortschaften, mit denen man das 33 alte Riade identifizieren möchte. So ist Fraustadt nach dem Vorbild von Brotuff für die Gegend von Keuschberg eingetreten 19, Waitz, ohne sich genauer festzulegen, für die Gegend von Merseburg 20 ; Küstermann hat sich für eine Wüstung Riede südlich von Keuschberg ausgesprochen21, Fabarius für Reideburg bei Halle 22 . Auf der 18
Vgl. darüber vor allem Waitz, Jahrbücher Heinrichs I., S. 255 ff. Außer in dem oben S. 92 Anm. 3 zitierten Werk hat Brotuff diese Dinge behandelt in der Historia von dem allergrößtmächtigsten... Fürsten und Herrn, Herrn Heinrich I. . . . ( 1 5 5 6 ) . 18 Vgl. darüber Waitz S. 253 f. " Vgl. A. Fraustadt, D i e Wahlstatt von Keuschberg (1858). 20 a. a. O. S. 153 ff. 21 Vgl. Zeitschr. des Harzvereins 29 S. 520 ff.; auch N e u e Mitt. aus dem Gebiet histor.-ant. Forschungen 17 S. 408 ff.; dieser Aufsatz war mir leider nicht zugänglich. Überhaupt hatte, wie ich hier bemerken möchte, die Beschaffung der Literatur ihre Schwierigkeiten, und sie ist mir auch nur unvollständig gelungen. Ein Schaden dürfte dadurch freilich kaum entstanden sein. " a. a. O. S. 241 ff. 17
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anderen Seite haben Giesebrecht 2 3 und Ranke 2 4 Riade in Ritteburg am Einfluß der Helme in die Unstrut gesucht; Größler 2 5 und H. G. V o i g t 2 6 in Kalbsried; während Kirchhoff 2 7 die Wahl zwischen dem Arterner und dem Nägelstedter Unstrutried offen läßt. In den letzten Jahren hat sich schließlich die Geschichtschreibung, die nur mehr resümierend und referierend auf diese Dinge zu sprechen kommt, für die Unstrutgegend entschieden; so etwa Hellmann 2 8 , Fedor Schneider 2 9 , W . Schultze 3 0 , Hampe und A. Cartellieri 8 1 . Den ältesten und am zuverlässigsten erscheinenden Bericht über die Schlacht gibt, wie im allgemeinen anerkannt wird, Widukind von K o r v e i 5 2 . E r allein nennt den 34 Ort Riade als Hauptquartier Heinrichs in der Nacht vor der Entscheidung. Diese Ortsnennung nun besagt allerdings überhaupt nichts. Denn hinter dem Namen Riade können sich sehr viele Ortschaften verbergen, deren Namen irgendwie mit dem Wort Ried in Verbindung stehen; und man braucht dabei nicht einmal bloß an eine Siedlung, man kann dabei auch an ein Gelände wie etwa die Unstrutriede denken, das heute oder vor Jahrhunderten einmal seines schilfigen, sumpfigen Charakters wegen den Namen Ried geführt hat. Wenn also in den Urkunden der Ottonen einige Male Ortschaften Riade oder Reot auftauchen 3 3 , so ist damit nichts darüber gesagt, daß diese Orte mit Widukinds Riade identisch sind. Und die Versuche von Giesebrecht, Kirchhoff und Fabarius, mit Hilfe jener Diplome unser Riade zu finden 3 4 , müssen von vornherein als gescheitert gelten. Nun hat man gemeint, Widukinds Bericht über den Feldzug des Jahres 933 lasse deutlich erkennen, daß die Schlacht irgendwo inmitten des thüringischen Landes, "
Vgl. W . v. Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit I, 5. Aufl. (1881), S. 232, vor allem S. 812 f. -* Vgl. L. v. Ranke, Weltgeschichte V I , 2 (1885), S. 137. Ranke denkt an die „Landschaft an der Unstrut, die man Ried nennt", also wohl eben die Gegend von Ritteburg und Artern. 2 5 Vgl. H. Größler, Die Besiedlung der Gaue Friesenfeld und Hassegau. Zeitschr. des Harzvereins 8 (1875), S. 130. M Vgl. Querfurter Geschichtsdenkmäler, herausgegeben von H. G . Voigt, 2 - 6 (1928) S. 439 ff. 2 7 Vgl. A. Kirchhoff, Forschungen zur deutsdien Geschichte 7 S. 575 ff.; Noch einmal die Riedschlacht König Heinrichs von 933, Jahresbericht des Thüringisch-Sächsischen Vereins 1 8 9 5 / 9 6 S. 31 ff. 2 8 Vgl. S. Hellmann, Das Mittelalter bis zum Ausgang der Kreuzzüge, 2. Aufl. (1924), S. 103. 2 8 Vgl. F. Schneider, Mittelalter bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, Handbuch für den Geschichtslehrer III (1929), S. 170. 3 0 Vgl. W . Schultzc in Gebhardts Handbuch der deutschen Geschichte, 7. Aufl., hrsg. von R. Holtzmann I (1930), S. 225. 3 1 Vgl. K. Hampe, Das Hochmittelalter (1932), S. 5 f., der Riade mit einem Fragezeichen an die Unstrut verlegt; A. Cartellieri, Die Weltstellung des Deutschen Reiches 911 bis 1047 (1932), S. 4 0 ; er denkt an eine sumpfige Unstrutniederung nicht weit von Merseburg; ebenso schon R. Lüttich, Ungarnzüge in Europa im 10. Jahrhundert (1910), S. 83 f. 3 - Nur C. Bruckner, Studien zur Geschichte der sächsischen Kaiser, Dissert. Basel 1889, S. 5 ff. versucht Widukinds Bericht zu diskreditieren, was indessen mit Recht allgemein abgelehnt wird. Wenn in Widukinds Erzählungen auch sagenhafte Momente zweifellos eine Rolle spielen, daß der Bericht über die Schlacht von Riade im ganzen zuverlässig ist, .erscheint unbestreitbar. 3 3 Vgl. dazu v. Giesebrecht I, S. 813. 5 4 Vgl. die oben zitierte Literatur. 7
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jedenfalls nicht an der Saalegrenze geschlagen worden sei 35 . Er erzähle, die Ungarn hätten ganz Thüringen verwüstet; wenn sich danach ihr Heer geteilt habe, und ein Teil westwärts gezogen sei, ein anderer Teil sich zur Belagerung der nahen Burg von Heinrichs Schwester gewandt habe, die mit einem Thüringer verheiratet war, so könne man diese Burg nur irgendwo auf thüringischem Boden suchen. Doch aus Widukinds Worten: (Avares) intrant fines Thuringorum illam totam terram hostiliter pervagantes, geht noch nicht unbedingt hervor, daß der Korveier Mönch an eine Verwüstung ganz Thüringens gedacht hat. Es wäre nicht undenkbar, daß er unter der illa tota terra nur die fines Thuringorum und unter diesen nur das Grenzgebiet im Osten verstanden hat 36 . Aber wenn man in der terra auch das eigentliche Thüringerland erblicken und annehmen wollte, daß die Ungarn sich hier geteilt haben, Widukind spricht von dem bei Riade geschlagenen Teil des Ungarnheeres als von dem 35 exercitus qui in Oriente remansit und dabei wird man doch immer an die Ostgrenze zu denken haben 37 . Ob aber die vicina urbs, zu deren Belagerung dies Heer nach der Trennung von der westlichen Abteilung marschierte, mehr in der Nähe der Saale oder der Unstrut lag, darüber ist nach diesen Feststellungen schlechterdings nichts auszusagen; und auch die Tatsache, daß Heinrichs Schwester mit einem Thüringer vermählt war, beweist natürlich nichts dafür, daß sie sich mit ihren Schätzen nur auf eine thüringische Burg geflüchtet haben kann. Die Vermutungen, die Riade in den Unstrutgegenden suchen möchten, scheinen nun freilich eine Stütze zu finden in den Pöhlder Annalen und ihren späteren Ausschreibern, die von einer Belagerung von Jechaburg, einem Ort in der Nähe von Sondershausen, sprechen. Doch einmal reden die Pöhlder Annalen zunächst gar nicht von Jechaburg: sie nennen den von den Ungarn belagerten Ort zuerst Indapolis, und Jechaburg scheint erst eine Art Kommentar zu diesem reichlich fragwürdig klingenden Namen zu sein 38 . Sodann sind die Pöhlder Annalen doch eine sehr späte und unzuverlässige Quelle. Daß ihr Bericht von sagenhaften Elementen durchsetzt ist, verrät er auf den ersten Blick. Und so gut wie ihre Angabe, daß der eine Teil des Ungarnheeres im Elm zugrunde ging, nicht den Tatsachen entsprechen dürfte 39 , so gut könnte natürlich auch ihre Erzählung von Jechaburg ins Gebiet der Fabel gehören. Wenn man schließlich gesagt hat, eine Vernichtungsschlacht, wie die von Riade, habe am ehesten an den sumpfigen Rieden der Unstrut stattfinden können 40, so ist dagegen einzuwenden, daß die Schlacht von Riade offensichtlich keine Vernichtungsschlacht war, und daß sie nach allem, was wir wissen, nicht in einer Sumpf- und Riedgegend geschlagen ist. Zwar redet Flodoard davon, daß die Ungarn usque ad inter55
So etwa Kirchhoff a. a. O., Lüttich S. 82. So hat man den Satz auch oft genug interpretiert, vgl. etwa Fabarius a. a. O. " Ähnlich besonders Waitz S. 154 f. Zu dem Namen Indapolis wird denn auch in den Pöhlder Annalen Jechaburg als Glosse gegeben. Vermutlich liegt dabei eine Verwechslung mit den Ereignissen des Jahres 938 zugrunde; vgl. Waitz S. 155 und 280. 40 Man weiß dabei mitunter erstaunliche Dinge von der genialen Strategie Heinrichs I. zu fabeln; vgl. etwa Kirchholl und Voigt a. a. O. 36
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netionem besiegt worden und daß 36 000 von ihnen gefallen, daß aber andere im Fluß ertrunken seien. Doch Flodoard weiß nur von einem einzigen Kampf, er weiß nichts von der Teilung des ungarischen Heeres, und es mag sein, daß sein Bericht auf die Schicksale ihres Westheeres zu beziehen ist, das ja auch nach Widukinds Angaben •vollständig untergegangen ist. Außerdem könnten Flodoard, der im fernen Reims geschrieben hat, durch das Gerücht die Ereignisse in entstellter und vergrößerter Gestalt zugetragen worden sein. Für die Schlacht von Riade jedenfalls sind seine Nachrichten unbedingt abzulehnen. Denn Widukinds Bericht sagt zu deutlich, daß es hier keineswegs zu einer Vernichtung der Ungarn kam 4 1 ; er betont ausdrücklich, daß nur wenige von ihnen getötet oder gefangen wurden. Und in dem Bild von der Schlacht, das er entwirft, in dem die Ungarn acht Meilen weit verfolgt wurden, um dann zu entkommen, ist weder für den fluvius Flodoards noch für die Unstrutriede der modernen Forschung ein Platz zu finden. Mehr und beweiskräftigere Momente scheinen für die Annahme zu sprechen, daß Heinrich die Ungarn in der Nähe der Saale besiegt hat. Liudprand von Cremona verlegt das Schlachtfeld von 933 in die Gegend von Merseburg. Der Bischof war am Hofe Ottos des Großen sozusagen zu Hause, und er ist in Deutschland und in Merseburg selbst gewesen. Und wenn sich dort im oberen Speisesaal der königlichen Pfalz ein Bild von der Schlacht befunden hat, so scheint doch auch das darauf hinzudeuten, daß sie nicht weit davon geschlagen ist. Zu Liudprands Nachricht aber passen einigermaßen die Angaben der Schwäbischen Weltchronik und Hermanns von Reichenau, nach denen die Ungarn in Syrbia resp. in der Nähe der Soraborum provintia besiegt worden sind; und zwar weisen diese Nachrichten auf das östliche Ufer der Saale hin«. Gelangt man somit in die Nähe von Merseburg und auf das rechte Saaleufer, so scheinen weiter einige Umstände dafür zu sprechen, daß man das Schlachtfeld nicht weit von Bad Dürrenberg und Keuschberg südlich von Merseburg zu suchen hat. Küstermann hat darauf hingewiesen 43 , daß sich südlich von den genannten Orten eine Wüstung „Riede" ganz in der Nähe einer alten Saalefurt befindet. Dicht bei dieser Wüstung aber liegt ein wüstes Dorf Liehen, und ebendort ein Dorf Vesta, das im Volksmunde als „In der Veste" bezeichnet wurde. In diesen Namen glaubt Küstermann das opidum Lycheti der Chronica Saxonum und die lndapolis der Pöhlder Annalen wiederzufinden 44 . Schließlich liegt doch auch die Möglichkeit nahe, daß Brotuff in seinem phantastischen Schlachtbericht die Ereignisse von 933 nicht ganz ohne Grund in die Gegend von Keuschberg verlegt hat: Er kann sich dabei von alten im Volke lebenden Überlieferungen haben leiten lassen, und die heute noch in jener Gegend lebendigen Sagen könnten also uralt sein. 41
45 43
44
Wenn man Widukind noch so skeptisch gegenüberstünde, daß er, der Sachse, der die Sachsen verherrlicht, im Gegensatz zu einer Nachricht, die ihnen einen großen Sieg andichtet, recht haben muß, versteht sich von selbst. Vgl. besonders Waitz S. 154 f. Vgl. oben S. 96 Anm. 21. D i e Wüstung Riede liegt auf dem östlichen Saaleufer, nicht weit von Corbetha. Das Wort lndapolis soll eine Latinisierung oder vielmehr Gräzisierung des Namens „In der Veste" sein, die tatsächlich nicht undiskutierbar erscheint.
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Aber auch diese Tatsachen und Überlegungen führen natürlich keineswegs zu einem sicheren Ergebnis. Liudprand ist ein Berichterstatter von sehr zweifelhaftem Wert. Er fabelt gern und viel, und was er im allgemeinen über den Verlauf des Llngarnkrieges Heinrichs I. erzählt, ist reichlich verwirrt und beweist, daß er nur wenig wußte 4S. Daß man im übrigen in der Merseburger Pfalz auch von einer Schlacht ein Bild malen konnte, die bei Allstedt oder Sondershausen geschlagen wurde, versteht sich von selbst 46 . Noch unzuverlässiger als Liudprand sind natürlich ihrer späten Überlieferung und weiten Entfernung wegen die Nachrichten der Schwäbischen Weltchronik und Hermanns von Reichenau 47 , ganz abgesehen davon, daß der Wortlaut von Hermanns Angaben sehr unklar und wenig Vertrauen erweckend erscheint. Wenn aber schließlich die Pöhlder Annalen und die Chronica Saxonum mit den Namen Indapolis und Lychen auch wirklich an die Dörfer Vesta und Liehen bei Dürrenberg gedacht haben sollten, so beweist das doch nur, daß die Überlieferung oder daß eine Überlieferung des zwölften Jahrhunderts die Schlacht von Riade in diese Gegend verlegt hat. Für den tatsächlichen Hergang würde das natürlich nicht mehr besagen als der Umstand, daß sich andere Überlieferungen für Jechaburg und noch andere Orte einsetzen. Gewiß, die größte Wahrscheinlichkeit dürfte, wie schon Waitz betont hat 48 , dafür sprechen, daß das Schlachtfeld in der Nähe von Merseburg, und zwar auf dem Ostufer der Saale, eben bei Dürrenberg zu suchen ist 4 9 ; aber eine ganz feste Entscheidung ist bei der Quellenlage unmöglich; man darf nie vergessen, daß das kritisch Wahrscheinliche noch längst nicht das historisch Richtige zu sein braucht. Sowenig sich aber mit Bestimmtheit nachweisen läßt, daß das Schlachtfeld an der Unstrut 45
Liudprand verlegt die Schlacht von Riade ganz in den Anfang der Regierung Heinrichs I.; er weiß nur von einem Ungarnkrieg Heinrichs; er weiß nichts von dem Ungarnttibut des Königs und vor allem nichts von der Teilung des ungarischen Heeres. Vgl. auch unten S. 103 f.
48
Vgl. auch Waitz S. 155; wenn man freilich dagegen, daß die Schlacht in die Nähe von Merseburg zu verlegen sei, anführt, daß dann sicher Widukind und vor allem Thietmar von Merseburg den Namen der Stadt genannt hätten, so ist dem nicht zuzustimmen. Aus Liudprands Bericht braucht man nur zu entnehmen, daß die Ungarn in der Nähe von Merseburg waren, nicht vor Merseburg selbst. In der Tat ist es schwer denkbar, daß sie etwa auf diese stark befestigte Stadt einen Angriff gemacht und sie an einem Tage fast erobert haben; die Burg, in der sie Heinrichs Schwester belagerten, kann höchstens in der Nähe von Merseburg gelegen haben. Wenn man aber dabei mit Küstermann etwa an das Dorf Vesta zu denken hat, so lag für Thietmar auch nicht mehr Veranlassung vor, Merseburg zu erwähnen, als wenn Burg und Schlachtfeld in der Nähe von Allstedt zu suchen sind.
47
Ihnen gegenüber ist man selbstverständlich einfach nicht in der Lage, die etwa möglichen Verwechslungen und Entstellungen zu kontrollieren.
46
Vgl. oben S. 96 Anm. 20.
48
Verstärkt wird diese Wahrscheinlichkeit vor allem dadurch, daß so viele verschiedene Quellen auf diese Gegend führen, und daß sich wenigstens in den älteren Quellen, besonders bei Widukind, nichts findet, was dem widerspricht. - Bisweilen verwendet man übrigens Funde von kleinen Hufeisen als Beweismittel für die Lokalisierung von Riade. Aber kleine Hufeisen sind keine Überbleibsel aus Ungarnschlachten, denn die Ungarn haben noch keine Hufeisen gekannt, wie ich einer freundlichen Mitteilung von Herrn Kollegen W. Schulz, Kustos der Landesanstalt für Vorgeschichte in Halle, entnehme.
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oder an der Saale liegt, sowenig läßt sich beweisen, daß es überhaupt an einem der beiden Flüsse zu finden ist. Wenn die Forschung Riade auch meist dort gesucht hat, nach dem, was die Quellen sagen, oder vielmehr nicht sagen, könnten auch noch andere Gegenden in Betracht kommen. Man wird sich schließlich mit der Feststellung zu begnügen haben, daß die Schlacht irgendwo in der Nähe der thüringisch-sächsischen Grenze stattgefunden hat. Dies negative Resultat erscheint betrüblich. Doch man kann es auch erfreulich finden. Für die deutsche Geschichte im ganzen wie für die Geschichte Heinrichs I. ist es völlig gleichgültig, wo das Schlachtfeld von Riade liegt. Im übrigen aber ist es gar kein Fehler, daß man es nicht kennt. Wenn man es genau kennte, so hätte man in vielen Orten der Gegenden zwischen Saale und Harz nur einen historischen Gedenktag weniger. Uberall, wo man in diesen Gegenden den Ort der Schlacht von 933 zu finden glaubt, wird im Volke die Erinnerung an die Zeit vor tausend Jahren und das Bewußtsein der historischen Verbundenheit mit dieser Zeit geweckt. Gewiß, diese Erinnerung muß sich in allen Fällen bis auf höchstens einen an eine Legende knüpfen. Aber was schadet das? Die Tage und die Ereignisse unserer mittelalterlichen Geschichte, deren noch gedacht und die noch gefeiert werden, sind so wenige, daß man unsere Unkenntnis, wo Riade eigentlich liegt, sehr gern dafür in Kauf nimmt, daß die Erinnerung an die Ungarnschlacht von 933 heute noch weiter lebt und wachgehalten wird. Aber freilich, es hat sich eben nicht bloß gezeigt, daß wir nicht wissen und nicht wissen können, wo die Schlacht geschlagen ist. Nebenbei hat sich auch deutlich genug ergeben, daß es bei Riade gar nicht zu einem eigentlichen Kampfe gekommen 39 ist. Mag die spätere Überlieferung von einer schweren, blutigen Schlacht erzählen, und mag man auch heute noch bisweilen von einer Vernichtung der Ungarn bei Riade sprechen 5 0 , in Wirklichkeit kann davon nicht die Rede sein. Die Ungarn sind geflohen, als sie das deutsche Heer erblickten; ihr Lager wurde genommen; aber eigentliche Verluste haben sie kaum gehabt, und militärisch war der ganze Vorgang offensichtlich recht bedeutungslos; nur die nach Westen gesandte Abteilung scheint vernichtet zu sein. Aber nicht bloß das. Schon im Jahre 938 sind die Ungarn wieder raubend und plündernd in Sachsen eingefallen 5 1 . Die Folgen des Sieges von 933 scheinen also nur sehr bescheiden gewesen zu sein. Wenn es aber so ist, ist es dann nicht eine auffallende Erscheinung, daß ausgerechnet dies unbedeutende Gefecht in der historischen Überlieferung aller Jahrhunderte und noch in dem Bewußtsein der Gegenwart eine Rolle spielt wie sonst kaum ein Ereignis des zehnten Jahrhunderts und jedenfalls keins aus der Zeit Heinrichs I.? Und ist es nicht eine geradezu groteske Verwirrung der historischen Begriffe, wenn man dies Gefecht neben die Befreiungsschlachten im 50
Vgl. etwa Hellmann und Voigt a. a. O.
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Wenn Lüttich S. 85 annimmt, daß die Ungarn vielleicht schon 9 3 5 wieder durch Süddeutschland gezogen sind, so ist dagegen zu sagen, daß davon keine Quelle etwas überliefert. Gewiß, die Ungarn tauchen 9 3 5 in Burgund auf; ihren Rückweg aber haben sie, wie die Quellen berichten, durch Italien genommen. W a r u m sollen sie nach Burgund, wie Lüttich vermutet, durch Süddeutschland gezogen sein, und nicht auch durch Italien, was sie oft genug getan haben?
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Teutoburger Wald und bei Leipzig hat stellen wollen? Damit erhebt sich die Frage, was denn eigentlich die Schlacht von Riade für das Deutsche Reich des zehnten Jahrhunderts und für die deutsche Geschichte zu bedeuten gehabt hat.
2. (Die Bedeutung der
Schlacht)
Bekanntlich war dem Kriege, in dem die Ungarn die Niederlage von Riade erlitten, ein Waffenstillstand zwischen ihnen und Heinrich I. vorangegangen, in dem sich der König zur Tributzahlung verpflichtete. Man vertritt wohl ganz allgemein die Ansicht, daß dieser Vertrag im Jahre 924 abgeschlossen ist 5 2 , und daß er sich nur auf Sachsen bezog 5 3 . Die einzige Quelle, die berichtet, daß ein Tributvertrag zwischen Heinrich und den *o Ungarn zustande gekommen sei, ist Widukind von Korvei. Er erzählt 54 , die Ungarn hätten, cum iam civilia bella cessarent, einen Einfall in Sachsen gemacht und das Land völlig verwüstet. Rex autem erat in presidio urbis, quae dicitur Werlaon. Nam rudi adhuc militi et hello publico insueto contra tarn saevarn gentern non credebat ... Contigit autem quendam ex principibus Ungariorum capi vinctumque ad regem duci. Ungarn vero ipsum in tantum dilexerunt, ut pro redemptione illius innumera auri et argenti pondera Offerent. Rex autem spernens aurum expostulat pacem, tandemque obtinuit, ut reddito captivo cum aliis muneribus ad novem annos pax firmaretur. Später berichtet dann Widukind 5 5 , wie Heinrich das Land gegen neue Einfälle der Ungarn schützte, und er gebraucht dabei noch einmal die Wendung: accepta pace ab Ungariis ad novemt annos. Schließlich wird davon erzählt 56 , daß der König, nachdem der Krieg gegen die Ungarn genügend vorbereitet war, dem Volk seine Absicht eröffnet, den Vertrag zu kündigen. Vos hucusque, filios fdiasque vestras expoliavi et aerarium eorum replevi; nunc templa templorumque ministros ut expoliem cogor, absque nudis corporibus nülla nobis alia remanente pecunia. Das Volk will den Krieg und beschließt, mit dem König gegen die Ungarn zu kämpfen. Post haec legati Ungariorum adierunt regem pro solitis muneribus, sed ab eo spreti in terram suam vacui sunt reversi. Darauf erfolgt dann der Ungarneinfall des Winters 932/933. Widukind spricht, wie man sieht, deutlich davon, daß ein neunjähriger Waffenstillstand mit den Ungarn abgeschlossen worden sei; und wenn man von 933 neun Jahre zurückrechnet, so gewinnt man tatsächlich das Jahr 924, das man immer als Datum des Vertrages ausgibt. Für diese Rechnung ist doch aber Voraussetzung, daß 933 der Vertrag wirklich abgelaufen war. Davon sagt jedoch Widukind kein Wort; im Gegenteil, was er sagt, widerspricht dieser Voraussetzung völlig. Wenn in seinem Bericht Heinrich das Volk fragt, ob man weiter zahlen wolle, und wenn die ungariVgl. Waitz S. 76 ff., Böhmer-Ottenthal 1 1 c ; soviel ich sehe, ist gegen diese Datierung nirgends ein Widerspruch laut geworden. 5 3 Das ergibt sich dann mit Notwendigkeit daraus, daß 926 die Ungarn in Franken und Süddeutschland eingefallen sind. 5 4 Vgl. I cap. 32 S. 38 f. [Ausg. von 1935 S. 45.] 5 5 Vgl. I cap. 35 S. 42 f. [S. 48.] " Vgl. I cap. 38 S. 47 £. [S. 55.] 52
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sehen Gesandten erscheinen, um weiter Tribut abzuholen, so beweist das doch ganz unzweideutig, daß nach der Ansicht des Korveier Mönches die neun Jahre des Tributvertrages noch nicht zu Ende waren 5 7 . Und auch nach einem andern Zusammenhang scheint Widukind seinen Abschluß nicht 924, sondern erst nach 925 anzunehmen. E r ordnet ihn in seiner Geschichtsdarstellung nach dem Bericht über die lothringischen Kämpfe Heinrichs ein; und wenn er seine Angaben über ihn mit den Worten beginnt, cum civilia bella cessarent, so setzt er damit offenbar voraus, daß die lothringischen Händel damals erledigt waren. Das war aber bekanntlich erst im Jahre 925 der Fall.
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Nun hat man freilich auch außerhalb von Widukinds Erzählung Beweismomente dafür zu finden geglaubt, daß der Tributvertrag schon 924 zustande gekommen sei 5 8 . Liudprand von Cremona kennt nur einen einzigen Krieg zwischen Heinrich I. und den Ungarn 5 9 . Ihn setzt er unmittelbar nach der Thronbesteigung Heinrichs an und er sagt dabei: Rex Heinricus gravissima valetudine detinetur, et Hungariorutn ei adventus proxime nuntiatur. Trotzdem sammelt der König ein Heer, und es kommt dann zur Schlacht. Nun weiß man, daß im Jahre 924 ein Ungarneinfall in Deutschland stattgefunden hat; Flodoard aber erzählt zu diesem Jahre, daß Heinrich den ganzen Sommer über in ipsis Sarmatarum finibus krank gelegen habe 6 0 . Liudprand scheint also in seinem Bericht die Ereignisse von 924 und 933 durcheinander zu werfen und zu einem einzigen Vorgang zu verschmelzen. Gewiß, man mag das zugeben. Aber was beweist das dafür, daß dann auch der von Widukind überlieferte Vertragsabschluß in das Jahr 924 gehört? Daß es so ist, würde sich doch nur dann ergeben, wenn sicher wäre, daß außer oder vielmehr nach 924 kein Ungarneinfall in Sachsen stattgefunden hat. Das ist aber keineswegs sicher. Der Einfall des Jahres 924 ist nur in einer Notiz des Continuator Reginonis überliefert: Ungarii orientalem Franciam vastaverunt61. Wenn zu 926 etwa die Annales Augienses berichten: Ungari 42 totam Franciam, Alsatiam, Galliam atque Allemanniam igne et gladio vastaverunt62, 57
58 n
61
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Die sonderbare Tatsache, daß trotz des angeblich abgelaufenen Vertrages die Ungarn noch einmal Tribut holen lassen, versucht Waitz S. 151 damit zu erklären, daß es sich dabei um die Leistungen des neunten Jahres gehandelt habe (auch dann war der Tribut doch noch nicht abgelaufen 1) oder daß die Ungarn mit der Fortdauer des Vertrages gerechnet hätten. Aber nach Widukind haben doch auch Heinrich und die Sachsen damit gerechnet, daß er noch galt. Freilich sagt Widukind in cap. 32 nicht ausdrücklich etwas von einem jährlichen Tribut, ohne freilich mit seinen Worten die Annahme eines solchen auszuschließen. Man könnte also immerhin annehmen, daß er zwei verschiedenen Traditionen folgte; einer, die von einem neunjährigen Waffenstillstand auf eine einmalige Tributzahlung hin wußte, und einer andern, die von einem unbegrenzten jährlichen Tribut redete. Die erste Tradition könnte man sich dann dadurch entstanden denken, daß die Tributzahlung tatsächlich neun Jahre dauerte; und Widukind hätte dann beide Traditionen durcheinander geworfen. Sicher ist natürlich nichts; doch scheint mir die im Text gegebene Erklärung Widukinds Erzählung besser gerecht zu werden. Vgl. etwa Waitz S. 76 ff. Vgl. II cap. 25, S. 49. Vgl. a. a. O. S. 374. Vgl. Cont. Reginonis 924, Reginonis abbatis Prüm, chron., ed. F. Kurze m SS. rer. Germ, in us. schol. (1890), S. 157. SS. I S. 68.
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so kann man daraus natürlich genauso gut oder so schlecht wie aus den Worten des Fortsetzers Reginos einen Ungarnangriff auch auf Sachsen herauslesen. Und daß Widukind den Rückzug Heinrichs nach W e r l a allein mit der kriegerischen Unfähigkeit seines Heeres motiviert, scheint dafür zu sprechen, daß ihm von Heinrichs Krankheit im J a h r e des Vertragsabschlusses nichts bekannt war, ganz abgesehen davon, daß man W e r l a doch wirklich nicht als in Sarmatarum finibus gelegen bezeichnen kann. Wenn der Vertrag mit den Ungarn tatsächlich im Jahre 9 2 4 zustande gekommen wäre, so könnte er nur für Sachsen geschlossen sein. Denn 9 2 6 haben die Ungarn (wenn nicht auch Sachsen) Süddeutschland, Franken und Lothringen verwüstet 6 3 . Wieweit sich mit der Politik Heinrichs die Annahme vereinigen läßt, daß er nur sein Stammland gegen die Ungarnplage gesichert, das übrige Reich aber (und auch das ihm immer besonders nahe verbündete fränkische Herzogtum) sich selbst überlassen habe, mag hier ganz dahingestellt bleiben. Aber es sprechen doch einige Momente dafür, daß 926 oder nach 9 2 6 das ganze Reich in ein Tributverhältnis zu den Ungarn getreten ist. Aus Widukinds Worten ist freilich weder für noch gegen diese Ansicht etwas zu entnehmen. Aber Liudprand weiß, wenn sein Bericht über die deutschen Beziehungen zu den Ungarn auch reichlich konfus
ist, daß
irgendwann
einmal
ganz
Deutschland den Ungarn Tribut gezahlt habe 6 4 . Eine bayrische Quelle erzählt vom Abschluß eines Vertrages des Herzogs Arnulf von Bayern mit den Ungarn ®5. Sie datiert ihn auf 9 2 7 ; vielleicht gehört er auch schon dem J a h r e 9 2 6 an 6 6 . Nach allem, was man weiß, nahm Herzog Arnulf unter Heinrich I. in Bayern etwa dieselbe 43
Stellung ein wie der König im Reich. E r war in seiner inneren wie in seiner äußeren Politik so gut wie völlig selbständig. Aber seitdem er Heinrich als König anerkannt hatte, bestand doch offenbar eine weitgehende Übereinstimmung zwischen der bayrischen Politik und der der Krone
67.
Nun sind nach 9 2 6 bis zum J a h r e 933 die Ungarn
in Deutschland nicht wieder eingefallen. D a liegt doch die Annahme sehr nahe, daß Arnulf 9 2 6 oder 927 nur das tat, was im Reiche auch geschah, d. h. daß damals wie für Bayern auch für die übrigen deutschen Stammesgebiete ein Vertrag mit ihnen Vgl. Waitz S. 85 ff., Böhmer-Ottenthal 12 e. •4 Vgl. Antapodosis II cap. 5, S. 39 und cap. 24, S. 49. Wenn man im allgemeinen annimmt, Liudprand sage II cap. 5, Deutschland sei den Ungarn zur Zeit Ludwigs des Kindes tributpflichtig geworden, so ist das nicht ganz richtig. Er berichtet in II cap. 1 bis 4 von der großen Niederlage Ludwigs 910. Dann sagt er in cap. 5, daß die Ungarn danach Bayern, Schwaben, Franken und Sachsen verwüsteten (was nicht schon 910 geschehen ist), factusque est per nonnullos populus hic tributarius annos. Wann das geschah, bleibt also dunkel. Allerdings wird II cap. 24 vorausgesetzt, daß es vor der Zeit Heinrichs I. gewesen sei. 65 Vgl. Annales Ratisponenses a. 927, SS. XVII, S. 583: Arnulfus cum Ungariis pacificatm. •• Das wird bisweilen angenommen, vgl. Waitz S. 85. *' Man denke etwa daran, daß 927 Arnulf vermutlich einen Reichstag in Ingelheim besucht hat; vgl. H. Breßlau, Die ältere Salzburger Annalistik, Abh. der Preuß. Akad. der Wissensch. 1923, Phil.-hist. Kl. 2 S. 59; dazu die Annales Iuvavenses maximi, SS. XXX S. 742; oder man denke an den gemeinsamen Zug Arnulfs und Heinrichs nach Böhmen 929 oder daran, daß 932 die Synode von Dingolfing die Beschlüsse der Synode von Erfurt im wesentlichen annahm und wiederholte. 63
D i e Schlacht von Riade und die Anfänge des deutschen Staates
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abgeschlossen worden ist. Aber davon ganz abgesehen: Man weiß, daß 926 oder spätestens 927 in Sachsen und Bayern ein Friedenszustand mit den Ungarn bestand. Will man da trotzdem die Annahme vertreten, daß die übrigen deutschen Gebiete ihren Einfällen weiter preisgegeben wurden? 932 ist auf der Synode von Erfurt dem Klerus eine Kopfsteuer von einem Denar bewilligt worden 68 . Nach Andeutungen Widukinds 6 9 und Liudprands 70 besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß diese Kirchensteuer in einem Zusammenhang mit den Tributen gegen die Ungarn stand. Mag sie nun eine Entschädigung an die Kirche gewesen sein, die in erster Linie für den Tribut aufgekommen sein dürfte, oder mag man aus religiösen Motiven, wie Widukind behauptet, den bisherigen Ungarntribut der Kirche geschenkt haben 7 1 , immer ist zu beachten, daß sich der Beschluß von Erfurt auf sämtliche deutschen Stammesgebiete mit Ausnahme von Bayern bezog; und für Bayern wurde der Beschluß ein paar Wochen später auf der Synode von Dingolfing nachgeholt 72 . Hängt aber die Kirchensteuer von 932 irgendwie mit den Tributzahlungen an die Ungarn zusammen, so ergibt sich aus ihrem Anwendungsgebiet, daß die Tribute von allen deutschen Stämmen zu entrichten waren. Es hat sich gezeigt: interpretiert man Widukinds Bericht über den Abschluß des Vertrages genau, so ergibt sich, daß er nicht schon 924 erfolgt sein kann; als einziges Datum kommt dann 926 in Betracht. Die übrigen Quellen widersprechen dieser Annahme nicht. Andererseits ist 926 der letzte Einfall der Ungarn in Deutschland vor 933 gewesen, und alles, was man weiß, spricht dafür, daß in der Zeit von 926 bis 933 die Ungarn durch einen Tributvertrag allen deutschen Stammesgebieten ferngehalten wurden. Alles das dürfte doch zu dem Ergebnis führen, daß Heinrich seinen Pakt mit den Ungarn erst 926 schloß und daß er ihn für das ganze Reich abgeschlossen hat. Gewiß, Sicherheit läßt sich auch hier nicht gewinnen; mit Bestimmtheit kann man nur sagen: es ist nicht zu beweisen, daß der Vertrag schon dem Jahre 924, und es ist wahrscheinlich, daß er erst dem Jahre 926 angehört. Aber mag auch die Entscheidung zwischen den beiden Jahren schwankend bleiben, das eine dürfte einigermaßen feststehen: spätestens seit dem Jahre 926 ist im ganzen Reich eine einheitliche Politik gegen die Ungarn getrieben worden: man schloß überall Frieden mit ihnen. 65
Vgl. Const. I Nr. 2, Böhmer-Ottenthal Nr 41 a. Widukind läßt I cap. 38 Heinrich davon sprechen, daß das Volk durch den Ungarntribut so verarmt sei, daß man nun die Kirchenschätze heranziehen müsse; um das zu vermeiden, wird der Ungarnkrieg beschlossen; nach dem Sieg bewilligt dann Heinrich den bisher den Ungarn bezahlten Tribut der Kirche. D a ß hier irgend etwas nicht ganz stimmt, ist klar; denn wie kann der König der Kirche den Tribut schenken, den man nicht mehr aufbringen konnte? So fragwürdig hier Widukind berichtet, das dürfte aus seiner Erzählung doch hervorgehen, daß man wenigstens daran dachte, die Kirche für den Ungarntribut zu besteuern. Und bei dem Verhältnis, in dem die Kirche zum Staat stand, wird man es auch wirklich getan haben. 70 Liudprand erzählt II cap. 27, S. 50 f , Heinrich habe vor der Schlacht bei Riade ein Gelübde gegen die Simonie getan; vgl. dazu F. von Bezold, Ein antisimonistisches Gelübde Heinrichs I., Histor. Vierteljahrsschr. 19 (1920), S. 169 ff. " Vgl. G. Caro, D e r Ungarntribut unter Heinrich I., MIÖG. 20 (1899), S. 27611. 72 Vgl. Böhmer-Ottenthal 41 a.
89
«
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Zum zehnten Jahrhundert
Wie den Abschluß des Vertrages, so hat man auch die Maßregeln, die Heinrich zur Verteidigung des Landes während des Waffenstillstandes ergriff, allein auf Sachsen bezogen 73. Bekanntlich berichtet Widukind von der Ausbildung der Reiterei und dem Bau von urbes, in die jedesmal der neunte Mann der milites agrarii zu ziehen hatte 74 . Auf den viel umstrittenen Sinn dieser Maßnahmen braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. Auch soll gar nicht bezweifelt werden, daß sie in erster Linie für Sachsen in Betracht gekommen sind, das militärisch gegenüber dem übrigen Deutschland anscheinend etwas zurückgeblieben war, und in dem es vor allem noch auffällig wenig befestigte Orte gab 75. Aber gleichwohl ist zu betonen, daß der Schutz gegen die Ungarn nicht bloß eine Angelegenheit war, die Heinrich sozusagen als Herzog von Sachsen regelte. Man hat oft bemerkt, daß der König beim Bau seiner Burgen nach angelsächsischem Vorbild verfuhr 76 . Das wird sicher richtig sein. Aber ebensogut kann man darauf hinweisen und hat man darauf hingewiesen, daß die Anlage von Befestigungen gerade zur Abwehr der Ungarn schon seit dem Anfang des zehnten Jahrhunderts in Deutschland betrieben wurde 7 7 . Wir haben Nachrichten darüber aus Bayern wie aus Schwaben, aus Franken wie aus Lothringen. Sollte man unter diesen Umständen die Friedenszeit von 926 bis 933 wirklich nur in Sachsen zum Bau von Festungsmauern ausgenutzt haben? Widukind behauptet es nicht. Und die einzige Quelle, die außer Widukind über diese Dinge Aufschluß gibt, die Miracula S. Wigberti, versichert das Gegenteil 78 . Sie erzählt von dem Bau der Mauern von Hersfeld, also eines fränkischen Klosters; und als Grund dafür gibt sie an, es sei regali consensu regaüumque principum decreto befohlen gewesen, die Klöster zu befestigen. Man handelte also nach einem Beschluß des Königs und der Fürsten des Reiches, und es handelte sich dabei um eine Angelegenheit des Reiches. Das Bestreben, die Ungarnpolitik Heinrichs sozusagen auf Sachsen einzuengen und zu beschränken, hat man bisweilen ganz konsequent auch auf den Krieg des Jahres 933 ausgedehnt: Nur ein sächsisches Heer soll damals gegen die Ungarn bei Riade gefochten haben 79 . Doch Widukind scheint von der Auffassung auszugehen, daß sich Heinrichs Heer aus ganz Deutschland rekrutierte 80 . Und daß 933 tatsächlich nicht nur sächsische Truppen gegen die Ungarn gekämpft haben, sagt deutlich Flo73 71 75 76
77 70 79
s
Vgl. etwa F. Schneider S. 168; Böhmer-Ottenthal 11 c; diese Ansicht ist sehr verbreitet. Vgl. Widukind I cap. 35. Das hebt auch Liudprand, Antapodosis II cap. 24, hervor. Vgl. etwa v. Ranke, Weltgesch. VI, 2 S. 134; C. Koehne, Burgen, Burgmannen und Städte, Historische Zeitschrift 133 (1926), S. 2. Vgl. vor allem die Zusammenstellung von Waitz S. 93 ff. Vgl. cap. 5, SS. IV S. 225. So etwa Lüttich S. 79 ff.; doch wird diese Ansicht auch häufig abgelehnt; vgl. z. B. Hampe a. a. O. S. 5 f.
" Er redet in cap. 38 von dem omnis populus, den der König vor dem Krieg zusammengerufen
hatte; er läßt Heinrich dann vor der Schlacht die Ungarn als communes omnium hostes bezeichnen ; und wenn er bemerkt, daß das ungarische Westheer von Sachsen und Thüringern vernichtet sei, über die Zusammensetzung von Heinrichs Heer bei Riade aber nichts sagt, dann aber die legto Tburingorum bei ihm erwähnt, so scheint er doch stillschweigend vorauszusetzen, daß das Heer des Königs sich aus allen Stämmen zusammensetzte. Liudprand nimmt allerdings II cap. 24 ff. offensichtlich an, daß Heinrich nur sächsische Truppen zusammengebracht habe.
Die Schlacht von Riade und die Anfänge des deutschen Staates
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doard in seinen Annalen 8 1 : (Hungaros) Heinricus cum Baioariis et Saxonibus ceterisque quibusdam sibi subiectis gentibus ... sternit. Zu demselben Ergebnis dürfte auch mit aller wünschenswerten Sicherheit die Tatsache führen, daß es unter den überaus dürftigen und einsilbigen Quellen eine schwäbische Quelle ist, die Annales Weingartenses, die das Datum der Schlacht von Riade überliefert 82 . Man hätte davon schwerlich in einem schwäbischen Kloster etwas aufgeschrieben, wenn nicht schwäbische Truppen am Krieg gegen die Ungarn teilgenommen hätten 8 3 . Der Umstand, daß die Politik Heinrichs I. gegen die Ungarn und sein Krieg gegen sie eine Angelegenheit des ganzen Reiches gewesen sind, ist nun aber für die Beurteilung der deutschen Geschichte während der Regierung Heinrichs von sehr wesentlicher Bedeutung. Der Kampf gegen die Ungarn war nämlich fast die einzige Handlung einer Reichspolitik in der Zeit des ersten sächsischen Königs. Daß die Slawenkriege Heinrichs I. ausschließlich mit den Kräften des sächsischen Stammes durchgeführt und in erster Linie von seinen Interessen diktiert wurden, ist allgemein bekannt. Lediglich in dem Feldzug gegen Böhmen wurde der König von Arnulf von Bayern unterstützt: hier waren außer den sächsischen auch die bayrischen Interessen im Spiele. Noch bezeichnender als in den Kämpfen an der Ostgrenze verlaufen die Dinge aber in den Kriegen an der Westgrenze. Man kann zwar durchaus nicht etwa davon sprechen, daß die Politik, die Heinrich in Lothringen trieb, spezifisch sächsisch gewesen sei. Im Gegenteil, er nahm hier die Traditionen der karolingischen Könige auf. Doch was er tat, tat er gewissermaßen allein; kaum von Truppen begleitet, fast ausschließlich durch diplomatische Schachzüge hat er Lothringen in seine Gewalt gebracht. Die deutschen Stämme rechts des Rheines sind für diese Politik nicht engagiert worden 8 4 . Aber die deutschen Stämme haben sich für die Politik Heinrichs gegen die Slawen und Westfranken nicht nur nicht einsetzen lassen. Ihre Zurückhaltung macht sich noch weiter bemerkbar. Man kann an einem eigenartigen, im allgemeinen unbeachteten Symptom deutlich beobachten, mit welcher vollendeten Gleichgültigkeit man in Franken, Schwaben und Bayern jener Politik gegenüberstand. Bekanntlich sind die Quellen in den ersten Jahrzehnten des zehnten Jahrhunderts so dürftig, wie kaum in irgendeiner andern Zeit des deutschen Mittelalters. Ein paar annalistische Aufzeichnungen, die höchstens in jedem Jahr eine kurze Notiz geben, das ist alles, was an gleichzeitiger Geschichtschreibung vorhanden ist. So wenig man aber durch diese Nachrichten erfährt, darüber ist doch kein Zweifel, daß sie das enthalten, was ihren Verfassern als das Wichtigste und Bemerkenswerteste in den Ereignissen ihrer Zeit erschien. Da ist es nun sehr bezeichnend, daß in außersächsischen gleichzeitigen Quellen von den Kämpfen Heinrichs gegen die Slawen so gut wie nichts überliefert wird 85 . Und die Eroberung Lothringens in den Jahren 923 und 925 hat überhaupt 81 82 81 84 85
a. a. O. Vgl. SS. I S. 67. So Waitz S. 152. Der einzige Stamm, der für diese Politik tieferes Interesse hatte, war der fränkische. Nur in den Annales Augienses taucht zu 931, SS. I S. 69, die einigermaßen apokryphe Nachricht auf: Heinricus rex reges Abodritorum et Nordmannorum efficit cbristianos. Zu 9 3 4 weiß
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keine deutsche Quelle aus der Zeit Heinrichs I. aufgezeichnet. Ganz anders steht es mit der Schlacht von Riade. Wie an der Abwehr der Ungarn 933 alle deutschen Stämme beteiligt waren, so hat man auch überall von ihr zu erzählen gewußt: in bayrischen, schwäbischen und lothringischen Klöstern wird die Nachricht von ihr notiert 8 6 . Auf der andern Seite aber ergänzen sich diese Beobachtungen durch die Feststellung, daß in einigen gleichzeitigen Quellen die Ungarnschlacht von 933 überhaupt das einzige Ereignis ist, das sie von der Tätigkeit König Heinrichs zu berichten wissen 87 . Die Schlacht von Riade scheint also in der Geschichte ihrer Zeit eine ganz einzigartige Stellung einzunehmen. Bekanntlich befand sich in den ersten Jahrzehnten des zehnten Jahrhunderts der deutsche Staat noch in den Anfangsstadien seiner Entwicklung. Erst seit ein paar Menschenaltern waren die verschiedenen Stämme zu einer politischen Einheit zusammengefaßt, und ihre Sonderstellung, ihr Partikularismus gaben dem deutschen Staatswesen des ausgehenden neunten und beginnenden zehnten Jahrhunderts die entscheidende Signatur. Von einem deutschen Volk und einer deutschen Nation kann man in dieser Zeit noch kaum reden; wohl aber von den Völkern und Nationen der Franken, Sachsen, Schwaben und Bayern. Die Stämme hatten ihr eigenes Nationalgefühl, ihre eigenen politischen und historischen Traditionen, ihren eigenen Dialekt, ihr eigenes Recht und ihre eigene Verfassung; sie hatten aber auch ihre eigenen noch ein gutes Jahrhundert ausgehalten. Die Söhne und Enkel Ludwigs des Deutschen waren von Mißgeschick und Ungeschick, von Krankheit und Schicksalsschlägen aller Art verfolgt. Man hat zwar schließlich den völlig unmöglichen Karl III. abgesetzt (wobei in den Quellen vom Königsheil übrigens so gut wie nichts zu merken ist). Aber die in ihren letzten Jahren regierungsunfähigen Könige Karlmann und Arnulf entfernte man nicht vom Thron, ebenso50 wenig Ludwig das Kind, der niemals zur politischen Selbständigkeit gelangt ist; und an der karolingischen Dynastie hielt man unentwegt fest. Aus welchem Grunde sollte man aber Konrad I. und seinem Hause das Königsheil absprechen? Bis 917 hatte er durchaus politische Erfolge gehabt. Sollte das eine Katastrophenjahr 918 genügt haben, um über sein „Königsheil" den Stab zu brechen? Das wäre ein etwas vorschnelles Verfahren gewesen, und wenn man es so gemacht hätte, so wäre schwerlich die Regierung auch nur eines einzigen deutschen Königs zu finden gewesen, den oder dessen Haus man nicht wegen des plötzlichen Verlustes des Königsheils vom Throne hätte ausschließen müssen. Und auf der andern Seite der Besitz des Heils, der Heinrich I. zum Königtum prädestiniert haben soll. Gewiß, wir sahen: in dem, was Widukind über Konrads letzte Worte sagt, kann man einen Hinweis auf das Königsheil finden, das zu dem Sachsenherzog übergegangen ist. Aber eben doch nur einen recht schattenhaften Hinweis, und daß der Gedanke konsequent verfolgt wäre, sieht man nicht. Und in den andern Quellen ist dergleichen überhaupt nicht zu entdecken. Dementsprechend, daß von "einer Verneinung von Konrads Königsheil bei Liudprand und dem Continuator, wie wir sahen, nicht die Rede sein kann, sagen sie auch nichts davon, daß Heinrich das Heil habe. Im Gegenteil, für beide ist er bis zum Tode Konrads der Unterlegene, und bei Liudprand empfiehlt ihn der sterbende König als seinen Nachfolger, nicht, weil er ihn als besonders „heilskräftig" ansieht, sondern als einen prudentissimus dux.... scientia pollens et iustae severitatis censurae habundans96. 95
So Mitteis S. 4 1 . Vgl. Antapodosis II, cap. 2 0 , S. 4 6 .
Miszellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts
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Und ganz ähnlich wird er beim Continuator nur als ein vir strennuus et industrius praecipuusque pacis sectator 9 7 vorgeschlagen. Bei der Thronbesteigung der Karolinger 751 könnte man mit einigem Recht davon reden, d a ß als Ersatz f ü r die abtretenden Merowinger ein Geschlecht d a war, dessen „Heil außer allem Zweifel" s t a n d 9 8 . Aber 918/19? D a ß die Sachsen von ihrem Herzogshaus und die Liudolfinger von sich selbst so etwas behaupteten, könnte sein. 5i Aber selbst wenn alle andern von der „Heillosigkeit" der Konradiner überzeugt gewesen wären, mußten sie dann auch davon überzeugt sein, daß außer bei dem Sachsenherzog kein Heil zu finden war? Mindestens die Bayern und ihr Herzog Arnulf konnten sich in diesem Punkte den Sachsen ohne weiteres an die Seite stellen. Sie hatten zum Schluß über Konrad den Sieg davongetragen, Konrad hatte im Kampf gegen sie anscheinend die W u n d e empfangen, an der er starb, und Arnulf hatte sogar (was bei Heinrich nicht der Fall war) einen großen Sieg über die Ungarn aufzuweisen. Und wieviel andere Ansprüche und Prätendenten, von denen wir nichts wissen, könnte es mit einem ähnlichen Rückhalt wohl noch gegeben haben. Man sieht, auch von dieser Seite bestätigt sich, was ich schon oben sagte: für irgendwelche objektiven Maßstäbe, die es an Eindeutigkeit etwa mit dem Erb- und Geblütsrecht oder der Königswahl aufnehmen konnten, war das Königsheil nicht zu gebrauchen. Es war bestenfalls (wenn der Gedanke überhaupt deutlicher hervortrat) 9 9 eine unter vielen anderen von der Parteien Gunst zu interpretierende Voraussetzung für die Bevorzugung eines Prätendenten, aber weiter nichts. 3. Die Wahl Wir wissen nicht, ob Konrad I. den Sachsenherzog Heinrich zu seinem Nachfolger designierte. Es ist möglich, d a ß er es tat, aber es ist nicht sicher. Nehmen wir jedoch im folgenden einmal an, daß die Designation tatsächlich erfolgt ist. Welche Bedeutung hätte sie dann gehabt 10 °? 98 Vgl. Cont. Reg. 919. S. 156. So Mitteis, a. a. O. S. 41. Wieweit er sonst in den Quellen des Mittelalters hervortritt, müßte erst noch untersucht werden; aber ich glaube nicht, daß man dabei viel mehr finden wird als in dem, was die Quellen zu 9 1 8 / 1 9 sagen. 100 In diesem Abschnitt möchte ich auf eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit der Literatur und auf eine entsprechende Polemik verzichten. Heimpel hatte seinerzeit (vgl. oben S. 241, Anm. 67) im Anschluß an Rosenstock das Moment, das Heinrich zum König machte, in der Designation Konrads gesehen. Ich habe dagegen Deutsches Archiv 6, S. 392 ff. und Zeitschrift für Rechtsgeschichte 66, S. 46 ff. [hier nicht aufgenommen, Bibliogr. Nr. 75 u. 78] das entscheidende Moment in einer Wahl erblickt. Rörig hat dann in seiner Akademieabhandlung (vgl. oben S. 241, Anm. 65) im wesentlichen der Auffassung von Rosenstock und Heimpel zugestimmt und auf die Designation das Hauptgewicht gelegt (wobei das Geblütsrecht eine besondere Rolle spielt); Mitteis (vgl. oben S. 241, Anm. 66) teilt offenbar mehr meine Ansicht und legt das Hauptgewicht auf die Wahl. Doch die Standpunkte haben sich insofern genähert, als auch nach Rörig zur Designation die Anerkennung durch die Großen gehört, wobei nur die Frage ist, welchen Sinn und Wert diese Anerkennung hatte. - Immerhin möchte ich doch sagen, daß mir Mitteis' Beweis (a. a. O. S. 46 f.) dafür, daß Heinrich vor der Fritzlarer Versammlung gewählt ist, nicht geglückt zu sein scheint. Mitteis glaubt mit Hilfe der Vita Mathildis antiquior zeigen zu können, daß Heinrich schon zu Lebzeiten Konrads von den Fürsten zum künftigen König
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Zum zehnten Jahrhundert
Wir vergegenwärtigen uns zunächst, wie sich die Quellen die Designation vorstellen und welchen Sinn sie ihr beilegen. Widukind läßt den sterbenden Konrad zu seinem Bruder Eberhard sagen, er solle für die Zukunft des Frankenreiches sorgen und dabei auf seinen, Konrads, Rat achten : Francorum toto regno consulito, mei adtendendo, fratris tui, Consilio. Trotz der Machtmittel, die die Franken hätten, sei die fortuna cum nobilissimis moribus zu den Sachsen übergegangen. Darum solle Eberhard mit den Reichsinsignien zu Heinrich gehen und Frieden und ein dauerndes Bündnis mit ihm schließen: ito ad Heinricum, facito pacem cum eo. Das tat Eberhard nach dem Tode Konrads: adiit Heinricum seque cum omnibus ihesauris Uli tradidit, pacem fecit, amicitiam promeruit... Deinde congregatis principihus et natu maioribus exercitus Francorum in loco qui dicitur Fridisleri, designavit eum regem coram omni populo Francorum atque Saxonum. Cumque ei offerretur unctio cum diademate a summo pontifi.ee, qui eo tempore Hirigerus erat, non sprevit, nec tarnen suscepvt: 'Satis, inquiens, micbi est, ut pre maioribus meis rex dicar et designer, divina annuente gratia ac vestra pietate; penes meliores vero nobis unctio et diadema sit: tanto honore nos indignos arbitramur.' Placuit itaque sermo iste coram universa multitudine. et dextris in caelum levatis nomen novi regis cum clamore valido salutantes frequentabant101. Der Continuator Reginonis erzählt: Qui, cum obitus sui diem inminere sentir et, vocatis ad se fratribus et cognatis suis, maioribus scilicet Francorum, mortem sibi inminere predixit et, ne in eligéndo post se rege discidium regni fieret, paterna eos voce premonuit. Sed et Heinricum Saxonum ducem, filium Ottonis, virum strennuum et industrium precipuumque pacis sectatorem ut eligerent, iussit aliumqué ei ad hoc officium aeque condignum inveniri non posse testificans sceptrum ei et coronam caeteraque regiae dignitatis ornamenta pacto tuendi et conservandi regni per eosdem transmisit. Und zum nächsten Jahre sagt er: Heinricus dux consensu Francorum, Alamannorum, Bawariorum, Turingorum et Saxonum rex eligitur 102. Bei Liudprand von Cremona schließlich heißt es: Cumque memoratos principes se adire fecisset, Heinrico solummodo non praesente, ita convenit: 'Ex corruptione ad incorruptionem, ex mortalitate ad inmortalitatem vocationis meae tempus, ut cernitis, praesto est; proin pacem vos concordiamque sectari etiam atque etiam rogo. Nie hominem exeunte nulla vos regnandi cupiditas, nulla praesidendi ambitio inflammet. Heinricum, Saxonum et Turingiorum ducem prudentissimum, regem eligite, dominum constituite. 1s enim est et scientia pollens et iustae severitatis censurae habundans.' His ita prolatis propriam coronam non auro, quo poene cuiuscumque ordinis principes pollent, verum gemmis preciosissimis, non solum inquam ornatam, sed gravatam, sceptrum etiam cunctaque regalia indumenta in medium venire praecepit ac, prout valuit, huiusmodi verba effudit: 'Heredem regiaeque dignitatis vicarium regalibus
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gewählt wurde. D a s ist aber sicher nicht richtig oder mindestens nicht beweisbar. Nach meiner Ansicht kann man überhaupt nicht beweisen, wo und wann Heinrich gewählt wurde, wohl aber kann man zeigen, daß er nach der Ansicht der Quellen gewählt worden ist und daß er nach dem Recht der Zeit gewählt werden mußte, um König zu werden. Vgl. Widukind I, cap. 25 und 26, S. 37 ff. Cont. Reg. 919 und 920, S. 156.
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bis ornamentis Heinricum constituo; cui ut oboediatis, non solurn consulo, sed exoro.' Quam iussionem mteritus et interitum mox est oboedientia prosecuta. Ipso namque mortem obeunte memorati principes coronam cunctaque regalia indumenta Heinrico duci contulerunt; atque ut rex Chuonradus dixerat, cuncta per ordinem enarrarunt. Qui regiae dignitatis culmen et prius humiliter declinavit ac paulo post non ambitiöse suscepit103. Man sieht, sowohl beim Continuator wie bei Liudprand ist im Zusammenhang mit der Designation Heinrichs durch Konrad von einem Befehl die Rede: der Continuator gebraucht das Wort iussit, Liudprand das Wort iussio. Man könnte also meinen, daß nach der Auffassung der beiden Chronisten der sterbende König selbständig und eigenmächtig über das Königtum verfügte, und die Meinung könnte sich noch verstärken, wenn man bei Liudprand Konrad die Worte sprechen hört: beredem ... Heinricum constituo. Die Wahl, zu der Konrad die Fürsten auffordert, wäre danach eine befohlene, d. h. eine bereits, ehe sie begann, festgelegte Wahl gewesen 104 ; etwas, das mit dem nur noch wenig oder nichts zu tun hatte, was man sich nach modernen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten im allgemeinen unter einer Wahl vorstellt: im Augenblick ihres Beginns hätte bereits festgestanden, wer „gewählt" wurde, und nicht die Wähler hätten über die Wahl des zu Wählenden entschieden, sondern König Konrad. Daß so etwas denkbar und möglich ist, und daß diese Möglichkeit sich mit dem Wahlbegriff des Mittelalters und des zehnten Jahrhunderts durchaus vereinigen ließe, ist keine Frage. Die meisten Bischofswahlen der Zeit z. B. sind nicht anders vor sich gegangen. Der König bestimmte, wer zu wählen war, und Klerus und Volk wählten einen Bischof, dessen Wahl festgelegt war, ehe sie begann. Etwas Ähnliches läßt sich bekanntlich später bei der Königswahl in der Abgabe der Kurstimmen beobachten. In dem Augenblick, in dem sie ihren Anfang nahm, stand fest, für wen die Stimmen abgegeben wurden. Und dasselbe findet man in nächster Nähe der Vorgänge von 918/19, nämlich in Widukinds Bericht über die Aachener „Wahl" von 93 6 105. Es ist völlig deutlich, daß, als diese, wie sie Widukind nennt, universalis electio im Vorhof des Aachener Münsters und im Münster selbst inszeniert wurde, kein Zweifel daran bestand, daß Otto zum König zu erheben war: es wurde nicht gewählt, sondern es wurde nur das Ergebnis einer vorher gefallenen Entscheidung verkündet und manifestiert. Aber wenn sich das alles auch so verhält, so haben doch die Quellen in ihren Berichten über die Designation und Wahl von 918/19 offenbar nicht daran gedacht, daß es sich bei der Designation Heinrichs durch Konrad um eine verbindliche Entscheidung handelte, und daß damit die Wahl des zu Wählenden ohne weiteres festgelegt und nur noch eine Form war. Widukind von Korvei redet in dem Zusammenhang überhaupt nicht von etwas, was nach Befehl und einseitiger Entscheidung Konrads klingt, sondern er spricht nur 103
Vgl. Antapodosis II, cap. 20, S. 46 f. Dem, was Mitteis S. 45 f. über die „befohlene" Wahl sagt, folge ich hier nicht, so sehr ich ihm im Ergebnis zustimme. 105 v g l . dazu unten S. 269 f.
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von einem consiliutn. Es mag unklar und schwer zu deuten sein, was er über den Fritzlarer Vorgang vom Mai 919 erzählt. Aber wenn sich, wie anzunehmen, hinter den Worten nomen novi regis ... salutantes frequentabant irgendeine „Wahlhandlung" (sei sie nun eine Kur, eine Proklamation oder auch nur eine Akklamation gewesen) verbirgt 10°, so erscheint die Wählerschaft doch nicht bloß als Objekt und ausführendes Organ eines fremden Willens, sondern es wird ihr irgendeine Stellungnahme und Entscheidung zugebilligt; denn der Mönch sagt vorher: placuit ... sermo iste (sc. Heinrici) coram universa multitudine und er stellt die „Wahl" offenbar als Folge dieses placere hin. Den Wendungen aber bei Liudprand und beim Continuator, die nach Befehl und verbindlicher Verfügung Konrads klingen, stehen andere gegenüber, die das Gegenteil besagen. Der Continuator läßt Konrad nicht bloß iubere, sondern auch paterna voce premonere-. schon deshalb allein wird man das iubere nicht zu wörtlich zu nehmen haben. Und dies iubere läßt der Chronist Konrad vor seinen fratres und cognati vornehmen: es bezieht sich also auf die Familie oder Sippe Konrads und keineswegs auf die ganze Wählerschaft, d. h. es ist nicht eine Handlung des Königs, sondern des s« Sippenoberhauptes. Dem entspricht es, daß nach den Worten des Continuators die Wahl Heinrichs dann mit dem consensus der deutschen Stämme vor sich geht: sie ist für ihn also nicht oder nicht bloß die Ausführung eines königlichen Befehls, sondern eine Sache, die mit der Einwilligung und Zustimmung der Wähler vollzogen wurde. D a ß ec die Dinge so ansah, ist noch deutlicher bei Liudprand. Als iussio bezeichnet er die Worte Konrads: cui (sc. Heinrico) ut oboediatis, non solum consulo, sed exoro; also auch hier darf man das Wort iussio nicht auf die Goldwaage legen, und es ist für Liudprand nicht ein Befehl im eigentlichen Sinne, sondern nur eine Bitte, eine Empfehlung. Vor allem aber läßt Liudprand nach der Erhebung Heinrichs zum König ihn zu dem Bayernherzog Arnulf, der ihm das Königtum streitig machte, die Worte sprechen: Quod populus regem me cupit esse, scias. Und weiter: Si regem populus cuperet praeponere temet, protinus is essem, qui magis hoc cuperet. Und gleich danach läßt Liudprand die Bayern zu Arnulf sagen: neque enim in huius electione totius populi posset esse animus unus, si a trinitate ... non esset electus 107. Deutlicher und eindeutiger kann aus Liudprands eigenen Worten wohl nicht hervorgehen, daß für ihn die Designation durch Konrad nicht das Entscheidende ist. Welche Rolle sie auch spielen mag, geschaffen wird für Liudprand das Königtum Heinrichs nicht durch sie, sondern durch die electio des populus. Was Widukind über die Wahl Heinrichs in Fritzlar sagt, ist (wie bemerkt und womit wir uns noch ausführlicher zu befassen haben werden) nicht einwandfrei zu deuten. Was der Continuator über die Wahl durch sämtliche rechtsrheinischen Stämme berichtet, ist, soweit er eben von der Beteiligung aller Stämme redet, sicher unrichtig. Und Liudprand sagt über einen Wahlakt und seinen Verlauf direkt gar nichts. Aber so wenig Brauchbares wir auch über die Wahl Heinrichs und ihre Einzelheiten erfahren mögen, als Auffassung der drei Chronisten können wir doch feststellen, daß die Voraussetzung für sein Königtum keineswegs bloß eine Designation 106 107
Vgl. dazu unten S. 257 ff. Vgl. Antapodosis II, cap. 22 und 23, S. 48.
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durch Konrad I. sondern auch eine Wahl, und zwar eine freie und selbständige Wahlentscheidung seiner Wähler gewesen ist. Wir haben oben gesehen, daß die Quellen zu unzuverlässig sind, als daß man sich auf ihre Behauptung, Konrad habe Heinrich designiert, wirklich verlassen könnte. Für den Fall aber, daß sie, wie wir hier annahmen, mit dieser Behauptung doch recht hätten, wären die Worte, die sie Konrad und Heinrich (und den Bayern) für 918 und die folgenden Jahre in den Mund legen, sowie die Bedeutung, die sie der Designation beimessen, schwerlich ohne weiteres als historische Realität aus der Zeit um 919 zu werten. Es würde sich darin kaum etwas anderes widerspiegeln als die Auffassung, die man von diesen Dingen ums Jahr 960 und danach hatte. Nun hatte sich aber bis zu dieser Zeit seit 919 die Stellung des Königtums erheblich gefestigt. Das traf auch für seinen Einfluß auf die Thronfolge zu, besonders nach den Designationen oder Designationswahlen von 936, 946 und 961, bei denen, von allem andern abgesehen, das Designationsrecht des Königs durch das Geblütsrecht und den Erbanspruch der Dynastie eine wesentliche Stärkung erfahren mußte. Wenn Liudprand, Widukind und der Continuator nach 960 trotzdem der Meinung sind, daß es 919 ohne die wesentliche Mitwirkung des populus nicht gegangen ist, so ist anzunehmen, daß man 919, wo die Macht der Krone schwach war und ein Geblütsrecht des Designierten nicht in Frage kam, genauso und erst recht so dachte. Dasselbe ergibt sich aber noch durch eine andere Überlegung, sozusagen von der andern Seite her. Bei den Designationen, die vor 918 in Deutschland stattgefunden haben, ist ganz deutlich, daß nicht das Wort und der Wille des Königs seinen Nachfolger bestimmte. D e r Versuch Karls III., seinen illegitimen Sohn Bernhard zu seinem Nachfolger wählen zu lassen, ist gescheitert; und genauso vermochte Arnulf von Kärnten zunächst überhaupt nicht und dann nur unter Vorbehalten und Bedingungen die Wahl seiner Bastarde durchzusetzen. In allen diesen Fällen war nicht bloß trotz der Designation eine Wahl - und zwar eine freie Wahl - erforderlich, sondern man sieht ganz deutlich, daß die das Entscheidende war: der populus hatte es in der Hand, den Designierten abzulehnen. 918 aber war die Macht der Krone nicht größer als unter Karl III. und sicher viel geringer als unter Arnulf: das Königtum war am Rande des Abgrundes. Und so gering das Geblütsrecht der Bastarde Karls III. und Arnulfs gewesen sein mag - es war doch wenigstens da, während es bei Heinrich I. völlig fehlte. Sowenig also die Designation durch Konrad I. 918 wirkungsvoller gewesen sein kann, als es ihr die Auffassung der Chronisten aus der Zeit um 960 zuschreibt, sowenig kann sie eine größere Bedeutung gehabt haben als die Designationen der letzten Karolinger. Gewiß kann man nicht sagen, daß die Designation im allgemeinen und die von 918 (wenn sie überhaupt stattfand) belanglos war. D a ß man später so eifrig versicherte, Konrad habe Heinrich designiert, und daß man überhaupt immer gern die Designation durch den Vorgänger betonte, zeigt, daß man Gewicht darauf legte. Das Wort und der Wille eines Königs hatte immer eine Autorität, und bei der Frage, wer-der Erbe seiner Krone werden sollte, mochte es ein besonderes Gewicht haben. Aber es brachte keine Entscheidung. Seine Bedeutung mochte je nach der Macht, die der
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König hatte, steigen oder fallen, realisiert wurde die Designation erst durch die Wahl, und ob sie vollzogen wurde, hing von dem Willen der Wähler ab 108 . Es muß also, gleichgültig, ob Konrad Heinrich designiert hat oder nicht, 918/19 eine Wahl stattgefunden haben, und zwar in dem Sinne, daß die Wähler darüber entschieden, ob sie Heinrich zum König machen wollten oder nicht. Die lange Zeit, die zwischen dem Tode Konrads I. und der Wahl verstrichen ist 1 0 9 , läßt es wahrscheinlich erscheinen, daß man sich darüber keineswegs von Anfang an einig war. Und daß Arnulf von Bayern (wir wissen nicht, ob früher oder später als Heinrich) 110 gleichfalls zum König gewählt wurde, verstärkt diese Wahrscheinlichkeit noch. Aber selbst wenn wenigstens bei den Sachsen und einem Teile der Franken 1 1 1 von Anfang an festgestanden haben sollte, daß Heinrich König wurde, so hätte doch, daß es feststand, am Willen seiner Wähler gelegen. Sie hatten in jedem Falle die Entscheidung, und wenn Konrad designiert haben sollte, so hätte dann die Entscheidung darin bestanden, daß sie seine Designation, d. h. seinen Vorschlag annahmen. Wie diese „Wahl" vor sich ging, wissen wir nicht, da uns die Quellen im Stich lassen. Es ist möglich, daß dabei über mehrere Kandidaten verhandelt und unter ihnen ausgewählt wurde - etwa unter Arnulf und Heinrich und vielleicht auch noch unter andern. Es ist ebensogut möglich, daß, etwa nach einer vorangegangenen Wahl Arnulfs durch die Bayern und einem Teil der Franken oder entsprechend dem Vorschlag Konrads und Eberhards oder sonst unter dem Druck der politischen Lage, für Sachsen und Franken von Anfang an nur Heinrich in Betracht kam 112 . Es ist möglich, daß man sich rasch einigte, und wahrscheinlich, daß man lange verhandelte. Und ebensowenig wie über das Wie können wir über das Wann und Wo der Wahl etwas sagen. Es ist denkbar, daß die Entscheidung, d. h. der Beschluß der Wähler, daß Heinrich König werden sollte, schon längst vor der von Widukind beschriebenen Fritzlarer Versammlung im Mai 919 gefaßt w u r d e 1 1 3 und das es hier nur zu einer Proklamation des Gewählten kam. Es ist aber ebensogut möglich, daß Sachsen und Franken sich erst in Fritzlar über die Person ihrer neuen Königs endgültig einigten. 108 m
1.0 1.1
u :
118
Über das Verhältnis von Designation und Wahl vgl. auch weiter unten S. 264 ff. Vgl. dazu meine Bemerkung Zeitschrift für Rechtsgeschichte 66, S. 55; ebenso auch Mitteis S. 47. Vgl. Deutsches Archiv 6, S. 389 f. D e m schließt sich Mitteis, a. a. O. S. 55, an. Vgl. darüber, daß nur ein Teil des fränkischen Stammes Heinrich, ein anderer Arnulf wählte, Deutsches Archiv 6, S. 389 f.; dazu Mitteis a. a. O., der dem zustimmt. Wenn Rörig, a. a. O. S. 11, und an andern Stellen offenbar meint, zum Wesen der echten Wahl gehöre es, daß sie eine Auswahl unter mehreren ist, so scheint mir das nicht ganz richtig zu sein. Ihr wesentliches Merkmal scheint mir zu sein, daß die Wähler die Entscheidung hatten. Wurde nur ein Kandidat vorgeschlagen, wie das bei den Designationswahlen zweifellos im allgemeinen der Fall war, so konnten die Wähler annehmen oder ablehnen, und im Fall der Ablehnung würde es zur Aufstellung eines neuen oder neuer Kandidaten gekommen sein müssen. Man kann vielleicht sagen, zur Wahl gehört potentiell die Möglichkeit, unter mehreren auszuwählen, aber faktisch brauchte es nicht so zu sein. D a s habe ich schon in Zeitschrift für Rechtsgeschichte 66, S. 56, betont. Zu der Meinung von Mitteis, daß die Wahl vor der Fritzlarcr Versammlung tatsächlich stattgefunden habe, vgl. oben S. 251 f., Anm. 100.
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4. Die Fntzlarer
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Wahlhandlung
Über die Fritzlarer Vorgänge im Mai 919 erfahren wir bekanntlich nur etwas aus Widukinds Sachsengeschichte. Dort heißt es an der oben bereits einmal abgedruckten Stelle 1 1 4 : congregatis prineipibus et natu maioribus exercitus Francorum in loco qui dicitur Fridisleri, designavit eum regem corarn omni populo Francorum atque Saxonum. Cumque ei offerretur unetio cum diademate a summo pontifice, qui eo tempore Hirigerus erat, non sprevit, nec tarnen suseepit: Satis, inquiens, michi est, ut pre maioribus meis rex dicar et disigner, divina annuente gratia ac vestra pietate; penes meliores vero nobis unetio et diadema sit: tanto honore nos indignos arbitramur. Placuit itaque sermo iste corarn universa multitudine, et dextris in caelum levatis nomen novi regis cum clamore valido salutantes frequentabant. Ob und wieweit dieser Bericht wirklich das wiedergibt, was in Fritzlar geschehen ist, soll uns zunächst nicht interessieren. Wir fragen statt dessen einstweilen bloß, wie er zu interpretieren ist, und setzen uns dabei mit der Ansicht auseinander, die Mitteis darüber zuletzt geäußert hat. E r hat den Vorgang, wie er bei Widukind erscheint, als Kur gedeutet 1 1 5 ; wenn es von Eberhard heißt: designavit eum regem, so sei das nichts anderes als eine Bezeichnung für den Kürruf, den der Frankenherzog als erster abgegeben habe, und die Wendung nomen novi regis cum clamore valido salutantes frequentabant gebe den Kürruf der übrigen Wahlversammlung wieder. Das bedeutet: nach Mitteis' Meinung ist es in Fritzlar oder wenigstens in dem, was Widukind über die Fritzlarer Versammlung berichtet, nicht mehr zu Verhandlungen, zu einer „Wahl" gekommen, sondern nur zur Verkündigung, zur Proklamation einer schon gefallenen 6i Entscheidung. Zu einer Proklamation, für die Mitteis im Anschluß an die spätere Terminologie Eikes von Repgow im Sachsenspiegel eben den Ausdruck Kur gebrauchen will, während er das Wort „Wahl", gleichfalls im Anschluß an den Sachsenspiegel, für die vorangehenden Verhandlungen verwendet, in denen man sich auf die Person des zu Kürenden einigte. Den Vorschlag, schon für die ältere Zeit, lange vor dem Sachsenspiegel (d. h. für eine Zeit, in der in den Quellen diese Termini noch nicht gebraucht werden) soweit irgend angängig, zwischen Wahl und Kur zu unterscheiden, halte ich für sehr begrüßenswert. E r kann dazu beitragen, uns aus dem heillosen Durcheinander in der Verwendung des Wortes „Wahl" mit seinen vielen Bedeutungen und Deutungsmöglichkeiten 116 zu befreien. Aber handelt es sich nach dem, was Widukind sagt, in Fritzlar wirklich um nichts andres als um eine Kur, d. h. um die mit einer bestimmten Kürformel erfolgende Nominierung des Gewählten? Wenn der Korveier Mönch erzählt, daß die versammelte Menge den Namen des neuen Königs mit erhobner Rechten wiederholt rief, so mag das in der Tat ein passender Ausdruck für eine gemeinsame Kur durch die Wählerschaft sein. JedeyiU1 1,5
Vgl. oben S. 252. Vgl. Mitteis, a. a. O. S. 50 ff. Vgl. dazu die Bemerkungen von Rörig, a. a. O. S. 37, denen ich restlos, zustimme
17
Lintzel Bd. II
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Zum zehnten Jahrhundert
falls sieht es so aus, als ob es sich hier nicht um irgendeine Abstimmung, Auswahl oder um sonst einen Akt handelt, bei dem die Entscheidung, wer König werden soll, erst gesucht wird: der wiederholte Namensruf der multitudo scheint vorauszusetzen, daß über die Frage, ob Heinrich König werden sollte, nicht mehr diskutiert wurde 1 1 7 . Doch dem sei wie ihm wolle - kann man auch in dem designare Eberhards, wie Mitteis will, einen Kürruf erblicken? Das Wort designare wird bei Widukind recht vielfältig gebraucht. Zweifellos taucht es in Zusammenhängen auf, in denen es dem Begriff des Kürens nahekommt. Aber in andern Fällen wieder bedeutet es das doch ebenso zweifellos nicht, und es hat da nur den Sinn etwa von bezeichnen, vorschlagen oder empfehlen U 8 . Und niemand kann sagen, daß es das hier nicht auch bedeutet. Wenn es sich bei der „Designation" durch Eberhard tatsächlich um den ersten Kürruf handelte, so wäre die „Wahl", d. h. das wellen Eikes bereits abgeschlossen und die Entscheidung, daß Heinrich König wurde, bereits gefallen gewesen; mit Eberhards Kürruf hätte der zeremonielle Teil der Königserhebung seinen Anfang genommen. Selbst wenn man es mit Mitteis für möglich hielte, daß die Einzelkur (durch Eberhard) und die Gesamtkur (durch die multitudo) von dem Krönungsangebot Herigers (und, wäre es realisiert worden, von der Krönung) auseinandergerissen wurde, so halte ich es doch für ausgeschlossen, daß erst in diesem Augenblick darüber verhandelt wurde, ob gekrönt werden sollte oder nicht. Kur und Krönung waren feierliche Staatsakte, die nicht plötzlich improvisiert wurden und improvisiert werden konnten, sondern die sich in einer bestimmten Form und Ordnung abspielten und abspielen mußten, wenn nicht ein Chaos herauskommen sollte. Wenn wirklich der Krönungsakt mitten in die Kur hinein gelegt wurde, dann konnte man beim Beginn der Kur nicht mehr im ungewissen sein, ob er stattfinden w ü r d e i 1 9 . Mit andern Worten: daß nach der Designation Eberhards erst das Krönungsangebot erfolgte und abgelehnt wurde, spricht gegen die Annahme, daß diese Designation ein Kürruf war. Man braucht in Eberhards „Designation", wie sie von Widukind berichtet wird, schwerlich etwas anderes zu sehen als einen Vorschlag an die Wahlversammlung, Heinrich zum König zu machen. Ob das nun freilich richtig ist, und vor allem, ob sich die Dinge in der geschichtlichen Wirklichkeit so abspielten, das weiß ich nicht, und ich glaube, man kann es nicht wissen. Denn um wirklich zu erfassen, was in Fritzlar vor sich gegangen ist, dafür ist der Wahlbericht Widukinds viel zu unzulänglich. Man ist anscheinend durch Widukinds ausführliche Erzählung über den Aachener Akt von 936 verwöhnt und nimmt an, daß er über die Wahlhandlungen, die er be111
Für ganz sicher halte ich das freilich nicht: der wiederholte Namensruf könnte nach Widukinds Auffassung auch zwar nicht eine Abstimmung bedeutet, aber doch die endgültige Entscheidung gebracht haben, vgl. dazu oben S. 2 5 4 .
118
destgnavitfiliumsuum Oddonem regem; designatum regem a patre; ebenso S. 6 5 ; im Sinne von „Küren" könnte designare verstehen in I, cap. 9, S. 1 1 : Thiadricus autem designatus rex. Vgl. zu
Z. B. I, cap. 4 1 , S. 60, wo es von Heinrich I. heißt: oder II, cap. 1, S. 6 3 : man dagegen
der Frage auch Deutsches Archiv 6, S. 3 9 4 ; sowie B. Schreyer, Zum Begriff der Desxgnation bei Widukind, Zeitschrift für Rechtsgeschichte 67 ( 1 9 5 0 ) , Germ. Abt., S. 4 0 7 ff. Vgl. auch Deutsches Archiv 6, S. 39S.
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schreibt, erschöpfend Auskunft gibt. In Wirklichkeit ist davon keine Rede. Was er über die Wahl Konrads I. 911 sagt, ist, soweit es überhaupt richtig ist, ganz fragmentarisch 120 , und dasselbe gilt für seine Worte über die Designation Liudolfs durch Otto I. m . D a ß aber das, was er über die „Wahl" (oder Kur) im Mai 919 sagt, nicht auch nur eine halbwegs vollständige Beschreibung der tatsächlichen Vorgänge gibt, das kann man sich sehr rasch klarmachen. Nach Widukind hätte die ganze Sache außer in dem Vorschlag Eberhards (oder was es war) nur in dem Namensruf (oder allenfalls dem Kürruf) der multitudo bestanden. Das ist ausgeschlossen: in so dürftigen, verkümmerten Formen kann keine Königserhebung vor sich gegangen sein. Sie war ein Rechtsakt, und Rechtsakte wurden im Mittelalter immer unter Beobachtung bestimmter Formen und zwar meist einer verschwenderischen Fülle von Formen vollzogen - erst recht aber, wenn es sich um Akte von so überragender Bedeutung wie die Konstituierung eines Königs handelte. Wie Widukind auf die feierliche Thronsetzung Ottos des Großen 936 in Aachen zu sprechen kommt, sagt er, daß sie 64 die Fürsten more suo vollzogen hätten 1 2 2 : er bestätigt also, was ohnehin anzunehmen wäre, daß es sich dabei um einen alten Brauch handelte. Und von der Einsetzung Ludwigs des Kindes erfahren wir, daß der junge König dabei mit den königlichen Gewändern bekleidet und auf einen Thron gesetzt wurde 123 . Etwas Ähnliches muß selbstverständlich mit Heinrich I. gleichfalls geschehen sein, und es ist anzunehmen, daß man dabei auch das Krönungsmahl nicht vergessen h a t 1 2 i . Widukinds Bericht, der von alledem nichts sagt, ist also auf jeden Fall lückenhaft. Wenn er aber Momente verschweigt, von denen wir mit Sicherheit annehmen können, daß sie in Fritzlar in Erscheinung traten, woher wollen wir dann wissen, was er sonst noch übergeht, und ob er in dem, was er überhaupt erzählt, auch nur einigermaßen korrekt ist? Wer weiß denn, nach welcher Überlieferung oder nach welchem Lied sich 128
Vgl. I, cap. 16, S. 27; danach hätte die „Wahl" Konrads lediglich in einer Salbung bestanden, was natürlich ausgeschlossen ist. ist Vgl. III, cap. 1, S. 104. Dort heißt es: (Otto) facto teslamento creavit eum (sc. Liudulfum) regem post se. Daß Widukinds Worte auch in diesem Falle eine starke Verkürzung des tatsächlichen Vorgangs (welcher Art er auch gewesen sein mag) bedeuten, liegt wohl auf der Hand. Auf Widukinds Bericht über die Erhebung Konrads I. und Liudolfs habe ich bereits Deutsches Archiv 6, S. 397 hingewiesen, um zu zeigen, daß Widukind nicht so etwas wie ein Spezialist für Königswahlen ist. Dem stimmt Rörig, a. a. O. S. 11, Anm. 3 zu, ebenso auch Schlesinger a. a. O. S. 403, Anm. 91. Wenn Rörig dann freilich meint: „was Widukind über . . . Königserhebungen sagt, ist nie eigentlich falsch, aber auch nicht vollständig", so ist nur der zweite Teil des Nachsatzes unbedingt richtig; ob, was Widukind sagt, „nie eigentlich falsch" ist, darüber wissen wir schlechterdings gar nichts. 122 Vgl. II, cap. 1, S. 64. m
124
17»
Vgl. E. Dümmler, Geschichte des Ostfränkischcn Reiches III, 2. Aufl. (1888), S. 496; und vor allem Regino von Prüm zu 900, S. 147 f. Ähnlich über die Fritzlarer Vorgänge bereits P. E. Schramm, Die Krönung in Deutschland bis zum Beginn des salischen Hauses, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 55 (1935), Kan. Abt., S. 195 f.; vgl. auch Schlesinger, a. a. O. S. 402 ff. und S. 411 (über das Krönungsmahl).
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Zum zehnten Jahrhundert
Widukind hier richtet? 125 Kontrollmöglichkeiten haben wir nicht. Und wie ich es für ein vergebliches Bemühen halte, feststellen zu wollen, ob Heinrich von Konrad zu seinem Nachfolger designiert worden ist, so scheint es mir unmöglich zu sein, in den Einzelheiten zu sagen, wie sich die Dinge in Fritzlar abgespielt haben. Im Grunde wird man sich bei der Feststellung beruhigen müssen, daß Heinrich von den Sachsen und Franken (oder einem Teil des fränkischen Stammes) zum König gewählt worden ist. Das ist nicht gerade viel, aber es ist doch das historisch Wesentliche. 155
Die historische Überlieferung der Zeit dürfte sich meistens in Liedern oder liedähnlichen Gebilden fortgepflanzt haben, und gerade Widukind scheint von ihnen reichlich Gebrauch gemacht zu haben. Wie eklektisch und unvollständig aber eine derartige Nachrichtenvermittlung unter Umständen verfährt, das zeigt z. B. das bekannte Lied D e Heinrico oder das Ludwigslied zur Genüge.
III.
DIE
W A H L E N
OTTOS
DES
G R O S S E N
936
Im Zusammenhang mit der Erhebung Ottos des Großen zum König im Jahre 936 wissen die Quellen von drei Wahlhandlungen oder wahlähnlichen Handlungen zu berichten. Einmal von der wahrscheinlich in Erfurt erfolgten Designation durch Heinrich I.; zweitens von einer Wahl nach Heinrichs Tod an unbekanntem Ort und zu unbekannter Zeit; und drittens von dem feierlichen „Wahl"- und Krönungsakt in Aachen. 1. Die
Designation
Daß Heinrich I. Otto den Großen zu seinem Nachfolger designiert habe, versichern Widukind von Korvei und Liudprand von Cremona. Bei Widukind liest man darüber: (Heinricus) cum se iam gravari morbo sensisset, convocato omni populo designavit filium suum Oddonem regem, caeteris quoque filiis predia cum thesauris distribuens; ipsum vero Oddonem, qui maximus et optimus fuit, fratribus et omni Francorum imperio prefecit. Testamento itaque legitime facto et rebus omnibus rite compositis defimctus est126. Bei Liudprand heißt es: Quantae fuerit prudentiae quantaeque rex Heinricus scientiae, hinc probari potest, quod potissimum ac religiosissimum natorum suorum regem constituit,27. Und dasselbe wird später noch einmal erwähnt oder angedeutet, indem Liudprand einige Leute zu dem jüngern Heinrich, Ottos Bruder, sagen läßt: Kectumne patrem egisse rere regia tibi in dignitate genito non in eadem gönitum praeponendo? 1 2 8 Man sieht, über das Wann und Wo der Designation findet sich bei Liudprand gar nichts, während Widukind nur sagt, daß sie während der letzten Krankheit Heinrichs, also kurz vor seinem Tode und convocato omni populo, d. h. auf einem Hof- oder Reichstag oder etwas Ähnlichem stattgefunden habe. Die Vita Mathildis antiquior erzählt, daß sich Heinrich während seiner letzten Krankheit nach Erfurt begeben habe, quo cunctos illius ditioni subditos adesse praecipiens, de regni statu consilium habere coepit129; dabei und auch sonst in der Vita Vgl. Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei I, cap. 4 1 , hrsg. von P. Hirsch und H . - E . Lohmann, in SS. rer. Germ, in us. schol. ( 1 9 3 5 ) , S. 6 0 . 12" Vgl. Liudprand, Antapodosis IV, cap. 16, Die W e r k e Liudprands von Cremona, hrsg. von 126
128
J. Becker, SS. rer. Germ, in us. schol. ( 1 9 1 5 ) S. 113. Vgl. ebenda, cap. 18, S. 114.
i?9 y g i
Vita Mathildis reginae antiquior, cap. 7, SS. X ,
S.
577.
262
Zum zehnten Jahrhundert
wird von einer Regelung der Nachfolge nichts berichtet. Daß darüber in Erfurt verhandelt wurde, behauptet erst die jüngere Lebensbeschreibung der Mathilde 1 3 0 , und es ist recht gut möglich, daß ihre Behauptung weiter nichts ist als das Ergebnis einer Kombination und Ausschmückung dessen, was die ältere Vita erzählt. Aber es besteht kein Grund, diese Kombination zu verwerfen; es liegt vielmehr nahe, zu der Beratung über den status regni, die nach der ältern Vita in Erfurt vor sich ging, Verhandlungen über die Nachfolge zu rechnen und also die von Widukind und Liudprand berichtete Designation nach Erfurt zu verlegen. Doch ob das nun richtig ist oder nicht, die Versicherung dieser beiden Chronisten, daß eine Designation stattfand, braucht man jedenfalls nicht zu bezweifeln. Für die Beurteilung der Vorgänge von 936 liegen die Dinge wesentlich anders als für die von 918. Den Nachrichten über die Designation Ottos fehlt völlig der sagenhafte Charakter, der denen über die Designation Heinrichs anhaftet; zudem stehen die Quellen den Ereignissen von 936 um fast zwanzig Jahre näher als denen von 918. Und dazu kommt, daß es für Heinrich, nachdem er gegen Ende des Jahre 935 vom Schlage getroffen war, beinahe selbstverständlich sein mußte, sein Haus zu bestellen und Verfügungen über die Nachfolge zu treffen, indem er einen seiner Söhne zum Erben der Krone bestimmte 1 3 1 . Wenn Widukind auch sagt, daß die Designation convocato populo vor sich ging, so sagt er doch mit direkten Worten nichts von einer Mitwirkung des Volkes, der Großen. E r weiß dann zwar von zwei Wahlhandlungen nach dem Tode Heinrichs zu erzählen. Aber in seinem Bericht über die zweite dieser „Wahlen", die Aachener vom 7. August, ist von einer Wahl im eigentlichen Sinne, d. h. von einer Auswahl oder von einer Entscheidung über den zu „Wählenden" nicht die Rede: diese „Wahl" ist, wovon wir noch zu sprechen haben werden, nichts als eine Proklamation, die an einem bereits zum Königtum Bestimmten vollzogen wird 1 3 2 . Und wenn sich dasselbe für Widukinds Bericht über die erste der nach Heinrichs Tod erfolgten Wahlhandlungen auch nicht nachweisen läßt 1 3 S , so ist doch immerhin die Möglichkeit gegeben, daß es sich auch hier so verhält: es ist durchaus denkbar, daß es sich auch in diesem Falle nicht um eine „Wahl", sondern nur um die Dokumentierung einer vorher getroffenen Entscheidung handelt. Nach den Worten Widukinds könnte man also damit rechnen, daß die Verfügung über das Königtum von Heinrich allein getroffen wurde: die Designation wäre danach ausschlaggebend und rechtsverbindlich gewesen und eine Wahl durch die Großen in dem Sinne, daß sie über die Krone verfügten oder mitverfügten, überflüssig. Und daß man dasselbe aus Liudprands Worten herauslesen könnte, der von irgendeiner Wahlhandlung vor oder nach dem Tode Heinrichs überhaupt nichts bemerkt, liegt auf der Hand. im Vgi_ Vita Mathildis reginae posterior, cap. 7, SS. IV, S. 2S8: (Heinricus) ad Erpesvort iter direxit, ibique cunclos principes regni convenire praecepit, ut se invicem coadunarent, quem suorurn filiorum regale solium possidere eligerent. 131
132 133
So werden die Dinge in der Literatur auch im allgemeinen angesehen, und irgendwelche Zweifel an der Designation Ottos durch Heinrich sind meines Wissens nicht aufgekommen. Vgl. darüber weiter unten S. 269 ff Vgl. darüber unten S. 267 ff.
Miszellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts
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Im Gegensatz dazu versichert die jüngere Vita Mathildis, Heinrich habe in Erfurt die Fürsten aufgefordert, sich darüber zu einigen, quem suorum filiorum regale solium possidere eligerent134. Und, nachdem sie schon früher erzählt hatte, daß sich die Königin Mathilde für die Kandidatur des jüngeren Heinrich einsetzte 135 , berichtet die Vita weiter, daß es nach dem Tode Heinrichs I. zwei Parteien gegeben habe, von denen die eine für den jüngeren Heinrich, die andere für Otto den Großen eingetreten, daß aber das Zepter schließlich durch Gottes Weisheit an Otto gekommen sei 1 3 0 . Dementsprechend schreibt auch Thietmar, der gleichfalls von dem Eintreten der Mathilde für Heinrich erzählt, die Entscheidung der summatum optima pars, also den Großen zu 1 3 7 . Er bezeichnet in einem andern Zusammenhang die Designation Ottos durch Heinrich als decretum ac peticio, also als eine Bitte des Königs an die Großen, und Ottos Wahl führt er auch hier auf den Wunsch und Willen der Fürsten zurück 138 ; an einer andern Stelle redet er geradezu von einer voluntaria electio Ottos durch die principes 139. Nun stehen die jüngere Vita Mathildis und Thietmar den Ereignissen zu fern und sie wissen zu wenig, als daß man ihnen wirklich zuverlässige Kenntnisse von dem, was 936 geschah, zutrauen könnte 140 , und ihre Vorstellungen von der Mitwirkung oder der Entscheidung der Fürsten könnten von den verfassungsgeschichtlichen Vorstellungen ihrer eigenen Zeit bestimmt sein. Aber in dem wesentlichen Punkte, nämlich darin, daß die Fürsten bei der Verfügung über den Thron mitzuwirken und zu entscheiden hatten, haben sie trotzdem sicher recht. Wenn Widukind und Liudprand von einer Mitwirkung der Großen bei der Designation schweigen, so beweist das gar nichts. Gerade wenn sie diese Mitwirkung als üblich oder selbstverständlich ansahen, hatten sie keinen Grund, besonders darauf hinzuweisen. Der Spiritus rector bei der Designation, der Mann, von dem der Wille und die politische Initiative dazu ausging, war sicher Heinrich I.; ihn nennen sie in diesem Zusammenhang allein, genauso wie sie etwa bei der Führung von Kriegen und andern politischen Vorgängen und Entscheidungen ihn allein nennen, ohne daß damit gesagt sein kann und soll, daß er allein zu entscheiden hatte. Und wenn Widukind angibt, daß die Designation convocato omni populo ausgesprochen wurde, so wird dabei, wenn auch nicht gesagt, doch offenbar vorausgesetzt, daß die Designation nicht bloß vor dem versammelten populus, sondern auch mit seiner Mitwirkung erfolgte. 134 135 13a m
136 139 140
Vgl. cap. 7, S. 288, oben Anm. 130. Vgl. cap. 6, S. 287. Vgl. cap. 9, S. 289. Vgl. Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg I, cap. 21, hrsg. von R. Holtzmann, SS. rer. Germ., nova series (1935), S. 28. Vgl. II, cap. 1, S. 38. Vgl. I, cap. 19, S. 24. Daß die Kenntnisse der jüngeren Vita, wo sie von der älteren abweicht, ganz schwach sind, ist evident; und daß Thietmar gerade in unserm Zusammenhang wenig weiß, ergibt sich daraus, daß er erzählt, die summatum optima pars habe dafür gesorgt, daß der jüngere Heinrich statt des Königtums das Herzogtum Bayern erhielt.
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Zum zehnten Jahrhundert
Wir haben in einem andern Zusammenhang gesehen, daß 911 und 919 die Verfügung über den Thron durch eine Wahl, jedenfalls durch eine Entscheidung der Großen geschah U 1 . Und in der Zeit Karls III. und Arnulfs waren Designationen gegen den Willen der Fürsten wirkungslos geblieben 1 4 2 : auch damals hatte der Thron nur mit ihrer Zustimmung besetzt werden können. Unter Heinrich I. hat sich die Stellung des Königtums gegenüber den Jahren um 911 bis 919 sicher gefestigt. Aber so stark ist sie doch auch um 936 - wie überhaupt im ganzen Mittelalter - nicht gewesen, daß der König einfach nach Gutdünken handeln konnte. Es gab kein Gesetz, das er selbständig erlassen, keine wichtige politische Entscheidung, die er allein treffen konnte: überall war er auf die Mitwirkung der Großen angewiesen. Wenn die Vita Mathildis antiquior zu 936 sagt, Heinrich habe mit den Fürsten de regni statu consilium habere wollen 1 4 3 , so entspricht das völlig dem Üblichen und Gewöhnlichen, dem verfassungsrechtlichen Zustand. Wie hätte der König in der wichtigsten Entscheidung, die es überhaupt gab, der Regelung der Thronfolge, ohne die Einwilligung der Großen vorgehen können? Selbstverständlich könnte man an sich, theoretisch, durchaus der Meinung sein, daß so etwas doch geschah. Es hat genug Staatsbildungen gegeben, in denen trotz der größten Schwäche und Ohnmacht des Königtums die Krone erblich war. Warum sollte man sich da nicht vorstellen dürfen, daß ein König, der im übrigen weitgehend auf die Mitwirkung seines Volkes oder seiner Großen angewiesen war, seinen Nachfolger durch einen einseitigen Willensakt bestellte? Doch wenn man sieht, daß ein solches Verfahren zu anderen Zeiten in der mittelalterlichen deutschen Verfassung keineswegs üblich war, so beisteht kein Grund zu der Annahme, daß es 936 so gewesen ist. Ganz gewiß ist nicht zu bezweifeln, daß die Designation bei der Erhebung Ottos I. von 936 ein wichtiges Moment bildete. Das beweist schon allein die Tatsache, daß die Quellen wie Liudprand und Widukind sie ausdrücklich und betont hervorheben, und daß sie auch in der von Widukind überlieferten Krönungsrede des Mainzer Erzbischofs in Aachen erwähnt wird 1 4 4 . Und die Designation von 936 hatte ein besonderes Gewicht, weil sie sich im Rahmen des Geblüts- und Erbrechts vollzog: der König bestimmte einen Nachfolger, der nach erbrechtlichen Gesichtspunkten beanspruchen konnte, als sein Nachfolger zu gelten, und er tat mit der Designation weiter nichts, als daß er unter den „berechtigten Erben", seinen Söhnen, einen auswählte. Daß das Geblütsrecht und der Erbgedanke bei der Thronfolge eine wesentliche Rolle spielten, ist sicher. Sie werden in den Erzählungen wie in den Rechtsquellen bis hin zu den Krönungsordines immer wieder hervorgehoben 1 4 5 , und in der Praxis der 141 142 145 144 145
Vgl. oben S. 237 ff. und 251 ff. Vgl. oben S. 255. Vgl. oben S. 261. Vgl. Widukind II, cap. 1, S. 65. Vgl. dazu F. Rörig, Geblütsrecht und freie Wahl in ihrer Auswirkung auf die deutsche Geschichte, Abhandlungen der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1 9 4 5 / 4 6 , 6 (1948), S. 17 ff. Doch möchte ich, was sich im Text noch weiter ergibt, gleich hier betonen, daß alle Erwähnungen des Erbgedankens in den Quellen nicht das beweisen, was Rörig aus ihnen herausliest. Sie beweisen, daß der Gedanke da war und eine Rolle spielte, aber nicht,
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Thronfolge haben sie sich jahrhundertelang, wenn auch nicht in allen, so doch in den meisten Fällen, durchgesetzt. D a der Erbgedanke auch sonst im öffentlichen Leben der Zeit, etwa bei der Besetzung der Herzogtümer und Grafschaften, den größten Einfluß hatte, so lag es nahe, daß das Rechtsgefühl auch für das Königtum als billig ansah, was den andern recht war. Trotzdem scheint mir keine Frage zu sein, daß weder die Designation noch das Geblütsrecht und der Erbgedanke die letzte und ausschlaggebende Entscheidung hatten. Diese letzte Entscheidung hatte die Wahl. Wie man es immer wieder und mit Recht gesagt hat: das Erb- und Geblütsrecht auf der einen und das Wahlrecht auf der andern Seite ergänzten sich. Aber sie waren nicht gleichwertig: das Wichtigere, das Entscheidendere war das Wahlrecht. Die Mitglieder der Dynastie hatten von Haus aus unter allen Angehörigen des Reiches den ersten, den vornehmsten Anspruch auf den Thron. Aber ob dieser Anspruch wirklich realisiert wurde, das hing von der Entscheidung der Wähler ab. Das Erb- und Geblütsrecht allein, ohne die Wahl, konnte niemals zum König machen; wohl aber konnte man durch die Wahl allein, ohne Erb- und Geblütsrecht, König werden. Tatsächlich haben die Wahlen das Erb- und Geblütsrecht bisweilen beiseite geschoben. Man denke an die Wahlen der spätem Karolingerzeit oder an die des Investiturstreits von 1077 und 1125. Und man würde sich irren, wenn man in diesen Vorgängen eine Revolution, einen Rechtsbruch und Umsturz der Verfassung sehen wollte; diese Dinge lagen stets im Bereich des rechtlich Möglichen. Daß man auch in einer Zeit, in der das Wahlrecht dem Erbgedanken folgte, und zwar gerade um 936, davon überzeugt war, daß letzten Endes die Wahl entschied und daß sie die Möglichkeit hatte, von der Dynastie abzuweichen, das lehrt die bekannte und oft 72 zitierte Urkunde, die Otto bald nach seiner Erhebung für Quedlinburg ausgestellt hat, wo davon die Rede ist, daß trotz des Weiterbestehens der ottonischen Familie alter e populo eligatur rex U 6 . Und vielleicht noch deutlicher und treffender findet daß er den Ausschlag gab. Wenn es etwa in den Quedlinburger Annalen zu 936, SS. III, S. 54, heißt, daß Otto iure haereditario paterms eligitur succedere regnis, so bedeutet das weiter nichts, als daß die Wahl tatsächlich den Ansprüchen des Erb- und Geblütsrechts folgte und sich nach ihnen richtete, nicht aber, daß sie sich nach ihnen richten mußte und daß Otto einfach nach dem Erbrecht König wurde. Daß es sich so verhält, wie ich hier sage, kann man natürlich den Quedlinburger Annalen und den entsprechenden von Rörig zitierten Quellenstellen allein nicht ansehen. Das ergibt sich aber nach meiner Ansicht aus der rechtsgeschichtlichen Situation im ganzen; außerdem findet man die nötigen Quellenbelege in DOI 1 sowie beim Continuator Reginonis zu 936 (vgl. weiter unten) und bei Thietmar von Merseburg, der einzigen Quelle der Ottonenzeit, die über das Wesen einer Königswahl und das Verhältnis von Erb- und Wahlrecht wirklich eindeutig und erschöpfend Auskunft gibt. Vgl. dazu meinen Aufsatz Zu den deutschen Königswahlen der Ottonenzeit, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 66 (1948), Germ. Abt., S. 58 ff. [hier nicht aufgenommen, Bibliogr. Nr. 78] und unten S. 272 ff. un Vgl. DOI 1 vom 13. September 936. Wenn Rörig, a. a. O. S. 19, Anm. 1, meint, die oben im Text zitierte Wendung der Urkunde beziehe sich auf die Möglichkeit, daß durch eine Designation (nicht durch eine Wahl) ein andrer als ein Angehöriger des ottonischen Hauses König werden konnte, so ist das eine Behauptung, die sich nicht beweisen läßt. Immerhin muß man Rörig zugeben, daß sie sich auch nicht eindeutig widerlegen läßt; denn hinter der Wahl, von der die Urkunde redet, könnte natürlich eine Designation stehen. Aber man muß doch fragen, warum spricht die Urkunde von einer Wahl aus dem populus, wenn sie in Wirk-
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sich die Anschauung, die man über das Verhältnis von Wahl und Erbgedanken hatte, in dem ausgedrückt, was Thietmar von Merseburg im Zusammenhang mit der Wahl von 936 sagt. Er meint, nach dem Tode Heinrichs hätte die Begabung seines Sohnes, nämlich Ottos, die Fürsten in ihrer voluntaria electio sicher gemacht 147 . Und er fährt dann fort: Si in consanguinitatis linea aliquis tali offitio dignus non inveniatur, saltem in alia bene morigeratus, . . . assumatur 1 4 8 . Die Voraussetzung für die Anerkennung des Erbanspruchs in der Wahl ist also die Eignung des zu Wählenden. Daß damit die Entscheidung den Wählern überlassen ist, liegt auf der Hand. Und wenn Thietmar (wie schon oben bemerkt) hier natürlich auch schwerlich durch irgendwelche Kenntnisse über das, was man 936 dachte, beeinflußt ist, sondern unter dem Gesichtswinkel seiner Zeit schreibt, so dürfte er damit doch das, was für das mittelalterliche Thronfolgerecht in Deutschland überhaupt gilt, richtig wiedergeben. Daß es sich so verhält, wird, wenn man von allem absieht, was wir bisher bereits sagten, für die Vorgänge von 936 noch ausdrücklich durch den Continuator Reginonis bestätigt. Er sagt: Cui (sc. Heinrico) filius suus Otto consensu primorum regtii successor eligitur. Man sieht, der Continuator sagt weder etwas vom Erbrecht noch von der Designation, sondern allein von der Wahl durch den comensus primorum. Das beweist selbstverständlich nicht, daß Erbrecht und Designation gleichgültig und wirkungslos waren. Aber es dürfte beweisen, daß nach der Ansicht des Continuators Otto nicht ohne die Wahl König werden konnte; und zwar handelt es sich dabei, wie aus der Wendung consensus, die der Chronist gebraucht, hervorgeht, nicht etwa nur um irgendeinen Formalakt (etwa den im Aachener Münster am 7. August vollzogenen), sondern um eine eigentliche Wahlhandlung, bei der die Fürsten entschieden, wer König wurde 1 4 9 . Nach dem, was wir aus der Vita Mathildis posterior sowie aus andern Äußerungen der Quellen erfahren, könnte 936 neben der Kandidatur Ottos die des jüngern Heinrich aufgetaucht sein, und es könnte sich also um eine Auswahl unter mehreren gehandelt haben 1 5 0 . Aber auch wenn es nicht so war, und wenn von Anfang an als lichkeit eine Designation durch den König meint? Und ist der Gedanke, daß ein der ottonischen Dynastie angehörender König einen Nichtottonen designierte, während das ottonische Haus weiter bestand (darauf würde Rörigs Interpretation der Urkunde hinauslaufen), nicht völlig unwahrscheinlich und jedenfalls zu unwahrscheinlich, als daß man ihn der Kanzlei zutrauen könnte? Gerade wenn man, wie Rörig fordert, eine „isolierende Interpretation"
von
D O I 1 vermeidet, scheint mir sicher zu sein, daß als Ursache des von ihr als möglich angesehenen Abweichens von der ottonischen Dynastie die W a h l anzusehen ist. Vgl. dazu oben Anm. 145. 147
Vgl. oben S. 2 6 3 , Anm. 139.
148
Vgl. Thietmar I, cap. 19, a. a. O . S. 2 4 .
149
Zu der dieser Auffassung scheinbar entgegenstehenden Notiz der Quedlinburger Annalen vgl.
130
Vgl. dazu weiter unten S. 2 7 6 ff. H. Mitteis, Die Krise des deutschen Königswahlrechts, Sitzungs-
oben Anm. 145. berichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1 9 5 0 , 8, S. 62 ff., sieht in der Kandidatur des jüngern Heinrich den Beweis dafür, daß es sich 9 3 6 um eine Auswahl unter mehreren und also um eine freie W a h l gehandelt habe. Doch so sehr ich der Ansicht bin, daß wir es 9 3 6 mit einer eigentlichen Wahlentscheidung zu tun haben, den Beweis dafür kann ich nicht in der Kandidatur des jüngern Heinrich finden, obgleich ich darauf bereits in Zeitschrift
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Thronfolger nur Otto in Betracht kam, so wäre dafür, daß er König wurde, doch eine echte Wahl Voraussetzung gewesen. Gewiß, sie wäre sozusagen überschattet gewesen von der Designation, d. h. von der Initiative Heinrichs und von dem Erbanspruch des Prätendenten. Aber ob Designation und Erbanspruch anerkannt wurden, darüber gaben die Fürsten den Ausschlag, und wenn auch von Anfang an an ihrer Zustimmung kein Zweifel und diese Zustimmung kein politisches Problem gewesen sein dürfte, so war sie doch verfassungsrechtlich das Wesentliche: sie erst brachte die Entscheidung über die Thronfolge l ä l . Wann und wo diese Entscheidung 936 fiel, wissen wir nicht. Es mag sein, daß das bereits in den Verhandlungen mit Heinrich geschah; dann wären die nach seinem Tode erfolgten „Wahlen" keine echten Wahlen, sondern nur Proklamationen des neuen Königs gewesen. Aber ebensogut ist es möglich, daß man sich in Erfurt noch nicht endgültig klar wurde und daß noch nach dem Tode Heinrichs Verhandlungen über seine Nachfolge und damit echte Wahlen stattfanden. 2. Die Wahl am unbekannten
Ort
Widukind sagt: Defuncto ... Heinrico omnis populus Francorum atque Saxonum iam olim designatum regem a patre, filium eius Oddonem, elegit sibi in principem. Universalisque electionis notantes locum iusserunt esse ad Aquasgrani palatii152. Widukind redet hier anscheinend von einer besondern Wahlversammlung, die sich nach dem Tode Heinrichs I. und vor dem Aachener Akt vom 7. August abspielte. So sieht man die Sache auch im allgemeinen an, wobei man sich bloß nicht darüber einig ist, ob man in dieser Versammlung einen allgemeinen Reichstag, auf dem alle Stämme versammelt waren oder nur eine Tagung der Franken und Sachsen erblicken soll; neuerdings hat sich Mitteis sehr bestimmt für die erste Annahme eingesetzt153. Doch ob nun Landtag der Franken und Sachsen oder allgemeiner Reichstag - auf jeden Fall sollen bis zum 7. August zwei verschiedene große Wahlversammlungen für Rechtsgeschichte 66, S. 5 4 hingewiesen habe. W i r sind zu mangelhaft unterrichtet, um sagen zu können, welche Bedeutung die Kandidatur Heinrichs hatte und ob die Fürsten tatsächlich in der Lage waren, zwischen ihm und Otto zu wählen: was die jüngere Vita und Thietmar darüber erzählen, ist längst nicht sicher genug (vgl. dazu weiter unten S. 2 7 6 ff.) Aber das schcint mir für die Beurteilung der Situation von 9 3 6 auch nicht wesentlich zu sein; denn zum Begriff einer Wahlentscheidung scheint mir nicht zu gehören, daß die Fürsten eine Auswahl unter mehreren tatsächlich hatten, sondern daß sie die Möglichkeit hatten, einen Kandidaten anzunehmen oder abzulehnen und eventuell einen neuen Kandidaten aufzustellen. Vgl. dazu oben S. 2 5 6 , Anm. 112. 151
Auch für Rörig kommt zur Designation die Anerkennung durch die Fürsten hinzu. Aber wenn er a. a. O . S. 17 sagt: „Die historisch und auch rechtlich wirksame Willensbildung liegt nicht hier (nämlich in der Anerkennung und Wahl durch die Fürsten) sondern in der Designation", so würde ich statt dessen lieber sagen: Die historisch und politisch wirksame Willensbildung mag in der Designation gelegen haben, aber die rechtlich wirksame Willensbildung lag weniger dort als in der W a h l ; oder anders ausgedrückt: die Initiative lag in der Designation, die Entscheidung in der Wahl.
152
Vgl. Widukind II, cap. 1, S. 63.
158
Vgl. Mitteis, a. a. O. S. 6 5 ; er geht dabei von der Annahme aus, daß „Franken und Sachsen bei Widukind das .Reichsvolk' bedeuten"; vgl. dazu jedoch oben S. 2 2 4 f.
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stattgefunden haben, von denen die erste den Beschluß faßte, die zweite einzuberufen. So dürfte es aber kaum gewesen sein 154 . Zwischen dem Tode Heinrichs am 2. Juli und dem Aachener Tag am 7. August liegt eine Zeitspanne von fünf Wochen. Es erscheint so gut wie unmöglich, daß diese Zeit dafür ausreichte, nacheinander zwei größere Versammlungen zu berufen und zusammentreten zu lassen. Selbst wenn es sich bei der ersten Zusammenkunft nur um eine Tagung der Franken und Sachsen gehandelt hätte, so ist es doch recht unwahrscheinlich, daß von Memleben oder Quedlinburg die Einladungen zu dieser Versammlung bis an die Süd- und Westgrenze des fränkischen Stammesgebiets ergingen, daß von dort die Fürsten an den - uns unbekannten - Tagungsort kamen, daß von hier aus neue Einladungen bis an die Grenzen des Reiches verschickt wurden, daß dann aus allen Reichsteilen die Fürsten sich in Aachen versammelten, und daß man für diese doppelten Ladungen und doppelten Anreisen der Tagungsteilnehmer nur fünf Wochen gebraucht hätte. Wenn man daran festhält, daß die von Widukind zunächst erwähnte „Wahl" und der Beschluß, die universalis electio in Aachen zu veranstalten, tatsächlich auf einer größern Versammlung stattfand, so bleibt wohl nichts andres übrig, als die Teilnehmer dieser Versammlung mit denen der Aachener zu identifizieren ; d. h. die Versammlung hätte ihre eigene Verlegung nach Aachen beschlossen, um dort die universalis electio vorzunehmen 155 . Das wäre ein Verfahren gewesen, das durchaus denkbar ist, und das ähnlichen Vorgängen aus späterer Zeit völlig entspricht. Es kam bekanntlich im hohen Mittelalter sehr oft vor, und später war es geradezu die Norm, daß die Wahlversammlung nach der Wahl und Kur sich mit dem neu Gewählten zur Krönung nach Aachen begab. Aber es bleiben auch noch andere Möglichkeiten offen. Widukinds Worte omnis populus Francorum atque Saxonum brauchen nämlich durchaus nicht ein Hinweis auf eine größere Versammlung, geschweige denn auf eine Reichsversammlung zu sein. Fast dasselbe, was Widukind hier über eine „Wahl" bald nach dem Tode Heinrichs I. sagt, sagt er später über eine „Wahl" Ottos II. nach dem Tode Ottos des Großen. Es heißt da, daß am Morgen nach dem Tode des Kaisers imperatoris ftlio, ut initio certatim manus dabant, fidem pollicentes et operam suam contra omnes adversarios .. . confirmantes. lgitur ab integro ab omni populo electus . . . 156 . Also auch hier ist die Wahl (gleichgültig, was man diesmal darunter zu verstehen hat) von dem omnis populus vollzogen. Dieser omnis populus bildete aber keinesfalls einen Reichstag oder eine größere Versammlung, sondern er setzte sich nur aus denen zusammen, die beim Tode Ottos I. zufällig in Memleben anwesend waren. Nicht anders braucht es sich mit dem omnis populus Francorum atque Saxonum zu verhalten, den Widukind nach dem Ende Heinrichs Otto wählen läßt: es könnte darunter einfach die Umgebung des Königs zu verstehen sein, die beim Tode Heinrichs I. in Memleben oder bei den 154
Diese Wahl am unbekannten Ort wird bestritten von P. E. Schramm, Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte 55 (1935), Kan. Abt., S. 198. Schlesinger, D i e Anfänge der deutschen Königswahl, ebenda 66 (1948), Germ. Abt., S. 409, denkt an spontane Huldigungsakte nach dem Tode Heinrichs I. 155 So hat sich Thietmar II, cap. 1, S. 38, die Sache bereits gedacht. Ebenso Rörig, a. a. O. S. 15 und 45. '"•« Vgl. Widukind III, cap. 76, S. 153.
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Beisetzungsfeierlichkeiten in Quedlinburg zugegen war. Schließlich aber wäre es audh möglich, bei den Worten Widukinds gar nicht an eine besondere Versammlung und an einen speziellen „Wahlakt" sondern nur an einen allgemeinen Hinweis auf die 77 Tatsache zu denken, daß Otto nach dem Tode seines Vaters eben als König anerkannt wurde 1 5 7 . Was nun den Inhalt und die Bedeutung der „Wahlhandlung" auf dieser einigermaßen hypothetischen und imaginären Versammlung anlangt, so können wir darüber gar nichts sagen. Es ist möglich, daß es sich dabei um eine wirkliche Wahl handelte, d. h. um eine Entscheidung der Versammelten darüber, daß man Otto zum König machen und also die Designation Heinrichs anerkennen wollte. Es ist aber ebensogut möglich, daß man, nachdem die Designation schon vorher in Erfurt anerkannt war, jetzt eine Proklamation des neuen Herrschers oder eine Art Huldigung an ihm vollzog. Als einziges, was man aus Widukinds Worten einwandfrei entnehmen kann, bleibt übrig, daß als Ort der universalis electio Aachen bestimmt wurde.
3. Die Aachener Krönung Widukinds Bericht über die Aachener Vorgänge lautet 1 5 8 : Cumque illo (d. h. nach Aachen) venturn esset, duces ac prefectorum prineipes cum caetera prineipum militum manu congregati in sixto basilicae Magni Karoli cobaerenti collocarunt novum ducem in solio ibidem constructo, manus ei dantes ac fidem pollicentes operamque suam contra omnes inimicos spondentes, more suo fecerunt eum regem. Während das a duabus ac caetero magistratu veranstaltet wurde, habe der Episkopat und die omnis plebs den neuen König im Münster erwartet. Dort sei dann, wie Widukind ausführlich beschreibt, die Bekleidung Ottos mit den Insignien, seine Salbung und Krönung und schließlich seine Inthronisation auf dem Stuhl Karls des Großen erfolgt. Und im Anschluß daran habe schließlich das Krönungsmahl stattgefunden. Daß in diesem Bericht von einer eigentlichen Wahl nicht die Rede ist, liegt auf der Hand 1 5 9 . Die Entscheidung, daß Otto König werden soll, ist gefallen, und die 78 electio wird vollzogen an einem, über dessen Wahl nicht mehr zu verhandeln ist. Soweit ist alles klar. Die Frage ist nur, ob in Aachen nicht trotzdem noch im eigentlichen Sinne des Wortes „gewählt", d. h. verhandelt und entschieden wurde. 157
So stellt es sich offenbar Schlesinger vor, vgl. dazu oben Anm. 154. Eine Entscheidung läßt
158
Vgl. Widukind II, cap. 1 f., S. 63 ff.
159
D a s habe ich bereits, Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 4 8 ,
sich nach meiner Meinung nicht treffen.
( 1 9 3 4 ) , (Die Wahlhandlung in Aachen 9 3 6 , S. 4 2 3 ff.) [hier S. 112 ff.], gegen A . Hauck und U . Stutz und im Anschluß an M. Buchner betont. Seitdem ist diese Ansicht wohl allgemein angenommen worden. Wenn Rörig a. a. O. S. 9, Anm. 2 und S. 15, Anm. 4
(auf S. 1 6 )
meint, ich hätte diese Meinung inzwischen wieder aufgegeben, so ist das irrig. Ich habe nie bezweifelt, daß am 7. August 9 3 6 vor und im Aachener Münster keine eigentliche W a h l stattgefunden hat; ich bezweifle oder bestreite nur, daß 9 3 6 überhaupt keine W a h l stattgefunden hat, und das habe ich schon in den Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 48, S. 4 2 7 [hier S. 1 1 4 ] , getan.
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Was Widukind schildert, ist der Ablauf einer Zeremonie. Es ist aber nicht nötig, anzunehmen, daß man in Aachen weiter nichts tat, als diese Zeremonie ablaufen zu lassen. Widukind erzählt, daß die drei rheinischen Erzbischöfe über ihre Mitwirkung bei der Krönung sehr verschiedener Meinung gewesen sind. Selbstverständlich könnten diese Differenzen schon vor der Aachener Tagung aus der Welt geschafft worden sein l s o , aber ebensogut ist es möglich, daß man sie erst in Aachen selbst beilegte. Genauso ist es möglich, daß man erst in Aachen das Zeremoniell des 7. August festsetzte. Und dementsprechend ist es denn auch nicht undenkbar, daß in Aachen erst die Wahlverhandlungen zu Ende geführt und hier erst die letzte Entscheidung darüber gefällt worden ist, daß Otto Heinrichs Nachfolger wurde - sei es, daß man, was freilich unwahrscheinlich ist, hier erst eine letzte Opposition der Anhänger des jüngeren Heinrich beseitigte, sei es, daß hier Fürsten und Große (und dann wohl in erster Linie süddeutsche), die bisher nicht zu Worte gekommen waren, ihre Zustimmung zu Ottos Königtum erklärten, d. h. ihn wählten. Wir wissen darüber nichts, aber ebensowenig wissen wir, daß es nicht so war; und daß jene Möglichkeiten bestehen, scheint mir keine Frage zu sein. 79
Doch ob auch die Wahl, d. h. die Zustimmung der Großen zu Ottos Königtum, erst in Aachen vollendet wurde, oder ob sie schon im Zusammenhang mit der Designation Ottos durch Heinrich oder auf einer vor der Aachener liegenden Versammlung endgültig vollzogen wurde, die Zeremonie, die Widukind schildert, führt jedenfalls keine Entscheidung mehr herbei, sondern sie ist nur die Deklaration und Manifestation einer vorher gefällten Entscheidung. Sie hat zweifellos trotzdem eine große rechtliche Bedeutung: sie ist der Rechtsakt, durch den das Königtum Ottos konstituiert und sozusagen perfekt wurde (soweit das nicht etwa in Teilhandlungen schon früher geschehen war). Aber sie vollzieht doch nur etwas, was bereits beschlossen und entschieden ist: sie findet kein Recht, sondern sie verkündet es l e l . Und zwar i«o Wie Rörig vermutet, der a. a. O. S. 45 die Auseinandersetzung über das Zeremoniell auf die 1,1
unbekannte, von Widukind erwähnte „Wahl" durch Franken und Sachsen verlegt. Rörigs Hinweis, a. a. O. S. 47, auf die Parallele in der schwedischen Königserhebung auf dem Morastein scheint mir sehr instruktiv zu sein. - Mitteis, a. a. O. S. 65, will in Widukinds Aachener universalis electio eine Kur sehen. Daß sich hinter dem Wort electio das Wort Kur verbergen kann, habe ich schon in den Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 48 bemerkt, und wenn man, wie Mitteis offenbar will, mit dem Wort Kur weiter nichts bezeichnet, als die Willenserklärung der Wähler (im Gegensatz zu ihrer Willensbildung bei der Wahl), so scheint mir gegen seine Terminologie nichts einzuwenden zu sein - auf jeden Fall ist sie besser, als wenn man den Vorgang vor und in dem Aachener Münster als Wahl bezeichnet. Aber man muß sich doch darüber klar sein, daß es sich in Aachen um das, was man in der Rechtsgeschichte im Anschluß an den spätem Brauch und vor allem an Eike von Repgow im allgemeinen unter einer Kur versteht, nicht gehandelt hat. Die Kur läßt sich in der Geschichte der deutschen Königswahlen zum ersten Male in dem Bericht Wipos über die Wahl Konrads II. 1024 nachweisen, und es handelt sich dabei um die feierliche in irgendeiner formelhaften Wendung vollzogene Nominierung des Gewählten durch die Wählenden und Kürenden. Im Unterschied dazu handelt es sich 936 bei dem Akt im Vorhof des Münsters um eine Thronsetzung (die später der Kur erst folgte) und eine Huldigung durch die Laienfürsten, und ich halte es nicht für richtig, wenn Mitteis aus dem Huldigungseid eine Kürformel machen will. Außerdem handelt es sich 936 um eine gesondert von dem weltlichen Akt vollzogene
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v e r k ü n d e t sie es in drei n a c h e i n a n d e r sich a b s p i e l e n d e n H a n d l u n g e n : d i e erste d a v o n ist e i n e mit einer H u l d i g u n g v e r b u n d e n e w e l t l i c h e Inthronisation, d i e z w e i t e e i n e mit einer S a l b u n g u n d K r ö n u n g v e r b u n d e n e geistliche Inthronisation u n d d i e dritte das v o n G e i s t l i c h e n u n d W e l t l i c h e n inszenierte K r ö n u n g s m a h l g e w e s e n . Krönung und um eine zweite Thronsetzung durch die Geistlichkeit. 1024 und später küren immer geistliche und weltliche Fürsten zusammen, 936 beobachtet man dagegen zwei getrennte Akte. — Schließlich möchte ich noch bemerken, daß mir ganz so zuverlässig vollständig und über jeden Zweifel erhaben, wie man ihn meistens ansieht, auch Widukinds berühmter Bericht nicht zu sein scheint. Von anderm abgesehen - wo bleibt in ihm die Huldigung durch die geistlichen Fürsten? Vgl. dazu auch weiter unten S. 274.
so
IV. D I E F O R S C H U N G
U N D D I E W A H L E N V O N 911, 919 U N D
936
In der Forschung über die deutschen Königswahlen des Mittelalters ist bekanntlich seit langem das Hauptproblem oder, vorsichtiger gesagt, eines der wesentlichsten Probleme die Frage nach dem Verhältnis von Erb- oder Geblütsrecht und Wahl, und daneben taucht unter anderm noch die Designation als eine sehr umstrittene und klärungsbedürftige Erscheinung auf. In den Quellen treten alle drei Momente deutlich, wenn auch mit wechselnder Intensität, hervor, und die Frage ist immer wieder, wie diese Momente, die sich nach modernen Begriffen doch mindestens teilweise ausschließen, innerhalb der historischen Realitäten des Mittelalters nebeneinander bestehen konnten und wie sie unter Umständen sich gegenseitig ergänzten oder miteinander rivalisierten. Und wenn in diesen Dingen auch weitgehend eine Einigung erzielt ist - vor allem insofern, als Ubereinstimmung darüber herrscht, daß von einem Sichausschließen etwa von Wahl- und Erbprinzip keine Rede sein kann - , so gehen doch die Meinungen darüber, welches Gewicht jedes dieser Momente hatte, und wie sich ihr Wert und ihre Geltung gegenseitig abgrenzten, erheblich auseinander. Dazu kommen dann die Fragen nach dem Verfahren: Wie verfuhr man bei einer Wahl? In welchen Akten, unter welchen Formen usw. spielte sie sich ab, wie steht es mit den Wahlverhandlungen, mit der Abstimmung, wie mit „Kur" und Akklamation, handelt es sich um befohlene Wahlen und welchen Sinn hatten diese, handelt es sidi um Auswahl unter mehreren und ähnliches mehr. Die Fragestellungen, die in diesen Zusammenhängen erörtert werden, sind in den vorangegangenen drei Aufsätzen wenigstens teilweise zur Sprache gekommen, und es ist überflüssig, daß ich in den Einzelheiten hier auf sie eingehe. Bei der Untersuchung dieser Dinge haben nun in der Forschung der jüngsten Zeit die Wahlen von 911, 919 und 936 unverkennbar im Vordergrund gestanden: man hat, um es etwas verallgemeinernd und übertrieben auszudrücken, aus dem, was man über diese drei Wahlen weiß, das deutsche Thronfolgerecht des Mittelalters, die Bedeutung von Erbrecht und Wahl, den Hergang bei den Wahlen, kurz alle hierher gehörigen wesentlichen rechtsgeschichtlichen Facta zu rekonstruieren versucht. Und dieses Verfahren ist es, gegen das ich Einspruch erheben möchte: es scheint mir methodisch falsch zu sein. In den oben abgedruckten Aufsätzen habe ich versucht, die Grenzen unseres Wissens von den drei Wahlen festzulegen; und es hat sich gezeigt (was man freilich auch ohne das wissen konnte), daß diese Grenzen sehr eng sind. Vor allem ist, was
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wir unmittelbar über die Wahlen erfahren und von ihnen selbst wissen, ebenso dürftig wie unergiebig. Einen wirklich brauchbaren, anschaulichen und wenigstens anscheinend zuverlässigen Bericht bekommt man nur in Widukinds Erzählung über die Aachener „Wahlhandlung" von 936; wobei deutlich ist, d a ß es sich hier um eine eigentliche Wahl, in der über den zu Wählenden entschieden wird, nicht handelt, und wobei wir über die Frage, ob und wie tatsächlich gewählt wurde und in welchem Verhältnis dann diese Wahl zu dem Aachener Akt stand, von Widukind völlig im Dunkeln gelassen werden. Über die Vorgänge von 918/19 und ihren verfassungsgeschichtlichen Sinn erfahren wir überhaupt nichts Hieb- und Stichfestes, soweit es sich nicht um das Allerallgemeinste, wie etwa die Tatsache, daß Heinrich I. von Sachsen und Franken zum König erhoben wurde, handelt; und noch schlechter sind wir für die Ereignisse von 911 daran: da können wir nicht einmal bestimmt sagen, welche Stämme Konrad zum König gemacht haben, und noch viel weniger, wie das geschah. Jede Rekonstruktion der Vorgänge bei den Wahlen von 911 bis 936 bleibt also hypothetisch, und soweit wir darüber hinaus irgend etwas über den rechtsgeschichtlichen Charakter dieser Wahlen zu sagen vermögen, können wir es kaum aus dem entnehmen, was wir über sie selbst erfahren, sondern wir können es fast nur aus dem 83 schließen, was wir über die verfassungsgeschichtliche Lage im allgemeinen und über den Hergang und die rechtsgeschichtlichen Bedingungen bei andern Wahlen wissen. Das bedeutet: nicht die Wahlen von 911, 919 und 936 können uns Aufschluß über das deutsche Thronfolge- und Königswahlrecht des Mittelalters geben, sondern umgekehrt, das Thronfolge- und Wahlrecht des Mittelalters kann - bis zu einem gewissen Grade - Aufschluß über die Vorgänge und den rechtsgeschichtlichen Hintergrund und Sinn der Wahlen von 911 bis 936 geben. Wenn wir über diese Wahlen überhaupt etwas Bestimmtes sagen und uns vor allem ein Urteil über das umstrittene Verhältnis von Wahlrecht und Erbgedanken sowie Designation bilden können, so verdanken wir das in erster Linie nicht dem, was wir über sie unmittelbar aus den Quellen entnehmen, sondern dem, was wir sonst wissen. Es ist also ein wenig unlogisch, und man zäumt das Pferd sozusagen am Schwanz auf, wenn man bei dem Bemühen, das mittelalterliche Königswahlrecht zu erkennen, ausgerechnet diese zwar in vieler Hinsicht sehr interessanten aber unmittelbar reichlich undurchsichtigen Ereignisse von 911 bis 936 in den Vordergrund stellt. Über den Sinn und Wert der Designation erfahren wir wesentlich mehr aus der spätem Karolingerzeit als aus den Jahren 911 und 918, in denen das eine Mal überhaupt nicht, das andere Mal nur vielleicht designiert wurde und für die uns die Quellen über das Verhältnis der hypothetischen Designation zur W a h l und Thronbesteigung nichts Sicheres sagen können. Über das Verhältnis von Erb- oder Geblütsrecht und Wahl sowie über den Hergang bei der Bestellung und Einsetzung eines Königs aber erfahren wir aus sämtlichen drei Wahlen von 911 bis 936 im Grunde gar nichts. Genauem Aufschluß über diese Dinge bekommen wir erst durch das, was wir über andre Wahlen erfahren, und vor allem können wir alles dafür Wesentliche aus dem Bericht Thietmars von Merseburg über die Erhebung Heinrichs II. entnehmen. 18
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In einem andern Zusammenhang habe ich schon darauf hingewiesen, daß dieser Bericht Thietmars die beste Quelle ist, die wir für die Geschichte der deutschen Königswahlen im hohen Mittelalter überhaupt besitzen 162 . Sonderbarerweise wird er von der Forschung freilich so gut wie gar nicht beachtet 1 6 3 . Doch was sind neben ihm die Nachrichten, die wir aus der Zeit von 911 bis 936 haben, oder was sind daneben die Berichte, auf die sich die Forschung für die spätere Zeit verläßt? Von Widukind erfahren wir etwas Genaueres bloß über eine Zeremonie, die am Schluß der Erhebung des Königs stattfand; und so zuverlässig der Eindruck seiner Erzählung in diesem Punkte sein mag, ob sie nun auf eigner Kenntnis beruht, ob sie nach einem fremden Bericht wiedergegeben oder vielleicht nach einem Krönungsordo konstruiert ist, vermag niemand zu sagen. Wie nahe oder fern Wipo in seiner Beschreibung der Wahl Konrads II. den Dingen steht, ist nicht zu klären; aber sicher ist, daß er als Kaplan, aus Burgund stammend und etwa zwanzig Jahre nach den Ereignissen schreibend, nicht das größte Vertrauen verdient; dazu ist sein Bericht phrasenhaft und stilisiert 164 . Und auf welche mehr oder weniger zuverlässigen Mittelsmänner die Narratio von der Wahl Lothars von Supplinburg zurückgeht und wie unbedarft und ahnungslos ihr Verfasser war, ist eine offene Frage. Neben allen diesen viel beachteten und viel erörterten Wahlberichten ist der Thietmars der einzige, der von einem Manne stammt, der über die Vorgänge, welche er beschreibt, wirklich Bescheid wußte. Und zwar nicht bloß deshalb, weil er über die zuverlässigsten Auskünfte verfügte, da seine eigenen Freunde und Verwandten bei der Erhebung Heinrichs II. in hervorragendstem Maße mitwirkten, sondern vor allem auch deshalb, weil er, aus dem sächsischen Adel hervorgegangen und als Fürst des Reiches, über die politischen und besonders über die verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte, um die es bei der Wahl ging, genau informiert war. Und daß er es war und über das, was er wußte, auch entsprechend berichtet, das merkt man seiner Erzählung auf Schritt und Tritt an. Sie gibt im Grunde überhaupt keine Probleme auf, und man braucht sie nur nachzuerzählen, 16» Vgl. meinen Aufsatz Zu den deutschen Königswahlen der Ottonenzeit, Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte 66 (1948), Germ. Abt., S. 46 ff., bes. S. 58 ff. [hier nicht aufgenommen, Bibliogr. Nr. 78]. i9J Vgj_ d a z u ebendort, w o ich auf die Ausnahmen bei U. Stutz und P. E. Schramm hinweise. H. Mitteis stellt in seiner jüngsten Untersuchung über die Königswahlen, D i e Krise des deutschen Königswahlrechts, Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1950, 8, wieder die Wahlen von 911 bis 936 ganz in den Vordergrund; die Vorgänge von 1002 werden nur gestreift, und wenn Mitteis S. 78 Anm. 1 meint, es sei damals in Sachsen eine „Gegenkönigswahl" geplant gewesen, so kann ich dem nicht zustimmen. D i e sächsischen und andere deutsche Fürsten gingen nicht mit dem Plan um, einen Gegenkönig, sondern einen andern als den bayrischen Herzog Heinrich zum deutschen König zu wählen: der sächsische Prätendent Ekkard von Meißen, dessen Wahl man plante, ist bereits am 30. April ermordet worden, während Heinrich erst am 6. Juni zum ersten Male in Mainz zum König gewählt wurde; an einen Gegenkönig konnte man also bei Ekkard nicht denken. 164 Immerhin ist seine Behauptung, daß 1024 eine echte Wahl, eine Auswahl unter mehr Kandidaten stattfand, als nur den beiden Konraden, durchaus glaubwürdig; vgl. dazu Zeitschrift für Rechtsgeschichte 66, S. 58, und meinen Aufsatz Zur Wahl Konrads II. in der 1949 gedruckten und eben jetzt, 1952, erschienenen Festschrift für E. E. Stengel, S. 289 ff. [hier S. 421 ff.], sowie Mitteis a. a. O. S. 78. Was Th. Schieffer, Heinrich II. und Konrad II., Deutsches Archiv 8 (1951) S. 384, über die Wahl von 1024 sagt, dürfte überholt sein.
Miszellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts
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um deutlich zu machen, wie im mittelalterlichen Deutschland eine Königswahl vor sich ging - wenigstens was die eigentliche Wahl, die Verhandlungen und Entscheidungen der Fürsten und das Verhältnis dieser Wahl zum Erbgedanken anlangt. Bei der Beurteilung der deutschen Königswahlen im ganzen sollte man also, meine ich, in erster Linie von Thietmars Bericht und seinen Anschauungen über die Wahl ausgehen 16S . Und man wird sehen, daß sich mit dem Bild, das er bietet, die übrigen, weniger zuverlässigen, unklareren und schwerer interpretierbaren Wahlberichte, die wir besitzen, ohne Schwierigkeit vereinigen oder danach ergänzen und korrigieren lassen. ,,s
Ich beabsichtige, darauf wie auf andere Probleme der Königswahlforschung, vor allem für die Zeit nach dem zehnten Jahrhundert, genauer zurückzukommen.
V. H E I N R I C U S
N A T U S IN A U L A
REGALI
In der Vita Mathildis reginae posterior findet sich die Bemerkung, die Königin Mathilde, die Gemahlin Heinrichs I., habe gewünscht, daß nach dem Tode des Königs ihr jüngerer Sohn Heinrich das Reich erhalte: desideravit ipsum (sc. Heinricum) regno
potiri post obitum incliti regis Heinrici, und derselben Meinung seien zahlreiche Fürsten gewesen
166 .
Eine ähnliche Nachricht liest man bei Thietmar von Merseburg:
Asserunt nonnulli eandetn (sc. Mathildem reginam) hoc sumopere diu enituisse, iunior filtus suitnet Heinricus patris sedern possideret167.
quod
Wenn diese Nachrichten vom Eintreten Mathildes für das Königtum des jüngeren Heinrich jetzt im allgemeinen auch geglaubt werden 168 , so bestehen dagegen doch gewisse Bedenken. In den ältern Quellen erfährt man nämlich von diesem Eintreten nichts. Weder die ältere Vita Mathildis noch die den Ereignissen um 936 näher stehenden Quellen wie Widukind, Liudprand und Hrotswich und andere Schriftsteller des zehnten Jahrhunderts wissen etwas davon zu sagen. Außerdem muß man mit der Möglichkeit rechnen, daß die Notiz bei Thietmar lediglich auf einer Bekanntschaft des Bischofs mit der Vita Mathildis posterior beruht 1 6 9 . Endlich besitzt diese jüngere Vita, geschrieben in den ersten Jahren Heinrichs II., für das Nachrichtenmaterial, das sie über die ältere Vita hinaus an Neuem und Eigenem bietet, einen äußerst zweifelhaften Quellenwert: sie weiß wenig, und sie ist im übrigen von einer ganz starken panegyrischen Tendenz für die bayrische Linie der Ottonen und ihren Ahnherrn, eben den jüngern Heinrich, erfüllt. Ihrer Tendenz aber entspricht die Nachricht von der Bevorzugung Heinrichs durch Mathilde, der fast als Heiligen verehrten StammVgl. Vita Mathildis reginae, cap. 6, SS. IV, S. 287, wo der oben zitierte Satz steht, und cap. 9, S. 289, wo davon die Rede ist, daß nach dem Tode Heinrichs perplures diiudicabant, Heinricum regno poliri, nachdem im cap. 7, S. 288, gesagt war, Heinrich habe vor seinem Tode die prineipes regni in Erfurt aufgefordert, ut se invicem coadunarent, quem suorum filiorum regale solium possidere eligerent. 1 6 7 Vgl. die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg I, cap. 21, hrsg. von R. Holtzmann in SS. rer. Germ., nova series (1935), S. 28. "" Vgl. etwa R. Holtzmann, Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, 2. Aufl. (1943), S. 106, oder H. Mitteis, Die Krise des deutschen Königswahlrechts, Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1950, 8, S. 62, auch meinen eigenen Aufsatz Königin Mathilde, Westfälische Lebensbilder V, 2 (1937), S. 165 f. [hier nicht aufgenommen, Bibliogr. Nr. 64]. 169 Vgl. A. Büsing, Mathilde, die Gemahlin Heinrichs I., Dissertation Halle 1910, S. 51, Anm. 2 ; dazu die Thietmarausgabe, S. 28, Anm. 2.
160
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mutter der Ottonen, nur zu gut. Man hat also mit der Möglichkeit zu rechnen, daß diese Nachricht von dem Verfasser der jüngern Vita oder seiner bayrisch gefärbten Tradition erfunden ist. Doch wenn somit auch die Frage, wieweit sich Mathilde 936 für Heinrich eingesetzt hat, offen bleiben muß 17°, die Behauptung der Vita, daß sich damals eine Fürstenpartei - und damit auch Heinrich selbst - für seine Kandidatur eingesetzt habe, könnte eher den Tatsachen entsprechen. In der Vita Godehardi posterior steht die Mitteilung, daß Heinrich in prima regali orcLinatione, in praesentia patris ac principum, quasi iocularia indignatione se nobiliorem iactitans, resistit. . . m . Wenn damit von einem Anspruch des Prinzen auf die Krone auch direkt nichts gesagt ist, so ist er doch indirekt deutlich genug angedeutet. Und wenn die frühern Quellen im allgemeinen von derartigen Dingen nichts zu sagen haben und nach den meisten von ihnen die offenen Kämpfe um die Krone zwischen Heinrich und seinem ältern Bruder Otto erst 938/39 zum Ausbruch kamen, so geht 88 doch aus den Worten von zweien dieser ältern Quellen hervor, daß es 936 mindestens zu einem Vorspiel dieser Kämpfe gekommen ist. Flodoard erzählt in seinen Annalen: Heinrico rege sub isdem diebus obeunte, contentio de regno inter filios ipsius agitatur 172 . Nun sagt freilich Flodoard von den Kämpfen von 939 nichts, und es besteht also die Möglichkeit, daß er diese fälschlich um drei Jahre zurückdatiert hat 1 7 3 . Doch angesichts der sonst zu beobachtenden chronologischen Zuverlässigkeit Flodoards ist das, wie man längst bemerkt hat 1 7 4 , nicht sehr wahrscheinlich, und vor allem wird Flodoards Erzählung durch eine Notiz bei Widukind von Korvei einigermaßen deutlich bestätigt. Widukind schreibt, daß während der Feierlichkeiten bei der Krönung Ottos des Großen in Aachen 936 der Graf Siegfried, Saxonum optimus et a rege secundus, Sachsen verwaltet und gegen einen Einfall der Slawen geschützt habe, nutriensque iuniorem Heinricum secum tenuit175. Man hat längst festgestellt, daß sich hinter dieser Bemerkung ein Hinweis auf eine Art Haft des jungen Heinrich verbergen dürfte 176 , und selbst wenn man das nicht für sicher hält 1 7 7 , so spricht doch die Tatsache, daß Heinrich der Krönung Ottos fernblieb, für ein Zerwürfnis zwischen den Brüdern 170
Freilich ist aus dem Urkundenmaterial zu schließen, daß sich Mathilde in den ersten Jahren der Regierung Ottos mit diesem schlecht stand; von 9 3 6 bis 9 4 6 interveniert Mathilde nur ein einziges Mal, während das später wie schon unter Heinrich I. öfter geschieht. Doch das braucht nichts für ein Eintreten für den jüngern Heinrich zu beweisen. Auf Differenzen zwischen Mathilde und Otto weist auch die ältere Vita hin; ihren Grund sieht sie aber nicht in einer Bevorzugung Heinrichs durch die Königinwitwe: sie ist im Gegenteil der Meinung, daß Mathilde ebenso wie mit Otto mit Heinrich entzweit war
171
Vgl. Wolfherii Vita Godehardi episcopi posterior, cap. 3, SS. XI, S. 1 9 9 . Vgl. Flodoardi Annales 9 3 6 , SS. III, S. 383. W i e man auch bisweilen angenommen hat. Vgl. etwa E. Dümmler, Jahrbücher Ottos des Großen ( 1 8 7 6 ) , S. 25, Anm. 2. Vgl. Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei II, cap. 2, hrsg. von P. Hirsch und H.-E. Lohmann, SS. rer. Germ, in us. schol. (1935), S. 67. Vgl. etwa Böhmer-Ottenthal Nr. 55 g; R. Holtzmann, a. a. O. S. 1 1 2 f. Von der sonst üblichen Meinung abweichend meint Mitteis, a. a. O. S. 67, Anm. 1, der Graf Siegfried sei der Gefolgsherr des jüngeren Heinrich gewesen und habe zu seiner Partei gehört, was mir freilich sehr unwahrscheinlich vorkommt.
172 173 174 ,75
178 177
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Zum zehnten Jahrhundert
und unterstützt also, was wir aus Flodoard und den Bemerkungen der jüngern Mathildenvita sowie der Vita Godehardi über einen schon 936 zum Ausbruch gekommenen Konflikt erfahren 17S . Doch wie sich das alles auch verhalten mag, uns interessiert hier weniger, ob Mathilde für den jüngern Heinrich eintrat, und ob dieser schon 936 oder erst 939 seinen Bruder der Krcne berauben wollte (und daß er es 939 wollte, steht bekanntlich unumstößlich fest), als vielmehr die Frage, wie das Vorgehen und die Aspirationen Heinrichs begründet wurden. Darüber sagt die Vita Mathildis posterior: perplures diiudicabant, Heinricurn regno potiri, quia natus esset in aula regali179. Kurz vorher, bei der Aufzählung der Kinder der Mathilde, hatte die Vita betont, daß Heinrich in regali solio natus s e i l s o , was von Otto natürlich nicht gesagt wird. Ein ähnlicher Gedankengang liegt offenbar doch auch der oben zitierten Angabe der Vita Godehardi zugrunde, wonach sich Heinrich als den vornehmeren gegenüber seinem älteren Bruder ausgegeben habe 1 8 1 . Auf dieselbe Vorstellung stößt man anscheinend, wenn man in einem Königskatalog des elften Jahrhunderts hervorgehoben findet, daß Heinrich I. ante regnutn genuk Ottonem I. regem, in rjegno genuii Heinricurn.. . 182 . Und ganz derselbe Gesichtspunkt taucht bereits bei Liudprand von Cremona auf. Er sagt einmal von Mathilde: Haec ante regni suseeptionem viro suo filium peperit, quem voeavit Ottonem... post regiam autem dignitatem... Heinricurn 183 . Und in einem andern Zusammenhang läßt der Bischof Heinrichs Ratgeber vor dem Aufstand von 939 zu ihm sagen: Rectumne patrem egisse rere regia tibi in dignitate genito non in eadem gemtum praeponendo? ... sitque tibi regnandi facultas, cui accidit Deo largiente et in eadem dignitate nativitas 184. Man hat diese Begründungen der Kandidatur Heinrichs früher im allgemeinen hingenommen und nachgeschrieben, ohne sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie zustande gekommen sind und aus welcher politischen und rechtlichen Sphäre sie stammen. Dann aber hat sich mehr und mehr die Überzeugung durchgesetzt, daß es sich dabei um Entlehnungen aus dem byzantinischen Staatsrecht handle 1 8 5 . Im germanischen und deutschen Recht hätten Heinrichs Ansprüche keinerlei Rückhalt und Stütze finden können; dagegen soll der Porphyrogennetos der Kaiser in Konstantinopel das Vorbild für ihre Begründung gewesen sein; Otto I. soll also, wie man neuestens gesagt hat, beinahe das Opfer einer byzantinischen Ideologie geworden sein 186 . 178
D a s ist auch die herrschende Ansicht. Vgl. Vita Mathildis, cap. 9, SS. IV, S. 289, vgl. oben Anm. 166 180 Vgl. cap. 6, S. 287. 181 Vgl. oben Anm. 171 182 y g i Catalogus regum et imperatorum, SS. X, S. 136. 180 Vgl Antapodosis IV, cap. 15, D i e Werke Liudprands von Cremona, hrsg. von J. Becker in SS. rer. Germ, in us. schol. (1915), S. 113. 184 Vgl. Antapodosis IV, cap. 18, S. 114. 185 Auf die Parallele zu Byzanz weist Ranke in der Weltgeschichte VI, 2, S. 144, hin, ohne aber von einer Entlehnung zu sprechen; die folgende Literatur hat dann daraus eine Entlehnung gemacht; für die jüngste Literatur vgl. etwa R. Holtzmann, a. a. O. S. 106; Mitteis, a. a. O. S. 62. 18« y g i w . Ohnsorge, D a s Zweikaiserproblem im früheren Mittelalter (1947), S. 49. 179
Miszellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts
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Nun ist keine Frage, daß hier eine Parallele, eine Ähnlichkeit zum byzantinischen Recht tatsächlich besteht. Und ebensowenig ist eine Frage, daß sowohl die Wendung regia in dignitate genitus bei Liudprand wie die Wendung natus in aula regali oder in solio natus der Mathildenvita eine einigermaßen sinnentsprechende Übersetzung des oströmischen Porphyrogennetos, des im Porphyrsaal (im kaiserlichen Palast) Geborenen 187 sein könnte. Doch wenn es so ist, würde sich daraus wirklich ergeben, daß man es dann hier mit weiter nichts als mit einer Rezeption byzantinischer Anschauungen und einer spezifisch byzantinischen Ideologie am deutschen Hofe zu tun hat? Parallelen und Ähnlichkeiten brauchen nicht auf Abhängigkeit zu beruhen, und wenn Liudprand und die jüngere Lebensbeschreibung der Mathilde aus Byzanz stammende Worte ins Lateinische übersetzen, so beweist das nicht, daß die Begriffe, die hinter den Worten stehen, nicht auch unabhängig von dem byzantinischen Vorbild im Abendland und in Deutschland existiert haben können 188 . Man kann sich jedenfalls nur schwer vorstellen, wie ein byzantinischer Rechtssatz, wenn er dem deutschen Rechtsbewußtsein völlig fremd war, unter den sächsischen und deutschen Fürsten um 936 Anklang finden sollte. Wie sollte eine Partei, die für den jüngern Heinrich eintrat, mit fremden, dem abendländischen und deutschen Denken unbekannten und 9i ungewohnten Gesetzen Politik und Propaganda machen? Wie schwer und langsam hat sich das römische Recht neben und gegenüber dem deutschen durchgesetzt, und auf wie heftige Abneigung und Reaktion ist Otto III. mit seinen römisch-griechischen Neigungen gestoßen. Und ausgerechnet in einer so heiklen und empfindlichen Sache wie der Thronfolge soll man mit einem rein ausländischen Import gearbeitet haben? Das erscheint recht unwahrscheinlich, und man hätte den Wünschen des jüngern Heinrich und seiner Partei vermutlich einen schlechten Dienst erwiesen, wenn man ihnen, um sie zu begründen, ein rein griechisches, den Deutschen von Haus aus völlig unbekanntes Mäntelchen umhängte. Tatsächlich dürfte aber das byzantinische Mäntelchen überflüssig gewesen sein, und es dürfte sich bei der Betonung des Vorzugs eines in der aula regalis Geborenen durchaus um eine Möglichkeit auch des deutschen Rechts gehandelt haben. Gewiß, die Erörterung dieser Möglichkeit taucht in der deutschen Geschichte des frühen und hohen Mittelalters, soviel ich sehe, nur dieses eine Mal, 936 bei der Wahl Ottos I., auf. D a ß es nicht öfter geschieht, ist aber kein Beweis dafür, daß es sich dabei um dem deutschen Recht und Rechtsdenken fremde Vorstellungen und Gedanken handelte, sondern das hat seinen sehr einfachen Grund darin, daß es die 18? Vgl. dazu, daß es sich bei dem Porphyrogennetos um den in der Porphyra Geborenen handelt, 188
O. Treitinger, D i e oströmische Kaiser- und Reichsidee (1938), S. 58. D a ß Liudprand bei seiner genauen Bekanntschaft mit byzantinischen Verhältnissen sehr leicht dazu kommen konnte, einen byzantinischen Begriff auf ähnliche Verhältnisse in Deutschland anzuwenden, versteht sich von selbst; und für die jüngere Mathildenvita, die nach den Zeiten der Theophanu und Ottos III. geschrieben ist, dürfte dasselbe gelten. Doch es ist natürlich auch die Möglichkeit nicht zu bestreiten, daß man schon 936, also bevor Liudprand und der Verfasser der Vita schrieben, die byzantinischen Anschauungen in Deutschland kannte. Bestreiten möchte ich nur, daß sie es allein waren, die die hier zur Diskussion stehende Rechtsauffassung hervorriefen.
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Möglichkeit einer Wahl zwischen einem in der aula regalis und einem nicht in der aula regalis geborenen Königssohn nur 936 gegeben hat: es ist bei den vorangegangenen wie den späteren deutschen Königswahlen nie vorgekommen, daß wie 936 zum Nachfolger des alten Königs ein Königssohn vorgeschlagen wurde, der wie Otto I. geboren wurde, als sein Vater noch nicht König war, und dem man einen anderen Sohn desselben Vaters gegenüberstellen konnte, der erst während seines Königtums gezeugt und geboren worden war. Und Otto ist nicht bloß nicht als Sohn eines Königs, sondern nicht einmal als Sprößling einer königlichen Dynastie geboren: erst nach seiner Geburt ist die Krone auf die Liudolfinger übergegangen. Der Gedanke aber, daß ein in der aula regalis Geborener etwas Besseres ist und ein besseres Recht hat als ein nicht so Geborener, liegt sehr nahe und sozusagen in der Luft, und um auf ihn zu kommen, brauchte man schwerlich eine Anleihe beim byzantinischen Recht zu machen. Tatsächlich ist der eine der Nachkomme eines Königs, der andere ist es nicht, und einer Zeit, die auf das Geblütsrecht, zugleich aber auf die mythische oder sakrale Weihe und Würde des Königs Wert legte, mußte es sehr geläufig sein, danach zu fragen, ob der Vater (oder die Vorfahren) eines Prätendenten in der Zeit seiner Zeugung und Geburt bereits Könige waren oder nicht: im ersten Falle hatte er das königliche Heil und das königliche Charisma geerbt, im zweiten hatte er das nicht. Derartige Anschauungen und Überlegungen lassen sich denn auch außerhalb des byzantinischen Staatsrechts an andern Orten und zu andern Zeiten, man möchte sagen zu allen Zeiten, beobachten. Wenn ich hier einige an sich bekannte Beispiele anführe, so bin ich davon überzeugt, daß es sich dabei nur um einen Teil des Materials handelt, das tatsächlich existiert, und daß sich bei einer sorgfältigen und systematischen Durchsuchung der Überlieferung noch sehr viel mehr ergeben würde 1 8 9 . Herodot erzählt, daß bei dem Streit der Söhne des Darius um die Nachfolge der Rat des Spartaners Demaratos den Ausschlag zugunsten des Xerxes gegeben habe, danach sollte der König werden, der geboren war, als sein Vater schon König und Herr der Perser war und nicht mehr Untertan: so verlange es der Brauch 190 . Ganz ähnliche Gesichtspunkte spielten später bei der Parteinahme der Parysatis zugunsten einer Thronbesteigung des jüngeren Kyros gegen seinen Bruder Artaxerxes III. eine Rolle 1 9 1 . Und in der spätrömischen Kaiserzeit wird der Kaiser Honorius von Claudian deshalb gepriesen, weil er im Purpur geboren sei 1 9 2 (wenn es damals auch nicht zu einem Konflikt über solche Fragen gekommen ist). In größerer chronologischer und lokaler Nähe zu den Berichten von der Kandidatur des jungem Heinrich im Jahre 936 befindet sich ein Vorgang der englischen ls0
190 1,1 192
Ich verdanke das Material, das ich im folgenden bringe, Rankes Weltgeschichte a. a. O. und J. Harttung, Die Thronfolge im deutschen Reiche bis zur Mitte des 1 1 . Jahrhunderts, Forschungen zur Deutschen Geschichte 18 (1878), S. 144. Freilich haben weder Ranke noch Harttung die letzten Konsequenzen aus dem Material gezogen - wozu zu ihrer Zeit freilich auch wenig Veranlassung bestand, da die Meinung, man habe sich 936 nach dem byzantinischen Porphyrogennetos gerichtet, noch nicht existierte. Vgl. Herodot VII. cap. 3. Vgl. Ranke I, 2, S. 86. Vgl. Ranke VI, 2, S. 144.
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Geschichte, oder wenigstens die Überlieferung dieses Vorgangs. Über die Thronbesteigung des Königs Edward im Jahre 975 steht in der Vita sancti Dunstani von Eadmer die Bemerkung, einige Fürsten seien gegen Edward und für seinen jüngeren Bruder gewesen, qnia matrem eius (d. h. Edwards), licet legaliter nuptam, in regnum tarnen non magis quam patrem eius, dum eum genuit, sacratam fuisse sciebant193. Daß Edward gezeugt wurde, als seine Eltern noch nicht gekrönt (oder gesalbt) waren, mag unrichtig sein, und überhaupt braucht die ganze Erzählung Eadmers nicht den historischen Tatsachen zu entsprechen: sie ist erst mehr als hundert Jahre nach den Ereignissen aufgeschrieben, und in der älteren Vita Dunstans findet sich nichts davon. Aber wie es mit der geschichtlichen Richtigkeit der Vorgänge, die von Eadmer erzählt werden, auch bestellt sein mag, auf jeden Fall ergibt sich aus seinem Bericht, daß zu seiner Zeit in England die Vorstellung lebendig war, ein vor der Königsweihe seiner Eltern geborener Prinz habe ein schlechteres Recht auf den Thron als ein anderer. Die bei Persern, Römern und Byzantinern bezeugte Anschauung erscheint hier bei den Angelsachsen in einer spezifisch christlich-geistlichen Fassung. Das zuletzt angeführte Beispiel ist außer dem deutschen von 936 das einzige hier 94 in Betracht kommende 1 9 4 , welches aus der abendländischen Geschichte des hohen Mittelalters stammt, und da es in die Zeit nach dem Auftauchen des Porphyrogennetos in Byzanz gehört, so könnte man auf den Gedanken kommen, daß es sich dabei ähnlich wie man es für die um 936 in Deutschland wirksamen Vorstellungen behauptet hat - um eine (eventuell über Deutschland vermittelte) Entlehnung aus dem Byzantinischen handelt. Doch gerade das angelsächsische Beispiel sieht nicht nach Entlehnung aus, und in seiner christlich-kirchlichen Färbung macht es einen durchaus selbständigen, autochthon entstandenen und entwickelten Eindruck. Und statt für die in Deutschland und in England auftretenden Anschauungen eine zweimalige, schwer verständliche und ganz überflüssige Entlehnung anzunehmen, tut man gut, in beiden Fällen Beweise für eine im Abendlande selbständig auftretende Auffassung zu sehen, die sich fast mit Naturnotwendigkeit als eine ganz logische Folgerung aus den Anschauungen von der sakralen Weihe des Königs und seinem Geblütsrecht einstellen mußte. Daß man sich hier tatsächlich in Vorstellungen bewegt, die den abendländischen und speziell den deutschen Verhältnissen durchaus eigentümlich sind und für deren Erklärung und Begründung man nicht nach Konstantinopel zu gehen braucht, ergibt sich zum Überfluß noch aus einer Erzählung bei Liudprand von Cremona. Danach hat der Herzog Eberhard von Franken, der in seinem Konflikt mit Otto dem Großen ähnlich wie der Prinz Heinrich Absichten auf die Krone verfolgte, sich kurz vor seinem Tode zu seiner Frau so geäußert: Quam dum foveret in sinu: 'lucundare', inquit, 'in gremio comitis, brevi laetatura in amplexibus regis'195. Was an der Geio3 Vgl. Eadmeri Cantuariensis monachi Vita sancti Dunstani, Migne Patrolog. Lat. C L I X ( 1 8 5 4 ) , Sp. 7 9 8 f. Der Einwand von Mitteis, a. a. O. S. 62, Anm. 2, gegen dieses englische Beispiel soll wohl weiter nichts besagen, als daß man sich 9 3 6 nicht nach diesem Beispiel gerichtet haben kann, was natürlich richtig ist. 194 195
W a s Harttung noch aus der Zeit des englischen Königs Heinrichs III. anführt, übergehe ich. Vgl. Antapodosis IV, cap. 2 3 , S. 116.
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Zum zehnten Jahrhundert
schichte historisch richtig ist, ist gleichgültig. Sie hat einen durchaus anekdotenhaften Charakter und mag auf volkstümlichen Überlieferungen beruhen. Aber je mehr das der Fall ist, um so mehr gibt sie die Anschauungen ihrer Zeit wieder; und die sind 95 offensichtlich, daß die amplexus desselben Mannes besser sind, wenn er König ist, als da er noch Herzog war. Von da aber zu der Überzeugung, daß der in den Umarmungen nach dem Gewinn der Krone Erzeugte mehr ist als der vorher Erzeugte, ist nur ein Schritt; oder vielmehr, es handelt sich beide Male um denselben Vorstellungskomplex.
VI
DIE
HERZOGSERHEBUNG
HEINRICHS
K A I S E R T U M O T T O S D E S G R O S S E N IN VITA MATHILDIS
I. U N D
DAS
DER
ANTIQUIOR
In der Vita Mathildis antiquior stehen zwei viel erörterte und viel umstrittene Notizen, die ein größeres quellenkritisches und geschichtliches Interesse beanspruchen. Einmal eine Nachricht über die Erhebung Heinrichs I. zum Herzog, und zweitens die Behauptung, daß Otto der Große durch einen Soldatenaufstand das diadema, die Kaiserkrone, erlangt habe. Ich spreche beides der Reihe nach durch.
1. Die Herzogserhebung
Heinrichs I.
Im vierten Kapitel der Vita heißt es, daß nach dem Tode des Herzogs Otto principes quoque regni consilium ineuntes tractabant, quis heroutn principatum teneret. At ipsi Priorts non inmemores gratiae, ipsum illum filium elegere ducem, narrt et artnis Saxonum erat fortissimus, qui plus solito caritatis amorö populos placando sibi coniunxit, ita ut eum rdgem optarent. Post non longum tempus Conradum Francorum regem hominem exuisse contigit; hello seu pace fieret, ignoramus; sceptrum Heinrico successit, totaque regni facultas. His, ut diximus, dispositisi, Saxones rege ditati tali potiuntur honore, quibus nunquam tantae prhnatus subesse solebant causae 196. In der Hauptsache sind bei der Interpretation dieser Stelle die Meinungen darüber auseinandergegangen, ob man in den principes regni, d. h. in denen, die nach der Vita Heinrich zum Herzog wählten, die Fürsten des Reiches oder sächsische Fürsten sehen sollte; die erste Ansicht ist vor allem von Waitz 197 , die zweite von Jaffe 1 9 8 vertreten worden. Neuerdings hat die Meinung, daß es sich hier um Reichsfürsten handelt, und daß Heinrich nach der Ansicht der Vita von ihnen zum Herzog gewählt wurde, H. Beumann nachdrücklich verfochten und mit einer ausführlichen Begründung versehen 199 . Er zeigt im Anschluß an J. Ficker und andere, daß in den Urkunden des zehnten Jahrhunderts so gut wie immer und in den erzählenden Quellen im allgemeinen unter den principes regni Reichsfürsten, nicht Fürsten eines Landes 1M
Vgl. SS. X, S. 576. Vgl. G. Waitz, Jahrbb. Heinrichs I., 3. Aufl. (1885), S. 19, Anm. 3. i»s y g j ph Jaffe: Übersetzung der Vita Mathildis in den Geschichtschreibern der deutschen Vorzeit, 2. Aufl. (1890), S. 9; ebenso W. v. Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit I, 5. Aufl. (1881), S. 193. 139 y g j j j Beumann, Die sakrale Legitimierung des Herrschers im Denken der ottonischen Zeit, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 66 (1948), Germ. Abt., S. 26 ff. 1,7
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verstanden werden, und er meint, danach müsse es auch in der Vita Mathildis so sein. In dem principatus, über dessen Besetzung nach den eben zitierten Worten der Vita die principes beraten, sieht er weniger das sächsische Herzogtum als eine Vormachtstellung in Deutschland, die einmal dem entsprechen soll, daß die Vita im ersten Kapitel den Herzog Otto als dux in tota Germania princeps200 bezeichnet, und die weiter damit zusammenhängen soll, daß die principes Heinrich schon bei seiner Herzogswahl, also 912, zum zukünftigen König ausersahen, wie es in dem zitierten Passus des vierten Kapitels heißt: ita, ut eutn regem optarent. Ich will die Beumannsche Argumentation hier nicht im einzelnen durchsprechen und nur bemerken, daß sie mir dem Text der Vita Dinge zuzumuten scheint, die man ihm nicht zumuten kann. Sie setzt für die Ausdrucksweise der Vita eine terminologische und rechtsgeschichtliche Präzision voraus, von der diese in Wirklichkeit weit entfernt ist. Bekanntlich zeichnet sich die Vita Mathildis dadurch aus, daß sie in einer über das normale Maß weit hinausgehenden Weise aus der älteren Literatur Wendungen und Stilblüten aller Art entlehnt und übernimmt 201 . Der Verfasser mag sich 98 damit für seine Zeit als ein gelehrter Mann und prächtiger Stilist erweisen - aber die Genauigkeit und Zuverlässigkeit seiner Mitteilungen wird durch seine Minier erheblich getrübt. Es kommt ihm mehr auf die schönen Worte als auf den Inhalt an, und er verwendet seine Lesefrüchte im allgemeinen recht unbekümmert darum, ob sie passen oder nicht 2 0 2 . Davon abgesehen ist er gerade in der Verwendung und Behandlung von rechtsgeschichtlichen Termini alles andere als korrekt. Nun hat sich zwar in seinem Bericht über Heinrichs Herzogswahl bisher ein Plagiat nicht nachweisen lassen. Doch die Wendung quis heroum legt den Verdacht nahe, daß hier irgendeine altdeutsche Tradition, die mit Recken oder Degen operierte, Pate gestanden hat, und auf jeden Fall beweist sie, daß es dem Verfasser hier wie sonst auf Angemessenheit und Eindeutigkeit des Ausdrucks in keiner Weise ankommt. Wenn die Überlieferung des zehnten Jahrhunderts unter principes regni im allgemeinen auch Reichsfürsten verstehen mag, so ist doch keine Frage, daß es Ausnahmen von der Regel gibt 2 0 5 . Die Verbindung principes regni kommt in der Vita nur an der zitierten Stelle vor; aber das Wort princeps allein wird in ihr recht vielfach und verschieden gebraucht, und es wird sowohl auf den Kaiser oder König wie auf Herzöge, Fürsten aller Art und sächsische Magnaten angewandt 2 0 4 . Nicht viel anders steht es mit regtium: mindestens einmal wird das bayrische Herzogtum so bezeichnet 20S , und was den Bayern recht war, war den Sachsen schließlich billig. Es 200 201 202
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SS. X, S. 5 7 5 . Das hat in erster Linie Jaffe in der oben Anm. 1 9 8 zitierten Übersetzung nachgewiesen. Das will Beumann anscheinend bestreiten; doch, wie mir scheint, zu Unrecht. Das gibt Beumann a. a. O selbst zu. Mitteis, a. a. O. (vgl. oben S. 276, Anm. 168) S. 6 4 , betont mit Recht, daß die deutschen Herzogtümer noch sehr lange regna heißen. Vgl. dazu u. a. aus dem zehnten Jahrhundert die bekannte Stelle der Quedlinburger Annalen zu 9 3 6 :
Otto . . . paterms eligitur succedere
regnis.
Das betont ähnlich Beumann selbst. 205 Vgl. cap. 4, S. 577. Wenn Beumann S. 27 meint, der Verfasser der Vita habe damit „bayrischen Ansprüchen entsprochen", so mag das sein. Aber mit demselben Recht, mit dem das bayrische Herzogtum beanspruchte, als regnum zu gelten, taten das die anderen auch.
204
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ist also nach dem Sprachgebrauch der Vita durchaus möglich (wenn auch nicht sicher), 99 daß sich hinter den principes regni die sächsischen Großen verbergen. Und ebenso ist es danach durchaus möglich, daß unter dem principatus weiter nichts als das sächsische Herzogtum zu verstehen ist 20 °, eine Möglichkeit, die noch dazu sehr wahrscheinlich aussieht, wenn man bemerkt, daß für die Vita die Erwägung quis principatum teneret nichts als die Vorstufe des elegere ducem ist: für die Vita sind principatus und ducatus offenbar dasselbe. Doch wie das auch sein mag, und ob man unter den principes regni nun Reichsoder Landesfürsten zu verstehen hat - in jedem Falle haftet dem Bericht der Vita eine Schwierigkeit an, die, soweit ich sehe, bisher nicht geklärt ist. Der Satz at ipsi prioris non inmemores gratiae ipsum illum filium elegere ducem, nam et armis Saxonum erat fortissimus, qui plus solito caritatis amore populos placando sibi coniunxit, ita ut eum regem optarent, ist auch für das verschnörkelte Latein der Vita wenig schön und gut gebaut; vor allem kann doch keine Interpretationskunst über die offenbare Ungereimtheit hinweghelfen, daß die Vita zur Begründung von Heinrichs Herzogswahl oder mindestens im Zusammenhang mit ihr den Wunsch anführt, ihn zum König zu machen. Nun, ich glaube, hier liegt die Schwierigkeit oder der Fehler nicht bei dem Verfasser der Vita, sondern bei ihrem modernen Herausgeber. Ich glaube, die Monumentenausgabe hat falsch interpungiert, und schlage vor, hinter fortissimus statt des Kommas einen Punkt zu setzen. So scheint mir der Satz völlig verständlich zu werden und einen vernünftigen Sinn zu bekommen. Die Worte non inmemores prioris gratiae beziehen sich auf das Vorangegangene, nämlich auf die Charakterisierung Heinrichs im ersten Kapitel der Vita, wo es heißt, daß er als Jüngling zu Lebzeiten seines Vaters von allen geschätzt und geehrt wurde suae mansuetudinis humilitatisque provocante gratia. Jene Worte begründen, warum man ihn zum Herzog wählte. Und dem wird nun zur weiteren Begründung seiner Herzogswahl sehr passend und richtig hinzugefügt: nam et armis Saxonum erat fortissimus. Der dann nach meiner Ansicht 100 mit Qui neu beginnende Satz hat mit der Herzogswahl nichts mehr zu tun, sondern bezieht sich auf das sieben Jahre später Heinrich zufallende Königtum und gibt dafür die Begründung: Heinrich wußte die populi so zu gewinnen, daß sie ihn zum König haben wollten. Der Satz leitet zu dem ihm folgenden Satze über: Qui plus solito caritatis amore populos placando sibi coniunxit, ita ut eum regem optarent. Post non longum tempus Conradum Francorum regem hominem exuisse contigit; hello seu pace fieret, ignoramus; sceptrum Heinrico successit, totaque regni facultas. Die alte, in Kapitel 1 beschriebene gratia, deren die principes bei ihren Beratungen eingedenk waren, bezog sich auf die Sachsen, und die Folge davon ist die Herzogswahl Heinrichs. Der plus solitus caritatis atnor, mit dem Heinrich die populi gewinnt, bezieht sich auf die deutschen Stämme, und er hat den Gewinn der Königskrone zur Folge 207 . 21,6 In dem Sinne wird principatus in den Quellen natürlich sehr oft gebraucht. - 0 7 Zur Verdeutlichung drucke ich die Stelle, wie ich sie mir mit der neuen Interpunktion denke, hier ab: Principes quoque regni consilium ¡neuntes tractabant, quis herourn principatum teneret At ipsi prioris non inmemores gratiae, ipsum illum filium elegere ducem, nam et armis Saxonum erat fortissimus. Qui plus solito caritatis amore populos placando sibi coniunxit, ita ut eum regem optarent. Post non longum tempus Conradum Francorum regem hominem exuisse contigit; hello seu pace fieret. ignoramus; sceptrum Heinrico successit totaque regni facultas.
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Ist damit aber die Stelle richtig verstanden, so ist einigermaßen deutlich, daß die principes regni im Gegensatz zu den populi stehen: d. h. unter den populi sind eben die deutschen Stämme zu verstehen, das regnum aber ist Sachsen, und die principes regni sind die sächsischen Großen. Daß dies Resultat der verfassungsgeschichtlichen Situation am besten entspricht, bedarf wohl weiter keiner Erörterung: zu einer sächsischen Herzogswahl dürften die Sachsen, nicht aber die deutschen Reichsfürsten befugt gewesen sein. Daß dieses Resultat trotzdem nicht sicher ist, bedarf natürlich auch keiner Erörterung: ich möchte es nur als eine mit einigem, und, wie mir scheint, größerem Wahrscheinlichkeitswert ausgestattete Möglichkeit neben dem Vorschlag von Waitz und Beumann bestehen lassen. 101
2. Das Kaisertum
Ottos des
Großen
Im sechzehnten Kapitel der Vita stehen über das Kaisertum Ottos des Großen die erstaunlichen Sätze: Post cuius (sc. Mathildis) excessum legati scripta ferentes in Italiam ingressi sunt, ubi filius eius Otto inperator rem publicam gubernabat Lotio, vir omni pietate merito praedicandus, si ei vel diadema non legitime sed tumultuante milite inpositum repudiare, vel armis abstinere licuisset. Sed magnum inperium nec sine armis potuit teneri. Non tarnen illum opes regni, nec inperii dignitas, non diadema, non purpura, Christi a famulatu divellere poterant 208 . Es ist Ph. Jaffe gewesen, der als erster gesehen hat, daß diese Sätze fast wörtlich aus den Dialogen des Sulpicius Severus übernommen sind 2U9. Im übrigen hat man längst bemerkt, daß sie etwas schlecht auf die Geschichte Ottos des Großen passen, und man hat (wenn man sie nicht überhaupt als völlig aus der Luft gegriffen ansah) auf verschiedene Weise versucht, sie wenigstens halbwegs mit ihr in Einklang zu bringen; im allgemeinen, indem man in ihnen eine mehr oder weniger unklare Anspielung auf die römischen Kämpfe um 963/64 oder auf das römische Strafgericht Ottos von 966 sah 210 . Neuerdings hat nun Beumann die Ansicht vertreten, daß es sich dabei um etwas ganz anderes handelt; nämlich um eine Stellungnahme des Verfassers der Vita zu der Kaiserproklamation auf dem Lechfeld, die nach Widukind von Korvei 955 von dem siegreichen Heer an Otto vollzogen worden sein soll 211 . Doch so überraschend und bestechend diese Deutung auf den ersten Blick aussieht, berechtigt dürfte sie schwerlich sein; mindestens glaube ich nicht, daß ihre Berechtigung nachgewiesen ist oder sich nachweisen läßt. Der Passus über das Otto durch einen Soldatenaufstand zugefallene Diadem taucht in der Vita inmitten des Berichts über den Tod der Königin Mathilde und die Überbringung der Todesnachricht an den Kaiser in Italien auf. Er steht also in Verbin102 dung mit Ereignissen, die ins Jahr 968 gehören und mit Ottos römischem Kaisertum zu tun haben. Irgendeinen Hinweis darauf, daß die Bemerkung über die unrecht208 209 2,0 211
Vgl. a. a. O. S. 5 8 1 . Vgl. die Übersetzung der Vita, S. 27. Anm. 2. Vgl. etwa dieselbe Stelle oder auch Wattenbach/Holtzmaon S. 39 E. Vgl. Beumann, a. a. O. S. 23 ff.; dazu Widukind III, cap. 49, hrsg. von P. Hirsch und H.-E. Lohmann, SS. rer. Germ, in us. schol. (1935), S. 128 f.
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mäßig erworbene Krone in einen anderen Zusammenhang gehört, sucht man mindestens an dieser Stelle vergebens; und vollends wird davon, daß sich jene Bemerkung auf die Lechfeldschlacht bezieht, nicht das geringste gesagt, wie denn überhaupt diese Schlacht in der Vita mit keiner Silbe erwähnt wird. Trotzdem glaubt Beumann wenigstens einen indirekten Hinweis in der Vita darauf zu finden, daß die bewußte Bemerkung nicht auf das römische Kaisertum Ottos zielt und also auf Widukinds Lechfeldkaisertum zielen könnte. Ein paar Kapitel vor dem Kapitel 16, in Kapitel 13, war im Zusammenhang mit Vorgängen, die in die Jahre um 962 fallen, davon die Rede, daß Otto vom Papst nach Rom eingeladen wurde, um inperialem, ut credimus, Dei iussu accipere coronam 2 1 2 . Aus der Wendung ut credimus Dei iussu, meint Beumann, sei „die Abwehr einer Kritik am römischen Kaisertum herauszuhören, die sich auf Widukinds Darstellung (von der Proklamation auf dem Lechfeld) beziehen läßt" 2 1 3 . Doch daß es sich wirklich so verhält, ist zwar möglich, aber alles andere als sicher, und es scheint mir nicht gerade wahrscheinlich zu sein. Nach Beumann verurteilt der Verfasser der Vita in Kapitel 16 mit dürren Worten das nach Widukinds Behauptung (und, wie Beumann meint, des Verfassers eigener Uberzeugung) auf dem Lechfeld erworbene nichtrömische Kaisertum. Er müßte also konsequenterweise mit mindestens ebenso dürren Worten und ganz eindeutig für das römische, vom Papst legitimierte Kaisertum eintreten. Sind die Worte ut credimus Dei iussu aber nicht eher vorsichtig und einschränkend? Sie scheinen mir auch einen Sinn zu bekommen, wenn man sie ganz anders interpretiert, als es Beumann tut. Sie erinnern, finde ich, an das berühmte spätere ut spero legitime Thietmars von Merseburg, das der Bischof im Zusammenhang mit der Gründung Gnesens durch Otto III. IO.M ausspricht 21i , und das bekanntlich einen Einwand gegen die Rechtmäßigkeit der Gnesener Gründung bedeutet. Genauso könnte man das ut credimus Dei iussu als einen leisen Zweifel (und zugleich als die Unterdrückung dieses Zweifels) an der Gottwohlgefälligkeit der Erwerbung der Kaiserkrone in Rom auffassen. Auch dann könnte die Bemerkung im Zusammenhang mit dem negativen Urteil des Kapitels 16 stehen, aber sie spräche dann nicht dafür, daß sich dieses Urteil auf ein auf dem Lechfeld erworbenes Diadem, sondern dafür, daß es sich auf italienisch-römische Vorgänge bezöge. Aber selbst wenn man, was, wie gesagt, zwar unwahrscheinlich, doch immerhin möglich ist, in den Worten ut credimus Dei iussu nicht einen eigenen Zweifel des Verfassers, sondern nur die Abwehr einer Opposition gegen das römische Kaisertum sehen wollte, so wäre damit gar nichts dafür bewiesen, daß in Kapitel 16 auf Widukind und die Kaiserproklamation auf dem Lechfeld angespielt wird. Wie groß in Deutschland die Abneigung gegen die ottonische Italienpolitik war, wissen wir nicht; aber daß sie da war, ist keine Frage 2 1 5 , und um gegen jene Abneigung und für diese 2,2 2,5
a. a. O . S. 5 7 9 . a. a. O . S. 4 1 .
214
Vgl. Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg IV, cap. 4 5 , hrsg. von R. Holtzniann, SS. rer. Germ, nova series ( 1 9 3 5 ) , S. 184.
215
Vgl. meine Schrift Die Kaiserpolitik Ottos des Großen ( 1 9 4 3 ) , S. 95 ff. [hier S. 197 ff.].
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Politik Stellung zu nehmen, mußte man sich sicher nicht erst von Widukind und seiner Lechfeldthese anregen lassen oder sonst irgendwie an ein auf dem Lechfeld erworbenes Kaisertum glauben. Außer der, wie man sieht, gar nichts beweisenden Bemerkung des Kapitels 13 spricht dafür, daß das Kapitel 16 auf das Lechfeldkaisertum anspielt und dagegen protestiert, nichts als die Tatsache, daß wir es mit dem, was man über das römische Kaisertum Ottos weiß, anscheinend nicht oder nur schlecht in Einklang bringen können. Aber wenn wir die Meinung von dieser mangelhaften Kongruenz zunächst auf sich beruhen lassen, paßt das, was die Vita sagt, denn wirklich zu der angeblichen Proklamation auf dem Lechfeld? Zunächst müßte man, um diese Frage bejahen zu können, voraussetzen, daß der ioi Verfasser der Vita Widukinds Bericht über die Ausrufung Ottos zum Imperator auf dem Lechfeld für bare Münze nahm. Und nicht bloß das: er müßte auch der Meinung gewesen sein, daß Otto sein Kaisertum von der Lechfeldschlacht datierte und daß er damals die Kaiserkrone tatsächlich angenommen habe. Nicht bloß, daß die Vita sich damit in einem sehr leicht kontrollierbaren und korrigierbaren Irrtum befunden hätte - sie hätte sich damit auch in Widerspruch zu ihren eigenen Worten gesetzt, nach denen Otto die Krone nicht auf dem Lechfeld, sondern auf eine ganz andere Weise erwarb. Nach dem Wortlaut der Vita würde man wohl schwerlich auf den Gedanken kommen, daß es sich bei dem im Kapitel 16 verurteilten um ein anderes Kaisertum handelt als um das von Otto in Rom erworbene. Allein von diesem Kaisertum und nie von einem andern wird in der Vita gesprochen. Nachdem im Kapitel 13 gesagt war, daß der Papst Otto eingeladen hatte, um in Rom die Kaiserkrone zu empfangen, heißt es weiter, daß er nach der Eroberung Italiens zum Kaiser gekrönt wurde. Ein paarmal ist dann noch von der Überwältigung und Regierung Italiens und Roms die Rede 2 1 6 , und der Hinweis auf das gewaltsam gewonnene Diadem im Kapitel 16 steht mitten in Bemerkungen über Ottos Regierungstätigkeit in Italien. Unmittelbar nach der Kritik an dem miles tumultuans und der durch ihn errungenen Krone wird von der inperii dignitas, von diadema und purpurn gesprochen, die Otto dem Dienste Christi nicht entfremden konnten: es handelt sich dabei um das sozusagen normale, römische Kaiserreich, und wenn der Verfasser vorher mit seinem diadema etwas anderes gemeint hätte, so hätte er sich mehr als absonderlich und unverständlich ausgedrückt. Aber weiter. Beumann bemerkt mit Recht, daß die Vita in ihrem Tadel in Kapitel 16 die Worte des Sulpicius Severus nicht ganz vollständig und mithin wohl nicht ganz unbesehen und gedankenlos übernommen hat 2 1 7 . Tatsächlich hat sie aus Sulpicius Severus' Wortlaut vor arrnis die Vokabel civilibus und nach magnum los wperium die Worte nec sine periculo renui gestrichen. Wenn sich aber der Verfasser der Vita die Freiheit nahm, sein Zitat etwas zu ändern, warum hat er es dann, indem er die Worte nec sine periculo renui strich, die Worte nec sine armis potuit teneri aber stehen ließ, ausgerechnet so geändert, daß sein Satz zu einem Hinweis auf das Vgl. cap. 13, S. 5 8 0 . s
"
a. a. O. S. 4 1 .
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Lechfeldkaisertum ganz und gar nicht paßte? Es ist wohl klar: wenn er an die Kaiserproklamation auf dem Lechfeld dachte, so hätte er gerade umgekehrt verfahren müssen; denn dort handelt es sich eben um die Erwerbung, nicht um die Erhaltung des Kaisertums. Vor allem aber, wie konnte der Verfasser, wenn er die Vorgänge von 955 im Auge hatte, die Wendung vel armis abstmere stehen lassen? Mochte er noch so sehr bereit sein, den Gebrauch der Waffen durch Otto zu tadeln, daran, daß sie Otto auf dem Lechfeld, also gegen die Ungarn, brauchte, konnte doch niemand etwas aussetzen; im Gegenteil, wenn eine kriegerische Handlung Ottos den Zeitgenossen als berechtigt und gottwohlgefällig erscheinen mußte, so war es sicher die Besiegung der ungarischen Feinde der Christenheit im Jahre 955. Man könnte einwenden: wenn man das Exzerpt aus Sulpicius Severus in der Vita Mathildis überhaupt erklären will, so muß man einige Ungereimtheiten und Unverständlichkeiten mit in Kauf nehmen. Gewiß. Aber ich finde, wenn man es mit den römisch-italienischen Vorgängen erklärt, so kommt man wesentlich billiger weg. Die Notiz über das gewaltsam erworbene Diadem steht, wie wir sahen, inmitten von Nachrichten aus dem Jahre 968. Da früher von der Erwerbung der Kaiserkrone im Jahre 962 ausdrücklich gesprochen war, so liegt es nahe, unsere Notiz auf die Vorgänge beim zweiten Römerzug Ottos, 966 bis 972, zu beziehen. Wenn nämlich von einem diadema tumultuante milite inpositum die Rede ist, so ist es keineswegs nötig, an eine zum ersten Male aufgesetzte Kaiserkrone, also an die Krönung von 962 zu denken. Festkrönungen, Nachkrönungen und besondere Krönungen nach Siegen oder Triumphen waren bekanntlich durchaus nichts Ungewöhnliches, und man hat damit zu rechnen, daß sich Otto nach seinem siegreichen Einzug in Rom 966 wieder mit der 106 Krone schmücken ließ. Im übrigen wäre aber auch ohne das der Ausdruck diadema als Bezeichnung für die Kaiserherrschaft durchaus verständlich - ganz abgesehen davon, daß der Verfasser der Vita an ihn ja durch seine Vorlage gebunden war und man den Ausdruck also nicht zu sehr wörtlich nehmen und pressen darf. Daß Otto 966 aber die Herrschaft in Rom tumultuante milite gewann, ließ sich von einem fernerstehenden Betrachter mit gutem Rechte sagen. Uber die Exzesse, zu denen es damals in Rom kam, sind wir in den Einzelheiten nicht unterrichtet; aber sicher ist es nicht bloß zu einem ordentlichen, sehr blutigen Strafgericht über die Römer gekommen, die sich gegen Johann XIII. empört hatten 218 : Benedikt vom Monte Soracte redet auch von Raub, Plünderungen und Brandschatzungen 219 ; und daß so etwas geschah, ist ohnehin anzunehmen: man konnte also mit gutem Grunde von einem tumultuans miles sprechen. Dazu, daß die Vorgänge von 966 gemeint sind, würde es gut passen, daß die Vita die Worte des Sulpicius Severus, nach denen das Imperium nicht sine periculo renui konnte, strich, während sie die andern: nec sine armis teneri stehen ließ; tatsächlich handelte es sich 966 weniger um einen Gewinn als um eine Behauptung der Herrschaft. Und daß der sehr friedfertige und seine Helden gern mit Taten des Friedens schmückende Verfasser der Vita an den Vorgängen von 966 Anstoß nahm und sie mit den Worten des Sulpicius Severus verurteilte, ist nicht verwunderlich. 218 218
Vgl. Dümmlers Jahrbücher Ottos des Großen, S. 411 f. Vgl. Benedict! Chronicon, cap. 39, SS. III, S. 719.
19
Lintzel Bd. II
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Doch wenn man aus irgendwelchen Gründen gegen eine Festlegung der Notiz auf die Ereignisse von 966 Bedenken haben sollte, so würde man dem Verfasser der Vita auch schwerlich Unrecht tun, wenn man in der Notiz ganz allgemein einen Niederschlag seiner Einwendungen gegen die italienischen Kriege Ottos sowohl vor wie nach der Kaiserkrönung von 962 sähe. Daß nach seiner Meinung die Krönung vom 2. Februar 962 die Folge größerer kriegerischer Aktionen in Italien war (wie 107 sie es in Wirklichkeit ja nicht gewesen ist), sagt er selbst im Kapitel 13 ausdrücklich 2 2 0 . E r war, wie gesagt, ein Mann des Friedens. Und wenn er, die Erfolge Ottos in Italien auch im wesentlichen bejahte, so mochte es für ihn doch naheliegen, gegen seinen Kaiser fromm den Finger zu erheben und ihm für seine vielen Kriege einen verschnörkelten Verweis zu erteilen, ähnlich wie er etwa der Königin Mathilde wegen ihrer Vorliebe für prächtige Kleider einen kleinen Denkzettel gegeben hatte 2 2 1 . a. a. O. S. 580. Vgl. cap. 11, S. 579.
VIT. D E R R E I C H S T A G
VON VERONA
IM J A H R E
983
108
Im Mai 983, etwa zehn Monate nach der Katastrophe, die die. italienische Expansionspolitik Kaiser Ottos II. bei Cotrone erlitten hatte, fand der Reichstag von Verona statt. Auf dieser von Deutschen und von Italienern besuchten Versammlung wurde bekanntlich der knapp dreijährige Otto III. zum König gewählt; die durch den Tod des Herzogs Otto erledigten Herzogtümer Bayern und Schwaben wurden mit dem Liutpoldinger Heinrich dem Jüngern und dem Konradiner Konrad besetzt, und an Stelle des 982 verstorbenen Sachsen Thietmar wurde als Bischof von Prag der tschechische Adlige Adalbert bestätigt. Im übrigen ist uns von dem, was in Verona geschah, noch die Auseinandersetzung Ottos II. mit Venedig und die Erteilung einer Reihe von Schenkungen und Privilegien bekannt. In den Ergebnissen des Reichstags von Verona hat man nun im allgemeinen einen eindeutigen Erfolg Ottos II. erblickt 222 . Wenn für dieses Urteil die zuletzt erwähnten Vorgänge natürlich auch irrelevant sind und man auch auf die Bestätigung Adalberts von Prag weiter kein Gewicht gelegt hat, so ist doch die herrschende Meinung, daß es der Wille des Kaisers war, der sich sowohl mit der Wahl Ottos III. wie mit der Bestellung der beiden neuen Herzöge in Süddeutschland durchsetzte 223 . Trotz der Niederlage von Cotrone sei die Machtstellung Ottos unerschüttert geblieben, und 109 eine Opposition habe sich nirgends geregt. Ja, von manchen Autoren wird sogar ver-
- 2S
Eine wenigstens in manchen Punkten abweichende Ansicht findet sich, soviel ich sehe, nur bei L. M. Hartmann, Geschichte Italiens im Mittelalter IV, 1 (1915), S. 86 (f., dessen Ansichten aber auf die spätere Literatur anscheinend nicht den geringsten Eindruck gemacht haben. Vgl. etwa W. v. Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit I, 5. Aufl. (1881), S. 600 f., wo sich freilich bei der Beurteilung der Besetzung der süddeutschen Herzogtümer schon die etwas nachdenkliche Bemerkung findet: „Bei diesen Belehnungen wurden offenbar die besonderen Interessen der Herzogtümer in das Auge gefaßt und berücksichtigt"; vgl. weiter L. von Ranke in der Weltgeschichte VII, 4. Aufl. (1893), S. 27 f.; K. Uhlirz, Jahrbücher des Deutschen Reichcs unter Otto II. und Otto III., I (1902), S. 186 f. und 197; F. Schneider, Mittelalter bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts (1929), S. 197 f.; A. Cartellieri, Kaiser Otto II., in Festschrift für O. Dobenecker (1929), S. 57; ders., Die Weltstellung des Deutschen Reiches 911 bis 1047 (1932), S. 193 f.; K. Hampe, Das Hochmittelalter (1932), S. 27; R. Holtzmann, Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, 2. Aufl. (1943), S. 286. Widersprechende Ansichten finde ich nur bei L. M. Hartmann a. a. O., der wenigstens in der Begnadigung Heinrichs des Jüngeren sowie darin, daß Otto III. nach seiner Wahl Willigis von Mainz „anvertraut" wurde, ein Zugeständnis an die Fürsten erblickt.
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sichert, die deutschen Fürsten hätten in Verona neue Rüstungen zugunsten der Fortsetzung des Krieges in Süditalien beschlossen 2 2 i . Die Auffassung von der unbedingten Loyalität des Veroneser Reichstags ist nun aber für die Beurteilung der Italienpolitik der deutschen Kaiser überhaupt von erheblicher Bedeutung. Wenn die deutschen Fürsten im Augenblick einer äußersten Anspannung und einer empfindlichen Niederlage seiner italienischen Bestrebungen Otto II. unbeirrt und unentwegt unterstützten, so scheint das ein schlagender Beweis dafür zu sein, daß sie mit dieser Politik völlig einverstanden waren, zugleich aber dafür, daß diese Politik und ihr Fiasko von 982 trotz aller gegenteiligen Versicherungen ihrer modernen Kritiker die Autorität des Kaisers in Deutschland nicht im geringsten tangierte. Und als ein derartiger Beweis sind die Beschlüsse des Reichstages denn wohl auch stets angesehen worden 2 2 S . Wie verhält es sich aber in Wirklichkeit? Der Reichstag von Verona ist nicht auf den Wunsch des Kaisers, sondern auf den Wunsch der deutschen Fürsten zusammengetreten. Thietmar von Merseburg erzählt 2 2 6 , auf die Nachricht von der Niederlage von Cotrone seien sie zusammengekommen und hätten den Kaiser um eine Unterredung gebeten 2 2 7 : darauf sei der Reichstag nach Verona berufen worden. Dieses Eingreifen der Fürsten ist auffällig und ungewöhnlich 2 2 8 . Es mag wohl im zehnten Jahrhundert etwas Ähnliches auch sonst hin und wieder geschehen sein. Aber wir wissen nichts davon, und das Normale war jedenfalls, daß die Abhaltung eines Reichstages der Initiative des Königs entsprang. Wenn es diesmal anders war, so beweist das, daß die Fürsten ihre eigenen Ansichten und Absichten hatten und daß sie jedenfalls bei den Maßnahmen der Reichsregierung mitreden wollten. Entsprangen aber die Verhandlungen und Beratungen in Verona den Wünschen der Fürsten, so liegt der Gedanke von vornherein nahe, daß auch das, was man beschloß, von ihrem Interesse diktiert wurde. Was nun zunächst die Behauptung anlangt, es sei in Verona die Fortsetzung des Kampfes gegen die Sarazenen beschlossen und von den Deutschen seien neue Verstärkungen in Aussicht gestellt worden, so wissen wir darüber tatsächlich gar nichts. Die einzige Quelle, die etwas von in Verona auftauchenden Planen zur WeiterfühVgl. etwa A. Cartellieri, K. Hampe und R. Holtzmann a. a. O. Eine Ausnahme findet sich wieder nur bei L. M. Hartmann a. a. O., der mindestens erhebliche Einschränkungen macht. sä« Vgl. Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg III, cap. 24, hrsg. von R. Holtzmann, SS. rer. Germ, nova series (1935), S. 128. 227 Thietmar spricht von omnes nostri principes; man denkt dabei manchmal an die deutschen, manchmal auch bloß an die sächsischen Fürsten, und richtig kann natürlich beides sein; vgl. Hartmann a. a. O. 2 2 8 Wenn etwa Giesebrecht im Anschluß an Thietmar sagt, die Fürsten hätten den Kaiser um die Gnade gebeten, „vor seinem Angesicht erscheinen zu dürfen", und dann fortfährt „Otto rührte diese Anhänglichkeit seines Volkes aufs tiefste" (wofür sich bei Thietmar nichts Entsprechendes findet), so ist das, was wirklich vorging, wohl etwas gar zu harmlos aufgefaßt; und ähnliches gilt von dem, was Cartellieri und R. Holtzmann a. a. O. teilweise in engerem Anschluß an Thietmar sagen; richtiger nach meiner Ansicht, wenn auch im einzelnen wohl zu bestimmt und weitgehend, L. M. Hartmann a. a. O. 224 523
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rung des Krieges verrät, ist die Vita Adalberti des Johannes Canaparius, die versichert, der Kaiser sei pro recolligendo milite nach Verona gekommen 2 2 9 . Wieweit ihm das aber tatsächlich gelang, davon sagt die Vita kein Wort, und vor allem sagt sie nichts darüber, ob und in welchem Maße etwa die Deutschen dabei beteiligt waren. Zwei weitere Quellen, die von Plänen sprechen, den Krieg in Süditalien fort- in zusetzen, Leo von Monte Cassino 2 3 0 und der Annalist von St. Gallen 2 3 1 , bringen diese Pläne mit dem Veroneser Reichstag nicht in Verbindung, und sie scheinen von der Voraussetzung auszugehen, daß mit einer deutschen Beteiligung nicht zu rechnen war 2 3 2 . Und wenn Thietmar nur sagt, daß die deutschen Fürsten nach dem Reichstag nach Hause zurückkehrten233, während der Kaiser nach Rom aufbrach, so hat er offenbar nicht gerade die Vorstellung von einer deutschen Mitwirkung (oder mindestens einer erheblicheren deutschen Mitwirkung) bei der Fortführung des italienischen Krieges. Aber selbst wenn man annehmen wollte, daß die Deutschen neuen militärischen Unternehmungen des Kaisers zustimmten und Hilfe versprachen (was natürlich, wenn auch nicht beweisbar, nicht unmöglich ist), so würde das für die Beurteilung der Stellung des Kaisers nicht viel besagen. Es käme dann einmal auf das Ausmaß der Hilfe und außerdem auf die Bedingungen an, unter denen sie zur Verfügung gestellt wurde. Da wir darüber nichts wissen, so ist die ganze Angelegenheit für unsere Fragestellung irrelevant, und wir müssen uns auf die Vorgänge beschränken, die uns besser bekannt sind, nämlich die Neubesetzung der süddeutschen Herzogtümer und des Prager Bistums sowie die Wahl Ottos III. Herzog Otto, der bis zu seinem Tode im Herbst 982 die beiden süddeutschen Herzogtümer besessen hatte, war der Sohn von Ottos II. Halbbruder Liudolf und der engste Vertraute des Kaisers gewesen. Wenn der Herzog auch auf Schwaben gewisse Erbansprüche geltend machen konnte, so war doch in Bayern davon keine Rede. Hier war er Herzog nur von Königs Gnaden und insofern Repräsentant und Exponent der königlichen Macht; und in Schwaben war er das wenigstens in erster Linie. Das bedeutete, daß der Mann, der Bayern und Schwaben regierte, abgesehen von seinem 112 persönlichen Vertrauensverhältnis zum Kaiser, von der Krone weitgehend abhängig war: die beiden Herzogtümer waren in der denkbar festesten Weise mit dem Königtum verbunden. Mit der in Verona erfolgten Erhebung Konrads zum Herzog von Schwaben und Heinrichs des Jüngern zum Herzog von Bayern kamen in beiden Ländern die alten einheimischen Geschlechter wieder ans Ruder, die einst von Otto dem Großen und Otto II. beiseite geschoben oder übergangen worden waren. Bei Konrad handelte es sich immerhin um einen Mann, von dem wir nichts darüber wissen, daß er jemals in Opposition zur Krone gestanden hatte; sein Bruder Udo ist sogar in der Schlacht bei Cotrone gefallen. Aber der Liutpoldinger Heinrich der
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Vgl. Vita Adalberti, cap. 8, SS. IV, S. 584. Im Chron. mon. Casin. II, cap. 9, SS. VII, S. 635. Zu 983, SS. I, S. 80. D a ß , wenn überhaupt vorgesehen, nachher wegen des großen Slawenaufstandes eine deutsche Beteiligung in größerem Maße nicht in Frage gekommen wäre, ist natürlich eine Sache für sich. ni, cap. 25, S. 128.
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Jüngere hatte sich noch 978 an dem großen Aufstand gegen Otto II. beteiligt, und er war seitdem bis zum Reichstag von Verona in der Verbannung gewesen. Darüber, welche Motive und Kräfte es eigentlich waren, die die beiden neuen Männer jetzt in Süddeutschland an die Macht brachten, vermögen wir infolge des Schweigens der Quellen und unserer völligen Unkenntnis aller näheren Umstände nichts zu sagen. Aber das kann man mit Sicherheit behaupten, daß ihre Erhebung ein Zurückweichen des Kaisers von der Position bedeutete, die er in den letzten Jahren innegehabt hatte. In einem ähnlichen Lichte kann man vielleicht, wenn auch undeutlich, die Bestätigung der Wahl Adalberts zum Bischof von Prag sehen. Bisher hatte auf dem böhmischen Bischofsstuhl der Sachse Thietmar gesessen, der vom deutschen Hofe eingesetzt war. Jetzt hatte eine Prager Versammlung unter der Leitung des böhmischen Herzogs den Tschechen Adalbert gewählt. Gewiß, Adalbert war in Magdeburg erzogen, und er war mit den Ottonen irgendwie verwandt; später hat er sich auch vom tschechischen Standpunkt gesehen nicht gerade bewährt - indessen vom deutschen Standpunkt gesehen vielleicht noch weniger. Seine Wahl mag von den Böhmen als Kompromiß angesehen worden sein, aber er verdankte sie anscheinend tschechischer und nicht deutscher Initiative. Wenn Otto II. ihr in Verona zustimmte, so hatte das 113 zwar schwerlich mit irgendwelchen Wünschen der deutschen Fürsten zu tun, doch es könnte ähnlich wie die Entscheidung der süddeutschen Angelegenheiten ein Zurückgehen hinter die Linie bedeutet haben, die die deutsche Krone bis dahin behauptet hatte. In denselben Zusammenhang wie die Erhebung der beiden süddeutschen Herzöge dürfte aber noch ein anderes Moment gehören. Nach dem Reichstag von Verona blieb die Mutter Ottos IL, die Kaiserin Adelheid, in Pavia zurück, während ihr Sohn selbst wieder nach dem Süden zog. Adelheid hat nach allem, was wir wissen, von da an in Pavia eine Art Statthalterstellung eingenommen 234 . Darüber, ob das in Verona beschlossen worden ist, erfahren wir nichts. Auf jeden Fall aber paßt der Vorgang in den Rahmen dessen hinein, was dort geschah. Im Zusammenhang mit der früheren Haltung Ottos II. in den süddeutschen Fragen und mit der Einsetzung des Herzogs Otto in Schwaben und Bayern war es einige Jahre vorher zum Bruch zwischen dem Kaiser und seiner Mutter gekommen. Sie hatte sich vom Hofe zurückgezogen. 980, beim Beginn von Ottos Italienzug, war dann eine Aussöhnung erfolgt, und Adelheid hatte sich seitdem, soweit wir sehen, im allgemeinen wieder in der Umgebung ihres Sohnes aufgehalten. Was jetzt, 983, geschah, ging jedoch über diese Aussöhnung von 980 weit hinaus: die alte Kaiserin, nach dem Sturz Heinrichs des Zänkers bis 980 ganz offen das Haupt der Opposition gegen Otto II., erhielt jetzt eine ungewöhnliche Machtstellung; das heißt, es könnte sich auch hier wie bei der Neuregelung der bayrischen und schwäbischen Fragen um eine Restitution und ein neues Hervortreten von bisher zurückgedrängten politischen Kräften gehandelt haben. Und schließlich das bekannteste und wohl auch wichtigste Resultat des Reichstages, die Wahl Ottos III. Zweifellos war sie ein für Otto II. günstiges Ereignis insofern, " 4 Vgl. Uhlirz, a. a. O. S. 199.
Miszellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts
295
als dadurch der nie völlig sichere und unbestreitbare Erbanspruch der ottonischen Dynastie auf das Königtum für die nächste Generation gesichert wurde. Aber das ist doch nicht die einzige Seite der Angelegenheit. Otto Iii. wurde bekanntlich unmittelbar nach seiner Wahl nach Deutschland gebracht, wo er gekrönt und dann dem i n Kölner Erzbischof zur Erziehung übergeben wurde. Das aber bedeutete nichts anderes als ein deutsches Nebenkönigtum. Es wurde damit eine Regierung geschaffen, die neben dem Hauptzentrum der Reichsregierung, dem Hofe Ottos II. in Italien, ein zweites und zwar ein spezifisch deutsches Zentrum darstellte 235 . Nach der mittelalterlichen Rechtsauffassung übte der gewählte und gekrönte König bekanntlich seine Regierungsrechte aus, auch wenn er unmündig war. Lebte sein Vater noch, so war diese Regierung des Sohnes im allgemeinen selbstverständlich illusorisch. Aber sie mußte es nicht sein, und ob sie es wirklich war, war letzten Endes eine Machtfrage. Jedenfalls regierten für den unmündigen König tatsächlich die, in deren Hand er sich befand, und das waren jetzt die deutschen Fürsten; neben dem Kölner vor allem der Erzbischof Willigis von Mainz; sie etablierten damit tatsächlich eine Art eigener Regierung. Während des ersten Römerzuges Ottos des Großen und im ersten Jahre seines zweiten Römerzuges wurde bekanntlich unter dem damals unmündigen Otto II. ein ähnliches deutsches Königtum eingerichtet. Die tatsächlichen Machthaber waren dabei die Erzbischöfe Brun und Wilhelm. Ihre Regierung dürfte im wesentlichen mit den Intentionen Ottos des Großen übereingestimmt haben. Aber so brauchte es keineswegs immer zu sein, und so ist es nicht immer gewesen. Man denke etwa an die austrasischen Nebenkönigtümer im siebenten Jahrhundert. Damals zwang die austrasische Aristokratie den in erster Linie in Neustrien regierenden Merowinger, seinen Sohn als König an sie abzugeben: das Sonderkönigtum gewährleistete eine einigermaßen selbständige Politik Austrasiens. Und ganz ähnlich ist es später unter Friedrich II. mit dem deutschen Königtum Heinrichs (VII.) bestellt gewesen: mit seiner Einrichtung emanzipierten sich die deutschen Fürsten weitgehend von der Macht und der Politik des in Italien weilenden Kaisers. Gewiß, die Macht Ottos II. dürfte erheblich größer gewesen sein als die der Mero- " s winger im siebenten Jahrhundert und die Friedrichs II. nach 1220; und nach dem Tode Ottos II. hat sich ein großer Teil der deutschen Fürsten und vor allem Willigis von Mainz gegenüber der ottonischen Dynastie durchaus loyal verhalten. Aber sie verhielten sich loyal gegenüber einem von ihnen beherrschten Hof; für ihr Verhältnis zu Otto II. beweist ihre Haltung nach 983 daher wenig oder nichts. Daß zum mindesten Willigis gegenüber kaiserlichen Machtansprüchen seine eigenen Ansichten haben konnte, hat er in den letzten Jahren Ottos III. deutlich genug gezeigt, und es ist anzunehmen, daß eine von dem Erzbischof geleitete Regierung des unmündigen Königs keineswegs immer mit Otto II. übereingestimmt hätte. Und im übrigen gab es genug Fürsten, die sich nach dem Tode Ottos II. durchaus nicht loyal verhielten; sie gingen zu dem bis dahin gefangen gehaltenen Heinrich dem Zänker, dem konse" 5 Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß Otto III. in Aachen nicht bloß vom Erzbischof von Mainz, sondern auch von dem von Ravenna gekrönt worden ist.
296
Zum zehnten Jahrhundert
auentesten Gegner des Kaisers, über und propagierten seine Wahl zum König; unter ihnen befand sich aber gerade der Erzbischof Warin von Köln, dem man 983 den kleinen Otto III. anvertraut hatte. Alles das paßt nur zu gut zu der bekannten Tatsache, daß Otto II. während seiner ganzen Regierungszeit mit wechselnden, aber immer weit verzweigten oppositionellen Regungen der deutschen Fürsten zu tun hatte. Erinnert man sich nun daran, daß es die Initiative der deutschen Fürsten war, die den Reichstag von Verona veranlaßte, so verstärkt sich der Eindruck, daß sein wichtigstes Ergebnis, eben die Wahl Ottos III., ihren Wünschen und Interessen entsprach. Wir wissen nicht gerade viel über das, was in Verona geschah, und noch weniger über die Motive dessen, was beschlossen wurde. Jedes einzelne von den Momenten und Argumenten, die ich anführte, braucht für sich allein nur wenig zu besagen, und jedes kann man schließlich auch anders deuten und verstehen, als ich es getan habe. Aber sie scheinen doch alle in derselben Richtung zu weisen, und damit stützen und verstärken sie sich gegenseitig. Man würde vielleicht zu weit gehen, wenn man mit einer heftigen oder auch nur ausgesprochenen Opposition der deutschen Fürsten in 116 Verona rechnete. Aber alles, was wir erkennen können, spricht doch dafür oder mindestens nicht dagegen, daß in erster Linie ihr Wille und nicht der des Kaisers maßgebend war, daß sich die bodenständigen Gewalten im Norden der Alpen jetzt wieder stärker regten und daß es zu einer Minderung der bisherigen Machtstellung Ottos in Deutschland kam: sein langer Aufenthalt im Süden und die Katastrophe von Cotrone haben offenbar ihre Folgen gehabt. Am Ende der langwierigen Unternehmungen Ottos des Großen in Italien macht sich ein gewisser Rückgang des kaiserlichen Ansehens in Deutschland bemerkbar 236 . Am Ende der Italienpolitik Ottos III. steht deutlich der drohende Abfall der deutschen Fürsten. Nach dem, was wir sahen, dürfte es auch am Ende der Italienpolitik Ottos II. zu einer rückläufigen Bewegung in seiner deutschen Politik gekommen sein. Jedenfalls besteht kein Grund zu der immer wiederholten Annahme vom Triumph Ottos II. in Verona: dieser Triumph läßt sich keinesfalls beweisen, und es ist wahrscheinlich, daß ungefähr das Gegenteil davon stattfand. 236
Vgl. dazu meine Kaiserpolitik Ottos des Großen (1943), S. 86 ff. [hier S. 192 ff.].
Zur Chronik Reginos von Prüm Deutsches Archiv, Band 1, 1937, S. 4 9 9 - 5 0 2
Regino erzählt bekanntlich zum Jahre 892 daß er damals zum Abt von Prüm gewählt werden sei: Per idem tempus Farabertus abba Prumiensis cenobii cur am pastoralem sua sponte per concessum regis deposuit et ego, quamvis indignus, secundum regulärem auetoritatem per electionem fratrum in regimine successi. In den Sätzen, die auf diese Mitteilung folgen, gehen die beiden Handschriftenklassen A und B auseinander. In A heißt es: in quo tarnen non diutius immoratus aemulis agentibus Richarium fratrem Gerhardi et Mahtfridi invidiosum mei negotii successorem sustinui. Dieser Satz fehlt in B. Statt dessen finden sich in B die in A fehlenden Sätze: Obsecro autem, 'ne lectori honerosum videatur, si rem ab origine repetam et, qualiter buiuscemodi negocium ad effectum perduetum juerit, simplici sermone pandam. Absurdum enim videtur, ut, qui aliorum actiones et rerum gestarum causas explanare proposui, negotium, quod ad me pertinet, silentio pretermittam, ... (hier ist eine Lücke in der handschriftl. Überlieferung) . . . presertim poplitibus veniam posco lectori, eo quod verbosus in hac relatione ultra, quam deeuit, extiti. Necessitai enim compulit, ut non solum facta, sed etiam dieta in ordine ponerem propter invidentium et adversantium calumniosam querelam. In B äußert Regino also die Absicht, ausführlich auf die Vorgeschichte seiner Abtswahl, vermutlich auch auf die Gründe seiner späteren Absetzung einzugehen. Aber die Worte, mit denen er diese Absicht dann ausgeführt hat, und die zwischen den Worten pretermittam und presertim gestanden haben müssen, sind verloren. Wie ist 500 dieser Verlust zustande gekommen? Regino schreibt in der Vorrede zu seiner Chronik, er habe in seinem Werk auf verschiedene Widersacher, die sich noch am Leben befinden, Rücksicht nehmen müssen 2 , und die gleiche Bemerkung findet sich zum Jahre 892 im Anschluß an die oben zitierten Sätze in beiden Handschriftenklassen 3 . Man hat auf die Frage, wer diese 1
! 2
Vgl. Regmonis abbatis Prumiensis chronicon, ed. F. Kurze, SS. rer. Germ, in us. schol. (1890), S. 138 f. a. a. O. S. 1. Die Stelle lautet a. a. O. S. 139: Haec de retroactis causis transcursisque temporibus ex multis panca commemorasse sufficiat. Nam de modernis temporibus idcirco reticere disposuimus, quia, si veritatem rerum gestarum ad liquidum stilo executi fuerimus, proculdubio odium et offensam quorundam, qui adhuc superstites sunt, ineurremus; si autem a veritate recedentes aliter, quam causa se habeat, scripserimus, nibilominus adulationis et mendatii notam ineurremus, quia
300
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
Widersacher waren, bestimmte Ansichten geäußert und zu begründen versucht4. Aber gleichgültig, wer sie auch waren, darin ist man sich im allgemeinen einig, daß ihnen die verlorene Stelle im Bericht zu 892 zum Opfer gefallen sein soll. Reginos Widersacher sollen im Original seines Werkes (oder wenn nicht im Original, so doch in einer vor allen unseren Handschriften liegenden Handschrift) seinen Bericht, der 50i sie zu sehr belastete, vernichtet haben 5 . In der Handschrift A, deren Text als Überarbeitung des in B erhaltenen Textes anzusehen ist 6 , sollen dann die noch in B übriggebliebenen Sätze von obsecro - querelam, die nach jener Vernichtung sinnlos geworden waren, gestrichen worden sein. Aber die Sache scheint sich anders zu verhalten. In B, wo noch die Reste von Reginos biographischem Exkurs stehen, und also dieser selbst ursprünglich gestanden haben muß, findet sich, wie bemerkt, nicht der Satz: in - suslinui. Dieser Satz ist erst in A hinzugekommen. Es ist deutlich, daß er einen Ersatz für den fortgefallenen Bericht darstellt; vielleicht gibt er einen kurzen Auszug daraus. Nach der Fassung des Satzes stammt er von Regino selbst; soviel ich sehe, ist nie und nirgends bezweifelt worden und besteht auch nicht der geringste Grund zu bezweifeln, daß er von ihm stammt. Ist das aber der Fall, so ist anzunehmen, daß Regino selbst die in B verlorenen Sätze über die Vorgeschichte seiner Abtswahl ausgemerzt und dann in A auch noch die in B gebliebenen Reste davon entfernt hat. Dieses Resultat wird durch eine andere Beobachtung bestätigt. Zum Jahre 899 schreibt Regino 7 : Eodem anno Richarius abba monasterit Prutniensis constituitur. Qudliter autem erga me actum sit, idcirco hoc in loco notare distuli, ne forte iniuriis provocatus ultra, quam cbristiana patientia permittit, persecutionis meae causas exaggerasse viderer et ne prolixae rationis oratio, quae multiplex atque perplexa est, fastidium inferret audientibus. Res enim gestas, ut supra premisimus, notare statuimus, omnibus pene res cognita est. Posteris ergo boc latius explanandum relinquimus; sed ne haec per omnia inacta preterisse eulpemur, res tantum gestas ex parte summatim adnotare curabimus. Diese Sätze fehlen nur in A 3. 4 Vgl. vor allem J. Harttung, Über Regino v. Prüm, Forschungen zur deutschen Gesdiichte 18 (1878), S. 362 ff.; dazu E. Dümmler, Geschichte des Ostfränkischen Reiches III, 2. Aufl. (1888), S. 471, Anm. 1. ® Zum mindesten herrscht darüber Einigkeit, daß es Zeitgenossen Reginos waren, die diesen Bericht vernichtet haben - daran, daß er selbst es gewesen sein könnte, hat man anscheinend noch nicht gedacht. Vgl. H. Ermisch: Die Chronik des Regino bis 813 (Diss. Göttingen 1871) S. 7 ; Harttung a. a. O. S. 365 f.; P. Schulz, Die Chronik des Regino vom Jahre 813 an, Diss. Halle 1888, S. 61; Kurze in der Einleitung zu seiner Ausgabe S. V ; W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im MA. I, 7. Aufl. (1904) S. 313 f.; Levison, Neues Archiv 46 (1926), S. 285. Eine andere Ansicht wird vertreten von W. Hümpfner. Eine unbeachtete Interpolation in Reginos von Prüm Chronik, Historisches Jahrbuch 44 (1924), S. 65 ff. Danach soll die Stelle in B Obsecro - querelam eine spätere Interpolation sein, die von Anhängern Reginos gemacht wurde; demzufolge hält H. denn auch den Text von A im Gegensatz zur herrschenden Meinung für den ursprünglicheren. Levison hat a. a. O. schon die Unhaltbarkeit von Hümpfners Annahme nachgewiesen. • Vgl. dazu vor allem Kurze, Handschriftliche Überlieferung und Quellen der Chronik Reginos und seines Fortsetzers, Neues Archiv 15 (1890), S. 293 ff., bes. S. 312, vgl. auch die Ausgabe Reginos S. XVI. ' a. a. O. S. 147. Die Stelle findet sich in A und B und fehlt nur in A 3.
Zur Chronik Reginos von Prüm
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non rerwn gestarum causas certis rationum indiciis enucleare. Et qui in aliorum actionibus brevitati studemus, in nostris verbositatis Vitium cavere debemus. Es ist wohl unverkennbar, daß diese Worte im Gegensatz stehen zu dem, was zu 892 in B gesagt war. Hier hatte Regino für ungereimt erklärt, daß er, der von anderer Handlungen die Gründe auseinandersetze, seine eigenen Angelegenheiten mit Schweigen 502 übergehe; 899 erklärt er mit deutlichen Anklängen an den Wortlaut von B zu 892, er wolle nicht die causae der Ereignisse erörtern; er, der das in anderen Fällen nicht tue, könne es auch in einer Sache, die ihn persönlich anginge, nicht tun. E r nimmt also ganz deutlich das, was er zu 892 gesagt hatte, zurück 8 . Diese Zurücknahme hatte aber nur Sinn, wenn er in seinem Werk entsprediend verfuhr, d. h. wenn er das, was er zu 892 über die causae usw. tatsächlich ausgeführt hatte, strich. Die Gründe für diese Streichung sind klar. Wenn Regino im Bericht zu 892 wie in der Vorrede schreibt, die Rücksicht auf seine Gegner nötige ihn, gewisse Dinge nicht näher zu besprechen, so ist selbstverständlich anzunehmen, daß diese Rücksicht, d. h. die Furcht, ihn veranlaßte, jene Sätze,, in denen er sie offenbar bis zu einem gewissen Grade außer acht gelassen hatte, zu tilgen 9 . Darauf, daß zwischen dem Wortlaut von 892 und 899 ein Widerspruch besteht, hat schon Hümpfner a. a. O. hingewiesen und daraus geschlossen, daß die fraglichen Stellen nicht beide von Regino herrühren können. Dem hat Levison a. a. O. widersprochen, insofern unbedingt mit Recht, als sowohl die betreffenden Sätze zu 892 wie die zu 899 aus Reginos Feder stammen müssen. Aber belanglos scheinen mir die Unterschiede und Widersprüche, wie L. meint, nicht zu sein, und im Verein mit den Änderungen im Text von 892, die in A gegen B stattgefunden haben, scheinen sie mir doch darauf hinzudeuten, daß Regino seine ursprünglichen Ansichten zwischen der Niederschrift des Berichtes von 892 und der des Berichtes von 899 änderte. * Man wird sich die Sache im einzelnen so denken müssen, daß Regino zunächst das Blatt oder die Blätter aus der Handschrift entfernte, auf denen die jetzt in B fehlenden Sätze standen; die Sätze Obsecro - pretermittam und presertim - querelam dürften auf den benachbarten Seiten gestanden haben. Von dem so verstümmelten Text stammen die Handschriften der Gruppe B. Danach hat Regino dann den besser redigierten Text von A hergestellt. Damit ist natürlich noch nichts darüber gesagt, ob und wieweit die übrigen Abweichungen, die A gegen B enthält, auf Regino selbst zurückzuführen sind. Die Frage bedarf der Nachprüfung (wie überhaupt noch vieles am Aufbau und der Zusammensetzung der Chronik ungeklärt sein dürfte); man wird aber einstweilen damit rechnen dürfen, daß diese Frage zu bejahen ist. 8
Die Entstehungszeit von Widukinds Sachsengeschichte Sachsen und Anhalt, Band 17, 1 9 4 1 / 4 2 / 4 3 , S. 1 - 1 3
1. (Die wissenschaftliche
Kontroverse)
Die Sachsengeschichte Widukinds von K o r v e i 1 endet mit dem Tode Ottos des Großen und der Thronbesteigung Ottos II. Sie ist also nach diesen Ereignissen, wahrscheinlich aber noch im gleichen Jahr mit ihnen, nämlich 973, vollendet worden. Doch es ist keine Frage, daß der größte Teil des Werkes nicht erst damals geschrieben ist. Nur die Kapitel 70 bis 76 des letzten Buches, die Vorgänge aus den Jahren von 968 bis 973 behandeln, sind nicht vor 973 entstanden. Alles andere war bereits 968 fertig und, mit Widmungen vor jedem der drei Bücher an die Kaisertochter Mathilde versehen, von Widukind als abgeschlossenes Werk veröffentlicht worden 2 . Dabei hat die Sachsengeschichte im Jahre 968 wohl, wie man neuerdings meistens annimmt, einen doppelten Abschluß erhalten; anscheinend hat sie Widukind zunächst mit dem jetzigen Kapitel 63 beendet, dann aber kurz danach noch die Kapitel 64 bis 69 hinzugefügt 3 . Es steht also fest, daß an der Sachsengeschichte sowohl im Jahre 973 wie im Jahre 968 gearbeitet worden ist. Darüber hinaus aber hat man behauptet, daß der größte Teil des Werkes, der 968 der Prinzessin Mathilde dediziert und der Öffentlichkeit übergeben wurde, nicht erst in diesem Jahre, sondern schon früher entstanden ist. 2 Köpke hat in seinen Studien über Widukind von K o r v e i 4 die These vertreten, daß vor der Redaktion von 968 eine etwa im Jahre 966 verfaßte Bearbeitung des Werkes gestanden hat, und daß die Fassung von 968 das Resultat einer sehr tiefgreifenden Umarbeitung dieser ursprünglichen Fassung ist. Köpkes Ansicht wurde nach einigem Schwanken von der Forschung einmütig abgelehnt, bis im Jahre 1913 Bloch, freilich mit sehr erheblichen Modifikationen, auf einige seiner Grundgedanken zurückgriff 1
2
5
4
Vgl. die neueste Ausgabe in den SS. rer. Germ, in us. schol. von P Hirsch und H . - E . Lohmann (1935). Diese Tatsache steht völlig einwandfrei fest, sie ergibt sich eindeutig sowohl aus dem, was Widukind selbst ausdrücklich sagt (vgl. bes. III, 63 und viele andere Stellen), wie aus dem Aufbau des ganzen Werkes und seiner handschriftlichen Überlieferung. Sie ist auch noch nie bezweifelt worden. Vgl. dazu E . E . Stengel, Die Entstehungszeit der „Res Gestae Saxonicae" und der Kaisergedanke Widukinds von Korvei, in Corona Quernea, Festgabe für K . Strecker, Schriften des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde fi ( 1 9 4 1 ) , S. 1 3 8 f. Vgl. R. Köpke, Widukind von Korvei, Ottonische Studien I ( 1 8 6 7 ) , S. 11 ff
Die Entstehungszeit von Widukinds Sachsengeschichte
303
und gleichfalls eine ältere, vor der Gestalt von 968 liegende Redaktion der Sachsengeschichte postulierte 5 . Nach Blochs Meinung ist diese ältere Redaktion nicht erst 966, sondern schon im Jahre 957/58 entstanden; sie soll bis zum 62. Kapitel des 3. Buches gereicht und bis dahin im wesentlichen mit der Fassung von 968 übereingestimmt haben. Zu der Redaktion von 957/58 sollen 968 außer den Kapiteln 63 bis 69 nur die Widmungen und Anreden an Mathilde sowie einige durch den veränderten zeitlichen Blickpunkt des Verfassers bedingte Änderungen und Zusätze hinzugekommen sein. Blochs These hat sich zwar nicht restlos durchgesetzt: an Zweifel und Widerspruch hat es nicht völlig gefehlt; aber im großen und ganzen ist sie doch zur herrschenden Meinung geworden, wobei bisher weder die leisen Zweifel noch die Zustimmung, die sie gefunden hat, eine ausführliche Widerlegung oder Begründung erfahren haben. Jetzt hat nun E. E. Stengel jene These genau überprüft und ist zu ihrer vollständigen Ablehnung gelangt 6 : nach seiner Ansicht ist die Sachsengeschichte nicht 957/58 begonnen, sondern die Fassung von 968 ist in einem Zuge geschrieben worden. Da ich mir schon vor längerer Zeit vorgenommen habe, zu den Zweifeln, die man gegen Blochs Ansicht geäußert hat, Stellung zu nehmen 7 , und da mir zwar viele von Stengels Einwänden begründet, seine Ergebnisse im ganzen aber doch nicht stichhaltig zu sein scheinen, so ist es vielleicht angebracht, wenn ich die Sache hier noch einmal kurz bespreche. 2. (Teile in der hypothetischen Fassung von 958, die sicher 968 geschrieben ihre Bedeutung für die Datierungsfrage)
sind, und
Es ist keine Frage und wird auch von niemandem geleugnet, daß sich in den nach Bloch bereits 957/58 verfaßten Teilen der Sachsengeschichte einige Bemerkungen und Wendungen finden, die so nur zehn Jahre später geschrieben sein können 8 . Dazu 3 gehören einmal die Widmungsschreiben an Mathilde sowie einige Anreden und an die Prinzessin gerichtete Bemerkungen, die sich im Text finden. Weiter kann die Wendung über Brun von Köln: . . . ducis vidimus officium gerentem 9 erst nach dem Ende des Erzbischofs 965, die Bemerkung, daß Boleslaw von Böhmen, solange er lebte, Otto treu gewesen sei 1 0 , nicht vor dem 967 erfolgten Tod des Böhmenherzogs und der Satz, daß die Ungarn seit 938 Sachsen dreißig Jahre lang nicht heimgesucht hätten 11 , erst 968 niedergeschrieben worden sein. Doch so unbestreitbar das alles ist, dafür, daß das Ganze, innerhalb dessen diese Sätze und Worte stehen, erst in diesem Jahre entstanden ist, beweisen diese Feststellungen nicht das geringste. Daß, wenn eine ältere Fassung tatsächlich existierte, sie 968 überarbeitet wurde, bezweifelt niemand. Die Widmungen und die Anreden an Mathilde müßten dann neu eingefügt, die eben besprochenen Wendungen hinzugekommen oder verändert worden sein; in der ursprünglichen Fassung dürfte der Hinweis auf Boleslaws Treue gefehlt 5 Vgl. • Vgl. 7 Vgl. 8 Vgl. 10 11
H . Bloch, D i e Sachsengeschichte Widukinds von Korvei, Neues Archiv 38 ( 1 9 1 3 ) , S. 95 ff. die in Anm. 3 genannte Abhandlung in Corona Quernea S. 136 ff. Sachsen und Anhalt 14 ( 1 9 3 8 ) , S. 5 [hier 3 1 9 ] Anm. 15. 9 Vgl. Widukind I, 31, S. 4 4 . Bloch S. 100 ff., dazu Stengel S. 140 ff.
Vgl. Widukind I, 3 5 , S. 5 1 ; vgl. dazu unten S. 3 0 8 Anm. 23. Vgl. Widukind II, 14, S. 79.
304
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
haben, der Zeitraum, der seit dem letzten Ungarneinfall verflossen war, müßte mit zwanzig Jahren angegeben, und von Brun von Köln müßte mit dem Präsens videmus die Rede gewesen sein. Die Annahme, daß 968 in einen älteren Text Verbesserungen hineinkorrigiert worden sind, würde in keiner Weise auffällig sein. Wenn die Bearbeitung von 968 sorgfältig war, so konnte ihr Ergebnis nicht anders aussehen. Daß sich also in den nach Bloch früher entstandenen Teilen des Werkes die eben besprochenen Stücke finden, beweist gegen seine These nichts. Das ist auch von Stengel nicht bestritten worden, und es dürfte unbestreitbar sein 12 . 4
Nun gibt es freilich im zweiten Buch eine Stelle, von der Stengel behauptet, sie beweise, daß Widukind an der Sachsengeschichte nicht früher als 968 gearbeitet hat 1 3 . Es handelt sich dabei um folgendes. Widukind erzählt, nachdem er von den Aufständen der Jahre 938 und 939 berichtet hat, von dem lothringischen Grafen Immo: Post haec Immo, re vera nescio an falso, arma sumit contra regem, et media hieme circumdatus exercitu se pariter cum urbe tradidit ac deinceps fidelis et utilis permansit14. Wann die Empörung Immos stattfand, von der Widukind hier redet, weiß man nicht. Man nimmt meistens an, daß sie bald nach den Wirren von 939 erfolgte, ohne daß man jedoch ein direktes Quellenzeugnis dafür beibringen könnte l s . Nun ist man sicher von einem Aufstand unterrichtet, den Immo Ende der fünfziger Jahre unternahm. Man datierte ihn bisher auf die Jahre 959 und 960 und nahm an, daß es sich dabei um eine zweite Empörung des Lothringers handelte, welcher die von Widukind erzählte Erhebung um etwa zwanzig Jahre vorangegangen war 1 6 . Dementsprechend schloß Bloch aus Widukinds Bemerkung, Immo sei nach der von dem Korveier Mönch berichteten Empörung dem König stets treu geblieben, daß Widukind diese Bemerkung vor dem zweiten Aufstand, also vor 959, geschrieben habe 17 . Dagegen weist nun Stengel auf eine Urkunde vom 11. Juni 958 hin, in der vom König über die ihm durch Urteil zugesprochenen Güter eines Lothringers Immo verfügt wird , 8 . Stengel nimmt an, daß dieser Immo mit dem uns hier beschäftigenden Grafen identisch ist, und er meint, aus der Urkunde gehe hervor, daß sein Aufstand nicht, wie man bisher vermutete, in die Jahre 959 und 960, sondern spätestens in den Januar 958 falle: die Vergebung seiner Besitzungen setze seine Ächtung und diese eine dreimalige Ladung mit sechswöchentlichen Fristen voraus; die Vergehen Immos müßten also im Juni 958 mindestens fünf Monate zurückliegen. Wenn Widukind wirklich schon 958 geschrieben habe, so habe er demnach trotzdem schon von diesen Vergehen Kenntnis haben müssen. Da er nun versichere, Immo sei nach seinem Auf12
1S 15 19 17
Wieweit noch andere Stücke als Zusätze von 968 anzusehen wären, ist schwer zu entscheiden. Bloch hat noch S. 100 ff. einige Partien dafür in Anspruch genommen, die in einem mehr oder weniger deutlichen Zusammenhang mit Anreden an Mathilde stehen. Beweisen, daß es so ist, läßt sich, wie Stengel S. 141 ff. mit Recht betont, nichts; aber auch nicht widerlegen, und man muß jedenfalls, wenn die hypothetische Fassung von 9 5 7 / 5 8 und damit die Bearbeitung von 968 Tatsache ist, mit der Möglichkeit rechnen, daß Partien, die für uns als Zusätze überhaupt nicht zu erkennen sind, doch der Bearbeitung für Mathilde hinzugefügt wurden. 1 4 II, 27, S. 89. Vgl. Stengel S. 145 ff. Vgl. etwa Köpke-Dümmler, Jahrbücher Kaiser Ottos des Großen (1876), S. 106 f. ebenda, S. 300 f. und 309. 1 8 D O I 194. Vgl. Bloch, S. 110.
305
D i e Entstehungszeit von Widukinds Sachsengeschichte
stand dem König stets treu geblieben, so lasse sich das nur so erklären, daß Widukind nicht an einen Aufstand Immos ums Jahr 939, sondern eben an die Empörung von 958 denke. Seine Versicherung, daß Immo danach treu geblieben sei, könne dann aber unmöglich 958 geschrieben sein. Aber so bestechend diese Argumentation auf den ersten Blick aussieht, für be- 5 weisend halte ich sie nicht. Ob der in dem Diplom vom 11. Juni 958 genannte Immo tatsächlich mit Widukinds Grafen identisch ist, ist mit Bestimmtheit nicht zu entscheiden. Doch auch wenn man annimmt, was in der Tat am nächsten liegt, daß es wirklich so ist, so erscheint es doch keineswegs sicher, daß Widukinds Angabe über Immos Aufstand auf das Jahr 958 zu beziehen und also erst zehn Jahre später geschrieben ist. Selbst wenn man Stengel darin folgt, daß der Graf sich schon im Januar 958 empört hat, so könnte man sich doch zur Not mit der Erklärung helfen, daß die von da an nicht mehr zutreffende Bemerkung über Immos Treue bereits 957 niedergeschrieben worden ist. Tatsächlich ist aber Stengels Annahme, daß der Aufstand Immos spätestens in den Januar 958 fallen muß, nicht recht begründet. Daraus, daß über seinen Besitz im Juni 958 verfügt wurde, braucht man das nicht zu schließen. Wir kennen genug mittelalterliche Hochverratsprozesse, in denen das Urteil ohne Beachtung des umständlichen Ladungsverfahrens, auf das Stengel anspielt, gefällt und vollstreckt wurde; sei es, weil der Angeklagte sich sofort gestellt hatte, oder weil man sowieso seiner habhaft war oder aus andern Gründen. Der Hochverrat Immos könnte also unmittelbar vor der Vergebung seiner Güter am 11. Juni 958 erfolgt oder bekannt geworden sein. Widukind hätte dann noch Anfang Juni von seiner Treue berichten können, und später braucht die Fassung von 958 nicht vollendet zu sein (vgl. unten Anm. 29). Wenn es sich so verhielte, so müßte Widukind tatsächlich, wie man bisher immer annahm, mit dem Aufstand Immos einen früheren, jedenfalls nicht lange nach 939 erfolgten Aufstand im Auge haben. Das ist auch aus andern Gründen wahrscheinlich. Gewiß, Widukind beginnt seinen Bericht über Immos Empörung, nachdem er von den lothringischen Ereignissen der Jahre 938 und 939 gesprochen hat, mit den Worten post haec, und er sagt auch am Schluß des nächsten Kapitels, nachdem er noch über Ereignisse berichtet hat, die auf Immos Aufstand und seine Unterwerfung folgten, er habe sich vielleicht in der Reihenfolge der Vorgänge etwas geirrt und später Geschehenes den früheren Ereignissen vorangestellt. Daß aber das post haec und Widukinds Zugeständnis einer chronologischen Konfusion auf die Vermengung von Ereignissen schließen lassen, die zwanzig Jahre auseinander liegen, wie es Stengel annimmt, ist äußerst unwahrscheinlich. Ein solches Durcheinander würde zu der im ganzen streng chronologischen Art, in der Widukind sonst erzählt, in keiner Weise passen. Dazu kommt, daß das, was wir aus andern Quellen über den Verlauf von Immos Aufstand am Ende der fünfziger Jahre wissen, sehr schlecht zu dem stimmt, was Widukind erzählt 19 . Wenn aber der Aufstand, von dem er spricht, mit dem der 19
D e r Aufstand Immos zu E n d e der fünfziger J a h r e richtete sich, nach allem, was wir wissen, gegen Brun v o n K ö l n . In seinem Verlauf hat Brun I m m o vergeblich belagert und einen Waffenstillstand
mit
ihm geschlossen.
kommen ist, wissen wir nicht. N a c h 20
Lintzel Bd. II
Wie
es dann zur endgültigen
schließlich
Versöhnung
ge-
Widukinds Bericht empörte sich I m m o aber gegen
den
6
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Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
J a h r e 9 5 8 bis 9 6 0 nichts zu tun hat, sondern schon früher liegt, so fällt damit nicht bloß die Voraussetzung von Stengels Argumentation, sondern es bleibt dann nichts anderes übrig, als (mit Berücksichtigung des von Stengel herangezogenen Diploms) Blochs These anzuerkennen: dann muß Widukinds Bemerkung über Immos Treue vor dem 11. Juni 9 5 8 geschrieben sein. Nach alledem halte ich Blochs Argumentation für wahrscheinlicher als die von Stengel. Einen einwandfreien Beweis in ihr zu erblicken, wäre aber zweifellos zu optimistisch, und man muß auf jeden Fall mit der Möglichkeit rechnen, daß das, was Widukind über Immos Aufstand schreibt, sich, wie Stengel behauptet, auf die E r eignisse von 9 5 8 bis 9 6 0 bezieht und also erst 9 6 8 geschrieben ist. Aber was würde das bedeuten? Ein Beweis dafür, daß die ganze Sachsengeschichte erst in diesem Jahre verfaßt ist, wäre damit nicht gegeben. So gut Widukind damals die oben besprochenen Stücke in einen bereits 9 5 7 / 5 8 entstandenen T e x t eingefügt haben könnte, könnte das auch mit den Bemerkungen über Immos Aufstand und seine spätere Treue der Fall sein. 3. (Die
Gründe
für die Datierung
auf
958)
Außer dem Argument, das sich auf Widukinds Bericht über Immos Aufstand aufbaut, gibt es, soweit ich sehe, keines, das als Beweis für die Abfassung der ganzen Sachsengeschichte im Jahre 968 in Anspruch genommen worden ist, oder das man dafür in Anspruch nehmen könnte. Auf der andern Seite muß man Stengel einräumen, daß wenigstens einige von den Gründen, die nach Blochs Ansicht für 9 5 7 / 5 8 sprechen, keine Beweiskraft h a b e n 2 0 . Aber es dürften doch ein paar von Blochs
50
König, wurde mitten im Winter belagert und ergab sich, worauf er treu blieb. Der Aufstand Ende der fünfziger Jahre hat mindestens zwei Jahre, von 958 bis 960, gedauert; der, von dem Widukind spricht, scheint nur ganz kurz gewesen zu sein, denn Widukind weiß nicht einmal, ob es Immo wirklich ernst meinte. Während des Aufstandes von 958 bis 960 saß Immo in Chevremont; während des von Widukind erwähnten Aufstandes scheint diese Feste dagegen gar nicht in seinem Besitz gewesen zu sein, wenigstens sagt Widukind im nächsten Kapitel, daß dort zwei andere lothringische Große hausten. So war ein wesentlicher Gesichtspunkt, mit dem Bloch argumentierte, der, daß Widukind sein Werk so disponiert habe, daß jedes Buch mit einem wichtigen Todesfall in der königlichen Familie abschloß. Das erste Buch endet mit dem Tod Heinrichs I., das zweite mit dem Tod der Editha, das dritte soll nach Bloch analog diesen Abschlüssen ursprünglich mit dem Tod Liudolfs, also mit dem 58. Kapitel, aufgehört haben. Doch Stengel scheint mir diese Anschauung mit Recht abzulehnen. Wenn zwei Bücher mit einem Todesfall in der königlichen Familie schlössen, warum mußte das dritte dann ebenso enden? Wenn Widukind, was doch erst zu widerlegen ist, 968 schrieb und die Absicht hatte,' seine Erzählung bis dahin fortzusetzen, warum sollte er sich darin dadurch haben stören lassen, daß Liudolf schon 957 gestorben ist, zumal er 968 sein Werk mit dem sehr eindrucksvoll geschilderten Tod Wichmanns schließen konnte und geschlossen hat? Im übrigen hat Widukind auf jeden Fall, gleichgültig, wann er schrieb, sein angebliches Prinzip nach dem Kapitel 58 sofort wieder durchbrochen, indem er tatsächlich nicht mit Liudolfs Tod aufhörte, sondern die Erzählung mindestens bis in das Früh-, jähr 958, bis zum Kapitel 63, fortsetzte. - Weiter hat Bloch aus den Worten der Vorrede zum zweiten Buch: ingens opus coepturus vel certe iteraturus auf eine Redaktion von 968 geschlossen. Nach Bloch meint der Korveier Mönch mit dem Wort iteraturus, daß er das Werk erneuern, d. h. neu bearbeiten und ergänzen wolle; er spiele damit darauf an, daß die Sachsengeschichte
Die Entstehungszeit von Widukinds Sachsengeschichte
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Argumenten übrigbleiben, die zum mindesten nicht so belanglos sind, wie Stengel 7 wahrhaben möchte. Dahin scheint mir Blochs Hinweis auf die Bemerkung der Vorrede zum dritten Buch zu gehören, nach der die Sachsengeschichte a diversis moribus diverse accipitur-, wenn hier gesagt werde, meint Bloch, daß Widukinds Werk eine verschiedene Beurteilung erfahre, so setze das voraus, daß es bereits bekannt, also vor der 968 abgefaßten Vorrede entstanden sei. Gewiß hat Stengel recht, wenn er dagegen einwendet, die Worte des Korveier Mönchs brauchten an sich weiter nichts zu bedeuten, als daß bei der Abfassung der Vorrede zum dritten Buch „die beiden ersten Bücher der Öffentlichkeit vorlagen". Doch für diese Auffassung ist die Annahme Voraussetzung, daß die drei Bücher der Sachsengeschichte, von denen, wie wir wissen, jedes eine besondere Widmung hat, einzeln veröffentlicht und der Prinzessin überreicht wurden. Das ist nicht unmöglich, aber nicht gerade wahrscheinlich. Abgesehen davon, daß sich auf eine solche stückweise Veröffentlichung des Ganzen gar kein Hinweis findet, sagt Widukind in der Vorrede zum ersten Buch, Mathilde könne in seinem Werk die Taten ihres Vaters und Großvaters aufgezeichnet finden. E r würde sich kaum so ausgedrückt haben, wenn ihr mit dieser Vorrede nur das erste Buch überreicht worden wäre, in dem von Otto dem Großen noch gar nicht die Rede ist. Wenn 8 aber 968 die Sachsengeschichte der Mathilde als Ganzes überreicht worden ist, so läßt sich die Bemerkung, daß sie eine verschiedene Beurteilung erfahre, tatsächlich am einfachsten mit Blochs Annahme verstehen, daß sie damals bereits bekannt, also in einer früheren Fassung verbreitet gewesen ist. Immerhin gebe ich gern zu, daß diese Überlegung nicht gerade eine entscheidende Beweiskraft hat. In der Vorrede zum ersten Buch sagt Widukind, daß er das Werk geschrieben habe, oder wenigstens der Kaisertochter überreiche, damit sich Mathilde daran ergötzen und daraus lernen solle. Im ersten Kapitel des ersten Buches, also sozusagen auf der nächsten Seite, meint der Mönch dann aber, man solle sich nicht wundern, daß er, der bisher Heiligenviten verfaßt habe, jetzt die Taten der sächsischen Fürsten beschreibe; bisher habe er getan, was er seinem Stande, jetzt tue er, was er seinem Volk schulde. Bloch scheint mir nun völlig recht zu haben, wenn er betont, daß die Bemerkung des ersten Kapitels dem widerspricht, was die Vorrede sagt, und Stengels Versuch, das zu bestreiten 2 1 , kann ich nicht folgen. Wenn Widukind soeben erklärt hat, daß er die Sachsengeschichte schreibe, um der Prinzessin eine Freude zu machen, so erscheint es mir wenig sinnvoll, wenn er ein paar Zeilen später noch einmal die Frage erörtert, warum er denn eigentlich die Geschichte verfasse, und wenn er nun die Antwort gibt, er tue das aus Verehrung für das sächsische Volk. Zweifellos läßt sich auch diese Schwierigkeit am einfachsten mit der Annahme erklären, daß die Vorrede nicht zur gleichen Zeit wie das erste Kapitel geschrieben, sondern daß sie eine spätere Zutat ist.
21
bereits in einer ersten Redaktion vorlag. Dagegen meint Stengel, Widukind wolle nur sagen, daß er sein Werk mit dem zweiten Buch fortsetze. Beide Obersetzungen von iterare können richtig sein, und entscheiden läßt sich nach meiner Ansicht gar nichts, auch nicht aus der Bemerkung Widukinds: nam magna ex parte peractum est, die sich sowohl auf eine ältere Fassung wie auf das erste Buch beziehen kann. S. 141.
20«
308
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
Doch ich glaube, man kann diese Beobachtungen noch erheblich erweitern. E s besteht nämlich nicht bloß, wie Bloch bemerkt hat, ein Widerspruch zwischen der Vorrede und dem ersten Kapitel des eisten Buches, sondern sämtliche Vorreden und überhaupt alle Anreden an Mathilde stehen in einem schwer zu vereinenden Gegensatz zu dem übrigen T e x t des Werkes. Überall, wo sich Widukind an Mathilde wendet, spricht er in Tönen äußerster Devotion und einer panegyrischen Verherrlichung des Kaiserhauses
22.
D i e unmündige Mathilde und ihr Bruder Otto II. sind
ihm Wunder an Weisheit und Ruhm; Otto der Große selbst wird dementsprechend als Herr von Europa, Asien und Afrika gefeiert. Im T e x t des Werkes ist von alledem 9 keine Rede. D a steht nicht die Dynastie, sondern das sächsische Volk im Vordergrund, und über das Ottonische Haus wird zwar' mit Respekt und Verehrung, aber im Verhältnis zu der Überschwenglichkeit der Anreden an Mathilde doch durchaus sachlich, ja mitunter sogar mit einem leisen Tadel gesprochen. D i e Vorreden und die Widmungen an Mathilde sind Produkte einer höfischen Geschichtschreibung, die Sachsengeschichte aber ist das nicht. Wenn sie nun in derselben Zeit wie die Vorreden geschrieben, d. h. wenn sie wirklich, wie diese zu behaupten scheinen, von vornherein zu dem Zweck abgefaßt wäre, der Mathilde überreicht zu werden, so möchte man annehmen, daß sie anders ausgefallen wäre, als sie ausgefallen ist, und daß ein einheitlich höfischer Stil in ihr zum Ausdruck käme
23.
Alles, was wir bisher besprachen, spricht gegen eine einheitliche Abfassung der Sachsengeschichte im Jahre 968
34;
darüber, wann die vor 9 6 8 liegende Redaktion
entstanden sein könnte, wird dadurch noch nichts entschieden. Doch der von Bloch vertretene Ansatz auf 9 5 7 / 5 8 wird durch folgende Überlegungen gefordert. 25
23
24
Vgl. dazu und zum folgenden meinen Aufsatz, Die politische Haltung Widukinds von Korvei, Sachsen und Anhalt 14 (1938), S. 20 ff. [hier S. 331 ff.]. Wie er z. B. in den Gesta Oddonis der Hrotswith durchgehend zu finden ist. - In eine ähnliche Richtung scheint mir folgende Einzelheit zu weisen. Widukind sagt I, 35 anscheinend von dem Böhmenherzog Boleslaw: quamdiu vivit, imperatori fidelis et utilis mansit. Im zweiten Buch erzählt er dann aber, daß die Sachsen schwere Kämpfe mit Boleslaw zu bestehen hatten, und im dritten, daß es erst 950 Otto gelang, ihn zu unterwerfen. Es ist keine Frage, daß die Bemerkung über Boleslaws Treue im ersten Buch aus dem Jahre 968 stammt, denn Boleslaw ist nicht vor Juli 967 gestorben. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, daß die Ausführungen über Boleslaws Untreue im zweiten und dritten Buch in derselben Zeit niedergeschrieben sind. Als Widukind sie aufzeichnete, war ihm deutlich, daß Boleslaw keineswegs, solange er lebte, treu war, und es ist kaum anzunehmen, daß er sozusagen im gleichen Atemzug das Gegenteil versicherte. Man kommt auch hier am einfachsten mit der Annahme aus, daß Widukind jene Berichte über die Kämpfe des Boleslaw in einem früheren Zeitpunkt niederschrieb als das Lob des Herzogs, bei dem ihm jene Kämpfe nicht mehr recht zum Bewußtsein gekommen sein mögen. Die Beweiskraft dieser Überlegung wird freilich dadurch stark erschüttert, daß sich nicht mit Sicherheit sagen läßt, ob Widukind in I, 35 wirklich Boleslaw meint. Stengel nimmt das mit vielen anderen zwar an, aber die öfter vertretene Ansicht, daß Widukind hier Boleslaws Bruder Wenzel im Auge habe, und unter dem Imperator, dem er treu geblieben sei, Heinrich I. verstehe, läßt sich, glaube ich, auch nicht bündig widerlegen. Dabei ist zuzugeben, daß man auf Argumente, die auf schriftstellerischen Ungereimtheiten und Inkonsequenzen einer Quelle basieren, nicht gerade Häuser bauen kann. Wir wissen noch zu wenig von der Art der Historiker des zehnten Jahrhunderts im allgemeinen und der Art Widukinds im besonderen, als daß sich ganz sichere Aussagen darüber machen ließen, wieviel Widersprüche sie in einem auf einmal geschriebenen Werk vereinigen konnten.
Die Entstehungszeit von Widukinds Sachsengeschichte
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Mit dem 62. Kapitel des dritten Buches, in dem die Sachsengeschichte bis zum Jahre 958 gelangt ist, erfolgt ein deutlicher, nicht zu übersehender Einschnitt in der Darstellung 2 5 . Bis dahin ist die Erzählung in immer zunehmender Ausführlichkeit, zum Schluß fast in annalistischer Form und Treue gehalten. Dann aber nicht mehr. In einem ganz kurzen, summarischen Überblick von wenigen Zeilen werden in Kapitel 63 die Taten Ottos in Italien bis zum Jahre 968 angedeutet, und in ausführlicherer Gestaltung werden in Kapitel 64 bis 69 nur die Kämpfe des aufständischen Sachsen Wichmann im Jahre 963, vor allem aber sein Ende 967 erzählt; dazwischen ist in Kapitel 65 ein Bericht über die Taufe des Dänenkönigs Harald eingeschoben. Alle andern Ereignisse der deutschen Geschichte in dem Jahrzehnt vor 968 werden mit Stillschweigen übergangen. Gewiß ist diese Tatsache an sich noch kein Beweis gegen die Abfassung des ganzen Werkes im Jahre 968. Man könnte sich vorstellen, daß Widukind, als er damals in seiner Erzählung bis 958 gekommen war, aus irgendwelchen Gründen die Lust an der Fortsetzung verlor und nur noch ganz summarisch erzählte und ausführlicher bloß über Dinge schrieb, die ihn besonders interessierten 2 6 . Immerhin wird man zugeben, daß diese Erklärung nicht sehr befriedigend ist; es erscheint auf jeden Fall etwas sonderbar, daß Widukind über Dinge, die zehn und mehr Jahre zurückliegen, ausführlich, über solche, die erst vor kurzer Zeit geschehen sind, aber nur ganz kurz und in unzulänglicher Auswahl berichtet haben soll. Es liegt von vornherein nahe, die Divergenz so zu erklären, daß der ausführliche Bericht über die früheren Ereignisse unmittelbar nach ihnen, der kurze über die späteren aber erst später geschrieben ist. Doch weiter. Auch ganz abgesehen von ihrer Ausführlichkeit wird die Geschichte einer Zeit in der Art ihrer Darstellung anders aussehen, wenn sie zehn Jahre nach den Ereignissen, als wenn sie gleichzeitig oder in unmittelbarem Anschluß an sie geschrieben ist. Ein Historiker, der die Freiheitskriege im Jahre 1825 beschreibt, schreibt anders, als ein Historiker im Jahre 1815. D i e Freiheitskriege haben durch das, was zwischen 1815 und 1825 geschehen ist, eine neue Beleuchtung erfahren. Probleme und Personen, die für den Betrachter von 1815 wichtig waren, sind es für den von 1825 nicht mehr oder nicht mehr im gleichen Maße, und für diesen sind Dinge wesentlich geworden, die es für jenen nicht waren; kurz, die historische Perspektive hat sich verschoben. Wenn wir eine nichtdatierte Geschichte der Freiheits25 28
Vgl. Bloch S. 103. So erklärt sich Stengel S. 1 4 0 die Sache. Als Gründe Widukinds für die Einstellung oder Abkürzung der Arbeit gibt er an, daß er sein Werk möglichst schnell der Mathilde überreichen wollte, oder aber, daß Widukind die Italienpolitik, die ihm unsympathisch war, nicht ausführlich besprechen wollte. Widerlegen läßt sich das natürlich nicht, aber auch nicht beweisen. Und man wird gegen die Zweite Vermutung immerhin einwenden müssen, daß Widukind nach Kapitel 63 nicht bloß die Italienpolitik ganz kurz abtut, sondern daß er auch Angelegenheiten der eigentlich deutschen Politik, die ihm seiner ganzen Haltung nach am Herzen liegen mußten, mit Stillschweigen übergeht; so die lothringischen Wirren um 9 6 6 , Ottos Slawenfeldzug von 9 6 0 , die Wahl und Krönung Ottos II., den T o d Bruns von Köln und anderes. Und wenn er, um es Mathilde schnell überreichen zu können, sein W e r k abkürzte, so ist es schwer verständlich, daß er dem E n d e des Rebellen Wichmann eine liebevolle Schilderung widmete, die K r ö nung von Mathildes Bruder Otto II. aber überging.
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Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
kriege besäßen, so würde man vermutlich ohne Schwierigkeit feststellen können, ob sie 1815 oder 1825 entstanden ist. Wenn man diese Überlegung auf Widukinds Sachsengeschichte anwendet, so scheint mir viel dafür zu sprechen, daß die Jahre vor 958 unmittelbar danach und nicht erst zehn Jahre später geschildert worden sind. Das dritte Buch ist bis 958 offensichtlich unter dem historischen Blickpunkt dieses Jahres und nicht unter dem von 968 geschrieben. Zwei wichtige Personen, die zwischen diesen Jahren in der deutschen Politik eine entscheidende Rolle gespielt haben, und die zwar auch schon vorher politisch tätig, aber in ihrer späteren Bedeutung noch nicht ganz erkennbar waren, werden kaum berücksichtigt: von Wilhelm von Mainz ist überhaupt nicht, von Brun von Köln so gut wie gar nicht die Rede. Sie waren schon 953 und 954 Erzbischöfe geworden, und wenn man ihre spätere glänzende Rolle kannte, so hätte es nahegelegen, sie auch für die Zeit vor 958 nicht einfach mit Stillschweigen zu übergehen. Vor allem aber: die Helden der Sachsengeschichte sind (neben dem König) unverkennbar die Männer einer 968 schon zehn Jahre zurückliegenden Epoche: Konrad der Rote und Liudolf, die 955 und 957 gestorben sind. Besonders Liudolf wird verherrlicht, sein Verhalten wird erklärt, seine Verfehlungen werden entschuldigt, sein Ende betrauert. Für einen Chronisten, der erst im Jahre 968 schrieb, würde dieses Verfahren zum mindesten auffällig sein, und noch dazu für einen Chronisten, der sein Werk der Schwester Ottos II. widmet und jetzt die Linie der Ottonischen Dynastie verherrlicht, die Liudolf vom Throne verdrängt hat 2 7 . Das stärkste Indiz für die Entstehung der Sachsengeschichte im Jahre 958 scheint mir aber in der Art zu liegen, wie Widukind über die Ereignisse dieses Jahres und der letzten Monate vorher berichtet. Bloch hat schon darauf hingewiesen, daß das, was Widukind III, 62 über die Krankheit Ottos 958 sagt, unter dem unmittelbaren Eindruck der Erkrankung und der Gesundung des Königs geschrieben zu sein scheint 28 . In der Tat, wenn es da heißt, Otto sei wie die strahlende Sonne, die über die Schatten siegt, der Welt zur allgemeinen Freude und Wonne wiedergeschenkt worden, so hört sich das eher wie ein Stoßseufzer der Erleichterung an, der durch Empfindungen der Gegenwart veranlaßt ist, als wie ein Rückblick auf eine vor zehn Jahren überstandene Gefahr. Immerhin könnte man darauf hinweisen, daß Otto während seiner Krankheit den heiligen Veit, den Patron von Korvei, anrief, und daß man daher in Korvei eine besonders lebendige Erinnerung an die Krankheit und die Genesung des Königs bewahrt haben mag. Doch das Entscheidende scheint mir nun zu sein, daß der eben besprochene Zug keineswegs der einzige in dem Bericht über die Jahre 958 und vorher ist, der den Eindruck erweckt, als wenn er ungefähr gleichzeitig mit den Ereignissen geschrieben wäre, sondern daß eine ganze Reihe von Bemerkungen Widukinds denselben Eindruck machen. Mag man auch jede einzelne dieser Bemerkungen, wenn sie allein stünde, für nicht völlig beweiskräftig halten, daß sie sich häufen und 27
28
Ähnliche Überlegungen scheint Bloch S. 109 anzudeuten, wenn er meint, es sei ungereimt, daß Widukind, der 968 Adelheids Nachkommen verherrlichte, damals noch soviel Mitgefühl für Liudolf an den Tag legte, wie es das dritte Buch zeigt. Vgl. S. 106.
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sämtlich in der gleichen Richtung weisen, zeigt, daß es sich hier nicht um einen Zufall handeln kann. So ist, wenn im Kapitel 59 gesagt wird, daß Wichmann im Herbst 957 heimlich nach Sachsen gekommen sei, um sein Haus und sein Weib zu besuchen, damit von einem Ereignis von derartig ephemerer Bedeutung die Rede, daß die Annahme schwer fällt, Widukind habe sich noch zehn Jahre später seiner erinnert und es der Aufzeichnung für wert gefunden. Kurz vorher heißt es, Otto habe bei der Nachricht vom Tode Liudolfs die Zukunft Gott anheimgestellt, der bis dahin sein Reich beschützt habe. Diese Wendung ist sehr verständlich, wenn sie zu dem Zeitpunkt, in dem Liudolf starb, geschrieben wurde: Otto hatte seinen einzigen herangewachsenen Sohn verloren, die Dynastie schien allein auf dem König zu stehen, und vor dem Reich lag eine dunkle, ungewisse Zukunft. Sie wirkt aber befremdlich, wenn sie geschrieben ist, nachdem inzwischen zehn Jahre verstrichen waren, alles gut gegangen und vor allem der von Widukind jetzt verherrlichte Otto II. bereits König war. Schließlich ist in Kapitel 61 von Wunderzeichen die Rede, die 958 erschienen 2 9 ; Widukind be- 13 merkt, daß einige sie als Vorboten einer kurz danach auftauchenden Krankheit deuteten. Er fährt dann fort: sapientiores autem Signum crucis salutem victoriamque praefigurasse predicabant, quibus et nos fideletn assensum prebemus. Wenn Widukind erst 968 schrieb, so hatte es wenig Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, was die Zeichen von 958 bedeuten sollten. Daß er darüber Überlegungen anstellte, ist am verständlichsten, wenn er unter dem unmittelbaren Eindruck der Wunderzeichen schrieb. Indizienbeweise haben immer etwas Unvollkommenes, und ein anderer als ein Indizienbeweis läßt sich bei dem Versuch, Widukinds Sachsengeschichte zeitlich festzulegen, nicht führen. Eine absolute Sicherheit ist also kaum zu gewinnen, aber mit dem Maß von Wahrscheinlichkeit, das überhaupt bei der Datierung undatiert überlieferter Quellen des frühern Mittelalters im allgemeinen erreicht werden kann, wird man doch sagen dürfen, daß Widukind den größten Teil seines Werkes bereits 958 geschrieben hat 3 0 . Halle a. S„ Dezember 1941. 29
Höchstwahrscheinlich zu Anfang des Jahres 9 5 8 . Das scheint mir aus den übrigen Quellen, die von dem Ereignis berichten (vgl. Köpke-Dümmler S. 2 9 8 , Anm. 4), hervorzugehen. Dann wird man aber das von Widukind in Kap. 5 9 und 6 0 Erzählte noch dem Jahre 9 5 7 zuweisen müssen und nicht, wie meist geschieht, dem Jahr 9 5 8 . Alles, was Widukind bis Kap. 6 2 berichtet, dürfte sich also bis zum Frühjahr 9 5 8 zugetragen haben, so daß die erste Fassung der Sachsengeschichte vor dem Juni 9 5 8 vollendet gewesen sein könnte (vgl. oben S. 3 0 5 ) .
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Stengel meint, besonders S. 147 ff., die Beantwortung der Frage, ob Widukind 9 5 8 oder 9 6 8 geschrieben habe, sei für die Beurteilung von Widukinds Stellung zum ottonischen Kaisertum von entscheidender Bedeutung. Über Widukinds Verhältnis zum Kaisertum folge ich in vieler Beziehung den Ansichten von Stengel; daß sich an diesem Verhältnis aber dadurch, daß Widukind nicht, wie Stengel will, 9 6 8 , sondern schon 9 5 8 geschrieben hat, etwas Wesentliches ändert, glaube ich nicht. Ich gedenke auf diese Dinge in einem anderen Zusammenhang zurückzukommen; vgl. einstweilen meinen Aufsatz, D a s abendländische Kaisertum im neunten und zehnten Jahrhundert, Die W e l t als Geschichte 4 ( 1 9 3 8 ) , S. 4 4 3 ff. [hier S. 1 3 8 ff.] und Sachsen und Anhalt 14, S. 33 ff. [hier S. 3 4 1 ff.; vgl. auch Die Kaiserpolitik Ottos des Großen, 1 9 4 3 , hier S. 1 9 9 f.].
Der Poeta Saxo als Quelle Widukinds von Korvei Neues Archiv, Band 49, 1 Heft 1930, S. 183-188
Im 36. Kapitel des zweiten Buches seiner Sachsengeschichte schreibt Widukind über Otto den Großen u. a.: (1) Ingenium ei admodum mirandum; nam post mortem Edidis reginae, cum antea nescierit, litteras in tantum didicit, ut pleniter libros legere et intelligere noverit. Preterea Romana lingua Sclavanicaque loqui seit; sed rarum est, quo darum uti dignetur. (2) In venationibus creber, tabularum ludos amat, equitatus gratiam regia gravitate interdum exercens. (3) Accessit ad haec et moles corporis; omnem regiam ostendens dignitatem, capite cano sparsus capillo, oculi rutilantes et in modum fulguris cita repercussione splendorem quendam emittentes; facies rubicunda et prolixior barba, et haec contra morem antiquum. Pectus leoninis quibusdam sparsum iubis; venter commodus; incessus quondam citus, modo gravior-, (4) habitus patrius, et qui numquam sit peregrino usus1. Es wird im allgemeinen angenommen, 184 daß sich in dieser Charakteristik Ottos das Bild widerspiegelt, das Einhard in der Vita Karoli von Karl dem Großen entwirft 2. Doch dies Spiegelbild ist sehr wenig getreu. Einhard beschreibt im Rahmen seiner Charakteristik Karls die Gestalt und das Aussehen seines Kaisers folgendermaßen: Corpore fuit ampio atque robusto, statura eminenti, quae tarnen iustam non excederet - nam Septem suorum pedum proceritatem eius constat habuisse mensuram - apice capitis rotundo, oculis praegrandibus ac vegetis, naso paululum medioeritatem excedenti, canitie pulchra, facie laeta et hilari. Unde formae auetoritas ac dignitas tarn stanti quam sedenti plurima adquirebatur; quamquam cervix obesa et brevior venterque proiectior videretur, tarnen haec ceterorum membrorum celabat aequalitas. Incessu firmo totaque corporis habitudine virili; voce clara quidem, sed quae tmnus corporis formae conveniret3. Man sieht, die Ausdrucksweise Widukinds im entsprechenden Stück seiner Charakteristik Ottos weist nur dürftige wörtliche Anklänge an die von Karls Biographen auf. Doch ähneln sich wenigstens beide in der Anordnung ihrer Beschreibung der kaiserlichen Gestalt: 1
2
3
Widukindi monachi Corbeiensis rer. gest. Saxonicatum libri tres, ed. K. A. Kehr, SS. rer. Germ in US. schol. (1904) S. 81 f. [Ausgabe von P. Hirsch und H.-E. Lohmann, 1935, S. 96 f.], Vgl. z.B. Widukind, a. a. O., S. 81, Anm. 7; W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im MA., 7. Aufl. (1904), S. 365. Einhardi Vita Karoli magni, cap. 22, ed. O. Holder-Egger, SS. rer. Germ, in us. schol (1911), S. 26 f.
Der Poeta Saxo als Quelle Widukinds von Korvei
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Beide beginnen nach einigen allgemeinen Bemerkungen über die slatura oder moles corporis mit dem caput und den oculi und gelangen schließlich zum venter und dem incesms. Im Mittelstück freilich weichen sie voneinander ab: Einhard sagt nichts von der barba und dem pectus, Widukind nichts von nasus und cervix, während allerdings beide inmitten dieser dem andern fremden Dinge die facies des Kaisers erwähnen. Von dieser Stelle abgesehen hat die Charakteristik Karls ein ganz anderes Aussehen als die Ottos. Zwar berichtet Widukind über ähnliche Seiten des Persönlichkeitsbildes seines Kaisers wie Einhard. Doch Einhard verfährt durchweg viel eingehender und ausführlicher als der Korveier Mönch. Anklänge im Wortlaut finden sich fast gar nicht. Vor allem aber: Die Disposition, die Widukind einhält, ist völlig anders als die, welcher Einhard folgt. Die Charakteristik Ottos zerfällt in die vier oben durch vorgestellte Zahlen gekennzeichneten Abschnitte: 1. Geistige Beschäftigung. 2. Körperliche Beschäftigung. 3. Aussehen. 4. Kleidung. Einhard dagegen beginnt in cap. 22 seine Charakteristik mit der oben abgedruckten Beschreibung der Gestalt und des Aussehens seines Kaisers ( = Widukind 3). Nachdem er von seiner isr> Gesundheit gesprochen hat, geht er auf seine Vorliebe für Reiten, Jagen und Baden ein und behandelt die Aachener Bäder (Widukind 2). Dann ist in cap. 23 ausführlich von der fränkischen Kleidung Karls die Rede; sie wird umständlich beschrieben, und es wird bemerkt, daß der Kaiser von zwei Ausnahmen abgesehen die schönsten ausländischen Gewänder verabscheute (Widukind 4). In cap. 24 kommt Einhard auf Essen, Trinken und Schlafen des Kaisers zu sprechen und in cap. 25 äußert er sich über seine wissenschaftlichen Interessen, seine Sprachkenntnisse, seine Beziehungen zu auswärtigen Gelehrten und seine Schreibversuche (Widukind 1). Man sieht, bei Einhard finden sich die vier Hauptabschnitte der Widukindschen Charakteristik völlig durcheinandergewürfelt wieder. Was hier am Anfang steht, steht dort am Schluß, die übrigen Glieder werden gleichfalls vertauscht, und zwischen sie finden sich andere Stücke eingeschoben, von denen Widukind nichts weiß. Unter diesen Umständen könnte es fraglich erscheinen, ob sich die Annahme einer Verwandtschaft zwischen Einhard und Widukind an dieser Stelle aufrechterhalten läßt. Ähnliche Erwägungen mögen es gewesen sein, durch die Dümmler in den Jahrbüchern Ottos des Großen dazu kam, diese Verwandtschaft zu bestreiten 4 . Doch läßt man das zunächst dahingestellt, die Ursache, aus der Widukind einer andern Disposition folgt als Einhard, ist nachweisbar. E r hat seine veränderte Disposition aus der Bearbeitung entnommen, die der Poeta Saxo von Einhards Werk im fünften Buche seiner Gesta Karoli angefertigt h a t 5 . Der Poeta Saxo beginnt Vers 230 ff. die Charakteristik Karls mit der Erwähnung seiner wissenschaftlichen Interessen, seiner Sprachkenntnisse usw. ( = Widukind 1). Nach einer längeren Abschweifung, die mit dem Charakterbild des Kaisers nichts weiter oder nur wenig zu tun hat, wird dann v. 317 ff. Jagen, Reiten und Baden besprochen (Widukind 2). Darauf folgt v. 333 ff. die Beschreibung von Karls Aussehen (Widukind 3), der sich die seiner Kleidung anschließt (Widukind 4). Man sieht, die * Köpke-Dümmler, Kaiser Otto der Große (1876), S. 513, Anm. 1. Poetae lat. IV, S. 60 ff.
5
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Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
Disposition stimmt hier Zug für Zug mit der Widukinds überein. Außerdem stehen 186 sich Widukind und der Poeta in folgenden Punkten näher als Widukind und Einhard. Bei Einhard hört man von den oculi praegrandes ac vegeti. Der Poeta sagt statt dessen late fulgentes oculi 6 , woraus Widukind unter Benutzung des gleichen Bildes etwas umständlich macht: oculi rutilantes et in modum fulguris cita repercussione splendorem quendatn emittentes. Einhard schiebt nach seiner Erwähnung des vestitus patrius eine lange Beschreibung dieses vestitus ein, um erst dann auf die verschmähten peregrina indumenta zu kommen. Im Gegensatz dazu sagt der Poeta viel kürzer: Usus vestitu patrio Semper peregrinum respuerat7. Dieselbe Kürze und dieselbe Zusammenfassung findet man bei Widukind. Die nach alledem naheliegende Annahme, daß Widukind hier gar nicht direkt, sondern nur auf dem Umweg über den Poeta aus Einhards Vita schöpft, dürfte gleichwohl nicht richtig sein. Bei der Beschreibung der Gestalt des Kaisers drückt sich der Poeta wie folgt aus 8 : Corpore robusto fuit ipse, decenter et amplo, Incessu firmus, vividus atque agilis, Egregie procerus, et hoc moderamine iusto (Septem namque suis longus erat pedibus) Ipse rotundus apex capitis, cervix et obesa, Naris plus paulo quam mediocris erat, Late fulgentes oculi, facies quoque laeta Et vox clara satis pulcraque canities. Es ist deutlich, daß hier in der Anordnung des Stoffes Widukind dem Einhard näher steht. Die, wie oben hervorgehoben, hier waltende Ähnlichkeit zwischen der Vita Karoli und der Sachsengeschichte findet in den Versen des Poeta keine Entsprechung. Der Poeta versetzt die Bemerkung über den incessus des Kaisers vom Schluß ganz an den Anfang; er läßt die Beschreibung der oculi nicht unmittelbar auf die des caput folgen und er sagt endlich gar nichts vom venter. Da sich aber für Widukinds Abweichung von der Hauptdisposition der gesamten Charakteristik in der Vita Karoli in dem Vorbild des Poeta ein plausibler Grund findet, so besteht kein Anlaß, hier seine Verwandtschaft mit Einhard zu verwerfen. 187 Auch die andere Stelle der Sachsengeschichte, an der Widukind die Vita Karoli benutzt haben soll, scheint das gleiche Verhältnis wie das eben aufgedeckte zum Poeta Saxo aufzuweisen. Lib. I cap. 15 heißt es über die Unterwerfung der Sachsen durch Karl: Et nunc blanda suasione, nunc bellorum inpetu ad id cogebat quod multis temporibus elaborando non defecit: ob id qui olim socii et amici erant Francorum, iam fratres et quasi una gens ex Cbristiana fide, veluti modo videmus, facta est9. Einhard schreibt in dieser Sache: Eaque conditione bellum... finitum, ut.... Christianae fidei atque religionis sacramenta susciperent et Francis adunati 8
v. 3 3 9 .
7
Um sich erst danach auf einen ausführlicheren Bericht einzulassen. Vgl. v
8
v. 3 3 3 ff. a. a. O. S. 21 [Ausgabe von 1 9 3 5 , S. 2 5 ] ,
9
341 ff
Der Poeta Saxo als Quelle Widukinds von Korvei
315
unus cum eis populus efficerentur10. Ausführlicher beschreibt der Poeta die Annahme des Christentums durch die Sachsen 11 ; er fügt dann eine Bemerkung über das Recht und die Verwaltung des Landes ein und sagt: Ut gens et populus fieret concorditer unus Ac semper regi parens aequaliter uni12. Weiter ist die Rede davon, daß im Sachsenkriege plus regis pietas et munificentia quam terror hervorgetreten seien 13, und daß der Kaiser die, welche sich ihm unterwarfen, mit opes und honores ampli beschenkte 14. In der unmittelbaren Verbindung von Christentum und Vereinigung zu einem Volke steht Widukind Einhard offenbar näher als dem Poeta. Doch für Widukinds Bemerkung über die blanda suasio, mit der Karl außer dem Impetus bellorum die Sachsen bezwungen habe, findet sich nicht bei Einhard, wohl aber beim Poeta in den eben abgedruckten Worten etwas Entsprechendes. Freilich machen ähnliche Bemerkungen über den Charakter des Sachsenkrieges auch andere Quellen wie die Vita Sturmi l s , die Vita Liutbirgae 16 und die Translatio Liborii 17 , und mindestens mit dem Wortlaut der Vita Sturmi berührt sich Widukind enger als mit dem des Poeta 18 . Da aber die Beziehungen Widukinds zum Poeta anderweitig feststehen, so ist anzunehmen, daß sie auch hier im Spiele sind: wenigstens für die Verknüpfung der Einhardstelle mit der Bemerkung über den Charakter des Sachsenkrieges werden sie verantwortlich zu machen sein. 10
11 cap. 7, a. a. O. S. 10. üb. IV, v. 92 ff. a. a. O. S. 48. v. 113 f. " v. 124 f. » v. 125 ff. 15 Gigiii Vita S. Sturmi cap. 22, SS. II, S. 376: partim bellis, partim suasionibus, partim etiam muneribus, maxima ex parte gentem illam ad fidem Christi convertit. 16 cap. 1, SS. IV, S. 158: . . . gentem Saxonum partim bellis, partim tngenio suo ac magnae sagacitatis industria, insuper etiam magnis muneribus acquisivit .. . " cap. 2, SS. IV, S. 149: . . . partim armis, partim liberalitate . . . superata . . . Auf die Beziehungen dieser drei Quellen untereinander und zum Poeta Saxo und zu Widukind werde ich in einem andern Zusammenhang zurückkommen. 12
188
Die politische Haltung Widukinds von Korvei Sachscn und Anhalt, B a n d 14, 1938, S. 1 - 3 9
1.
2
(Einleitung)
Die Sachsengeschichte des Widukind von K o r v e i 1 ist eine der besten Quellen, die wir für die Geschichte des sächsischen Stammes und vor allem der ersten beiden deutschen Könige aus dem Ottonischen Hause besitzen. Sie ist das ausführlichste und am anschaulichsten geschriebene Geschichtswerk, das auf deutschem Boden im zehnten Jahrhundert entstanden ist. Über viele Persönlichkeiten, Ereignisse und Zustände erhalten wir allein durch Widukind Nachricht. Ohne ihn würden wir über die Geschichte Heinrichs I. äußerst wenig und über die Geschichte der alten Sachsen und Ottos des Großen erheblich weniger wissen, als uns so bekannt ist. Aber Widukinds Sachsengeschichte ist nicht bloß als Quelle für die Ereignisse, die sie erzählt, von der größten Bedeutung; ebenso groß dürfte ihr Wert deshalb sein, weil sie zugleich eine Quelle für die Stellungnahme ihres Verfassers zu diesen Ereignissen ist, d. h. eine Quelle für die politische Haltung Widukinds von Korvei. Die mittelalterlichen Quellen werden naturgemäß in erster Linie auf ihren Gehalt an Nachrichten über historische Tatsachen untersucht. Aber so unbestreitbar und entscheidend ihre Bedeutung in dieser Richtung ist, so kommt ihnen daneben doch noch eine sozusagen unmittelbarere Bedeutung zu. J e d e Quelle ist in dem, was sie sagt, und unter Umständen auch in dem, was sie nicht sagt, ein Dokument der geistigen Haltung ihres Verfassers, und während wir über ein geschichtliches Faktum, von dem eine Quelle spricht, durch sie nur mittelbar Aufschluß erhalten, redet sie über das, was ihr Verfasser denkt, direkt zu uns; fragen wir eine Quelle nach einer historischen Erscheinung, von der sie berichtet, so bleiben wir von dieser Erscheinung stets getrennt und haben über sie immer nur den Bericht der Quelle, der sich unter Umständen von den Tatsachen recht weit entfernen kann; fragen wir die Quelle nach den Gedanken und Anschauungen ihres Verfassers, so haben wir das, was wir suchen, in ihr selber vor uns. Bekanntlich sind uns die politische Haltung, die Anschauungen, Motive und Ziele der Männer, die zur Zeit Widukinds von Korvei Geschichte gemacht haben, aus eigenen Äußerungen und Stellungnahmen so gut wie unbekannt. Akten und Briefe, die einen genaueren Einblick in die Politik und die Diplomatie der Zeit, in ihre An1
V g l . die neueste A u s g a b e in den SS. rcr. G e r m , in us. schol. von P. Hirsch und H . - E . Lohmann (1935).
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Die politische Haltung Widukinds von Korvei
sichten und Absichten gewähren könnten, fehlen fast völlig. D i e erzählenden Quellen sagen im allgemeinen über diese Dinge nicht gerade viel, und was sie sagen, wird von der modernen Forschung und Geschichtschreibung aus Gründen, die hier nicht weiter erörtert zu werden brauchen, im allgemeinen beiseite geschoben. Man pflegt auf die Gedanken der handelnden Politiker aus ihren Taten zu schließen sowie aus dem, was man aus den allgemeinen historischen Umständen als bestimmend für ihre Handlungen annehmen zu können glaubt. D a ß aber dieses Schlußverfahren recht unsicher ist, Hegt auf der Hand. Man kann aus vielen Gründen nach Rom ziehen, und für jede politische Handlung kann man sich sehr viele und sehr verschiedene Motive vorstellen. Tatsächlich zeigt ein Blick in die historische Literatur, daß den einzelnen Politikern der Ottonenzeit von den verschiedenen Historikern auch verschiedene Anschauungen von Politik und politischem Handeln zugeschrieben werden, und wenn man noch das, was die Quellen des zehnten Jahrhunderts sagen, zum Vergleich heranziehen wollte, so würde das Bild noch bunter und noch unklarer werden 2 . Aber wie dem auch sein mag, man muß sich jedenfalls damit abfinden, daß man über die Anschauungen der meisten Staatsmänner Deutschlands im zehnten Jahrhundert keine unmittelbare und darum auch keine sichere Auskunft bekommen kann. D i e Tatsache, daß wir diese Auskunft über die politische Haltung der Historiker dagegen erhalten, ermöglicht es nun aber doch, gewissermaßen auf einem Umweg und durch eine Zwischenschaltung das, was an politischen Anschauungen im zehnten Jahrhundert lebendig war, oder wenigstens einen Teil davon, kennen zu lernen. Selbstverständlich ist nicht jeder Geschichtschreiber für die Erkenntnisse, um die es sich hier handelt, gleich wichtig. Zwar nimmt jeder Historiker, indem er G e - s schichte schreibt, irgendwie zu politischen Fragen Stellung. Aber bei einem Annalisten etwa, der bloß dürftige Notizen gibt, wird diese Stellungnahme nur wenig deutlich hervortreten. J e ausführlicher eine Quelle ist, je mehr sie erzählt, um so mehr gibt sie auch Gelegenheit, ihren politischen Standpunkt zu erkennen. V o r allem aber ist das politische Gewicht der verschiedenen Quellenschriftsteller verschieden, und es muß uns in erster Linie natürlich auf die ankommen, die in ihren Anschauungen dem möglichst nahe gestanden haben, was die maßgebenden Politiker ihrer Zeit gedacht haben. Eine Quelle, die von einem simplen Mönch in einem kleinen Kloster geschrieben ist, kann selbstverständlich nicht dieselbe Beachtung beanspruchen, wie ein Geschichtswerk, das von einem Mann stammt, der in dem politischen Treiben seiner Zeit zu Hause war. So wird man etwa die Anschauungen Liudprands von Cremona oder des Continuators Reginonis 3 als wichtiger betrachten, als die Ruotgers oder der Verfasser der beiden Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde. Welche Stellung nimmt in dieser Hinsicht nun Widukind ein? Man wird zunächst ohne Übertreibung sagen dürfen, daß in der Zeit Ottos des Großen Widukind der Sachse und überhaupt der Deutsche ist, der sich am ausführlichsten über geschicht2
Auf die aus diesen Tatsachen sich ergebenden Fragestellungen habe ich bereits in meinen Studien zu Liudprand von Cremona ( 1 9 3 3 ) [hier S. 3 5 1 ff.], besonders Seite 5 6 [S. 3 8 4 ] , hingewiesen.
3
E r ist bekanntlich mit dem ersten Erzbischof von Magdeburg, Adalbert,
identisch.
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4
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
liehe und politische Dinge äußert, und über dessen politische Ansichten wir infolgedessen am besten Bescheid wissen; in einer Zeit, in der Sachsen endgültig mit dem Reiche verschmolz und die Führung des Reiches übernahm, in das es anderthalb Jahrhunderte vorher hineingezwungen war, ist er der Sachse, dessen Gedanken wir am genauesten kennen; schon insofern kann das, was er über Politik sagt und denkt, das größte Interesse beanspruchen. Man hat nun freilich Widukind nicht selten als einen unbedeutenden Mann, als einen beschränkten kleinen Mönch hingestellt, der von der Welt nichts wußte und nichts in ihr zu sagen hatte 4 . Doch diese Ansicht ist irrig 5 . Wenn Widukind auch sicher nicht, wie man im Gegensatz zu dieser Ansicht vor kurzem vermutet hat 6 , ein Oheim der Königin Mathilde, der Gemahlin Heinrichs I. und Mutter Ottos des Großen gewesen ist, so ist es doch nicht unwahrscheinlich, daß er ein Nachkomme des alten Sachsenherzogs Widukind und damit zugleich wenigstens ein entfernter Verwandter Mathildes sowie Hermann Billungs und seiner Neffen Ekbert und Wichmann war 7 . Aber wenn man auch mit Sicherheit über die Herkunft und Verwandtschaft Widukinds nichts sagen kann, so war er doch jedenfalls ein sächsischer Edling, der als Mitglied des vornehmsten und berühmtesten sächsischen Männerklosters 8 genug Beziehungen zur sächsischen Aristokratie gehabt haben dürfte. Die Billunger standen in der engsten Verbindung mit Korvei; ein Bruder Herzog Hermanns, der Bischof Amalung von Verden, war, freilich vor Widukinds Zeit, dort Mönch gewesen, und zugleich mit Widukind gehörte Bruno, gleichfalls ein Verwandter der Billunger, -und seit 962 Amalungs Nachfolger in Verden, dem Kloster a n 9 . Der Korveier Abt erschien am königlichen Hofe und auf Hof- und Reichstagen; Korveier Vasallen folgten dem König in seine Kriege; vornehme Staatsgefangene waren zeitweise in Korvei interniert 10 . Widukind selbst ist mindestens einmal in der Umgebung Ottos des Großen gewesen u , und man darf vermuten, daß er sich noch öfter in der Nähe des Königs oder der königlichen 4
A m schroffsten wird diese Ansicht wohl von A . Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands III, 3. und 4. Aufl. ( 1 9 2 0 ) , S. 3 0 8 ff. vertreten; ähnlich aber auch z. B. H. Breßlau, Aufgaben mittelalterlicher Quellenforschung, Straßburger Universitätsrede 1 9 0 4 , S. 3 6 , und W . Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter I, 7. Aufl. ( 1 9 0 4 ) , S. 3 6 4 ff.
5
D a ß das Verdikt Haucks und Wattenbachs ungerecht ist, wird wohl heute allgemein anerkannt; vgl. etwa M. Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters I ( 1 9 1 1 ) , S. 7 1 4 ff. und die Einleitung zur Ausgabe von Hirsch.
• Vgl. G e r d a Krüger, Widukind von Korvei, Westfälische Lebensbilder I ( 1 9 3 0 ) , S. 149 ff.; vgl. dazu Hirsch S. VII, Anm. 4. 7
Vgl.
dazu
G.
Bartels,
Die
Geschichtschreibung
des
Klosters
Korvei,
Abhandlungen
über
Korveier Geschichtschreibung, hrsg. von F. Philippi ( 1 9 0 6 ) , S. 125 sowie Hirsch S. VII. 8
Vgl. darüber Bartels a. a. O. S. 1 2 6 , Th. Virnich, Korvei, Studien zur Geschichte der Stände im Mittelalter, Diss. Bonn 1 9 0 8 , S. 5 2 ff.; A . Schulte, D e r Adel und die deutsche Kirche im Mittelalter ( 1 9 1 0 ) , S. 1 1 6 ff.; Hirsch S. VII.
9
Vgl. R. Köpke und E . Dümmler, Jahrbücher Ottos des Großen ( 1 8 7 6 ) , S. 3 9 4 ; auch Virnich S. 69.
10
So im Jahre 9 3 9 der Bischof Rudhard von Straßburg, vgl. Widukind II, cap. 2 5 , S. 8 8 .
11
Vgl. II cap. 4 0 , S. 9 9 ; allzuviel ist aus der Stelle freilich nicht zu schließen, besonders beweist sie nicht, daß sich Widukind in der nächsten Umgebung Ottos befunden hat.
D i e politische Haltung Widukinds von Korvei
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Familie aufgehalten hat 1 2 . Er hat sein Werk der Kaisertochter Mathilde gewidmet. Daß ihm das erlaubt wurde, beweist, daß er verhältnismäßig gute Beziehungen zum Ottonischen Hause hatte 1 3 . Seine Sachsengeschichte ist (wenn man von ihrem poli- s tischen Gehalt zunächst völlig absieht) rein historiographisch für seine Zeit eine Leistung ersten Ranges gewesen, die alle ähnlichen Versuche in Deutschland weit hinter sich läßt. Den Vergleich etwa mit den Werken Liudprands von Cremona oder Thietmars von Merseburg hält sie vollkommen aus. Wenn aber diese Männer unstreitig zu den hervorragendsten ihrer Zeit gehören, so wird man auch Widukind diesen Rang zuerkennen müssen 14 . Mag seine Herkunft auch unbekannt bleiben, so wird man in ihm doch einen bedeutenden Repräsentanten nicht bloß des Klosters Korvei, sondern auch des sächsischen Stammes und der sächsischen Aristokratie zu sehen haben. Widukind hat, wie Bloch nachgewiesen hat 1 5 , seine Sachsengeschichte in ihrer ersten Fassung 958 niedergeschrieben. Dieses Werk hat er dann 968 überarbeitet, in einem kurzen, ganz summarisch gehaltenen Überblick bis zu diesem Zeitpunkt fortgesetzt und der Mathilde gewidmet. Schließlich hat die Sachsengeschichte noch nach dem Tode Ottos des Großen, 973, eine abermalige Fortsetzung erfahren, die höchstwahrscheinlich auch von Widukind stammt 1 6 . Das Werk enthält demnach Aufzeichnungen und Anschauungen aus den Jahren 958, 968 und 973. Es liegt also nahe, wenn man nach der politischen Haltung Widukinds fragt, darauf zu achten, wie sie sich in den verschiedenen Zeitabschnitten dokumentiert und ob sie etwa Wandlungen durchgemacht hat. Doch es ist von vornherein zu sagen, daß sich das nur in beschränktem Maße erkennen läßt. Denn das, was 958 entstand, ist in der Weise in die Bearbeitung von 968 übergegangen, daß man den ursprünglichen Bestand und die Zutaten kaum noch auseinandersondern kann. Mit Sicherheit kann man nur sagen, daß die Abschnitte, die die Zeit von 958 bis 968 behandeln, 968 entstanden sind, während man, von einigen Kleinigkeiten abgesehen, dem bis 958 reichenden Hauptteil des Werkes kaum anzusehen vermag, wie tief die Überarbeitung 6 von 968 in ihn eingegriffen hat. Aber wenn das vielleicht auch nur in geringem Maße der Fall war, so muß man doch sagen, daß auch dieser Hauptteil Anschauungen enthält, die Widukind nicht bloß 958, sondern die er auch noch 968 im wesentlichen ver12
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Zur Zeit Widukinds war Otto mindestens zweimal, 940 und 958 in Korvei; vgl. Hirsch S. VIIT, Anm. 3. Ganz übertrieben dagegen sind die Ansichten von G. Krüger, die in Widukind einen intimen Vertrauten des Hofes sieht, der fast ständig mit ihm in Berührung gestanden habe. Wenn man das häufig nicht getan hat, so ist daran in erster Linie die Tatsache schuld, daß man in seinem Werk verhältnismäßig viele Fehler und Irrtümer entdeckt hat. Aber in Wirklichkeit beweist das für die Stellung Widukinds überhaupt nichts. Liudprand von Cremona und Hrotswith von Gandersheim etwa machen nicht weniger und nicht weniger schwerwiegende Fehler, und trotzdem war Liudprand einer der bedeutendsten Diplomaten Ottos d. Gr., und Liudprand wie Hrotswith haben in den engsten Beziehungen zum königlichen Hause gestanden. Vgl. H. Bloch, D i e Sachsengeschichte Widukinds von Korvei, Neues Archiv 38 (1913), S. 95 ff. K. Hampe, Widukind von Korvei, in Hoops Reallexikon IV, S. 526 f. hält Blochs Argumente freilich nicht für überzeugend, worauf ich in einem anderen Zusammenhang zurückkommen werde. [Vgl. D i e Entstehungszeit von Widukinds Sachsengeschichte, hier S. 302 ff.] Für ganz sicher halte ich das nicht; auch darauf denke ich zurückzukommen.
320
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
treten hat; wenn das nicht der Fall gewesen wäre, so hätte er seinen Text geändert, so gut wie er das tatsächlich an einigen Stellen nachweisbar getan hat. Der Hauptteil der Sachsengeschichte spiegelt also, obgleich er im wesentlichen schon 958 geschrieben ist, doch nicht bloß die politische Haltung Widukinds in diesem Jahre, sondern auch die des Jahres 968 wider. Dagegen stehen die Zusätze von 973 im wesentlichen für sich allein; als sie geschrieben wurden, ist es (von einer Stelle abgesehen) zu einer neuen Bearbeitung des ganzen Werkes nicht gekommen. Ehe wir uns nun mit der politischen Haltung Widukinds genauer beschäftigen, wird es zweckmäßig sein, sich noch über zwei Schwierigkeiten klar zu werden, die einer ganz einwandfreien Erkenntnis dieser Haltung im Wege stehen. Nicht wenig von dem, was Widukind berichtet, ist uns nur durch seine Erzählung bekannt, und über manches andere geben andere Quellen nur unzulänglichen Aufschluß. Das bedeutet: in vielen Fällen fehlt uns die Möglichkeit, das, was Widukind sagt, zu kontrollieren. Nun kann man zwar im allgemeinen in dem, was er sagt, und aus der Art, wie er berichtet, selbst erkennen, welche Haltung er gegenüber den Dingen, über die er spricht, einnimmt. Aber es ist wohl keine Frage, daß diese Erkenntnis durch größere Kontrollmöglichkeiten häufig noch erweitert und vertieft werden könnte. Es ließe sich dann sicher leichter feststellen, wo Widukind etwa übertreibt oder verschweigt, wo er tendenziös ist und die Tatsachen färbt, kurz, seine Parteinahme und damit sein politischer Standpunkt würde deutlicher zu entdecken sein. D a uns diese Möglichkeiten vielfach fehlen, so müssen wir uns damit bescheiden, daß wir Widukinds Haltung nur recht unvollständig zu erkennen vermögen. Fast noch wichtiger ist etwas anderes. In der Vita Mathildis antiquior findet sich ein Bericht über die erste Begegnung zwischen Heinrich I. und seiner Braut Mathilde; sie ist mit den Worten beschrieben, mit denen Vergil in der Aeneis Turnus und Lavinia schildert 17 , und man hat Grund zu vermuten, daß der Verfasser der Vita sich wenig Gedanken darüber macht, wie7 weit es in der Wirklichkeit begründet ist, daß er seine Schilderung aus Vergils Versen entlehnt. In derselben Vita Mathildis wird behauptet, Otto der Große habe sein Kaisertum einem Soldatenaufstand verdankt. Man weiß, daß das in keiner Weise den Tatsachen entspricht; aber der Verfasser hat es wörtlich und sinnlos von Sulpicius Severus, der so etwas über den Kaiser Maximus sagt, abgeschrieben. Ähnliche Beobachtungen kann man bekanntlich bei mittelalterlichen Geschichtschreibern recht oft machen. Nicht bloß, daß sie sich in ihrem Wortschatz und in ihrer Phraseologie nach antiken Vorbildern richten. Sie schließen sich auch nicht selten in der Ausmalung bestimmter Szenen und Tatsachen so eng an ihre antiken Muster an, daß dadurch eine völlige Verfälschung der Wirklichkeit zustande kommt. Aber nicht bloß das antike Vorbild kann in dieser Richtung wirken. In der Vita Mathildis antiquior hat bei der Beschreibung der Brautwerbung Heinrichs I. offenbar nicht bloß Vergils Aeneis als Muster gedient. Die Werbung spielt sich ganz unverkennbar in der Weise ab, wie nach den mittelalterlichen Spielmannsepen eine 17
D e n Nachweis dafür und für das, was im folgenden über die lateinischen Vorbilder der Vita Mathildis gesagt wird, hat Ph. Jaffe in der Einleitung zur Übersetzung der Vita in den Geschichtschreibern der deutschen Vorzeit erbracht.
D i e politische Haltung Widukinds von Korvei
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spannungsreiche und romantische fürstliche Werbung vor sich zu gehen pflegte. Der Verdacht liegt nahe, daß sich der Verfasser der Vita hier weniger von historischer Treue als von dem bewährten Schema der Spielmannslieder hat leiten lassen. Jedenfalls ist zu sagen: auch der Stil und die Art germanischer Vorbilder konnte störend und umgestaltend in die mittelalterliche Geschichtschreibung eingreifen. Doch ob es sich nun mehr um antike oder mehr um germanische Einflüsse handelte - für unsere Überlegungen ist es jedenfalls wichtig, daß der Historiker unter Umständen seine Selbständigkeit und seine eigene Auffassung von den Dingen einem fremden stilistischen Vorbild zum Opfer bringt. Nun lehnt sich aber auch Widukind in seiner Wortwahl und in seinem Stil sehr eng an antike Vorbilder an 1 8 , und in vielleicht noch stärkerem Maße machen sich Einflüsse germanischer Heldendichtung und germanischer Spielmannslieder in seinem Werke bemerkbar 19 . Da liegt der Verdacht von vornherein nahe, daß das fremde Vorbild mitunter auch bei ihm an die Stelle der eigenen Anschauung und Auffassung tritt 20 . Das braucht sich aber nicht bloß auf einzelne Szenen und Tatsachen zu beziehen, wie wir sie eben in der Vita Mathildis kennengelernt haben. Wenn der Stil so stark auf das Materielle der Erzählung einzuwirken vermag, daß er einzelnen historischen Vorgängen unter Umständen eine völlig andere Gestalt gibt, als sie der Wirklichkeit entspricht, so wird man mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß der Stil den Geschichtschreiber auch in dem Maße überwältigt und gefangenhält, daß er ihn in größeren Zusammenhängen, in seiner Geschichtschreibung im ganzen hindert, seine eigenen Anschauungen zu sagen, und ihn zwingt, so zu reden und so darzustellen, wie es eben einem bestimmten Stil entspricht. Zu entscheiden, ob und wieweit es so ist, hängt natürlich von den Kontrollmöglichkeiten ab, die wir besitzen; es dürfte meist nicht leicht sein, eine Entscheidung zu fällen. Aber man wird gut tun, sich von vornherein darüber klar zu sein, daß die politische Haltung Widukinds, die wir aus seiner Sachsengeschichte kennenlernen, die des Historikers Widukind ist, und daß sie vielleicht in mancher Hinsicht von der des Menschen und Politikers erheblich abweicht. Wenn oben gesagt wurde, in einem mittelalterlichen Geschichtswerk haben wir die politische Haltung seines Verfassers unmittelbar vor uns, so ist das mit der eben entwickelten Einschränkung zu verstehen; diese politische Haltung erscheint filtriert und unter Umständen verändert durch das Medium der Geschichtschreibung. 18
D a s ist sehr häufig erkannt und betont w o r d e n ; vgl. dazu e t w a Wattenbach und Manitius a. a. O., Hirsch S. XIII f.
19
V g l . dazu Hirschs Einleitung S. X V I I und die dort zitierte Literatur. W . Gundlach, H e l d e n lieder der deutschen Kaiserzeit I ( 1 8 9 4 ) , S. 112 hat denn auch mit Recht Widukind als Spielmann in der Kutte bezeichnet.
20
Bezeichnend für die Art, in der sich die Einflüsse germanischer Dichtungen unter Umständen bemerkbar machen können, ist z. B. die Schilderung der Lechfeldschlacht durch Widukind, III cap. 4 4 ff. S. 123 ff. Sie wird an ihrem Höhepunkt plötzlich durch einen anscheinend in keiner W e i s e dahin gehörenden Bericht über Vorgänge in Sachsen unterbrochen. Man hat früher in dieser Unterbrechung einen Fehler in der Komposition oder Überlieferung, etwa einen späteren E i n schub, gesehen. Aber Bloch dürfte doch das Richtige treffen, wenn er in dieser Unterbrechung die Technik des Spielmanns erkennt, der dadurch die Spannung erhöhen will. Man sieht wohl ohne weiteres, wie schwer solche Feststellungen zu machen sind, und wie unsicher sie bleiben.
21
Lintzel Bd. II
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Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
Die politischen Anschauungen Widukinds sind in der außerordentlich umfangreichen Literatur, die es über seine Sachsengeschichte gibt, schon manchmal erörtert worden. Vor allem Köpke hat ihnen eine sehr eingehende Untersuchung gewidmet, und auch Bloch hat sich ziemlich genau mit ihnen befaßt 2 1 . Aber trotz dieser Erörterungen, und obgleich man sich im ganzen über die Grundhaltung Widukinds wohl nie völlig geirrt hat, bleibt doch noch manches zu klären und zu ergänzen. Im folgenden möchte ich einige Gesichtspunkte herausgreifen, die mir dafür wesentlich zu sein scheinen 22 . 2. (Widukinds
religiöse
Anschauungen)
In Kap. 33 und 34 des ersten Buches erzählt Widukind von dem Schutzheiligen von Korvei, dem heiligen Veit. Er behauptet, seit der Übertragung seiner Reliquien aus Gallien nach Korvei sei das westfränkische Reich vom Glück verlassen; innere und äußere Kriege hätten dort seitdem nicht aufgehört; dagegen habe St. Veit Sachsen beständigen Frieden gebracht; während die Macht des fränkischen Reiches zurückging, sei die des sächsischen gewachsen. Man hat danach behauptet 2 3 , und Widukinds Worte scheinen es zu bestätigen, daß es nach seiner Ansicht der Korveier Schutzheilige gewesen ist, der den sächsischen Stamm groß gemacht hat. Widukind kommt im dritten Buch noch einmal auf den heiligen Veit zu sprechen 2 4 ; dort wird erzählt, daß König Otto während einer Krankheit seine Hilfe angerufen habe und durch sie genesen sei. Das ist das einzige Mal, daß der Klosterheilige nach dem Lobpreis, der ihm im ersten Buch gespendet wird, wieder auftritt 25 . Sonst ist von ihm nirgends die Rede. Nirgends wird ein Wunder des heiligen Veit erzählt, an keinem Punkte der Geschichte, an dem es um den Bestand oder den Sieg des Sachsenvolkes geht, wird er angerufen oder greift er ein. Mit welchen Mitteln die Größe und die Macht des sächsischen Stammes errungen und behauptet worden sind, beschreibt Widukind, wie wir noch sehen werden, recht ausführlich Aber der heilige Veit spielt dabei keine Rolle. Man gewinnt den Eindruck, daß Widukind mit seiner Behauptung, die Macht und das Aufblühen des Sachsenvolkes hänge mit St. Veits Translation zusammen, ihm nur eine etwas überschwengliche literarische Huldigung erweisen, aber nicht etwa ein Glaubensbekenntnis oder eine Überzeugung aussprechen wollte. Es ist offensichtlich der Stil der Hagiographie, der hier in Widukinds Erzählung durchbricht und ihn Ansichten sagen läßt, mit denen er sonst in keiner Weise ernst macht. 21
22
23 23
Vgl. R. Köpke, Widukind von Korvei (1867) und den oben Anm. 15 zitierten Aufsatz von Bloch. Es kommt mir dabei nur darauf an, die Haltung Widukinds gegenüber einigen politischen Problemen seiner Zeit zu charakterisieren; Vollständigkeit erstrebe ich nicht. Vor allem liegt es mir hier fern, die Fragen näher zu untersuchen, die sich aus der Art ergeben, wie Widukind politische Vorgänge historiographisch darstellt; diese Dinge gedenke ich in einem größern Zusammenhang zu erörtern. 24 Vgl. Hirsch S. XX, auch Köpke S. 7. Vgl. III cap. 62, S. 137. D i e Erwähnung in III cap. 2 S. 106 führt den heiligen Veit nicht als handelnd auf und bezieht sich nur auf das in I cap. 34 Gesagte.
D i e politische Haltung Widukinds von Korvei
323
Nicht viel mehr als von den Wundern des heiligen Veit wird in der Sachsengeschichte von anderen Zeichen und Wundern und übernatürlichen Dingen gesprochen. Man hat schon oft festgestellt, d a ß sich Widukind durch eine nüchterne, 10 man möchte sagen rationalistische Art, die Welt zu sehen, auszeichnet 2 6 . D i e Alraunen und bösen Geister, die er in Jordanes' Erzählung vom Ursprung der Hunnen findet, verwandelt er in sehr natürliche Menschen und eine Hirschkuh 27 . Wunderbare Naturereignisse, die zu seiner Zeit vorkamen, wie Kometen, Meteore, feuerspeiende Berge usw., erwähnt er zwar hin und wieder; aber er macht nicht viel daraus und behandelt sie mit einer f ü r die Wunderfreudigkeit des zehnten Jahrhunderts, wie sie uns etwa bei Liudprand und in der Vita Mathildis entgegentritt, erstaunlichen Skepsis und Zurückhaltung. D a ß solche Naturerscheinungen Zeichen des Himmels sein können, gibt er zu. Aber er legt weiter keinen Wert darauf, und die Frage, was sie nun eigentlich anzeigen und wie sie zu deuten sind, erörtert er mit auffälliger Freiheit und Gleichgültigkeit 28 . Erheblich häufiger als vom heiligen Veit und anderen Heiligen, von Wundern und Kometen ist in der Sachsengeschichte von Gott die Rede. Aber auch damit hat es eine eigentümliche Bewandtnis. Ein paarmal taucht in Widukinds Erzählung Wort und Begriff der fortuna, des Glückes, des Schicksals auf; am stärksten an der Stelle, an der er berichtet, wie Heinrich I. 923 erfährt, d a ß Karl der Einfältige gestürzt und gefangen s e i 2 9 ; nachdem Widukind noch eben gesagt hat, daß, indem Heinrich siegte, die fortuna dem Tapferen geholfen habe, meint er, Karl sei durch Frömmigkeit wie durch Tapferkeit ausgezeichnet gewesen; aber das allgemeine Schicksal sei der Wechsel des Glücks. Gewiß wäre es eine völlig verfehlte Anschauung, wenn man auf G r u n d dieser Bemerkung oder auf Grund der Tatsache, d a ß Widukind überhaupt von der fortuna spricht, annehmen wollte, er habe in einem blind waltenden Schicksal den Herrn der Welt gesehen. Mag auch der Schicksalsbegriff dem christlichen Gottesbegriff widersprechen, so hat sich Widukind doch ohne Zweifel als frommer Christ gefühlt. Sehr oft, und sehr viel öfter als von der fortuna, ist in seinem Werk von Gott die Rede, davon, d a ß Gott alles lenkt, und d a ß ohne und gegen seinen Willen nichts geschieht; Gott schützt den König, er will nicht, d a ß er einer Verschwörung zum O p f e r fällt, oder aber auch, er schickt ihm Prüfungen, in denen er sich bewähren soll. Aber die Regierung der Welt durch Gott, die Widukind voraussetzt, bleibt 11 gewissermaßen unsichtbar. Wenn die Dinge geschehen, so geschehen sie zwar mit Gottes Willen. Aber sie geschehen, ohne d a ß man von seinem Eingreifen etwas merkt; es geht alles ganz natürlich zu. Gewiß, mit Gottes Willen siegen die Sachsen, aber sie siegen nicht durch ein Wunder, sondern dadurch, d a ß sie tapferer und klüger 2n 27 28
29
21»
Vgl. Köpke a. a. O. S. 70 ff.; Hirsch Vgl. I cap. 18, S. 28 f. Bezeichnend für seine Art ist, was er auf den Kleidern der Menschen sagt, das Ende der Königin Mathilde und cap. 74, S. 151. Vgl. I cap. 30, S. 42.
S
XIX.
III cap. 61 S. 136 f über die Erscheinung von Kreuzen oder die Art, wie er die Vision eines Einsiedlers über des Bischofs Bernhard von Halberstadt wiedergibt, III
324
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
sind als ihre Feinde oder auch durch einen glücklichen Zufall. Mit Gottes Willen gerät Otto in schwierige Lagen, aber nicht durch ein unmittelbares Eingreifen des Himmels, sondern durch einen wohlbegründeten Abfall seiner Gegner und ähnliche ganz natürliche Umstände. W i e oft durchbricht bei Liudprand von Cremona oder auch bei Hrotswith von Gandersheim ein göttliches Wunder die pragmatische Geschichtserzählung. Bei Widukind nie. Bezeichnend für seine Art ist sein Bericht über die Schlacht bei Birten 3 0 . Ein Teil von Ottos Truppen, der gegen seinen Bruder Heinrich und die abgefallenen Lothringer gezogen ist, ist über den Rhein gegangen; dort werden sie von übermächtigen Feinden angegriffen, ohne daß ihnen Otto, der mit der Hauptmacht am anderen Ufer steht und ihre Not sieht, zu Hilfe kommen kann, da Schiffe fehlen. Otto kann nicht kämpfen, er kann nur beten, und er tut es in einem Gebet, das Widukind mitteilt. Unterdessen kommt es am anderen Ufer zur Schlacht, und die Feinde werden geschlagen. Liudprand, der diese Geschichte auch erzählt, bringt den Sieg ganz unverkennbar in einen Kausalzusammenhang mit Ottos G e b e t 3 1 . E r läßt ihn sein Gebet vor der heiligen Lanze verrichten; und wenn er auch der Tapferkeit von Ottos Heer ihr Recht werden läßt, so erscheint doch die Flucht seiner Feinde als Wunder, und Liudprand betont ausdrücklich, daß die Gegner des Königs stets vor der heiligen Lanze erschrocken und geflohen seien. In der T a t : das Gebet des Herrschers auf dem einen Ufer des Rheins und der Sieg seiner dem Feind an Zahl unterlegenen Truppen auf dem anderen Ufer - diese Vorgänge mußten geradezu eine Aufforderung an den Geschichtschreiber sein, ein Wunder anzunehmen und zu berichten. Trotzdem ist bei Widukind davon nichts zu finden. D e r König betet; aber der Sieg der Seinen hat höchst reale Gründe: ein Fischteich, der den Ansturm der Feinde hemmt, und ein geschicktes Umgehungsmanöver geben den Ausschlag. Wie Widukind sich das Wirksamwerden von Gottes Willen in der Geschichte vorstellt, sagt er nicht; es mag sein, daß er sich nicht viel Gedanken darüber gemacht 12 hat. Es mag auch sein, daß er sich über die Vereinbarkeit seines Schicksalsbegriffes mit seinem Gottesbegriff nicht viel Gedanken gemacht hat. Aber so viel ist sicher: Gott erscheint im allgemeinen bei Widukind wenig nahe und wenig persönlich; in seiner Weltenferne und Unerkennbarkeit scheint er sich doch wieder dem unpersönlichen Schicksal zu nähern, wobei die Frage offenbleiben mag, wieweit der Begriff der fortuna, des Schicksals, bei Widukind durch Reminiszenzen an die antike Literatur und vor allem an germanische Vorstellungen bestimmt worden ist. Nach Widukinds Anschauungen oder wenigstens nach seinen Worten ist Karl der Einfältige ins Unglück geraten, obgleich er tapfer und fromm war; das Schicksal ist blind, es fragt nicht nach Verdienst, es lohnt und straft nicht. Eine ähnliche Auffassung aber scheint Widukind auch auf seinen Gottesbegriff zu übertragen. Sowenig er das Eingreifen Gottes in den Lauf der Geschichte sichtbar macht, sowenig erscheint sie bei ihm als Gericht Gottes. Nach Liudprands Anschauung etwa ist die Geschichte eine Antapodosis, eine Vergeltung Gottes für gute und für böse Taten; 30
Vgl. II cap. 17, S. 81 f.
31
Vgl. Liudprands Antapodosis IV cap. 24, Die Werke Liudprands von Cremona, hrsg. von J . Becker in SS. rer. Germ, in us. schol. ( 1 9 1 5 ) , S. 117 f.
D i e politische Haltung Widukinds von Korvei
325
bei Widukind ist davon, daß Erfolg und Mißerfolg moralisch begründet seien, nichts zu spüren. Glück und Sieg erscheinen nicht als Folge der Tugend, Unglück und Niederlage nicht als Folge der Sünde. Aber noch mehr. Widukind zeigt überhaupt ganz allgemein in den Fragen der moralischen Beurteilung und Bewertung sowie besonders der christlichen Sittlichkeit eine auffallende Spröde. Man hat schon häufig beachtet und betont, daß Widukind sehr oft ohne Hemmungen und ohne Tadel über Taten berichtet, die nach christlichen und auch nach nichtchristlichen Sittlichkeitsbegriffen verwerflich sind 32. Er erzählt die erstaunlichsten Untaten, Verrätereien und Morde, ohne Bedenken zu äußern; ja er scheint in ihnen mitunter Heldentaten zu sehen. Man hat für diese Einstellung Widukinds seinen sächsischen Stammesstolz verantwortlich gemacht. Die fragwürdigen Taten, die er lobt oder doch nicht verurteilt, seien Taten der Sachsen gewesen, und was die Sachsen tun, erscheine ihm als recht und gut 33 . Aber tatsächlich macht sich die moralische Indifferenz Widukinds nicht bloß gegenüber den Taten der Sachsen bemerkbar. Genauso gleichgültig verhält er sich auch gegenüber den bedenklichen Taten des Thüringers Iring 34 oder des Franken Hatto oder des Lothringers Iramo 35. So wenig wie über die Sachsen entrüstet er sich jemals über die Unmoral anderer 13 Völker und Männer. Wir werden in einem anderen Zusammenhang noch deutlicher festzustellen haben, daß ein Grundzug von Widukinds Haltung seine Sachlichkeit ist, und daß diese Sachlichkeit zum guten Teil von der Haltung des Epikers diktiert sein dürfte: er erzählt, aber er wertet nicht 36 . Doch es handelt sich bestimmt nicht bloß darum. Widukind sagt einmal, er wolle zu gewissen Beschuldigungen gegen Friedrich von Mainz nicht Stellung nehmen: qui iudicat Dominus est37. Aber mag nun Widukind seine Zurückhaltung mit dem christlichen Standpunkt: richtet nicht, oder, daß nur Gott ins Herz sieht, begründen oder nicht, sicher ist, daß er sich der Problematik sittlicher Wertungen und Maßstäbe bewußt ist. Zwar wendet er solche Maßstäbe gelegentlich an. So sagt er etwa, daß im Bürgerkrieg von 938/39 Recht und Unrecht verwirrt gewesen seien 38, oder daß Thankmar in der Wahl seiner Mittel nicht gerade wählerisch war 3 9 ; er betont oft, daß es unrecht sei, sich gegen den König zu empören 40, oder er preist an Friedrich von Mainz 41 und der Königin Mathilde bestimmte christliche Tugenden 42 . Aber er weiß, daß es Konflikte gibt, in denen sich entgegengesetzte Pflichten gleichberechtigt gegenüberstehen, und in denen darum 32 33 35 36
37 39 38 40 41 42
Vgl. Hauck a. a. O. S. 311 ff, auch Köpke a. a. O. S. 6. 34 So etwa Hauck a. a. O. Vgl. I, cap. 13, S. 22 f. Über Hatto vgl. I cap. 22, S. 30 ff. und unten Anm. 43, über Immo II, cap. 28, S. 89 ff. D a ß Widukind seine moralische Vorurteilslosigkeit mit den germanischen Heldenliedern gemein hat, betont z . B . schon Bloch, S. 126, Anm. 3. Vgl. III cap. 15, S. 112. Vgl. II cap. 10, S. 74. Vgl. II cap. 11, S. 76. D a s wird mehrfach hervorgehoben. Vgl. II cap. 13, S. 78 und III cap. 15, S. 112, dazu auch III, cap. 13, S. 111 und cap. 27, S. 117. Vgl. III c*p. 74, S. 150 f.
326
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
Recht zum Unrecht wird und umgekehrt. Am bezeichnendsten für diese Anschauung ist wohl das Urteil, das er über den Verrat Hattos von Mainz an Adalbert von Babenberg fällt: Hac igitur perfidia quid nequius? Attamen uno capite caeso multorum capita populorum salvantur. Et quid melius eo consilio quo discordia dissolveretur et pax redderetur i3? u Mit diesen Beobachtungen hängt noch etwas anderes zusammen. Wie bemerkt, hebt Widukind an einigen der Personen, die in seiner Erzählung auftauchen, ihre christlichen Tugenden hervor. Er lobt an Friedrich von Mainz seine Festigkeit im Gebet, seine Predigt und sein Eremitenleben; er preist an der Königin Mathilde ihre Frömmigkeit und Freigebigkeit 44 ; er sagt einmal, das Beste, was er an Markgraf Gero zu rühmen habe (und er hat viel Gutes zu sagen), sei sein Eifer in kirchlichen Dingen 4 5 . Aber es ist doch ganz unverkennbar, daß die eigentlich christlichen Tugenden wie Demut, Milde, Friedfertigkeit, Nächstenliebe oder gar mönchisch asketische Züge in Widukinds Betrachtungsweise sehr zurücktreten. Gewiß, sie dienen bisweilen als Maßstab; aber, weit davon entfernt, ein ausschließlicher Maßstab zu sein, sind sie keineswegs der hervorragendste. In seiner Charakteristik der Mathilde betont Widukind, daß sie mit all ihrer Demut ihrer königlichen Würde nichts vergeben habe 46 . Das ist bezeichnend für ihn. Neben den christlichen Werten stehen die mehr menschlichen, wenn man so will, mehr ritterlichen und politischen Werte. Meistens bilden aber sie allein den Maßstab der Beurteilung. Wenn auch in manchen von Widukinds Charakteristiken die Frömmigkeit eine Rolle spielt, so wird sie doch meistens gar nicht erwähnt. Man sehe sich seine Persönlichkeitsschilderungen durch: Tapferkeit, Weisheit, Würde, Treue, Freigebigkeit, Gerechtigkeit, das sind die wesentlichsten Merkmale, die er immer wieder hervorhebt. In der ausgedehntesten Charakteristik, die er gibt, der Ottos des Großen 47 , spielen christlich-kirchliche Züge eine recht geringe Rolle; in den immerhin auch leidlich eingehenden Schilderungen Heinrichs I. 48 , Heinrichs von Bayern 49 , Konrads des Roten 50 , Liudolfs 51 , Hermann 43
44 45 46
47 48 49 50 51
Vgl. I cap. 22, S. 33. Dieser Satz steht nur in der Handschriftengruppe B. G. Krabbel, Hat Widukind seinen res gestae Saxonicae die Form, in welcher wir sie heute besitzen, selbst gegeben? Abhandl. über Korveier Geschichtschr., 2. Reihe hrsg. von F. Philippi (1916), S. 195 ist ebenso wie J. Raase, Widukind von Korvei, Diss. Rostock 1880, S. 16 f der Ansicht, daß der Satz nicht von Widukind, sondern einem späteren Interpolator stammt, da die Frage, die er enthält, nicht zu Widukinds Stil und auch nicht zu seiner Haltung passe. Daß die Fassung B von Widukind stammt, ist heute allgemein anerkannt und unbestreitbar. Gegen den angezweifelten Satz aber lassen sich auch keinerlei Bedenken erheben; einmal stimmt er inhaltlich völlig zu dem, was Widukind kurz vorher, auch in B S. 31, über Hatto sagt: qui difficile discerneretur melior consilio forei an peior; außerdem entspricht er gerade ausgezeichnet der Haltung, die Widukind sonst auch einnimmt. Vgl. Anm. 41 und 42. Vgl. III cap. 54, S. 133. Vgl. III cap. 74, S. 151. Schon Bloch betont S. 126 f , daß sich bei Widukind die christliche Sitte nur als dünne Schicht über germanisches Empfinden gelegt habe. Vgl. II cap. 36, S. 96 f Vgl. I cap. 39, S. 58 f. Vgl. II cap. 36, S. 97. Vgl. vor allem III cap. 44, S. 124. Vgl. II cap. 51, S. 100 und III cap. 57, S. 135.
327
Die politische Haltung Widukinds von Korvei Billungs
52
, ja selbst des Erzbischofs Brun
53
werden sie überhaupt nicht genannt. In
dem Zusammenhang wird man auch daran erinnern dürfen, d a ß Widukind
die
Frage, ob sich seine Helden einen Platz im Himmel erwerben (von zwei Ausnahmen abgesehen)
54
, niemals untersucht. D i e Taten im Diesseits werden nicht, wenigstens
nicht ausdrücklich, unter dem Gesichtspunkt des Lohnes im Jenseits beurteilt. Widukind
redet
am
Schluß des zweiten Buches von den
Versuchen
einiget
Bischöfe, besonders Friedrichs von Mainz, die Klöster zu reformieren, und dort, offenbar nach dem Vorbild der bekannten
Cluniazensischen und
Reformideen, strengere Zucht und Askese durchzuführen
5S
Lothringischen
. D e r Korveier Mönch
ist auf diese Versuche sehr schlecht zu sprechen; Friedrich von Mainz wirft er (trotz der Hochachtung, die er sonst vor ihm hat) gehässige Motive vor, und er meint, man habe bei dem Vorgehen gegen die Klöster das neutestamentliche W o r t vom Unkraut unter dem Weizen vergessen. E s ist zu vermuten, d a ß Widukind selbst von den Anhängern der Reform zum Unkraut gerechnet wurde. Jedenfalls zeigt nicht nur diese Stelle, an der er die Reform ausdrücklich ablehnt, sondern sein ganzes W e r k , daß er den im zehnten Jahrhundert wiederaufkommenden und langsam die Klöster erobernden Idealen des konsequenten Mönchtums sehr fernsteht. In seiner sittlichen und religiösen Haltung erscheint er mehr als sächsischer Edling denn als Mönch. 3. (Stellung
zur
Kirche)
Sowenig sich Widukind als ein Eiferer für kirchliche Frömmigkeit
und E t h i k
erweist, sowenig zeigt er ein tieferes Interesse für die Organisation, die Herrschaft und die Politik der Kirche und ihrer Diener. Bekannt und oft hervorgehoben ist die Tatsache, d a ß in Widukinds Geschichtsbild das Papsttum kaum einen Platz hat. G e w i ß weiß er von seiner Existenz, er erwähnt die römische Kirche, und er nennt einige Päpste mit Namen
56
. A b e r sie
erscheinen fast immer nur nebenbei; ein besonderer W e r t wird auf die Rolle, die sie in der Geschichte gespielt haben, nicht gelegt. V o r allem jedoch spielen sie gar keine Rolle in dem, was Widukind über die Verfassung und das Leben der K i r c h e seiner Zeit sagt oder andeutet. D i e summi
pontifices
sind für ihn die Erzbischöfe
57
; daß
über ihnen der Papst steht, kommt mindestens nicht in Betracht; von seinem E i n greifen ist denn auch höchstens in früheren Jahrhunderten 52 53 54
51 56 51
55
58
, im zehnten Jahrhundert
Vgl. III cap. 24, S. 116, auch III cap. 75, S. 152. Vgl. II cap. 36, S. 97, auch I cap. 31, S. 43 f Diese Ausnahmen bilden die Königin Mathilde und Bischof Bernhard von Halberstadt, vgl. III, cap. 74, S. 151 Vgl. II cap. 37 und 38, S. 98 f. Vgl. I cap. 8, S. 10; cap. 16, S. 26; II cap. 11, S. 76. Es wird immer wieder, so zuletzt bei Hirsch, S. XIX, Anm. 1, behauptet, Widukind verstehe unter dem summus pontifex den Erzbischof von Mainz. Das ist aber, wie schon Bloch a. a. O S. 130 bemerkt hat. nicht richtig; auch Brun von Köln wird I cap. 31, S. 43 f. als summus pontijex bezeichnet. So erwähnt Widukind I cap. 8, S. 10, daß Gregor d. Gr die Angelsachsen bekehrt habe.
328
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
jedenfalls nicht die Rede. In der Geschichte Heinrichs I. und Ottos des Großen wird in der ersten und zweiten Fassung der Sachsengeschichte ein Papst überhaupt nicht genannt; erst in den Zusätzen von 973 wird erwähnt, daß Otto II. durch den Papst zum Kaiser gekrönt worden ist 59 . Aber so fern dem Korveier Mönch Rom und das Papsttum liegen, nicht viel weniger fremd und fern ist ihm der deutsche Episkopat. Man hat schon oft darauf hingewiesen, daß Widukind über die Gründung der Slawenbistümer durch Otto den Großen nicht ein Wort verliert. Seitdem man weiß, daß die Sachsengeschichte im wesentlichen schon 958 geschrieben worden ist, büßt dieses Schweigen zwar etwas an Auffälligkeit ein, denn die bedeutendsten Slawenbistümer sind erst 968 gegründet. Außerdem wird man zur Erklärung von Widukinds Schweigen über diese Gründungen darauf hinweisen müssen, daß er für organisatorische Einrichtungen und Zustände auch auf weltlichem Gebiet nur sehr geringes oder gar kein Interesse zeigt: die Einrichtung der slawischen Marken etwa oder die Zerschlagung des sächsischen Herzogtums und ähnliches mehr übergeht er gleichfalls mit Stillschweigen. Aber wenn sich damit auch Widukinds Schweigen über die kirchlich-organisatorischen Maßnahmen an der Slawengrenze einigermaßen erklären läßt, um so auffälliger ist sein Schweigen auch über die Männer, die die Kirche an der Slawengrenze vertreten haben, die Bischöfe, die Missionare und ihre Tätigkeit. Sagt Widukind auch nichts über Herzogtümer und Markgrafschaften, so sagt er doch um so mehr über Herzöge und Markgrafen. Wieviel erzählt er von Hermann Billung und Markgraf Gero und ihren Taten im Slawenland. Über die Geistlichen, die dort wirkten, verliert er kein Wort. Und ebensowenig deutet er an, daß die Motive und das Ergebnis der Slawenkriege die Christianisierung der Slawen war: weder von den Missionaren noch von der Slawenmission erfährt man bei Widukind etwas 60 . Wir wissen aus späterer Zeit, daß in der sächsischen Aristokratie die Mission unter den Slawen nicht gerade beliebt war. Sie entzog dem kriegerischen Adel ein Ausbeutungsobjekt; sowie die heidnischen Slawen Christen wurden, hatte man weniger Berechtigung, gegen sie zu Felde zu ziehen, und weniger Möglichkeit, ihnen Beute und Tribute abzunehmen. Die Bekehrung stellte die Slawen wenigstens kirchlich auf eine Stufe mit den Sachsen. Ähnliche Gesichtspunkte scheinen schon in der Zeit des Bonifaz und Karls des Großen wirksam gewesen zu sein; man wollte damals wohl den stammverwandten Germanen, nicht aber den stammfremden Slawen das Christentum bringen. Sollte sich hinter Widukinds Schweigen über die Slawenmission eine Ablehnung verbergen, die auf ähnlichen Vorstellungen beruhte? Wir wissen es nicht. Aber die Meinung, daß es so ist, könnte darin eine Stütze finden, 59 60
Vgl. III cap. 70 und 76, S. 147 und 153. Das hat schon Köpke S. 9 f. betont. Der Gedanke des Glaubenskrieges spielt bei Widukind, mindestens in den Slawenkämpfen, nicht die geringste Rolle. Das einzige, was er in der Richtung sagt, ist in III cap. 68, S. 143 die Bemerkung über die Zerstörung des „Saturnbildes" bei den Slawen durch Herzog Hermann; aber auch das ist für Widukind nur ein magnum spectaculum und nicht eine missionarische Tat. Vgl. auch C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens (1935), S. 92 ff.
Die politische Haltung Widukinds von Korvei
329
daß er im Gegensatz zur Slawenmission die Dänenmission, die doch sehr viel unbedeutender war, erwähnt 61 . Doch wie sich das auch verhalten mag, sicher ist, daß der Gedanke der Mission und Christianisierung überhaupt in Widukinds Anschauungen keine große Rolle spielt. Die Dänen sind für Widukind seit alter Zeit Christen, obgleich er weiß und ausdrücklich betont, daß sie außer Christus auch ihre alten Heidengötter verehren 6 2 . Damit legt er eine für einen Mönch merkwürdige Toleranz an den Tag, die an die Anschauungen eben bekehrter, noch halb heidnischer Germanenvölker erinnert. Aber noch mehr. Widukind weist darauf hin, daß die Angelsachsen von Papst Gregor dem Großen bekehrt sind 6 3 . Doch bei diesem kurzen Hinweis bleibt es. So viel er sonst von den Angelsachsen und ihren Taten in England nach dem erzählt, was er darüber in Bedas Kirchengeschichte fand, über die Bekehrungsgeschichte, die er doch gleichfalls bei Beda finden konnte, verliert er weiter kein Wort. Ähnlich steht es mit der Bekehrung der Sachsen selbst. Widukind sagt, daß sie durch Karl den Großen erfolgt is sei 6 4 . Aber etwas Näheres sucht man bei ihm vergebens. Von der Geschichte der Bekehrung, den Missionaren, den neuen Heiligen, der Gründung von Bistümern und Klöstern wird nichts gesagt. Die Tatsache der Christianisierung wird fast bloß registriert und jedenfalls mit ein paar Worten abgetan. Widukind meint wohl hin und wieder, daß die Sachsen, ehe sie Christen wurden, sich in Irrtum und Irrglauben befanden ° 5 . Aber irgendwie maßgeblich ist dadurch ihr Bild für ihn nicht bestimmt. Er liebt und schätzt seine heidnischen Vorfahren genauso wie seine christlichen. E r erzählt von jenen und ihren Heldentaten genauso gern und ausführlich wie von diesen. Er beklagt ihr Heidentum nicht, und er jubelt nicht über ihre Bekehrung. Davon, daß nach seiner Auffassung etwa seine heidnischen Vorfahren verdammt und die christlichen erlöst waren, ist nichts zu merken; neue Menschen sind für ihn die Sachsen mit der Taufe nicht geworden, oder mindestens wird nicht gesagt, daß sie es geworden sind. Ein ähnliches Verhältnis aber, wie Widukind zur Mission an der Slawengrenze und unter Sachsen und Angelsachsen zeigt, legt er der Kirche gegenüber überhaupt an den Tag. Die Laien und ihre Taten, besonders ihre Kriege, stehen im Vordergrund, die Geistlichkeit und ihre Ideen verschwinden daneben. Wenn von Bischöfen und Abten die Rede ist, so fast immer nur, soweit sie wie Friedrich von Mainz oder Brun von Köln in weltliche Dinge verwickelt waren 6 6 . Im übrigen sagt Widukind von dem gesamten deutschen Klerus und insbesondere von dem sächsischen Episkopat und seinen Angelegenheiten so gut wie nichts. Bezeichnend für seine Einstellung ist, daß er von Mathilde von Quedlinburg zwar immer wieder betont, daß 61
62 64 65 66
So betont er I cap. 40, S. 59, daß Heinrich I. den Dänenkönig Chnuba zur Taufe gezwungen habe, und so erzählt er in III cap. 65, S. 140 f., daß die Dänen von alters her Christen gewesen seien, und berichtet ausführlich über das Wunder Poppos an Haralds Hof; von der Gründung der dänischen Bistümer spricht er freilich so wenig wie von der der slawischen. 6 3 Vgl. oben Anm. 58. Vgl. i n cap. 65, S. 140 . Vgl. I cap. 15, S. 25. Vgl. I cap. 12 und 14, S. 20 und 25. Auch darauf hat schon Köpke hingewiesen; vgl. auch Bloch S. 127, der mit Recht bemerkt, bei Widukind sei alles aus der Stimmung des Lagers aufgefaßt.
330
Zur Geschichtschrcibung des zehnten
Jahrhunderts
sie eine kaiserliche Prinzessin sei, daß er aber von ihrer geistlichen Stellung überhaupt keine Notiz nimmt. Dieser Haltung entspricht es schließlich, daß er den Erzbischof Brun, der sich am ausgiebigsten von allen Bischöfen seiner Zeit den staatlichen Geschäften hingab, deshalb ausdrücklich verteidigt: auch Samuel sei Priester und Richter zugleich gewesen 6 7 . Man muß sich indessen hüten, die Folgerungen aus allen diesen Beobachtungen zu übertreiben. Widukind ist weder ein Gegner des Christentums und der Kirche noch vermutlich etwa des Papsttums gewesen. E r zeigt oft genug, daß er für die Ideen und Ideale des Christentums wie für seine Diener nicht bloß Verständnis, sondern auch Verehrung hegt 6 8 . Aber dieses Verständnis und diese Verehrung wirken im Rahmen von Widukinds sonstigen Anschauungen bisweilen etwas unorganisch, und sie bleiben jedenfalls im ganzen ein wenig kühl. Sein Geist ist mehr von weltlich-politischen als von kirchlichen Dingen erfüllt. Von diesen staatlichpolitischen Dingen her erhalten aber bei Widukind Kirche und Christentum, soweit sie überhaupt hervortreten, anscheinend ihren eigentlichen Platz. In seiner Huldigung für den heiligen Veit sagt Widukind nicht etwa, er habe christliche Tugenden und Lehren und den Weg zur ewigen Seligkeit gebracht, sondern er habe den Sachsen politische Macht und Größe geschenkt 6 9 . Sowenig dieser Gedanke wirklich durchgeführt ist, so ist er doch für Widukinds Stellung zum Christentum und zum Christengott bezeichnend. Auf Gottes Willen beruht, wie immer wieder betont wird, die Macht des Reiches, und auf seinen Geboten das Recht des Königs. Er schützt das Reich 7 0 , wer sich gegen den König empört, empört sich gegen G o t t 7 1 . Der Friede des Reiches gilt den Christen, das Schwert des Reiches trifft die Heiden und schlechten Christen 7 2 . Die Slawen und vor allem die Ungarn, die Erbfeinde der Sachsen und der deutschen Stämme, sind zugleich die Feinde G o t t e s 7 3 . Vor den beiden größten Entscheidungsschlachten, die Widukind schildert, den Ungarnschlachten bei Riade und auf dem Lechfeld, den Höhepunkten der Sachsengeschichte überhaupt, läßt er jedesmal den König eine Rede halten, in der er den Schutz Gottes gegen die Ungarn a n r u f t 7 4 ; und in beiden Schlachten läßt er die Fahne mit dem Bilde des Erzengels Michael vor dem Heere flattern 7 5 . Widukind sagt einmal im Anschluß an Einhards Vita Karoli, durch das Christentum seien Sachsen und Franken ein Volk geworden 7 6 . Damit ist die Funktion, die dem Christentum nach seiner Ansicht auf staatlich-politischem Gebiet zukommt, in der Tat am schlagendsten 07 88
fi9 70
71 72
'3 74 75
Vgl. I cap. 31, S. 43 f ; vgl. zu Mathilde von Quedlinburg auch Köpke, S. 56 f. Vgl. etwa seine Äußerungen über Friedrich von Mainz und die Königin Mathilde, oben Anm 41 und 42. Vgl. oben S. 3 2 2 ; vgl. auch K ö p k e S. 74. Besonders deutlich wird das etwa I cap. 38, S. 55 betont, wo die Sachsen von Gott vor den Ungarn gerettet werden wollen, und III, cap. 58, S. 136, wo es heißt: (Otto) de caetera, qui adhuc ordinavit Imperium suum, rectori omnium Deo fideliter commisit. Vgl. etwa III cap. 2, S. 104, III cap. 33, S. 119 f. Vgl. II cap. 1, S. 66. Vgl. etwa III cap. 32, S. 119, auch I cap. 38, S. 55. Vgl. I cap. 38, S. 55 und III cap. 46, S. 127. 7 0 Vgl. I cap. 15, S. 25 Vgl. I cap 38, S. 57 und III cap. 44, S. 125.
D i e politische Haltung Widukinds von Korvei
331
bezeichnet; das Christentum gibt dem Staate den letzten Rückhalt; in ihm wurzelt sozusagen das Staatsgefühl, das die Franken und Sachsen und überhaupt die deutschen Stämme verbindet, und das sie, besonders im Kampfe gegen die Heiden, zusammenhält. 4. (Stellung
zur
Dynastie)
In den Vorreden zu den drei Büchern seines Werkes redet Widukind von der jungen Kaisertochter Mathilde, der er die Sachsengeschichte widmet, mit der ausgesuchtesten Schmeichelei 77 . Das zwölfjährige Kind ist nicht bloß tugendhaft und ruhmreich, es strahlt auch durch Weisheit und ist als Herrin von ganz Europa bekannt; es ist der ehrwürdigste Glanz und der leuchtendste Edelstein, der in die Welt gekommen ist; im Text des dritten Buches heißt es einmal, daß Mathilde alles übertreffe, was Widukind zu sagen oder zu schreiben vermag 7 8 . Nicht weniger überschwenglich wird in den Vorreden der Kaiser selbst als Herr von Europa, dazu auch gleich noch von Asien und Afrika gefeiert. Er ist der einzige Maßstab der Gerechtigkeit und die Norm der Wahrheit. Aber solche unangenehmen Byzantinismen finden sich nur in den Vorreden oder an Stellen, an denen sich Widukind unmittelbar an die Kaisertochter und damit an das kaiserliche Haus wendet; die eigentliche Geschichtserzählung ist davon frei. Zwar ist keine Frage, daß Widukind als Anhänger Ottos und seines Königtums schreibt und verstanden werden will. Für das Recht der Krone tritt er immer wieder ein; wer vom König abfällt, fällt von Gott ab 7 9 ; daß die Verschwörer von 953 in ihren Eiden gegen den König verstrickt sind, geht auf die List des bösen Feindes zurück, der in diesem Zusammenhang das einzige Mal in der Sachsengeschichte genannt wird 80 . Saalfeld erscheint Widukind wegen der Verschwörungen gegen Otto, die von dort ihren Ausgang nahmen, als unheilvoller O r t 8 1 . Aber von einer Haltung, wie man sie nach den Vorreden erwarten möchte, ist Widukind trotzdem weit entfernt. Man wird vermuten dürfen, daß bei ihren Uberschwenglichkeiten in ähnlicher Weise, wie wir es schon bei seinem Lobpreis des heiligen Veit kennengelernt haben, der Zwang des Stils dem Verfasser einen Streich gespielt hat; die Absicht, 21 sich höfisch auszudrücken, hat Widukind erheblich über sein Ziel, und das, was er selbst sonst sagt und glaubt, hinausschießen lassen. Die junge Mathilde tritt in seiner Darstellung überhaupt nicht weiter auf; und davon, daß Otto etwa die Richtschnur der Gerechtigkeit und Wahrheit ist, hört man auch nichts wieder. Wie schon gesagt, gibt Widukind am Schluß des zweiten Buches eine ausführliche Charakteristik des Königs 82. Gewiß wird dort Otto sehr gepriesen, aber Widukind sagt doch kaum mehr als man nach dem Urteil der Geschichte verantworten kann, und den bombastischen Überschwang der Vorreden jedenfalls sucht man vergeblich. Man hat schon längst bemerkt, daß Widukind im allgemeinen keineswegs in Devotion vor dem König erstirbt 83 . Er erzählt seine Taten schlicht und 77 80 82
Vgl. S. 1 f., fil, 100 f Vgl. III cap. 18, S. 114. Vgl. II cap. 36, S. 96 f.
™ Vgl. cap. 12, S. 111. Vgl. III cap. 9, S. 109. 83 Vgl. etwa Kfipke a. a. O
79
Vgl. II cap. 25, S. 87 f
81
S. 58.
332
22
Zur Geschichtschreibung des zehnten
Jahrhunderts
ohne Übertreibung; so sehr er den Abfall vom König verurteilt, so ist er in seiner Anhänglichkeit an ihn doch alles andere als blind. Er scheut sich durchaus nicht, Fehler Ottos einzugestehen oder doch anzudeuten. So bemerkt er etwa, daß der König durch sein nachgiebiges Verhalten in Stela dem Aufstand von 938 selbst Nahrung gegeben h a b e 8 4 ; er deutet an, daß er seinen Unterhändler mit Herzog Eberhard, Erzbischof Friedrich von Mainz, grundlos desavouiert h a t 8 5 ; er bemerkt, daß Otto bei dem Aufstand 953 in Mainz den „König fast verloren" habe 86 , und er gibt zu erkennen, daß er die Maßnahmen Ottos im selben Jahr in Fritzlar für zu streng hält 8 7 . Noch deutlicher wird Widukinds Haltung, wenn man sich seine Stellungnahme zu den Freunden und Gegnern Ottos im einzelnen ansieht. Widukind hat in seiner Darstellung zwei große Aufstände gegen den König zu beschreiben. In dem ersten, der mit seinen Nachspielen von 938 bis 941 gedauert hat, war gegen Otto sein Bruder Heinrich mit den Herzögen Giselbert von Lothringen und Eberhard von Franken verbündet; im zweiten, von 953 bis 954, stand Heinrich auf der Seite Ottos, und gegen sie hatten sich Ottos Sohn Liudolf und sein Schwiegersohn Konrad der Rote erhoben. In beiden Aufständen nahm der Erzbischof Friedrich von Mainz eine zweifelhafte Haltung ein. Als Widukind im Jahr 958 die erste Fassung seiner Sachsengeschichte schrieb, waren außer Otto die Hauptbeteiligten an den Aufständen tot; Eberhard und Giselbert waren im Kampfe als Empörer gegen die Krone 939 gefallen; Friedrich, Konrad und Liudolf hatten, zwar von Otto unterworfen, aber doch nicht völlig mit ihm ausgesöhnt, in den Jahren 954 bis 957 ihr Ende gefunden; Heinrich von Bayern dagegen war nach dem großen Aufstand von 939 bis 941 der engste Freund seines Bruders geworden und als sein treuester und einflußreichster Verbündeter 955 gestorben. Nun ist ganz unverkennbar, daß Widukind von allen diesen Freunden und Feinden Ottos seinen Bruder Heinrich am wenigsten schätzt. Liudprand und Hrotswith etwa versuchen seine Mitwirkung bei dem ersten Aufstand zu beschönigen und zu entschuldigen; er sei von Herzog Eberhard oder vom Teufel verführt worden. Nichts davon bei Widukind. Im Gegenteil, er stellt ausdrücklich fest, daß es Heinrich war, der das Hauptinteresse an der Empörung hatte und der Herzog Eberhard zum Abfall beredete 8 8 , und ganz unverblümt wirft er Heinrich vor, den Mordanschlag von 941 gegen Otto geplant zu haben 89 . Aber auch in dem späteren Aufstand, in dem Heinrich auf der Seite seines Bruders stand, ist Widukinds Stellung zu ihm nicht viel freundlicher. Wenn auch zurückhaltend und ohne Werturteile, so doch deutlich genug, mißt er ihm die Schuld an der Verschärfung des Konflikts zwischen Otto und seinen Söhnen bei; ihm legt er verletzende Worte gegen Liudolf in den M u n d 9 0 ; von seiner aufgeregten, gehässigen Art sticht in Widukinds Darstellung das ruhige, vornehme Auftreten der Verschwörer vorteilhaft ab; und als in einer höhnischen 84 85 87
85 Vgl. II cap. 10, S. 74. Vgl. II cap. 25, S. 87 f. Vgl. III cap. 14, S. 111; vgl. dazu auch Köpke a. a. O. S. 58.
88 Vgl. III cap. 16, S. 112. Vgl. II cap. 12, S. 78 und cap. 15, S. 79. Vgl. II cap. 31, S. 92. "> Vgl. III cap. 10, S. 110; cap. 18, S. 114; cap. 32, S. 119.
89
D i e politische Haltung Widukinds von Korvei
333
Anrede Heinrich gegen Liudolf eine Art Gottesurteil herausfordert, da fällt dieses Urteil gegen den Bayernherzog aus 9 1 . In der Charakteristik der drei königlichen Brüder ringt sich Widukind zwar einige Worte der Anerkennung über Heinrich ab, aber er sagt doch sofort, daß er bei aller Festigkeit und Treue gegen Freunde als wenig gütig und leutselig galt 9 2 . Den Tod des Herzogs 955 erwähnt er nur nebenbei in einem halben Nebensatz und ohne ein Wort des Bedauerns 93 . Ganz anders stehen die Gegner des Königs da. Wenn auch ihr Aufstand grundsätzlich verurteilt wird, so wird doch keiner von ihnen unsympathisch gezeichnet oder irgendwie herabgesetzt. Schon Giselbert 9 4 und Eberhard 9 5 erscheinen in einem wesentlich günstigeren Lichte als Heinrich. Friedrich von Mainz wird immer wieder entschuldigt und die Reinheit seiner Gesinnung und seines Wollens betont 9 0 . Liudolf und Konrad aber erscheinen geradezu als die Lieblinge Widukinds 9 7 . Wenn er ihr Verhalten gegen ihren Vater auch nicht für richtig hält, so hebt er doch hervor, daß sie nicht aus schlechter Absicht gefehlt haben; sie waren vom Zwang der Not oder geradezu von edlen Motiven getrieben, und es fällt kein Schatten auf ihren Charakter. Die beiden Schwäger werden von Widukind mit mindestens der gleichen Liebe gezeichnet wie einer seiner sächsischen Lieblingshelden, der Markgraf Gero; beide preist er hoch, für beide läßt er von den Überlebenden die Totenklage anstimmen 98 . Besonders Konrad ist für Widukind einer der größten Helden seiner Zeit. Er rechnet ihm nicht bloß das Hauptverdienst am Sieg auf dem Lechfeld zu 98 , bezeichnend ist, daß er auch mit offensichtlicher Freude und Genugtuung den Löwenmut hervorhebt, mit dem Konrad 953 gegen die Lothringer, die Verbündeten König Ottos, kämpft 1 0 0 . 91 93 94
95
M
97
92 Vgl. III cap. 18 ff., S. 114 ff. Vgl. II cap. 36, S. 97. Vgl. III cap. 44, S. 124. D a ß Widukind Heinrich wenig schätzt, bemerkt schon Köpke S. 55. Vgl. I cap. 30, S. 43. Dort wird Giselbert als adolescens valde industrius, genere ac potestate, divitiis quoque clarus geschildert, den Heinrich I. durch Verwandtschaft wie durch Freundschaft an sich fesselte. Vgl. I cap. 26, S. 39, wo gesagt wird, daß Eberhard König Heinrich I. immer die Treue gehalten habe; II cap. 7, S. 72 heißt es von ihm: iocundus animo, affabilis mediocribus, largus in dando; so gut spricht Widukind von Heinrich von Bayern nie; daß in dem Aufstand von 939 Eberhard als der Verführte Heinrichs erscheint, wurde schon gesagt. II cap. 13, S. 78 wird er als optimus imprimis vir et omni religione probatissimus bezeichnet; II cap. 25, S. 87 erscheint er als friedliebend; III cap. 15, S. 112 wird ausdrücklich abgelehnt, über gewisse Verdächtigungen, die von der königlichen Partei gegen Friedrich ausgesprochen wurden, ein Urteil zu fällen, und betont, daß er fromm, barmherzig und ein großer Prediger gewesen sei; cap. 32, S. 119 läßt Widukind Friedrich seine Unschuld beteuern und den König ihm Glauben schenken; III cap. 41, S. 122 heißt es: finem summi pontiftcis qui interfuere satis laudabilem praedicant. Nur einmal, II cap. 37 und 38 S. 98 f. wendet sich Widukind gegen Friedrich, und zwar deshalb, weil er die Klosterreform durchführen wollte; das ist zugleich ein schlagender Beweis dafür, daß die freundliche Gesinnung, die Widukind im allgemeinen gegen Friedrich äußert, nicht auf irgendwelchen diplomatischen Rücksichten gegen den Mainzer Erzstuhl beruht, wie man bisweilen behauptet hat.
D a s tritt sehr oft Vgl. III cap. 47, 99 Vgl. III cap. 44, 10(1 Vgl. III cap. 17, gegen das Leben
98
hervor, ohne daß es nötig wäre, das hier im einzelnen zu belegen. S. 128 und cap. 57, S. 135 f. S. 124 f. S. 113. Vgl. auch II cap. 31, S. 92 f., w o Widukind den Erich, einen der Ottos 941 Verschworenen, ausgiebig lobt.
334
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
In der Fortsetzung, die Widukind seinem Werk 968 gegeben hat, wird ein anderer Empörer gegen den König ähnlich behandelt wie Liudolf und Konrad, der jüngere Wichmann 1 0 1 . Gewiß, auch hier betont Widukind, daß Wichmann im Unrecht war, als er sich gegen die Krone auflehnte. Aber die Zuneigung und das Mitgefühl, mit dem er den trotzigen Mann, seine Taten und sein tapferes E n d e schildert, ist doch ganz unverkennbar 1 0 2 . D i e Geschichte Wichmanns nimmt in der Darstellung der Jahre 958 bis 968 den breitesten Raum ein, alles andere tritt neben ihr zurück. Man könnte nach alledem vielleicht auf die Vermutung kommen, daß Widukind im Grunde überhaupt ein Gegner Ottos, ein Parteigänger seiner Feinde war, und daß seine Betonung der Rechte der Krone und sein Eintreten für Otto und sein Haus weniger in seinen Überzeugungen als in der Tatsache begründet war, daß er nach dem Sieg des Königs seine wahre Meinung zurückhalten mußte. Doch diese Vermutung läßt sich nicht beweisen. Eine konsequente Parteinahme ist bei Widukind trotz aller Hinneigung zu Liudolf, Konrad und Wichmann nicht festzustellen. Wenn er auch den heftigsten Gegner Liudolfs, Heinrich von Bayern, abfällig beurteilt, so behandelt er doch andere Gegner Konrads und Liudolfs, sowie Wichmanns, wie etwa den lothringischen Grafen Immo 1 0 3 und besonders Markgraf Gero und Herzog Hermann ebenso freundlich wie die beiden Herzöge selbst. Man gewinnt den Eindruck, daß es sich bei Widukind in diesen Dingen um ein eigentlich politisches Urteil überhaupt nicht handelt. W i e schon einmal angedeutet, vermeidet es Widukind gern, zu richten und zu urteilen 1 0 4 . Doch nicht bloß das, er nimmt überhaupt nur zögernd Partei, und jede Einseitigkeit und vor allem jede Gehässigkeit liegt ihm fern. Für seine Art, G e schichte zu schreiben, ist seine Objektivität, sein unbestechlicher Sinn für Gerechtig25 keit charakteristisch. Sogar die Slawen schildert er sachlich und weiß löbliche Seiten an ihnen hervorzuheben 1 0 5 . Warum sollte er dann von den Gegnern des Königs nicht auch sachlich reden und sagen, daß sie große und tüchtige Männer waren, wenn es den Tatsachen entsprach? Und warum sollte er die Fehler des Königs selbst und seiner Freunde nicht eingestehen, wenn sie Fehler hatten und Fehler begingen? Man wird sagen müssen: die Stellungnahme Widukinds in diesen Dingen ist, abgesehen davon, daß seine grundsätzliche Treue zur Krone feststand, weniger durch ein politisches als durch ein menschliches Interesse bedingt, und auch in diesem Zusammenhang wird man daran erinnern dürfen, daß damit seine Haltung mehr der des Epikers als des politischen Historikers entspricht. Wie sehr das der Fall ist, kann 101
Vgl. III cap. 64 ff , S. 139 ff
11,2
Bezeichnend für das Mitgefühl Widukinds sind besonders die Worte, mit denen er den Tod Wichmanns beschreibt, III cap. 69, S. 1 4 5 : bis dictis conversus ad orientem, ut potuit, patria voce Dominum exoravit animamque multis miseriis et incommodis repletam pietati creatoris omnium effudit. Vgl. II cap. 23, S. 8 6 und cap. 27 und 28, S. Sfl ff Vgl. oben S. 3 2 5 f.
103 101 105
Vgl. II cap. 20, S. 84, wo es von ihnen heißt: genus levissimo dueunt.
assuetum,
et quod
nostris
gravis
oneris
hominum esse
solet,
dumm Sclavi
et laboris patiens, pro
quadam
victu
voluptate
In dem Zusammenhang sei auch erwähnt, daß Widukind sich nicht scheut, einzugeste-
hen, daß die Sachsen 9 5 5 schimpflich vor den Slawen geflohen seien, vgl. III cap. 45, S. 126.
Die politische Haltung Widukinds von Korvei
335
man in der Sachsengeschichte auf Schritt und Tritt verfolgen. Wenn Widukind etwa die großen Auseinandersetzungen zwischen Otto und seinen Söhnen im Lager vor Mainz oder auf dem Reichstag von Langenzenn schildert 1 0 G , so glaubt man Szenen aus einem Epos vor sich zu haben, und unverkennbar ist jedenfalls, daß es Widukind nicht so sehr auf die Herausarbeitung der politischen Gegensätze als auf die Gestaltung der menschlichen Konflikte und ihrer Tragik ankommt. So ist es stets bei ihm. D a ß es aber so ist, ist doch auch für seine politische Haltung bezeichnend. Hrotswith und Ruotger etwa oder auch I.iudprand von Cremona nehmen, wenn sie über Konflikte mit der Krone und der Dynastie zu berichten haben, einen recht bestimmten Standpunkt ein; sie nehmen deutlich Partei, verschweigen und entstellen nach Bedarf. Für Widukind ist dagegen seine Sachlichkeit, die Freiheit seines Blicks und die Unvoreingenommenheit seines Urteils charakteristisch. Wenn er auch das Recht des Königs vertritt, so läßt er doch seinen Gegnern Gerechtigkeit widerfahren. Sowenig er in kirchlichen und religiösen Dingen ein Fanatiker ist, sowenig ist er ein Eiferer für das Königtum und den König.
5. (Sächsisches
Nationalgefühl)
In der ersten Widmung an Mathilde drückt sich Widukind so aus, als wenn er in der Hauptsache die Geschichte Heinrichs I. und Ottos des Großen und nur nebenbei, soweit es etwa zu ihrem Verständnis nötig ist, die Geschichte des sächsischen Volkes erzählen wolle
107
. Tatsächlich bezeichnet er damit sein Programm nicht richtig. Wenn
er zu Anfang des ersten Buches sagt, er wolle mit seiner Geschichtschreibung seinen Pflichten gegen Volk und Stamm genügen 1 0 8 , so trifft das eher zu. E r schreibt nicht die Geschichte der sächsischen Könige, sondern des sächsischen Stammes, und die seiner Könige nur soweit, als sie die Führer und Vertreter dieses Stammes sind: sein Held ist das sächsische Volk. Widukind beginnt bekanntlich mit dem Ursprung der Sachsen oder doch mit den ältesten Sagen, die er über sie kennt. D i e Ursprünge des Ottonischen Hauses interessieren ihn weniger; von seiner älteren Geschichte wird nur ganz nebenher und undeutlich etwas erwähnt 1 0 ! > . D a ß in den frühesten Zeiten der sächsischen Stammesgeschichte die Ottonen und ihre Vorfahren noch nicht auftreten, ist selbstverständlich; aber bezeichnend ist, daß Widukind die Geschichte dieser vorottonischen Zeiten und ihrer Helden mit der gleichen Liebe behandelt, wie die Zeit Heinrichs I. und Ottos I., und noch bezeichnender, daß auch in der Geschichte dieser Zeit die Könige durchaus nicht immer im Mittelpunkt der Darstellung stehen. Wenn Widukind schon ihren Gegnern gerecht zu werden vermag, noch mehr wird er ihren Helfern gerecht, den Männern, die neben ihnen das sächsische Volk groß gemacht haben. In manchen 10B
Vgl. III cap. 18, S. 114 und cap
107
Vgl. S. 1 f.
108
Vgl. I cap. 1, S. 4.
109
Vgl. I cap. 16, S. 25 f
32, S. 118 f
2s
336
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
Partien der Sachsengeschichte treten die Ottonen neben anderen Führern des sächsischen Stammes geradezu in den Hintergrund; so ist etwa der Mann, der Konrad I. auf seinem Feldzug gegen Sachsen überlistet, nicht Heinrich I., sondern der Graf Thietmar 1 1 0 . So wird die Schlacht bei Lenzen, in der nicht der König, sondern zwei sächsische Grafen die Slawen besiegten, unvergleichlich viel breiter erzählt 1 1 1 , als sämtliche Slawenkriege und Slawenschlachten Heinrichs I. zusammengenommen; so treten in den Slawenkriegen Ottos Hermann Billung und Gero deutlicher hervor als der König selbst 1 1 2 , und daß in den 968 geschriebenen Kapiteln sogar die Taten und Leiden eines sächsischen Gegners Ottos, Wichmanns, sehr viel ausführlicher 27 behandelt werden als die Taten des Kaisers in Deutschland und Italien, wurde schon betont. Gewiß, Widukind erzählt im ganzen von Heinrich I. und Otto dem Großen mehr als von jeder anderen Persönlichkeit seiner Zeit. Aber auch, wenn er von ihnen redet, empfindet er nicht dynastisch, sondern sächsisch, und ihre Taten erhalten sozusagen ihr Licht vom sächsischen Stamme her. So gut wie Widukind behauptet, nicht, daß der heilige Veit die Ottonen, sondern daß er die Sachsen erhöht habe, ist ihm das Wesentliche an den Taten seiner Herrscher nicht so sehr ihr eigener Ruhm und ihre eigene Größe, als der Ruhm und die Größe des sächsischen Volkes. Widukind betont gern, daß die Herrschaft seiner Könige in Deutschland und in der Welt eine Herrschaft der Sachsen sei 1 1 3 . An den Stellen, an denen sich nationaler Stolz und nationale Empfindlichkeit regen, sind sie nicht auf das Herrscherhaus, sondern auf den sächsischen Stamm bezogen. So ist, als Eberhard von Franken das sächsische Heer verspottet, Widukind nicht für Heinrich, sondern für die Sachsen beleidigt; Rache läßt er die Sachsen nehmen, vor ihnen muß Eberhard schimpflich fliehen 1 1 4 . Ganz ähnlich trifft die Kränkung, die in einer spöttischen Bemerkung Hugos von Franzien liegt, weniger Otto als die Sachsen. Der König antwortet nur als Rächer der sächsischen Stammesehre, und durch seinen Sieg lernt Hugo nicht bloß die Macht Ottos, sondern vor allem auch die Tapferkeit der Sachsen kennen 1 1 5 .
6. (Stellung zum fränkisch-deutschen
Reich)
Als Widukind schrieb, war Sachsen seit mehr als anderthalb Jahrhunderten in das fränkische Reich eingegliedert, und seit mehr als einem Jahrhundert war es zusammen mit den Stämmen der Franken, Lothringer, Thüringer, Schwaben und Bayern ein Bestandteil des Ostfränkischen Reiches. Mit der Thronbesteigung Heinrichs I. war 110 Yg] j c a p 24, S. 36 f. Dort heißt es ausdrücklich: Vicit vero eos calliditate sua Thiatmarus, quos ipse dux ferro vincere non potuit Heinricus - übrigens auch das ein den Volksepen und Spielmannsliedern geläufiges Motiv, das Motiv vom treuen Diener und Ratgeber. 111 112
113 1U 1,3
Vgl. I cap. 36, S. 51 ff. Dafür ist die ganze Sachsengeschichte ein Zeugnis, ohne daß es möglich oder nötig wäre, das hier im einzelnen zu belegen. Vgl. etwa I cap. 34, S. 4 8 ; II cap. 24, S. 8 7 ; cap. 28, S. 9 0 ; dazu auch I cap. 9, S. 16. Vgl. I cap. 23, S. 35 f. Vgl. III cap. 2 ff., S. 104 ff.
Die politische Haltung Widukinds von Korvei
337
zwar die Führung des fränkischen Reiches an das Ottonische Haus übergegangen. Aber seinem Wesen nach und nach seinem Staatsrecht war es doch, wie es eine Gründung der Franken war, ein fränkisches Reich geblieben, das sich, gerade im zehnten Jahrhundert, immer mehr zu einem deutschen, nicht aber zu einem sächsischen Reich entwickelte. Man hat die Auffassung vertreten, daß Widukind diese Tatsachen ignoriere. Sein sächsischer Stammesstolz verenge ihm den Blick allein auf das Sächsische; weder von dem fränkischen noch von dem deutschen Reich wolle er etwas sehen 1 1 6 . Doch diese Auffassung ist nicht richtig. Allerdings schreibt Widukind sächsische Geschichte, und infolgedessen steht Sachsen überall oder doch fast überall im Mittelpunkt und Vordergrund der Betrachtung. Auch äußert Widukind einige Male Anschauungen, die sich so deuten lassen, als wenn er in der Thronbesteigung Heinrichs I. den Sturz und das Ende des fränkischen Reiches, die Begründung der sächsischen Herrschaft über die ostfränkischen Stämme und die Errichtung eines sächsischen Reiches sehe U 7 . E r läßt schon während des Thüringer Krieges von 531 unter den Franken die Befürchtung laut werden, daß die Sachsen einmal das Frankenreich zerstören könnten 1 1 8 , und dem entspricht es, wenn er sagt, die Translation des heiligen Veit nach Sachsen habe den Niedergang des Frankenreichs und den Aufstieg des Sachsenreichs zur Folge gehabt 1 1 9 . Tatsächlich redet er auch später ein paarmal davon, daß die Sachsen zur Zeit Heinrichs I. und Ottos des Großen in Deutschland herrschten 1 2 0 . Aber gegen die Konzeption einer sächsischen Geschichte an sich durch Widukind wird sich auch vom Standpunkt eines ostfränkischen oder deutschen Reichsgedankens ebenso wenig einwenden lassen, wie man heute gegen die Konzeption einer preußischen oder bayrischen Geschichte einwenden könnte. Bis zum Ende des achten Jahrhunderts hatte Sachsen eine völlig selbständige Geschichte gehabt, und auch danach war es, wenn auch im Rahmen eines größeren Ganzen, ein geschlossener und in vieler Hinsicht selbständiger Organismus geblieben. Die Auffassung aber, daß Widukind in den Vorgängen von 919 wirklich das Ende des Frankenreichs und die Entstehung eines Sachsenreiches sieht, ist nicht richtig. Zwar spielt er einige Male mit diesem Gedanken. Doch wenn er davon redet, daß die Sachsen die Franken abgelöst haben, so entfernt er sich damit noch nicht von der geschichtlichen Wahrheit. Tatsächlich war ja mit der Thronbesteigung der Ottonen die Führung des Reiches auf die Sachsen übergegangen, und daß sie von da ab praktisch eine Hegemoniestellung in Deutschland einnahmen, ist keine Frage. Wesentlich aber ist, daß Widukind trotz allem keineswegs verkennt, daß das Reich eine Fortsetzung des fränkischen Reiches, ja daß es noch immer ein fränkisches Reich war, in dem das Verhältnis der Sachsen zu den übrigen Stämmen durchaus nicht bloß in einer einfachen Uberordnung der Sachsen und Unterordnung der anderen bestand. Wenn Widukind sagt, daß die Sachsen an die Stelle der Franken getreten sind und jetzt in Deutschland herrschen, so sagt er damit nur einen sehr kleinen Teil von Iis Vgl_ 117 119
22
vor
allem Hauck a. a. O . ; ähnlich auch Bloch S. 129.
Vgl. oben Anm. 113. Vgl. I cap. 34, S. 48. Lintzel Bd. II
118 120
Vgl. I cap. 9 und 10, S. 15 ff. Vgl. II cap. 24 und 28, S. 87 und 90.
338
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
dem, was er über das Reich wirklich denkt. Mit der Auffassung eines Sturzes der fränkischen Herrschaft durch die Sachsen ist in Wirklichkeit ebensowenig Ernst gemacht, wie etwa mit der Auffassung, daß der heilige Veit der eigentliche Schöpfer der sächsischen Größe sei. Es war in früheren Zeiten und noch kurz vor dem Übergang des Thrones an Heinrich I. oft genug zu Konflikten und Kämpfen zwischen Franken und Sachsen gekommen. Widukind erwähnt sie, zum Teil sogar ziemlich ausführlich 121 . Aber er macht nirgends ein Ringen um die Herrschaft in Deutschland daraus. Im Gegenteil, die Franken und Sachsen erscheinen bei ihm trotz ihrer nicht seltenen Streitigkeiten weniger als Rivalen denn als Freunde und Bundesgenossen und schließlich als ein Volk. Während des Thüringer Krieges leisten die Sachsen dem Frankenkönig Theuderich Dienste, und am Schluß seiner Beschreibung des Krieges sagt Widukind ausdrücklich, sie seien Freunde und Bundesgenossen der Franken geblieben 1 2 2 . Dieses Verhältnis ändert sich dann in der Zeit Karls des Großen. In der Unterwerfung seines Volkes durch den Kaiser sieht Widukind aber eine Vereinigung der Franken und Sachsen im christlichen Glauben zu einem Volk 1 2 3 . Wenn er diese Ansicht auch keineswegs konsequent vertritt und in den Franken und Sachsen trotzdem meistens verschiedene Völker erblickt, so taucht sie doch gelegentlich wieder bei ihm auf. Er spricht dann von dem einen Volk der Franken und Sachsen 124 . 30 Wenn Widukind auch hin und wieder von dem Reich der Sachsen und der sächsischen Herrschaft redet, sehr viel öfter bezeichnet er doch das von Heinrich und Otto geführte Reich als fränkisches Reich oder auch einfach als Franken 1 2 5 . Daß es sich dabei für ihn nicht bloß um einen äußerlichen staatsrechtlichen Begriff, sondern um eine geschichtliche und politische Wirklichkeit handelt, ist ganz deutlich. Von sächsischem Chauvinismus ist bei ihm trotz aller Liebe zu seinem Volk ebenso wenig zu bemerken wie von dynastischem oder kirchlichem Fanatismus 1 2 6 . Die Sachsen scheinen sich nach seiner Anschauung mit den Franken fast in die Herrschaft zu teilen. Der fränkische Adel tritt in Widukinds Erzählung beinahe ebenso tonangebend und führend auf wie der sächsische. Der Franke Konrad wird mit mindestens derselben Auszeichnung und Zuneigung geschildert wie die Führer des sächsischen Stammes. Die Franken treten in den Kriegen von 939 und 941 als die Helfer, ja Retter des 121 122 124
125 126
Vgl. I cap. 16 ff., S. 25 ff. 1 2 S Vgl. I cap. 15, S. 25. Vgl. I cap. 14, S. 23. D i e Wendung omnis populus Francorum atque Saxonum erscheint dreimal: I cap. 16, S. 2 6 ; I cap. 26, S. 3 9 ; II cap. 1, S. 63. Man hat früher gemeint, Widukind verstehe darunter das ganze deutsche Volk. Man wird aber doch mit H . Breßlau [s. oben Anm. 4] S. 47 nur an die Franken und Sachsen zu denken haben, obgleich Widukind in III cap. 63, S. 137 unter omnis Francia Saxoniaque offenbar ganz Deutschland versteht; vgl. Bloch S. 129, Anm. 3. Doch ob nun bloß an Sachsen und Franken oder an alle Stämme zu denken ist, für unsere Fragestellung ist schon die Tatsache an sich entscheidend, daß Widukind überhaupt die Franken und Sachsen in dieser engen Verbindung als populus bringt. D a f ü r bietet die Sachsengeschichte sehr zahlreiche Belege. Bezeichnend ist z. B., daß Widukind II, cap. 6, S. 71 f. in dem Konflikt zwischen dem Sachsen Brüning und dem Frankenherzog Eberhard, in dem sich die Sachsen wegen der Herrschaft ihres Königs facti gloriosi weigern, den Franken die schuldigen Lehnsdienste zu leisten, durchaus nicht die sächsische Partei ergreift; vgl. außerdem unten Anm. 133.
339
Die politische Haltung Widukinds von Korvei sächsischen K ö n i g t u m s auf. Sie siegen bei A n d e r n a c h sich O t t o
12
~ , und n a c h i h r e m R a t
bei d e r N i e d e r w e r f u n g d e r V e r s c h w ö r u n g v o n 9 4 1
128
.
Man
richtet
bekommt
jedenfalls alles in a l l e m d e n E i n d r u c k , d a ß n a c h W i d u k i n d s A u f f a s s u n g d i e sächsische und d i e fränkische A r i s t o k r a t i e eine politisch f a s t gleichberechtigte u n d h o m o g e n e M a s s e g e w o r d e n ist. D a ß d e r G e d a n k e , d a ß Sachsen und F r a n k e n ein V o l k w a r e n , tatsächlich t i e f e r in W i d u k i n d s Ü b e r z e u g u n g w u r z e l t e , ä u ß e r t sich auch d a r i n , d a ß e r fränkischen T r a d i t i o n e n , ja m a n m ö c h t e sagen e i n e m fränkischen N a t i o n a l g e f ü h l R a u m gibt. E r Franken129;
r e d e t v o n fränkischen Sagen u n d v o n d e n H e l d e n t a t e n
der
e r entschuldigt sich g e r a d e z u , d a ß e r nicht a u c h d i e G e s c h i c h t e
alten der
F r a n k e n e r z ä h l t 1 3 0 ; d i e Schlacht a u f d e m L e c h f e l d v e r g l e i c h t e r m i t d e m fränkischen Sieg bei Poitiers
m
,
und d e r g r o ß e F r a n k e n k a i s e r K a r l ist a u c h für ihn d e r g r ö ß t e
d e r K ö n i g e u n d d e r W o h l t ä t e r seines V o l k e s 1 3 2 . K u r z u n d gut, in d e n F r a n k e n sieht W i d u k i n d d i e G r ü n d e r des Reiches und in d e n Sachsen i h r e N a c h f o l g e r , a b e r nicht in d e m Sinne, d a ß sie sie u n t e r w o r f e n und v e r d r ä n g t , s o n d e r n in d e m Sinne, d a ß sie sich m i t ihnen v e r b u n d e n haben. N e b e n d e n F r a n k e n t r e t e n d i e übrigen mit d e n Sachsen in e i n e m R e i c h v e r e i n i g t e n ostfränkischen S t ä m m e w e n i g e r h e r v o r , und wenigstens einen v o n ihnen, d e n Lothringer
133
der
, b e t r a c h t e t W i d u k i n d m i t erheblich g e r i n g e r e r F r e u n d l i c h k e i t als d i e
H7 Vgl. II cap. 20, S. 8 8 ; der Sieger ist Herzog Hermann, der Franke war, und den Widukind auch als solchen betrachtet. Vgl. I cap. 31, S. 9 2 ; freilich berichtet hier Widukind etwas kühl über die Ratschläge der Franken. 1 8 9 Vgl. I cap. 9, S. 10 ff. 1 3 0 Vgl. I cap. 14, S. 24 f. 1 3 1 Vgl. III cap. 49, S. 129. 1 3 S Vgl. I cap. 15, S. 25 und cap. 19, S. 29. 133 ygi, i c a p . 30, S. 42 f. und II cap. 15, S. 80, wo Widukind die Lothringer als wankelmütig und unkriegerisch bezeichnet. In Bausch und Bogen verdammt er sie deshalb aber keineswegs; daß der Lothringer Immo bei ihm recht beliebt ist, wurde schon erwähnt, von dem Lothringer Gottfried berichtet er, er habe bei Birten tapfer gekämpft; vgl. II cap. 17, S. 83. Gegen die übrigen deutschen Stämme ist bei Widukind nicht die geringste Animosität zu bemerken, was freilich nicht weiter verwunderlich ist, wenn man sich seiner schon erwähnten Objektivität erinnert. Jedenfalls aber ist es falsch, wenn Hauck S. 310 f. das Gegenteil behauptet. Davon, daß nach Widukind etwa, wie Hauck meint, die Franken falsch und die Thüringer dumm und feige sind, kann gar keine Rede sein. Wenn Widukind, worauf Hauck hinweist, I cap. 14, S. 24 f., nachdem er vorher von einer treulosen Handlung der Franken erzählt hat, davon redet, daß die Sachsen die varia fides der Franken kennengelernt hätten, so fällt es ihm doch gar nicht ein, in den Franken nun ein grundsätzlich treuloses Volk zu sehen, sowenig die Sachsen für ihn feige sind, weil sie 955 einmal vor den Slawen schmählich die Flucht ergriffen haben; vgl. oben S. 334, Anm. 105. Ganz ähnlich steht es mit der Beurteilung der Thüringer; ihren Anteil an der Besiegung der Ungarn 933 oder an der Niederwerfung von Heinrichs Aufstand 939 hebt Widukind ausdrücklich hervor; vgl. I cap. 38, S. 56 und I I cap. 18, S. 83. In dem Bericht über den Kampf gegen die Böhmen von 936, I I cap. 3, S. 68 f., in dem Sachsen und Thüringer geschlagen wurden, eine den Thüringern ungünstige Tendenz zu sehen, wie Hauck S. 311, Anm. 5 und Hirsch, S. 69, Anm. 2 wollen, liegt nicht der geringste Grund vor; es ist nicht einzusehen, warum sich die Dinge nicht so abgespielt haben sollen, wie Widukind erzählt. D a ß er durchaus nicht für die Sachsen immer schön färbt, ergibt sich aus seinem eben erwähnten Bericht über die schmähliche Flucht von 955. 128
22«
3i
340
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
Franken. Aber es ist doch vollkommen deutlich, daß er sich dessen bewußt ist, daß sie alle, ebenso wie Sachsen und Franken, zum Reiche gehören. Zwar zeigt er in den früheren Zeiten nicht viel Interesse für sie; wie sie ins Frankenreich gelangt sind, untersucht er nicht, sie sind plötzlich ein Bestandteil des Reiches. Aber für die Gegenwart erzählt er doch, soweit es im Rahmen seines Themas geboten ist, auch ihre Geschichte 134 , und dabei wird deutlich, daß er sie als Bestandteil der Reichsgeschichte betrachtet. Die Siege der Bayern über die Ungarn 135 , vor allem ihre Bedrängnis durch die Ungarn, empfindet er als Erfolg und Not des eigenen Reiches 136 . Naturgemäß tritt das Gefühl für die Zusammengehörigkeit aller deutschen Stämme am deutlichsten hervor, wenn Widukind die gemeinsame Abwehr gemeinsamer Feinde zu schildern hat, so vor allem in dem Bericht über die Schlacht auf dem Lechfeld t 3 7 . Widukind weiß, daß das Reich an der bayrischen Grenze genauso wie an der sächsischen verteidigt werden muß; und daß an der Lechfeldschlacht, dem gewaltigsten und ruhmreichsten Kampf, den er zu schildern hat, alle deutschen Stämme teilgenommen haben, die Sachsen aber, außer den Lothringern, am wenigsten, betont er ausdrücklich 138 . Wenn im fränkischen Reich die Sachsen und neben ihnen die Franken auch führend sind, daß der Name und Begriff regnum Francorum und Francia alle deutschen Stämme umschließt, darüber ist sich Widukind vollkommen klar. Eine selbstverständliche Folge dieser Anschauung ist es, daß er die Kämpfe der deutschen Stämme untereinander und besonders die kriegerischen Auseinandersetzungen der Sachsen mit ihnen als Bürgerkriege betrachtet 139 . So stark wie Widukind in seinem sächsischen Stolz und Stammesbewußtsein empfindet, empfindet er natürlich für die übrigen deutschen Stämme nicht; man wird etwa so sagen dürfen: Widukinds Nationalgefühl ist in erster Linie sächsisch bestimmt, aber daneben kennt und achtet er doch auch das Reich, wobei wieder innerhalb des allgemeinen Ostfränkischen Reiches die engere Verbindung des sächsischen und des fränkischen Stammes eine besondere Rolle spielt. Mit dieser Einschränkung wird man von einem Reichsbewußtsein Widukinds sprechen dürfen, wobei wieder daran zu erinnern ist, daß dieses Reichsbewußtsein in starkem Maße religiös und christlich gefärbt erscheint. Zwar fehlt Widukind noch das Wort deutsch. Zwar erscheinen ihm die einzelnen Stämme noch häufig als gentes und nationes, als Völker 1 4 0 . Aber dem Begriff deutsch und deutsches Reich, der sich zu seiner Zeit auch sonst bekanntlich durchzusetzen begann, nähert er sich doch deutlich. D a ß das Wort Francia oder regnum Francorum, mit dem er im allgemeinen diesen Begriff 134
135 136
137
138 139 140
Jedenfalls erzählt er von Bayern und Schwaben und Lothringen wesentlich mehr als etwa vom sächsischen Episkopat. Vgl. II cap. 34 und 36, S. 94 ff. Über den Ungarneinfall von 955 in Bayern läßt er Herzog Heinrich an Otto melden Ungarn invadunt terminos tuos, vgl. III cap. 44, S. 123. Die Ungarn sind für ihn denn auch die communes hostes, d. h. die gemeinsamen Feinde aller deutschen Stämme. Vgl. III cap. 44, S. 123 ff. Vgl. etwa I cap. 27, S. 40 und cap. 32, S. 45. Diese Ausdrücke werden nicht selten für die einzelnen Stämme gebraucht, vgl auch Köpke S. 78.
Die politische Haltung Widukinds von Korvei
341
bezeichnet, nicht immer genügt, scheint er zu sehen; er mußte zu Unklarheiten und zu Verwechslungen mit dem fränkischen Stamm und dem Westfränkischen Reich Anlaß geben. So tastet sich Widukind darüber hinaus, indem er ein paarmal für das Ostfränkische Reich und die ostfränkischen Völker den Namen Germania gebraucht U1 . 7. (Widukind
und das
Kaisertum)
Von den Staatswesen, die zu Widukinds Zeit in Europa existierten, waren bis zum Jahre 887 und teilweise noch später mehrere mit den deutschen Stämmen im karolingischen Reiche vereinigt gewesen: Frankreich, Burgund und Italien. Bei der Gründung und dem Ausbau des deutschen Reiches und vor allem in der italienischen und französischen Politik Ottos des Großen scheint der Gedanke an das Karolingerreich, an sein Vorbild und die Hoffnung auf sein Wiedererstehen eine beträchtliche Wirkung ausgeübt zu haben. Tatsächlich war die auswärtige Politik Ottos auf dem Wege, das Karolingerreich wieder aufzurichten. Es fragt sich, welchen Platz der Gedanke an dies Reich in Widukinds Vorstellungen hat. Zweifellos zollt er dem Gründer des Reiches, Karl dem Großen, die höchste Verehrung 1 4 2 . Er weiß und sagt auch, daß Frankreich und Deutschland einstmals eine Einheit bildeten 14S . Aber aus diesem Umstand leitet er lediglich die Tatsache ab, daß zwischen den ostfränkischen Königen und den französischen Karolingern Streit um Lothringen herrscht. Irgendwelche Hoffnungen auf eine Wiedervereinigung der beiden Reiche dagegen werden nirgends laut. Daß Italien und Burgund einmal Bestandteile des Karolingerreiches waren, erwähnt Widukind überhaupt nicht. Ob er es gewußt hat, ist kaum zu entscheiden. Aber wenn er es gewußt hat, so war es für ihn bedeutungslos. Indem er von dem übergreifen Ottos auf Burgund berichtet, sagt er, Otto habe das von seinem Vater ererbte Reich nicht mehr genügt 144 ; es hätte 34 nahegelegen, zu sagen, daß zu dem von Ottos Vorgängern ererbten Reich einst Burgund hinzugehört habe. Ebensowenig ist bei der Eroberung Italiens durch Otto von irgendwelchen aus der Vergangenheit herrührenden Rechtstiteln die Rede. Bezeichnend ist, daß Widukind in seinem Bericht über die Teilung von Verdun wohl von Deutschland, Frankreich und Lothringen etwas zu sagen weiß, daß er aber über Burgund und Italien völlig schweigt115. Widukind erzählt, daß Otto den jungen König Konrad von Burgund und damit das burgundische Königreich in seine Gewalt brachte 1 4 6 . Er spricht auch von den Unternehmungen Heinrichs von Bayern und Liudolfs gegen Italien 1 4 7 , und er be141
142 144 147
So I cap. 29, S. 42; I cap. 34, S. 48; III cap. 10, S. 109; III cap. 73, S. 150; m cap. 75, S. 152. Dabei mag Widukind freilich im allgemeinen an den aus der Antike bekannten geographischen Begriff Germania gedacht haben. Aber es muß sich doch für ihn damit auch die Vorstellung vom Deutschen Reich und Volk verbunden haben, wenn er I, cap. 29 sagt, Arnulf habe Karl den Dicken aus Germanien vertrieben, und wenn III, cap. 73 davon die Rede ist, daß sich Germanien über die Hochzeit Ottos II. gefreut habe. 143 Vgl. I cap. 28 und 29, S. 40 ff. Vgl. oben S. 339, Anm. 132. 1 4 5 Vgl. I cap. 28, S. 40 f. 146 Vgl. Anm. 144. Vgl. II cap. 35, S. 94. Vgl. II cap. 36, S. 95 und III cap. 6, S. 108.
342
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
richtet über Ottos Zug von 951 nach Pavia 1 4 8 . Später in den Zusätzen von 968 erzählt er von dem Sturz Berengars, der zweimaligen Eroberung Roms durch Otto und den Kämpfen gegen die Griechen 1 4 9 . Aber alles das wird äußerst kurz und ungenau und ohne innere Anteilnahme abgetan. Demgegenüber hat Widukind für die Beziehungen zu Frankreich schon ein größeres Interesse. Der Feldzug gegen Hugo von Franzien ist für ihn, wie bemerkt, geradezu eine Sache des sächsischen Prestiges. Davon abgesehen treten freilich die französischen Händel, vor allem, soweit sie nicht unmittelbar vom König geschlichtet werden, in Widukinds Geschichtsbild stark 2urück. Jedenfalls kann die Bedeutung, die er ihnen beimißt, in keiner Weise den Vergleich mit den Slawen- und Ungarnkriegen aushalten. Wenn Widukind auch über diese Kriege nicht ganz gleichmäßig berichtet, so ist doch die Auseinandersetzung mit den Slawen und Ungarn für ihn in jeder Hinsicht das wichtigste Moment in der sächsischen und deutschen auswärtigen Politik, und neben ihr treten Frankreich, Burgund und Italien und vor allem der Gedanke an das Reich der Karolinger völlig in den Hintergrund. Dieses Verhältnis Widukinds zur auswärtigen Politik seiner Zeit wird man sich vergegenwärtigen müssen, wenn man seine viel umstrittene Stellungnahme zum Kaisertum und zur Kaiserpolitik Ottos des Großen betrachtet 150 . 35 Widukind erzählt, daß Otto nach der Schlacht auf dem Lechfeld vom Heere als pater patriae und Imperator bezeichnet worden sei 1 5 1 . Dagegen sagt er von der Kaiserkrönung Ottos durch den Papst kein Wort. Erst in dem Anhang, den (wahrscheinlich) er 973 seinem Werk gegeben hat, ist in einem Brief Ottos des Großen davon die Rede, daß Otto II. vom Papst die Kaiserkrone empfangen habe 1 5 2 , und an einer anderen Stelle desselben Anhangs, daß er vom Papst zum Kaiser designiert worden sei; auch wird hier Otto I. einmal Imperator Romanorum genannt 153 . Diese Äußerungen und dieses Verschweigen Widukinds haben die verschiedensten Deutungen erfahren. Man hat darin bisweilen eine Tendenz gesehen, die das römische Kaisertum der Ottonen verwarf und ignorierte. Noch öfter aber hat man gemeint, Widukind habe im Jahre 968 bei der Abfassung der zweiten Redaktion seiner Sachsengeschichte von der Kaiserkrönung Ottos durch den Papst noch nichts gewußt; damit erkläre sich sein Schweigen in dem summarischen Überblick, den er über die Jahre 958 bis 968 gibt. Seine Behauptung aber, Otto sei auf dem Lechfeld zum Imperator ausgerufen worden, sei nichts weiter als eine literarische Huldigung. Abgesehen von dem Wortlaut, in dem Widukind die Kaisererhebung auf dem Lech145
Vgl. III cap. 9 und 10. S. 109.
149
Vgl. III cap. 63, S. 137 f. Vgl. zum folgenden E . E . Stengel, Den Kaiser macht das Heer ( 1 9 1 0 ) ; auch Bloch a. a. O. S. 131 ff. und E . Pfeil, Die fränkische und deutsche Romidee des frühen Mittelalters ( 1 9 2 9 ) , S. 186 ff. Meine Ansicht weicht von diesen Schriften und der weiteren sehr umfangreichen Literatur über das Kaiserproblem bei Widukind in mancher Hinsicht a b ; ich gedenke sie in einem anderen Zusammenhang ausführlich zu begründen und mich dabei mit der in Betracht kommenden Literatur auseinanderzusetzen. [Vgl. dazu Die Entstehungszeit von Widukinds Sachsengeschichte, Anm. 30, hier S. 3 1 1 . ]
150
151
Vgl. III cap. 4 9 , S. 128.
152
Vgl. III cap. 70, S. 147. Vgl. III cap. 76, S. 153 f.
153
Die politische Haltung Widukinds von Korvei
343
feld schildert, begründet man das damit, ,daß er etwas ganz Ähnliches auch von Heinrich I. erzählt; auch Heinrich soll, und zwar nach der Rückkehr von der Schlacht bei Riade, pater patriae und Imperator genannt worden sein 1 5 4 . So wenig wie dem Bericht von 933 habe aber dem von 955 ein tatsächlicher Vorgang zugrunde gelegen. In beiden Fällen habe Widukind den antiken Brauch, nach dem vom siegreichen Heere der Feldherr als imperator ausgerufen wurde, auf seine siegreichen Heere und Könige übertragen. Es handele sich bei alledem also nicht um irgendeine politische Anschauung oder Stellungnahme Widukinds, sondern bloß um Nichtwissen, Mißverstehen und literarisches Ungeschick. Doch die Ansicht, daß Widukind, als er 968 die zweite Redaktion seiner Sachsengeschichte verfaßte, von der Kaiserkrönung Ottos in Rom 962 nichts gewußt habe, erscheint mehr als unwahrscheinlich. Seit dieser Krönung waren damals mehr als fünf Jahre vergangen; der Kaiser und sein Heer waren nach Deutschland zurückgekehrt; daß man in Korvei, dessen Abt zu den Großen des Reiches zählte, und dessen Vasallen zum Teil selbst in Italien und Rom gewesen sein dürften, von dem, was dort am 2. Februar 962 geschehen war, nichts gewußt hat, ist schwer denkbar; und daß Widukind, der wenn auch kurz, über die Ereignisse in Italien berichtet, der damals in Beziehungen zum Hofe trat und der jungen Mathilde immer wieder als kaiserlicher Prinzessin huldigt, nichts von dem wahren Ursprung des ottonischen Kaisertums erfahren haben sollte, ist gleichfalls wenig wahrscheinlich. Doch gleichgültig, wie es damit bestellt ist, soviel ist sicher, daß für Widukind die Kaisererhebung auf dem Lechfeld etwas anderes bedeutete als eine bloße literarische Huldigung. Gewiß, die Form, in der er sie beschreibt, klingt stark nach einer Reminiszenz an die Antike. Aber daß er sich mehr dabei gedacht hat, ergibt sich daraus, daß für ihn Otto mit der Ausrufung auf dem Lechfeld tatsächlich Kaiser geworden ist: er nennt ihn seitdem ständig imperator. Dieses so entstandene Kaisertum Ottos paßt nun aber durchaus zu der Vorstellung, die Widukind überhaupt vom Kaiser und vom Kaisertum hat. In den beiden älteren Teilen der Sachsengeschichte, also den Fassungen von 958 und 968 wird ein römisches oder in Rom entstandenes Kaisertum überhaupt nicht erwähnt. Widukind bezeichnet einmal den Frankenkönig Theuderich, der die Oberhoheit über das Thüringerreich und seinen König behauptet, als imperator155; er läßt ein andermal Konrad I. von Heinrich sagen, er werde ein imperator multorum populorum sein 156 , und er sagt von Karl dem Großen: imperator ex rege creatus est157. In allen diesen Äußerungen und Auffassungen vom Kaisertum ist von Rom und vom Papst keine Rede; es ist vielmehr ganz deutlich, daß dieses Kaisertum und dieser Kaisergedanke mit Rom und dem Papst nichts zu tun haben. Wenn Widukind sagt imperator ex rege creatus, so hat er offenbar eine Wahl und nicht eine Krönung durch den Papst im Auge. Wenn Heinrich I. als imperator multorum populorum erscheint, so erblickt Widukind das Kaisertum dieses nie zum Kaiser gekrönten Königs offensichtlich darin, daß er über mehrere Völker herrscht. Dasselbe dürfte von Theuderich Vgl. I cap. 39, S. 58. Vgl. I cap. 25, S. 38.
155
Vgl. I cap. 9, S. 11. Vgl. I cap. 15, S. 25.
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Zur Gcschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
gelten, und daß man eine Herrschaft über viele Völker auch als Basis für das Kaisertum und den Kaisernamen Karls anführen konnte, versteht sich von selbst. Diese Anschauungen sind nun aber nicht etwa irgendwelche Erfindungen und Hirngespinste des Korveier Mönches, sondern sie entsprechen ganz bestimmten Anschauungen und vor allem ganz bestimmten politischen Realitäten seiner und der vorangegangenen Zeit. Neben dem Gedanken des römischen Kaisertums, das in Rom und durch die päpstliche Krönung erworben wurde, steht fast von Anfang an die Idee eines anderen, nicht römischen Kaisertums 1 5 8 . Wieweit diese Idee etwa schon im Jahre 800 lebendig war, wieweit sie etwa in der Mißstimmung Karls des Großen über die päpstliche Krönung in der Peterskirche zum Ausdruck kam, braucht hier nicht untersucht zu werden. Jedenfalls hat Karl 813 seinen Sohn Ludwig ohne päpstliche und römische Mitwirkung, dafür aber mit Wahl und Zustimmung des fränkischen Reichstages, in Aachen zum Kaiser gekrönt. Dasselbe ist 817 mit Ludwigs ältestem Sohn Lothar geschehen. Dieses in Aachen geschaffene Kaisertum aber nahm einen ganz bestimmten Inhalt an. Während es sich bei dem römischen Kaisertum vor allem um die Herrschaft oder Schutzherrschaft über Rom und den werdenden Kirchenstaat und um den Schutz und unter Umständen auch die Leitung des Papstes und der Kirche handelte, war das Aachener Kaisertum eine viel mehr weltlich-politische Angelegenheit. Es bedeutete die Oberherrschaft des Kaisers über die übrigen fränkischen Könige, die das fränkische Erbteilungsrecht und der Partikularismus der Reichsteile neben dem Kaiser zu Königen gemacht hatten. In diesem Kaisertum verkörperte sich der fränkische Reichseinheitsgedanke, und die Kämpfe, die von 817 bis 843 um die Teilung des Reiches geführt wurden, sind für und gegen dieses Kaisertum geführt worden. Im Kampfe gegen den Kaisergedanken von 813 und 817 ist das ostfränkische Reich entstanden. Aber auch als dieser Gedanke im Jahre 843 mit dem Vertrag von Verdun zusammengebrochen war, war er doch noch keineswegs völlig verschwunden. Zwar zieht sich seitdem das Kaisertum Lothars und seiner Nachfolger wieder nach Rom zurück, und das römische Kaisertum allein bleibt von nun an eine staatsrechtliche Realität. Aber es hatte doch bis zur Zeit Ottos I. nicht gerade viel zu bedeuten und war im allgemeinen, ohne Glanz und Würde, auf einen Winkel 38 Italiens beschränkt. Jedenfalls bleibt daneben nördlich der Alpen die Vorstellung von jenem anderen Kaisertum lebendig, wonach Kaiser der genannt wurde, der ein Herr über mehrere Völker und Könige war. Diese Vorstellung taucht im letzten Drittel des neunten Jahrhunderts in den Fuldaer Annalen auf 1 5 9 . Sie ist nach England gedrungen, wo sich zur Zeit Widukinds mehrere Könige, die über Unterkönige herrschten, mit dem Kaisertitel geschmückt haben. Man wird annehmen dürfen, daß ein Kaisergedanke, der im Norden der Alpen während des neunten Jahrhunderts noch eine Macht bedeutet hatte, und der um die Mitte des zehnten Jahrhunderts in dem stammverwandten und mit dem deutschen 1:8
,59
Auf diese Dinge beabsichtige ich gleichfalls in einem anderen Zusammenhang genauer einzugehen. [Vgl. Das abendländische Kaisertum im neunten und zehnten Jahrhundert, hier S. 122 ff. und Die Kaiserpolitik Ottos des Großen, hier S. 172 ff.] Vgl. Annales Fuldenses 869, ed. F. Kurze in SS. rer. Germ, in us. schol. (1891), S. 70.
Die politische Haltung Widukinds von Korvei
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Königshaus verschwägerten England realisiert wurde, auch in Deutschland um diese Zeit noch eine Vorstellung war, mit der man sich unter Umständen auseinanderzusetzen hatte. Nun war seit spätestens dem Jahre 951 das römische Kaisertum Ottos des Großen in den Bereich der Möglichkeit gerückt. Gegen dieses Kaisertum aber gab es, was hier im einzelnen nicht ausgeführt werden kann, Bedenken und Widerstände. Es gab Kreise, die seine Aufrichtung nicht wünschten; vor allem im sächsischen Adel scheinen solche Stimmungen gelebt, und auch Konrad der Rote und Liudolf von Schwaben scheinen sich zu ihnen bekannt zu haben. Aber gleichviel, wer die Gegner des römischen Kaisergedankens auch waren, wenn man ein römisches Kaisertum nicht wollte, lag es dann nicht nahe, ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem man auf jene andere, sozusagen fränkisch-germanische Kaiseridee zurückgriff? Wieweit das tatsächlich geschehen ist, wissen wir nicht. Aber man wird mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß mindestens Erwägungen derart, wie sie Widukind als auf dem Lechfeld vollzogene Tatsache hinstellt, unter den Politikern seiner Zeit eine Rolle gespielt haben. Nun hat sich zwar Widukind in den Zusätzen 973 (wenn sie von ihm stammen!) anscheinend mit dem römischen Kaisertum der Ottonen abgefunden. Er nennt hier Otto I. einmal Imperator Romanorum, und er sagt hier, daß Otto II. in Rom vom Papst die Kaiserkrone empfangen habe 160 . Immerhin ist vielleicht nicht unwichtig, daß diese Nachricht nur in einem von Widukind aufgenommenen Brief Ottos I. steht, und daß Widukind an einer andern Stelle sagt, Otto II. sei vom Papst zum Kaiser designiert worden. Man wird diese Wendung nicht pressen dürfen. Aber man kann aus ihr doch immerhin eine zurückhaltende Stellungnahme Widukinds gegenüber der Kaiserkrönung durch den Papst herauslesen. Aber mag Widukind 973 auch der 962 und 967 vollzogenen Tatsache Rechnung getragen haben, so bleibt doch un- 39 bestreitbar, daß er in den Jahren 958 und 968 eine Auffassung vom Kaisertum gehabt hat, in der das Papsttum und Rom keinen Platz hatten. Widukind hat offenbar noch im Jahre 968 die römische Kaiserkrönung Ottos zugunsten einer in Wirklichkeit nicht vollzogenen Kaisererhebung auf dem Lechfeld ignoriert. Aber selbst wenn man die äußerst unwahrscheinliche Ansicht vertreten wollte, daß ihm 968 diese Kaiserkrönung noch unbekannt war, so bliebe doch die Tatsache bestehen, daß er im Jahre 958 Otto, der damals noch nicht die Kaiserkrone trug, als Kaiser betrachtet und sein Kaisertum von der Lechfeldschlacht datiert, und daß er jedenfalls auch noch 968, gleichgültig aus welchen Gründen, an dieser Auffassung festhielt. Die politische Idee, die Widukind dabei erfüllte, dürfte nach dem, was eben über die Geschichte des nichtrömischen Kaisergedankens gesagt wurde, einigermaßen deutlich sein. Wir haben Widukind in seiner politischen Haltung als sächsischen Edling kennengelernt, für den Italien und das Papsttum so gut wie keine, religiöse Antriebe und Begeisterungen, dazu Kirche und Episkopat nur eine geringe Rolle spielten. Gegen das weite Ubergreifen Ottos über die Reichsgrenzen kann er offenbar ein leises Mißtrauen nicht unterdrücken: In seiner Sachsengeschichte findet sich der nachdenkliche Satz, daß das Sachsenreich an seiner Größe zu leiden be160 Y g j dazu und zum folgenden oben Anm. 152 und 153
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Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
ginne 1 6 1 . Widukinds politisches Interesse liegt im Norden der Alpen, bei den Kämpfen gegen Slawen und Ungarn. Der Kampf gegen die Ungarn vor allem ist für ihn die größte außenpolitische Aufgabe seiner Zeit, nicht Italien und Rom. Nun war Otto nicht bloß deutscher König, er nahm eine schiedsrichterliche Stellung über Frankreich ein, er war Oberherr von Burgund und, seitdem ihm Berengar den Vasalleneid geschworen hatte, Lehnsherr von Italien: er war ein Herrscher über viele Völker und Könige. Der Sieg über die Ungarn befreite Sachsen, die deutschen Stämme und ganz Europa vor dem Erbfeind Gottes und der Christenheit 162 . Mit ihm erwies sich Otto als der Schützer und Retter der ihm anvertrauten Völker und damit als ihr wahrer Herr. Ihm, dem Herrscher über viele Völker, dem Sieger über die Ungarn, dem Schützer und Retter des christlichen Europa, gebührt nach Widukinds Ansicht der Name und der Rang des Kaisers. 1,1
m
Vgl. I cap. 34, S. 48. D a ß diese Stelle sich im Wortlaut anscheinend an Livius anlehnt, vgl. Hirsch S. 48, Anm. 4, spricht nicht dagegen, daß Widukind in ihr seine eigene Ansicht äußert. Auf Europa und die Christenheit weist Widukind in seinem Bericht über die Lechfeldschlacht ausdrücklich hin.
H. Beumann, Widukind von Korvei, Untersuchungen zur Geschichtsschreibung und Ideengeschichte des 10. Jahrhunderts* Rezension
Historische Zeitschrift, Band 176, 1953, S. 1 1 2 - 1 1 6
Die Besprechung dieses Buches macht mir etwas Kopfschmerzen; denn zu einem einigermaßen eindeutigen und klaren Urteil kann ich nur schwer kommen. Auf der einen Seite scheint mir kein Zweifel zu sein, daß es sich bei Beumanns Schrift um eine wertvolle, gelehrte und scharfsinnige Arbeit handelt; auf der andern Seite aber dürfte nach meinem Eindruck dem Leser bei der Lektüre doch nicht immer ganz wohl zumute sein. Beumann geht von der Überlegung aus, daß wir, während wir von den geschichtlich handelnden Persönlichkeiten des frühen Mittelalters direkt so gut wie nichts wissen und zur Ergründung ihres Denkens und ihrer Motive auf ein sehr fragwürdiges Schlußverfahren angewiesen sind, in den Werken der Chronisten und Annalisten diese selbst unmittelbar mit ihren Anschauungen vor uns haben. Indem er Widukind von Korvei behandelt, will er also die geistige Haltung und die geistige 113 Welt des Korveier Mönches, kurz, er will in dem Chronisten den mittelalterlichen Menschen finden und beschreiben. Also ein Verfahren, wie es ähnlich etwa für die Merowingerzeit von Koebner, für die Karolingerzeit von Hellmann, für die Hohenstaufenzeit von Spörl angewandt, und von mir selbst, wenn auch nur vorläufig und fragmentarisch, für Liudprand von Cremona [vgl. Studien über Liudprand von Cremona, hier S. 351 ff.] und auch für Widukind von Korvei [vgl. Die politische Haltung Widukinds von Korvei, hier S. 316 ff.] versucht worden ist. Einen großen Teil seiner Bemühungen verwendet B. auf die Aufhellung der literarischen Persönlichkeit Widukinds: dem sind in sieben Kapiteln ungefähr zwei Drittel des Buches gewidmet. Nach einem Einleitungskapitel, in dem er sich über die uns bekannten (oder vermuteten) Lebensdaten Widukinds verbreitet, bespricht Kapitel II die literarische Absicht, III epische und historische Perspektiven, IV die Struktur des Werkes, V den Einfluß literarischer Traditionen auf die Komposition, VI Persönlichkeitsschilderung, VII Intellekt und Anschauung (ein Titel, der freilich den Inhalt des Kapitels nicht ganz treffen dürfte). Es ist mir völlig unmöglich, den Gedankengang und die Ergebnisse dieser sieben Kapitel hier im einzelnen durch* Weimar, H. Böhlaus Nachf. 1950. XVI, 300 S.
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14
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
zusprechen. Es handelt sich dabei um sehr subtile Untersuchungen mit einer Fülle von Beobachtungen, die sich zum guten Teil auf das rein Philologische, auf Grammatik, Wortschatz, Syntax usw. Widukrnds beziehen; daneben spielt natürlich auch der Stil, die literarische Gestalt im engeren Sinne des Wortes eine große Rolle. E s werden Abhängigkeiten oder Parallelen von und zur Antike und der Historiographie der Merowinger- und Karolingerzeit sowie zur volkstümlichen germanischen Dichtung verfolgt und aufgedeckt, und immer wieder wird Widukind mit seinen antiken und mittelalterlichen Vorbildern und Vorgängern konfrontiert und verglichen. Sensationelle Entdeckungen werden dabei selbstverständlich nicht gemacht, und die will der Verfasser auch nicht machen. D i e grundlegende Tatsache, daß Widukind einmal von der Antike, vor allem von Sallust, abhängig, daß er aber im übrigen, wie Gundlach gesagt hat, so etwas wie ein Spielmann in der Kutte ist, steht fest und wird auch von B. nur bestätigt. Aber sie wird doch bestätigt und erläutert mit einem umfangreichen Mosaik von Einzelbelegen und Hinweisen, die in ihrer Fragestellung und ihren Resultaten vielfach neue und recht beachtenswerte Nuancierungen der alten Erkenntnisse bieten. Bisweilen weitet sich die Monographie über Widukind zu Durchblicken und Überblicken über bestimmte Bezirke der frühmittelalterlichlateinischen Sprach- und Literaturgeschichte überhaupt aus. Hinter einzelnes mag man Fragezeichen setzen; man wird die Disposition der sieben Kapitel (wie des Buches überhaupt) nicht immer ganz glücklich finden; und manchmal wird man monieren, daß etwas zuviel, manchmal etwas zu wenig des Guten getan ist. Etwas zuviel, wenn häufig von Erscheinungen in der Historiographie und Schriftstellerei überhaupt geredet wird, die offensichtlich gar keinen Einfluß auf Widukind gehabt haben, oder wenn Einflüsse vermutet oder behauptet werden, die recht fragwürdig sind: manches in Widukinds literarischem Gebaren dürfte sich mit einfacheren und näherliegenden Momenten erklären lassen, als es bei B. geschieht. Zuwenig, wenn etwa in der Historiographie der Karolingerzeit der „Impressionismus" vermißt wird: nach meinem Eindruck wenigstens findet man das, was B. daruntei versteht, durchaus, z. B. in Eigils Vita, Sturmi oder auch in Einhards Translatio SS. Marcellini et Petri, die man neben der (von B. immer wieder verwerteten) Vita Karoli als äußerst beachtenswertes Erzeugnis Einhards nicht vergessen sollte. D i e beiden interessantesten Kapitel sind für meinen Geschmack das achte und das neunte. Das achte bespricht die Stufen der Entstehung und der Abfassungszeit der Sachsengeschichte. In Übereinstimmung mit Bloch und mir nimmt B. dabei eine Fassung an, die vor der Redaktion liegt, welche der JCaisertochter Mathilde gewidmet ist. Im Gegensatz zu Bloch und mir verlegt er diese Fassung jedoch nicht ins Jahr 957/958, sondern läßt sie unmittelbar vor der zweiten (Mathilden-)Redaktion von 968 entstanden sein, womit er sich der Ansicht von Stengel nähert, der eine Fassung vor 968 überhaupt leugnete. B.'s Überlegungen und Einwände scheinen mir durchaus gewichtig zu sein, aber den sicheren Beweis für seine These, den er in ihnen erblickt, kann ich nicht darin sehen: trotz allem, was B. sagt, scheint mir immer noch mehr oder ebensoviel für eine erste Abfassung der Sachsengeschichte ums Jahr 9 5 8 zu sprechen. * *
[Vgl. dazu hier S. 5 8 4 , Anm. 5.]
H. Beumann, Widukind von Korvei
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Schließlich Kapitel IX. Hier wird das für das Ziel des Buches zentrale Problem erörtert; Widukinds Gedankenwelt und Geschichtsauffassung. Auch darauf kann ich bei dem Umfang und der Kompliziertheit des Details nicht im einzelnen eingehen. Ich möchte nur folgendes bemerken. B. behandelt hier im Grunde dasselbe Thema, das ich vor einer Reihe von Jahren in meiner Studie über die politische Haltung Widukinds von Korvei (Sachsen und Anhalt 14) [hier S. 316 ff.] behandelt habe. Es klingt vielleicht sonderbar, wenn ich sage, daß mir mein Produkt besser gefällt. Diesen kühnen Ausspruch bitte ich nicht falsch zu verstehen. Ich verkenne keinen Augenblick, daß B. auf sein Widukindbild sehr viel mehr Zeit, Fleiß und Gelehrsamkeit verwandt hat, als ich das in meiner knappen Skizze getan habe; und ebensowenig verkenne ich, daß er nicht bloß andere und mehr Fragen aufgegriffen und genauer und minutiöser untersucht hat als ich, sondern daß er in vielen Dingen (z. B. in der Frage nach der Herkunft des hegemonialen Kaiserbegriffs bei Widukind, im Anschluß an Stengel) erheblich über das hinausgekommen ist, was ich seinerzeit zu sagen 115 hatte. Ich meine nicht, ich habe es an sich besser gemacht als B., sondern ich meine nur, daß mir die vergleichsweise grobe Umrißzeichnung, die ich gegeben habe, dem Gegenstande angemessener zu sein scheint als das ausführliche und ausgeführte Bild, das B. gibt. Das klingt vielleicht paradox, und ich möchte, was ich meine, mit ein paar Worten erläutern. Wenn ein Zeichner einen Gegenstand aus einer großen Entfernung zeichnet, so mag er mit einiger Zuverlässigkeit die Silhouette oder ein paar besonders markante Linien seines Objektes wiedergeben. Wenn er sich aber darauf versteift, ein in allen Einzelheiten ausgeführtes Bild zu liefern, so tut er damit etwas, was er eigentlich nicht kann, weil er dafür nicht genug sieht. Tut er es trotzdem, so vermag kein Mensch zu sagen, ob das Bild, das zustande kommt, der Wirklichkeit entspricht oder nicht. Wenn wir Heinrich I. oder Otto den Großen als Politiker und Menschen charakterisieren wollen, so können wir darüber (wenigstens höchstwahrscheinlich) etwas leidlich Richtiges sagen, wenn wir es mit ein paar Worten tun. Versuchen wir eine ausführliche und detaillierte Charakteristik zu geben, so wird das notgedrungen ein Phantasiegebilde. Ich sagte zu Anfang dieser Besprechung, daß die Dinge bei dei Charakterisierung eines mittelalterlichen Chronisten oder Schriftstellers wesentlich besser liegen, weil wir da ein ausreichenderes und unmittelbareres Material für unsere Fragen zur Verfügung haben: Überlegungen der Art waren es denn auch, die B. bei seinem Widukindbuch geleitet haben. Doch in Wirklichkeit ist auch hier die Situation längst nicht so günstig, wie man zunächst vielleicht glaubt. Liest man ein Buch aus dem neunzehnten oder zwanzigsten Jahrhundert, so kann man sicher sein, daß man es im großen und ganzen so versteht, wie es gemeint ist (vorausgesetzt, daß es überhaupt verständlich ist). Liest man ein Buch aus dem zehnten Jahrhundert, so fehlt diese Sicherheit weitgehend. Hinter seinen Worten verbergen sich vielfach Begriffe, die uns von Haus aus fremd sind, und es gehört ein mühsamer und an Fehlerquellen reicher Prozeß dazu, uns mit ihnen einigermaßen bekannt zu machen. Aber selbst, wenn uns das gelingt, so bleibt bei der Beobachtung gerade eines mittelalterlichen Historiographen die oft unüberwindliche Schwierigkeit bestehen, daß wir nicht wissen, in welchem Verhältnis das, was er von der Geschichte
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Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
erzählt, zur Geschichte selbst steht. D a wir das geschichtliche Geschehen im wesentlichen aus der Historiographie kennenlernen, so bewegen wir uns nur zu oft im Kreise, wenn wir Geschichtschreibung und Geschichte miteinander vergleichen und jene an dieser messen und beurteilen wollen. ii6 Was Widukind etwa über Heinrich I. oder seinen Vater Otto sagt, können wir in vielen Fällen unmöglich kontrollieren. Oder wenn er von verfassungsgeschichtlichen und wirtschaftlichen Dingen schweigt, so wissen wir kaum, wie es damit in Wirklichkeit aussah, und noch weniger, welchen Wert das Bewußtsein der Zeit sonst auf diese Dinge legte. Wenn wir das alles und vieles andere aber nicht wissen, wie können wir dann die Haltung des Chronisten (die doch eben auf seiner Stellung zu den historischen Tatsachen beruht) verstehen? Soweit wir das Objekt seiner Geschichtschreibung nicht kennen, können wir uns auch von ihr selbst kaum eine richtige Vorstellung machen. Dazu kommt, daß der mittelalterliche Schriftsteller in einem Ausmaß von Formund Stilkategorien abhängig ist, das wir trotz der scharfsinnigsten Versuche nicht richtig abzuschätzen vermögen. Wie sehr auch der hervorragendste Chronist ein Sklave der Form sein kann, mag man an der Art sehen, wie sich Einhards Vita Karoli und seine Translatio SS. Marcellini et Petri voneinander unterscheiden. Das eine Mal folgt Einhard einer antikisierenden, das andere Mal einer (im wesentlichen1) hagiographischen Absicht; und beide Werke unterscheiden sich so sehr voneinander, daß, wenn wir es nicht wüßten, wir schwerlich annehmen würden, daß sie beide von demselben Verfasser stammen: was der wahre Einhard ist, kann niemand sagen. Alles das sind natürlich längst bekannte und mehr oder weniger geläufige Tatsachen, und B. hat die Schwierigkeiten, die sich aus ihnen ergeben, sicher auch empfunden. E r versucht, durch eine möglichst scharfe Interpretation Widukinds mit ihnen fertig zu werden. Gerade die Schärfe seiner Interpretation ist mir aber nun wieder etwas verdächtig. B. setzt für Widukind im allgemeinen ein Maß von Scharfsinn und Gelehrsamkeit voraus, wie er es selber besitzt, und das scheint mir nicht ganz statthaft zu sein. Mir kommt der gute Mönch von Korvei in B.s Buch manchmal vor wie ein armes Bäuerlein vor seinem gestrengen Untersuchungsrichter: der beweist dem Delinquenten, was er alles mit seinen Worten gesagt und gemeint haben soll; das Bäuerlein aber versteht von alledem nichts, weil er eine andere Sprache spricht als der Richter. Wenn das, was B. über Widukind sagt, nicht immer zutreffend oder mindestens nicht immer beweisbar sein dürfte, so liegt das also in der Natur der Sache oder daran, daß B. die Grenzen unserer Erkenntnismöglichkeiten überschritten hat. Zweifellos bleiben seine Ausführungen auch da, wo er das getan hat, lehrreich und interessant. Aber es zeigt sich leider auch hier, daß uns die Vergangenheit im Grunde (wenigstens wenn wir nicht recht bescheiden sind) ein Buch mit sieben Siegeln bleibt.
Studien über Liudprand von Cremona Historische Studien, Heft 2 3 3 . Berlin, Verlag Ebering 1 9 3 3 . 76 S.
VORWORT Der zweite der folgenden Aufsätze ist im Januar des vorigen Jahres, die beiden andern sind in diesem Frühjahr entstanden; sie sollen keine Einheit untereinander bilden, und jeder von ihnen ist als ein geschlossenes Ganzes für sich gedacht. Trotzdem wird man leicht bemerken, daß es nicht bloß der Name Liudprands von Cremona ist, der sie miteinander verbindet und ihre gemeinsame Veröffentlichung rechtfertigt. In allen drei Untersuchungen haben mir immer wieder, wenn nicht die gleichen, so doch ähnliche Fragestellungen vorgeschwebt, Fragestellungen, die sich einmal auf das Verhältnis Liudprands zur Politik, besonders zur Kaiserpolitik Ottos des Großen, sodann aber ganz allgemein auf das Verhältnis von Geschichtschreibung und Politik im zehnten Jahrhundert beziehen. Die daraus sich ergebenden Fragen sollen hier keineswegs gelöst, sondern nur gestellt und präzisiert werden; alle drei Aufsätze enden gewissermaßen mit einem Fragezeichen, und sie wollen weiter nichts sein als Vorstudien für eine umfassendere Untersuchung über Geschichtschreibung und Politik im Zeitalter der Ottonen, zugleich aber auch für eine Untersuchung der alten Frage nach dem Wesen der frühmittelalterlichen Kaiserpolitik. Herrn Professor Dr. Robert Holtzmann habe ich für einige freundliche Ratschläge und Hinweise vielmals zu danken. Halle a. S., im Juli 1933
Martin Lintzel
Studien über Liudprand von Cremona Historische Studien, Heft 2 3 3 . Berlin, Verlag Ebering 1 9 3 3 . 76 S.
VORWORT Der zweite der folgenden Aufsätze ist im Januar des vorigen Jahres, die beiden andern sind in diesem Frühjahr entstanden; sie sollen keine Einheit untereinander bilden, und jeder von ihnen ist als ein geschlossenes Ganzes für sich gedacht. Trotzdem wird man leicht bemerken, daß es nicht bloß der Name Liudprands von Cremona ist, der sie miteinander verbindet und ihre gemeinsame Veröffentlichung rechtfertigt. In allen drei Untersuchungen haben mir immer wieder, wenn nicht die gleichen, so doch ähnliche Fragestellungen vorgeschwebt, Fragestellungen, die sich einmal auf das Verhältnis Liudprands zur Politik, besonders zur Kaiserpolitik Ottos des Großen, sodann aber ganz allgemein auf das Verhältnis von Geschichtschreibung und Politik im zehnten Jahrhundert beziehen. Die daraus sich ergebenden Fragen sollen hier keineswegs gelöst, sondern nur gestellt und präzisiert werden; alle drei Aufsätze enden gewissermaßen mit einem Fragezeichen, und sie wollen weiter nichts sein als Vorstudien für eine umfassendere Untersuchung über Geschichtschreibung und Politik im Zeitalter der Ottonen, zugleich aber auch für eine Untersuchung der alten Frage nach dem Wesen der frühmittelalterlichen Kaiserpolitik. Herrn Professor Dr. Robert Holtzmann habe ich für einige freundliche Ratschläge und Hinweise vielmals zu danken. Halle a. S., im Juli 1933
Martin Lintzel
I. Z U R K R I T I K D E R H I S T O R I A
ERSTES
OTTONIS
KAPITEL
Die Beziehungen zwischen der Historia und der Continuatio
Reginonis
Über die Frage nach den Beziehungen zwischen Liudprands Historia Ottonis 1 und dem Annalenwerk des Fortsetzers des Regino 2 sind die Ansichten sehr geteilt. Köpke hat die Vermutung geäußert, daß der Continuator aus der Historia geschöpft habe 3 . Dieser Ansicht haben Ranke 4 , Dändliker und Müller 5 sowie Dümmler c widersprochen; nach ihrer Meinung sind die beiden Quellen voneinander völlig unabhängig. Demgegenüber hat Werra 7 zwar gleichfalls ihre direkte Abhängigkeit geleugnet, aber doch die Meinung vertreten, daß eine indirekte Verwandtschaft s durch Vermittlung einer dritten Quelle zwischen ihnen bestehe; und zwar hat er vermutet, der Continuator habe (uns unbekannte) Berichte Liudprands gekannt, die dieser im Auftrag Ottos des Großen in den Jahren 961 bis 964 aus Italien an Wilhelm von Mainz geschickt und dann später in der Historia verarbeitet habe. Eine ähnliche Ansicht hat v. Ottenthai verfochten 8 ; auch er behauptet, daß der Continuator und die Historia auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen; doch sieht er in ihr einen Bericht der römischen Synode vom Juni 964, einen Bericht, der außerdem durch Vermittlung eines Zwischengliedes dem Verfasser der Vita Johannis XII. im Uber pontificalis und Benedikt von S. Andrea bekannt gewesen sei. Mit der Modifikation, daß es sich bei diesem Bericht um ein Sendschreiben des Kaisers gehandelt habe und daß er den beiden römischen Quellen ebenso wie Liudprand und dem Fort1
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Vgl. D i e Werke Liudprands von Cremona, hrsg. von J. Becker in SS. rer. Germ, in us. schol. (1915). S. 159 ff. Vgl. Reginonis abbatis Prumiensis chronicon, ed. F. Kurze in SS. rer. Germ, in us. schol. (1890), S. 154 ff.; die hier in Betracht kommenden Partien S. 170 ff. Vgl. R. Köpke, Ottonische Studien II, Hrotsvith von Gandersheim (1869), S. 96 Anm. 1. Vgl. L. v. Ranke, Weltgeschichte VIII (1887), Analekten II, Liudprand, S. 649 ff. Vgl. C. Dändliker und J. J. Müller, Liudprand von Cremona und seine Quellen, Untersuchungen zur mittleren Geschichte, hrsg. von M. Büdinger I (1871), S. 290 ff., besonders S. 305 ff. , Vgl. E. Dümmler, Zum liudprand von Cremona, Historische Zeitschrift 26 (1871), S. 281, w o Dümmler wenigstens die „unmittelbare Verwandtschaft" zwischen Liudprand und dem Continuator ablehnt. Vgl. J. Werra, Über den Continuator Reginonis, Dissert. Leipzig 1883, S. 34 ff. Vgl. E. v. Ottenthai, D i e Quellen zur ersten Romfahrt Ottos I., MIÖG. 4. Ergbd. (1893), S. 32 ff.
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setzer des Regino unmittelbar, ohne Zwischenglied, vorgelegen habe, hat sich Kortüm v. Ottenthals Meinung angeschlossen 9 . Ihnen hat Sackur widersprochen 10 ; nach seiner Ansicht besteht eine auf schriftlichem Wege vermittelte Verwandtschaft zwischen Liudprand und dem Continuator überhaupt nicht, und ebenso wenig zwischen diesen beiden Schriftstellern und der römischen Quellengruppe; die Anklänge, die sie aufweisen, erklärt Sackur aus der persönlichen Bekanntschaft Liudprands mit dem Continuator und dem Verfasser der Papstvita; diese Bekanntschaft habe es mit sich gebracht, daß die verschiedenen Autoren über gewisse Vorgänge gleiche Ansichten und Urteile hatten. Der Anschauung Sackurs hat schließlich J . Becker in seiner Ausgabe von Liudprands Werken beigepflichtet n . Betrachten wir zunächst das Verhältnis des Continuator Reginonis zu Liudprands Historia, wobei einstweilen die beiden römischen Quellen ganz beiseite bleiben mögen. Man bemerkt sofort, daß in dem Tatsachenmaterial, das der Continuator und 9 Liudprand mitteilen, eine weitgehende Übereinstimmung besteht; und vor allem, daß sich beide Historiker auch in der Anordnung dieses Materials in wesentlichen Zügen decken l s . Beide berichten von der Gesandtschaft der Kurie nach Deutschland und von den italienischen Großen, die Otto gegen Berengar nach Italien einluden ; sie berichten von der Wahl Ottos II. und von der mühelosen Eroberung von Berengars Reich. Beide erzählen von der Kaiserkrönung und von dem Treueid, den danach Johann XII. Otto leistete; sie berichten sodann, während Otto in Pavia weilte, seien verräterische Beziehungen zwischen Johann und König Adalbert angeknüpft worden, die sich zum offenen Abfall des Papstes vom Kaiser entwickelten, als dieser Berengars Burg San Leo belagerte. Es folgt in beiden Quellen der Bericht über Adalberts Ankunft in Rom, über den Marsch Ottos gegen die Ewige Stadt, die Flucht Johanns und Adalberts, den Einzug des Kaisers, die Unterwerfung der Römer, die Synode in Rom, die Aufforderung an Johann, sich der Synode zu stellen, seine Weigerung und die Wahl Leos VIII. Daran schließen sich der Aufstand der Römer vom Januar 964, seine Niederwerfung, die Geiselstellung der Römer, die Rückgabe der Geiseln durch-Otto und sein Abmarsch nach Spoleto und Camerino an. Darauf neue Empörung der Römer, Rückkehr Johanns, Flucht Leos, Verstümmelung der Gesandten durch Johann, die 960 Otto eingeladen hatten, Tod Johanns XII., Wahl Benedikts durch die Römer; Belagerung Roms durch Otto, die Eroberung der Stadt, die Restitution Leos, die neue Synode und die Degradierung Benedikts, dem auf Bitten Ottos wenigstens der Rang eines Diakons gelassen wird. Indessen setzen sich die Erzählungen beider Quellen nicht nur aus den eben angegebenen Nachrichten zusammen; jede von ihnen berichtet auch in ganz erheblichem 0
Vgl. J . A. Kortüm, Das Verwandtschaftsverhältnis der vier Hauptquellen für den Römerzug Ottos I., Dissert. Rostock 1899.
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Vgl. E . Sackur, Die Quellen für den ersten Römerzug Ottos I., Straßburger Festschr. zur 46. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner (1901), S. 249 ff.
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Vgl. J . Becker, Die Werke Liudprands, S. X X I f.
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Vgl. zum folgenden Liudprand S. 159 ff., Cont. Regin. S. 170 ff.
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Lintzel Bd. I I
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Maße über Dinge, die der andern wieder fremd sind 13 . Und daß sie in der Erzählung und in der Anordnung der angegebenen Tatsachen übereinstimmen, kann natürlich trotz aller gegenteiligen Behauptungen 14 für sich allein eine Abhängigkeit der beiden Quellen voneinander in keiner Hinsicht beweisen. Liudprand wie der Continuator Reginonis sind sehr gut unterrichtet; Liudprand hat die Dinge, die er in der Historia erzählt, persönlich miterlebt, und noch dazu an hervorragender Stelle und selbst politisch handelnd; der Continuator aber hatte die besten Beziehungen zum deutschen Königshofe, und die Nachrichten, die er sonst über die Geschichte seiner Zeit und besonders über die Ereignisse in Italien gibt, beweisen, daß er durchaus nicht etwa auf Liudprand angewiesen war, um das zu erfahren, was er über die Vorgänge der Jahre 960 bis 964 weiß. Und daß in den eben zusammengestellten Nachrichten die beiden Quellen dieselbe Reihenfolge der Erzählung beobachten, kann sich einfach daraus erklären, daß diese Reihenfolge dem historischen Ablauf der Dinge entspricht. Deutlicher schon weist auf eine Verwandtschaft der Continuatio und der Historia der Umstand hin, daß nicht nur sozusagen in gewissen Haupttatsachen eine Übereinstimmung der beiden Quellen besteht, sondern daß sie auch in anscheinend unbedeutenden Einzelheiten das gleiche sagen. Man denke dabei etwa an die in beiden Quellen wiederkehrenden Namen der Gesandten des Papstes und der italienischen Großen an Otto im Jahre 960 1 5 oder etwa an die beidemal erwähnte Tatsache, daß Otto im Januar 964 den Römern ihre Geiseln auf Bitten Leos VIII. zurückgab 16. Noch entschiedener aber weist in derselben Richtung der Umstand, daß sich ziemlich häufige Anklänge im Wortlaut der beiden Quellen finden17. So wird im Bericht über " So verzeichnet Liudprand (von Einzelheiten und Kleinigkeiten abgesehen) folgende Nachrichten, die sich beim Continuator nicht finden: Die Gesandtschaft, die Otto auf die ersten Nachrichten von Johanns Abfall nach Rom schickt und die Antwort der Römer, die den Papst anklagen (cap. 4 und 5); die Gesandtschaft Johanns an Otto, der vor San Leo lagert (cap. 6); die neue Gesandtschaft Landwards von Minden und Liudprands von Cremona nach Rom und die Gegengesandtschaft Johanns (cap. 7); den ausführlichen Bericht über die Synoden vom 6. November, vom 22. November und vom 4. Dezember, die Aufzählung der Synodalteilnehmer, die Anklagen gegen Johann und den Briefwechsel mit ihm (cap. 9 - 1 5 ) ; die Art von Johanns Ende (cap. 20). Zahlreicher sind die von Liudprand nicht verzeichneten Tatsachen, die der Continuator in den fraglichen Jahresberichten mitteilt. Zu 960: der Tod Gailos von Weißenburg. Zu 961: Aufenthalt Ottos in Regensburg, Tod Poppos von Würzburg, Weihe Adalberts von S. Maximin zum Russenbischof, Reichstag in Worms, Krönung Ottos II. in Aachen, Regelung der Regentschaft in Deutschland, Stationen des Marsches nach Italien, Aufenthalt in Pavia, Tod Gottfrieds von Speyer, Gesandtschaft Hattos von Fulda nach Rom. Zu 962: Weihnachtsfeier Ottos zu Pavia, Schicksale der Familie Berengars, Kapitulation Willas, Rückkehr Adalberts aus Rußland, Tod Reginberts und Adalberos von Metz. Zu 963: Feier von Weihnachten (962) und Ostern in Pavia, Reue Johanns nach seiner Absetzung, seine Trennung von Adalbert, dessen Rückkehr nach Korsika, Eroberung von Garda, Unterwerfung der Lausitzer. Zu 964: Eroberung von San Leo, Verbannung Berengars und Willas nach Bayern, Mißhandlung Otgers von Speyer durch den nach Rom zurückgekehrten Johann. 14 15 18 17
Vgl. etwa v. Ottenthai und Kortüm a. a. O. Vgl. Liudprand S. 159 f. und Continuator S. 170; dazu weiter unten S. 355 ff. Vgl. Historia cap. 18, S. 173, Continuator S. 173. Darauf ist natürlich schon öfters hingewiesen worden; vgl. vor allem v. Ottenthai und Kortüm a. a. O., die mir freilich im Auffinden von Anklängen und Parallelen etwas zu weit zu gehen scheinen.
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die Einladung Ottos nach Italien von beiden die Herrschaft Berengars als tyranms bezeichnet 18 ; so berichtet Liudprand über den Treubruch des Papstes mit den 'Worten: Interea praefatus papa Johannes iuramenti et promissionis oblitus, quam sancto fecerat imperatori19; und der Continuator erzählt das gleiche mit der fast identischen Wendung: Interim Jobannes papa promissiones imperatori factas oblivioni tradens 20. Im Zusammenhang mit dem Abfall Johanns gebraucht Liudprand das Wort dolose 21, der Continuator den Ausdruck dolositas22. Die Verschwörung der Römer vom Januar 964 charakterisiert Liudprand mit der Wendung: ut eum occidant23, der Continuator: eum occidere nitebantur24. Wegen der Wahl Benedikts bezeichnet Liudprand die Römer als des Eides gegen Otto immemores25, der Continuator als 12 der Treue gegen Leo gleichfalls immemores 26 . Den Bericht über das Vorgehen Ottos nach dieser Wahl leiten beide Quellen mit den Worten ein: Quo audito imperator 27. Nach der Eroberung Roms heißt es bei Liudprand: Leonem ... sedi restitueret28, beim Continuator: Leonem in sedem ... restituunt29, und in beiden Berichten wird Benedikt als sedis invasor bezeichnet 30 . Gewiß, auch diese wörtlichen Übereinstimmungen sind, wenn man auf den verhältnismäßig großen Umfang der Quellen sieht, nicht eben zahlreich, und man könnte vermuten, daß sie auf Zufall beruhen oder sich wenigstens, wie Sackur behauptet, durch die persönliche Bekanntschaft der beiden Autoren erklären lassen: in ihren Unterhaltungen miteinander könnten sie sich in ähnlichen Wendungen über die Dinge ausgesprochen haben. Aber bei näherem Zusehen erweist sich dieser Ausweg doch als schwer gangbar. Denn auf ihm vermöchte man kaum eine Erklärung dafür zu finden, wie es kommt, daß die beiden Quellen immer gerade an der gleichen resp. entsprechenden Stelle ihre Parallelen im Wortlaut aufweisen. Z. B. die Wendungen promissionis oblivisci oder dolose hätten sie auch auf das Benehmen der Römer 963 oder 964 anwenden können, statt mit ihnen nur das Verhalten Johanns 963 zu charakterisieren. Und ähnlich, warum bezeichnen zu 964 beide Quellen die Römer als immemores der Treue, die sie schuldig waren und verwenden das Wort an keiner andern Stelle, während sich doch dazu oft genug Gelegenheit geboten hätte? Vor allem jedoch, warum bringen beide an der gleichen Stelle, sonst aber nirgends, die vollkommen nichtssagende und unauffällige Wendung quo audito imperator, die sich doch dutzendfach auch anderswo hätte anbringen lassen? Endgültig scheint aber die Frage nach der Verwandtschaft der beiden Quellen 13 entschieden zu werden durch ihre Übereinstimmung in den folgenden Partien. Über die Einladung Ottos nach Italien 960 schreibt Liudprand: Regnantibus, immo saevientibus, in Italia, et ut verius fateamur, tyrannidem exercentibus Berengario atque Adalberto, Johannes summus ponlifex et universalis papa, cuius tunc ecclesia sitpradictorum Berengarii atque Adalberti saevitiam erat experta, nuntios sanctae Romanae 18
" 22 25 27 28 30
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
23»
Historia cap. 1, S. 159, Continuator a. 9 6 0 , S. 170. 1 0 Vgl. a. 9 6 3 , S. 172. 2 1 Vgl. Historia cap. 6, S. 162. Historia cap. 4, S. 160. 2 3 Vgl. Historia cap. 17, S. 172. 2 4 Vgl. a. 9 6 4 , S. 173. a. 9 6 3 , S. 172 . 2 0 Vgl. a. 9 6 4 , S. 1 7 4 . Historia cap. 2 1 , S. 1 7 4 . Historia cap. 21 a. a. O., Continuator a. 964 a. a. O . 2 " Vgl. Continuator 9 6 4 a. a. O. Historia cap. 21 a. a. O. Historia cap. 2 2 . S. 174, Continuator a. 9 6 4 , S. 1 7 4 .
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ecclesiae, Johannem videlicet cardinalem diaconem et Azonern scriniarium, serenissimo atque püssimo tunc regi, nunc augusto caesari Ottoni destinavit, suppliciter litteris et rerutn signis orans, quatinus Dei pro amore sanctorumque apostolorum Petri et Pauli, quos delictorum suorutn cupierat esse remissores, se sibique commissam sanctarn Romanam ecclesiam ex eorum faucibus liberaret ac saluti et libertati pristinae restitueret. Haec dum Komani nuntii conqueruntur, vir venerabilis Waldpertus, sanctae Mediolanensis ecclesiae archiepiscopus, semivivus ex praedictorum rabie Berengarii atque Adelberti liberatus, superius memorati Ottonis, tunc regis, nunc caesaris augusti, potentiam adiit, indicans se non posse ferre et pati Berengarii atque Adelberti necnon et Willae saevitiam, quae Mannassen Arelatensem episcopum contra ius fasque Mediolanetisi sedi praefecerat. Aiebat sane hanc ecclesiae suae esse calamitatem, quae, quod se suosque capere oporteret, interciperet. Sed Waldo Cumanus episcopus bunc pone est secutus, non disparem a Berengario, Adalperto et Willa, quam Waldpertus, contumeliam clamitans se esse perpessum. Venerant et nonnulli alterius ordinis ex ltalia viri, quos inter illustris marcbio Otbertus cum apostolicis cucurrerat nuntiis, a sanctissimo Ottone, tunc rege nunc augusto caesare, consilium, auxilium expetens ai. Dieselben Vorgänge beschreibt der Continuator mit den Worten: Legati quoque ab apostolica sede veniunt Johannes diaconus et Azo scriniarius, vocantes regem ad dey fendendam Italiam et Romanam rempublicam a tirannide Berengarii. Waltbertus etiam archiepiscopus Mediolanensis et Waldo Cumanus episcopus et Opertus marchio 1* Berengarium jugientes in Saxonia regem adeunt; sed et reliqui pene omnis Italiae comites öf episcopi litteris eum aut legatis, ut ad se liberandos veniat, exposcunt32. Diese beiden Stellen sind selbstverständlich von jedem, der die Continuatio Reginonis mit der Historia Liudprands verglichen hat, herangezogen worden. In ihrer Beurteilung macht sich aber ein auffälliges Schwanken bemerkbar. Was dem einen als zufällige Übereinstimmung erscheint, betrachtet der andere als strikten Beweis für Verwandtschaft. Dabei dürften die Dinge hier doch ganz eindeutig liegen. Die beiden Quellen stimmen überein in den Namen der fünf Italiener, die am Hofe Ottos erschienen, und in der Reihenfolge ihrer Aufzählung. Gewiß, sie berichten damit weiter nichts als historische Tatsachen, die feststanden. Aber diese Tatsachen ließen sich doch in sehr verschiedener Weise erzählen. Liudprand sagt, daß außer den Genannten noch einige andere Italiener an den deutschen Hof kamen, und tatsächlich wissen wir, daß z. B. auch der Bischof Petrus von Novara vor dem Römerzug Ottos bei ihm geweilt hat 3 3 . Warum aber hat der Continuator ebenso wie Liudprand nur jene fünf Namen genannt und warum gerade jene fünf? Man könnte sich doch recht gut vorstellen, daß er auch andere als sie oder daß er von ihnen nur einen Teil oder gar keinen nannte. Und weiter. Die Bischöfe von Mailand und Como sind, wie Liudprand selbst erzählt, von Berengar aus ihren Sitzen vertrieben worden, und es ist anzunehmen, daß sie schon vor den päpstlichen Gesandten in Deutschland eingetroffen sind. Aber auch wenn das nicht richtig ist, so war es doch keineswegs selbstverständlich, auf die beiden vertriebenen Bischöfe erst nach der Gesandtschaft vom päpstlichen Stuhl zu sprechen zu kommen. Warum ist trotzdem der Continuator ge31
Vgl. Historia cap. 1, S. 159 f.
Si
Vgl. E . Dümmler, Kaiser Otto der Große ( 1 8 7 6 ) , S. 3 1 9 .
31
Vgl. a. 9 6 0 , S. 170.
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nauso wie Liudprand so verfahren? Alles in allem: für den Bericht über die Einladung Ottos nach Italien gab es eine kaum errechenbare Fülle von Darstellungsmöglichkeiten. D a ß der Continuator sowohl in den Namen, die er nennt, wie in ihrer Anordnung der Historia Ottonis folgt 3 4 , dürfte im Zusammenhang mit den andern 15 Parallelen zwischen den beiden Quellen, die sich feststellen ließen, endgültig beweisen, daß sein Werk und die Historia verwandt sind; und zwar kann es sich dabei nicht bloß um eine Verwandtschaft von der Art handeln, wie Sackur annahm; selbstverständlich erklärt sich diese Verwandtschaft nicht einfach damit, daß die Verfasser der beiden Werke miteinander bekannt waren, ohne daß einer die Schrift des andern kannte; sie muß irgendwie auf schriftlichem Wege vermittelt worden sein. Dies Resultat ergibt nun freilich noch nichts für die Art der schriftlichen Vermittlung; es läßt an sich natürlich verschiedene Möglichkeiten offen. Freilich zeigt sich sofort, daß die Annahme, Liudprand sei vom Contfhuator abhängig, von vornherein auszuschalten ist. Sie wird durch das Verhältnis der beiden Autoren zu den Ereignissen, die sie beschreiben, unwahrscheinlich und durch die Abfassungszeit ihrer Werke unmöglich gemacht. Liudprand hat die Vorgänge in Rom und in Italien von 961 bis 964 selbst miterlebt, und wenn er für ihre Schilderung auch immerhin 16 andere Quellen benutzt haben könnte, daß er ausgerechnet den deutschen Geschichtschreiber zu Rate gezogen hat, ist nicht gerade anzunehmen. Vor allem jedoch, Liudprand hat an seiner Historia geschrieben, bevor er die Nachricht vom Tode Leos VIII. bekam 8 5 , der im März 965 gestorben ist; der Continuator aber hat sein Werk erst später, vermutlich erst 967, abgefaßt und vollendet 3 6 . Danach bleiben also nur die Möglichkeiten, daß entweder der Continuator aus Liudprands Historia oder daß beide aus einer gemeinsamen, für uns verlorenen Quelle geschöpft haben. 31
Es sei hier noch auf eine zwar nicht ganz so deutliche aber doch ähnlich beweisende Parallele hingewiesen, die zugleich etwas weiter führt. Zu 963 (S. 172) erzählt der Continuator: Rex Herum Papie natale Domini et pascha celebravit. Interim Adalbertus buc illucque discursans, quoscumque poterat, sibi undique adtraxit, sed et Corsicam ibi se tueri nitens intravit. Romanum etiam pontificem multipliciter in suum adiutorium sollicitavit. Dum haec igitur aguntur, imperator a Papia movens iter Berengarium in monte sancti Leonis obsedit totamque ibi aestatem sedens saepe montem undique circumdedit et, ne aliquatenus pateret exitus vel introitus, prohibuit. Interim Johannes papa promissiones imperatori factas oblivioni tradens ab eo deficit et Berengarii seu Adalberti partibus favens Adalbertum Romam intromittit. Hierbei fällt auf, daß die Erzählung von dem Bündnis zwischen Johann und Adalbert zeriissen wird durch den Bericht über die Belagerung von San Leo, wofür man im Text des Continuators nicht recht einen Grund zu entdecken vermag. Der Gang der Erzählung bei Liudprand ist der folgende. In cap. 3 spricht er von dem Aufenthalt Ottos in Pavia; in cap. 4 spricht er von dem Abfall des Papstes zu Adalbert und der Gesandtschaft, die der Kaiser darauf von Pavia aus nach Rom schickte, in cap. 5 von der Rückkehr dieser Gesandtschaft nach Pavia, in cap. 6 und 7 von dem Marsch Ottos nach San Leo, neuem Gesandtenwechsel und der Ankunft Adalberts in Rom. Also die gleiche Anordnung wie beim Continuator, nur ist sie hier bei der genauen und detaillierten Erzählung Liudprands völlig begründet. Der Continuator scheint danach aus der Historia oder aus einer beiden gemeinsamen Quelle geschöpft zu haben; vgl. dazu weiter unten.
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Wie allgemein zugegeben wird, da Liudprand in cap. 6 Leo als noch lebenden Papst bezeichnet. Vgl. W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter I, 7. Aufl. (1904), S. 410 ff.; auch H. Breßlau, Zum Continuator Reginonis, Neues Archiv 25 (1900), S. 664 ff.
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Für die Annahme der zweiten Möglichkeit sind, wie schon bemerkt, Werra, v. Ottenthai und Kortüm eingetreten 3V. Doch die Gründe, die sie dafür anführen, sind in keiner Weise stichhaltig. Zunächst wird von ihnen hervorgehoben, was übrigens bisweilen auch als Argument gegen eine Verwandtschaft des Continuators und der Historia überhaupt angeführt wird 8S, daß die beiden Quellen sich doch nur sehr teilweise decken 39 , daß der Continuator weite Partien aufweist, von denen die Historia nichts weiß, und umgekehrt, daß Liudprand Dinge erzählt, von denen in der Continuatio kein Wort steht. Das, was beiden Quellen gemeinsam ist, soll auf die verlorene gemeinsame Quelle zurückgehen, das, was jede für sich hat, soll ihr Eigentum sein, das ihr unabhängig von der andern gehört. Doch vergleicht man die Divergenzen zwischen den beiden Quellen 40 , so erklären sie sich sehr einfach auch bei der Annahme, daß der Continuator die Historta Ottonis gekannt hat. Im Mittelpunkt von Liudprands Historia stehen bekanntlich der Verrat und die Absetzung Johanns XII. sowie die Wahl und dann die Restitution Leos VIII.: der Bischof behandelt fast ausschließlich das Verhältnis von Kaiser und Papst in den Jahren 962 bis 964 und er will die kaiserliche Politik gegenüber der Kurie rechtfertigen. Demgegenüber schreibt der Continuator Reichsgeschichte; er behandelt in gleicher Weise die Vorgänge in Deutschland wie in Italien und auf dem italienischen Schauplatz ebenso wie die Ereignisse in Rom den Krieg gegen Berengar. Daß für seine knappe Darstellungsart sehr viele von den Detailangaben, die Liudprand macht, unbrauchbar sind, versteht sich von selbst 41 ; und daß er andererseits die Historia bisweilen ergänzt oder auch korrigiert, ist in keiner Weise auffällig, wenn man bedenkt, wie gute Beziehungen er zu den Leitern der deutschen Politik hatte, wie gut er tatsächlich informiert war, und daß es im übrigen gerade bei den heiklen Vorgängen dieser Jahre genug Dinge gab, in denen zwei Historiker verschiedener Ansicht sein konnten, auch wenn der eine die Meinung des andern kannte. Weiter könnte man sagen, die Tatsache, daß die Historia und die Continuatio nur ganz geringe Anklänge im Wortlaut aufweisen, sei ein Zeichen für bloß indirekte Verwandtschaft. Doch man muß auf jeden Fall zugeben, daß sowohl der Continuator in den Jahresberichten von 960 bis 964 wie Liudprand in der Historia Ottonis einfach ihren eigenen Stil schreiben *2. So gut die beiden Historiker aber ihre Selbständigkeit gegenüber der angeblichen gemeinsamen Quelle gewahrt haben würden, könnte das natürlich der Continuator auch getan haben, wenn ihm die Historia vorlag. Im übrigen sind derartig geringe wörtliche Anklänge, wie sie die Continuatio an die Historia Ottonis aufweist, auch für unmittelbar voneinander abhängige Quellen durchaus keine Seltenheit. Gerade in der nächsten zeitlichen und räumlichen Umgebung des Continuators tauchen Quellen auf, die sich an ihre Vorlagen auch nicht 37 39 41
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38 Vgl. oben S. 352 f., Anm. 7, 8 u. 9. Vgl. etwa Ranke a. a. O. S. 651 ff. Vgl. vor allem v. Ottenthai S. 58 ff. ' ,0 Vgl. dazu oben S. 354, Anm. 13. Das gilt z. B. auch für das genaue Itinerar, das Liudprand in cap. 6 für Ottos Marsch von Pavia nach San Leo gibt und das der Continuator nicht mitteilt, was Ottenthai S. 58 als Gegengrund gegen eine Abhängigkeit des Continuators von der Historia anführt. Über die Auslassung von Liudprands Nachricht über das Bündnis Johanns mit den Ungarn vgl. weiter unten S. 366 f. Das hat man natürlich auch stets zugegeben.
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deutlicher anlehnen als er. So hat etwa Widukind von Korvei den Poeta Saxo, den er kannte, an bestimmten Stellen nur in der Disposition seiner Erzählung nachgeahmt, seinen Wortschatz dagegen fast ungeplündert gelassen 4 3 ; und ähnlich scheint Hrotswith von Gandersheim mit der Antapodosis Liudprands verfahren zu sein 4 4 . Einige Jahrzehnte später aber hat der Fälscher der Halberstädter Circumscriptionsurkunde aus seinen Vorlagen, den Diplomen Ottos des Großen für Havelberg und Brandenburg, auch nur die Anordnung des Stoffes, nicht aber den Wortlaut entnommen 4 5 . Als letztes Argument gegen die direkte Abhängigkeit des Contlnuators von der Historia ist nun von v. Ottenthai die angebliche Verwandtschaft beider Quellen mit dem Liber pontificalis und mit der Chronik Benedikts von S. Andrea angeführt worden 4 6 . Sie soll sich dadurch erklären, daß alle vier Quellen auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen, und die Existenz dieser gemeinsamen Quelle soll eine unmittelbare Verwandtschaft zwischen der Historia und der Continuatio ausschließen. Die übrigens recht unergiebige und belanglose Frage, ob und wie die vier Quellen untereinander zusammenhängen 4 7 , ist von v. Ottenthai in irgendwie überzeugender Weise nicht beantwortet worden 4 8 , und sie wird sich mit voller Sicherheit vielleicht über- 19 haupt nicht entscheiden lassen. Aber auch in dem Falle, daß v. Ottenthai mit seiner Annahme einer gemeinsamen Quelle wirklich recht hätte, gegen unmittelbare Beziehungen zwischen dem Continuator und Liudprand könnte das doch nichts beVgl. meine Untersuchung Der Poeta Saxo als Quelle Widukinds von Korvei, Neues Archiv 49 (1930), S. 183 ff. [hier S. 312 ff.]. 4 4 Die Frage nach dem Verhältnis der Hrotswith zu der Antapodosis ist noch nicht ganz geklärt; mir scheint aber trotz der geringen Anklänge zwischen beiden festzustehen, daß Hrotswith die Antapodosis benutzt hat. 4 5 Vgl. M. Tangl, Die Urkunden Ottos I. für Brandenburg und Havelberg als Vorbilder für die gefälschten Gründungsurkunden der sächsischen Bistümer: Beitr. zur brandenbg. u. preuß. Gesch., Festschr. für G. Schmoller (1908), S. 369 ff. 4® Vgl. v. Ottenthai S. 52 ff.; vgl. zum folgenden die Vita Johanns XII. im Liber pontificalis, hrsg. von L. Duchesne I I (1892), S. 246, und die Ausgabe der Chronik Benedikts in den Fonti per la storia d'Italia von G. Zucchetti (Rom 1920), S. 172 ff.; vgl. auch Zucchettis Einleitung zu seiner Ausgabe S. X X X I V ff., wo er die Ansicht v. Ottenthals rekapituliert. 4 7 Denn auch, wenn sie miteinander verwandt sind, so hat doch jede von ihnen soviel eigene Nachrichten, daß ihr selbständiger Wert gesichert ist. 4 8 v. Ottenthai trägt sehr viel angebliche Parallelen zwischen den vier Quellen zusammen; aber wenn man näher hinsieht, so merkt man, daß es sich meistens entweder um überhaupt keine Parallelen handelt, oder nur um Anklänge, die sich aus der in den Quellen beschriebenen Situation ganz zwanglos auch ohne Abhängigkeit ergeben. Gewiß, einige Parallelen sind immerhin da, und zwischen der Historia Liudprands und dem Liber pontificalis und der Chronik Benedikts haben offenbar Beziehungen bestanden; aber Beziehungen zwischen den römischen Quellen und dem Continuator (die nicht etwa durch Liudprand vermittelt sind) erscheinen mir recht zweifelhaft. Doch selbst, wenn sich auch das nachweisen ließe, so wäre damit doch noch nicht die Annahme einer den vier Quellen gemeinsamen Vorlage gegeben. Auch unter Anerkennung von v Ottenthals Argumenten könnte man z. B. annehmen, daß den beiden römischen Quellen Exzerpte aus der Historia und der Continuatio vorgelegen haben. Im einzelnen möchte ich hier v. Ottenthai nicht widerlegen; das würde eine Abhandlung für sich und soviel Papier und Druckerschwärze erfordern, wie die Frage, um die es dabei geht, nicht wert ist (zumal da sie für unsere Fragestellung völlig gleichgültig ist); außerdem wird jeder, der die Quellen nachschlägt, ohne weiteres die Fragwürdigkeit von v. Ottenthals Behauptungen feststellen können.
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weisen; auch trotz jener gemeinsamen Quelle bliebe die Möglichkeit bestehen, daß der Continuator auch Liudprands Werk direkt gekannt hat. Es liegt nach alledem keine Veranlassung vor, anzunehmen, daß die Parallelen, die zwischen der Continuatio und der Historia vorhanden sind, in beide Quellen nur aus einer gemeinsamen verlorenen Vorlage geflossen sein können. Aber noch mehr, es spricht im Gegenteil alles, was man weiß, unbedingt dafür, daß dem Continuator die Historia unmittelbar vorgelegen und daß er direkt aus ihr geschöpft hat. Sackur hat darauf hingewiesen, daß Liudprand und der Continuator im Jahre 965 am Hofe Ottos in Magdeburg zusammengetroffen sind 49. Und selbst wenn man das nicht als unbedingt erwiesen ansehen wollte, daß der Continuator und Liudprand sich persönlich gekannt haben, erscheint als sicher. Der Continuator ist identisch mit Adalbert, dem Mönch von St. Maximin, der ein Freund Wilhelms von Mainz war und der 961 zum Bischof der Russenmission geweiht ward, 962 aus Rußland zurückkam, dann am deutschen Hofe lebte, 966 Abt von Weißenburg und endlich 968 Erzbischof von Magdeburg wurde 50 . Daß dieser hervorragende Kleriker mit dem Bischof von Cremona, der sich häufig in Deutschland aufhielt, und der jedenfalls von allen italienischen Politikern am häufigsten in der Umgebung Ottos des Großen erschien, bekanntgeworden ist, versteht sich von selbst. Daß aber unter den Umständen der Continuator die Historia Ottonis sich leicht beschaffen konnte und für seine eigene Geschichtschreibung auch beschafft hat, ist eine Annahme, die auf der Hand liegt. ZWEITES
Die Kritik des Continuator
KAPITEL
Reginonis an Liudprands
Historia
Bei seiner Vermutung, daß die Historia und die Continuatio wie die Chronik Benedikts und das Papstbuch auf eine gemeinsame verlorene Quelle zurückgehen, meint v. Ottenthai 51, daß damit „unser Wissen von Ottos Kaiserzug weniger sicher erscheine als man bisher meinen durfte, weil die ausführlichsten Quellen dafür gerade in den wichtigsten Punkten . . . auf einen (einzigen) Bericht zurückgehen". Selbst wenn die Behauptung von dem einen Bericht den Tatsachen entspräche, die Folgerung, die v. Ottenthai aus ihr zieht, ist doch wohl unter allen Umständen hinfällig. Sieht man von den beiden römischen Quellen hier wieder ganz ab, so ist doch zu sagen. Liudprand und der Continuator sind auf jeden Fall ausgezeichnet informiert gewesen; sie waren in der Lage, die von ihnen geschriebene Geschichte aus eigener Anschauung oder mit Hilfe der vorzüglichsten Gewährsmänner zu kontrollieren. Wenn ihnen nun auch wirklich eine gemeinsame Quelle vorgelegen hätte, so würden die Nachrichten, die sie aus dieser Quelle wiedergeben, eben durch ihre Wiedergabe eine ebenso vollkommene Beglaubigung erfahren, als wenn sie uns Liudprand und der Continuator ganz selbständig übermittelten. Ähnlich aber verhält es sich angesichts des Resultats, das sich oben ergeben hat. Dadurch, daß der Continuator die Historia gekannt und benutzt hat, werden selbstverständlich die Nachrichten, die "
a. a. O. S. 251
ff.
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V g l . Wattenbach a. a. O.
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a. a. O. S. 74.
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beiden gemeinsam sind, noch längst nicht in ihrem Wert gemindert: sie sind genauso zu beurteilen, als wenn jede der beiden Quellen sie selbständig überlieferte. Andererseits aber ergibt sich infolge der Bekanntschaft des Continuators mit der Historia ein ganz eigenartiges quellenkritisches Verhältnis. Da der Continuator über die Dinge, die er in der Historia las, Bescheid wußte und seine eigenen Ansichten über sie gehabt haben muß, so kann man ihn als den ersten Kritiker Liudprands, den wir kennen, bezeichnen. In den Punkten, in denen er Liudprands Mitteilungen und Ansichten übernahm, hat er sie gebilligt und ihnen beigestimmt; in den Punkten, in denen er sie änderte und korrigierte, hat er sie abgelehnt. Bedenkt man aber, daß Liudprand einer der bedeutendsten italienischen Politiker am Hofe Ottos und daß der Continuator gleichfalls ein oft hervortretender Staatsmann gewesen ist, so gewinnt das quellenkritische Problem eine historisch-politische Färbung, wie sie, soviel ich sehe, in diesem Ausmaß keine andere quellenkritische Frage der Ottonenzeit aufzuweisen hat. In den Divergenzen der beiden Quellen haben wir die Divergenzen nicht bloß der geschichtlichen Auffassungen, sondern auch der politischen Anschauungen ihrer Autoren und damit eine Polemik Adalberts von Magdeburg gegen Liudprand von Cremona vor uns. Im folgenden möchte ich nun keineswegs jede Kleinigkeit durchsprechen, in der der Continuator von Liudprands Historia abweicht. Aber ich möchte doch einige Punkte behandeln, die mir für die Geschichte des ersten Römerzugs Ottos Interesse zu haben scheinen. 1. Die Ausführungen Liudprands, daß Johann, der summus pontifex et universalis papa, an Otto Gesandte geschickt habe mit der Bitte, se sibique commissam sanctam Romanam ecclesiam ex eorum (sc. Berengarii et Adalberti) faucibus liberaret ac saluti et libertati pristinae restitueret52 ändert der Continuator in die folgenden 22 Worte ab: Legati ab apostolica sede veniunt ... vocantes regem ad defendendam Italiam et Romanam rempublicam 53. Man sieht zunächst: das Ziel, um dessentv/illen man Otto über die Alpen rief, erscheint bei dem Continuator in einer anderen Formulierung als bei Liudprand; bei diesem ist es lediglich die Kirche, die der König schützen soll, bei jenem sind es Italien und die römische Respublica. Gewiß, im Grunde läuft natürlich beides auf dasselbe hinaus. Aber man wird doch feststellen dürfen, daß sich der Continuator anscheinend genauer und richtiger ausdrückt; denn gerade in der Zeit Johanns XII., des Sohnes Alberichs, steht natürlich der Gedanke der römischen Respublica durchaus im Vordergrund der päpstlichen Politik. Demgegenüber verschiebt Liudprand die Angelegenheit mehr, als es die Tatsachen verlangen dürften, auf das rein kirchliche Gebiet 54 . Wesentlicher jedoch als diese Dinge ist der Umstand, daß der Continuator Liudprands Angabe, der Papst habe Gesandte an Otto geschickt, in die Worte abwandelt, es seien Gesandte von der sedes apostolica gekommen. Gewiß, die sedes apostolica 52 54
53 Vgl. Historia cap. 1, S. 159. Vgl. a. 960, S. 170. D a ß der Continuator ganz allgemein mehr die militärisch-politische Seite, Liudprand mehr die kirchliche Seite des Römerzugs sieht und betont, hat man schon öfter bemerkt; vgl. etwa Werra, S. 5 f.
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schließt natürlich auch den Papst ein; aber daß der Continuator hier Liudprands Ausdruck papa fallen läßt und das unpersönliche Wort wählt, könnte doch einen ganz bestimmten und sehr inhaltreichen Sinn haben. Ranke hat in seiner Weltgeschichte die Ansicht vertreten, daß die Gesandtschaft, die im Jahre 960 zu Otto kam, nicht der Papst, sondern daß sie eine dem Papste feindliche Partei geschickt habe 55 . Dieser Ansicht hat Hauck im wesentlichen zugestimmt 56 , während Hampe sie abgelehnt hat 5 7 . Außer Liudprand und dem Continuator berichten noch einige andere Quellen über die Einladung Ottos nach Italien. Wesentlich sind davon in diesem Zusammenhang das Chronikon Salernitanum 58 und die Chronik des Benedikt von S. Andrea 59. Das C.hronikon Salernitanum erzählt, daß, als Berengar seine Untertanen bedrückte, clam legationem Langobardi Romanique Ottoni regi miserunt, qualenus veniret et regnum Italiae sub sua dicione obtmeret. Benedikt von S. Andrea aber sagt, der Diakon Johannes und der Protoscriniar Azo seien mit Papst Johann verfeindet gewesen und hätten Gesandte an Otto geschickt, ut veniret et possideret Italia et Romanum Imperium, worauf Johann die beiden habe verstümmeln lassen; darauf seien sie nach Deutschland geflohen, und es habe dann der Zug Liudolfs und schließlich der Ottos nach Italien stattgefunden. Man wird Hampe gegen Ranke und Hauck ohne weiteres zugeben müssen, daß aus all diesen Quellen nicht eben viel zu entnehmen ist. Die Nachricht des Benedikt ist chronologisch heillos verwirrt; denn bekanntlich ist die Verstümmelung des Johannes und Azos erst 964 und nicht schon vor dem Zug Liudolfs und Ottos erfolgt™. Außerdem aber irrt Benedikt in sachlicher Hinsicht: Johannes und Azo haben in Wirklichkeit nicht Gesandte geschickt, sondern sind nur selbst Gesandte gewesen. Es fragt sich also sehr, wieweit man die Nachrichten Benedikts über eine dem Papst feindliche Partei in Rom auf die Zeit vor Ottos Römerzug beziehen darf, und ob nicht seine Angaben auf einer Verwechslung mit den Vorgängen unmittelbar vor dem Sturz Johanns beruhen. Auch darin ist Hampe zuzustimmen, daß die Behauptung der Chronik von Salerno, Langobarden und Römer hätten heimlich eine Gesandtschaft an Otto geschickt, nicht besagt, wie Ranke annimmt, daß sie heimlich vor dem Papst handelten, sondern daß sie heimlich vor Berengar vorgingen 61 . Aber 53
Vgl. Ranke, Weltgeschichte VI 2, S. 210 ff. Vgl. A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands III, 3. und 4. Aufl. (1920), S. 221 f.; Hauck sieht in Johanns Gegnern die kluniazensische Partei in Rom. 57 Vgl. K. Hampe, D i e Berufung Ottos des Großen nach Rom durch Papst Johann XII., Festschr. für K. Zeumer (1910), S. 153 ff. Hampes Ablehnung ist man teilweise gefolgt; vgl. etwa S. Hellmann, D a s Mittelalter bis zum Ausgange der ICreuzzüge, 2. Aufl. (1924), S. 109; W. Schultze in Gebhardts Handbuch der deutschen Geschichte, 7. Aufl., hrsg. von R. Holtzmann, I (1930), S. 237; A. Cartellieri, D i e Weltstellung des deutschen Reiches 911 bis 1047 (1932), S. 104. Dagegen sieht F. Schneider, Mittelalter bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, Handbuch für den 'Geschichtslehrer, hrsg. von O. Kende III (1929), S. 185, in den römischen Gesandten die Führer der Opposition gegen Johann. 55 Vgl. cap. 169, SS. III. S. 553. " In der Ausgabe von Zucchetti S. 172 ff. 60 In der richtigen Anordnung wird sie überliefert von Liudprand und vom Continuator " Gar nichts anzufanger. ist, wie Hampe mit Recht betont, mit der schwerverständlichen und unkontrollierbaren Angabe der Translatio S. Epiphanii, cap. 1, SS. IV S. 248. daß die päpst-
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trotzdem scheint mir Rankes untrüglicher Scharfblick für politische und historische Zusammenhänge auch hier nicht ganz geirrt zu haben. Gewiß, der Verfasser des Chronikon Salernitanum sagt direkt nichts von einer Spannung zwischen den Römern und dem Papst; aber es fällt doch auf, daß nach seiner Angabe die Römer es waren, die Otto einluden, nicht Johann XII. Nun kann tatsächlich keine Frage sein, daß es in Rom eine mehr und eine weniger deutschfreundliche Partei gab. Der Continuator Reginonis spricht zu 963 im Zusammenhang mit dem Sturz Johanns von den Romani in plura divisi, partim imperatori faventes ... partim apostolico blandientes 62 . Auf dasselbe läuft es hinaus, wenn Liudprand zu den gleichen Vorgängen erzählt, daß die maior Romanorum pars optimatum 963 Otto aufgefordert habe, in Rom einzurücken 63 . Genauso redet Benedikt zu 963 von dem divisus populus inter se 64 . So gut wie aber zur Zeit der Invasion Ottos die Römer in Parteien für und wider den Kaiser und für und gegen Johann zerrissen waren, dürften sie es auch schon vorher gewesen sein. Bekanntlich war Papst Johann XII. als weltlicher Herr von Rom der Nachfolger seines Vaters Alberich. Alberich, der Patricius der Römer, hatte 951 die Aufnahme Ottos in Rom verweigert; er war ein Gegner jeder deutschen Einmischung in die römischen Verhältnisse gewesen. Demgegenüber scheint der Papst Agapet, der geistliche Vorgänger Johanns XII., immer 25 in freundlichen Beziehungen zu Otto gestanden zu haben. Für Johann war, wenn er seine Herrschaft über die Ewige Stadt nicht gefährden wollte, selbstverständlich die gewiesene Politik, an den Traditionen seines Vaters festzuhalten. Man sieht auch nicht, daß im Jahre 960 eine unbedingte Nötigung bestanden hätte, von ihnen abzuweichen. Gegen die Bedrohung durch Berengar gab es genug andere Mittel als das schwere und für Johann mindestens gefährliche Geschütz einer deutschen Intervention ° 5 . Auf der Synode vom November 963, die den Papst absetzte, waren die beiden Gesandten Johannes und Azo zugegen 6S , und wenn der Papst sie nach seiner Rückkehr verstümmeln ließ, so spricht auch das nicht gerade für eine Übereinstimmung in den politischen Ansichten zwischen ihnen und ihm. Hampe wendet zwar ein, der Papst habe den Diakon Johannes 963 nach Byzanz geschickt, um dort gegen Otto zu konspirieren; der Diakon könne also unmöglich einer dem Papst feindlichen Partei angehört haben 6 7 . Doch einmal ist durchaus ungewiß, ob der Diakon Johannes, der
6ä 8:1 61
liehen Gesandten Otto aufgefordert hätten, entweder auf den Patriziat über Rom zu verzichten, der ihm von seinen Vorfahren her zustünde, oder der Stadt zu Hilfe zu kommen, eine Angabe, die Ranke gleichfalls heranzieht. a. a. O . S. 172. Vgl. Historia cap. 8 S. 164. a. a. O . S. 179.
S5
Alberich jedenfalls hat die langobardischen Könige mit andern Mitteln von Rom ferngehalten, und nach allem, was man sieht, bedeutete die innerlich ungefestigte Stellung Berengars, der genug mit seinen eigenen Großen zu tun hatte, kaum eine ernsthafte Bedrohung des Kirchenstaates. Andererseits ist freilich auch Hampe zuzugeben, daß man Johann jede Torheit zutrauen kann.
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Vgl. Historia cap. 9, S. 166. Vgl. Hampe S. 157. Von der Gesandtschaft des tinopel redet Liudprand, Historia, cap. 6, S. 163.
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Johannes cardinalis diaconus
nach Konstan-
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nach Byzanz reisen sollte, mit dem Gesandten am Hof Ottos identisch ist 6 8 , und selbst wenn das der Fall wäre, so bewiese es doch nicht, daß Papst Johann nicht durch irgendwelche unbekannten Gründe veranlaßt worden sein könnte, gerade einen politischen Gegner nach Konstantinopel zu schicken 69 . Daß aber schon bei dem Beginn des Römerzuges und vor der Kaiserkrönung eine Spannung zwischen Otto und dem Papst in der Luft lag, ergibt sich deutlich aus einer Reihe von Umständen. Daß Thietmar von Merseburg erzählt, Otto habe vor dem Aufbruch nach Italien seinem Schwertträger befohlen, während der Messe in der Peterskirche das Schwert über seinem Haupte zu halten, mag man nicht als sehr beweisend ansehen 70 . Doch vor der Kaiserkrönung gelobte Otto dem Papst, ihn in seiner Stellung nicht zu schädigen und vor allem, ihn nicht absetzen zu lassen 71 ; nach der Kaiserkrönung schwur Johann dem Kaiser, nicht von ihm abzufallen 72 . Partner, die sich völlig einig sind und die sich ohne Mißtrauen gegenüberstehen, haben solche Eide nicht nötig. Nach alledem scheint mir das, was die Quellen erzählen, ebenso wie die politische Situation durchaus die Vermutung zu ermöglichen, daß der Papst 960 mindestens nicht ganz freiwillig handelte, als er Otto über die Alpen rief. Man wird vielleicht nicht mit Ranke sagen dürfen, daß es eine dem Papst feindliche Partei war, die sich an den deutschen König wandte; aber man wird annehmen dürfen, daß es der Druck dieser Partei war, der in Johann den Entschluß zur Reife brachte, Otto zu rufen. Wenn Liudprand den Papst als Auftraggeber der Gesandten an Otto nennt, so mag er damit äußerlich gesehen durchaus recht haben 7 3 ; wenn aber der Continuator Reginonis die Worte Liudprands dahin abändert, daß Gesandte vom päpstlichen Stuhl nach Deutschland kamen, so mag er damit die Vorgänge, die hinter den Kulissen gespielt hatten, und die Tatsache haben andeuten wollen, daß der Papst nicht ganz der Herr seiner Entschlüsse war. 2. Die Kaiserkrönung Ottos beschreibt Liudprand mit den Worten: Übt (sc. Romae) miro ornatu novoque apparatu suseeptus ab eodetn sumtno potitifice et universali papa Johanne unetionem suseepit imperii74. Statt dessen sagt der Continuator: Romae favorabiliter suseeptus acclamatione totius Romani populi et cleri ab apostolico Johanne . . . imperator et augustus vocatur et ordinatur75. Der wesentliche Unterschied in den Auffassungen der beiden Historiker ist ganz deutlich: nach Liudprands Anschauung ging die Erhebung Ottos zum Kaiser allein vom Papst aus; nach der 63
Der Name Johann war in Rom äußerst gebräuchlich; vgl. etwa die Angaben über die Synode vom 6. Nov. 963, Historia, cap. 9, S. 165 f. e ® Liudprand sagt, Historia cap. 6 S. 163. daß der Diakon ob iniuriam des Kaisers nach Byzanz gehen sollte und von Pandulf von Capua verhaftet wurde; welches der Inhalt seiner Mission in Konstantinopel war, weiß man nicht; daß aber Liudprands Behauptungen über Verrat der Kurie mit Vorsicht aufzunehmen sind, ist sicher; vgl. dazu weiter unten Anm. 87. 70 Vgl. Thietm. ep. Mersebg. chron. IV cap. 32 (22), ed. F. Kurze in SS. rer. Germ, in us. schol. (1889) S. 83 [Ausgabe von R. Holtzmann in SS. rer. Germ, nova series 1935, S. 169 und 171]; vgl. Dümmler a. a. O. S. 329. 71 Vgl. Const. I Nr. 10, S. 21. Freilich war ein solcher Eid wohl längst üblich. 72 Vgl. unten S. 365. 73 Dabei wird auch das Bestreben Liudprands eine Rolle spielen, den Papst als undankbar gegen die Wohltaten, die ihm Otto der Große erwiesen hat, hinzustellen. 74 75 Vgl. Historia cap. 3, S. 160 . Vgl. a. 962, S. 171.
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Anschauung des Continuators auch vom römischen Volk: ihm vindiziert er einen Anteil an der Handlung. Daß auch hier der Continuator das Richtige angibt, ist keine Frage. Der Beteiligung des Volkes an Ottos Kaiserkrönung gedenkt ähnlich wie er die Chronik von Salerno 76 , und es ist eine bekannte Tatsache, daß seit dem Weihnachtstag des Jahres S00 die Wahl des Kaisers durch die Römer ein freilich mehr und mehr zurücktretendes Moment seiner Erhebung gebildet hat. Daß Liudprand diesen Umstand unterschlägt, dürfte mit seiner Ablehnung der Römer und eines spezifisch römisch gefärbten Kaisertums zusammenhängen, die aucE sonst in seinen Schriften hervortritt 77 . 3. Über den Eid, den nach der Krönung der Papst dem neuen Kaiser geschworen hat, berichtet die Historia Ottonis: lusiurandutn vero ab eodem papa Johanne supra areciosissimum corpus sancti Peiri atque omnibus civitatis proceribus se numquam Berengario atque Adalberto auxiliaturum accepit7B. Dagegen schreibt der Continuator: Papa quoque multa illum secum caritate detinuit et diebus vitae suae numquam se ab eo defecturum promisit79. Daß die Nachrichten, die der Continuator über den Inhalt des Eides gibt, die größere Wahrscheinlichkeit für sich haben, ist längst erkannt worden 8 0 ; dem Kaiser konnte natürlich 962, als man unmöglich die Art der kommenden Verwicklungen mit Johann in allen Einzelheiten übersehen 2a konnte, nichts daran liegen, den Papst nur durch einen Schwur festzulegen, nicht zu Berengar abzufallen; und es mußte ihm sehr viel daran liegen, ihn durch einen möglichst weiten und umfassenden Eid zu binden; damit soll natürlich nicht bestritteil werden, daß dabei Berengars und Adalberts Namen immerhin genannt worden sein könnten. Im übrigen erklärt sich die Tatsache, daß Liudprand als Inhalt des Eides nur das angibt, wogegen Johann später besonders verstoßen hat, sehr einfach aus seiner immer hervortretenden Tendenz, das Unrecht des Papstes so einleuchtend und deutlich wie möglich herauszustellen. 4. Uber das verräterische Bündnis zwischen Johann und Adalbert schreibt Liudprand: Johannes . . . ad Adalbertum, ut se adeat, mittit, iuramento ei adfirmans se illum contra sancfissimi imperatoris potenliam adiuturum. Adeo enim eundem Adalbertum . . . Imperator sanctus terruerat, ut omnem Italiam deserens Fraxinetum adiret seque Sarracenorum fidei commendaret81. Demgegenüber sagt der Continuator: Adalbertus huc illucque discursans, quoscumque poterat, sibi undique adtraxit, sed et Corsicam ibi se tueri nitens intravit. Romanum etiam pontificem multipliciter in suum adiutorium sollicitavit82. Von welcher Seite das Bündnis zwischen Adalbert und Johann tatsächlich geknüpft worden ist, wird sich kaum entscheiden lassen. In dem Augenblick, in dem sich der Papst Otto entfremdete, lag dies Bündnis sozusagen in der Luft; es war dann für Adalbert ebenso selbstverständlich wie für Johann, daß sie sich einander näherten. Wenn Liudprand allein den Papst, wenn dagegen der Continuator mehr den König Adalbert als den Schuldigen hinstellt, so dürften sie 16
80
81
Vgl. SS. III, S. 554: Otto . .. a papa . . . est unctus coronaque suo capite est septus et ab omnibus Imperator augustus est nimirum vocatus. 7 9 Vgl. Historia cap. 3, a. a. O. n a. 962 a. a. O. Vgl. dazu unten S. 393 ff. Vgl. etwa Werra S. 38. Freilich läßt man auch oft genug den von Liudprand überlieferten Eid gelten; vgl. Dümmler a. a. O. S. 331. 82 a. 963, S. 172. Vgl. Historia cap. 4, S. 160 f.
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beide ihre Berichte etwas tendenziös färben: Liudprand, um den Papst anzuklagen, der Continuator, um ihn zu entschuldigen. Ähnlich verhält es sich mit der Angabe der Historia, daß sich Adalbert nach Fraxinetum in die Obhut der Sarazenen begeben, und mit der Nachricht des Continuators, daß er in Korsika Schutz gesucht habe. Auch in diesem Falle dürften beide Nachrichten den Tatsachen entsprechen. D a ß sich Adalbert in Korsika aufgehalten hat, wird durch die weitere Versicherung des Continuators, daß er nach der Absetzung Johanns dorthin zurückgekehrt sei, einigermaßen und durch eine entsprechende Angabe des Chronikon Salernitanum 8 3 ausdrücklich bestätigt; und gegen die Behauptung Liudprands, daß er in GardeFrainet war, wird sich auch nichts einwenden lassen; auf seinen Irrfahrten mag der König so gut wie nach Korsika auch dorthin gekommen sein 8 4 . D a ß Liudprand gerade diesen Ort nennt, hat einen einfachen Grund: er stand in Italien und in den Alpenländern als Schlupfwinkel der Sarazenen, von dem aus sie die ganze Gegend beunruhigten, in einem besonders schlechten Ruf. In dem geographischen Bild des Continuators dagegen dürfte Korsika eine ungleich wesentlichere Rolle gespielt haben als Garde-Frainet. Wenn Adalbert nach diesen beiden Orten ging, so warf er sich damit natürlich den Sarazenen irgendwie in die Arme. Liudprand betont das in einer besonders pointierten Form. Der Continuator verschweigt die Tatsache, daß das Betreten von Korsika ein Bündnis mit den Sarazenen bedeutete, vollständig. D a ß er darüber schweigt, kann schwerlich einen andern Grund haben, als daß er Adalbert und damit den mit ihm verbündeten Papst entlasten will 8 5 . 5. Liudprand weiß nicht nur zu erzählen, daß sich Johann mit Adalbert verbündet habe. Er berichtet darüber hinaus eine ganze Reihe von Schandtaten des Papstes: Unzucht, Verwahrlosung seiner Kirche, nachlässige Amtsführung, Unglauben und Heidentum 8 6 ; außerdem aber auch ein Vergehen mehr politischer Natur, nämlich Konspiration mit den Ungarn 8 7 . Von allen diesen Dingen sagt der Continuator nichts. Gewissermaßen als Ersatz dafür erzählt er nur, daß Johann und Adalbert bei ihrer Flucht aus Rom den Schatz des heiligen Petrus mit entführt hätten 88 . Die geistliche und moralische Minderwertigkeit Johanns XII., die ihn zum Nachfolger Petri nicht gerade geeignet machte, wird uns auch von andern Quellen genügend bestätigt 8 9 ; die Angaben, die Liudprand über diese Dinge macht, sind also hinlänglich glaubhaft, wenn man natürlich auch darüber wird streiten können, was im einzelnen etwa als Übertreibung anzusehen ist. D a ß der Continuator über 83 81 85
86 87
efl 89
Vgl. SS. III, S. 554. Das wird auch im allgemeinen angenommen. Als an ein Gegenstück dazu sei daran erinnert, daß der Continuator berichtet (S. 173), Johann habe sich nach seiner Absetzung sera poenitentia duetus von Adalbert getrennt und daß Liudprand davon nichts sagt. Vgl. besonders Historia, cap. 4, S. 161 f., cap. 10 und 11, S. 166 ff. Vgl. Historia cap. 6, S. 163. Dort wird auch von Verbindungen mit den Griechen gesprochen. Die Frage, ob das den Tatsachen entspricht, läßt sich noch weniger sicher entscheiden, als die Frage nach dem Bund mit den Ungarn. Daß der Papst versuchte, mit den Griechen anzuknöpfen, die immer gern in Italien eingriffen, und an die sich später auch Adalbert gewandt hat, erscheint mir aber durchaus wahrscheinlich. a. 963, S. 172. So vom Liber pontificalis a. a. O. und von Benedikt von S. Andrea a. a. O.
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diese Dinge hinweggeht, wird man wieder damit zu erklären haben, daß ihm daran lag, das Ansehen des apostolischen Stuhls nicht allzusehr herabzusetzen. Anders steht es mit der für die politische Geschichte wesentlicheren und interessanteren Angabe Liudprands über die Verbindungen Johanns mit den Ungarn. Gewiß, das Schweigen des Continuators beweist selbstverständlich auch in diesem Falle nicht, daß Liudprand irrt; und im allgemeinen wird denn auch in diesem Punkte der Erzählung des Bischofs geglaubt. Tatsächlich wäre eine Verbindung des Hauptes der Christenheit mit den Ungarn eine so ungeheuerliche Sache gewesen, daß der Continuator sie aus ähnlichen Gründen verschwiegen haben könnte wie die moralischen Verfehlungen Johanns in Rom. Trotzdem scheint er in diesem Falle eine berechtigte Korrektur an den Nachrichten Liudprands vorgenommen zu haben. Richtig ist zweifellos, daß Johann einen Missionsbischof für Ungarn geweiht hat 9 0 . Eine böswillige Interpretation konnte aus diesem Umstand natürlich sehr leicht herauslesen, daß man den Bischof weihte, um damit einen Hetzer gegen Deutschland in Ungarn sozusagen anzustellen. Nun beachte man, in welcher Form Liudprand seine Behauptung mitteilt. Er legt sie Otto dem Großen in den Mund als Antwort, die er auf die Vorwürfe gibt, die päpstliche Gesandte in Pavia gegen die deutsche Politik gerichtet haben; und auch von Otto wird jene Behauptung nicht eigentlich 3i und bestimmt als Tatsache ausgesprochen, sondern eher als Gerücht, das ihm zu Ohren gekommen sei 9 1 . Später aber, auf den römischen Synoden, auf denen die Anklagen gegen Johann vorgebracht und formuliert werden, ist davon nicht im mindesten die Rede. Vielmehr wird als Beweis für den Hochverrat Johanns von Otto nur der Bund mit Adalbert angeführt; daß man die Aufwiegelung der Ungarn übergeht, die doch das gravierendste Moment gewesen wäre, scheint zu beweisen, daß von ihr in Wirklichkeit keine Rede war, oder mindestens, daß man Johann in dieser Beziehung nichts nachweisen konnte. 6. Nach der Eroberung Roms durch Otto 963 haben die Römer dem Kaiser bekanntlich einen neuen Eid geleistet. Liudprand schreibt darüber die Worte: Cives . . . fidelitatem repromittunt hoc addentes et firmiter iurantes numquam se papam electuros aut ordinaturos praeter consensum et electionem domni imperatoris Ottonis caesaris augusti filiique ipsius regis Ottonis92. Der Continuator berichtet statt dessen nur von einer Unterwerfung der Römer: Seque per omnia datis obsidibus illius dttioni subiungurtt93. Es ist längst erkannt worden, daß Liudprands Angabe im großen und ganzen richtig ist 9 4 . Der Continuator widerspricht ihr auch nicht direkt, und seine Worte schließen sie keineswegs aus. Aber sie umgehen und verschleiern sie. Der Grund dafür liegt unzweifelhaft in' der kirchenpolitischen Einstellung des Das bestätigt, wie allgemein anerkannt, das Protokoll der Synode Johanns vom Februar 964, Const. I Nr. 380, S. 533, wo der in der Historia cap. 6 genannte Ungarnbischof Zacheus als gentium episcopus erscheint. " Otto sagt: Saleccum, natione Bulgarium, educatione Ungarium, domni papae familiarissimum, et Zacbeum virum reprobatum . . . a domno papa episcopum noviter consecratum et Ungariis ad praedtcandum, ut super nos irruant, destinatum . . . captos esse audivimus. K Vgl. Historia cap. 8, S. 164. 9 3 a. 963, S. 173. ' 4 Vgl. etwa Dümmler a. a. O. S. 349; dazu auch, wenn auch unter Einschränkungen, E. Sackur, Das römische Paktum Ottos I., Neues Archiv 25 (1900), S. 418 f.
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Continuators. Er setzt sich für die Freiheit der kirchlichen Wahlen ein 9 5 . Der Eid der Römer von 963 machte die Freiheit der Papstwahl illusorisch. Da der Continuator das nicht billigt, so schweigt er darüber. 7. Die Absetzung Johanns wurde nach Liudprands Bericht bekanntlich auf einer Synode am 4. Dezember vollzogen, die nach zweimaliger vergeblicher Vorladung des flüchtigen Papstes tagte. Den eigentlichen Grund für die Absetzung bildete danach der Hochverrat Johanns, d. h. seine Verbindung mit Adalbert, und die Absetzung ging in der Weise vor sich, daß die Römer den Kaiser baten, Johann zu entfernen und an seine Stelle einen andern zu setzen, was der Kaiser mit einem placet gut hieß 9 6 . Ganz anders der Continuator; er schreibt, daß der Kaiser nach dem Rat der Synode missa legatione canonica auctoritate aufugam apostolicum ad sedem pontificalem et apostolicam revocavit. Illo tarnen hoc omnimodis renuente plebs Romana Leonern protoscriniarium . . . communi consensu in locum eius elegit et ordinavit97. Man sieht: von einer Absetzung Johanns ist hier überhaupt nicht die Rede, sondern nur von seiner Weigerung, nach Rom zurückzukehren und der darauf erfolgenden Neuwahl. Der Vorgang wird offensichtlich so aufgefaßt oder doch dargestellt, daß Johann seine Residenzpflicht verletzt und durch das Verlassen seines Sitzes gewissermaßen freiwillig abgedankt, oder daß man daraus wenigstens eine Abdankung konstruiert habe 9 8 . Es ist wohl anzunehmen, und es wird auch allgemein angenommen, daß Liudprands Darstellung im wesentlichen das Richtige trifft 9 9 . Doch wie dem auch sein mag, die Darstellung des Continuators beweist auf jeden Fall, wie wenig er mit den Vorgängen vor der Wahl Leos VIII. oder wenigstens mit der Auffassung einverstanden war, die Liudprand davon hatte. Eine Verurteilung und Absetzung Johanns in der Form, wie sie Liudprand berichtet, widersprach bekanntlich dem kirchenrechtlichen Grundsatz, daß der Papst von niemand gerichtet werden durfte; in kirchlichen Kreisen wird man sich nicht überall mit ihr haben abfinden können; und die Art, wie sich der Continuator darüber äußert, ist eine, wenn auch indirekte und stillschweigende Verurteilung der Ereignisse auf der Dezembersynode 963. 8. Den Aufstand, der Anfang Januar 964 in Rom gegen Otto ausbrach, führt Liudprand auf eine Bestechung der Römer durch Johann zurück, und die Aufnahme Johanns in Rom nach dem Abzug Ottos auf den Einfluß der vornehmen Frauen, mit 83 96 67 88
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Das tritt in seinem Buch bekanntlich auch sonst hervor. Vgl. Historia cap. 15 und 16, S. 171 ff. a. 963 a. a. O. Freilich heißt es dann im Anschluß an den Bericht über die römische Synode: Johannes . . . videns se esse depositum . . . Aber dieser Satz sagt nur etwas aus über die natürlich unbestreitbare Tatsache der Entsetzung, nichts über ihre Form. Das scheint sich auch aus der etwas gewundenen Darstellung des Continuators zu ergeben. Es ist freilich bezeichnend, daß eine in mancher Hinsicht ähnliche Auffassung wie er auch der Liber pontificalis, Benedikt von S. Andrea und Flodoard vertreten. Der Liber und Benedikt verschweigen die Absetzung Johanns und erwähnen nur die Wahl Leos, die sie freilich anscheinend mit der Unbrauchbarkeit Johanns erklären. Flodoard, Annales a. 965, SS. III, S. 406 f. (freilich unter starken Verwechslungen besonders der Namen), aber begründet die Neuwahl damit daß Johann sich weigerte, vor der Synode in Rom zu erscheinen und sich zu verantworten, ohne daß auch er von einer eigentlichen Absetzung spräche.
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denen Johann Ehebruch getrieben hatte 10°. Der Continuator weiß von beidem nichts; und man wird auch beides in der überspitzten Form, in der es Liudprand überliefert, abzulehnen haben. Die Römer hatten, wie die Vertreibung Leos VIII., die Wahl Benedikts und die Verteidigung Roms gegen Otto beweisen, durchaus nicht nötig, sich bestechen zu lassen, um sich zu empören. Und daß sie durch ihre Frauen, die Johann zum Liebhaber gehabt hatten und wieder haben wollten, veranlaßt worden seien, ihn in die Stadt zurückzurufen, ist eine etwas absurde Vorstellung. 9. Die Untreue, die die Römer sich zuschulden kommen ließen, als sie Benedikt wählten, charakterisiert Liudprand mit den Worten: iuramenti, quod sancto promiserant imperatori, immemores 101 , der Continuator dagegen: fidei et electionis domni Leonis immemores102. Der Unterschied ist klar: auch hier lehnt der Continuator die Auffassung ab, als wenn die Römer bei der Papstwahl auf den Einfluß und den Willen des Kaisers Rücksicht zu nehmen gehabt hätten. Man hat bisweilen die Ansicht vertreten, daß der Continuator und Liudprand die gleiche Auffassung von den Ereignissen des ersten Römerzuges Ottos haben 103 . Nichts 3« ist verkehrter als das. Einmal gibt der1 Continuator eine Reihe von Korrekturen an der Tatsachenüberlieferung Liudprands, in denen er im allgemeinen recht zu haben scheint. Vor allem jedoch vertritt er einen politischen Standpunkt, der von dem Liudprands gründlich abweicht. Liudprand schreibt tendenziöser, der Continuator schreibt sachlicher; Liudprand setzt den Papst Johann und seine Politik mit allen Mitteln herab; der Continuator sucht ihn bis zu einem gewissen Grade zu decken. Liudprand erkennt unbedenklich den Kaiser als Richter des Papstes und als Herren des römischen Stuhles an; demgegenüber vertritt der Continuator mehr den Standpunkt des kirchlichen Rechts. Erinnert man sich, daß der Continuator dem Kreise um Wilhelm von Mainz angehört und daß er später Erzbischof von Magdeburg wurde, so dürfte es nicht schwer sein, aus diesen Erkenntnissen gewisse Aufschlüsse über die Gegensätze in der deutschen Politik gegenüber der Kurie und über die verschiedenen politischen Richtungen am Hofe Ottos des Großen zu gewinnen. 100 101 103
Vgl. Historia cap. 17 und 19. S. 172 f. 102 a. 964, S. 174. Vgl. Historia cap. 21, S. 174. Vgl. etwa Sackur, Straßburger Festschrift (vgl. oben S. 353, Anm. 10) S. 253 f., wonach die beiden Werke in der Tendenz vollständig übereinstimmen, da beide die offizielle Auffassung der deutschen Regierung wiedergeben.
II. D I E
RELATIO
DE
LEGATIONE
CONSTANTINOPOLITANA
1. Der Bericht Liudprands über die Gesandtschaftsreise, die er 968 im Auftrage Ottos des Großen nach Konstantinopel unternommen hat 1 0 4 , beginnt mit den Worten: Oltones Romanorum invictissimos imperatores augustos gloriosissimamque Adelbeidem imperatricem augustam Liudprandus sanctae Cremonensis ecclesiae episcopus semper valere, prosperari, triumphare anhelat, desiderat, optat. Diesem Anfang der Erzählung entsprechend werden in ihr die beiden Ottonen durchgängig im Text angeredet und als Adressaten behandelt, d. h. der Bericht des Bischofs erscheint als Brief an die Kaiser. Im Anschluß an die eben zitierte Anrede fährt Liudprand fort: Quid causae fuerit, quod prius literas sive nuntium meum non susceperitis, ratio subsequens declarabit. Wenn danach die Relatio die erste Mitteilung sein soll, die Liudprand über seine Mission seinen Auftraggebern zukommen läßt, so ist damit zugleich natürlich gesagt, daß er die beiden Kaiser seit seiner Reise nach Konstantinopel noch nicht wiedergesehen und ihnen noch nicht mündlich Bericht erstattet hat; dasselbe ergibt sich aus cap. 56, wo von einem Brief des Nikephoros die Rede ist, den der Bischof Otto überbringen soll, aber offenbar noch nicht überbracht hat; und das gleiche geht aus den Worten in cap. 62 hervor: Ac de bis satis me scripsisse sufficiat, donec Deo largiente sanctissimorumque apostolorum orationibus ex Grecorum ereptus manibus vos adeam. In diesen Worten aber wird außerdem vorausgesetzt, daß Liudprand, als er sie und demnach den ganzen Bericht schrieb, sich noch bei den Griechen befand. Da die Erzählung mit der Schilderung von Liudprands Abreise von Korfu und dem Plan der Griechen, ihn dort wieder ans Land zu setzen und festzuhalten, abbricht, so scheint sie also nach diesem Aufbruch von Korfu geschrieben worden zu sein, aber bevor der Bischof die Grenzen des griechischen Reiches oder wenigstens des griechischen Machtbereiches verlassen hatte. In cap. 7 berichtet Liudprand, er habe dem Nikephoros gesagt, Otto d. Gr. werde als Gegenleistung für die Einwilligung des byzantinischen Kaisers in eine Heiratsverbindung mit den Ottonen haec et haec tun. Ganz ähnlich schreibt er in cap. 31, Nikephoros habe ihm den Auftrag gegeben, er solle nach seiner Rückkehr nach Italien Otto haec et haec melden. Es ist klar, daß an beiden Stellen der Inhalt der Bedingungen, um die sich die Verhandlungen drehten, in der Relatio ausgelassen worden 104
Vgl. Die Werke Liudprands von Cremona, S. 175 ff.
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ist. D a es sich von selbst zu verstehen scheint, daß diese Bedingungen in dem Bericht des Gesandten an Otto nicht fehlen konnten, so nimmt man an, daß sie gestrichen worden sind, als die Relatio veröffentlicht w u r d e 1 0 5 , d. h. an diesen Stellen soll der Bericht eine Überarbeitung erfahren haben. Davon abgesehen wird im allgemeinen die uns überlieferte Form der Relatio als die wörtliche Wiedergabe des offiziellen Schreibens angesehen, in dem Liudprand über seine Gesandtschaft nach Byzanz an die Ottonen Bericht erstattete. Aber wenn diese Ansicht auch als die unbedingt herrschende gelten kann, so sind gelegentlich doch wohl schon Zweifel an ihrer Richtigkeit aufgetaucht 1 0 6 , ohne daß bisher freilich der Versuch gemacht worden wäre, diesen Zweifeln nachzugehen und nachzuprüfen, wieweit die Relatio wirklich das ist, für das sie sich ausgibt.
2. Jedem Leser der Relatio wird sofort die Sonderbarkeit dieses angeblichen diplomatischen Berichts auffallen.
Er
ist voll von anekdotenhaften Momenten. W a s aber
haben die Kleider (cap. 3, 9, 4 0 ) , die Weine (cap. 4 0 ) , die Saucen (cap. 11, 20, 32) und die Waldesel des Nikephoros (cap. 38) mit Diplomatie zu tun? Doch immerhin, gegen den politischen Charakter der Relatio können diese Dinge nichts beweisen. Denn warum sollte Liudprand nicht auch Geschichtchen über so etwas an seinen Herrn weitergeben, wenn er etwa Interesse dafür bei ihm vermuten konnte? Wichtig ist hier allein die Frage nach dem politischen Gehalt der Relatio. D i e Frage, welches der Zweck von Liudprands Reise nach Konstantinopel war, und worin der Auftrag bestand, den Otto d. Gr. ihm gegeben hatte, ist im einzelnen aus seinen Worten in der Relatio nicht sicher zu beantworten und soll hier auch zu105 Vgl. Die Werke Liudprands, S. XXII. 106
24*
Derartige Zweifel finden sich, soviel ich sehe, bei G. Schlumberger, Un empereur Byzantin au dixième siècle: Nicéphore Phocas (1890), S. 600, wo es heißt: La narration (der Relatio) . . . est rédigée sous forme de lettre ou de rapport adressé après le retour en Italie (was, wie aus dem oben Gesagten hervorgeht, falsch ist) à Vinvincible empereur Otbon-, und noch stärker bei V. Menzel, Deutsches Gesandtschaftswesen im Mittelalter (1892), S. 73 ff. Hier wird die Ansicht vertreten, die Relatio sei nicht der offizielle Bericht an Otto, sondern die Umarbeitung dieses Berichts: „Der rhetorische Stil, die Ausschmückung mit diplomatisch ganz wertlosen Details, Versen und ganzen Gedichten, Reden, die nach Form und Inhalt nie gehalten sein können, der ganze Charakter der Erzählung zeigen deutlich, daß Liudprand für die Öffentlichkeit schrieb und einem größeren, klerikal gebildeten Publikum eine fesselnde Lektüre bieten wollte, sich selbst zur Verherrlichung." So sehr ich dieser Kritik der Relatio zustimmen möchte, der Schluß, daß sie deshalb an ein größeres Publikum gerichtet sei und nicht einen diplomatischen Bericht an Otto darstellen könne, scheint mir doch übereilt und ist auch, soviel ich sehe, nirgends angenommen. Denn es ist doch die Frage, wieweit die von Menzel angeführten Charakteristika für das, was sie beweisen sollen, beweisend sind, d. h. es fragt sich, was man im zehnten Jahrhundert für diplomatisch und politisch wichtig ansah und was nicht. Darauf ist aber, wie unten näher ausgeführt werden wird, die Antwort nicht so einfach zu geben. - Menzel unternimmt dann weiter den Versuch, nach stilkritischen Argumenten aus der Relatio den angeblich in ihr enthaltenen offiziellen Kern herauszuschälen, was sich indessen als Ding der Unmöglichkeit erweist.
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nächst nicht weiter untersucht werden. Bloß das sagt Liudprand selbst in cap. 7 und in cap. 15 unzweideutig, daß Otto die Heirat einer byzantinischen Prinzessin mit Otto II. und damit einen Freundschaftsvertrag mit dem griechischen Reich wollte, wenn auch die Zugeständnisse, die der Kaiser dem Hof in Konstantinopel bot, verschwiegen werden. Und daß tatsächlich die Verbindung und die Freundschaft mit den Griechen ein Ziel der ottonischen Politik war, wissen wir aus dem Briefe Ottos d. Gr. an die sächsischen Fürsten vom Jahre 9 68 1 0 7 und machen die Ereignisse der folgenden Zeit vollkommen deutlich. Es ist also sicher, daß Liudprand nach Konstantinopel gekommen war, um in irgendwelchen Formen eine Einigung zwischen dem östlichen und dem westlichen Kaiserreich zu erlangen. Die politischen und diplomatischen Methoden, deren er sich aber nach seinem eigenen Bericht zur Erreichung dieses Ziels bediente, sind höchst eigenartig. Von den Gründen und den Begründungen, mit denen Liudprand seinen Partnern die geforderte Allianz etwa annehmbar zu machen versuchte, erfährt man nichts. Statt dessen drehen sich nach den Angaben der Relatio die Unterredungen mit Nikephoros und mit seinen Ministern im allgemeinen um eine moralische Rechtfertigung des ottonischen Vorgehens in Italien, vor allem aber um Prestigefragen, Etiketteangelegenheiten und persönliche Zänkereien. Gewiß wird man zugeben, daß es auch vom Standpunkt des Politikers nach unseren Begriffen sehr wichtig sein mußte, ob die Griechen Otto den Titel des ßaaiXsvi; vorenthielten (cap. 2), und daß es keineswegs gleichgültig war, daß der Gesandte der Ottonen bei Tisch erst den fünfzehnten Platz nach dem Kaiser einnahm (cap. 11), daß man ihn nach dem änoarokog der Bulgaren rangieren ließ (cap. 19) und daß er in Nikephoros' Gegenwart den Hut vom Kopfe nehmen sollte (cap. 37). Aber neben diesen Dingen ist nach der Relatio in den Gesprächen mit dem Kaiser nicht viel mehr vorgekommen als eine erstaunliche Prahlerei auf beiden Seiten und ein wahrhaft homerisches Schimpfen Liudprands gegen Griechen und Römer. Fast jeder Ansatz zu einer sachlichen Verhandlung fehlt, statt dessen überbietet man sich gegenseitig in Grobheiten und Spöttereien. Jeder, der die Relatio liest, wird finden, daß sich Liudprand nach seinem eigenen Bericht unter dem Gesichtspunkt der Erreichung seines Ziels, einen Ausgleich mit dem Osten herbeizuführen, nach den Begriffen, die wir von Diplomatie und Politik haben, trotz gelegentlicher Geistesblitze wie ein Narr benommen hat: durch sein Auftreten und seine Reden, die hier nicht im einzelnen angeführt zu werden brauchen, mußte er vom ersten Augenblick an Nikephoros und seinen Hof so gegen sich erbittern, daß seine Mission jede Aussicht auf Erfolg verlor. Wenn Liudprand über seinen Aufenthalt in Konstantinopel Bericht erstattete, so konnten für Otto d. Gr. nicht allein die Angaben über seine Verhandlungen mit den Griechen von Interesse sein. Vor Beginn der Reise Liudprands war die Offensive der Deutschen gegen die süditalienischen Besitzungen der Byzantiner abgebrochen worden. Im Jahre vorher, 967, hatte Nikephoros einen Feldzug gegen das westliche Reich geplant und begonnen. Während Liudprands Anwesenheit im Osten schickte der griechische Kaiser im Juli 968 eine Flotte zur Unterstützung von Ottos Gegnern 107
Vgl. Böhmer-Ottenthal, Nr. 4 6 7 .
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nach Süditalien, und tatsächlich ist ein paar Monate später der Krieg zwischen Deutschen und Griechen wieder zum Ausbruch gekommen. Unter diesen Umständen mußte es für Otto von der größten Wichtigkeit sein, von seinem Gesandten über die politische Situation in Konstantinopel und über die Machtverhältnisse des griechischen Reiches möglichst genau informiert zu werden. Der griechische Kaiser Nikephoros Phokas war bekanntlich ein sehr bedeutender Herrscher; ein wahrer Soldatenkaiser, hatte er in unermüdlichen Kriegszügen das Ansehen und die Macht des oströmischen Reiches außerordentlich gemehrt. Seine disziplinierten Truppen, sowie seine eigenen großen organisatorischen und strategischen Fähigkeiten machten ihn zu einem gewaltigen Gegner. Andererseits waren seine Position und sein Reich von vielen Seiten bedroht. Von Norden und Nordwesten her spielten in die griechische Politik Konflikte mit und zwischen Russen, Bulgaren und Ungarn. Im Südosten und im Westen, in Kleinasien und in Süditalien herrschte fast ständiger Krieg mit den Sarazenen, der durch das zweifelhafte Verhältnis zu Deutschland und die freundlichen Beziehungen zu Adalbert, dem Sohn Berengars von Ivrea, kompliziert wurde. In demselben Jahr, in dem Liudprand in Byzanz weilte, wütete im griechischen Reich eine Hungersnot. Und Nikephoros selbst war in seinem Kaisertum niemals sicher. Durch Usurpation auf den Thron gekommen, hatte er sich mit der Witwe seines Vorgängers Romanos II., Theophano, vermählt, mit der er geistlich verwandt war. Diese Heirat hatte ihm natürlich viel Widerspruch, darunter auch einen Konflikt mit dem Patriarchen, eingetragen. Als eigentlich rechtmäßige Kaiser und Prätendenten für den Thron standen die beiden unmündigen Söhne des Romanos im Hintergrund. Durch seine schroffe und strenge Regierung aber war Nikephoros in der Hauptstadt wenig beliebt. Ein Jahr vor Liudprands Aufenthalt in Byzanz, 967, war es dort zu großen Aufständen gekommen; und Streitigkeiten mit der Geistlichkeit waren an der Tagesordnung. Wie unterminiert tatsächlich das Regiment des Kaisers war, zeigt der Umstand, daß ihn ein Jahr nach den in der Relatio beschriebenen Ereignissen der Feldherr Johann Tzimiskes im Bunde mit der Theophano entthronen und ermorden konnte. Diese Verhältnisse im Osten mußten für eine wachsame Politik und Diplomatie des westlichen Kaiserreichs genug Ansatzpunkte bieten, und ihre Beobachtung und Beschreibung mußte eine der vornehmsten Aufgaben des kaiserlichen Gesandten in Byzanz sein. Was findet sich statt dessen in der Relatio? Gewiß, wenigstens ein Teil der eben angedeuteten Verhältnisse kommt auch hier zum Ausdruck: der Krieg gegen Ungarn und Sarazenen (cap. 45/46), die Teuerung im Osten (cap. 44), der Umstand, daß Nikephoros ein Usurpator war (cap. 3, 41, 52) und nach Liudprands Auffassung in unrechtmäßiger Ehe lebte (cap. 41, 52), werden erwähnt oder wenigstens irgendwie angedeutet. Aber davon, daß diese natürlich allgemein bekannten Tatsachen die Grundlage für eine politische Fragestellung gegeben hätten, daß an ihnen und nach ihnen die Möglichkeiten und Aussichten der ottonischen Politik etwa abgewogen würden, ist in diesem Durcheinander von Anekdoten und Beschimpfungen nicht die Rede. Als Beispiel für Liudprands Verfahren mag die Art gelten, in der er den Sarazenenkrieg des Nikephoros behandelt. An eine Beurteilung, geschweige denn an eine
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annähernd richtige Beurteilung der politischen und militärischen Lage denkt er überhaupt nicht. Das Heer des Nikephoros, das in Wirklichkeit die großartigsten Erfolge davontragen sollte, ist für ihn weiter nichts als eine Herde armseliger und schlechtbewaffneter Schwächlinge (cap. 44) unter einem aufgeblasenen Führer. Als Gründe aber, aus denen der Kaiser den Feldzug gegen die Sarazenen unternahm, weiß er allein anzugeben, daß nach orientalischen Weissagungen den Griechen unter seiner Regierung Kriegsglück gegen die Sarazenen verheißen sei und daß er ein großes Heer versammeln wollte, um an diese Menschenmasse das von ihm aufgespeicherte Getreide zu Wucherpreisen verkaufen zu können (cap. 39 u. 44). Gewiß, beide Gründe können eine Rolle gespielt haben, aber daß durch ihre Angabe die politische Situation nicht erschöpft wird, liegt auf der Hand. Liudprand empfiehlt bekanntlich in der Relatio Otto d. Gr. den Krieg gegen Byzanz, und man könnte annehmen, daß dadurch seine Berichterstattung über die Lage im Osten gefärbt worden ist. Aber auch hierbei wird die politische Lage als Motiv für den Krieg überhaupt nicht erwähnt; statt dessen werden das Rachebedürfnis Liudprands für die angeblich erlittenen Unbilligkeiten, für die schlechte Behandlung und Bewirtung in Konstantinopel (cap. 53), vor allem für die Verweigerung der Ausfuhrerlaubnis von fünf Purpurgewändern sehr unverblümt als Grund für den Krieg hingestellt (cap. 54 ff.); ja, als eines der wichtigsten Motive taucht schließlich auf, daß der Kaiser aus Dankbarkeit gegen den heiligen Andreas, der Liudprand und sein Schiff aus dem Sturm des Meeres gerettet habe, gegen die Griechen vorgehen müsse (cap. 62). Es ist bisweilen betont worden, daß Liudprand ein schlechter Politiker und Diplomat gewesen sei und daß er seine Unfähigkeit 968 in Konstantinopel endgültig bewiesen habe 1 0 8 . Ob die staatsmännischen Fähigkeiten Liudprands groß oder klein waren, läßt sich, wenn man von den Angaben der Relatio absieht, nicht mit voller Sicherheit beurteilen. Aber es ist keine Frage, daß er einer der angesehensten Diplomaten am Hofe Ottos d. Gr. und jedenfalls unter den Italienern in des Kaisers Umgebung der am meisten und in den schwierigsten Fällen verwandte und anscheinend auch gewiegteste Politiker gewesen ist. Ja, so sehr er anscheinend auch in der Hauptsache versagt, in einigen feinen Einzelzügen tritt seine diplomatische Gewandtheit auch in der Relatio deutlich hervor 109 . Aber selbst, wenn man annehmen wollte, daß Liudprand unfähig war: auch der unfähigste Diplomat wird doch wenigstens ungefähr die Gesichtspunkte und Motive, nach denen er Politik zu treiben hat, kennen und nicht statt dessen Dinge berücksichtigen, die vollständig außerhalb der politischen Grundsätze seiner Zeit und seines Staates liegen. Wenn also Liudprand in der Relatio von dem, was man als Politik ansehen möchte, so gut wie nichts vorbringt und 108
So etwa W. Gundlach, Heldenlieder der deutschen Kaiserzeit I (1894), S. 44 f.; L. M. Hartmann, Geschichte Italiens im Mittelalter IV, I (1915), S. 26 f.; auch Geizer, Abriß der byzantinischen Kaisergeschichte in K. Krumbacher, Gesch. d. byzantinischen Literatur (1897), S. 986. Ganz anderer Ansicht über die Persönlichkeit und die Fähigkeiten Liudprands ist P. E. Schramm, Kaiser, Rom und Renovatio I (1929), S. 73 und 78, dem ich mich im wesentlichen anschließen möchte. 109 Ygi ¿je v o n Schramm angeführten Momente, a. a. O. S. 34 f., 73, 78, 164 und 277.
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statt dessen auf Grund von persönlichen Affekten und astrologischen Weissagungen zu operieren versucht, so wird man das wenigstens nicht allein seiner angeblichen Unfähigkeit zuschieben dürfen. Vielmehr kommt man, wenn die Relatio wirklich einen offiziellen diplomatischen Bericht und eine diplomatische Beratung des Gesandten an Otto d. Gr. darstellt, in Versuchung, die Folgerung zu ziehen, daß die bei Liudprand fehlenden politischen Gesichtspunkte für die ottonische Politik gegenüber den Griechen belanglos waren und daß dagegen Dinge, wie er sie beschreibt, auch hier den Ausschlag gaben. Diese Folgerung würde aber für die Beurteilung der gesamten Politik Ottos des Großen, ja, des ganzen ottonischen Zeitalters, von besonderer Bedeutung sein. Bekanntlich sind wir über die Motive und die Gedankengänge, die diese Politik im ganzen und im einzelnen bestimmt haben, fast nirgends direkt unterrichtet; Akten und ähnliche Schriftstücke, in denen die Handelnden selbst ihre Ansichten und Ziele niederlegten, fehlen so gut wie ganz. Und was man heute im allgemeinen über die politischen Motive jener Zeit annimmt und aussagt, schließt man aus den Tatsachen und Ereignissen. Es ist aber keine Frage, daß man dabei das, was die erzählenden Quellen über die politischen Gesichtspunkte ihrer Zeit aussagen, sehr häufig beiseite schiebt und zugunsten von bloß erschlossenen Anschauungen umbiegt. Dieses Verfahren mag berechtigt erscheinen, solange es sich dabei nur um Quellen handelt, die, wie die meisten Annalisten und sonstigen Geschichtschreiber der Zeit, dem politischen Leben verhältnismäßig fern stehen oder die sich auf eine genauere Behandlung und Beurteilung der Dinge nicht einlassen. Jenes Verfahren wird jedoch zur Unmöglichkeit gegenüber einer Quelle in der Art von Liudprands Relatio, wie sie gewöhnlich aufgefaßt wird. Denn in ihr hätte man tatsächlich die oft vermißten „Akten", in ihr redete einer der hervorragendsten, jedenfalls einflußreichsten Berater Ottos des Großen zu seinem Kaiser, in ihr hätte man also die authentischsten diplomatischen und politischen Erörterungen und Ratschläge, die man sich vorstellen kann. Verhielte es sich aber so, so wäre man versucht, unsere gesamte Anschauung von der ottonischen, wie auch von der ihr vorangehenden und der ihr folgenden Politik einer gründlichen Revision zu unterziehen. Es fragte sich dann sehr, ob nicht das meiste von dem, was man im allgemeinen über die ihr zugrunde liegenden Gedanken denkt und sagt, zu streichen und* sie auf das Niveau einer uns kindlich anmutenden Barbarei zu reduzieren wäre. Zwischen den großartigen Erfolgen und Ergebnissen dieser Politik und ihren Absichten und Ideen schiene dann ein kaum lösbarer Widerspruch zu klaffen.
3.
Die eben angedeuteten Konsequenzen erscheinen schon von vornherein nicht eben wahrscheinlich. Aber darüber hinaus wird jeder, der die Relatio genauer ansieht, finden, daß sie voll von Unwahrscheinlichkeiten und Widersprüchen ist 1 1 0 , welche llü
So vertragen sich die grimmigen Reden, die Liudprand am Hof von Byzanz gehalten haben will, schlecht mit seiner oft genug betonten Angst vor den Griechen und noch schlechter mit
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die Wahrhaftigkeit von Liudprands Berichterstattung auch sonst in sehr zweifelhaftem Licht erscheinen lassen. Doch so fragwürdig es auch sein mag, ob ein derartiger Bericht ein an den Kaiser gerichtetes „Aktenstück" darstellt, dagegen, daß er es ist, lassen sich doch die meisten jener Unstimmigkeiten nicht ins Feld führen: sie sind offensichtlich zum größten Teil verursacht durch Liudprands feindselige Stimmung gegen Byzanz, die zum Kriege gegen den Osten hetzte, und die Frage, ob sie in einem diplomatischen Bericht an Otto den Großen stehen konnten, hängt also von der Frage nach der politischen Urteilsfähigkeit des Kaisers m , noch mehr aber nach der Liudprands ab. Eine leidlich einwandfreie Entscheidung scheint in dieser Hinsicht nur in einem Punkte gefunden werden zu können. Es wurde schon betont, daß Liudprand in der Relatio den Inhalt der Angebote nicht angibt, die er in Byzanz in Ottos Auftrag gemacht und ebensowenig den Inhalt der Angebote, welche er von Nikephoros an seinen Kaiser entgegengenommen hat. Aber offenbar sind in der Relatio noch andere Dinge, die Otto wissen mußte und vor allem wissen wollte, mit Stillschweigen übergangen worden. Die Beschwerden Liudprands darüber, daß er in Konstantinopel wie ein Gefangener behandelt worden sei, durchziehen den ganzen Bericht. Ein besonderer Custos ist für ihn bestellt (cap. 1), der Palast, in dem er untergebracht ist, ist von Soldaten besetzt und gehütet (cap. 1), er darf ihn nur unter militärischer Bedeckung verlassen, selbst zur Audienz bei Nikephoros und wieder zurück wird er eskortiert (cap. 19), ständig ist er sorgfältig bewacht und beobachtet. Ob die Bewachung schon von Anfang an so streng war, wie Liudprand behauptet, mag fraglich erscheinen. Jedenfalls ist sie nach dem Aufbruch des Nikephoros zum Sarazenenkrieg, Ende Juli, noch erheblich verschärft worden. Denn wenn der Bischof auch gleich zu Anfang der
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der immer wieder von ihm hervorgehobenen Etikette der Griechen, bei der man ihn wohl kaum hätte ausreden lassen; auch zu dem sehr förmlichen und höflichen Brief, den er nach cap. 14 an den Logotheten Leo geschrieben hat, stimmen sie nicht ganz. Zu Liudprands Behauptung, von den Griechen nur schlecht behandelt worden zu sein, stehen seine häufigen Einladungen bei Nikephoros und die Tatsache, daß er mit ihm Geschenke tauscht, im Widerspruch. Selbst in der Relatio schimmert ganz deutlich durch, daß Nikephoros dem Gesandten offenbar im allgemeinen mit ironischer Liebenswürdigkeit entgegengetreten ist. Damit, daß nach seinem Bericht in cap. 11 Liudprand bei der dort beschriebenen Mahlzeit so mißachtet gewesen sei, daß er erst den 15. Platz nach dem Kaiser bekam, paßt es nicht zusammen, daß sich der Kaiser während der ganzen Mahlzeit mit ihm unterhielt; Liudprands Platz müßte denn dem Kaiser gerade gegenüber gewesen sein: dann bedeutete er aber keine Degradierung. Die angeblich unüberwindliche Bosheit und Feindschaft der Griechen gegen den Westen passen schlecht dazu, daß man nach cap. 40 in Byzanz offenbar auf ein Bündnis mit Otto rechnete. Die Erzählung in cap. 30, daß von den Griechen Adalbert an die Deutschen eventuell ausgeliefert werden sollte, ist ganz unglaubwürdig, und offenbar nur darauf berechnet. Verstimmung unter den Freunden von Byzanz gegen Byzanz zu wecken. Die Verse in cap. 57 wird der furchtsame Liudprand, der immer griechische Verfolgungen witterte, schwerlich auf den Tisch seiner Wohnung geschrieben haben. Endlich und vor allem sind die Angaben über die Ohnmacht des griechischen Reiches und Heeres nachweislich falsch. Immerhin mußten sich besonders die Prahlereien Liudprands über die Ohnmacht des griechischen Reiches unter allen Umständen auch für Otto sehr leicht als falsch erweisen lassen, da bekanntlich schon mehrfach Gesandtschaften zwischen Otto und Byzanz gewechselt waren und Otto wenigstens Vorposten der griechischen Macht in Süditalien aus eigener Erfahrung kannte.
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Relatio ganz allgemein bemerkt, es sei seinen Begleitern verboten gewesen, seine Wohnung zu verlassen, und den Griechen, ihn zu besuchen (cap. 1), so scheint aus seinen Worten in cap. 46 doch hervorzugehen, daß diese vollständige Absperrung von der Außenwelt erst jetzt erfolgte: Niemand habe von ihm und zu ihm gehen dürfen; Leute, die ihn besuchen wollten, seien geschlagen und ins Gefängnis geworfen; allein der Koch, der kein Griechisch verstand, habe ausgehen dürfen. Für diese Maßnahmen der Griechen gibt, wie Liudprand berichtet, Nikephoros selbst die Erklärung. Er sagt dem Bischof gleich bei der Begrüßung auf den Kopf zu, er sei von Otto als Spion geschickt worden (cap. 4). Dieser Behauptung widerspricht Liudprand zwar nicht ausdrücklich, aber es ist doch deutlich, daß er den Anschein zu erwecken und aufrecht zu erhalten sucht, als wenn sie gänzlich aus der Luft gegriffen sei, und als wenn das Vorgehen des Kaisers gegen ihn einen unerhörten Bruch des Völkerrechts dargestellt habe. Tatsächlich läßt sich auch von einer eigentlichen Spionage Liudprands in Konstantinopel nichts bemerken. Denn die Angaben, die der Bischof über Nikephoros' Heer und Flotte macht (bes. cap. 29), wird man nur als ganz loyale und legale Beobachtungen des Diplomaten zu beurteilen haben. Aber trotzdem zeigt sich, daß der Verdacht und der Vorwurf des Nikephoros alles andere als unbegründet gewesen sein dürften. In cap. 46 erzählt Liudprand, daß Arme, die lateinisch sprechen konnten, in seinen Palast zu kommen versuchten, um Almosen zu empfangen. Gleich danach ist von einem seiner Freunde die Rede, der ihm Lebensmittel geschickt habe (cap. 46). In cap. 49 heißt es, daß am Fest der Kreuzerhöhung sich im Gedränge einige Personen ihm näherten, ohne daß seine Wächter etwas davon merkten, die ihn furtivis sermonibus hilarem reddicLerunt. In cap. 55 wird von Freunden gesprochen, die ihm Stoffe zum Geschenk gemacht hatten. In cap. 65 aber werden sehr kostbare Geschenke erwähnt, die Otto Liudprand mitgegeben habe, damit er sie in Byzanz unter seine Freunde verteile. Durch die von Nikephoros angeordneten Maßnahmen sollte eine Verbindung zwischen Liudprand und den Konstantinopolitanern unmöglich gemacht werden: es war verboten, mit dem Gesandten Ottos in Beziehung zu treten, und die, welche das Verbot übertraten, setzten sich einer Bestrafung aus. Sollte dieses Verbot wirklich bloß erlassen worden sein, um den Austausch von Lebensmitteln und Stoffen zu verhindern? Tatsächlich ist das Verbot, wie der Bischof selbst berichtet, mehrfach übertreten worden U 2 . Worin die furtivi sermones bestanden, mit denen Liudprand heimlich erfreut wurde, sagt er nicht. Aber sollten die, welche sie zu ihm sprachen, des Kaisers Befehl nur mißachtet und sich einer Entdeckung und dem Zorn des Kaisers ausgesetzt haben, um Liudprand einige belanglose Freundlichkeiten zuzuflüstern? Während seines Aufenthaltes in Konstantinopel im Jahre 968 scheint Liudprand nicht viel Gelegenheit gehabt zu haben, Freunde zu gewinnen; und seine Bemerkung, daß er von Otto Geschenke zur Verteilung unter seine Freunde mitbekommen 112
Außer aus den vorhin angeführten Tatsachen wird man das wohl auch aus der Bemerkung Liudprands in cap. 4 6 herauslesen dürfen: nisi divina pietas parasset in conspectu meo men-
sam adversus eos qut tribulant me . . .
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habe, läßt sich doch am besten verstehen, wenn man annimmt, daß er schon längst Bekannte und Freunde in Byzanz besaß, d. h. daß diese Freundschaften von seinen und seiner Familie früheren Beziehungen zum griechischen Hof herrührten. Im Jahre 927 weilte Liudprands Vater am Hofe des Kaisers Romanos I. als Gesandter König Hugos; 941 Liudprands Stiefvater als Gesandter desselben Königs bei demselben Kaiser; im Jahre 949 hielt sich Liudprand selbst im Auftrag Berengars bei Konstantin VII. Porphyrogennetos auf. Sowohl Liudprands Vater und Stiefvater wie er selbst wurden bei diesen Besuchen in Byzanz außerordentlich freundlich aufgenommen. Von Romanos wie von Konstantin spricht Liudprand in der Antapodosis mit der größten Achtung, und das gute Verhältnis, das ihn mit Konstantin verbunden haben muß, tritt noch in den Bemerkungen über seinen Besuch bei diesem Kaiser in der Relatio hervor (cap. 55). Romanos war der Schwiegervater Konstantins VII., und dieser gehörte zu der von Nikephoros verdrängten und zurückgesetzten Dynastie der Makedonen; wenn die unmündigen Enkel Konstantins VII. auch als Kaiser neben Nikephoros anerkannt wurden, so war dieser tatsächlich doch der Alleinherrscher. Die freundschaftlichen Beziehungen, die Liudprand in Konstantinopel hatte, galten also anscheinend der Partei, der Nikephoros als Usurpator erscheinen mußte. Unter diesen Umständen erscheint es als recht bezeichnend und vielsagend, daß Liudprand den Nikephoros in der Relatio konsequent für einen Usurpator erklärt: unrechtmäßigerweise habe er sich mit seiner Herrin, der Witwe Romanos* II., des Sohns Konstantins VII., vermählt (cap. 41, 52); seine rechtmäßigen Kaiser seien die kleinen unmündigen Enkel Konstantins (bes. cap. 52), die er in seinem Palaste aufbewahre; ihnen solle er sich wieder unterwerfen. Die Ansichten, die Liudprand über die Stellung des Nikephoros vertritt, decken sich also vollkommen mit denen, die man für legitimistische Hochverräter in Byzanz wird annehmen dürfen. Bekanntlich erfolgte nach dem Sturz des Nikephoros durch Johann Tzimiskes im Jahre 969 wenigstens teilweise und dem Namen nach eine Restauration der Makedonen; nicht bloß, daß mit Johann zugleich die beiden eben erwähnten Enkel Kon48 stantins VII. zu Kaisern ausgerufen wurden, Johann hat sich auch mit einer Tochter Konstantins vermählt. Der neue Kaiser hat bekanntlich nicht lange nach seiner Erhebung mit Otto d. Gr. Freundschaft geschlossen und die deutschen Forderungen, die Nikephoros abgelehnt hatte, im wesentlichen erfüllt. Das braucht natürlich nicht zu beweisen, daß Johann oder die Partei, auf die er sich stützte, deutschfreundlich war. Aber es ist doch selbstverständlich, daß die Gruppen, die gegen Nikephoros opponierten, gleichgültig, ob sie wirklich zu einer Verständigung mit Deutschland neigten oder nicht, die natürlichen Verbündeten der ottonischen Politik waren. Es ergibt sich also: Liudprand hatte von früher gute Beziehungen zu der legitimistischen Partei in Byzanz; in der Relatio spricht er gegen den Usurpator Nikephoros durchaus im Sinne dieser Partei; diese Partei aber hatte durch ihre Gegnerschaft gegen Nikephoros mit der deutschen Politik verwandte Interessen. Unter den Umständen ist es wohl nicht zu kühn, die Behauptung zu wagen, daß die Freunde, mit denen Liudprand trotz der Absperrungsmaßnahmen des Nikephoros in Verbindung trat, Beziehungen zu dieser Partei hatten, und daß Liudprand den hochverräterischen
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Bestrebungen, die im nächsten Jahr in Byzanz ihr Ziel erreichten, nicht ganz fern gestanden hat. In der Tat, wenn man einmal von dem sonderbaren Bild absieht, das Liudprand von seiner eigenen diplomatischen Tätigkeit in der Relatio entwirft, so ist es doch nicht gerade wahrscheinlich, daß Otto seinen hervorragendsten Diplomaten nur deshalb nach dem Osten geschickt hat, damit er nach dem als wahrscheinlich vorauszusehenden Scheitern seiner Mission mit Nikephoros und seinen Beamten Grobheiten austauschte. Es mußte doch für jede Diplomatie, die nicht so kindlich verfuhr, wie Liudprand in der Relatio sich den Anschein gibt, sehr naheliegen, im Falle, daß die Feindschaft mit Nikephoros nicht auszugleichen war, mit dessen Feinden in Byzanz anzuknüpfen oder wenigstens durch Verhandlungen mit ihnen festzustellen, wieweit die Unterminierung von Nikephoros' Regiment gediehen warDas, was sich in der Relatio zwischen den Zeilen lesen läßt, beweist, daß das tatsächlich Liudprands Aufgabe gewesen ist und daß er sie zu erfüllen wenigstens den Versuch gemacht hat. Wenn diese Überlegungen richtig sind, wird man aber so zu argumentieren haben: Die Fühlungnahme Liudprands mit der Oppositionspartei in Byzanz zeigt, daß die ottonische Politik ganz andere Absichten hatte und viel verschlagener und klüger vorging, als die naiven Erörterungen in der Relatio vermuten lassen. D a ß dann aber diese Naivitäten, die das Wichtigste verschweigen und verschleiern, einen diplomatischen Bericht an Otto d. Gr. vorstellen sollen, erscheint schwer zu glauben. Dieselben Zweifel ergeben sich noch aus anderen Gründen.
4. Das letzte Datum, das Liudprand in der Relatio anführt, ist der 7. Januar 969 (cap. 65). Frühestens an diesem Tage kann der Bericht also erst vollendet und an Otto abgeschickt sein. Damals aber war schon längst, und zwar seit einigen Wochen, der Krieg zwischen den Deutschen und den Griechen in Süditalien wieder im Gange, was Liudprand, der seit Ende November 968 in Südgriechenland und seit dem ] 8. Dezember in Korfu war, unter allen Umständen wissen mußte und nach dem, was er in cap. 53 und 62 sagt, auch tatsächlich gewußt hat Die Verhandlungen und Vorgänge, die in der Relatio geschildert werden, waren also längst überholt, und man sieht auf den ersten Blick, daß der größte Teil von dem, was in ihr erzählt wird, für Otto kein aktuelles Interesse mehr hatte. Es erscheint demnach höchst sonderbar, daß unter diesen Verhältnissen Liudprand seinen weitschweifigen Bericht an den Kaiser überhaupt abgefaßt und abgeschickt haben soll, statt zu warten, bis er selbst bei ihm angelangt war. Wie schon bemerkt, sagt Liudprand in cap. 62, er belinde sich während der Abfassung der Relatio noch in den Händen der Griechen. Wo sich dieser Aufenthalt abgespielt hat, ist nicht deutlich angegeben: der Bericht bricht nach der Erwähnung der Abreise von Korfu ab. Doch da vorher von einem Plan der Griechen die Rede ist, den Bischof in Korfu wieder verräterisch ans Land zu setzen, so liegt es nahe zu vermuten, daß es sich dabei um einen neuen Aufenthalt auf Korfu handelte. Aber wie das auch sein mag, daß Liudprand mit Gewalt festgehalten wurde, geht aus dem,
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was er über seine Beziehungen zu den Griechen am Schluß des Berichts sagt, und vor allem aus den schon zitierten Worten: donec Deo largtente sanctissimorumque apostolorum orationibus ex Grecorum ereptus manibus vos adeam (cap. 62) deutlich hervor. Wenn es aber Liudprand gelang, während dieser völkerrechtswidrigen Gefangenschaft an Otto einen Bericht über seine Gesandtschaft zu verfassen, so berührt es sehr eigenartig, daß er in ihm zwar eine umständliche und lange Beschreibung seiner Reise nach Konstantinopel gibt, daß er aber in 65 Kapiteln von seiner augenblicklichen Notlage außer in dem eben zitierten, doch nur sozusagen nebenbei geschriebenen Nebensatz überhaupt nichts verrät: ein Gefangener, der aus der Gefangenschaft schreibt, hält sich nicht so pedantisch an die chronologische Reihenfolge der Ereignisse, daß er auf seine eigene Gefangenschaft erst zu sprechen kommt, nachdem er ein ganzes Buch verfaßt hat. Es liegt entschieden näher, zu vermuten, daß Liudprand an Otto statt dieses Monstrum von Brief, der in der Briefliteratur aller Zeiten seinesgleichen sucht, weiter nichts als einen kurzen und dringenden Hilfeschrei geschickt hätte, wenn sich die Dinge wirklich so verhielten, wie er angibt. Doch noch etwas anderes. In der Relatio wird ausdrücklich betont, die Griechen seien daran schuld gewesen, daß es Liudprand bis zur Abfassung des Berichts nicht möglich war, an den Kaiser Briefe oder Boten zu schicken: in Byzanz habe man ihn ständig daran gehindert (cap. 1, 53). Wenn aber die Griechen in Korfu oder sonst irgendwo in der Nähe des italienischen Festlandes den Bischof widerrechtlich festhielten, so ist anzunehmen, daß seine Absperrung noch strenger durchgeführt wurde als in Konstantinopel. Auf jeden Fall mußte Liudprand nach seinen bisherigen Erfahrungen argwöhnen, daß man seinen Verkehr mit der Außenwelt scharf überwachte. Wenn es ihm in dieser Situation trotz allem gelungen sein sollte, mit seinem Herrn irgendwie in Verbindung zu treten, so erscheint es doch nicht gerade wahrscheinlich, daß er für ihn ein Schriftstück von mehr als 65 Kapiteln verfaßt hat, dessen Abfassung allein schon den Griechen auffallen und verdächtig sein mußte; und in dem im übrigen für Ottos 5i Politik und über Liudprands augenblickliche Lage nicht mehr stand, als was sich ebensogut im hundertsten Teil dieses Schriftstücks hätte ausdrücken lassen. Es wird von Liudprand mehrfach betont, daß er während seiner Verhandlungen in Byzanz gewisse unfreundliche Gedanken gegen die Griechen aus Furcht vor ihnen nicht ausgesprochen, sondern für sich behalten habe. In cap. 47 ff. erzählt er außerdem, daß Gesandte des Papstes, die während seiner Anwesenheit in Byzanz dort ankamen, ins Gefängnis geworfen wurden, weil sie einen Brief überbracht hatten, in dem Nikephoros von der Kurie nicht als Kaiser der Römer, sondern bloß als Kaiser der Griechen tituliert war. Da als Urheber dieses päpstlichen Briefes in Konstantinopel Otto I. angesehen wurde, so fürchtete Liudprand angeblich die schlimmsten Dinge für sich selbst, und er verstand sich zu einem Versprechen, nach dem der Papst in einem neuen Schreiben an Nikephoros seinen Fehler wieder gut machen sollte. In der Relatio verrät aber Liudprand all seine in Byzanz unterdrückten Gedanken gegen die Griechen sehr offenherzig; außerdem stellt er sein wegen des neuen Papstbriefes gegebenes Versprechen als bloße Spiegelfechterei hin. E r gibt für diesen Brief Ratschläge, die auf eine noch ärgere Brüskierung des griechischen Hofes hinaus-
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liefen, als sie der päpstliche Brief darstellte (cap. 52). Ja, er beschimpft in der Relatio nicht nur die Griechen in Konstantinopel und ihren Kaiser auf jede erdenkliche Weise, sondern auch die Griechen in Korfu, in deren' Händen oder in deren Nähe er sich doch noch angeblich befindet. In Byzanz zitterte Liudprand wegen halb so schlimmer Äußerungen und Maßnahmen, wie er sie hier tut und vorschlägt, um sein Leben. Wenn die Relatio den Griechen bekannt wurde, so kannten sie einmal die Ansichten und Absichten, die der Italiener vor ihnen verheimlicht hatte, d. h. das ganze, wenn auch noch so bescheidene diplomatische Spiel Liudprands, das er in dem Bericht mitteilt, war völlig vor ihnen aufgedeckt. Sodann aber: die Gefahren, von denen sich der Bischof in Konstantinopel bedroht glaubte, wenn er dort seine Meinung sagte, waren doch erst recht vorhanden, wenn die Griechen seinen Bericht kennen lernten. Daß ihnen der aber in die Hände fiel, mußte bei der strengen Bewachung und häufigen Durchsuchung von Liudprands Gepäck, von der immer wieder die Rede ist, sehr möglich, ja, wahrscheinlich sein. Es erscheint nach alledem wohl ganz undenkbar, daß Liudprand die Relatio geschrieben hat, solange er sich noch auf griechischem Boden befand. Danach dürfte es nur zwei Möglichkeiten geben: Entweder stellt die Relatio die vollständige Umarbeitung und Erweiterung eines vermutlich sehr kurzen Briefes dar, den Liudprand aus seiner Gefangenschaft an Otto geschickt hat, oder aber das Datum der Relatio, d. h. die Behauptung, sie sei noch in Griechenland geschrieben, ist eine Fiktion. Im ersten Falle käme natürlich die Relatio als offizieller Bericht, als „Aktenstück" über Liudprands Gesandtschaft nicht mehr in Betracht. Ebensowenig aber im zweiten Fall: Ist das Datum der Relatio eine Fiktion, so ist es natürlich die ganze Relatio. Denn was sollte Liudprand bewogen haben, nachdem er aus dem griechischen Reiche zurückgekehrt war, nicht zu Otto weiterzureisen, sondern statt dessen ihm vorzulügen, er befinde sich noch in griechischer Gefangenschaft, um einen umständlichen Bericht an ihn aufzusetzen, der sich mündlich viel besser geben ließ? Es ist auch in dem Fall nicht anders vorstellbar, als daß die Relatio erst nach der Rückkehr an den ottonischen Hof abgefaßt und daß die Form des Briefes an den Kaiser nur ein literarisches Gewand ist, in das sich Liudprands Erzählung kleidet.
5. Als Bericht an die Ottonen dokumentiert sich die Relatio allein durch ihre Form. Die aber besagt sehr wenig. Sieht man die größeren Werke der ottonischen Geschichtschreibung durch, die etwa gleichzeitig mit Liudprands Schrift entstanden sind, so findet man, daß in ihnen noch stärker, als es sonst im Mittelalter der Fall ist, die Widmung an eine hochgestellte Persönlichkeit eine große Rolle spielt. So sind, wie bekannt, Hrotswiths Carmen de gestis Ottonis Otto I. und Otto II., Widukinds Sachsengeschichte der Mathilde, Ottos d. Gr. Tochter, gewidmet. Und Liudprands Antapodosis ist für den Bischof Recemund von Elvira geschrieben. Sowohl in Widukinds Sachsengeschichte wie in der Antapodosis werden aber die, denen diese Werke gewidmet sind, nicht bloß in den Uberschriften und den Einleitungen des Ganzen oder einzelner Bücher,
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sondern auch im Texte selbst wiederholt angeredet: beide Werke geben sich durchaus in der Form von Briefen U 3 . Die Briefform der Relatio braucht also danach gleichfalls nichts anderes als eine Fiktion zu sein 1 1 4 . Diese Form erhält in der Relatio freilich dadurch ein besonderes Gepräge, daß sie den Anschein zu erwecken sucht, als wenn die Schrift ein ganz aktuelles Schreiben aus einer bestimmten Situation an den Kaiser wäre. Warum Liudprand so verfahren ist, wird sich mit Sicherheit wohl niemals aufklären lassen 1 1 5 . Nur folgende Vermutungen lassen sich dabei anstellen. Einmal mußte durch diese Eigenart der Briefcharakter der Relatio eine besonders deutliche Beglaubigung und die ganze Schrift dadurch ein erhöhtes Interesse bekommen. Außerdem läßt sich zu ihr eine Vorstufe in der Antapodosis einigermaßen deutlich erkennen. Dort gibt Liudprand an, daß er die Schrift auf den besonderen Wunsch und die Veranlassung des Bischofs Recemund an den Bischof und für den Bischof schreibe: ihn, nicht etwa irgendein Publikum, will er durch sie über die Ereignisse der europäischen Geschichte unterrichten. Nicht anders verhält sich die Relatio gegenüber den Ottonen, denen gegenüber dies Verfahren besonders nahelag, weil sie ja die Auftraggeber zur Gesandtschaft gewesen waren. Den Glauben an die Echtheit der Form der Relatio aber konnte Liudprand natürlich am besten erreichen, wenn er vorgab, dem Kaiser noch nicht mündlich Bericht erstattet zu haben u ®. Immerhin mag die sehr auffallende Be54 hauptung, daß die Relatio noch im griechischen Reich geschrieben worden sei, auch darin ihre Veranlassung haben, daß, wie vorhin als möglich angenommen wurde, Liudprand tatsächlich aus Korfu ein Schreiben an Otto geschickt und dieses dann später in die Relatio verwandelt hat; bloß, in diesem Schreiben würde natürlich von dem, was sich in ihr findet, so gut wie nichts gestanden haben, und umgekehrt 117 .
6. Nach Stil und Haltung steht die Relatio, wie wohl allgemein anerkannt wird, von den beiden anderen Werken Liudprands der Antapodosis sehr viel näher als der offiziösen Staatsschrift der Historia Ottonis. Von dem offiziellen und objektiven 113
Besonders deutlich ist das in der Antapodosis, die einen ganz ähnlichen Briefeingang hat wie die Relatio.
1 U
Schon Menzel hat a. a. O . betont, daß der Briefanfang der Relatio weiter nichts als die Widmung an die Ottonen sei. D a ß Liudprand als Schriftsteller erhebliche Marotten gehabt hat. sieht man auf den ersten
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Blick. W e r will aber alle ihre Motive kontrollieren? Außerdem konnte mit dem Hinweis auf den noch zu erstattenden mündlichen Bericht manchc Unvollständigkeit entschuldigt werden. Becker a. a. O. S. X X I I nimmt an, daß dem „offiziellen Bericht" der Relatio „tagebuchartige Aufzeichnungen" zugrunde gelegen hätten. Worauf sich diese Annahme stützt, wird nicht gesagt. Vermutlich jedoch auf die genauen Datierungen, die Liudprand bietet. Diese nötigen aber in keiner Weise zur Annahme eines Tagebuches. Sie betreffen fast durchweg besonders wichtige Ereignisse oder knüpfen an christliche Feste an, die einem Bischof sich zu merken nicht schwer fallen konnte; sie setzen eine Gedächtnisleistung voraus, die auch für das schlechte Gedächtnis eines Mitteleuropäers der Gegenwart nicht auffallend wäre.
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Gepräge der Historia ist in ihr nichts zu finden. Sie hat die gleiche leidenschaftliche, höchst persönliche, dabei das anekdotenhafte und novellistische Moment stark unterstreichende Schreibweise wie die Antapodosis. Auch ihr Charakter ist mehr literarisch als politisch, und tatsächlich ist die Relatio geradezu eine Wiederholung der Antapodosis; auch sie ist eine Vergeltungsschrift, und zwar gegen den Hof von Byzanz. Ihr Bestreben, die Griechen herabzusetzen, sie lächerlich und verächtlich zu machen, ist unverkennbar und immer erkannt; ebenso aber ihr Bemühen, im ganzen Abendlande Mißtrauen gegen das östliche Kaiserreich zu säen. Gegen fast jede der westlichen Mächte wird eine Schändlichkeit oder schlechte Absicht der Griechen behauptet: gegen Venedig, Amalfi (cap. 55), den Papst (cap. 50), den Kaiser, gegen Adalbert (cap. 30), gegen die Deutschen und die Langobarden. Sowenig die Relatio ein politisches Manifest an Otto ist, das den Kaiser in den Kampf gegen den Osten zu hetzen beabsichtigte, so ist sie doch ein öffentliches Pamphlet, das die Abneigung und den Haß gegen Byzanz nach allen Richtungen schüren sollte; sie ist eine Streitschrift, in der der Gesandte Ottos den Kampf der Waffen gegen Byzanz mit publizistischen Mitteln unterstützt; ein Dokument der, wenn man es so nennen will, politischen Propaganda der ottonischen Diplomatie gegen den Osten. Von einer die Tatsachen richtig wiedergebenden Berichterstattung kann dabei, wie sich oben schon gezeigt hat, natürlich nicht die R e d e sein. D i e Relatio wird nicht bloß die Ziele und Intriguen der ottonischen Diplomatie verschweigen, sie dürfte auch sonst oft genug die Unwahrheit sagen, und man wird sich gegen ilyre Glaubwürdigkeit in manchen Punkten noch skeptischer verhalten müssen, als es bisher ohnehin schon der Fall war. Im einzelnen soll das hier nicht nachgeprüft werden: sehr viel versteht sich in dieser Beziehung von selbst 1 1 8 . So wird man die Unterhaltungen, die sie aufzeichnet, kaum als auch nur annähernd getreue Wiedergaben von wirklich geführten Gesprächen, sondern als polemische Auseinandersetzungen mit den Griechen in Dialogform zu bewerten haben, wobei Erinnerungen an echte Unterhaltungen mitklingen mögen. So wird man auch einige unwahrscheinlich anmutende Behauptungen Liudprands, die geeignet waren, gegen die Griechen zu verstimmen, als tendenziös anzuzweifeln haben. D i e Angabe, daß Nikephoros für die Anerkennung von Ottos Kaisertitel so ungeheure und unerfüllbare Forderungen, wie die Herausgabe von Rom und Ravenna, gestellt habe (cap. 15), wird wenigstens unsicher bleiben müssen. D i e Nachricht, daß auf seinen Befehl eventuell Adalbert an die Deutschen ausgeliefert werden sollte (cap. 30), ist so wohl kaum zu glauben. Auch die Behauptung über seinen unversöhnlichen Rachedurst gegen die Fürsten von Capua und Benevent (cap. 27) kam der ottonischen Politik zu gut zustatten, als daß sie ganz unbedingt vertrauenswürdig wäre. Nach alledem fallen natürlich im wesentlichen auch die oben angedeuteten Konsequenzen fort, die sich für die Beurteilung der ottonischen Politik und Diplomatie ergeben würden, wenn die Relatio eine offizielle Schrift wäre. D i e Politik Ottos und Liudprands ist sicher besser und realistischer gewesen, als es nach der Relatio auf den ersten Blick erscheinen mag. Aber ganz sind jene Konsequenzen doch nicht aus 118
Vgl. dazu auch oben S. 3 7 5 f , Anm. 110.
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der Welt zu schaffen. Kann man die Relatio auch nicht als politische Kost für Otto den Großen selbst betrachten, so war sie das doch zweifellos für die „Gebildeten" und politisch Interessierten in Deutschland und Italien, die den Gang der politischen Entwicklung mitbestimmten. Ihnen gegenüber scheint also Liudprand die eigenartigen Argumente und politischen Motivierungen, von denen oben die Rede war, doch nicht für unwirksam gehalten zu haben. Vor einer Reihe von Jahren hat J. Haller in einem Vortrag über die Karolinger und das Papsttum 1 1 9 die Frage nach den politischen Ideen Pippins und seiner italienischen Politik gestellt. E r hat sie dem König bekanntlich auf Grund der im Codex Carolinus überlieferten Papstbriefe völlig abgesprochen und an ihre Stelle religiöse, jedenfalls ganz unpolitische Gesichtspunkte gesetzt Hallers These wird wohl im allgemeinen abgelehnt, und tatsächlich dürfte er die Dinge etwas zu einfach gesehen haben. Aber die Frage, von der er ausgeht, und die sich auf den Widerspruch zwischen dem gründet, was die Quellen über die politischen Absichten und Motive ihrer Zeit aussagen und dem, was die modernen Historiker darüber schließen möchten, rührt doch an eins der wichtigsten und schwierigsten Probleme der mittelalterlichen Geschichte und der Geschichte jeder vergangenen Zeit. Die Betrachtung von Liudprands Relatio hat dazu geführt, jene Frage für die politische Psychologie und da» Verhältnis von Politik und Geschichtschreibung im Zeitalter der Ottonen zu wiederholen. Zu mehr, als zu der Fragestellung selbst kann die Betrachtung der Relatio allein freilich nicht führen. Um eine Beantwortung zu versuchen, wird es nötig sein, die gesamte Geschichtschreibung der Ottonenzeit heranzuziehen. 1,9
Vgl. Historische Zeitschrift 108 ( 1 9 1 2 ) , S. 3 8 ff. [Vgl. auch Der Codex Carolinus und die Motive von Pippins Italienpolitik, hier S. 3 ff.]
III. L I U D P R A N D S
STELLUNG
ZUR K AIS E R P O LITIK
1. Die politische Laufbahn Liudprands ist bekannt 1 2 0 . Als Knabe trat er am Hofe von Pavia in das Gefolge König Hugos, in dessen Diensten auch sein Vater und sein Stiefvater gestanden hatten; beide waren im Auftrag des Königs als Gesandte nach Konstantinopel gegangen. Nach Hugos Sturz kam Liudprand in die Umgebung Berengars; er wurde in dessen Kanzlei beschäftigt und reiste schließlich, ähnlich wie einst Vater und Stiefvater, als Gesandter nach Byzanz. Einige Jahre später lebte er, mit Berengar zerfallen, als Emigrant in Deutschland, am Hofe Ottos des Großen, wo er mit dem Gesandten des Kalifen von Kordova Freundschaft schloß. Ob eine Reise, auf der er im Jahre 960 Paxos berührte, politischer Natur gewesen ist, wissen wir nicht. 961 erhielt er von Otto das Bistum Cremona, und in den folgenden Jahren tritt er in der italienischen Politik des deutschen Königs an vorderster Stelle handelnd hervor. Er erscheint 963 in seinem Auftrag in Rom, um Verhandlungen mit der Kurie zu führen; er nimmt im gleichen Jahre als Sprecher des Kaisers an der Synode teil, die Johann XII. verdammt; er kommt 965 abermals nach Rom, um die Papstwahl als kaiserlicher Bevollmächtigter zu beaufsichtigen. 968 kann er sich rühmen, Otto veranlaßt zu haben, die Belagerung von Bari aufzugeben; und er begibt sich schließlich im gleichen Jahre als Gesandter des Kaisers wieder nach Konstantinopel. Es dürfte während des zehnten Jahrhunderts in Europa kaum einen Diplomaten gegeben haben, der mehr in der Welt herumgekommen ist, der besser über die Höfe und Reiche des Abend- und Morgenlandes Bescheid wußte und der mehr Menschen und Verhältnisse kannte, als Liudprand. Unter den Italienern seiner Zeit aber hat er die größte und weitreichendste Rolle am Hofe Ottos des Großen gespielt; und andererseits ist er der Politiker gewesen, der von Otto am häufigsten und in den heikelsten Lagen in seiner italienischen Politik verwandt worden ist. Wieweit man ihn hier als Ratgeber und Inspirator Ottos bezeichnen darf, das wird sich schwerlich ganz sicher entscheiden lassen. D a ß er aber in der italienischen Politik des deutschen Hofes vollständig zu Hause war und sich in ihren Motiven und Absichten restlos auskannte, das ist wohl keine Frage. Dieser vielleicht sehr einflußreiche, auf jeden Fall aber vielgewandte und wohlunterrichtete Politiker hat nun Geschichte geschrieben. Während seines Aufenthaltes in Deutschland bis zu der Zeit, da Otto die Kaiserkrone gewann, hat er an der Ant120 Vgl. etwa die Ausgabe von Liudprands Werken von Becker, S. VII ff. 25
Lintzel Bd. II
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Zur Gcschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
apodosis gearbeitet, in der er auf die Geschichte der letzten Jahrzehnte des neunten Jahrhunderts und auf die des zehnten Jahrhunderts bis kurz vor dem ersten Zug Ottos nach Italien zu sprechen kommt. In der Historia Ottonis hat er die Kämpfe und Verhandlungen mit dem Papsttum in den Jahren von 961 bis 964 beschrieben; in der Relatio de legatione Constantinopolitana schließlich gibt er einen Bericht über seine eigene Gesandtschaftsreise nach Konstantinopel. Gewiß, man kann nicht sagen, daß Liudprand in der Zeit Ottos des Großen der einzige Politiker gewesen ist, der Geschichte geschrieben hat, und der einzige Geschichtschreiber, der zugleich Politiker war. Auch der Continuator Reginonis ist ein aktiver Staatsmann von Bedeutung gewesen. Aber während der Continuator seine Geschichte nur in knapper, annalistischer Form schreibt, während er eine strenge Sachlichkeit an den Tag legt, hinter der das eigene Urteil zurückzutreten scheint, und während er vor allem nur den Ablauf der Geschehnisse beschreibt, ohne im allgemeinen auf die Motive der Handelnden einzugehen, schreibt Liudprand im Gegensatz dazu politische Kampfund Rechtfertigungsschriften, in denen er die Gedankengänge seiner Zeit und ihrer 6» Helden und sein eigenes Urteil darüber cum ira et studio seinen Lesern vorführt. Liudprand ist der Geschichtschreiber des zehnten Jahrhunderts, in dessen Schriften am meisten Politik zu finden ist. Er ist aber vor allem auch der Politiker der Ottonenzeit, über dessen Ansichten und Absichten wir durch seine Schriften am besten orientiert sind. Das gibt der historischen Schriftstellerei des Bischofs von Cremona ein ganz eigentümliches Gewicht. Man hat sich in den letzten Jahren bekanntlich wieder häufig und gründlich mit der Frage nach dem Sinn und dem Wesen der italienischen Politik Ottos des Großen, mit der Frage nach ihren geistigen und politischen Grundlagen und Zielsetzungen befaßt 1 2 1 . Man hat bei dem Bestreben, die geistigen und politischen Hintergründe der ottonischen Kaiserpolitik aufzudecken, sozusagen ein Mosaik aus den verschiedenen Äußerungen und Ansichten zusammengesetzt, die über diese Dinge in den Quellen ihrer Zeit hervortreten; und man hat geglaubt, in diesem Mosaik so etwas wie die allgemeine Meinung jener Zeit, wie die Ideen, die sie bewegten, vor sich zu haben. Sowenig ich den Wert dieser Arbeiten leugnen möchte, sie scheinen mir doch ein nicht ganz richtiges Bild von den Verhältnissen zu geben. Einmal: sie nehmen im allgemeinen die Quellen und Schriftsteller, die sie ausschöpfen und verwerten, nicht als Ganzes, sondern sie zerstückeln sie sozusagen in ihre verschiedenen Bestandteile, ihre verschiedenen Nachrichten und Äußerungen; und sodann und vor allem: sie behandeln und verwerten die Quellen im allgemeinen so, als wenn sie alle gleichmäßig die gleiche Bedeutung und den gleichen Wert für die Rekonstruktion der geistigen und politischen Tendenzen ihrer Zeit hätten. Aber aus dem Zusammenhang gerissene Worte ergeben selten die Meinung dessen, der sie spricht; und eine Summierung von politischen Einzelstimmen ergibt noch längst nicht den politischen 121
Erinnert sei hier vor allem an F. Schneider, Rom und Romgedanke im Mittelalter ( 1 9 2 6 ) ; P. E. Schramm, Kaiser, Rom und Renovatio (1929); vgl. dazu E. Pfeil, Die fränkische und die deutsche Romidee des frühen Mittelalters (1929) und Th. E. Mommsen, Studien zum Ideengehalt der deutschen Außenpolitik im Zeitalter der Ottonen und Salier, Dissert. Berlin 1930.
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Ideengehalt einer Zeit. Die politische Haltung und Ansicht einer Quelle vermag man eo nur zu ergründen, wenn man sie als Ganzes beurteilt. Und um den Gehalt einer Zeit an politischen Ideen zu erkennen (oder wenigstens einer Erkenntnis davon näher zu kommen), muß man die Stimmen, die von ihnen reden, wägen und nicht zählen. Gewiß, rein statistisch gesehen ist natürlich die Stellungnahme einer jeden Quelle interessant. Will man aber den Tatbestand und den Ablauf der Geschichte kennenlernen und fragt man nach dem Werden und der Entwicklung der Dinge, so wird man Rücksicht darauf zu nehmen haben, wie viel ein Schriftsteller von dem geistigen Gehalt seiner Zeit repräsentiert und wieviel er auf ihn eingewirkt hat, d. h. wie groß seine geistige und politische Resonanz gewesen ist. Für den Statistiker ist es gleichgültig, ob eine politische Anschauung von einem Mönch hinter Klostermauern oder von einem leitenden Staatsmann stammt. Für den Historiker darf es nicht gleichgültig sein. Für ihn kann unter Umständen die Anschauung des einen als Produkt einer weltfremden Phantasie eine belanglose Antiquität bleiben, während die des andern, aus den politischen Maximen der Zeit und für sie entstanden, ein geschichtliches Faktum ersten Ranges sein kann. Im folgenden sollen die Anschauungen, die Liudprand von der Kaiserpolitik Ottos des Großen hatte und seine eigene Stellung zu dieser Politik untersucht werden. Das Bild, das der Bischof von der Politik seiner Zeit hatte, ist auf jeden Fall für ihre Beurteilung von entscheidender Bedeutung. Aber man muß sich doch von vornherein darüber klar sein, daß es völlig verfehlt wäre, wenn man etwa mit seinen Ansichten die Ottos und des ottonischen Hofes einfach identifizieren wollte. Gewiß, als Liudprand die Historia und die Relatio schrieb, war er als Diplomat im Auftrag Ottos tätig; und als er die Antapodosis verfaßte, war er ein Flüchtling, der am deutschen Hofe Unterschlupf suchte. Aber es ist doch keine Frage, daß der italienische Emigrant die deutsche Politik nach seinen Hoffnungen, Wünschen und Befürchtungen beurteilen mußte und daß er die europäische Politik vielleicht weniger sozusagen vom Standpunkt des Hofes von Aachen als von dem des Hofes von Pavia sah; und auch später, als offizieller Vertreter Ottos, braucht er die Dinge nicht immer unter dem ai deutschen Gesichtswinkel betrachtet zu haben: man kann den Italiener nicht einfach als deutschen Staatsmann ansehen. Aber es ist doch auf der andern Seite sicher, daß die Anschauungen, die Liudprand hatte, und die Politik, die er trieb und vertrat, ein nicht unwesentlicher Bestandteil der Ansichten und Pläne des ottonischen Hofes gewesen sind. Seine Haltung stellt sozusagen eine Seite (oder den Teil einer Seite) des Parallelogramms der Kräfte dar, das die deutsche Politik bestimmte. In welchem Maße das im einzelnen der Fall war, d. h. wieweit die Meinungen Liudprands sich mit denen Ottos und seiner Umgebung oder überhaupt der deutschen und europäischen Öffentlichkeit deckten, wieweit sie ihnen widersprachen, das soll hier nicht weiter verfolgt werden. Es mag genügen, den Standpunkt des Bischofs von Cremona festzustellen. Das allein aber dürfte schon zeigen, daß die Auffassungen, die man im allgemeinen von dem ideengeschichtlichen Hintergrund der ottonischen Kaiserpolitik, ihren Voraussetzungen und Zielen hat, manche Korrektur und manche Erweiterung vertragen können 122 . 122
25*
Zu den Anschauungen Liudprands gibt es in anderen Quellen eine ganze Reihe von Parallelen,
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Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts 2.
Liudprand war ein Anhänger der ottonischen Interventionspolitik in Italien, die die Herrschaft Berengars stürzte und den deutschen König zum Rex Langobardorum machte. Er hat sie als Diplomat im Auftrag des Kaisers in Rom und in Byzanz vertreten und er hat sie als Publizist in der Historia Ottonis und in der Relatio verteidigt. Aber er hat sich auch schon, als er in Deutschland die Antapodosis schrieb, für sie eingesetzt;'schon damals hoffte er auf den Untergang Berengars und den Sieg Ottos. Die Frage ist nur, welches die Argumente sind, mit denen er die deutsche Intervention in Norditalien fordert, begründet und rechtfertigt. Wenn Liudprand das Eingreifen Ottos in Pavia verlangte oder wünschte, so setzte er sich damit für eine Fremdherrschaft in seinem Vaterlande ein. Nun sind Fremdherrschaften im neunten und zehnten Jahrhundert in Italien bekanntlich an der Tagesordnung gewesen. Liudprand selbst hat die Hugos und Lothars von Niederburgund erlebt, und in der Antapodosis beschreibt er außerdem die Eroberungszüge und das Regiment Arnulfs von Kärnten 1 2 3 , Ludwigs von Niederburgund 124 und Rudolfs von Hochburgund 125 sowie die erfolglosen Einfälle Zwentibolds 126 , Burchards von Schwaben 127 und Arnulfs von Bayern 128 . Alle diese Angriffe und Eroberungen sind von italienischen Parteien selbst provoziert worden; die Fremden wurden von ihnen ins Land gerufen; und an einer bekannten Stelle der Antapodosis sagt Liudprand, daß die Italiener immer zwei Herren brauchten, die sie gegeneinander ausspielen konnten i ' 9 . Angesichts dieser Sachlage fragt es sich sehr, wieweit Liudprand ein Gefühl für das Abnorme einer Fremdherrschaft hatte; d. h. ob der Wunsch nach der Intervention Ottos des Großen in ihm überhaupt in Konflikt mit einem Nationalbewußtsein geraten konnte. In der Relatio erzählt der Bischof, daß er auf den Vorwurf des Nikephoros, sie, die Untertanen Ottos, seien keine Römer, sondern Langobarden, geantwortet habe: quos (sc. Romanos) nos, Langobardi scilicet, Saxones, Franci, Lotharingi, Bagoarii, Siievi, Burgundiones, tanto dedignamur, ut inimicos nostros commoti nil aliud contumeliarutn nisi: Romane! dicamus130 . . . Man sieht, hier macht sich so etwas wie ein Solidaritäts- und Zusammengehörigkeitsgefühl der germanischen Völker gegenüber den Römern geltend: sie alle, Langobarden, Burgunder und die deutschen Stämme erscheinen als eine Einheit, für die Liudprand eine Art Nationalbewußtsein gegen-
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und man ist bisweilen auch schon auf Ansichten, wie sie im folgenden erörtert werden, aufmerksam geworden. Doch will ich im folgenden weder auf die andern Quellen, noch auf irgendwelche Literatur eingehen, da ich auf alle diese Dinge in einem andern Zusammenhang zurückkommen werde. Vgl. Antap. I, cap. 22 ff., S. 20 ff. Vgl. Antap. II, cap. 32 ff., S. 52 ff. Vgl. Antap. II, cap. 60 ff., S. 64 ff. Vgl. Antap. I, cap. 20 ff., S. 19 f. Vgl. Antap. III, cap. 13 ff., S. 79 ff. Vgl. Antap. III, cap. 49 ff., S. 100 f. Vgl. Antap. I, cap. 37, S. 27: quia Semper ltalienses geminis uti dominis volunt, quatinus alterum alterius terrore coherceant. Vgl. Relatio cap. 12. S. 182 f.
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über dem römischen Volk aufbringt. Wäre es nicht denkbar, daß ein solches, sozusagen gemeingermanisches Nationalgefühl Liudprand die Herrschaft eines Burgunders oder Deutschen in Pavia nicht als Fremdherrschaft erscheinen ließ? Doch gemeinsame Abneigungen gegen ein anderes Volk verbürgen noch längst nicht ein gemeinsames Nationalgefühl; und wenn Liudprand die Langobarden mit den Burgundern und den deutschen Stämmen sozusagen auf der Basis des Römerhasses vereinigt und wenn er in der Relatio alle diese Stämme Nikephoros als eine Einheit präsentiert, so mag man das vielleicht auch schon als ein Ergebnis der Herrschaft Ottos in Italien seit dem Jahre 961 ansehen. In der Antapodosis jedenfalls hat Liudprand die Fremden auf italienischem Boden noch als Fremde betrachtet. Die Tatsache, daß gegen König Berengar von Friaul von einem Teil der Italiener der Burgunder Ludwig ins Land gerufen wird, bezeichnet Liudprand als turpe scelus131. Es könnte sein, daß er dabei zunächst und allein an die Treulosigkeit denkt, die damit gegen den regierenden König begangen wurde; aber er scheint auch ein Empfinden für das Verbrechen zu haben, das darin lag, daß man einen Ausländer gegen den eigenen Herrscher ausspielte. Denn seine Abneigung gegen die Burgunder ist ganz unverkennbar. Rudolf von Hochburgund bezeichnet er als den König der superbissimi Burgundiones 1 3 2 ; und auch sonst hat er den Burgundern ihren Hochmut und Ubermut vorgeworfen 133 . Daneben macht er sich über ihren unkriegerischen Sinn, ihre „Gefräßigkeit" 1 3 4 , ihre Geschwätzigkeit 135 und ihre rauhe Sprache lustig 1 3 6 , und er spottet über ihren Namen 1 3 7 : wo er ihnen in der Antapodosis eine kleine Bosheit anhängen kann, da tut er es. So sehr er dem König Hugo, an dessen Hofe er heranwuchs, zu Dank verpflichtet ist und so sehr er die persönlichen Eigenschaften des Königs rühmt 138 , er weiß doch von der Erbitterung der Italiener darüber zu erzählen, daß Hugo das Land mit burgundischen Beamten regierte 139 , und er selbst tadelt es sehr heftig, daß er einem burgundischen Bischof italienische Bistümer gab 1 4 0 . 1,1 132
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138 139
140
Vgl. Antap. II cap. 33, S. 52. Vgl. Antap. II cap. 60, S. 64. Vgl. Antap. III cap. 45, S. 97 f.; hier läßt er Alberich zu den Römern sagen: An Burgundionum voracitatem et superbiam ignoratis? lind weiter läßt er Alberich erzählen, die Burgunder seien einst von den Römern ob superbiam verjagt worden, und daß sie ob superbiam toto gutture loquantur. Y g j ¿ig vorige Anmerkung, in III cap. 45 heißt es auch: edacitati nimis indulgeant; dazu Antap. V, cap. 6, S. 133: Burgundiones enim garrulos esse, voraces ac inbelles, nullus, qut eos noverit, ambigit. Vgl. die vorige Anm. Vgl. Antap. III cap. 45, S. 9 8 : Burgundiones eos quasi Gurguliones apello, quod . . . toto gutture loquantur. Vgl. ebenda, wo er außerdem ihren Namen durch Alberich als quod est a burgo expulsi erklären läßt. Vgl. vor allem die Charakteristik Antap. III cap. 19, S. 81 f. Vgl. Antap. V cap. 18, S. 140. Vgl. Antap. V cap. 6, S. 105 ff.; es handelt sich um Manasse von Arles, der contra ius fasque italienische Bistümer erhält; natürlich hat Liudprand bei seinem T a d e l auch an den Verstoß gegen das Kirchenrecht gedacht.
390
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
Zwar nicht so scharf wie gegen die Burgunder, aber doch mit aller Deutlichkeit, äußert sich Liudprand in der Antapodosis auch gegen die deutschen Stämme, die versucht haben, in Italien einzudringen und dort eine Fremdherrschaft aufzurichten. Daß auf dem Feldzug Zwentibolds ein Bayer die Italiener besiegen und verhöhnen konnte, bezeichnet er als ein dedecus seines Volkes, und daß schließlich dieser Bayer doch dem italienischen Grafen Hukbald erlag, bereitet ihm offenbar eine große Genugtuung 1 4 1 . Ganz ähnlich merkt man seiner Schilderung Burchards von Schwaben den nationalen Widerwillen an, den er gegen den prahlerischen Herzog empfindet 14 * Und das Heer, mit dem Arnulf von Kärnten in Italien erscheint, wird von ihm als eine zügellose Horde von unliebsamen Eindringlingen hingestellt 143 . Wenn aber Liudprand in all diesen Ausfällen und Bemerkungen gegen die Deutschen viel vor65 sichtiger und zurückhaltender verfährt als gegen die Burgunder, und wenn er auf der andern Seite gegen deutsche Herrscher und die deutsche Geschichte selbst der vorottonischen Zeit auch eine gewisse Anteilnahme und Achtung äußert 1 4 4 , so kann das durchaus nicht beweisen, daß er an sich die Deutschen höher schätzte als die Burgunder. D a er am deutschen Hofe lebte, deutsche Hilfe erwartete und auf sie angewiesen war, so mußte er den Deutschen gegenüber seine Zunge etwas mehr im Zaume halten als gegenüber den Burgundern, auch wenn er dazu von Haus aus gar nicht geneigt gewesen sein sollte. Von einer nationalen Indifferenz Liudprands, die es ihm gleichgültig erscheinen ließ, ob in Pavia ein Italiener oder ein Deutscher herrschte, wird man also nicht sprechen können. In der Relatio erzählt der Bischof, daß Nikephoros der deutschen Politik den Vorwurf gemacht habe, sie habe Berengar und Adalbert unrechtmäßig aus ihrem Reich verdrängt. Er, Liudprand, habe darauf geantwortet, daß die beiden Könige seinerzeit Otto den Lehnseid geleistet hätten und daß er darum ein Recht habe, sie jetzt als treubrüchige Vasallen zu strafen 1 4 5 ; und in der Historia begründet Liudprand das Vorgehen gegen Berengar lediglich mit dem Hilferuf seiner Untertanen, mit seiner Gottlosigkeit und mit dem Schutz, den die Kirche gegen ihn brauchte 1 4 6 . Gewiß, in der Relatio wie in der Historia werden alle diese Fragen und Dinge nur kurz gestreift, und wenn Liudprand hier nicht mehr über sie sagt, so geht daraus noch nicht unbedingt hervor, daß mit dem wenigen, das er sagt, das Reservoir von Gründen wirklich erschöpft war, über das er verfügte. Aufschlußreich und bezeichnend ist in dieser Richtung aber das, was er in der Antapodosis äußert oder vielmehr nicht äußert. 141
Vgl. Antap. I cap. 21, S. 19 f.
142
Vgl. Antap. III cap. 13 ff., S. 7 9 (I.
143
Vgl. Antap. I cap. 2 2 ff. besonders cap. 33, S. 2 0 ff., wo von den Verbrechen gegen Kirchen und Jungfrauen durch Arnulfs Heer die Rede ist.
144
Vgl. etwa die Schilderung des Ungarnkriegs Ludwigs des Kindes Antap. II cap. 1 ff., S. 36 ff. oder das auffällig günstige Urteil über Konrad I., Antap. II, cap. 17, S. 4 5 und cap. 20, S. 4 7 , das übrigens, wie ich glaube, Liudprand aus kirchlicher Tradition in Deutschland erhalten h a t D a ß er sich dann für Heinrich I. und Otto I. einsetzt, versteht sich von selbst.
145
Vgl. Relatio cap. 4 und 5, S. 177 ff.
149
Vgl. Historia cap. 1, S. 159 f.
Studien über Liudprand von Cremona
391
Wenn er hier Sympathien für Otto und für seine Herrschaft in Italien hat und bekundet, so beziehen sie sich nicht auf den deutschen König als solchen, sondern nur auf die Persönlichkeit Ottos 147 . Er empfiehlt den Italienern nicht eine deutsche Herrschaft, sondern eine Herrschaft König Ottos; sein gerechtes Regiment steht der Tyrannis Berengars gegenüber; er ragt durch Macht und Größe, Klugheit, Standhaftigkeit und Glaubenskraft vor allen Kaisern und Königen Europas hervor 148 . Die Tatsache aber, daß es nur die Person Ottos und nicht die des deutschen Königs ist, der Liudprands Sympathien als König von Italien gelten, wird dadurch ergänzt, daß er auch nur von einem Recht Ottos und nicht der Deutschen auf den Thron von Pavia weiß. Wie in der Relatio erzählt wird, hat Liudprand am Hof von Konstantinopel dem griechischen Kaiser auseinandergesetzt, daß Süditalien nach Sprache und Abstammung seiner Bewohner mit Norditalien zusammengehöre, daß es die Langobarden besessen und daß es dann vor allem Ludwig II. den Sarazenen entrissen habe; damit wird Otto dem Großen als Herrscher des italienischen Reiches ein Anrecht auch auf die süditalienischen Gebiete zugesprochen 149 . Könnte man sich nicht vorstellen, daß der Bischof mit einer ähnlichen historisch-legitimistischen These auch den Eroberungskrieg des deutschen Königs gegen Berengars Reich rechtfertigte? Liudprand weiß von Ludwig II. 1 5 0 und er erzählt von Arnulfs Zug nach Italien 151 . Ließ sich da nicht daran erinnern, daß Ludwig II. dem Vater Arnulfs die Herrschaft über Italien testamentarisch vermacht hatte und daß damit der deutsche König als der legitime Herrscher Italiens betrachtet werden konnte? Aber davon sagt der Bischof kein Wort. Im Gegenteil, er zeigt deutlich genug, daß er Arnulf weder für den legitimen noch für den erwünschten König von Italien h ä l t , 5 2 . Und daß ihm darüber hinaus ein Recht des deutschen Volkes und der deutschen Krone auf Italien gänzlich unbekannt ist, ergibt sich unzweideutig daraus, daß er ganz unbefangen die meisten italienischen Herrscher als berechtigt ansieht 1 5 3 und daß er jedenfalls niemals gegen ihr Recht irgendeinen deutschen Anspruch ins Feld führt. Ein deutsches Recht auf die Krone des Langobardenreiches kennt Liudprand nicht. Wenn er sie für Otto fordert, so fordert er sie für ihn ganz persönlich. Aber 147
Ausdrücklich gefordert wird eine Intervention Ottos in Italien in der Antapodosis nirgends; der Gang der Erzählung reicht nicht so weit, daß diese Forderung akut geworden wäre; aber alles, was Liudprand über Otto schreibt, soll ihn doch als König von Italien empfehlen. 149 Das zeigt sich fast überall an den sehr zahlreichen Stellen, an denen Otto erwähnt wird. 118 Vgl. Relatio cap. 7, S. 179. 150 Vgl. die vorige Anm. 151 Vgl. oben Anm. 143. 152 In der ausführlichen Beschreibung von Arnulfs Zug, Antap. I cap. 22 ff., S. 20 ff., deutet er, abgesehen von dem Hinweis auf den Hilferuf Berengars, nichts von einem Recht Arnulfs auf Italien an; die Erkrankung des Königs aber, die ihn zur Umkehr zwingt, bezeichnet er cap. 33, S. 25 als iusta severi iudicis censura. 153 Besonders auffällig ist in der Richtung die deutliche Vorliebe, die Liudprand für Lambert von Spoleto hat, so etwa, wenn er Antap. I cap. 44, S. 32 von ihm sagt: si non cita mors bunc raperet, is esset, qui post Romanorum potentiam totum sib't orbem viriltter subiugaret; dabei ist zu bedenken, daß Arnulf Gegenkaiser gegen Lambert gewesen ist; dazu die unverkennbare Anhänglichkeit an Hugo, vgl. oben Anm. 138.
392
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
weiter; es werden auch nicht irgendwelche historischen Erinnerungen und Perspektiven angeführt, die, wenn auch nicht das deutsche Recht, so doch das Ottos auf Pavia beweisen oder seinen Ansprüchen einen weltgeschichtlichen Hintergrund geben könnten. Konnte man nicht etwa Otto als den Nachfolger Karls des Großen auf dem Thron von Aachen hinstellen und für ihn als den Erneuerer seines Weltreiches auch den Thron von Pavia fordern? Nichts von alledem. Obgleich Liudprand in der Antapodosis Karl den Großen zweimal nennt 1 5 4 , auf den Gedanken, in ihm einen Vorgänger und ein Vorbild Ottos zu sehen, kommt er nicht. Und tatsächlich findet sich in der Antapodosis auch keine andere Begründung für Ottos Herrschaft in Italien als in der Historia und der Relatio: die Tyrannis Berengars, d. h. die augenblickliche Weltlage und die augenblickliche göttliche und menschliche Berufung Ottos.
68
3.
Wie bemerkt, nimmt Liudprand in der Relatio Süditalien für das von Otto eroberte langobardische Reich mit der Begründung in Anspruch, daß es nach Land und Nationalität dem italienischen Volke gehöre und einstmals von Ludwig II. den Sarazenen entrissen worden sei lr,r '. Mit dem Thron von Pavia hatte der deutsche König nach dieser Auffassung auch einen Rechtstitel auf die griechischen Gebiete im Süden der Halbinsel gewonnen. Doch diese Anschauung Liudprands ist recht jung. Sie tritt erst in der Relatio hervor, und es läßt sich zeigen, daß sie der Bischof in der Antapodosis noch nicht vertreten hat. Denn dort rechnet er mit der griechischen Herrschaft in Süditalien als mit einer völlig feststehenden und auch nicht zu bekämpfenden Sache; er erkennt sie unumwunden an 156 . Und wenn er noch in der Zeit unmittelbar nach der Kaiserkrönung Ottos des Großen in der höchsten Bewunderung vom griechischen Hofe und vom griechischen Kaiser redet 1 5 7 , so kann er damals an einen Konflikt zwischen der ottonischen und der griechischen Politik noch schwerlich gedacht und wird ihm jeder Gedanke an eine Ausbreitung der deutschen Herrschaft in die griechischen Sphären noch fern gelegen haben. Damit soll keineswegs behauptet sein, daß ihm damals Überlegungen wie die, daß der Süden Italiens geschichtlich zum Langobardenreiche gehörte, fremd gewesen sind. Darüber wissen wir nichts. Aber es ist ein Unterschied, ob man einen Gedanken nur denkt oder ob man ihn in politische Ansprüche umsetzt. Und einen politischen und nationalen Anspruch auf die süditalienischen Besitzungen der Griechen zu erheben, ist Liudprand offenbar erst durch den Gang der Politik Ottos des Großen veranlaßt worden. 154
Vgl. Antap. II cap. 26, S. 50; V cap. 30, S. 148. Karl ist hier offenbar nur der große Heros, irgendwelche historischen Reminiszenzen an sein Weltreich sind unbekannt; ja im Gegenteil, in II cap. 26 wird von seiner angeblichen Flucht vor den Sachsen erzählt. 155 Vgl. oben S. 391. 156 D a s tritt überall in der Antapodosis hervor. ist y g i Antap. VI cap. 4 ff., S. 153 ff.; die Bewunderung für das griechische Kaiserreich ist auch sonst in der Antapodosis ganz unverkennbar.
Studien über Liudprand von Cremona
393
4. Wenn sich Liudprand für die Intervention Ottos in Norditalien einsetzte, so bedeutete das noch nicht ohne weiteres, daß er auch für eine Herrschaft des deutschen Königs über Rom und für seine Kaiserkrönung eintrat. Dem Einzug in Pavia brauchte der Einzug in Rom nicht unbedingt zu folgen. D a ß das langobardische Königtum und das Kaisertum durchaus getrennte Bezirke waren oder doch sein konnten, hatten die letzten italienischen Könige vor Otto, Hugo und Berengar von Ivrea, bewiesen; sie hatten nur in Pavia und nicht auch in Rom geherrscht; und das italienische Königtum Ottos vom Jahre 951 hatte sich gleichfalls auf Norditalien beschränken müssen. Nun ist allerdings gar keine Frage, daß Liudprand, nachdem Otto das Kaisertum einmal gewonnen hatte, auch dafür Partei ergriffen hat. D a s versteht sich für ihn als Politiker im Dienste des Kaisers von selbst; er hat die kaiserliche Stellung seines Herrn in Rom und in Byzanz, in der Historia und in der Relatio verteidigt 1 5 8 . Aber etwas anderes ist es, ob der Bischof dieses Kaisertum wirklich gewollt, und ob es, solange es noch nicht erreicht war, zu seinem politischen Programm gehört hat. Wie Liudprand in der Antapodosis zu der Frage eines ottonischen Kaisertums steht, läßt sich nicht deutlich erkennen; er kommt nicht direkt darauf zu sprechen. Sicher ist nur, daß er, ganz ähnlich wie auf das langobardische Königreich, nicht irgendein deutsches Anrecht auf die Herrschaft über Rom anerkennt. Von den Rechtsansprüchen Arnulfs auf Rom weiß er ebensowenig, wie von seinem Recht auf P a v i a 1 5 9 ; sein Zug nach Rom erscheirjt ihm eher als Unrecht 1 6 0 . Und weder in der Herrschaft Alberichs über die Ewige S t a d t 1 6 1 , noch etwa in dem Eingreifen der Griechen in Mittelitalien 1 6 2 sieht er eine Verletzung deutscher Rechte. Aber nicht bloß das; Liudprand scheint überhaupt zu der Zeit, d a er die Antapodosis schrieb, jedem Gedanken an ein Kaisertum in Rom ablehnend gegenübergestanden zu haben. D a ß Wido von Spoleto und Berengar von Friaul Kaiser gewesen sind, hat er gewußt: er bezeichnet beide einmal als Imperator es' 163. Trotzdem sagt er von Widos Kaisertum weiter nichts, als, er habe in Rom die Weihe zum Imperium der Franken erhalten 1 6 4 , sonst nennt er ihn stets rßx\ und genauso bezeichnet er Berengar durchgängig als re.x. Von dem Kaisertum Arnulfs 1 6 5 , L a m b e r t s 1 6 6 und Ludwigs des 158 V g l
d a z u weiter unten S. 3 9 6 .
E r erwähnt nicht einmal Arnulfs Kaiserkrönung. 1 6 0 V g l . oben S. 3 9 0 und 3 9 1 . 1 6 1 V g l . A n t a p . III cap. 4 5 , S. 97 f . ; V cap. 3, S. 1 3 1 ; in Relatio cap. 62, S. 2 0 9 (und ähnlich A n t a p . II cap. 4 8 , S. 5 9 ) ist freilich d a v o n die Rede, d a ß der itnpiissimus Albericus.. . Romanam civitatem sibi usurpavit, aber d a m i t tut er nicht den Deutschen, sondern dem dominus apostolicus ein Unrecht. 1 0 2 Im Gegenteil, die G r i e d i e n erscheinen als die willkommenen Verbündeten der Christen in Mittelitalien, vgl. A n t a p . II cap. 51 ff., S. 61 ff. 1 6 3 V g l . A n t a p . I, cap. 5, S. 7. 1 6 4 V g l . A n t a p . I, cap. 15, S. 17. 165 y g i 0 (jen auf dies. Seite. 150
106
V g l . A n t a p . I, cap. 37 ff., S. 27 ff.
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Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
Blinden 167 aber sagt er kein Wort; sowohl ihre Kaiserkrönung wie überhaupt die Tatsache, daß sie Kaiser waren, verschweigt er völlig, obgleich er ihre Geschichte recht ausführlich erzählt. Daß Liudprand darüber nicht Bescheid gewußt hat, ist natürlich undenkbar; allein schon seine Angaben über die imperatores Wido und Berengar zeigen, daß er tatsächlich Bescheid wußte. Wenn er trotzdem schwieg, so kann das wohl nur Absicht gewesen sein; und der Grund für diese Absicht dürfte gewesen sein, daß er das Kaisertum irgendwie nicht wollte: es scheint eine politische Größe gewesen zu sein, die er nicht anerkannte. Wenn es wirklich so war, so würde das aber sehr verständlich erscheinen. Der Titel des Kaisers bedeutete vor dem aller Könige Europas einen Charakter maior, und vor dem Kaisertum mußte das langobardische Königtum natürlich zurücktreten. Das Kaisertum aber war letzten Endes römisch. Gewiß, keiner der Kaiser von Wido bis Berengar hat den Titel „römischer Kaiser" geführt. Aber ihre Krone haben sie in Rom, durch die Weihe des Papstes und die Wahl des römischen Volkes gewonnen, und in dem Augenblick, in dem sie zu Kaisern wurden, lag der Schwerpunkt, wenn nicht ihrer Machtstellung, so doch ihrer Würde in der Ewigen Stadt. 71 Liudprand ist nicht unempfänglich für die Größe Roms, und den Glanz seines Namens erkennt er an; auch für ihn ist Rom die civitatum omnium regina 168 und die nobilissima civitas169. Aber er erkennt alles das doch nur widerwillig an, und vor allem die politische Bedeutung Roms für die Gegenwart versucht er zu leugnen und zu bestreiten oder wenigstens herabzusetzen. Daß Rom eine überragende Rolle in der Welt spielt, begründet er mit zwei Momenten: einmal mit der Machtstellung der alten Römer, d. h. mit der Erinnerung an-ihren großen Namen 170 ; und sodann mit der Heiligkeit der Stadt, in der die Apostel ruhen und in der ihr Nachfolger residiert 1 7 1 . Aber die Macht der alten Römer ist längst vergangen; sie selbst sind nach Konstantinopel ausgewandert 1 7 2 , den Einwohnern des heutigen Rom ist von ihrer 167
Vgl. Antap. II, cap. 32 ff., S. 52 ff. Vgl. Antap. I, cap. 25. S. 21. im y g i Antap. III, cap. 44, S. 96; ähnliche Wendungen kommen auch sonst vor. 170 Vgl. etwa Antap. I, cap. 26, S. 21 f., wo von Pompeius und Caesar die Rede ist, qui nostros domuit proavos mucrone feroces, oder I, cap. 44, S. 32, wo von der potentia Romanorum gesprochen wird, nach der nun wieder Lambert den totus orbis beherrschen sollte; oder III, cap. 45, S. 97, wo Alberich den alten Römerstolz gegen die Romanorum aliquando serot aufruft. 171 Der Gedanke tritt sehr oft hervor; vgl. vor allem etwa Relatio cap. 62, S. 210, wo Liudprand sagt, die Griechen sollten Rom nicht verachten, weil es Constantin verlassen habe, sondern anbeten, quia venerunt illuc apostoli. 172 Vgl. außer der vorigen Anm. Antap. I, cap. 26, S. 22, wo es von Rom heißt:
188
Non Pompeius adest, non Julius ille beatus, Qui nostros domuit proavos mucrone feroces. lndolis buius enim summos deduxit ad Argos, Protulit in lucem quem sancta Britanmca mater. His torta Studium pingues captare siluros Cannabe, non clipeos manibus gestare micantes. Vgl. auch Relatio cap. 51, S. 203, wo es heißt: Constantinum Romana militia buc (nach Byzanz) venisse.
Romanum
imperatorem
cum
Studien über Liudprand von Cremona
395
Tugend und ihrer Tapferkeit nichts mehr geblieben; und wenn auch die Anwesenheit der Päpste Rom zur ersten aller Städte macht, die Stadt als solche ist das nicht; ihr ist z. B. Pavia überlegen 1 7 S . J a noch mehr; man findet bei Liudprand eine Abneigung gegen Rom und die Römer, wie er sie gegen keine andere Stadt und gegen kein anderes Volk äußert. Nicht bloß in der Relatio wird das deutlich, wenn er dort erklärt, daß die Römer die Nachkommen von Räubern und bankrotten Schuldnern seien und daß für Langobarden, Burgunder und Deutsche der Name „Römer" das ärgste Schimpfwort sei 1 7 4 , auch in der Antapodosis und der Historia verfolgt er sie mit Haß und Spott und Hohn 1 7 5 , die nationale Abneigung des Langobarden gegen die Römer tritt überall hervor. In der Antapodosis erzählt Liudprand, daß viele der Großen Hugos Gegner einer Herrschaft des Königs über Rom gewesen seien 1 7 6 . Er begründet das damit, daß sie sich in Rom einen Zufluchtsort offen halten wollten für den Fall, daß sie mit ihrem König zerfielen. Wie es sich mit dieser Begründung auch verhalten mag, man sieht unter allen Umständen, daß es Kreise unter dem langobardischen Adel gab, die eine Herrschaft über Rom ablehnten. Und wenn man schon ein Regiment des langobardischen Königs in Rom nicht wollte, so ist es nur zu verständlich, wenn Liudprand bei seinem nationalen Widerwillen gegen die Römer einer Herrschaft Roms über Norditalien, mit der doch jedes Kaisertum irgendwie identisch sein mußte, nicht eben freundlich gegenüberstand. Wie gesagt hat Liudprand, nachdem Otto das Kaisertum einmal angenommen hatte, es selbstverständlich auch anerkannt; und es soll auch durchaus nicht behauptet werden, daß er, der geschmeidige Diplomat, trotz aller Antipathien gegen die Kaiserwürde, jemals ernsthaft gegen die Absichten Ottos auf das Kaisertum Opposition gemacht hat: darüber wissen wir nichts, und es läßt sich nichts darüber sagen. Aber es ist doch recht interessant, zu sehen, welche Auslegung er dem Kaisertum Ottos gibt, nachdem es zur Tatsache geworden war, und in welche Beziehung er es zu Rom und dem Imperium Romanum stellt. In einigen Diplomen Ottos des Großen aus dem Jahre 966 taucht für den Kaiser der auffällige und noch nicht genügend gewürdigte und erklärte Titel auf: Imperator augustus Romanorum et Francorum 1 7 \ Dann verschwindet er wieder; und weder 173 Vgl, Antap. III, cap. 6, S. 76 f., wo es heißt: quid alias memorem, cum insignis ipsa totoque orbe notissima Roma buic (sc. Papiae) inferior esset, si preciosa beatissimorum apostolorum corpoia rton haberet. 1 7 1 Vgl. Relatio cap. 12, S. 182 f. 175 Y g j etwa, um nur einiges zu nennen, die oben Anm. 172 zitierten Verse gegen die Römer; in Antap. I, cap. 27, S. 22 wird dann die gehässige Fabel erzählt, daß, als Arnulfs Heer vor Rom einen Hasen verfolgte, die Römer in der Meinung, sie würden angegriffen, von den Mauern flüchteten. Aus der Historia sei an die boshafte Schilderung von der Niederlage der aufständischen Römer im Januar 964, cap. 17, S. 172 f., erinnert, wo es schließlich heißt: Occiduntur itaque et, ut fortibus assolet contingere viris, passim a tergo vulnerantur. 1 , 6 Vgl. Antap. IV, cap. 3, S. 104. 177
Vgl. D D O I 324, 325, 326, 329 sowie aus dem Jahre 967 D O I 346, das aber außerhalb der Kanzlei entstanden ist.
396
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
vorher noch nachher hat Otto den Titel eines römischen Kaisers offiziell geführt. Sein offizieller Kaisertitel lautet einfach: imperator augustus. Unter den Umständen fällt es auf, daß Liudprand in der Adresse, oder vielmehr der Widmung, der Relatio de legatione Constantinopolitana Otto I. und seinen Sohn als imperatores augusti Romanorum anredet 1 7 8 . Von diesem Titel aber ist in der Relatio selbst noch einmal in einem merkwürdigen Zusammenhang die Rede. Liudprand erzählt, es seien Boten vom Papst Johann XIII. mit einem Schreiben nach Konstantinopel gekommen, in dem der Papst den Kaiser Nikephoros als imperator Grecorum, Otto aber als imperator Romanorum bezeichnet habe. Die Griechen hätten die Boten ins Gefängnis geworfen und ihn, Liudprand, dermaßen bedroht und eingeschüchtert, daß er sich zu dem Versprechen verstanden habe, der Papst werde einen neuen Brief schreiben, in dem der griechische Kaiser vorschriftsmäßig als imperator Romanorum angeredet werden würde 1 7 9 . Um was es sich bei diesen Vorgängen eigentlich gehandelt hat, vermögen wir nicht zu sagen. Es mag sein, daß das päpstliche Schreiben ein Versuchsballon der ottonischen Politik war, mit dem erkundet werden sollte, wie man sich in Byzanz zu der Frage eines römischen Kaisertums der Ottonen stellte. Es ist auch denkbar, daß Otto auf dem Wege über die päpstliche Autorität den Titel des imperator Roma74 norum für sich in Anspruch nehmen wollte - wir wissen das nicht. Nur das ist sicher, daß der in dem päpstlichen Brief enthaltene Vorstoß negativ endete: der römische Kaisertitel Ottos setzte sich nicht durch. Man merkt Liudprands Bericht über den Konflikt nur zu deutlich an, wie wenig wohl ihm bei dem Gedanken an die Zugeständnisse war, die er gemacht hatte; er entschuldigte sie und sich mit vielen Worten 1 8 0 ; und wenn er die Ottonen im Anfang der Relatio als römische Kaiser anredet, so beweist das, daß er für seine Person ihren Anspruch auf diesen Titel wenigstens in dem Augenblick, in dem er die Relatio schrieb, irgendwie anerkannt hat. Aber alles das kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß er in Konstantinopel den römischen Kaisertitel der Ottonen preisgegeben und jedenfalls nicht verteidigt hat «1. Als Otto in Rom die Kaiserkrone empfing, da wurde er nicht nur vom Papst gesalbt und gekrönt, sondern auch vom römischen Volke gewählt 1 8 2 . Von dieser Wahlhandlung der Römer sagt Liudprand kein Wort: für ihn entsteht das Kaiser178
Vgl. Relatio S. 175.
179
Vgl. Relatio cap. 47 ff., S. 2 0 0 ff.
180
Nur die Furcht vor dem Tode soll ihn zu den Zugeständnissen veranlaßt haben; und er sudit den päpstlichen Entschuldigungsbrief, den er versprochen hat, dadurch zu entwerten, d. h. zu rechtfertigen, daß er für ihn einen ganz geharnischten Inhalt vorschlägt.
181
Das einzige Mal, daß in der Relatio außer in der Widmung von Otto als römischem Kaiser die Rede ist, ist in dem erwähnten Brief des Papstes. Liudprand machte hier überhaupt nicht den Versuch, diesen Titel gegenüber den Griechen zu verteidigen; er erkennt unumwunden den Anspruch des griechischen Kaisers darauf an. Und dementsprechend wird in der Relatio zwar die Herrschaft Ottos über Rom und auch sein Titel als imperator ein römischer Kaisertitel verteidigt.
182
Vgl. oben S. 3 6 4 f.
schlechthin, niemals aber
Studien über Liudprand von Cremona
397
tum Ottos allein durch die Weihe des Papstes 183 . Auf dieselbe Art läßt er in der Antapodosis das Kaisertum Widos von Spoleto zustande kommen 184 . Das Reich dieses Kaisers aber ist für ihn das Imperium Francorum185. Dementsprechend bezeichnet er in der Relatio Ludwig II. als Langobardorum sive Francorum Imperator186; ein römisches Kaiserreich im Abendlande ist ihm ebenso unbekannt wie ein römischer Kaisername. Liudprand nennt auch die Kaiser in Konstantinopel niemals römische, sondern stets griechische Kaiser. Aber tatsächlich nannte sich der griechische Kaiser doch Kaiser der Römer, und er erhob den Anspruch, das römische Reich zu beherrschen. Nun sympathisiert Liudprand, wie schon bemerkt, in der Antapodosis ganz deutlich mit dem Kaiserreich von Konstantinopel. Der Hof von Byzanz ist für ihn der erste der Höfe in Europa; griechische Etikette, griechischer Pomp, griechische Ansichten sind für ihn maßgebend. Daraus aber geht wieder hervor, daß der Bischof, mindestens als er die Antapodosis schrieb, an ein selbständiges römisches Kaisertum im Westen nicht gedacht haben kann. Denn jeder Gedanke der Art hätte ihn in Gegensatz zu Byzanz bringen müssen. Der Bischof weiß genau, daß die Römer einst die Herren der Welt waren 187 . Aber er denkt nicht daran, daraus etwa irgendwelche Folgerungen für die Kaiser herrschaft Ottos des Großen abzuleiten. Von staatlichen Ansprüchen Ottos, die aus dem Kaisertum resultieren, ist bei Liudprand überhaupt nirgends die Rede. Und die Ansprüche auf Süditalien, die sich doch ganz mühelos aus dem römischen Kaisertum hätten herleiten lassen, werden nicht damit, sondern geradezu im schroffen Gegensatz dazu mit der langobardischen Nationalität ihrer Bewohner begründet 188 . Der Idee des ottonischen Kaisertums hält Liudprand jedes römische Element sorgsam fern. Der Charakter dieses Kaisertums ist für ihn christlich oder vielmehr kirchlich; und auf kirchlichem Gebiet gibt er ihm allerdings reichlich, was er ihm auf weltlichem genommen hat. Wie es allein durch die Weihe des Papstes und ohne die Wahl der Römer zustande gekommen ist, so nimmt es in Liudprands Anschauung seine Berechtigung allein aus kirchlichem Boden und so liegen seine Funktionen allein auf kirchlichem Gebiet. Ein Recht auf die Herrschaft über Rom (und damit auf das Kaisertum) hat Otto deshalb, weil er Kirche und Papst schützt und rettet 189 . Er ist der sanctissimus Imperator 19c , und seine Aufgabe ist es, als Beschützer des Papstes nicht nur für ihn einzutreten, sondern auch unter Umständen das Recht der Kirche gegen ihn wahrzunehmen l 9 1 . Er ist nach dem Papst der Leiter der Kirche, Vgl. Historia cap. 3, S. 160. Vgl. Antap. I, cap. 15, S. 17. 185 y g i ebenda.
183
184
186
Vgl. Relatio cap. 7, S. 179.
187
Vgl. oben S. 3 9 4 , Anm. 170.
188
Vgl. oben S. 3 9 1 .
189
D a s tritt überall in der Historia hervor und besonders in der Relatio, cap. 5, S. 178, wo Liudprand mit der Verteidigung des Kirchenstaates Ottos Herrschaft in Rom, d. h. das ottonische Kaisertum, Nikephoros gegenüber rechtfertigt.
190
So überall in der Historia; bezeichnenderweise ist dieser Titel in der Relatio wieder aufgegeben.
1,1
So ganz deutlich in der Historia, wo Otto als Leiter des Verfahrens gegen den Papst fungiert.
398
Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
ja der Richter des Papstes. Damit wird aber doch das Kaisertum Ottos aus der staatlich-weltlichen Sphäre hinausgehoben in die kirchlich-geistliche; und ganz ähnlich wie für Liudprands nationales Empfinden die Vormachtstellung der Stadt Rom vor allen andern Städten dadurch erträglich wird, daß er sie als Stadt der Apostel und der Päpste hinstellt, so verliert für den nationalen Stolz und die nationale Abneigung des Langobarden das Kaisertum seinen Stachel, indem es statt eines römischen ein kirchliches Kaisertum wird.
Erzbischof Adalbert von Magdeburg als Geschichtschreiber Zur Geschichte und Kultur des Elb-Saale-Raumes, Festschrift für Walter Möllenberg, hrsg. von O. Korn, Burg 1 9 3 9 , S. 1 2 - 2 2
Über Adalbert, den ersten Erzbischof von Magdeburg, erhalten wir aus der Zeit die vor seiner Erhebung zum Metropoliten liegt, durch die Continuatio Reginonis 1 eine Reihe von Nachrichten. Danach erscheint er zunächst im Jahre 961 als Mönch des Trierer Klosters St. Maximin. Er ist befreundet mit dem Erzbischof Wilhelm von Mainz, dem Sohn Ottos des Großen. Auf Betreiben Wilhelms, aber sehr gegen seinen eigenen Wunsch, wird er 961 zum Bischof der Russen erhoben und, von Otto dem Großen wohl ausgerüstet, als Missionar nach Rußland geschickt. Seine Mission scheitert, und nachdem er einige seiner Begleiter verloren hat, kehrt er 962 nach Deutschland zurück; er wird von Wilhelm, der jetzt für den in Italien weilenden Otto I. die Reichsregierung führt, freundlich quasi frater a fratre aufgenommen und bleibt auf kaiserlichen Befehl am deutschen Hof, d. h. in der Umgebung Wilhelms und des kleinen Ottos II. 966 wird er Abt des Elsässer Klosters Weißenburg und im Herbst 968 schließlich, wovon die vorher aufhörende Continuatio freilich nichts mehr berichtet, Erzbischof von Magdeburg. Es ist nun der diplomatischen Forschung der letzten Jahrzehnte geglückt, über die Nachrichten der Continuatio hinaus noch einige Aufschlüsse über die Person und die Schicksale Adalberts zu gewinnen 2 . Man hat ihn mit einem Notar zu identifizieren vermocht, der 950 in der Kanzlei des Kölner Erzbischofs Wikfrid und in den Jahren danach in der deutschen Kanzlei unter Erzbischof Brun tätig w a r ; man hat ihn als Schreiber einer Urkunde von 959 in St. Maximin wieder entdeckt, und man hat schließlich festgestellt, daß Adalbert nach seiner Rückkehr aus Rußland und seiner Aufnahme am Hofe Wilhelms und Ottos II. auch wieder in der Reichskanzlei beschäftigt war. Aber nicht bloß als Schreiber von Urkunden lernen wir ihn i» kennen. Giesebrecht hat vor vielen Jahrzehnten vermutet, daß er die Continuatio Reginonis, der wir die meisten Mitteilungen über ihn verdanken, selbst verfaßt h a t 3 ; und diese Vermutung kann heute als vollständig gesicherte Tatsache gelten 1
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Vgl. Reginonis chronicon, ed. F. Kurze, SS. rer Germ, in us. schol. ( 1 8 9 0 ) , S. 1 5 4 ff. Die Nachrichten über Adalbert finden sich zu den Jahren 9 6 1 , 962, 9 6 6 . Vgl. zum folgenden vor allem Th. Sickel, M I Ö G . Ergbd. 1 ( 1 8 8 5 ) , S. 3 6 1 ; H. Breßlau, Zum Continuator Reginonis, Neues Archiv 25 (1900), S. 6 6 4 ff.; E. E. Stengel, Die Immunität in Deutschland bis zum Ende des 1 1 . Jahrhunderts I ( 1 9 1 0 ) , S. 1 6 4 f., Anm. 2. Vgl. W Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit I, 5. Aufl. ( 1 8 8 1 ) , S. 7 7 8 . Vgl. dazu außer der in Anm. 2 und 3 zitierten Literatur vor allem J. W e r r a , Über den Con-
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Über dieses Geschichtswerk des ersten Magdeburger Erzbischofs möchte ich im folgenden ein paar Bemerkungen mitteilen, die sich mit gewissen Eigentümlichkeiten seiner Geschichtschreibung und zugleich der Geschichtschreibung der Ottonenzeit im ganzen befassen. D i e Continuatio reicht von 907 bis zum Jahre 967. Adalbert hat das Werk so, wie es uns erhalten ist, vor dem Frühjahr 968 abgeschlossen 5 . Begonnen haben dürfte er die Ausarbeitung erst, als Abt von Weißenburg, also nicht vor dem Jahre 966 ®. Für die Jahre 960 bis 964 hat ihm die Historia Ottonis des Liudprand von Cremona als Quelle vorgelegen 7 . Für die ältesten Partien der Continuatio, etwa bis zum Ende der dreißiger Jahre, lassen sich Reichenauer, vielleicht auch Fuldaer Annalen als Quelle nachweisen 8 . Wieweit Adalbert sonst noch andere, verlorene und nicht mehr erkennbare Quellen benutzt, wieweit er sich insbesondere bei der Ausarbeitung 14 seines Werkes auf eigene ältere Aufzeichnungen gestützt hat, ist kaum zu entscheiden 9 . Aber das ist keine Frage: ihm, der seit dem Anfang der fünfziger Jahre in der königlichen Kanzlei arbeitete, der als Russenbischof und Abt von Weißenburg eine angesehene Stellung einnahm und viele Beziehungen hatte, und der vor allem mit dem Königssohn und Reichsverweser Wilhelm eng befreundet war, müssen so gut wie sämtliche Informationen und Kenntnisse, die man am Hote erhalten konnte, zur Verfügung gestanden haben. Wenn jemand in Deutschland zur Zeit Ottos des Großen sozusagen aus erster Hand Geschichte schreiben konnte, dann war es Adalbert. Das Werk, das auf die Weise entstanden ist, hat man denn auch als die beste Reichsgeschichte des zehnten Jahrhunderts gerühmt 1 0 . D a ß die Continuatio das ist, will ich nicht bestreiten. Ganz unbestreitbar ist jedenfalls, daß sie sich, mindestens für die sechziger Jahre, durch eine Reihe von genauen und glaubwürdigen Nachrichten auszeichnet und darin vor allen anderen Quellen ihrer Zeit hervorragt. Wenn man ihre Herkunft bedenkt, so wird man das nicht verwunderlich finden. Viel erstaunlicher dürfte sein, wie gründlich und häufig der Continuator sich trotz seiner Vorzüge in gewissen Teilen seiner Geschichtschreibung irrt u .
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tinuator Reginonis, Diss. Leipzig 1883; H. Isenbart, Über den Verfasser und die Glaubwürdigkeit der Continuatio Reginonis, Diss. Kiel 1889. Das wird meist angenommen; bewiesen wird es, was man, soviel ich sehe, noch nicht bemerkt hat, durch die Notiz des Continuators über die Erkrankung Wilhelms von Mainz im Sommer 9 6 7 : aliquantula infirmitate detentus in brevi Deo miserante convaluit. Wilhelm ist am 2. März 968 gestorben; vorher muß der Continuator den zitierten Satz geschrieben haben; denn wenn er, als er über Wilhelms Krankheit und Genesung berichtete, gewußt hätte, daß er kurz danach starb, so hätte er statt des Stoßseufzers der Freude über die anscheinende Wiederherstellung des Erzbischofs natürlich etwas anderes geschrieben.
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Das wird heute, besonders nach den Hinweisen von Werra, wohl allgemein angenommen; vgl. W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, 7 Aufl. (1904), S. 411 f.
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Vgl. meine Studien über Liudprand von Cremona (1933), S. 7 ff. [hier S. 352 ff ]. Vgl. Wattenbach a. a. O. sowie die Ausgabe von Kurze, die freilich in der Feststellung von Quellen, von denen der Continuator abhängig sein seil, übertreibt. Kurze, Neues Archiv 24 (1899), S. 446 denkt z. B. an Mainzer Annalen, die der Continuator 954 bis 960 selbst verfaßt haben soll; ein Beweis fehlt aber völlig.
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Vgl. Wattenbach a. a. O., von wo dieses Urteil sehr oft übernommen worden ist. Die Irrtümer des Continuators haben vor allem Werra und Isenbart in ihren in Anm. 4 zitierten
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Was der Continuator über die Geschichte Heinrichs I. erzählt, ist nicht viel; zu den meisten Jahren ein paar kurze Sätze, zu manchen nur ein einziger. Dabei läßt er sich verhältnismäßig eingehend über die französischen Verhältnisse und die deutschfranzösischen Beziehungen aus. Aber was er da sagt, ist fast alles konfus. Während z. B. in Wirklichkeit kurz nach der Schlacht bei Soissons (923) Karl der Einfältige von seinen aufständischen Großen gefangen und Rudolf von Burgund zum GegenKÖnig gewählt wurde, läßt der Continuator Karl in den nächsten Jahren nach der Schlacht (die er übrigens falsch auf 922 datiert, und deren Verlauf er sagenhaft darstellt) noch in Freiheit sein; nach seiner Ansicht wird Rudolf erst nach Karls Tod, gewissermaßen als Gegenkönig gegen Ludwig IV., gewählt. Während Karl in Wirklichkeit 929 starb, verzeichnet der Continuator seinen Tod bereits zum Jahre 15 925. Den Vertrag von Bonn, der im Jahre 921, also in einer Zeit geschlossen wurde, in der Karl der Einfältige noch der unangefochtene König des Westfrankenreichs war, verlegt er ins Jahr 924, also in die Zeit nach der Schlacht bei Soissons, in eine Zeit, in der Karl tatsächlich schon ein Jahr lang gefangen saß; vor allem aber, während der wahre Inhalt des Vertrages der war, daß Karl und Heinrich I. Frieden schlössen und sich gegenseitig als Könige ihrer Reiche anerkannten, behauptet der Continuator, Karl habe in Bonn auf Lothringen verzichtet, wovon in Wirklichkeit keine Rede war. Daß im übrigen in der Geschichte Heinrichs fast alle Jahresangaben unrichtig sind, sei nur nebenbei bemerkt. Immerhin ist erstaunlich, daß der Continuator nicht einmal das Jahr der Ungarnschlacht bei Riade richtig anzugeben weiß; von der Schlacht selbst hat er eine einigermaßen schiefe Vorstellung, wenn er behauptet, Heinrich habe in ihr viele Ungarn gefangen; in Wirklichkeit war das Bemerkenswerte an der Schlacht bei Riade gerade, daß die Ungarn vor dem deutschen Angriff in wilder Flucht, aber fast ohne Verluste, davonstoben 12 . Je weiter die Continuatio fortschreitet, um so richtiger werden zwar im allgemeinen ihre Angaben. Aber auch in der Zeit Ottos des Großen finden sich doch noch auffällig viele Irrtümer. Falsche Datierungen kommen bis zum Ende der fünfziger Jahre vor, also noch zehn Jahre vor der Zeit, in der Adalbert schrieb. Wenn manche dieser chronologischen Fehler auch weniger belangreich sind, so sind unter ihnen, wenigstens in den vierziger Jahren, doch auch wichtigere Irrtümer. So wird etwa der Tod des Herzogs Berthold von Bayern um zwei Jahre, der Tod der Königin Editha um ein Jahr verkehrt angegeben 13 . In die Aufstände der Jahre 938 und 939 weiß der Continuator die Rolle und den Untergang Thankmars nicht einzuordnen; während Thankmar den ersten Aufstand des Jahres 938 mit entfachte und in ihm sehr bald umkam, erzählt der Continuator ohne genauere Verknüpfung mit den Ereignissen sein Ende erst nach dem Aufstand von 939. Über die französischen Verhältnisse um die Mitte der vierziger Jahre und Ottos Eingreifen in Frankreich zeigt er sich nicht
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Dissertationen aufgezählt; sie sind auch ohne weiteres aus dem Apparat der Kurzeschen Ausgabe zu ersehen. D a ß sich der Continuator bei fast allen Angaben über die Zeit Heinrichs auf ältere Quellen stützt, ja sie meist wörtlich abschreibt, spricht natürlich nicht gegen seine eigene Unkenntnis; er hatte nicht die Möglichkeit, die Fehler seiner Gewährsmänner zu korrigieren - sie waren für ihn geschichtliche Wahrheit. Vgl. zum Jahre 945 und 947. Lintzel Bd. II
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Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
viel besser unterrichtet als zur Zeit Heinrichs I. Seine Behauptung, daß Ludwig I V . 946 von seinen Untertanen vertrieben w a r 1 4 , ist irrig und beruht offenbar auf einer Verwechslung mit der vorübergehenden Gefangenschaft des Königs; ebenso ist seine Mitteilung, Otto habe das wichtige und vielumstrittene Laon e r o b e r t 1 5 , falsch. Noch in den Bericht über die Ereignisse um die Mitte der fünfziger Jahre bringt der Continuator Verwirrung und teilweise beträchtliche sachliche Fehler. So ist seine Behauptung, daß Liudolf und Konrad beim Friedensschluß von 954 ihre Herzogtümer aufgaben, mindestens unklar; tatsächlich waren sie ihnen schon 953, beim Beginn ihres Aufstandes, abgesprochen. Irrig ist die Mitteilung, daß Herold von Salzburg 954 geblendet wurde; tatsächlich ist dieses Ereignis, das großes Aufsehen erregte, erst 955 geschehen. Falsch ist die Nachricht, daß sich Regensburg Otto auf seinem Feldzug nach Bayern im Jahre 954, vor dem Ungarneinfall und vor der Unterwerfung Liudolfs und Konrads, ergeben habe. Tatsächlich hat sich die Stadt bis 955 gehalten und sich erst, nachdem sonst überall der Aufstand zusammengebrochen war, unterworfen. Man hat alle diese Fehler natürlich schon längst bemerkt. Aber soviel ich sehe, hat man sie hingenommen, ohne sich recht klar darüber zu werden, was sie eigentlich bedeuten. Sie stellen ähnlich elementare Fehler dar, als wenn ein Historiker der Gegenwart etwa die Schlacht bei Sedan ins Jahr 1871 verlegen wollte, über das Schicksal Napoléons III. nicht Bescheid wüßte, den Inhalt des Frankfurter Friedens nicht kennte, nicht wüßte, welche französischen Festungen während des Weltkrieges von den deutschen Truppen erobert wurden und dergleichen mehr. Man macht von diesen Fehlern offenbar deshalb kein Aufhebens, weil man daran gewöhnt ist, daß mittelalterliche Chronisten und Annalisten irren; und darüber pflegt man sich vielleicht deshalb nicht zu wundern, weil man sich unter diesen Annalisten und Chronisten im allgemeinen mehr oder weniger unbedarfte kleine Mönche vorstellt, die sich ihr sonderbares Geschichtsbild fern von der Welt und der Politik gemacht haben. E s lassen sich sehr viele Beispiele dafür geben, daß diese Vorstellung längst nicht immer zutrifft. Eines der klarsten und schlagendsten scheint mir die Continuatio zu sein. D i e Irrtümer des Continuators sind deshalb so wichtig, weil man sich über sie mit der Anschauung von dem weltfremden kleinen Mönch beim besten Willen nicht hinwegtrösten kann. Seine Irrtümer sind die Irrtümer des Abtes und Russenbischofs Adalbert in einer Zeit, die unmittelbar vor seiner Erhebung auf den Magdeburger Erzstuhl liegt; es sind die Irrtümer eines der angesehensten und beachtenswertesten Kirchenfürsten des zehnten Jahrhunderts; ja man kann sagen, wenn der Continuator nicht weiß, was im Bonner Vertrag festgesetzt wurde, wann die Schlacht bei Riade war, wie Karl der Einfältige endete oder wie der bayrische Aufstand von 953 bis 955 ausging, so bedeutet das ebensoviel, als wenn man am Ende der sechziger Jahre am deutschen Hofe darüber auch nicht genauer Bescheid wußte. Wieweit man während des ganzen Mittelalters, etwa bei der Betrachtung Gregors von Tours, Einhards oder Ottos von Freising ähnliche Feststellungen treffen kann, mag hier unerörtert bleiben. Aber sicher ist, daß eine Untersuchung der Geschicht14
Vgl. zu 9 4 6 .
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ebenda.
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Schreiber, die neben dem Continuator in der Ottonenzeit Geschichte schrieben und zugleich hochgestellte Politiker waren, wie etwa Liudprand oder Thietmar, zu sehr ähnlichen Resultaten führt. Man kann geradezu sagen, die mangelhafte Kenntnis historischer Vorgänge ist ein Charakteristikum der Politiker und der Geschichtschreiber dieser Zeit. Wenn man die Dürftigkeit der schriftlichen Überlieferung im zehnten Jahrhundert bedenkt, so wird man auch das nicht sonderlich auffällig finden. Aber es scheint mir für die Beurteilung der Geschichte des Ottonenzeitalters und der Männer, die sie machten, nützlich zu sein, sich die Tatsache, daß es so war, deutlicher vor Augen zu halten, als es im allgemeinen geschieht. Wenn wir uns die Geschichte des zehnten Jahrhunderts vorstellen, so pflegen wir meist, bewußt oder unbewußt, vorauszusetzen, daß etwa Otto und seinen Politikern die Geschichte der nächsten Vergangenheit genauso bekannt war, wie wir sie kennen und erzählen, und daß sich also für ihr Bewußtsein ihre eigene Politik auf der Geschichte dieser Vergangenheit und der Kenntnis, die man davon hatte, aufbaute. D a s Beispiel des Continuators zeigt, daß diese Auffassung im besten Fall nur mit den größten Einschränkungen richtig ist. Tatsächlich war die Kenntnis selbst der wichtigsten politischen und geschichtlichen Tatsachen auch in den regierenden Kreisen verblüffend gering. D a s Geschichtsbild, das man sich machte, wich von dem tatsächlichen Verlauf der Dinge, wie wir ihn zu rekonstruieren vermögen, ganz erheblich ab. E s gilt wohl im Grunde für jede Zeit, daß man bei der Ergründung ihrer Geschichte neben der eigentlichen, wirklichen Geschichte zugleich ihre Legende, d. h. das Bild berücksichtigen muß, das sich Zeitgenossen oder Nachfahren von ihr machen, und das mitunter als Motiv, als Vorbild oder Hemmung für den Verlauf der Geschichte wesentlicher ist, als die historischen Tatsachen selbst. Wie groß der Unterschied zwischen Geschichte und Legende und ihre Bedeutung für die politisch entscheidenden Kreise im zehnten Jahrhundert schon nach einer Generation, ja nach einem Jahrzehnt sein konnte, zeigt das Geschichtswerk Adalberts. Ähnliche Beobachtungen lassen sich noch nach einer anderen Richtung machen. Man hat, wie bemerkt, Adalberts Annalen als Reichsgeschichte bezeichnet. Aber auch damit hat es eine besondere Bewandtnis. Der Continuator erwähnt von mehreren westdeutschen Bistümern fast regelmäßig den Wechsel in ihrer Besetzung; der Tod und die Neuwahl der Bischöfe von Mainz, Speyer, Straßburg und einiger anderer Bistümer wird ziemlich genau mitgeteilt. D a s ist aber im wesentlichen auch alles, was der Continuator von der Geschichte dieser Stifter erzählt. Was die Bischöfe, die er erwähnt, etwa für ihr Bistum zu bedeuten hatten, wie sich die territoriale, die politische, rechtliche oder auch die kirchliche Entwicklung ihrer Bistümer vollzog, davon ist nirgends die Rede. Der Continuator gibt aus der Geschichte dieser Bistümer ein paar Regierungsdaten; die Geschichte einer Institution, eines Organismus zu geben wird nicht versucht. Gewiß können wir aus der Continuatio sehr viel über die Geschichte, besonders über die politische Geschichte des Reiches bis zum Jahre 967 entnehmen. Im Mittelpunkt steht der König und seine Taten, und in manchen Fragen, z. B. in der Frage der Besetzung der Herzogtümer, sind auch die einzelnen Gebiete des Reiches einiger-
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maßen gleichmäßig berücksichtigt. Trotzdem ist die historiographische Einstellung Adalberts dem Reich gegenüber grundsätzlich nicht viel anders als gegenüber den eben erwähnten Bistümern; man kann nicht sagen, daß das Reich als solches der Gegenstand seiner Geschichtschreibung wäre. Das zeigt schon die Tatsache, daß es sich bei den Bischöfen, von deren Wahl oder Tod er spricht, durchweg um westdeutsche handelt, daß dagegen von den sächsischen oder bayrischen Bischöfen so gut wie nie die Rede ist. Vom Standpunkt des Reiches her hätten sie alle gleichmäßig berücksichtigt werden müssen; der Bischof von Speyer war für das Reich nicht wichtiger als der von Halberstadt oder Passau. Man hat das auch schon längst bemerkt und von einer Bevorzugung der westdeutschen Territorialgeschichte gesprochen; soviel ist doch aber sicher: das Prinzip einer Reichsgeschichte wird mit diesem Verfahren aufgegeben. 19 Adalbert erzählt zu 960, daß damals Libutius von Adaldag von Hamburg zum Russenbischof geweiht, und zu den folgenden Jahren, daß er selbst nach Rußland geschickt wurde und schließlich erfolglos in die Heimat zurückkam. Von der Gründung der Slawenbistümer und der Dänenbistümer ums Jahr 948 verrät er kein Wort. Gegenüber diesen Gründungen war die Russenmission nur eine kurze und bedeutungslose Episode. Während diese dem Continuator zufällig genauer bekannte Episode erzählt wird, werden andere Dinge ähnlicher Art, die für die Reichsgeschichte ungleich wichtiger sind, nicht erwähnt; auch hier wieder ein Verfahren, das mit dem Prinzip einer Reichsgeschichte nichts zu tun hat. Zum Jahr 918 berichtet der Continuator als einzige Nachricht, daß Konrad I. den Johannistag in Uersfeld verlebte. Mit demselben Recht hätte der Continuator das Itinerar der Könige stets genau angeben müssen. Davon ist natürlich keine Rede. Die Notiz zu 918 verdankt ihr Dasein der Tatsache, daß Adalbert zufällig, wahrscheinlich aus Fuldaer Annalen, über den Aufenthalt Konrads in Hersfeld Bescheid wußte. Man könnte Beispiele derart beliebig vermehren. In der Continuatio tauchen immer wieder Nachrichten auf, die mit dem Thema einer Reichsgeschichte nicht das geringste zu tun haben. Wesentliches und Unwesentliches geht bunt durcheinander. Dinge, die für das Reich von größter Wichtigkeit sind, werden übergangen, und erwähnt werden nur zu oft solche, die völlig belanglos erscheinen. Zum Jahre 937 berichtet der Continuator den Tod König Rudolfs von Burgund. Daß danach Burgund in Abhängigkeit vom Reich geriet, wird nirgends gesagt. 953 wird bemerkt, daß Brun außer dem Kölner Erzbistum auch das Herzogtum Lothringen erhielt. 964 ist vom Tode des lothringischen Herzogs Gottfried die Rede. Davon, daß inzwischen das Herzogtum Lothringen geteilt, und daß unter Brun weltliche Herzöge eingesetzt waren, wird nichts verraten. 939 wird über den Untergang Eberhards von Franken berichtet; die Tatsache, daß nach seinem Tode das fränkische Herzogtum eingezogen und unmittelbar der Krone unterstellt wurde, wird nicht erwähnt. Auch solche Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Man sieht jedenfalls, die Geschichtschreibung Adalberts verhält sich hier ähnlich wie in dem, was er über die Geschichte der westdeutschen Bistümer sagt. Es werden gewisse Daten, wie der Tod eines Königs oder eines Herzogs erwähnt. Aber die für den Zustand und die Geschichte des Reiches, für seine Verfassung und Politik entscheidende Frage, was
Erzbischof Adalbert von Magdeburg als Geschichtschreiber
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aus den politischen Organismen, die diese Männer vertreten, in ihrem Verhältnis zum Reiche wird, wird nicht gestellt und nicht beantwortet. Eine derartige Haltung läßt sich in der Continuatio überall bemerken. Es fehlt so gut wie völlig die Frage nach dem politischen Sinn des geschichtlichen Geschehens. Sowenig der Continuator die Taten der geschichtlich handelnden Personen im allgemeinen politisch motiviert, sowenig fragt er nach dem politischen Ergebnis ihrer Handlungen. Welche Folge für die Stellung der Krone etwa die Niederwerfung der großen Aufstände in den dreißiger und fünfziger Jahren des zehnten Jahrhunderts hatte, welche Bedeutung die Bistums- und Herzogspolitik der verschiedenen Könige für die Entwicklung des Reiches besaß, ja überhaupt eine Charakteristik dieser Politik und ihrer Schwankungen - alles das sucht man vergebens. Diese Gleichgültigkeit gegenüber dem politischen Sinn einer politischen Handlung kann so weit gehen, daß der Continuator etwa bemerkt, daß ein Reichstag oder eine Synode stattgefunden habe, aber zu sagen vergißt, was auf ihnen beschlossen wurde 1 6 . Oder etwa: der Continuator erzählt öfters, daß Otto einen Slawenfeldzug unternahm; aber was dabei herauskam, verrät er nicht 17 . So oft von Kriegen und Siegen gegen die Slawen die Rede ist, davon, daß unter Otto das Slawenland bis zur Oder erobert wurde, bekommt man in der Continuatio keine Vorstellung. Und soviel im letzten Teil des Werkes von den italienischen Dingen gesagt, und so gut man hier über gewisse Tatsachen informiert wird, aus denen man sich ein Bild vom Stand der Dinge machen kann - , daß der Continuator selbst ein Bild von der verfassungsrechtlichen und politischen Lage in Italien während der deutschen Eroberung gäbe, kann man nicht behaupten. Während es sich bei den geschichtlichen Irrtümern des Continuators, von denen wir oben sprachen, um Dinge handelte, über die er tatsächlich nicht besser Bescheid wußte, kann davon hier kaum die Rede sein. Das Reich war dem Continuator in der politischen Wirklichkeit ein geläufiger Begriff; gerade in bestimmten Äußerungen der Continuatio kann man ein Reichsbewußtsein nachweisen wie sonst kaum bei einem gleichzeitigen Schriftsteller 18 . Selbstverständlich konnte Adalbert in der Reichskanzlei über Veränderungen in sächsischen oder bayrischen Bistümern während der fünfziger oder sechziger Jahre mehr erfahren als er berichtet. Selbstverständlich hat er von der Gründung der dänischen und slawischen Bistümer gewußt; als Freund des Mainzer und als Suffragan des Hamburger Erzbischofs konnte ihm so etwas unmöglich verborgen bleiben. Und selbstverständlich hat er als Bischof, Abt und Politiker über die politischen und verfassungsrechtlichen Verhältnisse des Reiches besser Bescheid gewußt, als in der Continuatio zutage tritt. Wenn die Continuatio von alledem schweigt, so handelt es sich dabei offensichtlich weniger um einen Mangel des Wissens, als um einen Mangel der Darstellung; dieser Geschichtschreibung fehlt 16
Vgl. etwa zum Jahre 9 5 6 und 9 5 8 .
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D e r deutlichste Beweis dafür ist die Tatsache, daß der Continuator sämtliche deutschen Stämme unter dem W o r t nos oder nostrates nostrates;
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Vgl. zu 9 5 7 , 9 5 9 , 9 6 0 .
zusammenfaßt; auch Bayern und Sachsen sind für ihn
die Italiener dagegen zählt er nicht dazu; sogar der Patriarchat von Aquileja, der
doch von Heinrich von Bayern annektiert worden war, steht für ihn außerhalb dieser Gemeinschaft; vgl. zu 9 4 4 , 9 5 5 , 9 6 3 .
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Zur Geschichtschreibung des zehnten Jahrhunderts
die Fähigkeit oder auch der Wille oder beides, das, was sie weiß oder wissen könnte zur Anschauung zu bringen. Was eigentlich das Ziel und das Thema von Adalberts Geschichtschreibung war, und wie sich ihre primitive Art erklärt, soll hier nicht weiter erörtert werden. Es mag die Feststellung genügen, daß man ihr am meisten gerecht wird, wenn man sie etwa als eine Sammlung von Notizen über geschichtliche Merkwürdigkeiten bezeichnet, unter denen die Geschicke des Königs im Mittelpunkt stehen. Für moderne Begriffe weist die Continuatio kein höheres Niveau auf, als das einer mit wenig Verständnis und vielen Fehlern verfaßten Geschichtstabelle oder eines Geschichtskalenders. Von dem, was wir eigentlich unter Geschichtschreibung verstehen, ist sie weit entfernt. Sie fällt damit aus dem Rahmen der Werke des zehnten Jahrhunderts nicht sonderlich heraus. Gewiß hat jede der großen historiographischen Schriften der Ottonenzeit ihre Eigenart; trotz des vielberufenen Mangels an Individualität im Mittelalter unterscheiden sich die Geschichtschreiber des zehnten Jahrhunderts in ihrer Art, Geschichte zu sehen und zu schreiben, gründlicher voneinander, als sich etwa die Geschichtschreiber des neunzehnten Jahrhunderts voneinander unterscheiden. Aber in den für die Continuatio angedeuteten Eigentümlichkeiten ähneln sie sich doch alle irgendwie. Die Fremdheit gegenüber dem Institutionellen, gegenüber Staat und Politik ist von der Ottonischen Geschichtschreibung im allgemeinen ebensowenig zu trennen, wie der oben besprochene Mangel an sicherer historischer Kenntnis. Sowenig die geschichtlichen Irrtümer in dieser Zeit ein Privileg kleiner, weltfremder Mönche sind, sowenig ist es der Mangel an Verständnis für die politischen Zusammenhänge und den politischen Sinn der Geschichte. Wie oft hat man in den Schriften Widukinds oder Hrotswiths oder auch der kleineren Annalisten 22 um die Mitte des zehnten Jahrhunderts nur so etwas wie ein zwar gut gemeintes aber doch recht hilfloses und den politisch maßgebenden Kreisen der Nation nicht genügendes Gestammel gesehen. Adalbert hat in dem ersten Teil seines Werkes das „Gestammel" solcher Annalisten wörtlich aufgenommen; er muß in ihm also eine angemessene Geschichtschreibung gesehen haben, und tatsächlich unterscheidet sich rein Werk von den dürftigsten Produkten der kleinen Annalisten nur graduell, nicht aber grundsätzlich. Seine Haltung beweist jedenfalls, daß diese uns hilflos anmutende Art der Geschichtschreibung den Besten ihrer Zeit genug tat, und daß sie auch von ihnen selbst nicht anders betrieben wurde.
Die Mathildenviten und das Wahrheitsproblem in der Uberlieferung der Ottonenzeit* Archiv für Kulturgeschichte, Band 38, 1956, S. 1 5 2 - 1 6 6 . Posthum hrsg. u. eingeleitet von H. Grundmann
1. Von der Meinung, daß ein historischer Bericht oder eine historische Darstellung die Geschichte rekonstruieren, d. h. wirklich und vollständig das wiedergeben könne, was geschehen ist, sind wir längst und gründlich abgekommen. D i e Geschichte ist 153 nicht rekonstruierbar - es sei denn, man könnte sie noch einmal genauso ablaufen lassen, wie sie abgelaufen ist. Aber auch dann würde so wenig wie jetzt das menschliche Auge und der menschliche Verstand - und auch nicht das Auge und der Verstand eines Historikers - die Geschichte in ihrem tatsächlichen Sein und in ihrer Totalität erfassen. Wenn Geschichte geschrieben wird, so wird ein Geschehen, das in der Wirklichkeit auf mehr oder weniger weite Räume und Zeiten verteilt in einer unendlichen Vielfältigkeit von Gedanken, Worten und Taten, von Blut und Leben sich abgespielt hat, von einem menschlichen Erkenntnisvermögen eingefangen und in eine mehr oder weniger knappe Folge von Worten umgeformt; anders gesagt: gegenüber der unendlichen Fülle dessen, was wirklich geschehen ist und jeden Augenblick geschieht, ist jedes Geschichtsbild ein unendlich verkleinertes Bild, und zwar ein Bild, das nicht einfach widerspiegelt, sondern das durch Abstraktion, Verkürzung und Auswahl und damit durch Wertung zustande kommt: es versteht sich von selbst, daß es je nach den geistigen Voraussetzungen und Intentionen des Betrachtenden verschieden ausfällt: ein Geschichtsbild ist immer subjektiv und kann nur subjektiv sein. Wenn es sich aber so verhält, wenn das Geschichtsbild, das ein Historiker gibt, notwendig nichts anderes ist als seine Ansicht von der Geschichte, so erhebt sich sofort die Frage, wie unterscheidet sich denn dieses Bild von einer Fiktion, von einem Phantasiegebilde und einer Dichtung? Nun, allein durch den Willen zur Objektivität. Sowenig ein Geschichtsbild aus den Schranken der Subjektivität jemals heraustreten kann, es muß doch, um das zu sein, was es sein will, ihnen ständig entrinnen wollen und sich ständig an dem, was in der Geschichte geschehen ist, orien*
[Der Aufsatz fand sich im Nachlaß nur in der ersten Niederschrift - vom 18. 8. - 1 2 . 9. 1953 und unvollendet, er ist hier unverändert nach dem Manuskript abgedruckt worden. Hinzugefügt sind die Quellenangaben - in Klammern bzw. Anmerkung.]
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tieren und kontrollieren; wenn es die geschichtliche Wirklichkeit auch niemals erreichen und erfassen kann, so muß es sie doch zu erreichen und zu erfassen und ihr so nahe zu kommen versuchen wie möglich; es muß durch die Geschichte gebunden sein und sich durch sie immer wieder festlegen lassen. Wenn über Tasso oder über Wallenstein neue historische Tatsachen bekannt werden, so wäre deshalb kein Goethe und kein Schiller verpflichtet, ihre Dichtungen auch nur um einen Vers zu ändern; wohl aber ist dann der Historiker verpflichtet, das Bild, das er sich von Tasso und Wallenstein gemacht hat, zu korrigieren. Alles das sind bekannte und längst geläufige Tatsachen und Überlegungen, und ich führe sie hier nicht um ihrer selbst willen an, sondern nur, um den Ausgangspunkt für eine besondere Fragestellung zu gewinnen. Wenn ein jedes Geschichtsbild durch seine Subjektivität in eine bedenkliche Nähe zur Fiktion, zur Dichtung gerückt wird (von wo es sich nur durch seinen Willen zur Objektivität wieder entfernt), so 154 wird man sich unwillkürlich an eine Zeit erinnern, in der Geschichte und Dichtung tatsächlich ineinander übergingen. D a s ist in einem bestimmten Entwicklungsstadium wohl aller Kulturen und Nationen der Fall gewesen, und es war wohl meist länger und gründlicher der Fall, als man sich im allgemeinen klar macht; jedenfalls weiß aber jeder, daß es auch in der germanischen und in der frühmittelalterlichen Zeit so war: die geschichtlichen Vorstellungen und Erinnerungen dieser Jahrhunderte lebten in Heldenliedern und Heldensagen fort: das, was in der Geschichte geschehen war, war der subjektiven Willkür des Betrachtenden und Erzählenden ausgeliefert, die Korrektur durch das Streben nach Objektivität fehlte zwar vielleicht nicht völlig, aber doch weithin, und sie war jedenfalls nicht grundsätzlich entscheidend oder maßgebend: das Geschichtsbild war Dichtung. Nun pflegen wir davon zu sprechen, daß es seit der spätem Karolingerzeit und dann, nach einer Unterbrechung von ungefähr einem halben Jahrhundert, seit der Zeit Ottos des Großen auf deutschem Boden erzählende Geschichtsquellen, daß es dort seitdem eine Historiographie und Geschichtschreibung gegeben habe. Gewiß redet man in dem Zusammenhang von Geschichtschreibung im allgemeinen wohl nur cum grano salis, und man schätzt ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten sicher nicht allzu hoch ein: niemand wird auf den Gedanken kommen, sie mit der modernen oder auch Teilen der antiken und byzantinischen Geschichtschreibung auf eine Stufe zu stellen. Aber es dürfte doch die Ansicht vorherrschen, daß es sich dabei insofern um eine Art echter Geschichtschreibung und Geschichtsauffassung handelte, als sie bemüht war und die redliche Absicht hatte, die Geschichte wirklich wiederzugeben; sie habe sich selbst von der Dichtung und Sage deutlich abgesetzt, indem sie versichert, sich nur an das zu halten, was „wahr" und tatsächlich geschehen sei; mit andern Worten: auch diese Geschichtschreibung wollte objektiv sein. E s ist keine Frage, daß Beteuerungen wie die, man wolle nichts Falsches und Erdichtetes, sondern nur die Wahrheit berichten, in den historiographischen Produkten des Mittelalters recht häufig sind, und daß sich hin und wieder auch kritische Bemerkungen finden, die zwischen Gerüchten und verbürgten Tatsachen zu scheiden versuchen. Auch in den Chroniken des zehnten Jahrhunderts fehlen diese Momente nicht. Aber was oder wieviel beweist das? D a ß das Vorgetragene die reine Wahrheit
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sei, wird auch immer wieder in den Dichtungen der Zeit, etwa in den Spielmannsepen, versichert, und noch heute behauptet es jede Großmutter, die ihren Enkeln Märchen erzählt. Will man sich vergewissern, ob ein Geschichtsbild wirklich Geschichte geben will und nicht Dichtung, so muß man sich schon nach andern Kriterien umsehen. Vor allem aber, selbst wenn sich bei einigen Chronisten so etwas wie ein is5 Streben nach historischer Wahrheit feststellen läßt, so ist damit nicht gesagt, daß es allgemeine Gültigkeit hatte: wenn es für den einen oder den andern maßgebend war, so brauchte es deshalb noch längst nicht allgemein verbindlich und ein allgemein anerkanntes Ideal zu sein. Im folgenden möchte ich den Fragen, die ich eben angedeutet habe, für die Überlieferung oder wenigstens einen Teil der Überlieferung der Ottonenzeit nachgehen. Sie sollen hier keineswegs vollständig und in allen ihren Verzweigungen und Nebenfragen behandelt werden; es liegt mir nur daran, die Untersuchung bis zu einem bestimmten Punkte zu führen, an dem unsere Fragestellung in eine etwas allgemeinere und umfassendere Problemstellung einmündet. Um das zu zeigen, worauf es mir hier ankommt, sehen wir uns zunächst die Mathildenviten oder vielmehr das Verhältnis der jüngeren zur älteren Mathildenvita an, das für das, was wir wissen wollen, in einigen Punkten besonders aufschlußreich sein dürfte. 2. Wir besitzen, wie man weiß, zwei Werke, die als Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde, der Gemahlin Heinrichs I. und Mutter Ottos des Großen, bezeichnet werden. Die ältere, die eigentlich mehr eine Geschichte der Vorfahren Ottos II. als eine eigentliche Mathildenvita ist (immerhin steht das Leben der Mathilde dabei im Mittelpunkt und Vordergrund), stammt aus der Zeit Ottos II., die jüngere aus den ersten Jahren der Regierung Heinrichs II. 1 Beide sind in Nordhausen verfaßt, die erste im Auftrag Ottos, die zweite im Auftrag Heinrichs. Die ältere Vita zeichnet sich bekanntlich dadurch aus, daß in ihr in einem selbst für mittelalterliche Verhältnisse ungewöhnlichen Maße Zitate aus ältern Schriftstellern übernommen werden. Nicht nur einzelne Wendungen und Satzteile, sondern ganze Partien von Sätzen und Abschnitte werden aus hagiographischen Werken der Spätantike und der Merowingerzeit, wie den Opera des Sulpicius Severus oder den Viten der Radegunde und hl. Gertrud, aber auch aus Dichtungen der klassischen Zeit, wie aus Vergil und Terenz u. a. entlehnt. Wieweit das auf Kosten der geschieht- 156 liehen Wahrheit geschieht, ist eine offene und kaum mit auch nur annähernder Sicherheit zu beantwortende Frage. In vielen Fällen hat man zwar durchaus den Eindruck, daß es dem Verfasser mehr darauf ankommt, mit einem in fremden Werken erbeuteten literarischen Prunkstück zu glänzen, als korrekt und deutlich zu erzählen, was geschehen ist; aber da uns so gut wie alle Kontrollmöglichkeiten fehlen, so ist das im allgemeinen nicht sicher zu entscheiden; und daß er seine Zitate mindestens in gutem Glauben verwertete, wird man dem Verfasser meistens nicht widerlegen 1
Vita Mahthildis reginae antiquior (prior), SS. X , S. 5 7 3 ff.; Vita Mahthildis reginae (posterior), SS. IV, S. 2 8 2 ff.
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können. Nur an einer Stelle scheint es mir völlig deutlich zu sein, daß nicht der Historiker, sondern der Schriftsteller am Werke ist: das ist der Bericht über die Brautwerbung Heinrichs I. um Mathilde. Man erfährt d a 2 , daß Heinrichs Eltern sich für ihren Sohn „nach verstrichener Knabenzeit" nach einer Frau umgesehen hätten. Sie hätten von Mathilde, der Nachkommin Widukinds, gehört, die sich bei ihrer Großmutter im Kloster Herford aufhielt. Darauf hätten sie „des jungen Heinrich Lehrer", den Grafen Thietmar, dorthin geschickt, um sie sich anzusehen. Als Thietmars Bericht günstig ausfiel, habe Heinrichs Vater den Grafen mit Heinrich selbst und andern Begleitern nach Herford geschickt. Dort hätten einige von ihnen erst „unter dem Schein geringer Leute" die Kirche betreten und das Mädchen betrachtet. Dann hätten sie sich, mit königlichen Gewändern geschmückt und von einer großen Menge begleitet, zu Mathildes Großmutter begeben und sich die Jungfrau vorstellen lassen. Darauf habe sich Heinrich, von Liebe ergriffen, sofort mit ihr verlobt, und mit Zustimmung der Großmutter, aber ohne Wissen der übrigen Verwandten - auch ohne daß Glocken und Orgel erklangen - sei Mathilde nach Ostsachsen geleitet, wo in Wallhausen die Hochzeit gefeiert worden sei. W i e in Wirklichkeit die Werbung Heinrichs um Mathilde vor sich ging, wissen wir nicht. Man kann nur sagen: sicher nicht ganz so, wie sie diel Vita beschreibt. Heinrich war, als er Mathilde heiratete, ein erwachsener Mann von ungefähr 35 Jahren, der schon einmal, mit der Merseburgerin Hatheburg, verheiratet war. D a ß ihm, wie es in der Vita erzählt wird, erst seine Eltern eine Braut aussuchen mußten und seinen Lehrer für ihn auf Brautschau schickten, ist mehr als unwahrscheinlich. Und der ganze Hergang, wie ihn die Vita schildert, mit der doppelten Besichtigung der Braut, vor allem durch den unerkannten und verkleideten Heinrich, enthält so deutlich alles das, was für die Brautwerbungsgeschichten der mittelalterlichen Spielmannsepen typisch ist, daß man getrost die Quelle der V i t a in dieser Sphäre wird suchen 157 können. Damit ist freilich noch nicht gesagt, daß der Verfasser der Vita selbst seine Erzählung nach solchen Vorbildern erfunden und komponiert hat: er könnte sie auch von einer ältern Überlieferung als bare Münze übernommen haben. Aber das wahrscheinlichste dürfte doch sein, daß er darin selbständig war, und unabhängig von einer geschichtlichen Überlieferung ist er auf jeden Fall in der Ausgestaltung bestimmter Einzelzüge gewesen: wenn er Mathildes Aussehen bei ihrer Begegnung mit Heinrich mit den Worten schildert: Niveas genas permixtas ignis rubore, Candida veluti lilia rubentibus rosis intermixta, so hat er darüber nichts aus der Geschichte erfahren, sondern er hat das aus der Aeneis entlehnt. So oder ähnlich könnte es sich auch an andern Stellen der Vita antiquior verhalten; doch da sich das nicht eindeutig beweisen läßt, so wollen wir uns lieber der ergiebigeren Frage zuwenden, wie es mit dem Verhältnis der Vita posterior zur historischen Wahrheit bestellt ist. D e m Verfasser der jüngeren Vita hat die ältere vorgelegen; er hat sie weitgehend benutzt und ausgeschrieben; doch hat er an zahlreichen Stellen Änderungen vorgenommen, er hat gekürzt und ausgelassen, er hat aber auch ebenso sehr ergänzt, 2
Vita antiquior cap.
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erweitert und hinzugefügt. Wieweit ihm bei dieser Tätigkeit wirklich neue Kenntnisse - sei es eigene, sei es durch andere vermittelte - zur Verfügung standen, ist von vornherein schwer zu sagen. Bedenkt man jedoch, daß er in Nordhausen schrieb, wo die Lieblingsstiftung der Mathilde war und wo sie sich oft aufgehalten hat, und daß, als er schrieb, seit ihrem Tode etwa vierzig oder noch nicht ganz so viel Jahre vergangen waren, so ist ohne weiteres mit der Möglichkeit zu rechnen, daß ihm noch gute und glaubwürdige Traditionen zur Verfügung standen. Wie aber hat er, wenn er sie besaß, von ihnen Gebrauch gemacht? Zunächst ist keine Frage, daß in der Vita posterior einige Nachrichten enthalten sind, die einen durchaus zuverlässigen Eindruck machen oder die ihr Verfasser mindestens im guten Glauben an ihre Zuverlässigkeit mitgeteilt haben könnte. Dahin gehört etwa, daß von ihm - im Gegensatz zur ältern Vita, die ihn nicht kennt - der Name der Äbtissin von Wendhausen, Diemot, genannt wird (cap. 7), oder daß er berichtet, die erste Seelenmesse für Heinrich I. sei von Adaldag, dem spätem Erzbischof von Hamburg, gehalten worden (cap. 8). Auch wenn er, damit über die ältere Vita hinausgehend, berichtet, Mathilde habe ihre guten Werke mit Vorliebe am Sonnabend getan, weil das der Todestag ihres Gemahls war (cap. 17), so hört sich das durchaus vertrauenerweckend an: Heinrich ist tatsächlich an einem Sonnabend gestorben. Auch die schöne Szene (cap. 22), in der der letzte Abschied Ottos des Großen von seiner Mutter in Nordhausen geschildert wird, mag den Tatsachen entsprechen; es wird hier der Name eines Grafen Witigo genannt, der dem abreitenden Kaiser berichtet, daß Mathilde den Stein in der Kirche, auf dem Otto gestanden, iss unter Tränen geküßt habe, worauf dieser noch einmal zu seiner Mutter zurückkehrt: die Nachricht könnte direkt oder indirekt auf eben diesen Witigo zurückgehen, und mindestens erscheint sie eben dadurch, daß dieser an sich ganz bedeutungslose Graf mit Namen genannt wird, einigermaßen beglaubigt. Doch diesen unbedenklichen oder unbedenklich erscheinenden Mitteilungen stehen andere gegenüber, die unzweifelhaft falsch sind und die, was für unsere Fragestellung das Entscheidende ist, vom Verfasser der Vita offensichtlich nicht im guten Glauben hingenommen, sondern frei erfunden worden sind. Bekanntlich zeichnet sich die Vita posterior im Gegensatz zu der antiquior durch eine Tendenz aus, welche die jüngere, bayrische Linie der Ottonen, die Vorfahren Heinrichs II. verherrlicht. Soweit es sich dabei um einfache Umwertungen in der Charakterisierung der verschiedenen Personen, um Lob und Tadel handelt, mag das hier auf sich beruhen: dabei läßt sich schwer sagen, wo die bona fides anfängt, und wo sie aufhört. Auch wenn etwa die unzweifelhaft falsche Mitteilung auftaucht (cap. 15), der 964 gefangene Berengar von Ivrea sei Heinrich von Bayern (der bereits 955 gestorben war!) zur Bewachung übergeben worden, so braucht das keine Erfindung des Verfassers zu sein: es könnte, da Berengar in die Verbannung nach Bamberg geschickt wurde, auf einem Mißverständnis oder einer Verwechslung beruhen. Eher auf das Konto des Chronisten könnte schon die Behauptung kommen, daß Mathilde vor und nach dem Tode Heinrichs I. die Thronkandidatur ihres jüngern Sohnes begünstigt habe: diese Behauptung könnte in maiorem gloriam der bayrischen Linie, der damit sozusagen der Segen der Stammutter des ottonischen Hauses vindiziert wurde, aufgestellt worden sein;
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doch auch darüber läßt sich nichts Bestimmtes ausmachen. Und ähnlich steht es, wenn an Stellen, wo in der ältern Vita nur von Otto die Rede ist, auch Heinrich als handelnd oder maßgeblich eingeführt wird; so etwa in den Auseinandersetzungen und Konflikten um das Erbe der Mathilde nach dem Tode ihres Gemahls (cap. 11); oder auch wenn von einem letzten Besuch des kranken jüngern bei seiner Mutter in Pöhlde erzählt wird (cap. 16). Alles das sind Dinge, die sich kaum kontrollieren lassen. Um offensichtlich freie Erfindung dagegen handelt es sich, wenn die jüngere Vita versichert (cap. 16), Mathilde habe nach dem Tode ihres Sohnes Heinrich ihre fürstlichen Gewänder abgelegt und nur noch Trauerkleider getragen. Denn in der ältern 159 y j t a ( c a p . n ) w j r t j jh r ausdrücklich und ohne jede Einschränkung der Vorwurf gemacht, daß an wahrer Heiligkeit es ihr deshalb gefehlt habe, weil sie im weltlichen Schmucke der Kleider geprangt habe - ein Vorwurf, den übrigens für die Zeit vor Heinrichs Tod die jüngere Vita (cap. 16) - nicht eben glaubwürdig - damit zu entkräften sucht, daß sie versichert, es habe sich dabei nur um ein einfarbiges Purpurkleid gehandelt, das die Königin zudem immer von einem Leinengewand verhüllt getragen habe. Eine ähnliche Umdichtung wird mit dem vorgenommen, was sich in der ältern Vita (cap. 10) über eine angebliche Prophezeiung der Mathilde findet. Hier heißt es, sie habe auf die Nachricht von der Geburt Ottos II. geweissagt, daß er, „an Ruhm die andern überstrahlend, uns Eltern eine Zierde gewähren würde". Das wird von der jüngern Vita unterschlagen und statt dessen erzählt sie (cap. 20), Mathilde habe das Königtum Heinrichs II. prophezeit: „wir hoffen jedoch, daß dieser Name (nämlich Heinrich) unserm Geschlechte nicht verloren gehe, bis daß von diesem Knäblein ein Enkelchen entspringe, das zu königlicher Würde sich erheben mag." Nicht besser wird mit der historischen Wahrheit oder dem, was der Verfasser der zweiten Vita darüber in der ersten fand, im Zusammenhang mit ein paar Wundern umgesprungen, die Mathilde vollbracht haben sollte. In der ersten wird erzählt (cap. 12), als einstmals von den Dienern vergessen war, den unterhalb des Quedlinburger Burgbergs sitzenden, ihre Almosen empfangenden und essenden Armen Brot zu geben, da habe Mathilde ein Brot ergriffen, bekreuzigt und vom Burgberg hinabgeworfen, worauf es über Fels und Zaun gesprungen und in den Schoß eines Armen gelangt sei. In der jüngern Vita (cap. 18) erscheint dieses Wunder gründlich ausstaffiert. D a geschieht es am Jahrestage des Todes Heinrichs I., und außerdem fällt das Brot einem Armen zu, dem Mathilde es bestimmt hatte. Ähnlich verhält es sich mit der folgenden Geschichte. Die ältere Vita (cap. 12) erzählt, daß in Quedlinburg eine zahme Hirschkuh ein Weingefäß „verschluckt" habe. Trotz Drohens und Schlagens der Anwesenden habe sie es nicht wieder herausgegeben. Aber als Mathilde sie sanft anredete: „Gib her, uns gehört, was du genommen", da habe sie das Gefäß der Königin zurückgegeben. Die jüngere Vita (cap. 19) macht daraus, daß die Hirschkuh den verschluckten Gegenstand einen ganzen Tag bei sich behielt, daß niemand wußte, wo das Gefäß war: nur die prophetische Gabe der Königin entdeckte es. Man sieht, einmal ist es die politische, ein andermal die hagiographische Tendenz, die den Verfasser die ihm überlieferten Tatsachen recht gründlich korrigieren läßt. Aber fast noch bemerkenswerter als das scheint mir die Tatsache zu sein, daß die
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zweite Vita an dem ihr vorliegenden Material zahlreiche Änderungen aus offenbar rein literarischen Absichten vorgenommen hat. Die in der ältern Vita geschilderten iso Situationen werden ausgemalt, die Darstellung wird ausgeschmückt und prunkvoller gestaltet, und zu dem Zweck werden vor allem zahlreiche Reden und Gegenreden sowie Briefe mitgeteilt, die ganz zweifellos der Erfindung des zweiten Biographen ihr Dasein verdanken. So läßt er etwa (cap. 3) bei der Werbung Heinrichs um Mathilde deren Großmutter eine lange und erbauliche Ansprache halten, von der die Vorlage kein Wort enthält; daß der Verfasser von ihr keine Überlieferung haben konnte, versteht sich von selbst: die Rede müßte hundert Jahre, bevor er schrieb, gehalten worden sein. Genauso verhält es sich mit den Worten, die der Verfasser Heinrich I. unmittelbar vor seinem Tode zu Mathilde, und mit denen, die er Mathilde nach Heinrichs Tod zu ihren Söhnen sprechen läßt. Und nicht anders schließlich steht es mit dem, was im Zusammenhang mit der Erzählung von dem Konflikt zwischen Otto I. und Mathilde dem hinzugefügt wird, was die ältere Vita (cap. 9) darüber zu bieten hat. Im Gegensatz zu ihr wird in der jüngern (cap. 11 f.) umständlich berichtet, wie die Fürsten Otto angehalten hätten, sich mit seiner Mutter zu versöhnen; ein Brief, den er an sie geschrieben haben soll, wird mitgeteilt, und aus den wenigen Worten, mit denen die ältere Vita über die Aussöhnung berichtet, werden lange und gefühlvolle Reden Ottos und der Mathilde herausgesponnen. Vor allem aber - getreu ihrem Verfahren, auch immer etwas über Ottos Bruder, Heinrichs II. Großvater, zu sagen und ihn in den Mittelpunkt der Erzählung zu rücken - berichtet die jüngere Vita (cap. 14) ausführlich auch von s e i n e m Friedensschluß mit der Mutter, wovon die ältere kein Wort hat, und es versteht sich von selbst, daß hier die Reden, Tränen und Küsse, die getauscht werden, besonders reichhaltig und Zärtlich ausfallen. Alle diese Feststellungen ließen sich noch erweitern und durch einen genauen Vergleich der beiden Viten detaillieren. Doch es mag mit dem Vorgebrachten sein Bewenden haben; für das, was ich damit sagen will, dürfte es genügen. Selbstverständlich sind alles das Dinge, die sozusagen auf der Hand liegen, und jedem, der die Vita liest, müssen sie sofort auffallen. Sie sind natürlich auch längst bemerkt worden, und man hat denn auch die beiden Viten, vor allem die zweite, entsprechend bewertet; das Urteil über die Viten ist, wie man es etwa bei Wattenbach-Holtzrnqnn ^ liest, daß es mit ihrem „innern Gehalt und dem geschichtlichen Sinn ihrer Verfasser" mangelhaft bestellt sei. Das ist nun zweifellos richtig: von dem, was wir unter geschichtlichem Sinn verstehen, ist hier wenig zu spüren. Aber was bedeuten solche Feststellungen? Sie gehen doch offenbar von der stillschweigenden Voraussetzung aus, daß der „geschichtliche Sinn" (und was ist damit gemeint?) etwas ist, das für die lei „Historiker" des zehnten Jahrhunderts verbindlich und bei ihnen als Norm zu erwarten ist. Gerade das aber ist es, wogegen ich mich hier wenden möchte; dieser mangelnde „geschichtliche Sinn" ist vielmehr für die „Geschichtschreibung" des zehnten Jahrhunderts (und auch noch anderer Jahrhunderte) typisch. 3
Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, Deutsche Kaiserzeit I, 1 (1938) S. 40.
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3.
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D a ß es sich so verhält, kann man, wenn auch in verschiedener Intensität, bei noch vielen andern „Historikern" des zehnten Jahrhunderts feststellen. W i r werfen zunächst, um das zu zeigen, einen kurzen Blick auf die 'Gesta Oddonis' der Hrotswith von Gandersheim 4 und die 'Antapodosis' des Liudprand von Cremona. D a ß die erbaulichen, in Verse gebrachten Gebete und Reden der Gesta Oddonis fingiert und reine Literatur sind, versteht sich von selbst. Doch nicht viel besser sieht es bekanntlich mit den geschichtlichen Tatsachen aus, mit denen Hrotswith aufwartet. Man würde ihre Haltung und ihre Absichten wahrscheinlich verkennen, wenn man ihr eine echte politische Tendenz zuschriebe, aus der heraus sie die Ereignisse verfälscht und umbiegt; ihr Bestreben ist vermutlich ganz einfach, für die königliche Dynastie mit einer möglichst gemütlichen, verharmlosten und versüßlichten Familiengeschichte aufzuwarten. Deshalb wird mit Vorliebe der Teufel als Anstifter alles Übels persönlich bemüht, um die unangenehmen Kämpfe zwischen den Mitgliedern der Dynastie zu erklären und zu entschuldigen. V o r allem aber: soweit es irgend geht, werden die Spannungen vertuscht, verniedlicht und in ihr Gegenteil umgekehrt. Liudolf, der 951 in Wirklichkeit seinem Vater in Italien zuvorzukommen suchte, doch scheiterte und dann von Otto ungnädig empfangen wurde, zieht nach Hrotswith nur, um Otto Freude zu machen, nach dem Süden, hat dort die schönsten Erfolge, und Otto nimmt ihn nach seiner Rückkehr hochbeglückt auf (v. 608 ff.). Ungefähr auf der gleichen Höhe historischer Wahrheitsliebe steht es, wenn Hrotswith versichert, 952 sei Liudolf von seinem Vater aus Italien nach Deutschland zurückgeschickt worden, um in seiner Abwesenheit als sein Stellvertreter in Deutschland die Regierung zu führen; und das habe Liudoif auch sehr schön und weise gemacht (v. 666 ff.). In Wirklichkeit ist der Prinz bekanntlich ohne Wissen Ottos aus Italien umgekehrt, um in Deutschland eine Verschwörung gegen seinen Vater anzuzetteln. In diesem Stil sind im Grunde die ganzeil Gesta abgefaßt, und es gibt nicht viel, was der ordnenden und schmückenden Hand der Gandersheimer Nonne entgangen wäre. Ein besonders hübsches Beispiel für die Art, wie Hrotswith fabelt und dichtet, statt Geschichte zu erzählen, dürfte ihr Bericht über die Flucht der Königin Adelheid aus der Haft sein, die Berengar über sie verhängt hatte (v. 512 ff.). Freilich haben wir keine Kontrollnachrichten, die uns ermöglichten zu sagen, wo hier die Wahrheit aufhört und wo die Legende anfängt. Aber wenn da erzählt wird, die Königin habe mit einem Priester und einer Dienerin sich aus ihrem Kerker einen Gang gegraben, sie sei dann bei Nacht geflohen, durch Feld und Wald geirrt, und ausgerechnet das Ährenfeld, in dem sie sich verborgen hielt, habe der sie verfolgende Berengar, mit dem Speer die Halme zerteilend, durchstreift, so ist wohl klar, daß es sich hier sehr viel mehr um einen Abenteurerroman als um Geschichte handelt. Aus Liudprands 'Antapodosis' 5 will ich der Einfachheit halber nur die Partien herausgreifen, die sich direkt oder indirekt mit Ereignissen der deutschen Geschichte abgeben. 4 5
Hrotsvithae Opera ed. P. von Winterfeld, SS. rer. Germ, in us. schol. ( 1 9 0 2 ) , S. 2 2 1 ff. Die Werke Liudprands von Cremona, hrsg. von J . Becker, SS. rer. Germ, in us. schol ( 1 9 1 5 ) S. 1 ff.
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Da erzählt Liudprand zunächst von dem Zuge, den Zwentibold im Auftrage seines Vaters Arnulf von Kärnten 893 gegen Wido von Spoleto unternimmt. Von den militärisch-politischen Vorgängen bei diesem Unternehmen erfährt man so gut wie nichts. Im Grunde weiß Liudprand nur zu erzählen, daß sich die Heere einundzwanzig Tage in der Nähe von Pavia gegenüber lagen. Dabei habe täglich ein Bayer die Italiener verspottet, sie als Feiglinge beschimpft und ihnen vorgeworfen, daß sie nicht reiten könnten. Dann habe schließlich in einem Zweikampf, den Liudprand umständlich schildert, Hubald, der Vater des spätem Markgrafen Bonifatius, den Bayern getötet; und diese Tat, die den Bayern „nicht geringen Schrecken einjagte", sei für Zwentibold der Grund gewesen, nach Hause zurückzukehren (I, 21). In dem Bericht über den Zug, den Arnulf selbst drei Jahre später gegen Rom unternahm (I, 26 f.), läßt ihn Liudprand erst einmal eine schöne Rede in Hexametern halten, durch die er seine Scharen zum Kampf gegen die Römer anfeuert: es wird ihnen da auseinandergesetzt, daß Pompeius und Cäsar nicht mehr vorhanden und die bessern Römer nach Konstantinopel ausgewandert seien. Der Erfolg dieser Ansprache sei gewesen, daß die heroes ihr Leben gering achteten und die Stadt angreifen wollten. Aber das ist für den Ausgang dann nebensächlich: die Entscheidung fällt dadurch, daß ein Hase auf die Stadt zuläuft, dem die Deutschen nachjagen, und daß die Römer im Glauben, sie werden angegriffen, davonlaufen. Der Rückzug Arnulfs aus Rom erfolgt dann deshalb, weil er auf eine etwas abenteuerliche Weise von Widos Gemahlin einen Gifttrank zu trinken bekommt, durch den er erst in einen tiefen Schlaf und dann in eine schwere Krankheit fällt (I, 32). Schließlich wird Arnulf, in die Heimat zurückgekehrt, von Läusen aufgefressen (I, 36). Aus der Zeit Ludwigs des Kindes bietet Liudprand die sehr poetische, teilweise mit Versen ausgestattete Schilderung einer Schlacht, in der der junge König von den Ungarn besiegt wird; außerdem die bekannte Geschichte von dem Babenberger Adalbert, der an der List des Erzbischofs Hatto von Mainz zugrunde geht (II, 3-6). Aus der Zeit Konrads I. wird von den angeblichen Siegen des Königs über seine Feinde, die deutschen Herzöge, und vor allem seiner Designation Heinrichs I. berichtet, wobei ausführliche Reden Konrads verzeichnet werden (II, 19 f.). Es folgt dann die Thronbesteigung Heinrichs, seine Auseinandersetzung mit Arnulf von Bayern, der vom König wieder in Versen angeredet wird (II, 22) und die Ungarnschlacht von 933, die von Liudprand aber nicht in dieses Jahr, sondern ganz in den Anfang der Regierung Heinrichs verlegt wird. Liudprand läßt den König seine Krieger erst wieder in schönen Versen ermuntern, wobei er sie unter anderm ermahnt, die Feinde Stigias . . . ad undas zu befördern (II, 26). Dann geht die Rede in Prosa weiter, und dabei schwört der König der Gott verhaßten und von Petrus verdammten Simonie ab. Als der König weiterreden will, kommt ein Bote und meldet, daß sich die Ungarn nähern, worauf Heinrich wieder das Wort ergreift und seinen Leuten - cum ad Mortis proludium coeperitis properare - auseinandersetzt, welcher Taktik sie sich im Kampfe befleißigen sollen (II, 31). In den allgemeinsten Wendungen wird dann der Sieg der Sachsen über die Ungarn und die Befreiung der Gefangenen beschrieben.
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Aus der Zeit Ottos des Großen wird von dem Konflikt des Königs mit den Herzögen und seinem Bruder zu Anfang seiner Regierung erzählt. Besonders ausführlich wird (IV, 24) das Gefecht bei Birten beschrieben; zunächst unterhalten sich die von Otto getrennten Krieger seines Heeres mit vielen Worten und unter sehr moralischen Gesichtspunkten darüber, daß es sich gehöre, nicht zu fliehen, sondern dem Feinde Widerstand zu leisten; dann heißt es, daß der König auf dem andern Ufer des Rheins cum omni populo sich vor der heiligen Lanze niederwarf, während seines Gebetes aber seien die Feinde geflohen, ohne daß von Ottos Kriegern auch nur ein einziger gefallen wäre. In dem Bericht über die Kämpfe um Breisach weiß Liudprand (IV, 27 f.) von 164 neuen ebenso erbaulichen wie standhaften Reden Ottos an seine Räte und an einen selbstsüchtigen Grafen zu erzählen, der des Königs Notlage zu einem Anschlag auf das Kloster Lorsch ausnutzen will. Und nach dem Untergang Giselberts und Eberhards (IV, 29), von denen Giselbert in den Wassern des Rheins ertrank, quas quoniam prae multitudine sorbere non potuit, wird dem König in einer breit ausgemalten Szene (IV, 30) die Nachricht von diesem Siege gebracht. Ein Bote kommt, man sieht an seinen fröhlichen Mienen, daß er etwas Gutes zu berichten hat; als er, statt loszureden, erst Haar und Kleidung in Ordnung bringt und mit einer feierlichen Begrüßung beginnt, wird die Umgebung des Königs ungeduldig, der zu dem Boten sagt: Age, ad quod missus es fare ... Non qualiter, sed quid dicas, praesens tempus expectat. Malumus enitn rusticana simplicitate laetari quam Tulliana facetia periclitari - worauf der Bote seinen Bericht über den Tod der beiden Herzöge gibt. Man könnte annehmen, daß Liudprand das, was er etwa aus der Zeit Arnulfs von Kärnten bis hin zur Zeit Heinrichs erzählt sowie die Form, in der er es erzählt aus ältern Überlieferungen übernommen habe und daß er infolgedessen seine Nachrichten im guten Glauben an ihre historische Richtigkeit vorbringt. Aber so dürfte es nicht sein. Einmal: Form, Stil und Inhalt dieser Berichte entspricht völlig der Art, in der Liudprand in der Antapodosis sonst auch zu schreiben pflegt; er dürfte sie also aus irgendwelchen Traditionen erhalten, aber im übrigen doch selbst geformt und geprägt haben. Vor allem aber: der Italiener war einer der kenntnisreichsten und gewandtesten Diplomaten seiner Zeit; daß er sich einbildete, ein bayrisches Heer habe allein deshalb den Rückmarsch aus Italien angetreten, weil nach einem Geplänkel von 21 Tagen einer seiner Reiter in einem Zweikampf fiel, ist etwas unwahrscheinlich. Und ebenso unwahrscheinlich ist es, daß er glaubte, Rom könne durch eine Hasenjagd erobert worden sein. Wenn er diese Dinge gleichwohl in der Art, wie er es tut, vorbringt, so ist wohl deutlich, daß es ihm dabei nicht darauf ankam, die historische Wahrheit zu ergründen und zu berichten: er will nicht Geschichte sondern Geschichten, d. h. historische Anekdoten erzählen. Noch klarer wird das Verhältnis Liudprands zur Geschichte in dem, was er aus der Zeit erzählt, die er selbst miterlebte oder aus der er durch noch lebende Augenzeugen sich berichten lassen konnte. Man sehe sich etwa an, was wir oben (S. 415) über seine Schilderung der Schlacht bei Riade sagten. Als Liudprand diese Schilderung niederschrieb, waren seit der Schlacht etwa fünfundzwanzig Jahre vergangen, er selbst war in Deutschland und hatte Gelegenheit, am deutschen Königshofe ein-
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und auszugehen. Daß die Schlacht nicht in den ersten Jahren, sondern erst gegen Ende der Regierung Heinrichs I. geschlagen wurde, mußte für ihn leicht zu erfahren sein. Und sicher wäre es auch nicht schwer gewesen, über ihren tatsächlichen Verlauf einige Nachrichten und sogar detaillierte Nachrichten zu bekommen. Und daß Heinrich die vielen Reden, die er ihm in den Mund legt, so nicht gehalten hat und nicht gehalten haben kann, das wußte der Italiener natürlich genau. Von den Versen abgesehen - was sollten die sächsischen Krieger, die der König angeblich so anredete, mit dem Styx anfangen, zu dem sie die Feinde befördern, oder mit Mars, zu dessen Kampfspielen sie schreiten sollten? Liudprand zeichnet sich durch eine geradezu verblüffende Gleichgültigkeit gegenüber den historischen Tatsachen aus; was er will, ist auch hier wieder nicht ein historischer Bericht, sondern eine, für seinen Geschmack, literarisch wohl ausstaffierte Erzählung, bei der es auf den Wahrheitsgehalt (vom Allerallgemeinsten abgesehen) überhaupt nicht ankommt.
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Über den Verlauf des Gefechtes bei Birten sind wir durch Widukind von Korvei 6 hinlänglich und offenbar zuverlässig informiert. Zwar weiß auch Widukind von dem Gebet, das der von seinen Truppen durch den Rhein getrennte König Otto an Gott richtet. Aber wie es auch mit der Wirkung dieses Gebets bestellt sein mag - die Schlacht wird nach seinen Angaben tatsächlich dadurch entschieden, daß ein Fischteich das feindliche Heer behinderte und daß man sich auf der Seite des Königs einer Kriegslist bediente, indem man den Gegnern in ihrer welschen Sprache - als käme der Ruf aus ihren eigenen Reihen - zurief, sie sollten fliehen (II, 17). Außerdem sagt der Korveier Mönch ausdrücklich, daß auf der Seite des Königs viele verwundet und einige getötet wurden 7 . Wenn Liudprand aus diesen Vorgängen einen für Otto völlig verlustlosen Sieg macht, der allein durch sein Gebet, d. h. durch ein Wunder herbeigeführt wird, so dürfte das kaum daran liegen, daß er es nicht anders wußte oder nicht anders wissen konnte; zweifellos war es für ihn leichter als für Widukind, die Wahrheit zu erfahren. Als auf ein bezeichnendes Beispiel für seine Art, Geschichte zu sehen und zu schreiben, sei schließlich noch auf die Schilderung hingewiesen, in der er die Überbringung der Botschaft vom Untergang Eberhards und Giselberts beschreibt (IV, 30). Sie macht einem klassizistisch gebildeten Epiker alle Ehre, daß aber der Hergang sich in Wirklichkeit nicht so abgespielt hat, wie Liudprand behauptet, versteht sich i«« von selbst; und ebenso, daß er selber nicht der Meinung gewesen sein kann, Otto habe dem Boten, ehe der seine Botschaft von sich gab, eine lange Rede über das Wesen eines Boten gehalten, eine Rede, in der der arme Mann zum Schluß darauf hingewiesen wurde, daß Tulliana facetia überflüssig sei. Was hat nun alles das zu bedeuten? Daß Liudprand gern fabelt und Anekdoten erzählt, weiß man längst. Ebenso ist bekannt, daß Hrotswith eine Dichterin ist, und daß sie es mit der historischen Wahrheit nicht gerade genau nimmt. Und nicht weniger ist man sich darüber im klaren, daß die Verfasser der Mathildenviten nicht eben 6
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Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei IT, cap. 17, hrsg. von P. Hirsch und H.-E. Lohmann, SS. rer. Germ, in us. schol. (1935), S. 81 ff Im Manuskript folgt hier: Und was hat Liudprand aus diesen Vorgängen gemacht? Lintzel Bd. II
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zuverlässig sind und daß es mit ihrem „geschichtlichen Sinn" nicht weit her ist. Aber wenn das alles auch längst bekannt und nie bezweifelt ist, so sieht man darin, soweit ich sehe, im allgemeinen so etwas wie eine unfreiwillige Unzulänglichkeit und Mangelhaftigkeit der genannten Historiographen. Man meint wohl: sie wußten und konnten es nicht besser, wobei man im allgemeinen stillschweigend voraussetzt, daß sie es gern besser gewußt und gekonnt hätten. Das Entscheidende und Wesentliche scheint mir nun aber zu sein, daß sie es tatsächlich gar nicht anders wissen und können w o l l t e n .
Zur Wahl Konrads II. Festschrift für Edmund E . Stengel zum 70. Geburtstag 1949, Münster-Köln 1952, S. 2 8 9 - 3 0 0
Aus der Zahl der Probleme, mit denen sich die recht umfangreiche Literatur über die Wahl Konrads II. beschäftigt hat, möchte ich hier die beiden folgenden besprechen: einmal die Frage, ob Heinrich II. den älteren oder den jüngeren Konrad oder keinen von beiden designiert hat, und zweitens die Frage, welche Thronkandidaten bei den Wahlverhandlungen von 1024 in Betracht kamen, was im Grunde auf die weitere und wichtigere Frage hinausläuft, wieweit bei der Entscheidung von 1024 das Erb- und Geblütsrecht und wieweit das Wahlrecht maßgebend gewesen ist. Es ist selbstverständlich, und nur dadurch kann mein Aufsatz überhaupt einen Sinn bekommen, daß ich diese Dinge deshalb behandle, weil mir in ihrer Beurteilung die augenblicklich herrschende Meinung in mehr oder weniger wesentlichen Punkten nicht recht zu haben scheint. Dabei habe ich vor, mich mit der Literatur so wenig wie möglich und nur da auseinanderzusetzen, wo es mir unbedingt notwendig zu sein scheint; auch im Zitieren werde ich mich auf ein Minimum beschränken. Diese Beschränkung übe ich nicht gern. Doch wenn ich es anders machte, so würde damit im Ergebnis kaum etwas gewonnen werden, wohl aber würde dieser Aufsatz ein Mehrfaches des ihm zuzubilligenden Umfanges beanspruchen; außerdem ist mir die Literatur nicht ganz vollständig erreichbar, da ich auf die Bestände der Hallischen Bibliotheken angewiesen bin. Unter den Umständen möchte ich ausdrücklich betonen, daß ich keine besonderen Originalitäts- oder Prioritätsansprüche erhebe: das, was ich zu sagen habe, mag so oder ähnlich, wenigstens zum Teil, schon einmal gesagt worden sein (wie es im Grunde ja mit fast allen Gedanken steht! die wir produzieren); aber die Forschung wandelt sich ständig, und gegenüber der gewandelten Forschung dürfte das, was ich vorbringe, doch einen gewissen Reiz der Neuheit haben. I. Einige Chronisten, die etwa ein Dreivierteljahrhundert, zum Teil auch noch viel später, nach den Ereignissen schreiben (und zwar sind es Sigibert von Gembloux, Hugo von Flavigny, Leo von Ostia und Otto von Freising) 1 , behaupten, Konrad II. 290 1
Vgl. Sigibert 1024, M G . SS. VI, S. 3 5 6 ; Hugo II, cap. 16, SS. VIII, S. 3 9 2 ; Leo in Chron. Casin. II, cap. 56, SS. VII, S. 6 6 5 ; Otto von Freising, Chron. VI, cap. 28. Den Ausdruck
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sei von seinem Vorgänger designiert worden. D i e gleichzeitige Überlieferung sagt davon nichts. A b e r da jene Chronisten im allgemeinen gut unterrichtet und zuverlässig sind und ihre Nachrichten über die Designation in keinem erkennbaren Abhängigkeitsverhältnis voneinander stehen, auch keine Tendenz oder Sagenbildung hervortreten lassen, so hat man ihnen früher meistens g e g l a u b t 2 . Dieses Urteil hat sich geändert, seitdem Breßlau, dessen Stellungnahme überhaupt für die Auffassung der Vorgänge bei der Erhebung K o n r a d s vielfach maßgebend geworden ist, in den Jahrbüchern Heinrichs II. die Nachrichten von der Designation des ersten Saliers ins „Reich der F a b e l " verwiesen h a t 3 : sie werden heute wohl nur noch in Ausnahmefällen für diskutabel gehalten l . D e r Hauptgrund, mit dem Breßlau die Unmöglichkeit von Konrads Designation nachweisen zu können meint, ist, d a ß sie nach seiner Ansicht der politischen Situation vor dem T o d e Heinrichs II. widerspricht. K o n r a d sei in K a m b a als K a n d i d a t Aribos von Mainz erhoben worden, und seine Gegner seien Pilgrim von K ö l n und dessen Anhang gewesen. Zwischen Heinrich und Aribo aber sei es im Zusammenhang mit der Entwicklung des Hammerstein'schen Streites, vielleicht auch im Zusammenhang mit der Cluniazensischen Reformpolitik zu starken Spannungen gekommen, während sich der Kaiser mit Pilgrim gut stand. W e n n Heinrich K o n r a d designierte, so hätte er damit also einen Mann zu seinem Nachfolger ausersehen, von dem er wissen mußte, d a ß er seine Kirchenpolitik nicht fortführen würde; und das sei nicht gut denkbar. D i e s e Argumentation scheint einleuchtend zu sein, und ich will ihr eine gewisse Wahrscheinlichkeit auch nicht absprechen. A b e r ist sie sicher, und beweist sie wirklich, was sie soll? W i r wissen zufällig über die kirchenpolitischen Entwicklungen in der letzten Zeit Heinrichs II. etwas genauer Bescheid, und es ist richtig, d a ß eine Entfremdung zwischen Heinrich und Aribo und eine Annäherung zwischen Heinrich und Pilgrim eingetreten ist, wie es auch richtig ist, d a ß in K a m b a Aribo für und Pilgrim gegen K o n r a d II. war. A b e r einmal waren, glaube ich, die kirchenpolitischen 291 Spannungen und Fronten (worauf ich hier nicht eingehen kann) in der letzten Zeit Kaiser Heinrichs viel zu kompliziert, als d a ß man mit so massiven Urteilen operieren könnte, wie es Breßlau tut. Außerdem vermag niemand zu sagen, wieweit die kirchlichen D i n g e für die Gesamtpolitik wirklich entscheidend waren, und ob es nicht genug Gesichtspunkte gab, die Heinrich trotz etwaiger kirchenpolitischer Bedenken bestimmten, K o n r a d zu designieren. Schließlich, wenn auch Aribo in K a m b a sich für Konrad entschieden hat, so steht darum doch nicht im entferntesten fest, d a ß er in allem mit ihm übereinstimmte, oder daß der G r u n d für seine Parteinahme Konrads Einstellung zu kirchlichen Fragen gewesen ist, und ebensowenig steht fest, d a ß es vor Heinrichs T o d e schon sicher oder vorauszusehen war, d a ß Konrad und Aribo zusammengingen oder einmal zusammengehen würden. Von Konrad kann man, was
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designare gebraucht übrigens nur Sigibert; die anderen reden von einer electio oder einem consilium Heinrichs. Vgl. dazu etwa G. Waitz, Deutsche Verfassungsgesch. VI, 2. Aufl. (1896), S. 171 f. Vgl. Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Heinrich II., III (1875), S. 356 ff. Vgl. etwa die vorsichtige Formulierung bei H. Mitteis, Die deutsche Königswahl, 2. Aufl. (1944), S. 37.
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seine kirchenpolitische Haltung anlangt, im Grunde nur sagen, daß er darin indifferent und höchst „realistisch" war; jedenfalls hat er nach seiner Thronbesteigung keineswegs die Politik des Mainzer Erzbischofs gemacht. Wenn aber in Kamba Aribo als der Verbündete Konrads erscheint, so weiß niemand, ob das nicht das Resultat von Entwicklungen und Verhandlungen ganz unkirchlicher Natur war, und außerdem von Verhandlungen, die erst nach dem Tode Heinrichs stattfanden; bei der politischen Geschicklichkeit und Skrupellosigkeit des ersten Saliers ist es durchaus denkbar, daß er während des Interregnums die Partei wechselte, wenn er erkannte, daß die Verbündeten und Gesinnungsgenossen Aribos unter den Wählern das Übergewicht hatten. Wichtiger als diese Erwägungen scheint mir das Schweigen der gleichzeitigen oder fast gleichzeitigen Quellen zu sein 5 . Gewiß, auf die meisten von ihnen braucht man weiter kein Gewicht zu legen, da ihre Angaben weder präzise noch auch nur annähernd erschöpfend sind. Aber man möchte doch glauben, daß wenigstens der Quedlinburger Annalist, der im allgemeinen sehr gut Bescheid weiß und über die letzten Zeiten und Handlungen Heinrichs ausführlich berichtet, der außerdem offenbar einen gewissen Wert auf die Legitimität der Nachfolge Konrads, des consatiguineus der Ottonen legt, etwas von einer Designation gesagt hätte, wenn sie wirklich stattfand 6. Und vor allem Wipo 7 ! Er redet umständlich von den Gründen, die seinen Helden für den Thron prädestinierten; und in der Krönungsrede, die er Aribo halten läßt, weist er ausdrücklich darauf hin, daß Konrad die gratia seines Vorgängers verloren und wieder gewonnen habe; hätte er mindestens hier nicht unbedingt etwas von der Designation sagen müssen, wenn etwas davon zu sagen war? Sie zu erwähnen 292 oder vielmehr sehr nachdrücklich zu betonen, lag aber, wenn man ein Recht dazu hatte, für die dem neuen König nahestehende Geschichtschreibung vermutlich noch ein sehr wesentlicher Grund vor. In der Anhängerschaft des jüngeren Konrad war offenbar, wovon nachher noch die Rede sein wird, die Behauptung verbreitet, daß dieser von Heinrich II. designiert und von Konrad dem Älteren seiner Ansprüche beraubt sei. Man möchte folgern: gegenüber dieser Anschuldigung konnten die Anhänger Konrads II. die Designation ihres Königs nicht verschweigen, und wenn sie trotzdem schwiegen, so beweist das, daß der ältere Konrad nicht designiert worden ist. Auf der anderen Seite lassen sich die späteren Nachrichten, daß die Designation doch stattgefunden habe, leidlich einfach erklären, auch wenn ihnen jede reale Grundlage fehlte. Nicht bloß die Analogie zu der Überlieferung von der Designation Heinrichs I. durch Konrad I 8 könnte die spätere Annalistik dazu verführt haben; in den Reihen der kaiserlichen Partei hat sich im Laufe des elften Jahrhunderts offenbar im Zusammenhang mit den Wahlkämpfen des Investiturstreits die Vorstellung vom Designationsrecht des Königs verbreitet und befestigt: die Nachricht der vier genannten Chronisten (und sie sind überwiegend kaiserfreundlich) könnte, sowenig sie eine tendenziöse Farbe hat, auf eine durch solche Vorstellungen bestimmte allgemeine Tradition zurückzuführen sein. 5 8 7 8
Worauf natürlich z. B. auch Breßlau a. a. O. hinweist. Vgl. SS. III, S. 89 f. Vgl. Die W e r k e Wipos, hrsg. von H. Breßlau in SS. rer. Germ, in us. schol. ( 1 9 1 5 ) . Worauf Breßlau nach dem Vorgang von A r n d t in den Jahrbb. Heinrichs II., S. 3 5 7 hinweist.
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Doch so plausibel das alles klingen mag, gesichert ist damit nichts. Wenn man zeigt, wie die spätere Tradition entstanden sein kann, so besagt das nicht, daß sie so entstanden sein muß, und ihren vier unabhängigen Zeugnissen gegenüber sagen zu wollen: sie müssen irren, halte ich für etwas kühn 9 . Wenn auf der andern Seite die älteren Quellen, vor allem Wipo, trotz aller Gründe, die uns ihr Schweigen zu verbieten schienen, schweigen, so besagt auch das weniger, als man auf den ersten Blick annehmen möchte. Je mehr man sich mit der mittelalterlichen Geschichtschreibung und überhaupt mit der mittelalterlichen Schriftstellerei beschäftigt, um so skeptischer wird man gegenüber allen Versuchen, die Motive, nach denen diese Schriftsteller so oder anders redeten oder schwiegen, zu enträtseln. Wer weiß denn, was für ein Idealbild der schönredende, salbungsvolle und phrasenhafte Wipo von einer Königs293 wähl hatte, und welche Gründe ihn trotz aller Gegengründe, die wir vorbringen möchten, veranlaßten, die Designation seines Helden zu übergehen? Das Resultat unserer Überlegungen ist also ein Non liquet; welche der beiden Anschauungen über die Designation Konrads II. recht hat, läßt sich nicht entscheiden. Ich halte diese Designation für sehr unwahrscheinlich, aber ich glaube nicht, daß man sagen darf, sie hat nicht stattgefunden. Noch weniger als die Nachrichten von der Designation des älteren Konrad ist die Überlieferung von der des jüngeren in der Literatur ernst genommen worden. Man hat nur sehr vorübergehend versucht, sie zu verteidigen 10 , und heute wird sie wohl allgemein abgelehnt. Ademar von Chabannes, ein Mönch in einem Kloster zu Angouleme in Aquitanien, der gleichzeitig mit den Ereignissen schrieb, erzählt, Heinrich II. habe bei seinem Tode die Reichsinsignien dem jüngeren Konrad überlassen u . Der sei schwer erkrankt und habe die Insignien (oder einen Teil davon?) dem älteren Konrad übergeben: stürbe er, so solle dieser König werden, bleibe er leben, so solle er die Insignien zurückerhalten. Doch trotz der Genesung des jüngeren Konrad habe der ältere auf den Rat des Papstes, der Bischöfe und Großen das Reich übernommen. Bis zur zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts, wo Ademars Geschichte noch etwas phantastischer ausgestaltet bei einigen Chronisten auftaucht 12 , sagt außer ihm niemand etwas von einer Designation des jüngeren Konrad; und man muß denen, die Ademars Behauptung ohne weiteres ablehnen, zugeben, daß sein Bericht nicht gerade wahrscheinlich klingt. Freilich Breßlaus Haupteinwand 13 , man könne dem • Die vier Chronisten machen trotz ihres größeren zeitlichen Abstandes einen weitaus solideren Eindruck als etwa die, denen wir die Nachricht über die Designation Heinrichs I. durch Konrad I. verdanken, und denen die Forscher im allgemeinen anstandslos geglaubt haben; eine Nachricht, der gegenüber ich freilich ebenso für ein Non liquet eintreten möchte wie gegenüber der von der Designation Konrads II.; vgl. dazu Deutsches Archiv 6 (1943), S. 398 ff. [hier nicht aufgenommen, Bibliogr. Nr. 75; vgl. auch Miszellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts II, hier S. 240 ff.]. Vgl. J. Harttung, Studien zur Geschichte Konrads II. (Diss. Bonn 1876); und ders. (unter dem Namen J . v. Pflugk-Harttung), Untersuchungen zur Geschichte Kaiser Konrads II. (1890); gegen die Dissertation vor allem Breßlau in den Jahrbb. des Deutschen Reiches unter Konrad II. (1879), I. S. 343 ff. " SS. IV, S. 144 f. 12 Vgl. Breßlau a. a. O. S. 347. 1 3 Vgl. a. a. O. S. 345.
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älteren Konrad einen solchen Betrug, wie ihn der Mönch von Angouleme ihm zuschreibt, nicht zutrauen, braucht nicht stichhaltig zu sein; denn von allem anderen abgesehen: wenn die Fürsten Konrad II. zum König wählten, so war der Besitz der Insignien eine Nebensache, und es ist etwas viel verlangt, daß Konrad auf die Wahl verzichten sollte, weil seinem Vetter die Insignien hinterlassen waren; von einem eigentlichen Betrug könnte man also kaum reden. Doch sehr viel scheint damit für Ademars Geschichte zunächst nicht gewonnen zu sein. Daß Konrad der Jüngere überhaupt die Insignien weitergab, ist schwer zu glauben, ganz abgesehen davon, daß sie nach Wipos Bericht von Heinrich der Kaiserin Kunigunde übergeben waren; und 294 das Eingreifen des Papstes erscheint noch unglaublicher. Im übrigen liegt auf der Hand, daß die ganze Erzählung auf ein Parteimärchen der in Kamba unterlegenen und enttäuschten Anhänger Konrads des Jüngeren zurückgehen könnte. Aber ist trotz dieser Möglichkeit, und wenn man auch viele oder die meisten Einzelheiten von Ademars Bericht aufgeben müßte, dieser Bericht damit wirklich beiseitegeschoben? Es kommt im Mittelalter, und auch sonst, oft genug vor, daß eine an sich richtige Nachricht entstellt und anekdotenhaft verzerrt wiedergegeben wird. Trotz der Unwahrscheinlichkeit der Einzelzüge könnte der Kern von Ademars Nachrichten, nämlich, daß Heinrich II. Konrad den Jüngeren designierte, richtig sein. Was Ademar sonst über deutsche Ereignisse erzählt, ist meistens nicht ganz einwandfrei, aber auch nicht ganz falsch u . Er braucht mit seinen Behauptungen nicht recht zu haben, aber er braucht auch nicht zu irren. Das Schweigen der andern Quellen besagt in diesem Falle natürlich gar nichts; da sie, soweit sie überhaupt etwas Genaueres sagen, meistens auf der Seite Konrads II. stehen, so haben sie allen Grund, zu schweigen, wenn Ademar recht hat. Und daß die Designation des jüngeren Konrad sachlich nicht unwahrscheinlich oder mindestens nicht unmöglich ist, wird jeder zugeben. Wie schon gesagt, ist Heinrich II. gerade mit Pilgrim von Köln und seiner Partei, die in Kamba für die Wahl Konrads des Jüngeren eintraten, gegen Ende seiner Regierung politisch zusammengegangen. Außerdem könnte sich dem Kaiser eine Designation des jüngeren Konrad döshalb empfohlen haben, weil dieser von allen deutschen Fürsten, die für den Thron in Betracht kamen, den besten Anspruch auf Burgund hatte. Die burgundische Erbschaft hat in der Außenpolitik Heinrichs II. bekanntlich eine sehr große Rolle gespielt, und der Gedanke liegt nahe, daß sich der Kaiser einen Nachfolger bestellte, der ähnliche Rechtstitel auf Burgund geltend machen konnte wie er selbst. Also auch hier wie in der Frage der Designation des älteren Konrad ein Non liquet. Es ist nach alledem möglich, vielleicht wahrscheinlich, daß 1024 überhaupt keine Designation ausgesprochen wurde; aber man muß auch mit der Möglichkeit rechnen, daß der ältere oder daß der jüngere Konrad designiert worden ist. Dieses unbestimmte Resultat mag ärgerlich sein. Aber ich halte es für nützlicher, die Grenzen unseres Wissens möglichst genau abzustecken und einzugestehen, als sich für eine Behauptung zu entscheiden, die sich nicht beweisen läßt. Im übrigen mag 295 die Frage, ob und wen Heinrich II. designierte, an sich eine Bagatelle sein. Doch im 14
J. v. Pflugk-Harttung scheint mir ihn zu günstig, Breßlau zu ungünstig zu beurteilen.
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Zusammenhang mit der Königswahlforschung und der Beurteilung des Designationsrechtes gewinnt sie eine gewisse Wichtigkeit. Wenn Heinrich den jüngeren Konrad designierte, so haben die Wähler von Kamba gegen die Designation entschieden. Designierte er den älteren, so gab es wenigstens eine bedeutende Partei, die gewillt war, gegen die Designation zu handeln. In beiden Fällen hätte die Designation eine die Wähler wirklich bindende Lage nicht geschaffen. Gewiß, da sich darüber, ob 1024 überhaupt designiert wurde, nichts Bestimmtes ausmachen läßt, so ist mit dem eben Gesagten weiter nichts als eine Möglichkeit festgestellt; aber mit dieser Möglichkeit jedenfalls muß man bei der Beurteilung des Designationsrechtes rechnen.
II. Bekanntlich sagt Wipo , daß nach dem Tode Heinrichs II. die mächtigsten der weltlichen Fürsten vi tnagis quam ingenio nach dem Throne strebten; daher sei es zu Zwietracht im ganzen Reich und beinahe zu bewaffneten Konflikten gekommen. Auf dem Wahltag in Kamba habe man dann lange gestritten, wer König werden sollte. Den einen habe sein Alter, den anderen seine Jugend, andere Unerprobtheit oder Übermut vom Throne ausgeschlossen: inter multos pauci electi sunt, et de paucis admodum duo sequestrali sunt. Zwischen diesen beiden, den beiden Konraden, habe der Adel lange geschwankt; schließlich sei es nach Verhandlungen und einer gütlichen Einigung zwischen den Vettern (einer Einigung, deren umstrittener Inhalt uns hier nichts weiter angeht) zur Wahl des älteren Konrad gekommen. 15
Diesen Bericht hat die ältere Forschung im allgemeinen für bare Münze genommen, und z. B. noch Giesebrechts Erzählung von Konrads Königswahl beruht im wesentlichen auf Wipos Angaben 16 . Soweit ich sehe, ist es wieder vor allem Breßlaus abweichende Anschauung gewesen, die diese Ansichten völlig umgestoßen hat. Er meint in den Jahrbüchern Konrads II., für Wipos Behauptung von den vielen Bewerbern um die Krone fehle jeder Anhalt, und mindestens in Kamba sei von Anfang an eine Kandidatur nur der beiden Konrade als der nächsten Verwandten der Ottonischen Dynastie ernsthaft in Betracht gekommen. Dasselbe glaubt im wesentlichen die gesamte neuere Forschung, wobei Breßlaus Meinung meistens noch etwas ver29 « schärft oder vergröbert übernommen wird. Nach Heinrichs Tode hätten die Fürsten nur zwischen den beiden Konraden die Wahl gehabt, und diese seien durch ihr Erboder Geblütsrecht legitimiert gewesen. Im Grunde ist danach 1024 die Krone von den Ottonen auf die Salier vererbt worden; das Wahlrecht der Fürsten trat nur in Erscheinung, insofern es zwischen den Erbansprüchen der beiden Konrade zu entscheiden hatte. Diese Ansicht scheint mir unbegründet zu sein. Sie steht nicht bloß im Widerspruch zu den Aussagen der Quellen, sondern auch zu den tatsächlichen Verhältnissen. Sieht man sich zunächst Wipos Erzählung genauer an, so ist vollkommen klar, daß er ungefähr das Gegenteil von dem sagt, was die herrschende Meinung annimmt. 15
Vgl. oben S. 4 2 3 , Anm. 7.
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Vgl. W . Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit II, 5. Aufl. ( 1 8 9 5 ) , S. 2 1 0 ff.
Zur Wahl Konrads II.
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Nicht bloß, daß er, wie bemerkt, von mehreren Prätendenten und einer Auswahl unter ihnen spricht - aus allem, was er erzählt, geht ganz deutlich hervor, daß für ihn das Geblütsrecht der beiden Konrade überhaupt keine oder höchstens eine verschwindend geringe Rolle spielt, und daß für ihn die Entscheidung von 1024 durch das Wahlrecht der Fürsten und eine freie Wahl herbeigeführt wird. Gewiß, in den Versus Pro obitu Chuonradi imperatoris, die als vierzigstes Kapitel der Vita angehängt sind, sagt er von Konrad: regum sanguine genitus, und in seiner Cantilena in Chuonradum II. imperatorem heißt es: ortus avorum stemmate regum 17; aber um so bezeichnender ist es, daß er in der Vita selbst, und zwar im Bericht über die Vorgänge von Kamba, weiter nichts über die Abstammung Konrads zu bemerken hat, als daß er, wie auch sein Vetter, ex parte genitorum nobilissimus war; dazu erzählt er, wer die Väter der beiden Vettern und daß sie Enkel Ottos von Kärnten und Neffen Papst Gregors V. und des Bischofs Wilhelm von Straßburg waren, und er bemerkt schließlich, daß Konrads II. Mutter ex nobihssima gente Liutharingorum und angeblich sogar von den Trojanischen Königen abstammte. Darüber aber, worauf nach der Ansicht der modernen Forschung alles ankam, daß Konrad ein Urenkel der Liudgard und ein Nachkomme Ottos des Großen war, verliert er kein Wort, was um so auffälliger ist, als er offenbar bestrebt ist, den Adel und die Vornehmheit der Abstammung seines Helden hervorzuheben. Im übrigen betont er ganz nachdrücklich und in mehrfachen Wiederholungen, daß es die Entscheidung der Fürsten war, die nicht bloß zwischen den beiden Konraden zu wählen hatte, sondern die ihnen beiden auch gegenüber anderen möglichen Kandidaten und Prätendenten die Aussicht auf den Thron gab. Man darf sich nicht dadurch irritieren lassen, daß zum Schluß eine einstimmige „Kur" des älteren Konrad stattfand (der die widerstrebenden Lothringer noch dazu 297 fernblieben). Um eine von vornherein irgendwie feststehende oder allein durch die Verhandlungen der beiden Konrade und damit letzten Endes durch ihr Geblütsrecht allein bedingte Angelegenheit handelt es sich dabei keinesfalls. Diese Kur ist nach allem, was Wipo selbst sagt, lediglich die Deklaration einer Entscheidung, die die Fürsten in ihren Wahlverhandlungen getroffen hatten. Nachdem er davon gesprochen hat, daß der große Kreis der Kandidaten durch die Auswahl der Fürsten auf die beiden Konrade eingeschränkt war, läßt Wipo den älteren der beiden zu seinem Vetter sagen, daß der consensus der ganzen Versammlung sie beide ausgewählt habe; durch aliena consensio seien sie der Ehre des Königtums für würdig gehalten; nicht in ihrer Macht habe es gestanden, daß aus so vielen Bewerbern die Wahl auf sie beide beschränkt worden sei; freiwillig werde ihnen die Krone von den anderen geboten, und es sei möglich, daß der populus sich wieder von ihnen abwende und irgendeinen dritten wähle; ja es wird ausdrücklich betont, daß sie durch ihre nobilitas oder divitiae ihre propinqui nicht übertreffen. Man mag (was bekanntlich im einzelnen umstritten ist) den Quellenwert Wipos nicht sehr hoch veranschlagen, ja man könnte sogar, wie schon oben angedeutet, vermuten, daß sein Bericht über die Vorgänge in Kamba mehr von dem ihm irgendwie 17
Vgl. Werke S. 61 und S. 103.
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entstandenen Idealbild einer freien Königswahl als von dem tatsächlichen Verlaut der Dinge diktiert worden ist - aber, daß er sich wirklich irrt, läßt sich in keiner Weise begründen und noch weniger beweisen. Wohl aber läßt sich eine Reihe von Momenten anführen, die das, was er sagt, in den entscheidenden Punkten bestätigen. Es ist merkwürdig, wie wenig in den gleichzeitigen oder annähernd gleichzeitigen Quellen, die von der Wahl berichten, von der Abstammung Konrads und seiner Verwandtschaft mit den Ottonen die Rede ist. Außer in den erwähnten Versen Wipos wird nur in den Quedlinburger Annalen auf diese Dinge eingegangen 1 8 ; da heißt es einmal: Conradus inclyta regum prosapia ortus, und nachher wird der neue König als consangutneus der letzten Ottonischen Prinzessinnen bezeichnet. Davon, daß er ein Nachkomme Ottos des Großen war, wird in der Historiographie der Zeit ebensowenig wie bei Wipo ein Wort gesagt, und noch weniger, daß er dieser Tatsache den Thron verdankte. Im Gegenteil, wenn nicht überhaupt nur von der Wahl durch die Fürsten gesprochen wird, so wird ihr doch überall das Hauptgewicht beigelegt. Und wenn in den meist sehr dürftigen und einsilbigen Quellen von anderen Kandidaten im allgemeinen auch nicht die Rede ist (was eben wegen ihrer Dürftigkeit 298 nichts beweist), so finden sich Angaben darüber doch bei Wolfhere 19 und bei Rodulfus Glaber 20 . Bei jenem ist von einer plurimorum diversa disceptatio und de regni monarchia contentio nach dem Tode Heinrichs II. die Rede; und dieser spricht davon, daß sich damals nonnulli primates um den Thron beworben hätten. Mögen sich diese beiden Quellen auch nicht gerade durch Kenntnis und Zuverlässigkeit auszeichnen, so ist doch nicht einzusehen, warum sie in diesem Punkte irren sollen, und warum man aus ihrem voneinander und von Wipo unabhängigen Zeugnis nicht eine Bestätigung von Wipos Mitteilung über das Auftreten mehrerer Thronbewerber entnehmen soll. Daß tatsächlich nach dem Tode Heinrichs II. die beiden Konrade keineswegs die einzigen Thronprätendenten waren, würde man aber auch annehmen können, wenn es die Quellen nicht ausdrücklich versicherten. Anscheinend ist die Forschung des letzten halben Jahrhunderts immer von der Voraussetzung ausgegangen, daß die beiden Konrade die einzigen Seitenverwandten der Ottonischen Dynastie waren, die Erbansprüche erheben konnten. In Wirklichkeit gab es außer ihnen noch ziemlich viele Verwandte der Ottonen, die kein schlechteres Recht hatten als sie; Verwandte, die der französischen, polnischen und ungarischen Dynastie angehörten, aber auch Verwandte, die deutsche Fürsten waren. Beginnen wir mit den Ausländern. Da ist zunächst als nächster Verwandter Heinrichs II. sein Neffe Heinrich oder Emmerich, der Sohn Stephans von Ungarn und von Heinrichs II. Schwester Gisela; wie Heinrich II. selbst war er also ein Nachkomme Heinrichs I. und infolge seiner nahen Verwandtschaft mit dem letzten König nach erbrechtlichen Gesichtspunkten vielleicht der bestberechtigte Prätendent. Nachkommen Heinrichs I. waren durch seine Tochter Hathui, die mit Hugo von Franzien vermählt war, der französische König Robert II. und sein Sohn, der spätere Heinrich I. Näher noch als diese mit der 18 20
Vgl. oben S. 4 2 3 , Anm. 6. Vgl. SS. VII, S. 6 6 .
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Vgl. SS. X I , S. 166.
Zur Wahl Konrads II.
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Ottonischen Dynastie verwandt war Kasimir, der freilich noch unmündige Sohn Misikos II. von Polen und der Richeza; Richeza war die Tochter des lothringischen Pfalzgrafen Ezzo und der Mathilde, der Schwester Ottos III., Kasimir also ein Urenkel Ottos II. Wer die deutsche Geschichte im elften Jahrhundert kennt, wird vielleicht die Vorstellung absurd finden, daß damals ein Ausländer auf den deutschen Thron erhoben worden sein könnte. Ich weiß nicht, ob die Zeitgenossen das auch ganz so absurd gefunden hätten. Aber wenn uns diese Vorstellung wirklich absurd erscheint, warum ist das so? Doch nur, weil wir der (eingestandenen oder nicht eingestandenen) Überzeugung sind, daß das Erb- und Geblütsrecht bei der Erhebung des deutschen Königs im besten Falle bloß eine sehr eingeschränkte Bedeutung hatte. In den ersten Jahrzehnten des elften Jahrhunderts ist das burgundische Reich nach erbrechtlichen Grundsätzen an Ausländer gekommen, und in den vierziger Jahren desselben Jahrhunderts schienen in Ungarn die Dinge einen ähnlichen Verlauf zu nehmen. Was früher in den Nachfolgestaaten des Karolingerreiches und später in fast allen europäischen Staaten auf diesem Gebiet geschehen ist, ist zu bekannt, als daß man hier daran erinnern müßte. Wenn für das deutsche Reich im Jahre 1024 ähnliche Gesichtspunkte nicht in Frage kamen, so beweist das nur, daß das Erb- und Geblütsrecht durch andere Prinzipien beiseitegeschoben war. Von deutschen Fürsten sind, gleichfalls durch Hathui und Hugo von Franzien, als Nachkommen Heinrichs I. die Herzöge Dietrich und sein Sohn Friedrich von Lothringen zu nennen. Vor allem aber als nächste Verwandten des Ottonischen Hauses Liudolf und Otto, die Söhne des schon erwähnten Pfalzgrafen Ezzo und der Mathilde, der Schwester Ottos III. Als Enkel Ottos II. standen sie der ausgestorbenen Dynastie erheblich näher als die beiden Konrade, die bloß Ururenkel Ottos des Großen waren. Man könnte einwenden, daß die Ehe der Prinzessin Mathilde mit dem Pfalzgrafen Ezzo von den Zeitgenossen anscheinend als Mesalliance angesehen wurde, und daß ihre Söhne daher nicht als erbberechtigt oder gleichberechtigt mit den übrigen Verwandten der Ottonen galten. Doch wenn es auch richtig sein mag, daß man über Mathildes Heirat den Kopf schüttelte, jene Folgerung ist zweifellos verkehrt. Man fand es anscheinend unangemessen, daß die Kaisertochter, die Tochter Ottos II. und einer byzantinischen Prinzessin, zu einer Zeit, in der man sich daran gewöhnt hatte, daß sich das Ottonische Haus mit den großen Dynastien des Westens und Ostens verschwägerte, einem gewöhnlichen kleinen lothringischen Pfalzgrafen die Hand reichte. Doch etwaige Erbansprüche ihrer Kinder konnten dadurch sowenig beeinträchtigt werden, wie etwa die Konrads II. dadurch gemindert wurden, daß er ein verhältnismäßig armer Edelfreier war. Daß tatsächlich die Nachkommen Ezzos und der Mathilde nicht als unebenbürtig galten und dadurch von Ansprüchen auf den deutschen Thron ausgeschlossen wurden, ergibt sich im übrigen daraus, daß man im Jahre 1045 bei einer schweren Erkrankung Heinrichs III. daran dachte, Liudolfs Sohn Heinrich, der gleichfalls lothringischer Pfalzgraf war, zum Nachfolger cies Kaisers zu machen. Man sieht, auch wenn man am Geblütsrecht festhielt, mußte man 1024 nicht bloß mit den beiden Konraden, sondern mit verhältnismäßig vielen Kandidaten für den
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300 Thron rechnen. Aber es besteht nicht der geringste Grund zu der Annahme, daß der Kreis der Thronkandidaten von 1024 sich auf die Verwandten der Ottonischen Dynastie beschränkte. Wenn aus allem, was Wipo sagt, das Gegenteil hervorgeht, und wenn die andern Quellen seine Ansicht entweder bestätigen oder ihr doch nicht widersprechen, so entspricht das nur dem, was über die Vorgänge bei dem letzten Thronwechsel vor dem von 1024 bekannt ist, bei dem Thronwechsel von 1002. Damals waren neben den Angehörigen des Ottonischen Hauses, Otto von Kärnten und Heinrich von Bayern, Prätendenten aufgetreten, die keinerlei Erbansprüche geltend machen konnten: Hermann von Schwaben und Ekkard von Meißen. Sie hatten ihre Anhänger gefunden, und es hatte - nach dem Verzicht Ottos von Kärnten - zwischen ihnen und Heinrich die Entscheidung lange geschwankt. Es ist nicht einzusehen, warum es 1024 nicht ähnlich gewesen sein soll, zumal diesmal im Gegensatz zu 1002 die „legitimen" Prätendenten nur in weiblicher Linie mit der ausgestorbenen Dynastie verwandt waren. Freilich eines ist zuzugeben: Wenn Wipos Ansicht, daß es sich 1024 um eine freie Wahl handelte, auch richtig sein dürfte, so hat man sich schließlich doch auf zwei Kandidaten geeinigt, die durch Erbansprüche legitimiert waren. Das bedeutete eine Anerkennung des Geblütsrechts. Und warum erkannte man es an? Nun, vermutlich aus denselben Gründen, aus denen sich das Legitimitätsprinzip meistens empfiehlt. Es bietet einem objektiven Maßstab dar, der am einfachsten aus dem Gewirr von einander widerstrebenden Meinungen und Partedungen herausführt 21 . Daneben dürfte die hervorragende politische Eignung des älteren Konrad eine entscheidende Rolle gespielt haben. 21
D a ß damit nichts gegen die sakrale Bedeutung und die sonstigen Hintergründe des Geblütsrechts gesagt sein soll, brauche ich wohl nicht zu betonen.
Die Entstehung des Kurfürstenkollegs Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse, Band 99. H e f t 2 Berlin, Akademie-Verlag, 1952. 54 S.
VORBEMERKUNG
Der Vortrag, den ich hier vorlege, ist für den Druck erheblich verändert und erweitert worden. Trotzdem ist die kleine Schrift, die auf diese Weise entstanden ist, von Vollständigkeit weit entfernt. Sie ist viel mehr eine Skizze als eine erschöpfende Untersuchung, geschweige denn eine nach allen Richtungen ausgewogene Darstellung der Entstehung des Kurfürstenkollegs. Mir lag nur daran, eine Reihe von Gesichtspunkten hervorzuheben, die mir wichtig zu sein scheinen und die wenigstens teilweise neu sind; auf die Einzelheiten der Spezialforschung bin ich dabei nicht allzu sehr eingegangen. Im Zitieren und in der Auseinandersetzung mit der Literatur habe ich mich auf ein Minimum beschränkt; dagegen habe ich, damit dem Leser die Möglichkeiten und Grenzen unserer Erkenntnis deutlich werden, das Wichtigste, was wir aus den Quellen erfahren, einigermaßen vollständig mitgeteilt. Der Titel entspricht mehr dem Bedürfnis nach Kürze und Einfachheit als nach absoluter Genauigkeit; ganz korrekt müßte er eigentlich heißen: Über die Entstehung des Vorstimmrechts und des ausschließlichen Wahlrechts der Kurfürsten. Halle a. S., Oktober 1951.
M. L.
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EINLEITUNG Wenn man die Verfassung des Deutschen Reiches, wie sie von der zweiten Hälfte des dreizehnten bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts gewesen ist, über alle zeitlichen Wandlungen und Unterschiede hinweg mit einem kurzen Schlagwort charakterisieren will, so gerät man in einige Verlegenheit Am ehesten könnte man vielleicht das sonderbare staatsrechtliche Monstrum, das sich Römisches Reich und später Heiliges Römisches Reich deutscher Nation nannte, als Fürstenrepublik bezeichnen, an deren Spitze ein auf Lebenszeit gewählter Präsident, der König oder Kaiser, stand. Man müßte sich nur darüber klar sein, d a ß diese Bezeichnung sehr vereinfachend und sehr vergröbernd ist; nicht bloß, daß sie wesentliche Elemente des deutschen Reichsgebildes wie die Reichsstädte und die Reichsritterschaften überginge, sie ließe auch eine Gruppe von Fürsten unberücksichtigt, die innerhalb oder vielmehr oberhalb des Kreises der übrigen Fürsten eine besondere und zeitweise ganz entscheidende verfassungsrechtliche Rolle spielten: die Kurfürsten. Für bestimmte Zeiten wenigstens könnte man das Römische Reich mit gutem Gewissen als Kurfürstenrepublik bezeichnen.
Doch wenn die Stellung der Kurfürsten auch mitunter, besonders gegen E n d e des dreizehnten und im vierzehnten Jahrhundert, so bedeutend war, daß sie geradezu das Reich und die Reichsregierung repräsentierten, ihre ursprüngliche, eigentliche und vornehmste Funktion (wovon alles andere im Grunde nur eine Folge war) ist es doch stets gewesen, den König zu wählen. D i e sieben Kurfürsten, die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, sowie der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen, der 8 Markgraf von Brandenburg und der König von Böhmen, verfügten über den deutschen Thron, und sie taten es allein; die übrigen Fürsten und Angehörigen des Reiches waren von einer Mitwirkung dabei ausgeschlossen. Es ist keineswegs immer so gewesen, daß nur die sieben Kurfürsten den König zu wählen hatten. Im frühen und hohen Mittelalter war die Königswahl grundsätzlich eine Angelegenheit des ganzen Volkes. Freilich sind die Beteiligungs- und Wirkungsmöglichkeiten des Volkes immer nur sehr problematisch gewesen, und praktisch blieb die Wahl stets der Aristokratie, den Fürsten und Großen, vorbehalten. D a s war eine Gruppe, die sich nach unten schwer abgrenzen läßt; doch zweifellos zählten zu ihr mehrere hundert Personen. D e r sogenannte jüngere Reichsfürstenstand, der sich im letzten Drittel oder Viertel des zwölften Jahrhunderts stabilisierte, und von dem die nicht in einem unmittelbaren Lehensverhältnis zur Krone stehenden „Magnaten" ausgeschlossen waren, umfaßte dann nur etwa hundertundzehn bis hundertundzwanzig Mitglieder. Wieweit durch diese Verringerung der Zahl der Fürsten auch eine Verringerung der Zahl der an der Königswahl Beteiligten eintrat, steht nicht ganz fest; aber selbst wenn die Magnaten irgendwann (nach der herrschenden und in diesem Punkte wohl richtigen Meinung nicht vor 1237) aus der Wahl verschwanden, so bleibt doch sicher, daß in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts noch mindestens hundertundzehn Fürsten das Recht hatten, an ihr teilzunehmen.
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Das ändert sich dann, und zum ersten Male im Jahre 1257, bei der Doppelwahl Richards von Cornwallis und Alfons' von Kastilien, erscheinen die sieben Kurfürsten als die alleinigen Wähler des Königs. Immerhin haben damals offenbar noch ein paar Fürsten eine bescheidene Mitwirkung bei den Vorbereitungen der Wahl ausgeübt, und einige sind bei der Wahl selbst wenigstens zugegen gewesen. Aber dieser Rest einer nichtkurfürstlichen Beteiligung ist bei der nächsten Königswahl, der Rudolfs von Habsburg im Jahre 1273, völlig verschwunden. Von jetzt an haben ganz zweifellos und unbestritten nur noch die Kurfürsten etwas bei dem Wahlvorgang zu suchen. Darüber, wie das Kurfürstenkolleg 1 entstanden ist und wie es sein ausschließliches 9 Wahlrecht erhalten hat, gibt schon kurze Zeit nach seiner Herausbildung die historische Überlieferung einige Nachrichten. Doch wenn in ihnen die Kurfürsten in die Zeit Ottos III. und Gregors V., später auch Karls des Großen zurückversetzt werden und bald dem Papst, bald dem Kaiser die Verantwortung für ihr Auftreten zugeschrieben wird, so ist es ganz deutlich und unbestritten, daß es sich dabei um reine Phantasien handelt. D i e Quellen der Zeit aber, in der sich das Kurfürstenwahlrecht herausgebildet haben muß, sagen über sein Zustandekommen direkt gar nichts. Immerhin lernen wir eine Reihe von Nachrichten und Momenten kennen, aus denen wir wenigstens gewisse Schlüsse ziehen können. Seit dem Ende des zwölften Jahrhunderts tauchen Anzeichen dafür auf, daß sich aus der Zahl der Teilnehmer an der Königswahl eine kleine Gruppe von irgendwie besonders Berechtigten oder Bevorrechtigten heraushebt, und ganz deutlich ist, daß, bevor sich das ausschließliche Wahlrecht der Kurfürsten durchsetzte, es eine Entwicklungsstufe gegeben hat, auf der die späteren Kurfürsten zwar noch nicht das ausschließliche Wahlrecht, wohl aber ein Vorstimmrecht vor den übrigen Wählern hatten. Wir vergegenwärtigen uns zunächst das in Betracht kommende Nachrichtenmaterial im Zusammenhang mit einem Überblick über die Königswahlen seit 1198 2 . 1
Wenn hier und im folgenden vom Kurfürstenkolleg die Rede ist, so ist damit einfach die G e samtheit der Kurfürsten gemeint, ohne dal? über die Verfassung des „Kollegiums" etwas gesagt sein soll.
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Für die im folgenden Kapitel gegebenen Nachrichten und Quellenzitate verweise ich allgemein auf M. Krammer, Quellen zur Geschichte der deutschen Königswahl und des Kurfürstenkollegs, wovon mir nur die erste Auflage ( 1 9 1 1 ) zugänglich ist; weiter auf Böhmer-FickerWinkelmann, Regesta imperii V, und wenigstens für die Wahlen bis 1 2 2 0 auf E . Winkelmann. Jahrbücher des deutschen Reiches unter Philipp von Schwaben ( 1 8 7 3 ) , Otto IV. ( 1 8 7 8 ) und Friedrich II., I ( 1 8 8 9 ) sowie auf die letzte ausführliche Untersuchung und Darstellung der Königswahlen, die wir besitzen: H. Mitteis, Die deutsche Königswahl und ihre Rechtsgrundlagen bis zur Goldenen Bulle, 2. Auflage ( 1 9 4 4 ) . Literaturzitate gebe ich mit geringen Ausnahmen nicht, doch verweise ich für die in Betracht kommende Literatur auf das, was ich unten S. 4 4 1 darüber sage - Wenn im folgenden Kapitel von „Wahl", „Wählen" usw. geredet wird, so sind die W o r t e in demselben wenig präzisen Sinne gebraucht, in dem in den Quellen im allgemeinen die W o r t e „electio", „eligere" usw. verwandt werden. Darüber, daß diese Worte sowohl „wählen" wie „küren" oder beides bedeuten können, vgl. unten S. 4 4 6 , Anm. 16.
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L i n t z e l B d . II
ERSTES K > PITEL DAS
QUELLENMATERIAL
1. D a ß bei der Wahl Philipps von Schwaben, die im Frühjahr 1198 in einigen thüringischen Orten, vor allem in Mühlhausen, erfolgte, allen Fürsten und Magnaten 10 das Wahlrecht zugebilligt und von ihnen, soweit sie sich überhaupt beteiligten, auch ausgeübt wurde, ist keine Frage; selbst Ministerialen haben offenbar mitgewirkt. Fraglich dagegen ist, ob das bei der Wahl Ottos IV., die etwas später in Köln erfolgte, auch so war. Es ist mindestens mit der Möglichkeit zu rechnen, daß hier die Angehörigen des jüngeren Reichsfürstenstandes die übrigen bisherigen Königswähler in irgendeiner, freilich schwer bestimmbaren Weise in den Hintergrund drängten. Für unsere Fragestellung nun ist wesentlich oder wird wenigstens im allgemeinen als wesentlich angesehen die Tatsache, daß in den Auseinandersetzungen und Erklärungen, die der Doppelwahl folgten, auf weifischer und auf päpstlicher Seite einige Male von Fürsten die Rede ist, denen die Wahl zustehe oder denen sie vornehmlich und in erster Linie zukomme. So wird in Aktenstücken der weifischen Partei davon geredet, Otto sei von Fürsten gewählt worden, ad quos de iure spectat electio oder qui de iure eligere debent, oder auch, die Mehrzahl von denen habe Otto gewählt, qui vocetn habere in imperatoris electione noscuntur. In der Deliberatio Innozenz' III., in der der Papst die Gründe und Gegengründe für das Recht der beiden Gewählten abwägt, heißt es einmal, daß tot vel plures ex bis, ad quos principaliter spectat imperatoris electio, in eutn (sc. Ottonem) consensisse noscuntur quot in alterum (sc. Philippum) consenserunt. Und in der Bulle Venerabilem, in der Innozenz die 11 Anerkennung Ottos IV. ausspricht, wird betont, Otto sei erwählt oder nachträglich erhoben worden von plures ex Ulis, qui eligendi regem. . .de iure ac consuetudine obtinent potestatem. Während man in den Bemerkungen der weifischen Partei über die Fürsten, denen die Wahl zustehe, im allgemeinen Hinweise auf den jüngeren Reichsfürstenstand erblicken möchte, meint man, daß in den entsprechenden Wendungen des Papstes eine kleinere bevorrechtigte Wählergruppe hervorgehoben werde; eine Gruppe, die die Vorläuferin des späteren Kurfürstenkollegs sei. Mitunter sieht man in den Fürsten, ad quos principaliter spectat electio oder qui eligendi regem obtinent potestatem geradezu dieselben sieben, die später Kurfürsten wurden.
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Neuerdings aber möchte man die Worte Innozenz' nur auf die rheinischen Erzbischöfe und den Pfalzgrafen bei Rhein beziehen 3 . Man könnte in dem Zusammenhang darauf hinweisen, daß nach der Kölner Königschronik die Erzbischöfe von Köln und von Trier 1198 behaupteten, die Königswahl (d. h. wohl in erster Linie ihre Leitung und Einberufung) sei ihre Sache 4 , und daß nach der Weingartner Fortsetzung des Honorius Augustodunensis der Erzbischof von Köln die Wahl Philipps deshalb beanstandet habe, weil weder der Erzbischof von Mainz noch der Pfalzgraf bei Rhein zugegen gewesen s e i 5 ; oder auch, daß es in einer anderen Quelle aus dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts heißt, der Pfalzgraf sei summus in electione imperatoris. Und man hat darauf hingewiesen, daß Roger von Hoveden von vier Fürsten berichtet, die aus zwölf Kandidaten, welche die deutschen Fürsten aufstellen, den König zu wählen hatten 6 . Wenn Roger als diese vier Köln, Mainz, Pfalz und Sachsen nennt, 12 so sei das natürlich irrig, und für Sachsen sei Trier einzusetzen. D a ß aber der Papst in seinen Erklärungen tatsächlich die drei rheinischen Erzbischöfe und den Pfalzgrafen meint, will man endlich daraus schließen, daß in diesem Falle seine Behauptung, es seien tot vel plures von den Berechtigten für Otto wie für Philipp eingetreten, am besten zutreffe. 2. Im Januar 1205 kam Philipp nach seinem Siege über Otto IV., wie die Kölner Königschronik berichtet, cum universis pene principibus regni nach Aachen, legte hier, ut principef suam liberam electionem . . . non perdant, den königlichen Namen und die Krone nieder, et ut concorditer ab omnibus eligatur precatur. D a s geschah: ab omnibus eligitur. O b es sich bei den principes um Fürsten des neuen Reichsfürstenstandes oder um Fürsten alten Rechtes handelte, geht weder aus der Kölner noch aus einer anderen Quelle hervor, und, was für uns die Hauptsache ist, von irgendwelchen aus der Masse der principes hervorragenden Berechtigten ist nichts zu bemerken. 3. Nach der Ermordung Philipps wurde Otto von den sächsischen und thüringischen Fürsten (oder mindestens einem großen Teil von ihnen) in Halberstadt im September 3
Vgl. Mitteis, a. a. O., S. 132 ff.
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Es heißt da: Coloniensis et Trevirensis archiepiscopi electionem regis sui iuris esse firmantes .. . Daß das nicht heißen soll, die beiden Etzbischöfe beanspruchten die Wahl als ihr ausschließliches Recht, versteht sich von selbst, und es wird durch denselben Satz der Kölner Königschronik bewiesen, in dem es heißt, daß sie im Einvernehmen mit anderen Fürsten für omnes principes einen Wahltag nach Köln einberiefen.
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Es heißt da: Coloniensis archiepiscopus malignabatur adversus eum, electionemque talem calumpnians, cui nec Moguntinus archiepiscopus seu palatinus regalis aulae interfuerint. Dort heißt es: Qualiter proced.end.um est in eleccione Romanorum imperatoris. Defuncto itaque imperatore archiepiscopi, episcopi, abbates, duces, comites et omnes ceteri magnates Alemannie in unum convenientes, debent 12 viros eligere communiter et eos presentare archiepiscopo Coloniensi et archiepiscopo Maguntino et duci de Saxonia et comiti Palatino de Reno; et quemcumque Uli quatuor elegerint de predictis 12 electis, erit rex Alemannorum . . . In diesem Zusammenhang zieht man manchmal auch noch die Hennegausche Chronik des Gislebert mit ihrer Nachricht heran, daß Friedrich I. von vier Fürsten gewählt sei, die von den übrigen Fürsten als Wähler des Königs bestellt worden waren. Das scheint mir aber unberechtigt zu sein: einmal handelt es sich bei Gislebert um einen Vorgang aus dem Jahre 1152 und nicht um 1198, und zweiten.! ist deutlich, daß er mit den Ereignissen von 1125 verwechselt ist.
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1208 zum König gewählt. Arnold von Lübeck, der am ausführlichsten darüber berichtet (und dessen Worten keine andere Quelle widerspricht), sagt, in Halberstadt sei die maxima pars prelatorum et principum Saxonie et Thuringie zusammengekommen, und sie hätten alle Otto gewählt: arcbiepiscopo (sc. Magdeburgense), qui primam vocem habere videbatur, inchoante, prosequente vero Bernardo ditce cum marchione Misnense et lantgravio Thuringie cum aliis, ad quos electio regis pertinere videbatur. Dann ist die Rede von dem eleclus von Würzburg, der sich zunächst weigert, der Wahl zuzustimmen. Wer die alii sind, ad quos electio regis pertinere videbatur, ist unklar. Von besonders Bevorrechtigten scheint so wenig wie bei der Aachener Wahl von 1205 die Rede zu sein. Aber es ist zu beachten, daß dem Magdeburger Erzbischof die prima vox bei der Wahl zugeschrieben wird und daß im Gegensatz zu den alii außer ihm der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Meißen und der Landgraf von Thüringen namentlich genannt werden; wenn hier also überhaupt irgendwie Bevorrechtigte eine Rolle spielten, so waren es andere als die, die später Kurfürsten wurden, oder für die man 1198 besondere Rechte beanspruchte. 4. Im November 1208 ist dann Otto in Frankfurt von den meisten deutschen Fürsten gewählt worden. Der Erzbischof von Mainz und vielleicht neben ihm auch der Pfalzgraf bei Rhein hatten zu der Wahlversammlung eingeladen. Von irgendwelchen aus der Masse der principes oder universi principes Hervortretenden ist dabei wieder nichts zu entdecken 5. Nach der Exkommunikation Ottos IV. durch Innozenz III. wählte ein Teil der deutschen Fürsten im September 1211 in Nürnberg Friedrich II. zum zukünftigen Kaiser. Von Burchard von Ursperg werden dabei der König von Böhmen, die Herzöge von Österreich und von Bayern und der Landgraf von Thüringen ausdrücklich erwähnt, doch mit den alii quam plures (principes Alamanniae) gleichgestellt, von denen es genauso wie von jenen heißt: elegerunt; von einer Gruppe besonders Bevorrechtigter ist auch hier nicht die Rede. 6. Ebensowenig ist davon die Rede im Zusammenhang mit der Mainzer Wahl Friedrichs im Dezember 1212. Darüber heißt es in dem Brief von Friedrichs Kanzler, dem Bischof Konrad von Metz und Speyer an den König von Frankreich: nos cum ceteris Alemannie tarn dcclesiaslicis quam secularibus principibus . . . dominum nostrum F . . . in dominum et regem Romanorum uniformiter elegimus. Der Kanzler fährt dann fort, daß celebrata electione er una cum ceteris principibus imperii, nobilibus quoque et magnatibus einen Eid geschworen habe, niemals wieder Otto IV. anzuerkennen. Dieser Satz spricht für die große Bedeutung, welche die Magnaten für die Anerkennung des Königs hatten. Aber daraus, daß von ihnen nur im Zusammenhang mit der Eidesleistung, im Zusammenhang mit der Wahl dagegen bloß von den principes die Rede ist, könnte man den freilich etwas unsicheren Schluß ziehen, daß an der Wahl nur Reichsfürsten jüngeren Stils beteiligt waren. Das Wesentliche jedoch ist, daß darüber hinaus von irgendeinem Vorrecht Einzelner wieder nichts erwähnt wird. 7
Die umstrittene Frage, ob es sich hier wie etwa 1 2 0 5 in Aachen um eine Neuwahl oder nur um eine Nachwahl handelte, ist für unsere Fragestellung belanglos.
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7. Umstritten und fraglich ist, ob es sich mit der Wahl Heinrichs (VII.) im April ] 220 in Frankfurt anders verhält. Von ihr berichtet ein Brief des Kanzlers Konrad an den Papst Honorius: (in Heinricum) vota tarn electorum quam etiam omnium principum et nobilium Teutonie convenerunt. In den electores sieht man im allgemeinen denselben Personenkreis wie in den von Innozenz III. Genannten, ad quos electio prmcipaliter spectat, wobei ebenso wie in diesem Falle die Ansichten darüber schwanken, ob man bei den electores an die sieben späteren Kurfürsten oder an eine andere, noch kleinere Gruppe wie die drei rheinischen Erzbischöfe und den Pfalzgrafen zu denken hat. Es besteht aber auch die Möglichkeit, daß die electores die Reichsfürsten oder einen anderen größeren Personenkreis im Gegensatz zu den nichtreichsfürstlichen Magnaten vorstellen. Denn daß diese zu den omnes principes et nobiles mindestens gehören, ist keine Frage, und es ist also deutlich, daß 1220 vom Kanzler zu den Wählern des jungen Königs nicht bloß die Angehörigen des jüngeren Reichsfürstenstandes, sondern auch die sogenannten Magnaten gerechnet werden. 8. Wahrscheinlich in die Zeit um 1220 fällt die Abfassung des Sachsenspiegels. Man datiert ihn jetzt gern auf die Jahre unmittelbar nach 1220. Auf jeden Fall ist er vor der nächsten Königswahl, der Konrads IV. von 1237, niedergeschrieben, und wenn er wirklich schon ein paar Jahre vor 1220 oder eine Reihe von Jahren später entstanden sein sollte, so wäre das für unsere Fragestellung gleichgültig. Im Sachsenspiegel nun findet sich die berühmte Stelle: In des keyseres kore sol die erste sin der biscoph von Trire; die andere die bischoph von Megenze; die dritte der bischopk von Colne. Unter den leien is der erste in deme core der palanzgreve vonme Rine, des riches druzte; die andere die marschalk, der herzöge von Sassen; die dritte die kemerere, der markgreve, von Brandenburch. Die schenke des riches, der käning von Seemen, dei• ne hat nichenen kore, durch daz her nich dudisch nis. Sint so kiesen des riches vorsten alle, pfaffen unde leien. Die zu deme ersten an deme kore benant sin, die ne sollen nicht kiesen nach irme mutwillen, wen swene die vorsten alle zu küninge irwelet, den sollen se allererst bi namen kiesen. Man sieht, hier ist zum ersten Male in der Überlieferung mit deutlichen Worten von den sieben späteren Kurfürsten die Rede. Ebenso deutlich ist, daß sie nach dem Sachsenspiegel noch nicht als Kurfürsten, sondern nur als „Vorwähler" fungieren und daß neben ihnen die anderen Fürsten noch ein Wahlrecht ausüben. Umstritten ist freilich in der Literatur, welche rechtliche und tatsächliche Bedeutung das Vorwahlrecht und damit auch die Rechte der anderen Wähler in Eikes Vorstellung gehabt haben. Umstritten ist weiter die Frage, wie nach Eikes Ansicht das Verhältnis des Vorwahlrechts zu dem Besitz der Erzämter ist, den er den weltlichen Vorwählern zuschreibt. Und umstritten ist schließlich und vor allem die Frage, in welchem Verhältnis Eikes Behauptungen zur geschichtlichen Wirklichkeit stehen. 9. Die Angaben des Sachsenspiegels werden um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts von Albert von Stade in einem Bericht, der sich auf Vorgänge aus dem Jahre 1240 bezieht, folgendermaßen wiedergegeben und ergänzt: Quidam principum ei (sc. papae) rescripserunt: Non esse sui iuris imperatorem substìtuere, sed tantum electum a principibus coronare. Electio enim ad istos dinoscitur pertinere: ex praetaxatione principum et consensu eligunt imperatorem Treverensis, Moguntinus et
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Coloniensis ... Palatinus eligit, quia dapifer est, dux Saxoniae, quia marscalcus, et margravius de Brandenburg, quia camerarius. Rex Boemiae, qui pincerna est, non eligit, quia Teutonicus non est. Man sieht, hier wird das Vorstimmrecht der weltlichen Fürsten ganz unzweideutig als eine Folge ihres Erzamtes angegeben; und ähnlich geschieht es in späteren Quellen des dreizehnten Jahrhunderts, die übrigens seit Martin von Troppau auch für die drei rheinischen Erzbischöfe den Besitz einer Art von Erzamt als Ursache ihres Vorstimm- resp. Kurrechtes angeben: für Mainz und Köln die Erzkanzlerwürde in Deutschland und Italien und für Trier dieselbe Würde in Gallien und Burgund, eine Würde, die dem Trierer Erzbischof freilich erst angedichtet werden mußte und die sich erst zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts wirklich durchgesetzt hat. 10. Im Februar 1237 fand in Wien die Wahl Konrads IV. statt. Über sie besitzen wir einmal eine offizielle Beurkundung der an der Wahl beteiligten Fürsten. Und zwar sind es elf, die ihre Namen selbst in folgender Reihenfolge aufzählen: Die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Salzburg, die Bischöfe von Bamberg, Regensburg, Freising und Passau, der Pfalzgraf bei Rhein (der zugleich Herzog von Bayern war und auch als solcher genannt wird), der König von Böhmen, der Landgraf von Thüringen und der Herzog von Kärnten. Diese elf sagen von sich, daß sie über die Wahl beraten und unanimiter vota nostra contulimus in Conradum ... eligentes ipsum ... in Romanorum regem. Außerdem aber haben wir über die Wiener Wahl eine Notiz der Marbacher Annalen (oder vielmehr ihrer Neuburger Fortsetzung), die besagt: (Chuonradum) elegerunt ^archiepiscopi Moguntinus et Treverensis et rex Boemie et dux Bawarie, qui et comes palatinus Rheni, consentientibus ceteris prineipibus, qui aderant, tarnen paucis. Es ist deutlich: in den Marbacher Annalen erscheinen diejenigen von den elf Fürsten der fürstlichen Wahlbeurkundung, die später zu Kurfürsten geworden sind, als die eigentlichen Wähler, während die übrigen sieben nur zustimmen. Darüber, wie die Angaben der Urkunde und der Annalen zu verstehen und eventuell zu vereinigen sind, gehen die Ansichten auseinander. Nur darin scheint die Forschung, wie schon gesagt, übereinzustimmen, daß bei der Wiener Wahlhandlung nur noch Reichsfürsten jüngeren Rechtes zu Worte gekommen sind: unter den elf Fürsten der Wahlurkunde befinden sich nämlich keine Magnaten. 11. Als beteiligt an der Königswahl des Landgrafen Heinrich Raspe von Thüringen in Veitshöchheim im Mai 1246 lassen sich von Geistlichen sicher nur die Erzbischöfe von Mainz und Köln sowie der Erwählte von Speyer nachweisen. Die Anwesenheit des Erzbischofs von Trier ist unwahrscheinlich, die der Bischöfe von Metz und Straßburg mindestens fraglich. Immerhin hat der Trierer Erzbischof, wenn er in Veitshöchheim nicht zugegen war, der Wahl sehr bald nachträglich zugestimmt oder eine Nachwahl vollzogen. Von weltlichen Fürsten war außer dem Landgrafen selbst niemand anwesend. Von der Mitwirkung von Magnaten ist gleichfalls nichts zu bemerken, und wieweit aus dem Kreise der Wähler etwa einzelne Bevorrechtigte hervorragten, ist unbekannt. Ob man ein päpstliches Schreiben, das an die archiepiscopi et nobiles viri alii, prineipes Theutonie, habentes potestatem eligendi Romanorum regem gerichtet ist, so interpretieren soll, daß der Papst sich damit nur an die Vorwähler, die späteren Kurfürsten, oder so, daß er sich an alle Fürsten wendet, ist umstritten.
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12. Eine deutliche Unterscheidung zwischen mehr und weniger Berechtigten läßt sich dagegen bei der Worringer Wahl Wilhelms von Holland im Oktober 1247 bemerken. In einem Schreiben Innozenz' IV. heißt es: Wilhelmus ... communi voto principum, qui in electione cesaris tus habere noscuntur, in Romanorum regem, applaudentibus ceteris principibus, est electus. Es heißt dann, daß bei der Wahl plurimi de principibus tarn ecclesiasticis quam mundanis zugegen waren, während sich andere durch Bevollmächtigte vertreten ließen, preter innúmeros nobiles et magnates, qui predicto electo mox capita subdiderunt. In den Gesta Trevirorum liest man, Wilhelm sei gewählt durch die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln presentibus ducibus, comitibus et terre nobilibus pluribus. Und die Sächsische Weltchronik sagt, Wilhelm sei durch die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln gewählt worden, während von den Laienfürsten nur der Herzog von Brabant zugegen gewesen sei. Wenn die beiden ersten Quellen von einer großen Wahlbeteiligung reden, so nehmen sie den Mund etwas voll. Tatsächlich war in Worringen, wie die Sächsische Weltchronik sagt, von weltlichen Reichsfürsten nur der Herzog von Brabant anwesend; von geistlichen waren, wie wir aus anderen Quellen, vor allem einer Urkunde, wissen, die Erzbischöfe von Mainz, Köln, Trier und Bremen sowie etwa ein halbes Dutzend Suflraganbischöfe erschienen. Doch davon abgesehen, für uns ist in dem päpstlichen Schreiben wesentlich einmal die Gegenüberstellung der principes, die in Worringen zugegen waren oder sich vertreten ließen, und der nobiles et magnates, qui electo mox capita subdiderunt. Es scheint deutlich zu sein, daß hier die Magnaten, die den Erwählten nachträglich anerkennen, gegen die bei der Wahl mitwirkenden Reichsfürsten jüngeren Stils abgegrenzt werden. Noch wesentlicher aber ist die Hervorhebung der principes, qui in electione cesaris ius habere noscuntur vor den applaudentes ceteri principes. Man nimmt wohl allgemein an, daß man in der ersten Gruppe einen Kreis vor sich hat, der den in den Marbacher Annalen zu 1237 namentlich genannten Wählern entspricht, kurz Fürsten, die zu den Vorwählern des Sachsenspiegels und den sieben späteren Kurfürsten gehörten. Dazu paßt, daß die Gesta Trevirorum ebenso wie die Sächsische Weltchronik als Wähler nur die drei rheinischen Erzbischöfe hervorheben und die anderen Fürsten resp. den Herzog von Brabant nur als anwesend anführen: von den in Worringen Mitwirkenden gehörten tatsächlich nur die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier zum späteren Kurfürstenkolleg. 13. Im März 1252 fand in Braunschweig eine Nachwahl Wilhelms von Holland statt. Die Erfurter Annalen äußern sich darüber mit folgenden Worten: rex ... a marchione Brandenburgense ac duce Saxonie ceterisque huius terre magnatibus in Romanum sollempniter electus est principem. Eodemque tempore cives Goslarienses fecerunt similiter ... Während hier bei der electio zwischen dem Brandenburgei und dem Sachsen auf der einen Seite und den magnates, ja den cives Goslarienses auf der anderen (abgesehen davon, daß die ersteren mit Namen genannt sind) kein Unterschied gemacht wird, ist das ganz anders in einem Schreiben des päpstlichen Legaten Hugo (der bei den Vorgängen in Braunschweig selbst zugegen war) an die Bischöfe von Schwerin und Havelberg. Da heißt es, daß sich einige Städte (darunter Lübeck) geweigert hätten, Wilhelm anzuerkennen pro eo, quod nobiles principes dux Saxonie
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et marchio Brandenburgensis, qui vocem habent in electione predicta, electioni non consenserant supradicte, daß aber in Braunschweig dux et marchio antedicti electionem de predicto rege factam ratam habuerunt et gratam ac eundetn in regem elegerunt unanimiter. Der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg gehören zu Eikes Vorwählern und später zu den Kurfürsten. Wenn die Städte ihre Mitwirkung bei der Wahl als Vorbedingung ihrer eigenen Anerkennung des Königs ansehen, so ist das ein Vorgang, dessen Wichtigkeit für die Geschichte der Entstehung des Kurfürstenkollegs allgemein anerkannt wird, so verschieden er auch im einzelnen interpretiert werden mag. Übrigens tritt nach den Erfurter Annalen in diesem Zusammenhang oder bald danach auch der König von Böhmen in Erscheinung: Rex etiam Boemie pretiosis atque regalibus muneribus in Signum electionis ipsum (sc. Wilhelmum) honoravit. Wenn dagegen von dem vierten der späteren weltlichen Kurfürsten, dem Pfalzgrafen, nichts gesagt wird, so ist das kein Wunder: er blieb der Partei der Staufer treu. 14. Bei der Doppelwahl von 1257 treten dann die sieben Kurfürsten, wie schon bemerkt, ganz unzweideutig als die ausschließlichen Wähler in Erscheinung. Im Januar wurde Richard von Cornwallis vor den Toren von Frankfurt vom Erzbischof von Köln und dem Pfalzgrafen bei Rhein zum König gewählt; zugleich wurde die Stimme des Mainzer Erzbischofs, der sich in braunschweigischer Gefangenschaft befand, von Köln für Richard abgegeben, und einige Tage später traten die Bevollmächtigten des Königs von Böhmen der Wahl bei. Im April wurde in Frankfurt vom Erzbischof von Trier, der zugleich, wie er behauptete, in Vollmacht des Königs von Böhmen sowie des Herzogs von Sachsen und des Markgrafen von Brandenburg han20 delte, Alfons gewählt. So deutlich es ist, daß 1257 nur noch die sieben Kurfürsten wählten, völlig bedeutungslos für die Wahl sind darum die anderen Fürsten offenbar noch nicht geworden. Noch im Jahre 1256 hatten am 5. August außer dem Herzog von Sachsen und dem Markgrafen von Brandenburg einige Fürsten, von denen wir den Herzog von Braunschweig namentlich kennen, in Wolmirstedt den Markgrafen von Brandenburg als zukünftigen König bezeichnet. Und unmittelbar vor der Wahl Richards hat angeblich eine Vorberatung des Kölner Erzbischofs und des Pfalzgrafen mit anderen anwesenden Großen stattgefunden, während die Wahl Alfons' durch Trier wenigstens in Gegenwart der Bischöfe von Speyer und Worms erfolgte. Von einer Stimmabgabe, einer Zustimmung dieser anwesenden Fürsten, ist aber keine Rede mehr. Dem entspricht es, wenn 1263 Urban IV. in der Bulle Qui celum nur noch die sieben Kurfürsten als Wahlberechtigte kennt, während noch 1255 Alexander IV. in einem Schreiben an den Erzbischof von Köln mit der Möglichkeit einer Königswahl durch andere Fürsten gerechnet hatte. 15. 1273, bei der Wahl Rudolfs von Habsburg, ist dann das Kurfürstenkolleg völlig und endgültig fertig, insofern als jetzt alle anderen Fürsten außer den sieben von der Wahl gänzlich ausgeschlossen sind. Die Tatsache, daß damals die böhmische Stimme von Bayern geführt wurde, ist für unsere Fragestellung unerheblich. Man sieht, das Quellenmaterial, das uns zur Verfügung steht, ist nicht übermäßig umfangreich. Um so umfangreicher ist nun freilich die Literatur, die aus diesem Material die verschiedensten Schlüsse gezogen hat.
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Die Erörterung und das Rätselraten um die Entstehung des Kurfürstenkollegs beginnt im Grunde schon mit den zu Eingang erwähnten Nachrichten des dreizehnten Jahrhunderts über die Einsetzung der Kurfürsten in der Zeit Ottos III. und Gregors V. Seitdem hat die Frage die Geschichtschreiber und Staatsrechtslehrer niemals völlig zur Ruhe kommen lassen, und seit dem Aufleben der historischen und rechtshistorischen Forschung im neunzehnten Jahrhundert hat man sich kaum mit einem anderen verfassungsgeschichtlichen Problem so häufig und so intensiv beschäftigt wie mit diesem 8 . Besonders in den beiden letzten Jahrzehnten des vorigen und in den beiden ersten dieses Jahrhunderts hat (wie die Königswahlforschung im allgemeinen) das Suchen nach dem Ursprung der Kurfürsten eine erstaunlich reichhaltige Literatur entstehen lassen. Seit etwa dem Anfang der zwanziger Jahre macht sich dann ein Nachlassen bemerkbar. Nicht etwa, weil diese Literatur zu bestimmten und allgemein anerkannten Ergebnissen geführt hätte, sondern wohl eher aus dem Gefühl einer gewissen Erschöpfung heraus: es schienen alle Möglichkeiten durchprobiert zu sein, und etwas Neues war kaum noch zu sagen. In der jüngsten Zeit befaßt sich, abgesehen von einer umfangreichen Skizze M. Buchners 9 , wieder H. Mitteis 10 in seinem 1944 in zweiter Auflage erschienenen Buch über die deutsche Königswahl mit dem alten Problem: ihm ist die zweite Hälfte des Buches gewidmet. Wenn ich mich hier mit dem oft behandelten Fragenkomplex beschäftige, so möchte ich das tun, indem ich die beiden sich aus der Natur der Sache ergebenden Hauptfragen der Reihe nach behandle: 1. Wann und warum ist das Vorstimmrecht der späteren Kurfürsten (resp. einer andern kleineren Fürstengruppe) entstanden, und was hatte es zu bedeuten? 2. Wann und warum ist aus dem Vorstimmrecht das ausschließliche Wahlrecht der Kurfürsten geworden? Ich versuche dabei, indem ich alle Nebenfragen möglichst beiseite lasse, die nach meiner Ansicht entscheidenden Gesichtspunkte hervorzuheben, und ich denke im ersten Punkt zu dem Resultat zu kommen, daß man zu überhaupt keinem bestimmten Resultat, sondern höchstens zu einer mehr oder weniger wahrscheinlichen Hypothese gelangen kann. Im zweiten Punkt dagegen hoffe ich, ein bestimmtes Ergebnis bieten zu können, das freilich von den Ansichten der bisherigen Forschung abweicht. 8
Vgl. die Literaturangaben bei Krammer, a. a. O., B. Wunderlich, Die neueren Ansichten über die deutsche Königswahl und den Ursprung des Kurfürstenkollegiums ( 1 9 1 3 ) , S. 7 ff.; Dahlmann-Waitz ( 1 9 3 1 ) , Nr. 7 0 2 5 11.; Schröder - v. Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 7. Aufl. (1932), S. 5 1 1 - 5 1 3 , Anm. 8, u. S. 1 0 4 6 f . ; die neue Auflage, die anscheinend inzwischen erschienen ist, ist mir nicht zugänglich. Vgl. weiter die in den nächsten Anm. zitierten Arbeiten von Buchner und Mitteis. Das Buch von Ch. C. Bayley, The formation of the German College of electors in the midthirteenth Century ( 1 9 4 9 ) kenne ich leider nur aus Rezensionen. Wenn ich im folgenden die Literatur so gut wie gar nicht zitiere, so beweist das nicht, daß ich ihr nichts verdanke. Ich möchte vielmehr ausdrücklich betonen, daß ich aus der Literatur, besonders aus den Schriften von Bloch, Buchner, Krammer und Mitteis, aber auch aus den heute meist weniger beachteten Arbeiten des vorigen Jahrhunderts, etwa Lindners und Maurenbrechers, viel Nutzen gezogen habe - auch da. wo ich den dort geäußerten Ansichten widerspreche.
9
Vgl. M. Buchner, Kaiser- und Königsmacher, Hauptwähler und Kurfürsten, Histor. Jahrbuch 5 5 ( 1 9 3 5 ) , S. 1 8 2 ff.
10
Vgl. oben S. 433, Anm. 2.
ZWEITES
DAS V O R S T I M M R E C H T
DER
1. Das Wesen des
KAPITEL
SPÄTEREN
KURFÜRSTEN
Vorstimmrechts
Es empfiehlt sich, von der Sachsenspiegelstelle auszugehen, in der die sieben späteren Kurfürsten zum ersten Male sämtlich genannt werden, und in der zum erstenmal das Vorstimmrecht von wenigstens sechs von ihnen unzweideutig erwähnt wird. Unzweideutig, das heißt freilich nur: es geht aus Eikes Worten einwandfrei hervor, daß nach seiner Ansicht die sechs ihre Stimme vor anderen Fürsten abzugeben hatten. Über die Art, wie das geschehen sollte, drückt er sich keineswegs ganz deutlich aus, und darüber gehen denn auch die Meinungen auseinander. Einmal ist nicht ganz klar, ob das Vorstimmrecht in der Weise ausgeübt werden sollte, daß zunächst alle sechs Vorwähler ihre Stimme abgaben und erst, wenn alle sechs gestimmt hatten, die anderen Fürsten an der Reihe waren; oder ob sozusagen kurienweise abgestimmt werden sollte, d. h. daß zunächst alle geistlichen, dann alle weltlichen Fürsten stimmten und daß also auch die weltlichen Vorwähler nach den geistlichen Fürsten rangierten und nur unter den Laien das Vorstimmrecht hatten. Außerdem sagt Eike nicht deutlich, ob die Fürsten, die nicht Vorwähler waren, ebenso wie diese einzeln abzustimmen hatten, oder ob sie nur in der Gesamtheit, sozusagen in einem Consen23 sus oder Akklamationsakt ihre Stimme abgaben. Immerhin ist das wahrscheinlichste, und es wird auch von der herrschenden Meinung angenommen, daß nach Eikes Ansicht die sechs vor sämtlichen Fürsten zu stimmen hatten und daß diese dann nach jenen nicht mehr einzeln, sondern irgendwie in der Gesamtheit zu Worte kamen. Was hatte nun aber das Vorstimmrecht nach Eikes Auffassung zu bedeuten? Das sagt er mit aller wünschenswerten Deutlichkeit in dem Satz: Die zu deme ersten an deme kore benant sin, die ne sollen nicht kiesen nach irme mutwillen, wen swene die vorsten alle zu küninge irwelet, den sollen se allererst bi namen kiesen. Eike unterscheidet also in der Wahlhandlung zwischen Wahl und Kur, und das Vorstimmrecht wird nur in der Kur wirksam. Der Kur geht die Wahl voran, in der man sich auf den zu Kürenden einigt, und die Kur selbst ist weiter nichts als die Verkündigung, sozusagen die Veröffentlichung des Wahlergebnisses; sie ist ein Akt, der erst stattfindet, wenn die Person des zu Kürenden feststeht. Wie man bei der Wahl nach Eikes Ansicht verfuhr, das sagt er nicht. Es ist auch unerheblich. Die Wahl brachte jedenfalls die Entscheidung, und diese Entscheidung wird von der Gesamtheit der Wählenden gefällt: die sechs „Vorwähler" (die man eigentlich richtiger als die sechs Vorkürenden bezeichnen müßte) sind weiter nichts als die Vollstrecker oder
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genauer: als die ersten Vollstrecker des Willens der Gesamtheit der Fürsten. An diesem Resultat würde sich auch nichts ändern, wenn die herrschende Meinung, nach der in Eikes Vorstellungen die sechs „Vorwähler" vor allen anderen Fürsten den Kürspruch taten und die anderen nur sozusagen unisono stimmten, nicht recht haben sollte. Im Gegenteil, wenn etwa kurienweise gekürt wurde und die anderen Fürsten auch einzeln den Kürspruch abgaben, so würde damit das Vorrecht der sechs Vorwähler sogar noch mehr verblassen und das Recht der anderen ihm angenähert werden. Doch wie sich das bei Eike auch verhalten mag, die Unterscheidung von Wahl und Kur, wie sie sich bei ihm findet, entspricht jedenfalls völlig dem, was wir über den tatsächlichen Hergang bei den deutschen Königswahlen wissen, soweit wir sie überhaupt zurückverfolgen können. Stets hat zunächst eine Vorverhandlung stattgefunden (sie konnte sich unter Umständen auf längere Zeit und auf mehrere Orte erstrecken), in der man sich über die Person des zum König zu Wählenden einigte; und erst wenn diese Einigung erfolgt war, kam es zur Kur, einem sozusagen konstitutiven Formalakt, der den neuen König proklamierte und der der Natur der Sache nach immer nur einstimmig erfolgen konnte und auch immer nur einstimmig erfolgt ist. Wenn abweichende Meinungen zu überwinden waren, so geschah das eben in den vorangehenden Verhandlungen, bei der „Wahl". Kam es, wie etwa 1024, nicht zur Einigung, so verließ die dissentierende Partei die Wahlversammlung, um entweder einen eigenen König zu wählen und zu küren oder um nach neuen Verhandlungen und Bedingungen den von den anderen gewählten und gekürten König nachträglich anzuerkennen. An der Kur war die dissentierende Gruppe jedenfalls nicht beteiligt, und die Einstimmigkeit des Aktes wurde durch sie nicht in Frage g e s t e l l t u . In welcher Weise die Vorverhandlungen, die eigentlich entscheidend waren, vor sich gingen, darüber werden wir so wenig wie von Eike von den geschichtlichen Tatsachen informiert. Jedenfalls verfuhr man schwerlich anders als auf Reichs- und Hoftagen überhaupt. Und so wenig wie dort dürfte es bei den Verhandlungen der Wahlversammlungen zu festen Formen gekommen sein. Eine eigentliche Stimmabgabe ist kaum jemals erfolgt, und die Stimmen wurden sicher immer mehr gewogen als gezählt: das Wort eines Mächtigen hatte mehr zu bedeuten als das eines weniger Mächtigen, und unter Umständen mögen auch diplomatische Gewandtheit oder ähnliche Momente den Ausschlag gegeben haben 12 . Sowenig es bei der „Wahl", den Vorverhandlungen, zu festen Formen gekommen sein dürfte, und sowenig man da überhaupt auf sie angewiesen war, so sehr brauchte man sie bei der Kur. Es versteht sich von selbst, daß dieser Akt nur vor sich gehen konnte, indem die Beteiligten eine gewisse Ordnung und Reihenfolge einhielten. Über die Kur Konrads II. von 1024 behauptet Wipo, daß zunächst der Erzbischof 11
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A n diesem Verfahren wurde dadurch nichts geändert, daß in vielen Fällen nicht bloß die Wahlversammlung, sondern auch die Kur sich auf mehrere Orte verteilte, d. h., daß die Fürsten erst allmählich, in einer „fortgesetzten" W a h l der W a h l und der Kur beitraten. Vgl. dazu meinen Aufsatz: Zu den deutschen Königswahlen der Ottonenzeit, Z R G . 66 ( 1 9 4 8 ) , Germ. Abt., S. 61 [hier nicht aufgenommen, Bibhogr. Nr. 78].
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von Mainz, nach ihm die anderen geistlichen Fürsten und dann erst die weltlichen, an ihrer Spitze der erste Repräsentant des fränkischen Stammes 1 3 , ihre Stimme abgaben. Etwas Ähnliches erfährt man aus den Quellen über die Kur Rudolfs von Schwaben 1077: auch da sollen zuerst die geistlichen Fürsten und unter ihnen als erster der Mainzer Erzbischof, danach die weltlichen gestimmt haben. Man möchte aus dem, was wir über die Vorgänge von 1024 und 1077 hören, schließen, daß die Kurordnung bis zur Ausbildung der von Eike überlieferten Ordnung immer so gewesen ist, wie sie in jenen beiden Jahren erscheint: zunächst Kur durch alle geistlichen, dann durch alle weltlichen Fürsten. Doch andere Nachrichten scheinen dem zu widersprechen. 1002 hat mindestens in Sachsen der Herzog als erster gestimmt, und daß 1125 bei der Wahl Lothars von Supplinburg die bayrischen Bischöfe sich weigerten, in Abwesenheit ihres Herzogs ihre Stimme abzugeben, spricht nicht sehr dafür, daß sie vor ihm den Vorrang hatten 1 4 . Auf jeden Fall erscheint es nicht sehr wahrscheinlich, daß die Masse der Geistlichen bis hinab zum kleinsten, unter Umständen von einem Herzog eingesetzten und investierten Bischof oder Abt ständig vor den großen Stammesherzögen gestimmt haben soll. Es gibt denn auch Anschauungen, die das bestreiten und mindestens im zwölften Jahrhundert den Stammesherzögen eine Stellung vor dem Gros des Klerus einräumen wollen. Etwas wirklich 26 Sicheres ist darüber nicht zu sagen außer der bestimmt und immer wieder auftretenden Nachricht, daß im elften und zwölften Jahrhundert der Erzbischof von Mainz, der auch die Wahlversammlung leitete, die erste Kurstimme hatte, und daß die anderen Fürsten, wie es in einem Schreiben Friedrich Barbarossas an den Papst heißt, secundum ordinem stimmten, wobei nur die Frage offenbleiben muß, wie dieser ordo aussah. Man sieht: was es auch mit der von Eike angegebenen Ordnung der Stimmen und ihren Trägern bei der Kur auf sich haben mag - die von ihm bezeugte Tatsache, daß dabei eine bestimmte Reihenfolge beobachtet wurde, ist eine Selbstverständlichkeit, und sie hat immer in irgendeiner Weise bestanden: es hat immer, um mit Eike zu reden, irgendwelche Ersten an der Kur gegeben. Wir haben also bei den Königswahlen zwischen Wahl und Kur zu unterscheiden. Die Wahl brachte die sozusagen politische Entscheidung, die Kur war der rechtsverbindliche Akt, der das Resultat der Wahl proklamierte. Doch wenn das auch so war, und wenn auch,_ wie es der Sachsenspiegel betont, die Ersten an der Kur nur als die Vollstrecker des Willens der Gesamtheit der Wählenden erscheinen, so konnten sie doch unter Umständen eine über diese Rangordnung hinausgehende verfassungsrechtliche Bedeutung gewinnen. Die Kur war ein konstitutiver Akt, und in Zweifelsfällen mochte man die Frage ihrer Rechtmäßigkeit davon abhängig machen, ob sie von den Berechtigten durchgeführt war, genauso wie etwa die Rechtmäßigkeit einer Königskrönung davon abhängig war, ob sie in Aachen und durch den Erzbischof von 13
Wobei freilich nicht ganz sicher ist, ob der jüngere Konrad in dieser Eigenschaft oder ob er als Haupt der Opposition als erster von den weltlichen stimmte.
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Die Vorgänge bei der Halberstädter Wahl Ottos IV von 1208, wo die weltlichen Fürsten, oder doch die wichtigsten von ihnen, offenbar unmittelbar nach dem Magdeburger Erzbischof und vor den anderen Bischöfen stimmten, kann man in diesem Zusammenhang schlecht heranziehen, da man nicht weiß, ob auf dieses Verfahren nicht etwa schon die nachher im Sachsenspiegel mitgeteilte neue Kurordnung abgefärbt hat.
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Köln (unter Umständen auch mit den rechten Insignien) vollzogen war. Vor allem bei angefochtenen und zwiespältigen Wahlen konnte die Frage, ob die Kur in der rechten Form, d. h. mit der „richtigen" Beteiligung, durchgeführt wurde, eine Rolle spielen, und wir werden uns nicht wundern, wenn sich gerade bei der Doppelwahl von 1198 etwas Derartiges beobachten läßt. Aus dieser unter Umständen besonders wirksam werdenden verfassungsrechtlichen Bedeutung der Kur konnte sich für die bei ihr Bevorrechtigten nun aber auch die Möglichkeit ergeben, bei den Vorverhandlungen, bei der Wahl, ein gewisses Übergewicht zu erlangen. Sie konnten aus ihrem Kurvorrang bei der Wahl Kapital schlagen. Doch man darf sich darunter nicht zuviel vorstellen, und wie groß dieses Kapital war, wird ganz von den allgemeinen Umständen und sehr weitgehend von den übrigen Wählern abgehangen haben. Sowenig wie sein (noch dazu ganz ausschließliches) Krönungsrecht den Kölner Erzbischof trotz gewisser Anläufe, die er in dieser Richtung nahm, zum Königsmacher werden ließ, sowenig oder noch viel weniger ließ sich etwas Entsprechendes aus dem Vorrecht bei der Kur herleiten, solange das Wahlrecht aller Fürsten feststand. Höchstens eine gewisse Vorzugsrolle konnte sich ergeben in dem Sinne, wie auch sonst die Stimmen einzelner Wähler mehr wogen als die anderer 1S. Das mochte vor allem von dem Augenblick an der Fall sein, in dem die Ersten an der Kur, wie es sich aus dem Sachsenspiegel zu ergeben scheint und wie es von einem bestimmten Zeitpunkt vor 1257 an sicher geschehen ist, als ein geschlossenes Gremium konstituiert waren. Mindestens im elften Jahrhundert war das nach allem, was wir, besonders über die Wahlen von 1024 und 1077, wissen, noch nicht so weit. Es fragt sich, von wann ab man damit zu rechnen hat, daß sich die neue Ordnung durchgesetzt hatte. 2. Das Alter des
Vorwählergremiums
In dem oben mitgeteilten Quellenmaterial findet man Anzeichen dafür, daß ein fester Personenkreis von Vorwählern bei der Kur auftaucht, seit der Doppelwahl 15
Nur soviel, wie ich im Text sage, kann ich an den scharfsinnigen Erörterungen von Mitteis, S. ] 66 ff., richtig finden. Wenn er meint, die Fürsten seien nach Eikes Ansicht und in Wirklichkeit schon bei der Wahl den Vorwählern „folgepflichtig" gewesen, so scheint mir dem das, was Eike sagt, und was wir von den deutschen Königswahlen bis mindestens 1237 wissen, eindeutig zu widersprechen. Es scheint mir auch ganz unmöglich zu sein (und ist in Wirklichkeit nie vorgekommen), daß die Vorwähler, wie Mitteis auf Seite 167 meint, die Fürsten bei der Kur mit einem anderen König überraschten, als in der Wahl vorgesehen war; die Kur hatte zur Voraussetzung eine vorher erfolgte Einigung: daß ein Vorwähler einen sozusagen neuerfundenen König kürte, war ebenso undenkbar, wie daß etwa der Kölner Erzbischof einen anderen König als den gewählten krönte (oder daß heute der Vorsitzende eines Strafgerichts ein anderes Urteil verkündet als von den Richtern beschlossen ist); und wenn es etwa doch einmal vorgekommen wäre, so wäre die Kur ungültig gewesen oder es wäre zum Bürgerkrieg gekommen. Auch von einer Unentbchrlichkeit der Vorwähler bei der Kur und der Wahl kann man nach meiner Ansicht nicht reden. Was sich aus dem Sachsenspiegel und den Tatsachen ergibt, ist lediglich, daß die Vorwähler, wenn sie mitwirkten, bei der Kur als erste ihre Stimme abzugeben hatten. Daraus konnten sie unter Umständen (wie es nach 1198 geschehen zu sein scheint) gewisse Ansprüche ableiten. Aber daß diese Ansprüche anerkanntes Recht waren, sieht man nirgends. - D a ß übrigens Ansprüche der Art auftraten, könnte man daraus schließen, daß Eike die an sich selbstverständliche Tatsache überhaupt vermerkt, daß die Vorkürer nicht nach mutwillen kiesen sollen.
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von 1198, wobei man zwischen den Ansichten schwankt, ob es sich bei diesem Personenkreis um die von Eike Genannten oder ob es sich um eine noch kleinere Gruppe handelt, die aus den drei rheinischen Erzbischöfen und dem Pfalzgrafen bei Rhein bestehen soll 10 . Daß man aus den Bemerkungen der weifischen Partei über die principes, ad quos spectat electio und Ähnlichem im allgemeinen nicht Hinweise auf Vorwähler, sondern auf Reichsfürsten im Gegensatz zu den Magnaten sieht, wurde schon gesagt. Tatsächlich ist in diesen Bemerkungen auch wohl sicher nicht mehr zu sehen, und mindestens läßt sich nicht beweisen, daß es etwa doch der Fall ist. Man könnte sogar daran denken, daß man damit Fürsten im älteren Sinne (Reichsfürsten jüngeren Stils und Magnaten) gemeint hat im Gegensatz zu der offenbar auch Ministerialen um29 fassenden Wählerschaft, von der Philipp erhoben wurde; oder aber, daß es sich dabei um das Ausspielen der rheinisch-fränkischen Fürsten gegen die ostdeutschsächsischen handelt. Jenen hat man damals, wie aus der Kölner Königschronik hervorgeht, eine größere Berechtigung bei der Königswahl zugeschrieben als diesen 17 (zweifellos deshalb, weil die Wahl herkömmlich auf fränkischer Erde und daher unter besonders großer Beteiligung der Franken stattfand). Doch wenn man für die genannten Nachrichten ihre schlechte Verwendbarkeit für den Beweis der Existenz von Vorwählern um 1200 zugibt, so muß man sagen, viel besser steht es auch mit den Bemerkungen Innozenz' III. nicht, in denen man häufig einen solchen Beweis zu finden meint. Wenn Innozenz principes erwähnt, ad quos principaliter special electio, von denen eben so viele oder mehr für Otto wie für Philipp seien, so vermag doch niemand zu beweisen, ob die päpstlichen Rechenkunststücke sich auf Vorwähler, und wenn, ob auf vier oder sechs oder sieben oder auf auch noch eine andere Zahl beziehen. Mit einigem guten Willen konnte man zweifellos auch aus anderen Gruppen, so z. B. aus den oben erwähnten rheinisch-fränkischen Fürsten oder auch aus irgendwelchen sonstigen Reichsfürsten im Gegensatz zu Philipps Wählern eine fragwürdige Majorität für Otto herauszählen. Anders scheint es sich dagegen mit der Bemerkung der Kölner Königschronik zu verhalten, daß 1198 Köln und Trier behaupteten, die electio sei sui iuris, und mit der Nachricht der Weingartner Fortsetzung, wonach der Kölner Erzbischof die Wahl Philipps verwarf, weil an ihr Mainz und Pfalz (die damals auf dem Kreuzzug weilten) nicht beteiligt waren; dazu kommt dann noch der erwähnte Hinweis auf den Pfälzer 16
17
Für eine einigermaßen sichere Erkenntnis dieser Dinge ergeben sich freilich Schwierigkeiten daraus, daß die lateinischen Quellen in ihrer Ausdrucksweise zwischen Kur und Wahl im allgemeinen keinen Unterschied machen. Sowohl für Eikes kiesen wie für sein wellen ist das gebräuchlichste Wort eligete, und dieses Wort kann natürlich auch den ganzen Wahlvorgang, Wahl und Kur zusammen bezeichnen. Das dürfte es sogar in den meisten der gleich zu besprechenden Fälle tun. Immerhin ist die Schwierigkeit, die sich daraus ergibt, für unsere Fragestellung nicht allzu groß. Wenn von Vorrechten einiger weniger bei der Königswahl die Rede ist, so dürfte es sich im allgemeinen um Vorrechte bei der Kur oder mindestens um aus dem Kurvorrecht abgeleitete Ansprüche handeln. Die grundsätzliche Gleichberechtigung aller Wähler können wir als noch unbestritten voraussetzen, und wenn sie etwa doch bestritten gewesen sein sollte, so eben auch das auf Grund des Kurvorrechts. Der Chronist sagt, die rheinischen Fürsten seien über die Wahl Philipps indignati gewesen, eo quod numquam aliqms rex in Saxonica terra electus ab hiis prinapibus fuisset.
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als summus in electione. D i e genannten vier Fürsten sind sämtlich spätere Kurfürsten und Vorwähler des Sachsenspiegels, und es liegt nahe, daß der Vorrang, den man ihnen 1198 vindizierte, von ihrem Vorstimmrecht abgeleitet wurde. Wenn man freilich daraus, daß in den genannten Quellen sie allein erwähnt werden, schließen will, daß es um 1200 nur ein Vorstimmrecht eben der vier rheinischen Fürsten gegeben haben könnte, so ist das nicht richtig. In den Quellen, die von ihnen reden, kommt der Parteistandpunkt der rheinisch-weifischen Partei zum Ausdruck; daß dabei von den ostdeutschen Fürsten nichts gesagt wird, die auf der Seite Philipps standen, ist selbstverständlich. Und wenn Roger von Hoveden meint, daß Köln, Mainz, Pfalz und Sachsen aus zwölf Kandidaten, die von allen Fürsten vorgeschlagen werden, den König wählen, so ist diese Behauptung zwar zu konfus, als daß man viel mit ihr anfangen könnte; sie widerspricht aber doch auf jeden Fall der Anschauung, daß um 1200 nur die vier späteren rheinischen Kurfürsten ein Vorrecht bei der Kur gehabt haben können. Bei den nächsten Wahlen nach der von 1198, bei den Wahlen von 1205, 1208, 1211 und 1212, ist von irgendwelchen Hinweisen auf die Vorwähler, wie wir oben sahen, nichts zu finden. Die Nachricht, daß zu der Frankfurter Wahl Ottos IV. von 1208 der Erzbischof von Mainz und (vielleicht auch) der Pfalzgraf einluden, deutet zwar auf eine hervorragende (und für Mainz längst bekannte und anerkannte) Rolle bei der Wahl, beweist aber nichts für eine Stellung als Vorwähler. Und im Zusammenhang mit der Halberstädter Wahl Ottos 1208 ist einmal von den Fürsten die Rede, ad quos electio regis pertinere videbatur; doch es ist völlig deutlich, daß dabei nicht an die späteren Kurfürsten oder an einige von ihnen zu denken ist; denn unter diesen Fürsten werden außer dem Herzog von Sachsen auch der Erzbischof von Magdeburg, der Markgraf von Meißen und der Landgraf von Thüringen genannt. Hat man aber ein Recht, bereits um 1200 mit Vorwählern zu rechnen, so beweist das Schweigen der Quellen von ihnen im Zusammenhang mit den fünf Wahlen von 1205 bis 1212 (was ohnehin anzunehmen wäre), daß die Schweigsamkeit unserer Überlieferung in diesem Punkte ein schlechtes Argumentum e silentio ist; denn wenn 1198 Vorwähler da waren, so waren sie es natürlich auch später. Das bedeutet aber: es besteht keine Berechtigung, die Vorwähler als geschlossenen Kreis erst mit ihrem ersten Erscheinen in den Quellen, also frühestens 1198, auch in der Wirklichkeit auftreten zu lassen. Über die Doppelwahl von 1198 sind wir infolge des Aufsehens, das sie machte, und infolge des langen politischen und publizistischen Konfliktes, der ihr folgte, besonders gut unterrichtet. Über alle vorangehenden Wahlen des zwölften Jahrhunderts wissen wir dagegen nicht besser, zum Teil schlechter Bescheid als über die Wahlen von 1205 bis 1212. Wenn im zwölften Jahrhundert von dem Vorwähler-Gremium nichts gesagt wird, so beweist das also gar nichts. War es um 1198 da, so kann es schon mehr oder weniger lange vorher existiert haben. Und daß es wirklich FO gewesen sein müßte, wird durch eine einfache Überlegung bestätigt. Wenn man sich 1.198 auf das Vorrecht bestimmter Wahl- oder vielmehr Kurstimmen berief, um das zweifelhafte Recht der eigenen Partei und des eigenen Königs zu stützen, so hatte das nur Sinn, wenn dieses Vorrecht anerkannt war, also bereits eine gewisse Dauer hatte.
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Nach den etwas unsicheren Zeugnissen aus den Jahren um 1200 und dem Schweigen der Quellen in den nächsten beiden Jahrzehnten taucht zum ersten Male wieder eine Nachricht, die man auf die Vorwähler deuten könnte, in dem Brief Konrads von Speyer an den König von Frankreich über die Wahl Heinrichs (VII.) 1220 auf. Wenn in diesem offiziellen Schreiben von den vota tarn electorum quam etiam omnium principum et nobilium Teutonie die Rede ist, so muß es sich wirklich bei den electores um eine besondere Gruppe der principes handeln; aber ob darunter nun das Gremium der Vorwähler oder ein anderer Kreis, etwa der der Reichsfürsten zu verstehen ist, ist kaum zu entscheiden, da man nicht weiß, ob mit den principes Reichsfürsten oder Magnaten gemeint sind; und selbst wenn es so wäre, daß die electores die Vorwähler sind, so wäre doch dem Brief darüber, wer sie nun eigentlich waren, nichts zu entnehmen. D i e erste sichere Auskunft darüber findet sich, wie wir gesehen haben, im Sachsenspiegel. Hier ist zum ersten Male gesagt, daß das Vorrecht bei der Kur die rheinischen Erzbischöfe und außerdem Pfalz, Sachsen und Brandenburg haben, und es wird wenigstens mit der Möglichkeit der böhmischen Kurstimme gerechnet, wenn sie von Eike auch bestritten wird. 32
Aus dem, was wir über die Vorgänge um 1200 erfuhren, ergab sich eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß damals und früher bereits die Vorwähler des Sachsenspiegels existierten. Mit Sicherheit ließ und läßt sich aber nichts darüber sagen, und im Gegensatz zu jener Wahrscheinlichkeit hat man die Behauptung aufgestellt, daß mindestens die nichtrheinischen Vorwähler, also Sachsen, Brandenburg (und Böhmen) erst durch Eike von Repgow in die Königswahl gekommen seien. Gerade in der jüngsten Forschung, wie sie von Buchner und vor allem von Mitteis vertreten wird, ist man der Ansicht, daß Eike irgendwelchen sächsisch-partikularistischen Theorien und Tendenzen zuliebe den beiden sächsischen Fürsten in dem ursprünglich nur aus den rheinischen vier bestehenden Vorwählergremium einen Platz zugewiesen habe, und die Praxis der Königswahl sei dann Eikes Theorien gefolgt. Wenn tatsächlich erst Eike die sächsische und die brandenburgische Kurstimme erfunden hätte, dann stände allerdings unbestreitbar fest, daß sich das deutsche Königswahlrecht nach seiner Erfindung gerichtet hätte. Wie das aber geschehen konnte, erscheint einigermaßen unverständlich. Mag später in manchen Punkten die Autorität des Sachsenspiegels noch so groß gewesen sein, er war und blieb doch immer eine Privatarbeit, und daß in den Jahrzehnten unmittelbar nach seiner Entstehung die großen Reichsfürsten deshalb, weil es der kleine sächsische Adlige Eike von Repgow so geschrieben hatte, dem Sachsen und dem Brandenburger einen besonderen Vorrang bei der Kur einräumten, ist mehr als unwahrscheinlich. Tatsächlich hat sich in anderen Momenten das Königswahlrecht keineswegs nach Eikes Behauptungen und Forderungen gerichtet: weder hat es die von ihm postulierte Reihenfolge der geistlichen Kurfürsten akzeptiert, noch hat es nach seinem Willen den König von Böhmen von der Kur ausgeschlossen, noch hat es andere Ansichten Eikes über die Funktionen der Vorwähler realisiert 1 8 . Wenn in der Frage der Personen der Vor18
W i e seine Forderung, daß die Kurfürsten mit dem neugewählten König zum Papst zu reisen und ihm die Wahl zu bezeugen hätten.
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Wähler (bis auf Böhmen) zwischen Eike und den historischen Tatsachen Übereinstimmung besteht, so dürfte das also daran liegen, daß sich Eike nach den Tatsachen richtet, und nicht umgekehrt. Selbst wenn es um 1200, was sich, wie gesagt, nicht beweisen läßt und was sehr unwahrscheinlich ist, nur vier Vorwähler gegeben haben sollte, so ist also anzunehmen, daß sich mindestens vor der Entstehung des Sachsenspiegels ihre Zahl auf sechs (oder sieben) vervollständigt hat. Eike bestreitet dem König von Böhmen das Vorstimmrecht. D a ß und wie er es aber ausdrücklich tut, spricht dafür, daß es von anderen für Böhmen gefordert oder mindestens als möglich vorausgesetzt wurde. Doch wie dem auch sein mag, bis zum Jahre 1237 hat sich offenbar das böhmische Vorstimmrecht durchgesetzt, und spätestens bis zu diesem Jahre muß überhaupt (wenn es nicht schon, wie wir vermuteten, vor dem Sachsenspiegel, ja vor 1198 da war) das ganze spätere Kurfürstenkollegium in seiner Eigenschaft als Kollegium von Vorwählern fertig geworden sein. Anders läßt sich die Bemerkung der Marbacher Annalen, daß Mainz, Trier, Böhmen und Pfalz Konrad IV. gewählt, die anderen anwesenden Fürsten der Wahl aber nur zugestimmt hätten, nicht verstehen. Wenn hier alle in Wien anwesenden Fürsten, die nach dem Sachsenspiegel Vorwähler waren und die später tatsächlich zu Kurfürsten geworden sind, als Kürer des jungen Königs erscheinen, die sieben anderen in Wien erschienenen Fürsten aber nur als Konsentierende, so kann das kein Zufall sein 1 9 . Und zwar dürfte die Ausdrucksweise des Annalisten mit Sicherheit so zu verstehen sein (worüber der Sachsenspiegel, wie erinnerlich, einen ganz deutlichen Aufschluß nicht gab), daß die sieben anderen in Wien anwesenden Fürsten in einer anderen Weise abstimmten als die Vorwähler, daß sie alstf im Gegensatz zu diesen sich nicht einzeln, sondern irgendwie in der Gesamtheit äußerten. Im übrigen ist der häufig konstatierte Widerspruch zwischen den Marbacher Annalen und der Watilbeurkundung, die alle Fürsten gleichmäßig und gleichberechtigt handeln läßt, nur scheinbar: es ist ganz deutlich, daß der Annalist in erster Linie die Kur, das sogenannte Wahldekret dagegen die Vorverhandlung und Wahlentscheidung im Auge h a t 2 0 , es bestätigt nur die bekannte Tatsache, daß, während die Vorwähler eine rechtliche Form bei der Kur erfüllten, die eigentliche Wahl des Königs von allen Fürsten vollzogen wurde. 19
E i n absolut sicherer Beweis, daß damals auch Köln, Sachsen und Brandenburg zum V o r w ä h l e r gremium gehörten, fehlt freilich. K ö l n war
1 2 3 7 unbesetzt, und die beiden anderen
Fürsten
waren in W i e n nicht anwesend, also kann man ganz Bestimmtes über sie nicht sagen.
Aber
wenn sämtliche in W i e n anwesenden Fürsten, die aus dem Sachsenspiegel bekannt sind, tatsächlich Vorwähler gewesen sind (und vor allem auch der problematische König von B ö h m e n ) , so spricht die allergrößte Wahrscheinlichkeit dafür, d a ß das auch für die Abwesenden zutrifft. Im übrigen w ä r e es unerfindlich, wie in der folgenden Z e i t bis 1 2 5 7 die drei 1 2 3 7
fehlenden
Fürsten in das Kurkolleg hineingelangt sein sollten. - W e n n in den W a h l e n vor 1 2 5 7 die V o r wähler nie in ihrer Gesamtheit als K ü r e n d e erscheinen, so beweist das natürlich gegen ihre vollzählige E x i s t e n z gar nichts. W i e bereits oben S. 4 4 5 , A n m . 15, bemerkt, w a r ihre Anwesenheit für die Rechtmäßigkeit einer W a h l nicht erforderlich. W a r ein V o r w ä h l e r bei der W a h l
und
K u r abwesend, so ruhte sein Recht sozusagen; genauso wie das bei den anderen wahlberechtigten Fürsten, die sich an einer W a h l nicht beteiligten, der F a l l war 20
In diesem Punkte stimme ich mit Mitteis, S. 1 7 6 ff., überein, sowenig ich sonst dem meisten von dem folgen kann, was er über die W a h l von 1 2 3 7 sagt.
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Lintzel Bd. I I
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3. Die Ursachen des Vor Stimmrechts Wie über die Frage, wann das Vorwählerkollegium entstanden ist, die Meinungen auseinandergehen, so ist es auch der Fall bei der Frage, wodurch es zustande kam, das heißt, wodurch es die von Eike und später bezeugte Zusammensetzung erhielt. Neuerdings hat man für das Vorstimmrecht der vier rheinischen Fürsten die alte Autorität und alte Ansprüche dieser vornehmsten Fürsten des fränkischen Stammes sowie Ambitionen der rheinisch-weifischen Partei von 1198, auch gewisse Einflüsse der Kurie verantwortlich gemacht; für das Recht von Sachsen und Brandenburg den Sachsenspiegel und die politische Lage um 1230, und der politischen Lage soll dann auch der Böhme seinen Vorrang verdanken. Daneben und früher hat man das Vorstimmrecht der vier weltlichen Vorwähler aus einem, wie schon oben gesagt, für die frühere Zeit postulierten Vorstimmrecht der großen Stammesherzöge abgeleitet oder man hat es sonst irgendwie aus ihrer politischen Rolle und Macht hervorgehen lassen. Neben allen diesen Versuchen, die mit dem Gesagten nicht im entferntesten vollzählig aufgeführt sind, ist aber auch immer wieder die Meinung vertreten worden, daß das Vorstimmrecht mit den Erzämtern zusammenhängt. Zu einem sicheren Resultat kann man nach meiner Uberzeugung nicht kommen. Dafür ist das Quellenmaterial viel zu dürftig. Was sich überhaupt sagen läßt, bleibt notgedrungen hypothetisch. Unter den möglichen Hypothesen dürfte aber doch die zuletzt erwähnte, nämlich die, daß das Vorstimmrecht wenigstens der vier weltlichen Vorwähler aus ihren Erzämtern abzuleiten ist, immer noch den größten Wahrscheinlichkeitswert haben. Wenn sie auch in der letzten Zeit anscheinend nur noch wenig Anhänger gefunden hat, so dürfte sie sich doch (wenn auch keineswegs beweisen) immer noch am besten begründen lassen 21 . Sie hat zunächst vor allen anderen Möglichkeiten den großen Vorzug, daß sie die einzige These ist, die sich auf eine Bestätigung durch die Quellen berufen kann: sie wird sowohl durch Eike von Repgow wie durch Albert von Stade und die ihnen folgenden Quellen gestützt. Man hat nun zwar behauptet, im Sachsenspiegel sei nicht von einem Kausalzusammenhang zwischen Erzamt und Vorstimmrecht, sondern nur von einer Parallelität die Rede, und wenn Albert von Stade sowie die meisten folgenden Quellen, die sich mit diesen Dingen befassen, einen Kausalzusammenhang herstellen, so sollen sie Eike mißverstanden haben. Doch warum müßte das, was Albert von Stade über die Ursachen des Vorstimmrechts sagt, falsch sein, selbst wenn er damit die Ansichten Eikes falsch wiedergibt? Und auch die Tatsache, daß die späteren Quellen das Kurrecht vom Erzamt ableiten, könnte man doch nicht einfach mit der Bemerkung beiseite 21
Der gegen die „Erzämtertheorie" häufig vorgebrachte Einwand, daß zur Zeit der Entstehung des Kurfürstenkollegs von den drei rheinischen Erzbischöfen nur Mainz und Köln ein Erzamt (nämlich ein Erzkanzleramt) hatten, Trier dagegen nicht, scheint mir unbegründet zu sein. Eike und die ihm zunächst folgenden Quellen behaupten ja gar nicht, daß sämtliche Kurfürsten ihre Würde einem Erbarm verdanken, sondern nur. daß das die weltlichen tun. Auf die geistlichen Kurfürsten wird die Theorie erst später ausgedehnt.
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schieben, daß sich bei Eike davon noch nichts findet. Tatsächlich ist aber Eike von Repgow offenbar ganz derselben Ansicht wie der Stader Annalist: dieser versteht ihn durchaus richtig, und die späteren Quellen befinden sich in Übereinstimmung mit ihm. Zwar sagt Eike nicht mit ausdrücklichen Worten, daß die Fürsten von der Pfalz, von Sachsen und Brandenburg ihr Vorstimmrecht deshalb hatten, weil sie Inhaber von Erzämtern waren. Aber welchen Sinn hat es, daß er das Erzamt bei jedem von ihnen hervorhebt, wenn es nach seiner Meinung keinen Zusammenhang mit dem Vorstimmrecht hatte, über das er redet? Nun hat man zwar immer wieder gesagt, damit, daß Eike dem Schenken des Reiches, dem Böhmen, das Vorwahlrecht abspricht, beweise er, daß er das Erzamt nicht als Ursache dieses Rechtes ansieht. Doch diese Argumentation ist nicht recht verständlich, und es dürfte sich gerade umgekehrt verhalten. Wenn Eike betont, der Schenke habe das Erststimmrecht nicht, so beweist das, daß er von der Voraussetzung ausgeht, er müsse es, eben in seiner Eigenschaft als Schenke, eigentlich haben; d. h. Eike gibt mit dem Satz über den Böhmen eine Ausnahme von der Regel, und die Regel ist (wie er es in den anderen Fällen vermerkt), daß der Inhaber eines Erzamtes Vorwähler ist 2 2 . Nun erscheint es sachlich außerordentlich unwahrscheinlich, daß Vorstimmrecht und Erzamt in keinem Zusammenhang miteinander stehen. Man hat das zwar oft behauptet; aber es würde doch ein sonderbarer Zufall sein, wenn es so wäre. Die vier weltlichen Vorwähler und Kurfürsten erscheinen, seitdem wir überhaupt etwas von erblichen Erzämtern am deutschen Königshof wissen, jedenfalls spätestens seit dem Sachsenspiegel, im Besitze dieser Ämter. Sollten da die beiden Funktionen Kuramt und Erzamt wirklich unabhängig voneinander sein? Es scheint sich mir nur um die Alternative zu handeln: entweder war das Erststimmrecht die Folge des Erzamtes oder das Erzamt war die Folge des Erststimmrechts. Und von diesen beiden Möglich- 37 keiten dürfte die erste doch die größere Wahrscheinlichkeit haben. Das Vorstimmrecht der drei rheinischen Erzbischöfe hängt offenbar mit ihren Funktionen bei der Königskrönung zusammen. Für den Erzbischof von Köln ist das völlig klar. Seit der Zeit Konrads II. ist er der rechtmäßige Coronator des deutschen Königs, und daß gerade aus dieser Stellung seine Vorrechte und Ansprüche bei der Kur abgeleitet wurden, ist uns z. B. für die Zeit Innozenz' III. und später deutlich genug bezeugt. Uber die Herkunft des uralten Rechtes des Mainzer Erzbischofs, die Wahl zu leiten und die erste Kurstimme abzugeben, wird man sich im dreizehnten Jahrhundert kaum noch den Kopf zerbrochen haben: als Primas der deutschen Kirche und Nachfolger des Bonifaz war er der vornehmste der deutschen Bischöfe und als solcher für seine hervorragende Rolle bei dem Wahlakt besonders prädestiniert. Doch hervorgegangen sein dürfte diese Rolle auch aus seinem Krönungsrecht: bis 1024 war er der rechtmäßige Coronator des Königs gewesen, und bis dahin hatte sich sein Vorrang bei der Kur längst durchgesetzt. Nach 1024 hat er dann auch noch einige Male an Stelle des Kölners den König gekrönt. Von dem Trierer Erzbischof schließlich wissen wir, daß er bei der Krönung mehrfach mit Köln und Mainz zusammenwirkte oder konkurrierte, und daß er spätestens um 1200 das Recht 22
In diesem Punkte ähnlich wohl auch Mitteis, S. 173 f.
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hatte, den neugewählten König auf dem Stuhle Karls des Großen in Aachen zu inthronisieren. Mit der Krönung befindet sich die Kur aber rechtlich und formal auf der gleichen Ebene, insofern als durch beide Akte der Gewählte zum König gemacht wird. Man kann die Kur als das weltliche Vorspiel der Krönung, die Krönung als das geistliche Nachspiel zur Kur bezeichnen. E s war nur sinnvoll, wenn die bei der Krönung beteiligten geistlichen Fürsten bereits bei der Kur die erste Rolle spielten. Und wenn sie es taten, so war es weiter nur sinnvoll, daß auch die weltlichen Fürsten, die an der Krönung beteiligt waren, ihrem Beispiel bei der Kur folgten. D i e weltlichen Fürsten aber, die bei der Krönung eine Funktion hatten, sind eben die Inhaber der vier Erzämter: ihre hervorragendste Aufgabe war es, bei dem Krönungsmahl (und das Krönungsmahl ist wieder nichts anderes als eine weltliche Fortsetzung oder Ergänzung der Krönung) dem König bestimmte Ehrendienste zu leisten und ihn damit sozusagen zum Hausherrn und Hausvater im Reich zu proklamieren: wie sie ihn beim Krönungsmahl durch eine symbolische Handlung proklamierten, so taten sie es bei der Kur durch ihren Kürruf. Wann das Vorwahlrecht an die Inhaber der Erzämter übergegangen sein könnte, muß einigermaßen unsicher bleiben. Man hat vermutet, daß es bei der Herausbildung des jüngeren Reichsfürstenstandes im letzten Viertel des zwölften Jahrhunderts geschehen sei: damals sei die Masse der weltlichen Fürsten, die Magnaten, von der Wahl ausgeschlossen worden, womit die Geistlichen ein sehr starkes zahlenmäßiges Übergewicht erlangt hätten, und um das zu kompensieren, habe man den Inhabern der vier Erzämter ein Kurrecht unmittelbar nach den rheinischen Erzbischöfen und vor den übrigen Bischöfen eingeräumt. Doch einmal bedeutet eine Besserstellung bei der Kur nicht ohne weiteres eine Besserstellung bei der Wahl: man kann sie also nur schlecht als einen Ausgleich für eine Minderung des weltlichen Einflusses bei der Wahl ansehen. Außerdem ist die Ausschließung der Magnaten von der Wahl offenbar keineswegs mit der Ausbildung des jüngeren Reichsfürstenstandes erfolgt. D i e Magnaten waren noch bis tief ins dreizehnte Jahrhundert, mindestens bis 1220, an der Wahl beteiligt 2 S . Und endlich ist die Voraussetzung für die eben angeführte Beweisführung, daß bis zur Übertragung des Vorwahlrechtes auf die vier Erzbeamten alle Laienfürsten nach allen geistlichen Fürsten stimmten, und diese Voraussetzung ist durchaus unsicher. Wir tappen also im Dunkeln, und das einzige, was man sagen kann, ist, daß das Erststimmrecht den späteren Kurfürsten erst zugefallen sein könnte, nachdem das Erzamt in ihren Häusern oder Ländern erblich geworden war. Doch wann das geschehen ist, wissen wir gleichfalls nicht. Böhmen scheint sein Erzamt spätestens seit dem Anfang des zwölften Jahrhunderts besessen zu haben; Brandenburg kann es nicht gut vor der Mitte des zwölften Jahrhunderts bekommen haben 2 4 ; über Pfalz und Sachsen vermögen wir im Grunde gar nichts zu sagen. Zum ersten Male sicher bezeugt sind die vier Erzämter für die vier späteren Kurfürsten erst im Sachsenspiegel. Immerhin entspricht ihre Verteilung, besonders die Tatsache, daß 23 24
Vgl. dazu weiter unten S. 455. Weil es früher keine Mark Brandenburg gab.
Die Entstehung des Kurfürstenkollegs
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zwei sächsische Fürsten, Sachsen und Brandenburg, Erzämter hatten, wie man schon früher vermutet hat, am besten der politischen Situation um die Mitte des zwölften Jahrhunderts. Wir sahen bereits, daß sich das Vorstimmrecht in den Händen der sieben späteren Kurfürsten mit einiger Sicherheit erst in der Zeit des Sachsenspiegels und im Jahre 1237 nachweisen läßt, daß man aber gegen die Möglichkeit, daß sie es bereits um 1198 und noch früher besaßen, keinen stichhaltigen Einwand erheben kann. War das Erststimmrecht aber tatsächlich eine Folge des Erzamtes, so könnte es nach dem eben Gesagten seinen uns aus dem Sachsenspiegel bekannten Inhabern frühestens um die Mitte des zwölften Jahrhunderts zugefallen sein.
DRITTES
DIE
KAPITEL
ENTSTEHUNG DES AUSSCHLIESSLICHEN DER KURFÜRSTEN
WAHLRECHTS
Das Vorstimmrecht der sieben war eine verhältnismäßig belanglose Angelegenheit. Es war im Grunde eine Frage des äußeren Hergangs und der Rangordnung und hatte, solange das Wahlrecht der übrigen Fürsten bestand, kein großes rechtliches und geringes politisches, die Wahl jedenfalls nicht entscheidendes Gewicht. Seine Entstehung bedeutet gegenüber dem älteren Abstimmungsverfahren bei der Kur eine Veränderung der Form, aber nichts grundsätzlich Neues. Und wenn wir über den Zeitpunkt und die Ursachen seines Aufkommens nichts Bestimmtes aussagen können, so entsteht damit in unseren verfassungsgeschichtlichen Vorstellungen keine allzu große Lücke. Völlig anders dagegen verhält es sich mit der Entwicklung des Vorstimmrechts zum ausschließlichen Wahlrecht der sieben Kurfürsten: mit dieser Entwicklung wurde 40 die überwältigende Mehrzahl der Fürsten zugunsten von sieben Wählern ausgeschlossen, und es büßten damit mehr als hundert Reichsfürsten und Hunderte von Magnaten ihr Wahlrecht ein. Im Wahlrecht der deutschen Fürsten sieht man im allgemeinen das Palladium der fürstlichen Macht im Gegensatz zur Macht des Königs und Kaisers und einen der entscheidenden Gründe für die unglückliche Entwicklung der Verfassung des mittelalterlichen Staates. Dieses Wahlrecht hatte stets bestanden, und bei den Wahlen der Gegenkönige im elften Jahrhundert und dann vor allem bei den Wahlen von 1125 und 1138 (auch 1152) hatte es sich gegenüber dem Erbanspruch der königlichen Dynastie besonders deutlich durchgesetzt. Unter dem mächtigsten der deutschen Könige, Heinrich VI., war der Versuch, es zugunsten des Erbrechts abzuschaffen, gescheitert, und in der Auseinandersetzung zwischen Philipp von Schwaben und Otto IV. hatte es eine neue Belebung erfahren. Dann aber setzt der erstaunliche Vorgang ein, daß mehr als hundert Reichsfürsten (von den Hunderten von Magnaten ganz zu schweigen) aus der Wahl verschwinden, und das nicht etwa zugunsten des bisher mit ihnen rivalisierenden Erbanspruchs der Krone, sondern zugunsten von sieben ihrer Kollegen. Daß bei sämtlichen Wahlen vor 1257 trotz des mehr oder weniger deutlich hervortretenden Kurvorrechts einzelner alle Fürsten noch wahlberechtigt waren, ist keine Frage; bis 1237 geht das aus den Nachrichten, die wir über die Wahlen selbst haben, unzweideutig hervor, und daß es auch 1246, 1247 und 1252 nicht anders gewesen ist, ergibt sich einmal gleichfalls, wenn auch weniger sicher, aus den Berichten über
D i e Entstehung des Kurfürstenkollegs
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die Wahlen dieser Jahre, vor allem aber daraus, daß 1245 Innozenz IV. in Lyon alle Fürsten als wahlberechtigt anspricht und daß noch 1255 der Papst Alexander IV. andere Fürsten als die späteren Kurfürsten als maßgeblich beteiligt an einer möglichen Königswahl oder mindestens ihrer Vorbereitung betrachtet; es ist endlich auch daraus zu schließen, daß sogar noch 1256 der Herzog von Braunschweig neben anderen bei der Vorwahl von Wolmirstedt mitwirkte. Das Vorstimmrecht hatte an dem alten Königswahlrecht also nichts geändert, und trotz seiner Existenz blieben weiter alle Fürsten wahlberechtigt. Und zwar, wie wir gesehen haben, bis zum Jahre 1220 sicher nicht bloß die neuen Reichsfürsten, sondern auch die Magnaten. Wenn es seit dem Ende des zwölften Jahrhunderts auch manchmal so aussieht, als ob die Magnaten in den Hintergrund träten, so sind sie doch bis 1220 nicht wirklich aus der Wahl ausgeschieden. Und wenn man meint, daß das 1237 der Fall sei, so scheint mir das sehr fraglich zu sein. Denn daß sie in der Wahlbeurkundung dieses Jahres nicht genannt werden, braucht seinen Grund nur darin zu haben, daß diese Beurkundung allein von Reichsfürsten ausgestellt wurde; es muß aber nicht beweisen, daß die Magnaten an der Wiener Wahl nicht beteiligt waren 25 . Und mögen sie auch, wie das Schreiben Innozenz' IV. von 1247 zeigt, an die zweite oder vielmehr an die dritte Stelle gerückt sein, noch 1252 wird in den Erfurter Annalen sehr deutlich von ihrer Mitwirkung bei der Braunschweiger Wahl Wilhelms von Holland geredet. Es sieht also so aus, als ob, solange es überhaupt nichtkurfürstliche Wähler gab, auch die Magnaten dazugehörten. Aber wenn bis kurz vor der Doppelwahl von 1257 auch sicher alle Reichsfürsten und wahrscheinlich sogar die Magnaten noch wahlberechtigt waren, so wird doch seit 1220 oder 1237 die Bedeutung der Vorwähler in steigendem Maße betont. Nach der Doppelwahl von 1198 treten sie einigermaßen deutlich nur in tendenziösen Äußerungen und Ansprüchen der rheinisch-weifischen Partei hervor. Allgemein zugebilligt wurde ihnen (wenn sie überhaupt existierten) ein besonderes Recht keineswegs, und selbst in den Äußerungen Innozenz' III. über die principes, ad quos principaliter spectat electio usw. werden sie, wenn überhaupt, nur ganz nebenbei und nebensächlich herangezogen. Während wir dann in den nächsten Wahlen überhaupt nichts von ihnen hören, kann man wenigstens mit der Möglichkeit rechnen, daß sie 1220 als electores aus der Masse der übrigen Fürsten herausgehoben werden; doch werden die Vota dieser Fürsten den ihren noch völlig gleichgestellt. 1237 erscheinen in den Marbacher Annalen die späteren Kurfürsten (soweit sie bei der Wiener Wahl zugegen waren) als eligentes, die übrigen Fürsten nur als consentientes. Ähnlich wird 1247 in dem Schreiben Innozenz' IV. das Votum der Vorwähler, qui in electione cesaris ius habere noscuntur den applaudentes ceteri principes gegenübergestellt, und 1252 endlich betrachten die renitenten Städte für die Nachwahl Wilhelms von Holland nur die noch fehlenden Stimmen zweier späterer Kurfürsten als erheblich. Man sieht: das Kurrecht tritt neben oder vor dem Wahlrecht immer stärker in den Vordergrund, bis es schließlich in den Jahren 1257 und 1273 das Wahlrecht völlig ablöst 25
Der Wortlaut der Urkunde läßt es recht gut denkbar erscheinen, daß in ihr die Reichsfürsten eine tatsächlich erfolgte Mitwirkung der Magnaten mit Stillschweigen übergingen.
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und ersetzt. Es handelt sich also offenbar bei dieser Ablösung und Ersetzung um einen Vorgang, der sich allmählich und etappenweise vollzog, wobei durchaus möglich ist (wenn auch nicht zu beweisen), daß er, wie man oft annimmt, schließlich durch ein Reichsgesetz, und zwar am ehesten wohl durch ein 1256 gefundenes (und uns verlorenes) Weistum, legitimiert wurde. Doch mit der Feststellung, daß die Zurückdrängung des allgemeinen Wahlrechts der Fürsten durch das Kurrecht der sieben ein Prozeß ist, der von etwa 1220 bis 1257 dauert, ist noch nicht viel gesagt. Denn es kommt natürlich weniger auf die Chronologie des Vorgangs als auf seine geschichtlichen Ursachen und Hintergründe an. Die Frage nach den Gründen der Herausbildung des ausschließlichen Wahlrechts der Kurfürsten ist in der Literatur bisweilen mit einer gewissen Gleichgültigkeit behandelt worden. Man glaubte sie mitunter beantwortet zu haben, wenn man die rechtsgeschichtliche Weiterentwicklung von bestimmten Institutionen feststellte, indem man etwa sagte, daß das Kurrecht aus dem Vorstimmrecht hervorgegangen ist oder daß sich Einflüsse des kirchlichen Rechts durchsetzten. Doch es liegt auf der Hand, daß mit derartigen Erklärungen nicht viel erklärt ist: wenn man nachweist, daß eine Institution aus einer anderen hervorgegangen ist, erklärt man nicht, woran 43 es lag, daß in der geschichtlichen Wirklichkeit tatsächlich die eine die andere ablöst, und in unserem Falle vermag eine Aufklärung über institutionelle Entwicklungen nicht die entscheidende Frage nach den Ursachen des Verschwindens der übergroßen Majorität der Wähler aus der Wahl zu beantworten: es ist das mehr eine Frage der politischen als der Rechtsgeschichte. Aber wenn man diese Frage manchmal auch ein wenig vernachlässigt hat, im allgemeinen hat man sich mit ihr doch irgendwie befaßt; und wenn sie, soweit ich sehe, auch nur selten ganz präzise formuliert und in allen ihren Konsequenzen durchdacht ist, so steht sie doch in den meisten Diskussionen mindestens im Hintergrund. Als verantwortlich für die Entstehung des kurfürstlichen Wahlrechts scheinen auf den ersten Blick (da das Königtum im dreizehnten Jahrhundert in Deutschland ausfällt) nur zwei Mächte in Betracht zu kommen: Papsttum und Kirche auf der einen Seite und die Kurfürsten selbst auf der anderen; und diese beiden Mächte hat man in der Literatur denn auch häufig genug in allen möglichen Abwandlungen und Schattierungen verantwortlich gemacht, wobei man bald nur die eine oder die andere, bald beide Mächte zusammen wirksam werden ließ; und wobei man bei den Kurfürsten manchmal an alle sieben, manchmal nur an einige von ihnen, besonders an die rheinischen Fürsten und vor allem den Erzbischof von Köln gedacht hat. Was nun zunächst die Möglichkeit anlangt, daß die Entstehung des ausschließlichen Wahlrechts der Kurfürsten auf den Papst und die Kirche zurückzuführen sei, so sieht man sehr rasch, daß davon nicht ernsthaft die Rede sein kann. Zwar ist keine Frage, daß der Papst immer wieder versucht hat, Einfluß auf die deutsche Königswahl zu gewinnen, zwiespältige Wahlen zu entscheiden und vor allem das Approbationsrecht für sich in Anspruch zu nehmen. Es ist auch zuzugeben, daß er dabei, was nur natürlich war, Gesichtspunkte des kanonischen Rechts zur Anwendung brachte, und daß diese Gesichtspunkte auch seine Anhänger in Deutschland und andere kirchliche und nichtkirchliche Kreise beeinflußten oder beeinflussen
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konnten. Aber mit einer Begründung des kurfürstlichen Wahlrechts hat das wenig oder nichts zu tun. In den langen und umständlichen Erörterungen Innozenz' III. über die Doppelwahl von 1198 tritt, wie gesagt, der Gedanke des Vorstimmrechts gewisser Wähler (wobei noch dazu, wie gleichfalls schon bemerkt, sehr die Frage ist, ob man dabei an die späteren Kurfürsten zu denken hat) nur ganz bescheiden in Erscheinung. Andere Gesichtspunkte rechtlicher und politischer Art sind für Innozenz unvergleichlich viel wichtiger, und davon, daß etwa das Recht der Vorwähler irgendwie begünstigt und unterstützt wird, ist nichts zu merken: es wird höchstens als eine feststehende und zu beachtende Tatsache respektiert. Ebensowenig ist in späteren Stellungnahmen der Kurie von einer derartigen Begünstigung etwas zu entdecken. Wie gleichfalls schon gesagt, vindiziert 1245, bei der Absetzung Friedrichs II. und der Aufforderung an die deutschen Wähler, einen neuen König zu wählen, Innozenz IV. das Wahlrecht sämtlichen Fürsten, und als sich 1255 Alexander IV. gegen den angeblichen Versuch einiger Fürsten wendet, einen Gegenkönig gegen Wilhelm von Holland aufzustellen, da bestreitet er ihnen nicht etwa ihr Wahlrecht zugunsten der Kurfürsten; wenn aber, wie dann vor allem nach 1257 in päpstlichen Briefen und Entscheidungen von dem kurfürstlichen Vorstimmrecht oder Wahlrecht geredet wird, dann bleibt es so, wie es schon in der Zeit Innozenz' III. war: es wird dann das Vorstimmrecht oder Wahlrecht betont oder erwähnt, weil es nun einmal da war und nicht etwa, weil es nach päpstlichen Anschauungen und Wünschen da sein sollte. Daß die Kurie sich so verhielt, ist nur zu verständlich, und es ist nicht einzusehen, warum sie sich anders verhalten und das kurfürstliche Wahlrecht unterstützen sollte. Dem Papst kam es darauf an, bei der deutschen Königswahl mitzureden. Das wurde ihm schwerlich leichter gemacht, wenn er es mit sieben Kurfürsten zu tun hatte, von denen nur drei geistliche, vier aber weltliche Fürsten waren, als wenn er mit etwa hundertundzehn oder noch mehr Wählern zu rechnen hatte, von denen ungefähr neunzig Geistliche waren. Vor allem jedoch, die weltlichen Kurfürsten, deren Wahlrecht der Papst gefordert haben soll, gehörten in den hier in Betracht kommenden Jahrzehnten im allgemeinen nicht zur päpstlichen, sondern zur kaiserlichen Partei, und gerade an den Wahlen von päpstlichen Gegenkönigen 1246 und 1247 hat nicht einer von ihnen teilgenommen. Die Päpste wären also politische Narren gewesen, wenn sie gerade diese mehr als fragwürdigen Bundesgenossen bevorzugt hätten. Und schließlich ist nicht zu begreifen, woher die Kurie, selbst wenn sie es gewollt hätte, die Macht hätte nehmen sollen, die Hauptmasse der deutschen Fürsten aus der Königswahl zu verdrängen. So vielfältig und verwirrend die Eingriffe der Päpste in Deutschland um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts waren, daß ihre Macht nicht allzu weit reichte, ist keine Frage, und das ergibt sich schon allein aus dem kläglichen Schicksal der päpstlichen Gegenkönige und aus der kümmerlichen Beteiligung, welche die vom Papst inszenierten und mit allen Mitteln propagierten Königswahlen fanden. Daß fast sämtliche deutschen Fürsten auf ihr Wahlrecht verzichteten, weil man es in Rom so wollte, ist völlig undenkbar. Wie steht es nun mit den Kurfürsten selbst als Urhebern ihres ausschließlichen Wahlrechts?
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D a ß sie mindestens zum Teil, nämlich die rheinischen Fürsten, Ansprüche auf ein Vorrecht nicht bloß bei der Kur, sondern auch bei der Wahl erhoben, ist nach dem, was die Quellen über die Ereignisse von 1198 erzählen, keine Frage. Aber ein beanspruchtes Recht ist noch kein erworbenes Recht, und daß sich die rheinischen Ansprüche zunächst nicht durchsetzten, ist völlig deutlich. Wenn sie es schließlich trotzdem taten, so könnte man als Grund dafür ansehen (und man hat es auch getan), daß die Kurfürsten die mächtigsten und angesehensten unter den Fürsten waren, vor denen die übrigen mehr und mehr in den Hintergrund traten. Doch diese Ansicht von der überragenden Macht der Kurfürsten ist falsch, und vor allem ist es, worauf doch alles ankommt, ganz unmöglich, daß' ihre Macht ausgereicht hat, um die anderen Fürsten von der Wahl auszuschließen. Zwar waren die drei rheinischen Erzbischöfe die angesehensten Geistlichen, die es in Deutschland gab, und die Erzbischöfe von Köln und Mainz dürften auch, so schwer so etwas richtig abzumessen ist, die mächtigsten von allen gewesen sein. Aber daß die politische Bedeutung der Erzbischöfe von Salzburg und Bremen viel geringer war, wird man nicht behaupten können, und mindestens mit dem Erzbischof von Trier konnten es auch etwa die Bischöfe von Bamberg und Würzburg ohne weiteres aufnehmen. Es ist auch zuzugeben, daß im dreizehnten Jahrhundert der bedeutendste von den weltlichen Fürsten der König von Böhmen gewesen ist, und weiter, daß einige von ihnen, die bei der Wahl als Rivalen der Kurfürsten in Betracht kommen konnten, wie Thüringen und Österreich, ausfielen, weil ihre Dynastien in den vierziger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts ausstarben. Aber die Bedeutung von Brandenburg war sicher nicht größer als die von Meißen, Kärnten, Brabant oder Braunschweig, und die politische Bedeutung der Rheinpfalz und Sachsens war wohl sogar noch geringer; besonders der Herzog von Sachsen war einer der kleinsten und ärmsten Reichsfürsten, dessen Territorium zum Beispiel das der Grafen von Anhalt in keiner Weise überragte. Diese Rechnung verschiebt sich jedoch noch sehr wesentlich zuungunsten der Kurfürsten, wenn man bedenkt, daß es bei ihrer angeblichen Usurpation des ausschließlichen Wahlrechts gar nicht so sehr auf die Macht oder Ohnmacht der einzelnen Fürsten ankam, als darauf, in welchem Verhältnis ihre Gruppe, d. h. die Summe ihrer Machtmittel, zu der aller anderen Fürsten stand. Und da sieht man sofort: sie befanden sich in einer verschwindenden Minorität gegenüber einer erdrückenden Majorität. Die Macht der sieben zusammen war nur ein kleiner Bruchteil der Macht aller übrigen Fürsten, und es ist völlig unerfindlich, wie sie dieser Übermacht ihren Willen hätten aufzwingen sollen. Noch unerfindlicher aber erscheint das, wenn man bedenkt, daß die sieben späteren Kurfürsten in der Zeit, in der sich ihr Wahlrecht ausbildete, offenbar niemals zusammenhielten und nie eine gemeinsame Politik trieben. Der mächtigste Kurfürst von allen, der König von Böhmen, hat sich nach 1237 an keiner Wahl mehr beteiligt; selbst 1257 war er nur durch Bevollmächtigte vertreten, und wie wenig entschieden er damals Stellung nahm, zeigt sich darin, daß jede der beiden streitenden Parteien behauptete, Böhmen habe für sie gestimmt. Der Pfalzgraf bei Rhein fehlte gleichfalls bei den Wahlen von 1246
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und 1247, und Sachsen und Brandenburg fehlten nicht bloß in diesen beiden Jahren, sondern auch schon 1237 und wieder 1257. Aber nicht bloß das: die späteren Kurfürsten gingen im allgemeinen politisch geradezu entgegengesetzte Wege; wie schon erwähnt, standen die rheinischen Erzbischöfe auf päpstlicher, die weltlichen Kurfürsten meist auf staufischer Seite; und bei der ersten Wahl, auf der die Sieben ausschließlich als Wähler in Betracht kamen, der von 1257, waren sie untereinander völlig verfeindet und zerfallen. Wenn es aber so war, wie sollte dann dieses uneinige und hadernde Kollegium die anderen Fürsten verdrängen? Nimmt man indessen nur die rheinischen Kurfürsten oder den Erzbischof von Köln als Vorkämpfer des kurfürstlichen Wahlrechts an, so kommt die Möglichkeit, daß diese kleine Gruppe sich gegenüber den anderen durchsetzte, offenbar überhaupt nicht in Betracht. Die Herausbildung des kurfürstlichen Wahlrechts scheint also ein unlösbares verfassungsgeschichtliches Rätsel zu bleiben. In Wirklichkeit löst sich dieses Rätsel freilich sehr einfach und auf eine höchst harmlose und primitive Weise. Es handelt sich nämlich bei der Entstehung des kurfürstlichen Wahlrechts weniger um eine Usurpation und um ein Zurückdrängen der übrigen Fürsten, als um einen freiwilligen Verzicht, ein Fortbleiben dieser Fürsten von der Wahl und darum, daß die Kurfürsten, zum Teil fast wider Willen und jedenfalls ohne Anstrengung, als die einzigen Königswähler sozusagen übrig blieben. Das Ganze ist ein Vorgang, der mit der Auflösung des mittelalterlichen deutschen Staates und Königtums im dreizehnten Jahrhundert eng zusammengehört, und das Kurfürstenkollegium und sein ausschließliches Wahlrecht ist nichts anderes als ein Verfallsprodukt der alten Reichsverfassung. Daß es so war, läßt sich sehr leicht beweisen 2 0 . Bekanntlich ist das Interesse der deutschen Fürsten an der Reichspolitik immer 48 etwas fragwürdiger Natur gewesen. Es war stets nur ein Teil der Fürsten, der zur Krone und zum Reich in engeren Beziehungen stand, während die anderen sich absonderten und eigene Wege gingen. Wie das im einzelnen war, darüber wissen wir noch wenig Bescheid, und es würde sich vermutlich lohnen, einmal genauer zu untersuchen, welche Fürsten und warum gerade sie es waren, die mit dem König zusammen arbeiteten, und welche sich fernhielten. Man würde dabei vermutlich bemerken, daß sich in einzelnen Fürstentümern eine stärkere Reichstradition (oder wie man es nennen will) herausbildete als in anderen. Doch so unklar da vieles einstweilen bleiben mag, daß im allgemeinen das Interesse am Reich nicht groß war, ist ganz deutlich: die Fürsten hatten, besonders seit dem Investiturstreit, ein Interesse daran, ihren Territorialstaat auszubilden; eine Beteiligung an der Reichspolitik mochte sie 28
Das, was ich hier und im folgenden sage, scheint mir die entscheidende Ursache und Vorbedingung für die Entstehung des Kurkollegs zu sein. D a ß bei der Ausgestaltung des Wahlmodus im einzelnen und anderer mit dem Hauptvorgang zusammenhängender Erscheinungen noch andere Momente eine Rolle spielten, will ich damit, wie schon oben angedeutet, keineswegs bestteiten; in dieser Hinsicht scheint sich mir viel von dem, was sich bei Mitteis und in der anderen Literatur findet, durchaus mit dem zu vertragen, was ich hier vorbringe: es kommt mir vor allem auf die politisch-historische Seite der Sache an.
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im allgemeinen von diesen Absichten und Aufgaben nur abziehen und kam darum höchstens in zweiter Linie in Betracht Eines der bekanntesten und deutlichsten Symptome für ihre geringe Verbindung mit dem Reich ist die Tatsache, daß die Fürsten auf den Reichs- und Hoftagen der Könige nur sehr teilweise und widerwillig zu erscheinen pflegten. Der Besuch der Hoftage galt im allgemeinen nicht als Recht, sondern als Pflicht, und daß man diese (tatsächlich viel Zeit und Unkosten beanspruchende) Pflicht als lästig empfand, beweist der Umstand, daß gerade die mächtigsten Fürsten sich davon dispensieren ließen. Das Privilegium minus Friedrich Barbarossas für Österreich 27 und das große Privileg Friedrichs II. für Böhmen sind dafür die bekanntesten Zeugnisse. Auch die Königswahlen haben anscheinend nicht immer das Interesse gefunden, das man als selbstverständlich voraussetzen möchte. Es beteiligte sich wohl immer nur ein Bruchteil der Berechtigten, wenn man auch wird annehmen können, daß bis zum Anfang des dreizehnten Jahrhunderts die mächtigeren Fürsten im allgemeinen ihr Wahlrecht ausübten. Immerhin, daß auch schon in dieser Zeit auf das Wahlrecht nicht der große Wert gelegt wird, den die moderne Geschichtschreibung ihm beimißt, wird man daraus schließen können, daß Heinrich VI. den Fürsten für seine Beseitigung verhältnismäßig geringfügige Angebote machte. Nach dem Thronstreit zwischen Philipp und Otto machte dann der Ausbau der landesherrlichen Stellung der Fürsten die größten Fortschritte: bezeichnend dafür sind die bekannten Privilegien Friedrichs II. von 1220 und 1231. Das Reich war tatsächlich zusammengebrochen, von einer eigentlichen Reichspolitik war keine Rede mehr, und man sieht deutlich und überall, daß der landesfürstliche Egoismus dominierte. Man brauchte das Königtum nicht mehr, und man wollte es nicht mehr haben. Nach dem Tode Wilhelms von Holland ist bekanntlich ein Jahr vergangen, ehe man sich zu einer Neuwahl verstand. Und dann wählte man zwei Ausländer, von denen der eine nur für etwa ein Drittel seiner Regierungszeit nach Deutschland kam und sich nur in den nordwestlichen Grenzgebieten des Reiches sehen ließ, während der andere niemals im Norden der Alpen erschien. Deutlicher als mit dieser Wahl, deren Resultate vorauszusehen waren, konnte sich die Gleichgültigkeit der Wähler gegenüber einer deutschen Zentralgewalt kaum manifestieren. Mit dem kläglichen Zustand, der durch sie geschaffen wurde, hat man sich länger als anderthalb Jahrzehnte begnügt; und wenn man sich schließlich nach dem Tode Richards 1273 zu einer Neuwahl aufraffte, so entsprach man damit offenbar mehr der Initiative des Papstes als den Wünschen der deutschen Fürsten. Aber viel anders ist es doch auch in den Jahrzehnten vorher nicht gewesen. Friedrich II. war seit 1220 nicht mehr deutscher König im alten Sinne des Wortes, sondern im Grunde nur der mächtigste und vornehmste Bundesgenosse der Fürsten. Von einer eigentlichen Reichsgewalt war keine Rede. Das Königtum Heinrichs (VII.) gewann für die deutsche Politik nur insofern Bedeutung, als es von den Fürsten ignoriert, abgelehnt und schließlich beseitigt wurde. Konrad IV. hatte eine leidlich ein" Selbst wenn der bekannte Hoftagsparagraph des Privilegium minus eine Fälschung der späteren Babenberger sein sollte, so würde doch gerade diese Fälschung zur Genüge beweisen, was ich oben sage.
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flußreiche Stellung nur im Umkreis der staufischen Besitzungen im Südwesten des Reiches. Heinrich Raspe ist nie zu allgemeiner Geltung gekommen, und bei Wilhelm von Holland war das nicht viel mehr der Fall: er blieb trotz der formalen Anerkennung, die er 1252 auch im Osten fand, im Grunde auf den Nordwesten Deutschlands beschränkt, und die Geschichtschreiber seiner Zeit wissen kaum etwas von ihm ?8 . Wie wenig das Königtum auch in den Kreisen der staufischen Partei noch galt, das zeigt sich darin, daß man nach dem Tode Konrads IV. keinen neuen König wählte. Man erkannte, wenigstens teilweise, Wilhelm von Holland pro forma an, ohne ihn doch wirklich regieren zu lassen. Der König war noch bei der Bestätigung von Privilegien, eventuell auch, um die Spitze des Lehnsstaates darzustellen, zu verwerten; im übrigen war er zu einer völlig nebensächlichen und überflüssigen Figur geworden. Die Idee des Königtums und seine Regierungsgewalt waren tatsächlich erloschen. Dem gänzlichen Zurücktreten des Königtums und seiner Belanglosigkeit entsprach es aber nur, daß es den Fürsten auch gleichgültig wurde, wer König war. Wie in dieser Zeit die Hof- und Reichstage immer seltener und spärlicher besucht wurden, so daß sie schließlich überhaupt kaum noch zustande kamen, haben sich die Fürsten auch von der Königswahl immer mehr zurückgezogen. Während die Beteiligung an den Wahlen Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) offenbar noch verhältnismäßig groß gewesen ist, müssen bei der Wahl Konrads IV. die Marbacher Annalen schon von pauci principes reden, die mitgewirkt haben: es waren tatsächlich elf Reichsfürsten, die sich in Wien einfanden, also nicht einmal zehn Prozent des neuen Standes. Die Wahlen Heinrich Raspes und Wilhelms von Holland beweisen als Parteiwahlen nicht eben viel; aber auch wenn man das berücksichtigt, bleibt doch eine Beteiligung von drei Fürsten in Veitshöchheim, das heißt von etwa s< dem vierzigsten Teil der Reichsfürstenschaft erstaunlich dürftig, und wenn auch die Worringer Wahl von etwa doppelt oder dreimal soviel Fürsten besucht gewesen sein mag, so kann man damit noch nicht von einer einigermaßen angemessenen Wahlbeteiligung reden. Bezeichnend für die Stimmung und die völlige Interesselosigkeit, die um die Mitte des zwölften Jahrhunderts in den fürstlichen Kreisen gegenüber der Königswahl herrschte, ist eine Äußerung des bayrischen Herzogs und Pfalzgrafen bei Rhein Otto aus dem Jahre 1240, die uns von Albert von Passau überliefert wird. Als Albert ihm sagte, der Papst werde unter Umständen, wenn die Fürsten nicht einen neuen König wählten, selbst einen König bestellen, und das Imperium könne damit an andere Völker gelangen, da antwortete der Herzog leniter et pure: 'O utinam dominus noster papa hoc ipsum iam fecisset! Propter hoc enirn vettern utrique voci renuntiare, videlicet Palatii et ducatus, et dare super hoc ecclesiae pro me et heredibus publicum instrumentum.' Man war also gern bereit, ohne weiteres auf ein deutsches Königtum und ebenso auf das eigene Wahlrecht zu verzichten, und in den Worten des Herzogs Otto kündigt sich schon deutlich das an, was dann, wenigstens was die Person und Herkunft des Königs anlangt, 1257 Tatsache wurde. 28
Wenn Wilhelm neuerdings manchmal günstiger beurteilt wird, so scheint mir das (mindestens, was das Ergebnis seiner Anstrengungen anlangt) nicht ganz berechtigt zu sein.
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Wie also das Interesse am Königtum verschwand, so verschwand auch das Interesse an der Königswahl: die Fürsten kümmerten sich nicht mehr um sie und ließen ihr Wahlrecht verlöschen. D a erscheint es als ein völlig verständlicher und fast selbstverständlicher Vorgang, daß das Wahlrecht an den Vorwählern, an den Kurfürsten, gewissermaßen hängen blieb. Im Rechtsbewußtsein der Zeit waren sie die Ersten an der Kur. Sie waren (gleichgültig ob das Kurrecht aus dem Erzamt hervorgegangen ist oder nicht) die Kur- und Krönungsbeamten des Reiches, diejenigen, die vor allen anderen Fürsten das Recht und die Pflicht hatten, den neuen König zu proklamieren und sein Königtum zu manifestieren. Durch ihre Rechte und Pflichten bei der Kur war zwar ihr Wahlrecht nicht besser, aber ihre Verbindung mit der Erhebung des Königs war enger, als das bei den anderen Fürsten der Fall war. Verschwanden diese aus der Wahl, so blieben die Vorwähler als die einzigen Wähler übrig. Hätte sich diese Entwicklung konsequent fortgesetzt (und sich damit selbst ad absurdum geführt), so hätte schließlich der Erzbischof von Köln als Coronator zum einzigen Königswähler werden müssen. Man kann nicht gerade sagen, daß sich die Kurfürsten in ihrer Gesamtheit zu ihrer neuen Rolle gedrängt haben. Wert auf ihr Wahlrecht haben offensichtlich nur die rheinischen Fürsten, in erster Linie die drei Erzbischöfe, gelegt. Das ergibt sich einmal daraus, daß man seit etwa 1200 etwas davon erfährt, daß sie besondere Ansprüche bei der Wahl resp. der Kur erhoben, und vor allem ergibt es sich aus ihrer Wahlbeteiligung. Die drei Erzbischöfe waren, wie schon bemerkt, bei sämtlichen Wahlen seit 1237 anwesend 29 , während alle anderen Fürsten immer mehr fernblieben. Dieses Interesse mag sich einmal aus einer alten Tradition erklären, welche die rheinischen Metropoliten nicht bloß mit der Krönung und Wahl des Königs, sondern überhaupt mit dem Königtum und der Königspolitik verband. Offenbar haben sie es auch im Gegensatz zu anderen Fürsten besonders gut verstanden, die Reichspolitik den Bedürfnissen ihrer Territorialpolitik nutzbar zu machen. Und ergänzend mag zu diesen Motiven hinzugekommen sein, daß in ihren Territorien Städte und Städtepolitik eine besonders große Rolle spielten. Während die Fürsten im dreizehnten Jahrhundert das Königtum mehr und mehr aufgaben, haben die Städte bekanntlich an dem Gedanken einer starken Reichsgewalt festgehalten. In ihnen fast allein war das Interesse für das Königtum noch lebendig. Während die rheinischen Kurfürsten in ihre Rolle offenbar gern hineinwuchsen, scheinen sich die ostdeutschen zunächst ferner gehalten zu haben. Daß sie den Wahlen von 1246 und 1247 fernblieben, beweist zwar nichts: das waren Wahlen, die von einer ihnen feindlichen Partei veranstaltet wurden. Mehr beweist es schon, daß sie nicht protestierten und daß sie nach 1252 und 1254 keine Gegenwahlen vollzogen; und am meisten, daß Brandenburg und Sachsen 1237 in Wien nicht zugegen waren und daß alle drei ostdeutschen Kurfürsten sich bei den Wahlen von 1257 durch Bevollmächtigte vertreten ließen. Bezeichnend aber ist, daß auf ihre Wahlbeteiligung gerade die Städte, deren besondere Stellung zum Königtum wir eben betonten, Ge29
Freilich fehlte in Wien 1237 Köln, das, wie schon gesagt, vakant war.
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wicht legten. Es war vielleicht nicht ihrer Initiative zu verdanken, aber es entsprach doch ihren Wünschen, wenn Sachsen und Brandenburg die Braunschweiger Nachwahl von 1252 vollzogen. Den Ursachen und dem Vorgang bei der Entstehung des Kurfürstenkollegs, wie ich sie eben skizzierte, entspricht es, daß sich diese Entwicklung nach allem, was wir wissen, völlig friedlich und reibungslos vollzog. Da die Fürsten freiwillig aus der Wahl ausschieden, so hatten sie keinen Grund, gegen das Wahlrecht der Kurfürsten zu protestieren und ihnen Widerstand zu leisten 30 . Es ist im hohen Mittelalter nicht gerade selten vorgekommen, daß das Wahlrecht einer größeren Gruppe zugunsten einer kleineren eingeschränkt wurde. Man denke etwa an die Entstehung des Kardinalskollegs oder des Wahlrechts der Domkapitel oder auch an die sogenannte Schließung des Großen Rats und die Konstituierung der Dogenwähler in Venedig. Es liegt nahe, zwischen solchen Erscheinungen und der Entstehung des Kurfürstenkollegs Analogien und Parallelen zu suchen und zu finden, und man hat es wohl auch mitunter getan. Doch eine Verwandtschaft besteht nur im Resultat; in der geschichtlichen Entwicklung und ihren Ursachen unterscheidet sich die Herausbildung des Kurkollegs völlig von jenen Erscheinungen. Dort handelt es sich um einen Akt der Konzentration, um den Sieg oligarchisch-monarchischer Tendenzen, und die Entstehung des Vorrechts der Wenigen ist ein Zeichen ihrer Macht und der Macht der Institution, die sie repräsentieren und die sie zu wählen haben. Bei der Entstehung des Kurkollegs dagegen handelt es sich um das Gegenteil von alledem. Sein Wahlrecht hat sich im Schatten des Zusammenbruches des deutschen Königtums und der Reichsgewalt und des Reichsgedankens herausgebildet; sozusagen in einem Moment der politischen Stille, als das Interesse an der Königswahl fast völlig eingeschlafen war. D a ß dann seit der Wahl Rudolfs von Habsburg aus dem ursprünglich nur von wenigen begehrten und von den anderen Fürsten verschmähten Recht für die Kurfürsten eine Quelle der Macht und des Einflusses auf die erneuerte Reichsgewalt wurde, steht auf einem anderen Blatt der Geschichte. 30
Natürlich ist durchaus möglich, daß der eine oder der andere Fürst etwas größeres Gewicht auf sein Wahlrecht legte; z. B. beim Herzog von Brabant läßt sich anscheinend so etwas beobachten. Doch an der Situation im allgemeinen würde das nichts ändern: der einzelne vermochte sich bei der völligen Interesselosigkeit der Gesamtheit der Fürsten nicht durchzusetzen. Bezeichnend ist, daß der erste Konflikt um den Besitz einer Kurstimme, von dem wir wissen, erst 1273 erfolgte, d. h. als das Kurkolleg längst abgeschlossen war.
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Das Bündnis Albrechts I. mit Bonifaz VIII. Historische Zeitschrift, Band 1 5 1 , 1 9 3 5 , S. 4 5 7 - 4 8 5
1.
Am 30. April 1303 hat der Papst Bonifaz VIII. den Habsburger Albrecht I., dem er bis dahin die Anerkennung als König versagt hatte, als Rex Romanorum approbiert. In feierlichem Konsistorium hielt er eine Ansprache, in der er die Approbation verkündete. Nachdem der Führer der vom König nach Rom geschickten Gesandtschaft, der Kanzler Johann, in längerer Rede darauf geantwortet hatte, schwuren die deutschen Gesandten dem Papst für König Albrecht einen Eid. Außerdem wurden Urkunden Albrechts an den Papst überreicht und von der Kurie Urkunden an Albrecht, an die Kurfürsten und an die Untertanen des Königs erlassen. Am 17. Juli hat dann der Habsburger seine am 30. April übergebenen Diplome erneuert und (vielleicht mit einigen Änderungen) bestätigt. Über den Vertrag, der auf diese Weise zwischen Albrecht und Bonifaz zustande gekommen ist, gehen die Meinungen seit langem weit auseinander. Das Verfahren des Papstes wie die Zusicherungen Albrechts im einzelnen und im ganzen werden sehr verschieden beurteilt; man erblickt in dem Vertrag vom 30. April 1303 bald einen Sieg des Papstes, bald einen Sieg des Königs, wobei freilich im ganzen die Anschauung, daß er ein Erfolg oder wenigstens nicht ein Mißerfolg Albrechts gewesen sei, neben der Meinung zurücktritt, daß er eine völlige Niederlage der deutschen Krone, eine der tiefsten Demütigungen darstellt, die sie jemals vom Papsttum erfahren hat 1 . 1
Als Sieg Albrechts wird der Vertrag von 1 3 0 3 bewertet z. B. von J. F. A . Mücke, Albrecht I., Herzog von Österreich und römischer König (1866), S. 1 1 9 ff.; ähnlich, wenn auch nicht ganz so günstig, beurteilen den Vertrag Th. Lindner. Deutsche Geschichte unter den Habsburgern und Luxemburgern I (1890), S. 1 4 9 ff., P. Doenitz, Über Ursprung und Bedeutung des Anspruches der Päpste auf Approbation der deutschen Königswahlen, Diss. Halle 1 8 9 1 , S. 47 ff., W . Renken, Hat König Albrecht I. dem Papste Bonifaz VIII. einen Lehnseid geleistet? Diss. Halle 1 9 0 9 , M. Krammer, Das Kurfürstenkolleg ( 1 9 1 3 ) , S. 192 ff.; vgl. auch B. Schmeidler, Das spätere Mittelalter (1, 1932), S. 62. Ungünstig für Albrecht wird der Vertrag beurteilt etwa von E. Engelmann, Der Anspruch der Päpste auf Konfirmation und Approbation bei den deutschen Königswahlen ( 1 8 8 6 ) , S. 64 ff., A . Niemeier, Untersuchungen über die Beziehungen Albrechts I. zu Bonifaz VIII., Histor. Studien 19 ( 1 9 0 0 ) , S. 1 0 0 ff., A . Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands V , 1 ( 1 9 1 1 ) , S. 468, R. Moeller, Ludwig der Bayer und die Kurie im Kampf um das Reich ( 1 9 1 4 ) , S. 7 ff., F. Baethgen, Die Promissio Albrechts I. für Bonifaz VIII., Aus Politik und Geschichte, Gedächtnisschrift für G. von Below (1928), S. 75 ff., A . Hessel, Jahr-
Das Bündnis Albrechts I. mit Bonifaz VIII.
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Eine Untersuchung, welche die Bedeutung des Paktes zwischen Albrecht und 458 Bonifaz ganz erfassen wollte, müßte die gesamte Politik des Königs und des Papstes in allen ihren Verwicklungen und Verzweigungen untereinander und mit den europäischen Mächten ihrer Zeit berücksichtigen und verfolgen: die Auseinandersetzung zwischen dem Habsburger und dem Gaetani ist ein Stück Universalgeschichte, und alle Verhältnisse Europas sind darin verquickt. Hier möchte ich indessen nur in möglichster Kürze einige von den Gesichtspunkten erörtern, die mir wichtig für die Kritik des Friedensschlusses von 1303 oder wenigstens geeignet zu sein scheinen, zu einer Klärung des Urteils über ihn beizutragen. 2.
Nach der zweiten Wahl Albrechts, die nach der Schlacht bei Göllheim und dem Ende Adolfs von Nassau im Juli 1298 vollzogen wurde, schickten die Kurfürsten eine Wahlanzeige an Bonifaz VIII., in der sie baten, er möchte den neuen König paterno applausu und favore et benignitate sólita in seinem Regiment begünstigen und ihn alsbald zur Kaiserkrönung berufen 2 . Aber der Papst lehnte alles das ab; er betrachtete den deutschen Thron als vakant und behandelte Albrecht lediglich als Herzog von Österreich 3 . Die rechtliche Grundlage, auf die Bonifaz dieses Verhalten stützte, ist uns hinlänglich bekannt. Es ist ein Schreiben der Kurie vom 13. April 1301 an die rheinischen Erzbischöfe erhalten, in dem Bonifaz zu der Wahl und dem Recht Albrechts prin- 459 zipiell Stellung nimmt 4 , und wir wissen, daß er den Standpunkt, den er da vertritt, von Anfang an vertreten hat 5 . In dem Schreiben ist ausgedrückt, daß der Kurie die Prüfung der deutschen Königswahl, ihres Verfahrens und ihrer Rechtmäßigkeit, und weiter die Prüfung der Eignung des Gewählten zustehe. Solange nicht auf Grund dieser Prüfungen die Approbation des Gewählten durch den Papst ausgesprochen sei, sei er nicht König 6 . Bonifaz verfocht damit den Approbationsanspruch, den der
2 4 6
30
büchet des Deutschen Reiches unter König Albrecht I. (1931), besonders S. 109 ff. Als bezeichnend für die Ansicht, die im allgemeinen außerhalb der Spezialliteratur herrscht, kann man vielleicht den Satz aus D. Schäfers deutscher Geschichte I, 8. Auflage (1921), S. 365 anführen, Albrecht habe sich dem Papst in aller Form unterworfen. - Die Literatur über den Vertrag von 1303 ist sehr umfangreich, und ich kann mich aus Gründen der Raumersparnis hier und im folgenden nur mit einem Teil von ihr auseinandersetzen. Es handelt sich dabei für mich weniger darum, die Bedeutung, die dem Vertrag in dem System der mittelalterlichen Welt- und Staatsanschauung zukommt (sie hat vor allem Baethgen eindringlich besprochen), als seine politische Bedeutung zu untersuchen. 3 Vgl. Hessel, S. 112 ff. Vgl. MG. Const. IV, Nr. 9 und 10, S. 8 ff. Vgl. Const. IV, Nr. 109, S. 86 ff s Vgl. Hessel, S. 117 f., und vor allem Niemeier, S. 43 ff. In dem Schreiben sagt Bonifaz: Nos, ad quos ius et auetoritas examinandi personam in regem Romanorum electam . . . neenon denuntiatio seu reputatio ydoneitatis persone vel forme et nominatio regia seu ratione indignitatis persone vel forme reprobatio perttnere noscuntur . . ., und er wirft Albrecht vor, daß er a prefata sede nec approbatione nec regia nominatione obtentis et nichilominus de facto ut Romanorum rex máxime in Germanie partibus administrare presumpsit. Vgl. dazu auch seinen Brief an den Bischof von Florenz vom 15. Mai 1300, Const. IV, Nr. 108, S. 84 ff., in dem gesagt wird, daß das Imperium vakant sei, da die Kurie den Herzog Albrecht noch nicht als römischen König zugelassen oder approbiert habe. Lintzel Bd. I I
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Zum hohen und späten Mittelalter
Apostolische Stuhl seit langem und mit verschärftem Nachdruck seit der Zeit Innozenz' III. vertreten hatte, in der schroffsten und weitgehendsten Form. Nicht bloß die Regierungsrechte im Imperium, in Burgund und Italien, wie eine mildere Theorie a n n a h m 7 , sondern auch alle königlichen Rechte in Deutschland selbst sollten dem Nichtapprobierten versagt bleiben 8 . D a Bonifaz ebensowenig wie den von den Kur wir feststellen konnten, daß die Gleichsetzung von Liebe und Tod in ihnen am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Im Findling ist die Liebe Elvires zu dem verstorbenen Colino, ihrem Lebensretter, von einer gewissen jenseitsverbundenen Mystik erfüllt; Elvire selbst erscheint fast als Heilige, und eben infolge ihrer Liebe zu dem Toten wird ihre Begegnung mit Nicolo so verhängnisvoll. In der Marquise von O . tritt der Graf der Marquise als ihr Lebensretter und in dieser Eigenschaft, wie ausdrücklich gesagt wird, wie ein Engel entgegen; ihre Schwangerschaft ist aber die Folge einer Art unbefleckter Empfängnis, und ihre Gestalt und ihre Liebe erhalten daher einen eigentümlichen Hauch von Unschuld und Heiligkeit. D i e Tatsache, d a ß in Kleists Dichtungen die Liebe etwas Göttliches und besonders Schicksalhaftes ist, scheint mir mit ihrer Todesnähe zu korrespondieren. Dadurch, daß die Liebe irgendwie mit dem Tod, oder wenigstens mit dem Leid verbunden ist, bekommt sie ein größeres Gewicht und eine größere W ü r d e ; sie greift tiefer ein, sie ist entscheidender und mächtiger, als wenn sie allein stände, sie erfaßt, durchdringt und begrenzt das Ganze des Lebens, und es geht in ihr wirklich um alles. Dem entspricht es, daß sie göttlicher Weihe, göttlichen Ursprungs und eine Tochter des Schicksals ist.
11. Die psychologischen
Ursachen
Woher kommt die eigentümliche Einstellung zur Liebe und ihr Verhältnis zum Tode in Kleists Dichtungen? Unger hat in seiner erwähnten Studie (in der die hier erörterte Einstellung freilich kein Problem war) für das, was er über die Anschauung vom Tode bei Kleist feststellte, unter anderem nach literarischen Beeinflussungen und Abhängigkeiten gesucht; vor und nach ihm haben es andere ähnlich gemacht, und es liegt nahe, danach zu suchen.
Liebe und Tod bei Heinrich von Kleist
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Doch die Ausbeute ist gering. Am nächsten und deutlichsten ist nach Ungers Auffassung noch die Verwandtschaft zwischen Kleist und Novalis. Unter den Romantikern und den Dichtern, die der Romantik nahestehen, sind Kleist und Novalis tatsächlich diejenigen, deren Dichtung am meisten Beziehung zum Tode hat, und nicht bloß zum Tode, sondern zu der Verbindung von Tod und Liebe: auch bei Novalis (wie auch sonst in der Romantik) ist die Liebe zum Tode gehörig und der Tod zur Liebe. Doch das ändert nichts daran, daß zwischen Kleist und Novalis ein grundlegender Unterschied besteht Wohl könnte sich auch bei Kleist eine Vorstellung wie die des Novalis vom Tode als Brautnacht finden, und Novalis' Vers „Zur Hochzeit ruft der Tod" spricht Gedanken aus, wie wir sie bei Kleist immer wieder kennengelernt haben. Doch so sehr sich beide Dichter darin ähneln, daß Tod und Liebe bei ihnen identisch sind, der Sinn, die Ursachen und das Ziel dieser Identität sind bei beiden völlig verschieden. Bei Novalis handelt es sich um die Sehnsucht, im Tode zu versinken, um sich mit der verstorbenen Geliebten wieder zu vereinigen; und diese Sehnsucht ist von einer christlich gefärbten Todesmystik und Jenseitsschwärmerei erfüllt. Das, was sich uns bei Kleist als das Wesentliche gezeigt hat, die Tendenz, die Geliebte zu quälen und zu töten, fehlt völlig. Aber selbst wenn sich in diesem Punkte noch stärkere Ähnlichkeiten zwischen Kleist und anderen Dichtern nachweisen lassen sollten (an gewisse Parallelen etwa zu Schiller habe ich schon erinnert), so wäre das für die Frage nach der Herkunft von Kleists Einstellung letzten Endes belanglos. D a ß eine Vorstellung, die immer wieder mit solcher Konsequenz und Intensität erscheint, wie die Vorstellung von der Zusammengehörigkeit von Liebe und Tod in Kleists Dichtungen, von außen her angeregt, übernommen und entlehnt ist, ist von vornherein sehr unwahrscheinlich. Kleist hat einmal (in einem Brief vom Spätherbst 1807, Nr. 103) gesagt, in der Penthesilea liege sein „innerstes Wesen", „der ganze Schmerz zugleich und Glanz meiner Seele". Die Penthesilea ist die Dichtung, in der sich die Identität von Liebe und Tod am schonungslosesten und am folgerichtigsten enthüllte. D a ß es aber so ist, entspringt in der Tat Kleists „innerstem Wesen", und es läßt sich nachweisen, daß auch sonst und überhaupt jene Zusammengehörigkeit ihren Ursprung nicht in einer äußeren und literarischen Einwirkung gehabt haben kann, sondern daß sie aus dem tiefsten Lebensgefühl des Dichters und seiner seelischen Struktur selbst stammt (womit gegen die Möglichkeit einer äußeren Beeinflussung in einzelnen Momenten und Motiven natürlich nichts gesagt sein soll). Heinrich von Kleist hat sich selbst getötet, und wenn sein Selbstmord auch durch äußere Ursachen wie die Ausweglosigkeit seiner wirtschaftlichen Lage, die Katastrophe Preußens oder den Konflikt mit seinen Geschwistern mitbestimmt gewesen ist, so ist doch keine Frage, daß er einer tiefen inneren Veranlagung des Dichters entsprang. Als sein bester Freund, Ernst von Pfuel, der mit Kleist seit seiner Potsdamer Offizierszeit bekannt und befreundet war, die Nachricht von seinem Tode erhielt, äußerte er zu Brentano, er habe nie etwas anderes von Kleist erwartet 9 . Und an Karoline von Fouque schreibt er ein paar Wochen später: „Dagegen, daß Kleist 9
Vgl. von Biedermann, S. 229 f.
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Zur Literaturgeschichte
sich überhaupt den Tod gab, habe ich nichts, gar nichts, er war so gequält und zerrüttet, daß er den Tod mehr lieben mußte als das L e b e n . . . . Es war gut, daß er starb, das Herz war ihm schon lange gebrochen." 1 0 Tatsächlich taucht der Gedanke an den Tod, bald in der Form der Todesfurcht, meistens aber in der Form der Todeserwartung und Todeshoffnung, schon sehr früh in Kleists Leben auf. Sehen wir zunächst seine Briefe durch, so finden wir in einem Brief an seine Braut, Wilhelmine von Zenge (vom 13. November 1800, Nr. 25), die Worte: „Wenn ich auch auf dieser Erde nirgends meinen Platz finden sollte, so finde ich vielleicht auf einem andern Sterne einen um so bessern." Denselben Gedanken wiederholt er fast wörtlich zwölf Tage später in einem Brief an seine Schwester Ulrike (Nr. 28); und noch ein dreiviertel Jahr danach äußert er ihn in einem Brief an Karoline von Schlieben abermals, wobei er freilich nicht sich selbst, sondern ihr diesen besseren Platz auf einem anderen Sterne wünscht (Nr. 45). Am 9. April 1801 schreibt er (Nr. 39) in einem Brief an Wilhelmine: „Mir flüstert eine 63 Ahnung zu, daß mir mein Untergang bevorsteht." Gegen Ende des Jahres heißt es in einem Brief an den Maler Lohse (vom 23. Dezember 1801, Nr. 53): „O wenn Gott diesmal mein krankhaftes Gefühl nicht betrügen wollte, wenn er mich sterben ließe!" Und am 20. Mai 1802 (Nr. 60) schreibt er an Wilhelmine, er habe keinen anderen Wunsch, als bald zu sterben; zwei Monate später (Nr. 61) an Wilhelm von Pannwitz: „Ich bitte Gott um den Tod." Merkwürdig und auffällig ist die Gestalt, in der diese Gedanken und Wünsche in einem Brief an Kleists Stiefschwester Ulrike vom 1. Mai 1802 (Nr. 59) erscheinen. Einmal redet Kleist hier von der „seltsamen Furcht, ich möchte sterben, ehe ich meine Arbeit vollendet habe", und ein paar Sätze später heißt es: „Ich habe keinen andern Wunsch, als zu sterben, wenn mir drei Dinge gelungen sind: ein Kind, ein schön Gedicht und eine große Tat. Denn das Leben hat doch immer nichts Erhabneres als nur dieses, daß man es erhaben wegwerfen kann." Also ein freiwilliger Tod nach der Erreichung eines höchsten Zieles und eines äußersten Glückes: man wird unwillkürlich an Penthesileas Worte erinnert, in denen sie sich im Augenblick des höchsten Glückes „ganz reif zum Tode" fühlte. In der zuletzt erwähnten Briefstelle spielt Kleist unverkennbar mit dem Gedanken an den Selbstmord. Doch der Gedanke, daß man sein Leben wegwerfen müsse, findet sich auch schon in einem Brief an Wilhelmine vom 21. Juli 1801 (Nr. 46); und wenn er anderthalb Monate vorher (am 3. Juni, Nr. 43) an dieselbe schreibt: „Ach, es ist ekelhaft zu leben", so ist der Gedanke an den Selbstmord offenbar nicht weit entfernt. Dieser Gedanke steht wohl auch schon in den erwähnten Briefen vom November 1800 im Hintergrund, in denen von dem Finden eines besseren Platzes auf einem anderen Stern die Rede war. Auf denselben Gedanken spielt dann Kleist am 23. März 1801 (Nr. 36) an, wenn er an Ulrike von der Möglichkeit einer unwiderruflichen Verirrung schreibt, der er durch die damals geplante Pariser Reise entgehen will. Ganz deutlich wird die Absicht, sich selbst zu töten, zum ersten Male in dem Brief an Wilhelmine vom 15. August 1801 (Nr. 47) ausgesprochen: „Ich will mich 10
von Biedermann, S. 227 f. Vgl. dazu und zum folgenden Unger S. 92 ff.
Liebe und T o d bei Heinrich von Kleist
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nicht mehr übereilen - tue ich es noch einmal, so ist es das letztemal - denn ich verachte entweder alsdann meine Seele oder die Erde und trenne sie." Der Gedanke an Tod und Selbstmord tritt in Kleists Briefen seit dem Sommer 1802 unverkennbar zurück. Daß er in seinem Denken von da an eine geringere Rolle gespielt hat, ist daraus aber nicht zu schließen. Seit dem Sommer 1802 sind uns von Kleist verhältnismäßig weniger Briefe erhalten als für die Jahre 1800 und 1801; und vor allem, die erhaltenen sind, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, viel weniger persönlich, sie sind viel zurückhaltender und darum für Kleists Denken und Fühlen weniger aufschlußreich als die älteren Briefe. Immerhin, von Tod und Selbstmord ist auch in diesen späteren Briefen noch die Rede. So in dem berühmten Brief an Ulrike vom 26. Oktober 1803 (Nr. 71), in dem er ihr berichtet, daß er mit dem französischen Heer „nach England hinüber rudern" will: „unser aller Verderben lauert über den Meeren, ich frohlocke bei der Aussicht auf das unendlich-prächtige Grab." Oder in dem Brief an Rühle von Lilienstern vom 31. August 1806 (Nr. 85): „Laß uns etwas Gutes tun und dabei sterben." In einem Brief vom Juni 1807 (Nr. 93) an einen unbekannten Empfänger schließlich heißt es: „Ach, es ist ein ermüdender Zustand, dieses Leben, recht, wie Sie sagten, eine Fatigue." Und in demselben Brief erinnert Kleist an den Sommer vor drei Jahren, wo er und sein Freund Pfuel in jeder Unterredung „immer wieder auf den Tod als den ewigen Refrain des Lebens zurückkamen". Doch auch außerhalb von Kleists Briefen ist uns oft genug überliefert, daß er mit dem Gedanken an den Selbstmord umging. In seiner Jugend soll er sich mit seinem Vetter Karl von Pannwitz verabredet haben, sich zu erschießen u . Nach einer Überlieferung, die wohl auf Pfuel oder Rühle von Lilienstern zurückgeht, berichtet Bülow, Kleist habe schon etwa zehn Jahre vor seinem Tode an der Stelle, an der er sich später erschoß, gegenüber jenen beiden Freunden die Absicht des Selbstmordes ausgesprochen 12 . Aus der Zeit von Kleists Dresdener Aufenthalt im Jahre 1803 hören wir von Selbstmordabsichten, die er gegen Karoline von Schlieben und Pfuel geäußert hat 1 3 . In demselben Jahre hat er Pfuel gegenüber in Paris dasselbe vorgebracht, wie er überhaupt zu ihm sich sehr oft über Selbstmordabsichten geäußert haben muß: Pfuel sagt, daß er in Momenten des traulichsten Verkehrs häufig von dieser Absicht sprach u . Im Zusammenhang mit dem Selbstmordversuch eines Freundes (von Schlotheim) im Frühjahr 1805 heißt es von Kleist in einem gleichzeitigen Briefe, daß er „mit ihm gleich empfindet" l 5 . Im Herbst 1807 hat Kleist in Dresden offenbar den Versuch gemacht, sich mit Opium zu vergiften 16 . Und daß er Marie von Kleist gegenüber öfter Selbstmordgedanken vorgebracht hat, geht aus seinem letzten Briefe an sie hervor (Nr. 192). Pfuels Meinung, er habe nie etwas anderes von Kleist erwartet als den Selbstmord, erscheint also völlig verständlich und bestätigt 17 . 11
" 15 17
1 2 ebenda S. Vgl. von Biedermann, S. 30 114. 1 4 ebenda S. 94 ff., besonders S. 98 ebenda S. 88 f. und 94 f 1 6 ebenda S. ebenda S. 105 f. 114. D i e Einwände, die gegen Pfuels Berichterstattung, besonders von S. Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter (1909) vorgebracht werden, scheinen mir nicht stichhaltig zu sein. Was Pfuel über Kleists Selbstmordabsichten ebenso wie über seine später zu besprechen-
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Zur Literaturgeschichte
Einen entscheidenden Grund für Kleists Sehnsucht nach dem Tode haben wir schon in Pfuels Worten kennengelernt: „Er war so gequält und zerrüttet, daß er den Tod mehr lieben mußte als das Leben." D a ß es so war, geht aus allem, was wir von Kleist wissen, deutlich genug hervor, und er selbst hat es vom Anfang bis zum Schluß seines Lebens oft genug betont. So etwa am 5. Februar 1801 in einem Brief an Ulrike (Nr. 33): „Ach, liebe Ulrike, ich passe mich nicht unter die Menschen, es ist eine traurige Wahrheit, aber eine Wahrheit." Und wenige Tage vor dem Ende schreibt er an Marie von Kleist (am 12. November 1811, Nr. 192) von seinem Leben 66 als „dem allerqualvollsten, das je ein Mensch geführt" habe. Kurz vorher heißt es in einem Brief (vom 10. November, Nr. 191) an dieselbe: „Ich schwöre Dir, es ist mir ganz unmöglich, länger zu leben; meine Seele ist so wund, daß mir, ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut, das mir darauf schimmert." Und in demselben Brief heißt es: „die (nämlich Henriette Vogel) meine Traurigkeit als eine höhere, fest gewurzelte und unheilbare begreift." Diese festgewurzelte, unheilbare Traurigkeit wird man überall in Kleists Leben finden: es ist das Leiden am Leben, das ihn aus dem Leben treibt. Aber man würde irren, wenn man annähme, daß es nur eine Stimmung der Traurigkeit und Verzweiflung ist, die Kleist das Ende ersehnen läßt. Tatsächlich ist er am 21. November 1811 in einem Taumel von Glück und Seligkeit in den Tod gegangen; und das Gefühl des Glücks zeigt sich auch früher immer wieder inmitten aller Verzweiflung und allem Lebensüberdruß, wenn Kleist daran denkt, zu sterben. Ich erinnere an den schon zitierten Brief an Ulrike vom 26. Oktober 1803: „Ich frohlocke bei der Aussicht auf das unendlich-prächtige Grab." Oder man denke an den Brief an Rühle vom 31. August 1806: „Komm, laß uns etwas Gutes tun und dabei sterben! Einen der Millionen Tode, die wir schon gestorben sind und noch sterben werden." - „Denke nur, diese unendliche Fortdauer!" - „Es kann kein böser Geist sein, der an der Spitze der Welt steht; es ist bloß ein unbegriffner!" Oder erinnern wir uns, daß er an Ulrike am 1. Mai 1802 aus der Schweiz schrieb, er wolle sterben, wenn ihm seine drei Wünsche erfüllt seien; also ein Tod im Augenblick des höchsten Glücksgefühls. Oder man denke an einen Satz wie den an den Maler Lohse vom Dezember 1801 (Nr. 53): „Ich fühle mich so friedliebend, so liebreich, wie in der Nähe einer Todesstunde." Das eine dürfte jedenfalls sicher sein: der Selbstmord ist für Kleist nicht bloß ein Ausweg und eine Flucht, sondern zugleich eine Erfüllung. Das mag mit dem Unsterblichkeitsglauben des Dichters zusammenhängen, der uns bald (worauf Unger großen Wert gelegt hat) als Sternen- und Seelenwanderungsglaube, bald in anderen Formen entgegentritt. Aber außerdem ist der Tod für 6- Kleist eine Sehnsucht gewesen, weil er für ihn ein Liebeserlebnis war, und das ist für unsere Fragestellung entscheidend. Wir wissen aus den Erzählungen Ernst von Pfuels, daß, wenn Kleist von der Absicht sprach, seinem Leben ein Ende zu machen, er diese Absicht „merkwürdigerweise den Doppelselbstmordabsichten sagt, dürfte durch alles, was wir sonst von Kleist erfahren, und besonders durch das, was wir aus seinen Briefen und Werken schließen können, völlig bestätigt werden. Vgl. auch Unger, S. 98 f.
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immer mit dem Wunsche" äußerte, „das nicht allein zu tun" 1 8 . Das „immer" mag nicht ganz richtig sein, wofür z. B. der freilich etwas unsichere Selbstmordversuch durch Gift im Herbst 1807 spricht. Doch wie dann schließlich Kleists Selbstmord tatsächlich ein Doppelselbstmord (oder vielmehr ein Mord und ein Selbstmord) war, indem er mit sich zusammen Henriette Vogel erschoß, so hat er auch vorher oft genug nach einem Partner für einen gemeinsamen Tod gesucht. Schon die, freilich auch etwas unsicher überlieferte, Verabredung mit Karl von Pannwitz, sich das Leben zu nehmen, hat man wohl als eine Verabredung zum gemeinsamen Tode aufzufassen. Pfuel hat er offenbar sehr oft aufgefordert, mit ihm zusammen zu sterben 1 9 . So auch 1803 in Paris, und die damals nach Pfuels Ablehnung auftauchende Absicht, zusammen mit dem französischen Heer im Kampf gegen England das Grab zu finden, ist ja auch nichts anderes als die selbstmörderische Sehnsucht nach einem Tode zusammen mit anderen. In dem zitierten Brief an Rühle vom 31. August 1806 findet sich gleichfalls, wenn auch mehr beiläufig, der Wunsch, mit ihm gemeinsam aus dem Leben zu scheiden: „Komm, laß uns etwas Gutes tun und dabei sterben." Von Fouque nimmt man, wenn auch mit recht vagen Gründen an, daß ihn Kleist ebenfalls zu einem gemeinsamen Tode habe bereden wollen. Daß er Marie von Kleist „mehrmals gefragt habe, ob sie mit ihm zusammen sterben wolle", schreibt er in einem seiner letzten Briefe (Nr. 192) an Marie selbst. Zu Karoline von Schlieben, der Braut des Malers Lohse, hat er einmal gesagt, er wolle eine Pistole nehmen und sie und sich totschießen: „Ich kann Ihnen schon den Gefallen tun." 2 0 Und der Wunsch, mit seiner Stiefschwester Ulrike zusammen oder wenigstens 68 in ihren Armen zu sterben, klingt in seinen Briefen öfter an. Was bedeutet das alles? Man hat Kleists gemeinsamen Tod mit Henriette Vogel (um seine frühere Suche nach Todespartnern hat man sich, soweit ich sehe, weniger gekümmert) mit dem sozusagen normalen und jedenfalls verständlichen Wunsche erklärt, für den letzten Schritt einen Gefährten zu haben; nach der Einsamkeit seines Daseins habe Kleist v/enigstens im Tode nicht allein sein wollen. Darüber hinaus sieht Unger in Kleists gemeinsamem Sterben mit Henriette einen Opfertod: er habe, um der unheilbar kranken Henriette Vogel den erwünschten vorzeitigen Tod zu ermöglichen, selbst sein Leben geopfert. D a ß Kleist einen Gefährten für seinen Tod suchte, ist keine Frage. Doch damit ist noch nicht viel ausgesagt und auch nicht viel erklärt. Sein Ende aber als Opfertod zu bezeichnen, scheint mir nicht angängig zu sein. Gewiß, der Gedanke mag nebenbei auch mitgespielt haben. Aber im Ernst kann man doch nicht davon reden: für Kleist war das Leben wertlos und unerträglich, er hatte keinen größeren Wunsch, als es zu enden; da kann man dies Ende nicht gut als Opfer betrachten. Er selbst hat, wenn auch einmal eine Wendung an den Opfergedanken erinnern m a g 2 1 , seinen Tod jedenfalls ganz anders aufgefaßt. Für ihn war der Doppelselbstmord mit Henriette Vogel ein Liebeserlebnis; sein Sterben war Liebe, und das war es, nicht weil er für Hen18
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Vgl. von Biedermann, S. 95 ff., besonders S. 98. 2 0 Vgl. von Biedermann, S. 88 f. Vgl. die vorige Anmerkung. In dem Brief an Marie von Kleist Nr. 190.
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Zur Literaturgeschichte
riette starb, sondern weil er mit ihr starb oder vielleicht richtiger gesagt, weil er sie und sich tötete. Diese Sachlage scheint mir völlig klar zu sein. Wenn Kleist in den letzten Briefen an seine Kusine Marie meint, seine Seele sei durch die Berührung mit der Henriettes zum Tode ganz reif geworden 22 , oder wenn er schreibt: „der Entschluß, der in ihrer Seele aufging, mit mir zu sterben, zog mich, ich kann Dir nicht sagen, mit welcher unaussprechlichen und unwiderstehlichen Gewalt, an ihre Brust", so hat er darin das Wesentliche seiner Beziehung zu Henriette ausgesprochen. Er liebte sie, weil sie mit ihm zu sterben oder wohl richtiger von ihm sich töten zu lassen bereit war, und er wollte mit ihr sterben, das heißt, sie und sich ermorden, weil er sie liebte. Jedenfalls ist diese tödliche Liebe wohl die „glücklichste", jedenfalls die konsequenteste gewesen, und die Stunden vor seinem Tode dürften die heitersten gewesen sein, die Kleist jemals erlebt hat. Keiner seiner Liebesbriefe an seine Braut oder an andere Freundinnen atmet auch nur im entferntesten die Zärtlichkeit und Leidenschaft wie der einzige sicher bezeugte Brief Kleists an Henriette (Nr. 153) 23 . Und mag auch nanches in seinen letzten Briefen und Äußerungen unecht klingen und objektiv unwahr sein, der Rausch von Heiterkeit und Liebesseligkeit, der aus allem spricht, was wir aus den letzten Tagen seines Lebens von ihm wissen, ist ohne Frage echt. Worum es sich bei seinem und Henriettes Tode für ihn handelte, das hat er am deutlichsten und bündigsten in den Worten an Marie von Kleist gesagt (Nr. 192), in denen er von dem „wollüstigsten aller Tode" spricht, mit dem ihm Gott sein Leben vergüte; „ich kann Dir nicht leugnen, daß mir ihr Grab lieber ist als die Betten aller Kaiserinnen der Welt." Ähnlich wie der letzte sind nun, glaube ich, auch Kleists frühere Anträge zu verstehen, mit einem anderen Menschen gemeinsam zu sterben. Die Frauen, von denen wir wissen oder vermuten können, daß er mit ihnen zusammen sterben wollte, hat er geliebt. Am stärksten und innigsten wohl Marie von Kleist, und am längsten und unentwegtesten, wenn auch mit starken Gefühlsschwankungen, und ohne daß ihm seine Gefühle immer klar gewesen sein dürften, seine Stiefschwester Ulrike. Der Antrag an Karoline von Schlieben, sich mit ihr zusammen zu erschießen, ist nur sozusagen nebenbei geschehen, und viel hat denn auch die Liebe zu Karoline anscheinend nicht zu bedeuten gehabt. Aber daß Kleist sie liebte (wie auch ihre Schwester Henriette, mit der er bekanntlich sogar verlobt gewesen sein soll), ist keine Frage: der einzige Brief an Karoline, den wir kennen (Nr. 45), ist ein echterer Liebesbrief als fast alle seine Brautbriefe (soweit sie uns erhalten sind). Doch wenn auch deutlich ist, daß Kleist diese Frauen geliebt hat - läßt sich die Anschauung, daß sein Wunsch, zu töten und mit einem anderen Menschen zu sterben, Liebe war, auch gegenüber den Anträgen Kleists an seine Freunde aufrechterhalten, mit ihnen gemeinsam zu sterben (Anträge, von denen man als ganz sicher freilich wohl nur den an Pfuel ansehen kann)? Ich glaube, ja. 22 23
Wobei übrigens die Erinnerung an die Penthesilea deutlich ist. Der Brief gehört schwerlich, wie Minde-Pouet in der Ausgabe der Briefe meint, in den Herbst 1810, sondern wohl sicher, wie A. Sauer, Kleists Todeslitanei, Prager Deutsche Studien 7 (1907), annimmt, in die letzte Zeit vor Kleists Tode.
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Liebe und T o d bei Heinrich v o n Kleist
D i e Fragen, mit denen wir uns jetzt kurz befassen müssen, sind in der Kleistliteratur sehr umstritten, und man hat dabei einigermaßen zwischen den äußersten Extremen geschwankt. Man hat Kleist (abgesehen von anderen Perversitäten und Abnormitäten) für völlig homosexuell, aber auch für völlig normal gehalten. Mir scheint keine Frage zu sein, daß er, wie seine Dichtungen und seine Briefe beweisen, überwiegend normal, das heißt heterosexuell empfand. Aber ebenso halte ich es für sicher, daß eine verhältnismäßig starke homoerotische Komponente mitspielte. In einem Brief Kleists an Wilhelmine vom 10. Oktober 1801 (Nr. 49) steht der Satz: „Dich wollte ich wohl in das Gewölbe führen, wo ich mein Kind (gemeint ist die erste Fassung der Familie Schroffenstein), wie eine vestalische Priesterin das ihrige, heimlich aufbewahre bei dem Schein der Lampe." Man sieht: hier spricht sich eine mädchenhafte, frauenhafte Empfindung aus, und eine ähnliche Umkehrung der G e fühle kann man in Äußerungen von Kleist, sowohl in seinen Dichtungen wie in seinen Briefen, auch sonst finden. Ich erinnere etwa an den höchst auffallenden Satz in einem Brief an Ulrike vom Mai 1799 (Nr. 5): „Wärst D u ein Mann oder nicht meine Schwester, ich würde stolz sein, das Schicksal meines ganzen Lebens an das Deinige zu knüpfen"; eine an sich sinnlose und nur durch ein Versehen zu erklärende Wendung, in der sich Kleist, da er Ulrike als Mann wünscht, unwillkürlich als Mädchen empfindet. Oder man denke an die Verse (1296 ff.), die Agnfes in der Familie Schroffenstein spricht: D i e Krone sank ins Meer, Gleich einem nackten Fürsten werf ich ihr D a s Leben nach.
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Das Mädchen ein nackter Fürst es ist klar, daß hier die Geschlechter vertauscht und verwechselt sind. Etwas Ähnliches dürfte in der Kleidertauschszene im letzten Akt der Familie Schroffenstein mitspielen. Doch man braucht nicht länger nach solchen indirekten und unwillkürlichen Andeutungen und Hinweisen zu suchen. In einem Brief an Heinrich Zschokke (vom 1. Februar 1802, Nr. 55) heißt es: „Vorher aber noch ein paar Worte Geschwätz, wie unter Liebenden." Und der einzige Brief Kleists an den Maler Lohse, der uns erhalten ist (Nr. 53), ist unverkennbar ein Liebesbrief mit allen Ausbrüchen einer enttäuschten und gekränkten Liebe. Am deutlichsten aber wird, worauf es hier ankommt, in einem Brief an Ernst von Pfuel vom 5. Januar 1805 (Nr. 80): „Du, den ich immer noch über alles liebe . . . D u stelltest das Zeitalter der Griechen in meinem Herzen wieder her, ich hätte bei Dir schlafen können, D u lieber Junge; so umarmte Dich meine ganze Seele! Ich habe Deinen schönen Leib oft, wenn Du in Thun vor meinen Augen in den See stiegst, mit wahrhaft mädchenhaften Gefühlen betrachtet . . . Ich heirate niemals, sei D u die Frau mir, die Kinder und die Enkel" usw. 24 . Kleist redet in diesem Briefe selbst vom „lieblichen Enthusiasmus der Freundschaft" - doch man mag hier und anderswo 24
W e n n sich Kleist in diesem Brief übrigens mit d e m „nackten K ö n i g R i c h a r d " vergleicht,
so
handelt es sich dabei offenbar um ein ähnliches Bild, und er drückt darin dieselbe Empfindung und dieselbe Verwechslung der Schroffenstein. 37
Lintzel Bd. II
Gefühle
aus wie in den eben zitierten
Versen der
Familie
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Zur Literaturgeschichte
noch so viel auf das Konto der aus dem achtzehnten Jahrhundert überkommenen Freundschaftsschwärmerei setzen, damit ist alles das nicht abgetan. Man wird also mit einiger Vorsicht sagen dürfen: wenn Kleist mit Pfuel (oder anderen Freunden) sterben wollte, so wollte er mit einem Geliebten sterben, und die Sehnsucht nach dem gemeinsamen Tode mit dem Freunde dürfte dieselbe Wurzel gehabt haben wie die Sehnsucht nach dem gemeinsamen T o d e mit einer Frau. D i e Vorstufe zum gemeinsamen T o d e ist das Wehetun und das Sich-wehetun-lassen. In einem Brief an Wilhelmine vom 3. Juni 1801 (Nr. 43) erzählt Kleist bei der Beschreibung seines Besuches bei Gleim in Halberstadt den Inhalt einer Gleimschen O d e : „die ungefähr so lautet: Tod, warum entführst du mir mein Mädchen? Kannst du dich auch verlieben? Und so geht es fort. Am E n d e heißt es: was willst du mit ihr machen? Kannst du doch mit Zähnen ohne Lippen wohl die Mädchen beißen, doch nicht küssen." In Wirklichkeit endet die O d e jedoch: Tod, was willst du mit dem Mädchen? Mit den Zähnen ohne Lippen Kannst du es ja doch nicht küssen. Vom Beißen ist keine Rede. Diese Vorstellung hat sich in Kleists Erinnerung von selbst eingestellt. In dem schon zitierten Brief an Pfuel heißt es: „Dein kleiner, krauser Kopf, einem feisten Halse aufgesetzt, zwei breite Schultern, ein nerviger Leib, das Ganze ein musterhaftes Bild der Stärke, als ob D u dem schönsten jungen Stier, der jemals dem Zeus geblutet, nachgebildet wärest." Man sieht, wie vorhin zur Vorstellung des Küssens die des Beißens, tritt hier zu den homoerotischen Vorstellungen die sadistische Vorstellung vom Töten und Opfern hinzu. In dem erwähnten Brief an Lohse sagt denn auch Kleist klipp und klar: „Damals schien es mir noch süß, D i r wehe zu tun." Und an Ulrike schreibt er einmal (am 12. Januar 1802, Nr. 5 4 ) : „Wie konnte ich Dich, oft in demselben Augenblicke, so innig lieben und doch so empfindlich beleidigen?" So ist es in der Tat. Kleist mußte die, die er liebte, zugleich beleidigen, zugleich kränken und mißhandeln; es war ihm „süß", den Geliebten wehezutun. Man sehe sich seine Briefe an Wilhelmine an. Ich will sie hier nicht im einzelnen durchsprechen, weil das, worauf es ankommt, zu deutlich und eindeutig und vor allem zu häufig hervortreten dürfte, als daß man es im einzelnen belegen müßte. Sie sind jedenfalls die sonderbarsten Brautbriefe von der Welt. Immer wieder verletzende und demütigende, völlig unbegründete Vorwürfe und Verdächtigungen, ein ständiges Herumnörgeln, Erziehen, Verbessern, Vor-den-Kopf-stoßen, ein Umbildenund Verwandelnwollen bei aller eigensinnigen Zärtlichkeit und Liebe; ein dauerndes Unterdrücken und geistiges Vergewaltigen der Geliebten. Und zum Schluß der einigermaßen barbarische und mit den Gründen, die Kleist selbst anführt, jedenfalls überhaupt nicht begründete Bruch. Von Juliane Kunze, mit der Kleist verlobt oder beinahe verlobt war, verlangte er (wir haben darüber zwei verschiedene Überlieferungen, die aber im wesentlichen übereinstimmen 2 5 , und Briefe sind uns nicht erhalten), daß sie ihre Korrespondenz 15
Vgl. von Biedermann, S. 113 ff.
Liebe und Tod bei Heinrich von Kleist
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vor ihren Pflegeeltern geheimhalte (etwas Ähnliches hatte er auch schon von Wilhelmine verlangt). Als sie sich weigerte, war das der Grund zum Bruch. Wenn man die Erziehungsgrundsätze der Zeit berücksichtigt (aber wohl auch sonst), ein Grund, der wieder unberechtigt und ein Nichts war, in dem sich aber Kleists Verlangen nach einer seelischen Vergewaltigung der Geliebten und ihrer unbedingten Selbstaufgabe deutlich genug zeigt. Und in dem Bruch wieder eine Vernichtungstendenz offenbar um der Vernichtung willen. Man denke weiter an die tiefen Zerwürfnisse mit geliebten Menschen (von Wilhelmine und Juliane ganz abgesehen) wie Ulrike oder Pfuel oder dem Maler Lohse oder Luise Wieland, anscheinend auch mit den Schwestern von Schlieben; und daneben dann immer wieder die Neigung zur Verzweiflung und zur Selbstzerstörung, mag sie sich in der Vernichtung seiner Werke wie des Robert Guiskard und anderer oder in der Sehnsucht nach dem Selbstmord äußern. Es scheint mir jedenfalls, auch ohne daß ich das alles hier näher ausführe und begründe, deutlich zu sein, daß der Liebesmord und Selbstmord, mit dem Kleist sein Leben endete, schon längst in ihm angelegt war. Daß hier die tiefsten und entscheidenden Antriebe für die Auffassung der Liebe in Kleists Dichtungen zu suchen sind, brauche ich nun wohl nicht weiter zu sagen. Lieben war für Kleist im Leben Wehetun und Töten, Leiden und Sterben 2 9 : so ist es auch in seiner Kunst zu alledem geworden. Und es ist bezeichnend, daß in den Äußerungen seiner letzten Tage, das heißt unmittelbar bevor in Kleists Leben die Identifizierung von Liebe und Tod vollendet wurde, Wendungen aus den beiden Dramen auftauchen, die in seiner Kunst jene Identifizierung am stärksten gestaltet hatten, aus der Penthesilea und dem Käthchen von Heilbronn 27 . Man könnte vielleicht versuchen, die Art und die Intensität der Gleichsetzung von Liebe und Tod in Kleists Dichtungen mit den Schicksalen, den Erlebnissen und Umständen seines Lebens im einzelnen in Verbindung zu bringen. Es mag sein, daß sich bei einem solchen Versuch noch manches wesentliche und merkwürdige Resultat gewinnen ließe 28 . Doch man muß dabei vorsichtig sein. Einmal ist unser Material zu lückenhaft, als daß wir über Kleists Leben und Erleben in Einzelheiten genügend Bescheid wüßten und sicher argumentieren könnten. Außerdem spielen in diese Dinge neben dem erlebnismäßig Bedingten zu stark andere, vor allem künstlerische Gesichtspunkte und Momente hinein, als daß man aus jenem alles folgern und ableiten dürfte 29 . Mir kam es hier jedenfalls nur auf die allgemeine Feststellung an, welche 26 27 28
29
W a s selbstverständlich nicht heißen soll, daß Lieben für Kleist n u r Wehtun usw. gewesen ist. Vgl. Briefe Nr. 153 und 190. So hat man bei der Familie Schroffenstein an Kleists Verhältnis zu Wilhelmine, beim Käthchen an Juliane Kunze zu denken. Sehr aufschlußreich sind solche Feststellungen freilich nicht; denn für Kleist und sein Dichten sind weniger seine Beziehungen zu einzelnen Frauen wesentlich gewesen als seine Grundeinstellung zur Liebe und zu den Frauen überhaupt. In den ersten fünf Dramen Kleists wird das Thema Liebe gleich Tod offenbar mit immer steigender Sicherheit und Vollendung behandelt (wobei es freilich im Zerbrochenen Krug neben dem Motiv vom ungerechten und lügenhaften Richter - ein Motiv, das für Kleist sehr wichtig war - stark zurücktritt). In der Familie Schrolfenstein wird das Thema nur äußerlich und unvollkommen bewältigt; im Amphitryon und im Zerbrochenen Krug schon mit viel größerer
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Zur Literaturgeschichte
entscheidende Rolle die Gleichsetzung der Liebe mit dem Tode in Kleists Werken spielt, und daß diese Gleichsetzung in der seelischen Struktur des Dichters begründet ist. Das Genie (wie jeder Mensch) ist letzten Endes unerklärlich und unableitbar, und es liegt mir fern, anzunehmen, daß man mit dem, was ich sagte, Kleists Genie „erklären" kann. Wohl aber mag dadurch die Art, wie sein Genie und seine Kunst die Welt und die menschliche Seele erfaßte und gestaltete, verständlicher werden. Unter den großen Dramatikern der deutschen Literatur, ja vielleicht der Weltliteratur dürfte Kleist (obgleich er nur zwei Tragödien vollendet hat) der sein, der am meisten und im eigentlichen Sinne Tragiker ist, und zugleich der, in dessen Dichtungen die Auseinandersetzung mit der Umwelt und der Geschichte, mit Ideen und Gedanken, Theorien und Philosophien, kurz mit dem „Geistigen" am wenigsten hervortritt 30 : seine Gestalten leben und handeln in erster Linie aus sich und für sich und jedenfalls ganz aus dem Gefühl heraus S1 . Beides aber, sowohl das absolut Tragische bei Kleist wie die überstarke Betonung des Gefühls, man möchte sagen: das Eingesperrtsein im Gefühl dürfte sehr stark darin begründet sein, daß bei ihm das Liebesgefühl und das Liebeserlebnis den Tod suchten. Die Macht, die sonst lebensbejahend und aufbauend ist, war bei Kleist lebensverneinend und zerstörend. Sein Lebensgefühl an sich war (stärker als bei andern Dramatikern) tragisch und voll tragischer Spannungen, und darum brauchte er keinen Zusammenprall mit der Welt, um ihre Gebrechlichkeit und Tragik zu erfahren. Damit aber dürfte es zusammenhängen, daß die Tragik seiner Gestalten in erster Linie in ihrem Gefühl wurzelt, und daß diese Tragik als so abgründig und unentrinnbar erscheint.
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Klarheit und Ausschöpfung seines Gefühlsgehalts, aber doch noch ohne die letzten Konsequenzen und sozusagen nur auf einem Umweg. Seine klassische Ausgestaltung findet es dann in der Penthesilea und, gewissermaßen mit einer Wendung um hundertundachtzig Grad, im Käthchen. In den beiden letzten Dramen steht es weniger im Mittelpunkt; immerhin ist es in der Hermannsschlacht, wenn auch als Nebenmotiv und in burlesker Verzerrung, noch deutlich vorhanden, während es im Prinzen von Homburg das Hauptmotiv in starker Sublimierung begleitet. Es ist merkwürdig, daß Kleist in dem Augenblick, in dem er in der Dichtung die Formel Liebe gleich Tod am stärksten sublimierte und überwand, ihr im Leben am nächsten kam und sie schließlich erfüllte. Wie denn auch Kleist sehr wenig von außen beeinflußt ist. Die ersten fünf Dramen Kleists sind rein persönliche Angelegenheiten; in den letzten beiden wendet er sich der Menschheit großen Gegenständen stärker zu. Aber man sieht wohl sofort, daß auch in ihnen das Subjektive und Kleistisch Gefühlsmäßige völlig überwiegt.
Heinrich I. und die fränkische Königssalbung Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse, Band 102 . H e f t 3 Berlin, Akademie-Verlag, 1955. 56 S *
V O R B E M E R K U N G
Die folgende Untersuchung befaßt sich mit einem Thema, das schon öfter mehr oder weniger ausführlich erörtert worden ist, am besten und gründlichsten wohl von C. Erdmann in seinem schönen Aufsatz „Der ungesalbte König" (Deutsches Archiv 2, 1938). Daß ich dies Thema hier wieder aufgreife, geschieht weniger deshalb, weil ich in manchem zu etwas andern Ansichten gekommen bin als Erdmann (dessen Ergebnissen und Anregungen meine Untersuchung, auch wo sie sie nicht ganz teilt, immer verpflichtet ist), sondern vor allem deshalb, weil ich in diesem Zusammenhang auf einige Gesichtspunkte für die Geschichte der Königssalbung im Karolingerreich und der karolingischen Traditionen in Sachsen hinweisen möchte, die auch unabhängig von der Frage, wie es mit Heinrichs I. Haltung zur Salbung bestellt war, ihre Berechtigung haben dürften. Halle a. d. S., März 1955
M. L.
1. Die Überlieferung von der Ablehnung der Salbung Widukind von Korvei erzählt bekanntlich in seiner Sachsengeschichte, Heinrich I. habe bei seiner Wahl in Fritzlar die Salbung abgelehnt, die ihm, nachdem er von dem Frankenherzog Eberhard als König bezeichnet war, der Erzbischof Heriger von Mainz angeboten habe: congregatis principibus et natu maioribus exercitus Francorum in loco qui dicitur Fridisleri, designavit eum regem corarn omni populo Francorum atque Saxonum. Cumque ei offerretur unctio cum diademate a summo pontifice, qui eo tempore Hirigerus erat, non sprevit, nec tarnen suscepit: 'Satis' inquiens 'michi est, ut pre maioribus meis rex dicar et designer, divina annuente gratia ac vestra pietate; penes meliores vero nobis unctio et diadema sit: tanto honore nos indignos arbitramur'. Placuit itaque sermo iste coram universa mültitudine, et dextris in caelum levatis nomen novi regis cum clamore valido salutantes frequentabant1. Ein weiterer * [Manuskr. eingeliefert durch M. L. im März 1955, Betreuung des Drucks durch Wolfgang Fritz.] 1 Vgl. Widukindi rerum gestarum Saxonicarum libri tres I, cap. 26 in: D i e Sachsengeschichte des Widukind von Korvei, hrsg. von P Hirsch und H.-E. Lohmann in SS. rer. Germ, in us. schol. (1935), S. 39.
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Hinweis auf die Ablehnung der Salbung findet sich in Gerhards Vita Udalrici, wo es heißt, der Bischof Udalrich von Augsburg habe in einer Vision, während der ihn die heilige Afra auf das Lechfeld führte, den heiligen Petrus gesehen enses duos valde heriles, unutn cum capulo et alterum sine capulo, sibi ostendentem et sie loquentem: 'Die regi Heinrico, ille ensis qui est sine capulo significat regem, qui sine benedictione pontificali regnum tenebit; capulatus autem, qui benedictione divina regni tenebit 8 ziibernacüla 2. Nachrichten von der Zurückweisung der Salbung sind in der späteren Überlieferung, von Thietmar von Merseburg angefangen 3 , nicht gerade selten; aber sie sind entweder von den erwähnten Quellen abhängig oder sie stehen den Ereignissen zu fern, als daß sie einen selbständigen Quellenwert zu beanspruchen vermögen *. Nun könnte man, wenn man ganz vorsichtig und skeptisch sein wollte, zunächst die Frage aufwerfen, ist es überhaupt richtig, daß Heinrich nicht gesalbt worden ist; und wenn er wirklich nicht gesalbt wurde, ist es dann richtig, daß das an seinem Willen, an seiner Ablehnung lag? s Widukind hat vierzig oder fünfzig 5, Gerhard hat mehr als sechzig Jahre nach den 2
Vgl. Gerhardi Vita Oudalrici cap. 3, SS. IV, S. 389. Vgl. Thietmari chronicon I, cap. 8 in: Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg, hrsg. von R. Holtzmann, SS. rer. Germ., nova series (1935), S. 12 ff.; vgl. dazu unten S. 586, Anm. 18. 4 Über die spätem Quellen vgl. G. Waitz, Jahrbücher des Deutschen Reichs unter König Heinrich I., 3. Aufl. (1885), S. 39 f. u. S. 216 ff.; auch P. E. Schramm, Die Krönung in Deutschland bis zum Beginn des Salischen Hauses (1028), ZRG. 55 (1935), Kan. Abt., S. 195 f.; sowie C. Erdmann. Der ungesalbte König, Deutsches Archiv 2 (1938), S. 334 f. Schramm und Erdmann führen als Zeugnis für dit Salbung, dem man glauben kann, auch Hermann von Reichenau zu 919, SS. V, S. 112, an, wo es von Heinrich heißt: sine regalt unetione regnavit. Doch als selbständiges Zeugnis braucht Hermanns Satz kaum zu verwerten zu sein, da ihm die Vita Udal• rici bekannt war; vgl. Wattenbach-Holtzmann, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter I. 2. Aufl. (1948), S. 236. s Über die Datierung der Sachsengeschichte vgl. zuletzt H. Beumann, Widukind von Korvei (1950), S. 178 ff., sowie K. Hauck in: Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon IV (1953), hrsg. v. K. Langosch, Sp. 946 ff. Beumann und Hauck lassen die Sachsengeschichte im Anschluß an E. E. Stengel, Corona Quernea, Festgabe für K. Strecker (1941), S. 136 ff., 967 entstanden sein und bestreiten (wenn Beumann auch eine unmittelbar vor der Fassung von 967 liegende Redaktion annimmt), daß schon im Jahre 957/58 eine Redaktion der Sachsengeschichte geschrieben wurde, 'wie das H. Bloch, Die Sachsengeschichte Widukinds von Korvei, Neues Archiv 38 (1913), S. 95 ff., angenommen, und wie ich es im Anschluß an Bloch und gegen die Meinung von Stengel in dem Aufsatz Die Entstehungszeit von Widukinds Sachsengeschichte, Sachsen und Anhalt 17 (1943), S. 1 ff. [hier S. 302 ff.], für äußerst wahrscheinlich oder so gut wie sicher gehalten hatte. Beumanns Gegengründe zusammen mit den Ergänzungen, die Hauck gibt, scheinen mir wichtig, aber doch nicht ganz überzeugend zu sein. Es scheint mir immer noch viel dafür zu sprechen, daß vor der Fassung von 967 wesentlich ältere Bestandteile der Sachsengeschichte da waren, ohne daß ich damit die Möglichkeit bestreiten will, daß es sich anders verhält. Es scheint mir sogar nicht ganz ausgeschlossen zu sein, daß die von Beumann im Gegensatz zu Stengel postulierte erste Fassung, die unmittelbar vor der uns bekannten Redaktion von 967 gelegen haben soll, gar nicht existiert, und daß also Stengel völlig recht hat. Trotz des sehr eindringenden Buches von Beumann scheint mir die Art von Widukinds Schriftstellerei immer noch nicht genügend geklärt zu sein, um ein ganz sicheres Urteil über die Komposition seines Werkes zu erlauben; vielleicht ist sie überhaupt nicht völlig zu enträtseln. 5
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Ereignissen von 919 geschrieben6, und was sie sonst über die Zeit um den Regierungsanfang Heinrichs I. berichten, ist in seiner Glaubwürdigkeit keineswegs über jeden Zweifel erhaben 7. Und die Glaubwürdigkeit der beiden Chronisten gerade in der Frage der Salbung erscheint in einem noch bedenklicheren Lichte, wenn man bemerkt, daß die Quedlinburger Annalen von einer Salbung Heinrichs I. erzählen 8 , und daß der König auf seinen Siegeln mit einer Krone auf dem Hauptp abgebildet wird 9. Das scheint zu Widukinds Worten: penes meliores vero nobis unctto et diadema sit nicht zu passen, und tatsächlich ist man neuerdings anscheinend nahe daran, mindestens" in den Siegeln Heinrichs einen Einwand gegen den ungesalbten König zu sehen 10 . Doch was zunächst die Quedlinburger Annalen anlangt, so braucht ihre Notiz 10 gar nichts zu beweisen. Sie sind noch jünger als Widukind und Gerhard u , sie sind in ihren sonstigen Mitteilungen keineswegs glaubwürdiger als diese, und ihre der übrigen Tradition widersprechende Behauptung könnte sich damit erklären, daß sie das zu ihrer Zeit und sonst Übliche auch für die Erhebung Heinrichs vorausgesetzt haben. Nicht besser aber steht es mit dem Argument, das man aus der Krone auf Heinrichs Siegeln entnehmen könnte. Einmal sind, ganz allgemein die Königssiegel und ähnliche Quellen als Belege für staatsrechtliche Vorstellungen und Tatbestände 6
Vgl. Wattenbach-Holtzmann I, S. 257. Über Widukinds Zuverlässigkeit für diese Zeit vgl. zuletzt meine Miszellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts, Berichte über die Verhandlungen der Sachs. Akademie der Wissenschaften 100, 2 (1953), S. 14 ff. [hier S. 226 ff.]; über Gerhard Wattenbach-Holtzmann, a. a. O. 8 Vgl. SS. III, S. 52. • Vgl. die Abbildungen bei P. E. Schramm, Die deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit (1928), Tafelband Abb. 56 a u. b; dazu ders., Die Krönung in Deutschland bis zum Beginn des Salischen Hauses, ZRG. 55 (1935), Kan. Abt., S. 196. 10 Vgl. W. Holtzmann, König Heinrich I. und die heilige Lanze (1947), S. 60 f. Holtzmann sagt freilich durchaus nicht, daß das Siegel ein Argument gegen die Ablehnung der Salbung und für die Salbung Heinrichs sei; er meint nur, das Siegel verrate, wie sich der König von seinem Volk vorgestellt wissen wollte, eben als gesalbt (wobei Holtzmann Salbungen und Krönungen, wie auch sonst oft geschieht, offenbar identifiziert oder mindestens die Salbung für einen integrierenden Bestandteil der Krönung hält). Wenn man das Siegel so auffaßt, könnte man es aber natürlich auch als Hinweis darauf ansehen, daß die Salbung stattgefunden hat, zumal wenn man an die Nachricht in den Quedlinburger Annalen denkt. Wenn Holtzmann in diesem Zusammenhang weiter meint, Erdmann habe sich dies „Beweisstück" (d. h. das Siegel) gegen den ungesalbten König entgehen lassen, das manche Änderungen an seiner so betitelten Abhandlung erforderlich gemacht hätte, so glaube ich das nicht recht. Tatsächlich sind Heinrichs Siegel mit der Krone längst bekannt und auch im Zusammenhang mit der Salbungsfrage besprochen worden; vgl. etwa Waitz, Jahrbücher Heinrichs I., S. 40, und P. E. Schramm, Die Krönung in Deutschland, a. a. O., S. 196. Wenn Erdmann von den Siegeln nichts gesagt hat, so dürfte das daran liegen, daß er sie im Zusammenhang mit der Salbungsfrage für belanglos hielt, womit er sicher recht gehabt hat. 11 Vgl. Wattenbach-Holtzmann, S. 44 f. Der Quedlinburger Annalist hat Ende des ersten Jahrzehnts des elften Jahrhunderts zu schreiben begonnen. Für seine Nachrichten stützt er sich zwar weitgehend auf die verlorenen größeren Hildesheimer Annalen, die wieder auf die gleichfalls verlorenen Hersfelder Annalen zurückgehen. Wie der Stil des Berichtes über die Erhebung Heinrichs 919 (bei dem Annalisten 920) und der Vergleich mit den übrigen von Hersfeld und Hildesheim abhängigen Quellen zeigt, ist er in seinen Behauptungen über die Salbung Heinrichs aber selbständig; sie stammen also offenbar erst aus dem Anfang des elften Jahrhunderts. 7
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nur mit Vorbehalt zu gebrauchen 1? . Im übrigen werden auf ihren Siegeln die Könige gern mit einem Diadem abgebildet, gleichgültig, ob eine Salbung stattgefunden hat oder nicht 1- '. Die Krone ist eine Insignie des Königtums; daß sie auch Heinrich besessen hat, bemerkt Widukind selbst in einem andern Zusammenhang 14 , gleich ihm sagen es andere Quellen 15 , und es ist als selbstverständlich anzunehmen, daß es so war. Heinrich wird das Diadem mitunter auch getragen haben 16 , auch wenn er nicht gesalbt und gekrönt war. Und schließlich könnte der neue König in Fritzlar gekrönt worden sein, ohne daß damit eine Salbung verbunden gewesen ist 1 7 . So sieht Thietmar von Merseburg die Dinge an 18 , der im übrigen in seinem Bericht über die Fritzlarer Ereignisse von Widukind und der Vita Udalrici abhängig ist, und wenn seine späte Erzählung auch kaum etwas für den tatsächlichen Hergang von 919 beweist, so zeigt sie doch auf jeden Fall, daß nach der Auffassung des Merseburger Bischofs eine Krönung ohne Salbung möglich war. Tatsächlich sind denn auch Krönungen im neunten Jahrhundert vorgekommen, ohne daß der Gekrönte gesalbt wurde. 19 Die Quedlinburger Annalen und die Siegel Heinrichs sprechen also nicht dagegen, daß er nicht gesalbt worden ist. Beweisen aber nun Widukind und Gerhard, daß es wirklich nicht der Fall war? Man wird die Frage unbedingt bejahen müssen. Wenn beide auch erst mehrere Jahrzehnte nach 919 geschrieben haben und für die alte Zeit durchaus nicht ganz zuverlässig sind, so wäre doch unverständlich, wie die Geschichte von der abgelehnten Salbung in die Überlieferung von Heinrichs Thronbesteigung 12
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Man denke etwa daran, daß von den Karolingern Gemmen mit lorbeergeschmückten Kaiserköpfen, Janusköpfcn, Bacchen und Mänaden als Siegel benutzt worden sind. So haben etwa Ludwig der Deutsche und sein Sohn Karlmann Siegel mit der Krone gebraucht, obgleich sie nach allem, was wir wissen, nicht gesalbt worden sind; vgl. P. E. Schramm, Die deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit, Textband, S. 64. Auch Waitz, Jahrbb. S. 40, meint, daß auf Heinrichs Siegeln wohl einfach das früher Übliche beibehalten und daß die Krone immer Symbol und Insignie der Herrschaft gewesen sei. Vgl. I, cap. 25, S. 38; danach hat Konrad Heinrich die Krone durch Eberhard übersandt. Wenn Widukind dann in cap. 26 Heinrich nicht bloß die unetio, sondern auch das diadema ablehnen läßt, so scheint er sich damit selbst zu widersprechen. Das kommt übrigens in der Sachsengeschichte öfter vor, und dazu scheint mir die Art, mit der man sie heute gern als ein wohlüberlegtes und abgewogenes Werk interpretiert, nicht ganz zu passen. Von der Krone, die Heinrich durch Konrad erhalten habe, ist noch die Rede beim Continuator Reginonis 919, Reginonis chronicon, SS. rer. Germ, in us. schol. (1890), S. 156, sowie bei Liudprand, Antapodosis II, cap. 20, in: Die Werke Liudprands von Cremona, SS. rer. Germ, in us. schol., 3. Aufl. (1915), S. 46; von der Salbung oder ihrer Ablehnung wird hier natürlich nichts gesagt. So etwa bereits Schramm, Die Krönung in Deutschland, a. a. O., S. 196. Auch das hält Schramm, a. a. O., offenbar für möglich. Vgl. Thietmar, a. a. O. Gewiß beweist das, wie Schramm, a. a. O., S. 196, Anm. 3, mit Recht betont, nichts für die wirklichen Hergänge im Jahre 919; aber man wird doch die oben im Text gezogenen Folgerungen daraus ziehen können. Wenn G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte VI, 2. Aufl. (1896), S. 209, meint, das coronaverunt bei Thietmar bedeute nur, daß er zum König gemacht worden sei, so scheint mir diese Interpretation nicht notwendig zu sein. Nach Regino 888, a. a. O., S. 120, hat sich Rudolf von Hochburgund selbst gekrönt; und wenn das auch nicht richtig sein dürfte, so zeigt es doch, daß weltliche Krönungen auch nach Reginos Auffassung möglich waren. In dem Zusammenhang könnte man vielleicht auch darauf hinweisen, daß Arnulf von Kärnten Odo von Paris eine Krone überschickte, mit der dieser dann allerdings
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gelangt sein soll, wenn sie nicht den Tatsachen entsprach 20 . Widukinds Worten merkt man deutlich an, daß die Geschichte ihm unbequem und unangenehm ist, und ebenso peinlich muß sie der kirchlichen und der ottonischen Tradition gewesen sein, der der 13 Mönch gefolgt sein dürfte. Fast noch unanfechtbarer ist aber die Glaubwürdigkeit der Vita Udalrici in diesem Punkt. Auch in Gerhards Bericht (noch viel stärker als in dem Widukinds) ist das Kopfschütteln über Heinrichs Weigerung unverkennbar. Nun war Gerhard einer der vertrautesten Begleiter des Bischofs Udalrich, und Udalrich ist von 923 bis 973 Bischof von Augsburg gewesen; er war in seiner Zeit der bedeutendste Kirchenfürst Schwabens und einer der bedeutendsten Politiker Süddeutschlands überhaupt; er hat die Regierungszeit Heinrichs I. selbst miterlebt und mußte wissen, wie es mit der Thronbesteigung und der Salbung des Königs bestellt war. Wenn aber Heinrich nicht gesalbt worden ist, so kann das nur daran gelegen haben, daß er selbst es nicht wollte 21 . D a ß etwa die Kirche oder der in erster Linie zuständige Coronator, der Erzbischof Heriger von Mainz, von sich aus die Salbung verweigerte, wie man bisweilen behauptet h a t 2 i , ist so gut wie ausgeschlossen. Die Überlieferung bei Widukind und in der Vita Udalrici zeigt, wie bemerkt, sehr deutlich, wie unangenehm es den kirchlichen Kreisen war, daß die Salbung nicht erfolgte. Tatsächlich hatten sie ein Interesse daran, daß sie stattfand. Im übrigen aber wäre ihre Verweigerung, wenn Heinrich Wert darauf legte, Kirche und Erzbischof vermutlich schlecht bekommen; und auf jeden Fall hätte Heinrich den einen oder den andern Bischof finden können, der ihm, wenn etwa wirklich der Mainzer nicht wollte, die Salbung erteilte. Wenn der neue König mit ihr einverstanden gewesen wäre, so wäre rie also nach allem, was wir sagen können, sicher erfolgt 23 .
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vermutlich von den Bischöfen gekrönt und zugleich gesalbt worden ist; vor allem aber auf die Tatsache der „weltlichen" Kaiserkrönungen, ohne priesterliche Salbung, in den Jahren 813 und 817. Und schließlich wird man ganz allgemein sagen können, so gut dem neugewählten König andere Herrschaftsinsignien, z. B. der Speer, in weltlichen Formen überreicht werden konnten (so etwa bei der Wahl Heinrichs II. durch die Sachsen 1002 in Merseburg), dürfte das unter Umständen auch mit der Krone geschehen sein. So sieht man die Dinge wohl auch durchweg an; vgl. etwa Schramm, Die Krönung in Deutschland, a. a. O., S. 195; H. Heimpel, Bemerkungen zur Geschichte König Heinrichs des Ersten, Berichte über die Verhandlungen der Sächs. Akademie d. Wissenschaften 88 (1937), 4, S. 36, der mit Recht sagt, die kirchlichen Tadler bewiesen, daß die Salbung nicht stattgefunden habe; vgl. dazu auch Erdmann, a. a. O., S. 334. Vgl. dazu vor allem Erdmann, a. a. O., S. 334 f. Vgl. J. Krüger, Grundsätze und Anschauungen bei den Erhebungen der deutschen Könige 911 bis 1056 (1911), S. 42 ff.; Fedor Schneider, Mittelalter bis 1250 (1929), S. 165. Vgl. vor allem Erdmann, a. a. O., der betont, daß die Kirche oder der Erzbischof von Mainz die Salbung gar nicht verweigern konnte. Das scheint mir auch so gut wie sicher zu sein. Immerhin möchte ich darauf hinweisen, daß es 1024 Aribo von Mainz anscheinend fertiggebracht hat, die Salbung von Konrads II. Gemahlin Gisela abzulehnen. Freilich bleiben, wie oben im Text bemerkt, noch genug Momente übrig, die die Überlieferung von Heinrichs ablehnender Haltung bestätigen. Ein weiterer Gesichtspunkt schließlich dürfte sein, daß die Ablehnung, wie sich zeigen wird, sehr gut in die Situation von 919 paßt. Darüber, daß außer dem Mainzer Erzbischof 919 eventuell auch andere Bischöfe in Frage gekommen wären, um die Salbung zu erteilen, vgl. unten S. 599, Anm. 66.
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Ob nun freilich ihre Ablehnung in dem Augenblick und an der Stelle der Erhebung Heinrichs vor sich ging, an der sie Widukind unterbringt, darüber kann man verschiedener Meinung sein 2 4 . Wenn Widukinds Aussagen über das Faktum an sich auch richtig sein müssen, die Einzelheiten, die er berichtet, brauchen darum nicht den Tatsachen zu entsprechen. Man hat schon öfter bemerkt, daß sich die Dinge in Fritzlar höchstwahrscheinlich anders abgespielt haben, als er behauptet. D a ß die Erhebung Heinrichs nur in einer „Designation" durch den Frankenherzog Eberhard und, nach der Ablehnung der Salbung, in dem Heilruf der Menge (oder was sich hinter Widukinds Worten verbergen mag) bestand, ist recht unwahrscheinlich. Alles, was wir von frühern und spätem Königserhebungen wissen, zeigt, daß in so einfachen, dürftigen Formen die Einsetzung eines neuen Königs nicht vor sich ging. Man hat schon mit Recht hervorgehoben, daß, wie es sonst üblich war, auch in Fritzlar eine feierliche Thronsetzung, eine Bekleidung mit den königlichen Insignien, vielleicht auch (wie Thietmar will) eine „weltliche" Krönung des neuen Königs stattgefunden haben dürfte 2 5 . Dann aber ist anzunehmen, daß das Angebot der Salbung und seine Ablehnung erfolgte, ehe die Zeremonie der Königserhebung ihren Anfang nahm. Doch wie sich das auch verhalten mag, die Ablehnung der Salbung durch Heinrich I. ist jedenfalls eine der am besten gesicherten Tatsachen aus den Anfängen der Regierung des Königs. Im übrigen ist sie ein erstaunlicher und völlig singulärer Vorgang. Es ist zwar in der vor 919 liegenden Geschichte des ostfränkischen Reiches und des Karolingerreiches wahrscheinlich öfter, in der deutschen Geschichte im dreizehnten Jahrhundert zweimal, vorgekommen, daß ein König nicht gesalbt worden ist. Das hatte dann seine Ursache darin, daß die Salbung in der betreffenden Zeit überhaupt nicht üblich war oder daß sie, wie es im dreizehnten Jahrhundert der Fall gewesen ist, unterlassen wurde, weil der König mit der Kirche zerfallen war 2 6 . D a ß aber die Salbung dem neugewählten Herrscher von der Kirche angeboten und von ihm zurückgewiesen wurde, das ist ein Vorgang, der, soweit man sieht, in der mittelalterlichen Geschichte einzig dasteht. 2. Die Motivierung
"Widukinds
Als Motiv für die Ablehnung der Salbung gibt Widukind Heinrichs Demut und Bescheidenheit an. Der König habe erklärt, ihm sei es genug, daß er, über seine Vorfahren erhoben, durch die göttliche Gnade König genannt werde; bessere als er sollten Salbung und Krone empfangen: tanto bonore nos indignos arbitramur'1'. Außer dieser Begründung wird ein anderes Motiv Heinrichs in den Quellen nicht überliefert. Doch soviel ich sehe, ist Widukinds Behauptung nur von H. Günter 2 8 und, in ausführlicherer Erörterung, von H. Dörries 2 9 angenommen worden; sonst wird sie 24
Auch Erdmann, a. a. O., hat Bedenken gegen die „Szene".
25
Vgl. dazu etwa Schramm, Die Krönung in Deutschland, S. 196, sowie W . Schlesinger, Die Anfänge der deutschen Königswahl, Z R G . 6 6 ( 1 9 4 8 ) , Germ. Abt., S. 4 0 2 ff. u. 4 1 1 ; auch meine Miszellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts, S. 62 ff. [hier S. 2 5 8 ff.].
26
So war es bei Konrad IV., Heinrich Raspe starb, ehe er gekrönt und gesalbt werden konnte.
27
Vgl. oben S. 5 8 3 .
29
Vgl. H. Dörries, Heinrich I. und das altsächsische Christentum, Zeitschr. d. Gesellsch. f. niedersächsische Kirchengeschichte 43 ( 1 9 3 8 ) , S. 13 ff.
28
Vgl. H. Günter, Das deutsche Mittelalter I ( 1 9 3 6 ) , S. 8.
Heinrich I. und die fränkische Königssalbung
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wohl durchgängig abgelehnt. Tatsächlich ist das, was Widukind zur Motivierung von Heinrichs Verhalten sagt, noch längst nicht deshalb als bare Münze zu nehmen, weil man ihm das Faktum von Herigers Salbungsangebot und seiner Zurückweisung zu glauben hat. Einmal entspringen im allgemeinen die Reden, die er seine Helden halten, und die Motive, nach denen er sie handeln läßt, sicher mehr seiner eigenen oder der Phantasie seiner Überlieferung als den historischen Tatsachen. Außerdem desavouiert er in unserm Falle seine Behauptung einigermaßen selbst, indem er Heinrichs Verhalten zu beschönigen für nötig hält: wäre er von dem Motiv der Demut und Bescheidenheit restlos überzeugt gewesen, so hätten seine Worte über die Ablehnung der Salbung sicher einen erheblich anderen Klang bekommen. Und daß Gerhard Heinrichs Haltung in Fritzlar auch nicht gerade als Ausfluß von Demut und Bescheidenheit beurteilt, ist wohl offensichtlich. Im übrigen scheint diese Demut dem, was wir sonst über Heinrichs Charakter und seine Politik wissen, wenig zu entsprechen, und für das Nein, mit dem der König Herigers Angebot beantwortete, hat die Forschung ganz andere, anscheinend besser begründete Motive ausfindig gemacht und angenommen, Motive, von denen noch die Rede sein wird. Doch wenn das alles auch richtig ist, und wenn man gegen Widukirids Worte von Heinrichs Bescheidenheit noch soviel Einwände erheben kann, so sind sie damit noch nicht widerlegt. Wenn auch unwahrscheinlich, so ist es doch nicht unmöglich, daß sie auf einer brauchbaren Überlieferung beruhen, und neben Handlungen und Charakterzügen des Königs, die zu seiner in Fritzlar angeblich bewiesenen christlichen Demut schlecht passen wollen, stehen andere, mit denen sich diese wohl in Einklang bringen l i e ß e 3 0 ; auf jeden Fall ist das Bild, das wir von dem König haben, viel zu 17 dürftig und schattenhaft ausgestattet, als daß wir mit Sicherheit sagen könnten, diese oder jene Züge sind in diesem Bilde unmöglich. W e r will denn beweisen, daß Heinrich aus irgendeiner Stimmung des Augenblicks heraus sich in Fritzlar nicht von den Gefühlen christlicher Devotion hat überwältigen lassen? W e r will sagen, daß er nicht etwa aus einer der Religiosität der Zeit entsprechenden Überlegung des do ut des, sozusagen des Handels mit der Gottheit, die Ehre der Salbung abgelehnt habe, um sich dafür von Gott einen anderen Lohn einzutauschen 3 1 . W i r wissen alles das nicht. Wenn aber an Widukinds Motivierung etwas Richtiges sein sollte, so wissen wir wieder nicht, ob Heinrich nicht neben dem von Widukind überlieferten Motiv noch andere Motive gehabt hat. Selten oder nie entspringt eine Handlung nur einem einzigen Beweggrunde; sie ist im allgemeinen das Resultat von sehr vielen, verschie30
Auf derartige Momente in der Geschichte Heinrichs weist vor allem Dörries, a. a. O., hin; freilich bleibt viel von dem, was er sagt, ein wenig fraglich und läßt sich auch anders interpretieren. So dürfte er den formelhaften Wendungen von Heinrichs Diplomen, die auf die Frömmigkeit des Königs Bezug nehmen, oder der Rede, die Widukind Heinrich 9 3 3 bei der Verweigerung des Ungarntributs halten läßt, zuviel Gewicht beilegen; über das, was Heinrich wirklich dachte, wird man aus solchen Zeugnissen kaum etwas Sicheres entnehmen können, und im übrigen gibt es auch wieder genug Dinge in der Überlieferung und der Geschichte Heinrichs, die man als Belege für eine ganz andere Einstellung des Königs verwerten kann; vgl. dazu weiter unten S. 6 1 1 . Zum Verhältnis Heinrichs zur Kirche vgl. im übrigen etwa Waitz, Jahrbb. S. 106 ff.; in der Literatur ist von diesen Dingen überhaupt verhältnismäßig oft die Rede, und ich brauche hier auf Einzelheiten nicht weiter einzugehen.
31
Auf diese A r t der altsächsischen Religiosität weist Dörries, a. a. O., besonders hin.
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denen, unter Umständen sich scheinbar widersprechenden und aufhebenden Motiven. Warum sollte es 919 in Fritzlar anders gewesen sein? Aber bei alledem ist von vornherein eins zu sagen. So wenig wir das Motiv der Bescheidenheit für Heinrich mit Sicherheit ablehnen oder annehmen können, so wenig können wir andere Motive als für sein Handeln wirklich bestimmend nachweisen. Was der König im Mai 919 in Fritzlar tatsächlich dachte und wollte, weiß niemand und kann niemand wissen. Wir können höchstens sagen, was etwa als möglich und was bis zu einem gewissen Grade als wahrscheinlich erscheint. Das ist wenig, und man könnte die Frage stellen, ob ein solches, im Grunde unfruchtbares Rätselraten sich überhaupt lohnt, zumal an den Rätseln, die Heinrichs Verhalten in Fritzlar aufgibt, schon sehr oft und sehr gründlich geraten worden ist. Doch es kommt im folgenden gar nicht so sehr darauf an, zu zeigen, was Heinrich gedacht und gewollt haben könnte. Das eigentliche und wichtigere Ziel der folgenden Überlegungen ist,, ausgehend von der Frage oder im Zusammenhang mit der Frage, was wir für Heinrichs Denken und Tun als möglich und wahrscheinlich ansehen können, die Frage zu untersuchen, welche geistigen und politischen Voraussetzungen 919 in Deutschland und besonders in Sachsen dafür gegeben waren, daß der neue König die Salbung zurückwies, und was die Folgen einer solchen Handlungsweise sein konnten und mußten; das heißt, es handelt sich nicht so sehr um die im Grunde nicht oder nur unvollkommen lösbare Frage nach der Einstellung des Königs selbst wie um die Frage nach der allgemeinen historischen und politischen Situation, der geistigen Atmosphäre, in der das Angebot Herigers und seine Ablehnung durch Heinrich erfolgt ist. Um sich diese Atmosphäre klarzumachen, wird es nützlich sein, sich zunächst das Wesen und den Sinn der Königssalbung zu vergegenwärtigen, wie sie sich bis dahin entwickelt hatte; wir versuchen uns daher einen Überblick über ihre Geschichte von ihrem ersten Erscheinen im fränkischen Reich an zu verschaffen. 3. Die Königssalbung
im
Karolingerreich
Im fränkischen Reiche kommt die Königssalbung nach allem, was wir wissen, zuerst bei der Thronbesteigung Pippins im Winter 751/52 vor 32 . Es ist möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, daß man dabei westgotische Vorbilder vor Augen hatte 33 . Doch 32
D a s ist die allgemeine Ansicht, und es liegt mir fern, sie zu bestreiten. Nur möchte ich sagen, daß eine absolute Gewißheit wie in so vielen Fällen auch in diesem Falle nicht besteht. Man sieht zwar im allgemeinen als selbstverständlich an, daß vor 751 der König im Frankenreich nicht gesalbt wurde, und tatsächlich sagen die Quellen auch nichts von Königssalbungen in der Merowingerzeit. Aber das beweist nicht gerade viel; denn über die Art, wie man etwa in der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts im Frankenreich König wurde, wissen wir überhaupt nichts, und den Quellen über die Vorgänge von 751 ist, soweit ich sehe, darüber, ob es sich bei der Salbung wirklich um ein Novum handelt, nichts zu entnehmen. Einige ihrer Äußerungen scheinen mir dafür zu sprechen, andere aber auch wieder nicht. D a ß im übrigen die Situation von 751 zu einer Einführung der Salbung, wenn sie noch nicht Brauch war, drängte, ist sicher; ebenso aber, daß auch das kein Beweis für ihre Neueinführung ist. Ich habe vor, auf diese Dinge in einem anderen Zusammenhang ausführlicher einzugehen.
33
Vgl. dazu P. E. Schramm, D i e Krönung in Deutschland, a. a. O., S. 184; E. Müller, D i e Anfänge der Königssalbung im Mittelalter und ihre historisch-politischen Auswirkungen, Historisches Jahrbuch 58 (1938), S. 333 ff., besonders S. 344 ff.
Heinrich I. und die fränkische Königssalbung
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ob und wieweit sie tatsächlich von maßgebendem Einfluß waren, das ist ungewiß und f ü r unsere Überlegungen auch einigermaßen unerheblich. Wesentlich und sicher dagegen ist, daß das Vorbild, durch das die fränkische Königssalbung im stärksten Maße beeinflußt werden mußte, die Geschichten waren, die die Bibel über die Königssalbung Sauls und Davids durch Samuel überlieferte: Samuel, Saul und D a v i d waren jedem Kleriker im Frankenreich und vermutlich auch jedem Laien bekannt, auf jeden Fall aber dem in St. Denis erzogenen König Pippin. Auf Samuel und die durch ihn, natürlich v o r allem an David, vollzogene Königssalbung wird denn auch in den an die Karolinger gerichteten Papstbriefen, in der schriftlichen Überlieferung des K a r o lingerreiches und später in den Krönungsordines oft genug hingewiesen. W a s man sich danach unter der Salbung vorstellte, ist deutlich: sie w a r eine symbolische Handlung, in der sich die Berufung des Gesalbten zum Königtum durch den Beauftragten Gottes und damit durch Gott selbst ausdrückte 3 4 . Mit Pippins Thronbesteigung wurden die Merowinger abgesetzt, und die karolingische Dynastie begann zu regieren. V o r seiner Salbung und Thronbesteigung hatte Pippin beim Papst Zacharias in Rom die berühmte Frage gestellt, ob es recht sei, daß die machtlosen Merowinger das Königtum besäßen oder nicht; und der Papst hatte im gewünschten Sinne geantwortet 3 5 . Diese Entscheidung des Papstes, des Nachfolgers Petri, wurde nun durch die Salbung in einer sinnfälligen Form sozusagen wiederholt, durch die Salbung, die vielleicht außer von den fränkischen Bischöfen von dem päpstlichen Legaten Bonifatius vollzogen worden i s t 3 6 (ohne daß man freilich sagen und beweisen kann, daß die Salbung im päpstlichen A u f t r a g erfolgte). D e r Spruch des Papstes und die Salbung hatten offenbar, wie man längst gesehen hat 3 7 , den Sinn, für das neue Königtum eine A r t Gegengewicht gegen das uralte Geblütsrecht der Merowinger zu schaffen: an die Stelle des vielleicht von den alten Göttern Das ist die allgemeine Auffassung; vgl. auch unten Anm. 37. Vgl. zu der Antwort des Papstes Zacharias zuletzt H. Büttner, Aus den Anfängen des abendländischen Staatsgedankens. Die Königserhebung Pippins, Hist. Jahrb. 71, Jg. 1951 (1952), S. 77 ff. Die Ausführungen von Büttner scheinen mir sehr aufschlußreich zu sein für das, was man in gewissen Kreisen des Frankenreiches vielleicht im Zusammenhang mit der Stellungnahme des Papstes Zacharias zur Thronbesteigung Pippins dachte. Über ein „Vielleicht" scheint man mir dabei freilich nicht recht hinauskommen zu können, und ebensowenig dürfte man etwas Genaueres darüber sagen können, wie weit jene Kreise reichten. Vor allem, daß der Gedanke des ordo als der „von Gott gesetzten Weltordnung in ihrer Augustinisch frühmittelalterlichen Ausprägung" 751 wirklich die Rolle gespielt hat, die ihm Büttner zuweist, ist mir etwas zweifelhaft. Die einzige Quelle, die im Zusammenhang mit der Stellungnahme des Papstes von einem ordo spricht, den man so verstehen könnte (aber doch wohl nicht muß), wie Büttner will, sind die Annales regni Francorum. Sie sind aber annähernd vierzig Jahre nach 751 niedergeschrieben, und niemand kann sagen, ob sie in unserem Falle Meinungen aus dem Jahre 751 oder eigene Ansichten wiedergeben. Die fast gleichzeitig mit 751 geschriebene und halboffiziöse Continuatio Fredegarii, die bei der Thronbesteigung Pippins gleichfalls vom ordo redet, versteht darunter ganz etwas anderes, nämlich den fränkischen Brauch bei der Einsetzung des Königs. Auch auf diese Dinge gedenke ich ausführlicher zurückzukommen. 39 Ob Bonifaz wirklich beteiligt war, wird sich wohl nie sicher entscheiden lassen. ' ' Vgl. dazu etwa E. Pereis, Pippins Erhebung zum König, Zeitschr. f. Kirchengesch. 53 (1934), S. 400 ff ; E. Caspar. Das Papsttum unter fränkischer Herrschaft, Zeitschr. f Kirchengesch. 54 (1935). S. 132 ff.; E. Müller, a. a. O.; sowie schon vorher, grundlegend für den ganzen Fragenkomplex, F. Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im frühen Mittelalter, 2. Aufl. 1954.
34 35
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stammenden und auf jeden Fall durch Tradition und Alter geheiligten Rechtes der merowingischen Dynastie trat das durch Gott, den heiligen Petrus und die bischöfliche Salbung geheiligte neue Recht Pippins 3 8 . Samuel hat Saul und David gesalbt, bevor sie vom Volke zu Königen gewählt wurden. Das entsprach völlig dem Sinn der Salbung. In ihr drückte sich ja aus, daß Gott entschied und daß er durch seinen Propheten den König aussuchte und berief; die Wahl des Volkes hatte dieser Entscheidung Gottes nur zu folgen. Der Salbung Pippins ist zwar, wenn wir den nicht gerade ausführlichen Quellenberichten Glauben schenken können, eine Wahl durch die fränkische Reichsversammlung vorangegangen 3 9 . Aber vor dieser Wahl lag doch die Anfrage in Rom und der Spruch des Papstes; einige Quellen sagen geradezu, daß auf seinen Befehl Pippin zum König gemacht wurde. Also auch hier erfolgte vor der Wahl die Entscheidung von Gottes Stellvertreter. Aber noch etwas anderes. Seit der Merowingerzeit war es üblich, daß der neue König durch irgendeinen feierlichen weltlichen Erhebungsakt in sein Königtum ein22 geführt wurde, wobei die Frage offen bleiben kann und muß, in welchen Formen dieser Akt vor sich ging 4 0 . Eine solche weltliche Erhebung zum König ist nun 751 auch an Pippin vollzogen worden; ihr wurde aber offenbar die Salbung durch die Bischöfe vorangestellt 4 1 , - das Ganze mithin ein Verfahren, das eine deutliche Analogie zu der Reihenfolge aufweist, die im Zusammenhang mit dem Spruch des Papstes und der Wahl durch die fränkische Reichsversammlung oder mit der Salbung durch Samuel und der Wahl des jüdischen Volkes beobachtet wurde. Diese Reihenfolge: erst Spruch des Papstes, dann W a h l ; erst Salbung, dann weltliche Königserhebung, entsprach nun aber nicht nur dem Sinn der geistlich-kirchlichen Handlungen, die 751 vorgenommen wurden, sie entsprach zugleich den alten, nichtchristlichen Vorstellungen und Überlieferungen, an deren Stelle jene traten oder mit denen sie sich verbanden. Nach alter fränkischer (und germanischer) Anschauung wählte man bei der Königswahl den zum Königtum schon vor der Wahl Berechtigten, denjenigen, der durch seine Abstammung zum Königtum berufen war. 751 wählte man den, der durch das päpstliche Orakel, und man erhob dann den, der durch die Salbung legitimiert war. 38
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Das, was man neuerdings über ein, besonders von Einhard, konstruiertes Königsheil und altes Geblütsrecht der Karolinger schon in der Zeit vor ihrer Thronbesteigung sagt, scheint mir mindestens etwas fraglich zu sein. Auf jeden Fall brauchen wir uns hier mit diesen Dingen nicht weiter abzugeben und können uns auf die Legitimation durch die Salbung beschränken. Vgl. H. Bcumann, Einhard und die karolingische Tradition im ottonischen Corvey, Westfalen 30 ( 1 9 5 2 ) , S. 162 ff., sowie einstweilen meine Miszellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts, a. a. O., S. 42 ff. [hier S. 2 4 5 ff.]. Vgl. Böhmer-Mühlbacher 64 a, wo die Quellen zusammengestellt sind, sowie H. Hahn, Jahrbb. d. fränk. Reichs 7 4 1 / 5 2 (18ß3), S. 1 4 5 ff. Vgl. H. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte II, 2. Aufl., bearb. v. Claudius Frh. v. Schwerin ( 1 9 2 8 ) , S. 22 f. Das scheint mir aus dem Wortlaut der Quellen einigermaßen deutlich hervorzugehen, wenn auch, soweit ich sehe, dies Moment in der Literatur bisher nicht berücksichtigt worden ist. Auch darauf gedenke ich in einem anderen Zusammenhang ausführlicher einzugehen. Vgl. dazu auch meinen Aufsatz: Zur Designation und W a h l König Heinrichs I., Deutsches Archiv 6 ( 1 9 4 3 ) , S. 399 [hier nicht aufgenommen, Bibliogr. Nr. 75],
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Die Einhaltung dieser Reihenfolge dürfte also keineswegs bloß die Beachtung einer äußeren Form gewesen sein. In ihr dürfte sich vielmehr der Rang ausdrücken, den die Salbung nach den Vorstellungen der Zeit neben und gegenüber den anderen Wahlhandlungen hatte. Im Jahre 754 ist die Salbung an Pippin durch den Papst Stephan II., der damals ins Frankenreich kam, wiederholt worden 4 2 . Zugleich wurde sie von ihm an den noch unmündigen Söhnen des Königs, Karl und Karl mann, vollzogen, und zwar, soweit wir sehen, ohne daß die beiden Kinder vorher zu Königen gewählt worden wären. Endlich hat der Papst 754 die Franken auf die neue Dynastie verpflichtet, indem er jeden, der in Zukunft etwa einen König aus einem andern Hause wählen wollte, mit der Exkommunikation bedrohte. D i e Ereignisse von 751 wiederholten sich 754 offenbar in der stärksten Form: der Vorgang von 754 zeigt besonders deutlich, daß die Salbung, ähnlich wie seit alter Zeit das Geblütsrecht, den Anspruch auf das Königtum geben und zum Königtum legitimieren sollte. Fast noch klarer machen das die Vorgänge des Jahres 7 7 2 4 3 . Nachdem sich 768 Karl der Große und sein Bruder Karlmann von den fränkischen Bischöfen noch einmal hatten salben lassen 4 4 , hat 772 der Langobardenkönig Desiderius, zu dem damals die Witwe des 771 verstorbenen Karlmann mit ihren Kindern geflüchtet war, den Papst Hadrian aufgefordert, ihre Söhne zu Königen zu salben (was der Papst ablehnte). Diese Söhne waren höchstens ein paar Jahre alt; sie waren von den Franken nicht bloß nicht zu Königen gewählt, sie waren vielmehr von Karl und der fränkischen Reichsversammlung ausdrücklich vom Königtum ausgeschlossen worden. Wenn Desiderius trotzdem ihre Salbung durch Hadrian verlangte, so bedeutete das sicher nicht, daß der Papst Karlmanns Söhne wirklich hätte zu Königen machen können. Aber es bedeutete doch, daß die Salbung einen Rechtsanspruch auf die Krone geben sollte, und insofern erscheint Hadrian hier beinahe noch deutlicher als 751 Zacharias und 754 Stephan in der Rolle Samuels, der das Recht auf das Königtum verlieh. In den folgenden Jahrzehnten tritt die Königssalbung auffällig zurück. Zwar hat Karl noch 781 seine beiden jüngeren Söhne Pippin und Ludwig vom Papst in Rom salben l a s s e n 4 5 ; das geschah im Zusammenhang mit der Einrichtung von Unterkönigtümern für die beiden Prinzen in Italien und in Aquitanien, und es geschah, soweit wir sehen, wieder, ohne daß eine Wahl vorangegangen wäre. Doch daß Karl auf die Salbung kein allzu großes Gewicht legte, dürfte daraus hervorgehen, daß er die seines ältesten Sohnes, Karl, bis zum Jahre 800 hinausschob; erst damals kam der Prinz nach Rom und wurde am Weihnachtstag, unmittelbar nach Karls des Großen eigener Kaiserkrönung, vom Papst zum König gesalbt 4 6 . Danach verschwindet die Salbung im Frankenreich für längere Zeit anscheinend mehr oder weniger vollständig. Weder bei der Reichsteilung von 817 noch bei den folgenden Teilungen, Teilungsversuchen und Regierungsantritten unter Ludwig dem Frommen und in der Zeit um den Vertrag von Verdun wurde sie, soweit wir sehen, angewandt. Im Westfrankenreich bürgert sich dann freilich, wovon noch die Rede 42
Vgl. Böhmer-Mühlbacher
76a.
"
Vgl. Böhmer-Mühlbacher
J4
Vgl. Böhmer-Mühlbacher
1 1 5 d.
45
Vgl. Böhmer-Mühlbacher 2 3 5 b.
40
Vgl. Böhmer-Mühlbacher 3 7 0 c.
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Lintzel Bd. II
1 5 2 b.
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sein wird, der alte Brauch mit der Salbung Karls des Kahlen in Orléans 848 durch den Erzbischof von Sens wieder ein. Im Mittelreich ist wenigstens Ludwig II., der Sohn Kaiser Lothars, 844 vom Papst zum König gesalbt w o r d e n 4 7 ; dagegen haben Ludwigs Brüder Lothar II. in Lothringen und Karl in Burgund ohne Salbung regiert, und von den ostfränkischen Königen ist vor Ludwig dem Kind offenbar allein Karl III. 879 vom Papst, und zwar in Ravenna, gesalbt worden: Ludwig der Deutsche, Ludwig der Jüngere, Karlmann und sein Sohn Arnulf blieben nach allem, was wir wissen 4 8 , ungesalbt. Nun hat freilich vor mehreren Jahren C. Erdmann in seinem Aufsatz über den ungesalbten König 4 9 die Ansicht vertreten, die Tradition der Salbung habe sich in Wirklichkeit im Karolingerreich und vor allem in seinem ostfränkischen Teil trotz ihres scheinbaren Versiegens in ununterbrochener Folge erhalten. Man sei dabei nur von der Vorstellung ausgegangen, daß derjenige, der die Salbung zu vollziehen hatte (wie es 754 und 800 geschehen und 772 geplant war), der Papst sei, und man habe den Vollzug der Salbung daher aufgeschoben, bis man mit dem Papst zusammentraf; bei den karolingischen Königen des neunten Jahrhunderts, die nicht gesalbt worden sind, sei die Salbung infolgedessen nur unterblieben, weil sie mit dem Papst niemals zusammenkamen. D i e einzige Stütze für Erdmanns These ist, soweit man sieht, die Tatsache, daß sich Ludwig II. 844 in Rom und Karl III. 880 bei seiner ersten Begegnung mit dem Papst in Ravenna haben salben lassen 5 0 . Doch man wird schwerlich beweisen können, daß die beiden damit einem allgemein gültigen Prinzip folgten, und daß nicht etwa ihre Salbung ganz anderen Gründen, z. B . päpstlichen Aspirationen, Zufälligkeiten der augenblicklichen politischen Lage und dergleichen entsprang. Andererseits wird sich auch kaum beweisen lassen, daß jenes Prinzip nicht existierte 5 1 ; unser Material dürfte für einen Beweis wie für seine Widerlegung zu dürftig sein. Doch soviel wird 47 48
,0
51
Vgl. Böhmer-Mühlbacher 1 1 1 5 a. Völlige Sicherheit läßt sich freilich, glaube ich, auch in diesen Punkten kaum gewinnen. Die Quellen sagen nichts von einer Salbung der im T e x t genannten Könige. Aber als Argumentum e silentio ist das nur mit Einschränkungen zu verwerten. Die Quellen, die von einer Salbung Ludwigs des Deutschen und seiner Söhne nichts wissen, wie Regino und die Fuldaer Annalen, wissen nämlich auch nichts von einer Salbung Zwentibolds von Lothringen; über sie sind wir nur durch die Annales Vedastini zu 8 9 5 unterrichtet (vgl. Böhmer-Mühlbacher 1 9 0 8 a). Das Schweigen jener andern Quellen ist also offenbar nicht sehr beweiskräftig. Immerhin scheint die Tatsache, daß, wie Erdmann a. a. O., S. 3 1 6 f. nachgewiesen hat, Karl III. als dies consecrationis den Tag feierte, an dem er 8 8 0 in Ravenna vom Papst zum König gesalbt sein dürfte, dafür zu sprechen, daß er 7 7 6 oder früher bei seiner Thronbesteigung nicht gesalbt worden ist; und wenn das für ihn gilt, so dürfte es natürlich auch für seine Brüder Karlmann und Lud, B Vgl. oben S. 5 8 4 , Anm. 4. wig den Jüngeren zutreffen. Die Kaiserkrönung Arnulfs, auf die Erdmann in diesem Zusammenhang noch hinweist, scheint mir dafür irrelevant zu sein. D a ß der Papst, als er 8 3 3 ins Frankenreich kam, die Söhne Ludwigs des Frommen offenbar nicht salbte und anscheinend ebensowenig Ludwig den Deutschen, als er 8 7 4 in Verona mit ihm zusammentraf, beweist, wie Erdmann, a. a. O. S. 3 1 5 Anm. 1, und S. 3 1 8 , mit Recht betont, nicht viel: es könnte sich um begründete Ausnahmen von der Regel handeln. Freilich ist auf keinen Fall recht einzusehen, warum sich die ostfränkischen Könige nicht, wenn der Papst nicht zur Verfügung stand, von Bischöfen haben salben lassen, wenn sie überhaupt auf die Salbung
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man sagen müssen: wenn der Gedanke an die Salbung in der Weise, wie Erdmann meint, tatsächlich noch lebendig gewesen sein sollte, so würde das doch nichts daran ändern, daß sie ihren alten Sinn und ihre alte Bedeutung verloren hatte. D i e Salbung hatte, wie wir sahen, ursprünglich den Sinn, die Legitimation oder doch eine Legitimation für das Königtum des Gesalbten zu geben. Wenn man sie beliebig lange, unter Umständen für immer aufschieben konnte, und wenn man Jahre hindurch, in den meisten Fällen sogar dauernd ohne Salbung regierte, so beweist das, daß sie gegenüber ihrer alten Bedeutung zu einer einigermaßen belanglosen Form herabgesunken war. Woran diese Wandlung lag, braucht uns hier nicht näher zu beschäftigen. Sie mag ihre Ursache in einer gewissen Emanzipation des Königtums, vor allem des ostfränkischen Königtums, von den kirchlichen Ideen der Mitte des achten Jahrhunderts, der Zeit des Bonifatius, zugleich in der Stärkung des Geblütsrechts der Dynastie und ihrer eigenen theokratischen Position gehabt haben. Für unsere Zwecke ist nun aber das Wesentliche, daß die Salbung in der zweiten Hälfte, vor allem im letzten Drittel des neunten Jahrhunderts, wieder zu neuer Bedeutung kam. Wie bemerkt hat sich 848 Karl der Kahle in Orléans salben lassen, und zwar von der Hand des Erzbischofs von Sens. E r tat das, nachdem er Aquitanien erobert oder sich doch die aquitanischen Großen ihm zugewandt hatten, und wenn man auch fragen kann, ob die Salbung für das aquitanische Reich oder für das Königtum Karls überhaupt zu gelten hatte, so steht doch so viel fest, daß sie seine einigermaßen unsichere und bedrohte Herrschaft festigen sollte. Eine ganz ähnliche Bedeutung hatte dann die Salbung, die er 869, nach dem Einfall in Lothringen, in Metz vom Erzbischof Hinkmar von Reims an sich vollziehen ließ 5 2 : auch hier sollte das fragwürdige Recht und die fragwürdige Macht des Königs gestützt werden. Seitdem ist die Salbung bei den westfränkischen Karolingern wieder üblich; die Nachfolger Karls des Kahlen haben sie durchweg empfangen, und es ist klar, daß sie zur Vermehrung ihrer Rechtstitel und zur Stärkung ihres Königtums zu dienen hatte. Doch wichtiger für die Erkenntnis des Wesens und der Bedeutung der Salbung in dieser Zeit ist die Rolle, welche sie beim Zerfall des Karolingerreiches in den Jahren 879 und 887/88 gespielt hat. Sämtliche Prätendenten, die damals außerhalb des ostfränkischen Reiches neue Königreiche gegründet haben oder zu gründen versuchten, Boso in Niederburgund 5 3 , Odo und Wido in Frankreich, Rudolf in Hochburgund und in Lothringen, Berengar und Wido in Italien, sind gesalbt worden 5 4 . Man hat damals zwar nicht wieder wie einst Pippin beim Papst in Rom sich die Berechtigung des neuen Königtums bescheinigen lassen. Immerhin wurde bei einer der Königserhebungen, die jetzt erfolgten, und über die wir genauer Bescheid wissen, bei der
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Gewicht legten. Im Westirankenreich war die von Bischöfen vollzogene Salbung ja seit 8 4 8 wieder üblich, und sie war, wie wir sahen, auch bereits im achten Jahrhundert, 7 5 1 und 7 6 8 , vorgekommen. Erdmanns These von der päpstlichen Salbung, auf die man im Ostfrankenreich wartete, scheint also auch insofern etwas unwahrscheinlich zu sein. Vgl. E . Dümmler, Geschichte des ostfränkischen Reiches II, 2. Aufl. ( 1 8 8 7 ) , S. 2 8 2 ff. Vgl. Dümmler III, 2. Aufl. ( 1 8 8 8 ) , S. 124 11. Vgl. ebenda S. 3 1 3 ff. Die Quellen führe ich im einzelnen nicht an. Vgl. jedoch unten S. 5 9 8 , Anm. 62.
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Bosos von 879, von einem Bischof die (offenbar freilich falsche) Behauptung aufgestellt, der Papst habe seine Zustimmung gegeben 55 . Und der Wahlakt von 879, der der Salbung Bosos durch den Erzbischof von Lyon voranging, wurde nicht bloß in einer Form vollzogen, die die Bischöfe als die Initiatoren der Wahl erscheinen ließ diese Wahl selbst wurde auch als durch göttliche Eingebung und Offenbarung erfolgt hingestellt. Wir wissen andrerseits kaum zu sagen, ob 879 und 887/88 die Salbungen, wie es im achten Jahrhundert geschehen war, vor einer weltlichen Thronerhebung vollzogen wurden. Doch es ist wenigstens bei den Salbungen Odos und Widos in Frankreich sowie bei der Rudolfs in Lothringen deutlich, daß man sie möglichst früh, im Falle Widos und Rudolfs geradezu überstürzt vornahm; diese Salbungen geschahen in einem Augenblick, in dem die Könige erst von einem kleinen Teil der Großen gewählt waren, und ihnen sollte die Anerkennung und Wahl durch die Gesamtheit erst folgen 56 . Selbstverständlich ähnelten die Salbungen der eben genannten Prätendenten denen der westfränkischen Karolinger seit 848 insofern, als auch sie den Zweck hatten, das schwache und fragwürdige Königtum der Gesalbten zu stützen. Darüber hinaus und auf jeden Fall kann man aber wohl von den Königssalbungen der Jahre 879 und 887/88 sagen, daß sie einen ähnlichen Sinn wie die von 751 hatten. Die Prätendenten, die jetzt eingesetzt wurden, waren, wenn zum Teil auch in weiblicher Linie mit den Karolingern verwandt, doch sämtlich nicht Angehörige der karolingischen Dynastie. Sie gründeten neue Dynastien, und sie wurden erhoben, indem man die Ansprüche und Rechte des altgeheiligten, seit 751 regierenden Hauses (ganz ähnlich wie einst das der Merowinger) ignorierte: die Salbung hatte, ebenso wie 751, den Sinn, eine kirchliche, d. h. göttliche Legitimation der neuen Dynastien zu geben. Nur im ostfränkischen Reich ist es 887 nicht zur Erhebung eines nichtkarolingischen Königs gekommen. Soweit wir sehen, ist denn auch Arnulf von Kärnten, der hier König wurde, nicht gesalbt worden. Dagegen hat 895 Arnulfs illegitimer Sohn Zwentibold, als man ihn zum König von Lothringen machte 57 , und höchstwahrscheinlich sein legitimer Sohn Ludwig das Kind, als er Arnulf 899 im ostfränkischen Reich nachfolgte, die Salbung empfangen 58 . Mit beiden Salbungen wurde nicht eine neue Dynastie legitimiert; sie hatten eine bescheidenere, geringere Bedeutung, und zwar offensichtlich dieselbe wie die Königssalbungen, die sich seit 848 bei den westfränkischen Karolingern wieder eingebürgert hatten, eine Bedeutung, die, wie wir sahen, nebenbei auch bei den Salbungen von 879 und 887/88 hervortrat: diese sollten die schwache Machtstellung der Könige erhöhen und aufbessern. Welche Stellung innerhalb der übrigen Erhebungsakte Zwentibolds die Salbung einnahm, können wir nicht s5 f0
67
5ä
Vgl. Dümmler. S. 126. O d o hat sich dann nach seiner ersten Salbung in Compiegne später, als er allgemeinere Anerkennung gefunden hatte, in Reims noch einmal salben lassen. Vgl. Dümmler III, S. 408 f ; Böhmer-Mühlbacher 1908 a; vgl. dazu oben S. 594, Anm. 48. Für absolut gesichert halte ich diese Salbung freilich auch nicht; sie wird nur von den Annales Vedastini überliefert, während die Fuldaer Annalen und Regino nichts von einer Salbung, sondern nur von einem weltlichen Wahlakt sagen; und die Ann. Vedastini könnten in ihrer Ausdrucksweise durch westfränkische Anschauungen bestimmt sein. Vgl. Dümmler III, S. 495; Böhmer-Mühlbacher 1983 d; dazu vor allem Erdmann, a. a. O., S. 312 f.
Heinrich I. und die fränkische Königssalbung
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sagen; doch 899 bei der Erhebung Ludwigs ist sie, wenn wir recht unterrichtet sind, offenbar vor einer weltlichen Thronsetzung des Kindes erfolgt 5 9 . Ganz derselbe Sinn wie den Salbungen, die 879 und 887/88 an den Repräsentanten neuer Dynastien vollzogen wurden, und damit eine ähnliche Bedeutung wie der von 751 kam nun aber der ersten Salbung zu, die wir mit voller Bestimmtheit für einen ostfränkischen König auf deutschem Boden nachweisen können: der Konrads I. im Jahre 911, die höchstwahrscheinlich in Forchheim und von Hatto von Mainz vollzogen wurde 6 0 ; wobei sich über ihr Verhältnis zur Wahl und zur weltlichen Thronsetzung infolge der Dürftigkeit der Überlieferung freilich gar nichts sagen läßt. Mit der Erhebung Konrads schob man die Ansprüche der Karolinger, die im Westen mit Karl dem Einfältigen inzwischen wieder auf den Thron gekommen waren, beiseite, und man etablierte wie in den Jahren 751, 879 und 887/88 eine neue Dynastie. Man sieht, seit 751 hatte sich die Salbung zwar nicht in einer ununterbrochenen Tradition, als feststehender Brauch, im fränkischen Reiche durchgesetzt; aber sie war doch im Westen seit der Mitte, im Osten wahrscheinlich seit dem Ende des neunten Jahrhunderts, sicher seit dem Jahre 911 wieder ein Bestandteil der Königserhebung geworden. Vor allem aber, sie ist seit 751 auf dem Boden des Karolingerreiches stets vollzogen worden, wenn es sich darum handelte, einen König gegen die herrschende Dynastie aus einem neuen Hause einzusetzen 61 . Dabei mag das rechtliche, politische und moralische Gewicht, das die Salbung tatsächlich für die Legitimierung der neuen Könige oder der neuen Dynastien hatte, schwer abzuschätzen sein. Wir können kaum beurteilen, wie groß die Widerstände waren, die die neuen Könige oder Prätendenten fanden, und die mit Hilfe des kirchlichen Segens überwunden werden mußten und konnten, und ebensowenig können wir zuverlässig entscheiden, wie intensiv die religiösen und kirchlichen Überzeugungen waren, die der Salbung ihr Gewicht gaben. Wir sagten oben bereits, daß 772 das Wort des Papstes sicher nicht genügt hätte, die Ansprüche der Söhne Karlmanns durchzusetzen, und ähnlich dürfte es bei allen Salbungen seit 751 gewesen sein, mögen sie nun vom Papst oder von Bischöfen und an Königen aus dem herrschenden oder aus einem neu erhobenen Hause vollzogen worden sein: ohne eine erhebliche Macht der Prätendenten, an denen sie vorgenommen wurden, und ohne eine mindestens weitgehende Zustimmung des Volkes oder 68
Vgl. Reginonis chronicon 900, S. 147 f.: proceres et optimates . . . Ludowicum . . . regem super se creant et coronatum regiisque ornamentis indutum in fastigio regrti sublimant. Etwas ganz Sicheres ist aus Reginos Worten freilich, wie man sieht, nicht zu entnehmen; doch sind sie am wahrscheinlichsten wohl so zu deuten, daß erst eine Wahl, dann die Krönung und Salbung, dann die Thronsetzung stattgefunden hat. M Vgl. Dümmler III, S. 576; Böhmer-Mühlbacher 2070e; Erdmann, S. 312. Auf Widukinds Aussage, Konrad sei gesalbt worden, wird man allerdings nicht allzuviel zu geben haben; denn er läßt z. B. auch den alten Frankenkönig Theuderich gesalbt werden. Um so mehr aber darauf, daß Konrad, wie Erdmann mit Recht betont, in den Beschlüssen von Hohenaltheim als christus domini erscheint, sowie darauf, daß 919 und 936 offenbar bereits eine Tradition für die Salbung bestand; als einigermaßen vollgültigen Beweis wird man, wie Schramm, a. a. O., S. 194, betont, alle Momente zusammen ansehen dürfen. " Das sowie die Feststellung der Reihenfolge von Salbung und weltlicher Königserhebung scheint mir das wesentlichste Ergebnis der vorangegangenen Zusammenstellungen über die Salbungen im Karolingerreich zu sein.
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der Großen, die sie zu wählen und zu erheben hatten, wäre die Salbung sicher wirkungslos geblieben. Aber immerhin, so selbstverständlich das ist, und so sehr man im einzelnen über das Maß ihrer Wirksamkeit streiten kann, politisch belanglos war sie auf keinen Fall; sie stärkte und stützte unter allen Umständen die Position der Könige und der alten oder der neuen Dynastien, und sie war dazu da, etwaige Usurpationen zu legitimieren und mit dem Schimmer des Rechts und des göttlichen Segens zu umkleiden. Das wurde besonders deutlich und sozusagen auch äußerlich erkennbar, wenn man den Spruch des Papstes der Wahl durch das Volk oder die Salbung einer Thronsetzung durch die Großen voranstellte 6 2 . Wenn man nach alledem die Ablehnung der Salbung durch Heinrich I. überdenkt, 32 so wird man sagen dürfen, sie war, oder vorsichtiger ausgedrückt, sie mußte in den Augen von Heinrichs Zeitgenossen als die Ablehnung der Art der Königserhebung erscheinen, wie sie auf dem Boden des fränkischen Reiches im achten Jahrhundert einige Jahrzehnte und wie sie seit der Mitte des neunten Jahrhunderts im Westen ständig, im Osten wahrscheinlich seit 900 geübt worden war. Sie war außerdem und vor allem aber die Ablehnung einer geistlichen Sanktionierung des neuen sächsischen Hauses, einer Sanktionierung, wie sie seit 751 im ganzen Karolingerreich in ähnlichen Fällen immer für nötig gehalten wurde, und sie war damit, wenn wir uns an die Vorstellungen der Zeit erinnern, die Zurückweisung eines kirchlichen Segens, der auf die Bibel und das Vorbild Samuels und Davids zurückblicken konnte 6 3 . D i e Frage ist nun, wie die geschichtliche Situation und die geistige Atmosphäre beschaffen war, in der diese Ablehnung zustande kam. 4. Politische Vor ausSetzungen der
Ablehnung
Die territoriale Expansionspolitik der Liudolfinger stieß in Thüringen und in den fränkisch-sächsischen Grenzgebieten mit der der Mainzer Erzbischöfe zusammen; mindestens zwischen Hatto von Mainz und Heinrich ist es deshalb offenbar zu heftigen Konflikten gekommen. In diesen Konflikten hat man den Grund oder einen Grund für die Zurückweisung, die Heriger in Fritzlar erfuhr, sehen wollen 6 4 . Nun ist Hatto 62
03
64
Man bekommt übrigens den Eindruck, daß die Salbung um 7 5 1 mehr zu bedeuten hat als gegen E n d e des neunten Jahrhunderts. Die Quellen betonen ihr Vorkommen, ebenso wie den Spruch des Papstes, um 751 viel stärker als später. D a ß es sich so verhält, ist kein W u n d e r : um die Mitte des achten Jahrhunderts waren die Beziehungen zu Rom und zu der eben reformierten Kirche anders als um 8 8 8 . Freilich glaube ich, man wird sich auch für die Mitte des achten Jahrhunderts keine so günstigen Vorstellungen über das Verhältnis von Laienwelt und Kirche und die zwischen ihnen herrschende Harmonie machen dürfen, wie jetzt manchmal geschieht. D a ß in dieser Zeit manches verhältnismäßig harmonisch aussieht, was in Wirklichkeit wohl weniger harmonisch war, mag zum Teil daran liegen, daß wir im allgemeinen auf sehr einsilbige, von Klerikern geschriebene Quellen angewiesen sind. Später, etwa im neunten Jahrhundert, wo die Quellen mehr erzählen, ist es mit dieser Harmonie offenbar nicht weit her gewesen. Vgl. dazu Erdmann, a. a. O., S. 3 2 4 f. Wenn ich Erdmanns Ansicht, daß im ostfränkischen Reich eine dauernde Tradition der Königssalbungen bestanden habe, auch nicht teile, so folge ich doch durchaus seiner Auffassung, daß in Fritzlar „die karolingische Tradition als Ganzes" zurückgewiesen ist. Vgl. dazu neuerdings H. Büttner und I. Dietrich, Weserland und Hessen im Kräftespiel der karolingischen und frühen ottonischen Politik, Westfalen 3 0 ( 1 9 5 2 ) , S. 147, Anm. 9 5 .
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Heinrich I. und die fränkische K ö n i g s s a l b u n g
von Mainz 913 gestorben, und ob oder wie sehr unter seinem Nachfolger Heriger die Streitigkeiten mit dem sächsischen Herzogshaus weitergingen, wissen wir nicht. Dagegen, daß sie noch eine größere Rolle spielten und die Lage 919 beeinflußten, könnte man geltend machen, daß nach der Thronbesteigung Heinrichs Heriger stets als Erzkanzler erscheint 6 5 , was der Mainzer Erzbischof unter Heinrichs beiden Vorgängern nicht gewesen ist, und man könnte weiter sagen, wenn Heinrich sich 919 an der Person Herigers und der Mainzer Territorialpolitik stieß, so hätte er sich von andern Bischöfen salben lassen können 0 6 . Immerhin läßt sich die Möglichkeit, daß territoriale Gegensätze Heinrichs Stellungnahme in Fritzlar beeinflußten, nicht bestreiten. Aber wenn dem so sein sollte, so muß man sich doch darüber klar sein, daß nach dem, was wir vorhin über das Wesen der Salbung feststellten, ihre Ablehnung mehr war als ein Glied in der Kette territorialer Streitigkeiten, und daß sie jedenfalls von den Zeitgenossen als mehr aufgefaßt werden mußte. D a ß sie als mehr angesehen wurde, geht schon aus den bittern Worten der Vita Udalrici von dem Schwert ohne Knauf h e r v o r 6 7 ; jedenfalls wurde durch sie ein Fragenkomplex angerührt, der weit über den Bereich mainzisch-sächsischer Grenzstreitigkeiten hinausging. Man legt denn auch im allgemeinen auf die territorialen Konflikte zwischen Sachsen und Mainz in diesem Zusammenhang nicht soviel Gewicht wie darauf, daß in Fritzlar, sozusagen durch einen symbolischen Akt, die Zurückweisung eines Bündnisses mit der Kirche dokumentiert worden sei 6 8 . Im ostfränkischen Reich standen sich nach allem, was wir wissen, seit Ludwig dem Deutschen Königtum und Kirche im allgemeinen sehr nahe. Beide ergänzten und stützten sich weitgehend gegenseitig 6 9 ; und so ist es bekanntlich auch unter Heinrichs Nachfolgern wieder geworden. Unter seinem unmittelbaren Vorgänger Konrad I. 65
Freilich mit der Einschränkung,
auf die E r d m a n n ,
a. a. O . , S. 3 2 6 f., hingewiesen h a t ,
daß
H e r i g e r in den D i p l o m e n Heinrichs zu A n f a n g bisweilen nicht als E r z k a n z l e r , sondern als E r z bischof bezeichnet w i r d , doch diese Einschränkung bezieht sich a u f d a s Funktionieren der K a p e l l e und nicht so sehr auf die Stellung H e r i g e r s . O b er in den königlichen U r k u n d e n E r z k a n z l e r o d e r E r z b i s c h o f g e n a n n t wird, ist für unsere F r a g e s t e l l u n g gleichgültig: praktisch h a t t e er die e i n e m E r z k a n z l e r entsprechende 68
Stellung.
E i n e feste T r a d i t i o n für den M a i n z e r Erzbischof als C o r o n a t o r bestand d a m a l s noch in keiner W e i s e - bekanntlich auch später nicht. U n d im übrigen d e n k e m a n d a r a n , d a ß unter U m s t ä n d e n die Salbung auch v o n gewöhnlichen Bischöfen v o l l z o g e n w e r d e n konnte und v o l l z o g e n So ist e t w a
Wido
SSO in Frankreich
v o m Bischof v o n L a n g r e s ,
wurde.
R u d o l f in L o t h r i n g e n
vom
Bischof von T o u l gesalbt w o r d e n . Heinrich hätte sich also, wenn er wollte, recht gut v o n andern fränkischen
Bischöfen
als
dem
Mainzer
oder
auch
k ö n n e n ; vgl. dafür oben S. 5 8 7 , A n m . 2 3 6,1
von 67
sächsischen
Bischöfen
salben
lassen
V g l . oben S. 5 8 4 .
V g l . e t w a H e i m p e l , B e m e r k u n g e n zur Geschichte Heinrichs I., a. a. O . , S. 3 7 ff.; ders., D e u t s c h e s M i t t e l a l t e r ( 1 9 4 1 ) , S. 3 7 f . ; E r d m a n n , a. a. O . , S. 3 3 5 ff.; vgl. weiter e t w a auch L . v. R a n k e , W e l t g e s c h i c h t e V I , 2, 4 . Aufl. ( 1 8 9 1 ) , S. 1 1 2 ff.; K . W . Nitzsch, G e s c h i c h t e des deutschen V o l kes I ( 1 8 8 3 ) , S. 3 0 4 ; G . W a i t z , J a h r b ü c h e r Heinrichs I., S. 4 0 f. sowie S. 2 1 7 ff.; S. H e l l m a n n , D a s M i t t e l a l t e r bis zum A u s g a n g der K r e u z z ü g e , 2 . Aufl. ( 1 9 2 4 ) , S. W e l t s t e l l u n g des Deutschen Reiches ( 1 9 3 2 ) , S. 1 3 ; Kaiserzeit ( 1 9 4 3 ) , schen Reiches, aufgenommen,
69
R. Holtzmann,
1 0 2 ; A . Cartellieri,
Geschichte der
S. 6 9 f . ; meinen A u f s a t z K ö n i g Heinrich I. und die G r ü n d u n g des
Thür-Sachs.
Zeitschr. f. Geschichte u. K u n s t 2 4
Bibliogr. N r . 5 6 ] ;
(1936),
S c h r a m m , D i e K r ö n u n g in D e u t s c h l a n d ,
S. 3 1 f.
Die
sächsischen [hier
Deutnicht
a. a. O . , S. 1 9 5 f.
V g l . d a r ü b e r e t w a J . Schur, K ö n i g t u m und K i r c h e im ostfränkischen R e i c h e ( 1 9 3 1 ) .
600
Letzte Veröffentlichung Martin Lintzels
hatten d i e Beziehungen zwischen beiden G e w a l t e n durch d e n K o n f l i k t m i t den H e r zögen eine b e s o n d e r e V e r s t ä r k u n g e r f a h r e n : sie hatten sich offenbar z u m
Bündnis
gegen die a u f s t r e b e n d e n H e r z ö g e in Sachsen, B a y e r n und S c h w a b e n entwickelt. D e n deutlichsten A u s d r u c k fand d i e Hilfe, d i e d a b e i d i e K r o n e v o n d e r K i r c h e erhielt, auf d e r S y n o d e v o n H o h e n a l t h e i m i m J a h r e 9 1 6 . D o r t w u r d e n d i e schwäbischen P r ä tendenten
E r c h a n g e r und B e r c h t o l d zu lebenslänglicher K l o s t e r h a f t v e r u r t e i l t ,
bayrische H e r z o g A r n u l f w u r d e a u f g e f o r d e r t ,
sich v o r einer R e g e n s b u r g e r
der
Synode
seiner eigenen B i s c h ö f e zu v e r a n t w o r t e n , u n d jeder, d e r sich gegen d e n K ö n i g e m p ö r e n und d e r sich gegen sein L e b e n o d e r seine H e r r s c h a f t v e r s c h w ö r e n sollte, w u r d e in d e r 35 feierlichsten F o r m
m i t Verfluchung und e w i g e r V e r d a m m n i s
und K l o s t e r h a f t
be-
droht70. 70
Über die Synode von Hohenaltheim vgl. Constitutiones I, S. 618 ff.; Dümmler III, S. 605 ff.; Nitzscb, a. a. O., S. 2 8 0 ; sowie zuletzt M. Hellmann, Die Synode von Hohenaltheim, Hist. Jahrb. 73 (1954), S. 127 ff. Hier vertritt Hellmann die Ansicht, daß auf der Synode ein weitgehender Herrschaftsanspruch der Bischöfe zutage getreten sei, dem sich Konrad nicht fügte; Kirche und König hätten sich also als Gegner gegenübergestanden. An dieser Ansicht ist wohl insofern etwas Richtiges, als der Episkopat 916 auch eigene Interessen vertrat, und man hat das auch früher schon gesehen; vgl. etwa meine Beschlüsse der deutschen Hoftage von 911 bis 1056 (1924), S. 98 f. [hier nicht aufgenommen, Bibliogr. Nr. 1], wo ich bemerke, daß der Episkopat im Laufe des zehnten Jahrhunderts dem Königtum wohl nie selbständiger gegenübergestanden habe als in Hohenaltheim, und daß man dort vor allem auf die Stärkung des kirchlichen Einflusses bedacht war. Doch daneben ist nicht zu verkennen, daß König und Bischöfe Bundesgenossen waren, und diese Seite der Angelegenheit dürfte bei Hellmann etwas zu kurz kommen. Wären Krone und Episkopat, wie er anscheinend meint, entzweit gewesen und wäre jeder seinen eigenen Weg gegangen, so wäre das angesichts der gemeinsamen Bedrohung durch die Herzöge eine Torheit gewesen, für die sich jedenfalls in den Beschlüssen von Hohenaltheim keine Anhaltspunkte finden. Auf die Einzelheiten von Hellmanns Beweisführung und Darlegungen kann ich hier natürlich nicht vollständig eingehen, doch möchte ich einiges dazu sagen. Der wertvolle Nachweis, daß in Hohenaltheim die Pseudoisidorischen Dekretalien ausgiebiger benutzt worden sind, als man bisher annahm (wobei man nur einen Hinweis auf das bisher schon Feststehende vermißt), dürfte für die autonomen Tendenzen der Bischöfe gegen die Krone nicht allzuviel beweisen. Einmal ahnte schwerlich auch nur einer von ihnen, daß die Dekretalien eine Fälschung, und noch weniger, zu welchem Zwecke sie gefälscht waren. Der Inhalt der Sätze, die man aus Pseudoisidor übernahm, war im ganzen recht harmlos und ging über das, was sonst auf Synoden der Zeit gegen Laien und Könige gefordert wurde, nicht allzuweit hinaus; die stärksten Beschlüsse, die überhaupt, aus Pseudoisidor entlehnt, gefaßt wurden, sprechen sich doch gerade zugunsten des Königtums aus. Bezeichnend scheint mir dabei zu sein, daß in Hohenaltheim Ermahnungen an den König völlig fehlen, wie sie etwa auf der Mainzer Synode 888 gegen Arnulf von Kärnten ziemlich deutlich und reichlich ausgesprochen werden. - Daß 916 der König als christus domini bezeichnet wird, bedeutet doch in keiner Weise eine Herabsetzung, wie Hellmann zu meinen scheint, eher das Gegenteil; und ebensowenig kann man einen bewußten Affront gegen Konrad darin sehen, daß die Synode nicht nur Bischöfe, sondern auch weltliche Empörer mit Strafen belegt und bedroht: das hat etwa die Synode von Ingelheim 948 auch getan, und niemand wird behaupten wollen, daß sie sich damit gegen Otto den Großen wandte; bezeichnend ist auch, daß, worauf schon A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands III, 8. Aufl. (1954), S. 14, hinweist, bei der Verurteilung Erchangers und Berchtolds zur Klosterhaft das Hauptgewicht auf ihre Empörung gegen den König, nicht auf die Gefangennahme Salomos von Konstanz gelegt wird. Immerhin ist zuzugeben, daß in diesem Punkte das Selbstbewußtsein und die Selbständigkeit der Hohenaltheimer Synode besonders stark hervortritt; aber von da bis zu dem, was Hellmann meint, ist wohl noch ein weiter Weg. - Daß Konrad in Hohenaltheim nicht anwesend war, ist, wenn auch nicht zu beweisen, so doch sehr wahrscheinlich; aber wenn der König wirklich fehlte, so würde
601
Heinrich I. und die fränkische Königssalbung
K o n r a d u n d d i e K i r c h e sind in i h r e m K a m p f e gegen d i e H e r z ö g e unterlegen, u n d das R e s u l t a t dieser N i e d e r l a g e w a r , d a ß die K r o n e auf d e n sächsischen H e r z o g überging. Es m u ß t e f ü r ihn naheliegen, sein K ö n i g t u m aus d e m Bündnis, d a s soeben b a n k r o t t gemacht hatte, zu lösen, u n d tatsächlich sieht m a n , d a ß er das, mindestens f ü r d e n ersten T e i l seiner Regierung, auch getan hat. M a n hat längst b e m e r k t u n d o f t betont, d a ß in d e n U r k u n d e n Heinrichs Schenkungen an G e i s t l i c h e u n d
Interven-
tionen v o n K l e r i k e r n a u f f ä l l i g selten v o r k o m m e n ; E r d m a n n hat in seinem A u f s a t z ü b e r d e n ungesalbten K ö n i g gezeigt, d a ß die K a p e l l e , d i e Hofgeistlichkeit, in d e n ersten J a h r e n seiner R e g i e r u n g o f f e n b a r eine u n g e w ö h n l i c h geringe, g e r a d e z u v e r s c h w i n d e n d e R o l l e s p i e l t 7 1 . V o r a l l e m a b e r hat Heinrich d e n K a m p f gegen d i e H e r zöge nicht f o r t g e s e t z t ; er hat sich mit ihnen v e r s t ä n d i g t , u n d d a b e i h a t e r den E p i s k o pat, d e n bisherigen Bundesgenossen d e r K r o n e , in S c h w a b e n w e i t g e h e n d
72,
in B a y e r n
v o l l s t ä n d i g d e n Herzögen a u s g e l i e f e r t . D e r bayrische H e r z o g A r n u l f e r h i e l t b e k a n n t lich das bisher u n d sonst ü b e r a l l d e m K ö n i g z u s t e h e n d e Recht, d i e B i s c h ö f e einzusetzen. W e n n a b e r Heinrich d a s t r a d i t i o n e l l e B ü n d n i s mit d e r K i r c h e a u f g a b , so mochte es naheliegen, d a s durch einen besonders deutlichen A k t zu m a n i f e s t i e r e n ; und als solcher A k t k o n n t e u n d m u ß t e d i e A b l e h n u n g d e r S a l b u n g a u f g e f a ß t w e r d e n 7 3 . A u f j e d e n F a l l a b e r mochte es naheliegen, sich in dieser S i t u a t i o n nicht durch d i e auch das im Sinne von Hellmann nicht viel besagen. An der Synode von Tribur 895 hat Arnulf von Kärnten trotz der damals zutage tretenden engen Verbindung zwischen ihm und der Kirche gleichfalls nicht teilgenommen. Hellmanns Behauptung, daß Arnulf die Synode „selbstverständlich" geleitet habe, ist ein Irrtum. Während die Bischöfe in der Kirche ihre Synode abhielten, tagte der König mit den weltlichen Großen in der Pfalz von Tribur. - Wenn in Hohenaltheim der päpstliche Legat präsidierte, so ist auch das nichts Auffälliges: in Ingelheim war es trotz der Anwesenheit des deutschen Königs Otto und des französischen Königs Ludwig genauso. D a ß die erzählenden Quellen über die Synode von 916 so gut wie nichts sagen, beweist gleichfalls nichts für Hellmanns Meinungen; sie sagen nicht weniger, als bei ihrer Schweigsamkeit überhaupt zu erwarten ist. - Ganz in der Luft zu schweben scheint mir die Vermutung, daß das Programm der Hohenaltheimer Synode in Mainz, womöglich schon unter dem (913 gestorbenen) F.rzbischof Hatto ausgearbeitet worden sei. Schließlich dürfte der Ort Hohenaltheim (vgl. Hellmsnn, S. 138) gleichfalls nichts für eine antikönigliche Haltung der Synode beweisen. D a ß Hohenaltheim kein Bischofssitz war, spricht doch höchstens dafür, daß man keinem der Bischöfe eine besonders bevorzugte Stellung einräumen wollte, indem man die Synode in seine Residenz verlegte. Und ob Hohenaltheim keine Pfalz war, wissen wir nicht; daß dort altes Reichsgut lag, bemerkt Hellmann, S. 138, Anm. 37, selbst. Aber auch, wenn der Ort keine Pfalz war, was würde das beweisen? Als Grund, in ihm die Synode tagen zu lassen, dürfte doch, wie man schon früher betont hat, seine günstige geographische Lage genügen. Übrigens möchte ich darauf hinweisen, daß die Reichsteilung von 876 gleichfalls im Rießgau, in dem Hohenaltheim lag, stattfand; eine genauere Lokalisierung dieser Reichsteilung geben die Quellen nicht; sollte sie etwa in Hohenaltheim vollzogen worden sein? Auf das, was ich an Hellmanns Ansichten für richtig halte, komme ich unten S. 603 nochmals zu sprechen. 71
72
73
a. a. O., S. 325 ff.; vgl. auch C. Erdmann, Beiträge zur Geschichte Heinrichs I., Sachsen u. Anhalt 16 (1940). S. 98 ff. D a ß sich in den ersten Jahren Heinrichs nur ein Urkundenschreiber am Hofe nachweisen läßt, erklärt sich zwar, wie Erdmann selbst betont, aus der „Schriftlosigkeit" Sachsens und beweist nicht viel für oder gegen die Bedeutung der Kapelle; daß diese aber gering war, zeigen die übrigen Momente, die Erdmann anführt. Vgl. dazu meinen Aufsatz Heinrich I. und das Herzogtum Schwaben, Hist. Vierteljahrsschr 24 (1929) [hier S. 73 ff.]. So sieht es die moderne Forschung wohl auch meistens an; vgl. oben S. 599, Anm. 68.
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Annahme von Herigers Angebot ausgerechnet der Kirche zu verpflichten und als Freund oder gar als Schützling der Kirche zu erscheinen. Derselbe Heriger, der in Fritzlar Heinrich die Salbung anbot, hatte in Hohenaltheim, vermutlich an hervorragender Stelle, mitgewirkt, als man Arnulf von Bayern, mit dem sich Heinrich 921 verständigt hat, vor das Gericht der Bischöfe zitierte, und als man über Arnulfs Oheime Erchanger und Berchthold das Urteil sprach 7 4 . In den Beschlüssen von Hohenaltheim aber war der König Konrad als christus domini bezeichnet worden; eben damit, daß er der Gesalbte des Herrn war, war die Verurteilung der Empörung gegen ihn als eines Sakrilegs begründet worden. Daß Heinrich die in den Beschlüssen jener Synode gipfelnde Politik des Zusammengehens mit der Kirche nicht fortsetzen wollte, konnte kaum deutlicher ausgedrückt werden als dadurch, daß er sich weigerte, der Gesalbte des Herrn zu werden: die Ablehnung der Salbung konnte man als ein Vorspiel zu der Verständigung mit den Herzögen auffassen, und sie mag dazu beigetragen haben, diese Verständigung zu erleichtern 7 5 . Doch noch etwas anderes. Es ist möglich, daß man in der Situation von 919 die Salbung nicht bloß deshalb als unzweckmäßig und belastend ansah, weil sie den König an ein eben unterlegenes System zu binden und die Auseinandersetzung mit den Herzögen zu erschweren schien. In der Sanktionierung des Königtums durch die Salbung kam doch nicht bloß, wie wir bisher festgestellt haben, eine Unterstützung der Krone durch die Kirche zum Ausdruck. Sie hatte noch eine andere Seite 7 8 . Samuel hat Saul nicht bloß gesalbt, er hat ihn auch verworfen, und das Recht des Propheten, den König zu verwerfen, leitete sich eben aus der Salbung ab oder korrespondierte doch mit ihr. Der Papst Zacharias hat, indem er die Ansprüche Pippins legitimierte, die der Merowinger verneint: er fungierte in letzter Instanz als Richter über die Rechte des fränkischen Königtums 7 7 . Diese richterliche Rolle des höchsten Priesters wie der Priesterschaft, des Episkopats überhaupt, war bekanntlich tief im Wesen der christlichen Kirche begründet; sie mußte oder konnte aber durch die Mitwirkung bei der Erhebung des Königs noch verstärkt, noch handgreiflicher und augenfälliger werden. In der Zeit Ludwigs des Frommen, in den Thronstreitigkeiten seiner Söhne und in den 74
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Auf die Synode und ihre Wirkung auf die Vorgänge von 9 1 9 hat Heimpel, Bemerkungen zur Geschichte Heinrichs I., a. a. O., S. 37 f., besonders nachdrücklich hingewiesen, wobei er freilich Hatto von Mainz in Hohenaltheim agieren läßt: tatsächlich war in Hohenaltheim als Mainzer Erzbischof derselbe Heriger anwesend, der 9 1 9 Heinrich die Salbung anbot. Bekanntlich ist Arnulf von Bayern nach Konrads T o d ebenso wie Heinrich zum König erhoben worden; er wurde von den Bayern und einem Teil des fränkischen Stammes gewählt, und es ist durchaus möglich, daß das schon vor der W a h l Heinrichs geschah; vgl. dazu meinen Aufsatz Zur Designation und Wahl König Heinrichs I., Deutsches Archiv 6 ( 1 9 4 3 ) , S. 3 8 9 [vgl. oben Anm. 4 1 ] ; dem haben sich H. Mitteis, Die Krise des deutschen Königswahlrechts, Sitzungsberichte der Bayer. Akademie d. Wissenschaften 1 9 5 0 , 8, S. 55, sowie K . Reindel, Herzog Arnulf und das Regnum Bavariae, Zeitschr. f. bayerische Landesgeschichte 17 ( 1 9 5 4 ) , S. 2 3 1 , angeschlossen. Leider wissen wir nicht, ob Arnulf gesalbt worden ist oder nicht. Wenn es nicht der Fall war, so ist anzunehmen, daß man in Fritzlar einen Grund mehr hatte, Heinrich durch eine bischöfliche Salbung nicht als „Pfaffenkönig" erscheinen zu lassen. Zu dieser Seite der Salbung vgl. besonders den oben S. 5 9 0 , Anm. 33, zitierten Aufsatz von E . Müller. Natürlich konnte und kann man über das Gewicht seines Richterspruches verschiedener nung sein; vgl. oben S. 5 9 7 f.
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Händeln seiner Enkel haben Päpste und fränkische Bischöfe bekanntlich das Recht für sich in Anspruch genommen, den Streit der Könige zu entscheiden, Könige zu stürzen und wieder einzusetzen. Ob man von diesen Vorgängen beim Beginn der Regierung Heinrichs und in seiner Umgebung noch eine Vorstellung hatte, wissen wir nicht. Aber auch wenn die Erinnerung daran inzwischen verschwunden oder verblaßt sein sollte, die Ansprüche des Episkopats lagen sozusagen in der Luft, und d a ß sie jederzeit hervortreten konnten, hatte sich eben trotz aller Hilfe, die der König hier fand, auf der Synode von Hohenaltheim gezeigt 7 8 . Gewiß, hier wurde in erster Linie das Bündnis zwischen Kirche und Krone deutlich. Aber indem die Bischöfe in der schroffsten und autoritativsten Weise gegen die Herzöge und die übrige Laienwelt vorgingen und über sie richteten, mochten sie manchem auch wieder als Rivalen des Königs erscheinen; sie verlangten außerdem, daß kein Geistlicher von einem Laien gerichtet werde, und darin konnte man eine indirekte Spitze gegen die Krone sehen 7 9 . In Sachsen aber, wo man noch eben an der Seite der in Hohenaltheim verurteilten Herzöge gestanden und sogar die Bischöfe sich von der Synode und ihren Sprüchen ferngehalten hatten, mag man die Hohenaltheimer Beschlüsse besonders stark als Zeichen eines Versuches angesehen haben, den Bischöfen die erste Rolle im Staate zuzuschieben, und dadurch dürfte die Abneigung gegen die Salbung noch verstärkt worden sein 8 0 . Widerstände gegen die Salbung sind nach alledem begreiflich. Doch vielleicht läßt sich die Bereitschaft, auf sie zu verzichten, noch von einer andern Seite verständlich machen. Erinnert man sich, daß sich in der Salbung nicht bloß ein christlich-kirchlicher, sondern auch ein fränkischer Brauch und eine fränkische Tradition aussprachen, so liegt die Frage nahe, wieweit das Sachsen Heinrichs I. für fränkische Traditionen erschlossen und zugänglich oder wieweit hier etwa die Neigung vorhanden gewesen sein könnte, sie zu ignorieren.
5. Die fränkische Tradition in Sachsen Daß das Reich, dessen Regierung Heinrich 919 mit seiner Wahl übernahm, das ostfränkische Reich war, und daß der König insofern der Erbe der Karolinger wurde, " Vgl. dazu oben Anm. 70. 7 9 So viel scheint mir an den Bedenken, die Hellmann gegen das Hohenaltheimer Bündnis zwischen König und Kirche vorbringt, richtig zu sein; vgl. oben Anm. 7 0 ; ähnlich schon meine Beschlüsse der deutschen Hoftage, a. a. O. s 0 In dem Zusammenhang kann man vielleicht auch daran erinnern, daß, wie wir aus den K r ö nungsordines und etwa dem Bericht über die Erhebung Bosos 879 wissen, mit dem Salbungszeremoniell geistliche Ermahnungen an den König sowie Versprechungen des Königs, sich kirchlich wohl zu verhalten, verbunden waren - man könnte fast von einer A r t Wahlkapitulation reden, vgl. dazu auch P. E. Schramm, Die Krönung bei den Westfranken und Angelsachsen von 8 7 8 bis um 1 0 0 0 , Z R G . 54 (1934), Kan. Abt., S. 1 1 7 ff. Man kann sich vorstellen, daß das, sowie das sonstige Zeremoniell, Heinrich und dem sächsischen Adel nicht gerade sympathisch war. Dabei ist natürlich die Frage, wieweit man aus den uns bekannten Krönungsordines sowie aus den Vorgängen von 879 auf das schließen kann, was 9 1 9 geschehen wäre, wenn sich Heinrich hätte salben lassen. Immerhin wird man annehmen dürfen, daß es ähnlich hergegangen wäre wie 936 bei der Salbung Ottos des Großen. Wenn Widukind von K o r v e i hier nur etwas von geistlichen Ermahnungen des Mainzer Erzbischofs und nichts von Versprechungen des neuen Königs
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ist k e i n e F r a g e . A b e r d i e F r a g e ist, w i e w e i t dies Reich dadurch, d a ß jetzt d e r sächsische H e r z o g an seine Spitze trat, eine V e r ä n d e r u n g seines C h a r a k t e r s , seiner p o l i tischen G r u n d l a g e n u n d Z i e l e , m a n möchte sagen, seiner politischen I d e o l o g i e e r f u h r 8 1 . 42 M a n scheint neuerdings diese F r a g e m e h r u n d m e h r in d e m S i n n e zu b e a n t w o r t e n , d a ß a l l e s d a s nicht o d e r nur sehr w e n i g d e r F a l l w a r , u n d d a ß in Sachsen d e r „ f r ä n kische G e d a n k e " ungebrochen, ja, d a es sich in Sachsen um ein v o n den F r a n k e n erschlossenes „ K o l o n i a l l a n d " h a n d e l t e , v i e l l e i c h t sogar b e s o n d e r s stark u n d b e t o n t gelebt u n d geherrscht h a b e
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D o c h diese M e i n u n g w i r d einiger E r g ä n z u n g e n u n d E i n -
schränkungen b e d ü r f e n . D i e nichtsächsischen deutschen S t ä m m e , v o r a l l e m d e r f r ä n k i s c h e S t a m m selbst, s o w i e B a y e r n u n d S c h w a b e n gehörten seit d e r Z e i t u m 5 0 0 , also sozusagen v o n A n f a n g an, zum fränkischen Reich. B a y e r n u n d S c h w a b e n hatten sich z w a r z e i t w e i s e m e h r o d e r w e n i g e r selbständig gemacht, a b e r u n t e r d e n K a r o l i n g e r n sind sie w i e d e r in d e n R e i c h s v e r b a n d zurückgekehrt. U n d w e n n das auch u n t e r K ä m p f e n geschehen ist, so w a r e n diese K ä m p f e doch n u r v o n k u r z e r D a u e r u n d haben, s o w e i t w i r sehen, k a u m t i e f e r e E r i n n e r u n g e n zurückgelassen. I m Z u s a m m e n h a n g mit d e r V e r b i n d u n g m i t d e n F r a n k e n w a r d a s Christentum a l l m ä h l i c h bei d e n süddeutschen S t ä m m e n zur H e r r schaft gelangt. S e i t d e m sich im neunten J a h r h u n d e r t d a s o s t f r ä n k i s c h e Reich aus d e m
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sagt, so könnte er darin durchaus unvollständig sein. Aber auch wenn sein Bericht vollständig ist, so könnte das Zeremoniell, wie er es schildert, allein schon die Abneigung der Sachsen 919 hervorgerufen haben. Den deutschen, nicht mehr oder doch nicht mehr allein fränkischen und karolingischen Charakter des ostfränkischen Reiches im zehnten Jahrhundert habe ich in meiner Kaiserpolitik Ottos des Großen (1943), S. 46 ff. [hier S. 168 ff.], stark betont. Dagegen hat sich vor allem F. Rörig, Die Kaiserpolitik Ottos des Großen, Festschrift für E. E. Stengel (1952), S. 203 ff., gewandt. Ich kann hier auf die Einzelheiten der Kontroverse nicht eingehen und gebe gern zu, daß manche von den Fragezeichen, die Rörig hinter meine Ansichten setzt, ihre Berechtigung haben; ich habe tatsächlich in meinem Buch manches von dem, was das deutsche Reich im zehnten Jahrhundert und seine fränkische Tradition anlangt, etwas zu massiv und einseitig abgemacht, vielleicht deshalb, weil ich selber an andern Stellen die karolingische Tradition um so stärker betont habe (vgl. etwa Heinrich I. und die Gründung des Deutschen Reiches, Thür.-Sächs. Zeitschr. f. Geschichte u. Kunst 24 (1936), S. 25 ff. [hier nicht aufgen.] oder Karl 3er Große und W i ä u k i n d (1935), S. 32 ff. [hier Band I, S. 215 ff.]). Doch wenn Rörig meint, daß Ottos Politik die sinnvolle Erfüllung einer „als vollkommen gegenwärtig empfundenen karolingisch-fränkischen Aufgabe" (S. 212) gewesen sei, so scheint mir das auch wieder zu weit zu gehen. Im folgenden versuche ich wenigstens in einigen Punkten die Stellung zu klären, die man innerhalb des sächsischen Stammes im zehnten Jahrhundert zur fränkischen Tradition einnahm, ohne daß ich dabei irgendwelchen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe. Betonen möchte ich dabei, daß im zehnten Jahrhundert in Sachsen und Deutschland recht viele Stammes- und „Nationalgefühle" neben- und übereinander bestanden haben dürften: in Sachsen etwa fränkisch-karolingisches, sächsisches, deutsches, ja eine beginnende römische „Staatsideologie". Vgl. dazu auch C. Erdmann, Das ottonische Reich als Imperium Romanum, Deutsches Archiv 6 (1943), S. 412 ff. Vgl. dazu vor allem H. Beumann, Einhard und die karolingische Tradition im ottonischen Corvey, Westfalen 30 (1952), S. 1 5 0 f f . ; sowie H. Büttner und I. Dietrich, Weserland und Hessen im Kräftespiel der karolingischen und frühen ottonischen Politik, ebenda S. 133 ff. Vgl. dazu meine Schrift Der sächsische Stammesstaat und seine Eroberung durch die Franken (1933) [hier nicht aufgenommen, Bibliogr. Nr. 4] und den Aufsatz: Die Unterwerfung Sachsens durch Karl den Großen und der sächsische Adel, Sachsen u. Anhalt 10 (1934), S. 30 ff. [hier Band I, S. 95 ff.]; sowie H. Büttner und I. Dietrich, a. a. O.
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Karolingerreich herauslöste, war das Zentrum der Königsgewalt außer in Franken, am Main und mittleren Rhein, vor allem in Bayern, aber auch in Schwaben gewesen. Ganz anders stand es mit Sachsen. D a s Land gehörte erst seit etwa vier Menschenaltern zum fränkischen Reich und zur christlichen Kirche; und in beide war es durch einen dreißigjährigen Krieg hineingezwungen worden. Zwar war in diesen Kämpfen ein großer Teil oder der größte Teil des sächsischen Adels auf die fränkische Seite getreten, und mindestens die sächsische Aristokratie hat sich mit der fränkischen Herrschaft und dem Christentum bald ausgesöhnt 8 3 . Verbindungen zwischen dem fränkischen und dem sächsischen Adel waren nicht selten 8 4 ; das seit der Mitte des neunten Jahrhunderts allmählich emporkommende Herzogshaus der Liudolfinger war mit der fränkischen Aristokratie und sogar mit den Karolingern verwandt. Oda, die Großmutter Heinrichs I., stammte aus fränkischem Geschlecht, und Heinrichs Tante Liudgard war mit Ludwig dem Jüngeren vermählt 8 5 . Die Liudolfinger haben es, wie auch die übrige sächsische Aristokratie, an kirchlichem Eifer, der sich vor allem in Reliquiendienst und Klostergründungen ausdrückte, nicht fehlen lassen. Doch so unbestreitbar dies alles ist, ebenso unbestreitbar dürfte sein, daß die Sachsen innerhalb des ostfränkischen Reiches eine weitgehend isolierte Stellung einnahmen. An der Reichspolitik beteiligten sie sich wenig, und der König kam selten oder nie in ihr Land. Ludwig der Deutsche ist nach dem Vertrag von Verdun bis 862 anscheinend fünfmal, danach nicht wieder, Ludwig der Jüngere (trotz seiner Verwandtschaft mit den Liudolfingern) und Karl III. sind anscheinend nie, Arnulf nur einmal im Anfang seiner Regierung, Ludwig das Kind wieder niemals nach Sachsen gekommen. Der sächsische Herzog oder sächsische Große hielten sich nur ganz selten in der Umgebung des Königs auf 8 6 . Unter Ludwig dem Kind und Konrad I. standen die Liudolfinger 81
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Vgl. dazu Sachsen u. Anhalt 10, S. 55 ff. [hier Bd. I, S. 115 ff.] sowie besonders H. Büttner und I. Dietrich in dem in der vorvorigen Anmerkung zitierten Aufsatz. Dem, was dort S. 140 über die Verwandtschaft der Liudolfinger mit den Babenbergern gesagt wird, wird man freilich nicht ganz folgen können: Büttner und Dietrich meinen, der Babenberger Heinrich, der Vater des 906 hingerichteten Adalbert, sei mit einer „Liudolfingerin, offenbar einer Schwester Brunos und Ottos" (des Vaters Heinrichs I.) vermählt, Hathui aber, die Gemahlin Ottos und Mutter Heinrichs I., sei eine Schwester eben jenes Babenbergers Heinrich gewesen. D i e einzige Stütze für die zuerst genannte Ansicht ist Widukind I, cap. 22, wo Adalbert als Heinrici ex sorore nepos bezeichnet wird; man sieht, daß diese Stütze nicht ganz tragfähig ist, denn danach war Adalberts Mutter eine Schwester Heinrichs I. und nicht seine Tante. Wenn Büttner und Dietrich das „nach Maßgabe der Zeit und der möglichen Verwandtschaftsverhältnisse" ablehnen, so scheint mir das nicht unbedingt nötig zu sein. Heinrich I. ist um 875 geboren, seine nach Widukind mit dem Babenberger Heinrich vermählte Schwester könnte erheblich älter gewesen sein. Wenn sich aber Widukind irrte, warum soll man dann in Adalberts Mutter eine Tante Heinrichs I. sehen? Ebenso könnte doch überhaupt Widukinds Nachricht von der liudolfingischbabenbergischen Verwandtschaft im ganzen auf einem Irrtum beruhen, genauso wie recht viel von dem, was Widukind über die Geschichte der Zeit um 900 sagt, irrig ist. D a ß aber Heinrichs I. Mutter Hathui eine Schwester des Babenbergers Heinrich war, davon weiß man, soviel mir bekannt ist, gar nichts. Über ihre Herkunft sagt meines Wissens keine Quelle ein Wort, und auch bei Böhmer-Ottenthal, auf die sich Büttner und Dietrich berufen, findet sich darüber nichts. Vgl zu alledem H. Büttner und I. Dietrich, a. a. O ; ebenso Waitz, Jahrbücher Heinrichs I., S. 10 ff Eine Ausnahme machten höchstens die sächsischen Bischöfe; aber auch sie fehlten schließlich ganz oder zum großen Teil in Hohenaltheim; vgl. die folgende Anmerkung. - Man bekommt
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in der Opposition zur Reichsregierung. Unter Konrad ist es zwischen ihnen und den Franken zu heftigen Kämpfen gekommen, nach denen man sich in Sachsen den Sieg zuschrieb. Von der Hohenaltheimer Synode hatten sich, wie bemerkt, die sächsischen Bischöfe im Gegensatz zum übrigen deutschen Episkopat ferngehalten 8 7 . Alles in allem ist deutlich, daß Sachsen mit dem Reich und der Reichspolitik viel weniger verschmolzen war als die übrigen Stämme. Es ist daher von vornherein damit zu rechnen, daß das sächsische Stammesbewußtsein und sächsische Überlieferungen den Traditionen des fränkischen und des ostfränkischen Reiches besonders selbständig gegenübertraten. Wenn wir dafür aus der Zeit Heinrichs I. unmittelbare Zeugnisse auch kaum besitzen (da uns für diese Zeit die schriftliche Überlieferung überhaupt so gut wie vollständig im Stich läßt), so zeigen doch die Quellen aus der Zeit Ottos des Großen einigermaßen deutlich, wie es damit bestellt war. Wenn man neuerdings die Ansicht vertreten hat, daß, als die Liudolfinger das Königtum übernahmen, sie ganz selbstverständlich in die fränkische Tradition eintraten, und wenn man meint, daß das staatliche und politische Denken der Ottonenzeit vom fränkischen Reichsbewußtsein getragen wurde, so wird als Kronzeuge für diese Auffassung vor allem Widukind von Korvei angeführt 8 8 . In seinem Geschichtsbild treten tatsächlich die Franken stark hervor; als „Reichsvolk" scheint er den populus Francorum et Saxonum anzusehen 8 9 , und das Reich ist für ihn ein imperium oder regnum Francorum. Sicher ist richtig, daß in Widukinds Denken das fränkische Bewußtsein stärker und
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übrigens den Eindruck, als ob sich Sachsen in mancher Hinsicht nach einer zunächst engern Bindung in den spätem Jahrzehnten des neunten Jahrhunderts dem ostfränkischen Reich wieder stärker entfremdet habe. Ob alle sächsischen Bischöfe fehlten oder ob nicht doch der eine oder andere anwesend war, ist freilich unsicher. Der Wortlaut des 30. Kanons der Synodalbeschlüsse läßt, wie schon Dümmler, Ostfränkisches Reich, III, S. 6 0 8 ; Waitz, Jahrbücher Heinrichs I., S. 30,' und Hellmann, a .a. O . , S. 138, mit Recht bemerken, beide Möglichkeiten zu. Über die Rolle Adalwards von Verden, der am 29. Juni und am 6. Juli 916, wie aus D D K I , 29 und 30 hervorgeht, auf Konrads bayrischem Feldzug in der Umgebung des Königs war, können wir, glaube ich, gar nichts sagen, und für Hellmanns Vermutung, a. a. O., S. 139, er sei als Beauftragter Heinrichs, vielleicht als Beobachter an den Hof geschickt worden, um den König vor den Ansprüchen des Episkopats zu warnen, scheint mir jeder Anhaltspunkt zu fehlen. Hellmann verweist für seine Vermutung auf Waitz, S. 30, Anm. 1; dort steht aber gegenüber älteren Phantasien über Adalwards Rolle sehr richtig: „hier ist alles unsicher." Vgl. vor allem Beumann, Westfalen 30, S. 150 ff., bes. S. 158 ff., und die dort angegebene Literatur. Freilich scheint mir Beumann in dem, was er über die „Reichsvolktheorie" sagt, bisweilen etwas zu weit zu gehen, und dem Korveier Mönch werden doch wohl manchmal universalgeschichtliche Konstruktionen zugeschrieben, die ihm ferngelegen haben dürften. Dahin scheint mir auch das zu gehören, was Beumann, a. a. O., S. 168 f., über Widukinds Ansicht äußert, daß die Sachsen von den Griechen abstammten. Beumann meint, Widukind habe damit eine Parallele zu Fredegars Anschauungen von der Abstammung der Franken von den Trojanern geben und die Sachsen gleich den Franken mit den hervorragendsten „Reichsvölkern" der Antike auf eine Stufe stellen wollen. Doch wenn man sich das ansieht, was Widukind wirklich sagt, so dürfte deutlich sein, daß es sich bei ihm um nicht viel mehr als um das Ausgraben von gelehrten Schulmeinungen handelt, die er noch dazu recht zweifelnd und vorsichtig vorbringt, ohne aus ihnen ein besonderes Kapital zu schlagen.
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das sächsische schwächer ist, als man früher oft angenommen hat 9 0 . Nun hat man aber neuerdings ebenfalls nachgewiesen, daß Korvei überhaupt sehr stark in die fränkische Tradition hineingehört 91 . Nicht bloß, daß es von Franken gegründet war und zu Corbie an der Somme, sozusagen seinem Mutterkloster, ursprünglich in den engsten Beziehungen stand, bis in das zehnte Jahrhundert hinein waren Korveier Äbte mit der fränkischen Aristokratie verwandt, und für die Korveier literarische Produktion im allgemeinen und für Widukind im besondern hat man eine sehr enge Abhängigkeit von der fränkischen Überlieferung und fränkischen Vorbildern aufgezeigt: Widukind etwa schließt sich viel stärker an Einhards Vita Karoli an, als man bisher annahm 92 . Aber wenn das alles so ist und wenn Widukind als ein Schüler der Franken erscheint, so ist es um so auffälliger und bezeichnender, daß in seinem Denken das Sächsische von dem Fränkischen keineswegs überwunden und ausgeschaltet ist; seine spezifisch sächsischen Ansichten und Überzeugungen bestehen ungebrochen weiter. Auf Widukinds sächsisches Stammesbewußtsein hat man schon häufig hingewiesen, und man sagt nichts Neues, wenn man bemerkt, daß er etwa die Sachsen als die Tapfersten nach den alten Römern ansieht, daß er ihre Unterwerfung durch Karl den Großen in eine bloße Bekehrung zum Christentum und Vereinigung mit den Franken ?u einem Volk verwandelt und dergleichen mehr 93 . Besonders wichtig ist in unserm Zusammenhang, daß er etwa dem magnus Karolus 94 den magnus dux Widukindus gegenüberstellt 95 , vor allem aber, daß er die Frankenherrschaft von den Sachsen gestürzt werden läßt; schon in der Zeit des Thüringerkrieges war das nach seiner Meinung vorauszusehen 90 , und in der Zeit Heinrichs hat es sich erfüllt 9 7 ; nach seiner Erzählung hat der sterbende Konrad Heinrich deshalb zu seinem Nachfolger empfohlen, weil sonst die Franken von den Sachsen vernichtet werden würden. Dem entspricht es völlig, wenn Widukind in der Zeit Ottos des Großen von einer Herrschaft der Sachsen über die deutschen Stämme zu reden weiß 98 . Am bezeichnendsten für seine Einstellung ist vielleicht sein Stoßseufzer: Sachsen sei in der Zeit der Ottonen ex serva libera et ex tributaria multarum gentium domina geworden 99 ; mit welcher Erbitterung muß man an der (sonst von Widukind verschwiegenen) Tatsache getragen haben, daß die Franken einst die Sachsen unterwarfen; wie heftig muß sich der sächsische Stammesstolz dagegen empört und an dem schließlichen Siege der Sachsen aufgerichtet haben. Mag die Decke der fränkischen Tradition noch so stark sein, mag Widukind für seine Zeit vom Frankenreich und einem fränkisch-sächsischen Volke reden, daneben bleibt völlig deutlich ein gegen diese Anschauungen in ihm selbst sozusagen revoltierendes 90
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Vgl. dazu außer H. Deumanns oben mehrfach zitiertem Aufsatz in Westfalen 30 sein Buch Widukind von Korvei ( 1 9 5 0 ) , bes. S. 2 1 6 ff.; auch meinen Aufsatz: Die politische Haltung Widukinds von Korvei, Sachsen u. Anhalt 14 (1938), S. 27 ff. [hier S. 3 3 6 ff.]. Vgl. Beumann, Westfalen 30, S. 1 5 0 ff. Das scheint mir Beumann, Westfalen 30, S. 162 ff., überzeugend nachgewiesen zu haben. Vgl. dazu und zum folgenden besonders die oben Anm. 9 0 zitierten Schriften. Vgl. etwa I, cap. 15, S. 2 5 ; I, cap. 19, S. 2 9 ; I, cap. 28, S. 4 0 und öfter. 9 6 Vgl. Widukind I, cap. 9, S. 16. Widukind I, cap. 3 1 , S. 44. 9 S Vgl. II, cap. 24, S. 8 7 ; II, cap. 28, S. 90. Vgl. Widukind I, cap. 25, S. 38. Vgl. Widukind I, cap. 34, S. 4 8 ; dazu Beumann, Westfalen 30, S. 1 6 0 .
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sächsisches Nationalgefühl 10°. Es ist nicht so, daß die Sachsen nach Widukinds Auffassung einfach das fränkische Reich fortsetzen oder in ihm aufgehen; neben Worten, die man so deuten könnte, und die eben der fränkischen Tradition des Korveier Mönches, seiner Schule, entsprechen, stehen andere, die das Gegenteil sagen und die darauf hinauslaufen, daß nach seiner Ansicht die fränkische Herrschaft von den Sachsen beseitigt und die sächsische an ihre Stelle gesetzt worden ist. Doch selbst, wenn Widukind stärker, als es hiernach der Fall zu sein scheint, in fränkischen Gedanken und Traditionen aufging, so wäre doch die Frage, wieweit man die geistige und politische Haltung, die man in Korvei findet, auf das übrige Sachsen übertragen darf. Wenn Korvei (und mit ihm andere Klöster) so etwas wie eine fränkische Kolonie waren, so braucht das doch für das übrige Sachsen nicht zu gelten. Tatsächlich zeigt sich denn auch in den wenigen Zeugnissen, die wir etwa aus derselben Zeit, in der Widukind schrieb, besitzen, daß das nicht der Fall war. Hrotswith, die in dem liudolfingischen Hauskloster Gandersheim Nonne war und zu den Ottonen in engen Beziehungen stand, hat vom fränkischen Reich ihrer Zeit eine etwas andere, noch „sächsischere" Auffassung als Widukind. Nach Gottes Willen ist das Francorum nobile regnum auf die clara gens Saxonum übergegangen 1 0 1 ; nach einer andern Wendung ist es die gens Saxonum fortis 102 , auf der das Regnum beruht. In ihrer Gandersheimer Geschichte sagt Hrotswith geradezu, daß Otto der Große nach seinem Vater Heinrich das Saxonum regnum regiert habe 103 , und in demselben Buch nennt sie an einer anderen Stelle Otto den Saxonum rex 104 . Die Nonne ist sich wohl dessen bewußt, daß es früher einmal ein fränkisches Reich gab, aber mit der Thronbesteigung der Liudolfinger ist es für sie, indem es auf das Volk der Sachsen überging, zum Reich der Sachsen geworden 105 . Auch die Vita Mathildis antiquior, zur Zeit Ottos II. in Nordhausen entstanden, weiß nichts mehr von einem fränkischen Reich. Gewiß, ihr ist natürlich bekannt, daß Konrad I. der rex Vrancorum war; sie nennt ihn zweimal so 106 . Aber indem dann das Reich an Heinrich I. gekommen ist, ist es für die Vita kein fränkisches Reich mehr; mit Heinrichs Thronbesteigung kommen nach ihrer Meinung die Sachsen zu 100
Man wird sich das Stammesbewußtsein, das Nationalgefühl und ähnliche mehr oder weniger emotionale Regungen in der alten Zeit überhaupt viel stärker vorzustellen haben, als sie nach den Quellen im allgemeinen zu sein scheinen. Diese Dinge treten in der meist sehr traditionsund stilgebundenen Schriftstellerei des frühen Mittelalters weniger hervor, als ihnen eigentlich zukommt. Bei manchen weniger gebunden und dafür subjektiver schreibenden Historikern wie etwa Liudprand von Cremona, aber auch bei Widukind, werden sie freilich immer noch deutlich genug. Vgl. zu dem ganzen Fragenkomplex das aufschlußreiche Buch von P. Kirn, Aus der Frühzeit des Nationalgefühls (1943). 101 Vgl. Gesta Oddonis v. 4, Hrotsvithae opera, hrsg. von P. v. Winterfeld (1902), S. 204. 102 Vgl. ebenda v. 669, S. 223. 103 y g i D e primordiis coenobii Gandeshemensis v. 73, ebenda, S. 231. 104 y g i . ebenda v. 564 ff., S. 245. 105 Vgl. oben Anm. 101. Vgl. zu Hrotswith auch C. Erdmann, Das ottonische Reich als Imperium Romanum, Deutsches Archiv 6 (1943), S. 421 ff., wo Erdmann ausführt, daß das ottonische Reich für Hrothswith außer einem sächsischen ein römisches Reich ist; oder daß es aus diesen beiden Reichen besteht; um so bezeichnender ist es, daß sie vom fränkischen Reich nichts sagt. 106 Vgl. Vita Mathildis antiquior, cap. 1, SS. X, S. 575, und cap. 4, ebenda S. 576.
H e i n r i c h I. u n d d i e fränkische K ö n i g s s a l b u n g
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so hohen Ehren wie früher niemals; sie sind es, die mit einem Könige beschenkt sind, and durch die Herrschaft der Ottonen ist Germanien (nicht etwa das fränkische Regnum) aus seiner früheren Knechtschaft zu besonderm gradus bonorum erhoben worden 107 . Wieweit dabei die Vita, ähnlich wie Widukind von Korvei, an die alte Unterwerfung der Sachsen oder vielleicht der deutschen Stämme unter die Franken und die Änderung dieses Zustandes durch das Königtum Heinrichs I. denkt, wird kaum zu entscheiden sein. Deutlich ist aber wohl, daß für ihre Auffassung die Thronbesteigung Heinrichs nicht etwa eine Fortsetzung des fränkischen Reiches, wohl aber so eine Rangerhöhung der Sachsen bedeutet; und ganz klar wird das, wenn sie schließlich davon spricht, daß die Slawen, Dänen, Bayern und Böhmen von Heinrich dem Saxonicum Imperium unterworfen wurden 108 . Blieb eben etwas unsicher, wieweit die Vita, indem sie im Zusammenhang mit der Thronbesteigung Heinrichs von der Überwindung der alten Knechtschaft redete, an die Unterwerfung der Sachsen durch die Franken denkt, so tut sie das in einem andern Zusammenhang sehr deutlich 1 0 9 ; sie vermeidet dabei aber, von einer Besiegung der Sachsen durch die Franken zu sprechen und erzählt statt dessen von einem Zweikampf zwischen Karl dem Großen und dem Sachsenherzog Widukind, wobei Gott, durch die Bitten und Tränen der Christen bewegt, Karl den Sieg verleiht, und Widukind und die Sachsen das Christentum annehmen. Man merkt deutlich, daß dem Stammesstolz der Vita oder ihrer Gewährsmänner das Eingeständnis des fränkischen Sieges nicht gerade leicht fällt. Sie erleichtert es sich, indem sie, ganz ähnlich wie der Korveier Mönch, den Krieg zu einem Glaubenskrieg macht und den Sieg Karls als einen Sieg der Christenheit und des rechten Glaubens erscheinen läßt. Schließlich wird dann dieser fränkische Sieg einigermaßen in sein Gegenteil verkehrt oder mindestens in Frage gestellt, wenn bei Liudprand von Cremona 110 (der bekanntlich am Ottonischen Hofe aus- und einging) und noch deutlicher und vergröbernd später bei Thietmar von Merseburg 111 von einem Sieg der Sachsen über Karl die Rede ist. Von einem in der ottonischen Zeit noch andauernden fränkischen Reich erfährt man bei Liudprand so wenig wie in der Vita Mathildis oder bei Hrotswith. Nun ist bei alledem zu bedenken, daß die Geistlichen oder Mönche und Nonnen, die eben zu Worte kamen, der kirchlichen und fränkischen Tradition in einem viel 51 stärkern Maße ausgesetzt waren, als dies bei der sächsischen Laienwelt der Fall gewesen sein dürfte. Außerdem schrieben sie in einer Zeit, in der etwa ein halbes Jahrhundert seit der Übernahme des Königtums durch den sächsischen Herzog vergangen war: um 919 dürfte man sich in Sachsen des Gegensatzes zu den bis dahin herrschenden und eben jetzt vom Thron gestoßenen Franken noch viel mehr bewußt gewesen sein. Auf solche, diese Zeit erfüllenden scharfen Gegensätze weist es etwa hin, wenn man erfährt, daß in Sachscn nach dem Sieg Heinrichs über die Franken von 107
V g l . cap. 4 , S. 5 7 7 ; d a z u H . B e u m a n n , D i e sakrale L e g i t i m i e r u n g d e s Herrschers i m D e n k e n der o t t o n i s c h e n Z e i t , Z R G . 6 6 ( 1 9 4 8 ) , G e r m . A b t . , S. 37 f.
10s Y g ]
e b e n f a l l s cap. 4 , a. a. O .
in» V g l . cap. 1 u. 2 ; d a z u auch B e u m a n n , W i d u k i n d v o n K o r v e i , S. 2 2 4 ff. 1,0
V g l . L i u d p r a n d i a n t a p o d o s i s II, cap. 2 6 , S. 5 0 .
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V g l . T h i e t m a r i chronicon VIT, cap. 7 5 , S. 4 9 0 .
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915 die Spielleute Lieder sangen, in denen man fragte, ob die Hölle groß genug wäre, um die gefallenen Franken aufzunehmen 1 1 2 ; oder wenn man liest, daß die Sachsen nach der Gewinnung der Königsherrschaft gloriost facti es verschmähten, die Lehen, die sie von Angehörigen anderer Stämme hatten, noch als solche anzuerkennen 1 1 3 . Wenn man aber, wie wir sahen, in der Historiographie der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts den alten Gegner Karls des Großen, den magnus dux Widukind nicht vergessen hatte, wie sollte man ihn dann in der Umgebung Heinrichs I. vergessen haben, dessen Gemahlin eine Nachkommin des Herzogs Widukind war? Gewiß, Heinrich ist auf Grund einer Verständigung zwischen Franken und Sachsen ¿um König gewählt worden 1 1 4 . Aber diese Verständigung war doch das Resultat des sächsischen Sieges über die Franken oder mindestens des politischen und militärischen Übergewichts, das der sächsische Stamm gewonnen hatte. Wenn Widukind, wie oben bemerkt, 918 Konrad I. sagen läßt, man solle Heinrich zum König machen, damit nicht das Volk der Franken von ihm vernichtet werde 1 1 5 , so dürfte der Mönch damit aussprechen, wie man in Sachsen die Dinge ansah: die Krone war ein Gewinn, den man der eigenen Macht und Stärke zu verdanken hatte. Der Korveier Mönch erzählt bekanntlich, daß Heinrich I. nach dem Sieg von Riade zum Imperator ausgerufen sei, und dasselbe versichert er von Otto dem Großen nach der Schlacht auf dem Lechfeld; von da an datiert er Ottos Kaisertum, während er die Krönung durch den Papst verschweigt 116 . Widukind schiebt also die geistliche Legitimation beiseite und legitimiert das Kaisertum durch einen Sieg auf dem Schlachtfeld. Was der Mönch in der Theorie tat, mochte aber in der Praxis zu tun in der Situation von 919 naheliegen. Schließlich war nach der Auffassung der Zeit, wie sie in diesen Jahrhunderten noch oft genug hervortritt, Kampf und Sieg ein Gottesurteil. Warum sollte man, nachdem Gott unmittelbar den Sieg und damit die Krone gegeben hatte, sie sich noch einmal von der Hand eines Priesters geben lassen? Und warum sollten die Sachsen und vor allem die sächsischen Edlinge, denen Heinrich seine Siege über die Franken verdankte und die nun die Königswahl und Thronerhebung ihres Herzogs in Fritzlar vollzogen, sich ihren Sieg und ihre Entscheidung durch die priesterliche Salbung beeinträchtigen und überschatten lassen? Es ist schwer zu sagen, wieweit in Sachsen zu Beginn des zehnten Jahrhunderts trotz des Bekenntnisses zum christlichen Glauben, trotz aller unbestreitbaren Kirchlichkeit, trotz Reliquienkult und Klostergründungen sich Christentum und Kirche wirklich durchgesetzt hatten. Sicher standen neben den kirchlich-christlichen noch andere Überzeugungen und Impulse. Daß man in Sachsen auch einem Wort des Papstes trotzen konnte, zeigt etwa das Fernbleiben der sächsischen Bischöfe von der Hohenaltheimer Synode, und wenn, wohl auf Anordnung oder Wunsch des Herzogs, die Bischöfe so verfuhren, wie mochte es dann mit der Einstellung der Laien gegenüber 112
Vgl. Widukind I, cap. 23, S. 3 6 .
113
Vgl. Widukind II, cap. 6, S. 71
114
Vgl. dazu Deutsches Archiv 6, S. 3 8 8 .
115
Vgl. oben S. 6 0 7 , Anm. 97.
116
Vgl. Widukind I, cap. 39, S. 5 8 und III, cap. 4 9 , S. 128. Auf die vielen Auslegungen dieser Stellen und die inzwischen recht umfangreich gewordene Literatur über diese Dinge brauche ich hier nicht weiter einzugehen; ich verweise nur auf die grundlegende Schrift von E . E . Stengel, Den Kaiser macht das Heer ( 1 9 1 0 ) .
Heinrich I. und die (ränkische Königssalbung
611
der Geistlichkeit bestellt sein 117 ? Von Heinrich erfahren wir, daß er nicht bloß, was die Intervention der Bischöfe und die Schenkungen an die Kirche anlangt, dem Episkopat kühl gegenüberstand. Die Überlieferung, wie sie sich bei Thietmar von Merseburg findet, erzählt auch von Verstößen des Königs gegen die Gebote der Religion und der Kirche 1 1 8 ; sie weiß auch zu berichten, daß er mit dem Bischof von Halberstadt in Konflikt geraten sei, der ihm mit der Exkommunikation gedroht habe 119 . Gleichgültig, was an diesen Erzählungen im einzelnen richtig ist, sie beweisen auf jeden Fall, daß nach sächsischer Auffassung die Kirchlichkeit Heinrichs (wie des sächsischen Adels) ihre Grenzen hatte. Im übrigen hat der Kampf zwischen Laienadel und Episkopat in den ersten Jahrzehnten des zehnten Jahrhunderts in ganz Deutschland offenbar besonders harte und erbitterte Formen angenommen. Man denke etwa an die Ermordung des Bischofs Otberg von Straßburg 913 12°, an die Blendung des Bischofs Einhard von Speyer im selben Jahr 1 2 1 , oder an die Gefangennahme Salomos von Konstanz; und auf der anderen Seite an die Ermordung Burkhards I. von Schwaben, für die man die Bischöfe verantwortlich machte, oder an die rigorosen Beschlüsse von Hohenaltheim, die sich gegen den Laienadel richteten. Wie man aber gerade in Sachsen im Zusammenhang mit diesen Auseinandersetzungen über die höchsten geistlichen Würdenträger und besonders über den dachte, dessen Nachfolger in Fritzlar die Königssalbung spenden wollte, das zeigt die volkstümliche Überlieferung, nach der der Schuldige an der hinterlistigen Tötung des letzten Babenbergers Hatto von Mainz war, und nach der derselbe Hatto einen feigen Mordanschlag auf Heinrich von Sachsen selbst geplant haben soll 1 2 2 . Man wird nach alledem sagen dürfen, wenn in Fritzlar die durch die biblische Überlieferung geheiligte und durch die fränkische Tradition gebotene Legitimierung des neuen sächsischen Königtums abgelehnt wurde, so waren die Voraussetzungen dafür nicht bloß durch die vielleicht noch vorhandenen politischen Gegensätze zwischen dem Erzbistum Mainz und dem sächsischen Herzogshaus oder durch das Fiasko der kirchenfreundlichen Politik Konrads I. und das Bedürfnis nach einem sozusagen weltlicheren Neubeginn gegeben; eine Grundlage dafür war offenbar auch die Tatsache, daß das Königtum mit dem Übergang auf den Sachsenherzog aus der fränkischen Sphäre in eine andere Welt hinüberwechselte, in eine Welt, der zwar die fränkisch-kirchlichen Überlieferungen keineswegs fremd und neu waren, die aber doch 117 Wenn man bemerkt, daß die sächsische Aristokratie Klöster gründete und den Klöstern und ihren Heiligen nahestand, so ist doch zu sagen, daß die Stellung des Adels zu den Bischöfen grundsätzlich etwas anders gewesen sein könnte. D i e Klöster waren eben zum großen Teil Stiftungen der Aristokratie, die Bistümer nicht; die Bistümer waren vom König eingerichtet und ihre Vorsteher wurden von ihm ernannt, wenn sie auch im allgemeinen aus den Kreisen des sächsischen Adels hervorgegangen sein dürften. "" Vgl. Thietmar I, cap. 24, S. 30 ff.; vgl. auch I, cap. 15, S. 22, wo davon die Rede ist, daß Heinrich gegen Gott superbiendo erexit, und I, cap. 16, ebenda, wo es von Heinrich heißt: Si quid in regno suimet, ut multi d'cunt, is predatus sit huic Deus Clemens ignoscat. Offenbar wurde Heinrich in der Überlieferung, der Thietmar folgt, nur mit Einschränkungen für fromm gehalten; vgl. dazu oben S. 589. 120 "» Vgl. Waitz, Jahrbücher, S. 16. Vgl. Dümmler III, S. 592 f. m
Vgl. ebenda S. 593.
Vgl. Widukind I, cap. 22, S. 30 ff.
612
Letzte Veröffentlichung Martin Lintzels
zuviel eignes Bewußtsein und eigenen Stolz hatte, um sich ihnen sofort und bedingungslos anzuvertrauen. 6. Die Salbung bei der Thronbesteigung
Ottos des Großen
Heinrich I. hat sich in den späteren Jahren seiner Regierung bekanntlich wieder in stärkerem Maße der Kirche zugewandt, und man wird es als ein Ergebnis dieser 55 Wendung ansehen dürfen, daß 936 nach dem Tode des Königs die Erhebung Ottos I. in Aachen mit einer Salbung verbunden war. Doch die Salbung, die in Aachen am 7. August 936 vollzogen wurde, nimmt eine eigenartige Stellung ein, und sie erhält im Zusammenhang der Handlungen, in denen sich die Erhebung des Königs vollzog, einen ungewöhnlichen Platz 1 2 S . Wir sahen, daß nach allem, was wir wissen, im fränkischen Reich, in der Zeit der älteren Karolinger die Salbung zwar nicht der Wahl, wohl aber der weltlichen Erhebung, der Thronsetzung des Königs voranging. So scheint es auch bei der Erhebung Ludwigs des Kindes gewesen zu sein 124 , der einzigen Thronsetzung eines ostfränkischen Königs, von der wir vor der Ottos I. wenigstens einigermaßen oder doch halbwegs deutliche Nachrichten haben. Und bei der Wahl Konrads II., über die wir, nach der Ottos von 936, wieder genauer Bescheid wissen, ist die Reiheniolge der Erhebungsakte: zunächst die Kur durch die geistlichen, dann die Kur durch die weltlichen Fürsten; darauf die Salbung und dann die Huldigung; jedenfalls gehen auch hier die geistlichen oder kirchlichen Erhebungsakte den weltlichen voran 125 . Ganz anders 936 in Aachen. Hier erfolgt zunächst eine Thronsetzung und Huldigung allein durch die weltlichen Fürsten in der Vorhalle des Aachener Münsters; danach erst wird die Salbung im Münster selbst vollzogen. Die sonst übliche und dem Sinn des geistlichen Weiheakts offenbar entsprechende Reihenfolge ist hier also umgekehrt. Diese Umkehrung aber dürfte ein Ausläufer der Haltung gewesen sein, die Heinrich I. 919 in Fritzlar eingenommen hat. In Fritzlar hatte die Erhebung des Königs einen ausschließlich weltlichen Charakter; der kirchliche 56 Teil der Zeremonie trat nicht in Erscheinung. In Aachen wurde die Salbung durch die Bischöfe wieder zugelassen, aber der Vorrang vor ihr gebührt der weltlichen Königserhebung: durch sie wurde, wie es ausdrücklich heißt, Otto zum König gemacht 126 . Die Salbung erscheint daneben beinahe als eine Zutat. Die starke Theokratisierung des deutschen Königtums im Laufe des zehnten Jahrhunderts brachte dann mit sich, daß sie wieder an die alte Stelle rückte und unter den Riten, die den König zum König machten, den ersten Rang behauptete. 123
Vgl. Widukind II, cap. 1, S. 63 ff. '- 4 Vgl. oben S. 597, Anm. 59; freilich bleibt hier alles unsicher, und nach den Worten Reginos könnten sich die Dinge 000 auch ähnlich abgespielt haben wie 936 in Aachen; immerhin dürfte wohl auch dann die starke Betonung der weltlichen Handlung in der Vorhalle des Aachener Münsters auffällig bleiben. 125 Ygi d a z u Wipo, Gesta Chuonradi imperatoris, cap. 2 ff., in der Ausgabe von H. Breßlau, SS. rer. Germ, in us. schol. (1915), S. 13 ff. i-'0 Vgl. Widukind. a. a. O., S. 64 f.
Bibliographie Martin Lintzel Zusammengestellt von Annerose
Schneider
Wissenschaftl. Zeitschr. d. Univ. Halle, Gesellsch.-Sprachw. Reihe, Jahrg. 5, 1956, S. 5 1 9 - 5 2 5 ; hier noch ergänzt. I. II. III. IV. V. VI. VII.
Selbständige Schriften Aufsätze Ungedruckte Vorträge Dramen 1 Besprechungen Dissertationen 311s der Schule von Martin Lintzel Mitverfaßt und mitherausgegeben8 Siglen und
HZ NA DA 7.RG GA MÖIG MIÖG
Abkürzungen
Historische Zeitschrift Neues Archiv (der Ges. f. ältere deutsche Geschichtskunde) Deutsches Archiv (Forts, vom NA) Zeitschrift (der Savigny-Stiftg.) für Rechtsgeschichte Germanist. Abteiig. (Reihe der ZRG) Mitteilungen des Österreich. Instituts f. Gesch.forschg. Mitteilungen des Instituts für Österreich. Gesch.forschg. ( = Tit. d. M Ö I G von Bd. 56 ab)
1
Über Dramen und wissenschaftliche Arbeit aus einem Briefkonzept M. L.'s im Nachlaß (vom Sommer 1946): „Was Sie da schreiben, besonders die Tatsache, daß Sie gestern abend Szenen aus dem Orpheus haben vortragen lassen, scheint es mir notwendig zu machen, daß ich - so wenig gern ich das tue — meine halbe Anonymität aufgebe und Ihnen sage, wer ich dem Beruf nach bin. Sie sehen es oben am Kopf des Briefbogens. Ich habe mich darüber lieber in Schweigen gehüllt, weil das ja eigentlich mit dem Orpheus gar nichts zu tun hat, und weil in der Öffentlichkeit der Professor dem Dichter und der Dichter dem Professor im Wege zu stehen pflegt. Ein Drama, das von einem Professor stammt, kommt einem (auch mir) von vornherein verdächtig vor. „Professorendrama" ist eine schreckliche Sache. Also seien Sie bitte so freundlich und vergessen Sie und verraten Sie niemand, was ich bin. Übrigens kann ich Ihnen versichern, daß meine wissenschaftliche Tätigkeit und die andere nichts miteinander zu tun haben: In der Wissenschaft bin ich mittelalterlicher Historiker, und dieser Beruf und die Beschäftigung mit Orpheus und ähnlichen Extravaganzen sind zwei für mich völlig verschiedene Kreise, die sich nicht berühren, geschweige denn überschneiden . . ."
2
Alle Rechte des Verfassers sind auf Herrn Oberkonsistorialrat Lintzel, Niederalben über Baumholder (Rheinld.), übergegangen. Der Nachlaß wurde von ihm als Depositum dem Deutschen Zentralarchiv Merseburg übergeben, die Benutzung ist an seine Erlaubnis gebunden.
614
Bibliographie Martin Lintzel
SuA DLZ Vjschr. Jb. Gesch. bll.
Sachsen und Anhalt (Jahrbuch d. Hist. Komm. (. d. Provinz Sachsen und für Anhalt) Deutsche Literaturzeitung Vierteljahrsschrift Jahrbuch Geschichtsblätter I. Selbständige
Schriften
Die in diese Ausgabe nicht aufgenommenen Schriften sind durch * gekennzeichnet. * 1 . D i e B e s c h l ü s s e d e r d e u t s c h e n H o f t a g e v o n 9 1 1 bis 1 0 5 6 . Berlin: R.
Ebering
1924.
IV,
139
S.
(Phil.
Diss.
Halle
1924.
Hist. Studien
Ref.
R.
161,
Holtzmann,
Fester.) Bespr. 3 : G. Laehr, N A 46, 1926, 210. - M. Bloch, Revue hist. 158, 1928, 126.
* 2 . 4 D i e altsächsische V e r f a s s u n g im a c h t e n J a h r h u n d e r t . (Ungedruckt, gen
zur
Habil.schr.,
Geschichte
der
angen. alten
am 20. 7. 1927,
Sachsen
in einigen
aufgegangen,
vgl.
M a n u s k r . im N a c h l a ß .
d. späteren
bes.
Nr.
Untersuchun-
26.)
3. D i e S t ä n d e d e r deutschen V o l k s r e c h t e , hauptsächlich d e r L e x S a x o n u m . Niemeyer
1 9 3 3 . V I , 1 1 3 S. (Zur
setzungsprobleme Z. Ständekontr.
im frühen ab 1894.
Vgl.
Ständekontroverse,
Mittelalter, auch
Nr.
1931; 96,
bes.
sowie
112
u.
H.'s
gegen
zahlreiche
Phil.
Halle:
Heck,
frühere
ÜberSchriften
116.)
Bespr.: Cl. Frh. von Schwerin, HZ 154, 1936, 5 9 9 - 6 0 2 . - (Selbstanz. :) Jahresberr. f. dt. Gesch. 9 - 1 0 für 1 9 3 3 / 3 4 , 1936, 3 9 5 ; vgl. Nr. 103. - J . Vincke, Hist. Jb. 56, 1936, 9 7 - 9 9 . F. Beyerle, Z R G 54, 1934, G A , 2 9 2 - 2 9 7 . - E . Klebel, Vjschr. f. Soz.- u. Wirtsch. gesch. 28, 1935, 7 3 - 7 5 . - S. H. Steinberg, Arch. f. Kulturgesch. 24, 1934, 2 4 0 / 4 1 . - W. Möllenberg, SuA 9, 1933, 274. - W . Carstens, Ztschr. d. Ges. f. Schlesw.-Holst. Gesch. 63, 1935, 4 4 6 / 4 7 . - M.Bloch, Revue hist. 184, 1938, 9 0 - 9 2 . - Ch.-E. Perrin, Annales d'histoire économique et sociale 8, 1936, 178-180. * 4 . D e r sächsische S t a m m e s s t a a t und seine E r o b e r u n g d u r c h d i e F r a n k e n . Studien 2 2 7 , B e r l i n : E b e r i n g 1 9 3 3 . 6 0 S. (Vgl.
Nr.
Hist.
39.)
Bespr.: W . Stach, HZ 154, 1936, 1 8 8 / 8 9 . - J . Vincke, Hist. Jb. 56, 1936, 9 7 - 9 9 . - E . Klebel, M Ö I G 48, 1934, 180/81. - H. Spehr, Arch. f. Kulturgesch. 31, 1943, 2 1 9 - 2 2 1 . - W . Möllenberg, SuA 10, 1934, 2 6 2 / 6 3 . - K . Brandi, Niedersächs. Jb. f. Ldsgesch. 10, 1933, 2 2 3 - 2 2 5 ; vgl. d. Aufs, von M. Lintzel in SuA 10 (Nr. 48). - Von Lehe, Jb. d. Männer v. Morgenstern, Heimatbd. a. Elbu. Wesermündg. 27, 1936, 112/13. - H. Lübbing, Oldenbger Jb. des Ver. f. Ldsgesch. u. Alterts.kunde 38, 1934, 1 8 6 / 8 7 . - H. Voges, Jb. d. Braunschw. Gesch.ver. 2. F. 5, 1933, 1 0 9 / 1 0 . M. Bloch, Revue hist. 184, 1938, 9 1 / 9 2 . - Ch.-E. Perrin, Annales d'histoire économique et sociale 8, 1936, 1 7 8 - 1 8 0 . 5 . Studien ü b e r L i u d p r a n d v o n C r e m o n a .
-
Hist. Studien 2 3 3 , B e r l i n :
Ebering
1 9 3 3 . 7 6 S. Bespr.: R. Holtzmann, HZ 149, 1934, 5 7 1 - 5 7 3 . - W. Holtzmann, Jahresberr. f. dt. Gesch. 9 - 1 0 für 1 9 3 3 / 3 4 , 1936, 274. - O. Menzel, Stud. u. Mitteilungen z. Gesch. d. Benedikt-Ordens 52, 1934, 1 9 0 / 9 1 . - G . Cecchini, Archivio Storico Italiano 92, 1934, 7, V. 21, 1 3 1 / 3 2 . - M. Bloch, Revue hist. 181, 1937, 4 4 4 / 4 5 . - D . A. Robeyns, Recherches de Théol. ancienne et médiév. 7, 1935, 4 2 3 / 2 4 . - W . A W., Kwartalnik hist. 48, 1934, 177. 9 4
Es wurden nicht alle Besprechungen seiner Schriften aufgenommen. D i e chronologische Folge ist nur nach Erscheinungsjahren und nicht innerhalb der einzelnen Jahre eingehalten worden. Die Dramen wurden nach der Zeit der Entstehung geordnet.
Bibliographie Martin Lintzel *6. D e r historische K e r n d e r Siegfriedsage. 1934, 5 4 S. (Vgl.
Nr.
615
Hist. Studien 2 4 5 , Berlin: E b e r i n g
44.)
Bespr.: G. Ehrismann.. D L Z 3. F. 5, 1934, 2179/80. - A. Heusler, Anzeiger f. dt. Altert, u. dt. Lit. 53, 1934, 169/70. - M. Bloch, Revue hist. 181, 1937, 431/32. - F. Piquet, Revue germ. 26, 1935, 152. - F.Wagner, Revue beige de phil. et d'hist. 14, 1935, 1164/65. 7. K a r l d e r G r o ß e u n d W i d u k i n d . 4 6 S. (Vortrag, im Okt. Form.
gehalten
1934 in Trier geh.
in der
Geschichtsverein zusammen, bliziert
- mit gering.
Änderungen
Lessinghochschule
in Magdeburg
die in den
Hamburg: Hanseat. Verlagsanstalt
auf der 58. Versammlung
im
Berlin Januar
Untersuchungen
Deutseber
Philol.
und starken im
1935;
faßt
1934,
meist der
alten
1935.
Schulmänner
Erweiterungen;
November
zur Geschichte
u.
in
im
dies.
Magdeburg.
Forschungsergebnisse Sachsen
bereits
pu-
sind.)
Bespr.: W. Stach, H Z 154, 1936, 392. - S. v. Brockdorff, Ztschr. f. dt. Geistesgesch. 1, 1935, 209/10. - (Anonym) Wort und Tat 11, 1935, 286. - P. E. Schramm, Verg.ht. u. Gegenwart 26, 1936, 545. - H. Spehr, Arch. f. Kulturgesch. 31, 1943, 219-221. - H. W. Schomerus, Theologie d. Gegenwart 30, 1936, 90. - J. Bauermann, Nieders. Jb. f. Ldsgesch. 12, 1935, 336-338. Ph. Meyer, Ztschr. f. niedersächs. Kirchengesch. 41, 1936, 279-281. - E. Schick, Kirchenbl. f. d. reform. Schweiz 91, 1935, 278. - M. K., Köln. Ztg. v. 18. 10. 1936, Lit.beil. - E . Kast, Karlsruher Tagblatt v. 6. 10. 1935, Beil. - (a. r. = Vorat?) Bad. Presse v. 20. 9. 1935, Lit.beil. Polit-Gegnertum: H. U., NS Schles. Hochschul-Ztg. v. Nov./Dez. 1935, Beil. - Gegen den Trierer Vortr.: W. Behne, Karl der Große und Widukind, ein Beitrag z. polit. Gesch.Schreibung. Verg.ht. u. Gegenwart 24, 1934, 660-670. *8. D i e G e r m a n e n auf d e u t s c h e m B o d e n . V o n d e r V ö l k e r w a n d e r u n g bis z u m ersten Reich. - K ö l n : Schaffstein 1937. 61 Seiten, 2 K t . ; 2., n e u b e a r b e i t e t e A u f l . 1940. Bespr.: U. Gmelin, D A 2, 1938, 583. - (Anonym) Germanenerbe 3, 1938, 224. - W. Crombach, Köln. Ztg. v. 11. 9. 1938, Lit.beil. *9. D i e A n f ä n g e d e s D e u t s c h e n Reiches. Ü b e r d e n V e r t r a g v o n V e r d u n u n d d i e E r h e b u n g A r n u l f s v o n Kärnten. (Vgl.
Nr.
M ü n c h e n u n d B e r l i n : O l d e n b o u r g 1942. 9 5 S.
73.)
Bespr.: H. Mitteis, HZ 169, 1949, 119-121; wieder abgedruckt in: Die Rechtsidee in der Gesch., Weimar 1957, 563-66. - H. Zatschek, DA 6, 1943, 625/26. - W. Baum, Geistige Arbeit 10, 1943, Nr. 15-20, 7. - W. Möllenberg, SuA 17, 1941-1943, 555. - Ph. Dollinger, Revue hist. 207, 1952, 104. 10. D i e K a i s e r p o l i t i k O t t o s d e s G r o ß e n . 1943. 127 S. (Ergebnisse
zuerst
mitgeteilt
in einem
M ü n c h e n u n d Berlin: Vortrag
Oldenbourg
im Früh']. 1942 in
Leipzig.)
Bespr.: F. Rörig, Die Kaiserpolitik Ottos des Großen, Gedanken zu dem gleichnamigen Buche Martin Lintzels, Festschr. E. E. Stengel, Münster/Köln 1952, 2 0 3 - 2 2 2 ; vgl. dazu M. L. in Nr. 14, hier S. 604. - Ders., HZ 171, 1951, 191. - F. Henning, Deutsche Allg. Ztg. v. 23. 11. 1943*. (Anonym = P. Sethe) Frankfurter Ztg. v. 30. 6. 1943. - E . Krüger, Krakauer Ztg. v. 31. 10. 1943. - R. Folz, Revue hist. 207, 1952, 105-107. 11. L i e b e u n d T o d bei Heinrich v o n Kleist. - B e r l i n : A k a d . - V e r l a g 1 9 5 0 . 76 S. =
Ber. über d. V e r h . d. Sächsischen A k a d e m i e d e r W i s s . zu Leipzig, phil.-hist. Kl.,
B d . 97, H . 8. Bespr.: E. Kast, DLZ 73, 1952, 223-226; vgl. d. Bespr. v. M. Lintzel, ebd. 719, Anm. 1 (Nr. 131). - G. Fricke, Euphorion 47, 1953, 235/36. - R. Ayrault, Etudes Germaniques 7, 1952, 301.
616
Bibliographie Martin Lintzel
12. Die Entstehung des Kurfürstenkollegs. - Berlin: Akad.-Verlag 1952. 54 S. = Ber. über d. Verh. d. Sächsischen Akademie der Wiss. zu Leipzig, phil.-hist. Kl., Bd. 99, H. 2. (Vorgetr. in der Sitzung vom 17. 9. 1951, erheblich verändert und erweitert.) Bespr.: W. Schlesinger, HZ 181, 1956, 3 5 7 - 3 6 1 1953, 6 4 5 / 4 6 .
- P. E. Schramm. Gesch. i. Wiss. u. Unterr 4,
13. Miszellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts. - Berlin: Akad.-Verlag 1953. 116 S. — Ber. über d. Verh. d. Sächsischen Akademie der Wiss. zu Leipzig, phil.-hist. Kl., Bd. 100, H. 2. Bespr.: F. Weigle, D A 10, 1954, 564. - P. E . Schramm, Gesch. i. Wiss. u. Unterr. 4, 1953, 589. - F. Ernst, Das historisch-politische Buch I, 1953, 170.
14. Heinrich I. und die fränkische Königssalbung. - Berlin: Akad.-Verlag 1955. 56 S. = Ber. über d. Verh. d. Sächsischen Akademie der Wiss. zu Leipzig, phil.-hist. Kl., Bd. 102, H. 3. (Vorgetr. in der Sitzung vom 13. 12. 1954. Vgl. Nr. 10, Bespr.) Bespr.: H. Beumann, HZ 183, 1957, 5 8 8 / 8 9 . - F Baethgen, D A 12, 1956, 2 5 7 / 5 8 . - P. E . Schramm, Gesch. i. Wiss. u. Unterr. 8, 1957, 175. - R. Elze, D L Z 79, 1958, 4 2 5 / 2 6
II.
Aufsätze
Die nicht aufgenommenen Aufsätze sind durch * gekennzeichnet.
15. Zur Datierung des deutschen Rolandsliedes. Zeitschrift für deutsche Philol. 51, 1926, 13-33. (Vgl. Nr. 25.) Bespr.: A. Hofmeister, HZ 135, 1927, 320.
16. Zur Entstehungsgeschichte des sächsischen Stammes. (Vgl. Nr. 21, auch 31.)
SuA 3, 1927,
1-46.
Bespr.: A. Hofmeister, HZ 138, 1928, 410. - W. Stach, Jahresberr. f. dt. Gesch. 3 für 1927, 1929, 1 9 9 / 2 0 0 .
17. Die Entstehung der lex Saxonum. Z R G 47, 1927, GA, 130-173. Bespr.: G. P. Bognetti, Archivio Storico Italiano 86, 1928, 7, V. 9, 152.
18. Heinrich I. und das Herzogtum Schwaben. Hist. Vjschr. 24, 1929, 1-17. (H. 1, 1927 erschienen.) Bespr.: A. Hofmeister, Jahresberr. f. dt. Gesch. 3 für 1927, 1929, 756.
19. Untersuchungen zur Geschichte der alten Sachsen I. Die Sachsenkriege Chlothars I. SuA 4, 1928, 1-13. Bespr.: A. Hofmeister, N A 48, 1930, 2 2 2 / 2 3 . - W . Stach, Jahresberr. f. dt. Gesch. 4 für 1928, 1980, 172. - W . Levison, ebd. 176.
20. Untersuchungen zur Geschichte der alten Sachsen II. Die Tributzahlungen der Sachsen an die Franken zur Zeit der Merowinger und König Pippins. SuA 4, 1928, 13-28. (Vgl. Nr. 31.) Bespr.: s. Nr. 19.
*21. Entgegnung. SuA 4, 1928, 358-365. (Auf L. Schmidt, Nochmals zur SachsenForschung, ebenda 348-357, der sich hier gegen Nr. 16 gewandt hatte. Vgl. auch Nr. 31.)
Bibliographie Martin Lintzel
617
22. Karl der Große und Karlmann. HZ 140, 1929, 1-22. Bespr.: W . Levison. Jahresberr. f. dt. Gesch. 5 für 1929, 1931, 2 0 3 . - G . Cecchini, Archivio Stotico Italiano 88, 1930, 7, V. 13, 164.
23. Der Sachsenfrieden Karls des Großen. N A 48, 1930, 1-32. (H. 1, 1929 erschienen. Der letzten Anm. von Nr. 17 zufolge 1926 oder 1927 entstanden.) Bespr.: W . Levison, Jahresberr. f. dt. Gesch. 5 für 1 9 2 9 , 1 9 3 1 , 2 0 3 / 0 4 .
24. Der Ursprung der deutschen Pfalzgrafschaften. Z R G 49, 1929, GA, 233-263. Bespr.: A . Hofmeister, H Z 143, 1931, 4 0 6 .
*25. Edward Schröders Datierung des deutschen Rolandsliedes. Zeitschrift f. dt. Philol. 54, 1929, 168-174. (Gegen Edward Schröder, Die Datierung des deutschen Rolandsliedes, Zeitschrift für deutsches Altert. 65, 1928, 289-296, der sich hier gegen Nr. 15 gewandt hatte.) 26. Untersuchungen zur Geschichte der alten Sachsen III. Gau, Provinz und Stammesverband in der altsächsischen Verfassung. SuA 5, 1929, 1-37. (Vgl. Nr. 2.) 27. Untersuchungen zur Geschichte der alten Sachsen IV. Die Zahl der sächsischen Provinzen. SuA 6, 1930, 1-15. 28. Untersuchungen zur Geschichte der alten Sachsen V. Die Nachrichten über die westfälisch-engrische Grenze in vorfränkischer Zeit. SuA 6, 1930, 15-18. 29. Untersuchungen zur Geschichte der alten Sachsen VI. Der Weserübergang Karls des Großen am Brunsberg. SuA 6, 1930, 18-21. 30. Untersuchungen zur Geschichte der alten Sachsen VII. Der Uberfall bei Lübbecke. SuA 6, 1930, 21-24. *31. Theudebert I. und die Sachsen in Pannonien. Ungar. Jbb. 10, 1930, 121-128. (Gegen L. Schmidt, Franken und Sachsen im 6. Jahrhundert in Pannonien? ebd. Ö, 1929, 318-321, der sich hier gegen Nr. 20, auch 16, gewandt hatte. Vgl. auch Nr. 21.) Bespr.: W . Levison, Jahresberr. f. dt. Gesch. 5 für 1 9 2 9 , 1 9 3 1 , 2 0 2 .
*32. Die angebliche Parteischrift eines Anhängers Lothars I. N A 49, 1932, 1-9. (H. 1, 1930 ersch. Gegen P.W. Finsterwalder, Eine parteipolitische Kundgebung eines Anhängers Lothars I., NA 47, 1928, 393-415.) Bespr.: G. Cecchini, Archivio Storico Italiano 88, 1 9 3 0 , 7, V . 14, 3 2 4 .
33. Der Poeta Saxo als Quelle Widukinds von Korvey. N A 49, 1932, 183-188. (H. 1, 1930 erschienen.) *34. Albert Wenninghof!. Mitteldeutsche Lebensbilder Bd. 5, 1930, 610-623. 35. Untersuchungen zur Geschichte der alten Sachsen VIII. Die Vita Lebuini antiqua. SuA 7, 1931, 76-108. Bespr.: A. Hofmeister, N A 49, 1932, 6 5 3 - 6 5 6 .
36. Zur altsächsischen Rechtsgeschichte. ZRG 52, 1932, GA, 294-321. *37. Myrgingas und Mauringa. Festschrift für Otto Schlüter = Petermanns Mitteilungen Erg.-Heft 214, 1932, 113-122. 40 Lintzel Bd. II
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Bibliographie Martin Lintzel
38. Untersuchungen zur Geschichte der alten Sachsen IX. Der Quellenwert von Eigils Vita S. Sturmi für die Geschichte der Sachsenkriege Karls des Großen. SuA 8, 1932, 6-16. (Kritisch zu L. Halphen, Études critiques sur l'histoire de Charlemagne, 1921.) *39. Der sächsische Stammesstaat und seine Eroberung durch die Franken. Montagsblatt, Wissenschaftliche Beilage der Magdeburgischen Zeitung 74, 1932, 145 bis 148, 156-159, 163-165. (Vortrag, gehalten im Thür.-Sächs. Geschichtsverein in Halle am 9. 2. 1932; 1933 zu Nr. 4 erweitert; vgl. auch Nr. 48.) 40. Die Schlacht von Riade und die Anfänge des deutschen Staates. SuA 9, 1933, 27-51. Bespr.: W. Holtzmann, Jahresberr. f. dt. Gesch. 9 - 1 0 für 1933/34, 1936, 273.
41. Die Mäzene der deutschen Literatur im 12. und 13. Jahrhundert. Thür.-Sächs. Zeitschrift für Geschichte und Kunst 22, 1933, 47-77. 42. Die Zeit der Entstehung von Einhards Vita Karoli. Kritische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters, Festschrift für Robert Holtzmann, hrsg. von W. Möllenberg und M. Lintzel, Berlin 1933. 22-42. (Vgl. Nr. 43.) *43. Über Einhards Vita Karoli. Forschgn. und Fortschrr. 10, 1934, 179/180. (Bericht über Nr. 42.) Bespr.: (Anonym) Reichszentrale f. wiss. Berichterstattg. v. 10. 5. 1934.
*44. Das historische Urbild Siegfrieds. Forschgn. und Fortschrr. 10, 1934, 306/07. (Bericht über Nr. 6.) Bespr.: R. O., Münchener Neueste Nachrr. v. 8. 9. 1934.
*45. Germanische Monarchien und Republiken in der Germania des Tacitus. Z R G 54, 1934, GA, 227-237. *46. König Heinrich I. und die Entstehung des deutschen Reiches. Montagsblatt, Wissenschaftliche Beilage der Magdeburg. Zeitung 76, 1934, 393-396, 406-408. (Etwas veränderte Wiedergabe eines Vortrags, gehalten im Thür.-Sächs. Geschichtsverein in Halle im Juli 1934; 1936 erweitert zu Nr. 56.) 47. Zur Geschichte Ottos des Großen. Drei Miszellen. M Ö I G 48, 1934, 423-434. 48. Untersuchungen zur Geschichte der alten Sachsen X. Die Unterwerfung Sachsens durch Karl den Großen und der sächsische Adel. SuA 10, 1934, 30-70. (Ausführliche Begründung der Darstellung von Nr. 39, z• T. auch von 4 und Auseinandersetzung mit neuer Literatur; auch zu Brandis Bespr. von Nr. 4.) Bespr.: H. Voges, Jb. d. Braunschw. Gesch.ver., 2. F. 6, 1934, 105.
*49. Karl der Große und die Sachsen. Forschgn. und Fortschrr. 10, 1934, 125/26. 50. Zur Beurteilung Widukinds und Karls des Großen. Vergangenheit und Gegenwart 24, 1934, 652-660. (Gegen A. O. A. Lampe, Widukind und Karl der Westfranke, ebd., 469-477.) *51. Die Sachsenkriege. In: Karl der Große oder Charlemagne? Acht Antworten deutscher Geschichtsforscher. Berlin: Mittler u. Sohn 1935. 49-65. Bespr.: A. Dopsch, HZ 153, 1936, 360-363. - P. E. Schramm, DLZ 57, 1936, 1839 bis 1842. - H. Spehr, Arch. f. Kulturgesch. 31, 1943, 215. - J. Bauermann, Niedersächs. Jb. f.
Bibliographie Martin Lintzel
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Ldsgesch. 12, 1935, 336-338. - Polit. Gegnertum: H. Maier, Nationalsoz. Monatshefte 6, 1935, 540/41.
*52. Von Theoderich dem Großen zu Karl dem Großen. Deutsches Volkstum 17, 1935, 417-423. *53. Karl der Große. Die Großen Deutschen, Neue Deutsche Biographie, hrsg. von Willy Andreas und Wilhelm v. Scholz, 1, 1935. 40-57. *54. Widukind. Westfälische Lebensbilder, Hauptreihe Bd. 5, 1937, 13-28. (H. 1, 1935 erschienen.) 55. Das Bündnis Albrechts I. mit Bonifaz VIII. HZ 151, 1935, 457-485. Bespr.: G. Cecchini, Archivio Storico Italiano 94, 1936, 8, V. 2, 112.
*56. König Heinrich I. und die Gründung des Deutschen Reiches. Thür.-Sächs. Zeitschrift für Geschichte und Kunst 24, 1936, 25-42. (Vgl. Nr. 46.) 57. Zur Chronik Reginos von Prüm. DA 1, 1937, 499-502. *58. „Karl mit dem blutigen Schwert" bei Liudprand von Cremona. HZ 156, 1937, 321. (Kritisch zu E. Rundnagel, HZ 155, 1937, 238.) 59. Untersuchungen zur Geschichte der alten Sachsen XI. Die Sachsen des Ptolemaeus und die Chauchen. SuA 13, 1937, 28-41. (Gegen U. Kührstedt u. K. Tackenberg, Nachrichten aus Niedersachsens Urgescb. 8 u. 9, 1934 u. 1935.) Bespr.: H. Beumann, D A 2, 1938, 586/87.
60. Untersuchungen zur Geschichte der alten Sachsen XII. Sachsen, Cherusker und Angrivarier. SuA 13, 1937, 41-51. (Gegen Edw. Schröder u. K. Brandi, Niedersächs. Jb. 10, 1933.) Bespr.: s. Nr. 59.
61. Untersuchungen zur Geschichte der alten Sachsen XIII. Die Sachsen und die Zerstörung des Thüringerreiches. SuA 13, 1937, 51-58. Bespr.: s. Nr. 59.
62. Untersuchungen zur Geschichte der alten Sachsen XIV. Karl Martells Sachsenkrieg im Jahre 738 und die Missionstätigkeit des Bonifatius. SuA 13, 1937, 59-65. Bespr.: s. Nr. 59.
63. Untersuchungen zur Geschichte der alten Sachsen XV. Die Capitulatio de partibus Saxoniae. SuA 13, 1937, 65-77. Bespr.: s. Nr. 59.
*64. Königin Mathilde. Westfälische Lebensbilder, Hauptreihe Bd. 5, 1937, 161 bis 175. *65. Die Vorgänge in Verden 782. Forschgn. und Fortschrr. 14, 1938, 63. Auch Montagsblatt, Wissenschaftliche Beilage der Magdeburg. Zeitung 80, 1938, 70/71. 66. Die Vorgänge in Verden im Jahre 782. Niedersächs. Jb. 15, 1938, 1-41 und 365. Auch Sonderabdr.: Hildesheim und Leipzig: Lax 1938. 41 S. (Gegen K. Bauer, 40*
620
Bibliographie Martin Lintzel
Die Quellen für das sogenannte Blutbad von Verden, Westfälische 1937, 40-73.)
Zeitschrift
92,
Bespr.: Th. Schieffer, D A 3, 1939, 5 6 8 / 6 9 .
67. Die politische Haltung Widukinds von Korvey. SuA 14, 1938, 1-39. Bespr.: F. Baethgen, Jahresberr. f. dt. Gesch. 14 für 1938, 1940, 247.
68. Das abendländische Kaisertum im neunten und zehnten Jahrhundert. Der römische und der fränkisch-deutsche Kaisergedanke von Karl dem Großen bis auf Otto den Großen. Die Welt als Geschichte 4, 1938, 423-447. (Etwas veränderte Wiedergabe eines Vortrags, gehalten im Thür.-Sächs. Geschichtsverein in Halle im Mai 1938.) *69. Die Entstehung des Ersten Reiches. Wartburg 38, 1939, 104-112. 70. Erzbischof Adalbert von Magdeburg als Geschichtsschreiber. Zur Geschichte und Kultur des Elb-Saale-Raumes, Festschrift für Walter Möllenberg, hrsg. von O. Korn, Burg: Hopfer 1939. 12-22. 71. Der Codex Carolinus und die Motive von Pippins Italienpolitik. HZ 161, 1940, 33-41. (Gegen ]. Haller, Die Karolinger und das Papsttum, HZ 108, 1912, 38-76; auch Das Papsttum 1, 2. Aufl.. 1936, bes. S. 403 f f . ) 72. Die Entstehungszeit von Widukinds Sachsengeschichte. SuA 17, 1941-43, 1-13. Bespr.: U. Brumme, D A 7, 1944, 299.
*73. Zur Stellung der ostfränkischen Aristokratie beim Sturz Karls III. und der Entstehung der Stammesherzogtümer. HZ 166, 1942, 457-472. Unveränd. Abdruck in Wege der Forschg. I, Die Entstehg. des Deutschen Reiches, Ausgew. Aufsätze 1928-1954 mit e. Vorwort v. H. Kämpf, 1956. 153-170. (Gegen G. Teilenbach, Zur Geschichte Kaiser Arnulfs, HZ 165, 1942, 229-245, der sich hier gegen Nr. 125 gewandt hatte. Vgl. auch Nr. 74 und Nr. 75, S. 400, Anm. 2, für L.'s Standpunkt auch Nr. 9 und 130.) Bespr.: U. Brumme, D A 6, 1943, 626.
*74. Bemerkung. HZ 168, 1943, 456. (Zu G. Teilenbach, Erklärung, HZ 167, 1943, 668-671; vgl. Nr. 73.) *75. Zur Designation und Wahl König Heinrichs I. D A 6, 1943, 379-400. (Vgl. Nr. 73.) *76. Die mittelalterliche Geschichtsforschung an der Universität. Mitteldeutsche Nationalzeitung, Halle, 1. 7. 1943. *77. Abriß der Geschichte der Völkerwanderungszeit. Studienbetreuung der Kriegsteilnehmer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Phil. Fak., Halle 1944. 7-19. *78. Zu den deutschen Königswahlen der Ottonenzeit. ZRG 66, 1948, GA, 46-63. (Kritisch bes. zu F. Rörig, Geblütsrecht und freie Wahl in ihrer Auswirkung auf die deutsche Geschichte. Berlin 1948.) Bespr.: R. Buchner, D A 8, 1951, 611.
621
Bibliographie Martin Lintzel
79. Zur Erwerbung der heiligen Lanze durch Heinrich I. HZ 171, 1951, 303-310. (Bespricht W. Hollzmann, König Heinrich I. und die heilige Lanze. Kritische Untersuchungen zur Außenpolitik in den Anfängen des deutschen Reiches. Bonn 1947.) Bespr.: G. Opitz, D A 9, 1952, 582.
80. Zur Wahl Konrads II. Festschrift für Edmund E. Stengel zum 70. Geb. 1949, Münster-Köln: Böhlau 1952. 289-300. *81. Voraussetzungen des Individuums. Archiv für Kulturgesch. 38, 1956, 167-173. (Im Dez- 1947 entstanden. Aus dem Nachlaß gedruckt. Vgl. Nr. 82.) 82. D i e Mathildenviten und das Wahrheitsproblem in der Überlieferung der Ottonenzeit. Fragment. Archiv für Kulturgesch. 38, 1956, 152-166. (1953 entstanden. Zus. mit Nr. 81 aus dem Nachlaß gedruckt mit einem Vorwort von H. Grundmann.) Bespr.: F. Weigle, D A 14, 1958, 248.
83. Bruchstück einer Geschichte des sächsischen Stammes. (1943 entstanden, Band I aus dem Nachlaß gedruckt. Der Titel nicht von M. L.)
hier in
*83a. Zur Vor- und Frühgeschichte. Nicht vollendet, ungedruckt, im Nachlaß. (1945 entstanden. Der oben angegeb. Titel nicht von M. L. Folg. Untertitel: 1. Geschichte und Vorgeschichte. 2. Prähistorische Kulturhöhe. 3. Frühhistorische Grenzen und Gegenwart. 4. D i e Schlacht im Teutoburger Wald.) *83b. Politische Aufsätze. Ungedruckt, im Nachlaß. (1945—1947 entstanden. Nicht vollendet außer „Verantwortlichkeiten". Titel der Aufsätze: Betrachtungen zur deutschen Katastrophe. - Zur Lage. - Vorwort zur Familie Michael, 2 Fassungen. Vgl. Nr. 90. - Verantwortlichkeiten. - Ansprache.) III. Ungedruckte
Vorträge
Nicht aufgenommen. Nur von der Probevorlesg. Manuskr. im Nachlaß, ab 1942 Konzepte. Die Erhebung zum Kaiser im Karolingerreich. (Probevorlesung. Univ. Halle 1927) - Die Errichtung des altdeutschen Kaisertums durch Otto den Großen. (Antrittsvorlesung, Univ. Halle 1927) - König Heinrich I. und Kaiser Otto der Große. (Magdeburg 1936) - Deutsche Volkwerdung und frühmittelalterlicher Reichsgedanke. (Univ.-Jubiläum, Wittenberg 1938) - Die Sachsenkaiser und das Reich. (Magdeburg 1942) - Otto der Große. (Magdeburg 1942) - Das Reich der Sachsenkaiser. (Nordhausen 1943) - Das Geschichtsbild der Demokratie. (Univ. Halle 1946) Karl der Große und das Kaisertum. (1948) - Politische Moral und Christentum im frühen Mittelalter. (Halle 1951) - Das Motto von Kleists Hermannsschlacht. (1952) - Individuum und Geschichte. (1955)
IV.
Dramen5
Nicht aufgenommen. Vgl. Anm. 1, auch 2.
84. Xantippe. Eine Komödie mit tragischen Chören. Ungedruckt, im Nachlaß. (1922. Mischung von Reim, Vers und Prosa.) 85. Konradin. Trauerspiel. Ungedruckt, im Nachlaß. (In den zwanziger Prosa. Erstfassung „Der letzte Hohenstaufe" etwa 1917-21.)
Jahren. In
5 Unvollendet im Nachlaß: Antigone (1948), Brutus (1949-52, mehrere Fassungen).
622
Bibliographie Martin Lintzel
86. Der göttliche Orpheus. Eine Tragikomödie in fünf Akten. Unverkäufl. Bühnenmanuskr., Berlin: Henschel u. Sohn. 107 S. (1942 zur Aufführung in Posen angenommen, durch Kulturkammer verhindert.) Uraufführung am 31. 1. 1950 am Mecklenburg. Landestheater in Wismar. (Wohl 1938/39 entstanden. In Blankversen.) Bespr.: (Anonym = F. Erpenbeck?) Theaterdienst 1950, 7, 11. (Enth. Urteile aus Tages- u. Theaterpresse üb. die Aufführg. i. Wismar.) - H. Goertz, Dramaturgische Studienreise, Theater der Zeit 5, 1950, 3, 1 - 7 ; vgl. dazu Nr. 86a.
86a. Drama ohne Gegenspieler? Theater der Zeit 5, 1950, 5, 10-12. (Entgegnet H. Goertz Besprechung von Nr. 86.) 87. Das Märchen von König Drosselbart. Ein Spiel um des Spieles willen. Ungedruckt, im Nachlaß. (1945, 1. Fassung 1943. In Prosa.) 88. Kleider machen keine Leute. Ein altmodisches Spiel in fünf Aufzügen. Ungedruckt, im Nachlaß. (1945. In Blankversen.) 89. Iphigenies Opfer. Eine Tragödie nach Euripides. Ungedruckt, im Nachlaß. (1943, 1946 überarbeitet. In Blankversen.) 90. Die Familie Michael. Ein Trauerspiel in vier Akten. Ungedruckt, im Nachlaß. (1946. Vgl. Nr. 83b. In Prosa.) 91. Die Weiber von Weinsberg. Ein Märchen in fünf Akten. Ungedruckt, im Nachlaß. (1950. In Blankversen u. Prosa.) 92. Berenike. Ein Schauspiel nach Racine. Ungedruckt, im Nachlaß. (1950/51. In Alexandrinern.) 93. Das rückständige Eiland. Eine Unterhaltung in drei Akten. Ungedruckt, im Nachlaß. (1951/52. In Prosa.) 94. Das Trojanische Pferd. Ein Schauspiel in drei Akten. Ungedruckt, im Nachlaß. (1952/53. In Blankversen. Fragment einer Prosafassung von 1946, Fragment Viassandra von 1947.)
V. Besprechungen Nur Nr. 124 und 132 aufgenommen.
95. Sammelbericht: Rechts- und Verfassungsgeschichte bis 911. - Jahresberr. f. dt. Geschichte 4 für 1928, 1930, 254-261. Darin: F. Frahm, Cäsar und Tacitus als Quellen für die altgerman. Verf., Hist. Vjschr. 24, 145-181. L. Schmidt, Zur germ. Hundertschaftsverf., Vjschr. f. Soz. u. Wirtsch. gesch. 21, 234-244. G. B. Picotti, II „Patricius" nell' ultima imperiale e nei primi regni barb. d'Italia, Arch. Storico Ital. Ser. 7, Bd. 9, 3-80.
Bibliographie Martin Lintzel
623
F. Lot, Du régime de l'hospitalité, Rev. beige de phil. et d'hist. 7, 975-1011. Ders, L'impôt foncier et la capitation personelle... Paris, Champion, 138 S. W. Varges, Das Herzogtum. Gedächtnisschr. für G. von Below, 17-31. D. M. Petrusevski, Strittige Fragen der mittelalt. Verf.- und Wirtsch.gesch., Z. ges. Staatswiss. 85, 468-490. F. Beyerle, Rez. von V. Ernst, Die Entst. d. deutschen Grundeigentums, in D L Z N F 5, 1670-1676. M. Pappenheim, Über die Anfänge des germ. Gottesurteils, Z R G 48, GA, 136-175. P. Puntschart, Über Gottesbürgschaft im angelsächs. Recht. Festschr. für O. Redlich, 501-532. A. Schultze, Augustin u. der Seelteil des germ. Erbrechts. Leipzig, Hirzel, VIII, 246 S. F. Beyerle, Die Lex Ribuaria, Z R G 48, GA, 264-378. E. Goldmann, Neue Beiträge z. Gesch. d. fränk. Rechts. Heidelberg, Winter, 133 S. H. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte Bd. 2. 2. Aufl. neu bearb. von Cl. Frh. von Schwerin. München, Duncker u. Humblot, XVI, 934 S. (Ausführlicher, S. 259-261.) 96. Philipp Heck, Die Standesgliederung der Sachsen im frühen Mittelalter. Tübingen 1927, Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). 209 S. - SuA 4, 1928, 394 bis 397. (Vgl. Nr. 3.) 97. Sammelbericht: Rechts- und Verfassungsgeschichte bis 911. - Jahresberr. f. dt. Geschichte 5 für 1929, 1931, 314-320. Darin u. a.: H. Schreuer, German, u. slaw. Staatsbildung. Bonn 1928. J. Wackernagel, Die geist. Grundlagen des mittelalt. Rechts. Tübingen, Mohr, 28 S. U. Stutz, Die Beweisrolle im altdeutschen Rechtsgang, Z R G 49, GA, 1-25. R. Bechert, Recht oder Pflicht zur Beweisführung?... Z R G 49, GA, 26-56. A. S. de Blécourt, Brunner, les Germains et Fustel de Coulanges, Tijdschr. voor Rechtsgeschiedenis 9, 150-181. E. Mayer, Die oberdeutschen Volksrechte. Leipzig, A. Deichert, VIII, 156 S. F. Beyerle, Die süddeutschen Leges und die merowing. Gesetzgebung..., Z R G 49, GA, 265-432. 98. Sammelbericht: Rechts- und Verfassungsgeschichte bis 911. - Jahresberr. f. dt. Geschichte 6 für 1930, 1932, 259-261. Darin u. a.: O. Hintze, Weltgeschichtl. Bedingungen der Repräsentativverf., HZ 143, 1-47. H. Brunner, Grundzüge der deutschen RG. 8. Aufl. bes. von Cl. Frh. von Schwerin. München, Duncker u. Humblot, XI, 348 S.
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hrsg. von O. Bessenrodt.) Flarchheim, Verlag der Thüringer Monatshefte 1931. 94 S. - HZ 148, 1933, 399/400. 108. K. Th. Strasser, Die Nordgermanen. Hamburg, Hanseatische Verlagsanstalt 1933. 182 S. - HZ 149, 1934, 399/400. 109. D. A. Stracke, S. J., Over de bekeering en doopsel van koning Chlodovech. Antwerpen. Centrale Boekhandel Neerlandia 1931. 265 S. - HZ 149, 1934, 400. 110. Margarethe Wevers, Einhards Vita Karoli Magni in der mittelalterlichen Geschichtschreibung und Heldensage. Diss. Marburg 1929. - HZ 149, 1934, 613/14. 111. A. Fliehe, L'Europe occidentale de 888 à 1125 (Histoire générale, publiée sous la direction de G. Glotz). Paris, Les Presses Universitaires de France 1930. IX, 672 S. - HZ 149, 1934, 614. 112. Philipp Heck, Ubersetzungsprobleme im frühen Mittelalter. Tübingen, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1931, XV u. 303 S. - ZRG 54, 1934, GA, 286-292. (Vgl. Nr. 3.) 113. R. Buchner, Die Provence in merowingischer Zeit. Arbeiten z. deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte, hrsg. von J. Haller, Ph. Heck, A. B. Schmidt. IX. Heft. Stuttgart, Verlag von W. Kohlhammer 1933. X und 112 S. - HZ 150, 1934, 615/16. 114. H. Wiedemann, M. S. C., Die Sachsenbekehrung. Missionswiss. Stud., hrsg. von J. Schmidlin, Neue Reihe V. Verlag Missionshaus Hiltrup 1932. XIX u. 130 S. H Z 150, 1934, 616/17. (Vgl. Nr. 104.) 115. Sammelbericht: Das Recht in germanischer und fränkischer Zeit. - Jahresberr. f. dt. Geschichte 11 für 1935, 1936, 316-318. Darin u. a.: R. Meissner (Übers.),. Norwegisches Recht. Das Rechtsbuch des Gulathings. Weimar, Böhlau, XXXVII, 208 S. = Germanenrechte 6. Cl. Frh. v. Schwerin (Übers.), Schwedische Rechte. Älteres Westgötalag, Uplandslag. Weimar, Böhlau, XII, 256 S. = Germanenrechte 7. J. Pétrau-Gay, La „Laghsaga" salienne et l'intérêt de ses survivances hist. en vue d'une classification jurid. des capitulaires des rois francs, Rev. hist. de droit français et étranger, Sér. 4, 14, 54-85, 252-306. B. Krusch, König Chlodwig als Gesetzgeber, Hist. Vjschr. 29, 801-807. B. Hilliger, Ursprung und Wert des Wergeides im Volksrecht, Hist. Vjschr. 29, 681-721. Ph. Heck, Blut und Stand im altsächs. Rechte u. im Sachsenspiegel. Tübingen, Mohr, XIII, 139 S. J. Hollnsteiner, Die germanischen Volksrechte als kulturgesch. Quelle, Hist. Jb. 55, 224-233. F. Markuli, Der deutsche und der röm. Rechtsgedanke. Hamburg, Hanseat. Verl.anst., 90 S. E. v. Frauenholz, Das Heerwesen der germ. Frühzeit, des Frankenreiches und des ritterl. Zeitalters. München, Beck, XIII, 306 S.
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116. Ph. Heck, Blut und Stand im altsächsischen Recht und im Sachsenspiegel, Tübingen, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1935. XIII, 140 S. Ph. Heck, Untersuchungen zur altsächsischen Standesgliederung, insbesondere über die ständische Bedeutung des Handgemais (Arbeiten zur deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte XI), Stuttgart, W. Kohlhammer 1936. XIII, 194 S. - Z R G 56, 1936, GA, 522-524. (Vgl. Nr. 3.) 117. Sammelbericht: Das Recht in germanischer und fränkischer Zeit. - Jahresberr. für deutsche Geschichte 12 für 1936, 1937, 366-369. Darin u. a.: F. Beyerle (Hrsg.), Gesetze der Burgunden. Weimar, Böhlau, XVI, 191 S. = Germanenrechte 10. E. Wohlhaupter (Hrsg.), Gesetze der Westgoten. Weimar, Böhlau, XVII, 328 S. = Germanenrechte 11. W. H. Vogt, Altnorwegens Urfehdebann und der Geleitschwur . . . Weimar, Böhlau, IX, 213 S. G. Baesecke, Die deutschen Worte der german. Gesetze, Paul und Braunes Beiträge 59, 1935, 1-101. H. Fehr, Die Dichtung im Recht. Bern, Francke, 327 S. P. Fischer, Strafen und sichernde Maßnahmen gegen Tote im germ. und deutschen Recht. Düsseldorf, Nolte, IV, 70 S. H. Dachs, German. Uradel im frühbair. Donaugau, Verh. Hist. Ver. Oberpfalz u. Regensburg 86, 179-192. O. v. Zwiedineck-Südenhorst, Rechtsbildung, Staatsgewalt und Wirtschaft..., Jbb. Nationalökon. 143, 1-44. 118. Heinar Schilling, Germanische Geschichte. Von den Kimbern und Teutonen bis zu Wittekind. Leipzig, K. F. Koehler 1934. 592 S. - HZ 155, 1937, 171/72. 119. Ludwig Schmidt, Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung. Die Ostgermanen. 2. völlig neu bearbeitete Auflage. München, C. H. Beck 1934. 648 S. mit zwei Karten. - HZ 155, 1937, 347-349. 120. W. von den Steinen, Theoderich und Chlodwig. Ein Kapitel deutscher Weltgeschichte. (Philosophie und Geschichte, Heft 46.) Tübingen, J. C. B. Mohr 1933. 37 S. - H Z 155, 1937, 349/50. 121. H. Dannenbauer, Vom Werden des deutschen Volkes. Indogermanen, Germanen, Deutsche. (Philosophie und Geschichte, Heft 54.) Tübingen, J. C. B. Mohr 1935. 38 S. - HZ 155, 1937, 385. 122. Widukind, Geschichte des deutschen Volkes. Leipzig, Armanenverlag 1934. 407 S. - HZ 156, 1937, 387/88. 123. J. Bühler, Deutsche Geschichte. 1. Bd.: Urzeit, Bauerntum und Aristokratie bis um 1100. VIII, 413 S. mit 16 Tafeln und vier Karten. 1934. 2. Bd.: Fürsten, Ritterschaft und Bürgertum von 1100 bis um 1500. IX, 440 S. mit 8 Tafeln. 1935. Berlin, de Gruyter. - HZ 158, 1938, 116-119.
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124. Edmund E. Stengel, Der Stamm der Hessen und das „Herzogtum" Franken. (Festschr. Ernst Heymann I, 1940, 129-174.) Auch Sonderausgb.: Weimar H. Böhlaus Nachf. 1940. IV, 46 S. - H Z 164, 1941, 370-379. 125. Gerd Tellenbach, Königtum und Stämme in der Werdezeit des Deutschen Reiches. (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit. Bd. VII, H. 4.) Weimar, Hermann Böhlaus Nachf. 1939. VIII, 108 S. - DLZ 62, 1941, 505-513. (Vgl. Nr. 73.) 126. Heinz Zatschek, Wie das erste Reich der Deutschen entstand. Staatsführung, Reichsgut und Ostsiedlung im Zeitalter der Karolinger. (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, hrsg. von der Hist. Komm, der dt. Ges. der Wiss. und Künste in Prag, Bd. 16.) Prag, Verlag der Gesellschaft 1940. XVI, 324 S. - H Z 166, 1942, 586-591. 127. Hans Naumann, Altdeutsches Volkskönigtum. Reden und Aufsätze zum germanischen Überlieferungszusammenhang. Stuttgart, Metzler 1940. 247 S. - D A 6, 1943, 278/79. 128. Robert Holtzmann, Geschichte der sächsischen Kaiserzeit (900-1024). München, G. D. W. Callwey 1941. 568 S. - HZ 168, 1943, 143-145. 129. Wiedemann, Heinrich, P. Dr., M. S. C., Karl der Große, Widukind und die Sachsenbekehrung. Münster, Aschendorff 1949. 40 S. = Veröffentl. d. Missionswiss. Instituts der Westfälischen Landesuniversität zu Münster/W., hrsg. von Prof. Dr. Thomas Ohm, O. S. B., H. 2. - Theol. Literaturzeitung 76, 1951, 730. 130. Der Vertrag von Verdun 843. Neun Aufsätze zur Begründung der europäischen Völker- und Staatenwelt, hrsg. von Th. Mayer. Leipzig, Koehler und Arnelang 1943. 274 S. (Das Reich und Europa, Gemeinschaftsarb. deutscher Historiker, hrsg. von Th. Mayer und W. Platzhoff.) 1. Th. Mayer, Der Vertrag von Verdun, S. 5-30. 2. H. Zatschek, Ludwig der Deutsche, S. 31-65. 3. H. Mitteis, Der Vertrag von Verdun im Rahmen der Karolingischen Verfassungspolitik, S. 66-100. 4. P. E. Hübinger, Lothringen, S. 101-115. 5. G. Baesecke, Das Nationalbewußtsein der Deutschen des Karolingerreiches nach den zeitgenössischen Benennungen ihrer Sprache, S. 116-136. 6. F. Schalk, Die Entstehung der französischen Nation, S. 137-149. 7. H. Dörries, Die geistigen Voraussetzungen und Folgen der Karolingischen Reichsteilung, S. 150-180. 8. G. Teilenbach, Von der Tradition des fränkischen Reiches in der deutschen und französischen Geschichte des hohen Mittelalters, S. 181-202. 9. F. Dölger, Europas Gestaltung im Spiegel der fränkisch-byzantinischen Auseinandersetzung des 9. Jahrhunderts, S. 203-273. - HZ 172, 1951, 342—346» (Vgl. Nr. 73.)
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131. Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke. München, Droemer 1952. 980 S. (Einjührung von Erwin Laaths). - DLZ 73, 1952, 718-720. (Vgl. Nr. 11.) 132. Helmut Beumann, Widukind von Korvei, Untersuchungen zur Geschichtsschreibung und Ideengeschichte des 10. Jahrhunderts. Weimar, H. Böhlaus Nachf. 1950. XVI, 300 S. - HZ 176, 1953, 112-116, 133. Wattenbach-Levison, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger. 2. H.: Die Karolinger vom Anfang des 8. Jhdts. bis zum Tode Karls des Großen. Bearb. von Wilhelm Levison u. Heinz Löwe. Weimar, H. Böhlaus Nachf. 1953. 133 S. Beih.: Rudolf Buchner, Die Rechtsquellen. Ebd. 1953. XIII, 87 S. - Das historisch-politische Buch 1, 1953, 232 f. 134. Sabine Krüger, Studien zur Sächsischen Grafschaftsverfassung im 9. Jahrhundert. (Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas Niedersachsens, 19. H.) Göttingen, Vandenhoeck Ruprecht 1950. 97 S. 4 - DLZ 75, 1954, 32-35. 134a. Hans-Joachim Freytag, Die Herrschaft der Billunger in Sachsen. (Veröfftl. d. Histor. Kommission für Niedersachsen, Bremen und die früheren Länder Hannover, Oldenburg, Braunschweig und Schaumburg-Lippe. Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas Niedersachsens, 20. Heft.) Göttingen, Vandenhoeck Ruprecht 1951. 84 S. 4 - DLZ 76, 1955, 40/41. VI. Dissertationen aus der Schule von Martin Lintzel (Die Dissertationen sind, sämtlich in Halle angenommen worden. Das Promotionsjahr ist nur dann besonders vermerkt, wenn es nicht mit dem des Druckes übereinstimmt.) 135. Hilde Mühlner, Die Sachsenkriege Karls des Großen in der Geschichtsschreibung der Karolinger- und Ottonenzeit. (1937). Berlin: Ebering 1936. 47 S. Teildr.; vollst.: Hist. Studien 308, 1937, 125 S. Bespr.: G. Roethe, Anz. f. dt. Altert, u. dt. Lit. 56, 1937, 1 9 5 / 9 6 . - H. Spehr, Arch. f. Kulturgesch. 31, 1943, 221. - F. Geisthardt, Ztschr. f. Kirchengesch. 58, 1939, 2 6 6 / 6 7 . E . Maschke, Ztschr. d. Ver. f. Thür. Gesch. u. Altertumskunde N. F. 33, 1939, 2 8 0 / 8 1 . R. Drögereit, Niedersächs. Jb. 14, 1937, 3 8 2 / 8 3 .
136. Erich Wiemann, Beiträge zur Erfurter Ratsverwaltung des Mittelalters. I Rat und städtische Einwohnerschaft, II Die städtische Handels- und Gewerbeverwaltung. (1937). Erfurt: Stenger 1937/38. 115, 103 S. 1 Tafel. Aus: Mitteilungen d. Ver. f. d. Geschichte und Altertumskunde v. Erfurt H. 51. 52. Teildr. auch in: Festschrift, dem 19. Deutschen Historikertag in Erfurt dargeboten. 1937. 137. Hans Pozor, Die politische Haltung Ottos von Freising. Leipzig: Moltzen 1937. 92 S. Bespr.: W . Holtzmann, D A 3, 1939, 3 3 0 / 3 1 .
138. Siegfried Lüpke, Die Markgrafen der sächsischen Ostmarken in der Zeit von Gero bis zum Beginn des Investiturstreites (940-1075). Leipzig: Frommhold u. Wendler 1937. 99 S. (Masch, autogr.)
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Bibliographie Martin Lintzel
139. Hedwig Wilke, Beiträge zur Patrozinienforschung im Erzbistum Magdeburg. 1938. (Masch.) 140. Heinz-Werner Friese, Das Bild Ottos des Großen in der deutschen Geschichtschreibung des Mittelalters von 950-1250. 1939. 186 S. (Masch.) 141. Walter Nissen, Studien zur Geschichte des geistigen Lebens in der Stadt Halle in vorreformatorischer Zeit. 1940. 263 S. (Masch.) 142. Gerhard Lukas, Die deutsche Politik gegen die Elbslawen vom Jahre 982 bis zum Ende der Polenkriege Heinrichs II. Halle: Satke 1940. 106 S. Bespr.: C. Erdmann, D A 5, 1942, 292. - R. Folz, Revue hist. 207, 1952, 107.
143. Elisabeth Winter-Günther, Die sächsischen Aufstände gegen Karl den Großen in den Jahren 792-804. Halle: Satke 1940. 93 S. Bespr.: R. Folz, Revue hist. 207, 1952, 98/99.
144. Marie Tiedje, Friedrich von Mainz und Otto der Große. 1942. 83 S. (Masch.) 145. Wolfgang Heßler Die Anfänge des deutschen Nationalgefühls in der ostfränkischen Geschichtschreibung des neunten Jahrhunderts. Berlin: Ebering 1943. 142 S. Auch: Historische Studien 376. Bespr.: P. Kirn, D A 7, 1944, 330/31. - E.Zöllner, M I Ö G 56, 1948, 440-443. - W. Möllenberg, SuA 17, 1941-43, 555. - G. Möhlmann, Niedersächs. Jb. 20, 1947, 140.
146. Hildegard Herricht, Die Beziehungen zwischen den vier Hauptquellen der Zeit Ottos des Großen. 1944. 88 S. (Masch.) 147. Brigitte Berthold, Die Kirchenpolitik der deutschen Könige von Arnulf von Kärnten bis zu Heinrich I. 1944. 183 S. (Masch.) 148. Johannes Knäuel, Die Elbslawen und das Frankenreich. 1944. (Masch.) 149. Annemarie Seidel geb. Somburg. Die deutsche Opposition gegen Otto III. 1944. 85 S. (Masch.) 6
Dem Andenken Martin Lintzels gewidmet: Wolfgang Heßler, Mitteldeutsche Gaue des frühen und hohen Mittelalters. Berlin, AkademieVerlag 1957. 162 S. 4°. In memoriam: Leo Stern, Martin Lintzel zum Gedächtnis. Gedächtnisrede vom 1. 9. 1955 vor der Klasse f. Philos., Geschichte, Staats-, Rechts- und Wirtsch.wiss. d. Deutschen Akad. d. Wiss. zu Berlin. Wiss. Annalen 4, 1955, 718/19. Leo Stern, Zeitschr. f. Geschichtswiss. 3, 1955, 817-819. Hans Haussherr, Das Hochschulwesen 3, 1955, H. 9/10, 89/90. Hans Haussherr, Martin Lintzel. Rede zur Gedächtnisfeier der Universität Halle am 18. 11. 1955. Wiss. Zeitschr. d. Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg, Ges.Sprachw. Reihe, 5, 1956, 511-519. Karl Jordan, HZ 181, 1956, 240/41. Herbert Heibig, Z R G 73, 1956, GA, 562-569. Hans Haussherr, Jahrb. d. Deutschen Akad. d. Wiss. zu Berlin 1958, 96-98. Vgl. auch das Vorwort von Hellmut Kämpf zu Wege der Forschung I (s. Nr. 73) und das Vorwort von Herbert Grundmann zu Nr. 81 und 82, auch posthum erschienene Besprechungen der letzten Schriften Martin Lintzels.
Bibliographie Martin Lintzel
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150. Wally Schulze, Otto III. im Urteil der deutschen Geschichtsschreibung vom Ende des zehnten bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts. 1948. 135 S. (Masch.) 151. Fritz Schröder, Das Bild Heinrichs I. in der deutschen Geschichtsschreibung des Mittelalters bis zum Interregnum. 1949. 127 S. (Masch.) 152. Adelheid Constabel, Der Verständigungsversuch Friedrich Barbarossas mit Frankreich im Jahre 1162. 1951. 83 S. (Masch.) 153. Ernst Schubert, Studien zur Einhardfrage. 1952. 106 S. (Masch.) 154. Wolfgang Tiersch, Das Vergangenheitsbild in der Historiographie der Ottonenzeit. 1952. 112 S. (Masch.) 155. Josef Mück, Die Stände der Ewa Chamavorum. 1954. 101 S. (Masch.) 156. Annerose Schneider, Studien zu Thietmar von Merseburg. 1955. 166 S. (Masch.) 157. Johanna Weiser geb. Bargel, Das Italienbild in den Hauptwerken der ottonischen Geschichtschreibung. 1955. 136 S. (Masch.) 158. Irmela Weiland, Die Zahlen in den erzählenden Geschichtsquellen des frühen und hohen Mittelalters. 1956. (Ref. H. Haussherr) 124 S. (Masch.) Folgende Themen wurden von M. L. noch gestellt: Die sogenannte Reichsaristokratie im neunten Jahrhundert. (Horst Schulz, 1956, Ref. Fr. Schneider. 184 S. Masch.)
Jena
Das Bild Ludwigs des Deutschen in der Geschichtschreibung des Mittelalters. (Siegfried Fauck, Halle 1956, Ref. I. Höß. VIII, 122 S. Masch.) Die Herkunft der deutschen Bischöfe im neunten und zehnten Jahrhundert. (Helmut Kadziela, Jena 1956, Ref. Fr. Schneider. XXX, 149 S. Masch.) Karl der Große und Byzanz.
VII. Mitverfaßt und
mitherausgegeben
159. Bericht über die siebenzehnte Versammlung Deutscher Historiker zu Halle a. d. S. vom 22. bis 26. April 1930. (Verfaßt und hsg. zus. mit dem Vorsitzenden R. Holtzmann und d. and. Schriftführer H. Herzfeld.) München und Leipzig: Duncker u. Humblot 1930. 74 S. 160. Kritische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters. Festschrift für Robert Holtzmann zum sechzigsten Geburtstag. (Hrsg. zus. mit Walter Möllenberg.) Hist. Studien 238, Berlin: Ebering 1933. 251 S. 3 Taf.
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