Aus intellektuellem Gewissen: Aufsätze von Ota Weinberger über Grundlagenprobleme der Rechtswissenschaft und Demokratietheorie. Eine Auswahl hrsg. zum achtzigsten Geburtstag des Autors von Michael Fischer / Peter Koller / Werner Krawietz [1 ed.] 9783428500376, 9783428100378

Ota Weinberger hat am 20. April 1999 sein 80. Lebensjahr vollendet. Obwohl er sich seit zehn Jahren im Ruhestand befinde

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German Pages 469 Year 2000

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Aus intellektuellem Gewissen: Aufsätze von Ota Weinberger über Grundlagenprobleme der Rechtswissenschaft und Demokratietheorie. Eine Auswahl hrsg. zum achtzigsten Geburtstag des Autors von Michael Fischer / Peter Koller / Werner Krawietz [1 ed.]
 9783428500376, 9783428100378

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Aus intellektuellem Gewissen

Aus intellektuellem Gewissen Aufsätze von Ota Weinberger über Grundlagenprobleme der Rechtswissenschaft und Demokratietheorie

Eine Auswahl herausgegeben zum achtzigsten Geburtstag des Autors

von

Michael Fischer Peter Koller Wemer Krawietz

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Weinberger, Ota: Aus intellektuellem Gewissen: Aufsätze von Ota Weinberger über Grundlagenprobleme der Rechtswissenschaft und Demokratietheorie / eine Ausw. hrsg. zum achtzigsten Geburtstag des Autors von Michael Fischer ... - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 ISBN 3-428-10037-9

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428- 10037-9 Gedruckt auf allerungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069

Vorwort der Herausgeber Ota Weinberger hat am 20. April 1999 sein 80. Lebensjahr vollendet. Obwohl er sich seit zehn Jahren im Ruhestand befindet, widmet er sich nach wie vor mit unermüdlichem Eifer dem wissenschaftlichen Schaffen, dem er sich ja immer schon mit ganzer Leidenschaft hingegeben hat. Aber auch seine Produktivität ist ungebrochen: Stets arbeitet er an Vorträgen, Aufsätzen oder Büchern, die dann in den unablässigen Strom seiner Publikationen münden. Obwohl sich Weinberger in seinen Arbeiten der letzten Jahre oft neuen Themen zugewendet hat, fügen sie sich ein in ein umfassendes und zusammenhängendes Theorieprojekt, das er seit Beginn seiner wissenschaftlichen Lautbahn verfolgt und Schritt für Schritt vorangetrieben hat. Die wichtigsten Grundelemente dieses Projekts lassen sich vielleicht summarisch, wenn auch nur umrißhaft und vergröbernd, durch die folgenden Thesen andeuten, die zusammenhängen und sich gleichsam wie ein roter Faden durch Weinbergers Denken ziehen: Die semantische These, daß schon aus erkenntnis- und handlungs theoretischen Gründen strikt zwischen deskriptiver und präskriptiver Sprache zu differenzieren ist; die logische These, daß ein logisches Operieren mit Normen ebenso möglich ist wie mit Aussagesätzen, auch wenn zwischen den logischen Regeln beider manche Unterschiede bestehen; die non-kognitivistische These, daß eine objektive, sich allein auf Tatsachen oder Vernunftgründe stützende Begründung von Normen nicht gelingen kann; die rechtstheoretische These, daß jede Rechtsordnung ein dynamisches, aber geregeltes Zusammenspiel von Normen und Tatsachen, also eine umfassende Institution, darstellt; die handlungstheoretische These, daß rationales Handeln in einer geeigneten Kombination planmäßiger Zielverfolgung und intervenierenden Dezisionen besteht; die moralphilosophische These, daß eine annehmbare Moral auf die Bewältigung der Zukunft zielen und die Verantwortung jeder Person für ihr eigenes Handeln unterstreichen muß; die politikphilosophische These, daß Gerechtigkeit ein dialektisches Abwägen zwischen einer Pluralität von Werten verlangt und auf einen konsensfahigen Interessensausgleich gerichtet sein muß; und last, but not least die politische These, daß demokratische Gleichheit, öffentlicher Meinungspluralismus und weltanschauliche Toleranz unabdingbare Voraussetzungen einer friedlichen und gedeihlichen gesellschaftlichen Ordnung sind. Alle diese Thesen, die freilich bloß als Kürzel für eine kaum überschau bare Vielzahl von elaborierten und differenzierten Überlegungen verstanden werden dürfen, fügen sich in Weinbergers Werk zu einem einheitlichen und in sich kohärenten Gedankengebäude zusammen, das er in vier Jahrzehnten nach und nach auf-

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Vorwort der Herausgeber

gerichtet hat. Den Beginn bilden Untersuchungen zur Normenlogik, die in sein erstes Buch Die Sollsatzproblematik in der modernen Logik (Prag 1958), eine Pionierarbeit dieser damals noch jungen Disziplin, eingegangen sind. Obwohl seine Beschäftigung mit Fragen der Normenlogik bis heute andauert, haben sich seine Interessen danach stärker auf das Gebiet der Rechtstheorie verschoben, in dem er seine normenlogischen Einsichten für eine neue und überzeugendere Explikation der Struktur und Dynamik von Rechtssystemen im Gefolge der Wiener und der Brünner rechtstheoretischen Schule nutzbar machen konnte. Eine monographische Darlegung dieser seiner Forschungsbemühungen bietet das noch vor 1968 in der damaligen Tschechoslowakei verfaßte Werk Rechtslogik (Wien 1970; 2., umgearbeitete und wesentlich erweiterte Aufl. Berlin 1989), das auch heute noch die beste Gesamtdarstellung dieses Gebiets in deutscher Sprache darstellt. Nachdem Ota Weinberger 1968 durch die gewaltsame Beendigung des ,Prager Frühlings' zur Emigration nach Österreich gezwungen worden war und 1971 die Professur für Rechtsphilosophie in Graz angetreten hatte, kamen einige weitere Forschungsschwerpunkte hinzu, die vor allem in drei Richtungen gehen: Erstens in die Richtung einer umfassenderen Theorie des Rechts, welche die formale Strukturanalyse rechtlicher Ordnungen mit einer realistisch-soziologischen Rechtsbetrachtung verknüpft; zweitens in die Richtung einer allgemeinen Theorie des praktischen Denkens, die nicht nur allen Ebenen menschlicher Praxis (von individuellen Handlungen bis zu kollektiven Entscheidungen), sondern auch allen Arten von Antrieben des HandeIns (von irrational-spontanen Handlungsimpulsen bis hin zu moralischen Erwägungen) Rechnung tragen soll; und drittens endlich in Richtung auf substanzielle Themen der normativen Ethik und der Politik, vor allem der Demokratie und der Gerechtigkeit. Weinbergers Forschungen in die erste Richtung haben ihn zu einer allgemeinen Theorie des Rechts geführt, die er als Institutionalistischen Rechtspositivismus bezeichnet. Einige seiner frühen Beiträge hierzu finden sich - zusammen mit Arbeiten von Neil MacCormick, der ähnliche Auffassungen vertritt - in dem Band Grundlagen des institutionalistischen Rechtspositivismus (Berlin 1985); einen knappen Überblick bietet das Lehrbuch Norm und Institution (Wien 1988). Was den zweiten Forschungsschwerpunkt betrifft, so hat Weinberger zwar nicht die angestrebte umfassende Theorie des praktischen Denkens, aber doch eine Reihe origineller und interessanter Beiträge zur Theorie der praktischen Rationalität und zur Handlungstheorie geliefert, von denen die wichtigsten in dem Band Alternative Handlungstheorie (Wien 1996) enthalten sind. Die dritte Richtungsverschiebung zeichnet sich in einer ständig steigenden Zahl von Beiträgen zu aktuellen Themen der Ethik und der Rechtspolitik ab, in denen Weinberger sich zwar weiterhin um eine formal-neutrale Analyse der in Betracht stehenden Argumentationsfelder bemüht, darüber hinaus aber auch als aktiver Teilnehmer der politischen Debatte, gewissermaßen als Bürger, Stellung bezieht. Mehrere dieser Beiträge sind in dem Sammelband Moral und Vernunft (Wien 1992) sowie in dem gemeinsam mit Michael W. Fischer verfaßten Band Entartete Ideale (Graz 1992) enthalten.

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Vorwort der Herausgeber

Viele von Weinbergers Schriften sind leicht zugänglich, so vor allem jene, die in Gestalt von Monographien und Sammelbänden vorliegen, von denen nicht wenige noch im Buchhandel erhältlich sind (derzeit etwa 10 Werke in deutscher Sprache, wozu mehrere Ausgaben in englischer, tschechischer und italienischer Sprache kommen). Aber neben diesen Schriften gibt es eine ständig wachsende Zahl von Aufsätzen, die in vielen verschiedenen Fachzeitschriften und Sammelbänden in aller Welt erschienen sind und darum nicht ohne weiteres, jedenfalls nicht ohne erheblichen Aufwand, zugänglich sind. Um diesem bedauerlichen Zustand etwas abzuhelfen, nehmen wir den runden Geburtstag von Ota Weinberger zum Anlaß, eine Auswahl seiner wichtigsten Aufsätze aus den letzten Jahrzehnten zusammen mit einer intellektuellen Autobiographie des Jubilars zu präsentieren. Wir danken Ota Weinberger, der die großen und kleineren Katastrophen der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts wie kaum ein anderer Denker am eigenen Leben erfahren hat, daß er bereit war, für diesen Band eine intellektuelle Autobiographie zu verfassen, die sicher viele Leser interessieren wird. Die daran anschließende Auswahl von Aufsätzen ist in drei Teile gegliedert, die im großen und ganzen den früher erwähnten Schwerpunkten seines wissenschaftlichen Schaffens entsprechen. Der erste Teil bietet Arbeiten zur Logik und Methodologie der praktischen Philosophie, jenem Gebiet, dem sich Weinberger durch alle Phasen seines Wirkens mit anhaltendem Interesse gewidmet hat. Der zweite Teil versammelt Arbeiten zur Rechtstheorie, Ethik und Gerechtigkeitstheorie, worüber Weinberger erst relativ spät zu publizieren begann, weil er in der eS SR, deren stalinistisches Regime ihn wegen politischer Unbotmäßigkeit bereits aus dem richterlichen Dienst geworfen und zum Schlosser degradiert hatte, nicht öffentlich dazu Stellung nehmen konnte, ohne sich weiteren Repressionen auszusetzen. Der dritte Teil schließlich umfaßt Arbeiten zur Demokratietheorie und anderen politischen Fragen, zu denen Weinberger vor allem seit seiner Emeritierung nicht nur in zunehmendem Umfang, sondern auch mit wachsendem Engagement Stellung bezieht. Wir entbieten dem Jubilar unsere herzlichsten Glückwünsche und wünschen ihm noch viele gute Jahre voller Gesundheit, Lebensfreude und Schaffenskraft. Wir danken Frau Hofrat Dr. Dorothea Mayer-Maly für die fundierte und sorgfältige Vorbereitung des Manuskripts und Herrn Univ.-Ass. Dr. MMag. Günther Kreuzbauer für die Durchführung der Korrekturen. Unser Dank gilt ferner der Steiermärkischen Landesregierung und dem Schachner-Fonds für die finanzielle Unterstützung der Herausgabe dieses Bandes und schließlich Herrn Prof. Dr. h. c. Norbert Simon für die freundliche Bereitschaft, den Band in das Programm des Verlages Duncker & Humblot aufzunehmen. Michael Fischer

Peter Koller

Werner Krawietz

Inhaltsverzeichnis Aus intellektuellem Gewissen. Ein Rückblick auf mein wissenschaftliches Leben ......

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I. Logik und Methodologie der praktischen Philosophie The Logic of Nonns Founded on Descriptive Language .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prima Facie Ought. A Logical and Methodological Enquiry ............................

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'Is' and 'Ought' Reconsidered. Comment on G. H. von Wright's Lecture "Is and Ought" ..............................................................................

75

Rationales und irrationales Handeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Freedom, Range for Action, and the Ontology of Nonns ............................... 121 Handlungsentscheidung als Optimierungsprozeß ........................ . ... . . . ... . .... 137 Zwecke, Werte und Nonnen in dynamischer Perspektive. Moraltheoretische, soziologische und demokratietheoretische Implikationen ..................................... 147 Wissensaussage und die Unmöglichkeit ihrer Objektivierung. Kann der Satz ,p' durch den Satz ,S weiß, daß p' begründet werden? ......................................... 165

11. Rechtstheorie, Ethik und Gerechtigkeitstheorie Logical Analysis in the Realm ofthe Law .............................................. 187 Die Revolution in der Rechtssatztheorie ....................... . . . .............. . . . . . .. 199 Natürliche Konstituenten der Gerechtigkeit ............................................ 209 Moral - retrospektiv oder prospektiv? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 229 Moral zwischen Autonomie und Heteronomie ......................................... 249 Die fonnal-finalistische Handlungstheorie und das Strafrecht ...... . ................... 265

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Inhaltsverzeichnis

Verfassungs theorie vom Standpunkt des neuen Institutionalismus

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Der Neo-Institutionalismus als Basis der inhaltlichen Rechtsbetrachtung ............... 305 Objectivity and Impartiality in Moral and Legal Argumentation ............ . ........... 323

III. Demokratietheorie und andere politische Fragen Zur Theorie der politischen Argumentation ........... . . . . . . . . . ........................ 329 Überzeugen als Aufgabe ............................................................... 347 Habermas on Democracy and Justice. Limits of aSound Conception ................... 367 Diskursive Demokratie ohne Diskursphilosophie ............ . . . . . ...................... 381 Demokratie am Prüfstand .............................................................. 391 Angst vor dem menschlichen Wahn ............................... . ......... . . . ........ 405 Souveränität in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 433 Maastricht-vertrag und die Theorie der Aufgabennormen .............................. 443 Monofinale Ideologien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 453

Quellenverzeichnis ................................................................... 467

Aus intellektuellem Gewissen Ein Rückblick auf mein wissenschaftliches Leben

Anlaß für die Abfassung dieser wissenschaftlichen Autobiographie ist der nahende achtzigste Geburtstag, der Grund, warum ich diese rückblickende Selbstreflexion mit einer gewissen Freude und mit Interesse vollziehe, ist nicht die Vorstellung, daß mein persönliches Leben wichtig ist und für den Leser interessant sein könnte, sondern der Versuch, mich selbst zu verstehen - und daher auch für andere verstehbarer zu werden - sowie die genetische Erklärung meiner Ideen, Einstellungen und Konzeptionen durch das Aufweisen jener entscheidenden Schritte in meinem Leben zu geben, die den Rahmen meines Denkens und Forschens bildeten. Die Detenninanten meiner Gedanken waren natürlich - wie immer - äußere Umstände und persönliche Besonderheiten des Charakters und des Geistes in einem schwer zu entwirrenden Gemisch. Relevant waren nicht nur positive Eigenschaften, vor allem zwei Eigenschaften, (a) Probleme zu sehen, und (b) eine ziemliche Ausdauer bei der Suche nach Antworten, sondern auch meine Schwächen, kein besonders gutes Gedächtnis, kein Sprachentalent und keine rhetorisch-journalistischen Fähigkeiten. Von früher Kindheit an vertraute ich auf mein rationales Denken, nicht aber auf mein Gedächtnis und Wissen. Die bekannte kindliche Frage "Warum?" hat mein Denken durchgängig geprägt: Das Studium der Begründungen und ihre kritische Prüfung sowie Überlegungen über Methoden der Erkenntnis waren immer Gegenstand meines vorrangigen Interesses. Vielleicht war es gerade die Beschränktheit meiner Gedächtniskapazität, die dazu geführt hat, daß ich niemals besonders bemüht war, ein hochgebildeter Mann zu werden, sondern mein Interesse auf Problemanalysen, Strukturen und Argumentationen zu lenken. Es ist daher kein Zufall, sondern eine Folge meiner Persönlichkeitsstruktur, daß ich mich oft mit Problemen befaßte, für deren Bewältigung ich meiner Bildung nach nicht hinreichend vorbereitet war. Ich habe auch akademische Berufe ergriffen, zu denen mir die fonnal vorgesehene Vorbildung fehlte: Ich wurde Dozent für Logik, hatte aber ein Doktorat der Rechte, und Professor für Rechtsphilosophie, war aber habilitiert für Logik. Antrieb für meine wissenschaftlichen Bemühungen war immer das Problembewußtsein, die Sehnsucht zu verstehen, die Freude des Antwortensuchens und kaum je Bildungsstreben oder der Wunsch, den Status eines Gelehrten zu erlangen. Ich habe dieser Selbstreflexion die Überschrift "Aus intellektuellem Gewissen" gegeben, um anzudeuten, daß für mich Wissenschaft, und vor allem sozialwissenschaftliche Theorien, nicht bloßes schöngeistiges Spiel ist, sondern die Vorberei-

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tung von Bausteinen unseres Lebens und ein Beitrag zur Bestimmung der Lebensform der Gesellschaft. Aus zwei sehr verschiedenen Gründen schien es mir wichtig, die Relevanz der wissenschaftlichen Untersuchungen sowie der philosophischen Überlegungen zu unterstreichen, und hierdurch auszudrücken, daß Wissenschaft und Philosophie Verantwortung haben, d. h. eben Fragen des Gewissens sind: 1. Ich habe mich oft mit sozusagen rein theoretischen Problemen befaßt, so daß bei einer oberflächlichen Betrachtung meiner Bemühungen der Eindruck einer Realitätsferne und Irrelevanz für das praktische Handeln und Werten entstehen könnte. Theorien sind in gewisser - wenigstens indirekter Weise - immer pragmatisch relevant; und in meinem Denken und in der Art, wie ich meine Arbeit selbst erlebt habe, war immer wenigstens implizit, aber weitgehend auch bewußt, intellektuelles Bewußtsein beteiligt: Ich war immer davon überzeugt, daß ich durch theoretische Ergebnisse auch pragmatisch etwas bewirken kann. Z. B. wenn ich für die rationale Analyse in der praktischen Philosophie eintrat, war das für mich auch Ausdruck des Bestrebens, klarer in Fragen der Moral und der Gerechtigkeit zu sehen. Mein kritischer Kampf gegen die Sanktionstheorie des Rechts (genauer: des Rechtssatzes) galt auch bewußt dem Streben, das Rechtsleben und die Lenkung der Gesellschaft nicht primär repressiv zu konzipieren, sondern prospektiv und konstruktiv. Es ging mir auch darum, Platz zu schaffen für Überlegungen eines social engineering. Man kann mir vorwerfen (und wenn ich heute rückblickend urteile, scheint mir der Vorwurf nicht unberechtigt), daß ich die pragmatischen Perspektiven meiner Untersuchungen nicht ausreichend diskutiert habe. Es ist wichtig, die Argumentation rein sachlich zu gestalten und alles zu vermeiden, was den Anschein erwecken könnte, die Beweisführung in der untersuchten Frage sei von vorschwebenden Zielen bestimmt, diene einer politischen oder sonstwie pragmatisch-ideologischen Einstellung. Insoweit ist eine theoretisch reine Argumentationsweise adäquat. Erst in einer zweiten Phase können und sollen pragmatische Folgerungen gezogen werden. 2. Im politischen Leben und in der Praxis der Beurteilung von politischen Verbrechen, Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtlichen Missetaten - Genozid, ethnischen "Säuberungen", Massenverfolgungen u.ä. - werden fast nur die Exekutoren - sozusagen die letzten Henkersknechte - und eventuell die direkt anordnenden Instanzen kritisiert und eventuell gerichtet, aber die geistigen Väter werden als Irrende hingestellt, nicht als die eigentliche Quelle der Verbrechen. Man macht, als sei die Lehre nur flatus vocis, nicht das gesellschaftlich wirkende Agens, das die moralisch-politische Verantwortung hat, und daher als primärer Träger der Schuld gelten sollte. War nun Hitler, Heidrich, Eichmann und wie sie alle heißen schuld am Holocaust, nicht auch Gobinau, Rosenberg und die nazistischen Biologen sowie die Propagatoren des Sozial darwinismus schuldig? Kann man die Greuel der Hexenverfolgungen den Henkersknechten anlasten ohne die Kirchen und Theolo-

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gen als geistige Vater und organisatorische Initiatoren primär schuldig zu sprechen? Ich weiß, daß sich Rechtsprozesse mit den geistigen Urhebern kaum realisieren lassen, aber es scheint mir notwendig, das intellektuelle Gewissen zu mobilisieren, und zwar sowohl bezüglich der geistigen Vater historischer Greuel als auch jener, die aus Karrierismus oder anderen Utilitätsmotiven antihumane Bewegungen unterstützten und realisierten. Ich wollte mit dem Hinweis auf das intellektuelle Gewissen als Motiv meiner wissenschaftlichen und philosophischen Arbeit nicht behaupten, daß dies meine ausschließliche Triebfeder oder das stärkste Motiv war. Man handelt nicht aus einem einzigen Motiv - dies ist eine der Grunderkenntnisse meiner Handlungstheorie -, sondern das Handeln ist eine Resultante aus einer Vielzahl von Motiven, die uns sicherlich nicht immer voll bewußt sind. Zweifellos spielte bei mir auch eine Art sportlicher Freude, etwas erkannt, eine These bewiesen oder eine gängige Meinung widerlegt zu haben, eine wesentliche Rolle. Ich darf aber behaupten, daß intellektuelles Gewissen - neben anderen Momenten - bei mir immer mit im Spiel war, und mich erfolgreich davon abgehalten hat, aus Vorteilsgründen oder Karrierestreben Meinungen zu vertreten, die ich in Wirklichkeit nicht hatte. (Ich bin z. B. nicht in die Kommunistische Partei eingetreten, obwohl dies eine ernste Bedrohung meiner beruflichen und wissenschaftlichen Existenz mit sich brachte.) Ich war nie politisch tätig (mit Ausnahme der kurzen Periode des Prager Frühlings), weil ich mich hierfür nicht als talentiert betrachtete. Vielleicht auch deswegen, weil ich in jungen Jahren hierfür zu schüchtern war, und jedenfalls auch deswegen, weil demokratische politische Aktivität Tätigkeit im Rahmen von politischen Parteien bedeutet, wobei ein gewisses Maß von intellektueller Parteidisziplin immer gefordert ist, was ich nie akzeptieren könnte. Ich stamme aus einem sehr toleranten und offenen Familienmilieu und bin in meiner Jugend auch in einer demokratisch denkenden Welt der Tschechoslowakei nach dem Ersten Weltkrieg aufgewachsen, habe dann aber auch in ideologisch gebundenen und unfreien Systemen gelebt: Der Nazi-Welt, dem Protektorat, der ideologisch schwankenden Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum eindeutig stalinistischen System; als 68-Emigrant wurde ich zwar sehr freundlich, aber gelegentlich auch mit Mißtrauen in Österreich aufgenommen. Also in vieler Hinsicht ein Lebensweg, in dem sich oft die Frage des intellektuellen Muts stellte, wo Gelegenheit war, zwischen Zivilcourage der eigenen Meinung und der möglichen Utilitäts- und Vorteilsstandpunkte zu entscheiden. Rückblickend muß ich mir daher die Frage stellen, ob ich und in welchem Ausmaß ich fahig war, intellektuellen Mut in der Praxis zu realisieren. Ich weiß keine überzeugende Antwort: Ich war sicher mutiger als viele andere; ich habe aber wahrscheinlich manchmal geschwiegen, wo ich nicht hätte schweigen sollen. Die Wertung fällt schwer, denn die Entscheidung lag zwischen der objektiven Unmöglichkeit, der Selbstvernichtung und einer gewissenlosen elastischen Anpassung. Ich habe vielleicht manchmal ungebührlicherweise geschwie-

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gen, habe es aber vermieden, Meinungen oder Einstellungen vorzutäuschen, die ich nicht hatte. Ein Beispiel möge meine Handlungsweise und meinen Weg zwischen absoluter Prinzipientreue und Nachgiebigkeit illustrieren. In meinem Hochschullehrbuch der Logik für Juristen (1. Aufl. 1958) hatte ich ein Kapitel über die Diskussion, das ganz im Geiste der Masarykschen Konzeption "Demokratie ist Diskussion" abgefaßt war. Ich wurde von dem politischen Gutachter vor die Alternative gestellt, das Kapitel zu streichen oder das Buch würde nicht publiziert. Nach einigen Diskussionen habe ich zugestimmt, daß das Kapitel über die Diskussion ausgegliedert wurde. Ich weiß nicht genau, wie ich meine intellektuelle Zivilcourage werten soll; die Grenze war für mich, nicht das zu lehren, was ich für falsch hielt. Wie mich das stalinistische System wertete, zeigen zwei Situationen: Bei der sogenannten Demokratisierung der Universität, sie diente in Wirklichkeit dem Herausschrniß der Nicht-Marxisten und ideologischen Gegner, kam man zum Urteil (das ich zufällig durch eine Bekannte erfahren habe): Er nutzt seine Kenntnis des Marxismus zu dessen Bekämpfung; aber ich wurde nicht herausgeschmissen. Ich war Dozent für Logik an der Karls-Universität zu Prag und Parteimitgliedschaft war eine Vorbedingung für diesen Beruf. Die Fakultätssitzung faßte daher den Beschluß, ich sollte ehest von meinem Posten entfernt werden, doch hatte niemand die Absicht, diesen Beschluß zu realisieren, und meine Kandidatur der philosophischen Wissenschaften (CSc.) wurde bei derselben Sitzung vom selben Gremium gebilligt, was einen gewissen Anspruch auf eine akademische Fachstelle implizierte. Pragmatische Paradoxa? Ich glaube man erkannte mich als ideellen Gegner, aber respektierte mich in gewisser Weise auch in dieser Rolle. Ich kenne auch Situationen, wo ich heute meine, ich hätte doch mutiger auftreten können und sollen. Auch heute erscheint es mir wichtig, den Mut zur dissenting opinion aufzubringen, denn auch in der demokratischen Welt gibt es ideologische Täuschung und Indoktrination. Das Postulat des intellektuellen Gewissens gilt für den Wissenschaftler in jeder politischen Situation! Zwischen Zivilcourage und Karriere besteht immer ein gewisser Konflikt. Zivilcourage ist nicht nur von der moralischen Kraft abhängig, sondern auch vom Selbstbewußtsein und der Wertung, die man in der Gesellschaft genießt. (Man bedenke, daß alle Dissidenten - von Sacharow bis Havel - fachlich hochgeschätzte Persönlichkeiten waren. Ein unqualifizierter Hilfsarbeiter hat nicht die Möglichkeit, eine solche gesellschaftliche Rolle zu spielen.)

1. Überlegungen zur Methodologie der rückschauenden Selbstreflexion

Es scheint, wenigstens von einem oberflächlichen Standpunkt aus, daß der Akteur einen privilegierten Zutritt zur Erkenntnis der Absichten hat; ein anderer, ein

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Beobachter des Verhaltens und Handeins eines Subjekts kann nur hypothetisch deutend erkennen, wozu die Handlung dienen sollte. Vergleichende Erfahrung, ein gewisses deutendes Einleben in die Verhaltensweisen der anderen sowie Mitteilungen des Handelnden, erlauben es dem Beobachter, Hypothesen über den Charakter der Handlung aufzustellen. Ist die selbstreflexive Pespektive wirklich prinzipiell anders, ein bloßes sich Erinnern an früher erlebte handlungsbestimmende Prozesse? Ist für den Akteur das Wissen um die Motivation seines Wahlverhaltens und Handeins prinzipiell transparent? Oder kann es für den Handelnden - wenigstens manchmal - problematisch, ja sogar unverständlich sein, warum er so gehandelt hat, wie er es tat? Bei der Analyse dieser Frage sehe ich ab von der Möglichkeit täuschenden Gedächtnisses und von der Möglichkeit, daß der reflektierende Akteur sein Handeln vor sich oder anderen bewußt rechtfertigen möchte. Die Prozesse der Handlungsbestimmung sind in den meisten Fällen keine vollbewußten Operationen. Sie werden nur explikativ als rational strukturierte Prozesse modelliert oder rekonstruiert. Ich behaupte daher, daß die selbstreflexive Analyse im wesentlichen in ähnlicher Weise Interpretation des eigenen Verhaltens ist, wie dies von der Fremdinterpretation gilt. Was wir mit welcher Intensität vorziehen, kennen wir selbst nicht immer als Präferenzurteil, sondern erst der Wahlakt zeigt unsere wahre Präferenzeinstellung an. Die direkte Selbsterfahrung des Akteurs ist nur ein die Selbstinterpretation bestimmendes Moment. Wenn wir noch in Rechnung ziehen, daß oft tiefenpsychologische Momente unser Selbstbild verzeichnen können, dann wird man einsehen, daß selbstreflexive Sicherheit keineswegs eine psychologische Selbstverständlichkeit ist, und daß vielmehr auch bei der Selbstinterpretation Kritik am Platze ist, jedenfalls vieles hypothetisch bleibt. Der rückblickend Analysierende wird sich sicherlich auch die Frage stellen, was an dem Verlauf seines Lebens Schicksal - äußere und innere Umstände - waren, und was durch sein Entscheiden und Handeln geformt wurde. Die Annahme ist offensichtlich wohlbegründet, daß die Gestaltung des Lebensweges durch ein Zusammenspiel der beiden Determinanten: äußere Bedingungen und Entscheidungen, bestimmt wird. Aber es gelingt uns kaum, die beiden Momente zu entwirren. Das betrifft sowohl die Gestaltung unseres persönlichen Lebens: menschliche Beziehungen, Freundschaften, Familie, als auch unseren beruflichen und intellektuellen Entwicklungsweg. Die kontrafaktuale Frage "Was wäre gewesen, wenn ich (wenn ich nicht) ... " drängt sich auf. Gesicherte Antworten können wir kaum finden. Es bleibt aber wenigstens das dunkle Gefühl, daß in meinen Selektionsweisen, ebenso wie in meinen Stärken und Schwächen, doch ein wesentlich bestimmender Faktor wirksam war, so daß die These von Karel Capek ,,Mein Charakter ist mein Schicksal" ein Stück des Wesentlichen trifft. Aber mein Charakter ist keine fixe Gegebenheit meiner Person, sondern selbst eine Charakteristik, die das Leben, durch den Weg und die Serie meiner Verhaltens- und Handlungsweisen sowie die Erfahrungen im Zusammenleben mit den Mitmenschen geformt und transformiert wird. [Vergleiche die Kant-Schopenhauersche Gegenüberstellung des intellegiblen und empirischen Charakters; mir scheint es wichtig, einerseits eine gewisse Konstanz

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der Charakterstruktur zu sehen, und andererseits charakterfonnende Momente des Lebenswegs in Rechnung zu ziehen.] Die äußeren Umstände des Lebens sieht der Beobachter direkter als ein sich selbst Betrachtender. Für diesen erscheinen äußere Bedingungen einerseits in subjektiver Perspektive, andererseits sind sie für ihn sekundäre Mittel für die Erklärung persönlicher Eigenheiten. Die selbstreflexive Analyse wird versuchen, prägende Umstände sowie Schlüsselpunkte aufzufinden, die den Lebensweg bestimmt haben, ebenso wie Entscheidungen und Handlungen, die für die Zukunft richtungsbestimmend waren. Prägend sind die Umstände, Schlüsselerlebnisse und Wegentscheidungen in zweierlei Hinsicht: sie bestimmen unser Wesen, unsere Lebensstimmung und unsere Ansichten (es sind sozusagen subjektive Ideologiedetenninanten). Der Rückblick auf unser Leben gelangt notwendigerweise auch zu moralischen Selbstwertungen, zur Frage der Verantwortung für unsere Handlungen, Unterlassungen und Gewohnheiten. Dabei ist zu bedenken: wir handeln prinzipiell unterinformiert. Unser Wissen und der Bereich unseres Vorhersehens reichen dazu in der Regel nicht aus, eine hinreichende Begründung für die Adäquatheit der Entscheidung zu geben. "War es zum Schaden oder Frommen" zeigt erst die Zukunft, und die Folgen des Handeins sind nicht klar vorhersehbar. Gute Absicht kann schlimme Folgen haben. Es schmerzt, nicht wollend Böses bewirkt zu haben, aber man muß damit leben - möglichst ohne Gewissensbisse. Wenn unsere Handlungen in guter Absicht Böses hervorruft - wer hat dies nicht erlebt? - ist dies kein Grund zu Gewissensbissen, aber Trauer empfinde ich darob dennoch. Die Menschen haben eine Tendenz, Erfolg oder Mißerfolg und das Schicksal überhaupt als Lohn oder Strafe zu deuten oder wenigstens als Effekt von persönlicher Leistung oder des Versagens. Schicksal als Lohn oder Strafe zu interpretieren - was man oft unter religiösen Gesichtspunkten macht -, halte ich nicht für wohlbegründet. Es gibt zwar einen moralisierenden Traum von der Übereinstimmung von Wohlergehen und moralisch gutem Handeln, doch ist die Welt und das Schicksal im ganzen nicht gerecht. Auch der Stolz über Erfolge als Zeichen der Leistung ist nur sehr beschränkt gerechtfertigt, ebenso wie Mißerfolg kein klarer Beweis des persönlichen Vers agens ist. [Zweck meiner Selbstreflexion ist es nicht, über Selbstwertgefühle zu entscheiden, sondern die Beziehung zwischen Intention und Realisation aufzudecken, ohne eine Rechtfertigung anzustreben.] Die Bedeutung der Erziehung und der geistigen Einflüsse lassen sich recht gut auffinden, denn sie sind als Gründe der vertretenen Meinungen erkennbar. Das Bild unseres intellektuellen Lebens ist aber kein reines Konstrukt, das aufgebaut ist auf Gründen, sondern auch ein Ergebnis von Haltungen und Voraussetzungen, die uns determinieren ohne zum klaren Bewußtsein zu kommen. Die Erklärung der Entstehung unseres Weltbildes ist wenigstens teilweise hypothetisch; dennoch kann die Selbstreflexion dazu führen, daß wir uns besser verstehen. Es ist sinnvoll und interessant, die theoretischen Konzeptionen in ihrer genetischen Verkettung

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als Ergebnis von Erkenntnisschritten zu sehen. Dies sollte eine SeIbstreflexion über das wissenschaftliche Leben leisten.

2. Der biographische Rahmen

Meine Vaterstadt Brno (Brünn) in Mähren war gemischtsprachig mit nicht scharf getrennten Bevölkerungsgruppen. In der Tschechoslowakei nach dem Ersten Weltkrieg traten chauvinistische Bewegungen kaum hervor. In meiner Familie herrschte ein freier Geist, weder nationale noch religiöse Vorurteile wurden mir anerzogen. Ich genoß keinen Religionsunterricht; auch meine Schulen waren bis zum Aufstieg der Nazi-Ideologie tolerant und nicht ausgeprägt nationalistisch. Mitte der Dreißigerjahre sollte sich das ändern. Meine demokratische und antichauvinistische Einstellung ist keine von mir erarbeitete Leistung, sondern eine Marke meiner familiären Erziehung in einer sehr assimilierten jüdischen Familie. Eine gewisse Lebensunsicherheit in meiner Jugend resultierte vielleicht aus der schlechten Ehe meiner Eltern, die sich knapp nach meinem zehnten Geburtstag scheiden ließen. Es war wohl eine Folge meiner Erziehung und vor allem der Einfluß meiner Mutter, daß mich moralische Probleme immer beschäftigt haben. Ich war immer ein Zweifler (oft auch ein Non-Sayer). Gerade deswegen mein Bestreben, die rationale Struktur der Moralargumentation zu untersuchen. Ich glaubte und glaube daran, daß unsere Vernunft ein Instrument des effektiven und des moralischen Handelns ist, aber nicht im kognitivistischen Sinne, daß die Vernunft allein das richtige Sollen bestimmen könnte. Das moralische Suchen war neben juristischen Strukturproblemen der Grund, warum ich bemüht war, rationale Analysen soweit als möglich im Feld der Praxis (d. h. des HandeIns) voranzutreiben. Ich war schon als Kind eine eigenartige Mischung aus Schüchternheit und Selbstbewußtsein. Schüchtern war ich z. B. bei Redeübungen in der Schule, aber selbständig, selbstbewußt im Vertrauen auf meine Urteilsfähigkeit. Es ist für mich schwer abschätzbar, wie sich die rassistische Verfolgung und das Erleben des Holocausts psychisch und auf meinen Charakter ausgewirkt haben. Verfolgungen veredeln den Menschen sicherlich nicht, weder den Verfolgten noch den Verfolger. In meiner persönlichen Reaktion gab es nicht vorherrschende Haßgefühle, sondern Trauer. Und ein Stück Ernst und Trauer ist in meiner Seele unausrottbar zurückgeblieben, obwohl ich an diese Zeit selten denke. Immer wieder beschäftigen mich aber Fragen, die einerseits Residuen meines Erlebens als Geächteter und Verfolgter sind, die aber andererseits auch in allgemeiner Form im aktuellen politischen Leben präsent sind. Einige Gedanken zu diesen Problemen möchte ich hier andeuten. (i) Das Problem der Massenverfolgungen sollte man nicht nur als Problem der Judenverfolgungen und des nazistischen Holocausts sehen; die Judenverfolgungen 2 Weinberger

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haben zwar einige spezifische Züge, aber politologisch ist das Problem der Massen verfolgungen allgemeiner zu sehen, vor allem als Problem der Ausrottungsideologien mit ihren zwei Seiten: der ideologischen Wahn theorie und der Vorstellung, daß durch Ausrottung von Menschen das Böse aus der Welt geschafft werden könne. (ii) Es ist für mich verwunderlich, daß Menschen wie ich und Du, vernünftige Menschen, Menschen mit im Prinzip intaktem Ethos, so vollkommen ideologischen Wahnvorstellungen - seien sie rassistischer, religiöser, chauvinistischer oder sozialer Art - unterliegen können und im Dienste dieser Vorstellung zu unglaublichen Greueltaten fähig werden. Ich habe daher kein Verständnis für die Meinung, man sollte mit blinder Begeisterung für seine Ideale - die doch ideologieanfällig sein können - eintreten; blinden Glauben zu verherrlichen, ist verantwortungslos und moralisch pervers; für mich ist im Gegenteil kritische Reflexion auch gegenüber der eigenen weltanschaulichen Gruppe das entscheidende Postulat. Angesichts der historischen Erfahrungen mit leichtfertigen Ideologien ist dies m.A.n. das Grundpostulat des intellektuellen Gewissens und der humanistischen Verantwortung. (iii) Die Geschichte zeigt, daß GreueItaten einerseits ideologisch begründet werden und daß zu ihrer Realisierung ideologische Organisationen geschaffen werden, die zur kollektiven Massenaktion erforderlich sind. Verantwortungsvolle Kritik muß auch hier zur Geltung kommen. Es müssen die Bedingungen der diskursiven Offenheit der Gesellschaft angestrebt werden. Und die besteht auch in der modernen Inforrnationsgesellschaft nur partiell. Der intellektuelle Lebensweg wird durch die Lehre und das Studium der philosophischen und wissenschaftlichen Literatur bestimmt, doch auch dadurch, wie diese Einflüsse verarbeitet werden. Es würde mir nicht gelingen, ein treues Bild dieser prägenden Einflüsse darzustellen. Daher nur einige Hinweise. Ich war nie ein Bekenner einer philosophischen Richtung. Zweifellos gibt es Einflüsse auf mein Denken aus der Kantschen Philosophie: die Sein-Sollen-Dichotomie, die Unterscheidung von Analytischem und Synthetischem und die Trennung des Frameworks unseres Erkennens und Denkens vom empirischen Gehalt. Wie fast alle Denker unserer Zeit hat mich die analytische Philosophie beeinflußt; ich sehe Sprache, Begriffsapparatur und Kommunikation als wesentliches Element der philosophischen Untersuchung an, jedoch nicht im Geiste der Ordinary Language Philosophy, die den richtigen Sprachgebrauch als philosophisches Argument verwendet - m.E. eine verkehrte Auffassung -, sondern im Sinne eines auf die Prüfung der Argumentationen gerichteten rationalen Rekonstruktivismus. Ich betrachte die modemen logischen und kommunkationstheoretischen Konzeptionen als relevant für alle philosophischen und rechtstheoretischen Untersuchungen, nicht in dem Sinne, daß die Symbolsprache und die üblichen Kalküle angewendet werden müßten, sondern in der Weise, daß der Geist und die Methodologie der Logik die philosophische Analyse zu fundieren haben.

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Frantisek (Franz) Weyr, das Haupt der Brünner Schule der Reinen Rechtslehre, hat mich nicht nur zur allgemeinen Strukturtheorie des Rechts und zu einem normativistischen Logizismus geführt, sondern er hat mich durch seine Frage, ob Normen Urteile im Sinne der Logik sind, auf das Problem der Normenlogik aufmerksam gemacht, denn ich habe seine Frage sofort als Kurzformel für das Problem verstanden, ob es logisches Schließen mit normativen Gliedern gibt, und ob diese logischen Beziehungen von Normen und Normenfolgerungen mit den Mitteln der bestehenden Logik, die ganz auf Aussagen und deren Bestandteile gerichtet ist, behandelt werden können. Und ich glaube, Weyr selbst hat die Frage auch in diesem Sinne gemeint. Das Problem der logischen Analyse in der praktischen Philosophie bleibt eines meiner zentralen Anliegen. Meine Einstellung zur Reinen Rechtslehre war immer ambivalent, näher der Weyrschen Brünner als der Kelsenschen Wiener Schule. Der Titel meines Aufsatzes aus dem Jahre 1982 "Reine Rechtslehre: pro und kontra" ist übernommen aus einem unveröffentlichten Manuskript aus meiner Studienzeit. Ich akzeptierte die Idee der normativistischen Strukturtheorie des Rechts und seiner Dynamik, sowie die Unterscheidung von Betrachtungen de lege lata und de lege ferenda, nicht aber das Reinheitspostulat: Rechtsgeltung war für mich immer ein soziales Faktum. Obwohl ich immer an logischen und methodologischen Problemen interessiert war, bin ich eigentlich über die Rechtsphilosophie zur Normenlogik und zur Logik überhaupt gelangt. Die Tatsache, daß meine Überlegungen über Normen und die logische Analyse im Bereich des Sollens ohne vorangehendes Studium der Logik und ohne Hilfe von Lehrern oder Literatur stattfanden - es gab damals noch wenig, wohl aber die Arbeiten von Mally, Dubislav und Jr/Jrgensen -, machte mich unabhängig von der logischen Tradition und ermöglichte es mir, unbefangen Neuland zu beschreiten. In Theresienstadt (wahrscheinlich 1942) habe ich einen ersten Entwurf zur Logik der Normen verfaßt. Das Manuskript ist nicht erhalten geblieben, und an alle Einzelheiten erinnere ich mich nicht. Ich ging davon aus, daß Aussagesätze und Normsätze gleichermaßen Sachverhaltsbeschreibungen enthalten, die - je nachdem ob es um Aussagesätze oder Normsätze geht - durch verschiedene Aspekte (tschechisch: vid) gekennzeichnet sind. (Dies ähnelt markant der Hareschen Konzeption von Phrastic und Neustic.) Ich war davon überzeugt, daß es logisches Operieren in bei den Bereichen gibt. Seither kämpfte ich immer für die Entwicklung einer echten Normenlogik. Die Normenlogik ist zwar nicht als Bestandteil der Rechtsphilosophie anzusehen, da sie jedoch eine präjudizielle Frage der Rechtswissenschaft ist, betrachte ich meine Arbeiten auf dem Gebiet der Normenlogik auch als Beitrag zur Rechtsphilosophie. Karel Englis, ein enger Freund Weyrs, Nationalökonom, Finanzwissenschaftler und Logiker, hat den Versuch unternommen, zu beweisen, daß eine Normenlogik ein Ding der Unmöglichkeit ist. [In Hans Kelsens Spätlehre ("Allgemeine Theorie 2'

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der Normen", posthum hrsg. von K. Ringhofer und R. Walter, Wien 1979) werden diese Argumente des normenlogischen Skeptizismus übernommen und ausgebaut.] Ich habe Englis's Argumentation in einer Seminararbeit (1946) ausführlich kritisiert. Von den Professoren Weyr und Kubes wurde mir daraufhin angeboten, mich für Rechtsphilosophie zu habilitieren. Dies konnte aber nicht realisiert werden, da die Brünner Rechtswissenschaftliche Fakultät nach dem kommunistischen Umsturz geschlossen wurde. Meine Kritik an Englis habe ich damals nicht publiziert, da Englis politisch verfolgt wurde. Erst in meiner "Sollsatzproblematik in der modemen Logik", Prag 1958, ist ein Kapitel der Kritik von Englis normenlogischen Skeptizismus enthalten, das im wesentlichen dem Referat aus dem Jahre 1946 entspricht. Als Parteiloser zog ich es damals vor, als Logiker, nicht als Rechtsphilosoph zu arbeiten. Wahrend des Prager Frühlings habe ich mich intensiv im Klub der engagierten Parteilosen (KAN) betätigt, nicht um Politiker zu werden, sondern weil ich in dieser Situation die Möglichkeit der Überwindung des Stalinismus sah. Die geopolitische Situation, ein Band von Reformstaaten Polen, Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslawien bot eine Chance für eine friedliche Transformation und Abkehr vom Stalinismus, denen auch die DDR auf Dauer nicht hätte widerstehen können. Leider erkannten dies auch die ostdeutschen Stalinisten und drängten daher auf eine militärische Aktion, die durch die Unschlüssigkeit von Dubcek (keine Mobilisierung) relativ leicht gemacht wurde. Prag wurde über Nacht besetzt, und am Altstädterring, wo ich wohnte, standen fünf Panzer vor dem Haus. Ich wohnte dann einige Tage in Kniliky (nahe der polnischen Grenze) bei den Eltern meiner Freundin (und späteren Frau). Da der damalige österreichische Gesandte Rudolf Kirchschläger - entgegen der Weisung des österreichischen Außenministers Waldheim Pässe ausgab, konnten wir, meine Freundin und ich, aus dem besetzten Land ungehindert nach Wien fahren und am Weitkongreß für Philosophie, zu dem ich als Gast der Veranstalter eingeladen war, teilnehmen. Ich verließ die Tschechoslowakei nicht in der Absicht auszuwandern. Dazu habe ich mich erst später entschlossen wegen der begründeten Angst vor einer möglichen politischen Verfolgung. [KAN galt als proskribierte, nicht anerkannte Vereinigung, und ich hatte als Referent für Rechtsangelegenheiten die Verhandlungen um Anerkennung der Vereinigung mit dem Innenministerium geführt.] In Wien wurde ich sehr freundlich aufgenommen, vor allem von Prof. Günther Winkler. Ich bekam ein kleines Stipendium und einen Lehrauftrag. Nach einem Jahr erhielt ich eine Gastdozentur in Graz für Rechtsphilosophie und folgte später (1972) dem Grazer Ordinarius für Rechtsphilosophie Johann Mokre in dieser Funktion nach. Ich hatte also gute Arbeitsmöglichkeiten und viele Gelegenheiten zu internationalen kollegialen und freundschaftlichen Kontakten.

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3. Absicht und Wege meiner wissenschaftlichen Bemühungen Wenn ich auf das Feld meiner Arbeiten zurückblicke, fällt mir auf, daß die Arbeiten sehr verschiedenartige Probleme betreffen, aber dennoch scheint mir eine einheitliche Zutrittsweise vorherrschend zu sein, und im Großen und Ganzen dürfte doch eine Grundtendenz erkennbar sein, die mir auch immer bewußt war. Es gab auch arbeitsstrategische Überlegungen. So habe ich mich z. B. dafür entschieden, mich vorerst auf die Probleme der Normenlogik zu konzentrieren, obwohl ich mir der Zusammenhänge mit anderen Systemen des handlungsrelativen Denkens (vor allem der Teleologie und Axiologie) bewußt war. Bei einem Autor, der in erster Linie von seinem Problembewußtsein, vom Zweifel an herrschenden Konzeptionen oder mangelnder Einsicht in die relevanten Strukturen zu Untersuchungen motiviert ist, ist es nur natürlich, daß auch Arbeiten zustande kommen, die kaum etwas zur Lösung der Hauptaufgabe beitragen (z. B. meine Arbeit über das Leibnizsche Prinzip der identitas indiscemibilium, oder Überlegungen über die Unmöglichkeit der Objektivierung von Wissensaussagen. 1 Dagegen ist mein Versuch, die Struktur der nomischen Kausalaussagesätze extensi on al zu explizieren 2 , wegen der Beziehungen zwischen Handlung, Teleologie und Kausalität wenigstens indirekt mit der Grundabsicht meiner Forschung verbunden. Philosophische Kritik bereitete mir immer Freude, die Widerlegung ist im wissenschaftlichen Betrieb genauso wichtig wie die Konstruktion von Konzeptionen und deren Begründung - auch wenn sie nicht Fragen betraf, die im Feld meines Grundanliegens lagen. Manche kritische Überlegungen dieser Art haben dann sekundär - obwohl dies nicht primär beabsichtigt war - zu Konzeptionen beigetragen, die zu meinen Hauptanliegen gehören. Z. B. die Kritik der Theorien der Plausibilitätsargumentation brachte wichtige Implikationen für die politische Theorie mit sich. Ich war immer interessiert an sozialen und politischen Fragen, und habe die Strukturanalysen des praktischen Bereichs niemals bloß als schöngeistiges Spiel angesehen. Gegen Historiographie und Geschichtsphilosophie hatte ich aber eine sehr reservierte Einstellung, hauptsächlich aus zwei Gründen: 1. weil ich in diesen Arbeiten allerorts tendenzielles Deuten herausspürte, und 2. weil ich der Meinung war (und bin), daß die historisierende Betrachtungsweise kaum adäquate Anweisungen für praktisch-politisches Handeln gibt. Nur allgemeine Strukturerkenntnisse sind pragmatisch verwertbar.

1 O. Weinberger. Einige Bemerkungen zum Begriff der Identität, in: ders., Philosophische Studien zur Logik, Rozpravy CSAV, Prag 1964; ders., Wissensaussage und die Unmöglichkeit ihrer Objektivierung, Grazer Philosophische Studien 1, 1975. S. 101-120; S. 165 ff. dieses Bandes. 2 O. Weinberger. Der nomische Allsatz, Grazer Philosophische Studien 4, 1977. S. 31 - 42.

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Die zeitliche Sukzession meiner Untersuchungen bildet keine geplante Reihe, sie ist aber nicht zufällig, sondern die Untersuchungen sind durch vorangehende Ergebnisse und Konzeptionen bedingt. Die normenlogischen Studien und meine Überlegungen über die logischen Systeme des praktischen Denkens sind Vorbedingungen und Grundlagen der Strukturtheorie des Rechts und der juristischen Methodologie. Diese logischen Konzeptionen wurden nicht ohne Rücksicht auf ihre Anwendung in praktischen Disziplinen entwickelt. Analysen des Handlungsbegriffes gab es sowohl in der Normenlogik als auch in der Jurisprudenz, der Ethik, der Psychologie und Soziologie. Für meine theoretischen Konzeptionen bekam jedoch der Handlungsbegriff eine ganz andere Stellung: er ist für mich nicht nur interessant als Strukturelement der Norm, wie er in der deontischen Logik und der Logik der Normen auftritt, und die Theorie der Handlungen als VerhaItenstypen in der Psychologie, Ethik und Rechtsdogmatik erscheinen mir nicht nur als Explikation spezifischer Verhaltensphänomene, sondern Handeln als informationsgelenktes Verhalten wurde zum Grundbegriff der gesamten praktischen Philosophie sowie der Institutionentheorie. Die Handlungstheorie wurde an die Spitze der praktischen Philosophie gestellt und Handlungsfähigkeit wurde als anthropologische Grundcharakteristik des Menschen angesehen. In der Normentheorie - und in allem, was damit zusammenhängt - ist die Handlung nicht bloß ein Problem der Struktur des Norminhalts, sondern die Handlungstheorie wird als grundlegend angesehen, und der Charakter sowie die Funktion der Norm als mögliche Determinante des Handeins expliziert. Auch die Institutionen werden handlungstheoretisch expliziert, d. h. als Handlungsrahmen und als Basis von Interaktionen. Durch die handlungstheoretische Betrachtungsweise wurde nicht nur die Theorie der handlungsbezogenen Logiksysteme, Normenlogik, Teleologie, Axiologie und Präferenzlogik transformiert, sondern auch die Rechtstheorie, die Moralphilosophie und die anderen praktischen Disziplinen wie Soziologie und Ökonomie. Zum Konzept des normativistischen Institutionalismus (oder zum Neo-Institutionalismus, wie ich diese Auffassung heute der Kürze halber nenne) konnte ich nur dadurch gelangen, daß ich die Ingredienzien vorbereitet hatte: Normenlogik, die informationstheoretisch konzipierte Handlungstheorie und die an diese anknüpfende Institutionentheorie. Der Weg zu meiner Rechtstheorie war zwar nicht geplant, aber gestützt auf die sukzessive vorbereiteten Bausteine. Der weitere Weg ergab sich aus der Problemsituation, die sich uns heute offenbart: Überlegungen über Gerechtigkeit, Strukturprobleme der Demokratie, die durch die Beobachtung von aktuellen Erscheinungen nahegelegt wurden, waren Fragen, die zu behandeln ganz in der Linie meiner Grundtendenz lag.

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Ich glaube, der Weg, der durch die neo-institutionalistische Theorie aufgeschlossen wurde, ist noch nicht zu Ende: er mündet in das Arbeitsprogramm, die methodologischen Konsequenzen dieser Auffassung für einzelne Disziplinen auszuarbeiten, für die Jurisprudenz, die Ethik, die Soziologie, die politische Theorie und Ökonomie. (Ob ich die Lebenszeit und die Kraft haben werden, dies einigermaßen klar und überzeugend zu leisten, steht in den Sternen.)

4. Hauptprobleme meiner Forschung a) Nonnenlogik und andere Systeme des praktischen Denkens

Seit Hume und Kant ist die Anerkennung des Normsatzes (Imperativs) als spezifischer Satzkategorie, die Aussagesätzen gegenüberzustellen sind, zur communis opinio der Philosophen und Logiker geworden. Zweifel, ob Normsätze sinnvolle Sätze sind, kamen zwar im Gefolge der Verifikationstheorie der Satzbedeutung auf, wurden aber überwunden, umsomehr als die Verifikationstheorie der Bedeutung selbst für den Bereich der rein deskriptiven Sprache als überholt gilt. Der berühmte französische Mathematiker Henri Poincare hat darauf hingewiesen, daß die Folgerungsregeln der bisherigen Logik - sie war ausschließlich für Aussagesätze konzipiert - auf Normsätze (Imperative) nicht angewandt werden kann. Meiner Ansicht nach hat er hierdurch eine Problemsituation definiert, aus der die Aufgabe hervorgeht, eine Normenlogik zu schaffen. Daß keine Schlüsse mit normativen Gliedern existieren, hat er nirgends behauptet und wäre auch in Konflikt mit der Denkpraxis. Er hat nur die These aufgestellt, daß aus rein deskriptiven Prämissen nach den gegebenen Regeln der Logik keine Sollfolgerungen gewonnen werden können. Es ist unstrittig, daß die Denkpraxis sowohl des Alltags als auch jene in den normativen Disziplinen Schlüsse mit normativen Gliedern zieht und sie für evident erachtet. Nur die in der Logik eingeführte Definition der Folgerung (Inferenz) als Wahrheitsbeziehung führte J~rgen J~rgensen zu dem berühmten Dilemma, daß laut Definition der Inferenz wegen der Nicht-Wahrheitsfähigkeit der Normsätze (Imperative) - sozusagen ex definitione - keine norm logischen Inferenzen existieren können, aber in der Denkpraxis solche Operationen getätigt und als evident anerkannt werden. Für mich war es selbstverständlich, daß das J~rgensensche Dilemma beachtet und in folgender Weise beantwortet werden muß: (i) Der Folgerungsbegriff muß so verallgemeinert werden, daß er auch auf normenlogische Folgerungen anwendbar wird, wobei für den Fall rein deskriptiver Glieder der Folgerung der übliche wahrheitsfunktionale Inferenzbegriff bestehen bleibt. (ii) Diese Auffassung wurde durch die Erkenntnis unterstützt, daß es in der Logik auch andere als die wahrheitsfunktionalen Methoden der Ableitung von Folgen gibt; die axiomatische Deduktion

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oder die Logik der Ableitungsregeln (später haben Alchourron und Martino in dem Aufsatz ,Logic without Truth' eine Konsequenzlogik dargelegt). (iii) Die Tatsache, daß praktisch alle, welche die Möglichkeit einer echten .Nonnenlogik im Geiste von J~rgensen geleugnet haben, eine gewisse Ersatztheorie vorgeschlagen haben, um die unabwendbare Problematik der nonnlogischen Schlüsse - wenigstens scheinbar - in den Griff zu bekommen, belegt klar die pragmatische Notwendigkeit, eine Nonnenlogik zu erstellen. Die deontischen Logiken sind in der Regel an dem J~rgensenschen Dilemma stillschweigend vorübergegangen. Sie waren auch in anderen Momenten, die aus der Übernahme von Regeln der alethischen Modallogik folgten, problematisch, was ich zu beweisen versuchte. Auch die Idee der deontisch perfekten Welten bietet keine angemessene Theorie des nonnen logischen Folgerns, weil nach dieser Theorie eine Pflicht gefolgert werden könnte, die durch die Setzung der Prämissen nicht begründet ist. Da bei Sollsätzen die Möglichkeit der Nicht-Erfüllung besteht, gelten folgende von der deontischen Logik anerkannte Schlußfolgerungen nicht: (a)

Aus ,Op' folgt ,O(p V q)'

(b)

Aus ,O(p 1\ q)' folgt ,Op', ,Oq'

Von dem Augenblick, wo ich die infonnationstheoretische Konzeption der Handlung an die Spitze meiner Lehre gesetzt habe, hat sich meine Darlegung der Logik des praktischen Denkens etwas verändert und erweitert: Die semantische Trennung deskriptiver und praktischer Sätze erscheint als Postulat, das für die Theorie der handlungsbestimmenden Infonnationsverarbeitungsprozesse unabdingbar ist. Ich habe mehr Aufmerksamkeit der fonnalen Teleologie, der fonnalen Axiologie und der Präferenzlogik gewidmet (obwohl mir die Problematik von jeher bekannt war). Aus infonnationstheoretischen Gründen und wegen der logisch inakzeptablen Konsequenzen lehne ich die Unterscheidung Kelsens von ,Rechtsnonnen' und ,Rechtssätzen' sowie die analoge Unterscheidung von kognitivem und präskriptivem Sollen (Hedenius, von Wright) ab. Zu meinem Kampf um eine genuine Normenlogik gehören auch die Kritiken jener Autoren, die die Möglichkeit einer Normenlogik zu widerlegen suchen: J~rgensen, Englis und Kelsen in seiner Spätlehre. 3 Auch die der Kelsenschen Spätlehre verwandte Alchourron-Bulyginsche expressive Konzeption der Nonn und deren logische Implikationen habe ich widerlegt, indem ich die absurden Konsequenzen aufgewiesen habe, welche aus der Vorausset3 Vgl. H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, Wien 1979; O. Weinberge" Die Sollsatzproblematik in der modemen Logik, Prag 1958 (tschechische unpublizierte Fassung 1950); wiederabgedruckt in: ders., Studien zur Normenlogik und Rechtsinformatik, Berlin 1974, S. 59-186.

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zung folgen, daß Aussagen, Nonnen, Fragen usw. bedeutungsgleiche Propositionen seien und sich nur durch unterschiedliche Verwendungsweise in verschiedenen Sprechakten unterscheiden. 4 Im Jahre 1960 habe ich versucht, die Logik der Bedingungsnonnsätze durch Regeln zu bestimmen. 5 Ursprünglich hatte ich meine Aufmerksamkeit primär auf die Sollsätze gerichtet, später - offenbar unter dem Einfluß der deontischen Logik - auch die anderen nonnativen Operatoren gleichennaßen in Betracht gezogen, bis ich dann wieder zu der Überzeugung gelangt bin, daß primär eine Sollsatzlogik und erst sekundär eine Logik des Dürfens entwickelt werden müsse. 6 Wahrend bisher der Begriff der Handlung nur als Bestandteil des Inhalts von Nonnen untersucht wurde, versuche ich nun, die Ontologie der Nonnen und die Unterscheidung beschreibender (theoretischer) und praktischer Infonnationen handlungstheoretisch zu begründen. 7

b) Die neo-institutionalistische Rechtstheorie

Meine rechtstheoretische Auffassung bezeichne ich als ,Institutionalistischen Rechtspositivismus' oder jetzt meist kürzer als ,Neo-Institutionalismus'. Diese Lehre wurde vorerst aus dem Bestreben entwickelt, das Dasein des Rechts oder anders ausgedrückt: den Begriff der Rechtsgeltung, zu definieren. Die herrschenden Theorien boten keine akzeptable Explikation an. Vom Dasein des Rechts kann man sich nicht so überzeugen wie von der Existenz physikalischer Gegenstände, nämlich durch sinnliche (oder von dieser abgeleitete) Beobachtung. Dennoch ist das Recht eine soziale Realität und eine Erfahrungstatsache. Das beobachtbare Verhalten der Menschen belegt nicht, was rechtlich gesollt ist, was erlaubt ist und welche Nonnsetzungsbefugnisse bestehen. Die Kelsensche Erklärung der Existenz des Rechts durch eine hypothetische Annahme: die Grundnonn, befriedigt nicht, weil durch eine bloße Annahme (oder axiomatische Setzung) die Erkenntnis realen Daseins nicht begründet werden kann. Es muß eine Ontologie erstellt werden, die der Anthropologie des Menschen als eines handlungsfahigen zoon politikon entspricht. Es gibt nicht nur brute facts, "rohe Tatsachen", die durch physikalische Eigenschaften beschrieben werden können, sondern auch institutionelle Tatsachen, zu deren Definition auf Institutionen und deren Kern, praktischer Infonnationen (Normen, Werte, Präferenzen), Bezug genommen werden muß.

4 O. Weinberger, Gibt es eine expressive Normenlogik?, Referat gehalten in Turku 1983. (Siehe nun auch: ders., The Expressive Conception of Norms - an Impasse for the Logic of Norms, in: Law and Philosophy 4/2, 1985, S. 307 - 324). 5 Ein Auszug ist abgedruckt in: O. Weinberger, Studien zur Normenlogik und Rechtsinformatik, a. a. 0., S. 20 f. 6 Vgl. O. Weinberger, Rechtslogik, 2. Aufl., Berlin 1989, S. 231 ff. 7 O. Weinberger, Ontologfa de las normas en la perspective de la theorfa de la accion, deutsch: "Normenontologie in handlungstheoretischer Sicht", in: ders., Studien zur formalfinalistischen Handlungstheorie, Frankfurt a.M. - Bern - New York 1983, S. 137 - 164.

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Das Recht ist eine institutionelle Tatsache, also ein erkenntnistheoretisch prinzipiell komplexer Gegenstand, der nur durch Kombination von Beobachtung sozialer Vorgänge und dem Verstehen normativer und evaluativer Informationen erfaßt werden kann. Es besteht eine gegenseitige Beziehung zwischen den Institutionen des Rechts sowohl den rechtlichen Einrichtungen des Staates (Gerichten, Behörden, Regierungen, gesetzgebenden Körperschaften) - als auch der Rechtsinstitute (wie z. B. Eigentum, Vertrag, Haftung) und dem geltenden Recht. Institutionen funktionieren aufgrund von Normen (und anderen praktischen Informationen) und die Geltung des Rechts, das gesellschaftliche Dasein des Rechts, ist in der Tatsache verankert, daß die Institutionen im wesentlichen aufgrund der rechtlichen Regulative funktionieren. Geltendes Recht ist gerade das Zusammenwirken von Normen mit Verhalten und bestehenden Einrichtungen. Rechtsnormen kommt Dasein zu - sie sind geltendes Recht -, weil sie in Wirkzusammenhängen stehen mit realen und beobachtbaren Vorgängen (menschlichem Verhalten, Gemeinschaften, Einrichtungen usw.). Auch die Entstehung von Rechtsnormen, wie sie durch die Theorie der Rechtsdynamik erklärt wird, ist ein Zusammenspiel von Tatsachen und Normen. Die neo-institutionalistische Konzeption der Rechtsdynamik kontrastiert mit der Kelsenschen Konzeption, der gemäß nur die vorgeordnete Norm der eigentliche Geltungsgrund (bei Kelsen wörtlich "conditio per quam") der Normentstehung sei. Da tatsächliche Vorgänge ebenso wie die vorgegebene Norm Bedingung der Normendynamik sind, sind beide gleichermaßen Geltungsgrund (oder: Bestandteil des Geltungsgrundes ). Neues rechtliches Sollen entsteht durch das Eintreten von Fakten (z. B. durch das Eintreten des Wahlalters entsteht das aktive Wahlrecht) oder durch die tatsächliche Setzung von normerzeugenden Akten aufgrund entsprechender Ermächtigungsnormen. Der Neo-Institutionalismus ist eine analytische Rechtstheorie: Strukturtheorie des Rechtssatzes und der Rechtsordnung sowie die Theorie der begründenden Operationen stehen daher im Zentrum dieser Lehre. War es das Grundbestreben der analytischen Rechtstheorie - am ausgeprägtesten in der Reinen Rechtslehre -, eine einzige Grundstruktur des Rechtssatzes aufzuweisen, in der das gesamte Rechtsmaterial exakt dargestellt werden könne, so gelangten die Strukturtheoretiker des Rechts - und zu ihnen gehört der Neo-Institutionalismus - zu wesentlich notwendigen Differenzierungen der Rechtssätze. Dieser Unterschied der analytischen Zutrittsweise ist so gravierend, daß es mir gerechtfertigt erscheint, von einer zweiten Phase der analytischen Rechtstheorie zu sprechen. Neben die Verhaltensnormen treten die Rechtsprinzipien, die Aufgabennormen, die Maßstabnormen und vor allem die Ermächtigungsnormen. Diese sind - wie ich gezeigt habe - auf gewöhnliche hypothetische Verhaltensnormen nicht reduzierbar,

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weil zwischen dem normativen Inhalt des Normerzeugungsaktes und der implizierten Norm strukturell eine inhaltliche Beziehung besteht. 8 Der ewige Streit zwischen Naturrechtslehren und dem Positivismus ist vom argumentationstheoretischen Standpunkt aus zu betrachten. Dann wird ein Standpunkt jenseits von Positivismus und Naturrecht möglich 9 (a) Die bloße Behauptung, daß Naturrecht existiert, ist argumentativ unergiebig. (b) Der Positivismus sollte nicht behaupten, daß alles Beliebige Inhalt des Rechts sein könne. Die Rechtserzeugung ist weder Willkür noch bloß eine Frage der Macht. Wert- und Gerechtigkeitsvorstellungen sind für die rechtspolitische Argumentation relevant. Und jedes Individuum und jede Gemeinschaft hat solche Überzeugungen, die Ausgangspunkte der rechtspolitischen Argumentation bilden; die gegebenen Gerechtigkeitsüberzeugungen sind aber selbst kritisierbar. Es besteht deswegen kein Grund, sie für Naturrecht zu halten, da wir nie wissen, inwieweit sie anthropologische Konstante oder historisch bedingte und wandelbare Meinung sind. Recht ist von Moral begrifflich zu trennen: (i) Rechsgrundsätze sind Bestandteile des positiven Rechts; (ii) Rechtsgeltung der Rechtssätze ist durch Erzeugungszusammenhänge, nicht durch moralische Kriterien bestimmt; die Geltung des Rechtssystems als Ganzem ist durch die Beziehung zur Institution, der es zugrundeliegt, begründet; (iii) Wir müssen die Möglichkeit haben, (geltendes oder vorgeschlagenes) Recht moralisch zu werten, aber die Geltung des Rechts unterliegt nicht dem moralischen Filter des einzelnen Richters, Beamten, usw.; (iv) das Rechtsleben braucht das Zusammenspiel von moralischen Aufgaben der entscheidenden Organe - insbesondere im Ermessensbereich - und deren Bindung an das Recht, das als selbständiges Normensystem fungiert. H. L. A. Hart, der im angelsächsischen Raum als der wichtigste Rechtspositivist angesehen wird, hat den Begriff des Minimalgehaltes von Naturrecht eingeführt. Dieses Minimum an Naturrecht müsse jedes Rechtssystem enthalten. Ich meine, daß es sich hier überhaupt nicht um Naturrecht handelt. Aufgrund funktionaler Betrachtungen über Rechtssysteme gelangt Hart zu der - im Prinzip richtigen - Behauptung, daß jedes Normensystem, das als Recht angesehen werden kann, gewisse Funktionen erfüllen muß, z. B. Schutz der Bürger, Bestimmungen von der Art "paeta servanda sunt" usw. Ich halte diese Erkenntnis für einen Beitrag zur funktionalen Definition von Recht, aber keineswegs für Naturrecht, denn die Lösung dieser funktionalen Aufgaben wird offen gelassen für positive Dezisionen. Vgl. O. Weinberger, Rechtslogik, 2. Aufl., Berlin 1989, S. 253, S. 261 ff. Vgl. O. Weinberger, Jenseits von Positivismus und Naturrecht, Contemporary Conceptions of Law - 9th World Congress IVR (Basel 1979), ARSP, Supplementa, Vol. I, Part 1, 1982, S. 43-56. 8

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Probleme der Gerechtigkeit sind nicht nur Fragen der Jurisprudenz und Ethik, sie beschäftigen in gewisser Weise jedermann. In der Jurisprudenz ist die Rolle der Gerechtigkeitstheorie umstritten: für manche - z. B. John Rawls - muß die Gerechtigkeitstheorie den entscheidenden Maßstab für die Akzeptabilität politischer Systeme liefern, für andere ist sie, rechtspolitisch betrachtet, zahnlos und nur als Forderung regelgerechter Behandlung, nicht als Instrument der inhaltlichen Bestimmung guter Rechtsregeln brauchbar. Meiner Ansicht nach hat sie nicht die Aufgabe, das politische Programm zu bestimmen, sie ist aber auch nicht bedeutungslos. Sie ist immer ein wesentlicher Gesichtspunkt rechtspolitischer Analysen - hauptsächlich als kritische Instanz: sie kann selbst nicht angeben, welche Maßnahmen und Einrichtungen gut sind, aber sie kann oft Ungerechtigkeiten aufdekken und strukturelle Reformen fordern. Gerechtigkeit zu realisieren, ist nur ein Aspekt des rechtspolitischen Programmes. Der platonisch-aristotelischen Konzeption nach spielt der Begriff der Gleichheit und Gleichheitsforderungen eine fundamentale Rolle in der gesamten Gerechtigkeitstheorie. Und Gleichheitspostulate spielen auch in der heutigen Diskussion über Gerechtigkeitsfragen eine wichtige Rolle. Die Diskussion der Gerechtigkeit läßt sich nicht auf Gleichheitspostulate reduzieren, sondern hängt auch von der Akzeptanz von Kriterien (Maßstäben) und daher WerteinsteIlungen ab, deren Anwendung nicht durch Gleichheiten definiert sind, sondern zu Präferenzüberlegungen führen. In moderner Sicht wird vor allem der Unterschied zwischen formaler und materialer Gleichheit unterstrichen (Ch. Perelman). Ich habe gezeigt, daß das Prinzip der formalen Gleichheit äquivalent ist mit dem Grundsatz, daß nach generellen Regeln geurteilt werden muß, und ferner, daß die geläufige Definition des formalen Gleichheitspostulats "Gleiches ist gleich und Ungleiches ungleich zu beurteilen und zu behandeln" fehlerhaft ist; Ungleiches kann ggf. gleiche Rechtsfolgen haben: es ist nichts dagegen einzuwenden, daß unter verschiedenen Subsumtionsbedingungen gleiche Sollfolgen gesetzt werden (z. B. daß verschiedene Delikte mit gleicher Strafe belegt werden). In materialer Hinsicht gibt es nicht die Gleichheit, sondern verschiedene Typen von Gleichheiten, deren sozialer Effekt unterschiedlich ist. Und der einzelne Gleicheitstypus kann sehr verschieden aufgefaßt werden. Z. B.: Chancengleichheit kann verschieden interpretiert werden: (a) man versteht sie als Forderung, daß formal gleicher Zutritt zu der betreffenden Position besteht, oder (b) man zieht auch die Wahrscheinlichkeit, die Position zu erlangen, in Betracht, sodaß Chancengleichheit nur dann besteht, wenn die Wahrscheinlichkeit, die Position zu erlangen, für verschiedene Personen ungefähr die gleiche ist. Materiale Gleichheit im strikt universellen Sinne ist wohl kaum ein reales Gerechtigkeitsideal; es geht vielmehr darum, ausgewogene Rollenspiele in der Gesellschaft zu konstitutieren und aussichtslose Lebenspositionen auszuschließen.

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Eine Welt, in der für viele eine Besserung der Lebensweise ausgeschlossen ist, erscheint als Welt der Ungerechtigkeit. Rechtspolitisch betrachtet, ist das Gerechtigkeitsproblem nicht nur eine Frage der individuellen Position, sondern auch Probleme der Gruppenpositionen müssen in Betracht gezogen werden, seien die Gruppen ethnisch, religiös oder nach Geschlechtskriterien definiert. (Hier wird die Gerechtigkeitskritik offensichtlich politisch relevant.) Im Kampf gegen gesellschaftliche Egalitätsbestrebungen wird von liberalistischer Seite die These ins Spiel gebracht, daß soziale Gleichheit nur durch Einschränkung der Freiheit erreicht werden kann. Gleichheit und Freiheit seien gleichsam umgekehrt proportional. Dagegen ist einzuwenden: Es gibt nicht die Freiheit und demnach das Ideal der Freiheitsmaximierung, das nur durch die Bedingung beschränkt ist, daß die gleiche Freiheit auch jedem anderen zustehen müsse. Man muß Typen von Freiheiten unterscheiden; und deren gesellschaftliche Funktion ist je nach Art der Nutzungsmöglichkeit zu berücksichtigen, die je nach sozialem Status sehr verschieden ist. Die Ausübung der Freiheiten muß gewissen Kontrollen unterliegen zum Zwecke des Schutzes der sozial Schwachen. Die Gerechtigkeitsüberlegung wird eine soziale Ausgewogenheit der Verwirklichung von Gleichheits- und Freiheitsforderungen anstreben. In den gesellschaftlichen Institutionen sind ausgwogene Rollenspiele zu konstitutieren, die einen Ausgleich zwischen dem Ziel der Effektivität bei der Erfüllung der Leitideen der Institution und der Wertung der Rollen vom Standpunkt der Gerechtigkeitsideale realisieren. Viele Gesichtspunkte sind dabei zu berücksichtigen, z. B. die Relation zwischen der Verteilung von Nutzen und Risken. In der handlungslenkenden Überlegung treten Gerechtigkeitspostulate immer neben Utilitätsüberlegungen auf: es geht also nicht nur um ,gerecht' oder ,ungerecht', sondern in der Regel darum, gerechte und zweckgerechte Wege zu finden. Die Gerechtigkeit gesellschaftlicher Einrichtungen kann nicht unabhängig von deren motivierender Wirkung beurteilt werden. Nicht auf Naturrecht, sondern auf Gerechtigkeitsüberzeugungen, die dem Diskurs unterliegen, stützt sich die Gerechtigkeitsanalyse. Die aktuelle Situation der Menschheit erfordert die Um orientierung der Gerechtigkeitsideale von der Orientierung bloß auf die Zwecke der Gemeinschaft, der wir angehören, auf das Ideal der zwischengemeinschaftlichen Verständigung. Nicht die Ideen von Schuld, Vergeltung und Repression sind vorrangig, sondern das Auffinden eines Systems des relativ harmonischen Zusammenspiels von menschlichen Gemeinschaften. Der Neo-Institutionalismus verändert die juristische Methodenlehre in einigen wesentlichen Punkten. Die Unterscheidung von Betrachtungen de lege lata und de lege ferenda wird als grundlegend betrachtet, da sie verschiedene Argumentationsstrukturen implizieren. Im Gegensatz zur Reinen Rechtslehre wird aber auch die rechtspolitische Argumentation als Gegenstand der Jurisprudenz angesehen. Den Kern der juristischen Argumentationen bilden logisch-deduktive Operationen - daher das große Interesse des Neo-Institutionalismus für die Logiken des

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praktischen Denkens (Normen logik, Teleologie, Axiologie und Präferenzlogik) sowie für eine differenzierende Rechtssatztheorie. Daneben sind auch Plausibilitätsargumentationen erforderlich. Die traditioneIle Theorie der Plausibilitätsargumentation konzipiert die Argumentationen als pragmatische Vorgänge zwischen dem argumentierenden Redner und einem Auditorium, durch die der Redner beim Auditorium Überzeugung schafft. Ich bin dagegen der Meinung, daß die sachliche Begründung der Plausibilität und die Erzeugung von Überzeugungen zu unterscheiden sind. Sachlich gute Gründe - z. B. Wahrscheinlichkeitserkenntnisse, Kohärenz, Teilbeweise u.ä. - können überzeugen, müssen es aber nicht immer; und sachlich ungültige Argumente können unter Umständen überzeugen. Diese grundlegende Transformation der Theorie der Plausibilitätsargumentation verändert natürlich auch den Charakter der juristischen Argumentationslehre. Sie führt zu dem Bestreben, sachlich gute Gründe anzuwenden und Täuschungen durch eristische Vorgangsweise zu vermeiden. Die RoIle der anti-eristischen Kritik manifestiert sich in aktueIlen Analysen der heutigen demokratischen Systeme, in denen marketingartige Vorgangs weisen das demokratische Entscheiden durch das Volk in Frage steIlen (vgl. S. 342 ff.). Die juristische Hermeneutik ist einerseits struktureIl zu betrachten, andererseits in Beziehung zu Institutionen des Rechtslebens. Die Bedeutung von Rechtstexten wird im Rahmen unseres Vorwissens über Rechtsverhältnisse voIlzogen; es werden Deutungsalternativen hpothetisch erstellt und über deren relative Plausibilität entschieden. Die bestehenden Rechtssysteme haben verschiedene Traditionen des juristischen Deutens entwickelt, manchmal herrscht die historisierend Sicht vor, manchmal eher funktionale Betrachtungen oder Überlegungen über geseIlschaftliche Werte und Auswirkungen. Die institutionelle Analyse unterstreicht, daß die juristische Hermeneutik wesentlich von drei Faktoren bestimmt ist: (a) von der mit der Entscheidungspraxis verbundenen Deutung, (b) von der dogmatischen Bearbeitung der einzelnen Gebiete der Rechtsmaterie, (c) von der Rechtstheorie und der akademischen Lehre, die den Rechtsstab heranbildet.

c) Handlungs- und Institutionentheorie

Meine Handlungstheorie unterscheidet sich wesentlich von den gängigen Konzeptionen. Sie geht von der anthropologischen Auffassung aus, daß wir handlungsfähige Gemeinschaftswesen sind. Dies impliziert eine entsprechende Ontologie, die als daseiend nicht nur materieIle Gegenstandskonstellationen anerkennt, sondern auch das Dasein institutioneller Strukturen und von Gegenständen in institutioneIler Funktion in Rechnung zieht. Und zur DarsteIlung handlungsbestimmender Operationen, die das Wesentliche dieser Handlungskonzeption ausmachen, wird eine dichotome Semantik ersteIlt, die praktische und deskriptiv-kognitive Sätze (und Begriffsinhalte) kategorial unterscheidet.

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Die von mir vertretene Handlungstheorie steht in Opposition zu zwei gängigen Konzeption: (a) zur behavioristischen Auffassung, welche das Handeln als bloße Verhaltens trajektorie auffaßt und (b) dem Versuch, das Handeln als System der rationalen Wahl hinzustellen, wobei das faktische Handeln als bloße Abweichung vom rationalen Wahlverhalten angesehen wird. Die Handlung wird informationstheoretisch definiert als aufgrund eines Informationsverarbeitungsprozesses, der im wesentlichen teleologisch-präferenzieller Natur ist, bestimmtes Verhalten eines Subjektes. Die rein strukturelle Definition der Handlung gestattet es, diesen Begriff gleichermaßen auf individuelle Personen wie auch institutionelle Subjekte anzuwenden (wenn die Realisierung der teleologisch-präferentiellen Wahl sichergestellt ist). Der Schematismus der Handlungsbestimmung durch entsprechende Informationen wird in zweierlei grundsätzlich verschiedenen Problemsituationen angewendet: (i) als Handlungsdeliberation, welche zur Bestimmung von Handlungsprogrammen und Handlungsentscheidungen führt (einschließlich der feed-back-Lenkung) und (ii) zur Motivinterpretation beim Verstehen und Deuten von beobachtetem Handlungsverhalten. Wenn man das Verstehen von beobachteten Handlungen als Produkt der Interpretation ansieht, dann hat man auch eine theoretische Basis für tiefenpsychologische Betrachtungen, für außerrationales und irrationales Handeln 10, Phänomene, die von der behavioristischen Theorie der rationalen Wahl kaum adäquat expliziert werden können. Die formal-finalistische Handlungstheorie, wie ich meine Auffassung nenne, ist eine nicht-psychologistische Theorie, d. h. keine zusammenfassende Verallgemeinerung psychologischer Beobachtung, sondern eine formal konstruktive Theorie; sie ist aber sehr wohl geeignet, als Basis psychologischer Untersuchungen des HandeIns zu dienen, denn sie bietet den Platz an für die Berücksichtigung modifizierender Determinanten, die für die psychologische Forschung und Erklärung der Handlungen wesentlich sind (der Einfluß von Gewohnheiten, autonomen und heteronomen Normen; die pragmatischen Vereinfachungen der Dezisionsprozesse, und - last, but not least - irrationale Einwirkungen und tiefenpsychologisch aufweisbare Handlungsdeterminanten). Wesentlich ist, daß in meiner Konzeption die Explikation der Handlung nicht immer auf einem Handlungsmotiv basiert, sondern die Handlungsdezision als Resultante einer Mehrheit von Determinanten verstanden wird, ferner die Tatsache, daß auch Vereinfachungen der tatsächlichen Wahlprozesse und Handlungsentschei10 Es ist kein Zufall. sondern charakteristisch für meine Theorie der Handlung, daß meine erste Studie über dieses Thema den Titel trägt "Rationales und irrationales Handeln", in: F. Kaulbach, W. Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. FS für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. 721 -744.

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dungen in Betracht gezogen werden. Es können Methoden entwickelt werden, die der pragmatischen Optimierung der Handlungsentscheidungen dienen. Zwischen Handlung und Institution - und den Theorien beider - bestehen innere, sozusagen Wesenszusammenhänge: Institutionen sind Handlungsrahmen. Sie sind Schöpfungen der Einzelnen und der Gemeinschaften. Handlungsfähigkeit und die Fähigkeit, Institutionen zu schaffen, sind miteinander verstrickt. Handeln neigt zur Typisierung und die Handlung wird als Fall des Typus realisiert. Beinahe alles, was wir tun oder auch nur anstreben, ist durch institutionelle Rahmen bestimmt. Ich schreibe aufgrund der institutionalisierten Schrift; ich grüße, weil Grüßen Institution ist, und in der Weise, wie dies nach den Regeln dieser Institution gemacht wird. Jede Interaktion - sowohl kooperative als auch konkurrenzierende oder feindliche Interaktion - ist institutionell bestimmt. Institutionen haben stabilisierende Funktion, und sie sind essentiell für Werthaltungen (Wertestandards) und wertende Reaktionen. Die Institutionen sind einerseits Bestandteil der dem Menschen vorgegebenen gesellschaftlichen Realität - inklusive die Poppersehe Welt des Geistes und der Kultur -, andererseits sind wir ständig an der Herausbildung und Transformation der Institutionen beteiligt, und zwar sowohl an der Gestaltung und Entwicklung der ideellen Basis der Institutionen als auch an der Verwirklichung in der Praxis. Die handlungstheoretische und institutionalistische Sicht ist die Basis jeder Interaktionstheorie sowie der verstehenden Soziologie; natürlich auch der gesamten Rechtstheorie. Einzelne Elemente dieser theoretischen Erklärungsweise der gesellschaftlichen und rechtlichen Systeme wurde bereits vorgelegt (z. B. MacCormicks Lehre von den drei institutionenbestimmenden Normen: institutive, konsequenzielle und resolutive Regeln), andere Fragen stehen auf dem Forschunsprogramm der Gesellschafts- und Rechtstheorie (insbesondere funktionale und Wertanalysen).

d) Mein Konzept der politischen Theorie: Das Ideal der offenen Gesellschaft und die diskursive Demokratie

Politik betrifft die Gestaltung gesellschaftlicher Institutionen. Politik hat im wesentlichen zwei Seiten: (i) die Bestimmung der gesellschaftlichen Ziele, die Festlegung der Lebensform der Gesellschaft, der staatlichen und außerstaatlichen Einrichtungen sowie der verschiedenen Formen interpersonaler Beziehungen, der Kontakte und Beziehungen zwischen Gruppen (Formen der Kooperation, der Konkurrenz sowie der Konfliktaustragung oder -regelung); (ii) das Suchen und Realisieren der Mittel und Wege, wie die akzeptierten Ziele in ausgewogener Weise zu erreichen sind. Die Grenze zwischen diesen beiden politischen Problemen sind natürlich nicht scharf. Die verschiedenen politischen Standpunkte sind von historischen Gegeben-

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heiten sowie ideologischen (inklusive religiösen) Auffassungen und spezifischen Traditionen bestimmt. Häufig gibt es Übereinstimmungen der gesellschaftlichen Zielsetzung, doch divergieren einerseits die Vorstellungen, die mit der Zielkategorie gemeint sind - die einen stellen sich z. B. unter Wohlstand nichts als ein hohes BNP vor, andere betrachten Wohlstand auch als Verteilungsproblem und als Problem der Entfaltungschancen -, andererseits die Reihung und relative Gewichtung der Zielsetzungen. Im Umfeld, in dem ich lebe, ist Politik eng mit Problemen der Demokratie verbunden. Die herrschenden Theorien der Demokratie befriedigen mich nicht. Sie sind einerseits von romantischen Vorstellungen geprägt (z. B. von dem Glauben "Das Volk irrt nie" oder der Überzeugung, daß nur kollektive Entscheidungsformen für Demokraten akzeptabel sind), andererseits verabsolutieren sie Partialaspekte. - Manche versuchen, das Wesen des demokratischen Systems formal zu charakterisieren; ich bin dagegen davon überzeugt, daß formale Regeln des Entscheidens und der Herrschaft immer - und zwar in verschiedener Weise - mißbraucht werden können, was es als illusorisch erscheinen läßt, das Wesen des demokratischen Systems allein durch Regeln der demokratischen Prozedur sicherstellen zu wollen. Hier hilft nur die institutionalistische Betrachtungsweise. Demokratische Systeme sind als Typus von Institutionen anzusehen. Sie sind daher - wie jede Institution - durch Leitideen bestimmt. Die Leitideen der Demokratie sind inhaltliche Wertungsprinzipien, eine offene Klasse von gesellschaftlichen Zielvorstellungen, die das Wesen der Demokratie mitbestimmen, z. B. Toleranz, Minderheitenschutz, ideelle und diskursive Offenheit der Gesellschaft, Menschenrechte, das Ziel des sozialen Ausgleichs und der Schaffung von Lebenschancen als Vorbedingung der menschlichen und bürgerlichen Freiheit. Der Begriff der Demokratie ist durch die Grundtendenz "Herrschaft des Volkes" charakterisiert, aber die demokratischen Systeme sind je nach Kultur, Geschichte und Tradition verschieden ausgeformt. Die Dynamik des gesellschaftlichen Lebens wird als Zusammenspiel von Konsenssuche und kritischem Dissens aufrecht erhalten. Diese Prozesse können nur dann effektiv realisiert werden, wenn die Bedingungen einer diskursiv offenen Gesellschaft bestehen. In der heutzutage bestehenden Informationsgesellschaft ist die Frage der diskursiven Offenheit besonders zu beachten: es eröffnen sich breiten Schichten der Bevölkerung sehr erweiterte Informationsmöglichkeiten, aber es bestehen auch ganz neue Möglichkeiten der Indoktrination, die noch durch das Eindringen von marketingartigen Methoden in die politische Praxis verstärkt werden, eine akute Gefahr für die Freiheit (= Willensbildung "von unten") und die Rationalität des demokratischen Entscheidens. Es gilt m.A.n. allgemein: demokratische Formen können mißbraucht werden; der demokratische Charakter der Institutionen muß durch öffentliche Diskurse geschützt werden. 3 Weinberger

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Aus diesen Gründen gelange ich zu einer diskursiven Konzeption der Demokratie, die in einigen Zügen der Habermasschen Lehre verwandt, aber doch anders und weniger optimistisch ist. Für mich sind diskursive Einrichtungen der Gesellschaft und eine entsprechende Praxis der offenen Gesellschaft unabdingbare Elemente der Demokratie, doch garantieren auch freie Diskurse nicht, daß optimale Entscheidungen zustande kommen (wie die Habermassche Diskursphilosophie voraussetzt). Habermas hält die Formen der Rechtsprozesse selbst für diskursive Einrichtungen, ich meine dagegen, daß sie nur zum geringen Teil Diskurse sind, und sehe den gesellschaftlichen Diskurs des Rechtslebens als hinzutretendes Moment, das von der Jurisprudenz und der politischen Kritik in verschiedenen Schichten u. a. zu leisten ist. Funktionalistische Analysen, die am Programm des Neo-Institutionalismus stehen, können zum politischen Diskurs einen wesentlichen Beitrag leisten. Der Einfluß der ökonomischen Macht auf die Rechtspolitik wird manifest, was für eine Konzeption der Demokratie, die auf inhaltlichen Leitideen basiert, sicherlich relevant ist. Rechtspolitische Erwägungen müssen Probleme der gesellschaftlichen Stratifikation beachten und können der Frage "cui prodest?" nicht ausweichen. Schutz des Schwachen ist ein Desiderat, das auch demokratietheoretisch fundiert ist. Die diskursive Demokratie steht aktuell vor dem Hindernis der verschiedenen Fundamentalismen und der Politik aggressiver Chauvinismen, zu denen kaum diskursiver Zutritt (vor allem in Form diplomatischer Aktionen) besteht. Hier ist Vorsicht geboten: Wo de facto aggressiv gehandelt wird und Verhandlung nur als faktisches Ablenkungsmanöver verwendet wird, ist der Diskurs machtlos und kontraproduktiv. Diskurs ist ein möglicher Weg der friedlichen Auseinandersetzung, aber antidiskursive Einstellungen fundamentalistischer Systeme sind durch Diskursangebote kaum zu überwinden. Fundamentalistische Auffassungen stehen in Opposition zur Idee der diskursiven Demokratie und bedrohen friedliche Entwicklungen.

e) Ausblick

Wissenschaftliche Entwicklungen lassen sich nur sehr beschränkt und rahmenhaft prognostizieren, und wer politische Entwicklungen prognostiziert, gibt eher seinem Optimismus oder Pessimismus Ausdruck, als daß er ein wohlbegründetes Bild der Zukunft zeichnet. Gesellschaftliche und politische Prognosen sind nur dann sinnvoll, wenn sie sich auf genügendes begründendes Material stützen, und auch dann sind sie, wenn sie weite Ausblicke geben wollen, nicht einfache Extrapolationen, denn unerwartet Neues kann zutage treten. Außerdem glaube ich, daß ein solcher Blick in die Zukunft immer mehr oder weniger zwischen Wunschdenken, rationaler Voraussicht und politischem Programm angesiedelt ist. Ausblicke in diesem Sinne sind nicht meine Sache.

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Ich werde hier nur versuchen, mir die Frage zu stellen, wie es in meinen Forschungsbereichen weitergehen wird - oder sollte. Der handlungs- und institutionentheoretische Approach wird sich in den praktischen Disziplinen allgemein durchsetzen, mit der Konsequenz (1), daß die dichotome Semantik die Basis aller praktischen Disziplinen bilden wird, und (2) daß die Struktur der Disziplinen des handlungsbezogenen Denkens weiterentwickelt werden. (Hierbei wird etliches zu klären sein, z. B. die Beziehungen zwischen Utilitäts- und teleologischer Analyse.) Die Strukturtheorie des Rechts wird flexibler werden und nicht nur nach dem Postulat des hierarchischen Aufbaus arbeiten, sondern als allgemeine analytische und rekonstruktive Theorie des tatsächlichen (und möglichen) Rechtslebens gestaltet werden. Funktionale und rechtspolitische Analysen werden sich verstärkt hinzugesellen. Probleme der ökonomischen Macht und ihr Einfluß auf das Rechtsleben werden immer brennender. Ich bin davon überzeugt, daß die neo-institutionalistische Theorie die Methodologie sämtlicher handlungsbezogener Disziplinen wesentlich beeinflussen wird, nicht nur die Rechtsphilosophie, vielmehr auch die Ethik, Soziologie, Psychologie der Handlung sowie die ökonomischen Theorien. Diese Meinung bestimmt auch mein Arbeitsprogramm für die nächste Zeit.

I. Logik und Methodologie der praktischen Philosophie

The Logic of Norms Founded on Descriptive Language* 1. Defining the Problem All scholars in practical philosophy are confronted with the problems of proving practical theses, namely norms, values, preferences and purposes. Arguments conceming these practical sentences have some common and some specific features. The main stream of discussion dealt with the logic of norms (norm sentences, imperatives), and I shall confine my present considerations to this topic. Nearly all scholars in this field are convinced that norm sentences are a semantic category of sentences strictly distinct from declarative sentences expressing propositions. It seems that the categorial difference of normative and declarative sentences has been clear al ready to ancient grammarians, but it got its fundamental philosophical importance under the influence of Hume, Kant and their followers. In this philosophical approach the logical and methodological import of this distinction became an essential element of the foundation of practical philosophy. In our time there exists a strong conviction that there is an essential difference of meaning between norm sentences and descriptive ones to the effect that there cannot be an equivalence in meaning of norm sentences and descriptive sentences: There exists no translation from one kind of sentence to the other. 1 The main problem following from this universally accepted semantics is the question of the logical treatment of norm sentences. Do they follow the established logical rules? Or to express the problem more sharply: are they subjected to logical rules, and are they subjected to the same logical rules as declarative sentences? In a famous paper Henri Poincare argued that all logical rules of deduction established by the science of logic up to now, fail to provide any conclusion of normative meaning (Poincare 19\3).2 This paper opened the discussion on the possibi-

* This paper contains a part of the results of my research work which I performed as Alexander von Humboldt-Awardee in 1991. Therefore I want to express my gratitude to the Alexander von Humbo1dt Foundation for support. I There are, of course, differences in the philosophical justification of this fact of semantics. Is it an immanent feature of our mind? Is it only a feature of our established languages? I have tried to exp1ain this characteristic of our languages by the fact that a strict division of practical and descriptive sentences is a necessary consequence of our human nature encomprising the ability of acting, individuaIly and coIlectively. Cf. O. Weinberger (1984a, 199). 2 It is dear that the famous French mathematician explicitly defined the problem situation, but it is a matter of dispute whether he referred only to the actual situation in the science of

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lity of a logic of nonn sentences and on the provability of ethical principles with the help of logical and scientific arguments. The distinction of two categories of sentences - nonn sentences and descriptive senten ces - is essentially linked with the metalogical postulates of non-deducibility, because only if non-deducibility is warranted the categorical distinction can be maintained. These principles read: (i) No (infonnative, i.e. non-tautological) nonn sentence can be deduced from a c1ass of premises which embraces only descriptive sentences. (ii) No (infonnative) descriptive sentence can be deduced from a c1ass of premises which contains only nonnative sentences. These principles amount to the effect that the rules of the logic of nonns should be such that no inferences of the exc1uded kinds are derivable. It is an historical fact in the realm of logical enquiry that since the Stoics and Aristotle logical theory has been based on the analysis of descriptive language, but did not deal with the field of nonnative sentences. The main notions of logic are therefore adapted to the role they have in descriptive language, as the notions of inference, conc1usion, negation, incompatibility and consistency, etc.

The manifest discrepancy between the categorial distinction of nonn sentences and descpritive sentences and Poincare's findings on the one hand and actual practice in practical philosophy and everyday life using convincing inferences and deductions with nonnative elements on the other, led to the famous l;rgensen 's Dilemma. It seemed to prove that the idea of nonnative inference, namely deduction with nonnative sentences as premises and conc1usions is self-contradictory ex definitione. J~rgensen's (1937 - 38) argument runs as folIows: Three theses are accepted as convincing; yet they are evidently incompatible:

1. It makes no sense to attribute truth values to nonn sentences (or to imperatives, in the tenninology of J~rgensen). 2. The fundamental concepts of logical theory - especially the notions of inference and contradiction (incompatibility) are coined for use in descriptive logic alone. They are based on truth relations so that they cannot apply to elements other than descriptive sentences or propositions. 3. People in everyday li fe use deductive arguments and draw nonnative conc1usions, and they are convinced of the logical validity of their operations no less than of the validity of inferences in descriptive language. The same is true for logic or wh ether he implicitly postulated the development of a new field of logic - which could be narnend OOlogie of norm sentences" - and which had to offer schemes of inferences with normative conclusions (and to justify them).Yet I am sure that he did not intend to exc1ude normative deduction as such, but only the possibility of normative conclusions of purely descriptive premises.

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sc hol ars in the field of ethics and jurisprudence. [E.g. "All thieves ought to be punished" therefore "The thief N.N. ought to be punished".] Thesis 1 is a conviction held by nearly all scholars in practical philosophy, and I would say it is strongly justified as long as we adhere to the accepted meaning of truth and falsehood. 3 Thesis 2 is a true description of the historical development of logical theory. Thesis 3 is not only a picture of common practice, but it seems to be inevitable if we want to work in practical philosophy. To use general quantification, e.g. (the word "all") in norm sentences would not be defined if there were no valid inference of the type of our example. The need for a logic of norm sentences (or "normative logic", for short) is also proven by the fact that even those who are sceptical about the possibility of a logic of norm sentences generally propose so me kind of so to say - substitute theory of normative deduction. In my opinion there is only one reasonable (and simple) solution to the dilemma, namely to introduce such a generalization of the basic concepts of logical theory, especially of the notions of inference (deduction) to make them applicable not only to descriptive sentences but also to norm sentences. 4 As a matter of fact, the endeavour to build up logical systems for the use in practical philosophy evolved without considering or solving J~rgensen's dilemma. In principle there are three ways of dealing with the problem of the logic of norm sentences: (i) Normological scepticism holding the thesis that there is no logic of norm sentences and that ex definitione there can be no such a theory; (ii) attempts to give advice on how to use some system of a logic of descriptive language as a logical formalism for dealing with norm sentences; (iii) the construction of a genuine logic of norm sentences, namely a logical system built up on the basis of a semantics embracing two disjointed categories of sentences, descriptive sentences and norm sentences. In fact, point (i) and point (ii) are not strictly alternatives as mostly sceptics also try to present "substitute theories" on the basis of descriptive languages. I have analysed normological scepticism in some detail elsewhere (Weinberger 1986, 13 - 81). In my book Rechtslogik (Weinberger 1989) I tried to sketch some basic ideas about how to construe a genuine logic of norm sentences. In the present paper I confine my analysis to the possibilities of solving the problems of normative logic by means of logical systems of descriptive sentences. 3 On the possibility of redifining the notion of truth in such a way that truth values can also be attributed to nonn sentences, see Weinberger (1972a). 4 I have already proposed this solution to the dilemma already in a dissertation (Weinberger 1950) and in the book (Weinberger 1957) reprinted in Weinberger (1974a).

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We can understand this approach though it is evidently in conflict with the critical hints of J0rgensen. One of the basic principles of problem solving is to use existing and successful tools to treat new problems and to solve new tasks. And truth-functional analysis is weIl established in modern logic and has proved successful in many branches of logical research, even in fields which at first sight did not seem suited to extension al inquiry as, e.g., modal logic. But with help of the idea of possible worIds a successful approach to this branch was made possible. Therefore it is not at all surprising that many different attempts have been made to ground normative logic on logical systems of descriptive language.

2. The Programme of the Paper

My analysis has two purposes: (a) To give a survey of methods of which attempts have been made to find satisfactory systems of normative logic on the basis of descriptive languages; (b) To show that all attempts of this kind are condemned to failure and to discourage these hopeless endeavours. In my opinion, a normative logic cannot be established on the basis of a descriptive language, but it would be an error to believe that all these theories are simply false, worthless and without any use. They generally contain a grain of truth, and the critical analysis of such theories has led to important knowledge which will be useful for the construction of a genuine logic of norm sentences. It is not feasible to draw a complete list of all possible methods to realize this end. In the history of our problem only a few fundamentally different methods were proposed and it will be sufficient to analyse only some examples of the different methods: The essential criticisms are - mutatis mutandis - applicable to other similar approaches. But as new methodological advice is something like an invention, there is no way to be sure that we have exhausted all possibilities. 5

This is also the reason why the impossibility of a normative logic founded on descriptive language cannot be proved by exhausting all possible paths. The dass of all possible methods cannot be strictly defined. In the next paragraphs I shall deal with the following types of theories: - Deontic logic (par. 3). - Normative logic exposed as an isomorphism of propositionallogic (par. 4). S As an exarnple that a new and unexpected theory is always possible let me mention von Wright's method of argumentation in the following two steps on the basis of a descriptive language: (a) there is no kind of inference other than the traditional truth-functionally based deduction; (b) as a substitute theory of nonnative logic postulates concerning the rational legislator von Wright' s proposal of the rational legislator was a surprise, and in the open fjeld of invention surprises are always possible.

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- The restriction of logical relations of nonn sentences to their proposition al content (to the phrastic in Hare's tenninology) (par. 5). - The transfonnation of nonn sentences into sanction sentences and the treatment of these sentences as descriptive sentences (par. 6). - The translation of nonn sentences into preference propositions and their treatment by propositionallogic (par. 7). - Double interpretation of ought (Sollen) and the transfer of logical operations from the descriptive to the prescriptive interpretation (par. 8). - Replacement of nonnative logic by the logic of propositions about nonn sentences (par. 9). - Semantic models as a tool for nonnative logic (the theory of possible worlds and nonnative logic) (par. 10). - Postulates addressed to the (rational) legislator in the place of nonnative logic (par. 11). - Logic of classes defined by nonnative criteria (par. 12).

3. Deontic Logic Leibniz, Höfler, and later Becker and von Wright became aware of analogies between classes of operators of different fields with the class of operators in alethic modal logic, namely with necessary, possible, contingent. In the nonnative field it is the class of operators (obligatory, penniued, indifferent) which plays this role. Sentences fonned by operators of both kinds are characterized by the fact that they are composed of two parts, the operator and a description 6 and by the fact that negation can occur at two places before the operator (this negation is equivalent to the negation of the whole sentence) and I or be fore the description. G. H. von Wright (1951) marked the first of aseries of attempts to deal with nonnative logic as a modal system analogous to alethic modalities. But the analogies are only superficial and many puzzles arise, not only the doubts about the possibility of using deontic sentences as truth-functional arguments. In modal logic 'Np' entails 'p', and 'p' entails 'Mp', but there is no analogous entailment in deontic logic: 'Op' does not entail 'p', and 'p' does not entail 'Pp'. Let me list the main puzzling problems in deontic logic: (i) In the traditional deontic systems the operators 0, F, P are interdefinable, and we are free to choose one of them as the basic tenn. The interdefinition is pos-

6 Following Hare we can name the operator neustic and the description phrastic. Cf. (Hare 1970,18).

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sible if we take into consideration only c10sed and consistent systems. If we understand normative systems as control systems we cannot choose permission as the basic operator, because a system embracing only permission cannot function as a control system, since permission does not exc1ude any possible state. (ii) How should we define incompatibility in deontic logic? OP/-,OPj Pp/-,Pp are incompatible, of course, as the system is based on c1assical propositional logic of two values. But why are Op/O-,p incompatible, but not Pp/Pop? 'Op' and 'p-,p' (or 'O-,p' and 'Pp') are incompatible as weil. (iii) The description may be a truth-functional complex [e.g. O(p 1\ q), P(p 1\ q)j O(p V q), P(p V q)]. Are there valid inferences of the type: O(p 1\ q) entails 'Op', 'Oq', or is the inference 'Op' entails 'O(p V q)' (for any q) valid. 7 (iv) How to deal within the c1assical systems of deontic logic with normative conditionaIs (hypothetical norm sentences)? Neither 'O(p -+ q)' nor 'p -+ Oq' is satisfactory . 'O(p -+ q)' is not an appropriate expression for a normative conditional as the detachment rule cannot be justified, and the validity of such a rule is the essential feature of all conditionals. 'p -+ Oq' yields a detachment rule, but there are at least two defects ofthis form: Ca) it does not show that the whole sentence has a normative character, and (b) it is equivalent to '-,Oq -+ -,p' which is contra-intuitive. G. H. von Wright has proposed a dyadic system of deontic logic in order to co pe with the puzzle of normative conditionals (von Wright 1965; 1968). He introduced the conditional as the basic term and defined unconditional ought by a tautological antecedent in this formulation of a deontic sentence. In any case deontic sentences should not be interpreted as norm sentences but as dec1arative sentences about norm systems and about systems fulfilling special restrictive features: They must be c10sed and consistent systems and no non-fulfillment (disobedience) of ought may occur. (A system with such restricted applicati on is, of course, of Iittle use.)

4. Normative Logic Exposed as Isomorphism of Propositional Logic Some scholars tried to conceive of normative logic as another interpretation of propositional logic. There are different ways of construing such a formal parallelism. I1mar Tamme10 proposed the formal construction of a "protological system" which in his conception can be interpreted either as propositional logic or as nor7 There is the puzzle with Ross' paradox [Op>- O(p V q)]. and the window paradox [O(P /I. q) >- Op, Oq)]. Both show the inadequacy of deontic inference. Cf. (Weinberger 1972a; 1989.224).

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mative logic, so that the truth values of descriptive sentences (propositions) are opposed to the validity values of nonn sentences (Tammelo 1969). (The isomorphism can, of course, be introduced by other advice without the implicit - but in my view problematic - presupposition, that there is one, and only one, structure which can be considered to be the universally valid logic.) The idea is interesting but not adequate to the problem situation in the field of nonnative logic. Nonnative logic - if it is a logical system applicable in jurisprudence and ethics - must be conceived of as a system embracing two categories of sentences, nonnative and descriptive, and therefore containing two distinct kinds of variables. A system with only one kind of variables and a system with two different kinds of variables cannot be interpretations of one and the same protological system. Everybody acquainted with practical argumentation in these fields will be convinced that a system of nonnative logic should provide a structure for expressing nonnative conditionals, conditional duties and nonnative rules. These can be realized only in a nonnative logic which is able to deal with mixed sentence structures. Nonnative conditionals are nonn sentences with a descriptive antecedent (condition) and a nonnative consequent. 8 Mixed sentence structures cannot be defined within a protological system containing only one category of sentences (of variables). It is presupposed by nearly all scholars in nonnative logic that nonn sentences are composed of a normative operator and astate description ("neustic" and "phrastic" in Rare's tenninology: see Rare 1970). There are inferences of the kind: "p ought to be" therefore "p is pennitted". Within the frame of protologic such inferences cannot be established. If we define nonn sentences on the basis of two elements of its structure: operator and content (description of astate of affairs), we can see immediately that there are external structures (working with norm senten ces as arguments [e.g. "Op /I. Pq"] and internal complexity concerning the content (the description) [e.g. 'O(p /I. q)' , 'PCp -+ q)']. Protologic provides no fonnal tool for logical analysis of internal complexities. The idea of using isomorphisms with logical systems of so me kind of descriptive language could also start from a system of (alethic) modallogic, instead from propositional logic. But it is evident that such basic rules as "necessary p" implies "possibly p" and "p" implies "possibly p"

have no analogies in the nonnative field - as I have already mentioned - therefore nobody follows this line of argument. 8 There can be introduced a normative conditional with a normative antecedent (Weinberger 1989,240 f.), but this sentence form is not much in use in the disciplines under consideration.

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5. Are Logical Relations ofNorm Sentences Confined to Relations of their Propositional Content? J!Ilrgensen's scepticism about the possibility of normological inferences was accompanied by an advice for a substitute deduction theory. An imperative consists, following J!Ilrgensen, of two components: an imperative component and a descriptive one. Only the descriptive part is subjected to logical deduction (J!Ilrgensen 1937/38). The splitting of imperatives (or norm sentences) into two components: an operator and a description of astate of affairs, has become - under different names - a universally accepted conception. But the advice for a substitute form of normative deduction is unacceptable. If we base the substitute deduction on relations only between the descriptive components we have no reason how to decide whether the conc1usion is to be conceived as a descriptive statement or as an imperative (a norm sentence). The proposed schemes of deduction are also unable to take care of the differences between descriptive and normative premises. Inferences between different normative operators (e.g. from "p is obligatory" to "p is permitted") cannot be incorporated into this system of a "substitute logic". In more recent times Alchourron and Bulygin have embedded a similar but more elaborated theory into a general theoretical frame. Their theory deals not only with ought-sentences and permission-sentences but also with questions and other sentences embracing propositional components. The respective operator in this theory is always conceived of, so to say, as a prefixed sign and not subjected to logical operation. It is precisely the propositional content which is subjected to logical rule and to logical operation. The theory is interesting but evidently false in different respects. According to this theory the coexistence of sentences of the specific kind (ought, permission, question, assertion) whose propositional contents are incosistent, would represent contradictions themselves. Yet it is easy to show that this is not always the case, so that the question of incompatibility essentially depends also on the operator, not only on the propositional content. "Op" and "Oop" are incompatible, "Pp" and "p...,p" are compatible (their coexistence means indifference), "?p" and "?...,p" are questions nearly to the same effect, but certainly not a contradiction. It seems impossible to construct in a reasonable way normative conditionals and to justify a kind of detachment rule (modus ponens) in this theory. In fact it is definitively not true that logical relations are only relations of the propositional contents and independent of operators in the function of neuthics, and logical inference is - though in so me way linked to relations between propositional contents - not determined directly and solely by relations between state descriptions enc10sed in normative sentences. Logic is formally different for dec1arative sentences, for normative sentences, for questions. The logic of norm sentences cannot be reduced to propositional (descriptive) logic by defining these relations and operations as dealing only with the propositional content of norm sentences (Weinberger 1985).

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6. The Transformation of Norm Sentences into Sanction Sentences Some scholars in normative logic have proposed to translate norm sentences by help of the notion of sanction or "bad thing" and the idea that ""p ought to be" does mean ""p or a sanction (a bad thing) will follow". Besides the objections against the sanction conception of norms (Weinberger 1974 a) the proposed transformation leads to a descriptive result only if the sanction (or bad thing) is conceived of as astate of affairs in a non-evaluative (purely descriptive) sense, but not if it is conceived of as a normative (evaluative) entity. In the first case it is not a plausible translation, in the latter case it does not lead to a purely descriptive transformation. In this theory, if one norm sentence is not fulfilled, so that the bad thing B is arrived at, no further motivation in the form "p or B" ("--p -+ B") can be effective as B is already the case.

7. Preference Logic as a Tool for Normological Analysis Between norms and preference sentences there exist obviously certain relations. Therefore the idea is tempting to use preference logical tools for normological analysis. But we should be aware of the fact that this does not mean areal reduction to descriptive language. On the one hand preference sentences are pieces of practical information and valid in relation to a value system under consideration - although they are used as arguments of truth-functional functors - on the other side the preference analysis provides only a theory of some aspects of normative logic. I shall shortly deal only with two approaches of this kind, namely Aquist's and Comides'. Aquist's is based on cIassical deontic logic (Aquist 1963). He does not use the current notion of "better", but introduces the notion of deontic better "B" which is defined by help of deontic expressions. "pBq" if, and only if, (i) pis obligatory and q indifferent (neither obligatory nor forbidden); (ii) pis obligatory and q is forbidden; or (iii) p is indifferent and q is forbidden. "S" (we could say value-sameness) is defined as neither pBq nor qBp.9 Aquist's definition of deontic bettemess is such that there are no degrees of better (e.g. "more obligatory" makes no sense here). The deontic operators of traditional deontic logic are then introduced as B-relations with only one argument (and negations)

9 It should be noticed that this definition does not secure that S is nonnative, because this condition is also fulfilled if there is no deontic valuation of p. q in the system.

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For one argument the criteria for "B" reduce to (ii) as (i) and (iii) would be contradictory. "pB...,p" is valid if "Op 1\ F...,p" holds, and "F....,p" is defined in deontic logic as "Op"; "Op 1\ Op" can be reduced to "Op" so that the definition of Op by "pB-,p" is a transcription in preference (i.e. relational) form. The author introduces 5 different systems of deontic logic based on "B": BD1BD5. It is not sufficient to compare their strength, but we should consider the criteria which give appropriate information about normological relations.

I have so me doubts about the adequacy of the proposed rules (this seems to be a consequence of embedding the consideration in propositionallogic). Let us take as an example (R2)

~

a

-+

ß =?

~

aB..,a

-+

ßB..,ß

"To say the truth -4 today it is raining", therefore: "if we ought to say the truth it is obligatory that it is raining today". This is more than strange. Or "If I pay all my debts -4 I shall be insolvent" => "I have to pay all my debts -4 I ought to be insolvent" . "If I am working hard on my research task (P), then I am absent-minded in all practical affairs (q)." Here it is meaningful to say that pis obligatory, but it is not meaningful to hold that q is obligatory. (Side-effects of duties are not duties by themselves, although they are consequences of the act.)

In any case the "better"-based systems BD1-BD5 do not solve all relevant relations and operations of normative logic, although they describe some relevant features of it. E.g. it does not solve the problem of hypothetical norm sentences. In some respects similar, but more elaborated is Cornides' system called by hirn 'ordinal deontic' (Corni des 1974). Similarities exist in the relation to deontic logic, in the preference approach and in the form of definitions of the deontic operators. But the dissimilarities are more important and have a certain impact also on these "similarities". Corni des does not define preference (betterness) by help of deontic operators, but uses the value notion of preference, and he uses preference analysis as a tool for testing (or criticizing) logical relations which are accepted in cIassical deontic logic. "Ought" has something to do with preferences of the respective authority. Ought is deontic preference (d-preference) of an authority; deontic logic is therefore based on logical relations of preferences. d-preferences are irreflexive, transitive (and therefore asymmetrical) and they concern possible states of the world. Ought concerns decisions between possible states of affairs and preferences are arguments of decision making. The proposition "p" is conceived of as a set of those states of the world in which p is the case. The notion of possible states is in

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most considerations interpreted as possibility according to the informations of the subject. In consequence of the difference between absolute (or logical) possibility and possibility dependent on available information, Corni des distinguishes what is obligatory (das Gebotene) and what ought to be (das Gesollte) Cf. (Corni des 1974, 90 ff.) Ordinal deontic can be expressed either as preferences between states of the world or as preferences between propositions. Cornides' analysis is in the main based on analysis by deontic matrices. A consequence of ought premises is proven if, and only if, the inscription of the premises in the matrix provides the inscription of the consequence. In this paper I cannot analyze the argumentation of the author in detail, and I confine my comments to so me points which are important for the main intention of my paper, namely the possibility of the use of descriptive language for normological analyses. In principle I believe that analyses of preferences are capable to functioning as critical instances about the validity of deontologicaI relations. They, e.g., disprove convincingly the validity of the alleged inference from "O(p 1\ q)" to "Op" which is valid in cIassical deontic logic, but which I have rejected for other reasons (Weinberger 1972 b). Preference considerations are valid as methods for testing normological (deontological) rules, but they do not, in my opinion, replace normative logic. Norms are decisions of the authority (or an autonomous subject) regulating the behaviour of the agent. "p ought to be" implies "p is preferable to non-p", but not every preference of p in relation to ""p means the obligatoriness of p. (Sunshine is better than non-sunshine, but from this does not follow the obligatoriness of sunshine). Findings about logical relations of preferences though generally expressed in the form of propositions are not genuine elements of descriptive language because of the system relativity of all preferences and valuations. The author introduces conditional obligatoriness by the definition pOq

= df(P 11 q)R(P 11 -.q)

If pis the case q ought to be = df(P and q) is preferred to (p and non-q)

Unconditioned ought "0" is defined as conditional ought under a tautological condition. (Cf. von Wright's dyadic system and the problems connected with this theory). I wonder whether it is advisible to follow Cornides with his view that permission and forbiddeness do not concern facts (namely the action) but the decision of the actor (Cornides 1974, 80). The decision is generally part of the duty, but in case of 4 Weinherger

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omission of fulfilling the ought it may be that no decision takes place; then the fault is not only the missing decision but the missing action. And if a duty is fulfilled without decision - which is quite possible - there would be no offence. Ordinal deontic is not presented by the author as an all embracing nonnative logic, and, indeed the preference approach is not fitted for it. He is not able to provide a perfectly suitable theory of nonnative conditionals, has nothing to say about power-conferring nonns and the author's interesting remarks on pennission in the book do not follow from the preference approach. But he has proven that: "Op" does not follow from "O(p /I. q)"; that not every consequence of an "ought" is obligatory; that not every sufficient condition of the forbidden is forbidden itself; that what is obligatory is not necessarily obligatory.

8. The Double-Interpretation of "Sollen" The thesis that Gennan Soll-sentences or English ought-sentences can be interpreted either as prescriptive ought-sentences or as declarative sentences about the existence (or non-existence) of an ought (of a duty) in the system under consideration (Sigwart 1904; Kelsen 1960, 77 f.; von Wright 1969) is - from the logical point of view - not very interesting. It becomes important just if it is combined with two accompanying conceptions which are highly problematical; namely (i) with the view that this double interpretation is to be accepted and acceptable even in scientific discourse and in a language used for logical analysis; (ii) with the advice that logical relations and deductive operations valid in the descriptive interpretation are to be transfonned in the prescriptive interpretation, so that they provide an indirect method of establishing a nonnative topic. It is a justified principle of logical analysis and successfully tested in the whole field of analytical philosophy that ambiguities and double interpretations must be overcome by philosophical analysis and by a reconstruction of the language for the pUrpose of science and philosophy. There can be no doubt that this principle applies also in this case.

In semantic analysis difference of meaning and of logical consequences are conceived of as closely connected: We prove identity of meaning by the identity of consequences, and disprove it by finding a different consequence of the expression under consideration. To presuppose that descriptive ought sentences are tools to find analogous relations for coordinated prescriptive ought-sentences is something like a perversion. If there is an inner relation of both kinds of inferences then the relations in the field of prescriptive sentences are primary and therefore the reason for descriptive relations are, so to say, secondary findings about prescriptive relations and operations.

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"Ought-sentences" by themselves have always and exc1usively prescriptive meaning, and there is no second face which would be descriptive. We may describe normative systems, and characterize them by descriptive sentences which refer to "ought-sentences" of the system and which contain them in indirect speech (modo obliquo so to say). Such sentences can be true or false, but their truth value characterizes the relation between the "ought-sentences" of the system and the ought expressed in the descriptive sentence modo obliquo.

9. Replacement of Normative Logic by a Logic of Propositions about Norms Often in combination with normological scepticism some authors (Englis 1947, 1960, 1964; Kelsen 1960; Walter 1990; Lippold 1989) hold the view that the role of normative logic can be taken over by a logic of propositions (descriptive sentences) about norms (or about normative systems). In this paragraph I shall try to prove that: (i) inconsistency of norm sentences cannot be derived from inconsistency (or contradiction) between propositions about norms (or about normative systems), but must be defined in the system ofnormative logic; (ii) normative scepticism holding that there is no normological inference and introducing deduction for the use of practical philosophy indirectly via deducti on with propositions about norms is untenable.

(i) Contradiction between (Inconsistency 00 Norm Sentences

Let us examine whether the notions of contradiction (inconsistency) between norm sentences can be introduced and defined by the help of the notion of contradiction (inconsistency) of propositions (descriptive sentences) about norms. It is c1ear that the terms "contradiction" and "inconsistency" as defined in the logic of descriptive language are not applicable directly to norm sentences, as they concem truth relations which do not apply to norm sentences.

I relate my analysis to Kelsen who deals with this topic in the 2nd edition of his Reine Rechtslehre (1960,209 f.) explicitly though not in a very elaborated way. In the logic of descriptive language, namely in c1assical two-valued systems, the propositions PI, P2 are called inconsistent if, and only if, the truth of PI implies the falsehood of P2 and the truth of P2 implies the falsehood of PI. [PI, P2 cannot be both true.] "This point is red", "This point is blue" [or "This point is not-red"] is an example of a pair of inconsistent sentences. 4'

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Kelsen works with the term Rechtsnorm which corresponds to normative sentence and Rechtssatz which is a descriptive proposition about a norm or about a normative system to the effect that a norm (a norm sentence) is valid in the normative system under consideration. Kelsen believes that the contradiction between Rechtssätze can be transferred to Rechtsnormen, so that norm senten ces "p ought to be" and "non-p ought to be" can indirectIy be defined as incompatible by help of the coordinated Rechtssätze "in the system Sn 'p ought to be' is valid" and "in the system Sn 'non-p ought to be' is valid". He implicitly presupposes, indeed, that this pair of Rechtssätze is inconsistent. Let us suppose that the normative system Sn contains in fact both norms "p ought to be" and "non-p ought to be". Then both Rechtssätze (propositions about Sn) are true, and therefore, of course, not inconsistent. It is evidently not possible to define contradiction (inconsistency) between normative sentences (Rechtsnormen) by a non-existing inconsistency between descriptive propositions about norms (Rechtssätze).

The illusion that the pair of Rechtssätze we have mentioned is inconsistent is evoked by the fact that they deal with an inconsistency of norm sentences, which holds between "p ought to be" and "non-p ought to be". But this inconsistency is a genuine normological one which is not defined as a truth relation of these sentences, but as a relation of their contents.

(ii) The Incompatibility of Normological Scepticism with Indireet Normative Inference

Some scholars of the structure of practical discourse have accepted the sceptical thesis that normological inference is ex deftnitione impossible, and hold that logical operations in practical philosophy and everyday practice of lawyers are deductions based on descriptive sentences about norms. But evidence can be given that such a conception is erroneous. Let us presuppose that the normative system Sn contains the norm NI, but not explicitly the norm N 2 • 1O Then the sentence about NI "NI is valid in Sn" is of course true. If in the descriptive language in which the sentence about NI is formulated a consequence "N2 is valid in Sn" is deducible from this true premise, then this descriptive conc1usion is false, because ex hypothesi no inference from NI to N2 is valid, as holds the presupposed view of normological scepticism. The advice of indirect inference via coordinated descriptive sentences is refuted: The presupposed inference would be a deduction which leads from a true premise to a false 10 "Not explicitly" means here "not as a fonnulated nonn sentence" yet perhaps as a consequence in the sense of genuine nonnative entailment of other nonn sentences.

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conclusion. This is at variance with the definition of inference, and proves therefore strictly that normological scepticism excIudes indirect inference via coordinated descriptive propositions about norm sentences. If, e.g., a normative system contains the normative rule "Everybody should work carefully" and if we hold that from this norm it does not follow "N.N. should work carefully", then we can truly say "According to the system Sn everybody is obliged to work carefully". If we derive from this descriptive sentence about Sn that also the thesis "According to Sn, N.N. is obliged to work carefully" we would get an untrue conclusion from a true premise.

(üi) Is Legal Dogmatics Purely Descriptive?

Another problem connected with descriptive sentences about norms is the socalled descriptivity of legal dogmatics. If legal norms are objectively existing entities then legal dogmatics has precisely the task to make true assertions about the norms of the legal system under consideration. This implies immediateIy, that legal dogmatics is nothing else than a system of descriptive sentences about a legal system to the effect that legal dogmatics is purely descriptive. At first sight this seems quite obvious, but a cIoser inspection shows that this view is erroneous. The thesis that the norm NI exists within a normative system under consideration Sn (i.e., that NI is an element of the system Sn) can be meaningful if, and only if, it is understood by the interpreter what NI means. It is therefore necessary to grasp the meaning of NI before making assertions about the norm or the legal system. Let us presuppose that NI is a norm-formulation, namely the wording of a piece of a law text. The understanding of NI is then bound to the Iinguistic expression and the interpreter's knowledge of the language used in the communication. The user of a language understands the meaning - the first reading may be provisionaI, but the understanding of the text is a consequence of his acquaintance with the language, its rules of structure and meaning rules. This understanding is not a process offorming sentences (propositions) about the respective series of signs but the coordination of meaning to signs and their series. It is repetition of the meaning of the sign series on the basis of linguistic meaning relations which are common to the sender and the receiver of the message and which is effected by the same knowledge of the language by both persons. The criticized conception that the receiver of a message forms true or false propositions about the message (here about the norm NI of the system Sn) is an untenable conception: Without the presupposed understanding of the sign series of the message there is no object which could be described and which could be used as the object justifying the truth or falsehood of the proposition about the norm.

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The interpretation is, of course, a process which follows and which leads very often to a transformation of the meaning or to its explanation or land modification. This process which may be more of an automatic process effected even in everyday live by the language user or more of an extended systematical scientific analysis, but in any case it continues to be connected with the original valid text; and it remains - so to say - an interpretative repetition or reconstruction of the valid norm-formulation. In consequence of this even the elaborated interpretation is not a cognitive structure but a linguistic expression (or a system of such expressions) with principally normative meaning. The process of hermeneutic analysis is, of course, very complex. It uses many different kinds of arguments, inter alia evaluative arguments; and scientific work in legal dogmatics is also a endeavour to systematize law so that we can speak of a rational reconstruction of the content of legal norms as they are expressed in law texts. But the result of this complex process presents in the end a system of informations which has normative meaning, and is not a system of propositions about the valid legal system. Legal dogmatics is not a system of descriptive sentences, but a system of norm contents.

10. Semantic Models and Normative Logic Several authors have proposed to use semantic models as a method for logical analysis in normative (or deontic) logic. The idea of possible worlds proved very useful for modal logic so that we may expect the same for deontic logic. There is no doubt that the use of the notion of possible worlds and their derivatives "deontically perfect worlds" or "admissible worlds" provide some analytical results but they also sometimes go astray. The compatibility of oughts can be analyzed by the help of deontically perfect worlds defined by the norms of the system. I confine my notes on this topic to some views of Jean-Louis Gardies (1979). Gardies has shown that the analysis by semantic models is a kind of - as he says quasi-extensional analysis applicable also to non-extensional fields as modal and deontic logic: Verifunctionality is not a precondition of these procedures. Also the fact that deontic sentences are not objective findings but valid dependent on accepted systems is no obstac1e for the application of these methods. I cannot deal with philosophical problems of defining possible worlds, accessibility of worlds and of the use of names in these contexts. They are not very relevant for our present analysis. Admissible worlds are defined as a subc1ass of accessible worlds, namely as accessible worlds approved by norms of the system under consideration.

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In this theoretical frame (i) the obligation "Op" is defined by the condition that in all immediately future admissible worlds (between which we may choose by our action) "p" is true; (ii) the permission "Pp", i.e., the non-obligation of p, means that there is at least one immediate future admissible world in which "p" is true (the obligation realized); but (ii) is implausible. Permission of p seems to me not the same as the existence of an admissible world containing p. Gardies tries to argue for the contested validity of Op -+ O(p V q) or to avoid the use of the truth-functional connective "-+" for the inference of 'O(p V q)' from "Op". There is, of course, not doubt that there exists no world in which "p" is true, but not "(p 1\ q)". Therefore every admissible p-world contains also "(p V q)". But it does not follow that a (p V q)-world is always an admissible world if "Op" holds. If "O(p 1\ q)" is valid then all (p 1\ q )-worlds are admissible, and each of them contains also "p", "q". But this is no proof that "Op" ("Oq") follows from "O(p 1\ q)". The possibility of non-fulfillment of one part of the conjunction - say of "p" - proves that the presupposed obligation does not guarantee that an admissible world will be realized. And the possible non-fulfillment of p transforms an admissible (p 1\ q )-world into a non-admissible reality, in which there is not justification of the obligation "Oq" (q may be even prohibited in this case). This shows the important limits of the method of semantic models for proving normative inferences.

11. Postulates Addressed to the Rational Legislator and Technical Ought in Place of a Logic of Norm Sentences It was astonishing for me that the famous author who wrote as folIows: "Deontic logic gets part of its philosophical significance from the fact that norms and valuations, though removed from the realm of truth, yet are subject to logical law. This shows that logic, so to speak, has a wider reach than truth" (von Wright 1957, VII) and who is gene rally considered as one of the most important fathers and authors of deontic logic, not only began to doubt this line of enquiry of deontic logic, but also retumed to the traditionalist view that inference is restricted and should remain restricted to truth-conserving deductive operations, so that a genuine normative logic cannot be conceived of in principle. lI This finding of the author became 11 This hypothesis is evidenced by the following quotation from the revised text of von Wright 1985, 268-69. "I think that the answers to alI three questions" [namely: Can prescriptions folIow 10gicalIy from descriptions? Can descriptions follow logically from prescriptions? Can prescriptions follow from other prescriptions?] is a firm No. The reason is simple: Logical consequence is a truth-preserving relationship. If from A folIows 10gicalIy B then either A is false or A and B are both true. Since prescriptions are neither true nor false they can flgure neither as premises nor as conclusions in 10gicalIy valid inferences." Cf. Weinberger 1984b.

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the starting point of a new substitute theory. I have no doubt that the suggestive force of Kelsen's late nonnological scepticism played an important role in this evolution (or perhaps "revolution") of von Wright's opinion. In analogy to Kelsen, von Wright denies the existence of logical relations between nonn sentences and the validity of nonnative inferences. There are only, so to say, pragmatic postulates addressed to the legislator (and everybody who is empowered to create nonns of the system under consideration). I must confess that I am hardly able to follow this line of argumentation and the advice for the way how to deal with nonns as objects of logical analysis. It seems immediately evident to me that postulates addressed to the legislator in order to make hirn a reasonable legislator are meaningful if, and only if, there are logical (and perhaps also methodological) rules of dealing with nonns. This means: if, and only if, there are logical rules of nonnative correctness (consistency and nonnative inference) the idea of a rationallegislator can be constituted.

To say that it would be irrational to state "p ought to be" and "non-p ought to be", because both cannot be realized at the same time is by no means a matter of self-evidence, but a consequence of the nonnological postulate of consistency for every system of nonns. This can be shown easily: "It is pennitted that p" and "It is pennitted that non-p" can doubtlessly be laid down without irrationality. We see that the relations within the system of nonnative structures are decisive about what is rational and what is not. The misunderstanding in this field arises from the fact that conflicting (inconsistent) nonns can be produced in fonnally correct processes of nonn generation. It is therefore a justified appeal addressed to every legislator not to enact incompatible rules. It would be pragmatically unsound to enact incompatible nonns as it would be unreasonable to state an ought which is not realizable (not even approximately) in consequence of laws of nature. But the definition of what are logically incompatible nonns can be given only by logical rules, and this is quite another thing from empirical impossibility to satisfy a nonn. To separate logical relations and empirical facts is very important. The consistency postulate is, of course, valid only in respect to one and the same nonnative system, but the logical relation of incompatibility holds also between ought-sentences of two different systems (Kelsen 1979, 196 f.). If they belong to different systems it makes no sense to take such incompatibilities for a sign of unreasonableness of one or the other legislator, but they are nevertheless incompatible. By help of the notion of "technical ought" von Wright introduces a new substitute theory for nonnative inference. A technical ought is expressed by a sentence which says that a measure (or action) or a certain state of affairs ("p") is necessary in order to guarantee (or to avoid something ["5"']) (von Wright 1984, 455). 'N(S --+ p)' symbolizes a technical nonn ("N" me ans "it is necessary that ...").

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In my view technical norms are a special way of expressing cognitive information. namely an expression which takes into account the relation of the cognitive information to a purpose. Technical relations are matters of fact. Adecision about what one should do presupposes both the technical information and the acceptance of the goal in respect to which the technical norm is formulated. In technical mies. as e.g .• in cooking recipes. the conative element is actually suspended: There is no genuine "ought" contained in it. G. H. von Wright's construction of the "technical ought" is of a special kind. Given a norm (or better: an ought-sentence. because for permission-sentences the procedure seems not applicable as it makes no sense to ask whether a permission is satisfied or violated) one may consider what has to be done in order to satisfy it. We may say therefore: If the norm is to be satisfied. such and such ought to (must) be done. This kind of "ought" is not identical with the "ought" stated in the norm. says the author. and he considers it as a "technical ought". which is an Is. notwithstanding the fact that something normative is presupposed in it. Let us suppose a valid ought-sentence in the system under consideration: p ought to be

(i)

The sentence expressing the respective "technical ought" would read: (ii)

"p ought to be" cannot be satisfied unless p' is realized

Evidently 'po is determined by p. if not even identical with p. 'po expresses a certain state of affairs which has to satisfy "p" either (a) through being the state of affairs p itself. or (b) through being a case of such a kind of states of affairs. or (c) through causing p. In case (c) .p' must be a sufficient condition for the effect p; and (i) is satisfied as soon as - but not before - the effect has taken place. But then one of the cases (a) or (b) is realized. I strongly doubt that there is a practicable way how to arrive at a theory of operations with norms by introducing a technical ought to fulfillment. This attempt of von Wright's to reduce normological operations to operations with purely cognitive sentences has. in my opinion. no chance of success. I am not able to provide an exact theoretical proof for this opinion. as von Wright has not worked out c1ear rules of such a procedure. but let me give at least an example which shows the difficulties to get along without a genuine norm logic. Let us consider the ought sentence: (A) Everybody ought to work and let be None of the addressees of (A). (A) can be satisfied if all addressees work. but it does not follow that N ought to work in order to satisfy (A).

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First, there are two interpretations of (A): (A 1): Taken in the so-called collective sense, N himself is not able to satisfy (A), but only all addressees taken together are. In this interpretation there is no valid logical consequence that N should work, because his working may be pointless in case some other person does not work. A 2 : In the distributive sense, (A) me ans "For all x: x ought to work" , and this may be reconstructed as a general conjunction of a class of individual nonns, each referring to precisely one member of the class of addressees. N can satisfy just one element of this conjunction, even in this interpretation, not the general role itself. Therefore we must first infer from "For all x: x ought to work" the individual ought-sentence "N ought to work" in order to gain a nonn which N has to satisfy. The frequent saying that N satisfies the nonnative role is only a short-hand substitute for this more complicated logical situation.

In the sense A 2 the consequence "N should work" is, of course, logically valid, but this consequence cannot be substantiated by considerations about the technical ought to fulfillment of A 2 , because N's working is not a sufficient means to satisfy A 2 . It is only a sufficient and necessary means to satisfy the individualization of A 2 , namely the logical consequence of A 2 , that N should work. Von Wright's turn to deny logical relations of nonns and to transfer the role of entailment into the field of rational operations with nonns to the "technical ought" and to operations with cognitive sentences about means of how to fulfill nonn-sentences seems not viable to me. We may take into account three categories of means to satisfy a nonn: (i) necessary conditions of fulfillment, (ii) sufficient, but not necessary, conditions of fulfillment, (iii) necessary and sufficient conditions of fulfillment. Let us take as an example the nonn: (B)

I ought to be in the lecture room at 8 a.m.

A necessary condition for fulfilling (B) is that I get up so me time before 8 a.m. A sufficient condition is to walk to the lecture room before 8 a.m. But to go by car would do as weil. To enter the lecture room before 8 a.m. and to stay there is a necessary and sufficient condition of the fulfillment. But is this something else than the fact of there being astate of affairs subsumable to the duty stated in (B)? As such a condition is sufficient only if the state of affairs - my being in the lecture room at 8 a.m. - is realized, necessary and sufficient means for fulfillment are exactly the states of affairs which are subsumable to the respective type of duty. What is only a necessary, but not a sufficient condition for fulfillment is by itself, that is, if the sufficient elements are not realized, not a means for satisfying the nonn. To get up so me time before 8 a.m. is not a part of the fulfilment of (B) by itself, but only if also a class of all other conditions leading to my being at 8 a.m. in the lecture room will be fulfilled.

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To realize a certain sufficient condition is not obligatory either. because any other sufficient way of fulfillment would do as weil. The essentiallogical step from a general norm to an individual duty as its consequence cannot be constructed via operations on sentences about technical ought of fulfillment. Can we substantiate a detachment rule conceming the hypothetical ought-sentence: (C) If P. then q should be. The technical advice how to fulfill (C) reads: (C') Bring it about that the state of affairs (p 1\ ...,q) will not occur! In order to establish the respective detachment rule we must prove that (D) p together with (C) can be fulfilled. if (E) q ought to be. is fulfilled. The addressee can satisfy (E) if he brings about q. In principle we must distinguish two kinds of states of affairs: (i) states of affairs accessible to change by action. and (ii) states of affairs not changeable by action.

If pis changeable by action. we may accomplish (C) and (E) together either by bringing about that "'P or bringing about that q. The technical advice does not distinguish these two possibilities of how to fulfill (C). Therefore the normological detachment rule is not provable by adeliberation

about "technical ought". 12. Final Considerations

I have presented a rather extended list of difficulties implied by different methods proposed to deal with the logic of norm sentences on the basis of logical systems of descriptive language. But this does not prove the impossibility of achieving a solution by other methods based on descriptive language. As we have not a complete list of possible methods a proof by exhaustive induction is not feasible. Only a general conceptual argumentation can convince us of the hopelessness of all attempts to base normative logic on logical systems of a descriptive language. There are some claims which we expect to be fulfilled by a system of normative logic; and I shall show that they cannot be satisfied by a descriptively based system. In my view the main postulates of a system to be accepted as normative logic are: (i) It should be a system of two disjoint and mutually intranslatable sentence categories. Therefore the system must have two kinds of variables (with disjointed classes of values of the variables). (ii) The sentences of both categories are distinct in neustic. but can have the same

phrastic; this means the same description may be the content of elementary

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dec1arative sentences as of elementary normative sentences; yet both kinds of neustics are a characterization of their different informative function. Normative sentences are characterized by normative operators in a way that they cannot be expressed by the help of dec1arative sentences. (iii) In normative logic there are two kinds of complexity: one within the content of sentences which can be analyzed by the help of propositional (truth-functional) connectives and one which concerns the construction of molecular sentences out of elementary ones. And this complexity cannot be reduced to truthfunctional relations because normative arguments do not fulfil truth relations. Inner complexity does not lead to analogous rules as are the rules of propositional logic. In propositional logic the premise "p /\ q" entails "p", "q". But supposing "O(p /\ q)" does not mean putting "Op" and "Oq", because the premise does not exc1ude the non-fulfilment of p (or q), and in this case it is not necessary that the other part of the ought is ordered. (iv) A system which is to be applied in the normative fields in practice must provide a theory of normative conditionals (and of normative rules). And these are sentences which are (a) norm sentences as a whole, (b) sentences to which the detachment rule applies (resp. a subsumption rule). And these cannot be arrived at in a system of purely descriptive logic. (v) The relation between ought-sentences and permission-sentences should be explained in such a way that permission is conceived of as secondary (because a purely permissive system is not a controlling system at all, because it does not exc1ude any state of affairs). The structure of the logic of propositions as weil as other systems based on truth-functional relations evidently cannot fulfil these postulates. In descriptive logic entailment is a truth determination of the conc1usion by a relation to arguments: The falsehood of the conc1usion is exc1uded by language relations to the premises. In normative logic with its two categorically different c1asses of sentences there must be another quality which concerns normative sentences and which is determined by logic deduction. There may be doubts whether in the field of norms there can be such a logical determination by premises. Normative premises are valid only relatively to the system under consideration. Sceptics may doubt whether in such a subjectively determined field there can exist strict objectively valid determination by normative (and therefore subjectively valid) premises. The ans wer is short and simple: in all fields - also in the field of propositionsl 2 - logical determination of consequences is purely linguistic and structural, and therefore always independent of objective or subjective supposition of premises. 12 Premises may be de facto false or they may concern possible worlds; all this does not affect the inference.

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My scepticism conceming the possibility to base normative logic on truth-functi on al relations which belong only to descriptive language does not exc1ude the possibility of indirect partial fields which may to some extent provide a substitute theory. The most promissing advice in this direction is the possibility to accept normative attributes as c1ass-defining criteria (cf. Otte 1968; Weinberger 1989,253 f.). The relations and operations with such c1asses characterize in so me way normative relations indirectly via relations of normatively defined c1asses.

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Prima Facie Ought A Logical and Methodological Enquiry

I. Defining the Problem Norm logic deals primarily with norms of behaviour. The subject matter of normative regulation is human behaviour or action in the broad sense embracing all kinds of behaviour of subjects who are able to act and to control their actions by voluntary decision. Therefore also non-acting, forbearing from an action, can be the content of an ought. The validity of normative rules and of individual norms in norm logic is conceived of as validity straightforward not restricted by additional circumstances like the notion of 'prima facie '. In norm logic there is no place for the distinction of simple validity and validity only primafacie. Some authors - in the first place W. D. Ross (1930) - were driven by methodological considerations of ethics and jurisprudence to introduce the notion of prima fade ought and prima fade validity of value judgements. Prima facie ought - in this sense - is a valid ought, but only provisionally as aphase of the consideration determining behaviour, but overridable for different reasons. It will be the task of my paper to scrutinize the problem situation of prima facie ought in moral or legal considerations. Introducing prima facie ought leads so me authors to work with two notions of validity: 'prima facie validity' and 'validity all things considered'. I would not like to accept the distinction of two kinds of validity. The simple concept of validity is fundamental, and validity prima facie, overridable or repealable validity, is only a modification which is introduced for specific methodological reasons. I understand that we need a suitable name for the unrestricted notion of validity when we introduce the notion of prima facie validity, but the term 'validity all things considered' is not appropriate for unrestricted validity: it does not express the fact that simple validity is basic, and restricted validity by the reservation 'primafacie' is only a modification ofthe normal notion ofvalidity used in norm-logical considerations. 'All things considered' does not express correctly the real situation of the opposite to prima facie: we never have the possibility to consider all things, i.e. all possible consequences of the ordered behaviour. The opposite to prima facie validity is something like definitive validity (or validity without restricting addition).

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Prima Facie Ought

In practical reasoning as weIl as in empirical considerations about nature and laws of nature the notion of exception plays a certain - though rather unc1ear role. If a mle describes only so-called "nonnai" cases, i.e. the great majority of cases of a certain type, then it seems reasonable to expect that there will be also so me exceptions, borderline cases of the type. If we use mies of thumb for the detennination or evaluation of our actions we may reckon with exceptional cases where the mle does not apply. But from a strictly analytical and scientific view the recourse to the notion of exception is not satisfactory. There always remains a remaining field of unexplained and undetennined cases - namely the exceptions because there is no c1ear definition which cases are exceptions and why they are to be judged in a different way than nonnal cases. Only if we define exactly the exceptional cases and the nonnative or evaluative consequences for these cases we get a satisfactory explanation or a justified practical mle. But then we would better not speak of "exceptions", as we have a specified judgement about these - now well-defined - cases. Therefore in empirical sciences we prefer to specify and define - if possible the borderline cases, and in the field of practice we try to analyze so-called exceptions by defining specific circumstances justifying the modification of ought consequences in such cases. May be that mies which provide only an approximate orientation for nonnal cases - namely: mies with exceptions - are useful in some situations, but the common saying "that the exception confinns the mle" is mere nonsense, as weIl in the field of recognition of nature as in the field of practice. The problem of prima facie validity in practical philosophy - mainly in ethics and jurispmdence - embraces three important questions: (i) the explication of circumstances where primafacie validity takes place;

(ii) the confrontation of two kinds of justified decision-making, namely by presupposed general mies or by evaluating considerations in respect to the actual case; (iii) how can one express prima facie ought in such a way that overriding or repealing of the ought conc1usion from nonnative mies becomes consistent with the mies of nonn-Iogical deduction. These questions and connected problems are in need of a more detailed analysis based on some preliminary considerations. The role of nonns and value judgements can be explained only in an action-theoretical perspective, namely if we take into ac count the role of nonnative rules and evaluations as tools for determining action. Therefore my first step will be a consideration about the determination of action by nonns and evaluations.

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If a nonnative rule 'If p then q ought to be' is valid and pis in fact the case, the obligation q folIows. This is a logical consequence of the validity of the rule and the fact p. A restricted validity of the rule - namely prima facie validity - to the effect that the conclusion may not follow in some cases is in conflict with the principles of nonn-Iogical inference. Therefore the logical task of analyzing the problem of prima facie ought is to find such a structural explication of prima facie rules that operating with overridable validity will not violate general principles of nonn-Iogical inference. There are , of course, methodological reasons why it seems sometimes useful and justified to speak of prima facie rules which are actually valid in some sense, but overridable under certain conditions. To overcome the conflict - at least the apparent conflict - between the logically inferred validity and overridable validity defines the logical problem of prima facie ought.

11. The Programme of My Approach I shall underpin my argumentation by some preliminary considerations, namely the following: (i) The notion of validity is used in nonn logic and in practical philosophy, yet in different ways; therefore I shall explain the relation of the use of the tenn 'validity' in both fields. (ii) Which are the different objects which we may characterize as prima facie valid? I shall distinguish (a) individual and general theses as objects of prima facie validity; (b) nonn sentences and value sentences - including preference sentences; and mainly (c) different types of general nonn sentences. The clarifying analysis of the problems we are investigating here will have two starting points, namely the action-theoretical approach in practical phi losophy, and the recognition of a certain revolution in the theory of legal sentences (cf. Weinberger 1998b). (iii) In my opinion all fields of practical philosophy should be analyzed in an action-theoretical perspective, and this theoretical view of action must be conceived of as based on specific infonnation processes; therefore we should clarify the different methods in which choices and action can be detennined by practical infonnation or / and acts of value decision. On the basis of this preliminary orientation I shall discuss the problems and methodological reasons why we sometimes introduce the restriction of validity to prima facie validity: (iv) Validity and Defeasibility of Practical Theses. 5 WClnhcrgcr

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Prima Facie Ought

In the last paragraph I shall try to find a logically appropriate form for expressing prima facie ought and prima facie value statements without sacrificing logical consistency of practical reasoning under the heading: (v) The Logical Form of the Prima Facie Restriction.

IH. Some Preliminaries (i) Validity in Logic and in Practical Philosophy

In norm logic the notion of validity plays the role of a mark analogously as truth is a mark of descriptive sentences when they are communicated as information or used as arguments in proofs. In norm logic validity is the hereditary feature in deduction as truth is it in the logic of descriptive language. In both realms the attribution of this mark is a sign for taking the respective sentence as apremise or as a senten ce deduced from accepted suppositions. When we are using the notion of truth of aproposition or that of validity of a norm sentence in logic we abstract from the process of justifying the knowledge of truth and of the acceptance of validity of the norm sentences under consideration. Yet in other considerations the method of justifying the recognition of truth or of the acceptance of the validity of norm sentences are very important. The discussion of validity and restricted validity in the sense of prima facie concems problems of acceptance and justification or the actual application of norms in practical reasoning, but not the theory of logical operations. The problem of prima facie validity has no impact on the theory of norm-Iogical deduction, but the appropriate formulation of prima facie ought avoiding logical inconsistencies is in some way a problem of logical methodology in practical philosophy.

(ü) Which Objects can be Characterized as Prima Facie Valid?

The notion of prima facie applied to practical sentences does not deny the validity of the practical sentence - the practical sentence remains accepted in principle -, but it is in some way overridden or overridable by special reasons in some cases. The prima facie restriction is applied in respect of two kinds of practical sentences: in respect to value sentences or in respect of norm sentences. The valuation of an object is either agIobaI act or the result of a c1ass of value attributions according to different criteria which - in a second step - are combined into a total valuation. The partial valuation under a certain criterion is prima facie in the sense that the valuation is valid only as partial valuation, but not alone deter-

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mining practical decision which in fact is determined by the value result of the complex valuation which may be in conflict with some partial valuations. It seems therefore that the logic of evaluation is bound to a mechanism of comparison and also of overriding partial value considerations by the total valuation resulting out of a class of partial valuations according to different partial criteria. The total valuation is dependent on the relative weight of the partial valuations. Norms of behaviour are generally conceived of as the definite mies of how to act. Stating norms in processes of norm creation express the result of a norm-determining decision process. Speaking of primafacie validity means reopening the argumentation about the normative decision. If the normative regulation is restricted as only prima facie valid, i.e. overridable by specific considerations, the justifying argumentation for creating the norm is reopened in which the norm which is considered valid only prima facie is used as an argument in the deliberation side by side with other practical arguments. The object of prima facie validity may be an individual sentence or a general one (a mle). The problems of overriding argumentation are similar in both cases.

(Hi) The Determination of Choice

and Action

Action is information-determined behaviour, and it is justified not only by the knowledge of facts, empirical laws and advice, how to realize purposes ("knowhow"), but always also by practical information, namely by accepted aims, preferences or / and normative mies. On the basis of this conception of action (cf. Weinberger 1998a) we arrive at the view that there are in principle two kinds of practical determinants of individual and social action: (a) teleological and preferential determination, and (b) determination by normative mies. There is, indeed, a complicated interplay of different kinds of practical determinants which are effective in modem society. This complexity does not result only from the duality of teleological (or utility) determination and normative determination, but in addition from the fact that in modem society people are subjected to a plurality of systems of normative regulation: law, mies of social morality, religion norms, social habits, and - last, but not least - mies of specific professions or of actual binding situations. The decision conceming a choice or an action is either a result of adeliberation aiming at an optimization under the presupposed purposes and preferences in the actual situation of deciding or the decision, how to act, is determined by an accepted mle of behaviour. E.g.: I decide to go to bed at 11 o'clock p.m., because I feel tired and prefer this decision to the possibitily of continuing reading, or I go to bed at this time because I have stated (or accepted) the mle for myself to go to bed at this fixed time. 5'

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Prima Facie Ought (iv) Types of Normative Rules

Precise analyses and important insights of logical and methodological character led to a transformation in analytical legal philosophy: The aim to find a general form for expressing all possible contents of law (of legal regulations) has been abandoned. In the second stage of analytical jurisprudence essential formal differences in the structure of legal rules have been acknowledged together with distinct advices how to apply them. In the first stage of analytical jurisprudence - and in norm-Iogical analysis on which it was based - only human behaviour or action (including of course also omission) were conceived of as the content of normative regulation. The application of these rules of behaviour was determined by the rule of subsumption: if the conditions for subsumption are fulfilled. the normative consequence for the given case is determined and the respective decision is justified. But there are legal mies - explicitly formulated or only implicitly accepted which play an important role in justifying decisions (especially in so-called hard cases) which have a structure and meaning rather distinct from rules of behaviour. This has been shown mainly by J. Esser (1964) and R. Dworkin (1978). Hard cases which are not decidable by mere application of rules of behaviour in a subsumptive argumentation. but require as additional arguments principles (and perhaps also political considerations) are decided in a process of a more complicated stmcture. If the legal decision can be gained by application of mies by mere subsumption the decision is so to speak prefabricated at least in its basic lines. Here the discretion of the judge concems only so me evaluation which is sometimes necessary for realizing the subsumption. and the specification of the decision within the given frame which is logically determined. In hard cases there is not such a clear frame preestablished by rules of behaviour. but decision-making depends on more abstract and often teleologically defined principles which do not define a clear and univocal frame for the decision. In hard cases the discretion of the judge on the basis of principles is a result of weighing the case in the light of different principies. Here the decision is not defined by norm-Iogical inference. but is a result of applying principles and weighing their relevance for the given case. Behaviour mies must not be in such a logical conflict that they would justify incompatible decisions; but different principles which are in so me way relevant for a given case may tend to lead the decision into different directions. Deciding on the basis of principles means realizing a genuine preference decision in the field of different possibilities. Besides. in such hard cases the finding of the suitable principie is not a formally determined operation (as in the case of subsumption). and sometimes a new principle must be invented by the judge. Evidently the category of principles is a category of norms which is distinct from that of mies of behaviour. I

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Another basic distinction in the field of nonnative rules has been realized by the recognition that power-conferring rules (or empowering rules) are fonnally irreducible to rules of behaviour (cf. Weinberger 1989, 253,261 ff.). This is remarkable as in the first stage of the deve10pment of the dynamic theory of law - especially with H. Kelsen - the peculiarity of power-conferring nonns has not been recognized. The validity of nonns created on the basis of empowering rules was justified by a higher nonn (or better: by an empowering nonn) ofhypothetical structure, but nobody noticed that the structure of the empowering nonn is distinct from a conditional nonn of behaviour. The empowering nonn can be described symbolically by the foltowing scheme: For alt A(N) and alt N: If AS(N) then N. (Where "As(N)" reads "the nonn creating act of the nonn N of the empowered subject S".) In this fonn the connection of the content of the nonn-creating act with the implied nonnative consequent is essential, but this connection cannot be realized by an ordinary nonnative conditional. The justification of a nonn established by an legislative act or of nonns of legal decisions on the basis of empowering nonns is composed of two elements: namely (a) by the presupposed validity of the empowering nonn, and (b) by the recognition of the fact that the nonn-generating act has been duly realized. Therefore, indeed, legal dynamics realized by nonn-creating acts is an interplay of established power-conferring nonns and actual social facts, namely the realization of nonngenerating acts. There are other nonnative rules of a specific structure which cannot be applied by mere subsumption, namely tasks imposing nonns (teleological nonns) and comparative nonns which indicate criteria and standards for the relative evaluation of different cases (cf. Otte, 1972,301 ff.; Wilburg 1950; Weinberger 1998a). Without going into details here we can easily see that validity restrictions of the prima facie type are not in the same way relevant in respect of different fonns of nonnative rules. Considerations about restricted validity and about defeasibility of practical theses deal with pragmatic reasons for modifying the use of nonnative regulations of behaviour and of justifying value or preference sentences. There are different types of reasons for the restriction of validity and applicability of nonnative rules: this means that for different types of nonnative rules the problem of prima facie validity and defeasibility has a different character.

I Principles may be of different logical structure, they may be rather abstract. so that they cannot be regarded as a description of behaviour. or they may be of teleological character. It is worth mentioning that principles play different roles: they function as legislative maxims, i.e. as arguments in de lege /erenda argumentation, or as arguments in determining decisions of legal cases or as arguments in hermeneutic argumentations.

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(v) Rules of Behaviour and Their Exceptions

If a rule of behaviour is posited only as a rule of thumb we must expect that there will be some cases - so to speak: borderline cases - in which the normative consequences stated by the rule are not acceptable. This form of ruling is not c1ear. In legal practice there should be given an additional competence rule stating who is empowered to acknowledge exceptions and to realize the restriction of the rule to normal cases and to exc1ude the application of the rule in exceptional cases. Even in relation to genuine rules of behaviour there can exist good reasons for restricting their field of relevance in some c1early defined cases: (a) The case under consideration may be one which was not present (or could not have been) in the mi nd of the legislator when formulating the law, or (b) at the time of legislation cases of this specific type may not yet have existed. It may be reasonable to give the judge under such conditions the competence to restrict the applicability of the rule to "normal" cases and to exc1ude justified exceptions. If the given rule reads "If P then q ought to be" ("p > Oq"), the modification leads to the effect of splitting the given rule into two rules: (p & not-PI) > Oq

where r is different from q, and PI is an extraordinary circumstance.

IV. Validity and Defeasibility of Practical Theses The problems of validity and abolition of validity of normative theses have to be treated on two levels: as problems of normative, especially legal dynamics, and as problems of pragmatics of normative justification. In the perspective of legal dynamics the production of new norms and changes in the normative system is a legal process determined by specific normative rules. From an action-theoretical standpoint we can conceive the relationship of the individual case norm and general rules in the following way: behaviour rules determine the decision how to act and how to value given cases in advance, because the individual norm follows logically from the general rule and the actual findings of the case. The case norm can be justified also in another way, namely by taking an immediate value position towards the case. The immediate evaluation of the case if not justified by a preestablished general rule - is often orientated by presupposed principles or land value standards. Such a value decision is not logically determined - as it is in principle the case with argumentation by subsumption on the

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basis of general rules - but it is the result of reasonable weighing and of voluntary decision acts. Rule-sceptics believe that general nonns cannot properly do justice to the determination of the case nonn, yet legalism, in opposition to this view, holds that only previously established general rules are the very core of the justification of the case nonn, i.e. the legal decision. This controversy can be dissolved by the following consideration. Practical evaluation and the justification of a case nonn defining the decision in a specified case is bound to a weighing comparison of similar and different cases, not only a simple taking of a value position with regard to the given case. The evaluation of individual cases is realized with an eye on the class of comparable cases, this means, it is realized in a generalizing view. Therefore the basic scepticism conceming the use of general rules is not justified; on the contrary, without rules and principles there is no rational value analysis. Within the frame of detennination by rules there are of course elements of discretion about the conditions of subsumption - the subsumption of the facts of the case may be dependent on evaluation -, and about the specification of the nonnative consequences. The general rule often works as a detennining frame, but not as a strictly univocal detennination. The adaptation of the frame stated by the general rule to the special features of the actual case is realized in two places: 1. through the analysis of the subsumptability of the case under the rule, and 2. by the specification ofthe nonnative consequences. The adaptation of the general rule by evaluative processes by which the case nonn is detennined concems the nonnal application of the rule and is not a modification of the general rule, but adecision in accordance with its purpose. General rules of behaviour can imply consequences for cases which the nonnsetting authority did not intend to meet with the rule, because he forgot these pos sible cases or because such realities did not yet exist at the moment of the creation of the rule. How to deal with such exceptional cases? Should we remain at the binding force of the rule as it has been fonnally established or should we presuppose the implicit competence of the judge to restrict its applicability to cases which are really intended? To me the restriction seems justified. But I am aware of the fact that this restriction is fonnally contra legern, if we do not accept an implicit legitimation of the judge to be empowered to such a justified modification of the validity (or applicability) of the law. When we accept such a possible intervention of the judge, would we say that the rule of behaviour is therefore only valid prima facie? I wonder whether such a tenninology would be useful. A special situation arises when a system of nonns contains conflicting rules. This means that in the system there are rules which under the same (or logically equivalent) conditions order incompatible nonnative consequences. Incompatible behaviour which is ordered by reasons of logic cannot be fulfilled. It seems reasonable to treat the situation so as if there were no nonnative regulation in the case under discussion?

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V. Overriddability and Normative Consistency The view that there is a valid rule of behaviour, but it is defeasible because of specific reasons so that it should not be applied in certain subsumable cases leads to normative inconsistency: In some subsumable cases p ought to be (following the rule), and in some other subsumable cases p is not obligatory (because in these cases the rule is overridden by specific reasons). This dilemma of analytical jurisprudence can be overcome only by an authorization of the judge (perhaps stated only implicitly) to modify the rule or not to apply it under certain conditions. This case of corrective intervention of the judge, not to apply a law, because of overriding reasons, has to be carefully distinguished from the competence of the judge not to apply the law which he does morally not approve of. [Some partisans of natural law doctrine presuppose this competence of the judge at least in respect to deeply immorallaw.] Such a competence would be very problematic, because in normal political situations there is no good reason to trust more the morality of the judge than that of the legislator. In other cases - if there are strong and evident reasons for the modification of the rule - it seems rather reasonable to presuppose such a corrective competence of the judge. But the justification of such a corrective application of the legal rule should be c1ear and restricted to weil defined circumstances. Otherwise legal certainty would be in danger.

VI. Motives and Reasons for the Restriction of Applicability Practical information serves either as adeterminant of action or as an argument in the justifying process about the rule or of the individual norm how to act. Sentences used as arguments determining the decision to act are in principle exposed to considerations which may lead to their being overridden. Purposes may be overridden by other purposes wh ich are taken to be more important (i.e. stronger); values may be outruled by stronger values, etc. These features of practical information used as an argument for deciding how to act are by their very nature defeasible or overridable. But I believe that this is not the essential field of the problems of prima facie validity in the proper sense. The differentiation of the character of normative rules which I have discussed earlier leads to the recognition that only rules of behaviour are the proper object of prima facie validity. In respect to power-conferring rules the restriction to prima facie validity does not apply. There can arise, of course, such a situation that in the life of an institution there would be a need for normative regulation which is not 2

Or is there only an undecided choice between the stated conflicting alternatives?

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given or that such forms of action are prescribed that cannot be accomplished in the prescribed way. Legalism presupposes in such situations that the situation is legally not solvable, but institutionalism - classical as weil as neo-institutionalism - holds that the institution is duty bound and able to produce a solution in the mi nd of the leading idea of the institution even without an explicit empowering rule. [Yet there remains an open question which organ will and should have the competence of immediate action in order to preserve the institution. The action will not be illegal though legally not predetermined.] The defeasibility of behaviour norms take different features in moral and legal contexts. The moral ought leads to a restriction of possible means to permissible ones to fulfill our aims, i.e. ought produces taboos which eliminate possible, but not allowed means. The morally prescribed action may be defined by a final decision or it may be more or less only a proposal which underlies a justification by continual moral valuation. Under this perspective the moral ought is only primafacie valid, but overriddable by stronger duties or values. Moral autonomy leads to continuing value considerations, and moral ought therefore undergoes changes by new and possibly overriding valuation. Here logical inconsistency does not arise. In opposition to the realm of moral considerations legal norms are valid as a result of a norm-determining argumentation and a normatively prescribed normcreating process. Therefore legal norms of behaviour are valid as such, without prima facie reservations. But there are two perspectives under which defeasibility of legal behaviour rules can be considered: 1. The formal rules of norm creation define the empowered organ and the due process of norm creation. In the opinion of jusnaturalists there are additional moral criteria as a precondition of the validity of norms produced in due processes. But it remains problematic how such minimal standards of morality for the validity of legal norms can be philosophically justified. (Therefore this kind of restriction of legal validity may be in fact empty, because there are no apriori valid moral standards for legal validity). 2. There are circumstances which make valid legal norms inapplicable or which justify to conceive them as valid only prima faeie. It would be necessary to state explicitly reasons which can justify the inapplicability or modification of behaviour rules in special cases:

(i) It can be proven - or presupposed with good reason - that the legislator did not consider the type of cases in which the applicability of the rule is denied. (ii) The type of cases in which the applicability of the rule is denied is a new kind of circumstances which therefore has been unknown to the legislator. (iii) The reason for which the rule was stated is not valid anymore. Sometimes it may be reasonable to deny the applicability of the rule because of eessante ratiane. But this argumentation may become problematical and lead to legal un-

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certainty. The reason why a rule was created is not always c1ear and it can be doubted whether the presupposed reason is in fact the sole reason. Therefore jurists generally prefer the standpoint "cessante rarione non cessit lex ipsa". (iv) If there is a conflict of rules so that no indubitable ought can be recognized, there is no other possibility than to reopen the normative deliberation and to decide which of the conflicting norms should be considered as relevant. (v) If a valid rule is not in conflict with another rule, but seems to violate essential legislative principles, then only in exceptional cases the non-application of the rule can be reasonably justified, because the stated rule is mostly a c1earer decision than the principle used as an argument against the applicability of the rule. VII. The Logical Form of Prima Fade Restrictions

Our analysis has shown that the logical problem of prima facie validity does not concem all normative rules and all cases of valuation. The problem to avoid inconsistency if we justify the non-application of valid rules in exceptional cases concems rules of behaviour which are applied by subsumption. The reasonable presupposition - given explicitly or only implicitly - that the judge is authorized to restrict the application of law under strictly defined conditions - can be formally expressed by inserting an additional negative condition for subsumption "unless there are exceptional exc1uding circumstances" into the conditional form of the rule. Then there does not arise any inconsistency with prima facie restrictions. And there is no need to introduce a notion of weakened validity, namely validity only prima facie. The whole problem of prima facie validity has reduced the difficulty to define reasons for non-applicability of valid norms in exceptional cases in an appropriate way.

References Dworkin, R. (1978): Taking Rights Seriously. 2 nd ed., Harvard. Oue, G. (1972): Komparative Sätze im Recht, In: Albert H. et al. Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 2, Düsseldorf: Bertelsmann. Ross, W. D. (1930): The Right and the Good. Oxford: Clarendon Press. Weinberger, O. (1989): Rechtslogik, 2 nd ed., BerHn: Duncker & Humblot. - (1998): Alternative Action Theory. Dordrecht et al.: Kluwer Academic Publishers. - (1998a): Die Revolution in der Rechtssatztheorie. ARSP, Vol. 84, H. 2, pp. 263 - 270. Wilburg, W. (1950): Entwicklung eines beweglichen Systems im Bürgerlichen Recht. Graz: Karl-Franzens-Universität.

'Is'and 'Ought' Reconsidered Comment on G. H. von Wright's Lecture "Is and Ought"* Foreword G. H. von Wright's opening lecture on "Is and Ought" has marked a new position of the famous author. The lecture dealt with the main problems of norm ontology, and reconsidered the philosophical basis of deontic logic, respectively of the logic of norm sentences. The lecture has not yet been duly published, only a preliminary version, designated by the author as "not publishable" has appeared in the congress papers. But the importance of the lecture compels me to express my views on von Wright's conception of norm ontology and its implications for the logic of norm sentences. I apologize for not having waited for the definitive publication of the lecture, but von Wright's contribution is so important that inquiry in this field should not continue before von Wright's interesting views have been discussed thoroughly: I shall refer only to the opening lecture itself and I will not use the written text except as an aid to memory.**

1. 'Ought' - Prescriptive, Descriptive, Technical Some authors have introduced the distinction between a prescriptive and a descriptive 'ought' (Hedenius, Kelsen, von Wright 1). In the opening lecture to the World Congress von Wright has introduced a third category, namely the 'technical ought'. I do not doubt the fact that the term 'ought' in English as weIl as in German and analogous expressions in other languages ('Sollen' etc.) are used with different meanings. It is true that ought-sentences of ordinary language can be interpreted differently according to their linguistic and factual context. 'N should work'; 'It is true that, according to his father's command, N should work' or, in German, even

* G. H. von Wright's opening 1ecture to the 11 th Wor1d Congress on Philosophy of Law and Socia1 Phi1osophy, presented 15 th August 1983. ** See "Annex", p. 94 ff. I G. H. von Wright, Norm and Action, London 1963, p. 105. H. Ke1sen, Reine Rechtslehre, 2. ed., Vienna 1960, p. 77 f. E. Hedenius, according to von Wright, op.cit.

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'Er soll pleite sein' ('He is said to be insolvent'), exemplify different meanings of 'ought' in ordinary language. But this is, in my opinion, of no relevance for norm ontology, as norm ontology is not an analysis of meaning in ordinary language. Even in Wittgenstein's conception philosophical analysis aims at a rationalized reconstruction of the deep structure of ordinary language. The concept of the deep structure of language expressions embraces the postulate of rational reconstruction, because otherwise the deep structure, i.e. the real meaning of linguistic utterances, could not be exhibited. An analysis of the deep structure presupposes a broader view of language, that is, a consideration not restricted to the analysis of words and sentences of ordinary language but taking pragmatic situations and logical relations into consideration as well? I do not share the opinion of Wittgenstein and of the Ordinary Language Philosophy that the reference to correct use of language by native speakers is a valid argument in philosophical analysis. What is decisive, in my opinion, is the appropriate analysis of the problem situation. The relevant problem situation for considerations conceming norm ontology is human action. The concepts of 'norm', 'norm-sentence' and other 'practical sentences' (e.g. of sentences expressing goals oe preferences) should be conceived in relation to the application of these concepts in determining individual and social action. First, we must deal with the opposition of prescriptive and descriptive 'ought'. This opposition may be conceived at least in one of the three following ways: (i) The universal concept of 'ought' may be considered as divided into the subconcepts 'prescriptive ought' and 'descriptive ought'. (ii) One and the same series of signs, called 'ought-sentence' is always ambiguous and can be interpreted both as meaning a prescriptive ought and as meaning a descriptive ought. (iii) 'Ought' is by its very nature a double-faced entity, being prescriptive and descriptive at the same time. Ad (i): 'Ought' cannot be a concept which is divided into the subclasses 'prescriptive ought' and 'descriptive ought', because there is neither a property which could function as a genus proximum, nor is there a property which could be used as a dijferentia specijica. Besides, 'being prescriptive' is the main conceptual content of 'ought' - 'prescriptive ought' sounds like a metonymy, and 'descriptive ought' like a contradiction in terms. Ad (ii): Polisemies of natural languages should not be transferred into the language of logical reconstruction. Where 'ought-sentences' have double meaning in natural languages, we have to introduce different rational reconstructions, which 2 Wittgenstein himself analyses language always as a phenomenon in a broader pragmatic context. Cf. O. Weinberger. Tiefengrammatik und Problemsituation. Eine Untersuchung über den Charakter der philosophischen Analyse, in: Wittgenstein and his Impact on Contemporary Thought. Proceedings of the 2nd International Wittgenstein Symposium, Kirchberg 1977, p.290-297.

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will be relevant in norm logic and norm ontology. If we understand a sign series as an 'ought-sentence' then it is superfluous to call it a 'prescriptive ought-sentence', because it is analytic that an 'ought' is prescriptive; but if the series is understood as a descriptive sentence, then we have to explain in which relation the 'ought' referred to is taken to be descriptive, and, therefore, to be true or false. Such a sentence should be reformulated in the course of logical analysis in an appropriate way; by virtue of this reformulation it should be distinguishable from a genuine 'ought-sentence'. Rational reconstruction of language should eliminate the ambiguities of common language. Ad (iii): The theory of the double-faced character of 'ought' will not do either. An object cannot have incompatible properties like 'being prescriptive' and 'being descriptive'. It may be the case that an object seems to have incompatible properties, but in such cases philosophical analysis must exhibit the different relations in which one or the other property applies. 'Ought-sentences' by themselves have always and exc1usively prescriptive meaning, and there is no second face which would be descriptive. We may describe normative systems, and characterize them, by descriptive sentences which refer to 'ought-sentences' of the system and which contain them in indirect speech (so to say modo obliquo). Such sentences can be true or false, but their truth value characterizes the relation between the 'ought-sentences' of the system and the ought expressed in the descriptive sentence modo ohliquo. Von Wright's attempt to introduce the notion of a 'technical ought' as a third category of 'ought' is exposed to the same criticism. Nevertheless, it is an interesting attempt. It points at the fact that norms may be considered as having a teleological background, but - as I shall argue later - they must not be identified with the goals which they serve as tools, and von Wright does not presuppose this. The 'technical ought' is completely distinct in meaning from an ought in the ordinary (genuine) ought-sentence. 'If you wish to make a pudding, you should .. .', does not order anything. It only describes the consequences of so me possible procedure how to attain a goal. No duty arises to anybody out of a technical advice, such an advice being only a description of the effects of possible procedures; it is a specific expression of causal relations and of know-how. 'Technical ought' can be neither a subconcept of 'ought' (in the genuine prescriptive sense), nor can it serve for an alternative interpretation of ought-sentences, nor does it exhibit a third face of 'ought'. But 'ought', which - in my opinion - is always prescriptive, may be conceived as an instrument for attaining some goal (or goals). 3

3 But the goals wh ich a norm aims to attain are not a constituent part of the meaning of the norm under consideration. One and the same norm may be viewed by different persons as aiming at different goals.

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2. The Gap between 'Is' and 'Ought' - why and what for?

The Is-Ought-Question is one of the most widely debated topics in practical philosophy. Many writers take it for an evident fact of logic that there is a gap between 'is' and 'ought', so that norms and prospositions are not only c1early distinct realms of ideal entities, but even that these realms are unbridgeable and thus, that descriptive sentences do not entail norm-sentences, and vice versa. On the other hand, so me philosophers deny this gap and prove (or try to prove, as their adversaries see it) the derivability of 'ought' from 'is'. And there is a third group, denying even the possibility of logical relations (like, e.g., contradiction) among oughtsentences and accordingly even denying the very possibility of norm-sentences to be members' of inferences. Half a century of endeavour to settle this dispute and to find a solid basis for norm logic (deontic logic) did not succeed, nor did the opposition against the possibility of norm logic stop the growing of literature on this topic. In fact, most partisans of the view of the conceptual impossibility of a logic for norm-sentences tried to provide some substitute theory which should replace a genuine norm logic. Substitute theories were the result of the denial of the very possibility of norm 10gic in the teachings of J~rgensen4, Englis5 , Kelsen in the latest period of his work - who tumed from a proud founder of the idea of norm logic 6 to a fighter against the possibility of such a logical discipline 7 - and von Wright hirnself in the lecture I am dealing within the present paper. 8 Research in norm logic and in deontic logic seems to be actually in a very unsound situation: (i) there are fundamental divergencies in opinions of how to arrive at an effective logical system, suitable for logical analysis in the field of normative disciplines, especially in legal theory, in practical jurisprudence and in ethics; (ii) there are fervent opponents of the very possibility of norm logic, but they did not succeed to stop the stream of inquiry aiming at a construction of norm logic, and Cf. 1. 1~rgensen, Imperatives and Logic, Erkenntnis 7 (1937/38), p. 288 - 296. K. EngliS, Mahi logika. Veda 0 myslenkovem radu (A Short Logic. The Science of Order in thought), Prague 1947; K. Englis, Die Norm ist kein Urteil, in: ARSP 50 (1964), p. 305316. 6 H. Kelsen, Was ist die Reine Rechtslehre? (1953), reprinted in: H. Klecatsky/R. Marcic/H. Schambeck, Die Wiener rechtstheoretische Schule, Vienna et al. 1968. p. 611629, "Die Logik, die die Reine Rechtslehre sozusagen erst entdeckt hat, ist eine allgemeine Norm-Logik, das heißt: eine Logik des Sollens oder der Soll-Sätze, die Logik einer auf Normen, und nicht auf die natürliche Realität gerichteten Erkenntnis" (p. 617). 7 H. Ke1sen, Allgemeine Theorie der Normen, ed. K. Ringhofer 1R. Walter. Vienna 1979. eh. 57, 58 and p. 298 ff.; O. Weinberger, Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik. Eine Auseinandersetzung mit Hans Kelsens Theorie der Normen, Berlin 1981; O. Weinberger, Kelsens These von der Unanwendbarkeit logischer Regeln auf Normen. in: Die Reine Rechtslehre in wisunschaftlicher Diskussion, Vienna 1982, p. 108 - 121. M Cf. G. H. von Wright, Is and Ought, in: Plenary main papers and commentaries, Helsinki 1983. 4

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(iii) the work of all authors of this category - as far as I am acquainted with them resulted in the proposal of some kind of "substitute theory" which should take over the röle of a logical analysis of nonns indirectly. In my opinion, the first step in order to give a sound basis to nonn ontology is to define an appropriate semantics for the field of practical philosophy. From this point of view it seems necessary to introduce a language which would be able to express two kinds of infonnation: infonnation describing observable facts (inc1uding nomological relations between facts) and practical infonnation (i.e. infonnation expressing elements connected with willing: standpoints, ends, intentions, nonns, valuations, preferences etc.). The process of infonnation transfonnation detennining action is based on two categories of infonnation, one expressed by theoretical, the other by practical sentences. I believe that these processes can work only if there is a c1ear, hard and fast distinction of meaning between these semantic categories of sentences, and if they are conceived as mutually underivable from one another. It is, of course, possible to introduce descriptive senten ces about a subject to whom the attitude expressed by a practical sentence is attributed. But such sentences contain a practical idea modo obliquo (i.e. in indirect speech), and indeed, such sentences cannot be constructed without a semantic detennination by means of practical elements. (I)

S is aiming to attain the goal p

is a description of the state of mind of the person S, but this state of mind cannot be expressed without the notion of 'goal' or a similar concept. In any case, (1) is not the same as adescription given without use of any practical notions, e.g.: (2)

S will probably do something which causes the state of affairs p. Under any reasonable interpretation (2) is evidently different from (1).

Ought-sentences are a kind of practical sentences. The metatheoretical postulate for any construction of a nonn logic, namely the requirement of underivability of ought-sentences from theoretical (purely cognitive) sentences doesn't exc1ude the possibility of deriving ought-sentences from other practical premises, e.g. from sentences about goals or from sentences expressing the cognition of appropriate and necessary means. Nonn ontology must separate three levels of inquiry of nonn-sentences: (i) the field of philosophical Iinguistics, having the main task of providing a semantics for practical philosophy in general, and for the nonnative disciplines in particular: (ii) the philosophical foundation of the principles of norm logic, i.e., the justification of metapostulates for the construction of useful systems of nonn logic;

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(iii) the recognition of the role of normative systems in the field of individual and social action.

3. The Concept of Logic and the Reconstruction of its Conceptual Apparatus with regard to Norm Logic It is uncontroversial that the study of truth-functional relations has achieved a rather central position in modem logic. Let me mention some important fields in wh ich logical analysis is focused around the basic notion of truth: truth-functional analysis of extensional connectives, the theory of deductive inference following Tarski, and in a somewhat extended sense the theory of possible worlds and the use of this notion in the theory of modeling and analyzing modal concepts. The very notion of truth has acquired an enlarged and so to say formalized character, as e.g. truth in possible worlds is to be distinguished from truth in empirical fields.

On the other hand, logic has also developed the conception of purely formal and therefore possibly abstract deduction based on formal language rules determining logical operations. From the standpoint of a theory of deduction with game-like rules of deduction (Spieltheorie der Deduktion), there is no necessity to use the notion of truth (and / or notions related to truth, e.g. the notion of 'fulfillment') to define deduction (or inference). There are - as I believe - serious reasons for not conceptually identifying logic, logical relations and logical operations (mainly inference) with the truth-functional definitions of these terms. It seems that the task of analyzing questions, norm-sentences, non-extension al operators (e.g. 'because'), formal teleological relations and formal axiology would be grossly hampered - if not made impossible - by the supposition that logic were nothing else but truth-functional analysis. Following Camap's 'principle of tolerance' ("In der Logik gibt es keine Moral,,9) also other systems than truth-functional logic should be taken into consideration. For the use of norm logic we should generalize the definitions of the current terms in the methodology of logic, e.g. of 'inference', 'incompatibility', 'premise', 'concIusion', and, of course, we can do it without difficulties. lO Conceptual conservatism is not a philosophical argument, and would meet no assent in modem philosophy of science.

9

R. Carnap, Logische Syntax der Sprache, Vienna 1968 2 (1931 1), p. 45.

Cf. the redefinition of basic operations in arithmetics when we proceed from the universe of natural numbers to algebraic numbers, to fractions, etc. 10

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4. Why must we postulate the Existence of Logical Relations in the Field of Ought-Sentences? Both, existence of logical relations, and the possibility of deductive operations depend on suitable presuppositions - this is the case in the field of theoretical (descriptive) thought as weil as in that of practical (action-relative) thought. Logic can be established only in a field of objects with specific properties. The basic necessary presupposition of any logic is, that the elements of logical relations are: (i) thoughts (ideal objects) expressible by linguistic means, and (ii) ideal objects which can be contents of possible mental acts, and (iii) ideal objects which can be considered detached from mental acts as ideal entities per se. Not only logic, but indeed all linguistic communication presupposes such ideal entities, namely the meanings of language expressions, because these ideal entities are nothing else but the content communicated by the according messages. The logical relations themselves may be conceived either as relations between pieces of meaning (ideal objects) or as relations between language expressions carrying the respective meanings. In modem logic the tendency prevails to deal primarily with language units, not with pieces of meaning. There are, of course, many important technical and methodological reasons for this tendency. In a field of mental acts, or in a field of speech acts, there are no logical relations: thinking A does not imply (embrace by itself and with necessity) any other mental act, nor does a speech act necessitate (cause or provoke with necessity) any other speech act. It is, as I understand the linguistic situation, impossible to overlook the fact, that there can be incompatibilities and other relations between ought-sentences determined by language rules alone (i.e. without recourse to empirical or voluntary facts). (3)

p ought to be

(4)

-p ought to be

are incompatible, and this relation holds for any normative system independently of any facts. The fact that, in reality, there are normative systems containing imcompatible commands has no impact on the relation of incompatibility nor on the validity of the postulate for normological compatibility. (5)

You. Charles, should do (p v-p)

is an empty ought-sentence, as the commanded content is a tautology. To posit (5) is of no use, because it is empty. But it would be absurd to hold the view that (5) is 6 Weinberger

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empty because such a command would be void. (5) is empty as a consequence of its logical structure. In the opening lecture von Wright stresses that norms pronounce certain things (actions or states) obligatory, permitted or forbidden. They are neither true nor false. It seems that from this fact he infers: (i) that there exist no logical relations (such as contradiction or entailment) between norms, (ii) that there exist no logical relations between norms and facts, and (ii) that the "unbridgeable gap" between 'is' and 'ought' is based just on this fact.

The mere fact that norms are incapable of assuming truth values does not convince me of such concIusions. Only if we speak of 'contradiction between oughtsentences' and if we define the notion of 'contradiction' by means of truth relations must we arrive ex definitione at the concIusion that contradiction cannot hold between ought-sentences. It is mi staken to conceive of the joint enactment of (3) and (4) as a situation which is only pragmatically unsound. Independently of any pragmatic consideration, the juxtaposition of 'p ought to be' and '--,p ought to be' are incompatible, this relation being essentially different from the empirical impossibility to comply with ought-sentences, like e.g.

(6)

Charles ought to run 100 m in 9 sec.

It would be misleading to characterize logical incompatibility between oughtsentences as being only a matter of unreasonableness of the legislator: both (a) the pair (3) and (4), and (b) the ought-sentence (6), cannot be reasonably enacted. But the reason why it is unreasonable in one or the other case originates from different sources: from logical considerations in case (a), from factual knowledge, however, in that of (b).

Besides, there are cases where norms which cannot actually be satisfied as a whole may be stated reasonably, while incompatible norms are at variance with reason (or if we prefer another wording: with the constitution of language), and it is senseless to state them in any case. But 'oughts' may be posited as ideals; e.g.: it is quite reasonable to state the norm 'all thieves shall be punished', even if sociology teils us that it cannot be fulfilled in the existing society, so that we are sure that these ought-sentences will not and cannot be fulfilled on the whole. The consistency postulate is, of course, valid only in respect to one and the same normative system, but the logical relation of incompatibility holds also between ought-sentences of two different systemsY If they belong to different systems it 11 Cf. H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, op. eit., p. 196 f. (Kelsen uses, of course, the term 'conflict', not the term 'incompatibility'.)

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makes no sense to take such incompatibilities for a sign of unreasonableness of one or the other legislator, but they are neverthe1ess incompatible. There is a weIl known method of determining and explaining the meaning of given sentences by virtue of the c1ass of consequences and/ or the c1ass of possibilities exc1uded by the sentence in question. This method could hardly be dispensed with even in prescriptive language. How then could we explain what 'all' (in a distributive sense) or 'every' me ans within ought-sentences if we do not use the notion of the set of all consequences (or a respective rule of inference - regula de omni et nullo) for the definition of these concepts? To say 'Everybody has to work carefully', and - at the same time - not to presuppose that the enactment of such a rule implies logically the consequence 'N.N. has to work carefully' would be absurd. In my opinion, the development of a theory of informational determination of action, as weIl as analytical jurisprudence, are both inconceivable without there being logical relations and inferences in the field of norm sentences (norms). Analytical jurisprudence is, so to say, metajurisprudence in an analogous sense to that in which we speak of 'metamathematics', 'metaethics', etc. It regulates the form of discourse in law and jurisprudence, inc1uding logical argument (valid inferences) in these fields. Analytical jurisprudence (and, e.g., its dynamic theory of law) aims at a logical reconstructive explanation of the law system and its processes. If there were no logical relations between norms (norm sentences), analytical jurisprudence would lose its point. To deny the possibility of logic in the field of norm sentences because of the alleged fact that norm sentences are not capable of assuming truth values - a conception argued for by J0rgensen, Englis, Kelsen in his latest teaching and by von Wright in this lecture - is only valid if we presuppose that the actual historically developed terminological and methodological apparatus of logic cannot be changed in principle, so that it could function as a definitely valid criterion even against the whole practice of practical thought and practical philosophy (inc1uding analytical jurisprudence).

5. Deontic Logic, Norm Logic and the Idea of Deontically Perfect Worlds The need of a logical theory which could be capable of regulating normative discourse arose out of some problems of metaethics and analytical jurisprudence. This happened in the very moment when it became c1ear to everybody that the meaning of ought-sentences is categorically different from that of descriptive sentences. 12 J2 Cf. H. Poincare, La morale et la science, in: H. Poincare, Dernieres pensees, Paris 1912, S. 223 - 247; W. Dubislav, Zur Unbegründbarkeit der Forderungssätze, Theoria 3 (1937), p. 491- 502; J. Jl'lrgensen, Imperatives and Logic, Erkenntnis 7 (1937/38), p. 288-296.

6"

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First steps towards an according 10gicaI theory originated with A. Höfler's recognition of fonnal analogies between modal sentences and 'Geboten', 'Verboten', 'Erlaubt', 'Nicht geboten'; ... 13, though there have been so me previous analyses of Leibniz to the same effect. 14 Deontic logic as an offspring of modal logic was systematically engendered by von Wright and Kalinowski in the early fifties of this century.15 Even though a deeper analysis of the problems of nonn ontology was not implemented at that time, the systems of deontic logic were conceived as tools for regulating discourse and argumentation in ethics, in metaethics, and in jurisprudence. Nowadays deontic sentences are conceived as descriptive sentences about nonns (or about nonnative systems)*** which gives rise to two pressing problems: 1. Do there exist two logical systems, namely (a) deontic logic as a logical theory of descriptive sentences about nonnative systems, and (b) nonn logic as a theory of logical relations among, and operations with, nonns (or nonn senten ces) themselves? 2. How can we define the relation between these two systems? Is it possible to detennine the relations in the field of nonns by virtue of the theses of deontic logic, or, to the contrary, is nonn logic primary, such that deontic logic can only mirror the results of the fonner? It is obvious, I believe, that logical relations in the field of nonns are primary, and that the relations described by deontic sentences depend on the logical relations in the field of nonns (or nonn-sentences). To presuppose the detennination in the opposite direction leads to absurdities. Some examples may illustrate the situation.

If there were no valid inferences in the field of nonn sentences, e.g.: if from 'Everybody should work carefully' would not logically follow 'N.N. should work carefully' , then the corresponding deontic sentence 'It is the case, that according to 13 A. Höfler, Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Abhängigkeitsbeziehungen, Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, Vienna 1917, vol. 181, paper 4, p. 41. 14 Cf. G. Kalinowski IJ.-L. Gardies, Un Logicien deontic avant la lettre: Gottfried Wilhelm Leibniz, ARSp, 60 (1974), p. 79 - 112. I~ G. H. von Wright, Deontic Logic, Mind 60 (1951), p. 1-15; G. H. von Wright, An Essay in Modal Logic, Amsterdam 1951; G. Kalinowski, Theorie des propositions normatives, Studia Logica I (1953), p. 147 -182 . • ** It seems that von Wright has, in the latest development of his ideas, arrived at a somewhat different conception of deontic logic, namely at the view that deontic logic deals with rules wh ich must be fulfilled by every legislator who wants to be reasonable ("Gemäß dieser Deutung ist deontische Logik weder eine Logik der Normen noch eine Logik der deskriptiv interpretierten deontischen Sätze, sondern eine Sammlung von Regeln, die eine jede Normgebung befolgen muß, um als vernünftig angesehen werden zu können", G. H. von Wright, Bedingungsnormen - ein Prüfstein für die Normenlogik, in: W. Krawietz I H. Schelsky I G. Winkler I A. Schramm (ed)., Theorie der Nonnen, p. 456. "Die 'Tautologien' der deontischen Logik bieten Kriterien für vernünftige (rationale) Normgebung dar", (op. eil., p. 453).

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the nonnative system S, everybody is obliged to work carefully' would not entail the consequence 'It is the case, that according to the nonnative system S, N.N. should work carefully'. Otherwise, true deontic premises would yield false deontic conc1usions. A good illustration for the fact that we cannot introduce or detennine relations into the field of nonns by means of corresponding logical relations between deontic sentences is Kelsen's attempt in the 2nd edition of his "Reine Rechtslehre", where he tries to explain incompatibility between ought-sentences on the basis of contradiction between deontic sentences [in his tenninology we should say: he tries to introduce the notion of contradiction between legal nonns (Rechtsnonnen) by means of the notion of contradiction between legal propositions (Rechtssätzen)]16 The argument runs as folIows: As the statement that in legal order LOp is obligatory, is in contradiction with the statement that in the legal order LOp is forbidden, the contradiction between the obligation and the prohibition of p, the "Rechtssätze" 'p ought to be' and '-.p ought to be', themselves are contradictory. The argument is evidently false: if the system embraces (i) 'p is obligatory' and (ii) 'p is forbidden', the descriptive sentences about the legal order, namely: the legal propositions (i') 'in accordance with the order LOp is obligatory' and (ii') 'in accordance with the order LOp is forbidden', are, of course, not contradictory, but are both true. Thus, it is evidently not possible to define incompatibility of 'Rechtsnonnen' (i)/(ii), via a non-existing contradiction between (i')/(ii'). Different theses of standard deontic logic are only valid under factual presuppositions like that of the consistency of the system (in the sense that the obligation p and the obligation -.p, as well as the obligation p and the pennission -'p, are mutually incompatible), the c10sure of the system, and the behaviour of all persons concemed in accordance with their duties. 17 All this proves that the principles of deontic logic are based on nonn logic, and not vice versa. Von Wright denies the validity of Searle's deductive series leading from statements to an ought-sentence; he is aware of the fact that the existence of the institution of promising means that there exists (i.e. is institutionalized) a general nonnative rule to the effect that promises ought to be kept. This accords in the main with my criticism of Searle's argument. But von Wright expresses some doubts about the semantic status of the general premise as weil as about the status of the oughtconc1usion: both of them may, he says, be interpreted as nonn-propositions (i.e. descriptive sentences; or 'deontic sentences' , in my tenninology). I do not follow this part of his argument. My impression is, that he takes the fact that nonns (nonn-fonnulations, nonn sentences) are incapable of assuming truth values for Cf. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. ed., Vienna 1960, p. 73 ff. Otherwise the consequence 'Op' following from 'O(p 1\ q)' could not be substantiated. Cf. Ch. Weinberger I O. Weinberger, Logik, Semantik, Hermeneutik, München 1979, p. 114 ff. 16 17

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the decisive reason for his denial of the existence of logical relations among normative elements and of normological entailment. **** If I understand von Wright correctly, he now holds that deontic logic is only possible as a branch of decIarative logic, namely as the field of a special kind of descriptive sentences. Beside deontic logic, he tries to construct a kind of procedure to settle the problem of normative inference - as I would call it - using the idea of the 'technical ought'. (With this idea I shall deal in the next chapter.) According to von Wright, the content of norms (that wh ich norms pronounce obligatory, permitted or forbidden), may be said to describe an ideal world, between its constituent parts obtain logical relations which are the subject matter of deontic logic. It may be true that deontic logic deals with an ideal world (or with ideal worlds) defined as a world (worlds) which is (are) compatible with the satisfaction of all norms of the system, though there may be some doubts (cf. (i) of the following analysis). The idea of deontically perfect worlds is often used in standard deontic logic as a measure for valid inference. But is it really adequate for deductive reasoning in the normative field? I strongly doubt it. The connection of deontic logic with the idea of deontically perfect worlds shows, in my opinion, that such a logical system is unsuitable as a tool for ruling normative discourse and argumentation in ethics or jurisprudence.

(i) Deontic logic deals not only with relations among ought-sentences, and relations between ought-sentences and permission-sentences, but also with mutual relations among permission-expressing sentences; e.g. 'P"(p V q) == p.p V P"q'; or 'Pcp V q) == Pp 1\ Pq' ( 'p.' designating 'weak permission' , and 'P' designating 'strong permission,).18 Relations among permission-sentences cannot be analyzed on the basis of deontically perfect worlds, because to give a permission does not restrict the cIass of worlds compatible with the normative system embracing the permisson-sentences, as a permission cannot be violated. (ii) Let us presuppose a normative system NS embracing (7)

pis obligatory ('Op'), and

(8)

-.p is (explicitly) penniued ('P""p').

**** This hypothesis is evidenced by the following quotation from the revised text of "Is and Ought": "I think that the answers to all three questions" [namely: Can prescriptions follow logically from descriptions? Can descriptions follow logically from prescriptions? Can prescriptions follow from other prescriptions? - note o. W.] "is a finn No. The reason is simple: Logical consequence is a truth preserving relationship. If from A follows logically B then either A is false or A and B are both true. Since prescriptions are neither true nor false they can figure neither as premises nor as conc\usions in logically valid inferences." 18 Cf. G. H. von Wright, Nonnenlogik, in: H. Lenk (ed.), Normenlogik, p. 31.

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Such a system must be considered as inconsistent. But all p-worlds are deontically perfect in relation to the system NS since no state of affairs can be incompatible with a permission. 'To violate permission' is an expression which makes no sense. It seems that explicit permission (and therefore derogation) cannot be expressed in standard systems of deontic logic. (iii) Norm systems embracing sanction norms yield difficulties for the application of the idea of deontically perfect worlds. A normative system which contains a sanction norm embraces e.g. (9)

p is obligatory, and

(10)

if ""p, then S ought to be.

There cannot exist a world in which both 'p' and '-p' were tme. The sanction norm does apply only if p is not the case, namely, if (9) is not fulfilled. Therefore there cannot be a deontically perfect world in which the antecedent of (10) is true, hence the realization of s does not lead to a deontically perfect world: no deontically perfect world can exist which would contain •...,p' and ·s'. But evidently '-p' and (10) entails (1 I)

s should be,

because otherwise sanction norms were pointless. Inferences with sanction norms as premises cannot be dealt with on the basis of the idea of deontically perfect worlds. (iv) Now, let us judge the inference form 'O(p 1\ q)' to the consequence 'Op' which is valid in aIl standard systems of deontic logic and which is, of course, in agreement with the criterion of deontically perfect worlds. From the point of view stressed by von Wright in his lecture, according to which norms are tools aiming at the attainment of some ends, this inference should not be valid: if q is not fulfilled, and this is surely possible even though q should have been fulfilled, then - at least in so me cases - the fulfillment of 'Op', i.e. the realization of p, can be not only pointless, but even forbidden. 19 Systems of deontic logic (i.e. 10gicaI systems of deontic sentences) are only possible under the following presuppositions: 1. the existence of a genuine norm logic, 2. some factual presuppositions conceming the system under consideration (e.g. its c1osure, its normological consistency, or the like),

19 Cf. the relation between complementary goods. For some normative examples see: Ch. Weinberger I O. Weinberger, Logik. Semantik. Hermeneutik, op. eil., p. 128 f.

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3. some presuppositions conceming the behaviour of the addressees of the norms, namely, that they will not violate any duty following from the system. Different presuppositions lead, of course, to different systems of deontic logic. In any case, deontic logic is secondary in relation to a genuine norm logic.

6. Is-Ought-Derivability In his lecture, von Wright deals with two arguments conceming the derivability of 'ought' from 'is' alone 20 , namely, with the arguments of Searle and Black. I shall not analyze von Wright's exposition in detail, as some points of his exposition will be perhaps cJarified in the revision of his paper. Instead, I shall analyse both examples from my point of view. In order to disprove the thesis of the underivability of 'ought' from 'iS· 21 by a counterexample, Searle presents aseries of dedarative statements, starting with "Jones uttered the words, I hereby promise to pay you, Smith, five dollars"', and ending with "Jones ought to pay Smith five dollars". The contention is, that this series could be transformed into an entailment chain without adding any evaluative statement, moral principle, or anything of the sort. In his book "Speech Acts',22, Searle introduced the notion of 'institutional fact', and he appeals to the institution of promising as the essential basis of the deductive chain leading to the normative concJusion. I agree with Searle that there are institutional facts as opposed to brute facts. But there is an important, though veiled, difference in the way we conceive of the notion of 'institutional fact'. We both hold, I beJieve, that institutional facts are irreducible to brute facts. Certain brute facts may be in essential correlation to institutional facts, but it is impossible to reduce institutional facts to a cJass of brute facts. For example, there is the institution of marriage, and in connection with it there exists a rather extended dass of correlated facts which can be observed as brute facts: there are married couples and various behavioural, psychological and sociological relations connected with marriage. But neither marriage as an institution nor individual cases of marriage can be defined or described adequately by a cJass of brute-fact-descriptions alone. There is the following important difference between Searle's conception and mine: Se arie believes that institut ions are constituted by a special kind of rules, namely by 'constitutive rules'. He conceives them as descriptive in the sense that they are the basis of a kind of specification or description of the respective beha20 It is important to add the word 'alone'. because the derivability of 'ought' from a mixed class of premises is accepted by aB scholars who accept some kind of normative inferences. 21 J. R. Searle, How to derive 'ought' from 'is', The Philosophical Review, LXXIII (1964), p. 43-58. 22

1. R. Searle, Speech Acts. An Essay in the Philosophy 0/ Language, Cambridge 1969.

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viour, and that they are not prescriptive like regulative rules. 23 In Searle's view, institution al facts are social facts, and their existence is simply an empirical fact. But in my opinion, institution al facts are not only facts in reality, but they embrace always some normative or / and evaluative element; and this intrinsic connection with some kind of practical information is essential for any institutional fact. 24 The main feature by which institutional facts are distinguished from brute facts is a piece of practical information inherent in them. The existence of institutions is essentially linked with normative regulations and with the complex of their effects, like expectations, organized action, the development of tactical deliberations in view of institutionalized structures, etc. Normative rules (and other pieces of practical information: individual commands, ends, preferences, etc.) are facts of human reality. Human action is embedded in the context of institutions, and the structure of social institutions is determined by systems of practical information like normative regulations, value standards, etc. Institutions cannot be adequately described without a practical characterization expressed by practical sentences. If we accept my conception of institutional facts, Searle's thesis that the institution of promising is presupposed in his famous chain of deducing 'ought' from 'is' implies the following thesis: there is a general normative rule contained in the presupposed institution of promising which yields the necessary premise for the validity of the conclusion. The meaning of the speech act 'I promise .. .' [or, with the same effect, 'I shall ... ', if combined with the obvious intention of the speaker to undergo an obligation] has the meaning of a promise only on the basis of the institutionalized promising-game and its normative rules. The ought-consequences of this speech act depend completely on these rules. This is proved by the fact that the speech act can have different consequences:

23 J. R. Searle, op. eil., p. 30. I do not agree with Searle's conception of constitutive rules. This problem cannot be discussed in this paper in detail. I have to restrict my exposition to some remarks. Constitutive rules have the role of a definition in so far as they introduce elements of institutions together with their names (e.g. 'chess', 'chess-board', 'pawn', etc.), but they also establish rules of behaviour, possibilities for acts with institutionalized sense and with effects within the frame of the institution. In games, e.g., there are, of course, normative rules in the same sense as in the field of the political reality of law, but only with the difference that the subject becomes addressee of the regulation only by entering into the game, namely, by joining the playing group or by the mere decision to play the game (e.g. in oneperson-games). 24 O. Weinberger, Die Norm als Gedanke und Realität, ÖZöR 20 (1970), p. 203-216; D. N. MacCormick I O. Weinberger, Grundlagen des Institutionalistischen Rechtspositivismus, Berlin 1985.

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(a) no duty may arise to do what has been promised 25 ; (b) the rise of a duty may depend on the acceptance of the person favored by the promise 26 ; or (c) the duty may arise as an immediate consequence of the speech act. It is obvious that if we accept my conception of institutional facts, based on the assertion that all institutions have a normative core, Searle's famous argument against the underivability of 'ought' from 'is' vanishes.

If I understand von Wright's analysis correctly, he criticizes Searle in the same direction as I do, namely that the institution of promising itself means that there is "a norm to the effect that given promises ought to be kept". Black's example seems to have influenced von Wright's new attempts to settle the question of inference in the realm of norms without accepting normological inferences. When playing chess, we may say to a player in a certain position of the game that he ought to make a certain move, because otherwise he will not win the game. This is a case of a 'technological ought'. The information which results from the analysis of the position in the game is descriptive, not normative. Is the ought-sentence 'You should (ought to) make this move' identical with the judgment about the possible moves in the given situation and about their respective results? Of course, it is not. Does the information 'Only move A leads to a victory of the player S' justify by itself the ought-sentence 'You, S, should make the move A'? It will do so only if we add to it the goal of the game established by its mIes, i.e. not to be checkmated. 27 Technical relations are matters of fact, even though technical knowhow is not only gained by knowledge, but in the main by an invention of an action programme on the basis of knowledge. Adecision about what one should do presupposes both the technical information and the acceptance of an according goal. Black's example is, indeed, not a deduction of an 'ought' (or 'should') from an 'is', because goals (e.g. 'winning the game') are pieces of practical information, and without such apremise no conc1usion can be derived. In technical mies, as e.g. in cooking recipes the conative element is actually suspended: there is no genuine 'ought' contained in it.

25 For instance, according to Austrian law, a promise of marriage does not entail the duty to marry the fiance( e). 26 In some legal systems, the promise of a gift without explicit consent from the other side is not valid (the consent may be inherent in the handing over). 27 I remember that as children we used to playagame - called in German 'Freßschach' wh ich is similar to chess, but contains the rule that a player is obliged to take a figure, if he is in a position to do it. Winning is defined as loosing all chessmen or at least the king. This proves that ends are elements of such institutions as games.

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7. The Instrumental Character of Norms: Does it Provide for a Substitute for Normological Deduction? Social nonns serve social goals. But the goals intended by me ans of social nonns are complex - as are nearly all cases of teleological motivation for decisions, measures or actions. Different members of a community or of a ruling board - e.g. the members of different parties in parliament - may follow rather different ends by one and the same nonn. Therefore it is impossible to introduce a theory of nonnative inference based on considering the goals of a nonn as one and the same nonn may be used or accepted by different persons as a means to different ends, such a theory would not lead to univocal consequences. Von Wright's construction of the 'technical ought' is of a special kind. Given a nonn (or better: an ought-sentence, because for pennission-sentences the procedure seems not applicable) one may consider what has to be done in order to satisfy it. 28 We may say therefore: if the nonn is to be satisfied, such and such ought to (must) be done. This kind of 'ought' is not identical with the 'ought' stated in the nonn, says the author, and he considers it as a 'technical ought', which is an Is, notwithstanding the fact that something nonnative is presupposed in it. Let us suppose a valid ought-sentence in the system under consideration: p ought to be

(i)

The sentence expressing the respective 'technical ought' would read: (ii)

'p ought to be' cannot be satisfied unless p', is realized.

Evidently, p' is detennined by p, if not even identical with p. 'p' expresses a certain state of affairs which has to satisfy 'p' either (a) through being the state of affairs p itself, or (b) through being a case of such a kind of states of affairs, or (c) through causing p. In case (c) 'p' must be a sufficient condition for the effect p; and (i) is satisfied as soon as - but not before - the effect has taken place. But then one of the cases (a) or (b) is realized.

I strongly doubt that there is a practicable way how to arrive at a theory of operations with nonns by introducing a technical ought of fulfillment. This attempt of von Wright to reduce nonnological operations to operations with pure1y cognitive sentences has, in my opinion, no chance of success. I am not able to provide an exact theoretical proof for this opinion, as von Wright has not yet worked out clear rules of such a procedure, but let me give at least an example which shows the difficulties to get along without a genuine nonn logic. [See the "Annex" below, where the problem is analyzed in more detail.]

28

It makes no sense to ask whether a permission is satisfied or violated.

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Let us consider the ought sentence: (A) Everybody ought to work and let be None of the addressees of (A) (A) can be satisfied if all addressees work, but it does not follow that N ought to work in order to satisfy (A).

First, there are two interpretations of (A): (Al): Taken in the so-called collective sense, N hirnself is not able to satisfy (A), but only all addressees taken together are.

In this interpretation there is no valid logical consequence that N should work, because his working may be pointless in case some other person does not work. (A 2 ): In the distributive sense, (A) means 'For all x: x ought to work', and this may be reconstructed as a general conjunction of a c1ass of individual norms, each referring to precisely one member of the c1ass of addressees. N can satisfy just one element of this conjunction, even in this interpretation, not the general rule itself. Therefore we must first infer from 'For all x : x ought to work' the individual sentence 'N ought to work' in order to gain a norm which N satisfies. The frequent saying that N satisfies the normative rule is only a shorthand substitute for this more complicated logical situation.

In the sense (A2) the consequence 'N should work' is of course, logically valid, but this consequence cannot be substantiated by considerations about the technical ought of fulfillment of (A2), because N's working is not a sufficient means to satisfy (A 2 ). It is only a sufficient and necessary means to satisfy the individualization of (A2), namely the logical consequence of (A 2) that N should work. I believe that we need an ontology of norms which conceives of norms as ideal entities capable of being elements of logical relations and inference operations. The Kelsenian and von Wrightian strict linkage of norms with acts of commanding destroys this possibility. We may hold the view that norms are produced primarily through acts of will, but where already in force, they must be considered as an institutionalized ideal entity, valid together with all its logical implications (analyzable in a genuine norm logic). Von Wright's turn to deny logical relations of norms and to transfer the role of entailment in the field of rational operations with norms to the 'technical ought' and to operations with cognitive sentences about means of how to fulfill norm-sentences seems not viable to me. We may take into account three categories of means to satisfy a norm; (i) necessary conditions of fulfillment, (ii) sufficient, but not necessary, conditions of fulfillment, (iii) necessary and sufficient conditions of fulfillment.

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Let us take as an example the nonn (12)

I ought to be in the lecture room at 8 a.m.

A necessary condition far fulfilling (12) is that I get up some time before 8 a.m. A sufficient condition is to walk to the lecture room before 8 a.m. But to go by car would do as weil. To enter the lecture room be fore 8 a.m. and to stay there is a necessary and sufficient condition of the fulfillment. But is this something else than the fact of there being astate of affairs subsumable to the duty stated in (12)? As such a condition is sufficient only if the state of affairs - my being in the lecture room at 8 a.m. - is realized, necessary and sufficient means for fulfillment are exactly the states of affairs which are subsumable to the respective type of duty. What is only a necessary, but not a sufficient condition for fulfillment is by itself [that is, if the sufficient elements are not realized] not a means for satisfying the nonn. To get up some time be fore 8 a.m. is not apart of the fulfillment of (12) by itself, but only if also a dass of all other conditions leading to my being at 8 a.m. in the lecture room will be fulfilled. To realize a certain sufficient condition is not obligatory either, because any other sufficient way of fulfillment would do as weil. The essentiallogical step from a general nonn to an individual duty as its consequence cannot be constroed via operations on sentences about technical ought of fulfillment. Can we substantiate a detachment role conceming the hypothetical ought-sentence: (13)

If p, then q should be

The technical advice how to fulfill (12) reads: (13')

Bring it about that the state of affairs (p" ...,q) will not occur!

In order to establish the respective detachment role we must prove that p

(14)

together with (13) can be fulfilled if (15)

q ought to be

is fulfilled. The addressee can satisfy (15) ifhe brings about q. We must distinguish in principle two kinds of states of affairs: (i) states of affairs accessible to change by action, and

(ii) states of affairs not changeable by action.

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If p is changeable by action, we may accomplish (13) and (15) together either by bringing about that -.p or by bringing about that q. The technical advice does not distinguish these two possibilities of how to fulfill (13). Therefore this detachment rule is not provable by adeliberation about 'technical ought'. Annex On Normative Conditionals and Normative Necessitation

Since I have written the foregoing considerations, Professor von Wright has been so kind as to send me a copy of the definitive, though not yet published, version of his paper "Is and Ought", and another paper of his on conditional norms has appeared in print. 29 In the paper just mentioned, von Wright has listed some points in which we are in perfect agreement (the strict separation of 'Is' and 'Ought'; the conception that genuine norms are prescriptions and not descriptions). I can now add two additional points: (i) It is an important touch-stone for every system which is built up in order to explain correctness of normative discourse whether it deals adequately with normative conditionals. (ii) There is a certain kind of necessitation following from given norm-sentences. (But there is, of course, a deep difference in the interpretation of the character ofthis necessitation in von Wright's and in my views.) Logic and Truthfunctional Relations

Following a widespread tradition, von Wright has returned to the presupposition of J. Jj'lrgensen and H. Kelsen (in his late teaching) - and therefore indirectly to that of K. Englis - that truthfunctional relations are essential for logic as such and for the definition of logical inference in particular. 3o I understand the seductive force in using such a relatively simple criterion as the defining mark of logic, but it is, in my opinion, a misleading and sterilizing presupposition. It prec1udes or hampers the development of new fields of logical enqiry (e.g. in the field of practical sentences, of questions etc.). Besides, the notions of truth and truthfunction have changed in consequence of their use in analyses based on the idea of possible worlds, namely, truth is not any more a relation of propositions (or sentences) to an existing reality. The possibility of conceiving logical relations and operations inde29 G. H. von Wright, Bedingungsnormen - ein Prüfstein für die Normenlogik, in: W. Krawietzl H. Schelsky I G. Winkler I A. Schramm (ed.), Theorie der Normen. Festgabe für Dta Weinberger zum 65. Geburtstag, p. 447 -456. (lt is a great honour for me that Professor von Wright has contributed this important paper to this collection.) 30 Cf. notes 4, 5, 11.

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pendently of truth and truthvalues can be demonstrated by reference to the strictly formal theory of deduction which shows that truth and truthfunctional relations are not a conditio sine qua non for the construction of logical relations and for defining logical operations. I hold the view that logic is a formal theory in so far as it has to distinguish between form (structure) and content, and that it deals with formal operations. In the idea of deduction there is, of course, contained a kind of "truth-preserving" procedure, but I believe that the essential feature lies in the fact that these operations are to the effect of transferring a certain characteristic of the premises to the conclusions, and not in the notion of truth as being necessarily this transferred feature.

A Note on the Paradox of Derived Obligation

On the basis of his conviction that there does not exist any entailment relation between norms, von Wright presents a solution of the vexing "paradox of derived obligation" which arises from the formula (I)

o...,p - o(p - q)

which is logically valid in standard systems of deontic logic. He contends that the impression following from this valid formula is, that if 'O...,p' is valid in a normative system, then also the normative conditional 'O(p -+ q)' exists necessarily in the system under consideration. This deceptive impression is - in his opinion caused by the fact that the implication joining both norms in formula (I) is erroneously interpreted as an entailment relation, though - as he contends - an entailment relation between norms cannot exist. We may hold the view that no normative conclusion does follow from normative premises, but if we conceive 'O...,p' and 'O(p -+ q)' in some way as expressions of norms and if we conceive the formula 'O...,p -+ O(p -+ q)' as a well-formed and logically valid formula of a logical system in which '-+' has the meaning of material implication, then we are bound to acknowledge the validity of the modus ponens rule to the effect that~ together with the validity of the formula 'O...,p -+ O(p -+ q)', the following inference eule must be acknowledged as valid: o...,p - o(p - q) (a logically valid premise, i.e. apremise valid in every consideration)

o...,p (valid in the normative system under consideration)

o(p _ q) (valid as a consequence of the presupposed norm of the normative system)

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The thesis that only explicitly established norms are valid, is by no means a logical necessity; at the contrary, it depends on the definition of the term 'validity' whether only the literal content of actually established norms (imperatives) is valid or whether also consequences of established norms are conceived as valid in the system. If we do not accept inferences of the kind just mentioned we are not allowed to take 'O-p -+ O(p -+ q)' for a logical thesis, because putting '-+' between both arguments me ans to accept the respective detachment rule.

A prescriptive interpretation of formula (l) makes no sense as the arguments of are defined as sentences having truth values. In a descriptive interpretation, (1) is a logical truth of deontic logic in the sense of an analysis of deontically perfect worlds; it is valid if there is no normative system which does not contain 'O(p -+ q)" if it contains 'O""p' (where 'q' is any state of affairs). (All worlds which are deontically perfect in relation to a normative system containing 'O-p' are deontically perfect also in relation to 'O(p -+ q)', as in any world in which 'q' is the case 'p -+ q' is true as weil.) '-+'

(l) is meaningful only in a descriptive interpretation of 'O-p' and 'O(p -+ q)" and it represents a logical truth about deontically perfect worlds only if normative inference from 'O""p' to 'O(p -+ q)' is valid in all normative systems. There is no possibility to escape logical consequences of our suppositions, in our case of the use of '-+' between 'O-p' and 'O(p -+ q)'.

The Form ofthe Normative Conditional and Necessitation by Norms In his paper of 1984 von Wright returns to the form 'O(p -+ q)' as the appropriate expression of normative conditionals (Bedingungsnormen, commitment), but with the essential difference as against his conception of 1951 31 that he now explicitly rejects any possibility of normative inference, and therefore also rejects the inference of a modus ponens type from normative conditionals. His interpretation of 'O(p -+ q)' reads: 'It is obligatory that (p is not the case or that q is the case)' or 'it is obligatory that ...,(p /\ ...,q) is the case'. Taking the ex am pie of promising we may say: 'It ought to be that you shall not promise p or you shall do p'. I have so me doubts about the adequacy of the proposed formalization of normative conditionals. To read, e.g., the conditional norm 'If you have an income, you should pay income-tax' ['O(P -+ q)'] in the sense 'It should be the case that you have no income or pay income-tax' [' O( ""p V q)'] seems to me rather strange. And the proposed formalization implies that the sentence 'If you do not pay income-tax you should have no income' would have the same meaning as it is expressed by the formula 'O(...,q -+ ...,p)' which is equivalent with 'O(p -+ q)'. 3\

Cf. G. H. von Wright, Deontic Logic, Mind 60 (1951), p. 1-15.

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We may distinguish two cases of conditions in nonnative conditionals: (i) conditions which are not human acts and not changeable through acts of the addressee ('If it is raining, you should .. .') and (ii) conditions which are acts or which may be produced through human acts ('If you give a promise, you should .. .'). To make conditions of the kind (i) a part (or an alternative) of the ought is strange (i.e. 'It ought to be that it is not raining .. .'). I am convinced, of course, that neither 'O(p -+ q)' nor 'p -+ Oq' express normative conditionals adequately. 'O(p -+ q)' fails, because it furnishes no modus ponens rule which is, in my opinion, essential for all conditionals, and because it does not allow to distinguish between the ought character of the first and of the second argument of the conditional [in my opinion, 'p ought to be under the condition q' is manifestly distinct from '-,q ought to be under the condition -,p'j. The fonn 'p -+ Oq' is not acceptable as a fonnalization of a nonnative conditional as it does not exhibit the fact that the whole sentence is a nonn sentence and because it uses 'Op' as a descriptive sentence by inserting it as an argument of the truth-functional connective '-+'. As von Wright now rejects any possibility of logical relations between nonns and of logical consequences of nonns, I do not see a method how to define general nonns. What does it mean that 'Everybody should do p', if it does not follow from this nonn that 'Xl (a member of the uni verse of persons) should do p'? How could we distinguish collective generality (expressing a collective duty of all members of a dass) and distributive generality (expressing duties of every member of the dass concerned), if from general nonns the respective individual nonns do not follow? Von Wright constructs a kind of necessitation produced by nonns: if there is a valid nonn 'Op' then the addressee must (is subjected to practical necessity to) do p, if he wants to satisfy the nonn 'Op'. It is a 'technical' nonn in his tenninology which is a consequence of the valid nonn 'Op' to the effect that the addressee satisfies the nonn only if he is doing p. A technical nonn in this sense is expressed by astatement, but not by an ought-sentence. We need, of course, so me exact definitions stating the condition of satisfaction of a nonn (or of an ought-sentence). We may stipulate: 'Op' is satisfied if pis the case. Following von Wright the condition for satisfying the nonnative conditional 'If p, then q should be' reads: The addressee must bring it about that (-,p or q) is the case. This is, of course, a special case of the general definition of satisfaction, if we accept 'O(p -+ q)' as the fonn ofthe nonnative conditional. Evidently, we would also need a stipulation for the satisfaction of general nonns. I restrict my analysis to distributive generality. The above mentioned general rule that a nonn is satisfied if its content is the case does not apply in the case of general rules. The addressee cannot bring it about that the content of the general nonn is 7 Weinherger

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the case, as his own fulfillment of the general norm is only one instance of satisfaction of the general norm. His fulfilling the general norm is, in fact, the fulfillment of the individual norm following from the general norm by way of applying the specification rule. If we reject normative inferences we can speak about the satisfaction of general rules only if we establish rules of satisfaction of general norms which are, indeed, to the same effect as an entailment rule de omni et nullo. Von Wright's turn of using technical norms in order to satisfy norm sentences (stating how the addressee must act in order to comply with the given norms) leads to the effect that we must introduce rules of inference under the name of satisfaction rules. Therefore I believe that both (a) the described inadequacy of the form -+ q)' as an expression of normative conditionals, and (b) the fact that the advice to consider technical norms as the expression of practical necessities in consequence of norms fails in the case of distributive general norms, motivate my conviction that it is indispensable (i) to introduce a specific expression for normative conditionals, (ii) to accept normative inference, and therefore (iii) to postulate the elaboration of a genuine normative logic.

'O(p

Rationales und irrationales Handeln 1. Der Rahmen der Überlegung Es scheint mir für die Handlung essentiell zu sein, daß sie aus zwei zusammengekoppelten Elementen besteht: einem gedanklichen Kern von intentionalem Charakter, und einem Vorgang, der als Transformation in irgendeiner Sphäre der Realität vor sich geht. Der Charakter der Koppelung kann zwar vielleicht als philosophisch-ontologisches Problem empfunden werden, die Struktur dieses Zusammenspiels der beiden Seiten der Handlung kann jedoch in relativ einleuchtender Weise beschrieben werden. Handelnde Subjekte sind solche Entitäten, die als Systeme verstanden werden, die ein Zusammenspiel des intentional-gedanklichen Prozesses mit einem Realisationsvorgang verwirklichen können. Das, was ich ,intentionalgedanklichen Prozeß' nenne, muß nicht ein bewußter, sprachlich formulierter und in der Ebene der Sprechakte nachweisbarer Vorgang sein; es ist aber immer ein dem Subjekt zurechenbarer Vorgang, der - ggf. nur in der rationalen Rekonstruktion des interpretierenden Betrachters - als intentionaler, informationsabhängiger und Informationen verarbeitender Prozeß dargestellt werden kann. Der Handlungsvorgang (das Verhalten, die Realisation eines intendierten Sachverhalts oder eines Sachverhalts, der kausal bewirkt, daß das gesetzte Ziel erreicht wird) ist Veränderung oder identische Transformation in der Realität. Der Vorgang wird gerade deswegen als Handlung gedeutet, weil er als durch einen intentionalen Informationsverarbeitungsprozeß gelenkt verstanden wird. Die gedankliche Seite der Handlung kann im wesentlichen durch Strukturschemen der formalen Teleologie dargestellt werden. I Unter dem Namen ,formale Teleologie' können wir hierbei eine formal allgemeine Lehre von den Ziel-Mittel-Beziehungen und den Wahl- und Entscheidungsstrukturen verstehen. Diese Strukturschemen stellen die rationale, resp. rational rekonstruierte Basis des HandeIns dar. Es kann nun folgende Frage gestellt werden: Ist das Handeln ein Prozeß, der ganz nach dem Schematismus der teleologisch-rationalen Schemen verläuft? Oder ist dieser Schematismus nur eine Idealisierung, die nur einen Aspekt der Handlung charakterisiert, die Handlung selbst aber ein komplexes Phänomen, das aus rationalen und außerrationalen Momenten zusammengesetzt ist? Es ist kaum möglich, nicht zu sehen, daß das Handeln durch den formalen Schematismus, wie er als rationale Rekonstruktion (oder Idealisierung) vorliegt, nicht I Ich gehe also im wesentlichen von einer intentionalistischen (finalistischen) Handlungskonzeption aus.

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vollständig expliziert werden kann, denn die Handlungen weichen, wie die Erfahrung zeigt, von den rational bestimmten Verläufen oft wesentlich ab. Diese außerhalb der rationalen teleologischen Erwägung stehenden Momente sind verschiedener Natur: die Auswirkung von fixierten Normen, starre Wert- oder Präferenzeinstellungen, Gewohnheiten oder andere außerrationale resp. irrationale Momente, wie sog. Gefühls- und Affektreaktionen. Die Fragestellung meiner Untersuchung betrifft die Beziehung zwischen der Explikation der Handlungen mittels rationaler teleologischer Schemen und der Rolle außerrationaler Momente in der Bestimmung des Verhaltens und HandeIns von Handlungssubjekten. Weder die Konzeption, es gebe rationales und irrationales Handeln als zwei Typen oder Idealtypen des HandeIns, noch die Theorie, die alles Handeln als zusammengesetzt aus rationalen und außerrationalen Momenten hinstellt, ohne jedoch die Beziehung dieser Momente zu erklären, halte ich für befriedigend. Es ist sinnvoll, individuelles Handeln einer Person und gesellschaftliches Handeln zu unterscheiden, je nach dem Träger der Handlung, der im ersten Falle ein menschliches Individuum, im zweiten Fall ein gesellschaftliches Gebilde ist. Es ist wegen der intentionalen Grundstruktur beider Phänomene berechtigt, sie mit einem gemeinsamen Namen zu belegen; andererseits gibt es zwischen individuellem und gesellschaftlichem Handeln doch recht wichtige Unterschiede. Insbesondere hat die Frage der internen Kommunikation bei gesellschaftlichen Handlungssubjekten, das Problem der kollektiven Willensbildung und die Tatsache, daß gesellschaftliche Gebilde die Handlungen in der Regel mittels ihrer Organe - letztlich also durch Akte individueller Personen - realisieren, gewisse Besonderheiten des gesellschaftlichen HandeIns gegenüber dem individuellen zur Folge. In dem für meine Untersuchungen relevanten Bereich werden die Unterschiede zwischen individuellem und gesellschaftlichem Handeln nur in geringem Maße zutage treten. Wichtig ist jedoch für die Charakteristik unseres Problems, daß in beiden Bereichen - wenn auch in unterschiedlicher Form - die Probleme des Zusammenspiels rationaler und außerrationaler Momente in der Handlungs- und Verhaltensanalyse markant hervortreten und in den Theorien Beachtung finden. Im Bereich des individuellen HandeIns ist es vor allem die Tiefenpsychologie, die gezeigt hat, daß das Verhalten und Handeln der Menschen nicht einfach als Verwirklichung von rational gewonnenen Dezisionen verstanden werden darf, sondern als wesentlich komplizierterer Mechanismus mit bestimmenden Momenten, die außerhalb der vernunftmäßigen Deliberation liegen. In gewisser Weise gibt die Tiefenpsychologie ein Erklärungsmodell - wenigstens mancher Elemente dieser "irrationalen" Handlungsdeterminanten. Im Feld des gesellschaftlichen HandeIns sind irrationale Momente in analoger Weise aufgefallen. Insbesondere in sozialpsychologischer Perspektive haben Erkenntnisse der Massenpsychologie Momente irrationaler Determinanten erkannt; auch der Mechanismus der Ideologie spielt im Rahmen des gesellschaftlichen HandeIns die Rolle außerrationaler Bestimmungsstücke des sozialen HandeIns.

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Unsere Betrachtungen beabsichtigen, eine Theorie oder ein Modell der rationalen und außerrationalen Handlung vorzulegen, die für beide Bereiche des HandeIns - nämlich: des individuellen und sozialen Handeins - eine Erklärung auf gemeinsamer Basis anbieten. Hierbei soll insbesondere der Charakter der sog. irrationalen Elemente expliziert werden und eine Deutung des Zusammenwirkens außerrationaler Elemente im Rahmen der rationalen Strukturierung des Handeins gegeben werden.

2. Das Programm meiner Untersuchung

Ich werde einen intentionalistisch-finalistischen Handlungsbegriff voraussetzen, ohne auf eine Diskussion mit den sogenannte kausalistischen Theorien einzugehen. 2 Die finalistische Handlungslehre erklärt den Handlungsbegriff, indem sie Schemen vorlegt, die das Handeln durch Aufweisen der Beziehungen zwischen Informationen des Wissens und jenen des Wollens (Absichten, Zielen) explizieren und die die Struktur der handlungslenkenden Überlegungen darstellen. Diese Handlungstheorie ist rationalistisch in dem Sinne, daß sie das sogenannte rationale Handeln modelliert. Sie zeigt z. B., daß und wie mittelbares Handeln auf Kausalrelationen aufbaut. Die teleologischen und entscheidungslogischen Schemen supponieren willenhafte Elemente als gegeben, und zeigen, was daraus folgt, wenn gewisse Wertungen, Präferenzen u.ä. vorliegen. Man könnte nun meinen, die Anwendbarkeit dieser Formalismen setze bloß voraus, daß an die Stelle der supponierten Willenselemente empirische Daten gesetzt werden. Diese den empirischen Tatsachenwissenschaften entsprechende Methode erscheint hier nicht angemessen. Einerseits kann man diese willenhaften Daten nicht direkt durch Beobachtung der Realität bestimmen, andererseits wird durch die zwei Arten der Anwendungsweise des teleologischen Formalismus - Handlungsüberlegung und Motivanalyse 3 - eiLe Zweiheit prinzipiell unterschiedlicher Methodologien geschaffen. Versucht man, das Phänomen des Handeins mittels der rationalen Schemen zu beschreiben, dann gelangt man zur Erkenntnis, daß es in der Regel nicht gelingt, das rationalisierte Bild mit dem tatsächlichen Phänomen der Handlung zur Dekkung zu bringen. Man kann dann im wesentlichen in folgender Weise mit der Abweichung zurechtkommen: (a) Man betrachtet das rationale Modell nur als Idealisierung, und nimmt an, es sei überhaupt nur dazu bestimmt, ein ungefähres Bild der Wirklichkeit des HandeIns zu bieten. 2 Über die Begriffe ,kausalistische' , ,intentionalistische' und .formalistisch-teleologische Handlungstheorien' vgl. Anhang S. 118 ff. 3 Siehe Abschnitt 4, S. 104 ff.

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Mich befriedigt diese Konzeption nicht. Ich glaube, der Schematismus kann mehr leisten; er kann - richtig gedeutet und verwendet - auch eine Erklärung der Abweichungen zwischen Schematismus und Realität geben. Die teleologischen Schemen als Idealisierung zu deuten, ist auch deswegen unbefriedigend, weil die Abweichungen nicht in der Weise von Ungenauigkeiten (etwa wie bei Meßfehlern) auftreten, sondern gegebenenfalls diametral divergente Handlungsverläufe auftreten. (b) Man kann versuchen, mit der problematischen Situation des eventuell diametralen Abweichens des beobachteten Handlungsvorgangs von dem aufgrund der rationalen Schemen erwarteten dadurch fertigzuwerden, daß man rationales und irrationales (oder vielleicht besser: außerrationales) Handeln unterscheidet. Dann sagt man einfach, wenn das Handlungsphänomen von dem erwarteten Ergebnis abweicht: "Hier lag außerrationales Handeln vor", oder wenigstens "Hier wirkten außerrationale Handlungsdeterminanten mit". Diese Konzeption verabsäumt es, klarzumachen, wann rationales Handeln und wann außerrationales Handeln auftritt, bzw. wann und wie außerrationale Determinanten zur Geltung kommen. Auch der Charakter des außerrationalen Handeins und der außerrationalen Handlungsdeterminanten bleibt ungeklärt. (c) Man kann das Handeln als Realprozeß ansehen, der weder rational noch irrational, noch als aus rationalen und außerrationalen Elementen aufgebaut anzusehen ist, und der kausal, d. h. als Abfolge von Zuständen, zu erklären ist. Die teleologische Handlungserklärung wird dann nur als sozusagen vorwissenschaftliches interimistisches Surrogat betrachtet, und ihre Mängel mit der Begründung hingenommen, daß sie eben eine Folge dieser prinzipiell inadäquaten Betrachtungsweise seien. Die Mängel der teleologischen Handlungsdeutung werden als Argumente angeführt, die belegen, daß diese Theorie der kausalen Betrachtung weichen muß (oder ihr wird weichen müssen, bis die Wissenschaft so weit entwickelt sein wird). Es gelten hier alle Einwände, die gegen die kausale Theorie der Handlung vorgebracht werden können. Ferner ist zu klären, wieso die finale Deutung doch so Wesentliches leistet; und wenn die teleologischen und entscheidungslogischen Formalismen überhaupt - wenigstens als Surrogattheorie - anwendbar sind, dann geht es darum, in diesem einstweiligen Erklärungsschema eine wenigstens relativ optimale Explikation zu erreichen. Dann sind aber die unter (a) und (b) angeführten Probleme auch hier zu klären. In diesem Problemrahmen suche ich nun auf folgendem Weg so eine Auffassung der intentionalistischen Handlungstheorie darzustellen, die auch außerrationale Handlungsdeterminanten berücksichtigt und deutet: I. Handeln wird als Realisierung intentionaler Setzung verstanden; die Realisierung kann direkt oder mittelbar sein. Im rationalen Schematismus der Handlungsintentionen werden die Momente des willenhaften Inputs hervorgehoben.

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2. Handlungsdeliberation und Motivinterpretation werden als zwei methodologisch verschiedene Applikationen teleologischer Schematismen eingeführt. 3. Ich werde zeigen, daß die außerrationalen Momente, die im Fonnalismus des intentionalen Handeins auftreten, selbst ihrer Struktur und Bedeutung nach als praktische Gedankeninhalte (als zielbestimmt, werthaft) verstanden werden müssen. D.h. auch die außerrationalen Elemente werden eine intentionale Interpretation erhalten. 4. Ich werde versuchen, einige Typen außerrationaler Elemente im Prozeß der Handlungsdetennination herauszuheben und zu charakterisieren. 5. Rationale Strukturen und außerrationale Elemente sollen in ihrem Zusammenspiel erklärt werden, d. h.: ich möchte eine intentionale Handlungstheorie anbieten, die weder rationales und irrationales Handeln einander gegenüberstellt, noch die außerrationalen Elemente als theoriefremde "Störfaktoren" ansieht, sondern die im Gegenteil das Handeln als ein Zusammenspiel rationaler und außerrationaler Elemente versteht (ein finalistisches Modell des komplex rationalaußerrationalen Handeins). 6. Ich werde einige Überlegungen darüber anstellen, ob die komplexe Struktur des Handeins Strategien zuläßt, die eine Förderung des rationalen Elementes bewirken.

3. Die gedankliche Struktur der Handlung und die formale Teleologie Handeln ist intentionales Verhalten. Eine Absicht (gegebenenfalls ein Komplex von Intentionen) wird von einem Handlungssubjekt S realisiert, wenn S einen gewissen Zustand oder Zustandsablauf bewirkt. Im Prinzip kann eine Intention entweder direkt oder mittelbar realisiert werden. Die direkte Verwirklichung der Absicht ist die Realisation des beabsichtigten Sachverhalts. Ich will meinen Ann heben; diese Absicht wird realisiert, indem ich meinen Ann hebe. Mittelbare Verwirklichung von Absichten besteht in der (direkten) Realisation von Zuständen (Mitteln), die das Beabsichtigte verursachen. Die Trennung zwischen direktem Akt und mittelbarer Handlung ist zwar theoretisch klar und scharf, doch ist das direkte Handeln in der Praxis eigentlich nur als Grenzbegriff vorhanden. Auch bei scheinbar elementaren Handlungen weicht der direkte Realisationsakt bei der Analyse nur an die Grenze der Einwirkung des Subjekts auf das Handlungsobjekt zurück. Ich will die Türe öffnen. Ich strecke die Hand nach der Klinke aus, drücke sie, ziehe die Tür zu mir. 4 Die Handlung ist eine Realisierung einer Aktabfolge, die an Zwischenergebnisse anknüpft und die als Ganze dem beabsichtigten Zweck dient, also Mittel zu diesem Zweck ist. 4

Die Handlung und ihren Verlauf könnte man natürlich subtiler analysieren.

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Das mittelbare Handeln ist teleologisch bestimmt. Das Ziel wird durch Einsatz von Mitteln erreicht (bewirkt). Soweit ist das rationale Handeln durch Kausalbeziehungen (bzw. deren Kenntnis) und durch technologische Kenntnisse bestimmt. Die teleologischen Schemen sind jedoch nicht bloße Inversionen der Kausalbeziehungen. Den Ausgangspunkt der teleologischen Analyse bildet immer eine willentliche Zielsetzung, durch die dem Ziel ein positiver Wert zugeschrieben wird. Das Einsetzen von Mitteln ist selbst auch eine im Prinzip bewertbare Entität. Es kann sein, daß das Mittel an und für sich auch positivwertig ist, daß es wertneutral oder negativwertig (d. h. ein notwendiger Aufwand zur Zielbefriedigung) ist. Aufgrund der Kausalerkenntnis wird die Klasse möglicher Mittel bestimmt. Jedem dieser Mittel kommt Prima-facie-Gewolltheit zu, doch die zum Handeln führende definitive Gewolltheit wird erst in einer komplexen Überlegung bestimmt. Es wird jedes Mittel zusammen mit dem Ziel gewertet; ist der negative Wert des Mittels (der Aufwand) größer als der positive des Ziels, dann wird das Mittel nicht eingesetzt. Gibt es kein wertmäßig brauchbares Mittel, ist es praktisch so, wie wenn überhaupt kein Mittel zu diesem Ziel bekannt wäre. Aus der Klasse der möglichen und wertmäßig anwendbaren Mittel wird das optimale (oder eines der gleich optimalen) ausgewählt. Schon aus dieser elementare Skizze der Struktur der Bestimmung des mittelbaren Handeins - diesen Schematismus nenne ich ,formale Teleologie' - ist ersichtlich, daß hier ein Zusammenspiel von Erkenntnissen mit WertsteIlungnahmen vorliegt. Wertung des Ziels, der Mittel (des Aufwands) und relative Wertung eventuell möglicher Handlungsalternativen stellen jene Punkte dar, wo Stellungnahmen erforderlich sind, die zwar rational und kognitiv stützbar, aber letztinstanzlich nonkognitiv sind. In der formalen Teleologie werden sie irgendwie supponiert - als Präferenzrelationen, als quantitativausdrückbare Wertungen u. ä. -, in der Anwendung der formalen Teleologie und der Entscheidungslogik sind es Stellen, die für Dezisionen offenstehen. Schon hier zeigt sich, daß außerrationale Momente in der rationalen Struktur der Handlung keine bloßen Störfaktoren sind, sondern wesentliche und unvermeidbare Elemente der Strukturen des Handelns. 5

4. Deliberation und Motivinterpretation

Die formale Teleologie fasse ich als rationalen Formalismus auf, dem analytisch notwendig Geltung zukommt. Es ist nicht eine empirische Erkenntnis, sondern eine logische, daß, wenn der Zustand A intendiert ist und die Kausalrelation 5 Wir haben dies nur für das mittelbare Handeln explizit dargetan. Es gilt natürlich auch für das direkte Handeln - soweit man es überhaupt isoliert, d. h. ohne Zusammenhang mit teleologischen Erwägungen konzipieren kann. Dann geht es nämlich bloß um dezisionistische Setzung der Absicht und deren Verwirklichung.

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"B bewirkt A" besteht, B Mittel zur Erreichung von A ist, d. h.: daß - unter den

angeführten Voraussetzungen - A durch Realisierung von B verwirklicht werden kann. Es gilt auch analytisch, daß, wenn dem Zielzustand A der positive Wert W(A) und dem Mittel B der Wert W(B) zugeordnet ist, B dann und nur dann ein wertmäßig anwendbares Mittel ist, wenn A und B zusammen positiv bewertet wird, d. h. wenn W(A 1\ B) positiv ist. 6 Die Ziel-Mittel- und die entscheidungs logischen Relationen sind in fonnal allgemeiner Fonn zu konzipieren. Der fonnale Charakter des Schematismus zeigt sich deutlich in der Tatsache, daß er unabhängig von der faktischen Konstitution von Handlungssubjekten ist: er gilt für jedes denkbare Subjekt. Die empirisch spezifischen Elemente, die für das Subjekt charakteristisch sind, sind Eingaben in die Schemen: Zielsetzungen, die Bestimmung ihrer Wertintensität, die relativen Wertungen (Präferenzen) und die Akte der Wertsummation. Gerade der fonnale Charakter der Teleologie (inklusive Entscheidungslogik7 ) ennöglicht die Anwendung des Fonnalismus als eines Instruments der rationalisierten Darstellung des HandeIns. Hierbei sind zwei Typen von Problemsituationen zu unterscheiden, die unterschiedliche Anwendungsweisen der fonnalen Schemen und unterschiedliche methodologische Probleme implizieren: die Handlungserwägung (Deliberation) und die Motivinterpretation. Der Fonnalismus der fonnalen Teleologie ist primär ein Schema der Überlegung, die zum Handeln führt, und gibt die rationale Struktur der Entscheidungen an, wie im gegebenen willenhaften Rahmen optimal zu handeln ist, gegebenenfalls inklusive der Handlungslenkung, wenn man die Theorie der Handlungslenkungsstrukturen mit einschließt. 8 In dieser - sagen wir: direkten - Anwendung der fonnalen Teleologie treten in charakteristischer Weise die Momente der Dezision in Wertungen und relativen Wertungen zutage. Sie können aber unter Umständen operationalisiert werden, indem Wertungen und Präferenzen angegeben werden. Die fonnalen Schemen der Teleologie können auch als Deutungsschemen des beobachteten HandeIns dienen. Dann werden sie sozusagen in umgekehrter Richtung verwendet: ausgehend von der Handlung wird die zur Handlung führende Überlegung rekonstruiert. Die Rekonstruktion ist natürlich gedanklich komplizierter (dies ist bei inversen Operationen die Regel) und ihrem Wesen nach hypothe(A

Daß (A 1\ B) positiv bewertet wird, kann auch als Präferenzrelation ausgedrückt werden: 1\ B) wird (-.A V .B) vorgezogen. - Sind die Bewertungen zahlenmäßig ausgedrückt,

6

dann ist ein Mittel B für die Erreichung des Zieles A dann und nur dann brauchbar, wenn W(A) > W(B). Bei W(A) = W(B) ist es gleich gut, das Mittel B einzusetzen und A zu erreichen. wie in dieser Weise nicht zu handeln. 7 Die entscheidungslogischen Analysen sind im wesentlichen Strukturanalysen von Problemsituationen für Entscheidungen; sie betreffen also die Anwendungsbedingungen der teleologischen Formalismen. 8 Dann ist natürlich die Theorie des Handlungsprozesses. des Lenkens und des Rückkoppelungsmechanismus Bestandteil der formalen Teleologie.

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tisch. Wenn man die erforderlichen Elemente dieser rekonstruktiven Explikation durchgeht, sieht man sofort, daß sie aus dem Ergebnis (der Handlung) nicht eindeutig bestimmbar sind. Es müssen nämlich gleichzeitig das System der Ziele mit ihren relativen Wertgewichten, das Kausalwissen des Handlungssubjekts, die Präferenzen, durch die die Wahlakte bestimmt sind, und die fixierten Determinanten (z. B. wirksame Normen) bestimmt werden. Deshalb ist die Rekonstruktion nur dann durchführbar, wenn gewisse Elemente vorgegeben sind (z. B. weil sie aus aIlgemeiner Erfahrung bekannt sind, "selbstverständlich" sind). Die Deutung von Handlungen ist immer eine Vereinfachung. Es ist praktisch unmöglich, das gesamte Zielsystem inklusive der zugehörigen Präferenzen und der dem Subjekt zur Verfügung stehenden Kausalinformationen interpretativ zu bestimmen. Das, was durch deutende Erklärung geleistet wird, ist viel weniger. Es werden Handlungsdeterminanten nur so weit bestimmt, als sie als für die Erklärung hinreichend erscheinen. Man bestimmt als Motive der Handlung Ziele, die das Handlungsverhalten verstehbar machen, nicht aber das gesamte komplexe ZieJsystern und die außerrationalen Handlungsdeterminanten (wie Normen und Fixierungen) des Subjekts. Oft ist es aber für die Gewinnung einer akzeptablen Deutung unerläßlich, neben Motiven (Zielen) außerrationale Determinanten zur Erklärung (zum Verstehbarmachen) von Handlungen heranzuziehen. Wenn man sich dessen bewußt ist, daß Motivinterpretation - genauer: rekonstruktive Deutung von Handlungen, bei der Motive (Ziele) und außerrationale Determinanten zur bestimmenden Erklärung herangezogen werden -, immer Vereinfachung ist, die den teleologischen Hintergrund nur so weit erheIlt, als zum Verstehen des Handlungsvorgangs erforderlich erscheint, wird man einsehen, daß die deutende Erklärung prinzipieIl tentativ-hypothetisch und unabgeschlossen ist. Die durch rekonstruktive Analyse bestimmten Ziele der Handlung nennen wir ,Motive'. Man gibt die Motive einer Handlung an, wenn man feststeIlt, welche Ziele mit der Handlung verfolgt werden. Motive haben also prinzipieIl teleologischen Charakter. 9 Da unser eigenes Handeln nicht immer im Ganzen explizit und bewußt ist, kommt die Motivanalyse - d. h. die Bestimmung der Absicht durch Interpretation - auch als Reflexion über unser eigenes Handeln in Frage. In der Motivanalyse ist das Handeln selbst (der gesetzte Akt) das entscheidende Kriterium für die relative Gewichtung der Ziele. Wenn man einem Ziel ZI gemäß unter ZurücksteIlung eines anderen Zieles Zz handelt, kann interpretativ geschlossen werden, daß man ZI präferiert [gegebenenfaIls daß (ZI 1\ MI )(Z2 1\ M2) vorge9 Sie sind also nicht als Kräfte im physikalischen Sinne zu verstehen. - Ob es sinnvoll ist, Motive als Ursachen von Handlungen zu bezeichnen, hängt davon ab, ob man die Kausalre1ation als Beziehung zwischen bedingenden und bedingten Zuständen, die beobachtbar sind, betrachtet, oder ob man auch informationell bestimmte Bedingungen als Glieder von Kausalrelationen ansieht. Bezüglich der Konsequenzen dieser Konzeptionen siehe unten und Anhang S. 118 f.

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zogen wird]. Dies gilt jedoch nur mit Einschränkungen: fixierte Elemente können das Spiel der Motive in wesentlich andere Bahnen lenken (siehe unten). Die Deutung von Handlungen pflegt auf die Auffindung der Motive - also der intentionalen Elemente der Handlungsbestimmung - gerichtet zu sein; die Kausalrelationen sind aber zweifellos ebenfalls bestimmende Momente: Eine bestimmte Absicht vorausgesetzt, werden andere Handlungsmöglichkeiten bestehen, je nachdem, welche Kausalkenntnisse benützt werden können. Die Kausalrelationen bzw. das Kausalwissen - sind also ein Bestimmungselement der Handlung. Die Kausalrelation kann - je nach Problemsituation - in der teleologischen Überlegung objektiv oder subjektiv verstanden werden; d. h.: man kann entweder die bestehende Kausalbeziehung lO einsetzen, oder das Kausalwissen des Subjekts. In der Interpretationsanalyse wird oft das Kausalwissen des Betrachters an die Stelle des Wissens des analysierten Subjekts gesetzt, da dessen Wissen dem Beobachter meist nicht zugänglich ist. Im Prinzip ist aber auch hier eine Nachkonstruktion (ein "Einleben") zu versuchen. Es ist jedenfalls die historische Perspektive zu beachten, d. h. einerseits der zeitgemäße Wissensstand in Rechnung zu ziehen, andererseits ist soweit als möglich der individuelle Wissensstand als Interpretationsbasis zu bestimmen. Der Begriff des Kausalwissens ist hierbei so zu verstehen, daß es nicht nur die Kenntnis von Kausalgesetzen und Situationsdaten umfaßt, sondern auch technologisches Wissen. Die Kenntnis der Kausalgesetze ist nämlich zweifellos die kognitive Basis der Technologie; die bloße Kenntnis der Kausalbeziehungen genügt aber noch nicht dazu, zielführende Mittel und Methoden angeben zu können. Man muß auch wissen, in welchen Kombinationen die Kausalbeziehungen ausnützenden Akte zu setzen sind: zur Konstitution der Handlungsbestimmung ist neben dem Kausalwissen (im engeren Sinne) noch konstruktives Wissen, das man als ,technologisches Wissen' bezeichnen kann, erforderlich. Von der Kenntnis aller relevanten Naturgesetze zu einer technischen Erfindung, die diese Naturgesetze verwertet, liegt oft ein weiter Weg. Die Erklärung von Handlungen durch Motivinterpretation wäre in den meisten praktisch bedeutsamen Fällen so hochgradig unbestimmt, daß sie als Methode nicht in Frage käme, wäre jedes Subjekt für den Betrachter ein den Willensinhalten und dem Wissen nach absolut unbeschriebenes Blatt. In Wirklichkeit ist die Situation einigermaßen analog der Erstellung einer medizinischen Diagnose. Es gibt Typen von Handlungs- und Verhaltensweisen, die mit gewisser empirisch bekannter Motivation verbunden sind. (Zweifellos gibt es hier - analog wie in der Medizin akzeptierte, aber in Wirklichkeit verfehlte Hypothesen über regelmäßige Motivhintergründe.) Für gewisse Handlungskontexte werden Motiverklärungen vorausgesetzt und aus allgemeiner Erfahrung den Subjekten zugeschrieben. Noch wichtiger als die allgemeine Erfahrung in bezug auf stereotype Motivurteile ist die Tatsache, 10 Das bedeutet natürlich praktisch, daß das aktuelle. d. h. vom Beobachter für objektiv gehaltene Wissen als Basis verwendet wird.

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daß man das dem Subjekt zugeordnete Ziel- und Präferenzsystem nicht als vollkommen unbestimmt behandelt - wie es die formale Teleologie und der Non-Kognitivismus zuließen, sondern daß man als anthropologische oder kulturelle Konstanten gewisse Zielkonstellationen der Empirie (der praktischen Menschenkenntnis) entnimmt. Es liegt hier ein Moment vor, das der Kausalanalyse strukturgleich oder wenigstens ähnlich ist. Es werden generelle Charakteristiken der Zielsysteme aus der Erfahrung benützt. Die Subjekte werden als weitgehend teleologisch analog strukturiert angesehen, trotzdem bekannt ist, daß es individuelle Differenzen gibt, die bei der Handlungsexplikation sehr wesentlich sind. Im Rahmen der generellen Zielvoraussetzungen werden noch Typen unterschieden, um eine spezifischere Basis für die Interpretionshypothesen zu bekommen. (Auch die körperliche Verhaltensweise der Menschen ist verschieden, z. B., die Wirkung eines Medikaments. Trotzdem arbeitet der Arzt mit der Generalisierung und versucht, durch Typenunterscheidungen eine bessere Anpassung zu erhalten.) In dieser Beziehung, nämlich: der empirischen Generalisierung (hier wohl mit Elementen der inhaltlichen Analogie und Einfühlung) und der Explikation des Handeins einzelner Subjekte besteht eine wesentliche Parallele zum Kausaldenken, wo die Explikation der individuellen Erscheinung immer auf Generalisierungen (Gesetzen) beruht. M.E. ist dies jedoch kein Grund, die Handlungstheorie als kausale Erklärungsweise anzusehen. Der Unterschied gegenüber der Kausalanalyse ist markant: bei ihr geht es immer um Zustandsfolgen, bei der Handlungsanalyse um nicht direkt beobachtbare informationelle Bestimmungselemente. Wenn man sagt, die bestimmenden Elemente der teleologischen Beziehung seien informationeller Natur, ist dies in gewisser Beziehung der Behauptung verwandt, daß das Handeln durch Vorstellungen bestimmt sei wie ältere Darstellungen es auszudrücken pflegten. Auch in dieser Konzeption kam zum Ausdruck, daß hier das bestimmende Moment nicht in einem beobachtbaren Zustand des Systems besteht, sondern in Gedankenstrukturen. Wenn wir heute von ,Informationen' sprechen, ist dies dennoch klarer und adäquater. Klarer, weil wir genauer explizieren, was diese Determinanten sind, nämlich Strukturen, die zwar materielle Träger ("Sprache") haben, die jedoch bei der Transformation in ein anderes Sprachsystem erhalten bleiben können, und die speicherungsfahig sind. Adäquater ist unsere Darstellung, weil bei dem Begriff der Vorstellung Bewußtsein mitgedacht wird, während Informationen bestehen und wirken können, auch ohne bewußt erlebt zu werden. Und dies ist für die Handlungstheorie adäquater, denn es eröffnet den Weg zu einer Explikation auch jener Determinanten, die außerbewußt sind. Eine Hilfe der Motivinterpretation ist die Tatsache, daß man gewöhnlich auch Äußerungen des Handelnden über seine Motive zur Verfügung hat. Diese Informationsquelle ist jedoch kritisch zu verwenden; es können sowohl bewußte Unaufrichtigkeit als auch tiefenpsychologisch bedingte Selbsttäuschung vorliegen. Eine wesentliche Komplikation der interpretativen Sicht sind verschiedene Reminiszenzen und Fixierungen aus der Vergangenheit, die vereinfachend oder

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gleichsam als Fremdkörper - aber oft doch bestimmend - auf das zu deutende Handeln eingewirkt haben.

5. Typen willenhafter und außerrationaler Handlungsdeterminanten Nach der intentionalistischen Handlungskonzeption kann ein Verhalten dann und nur dann als Handlung verstanden werden, wenn das Verhalten als abhängig von intentionalen Informationen (d. h. durch Wollen bestimmt) ist. In den teleologischen Schemen treten immer gewisse willenhafte Inputs auf, die im gegebenen Schema Prämissencharakter haben: sie sind Argumente der Überlegung, selbst aber durch das Schema nicht begründbar. Dies gilt für jedes Schema. In der Anwendung der Teleologie ist die Situation anders. Hier können Zielsetzung und relative Wertung hinterfragt werden. Wenn das Subjekt S die Absicht hat, das Fenster zu öffnen, kann die Überlegung nicht nur fortschreitend zu den Mitteln und Wegen der Zielerfüllung verlaufen, sondern auch rückschreitend Gründe der vorausgesetzten Absicht suchen. Hierdurch kann die Absicht selbst gestützt - oder gegebenenfalls - auch in Frage gestellt werden. Z. B.: S beabsichtigt, das Fenster zu öffnen, um zu lüften. Es kann sich zeigen, daß die vorausgesetzte Absicht kein geeignetes Mittel ist, das Ziel zu erreichen - etwa weil draußen Smog ist -; oder es kann das Ziel, zu lüften, kritisiert werden, z. B. wenn es mit einem anderen höherwertigen Ziel - die Wärme im Zimmer zu erhalten - in Konflikt steht. Die rein stellungnehmenden Elemente werden zurück verlegt, man kommt aber nie ohne solche willenhafte Argumente aus, mit denen die Begründungskette endet. Die direkte teleologische Überlegung ist (a) Deliberationsschema mit explizit gemachten Stellen für Dezisionen, oder (b) ein Modell mit ausdrücklichen Präferenzen. Im Falle (a) hat das Subjekt stellungnehmende Entscheidungen zu treffen; im Falle (b) sind die Entscheidungen im Modell berechenbar. Die Tatsache, daß im Falle (b) ein Modell vorliegen kann, in dem die Entscheidungen kalkulierbar sind (gegebenenfalls mit der Einschränkung der Unentscheidbarkeit bei gleichwertigen Alternativen), kann nicht als kognitivistische Alternative gedeutet werden. Bei der Konstruktion und Anwendung so eines Modells werden die erforderlichen Dezisionen entweder durch die Festsetzung von Präferenzen vorangestellt, oder aber es bleibt die Entsprechung zwischen Modell und handlungsbestimmendem Willenssystem eine offene Frage. Zwischen der formalen Teleologie, wie sie bisher betrachtet wurde, und dem faktischen Handeln besteht in der Wirklichkeit eine nicht unwesentliche Divergenz, von der schon in den einleitenden Überlegungen die Rede war: es fällt auf, daß Handlungsdeterminanten im Spiel sind, die ich als ,außerrationale' bezeichnet habe. Es geht nun darum, diese außerrationalen Determinanten des Handeins so zu explizieren, daß sie in den Rahmen der intentionalistischen Handlungstheorie passen,

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daß sie sozusagen als natürliche Bestandteile der Theorie erscheinen. Ferner möchte ich versuchen, eine Typologie dieser Determinanten zu skizzieren. Unsere Erklärung der Entstehung und Funktionsweise außerrationaler Determinanten der intentionalistisch verstandenen Handlung beruht auf drei Elementen: (I) dem Prinzip der Reduktion der Komplexität durch Fixierung; (2) dem Prinzip der Interferenz von intentionalen Bestimmungssystemen; (3) dem Prinzip der geschichtlichen Vorbestimmtheit des Wollens. Die teleologische Analyse, die eigentlich jeder Handlung vorangehen müßte, ist von so großer Komplexität, daß sie praktisch kaum zu bewältigen ist. Diese Komplexität wird im praktischen Leben dadurch reduziert, daß einerseits Handlungen als Globalakte erlernt werden, die durch Globalentscheidungen initiiert werden, und daß andererseits Fixierungen erfolgen, indem Blöcken des Wo liens Werte zugeordnet werden, die global in die Überlegungen eintreten. Dies bringt sicherlich unter Umständen Ungenauigkeiten in die Abwägung, weil nicht der ganze Komplex von Relationen des Nutzens und Aufwands in der spezifischen Situation genau geprüft werden kann. Es ist aber praktisch unerläßlich, mit solchen "vorgefertigten" Blöcken zu arbeiten. Das Handlungssubjekt setzt seine Absichten gelegentlich nicht nur als Handlungsentscheidung für eine gewisse Situation, sozusagen für eine einzige Handlung, fest, sondern auch als Handlungsprinzip pro futuro. Dieser Vorgang der Vorsatzbildung ist von wesentlicher Bedeutung; er führt zur Strukturierung der Person und ermöglicht, wesentlich effektivere Handlungsergebnisse zu erreichen. Hierdurch kommen schon gewisse Elemente von Starrheit in das System der Handlungsbestimmung hinein. Eine gewisse Verwandtschaft mit der fixierten Setzung von Absichten hat das systematische zielbewußte Lernen. Es kann generelle Vorbereitung zur Bewältigung von Aufgaben oder auf ein konkretes Ziel gerichtet sein. Diese Bestrebungen werden oft methodisch entwickelt; hierbei wird das Ausbildungsverfahren oft zu einem System von Vorübungen und Perfektionstraining ausgestaltet. Prozesse des systematischen zielbewußten Lernens erweitern sehr wesentlich das Feld des Erreichbaren. Fixierungen, die als determinierende Blöcke in das System der Handlungsbestimmung eintreten, sind nicht nur Vereinfachungen, sondern haben oft anderen Charakter, und zeichnen sich durch eine gewisse Starrheit aus. Dies kommt im wesentlichen in zweierlei Weise zustande: I. Die Verkürzungsfixierung erstarrt, so daß sie nicht mehr hinterfragt wird, und auch oft in Situationen - sozusagen als geschichtliche Reminiszenz - beibehalten wird, wo sie schon nicht mehr zweckdienlich ist. Das gibt es sowohl im Bereich des individuellen Handeins als auch bei gesellschaftlichen Institutionen. Eine Mutter handelt oft ihrem Sohn gegenüber, als wäre er ein Kind, obwohl er schon er-

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wachsen und vielleicht auch schon Familienvater ist. - Die tiefen psychologischen Fixierungen haben ebenfalls ähnlichen Charakter. Durch Verdrängungen und ähnliche Prozesse wird eine Schicht von Strukturen geschaffen, die in das durch Handlungsüberlegungen bestimmte Handeln störend eingreift, und zwar in der Weise, daß diese Elemente an gewissen Stellen die Handlungsabläufe "irrational" verändern (z. B. bei den sog. Fehlleistungen), oder daß gewisse Einstellungen das Werten in fixierter Weise leiten, obwohl bei kognitiv-rational bestimmter Wertung andere Ergebnisse eintreten würden. - In Österreich wird das Romanum als "Abschlußprüfung" des juristischen Doktorats bis heute beibehalten, obwohl es für unser Rechts- und Gesellschaftssystem nicht mehr angemessen ist. 11 Technische Bauelemente werden oft beibehalten, obwohl sie ihre ursprüngliche Funktion verloren haben. 2. Das Handlungssubjekt steht in Beziehung zu anderen Systemen, insbesondere: die einzelne Person zur Gesellschaft und das gesellschaftliche Subjekt der Kollektivhandlungen zu anderen gesellschaftlichen Systemen. Bestimmende Elemente, die aus diesen Beziehungen hervorgehen, treten in die finale Handlungsdeliberation als starre oder wenigstens relativ starre Determinanten ein. Dem erhärteten Vorsatz verwandt, aber doch in ihrer Entstehung und Wirkungsweise anders sind autonome Normen, insbesondere Moralregeln. Diese Normen - obwohl sie autonom gesetzt sind - bedeuten ihrem Inhalt nach meist Regulative, die Gesellschaftliches (die Mitmenschen) berücksichtigen oder / und genetisch gesellschaftlich bedingt sind. Wenn ich mir auch meine Moralnormen autonom (d. h. aus eigenem Willen) setze, so ist der Inhalt meines autonomen Wo liens doch durch Erziehung, Milieu und Kultur bedingt. Normative Determination des Handeins besteht auch durch Auswirkung heteronomer Normen. Die Wirkungsweise heteronomer Normen ist komplex. M.E. entspricht es nicht diesem Phänomen, wenn man die Wirkungsweise der heteronomen Normen als teleologische Abwägung erklärt. Man befolgt heteronome Normen nicht nur dann, wenn der Unwert der Sanktion oder der Wert der Belohnung die Unlust, die mit der Normerfüllung verbunden ist, überwiegen. Diese Relation ist nur eines der wirkenden Momente. Sehr entscheidend erscheint mir die Tatsache der grundlegenden Einstellung des Menschen, der regelmäßig im Spiel der gesellschaftlichen Interaktion mitspielen will, und seinem Wesen nach genötigt ist, mit seinen Mitmenschen und in Gemeinschaften zusammenzuarbeiten. Im Bereich der tiefenpsychologischen Zusammenhänge ebenso wie bei den Auswirkungen von autonomen und heteronomen Normen auf das Handeln zeigt sich klar das, was ich ,Interferenz intentionaler Bestimmungssysteme' nenne. Ein ganz analoges Bild bieten die Systeme des gesellschaftlichen HandeIns. Ein das staatliche Handeln lenkendes Rechtssystem wird in der Gesetzgebung ebenso wie bei seiner Anwendung mitbestimmt durch die Sitte, durch Religionssysteme u. ä.

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Betrifft den Zeitpunkt der Abfassung dieses Aufsatzes, gilt aber heute nicht mehr.

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3. Das Prinzip der geschichtlichen Vorbestimmtheit weist darauf hin, daß Handlungssubjekte ihre Geschichte haben, d. h. von Vorerfahrungen und Fixierungen, die sich herausgebildet haben, niemals vollkommen losgelöst werden können. Durch das Phänomen des Gedächtnisses (im sehr weiten Sinne) werden einerseits die Mechanismen des Stellungnehmens konstituiert, andererseits Fixierungen in die Handlungsdeliberation hereingetragen, die oft ein Erstarren zur Folge haben und die die teleologische Deliberation zunichte machen. Diese flüchtige Skizze der Quellen und Funktionsweise außerrationaler Handlungsdeterminaten hat gezeigt, daß sich das Vorhanden sein und Wirken dieser Momente - auch wenn sie in einer gewissen Perspektive als Störfaktoren erscheinen im System der final-analytischen Handlungstheorie sehr gut verstehen lassen. Die außerrationalen Momente lassen sich im wesentlichen als Fortentwicklungen von funktionsverbessernden Vereinfachungen und Fixierungen zusammen mit Interferenzerscheinungen zwischen verschiedenen Systemen sozusagen organisch erklären. Sowohl die erstarrten Elemente als auch die Interferenzen können sich vorteilhaft oder ungünstig auswirken. Man kann nun fragen, ob es Postulate des rationalen Handeins gibt. Aus unserer Theorie ergibt sich keine normative Theorie der Zweckrationalität. Es wird nur auf Gefährdungen des rationalen Handeins aufmerksam gemacht, nämlich auf die Tatsache, daß Fixierungen in gewissen Fällen ebenso wie starr eingegliederte Bestimmungsblöcke, insbesondere Normen, die rationale Funktionsweise des Systems stören, ja sogar zerstören können. Daraus kann eine gewisse Tendenz zur rationalteleologischen Kontrolle und eventuell zum Hinterfragen der Wertstandards als Forderung des praktischen Vernunftgebrauchs abgeleitet werden. Methoden des zweckrationalen Vorgehens (wie z. B. gewisse Postulate ökonomischer Konzeptionen) können - und müssen wohl auch - in den Rahmen unserer Theorie eingepaßt werden, sie sind aber nicht Bestandteil der Handlungstheorie. Für die kritische Anwendung der teleologischen Analysen ist es wichtig, zu beachten, daß jede rationale Analyse und jede Optimierungsmethode eine Analyse unter gewissen Gesichtspunkten ist, nicht aber absolut gilt. Ein aktuelles Beispiel: Wirtschaftliche Analysen führen zu Anleitungen, wie unter der Zielsetzung der Optimierung des sozial-ökonomischen Lebensstandards vernünftige Wirtschaftspolitik betrieben werden kann. Dem wurde unter dem Eindruck der ökologischen Folgen die Devise "Lebensqualität" entgegengesetzt. Dies bedeutet nichts anderes als die Erkenntnis, daß die bisherigen Kriterien der Analyse für die Bestimmung der adäquaten gesellschaftlichen Intentionen nicht ausreichend sind. Jede teleologisch-rationale Analyse ist durch das System der Analyse und ihre Kriterien begrenzt. Sie ist im Verhältnis zur idealen Vernunftanalyse eine partielle Untersuchung. Diese Reflexion über die Begrenztheit der rational-teleologischen Analysen und die Bereitschaft, eventuell zur Rekonstruktion des Systems unter Heranziehung weiterer oder anderer Kriterien zu schreiten, halte ich für ein wesentliches Postulat der kritisch-rationalen Einstellung.

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Das, was man üblicherweise als ,irrationales Handeln' bezeichnet, erscheint uns nicht als die Gesamtheit außerrationaler Momente - diese sind in unserer Theorie unausschaltbare Bestandteile des HandeIns -; bloß jene Erstarrungen, die rationalteleologische Handlungslenkung ausschalten, die sozusagen pathologischen Erstarrungen, kennzeichnen irrationales Handeln.

6. Die Bedeutung der finalistischen Explikation der außerrationalen Handlungsdeterminanten Meine Konzeption der Handlung umfaßt im wesentlichen zwei Thesen: I. Die Handlung muß grundsätzlich finalistisch verstanden werden; in diese final istische Struktur treten außerrationale Momente als natürliche Bestandteile ein. 2. Die außerrationalen Determinanten können ihrer Entstehung und ihrem Inhalt nach verstanden werden, wenn man sie als abgeleitete und ausgegliederte Zweckstrukturen deutet, oder als teleologisch bestimmte Elemente eines anderen Systems, das mit dem Wollen des Handlungssubjekts interferiert. Aus meinen bisherigen Darlegungen ist ersichtlich, daß ich die teleologischen Beziehungen und das System des rationalen Wählens als analytisch gültiges System auffasse (formale Teleologie), dessen Anwendung in zwei methodologisch verschiedenen Situationen (der Handlungserwägung und der Motivinterpretation) auftritt. In der Anwendung der teleologischen Schemen treten Erfahrungselemente sowie kausalitätsartige Generalisierungen auf. Im 5. Abschnitt wurden die Herausbildung und Wirkungsweise der außerrationalen Momente, die die Handlungen bestimmen, als organische Bestandteile der finalistischen Handlungstheorie erklärt. In diesem Abschnitt will ich versuchen, die Bedeutung der finalistischen Explikation der außerrationalen Handlungsdeterminanten zu erläutern. Ich stelle mir also die Frage, weIche theoretischen Konsequenzen mit der unter Nr. 2 angeführten These verbunden sind. Der Begriff der irrationalen Handlungsdeterminanten wird nicht mehr als etwas Vernunftwidriges, Unerwartetes und Ausnahmsweises angesehen, sondern als ein nicht nur tatsächliches, sondern sozusagen reguläres Phänomen. Deswegen meide ich den sonst üblichen Terminus ,irrational' und spreche lieber von ,außerrationalen' Momenten. Der Begriff der außerrationalen Determinanten ist ferner relativ zu verstehen: sie werden als außerrational in bezug auf das die Handlung bestimmende Willenssystem bezeichnet, weil sie irgendwie fixierte Blöcke darstellen, die in die Deliberation als vorgefertigte Bestandteile eintreten, und die in der handlungsbestimmenden teleologischen Analyse nicht der freien Abwägung unterworfen sind. Die Bezeichnung als ,außerrational' impliziert aber in keiner Weise, daß diese Elemente an und für sich keine verstehbare Struktur und keinen vernunftmäßig erfaßbaren Inhalt haben. Im Gegenteil: ich behaupte gerade, sie können und müssen in ihrer finalen Funktion gedeutet werden, allerdings vom StandK Wcint>crgcr

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punkt eines ausgegliederten oder überhaupt eines anderen teleologischen Systems. Auf dem Boden unserer Konzeption der Handlung werden höhere Anforderungen an die Erklärung von Handlungen gestellt. Dadurch, daß auch die außerrationalen Momente reguläre Bestandteile der Handlungsdetermination sind, wird eine allseitige Erklärung dieser Momente erforderlich gemacht. Man muß Theorien aufstellen, die die Ursachen der Entstehung und die Wirkungsweise der Fixierungen sowie deren Inhalt verständlich machen. Diese Theorien werden durch den Erfolg oder Mißerfolg, den sie als Klärung bieten, und teils auch durch eventuelle pragmatische Erfolge bei der therapeutischen Auflösung von Zwängen zu testen sein. Das heißt: unsere Theorie fordert, viel mehr zu erklären, als in jenen Konzeptionen geleistet wird, die das irrationale Moment als gegenüber der rationalen Handlungsanalyse außenstehend betrachten. Wenn man das rationale Handeln bloß als Idealisierung oder als einen besonderen Typus des Handeins ansieht, kann man sich vielleicht damit zufriedengeben, daß auch andere nicht näher explizierte Handlungsweisen existieren. Sobald man aber den Mechanismus der Fixierungen und die Interferenz zum Bestandteil der Handlungstheorie macht, muß man Genesis und Wirkungsweise dieser Elemente erklären. Natürlich gibt unsere Theorie keine Antwort auf diese Fragen der Psychologie und Soziologie, sie bietet nur einen Rahmen an, der durch systematische Erklärungstheorien ausgefüllt werden muß. Wir kennen natürlich längst eine Reihe solcher Theorien, die die Bedingungen charakterisieren, unter denen Fixierungen und andere außerrationale Handlungsdeterminanten herausgebildet werden und wirken. Es ist hier nicht der richtige Platz dafür, das überaus breite Spektrum dieser sehr verschiedenen Problemkreise und deren theoretische Analysen - sie reichen wenigstens von der Tiefenpsychologie über die soziologischen Probleme der Institutionalisierung, vom Studium der Rolle der Popperschen Dritten Welt, der Ideen und Ideologien, zum Studium der soziologischen Bedingungen der Meinungsbildung - darzustellen, geschweige denn im einzelnen zu analysieren. Wichtig erscheint mir die unserer Konzeption entsprechende allgemeine Forderung, daß diese außerrationalen Momente inhaltlich gedeutet werden müssen; sie werden als teleologisch bestimmt aufgefaßt, jedoch im Rahmen eines anderen finalen Systems. Hierdurch wird eine Basis für eine inhaltliche Explikation der außerrationalen Momente angegeben. Der Bereich des Verstehens wird also nach unserer Theorie sehr weit gefaßt. Er betrifft bei der persönlichen Handlung das gesamte Feld der Determinanten, in soziologischer Sicht die verschiedensten Faktoren gesellschaftlicher und historischer Natur, die das Verhalten des einzelnen ebenso wie die gesellschaftlichen Handlungen bestimmen. Die determinierenden Faktoren werden nicht nur benannt, sondern ihrer Zweckfunktion nach beschrieben. Besonders hervorzuheben ist, daß durch das Prinzip der Interferenz eine Grundlage dafür geschaffen wird, sowohl bei autonomen wie bei heteronomen Normen das konstitutive Zusammenspiel zwischen Individuum und Gesellschaft verstehen

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zu können. Unsere Theorie macht es verständlich, daß die autonome Normsetzung des moralischen Wollens ihrem Inhalt nach gesellschaftlichen Charakter hat. Die Wirkungsweise der autonomen Moralnorm wird als dem Vorsatz analog gedeutet. Wie kann die Funktionsweise der heteronomen Norm, z. B. des Rechts, im Geiste unserer Konzeption des Handelns erklärt werden? Es wird ohne weiteres verstehbar, daß der Inhalt des Rechts seine eigene - vom teleologischen System des einzelnen abgetrennte - teleologische Basis hat. Es ist auch im wesentlichen verstehbar, daß das Rechtssystem als ein relativ zum Willenssystem des Handelnden außerrationales Moment wirkt. Ich glaube aber, daß unser Modell der Handlung eine ausführlichere Klärung der Situation zuläßt. Die Person reagiert auf das heteronome Normensystem in zweierlei Weise. (i) Das Normensystem zusammen mit der Wahrscheinlichkeit, wie es in die Realität tritt, bilden Elemente der Handlungsund Erfolgsmöglichkeiten, die der teleologischen Abwägung des Handelnden unterworfen werden. 12 (ii) Der Sollensgehalt des Rechtssystems wird als Handlungsrichtlinie in das System rezipiert und wirkt in ähnlicher Weise, wie autonom gesetzte Normen. Es sind Handlungsdeterminanten, vorgeformt aus einer anderen Welt, der Welt der Gesellschaft. Sie wirken - in gewissem Bereich - ohne teleologische Hinterfragung. Diese bei den Wege der Wirksamkeit gesellschaftlicher Normen sind nicht nur idealtypische Bestimmungen, sondern beide Wirkungsweisen treten in der Regel nebeneinander auf. Die vorgelegte Theorie der komplex rational-außerrationalen Handlung scheint mir heuristisch ergiebig zu sein: sie ermöglicht ein erweitertes Feld von Fragestellungen, und gibt eine einheitlichere Antwort als die gängigen Konzeptionen, und zwar in zwei Richtungen: rationale Handlungsstrukturen und außerrationale Elemente werden als wesensverknüpft in einem System zusammen erfaßt, und es wird das so vielgestaltige Problem feld der Handlungen auf einer gemeinsamen strukturell einheitlichen Basis expliziert.

7. Grundsätze vernünftigen Handeins Die in den vorangehenden Abschnitten skizzierte Handlungstheorie ist eine rational-analytische Konzeption; sie geht von der Bestrebung aus, die verstehende Analyse möglichst weit zu führen; nicht nur die das Handeln bestimmende Überlegung wird als teleologisch-rationale Struktur dargestellt, sondern auch die außerrationalen Determinanten als finalbestimmt angesehen. Es ist naheliegend, nun zu 12 Wenn man z. B. geschäftliche Operationen mit Rücksicht auf steuerliche Vorteilhaftigkeit gestaltet. bildet das Recht die Basis für teleologische Abwägungen. Die bestehenden Institutionen sind Rahmen der Handlungsmöglichkeiten des einzelnen. Die Rechts- und die Unrechtsfolgen wirken als Elemente von Zweckabwägungen, doch ist es ganz verfehlt, sie nur in dieser Weise als Motivatoren zu explizieren. Durch Internalisierung von Rechtsnormen und der von ihnen geschaffenen Realitäten werden Wertestandards internalisiert und Lebensformen herausgebildet.

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fragen, ob diese rationalistische Tendenz, die der Theorie zugrunde liegt, es erlaubt, gewisse praktische Einstellungen zu begründen und Regeln für ein vernunftstrebiges Handeln aufzustellen. Mit anderen Worten: Kann unsere Theorie praxiologisch verwertet werden? Im Geiste unserer Theorie wird man zu einer spezifischen Auffassung des rationalen Handeins gelangen. Das rationale Handeln wird nicht als reiner Gegenpol des irrationalen, intuitiv, gefühlsmäßig oder sonstwie bestimmten Handeins anzusehen sein, sondern die außerrationalen Momente erscheinen nicht nur als wesentliche, natürliche und unabdingbare Bestandteile der das Handeln bestimmenden Prozesse -, sondern in gewissen Bereichen sogar als Momente, die die Effizienz des Handeins erhöhen (praktisch nützliche Vereinfachungen, vorgeformte Blöcke des Wollens, fixierte Vorsätze und Normen). Unter gewissen Umständen, die ebenfalls verstehbar sind und die von psychologischen und soziologischen Theorien studiert werden müssen, werden aber die fixierten oder die interferierenden Momente zu starren Strukturen, die das zweckgerechte Handeln stören, ja zu pathologischen Situationen führen können, in denen die vernunftmäßige teleologische Deliberation ausgeschaltet wird: sogenannte fixe Ideen, tiefenpsychisch verankerte Zwänge, die Entstehung von Mechanismen gesellschaftlichen Handeins, die sich wägender Lenkung und Kontrolle entziehen. Es geht also eigentlich nicht darum, rational (a contr. irrational) zu handeln, sondern um die Tendenz, die vernunftmäßig wägende und Erkenntnisse ausnützende handlungsbestimmende Analyse immer dort einzuschalten, wo Fixierungen erstarren und sozusagen zu einem Kurzschluß der finalen Überlegung führen können. Der Rationalismus unserer Theorie ließe es unvernünftig erscheinen, wollte man das Verhalten von einzelnen Menschen oder von Gruppen allein aus deren teleologisch-analytischer Abwägung erklären; Emotionales entscheidet in weiten Bereichen. Da auch in den rationalen Schemen der teleologischen Abwägung Präferenzdezisionen erforderlich werden, können emotionale Momente prinzipiell nicht vollkommen ausgeschaltet werden. Es geht nur darum, daß sie in Prozesse der Abwägung unter Berücksichtigung von Faktenerkenntnissen eingegliedert werden. Es ist für uns nicht einmal verblüffend, wenn ein Subjekt in einer Weise handelt, die den Zielen und Präferenzen des entsprechenden Systems zuwiderläuft. Zwänge - wie ich diese petrifizierten außerrationalen Momente summarisch nennen möchte - sind meist stärker als wertende Erwägungen. Im Prinzip können die aus der Handlungskonzeption resultierenden pragmatischen Regeln die Zielsetzungen und Einstellungen, oder aber die Strategien vernünftigen Handeins betreffen. Zielsetzungen dem Handelnden zu liefern, kann nicht Aufgabe einer wissenschaftlichen Lehre sein. Von einer non-kognitivistischen praktischen Philosophie wie ich sie vertrete - wird man wohl am wenigsten erwarten, daß sie das tun möchte. Unserer Konzeption entspricht aber eine gewisse Einstellung, eine ge-

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wisse Tendenz der Methode (die eigentlich schon die Konzeption motiviert hat). Die praktische Tendenz umfaßt folgende Punkte: (a) Das Bestreben zu verstehen: sich selbst und sein Handeln, die Mitmenschen und Gruppen, mit denen wir in Kontakt kommen und gemeinsam oder als Interessensgegner handeln. (b) Die Forderung, zu verstehen, daß andere anders sind und etwas anderes wollen; mit anderen Worten: Einfühlung, "Tout comprendre c'est tout pardonner", Toleranz. (c) Die Bemühungen, Zwänge aufzulösen. (d) Kooperation, Interessenausgleich und Frieden werden der Idee der eigenen oder gruppenbezogenen "Größe" vorgezogen. Strategien sind direkt aus unserer Konzeption nicht ableitbar, nur das grundlegende Ziel, Zwänge zu überwinden, kooperatives Zusammenspiel mit Interessenausgleich zu ennöglichen, scheint sich aus der Theorie zu ergeben. Methoden können erst aufgrund jener psychologischen und soziologischen Erkenntnisse bestimmt werden, die den Rahmen unserer Strukturtheorie ausfüllen müssen. Auch wenn wir diese erklärenden Theorien haben, bleibt es noch eine ungelöste Frage, welche strategischen Vorgangs weisen therapeutisch einsetzbar sind (d. h. unserer vemunft- und harrnoniestrebigen Tendenz dienen können). Es ist z. B. eine erst durch Erfahrung zu entscheidende Frage, ob die bloße Aufdeckung von Verdrängungs tatsachen und ihrer Entstehungsbedingungen dem Patienten schon helfen, diese Zwänge zu überwinden. Die soziologische Erkenntnis der Freund-Feind-Polaritäten gibt uns noch kein strategisches Rezept, wie mit diesen Tatsachen im Sinne der uns vorschwebenden Tendenzen der Kooperation und Humanität umgegangen werden soll. Ich bin davon überzeugt, daß die verstehende Explikation des Außerrationalen in der Handlungsbestimmung eine Basis für Analysen bietet, die auch strategische Chancen implizieren. Für besonders wichtig halte ich es, die teleologischen Analysen und erklärenden Motiv-Rekonstruktionen nicht an die Sphäre des Bewußten zu binden. Unbewußtes, Unterbewußtes und Strukturen, denen bewußtseinsartige Zustände nur in metaphorischer Diktion zugesprochen werden können, sind in ganz analoger Weise finalistisch explizierbar, wie teleologische Prozesse der bewußten Überlegung. 13

13 In einer anderen Problemebene besteht natürlich die Frage, wann Prozesse bewußt werden und wann sie ohne Bewußtwerden verlaufen.

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Anhang: Kausalistische, intentionalistische und formalistisch-teleologische Handlungstheorien Den beiden Typen der herrschenden Handlungstheorien - G. H. von Wright bezeichnet sie als ,die kausalistischen' und ,die intentionalistischen Theorien"4 stelle ich eine formalistisch-teleologische Theorie entgegen. Als kausalistisch kann man jene Handlungstheorien bezeichnen, die Absichten als kausale Determinanten der Handlung ansehen und daher das Wirken der Absichten und Motive auf das Verhalten durch empirisch gewinnbare Kausalgesetze zu erklären suchen. Der Intentionalist ist dagegen der Meinung, daß das Handeln durch Absichten und Ziele erklärt werden muß, die nicht Ursachen im Sinne von Kausalgesetzen sind, sondern Elemente eines rationalen Prozesses, durch den die Handlung bestimmt und hervorgerufen wird. Nach intentionalistischer Konzeption gibt die rationale Beziehung zwischen Absicht (Zielen) und Kausalwissen auf der einen Seite, und der Handlung auf der anderen eine vollständige Erklärung der Handlung, denn die Handlung tritt entsprechend dem Ergebnis dieses rationalen Prozesses mit Notwendigkeit ein, wenn das Handlungssubjekt durch nichts gehindert wird, so zu handeln. Die Grundschwierigkeit der kausalistischen Theorien besteht darin, daß sie zu einer fast nur als Metapher verstehbaren Ausweitung des Kausalitätsbegriffes schreiten müssen; sie sind genötigt, die Kausalrelation nicht bloß als regelmäßige und als empirisch notwendige Beziehung zwischen beobachteten (oder wenigstens im Prinzip direkt oder indirekt beobachtbaren) Zuständen des Systems aufzufassen, sondern sie betrachten auch Elemente informationeller Natur als Ursachen. Diese Elemente, Absichten, Ziele, Präferenzen, sind ihrem Wesen nach nicht beobachtbare Zustände - beobachtbar sind nur ihre Auswirkungen und dies nur unter gewissen Umständen -; sie wirken nicht materiell, sondern in der Art von Informationen. Außerdem gibt es kaum Möglichkeiten, solche Gesetze, die zur Durchführung der Erklärung genügend spezifisch wären - unabhängig vom betrachteten Fall - empirisch zu erkennen und zu testen. Der Intentionalismus stößt dagegen auf die Schwierigkeit, daß er eine Handlung als logische Konsequenz und gleichzeitig als faktische Folge eines rationalen Prozesses ansehen muß. Das Handeln wird zur praktischen Notwendigkeit. Abgesehen davon erscheint mir die Begründung der praktischen Notwendigkeit in Form eines Schlusses nicht durchführbar. 15 14 Vgl. G. H. von Wright, Erklären und Verstehen, Frankfurt a.M. 1974. "Aus Gründen der Zweckmäßigkeit werde ich diejenigen, die es für möglich halten, daß die Intention eine Humesche Ursache des Verhaltens ist, Kausalisten und die, die die Verbindung zwischen Intention und Verhalten als eine Verbindung begrifflicher oder logischer Natur ansehen, Intentionalisten nennen." (S. 92) IS Vgl. O. Weinberger, Handeln und Schließen. Überlegungen zum Begriff der praktischen Inferenz, in: The Law Between Politics and Morality, Gent, Belgien, Philosophica 23, 1979,

S.301-324.

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Ich glaube nicht, daß Absichten Ursachen und daß Motive Kräfte sind, die als Randbedingungen empirischer Kausalgesetze zusammen mit diesen Gesetzen das Handeln bestimmen und erklären können. Ich glaube andererseits auch nicht, daß Handlungen als eine spezifische Art von Konklusionen rationaler Prozesse anzusehen sind. Meine Konzeption ist zwar finalistisch, aber in wesentlich anderer Weise als die von Wrightsche. Es ist offensichtlich, daß jede Handlungstheorie mit intentionalen oder teleologischen Begriffen arbeitet, ebenso wie nicht übersehen werden kann, daß verschiedene Wissenschaften teleologische Begriffe gebrauchen, auch wenn sie das Dasein zweckbestimmter Eigenschaften und Prozesse kausal erklären. Ich verweise auf den Darwinismus, die moderne darwinistisch-biologisch fundierte Genetik, die Verhaltensforschung, die Kybernetik und die ökonomischen Wissenschaften. Es ist also auf jeden Fall erforderlich, ein System der teleologischen Begriffe und ihrer rationalen Beziehungen darzulegen. Ich fasse die Lehre von den Ziel-Mittel-Beziehungen und der Wahl zwischen möglichen Mitteln als analytisch gültige Theorie auf, die ich ,formale Teleologie' nenne. Die Anwendungsweise dieses rationalen Formalismus ist von der Problemsituation abhängig. Ich unterscheide zwei methodologisch unterschiedliche Applikationen der formalen Teleologie in dem Bereich der Handlungstheorie: Die Handlungsdeliberation und die Motivinterpretation. Bei der Motivinterpretation geht es der Struktur der Situation entsprechend nicht darum, daß die Handlung selbst eine Konklusion im logischen Sinne ist, sondern um die Rekonstruktion der das Handeln lenkenden Überlegung. Diese interpretative Rekonstruktion ist nur dann geglückt, wenn das beobachtete Handlungsverhalten dem Ergebnis der rekonstruierten Deliberation entspricht. In der teleologischen Deliberation wird nicht nach dem Übergang von der Entscheidung, in einer gewissen Weise zu handeln, und der Realisation des erwählten Verhaltens gefragt - also keine Kausalfrage gestellt -, sondern Gegenstand der Überlegung ist die inhaltliche Bestimmung der Entscheidung. Die physiologischen und ontologischen Fragen, wie Wollen, das sozusagen in der teleologische Überlegung rationalisiert dargestellt ist, in Verhalten "umgesetzt wird", können zwar als philosophische Problematik empfunden werden, ihre Beantwortung ist aber nicht Voraussetzung der Anwendung der formalen Teleologie.

Freedom, Range for Action, and the Ontology of Norms* 1. Disappointing Results in Recent Research in the Logic of Norms More than fifty years of inquiry in the field of the logic of norms have not been altogether successful: the main problems of the area have not yet been settled in a convincing and generally acceptable way. Many interesting analyses have been provided by philosophers and logicians, of course, but the fact that we have not succeeded in establishing a valid system of the logic of norms and have not found answers to its pressing basic metatheoretical problems make it likely that our fundamental assumptions in this area have not been adequate. The relevant assumptions belong to different fields; for example, there are problems in the forefront of the logic of norms - mainly the conception of logic itself and of ontology in general (and thus problems conceming the task of an ontology of norms) - and problems conceming the relations between language, logic and logical analysis of philosophical issues.

2. Jffrgensen's Dilemma The problem whether a logic of norms (or of imperatives, in Jl'lrgensen's terminology) is conceptually possible was formulated by Jl'lrgen Jl'lrgensen in 1937. AImost everyone working in this field was acquainted with the so-called Jl'lrgensen's Dilemma, but the study of norm-logical problems proceeded without a clarification of the questions raised by Jl'lrgensen. I Although modem logic has developed the method of pure formal deduction, the view that inference is conceptually bound to truth-preserving transformations, and is therefore restricted to the realm of ideal entities capable of assuming truth-values, is not uncommon even today.

* This paper was presented in a colloquium on legal reasoning and interpretation at the University of Turku, Turku, Finland. on August 22, 1983. I J~rgensen, J.: 1937/38, 'Imperatives and Logic', Erkenntnis 7. Cf. Weinberger, 0.: 1958, Die Sollsatzproblematik in der modernen Logik, CSAV, Prague. (this book contains perhaps the first attempt to argue explicitly for the possibility of the logic of norms in the light of the doubts resulting from J~rgensen's Dilemma); reprinted in Weinberger, 0.: 1974, Studien zur Normenlogik und Rechtsinfor11Ultik. J. Schweizer Verlag, Berlin, pp. 59-186.

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In my opinion deduction should be conceived in a more general way, namely as a formal determination of the validity of consequences on the basis of the validity of given premises. In this generalized conception of inference it is not difficult to conceive of norm sentences as elements (premises and / or conclusions) of inferences.

3. The Analogy Between Deontic and Modal Logic Some Iinguistic analogies between alethic modal sentences and norm sentences (or deontic sentences), recognized by Aristotle, Leibniz, Höfler, von Wright, Kalinowski and others, led to the attempt to construct the logic of norms in analogy to the traditional systems of modal logic. However, it became immediately evident that there is no strict analogy between the two fields, so that a logic of norm sentences (or deontic sentences) cannot be regarded as a mere reinterpretation of a system of modallogic. In modallogic the following principles are valid:

(a)

Np -+p

(b)

p-+Mp

But everybody notices that the analogous rules for deontic sentences, namely: (a')

Op-+p

(bi)

p-+ Pp

are not valid. From 'p is obligatory' it does not follow that p is the case; neither does it follow from 'p' (the fact that pis the case) that pis permitted. Nevertheless, the method of constructing deontic systems in analogy to modal logic, though in a looser sense, was not abolished. Rather, the theory of deontological inference was based on the idea of 'deontically perfect worlds' as the criterion of valid deontic inferences. The inferences from 'O(p 1\ q)' to 'Op', and from 'Op' to 'O(p V q)' are therefore conceived as valid by the standard systems of deontic logic. The interdefinability of 'P' and '0' is often presupposed, and the basically different pragmatic roles of obligation and permission, i.e., the fact that permission cannot have a directly regulative function, is overlooked. 2 2 Pure permissive systems, e.g., Ppi(i E {I, ... , n}) do not exc1ude any state of affairs which the agent may bring about, and have therefore no regulative function. Such a permissive system must not contain the principle "What is not (explicitly) permitted, is forbidden". If it were to contain such a general prohibition, so that the permitted would be only an exception to a general prohibition of various kinds of behavior, the system would not be purely permissive. There are indeed some logical difficulties with the principle just mentioned, but this is of no importance for the present investigation.

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4. The Ontology of Norms in the Focus of Present Day Interest In recent years the problems of the ontology of norms have been studied with increasing interest, probably because everybody feels that the puzzles of deontic logic are rooted in the unsettled ontological problems concerning norms. The ontology of norms may or may not be based on a system of ontic layers or worlds, as Nicolai Hartmann's or K. R. Popper's ontologies. 3

5. Ontology - Stipulative, Not Descriptive General ontology has been defined by Nicolai Hartmann as folIows: Das erste Anliegen der Ontologie geht dahin, die Frage nach dem Seienden als Seiendem in ihrer vollen Allgemeinheit zu klären, sowie sich der Gegebenheit des Seienden grundsätzlich zu versichern. Mit dieser Aufgabe hat es die Grundlegung der Ontologie zu tun. Daneben tritt in zweiter Linie das Problem der Seinsweisen (Realität und Idealität) und ihres Verhältnisses zueinander. 4 This view is more or less generally accepted, at least in so far as philosophers take ontological inquiry as an attempt to ascertain the categories of existing entities and their relations. In opposition to this commonly held view, I conceive ontology not as a description of entities and their relationships as facts, but as a matter of stipulation: ontology provides a framework theory for the development of different fields of knowledge by formulating their basic concepts. We are, of course, participants in the surrounding world which is given to us as a field of experiences consisting of material (or brute) facts or processes, and of institutional facts. Our knowledge and impressions of objects and the relations among them is human knowledge, and explanation is a product of human thought within the pragmatic realm of human existence, but the categories and the framework of our knowledge and of our thinking are based on stipulation. The framework of knowledge and of our mental operations must be established in such a way that reality could be successfully grasped and explained. Knowledge within the stipulated framework must yield a useful orientation in the field of our experiences, as weil as the development of rational and effective practice. In this connection we may raise the question whether there are universal features common to all possible frameworks. This is Kant's problem in a somewhat transformed formulation: "Wh at are the presuppositions of all possible knowledge (and 3 Cf. Hartmann, N.: 1940, Der Aufbau der realen Welt, de Gruyter, Serlin; 1933, Das Problem des geistigen Seins, de Gruyter, Berlin; Popper, K. R.: 1973, 'On the Theory of Objective Mind', in Objective Knowledge. An Evolutionary Approach, Clarendon Press, Oxford. The similarity of Popper's theory of three worlds to Hartmann's ontology of material, psychic and spiritual being is rather striking. 4 Hartmann, N.: Der Aufbau der realen Welt, p. 1.

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all practical thought related to action)". The presupposed framework which we accept in a certain field answers Kant's question. There may exist different frameworks in the same field of knowledge, and it is rather difficult to draw a precise line between necessary and merely conventional elements in the framework. But the ontological framework and the basic conceptual apparatus are established through stipulation - even if there may exist so me features necessary for every possible conceptual apparatus.

6. Norms as Linguistic Entities Norms are conceived as platonic objects placed in the realm of spiritual being (in the sense of N. Hartmann) or in World Three of Popper's ontological system. When some writers use notions such as 'the World of Norms' (Weyr) or 'the Kingdom of Ends' (Kant), they assurne that there is an ideal realm of normative entities. 5 This platonic conception of norms (Alchourr6n and Bulygin have named it the 'hyletic conception,)6 is correlated with a general reistic theory of semantics, based on the presupposition that every complete expression refers to an object which may be real or ideal. According to a reistic conception of semantics, norms are ideal objects existing per se, which are expressed, described, or designated by norm sentences. I hold a basically different view: (i) I do not adhere to a reistic theory of semantics. Not alliinguistic expressions refer to objects. Even in the field of descriptive sentences a reistic theory leads to puzzles. Descriptions which are not satisfied by any object should, according to this view, designate an object with a reduced kind of existence, say 'subexistence'. Of course, we may, in order to save the framework of reistic semantics, introduce ad hoc a fictitious object, for example, the empty dass. However, it seems strange, if not contradictory, to say that a description which cannot be satisfied for logical reasons (e.g., 'Fx /\ -.Fx'), refers to an object, because plainly there cannot exist such an object. 7 In the case of norms and norm sentences a reistic semantics is wholly out of place. There is no realm of norms per se, and the supposition of the platonic existence ofnorms encourages the mi staken view of 'norm-cognitivism'. (ii) The meaning of a linguistic expression is a linguistic entity, not an object per se. Each well-formed series of linguistic signs has a meaning (as an ideal enCf. Kant, 1.: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785). A1chourron, C. and E. Bulygin: 1981, 'The Expressive Conception of Norms', in R. Hilpinen, (ed.), New Studies in Deontic Logic, D. Reidel, Dordrecht, pp. 95 -124. 7 Reistic semantics seems to lead to a Meinongian kind of ontology. Cf. Meinong, A.: 1904, 'Über Gegenstandstheorie' , in A. Meinong (ed.), Untersuchungen zur Gegenstandstheorie und Psychologie, Leipzig 1904; ,A. Meinong', in R. Schmidt (ed.): 1922, Die Philosophie in Selbstdarstellungen, 1, Meiner, Leipzig, pp. 1 -60; Weinberger, Ch.: 1976, Zur Logik der Annahmen, VWGO, Vienna, pp. 32-44. 5

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tity): in the constitution of language systems, signs and their meanings are coordinated, and both are linguistic elements based on our linguistic capacity. To grasp meanings (units of meaning) is to understand well-formed series of signs, but not to recognize meanings as a kind of entities existing per se. Understanding norm sentences is not a process of recognition of an object per se, but a process of recognition of signs and their understanding or interpretation (i.e., of a norm as a unit of meaning). (iii) The fact that it makes good sense to say "The expression EI has the same meaning in language Las E2 in language L'" does not justify a platonic conception of meaning. We can introduce the notion of meaning as a concept abstracted from a dass of all mutually synonymous expressions EI, ... , En of the languages LI, ... , IJ. Such a translinguistic notion of meaning is not language independent, but dependent on the dass of languages which constitute the field of synonymity from which it has been abstracted. (iv) A semantics of the Fregean type, i.e., a reistic semantics, cannot provide an adequate semantic basis for norm sentences. Norm sentences have meaning, but not a meaning of reistic kind. They designate neither "normative platonic entities" nor normative states of affairs. (The view that norm sentences refer to normative facts with which we are empirically confronted is not satisfactory eitherl A linguistic constitutional system of norm sentences is required. Norm sentences which are valid in a given social system express de facto valid norms and form a subdass of linguistically possible (meaningful) norm sentences.

7. The Philosophical Basis ofthe Ontology ofNorms Experience - in the sense of knowledge based on perception and experiment does not provide arguments for the conceptual stipulations of the ontology of norms. Most discussions on the ontology of norms use linguistic custom in ordinary language or in the languages used in various normative disciplines as grounds fOT justifying the principles of the ontology of norms. Language of course mirrors some features of the structure of normative discourse and of normative rationality. But the essential relations and the deep structure of the realm of norms are not presen ted ad oculos by linguistic forms alone, which are often undear and fail to conform to the deep structure of the language, and only the deep structure is relevant to ontological analysis. The arguments conceming the ontology of norms are ultimately based on the study of the pragmatic role of normative systems, i.e., on their function in determining or intluencing human action, social interaction and the constitution of insti-

R Such a conception seems to have been held by Karel Englis, see K. Englis: 1964, 'Die Norm ist kein Urteil', ARSP 50,315 ff.

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tutional facts. My opinion in this matter is contrary to the view held by the Oxfordtype ordinary language philosophers.

8. Distinguishing Between Prescriptive and Descriptive 'Ought' An important example illustrating the fact that linguistic custom should not be considered a valid criterion for the stipulations of norm ontology is supplied by the analysis of 'ought'. The term 'ought' (or in German 'Sollen') is used in common language in at least two different senses. The first use makes the attribution of truth-values to ought-sentences sense1ess ('prescriptive ought'), but the second one changes the meaning of 'ought' in such a way that it makes sense to speak about the truth or falsity of ought-sentences (the so-called 'descriptive ought').9 In my opinion this does not imply that the concept of 'ought' is systematically ambiguous so that it should be accepted as a principle of the ontology of norms that oughtsentences may be considered both as having truth-values and as not having truthvalues. On the contrary, this linguistic ambiguity should motivate an analysis of the deep structure of 'ought' so that we can distinguish one concept from the other according to context and problem situation. 10 A 'descriptive ought' is, in my opinion, a kind of contradiction in terms. An analysis of the deep structure of the ought-sentences which seem to be true or false would show definitely that there is no descriptive ought (and thus no ought with the prescriptive-descriptive double-face). A lawyer may answer his c1ient's question "Am lobligated to pay the rent?" by saying "Yes, you are legally obligated to pay the rent". However, such information about the legal situation can be judged as true or false only in the sense of a statement about the identity of the normative content of the answer with the corresponding content in the legal system, but not as an attribution of a truth-value to the norm sentence 'You have to pay the rent' itself. Descriptive sentences of this kind do not justify the introduction of the notion of a 'descriptive ought'. In these cases truth is not attributed 10 the 'ought' (or to an ought-sentence), but to the relation between the content (meaning) of the sentence and the content of the normative system under consideration. Prescriptivitiy and descriptivity are different categories, and introducing a double-faced ideal entity 'ought' is impossible since the logic of descriptive ought-sentences differs substantially from that of prescriptive sentences.

9 Cf. von Wright, G. H.: 1963, Norm and Action, Routledge & Kegan Paul, London, p.105. 10 The linguistic custom to use such shorthand sentences is not more of a reason to accept the idea of a 'cognitive ought' than the German sentence 'Er soll insolvent sein' ('He is said to be insolvent') is a reason for treating an "ought appearance" within the logic of norms.

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9. The Task of the Ontology of Norms The basic problem of the ontology of norms is not "Wh at is a norm (or norm sentence)?", but how to define the notion of a norm (or a norm sentence) in order to make the logic of norms possible. The ontology of norms is stipulative; not descriptive, and the aim of useful stipulations here is to lay a suitable basis for the logic of norm sentences. Why should we do this? The practice of normative disciplines and our reasoning in the field of action cIearly presuppose the existence of logical relations between norms and the possibility of valid inferences conceming norms.

10. Norms Conceived as Elements of the Determination of Action Philosophically, the ontology of norms is based on the thesis that norms determine action. 11 Action is not only part of the content of norms, but norms themselves should be understood as factors which determine human action and the constitution of human societies. The justification of the basic metapostulates underlying the construction of systems of the logic of norms is based on considerations of this kind.

11. The Notion of Action An action is behavior controlled by information. 12 This thesis alone does not yet explain the notion of action. Generally we can distinguish action from other kinds of behavior by saying that action is voluntary (or intentional) behavior. But then we must explain wh at 'voluntariness' ('willing') or 'intention' means. We are, of course, acquainted with the terms 'willing', 'intention' and the Iike, but a philosopher should not only characterize the special information processes which determine and control action by the term 'willing'; he should also explain the notion of will by a description (or a modelling) of the structure of the corresponding process of information transformation. We may partly define action as a transformation between states of affairs, and specify it further by the observation that it is a transformation in which a subject is essentially involved. But even this is insufficient. Von Wright has proposed to de11 Cf. Weinberger, 0.: 1982, 'Normenontologie in handlungstheoretischer Sicht', a paper presented at the World Congress of the Philosophy of Law in La Plata 1982, reprinted in Weinberger, 0., Studien zur Jormal-jinalistischen Handlungstheorie. Peter Lang Verlag, Frankfurt a.M., Bonn, New York, pp. 137 -164. 12 Weinberger, 0.: 1983, 'Eine Semantik für die praktische Philosophie', in R. Haller (ed.), Beiträge zur Philosophie von Stephan Körner, Grazer Philosophische Studien. vol. 20, pp. 219-189.

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scribe the role of the subject in an action by a contrary-to-fact statement. l3 But this is not quite accurate. If I fall out of the window by chance rather than intentionally and if in falling I smash a glass roof, then the respective countrafactual statement "If I had not fallen out of the window, the roof would not have been broken" would be true, but nobody would say that I had performed the act of breaking the glass roof. Thus the truth of the counterfactual statement is not by itself sufficient to prove the voluntary involvement of the agent. An action is a transformation of states within the flow of time (induding the possibility of an identity transformation - a standsti11), which fulfills the following conditions: (i) the transformation of states (or behavior) is accounted to a subject (to an agent); (ii) the subject has at his disposal a range for action, i.e., a dass of at least two states of affairs which are possible continuations of a given trajectory in the system of states; (iii) an appropriate information process underlying to the subject's decision-making causes the future development of the system into one of the alternative possibilities within the range of action. A detailed analysis of the concept of 'agent' ('acting subject') is not necessary for the present investigation; we conceive as agent any system which is able to realize the information al process just mentioned and to execute the results of this process, or at least to try to execute it.

12. Semantics of the Informational Processes Determining Actions The information process underlying an action can be represented linguisticaIly. In order to do this we must use a language in which information about facts as weil as practical information can be expressed, and which makes a dear distinction between the two kinds of information. Information about facts used in this process comprises situational data - characterizing the world surrounding the agent and his situation in this environment, nomic causal information and technological knowledge (know-how) - as weil as information expressing in so me way the agent's attitudes towards various alternatives in the range for action. All information or data expressing or determining attitudes may be designed as 'practical information (data), - in contradistinction to theoretical (or descriptive) information. Practical information expresses purposes, valuations, or norms, i.e., 'oughts' or 'mays' (permissions). 13 von Wright, G. H.: 1977, 'Handlungslogik. Ein Entwurf', in G. H. von Wright (ed.), Handlung. Norm. Intention. Untersuchungen zurdeontischen Logik. de Gruyter, Berlin, New York, p. 87.

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A system of semantics based on the strict distinction between theoretical (descriptive) sentences and practical sentences may be called a 'gnoseologically differentiated semantics'. A semantics of this kind is, in my opinion, an indispensable requirement for the correct analysis of action and the underlying information al processes. Most philosophers and legal philosophers as well as most logicians hold that 'ought' is not derivable from 'is', nor 'is' from 'ought'. These shorthand principles may be called 'non-derivability principles'. More explicitly formulated they read: (i) No informative norm sentences should be derivable from a dass of premises which contains no practical sentence. (ii) No informative descriptive sentence should be derivable from a dass of premises which contains no descriptive sentence. 14 Some scholars believe that these principles are apriori logical principles; others hold that they are part of our (non basic) logical knowledge, and therefore demonstrable by logical means. 15 I regard these principles as metapostulates for the construction of systems of the logic of norms. They are motivated by the necessity of modeling the information basis of action and by the gnoseologically differentiated semantics. (InterderivabiJity of theoretical and practical sentences would be at variance with the sharp distinction between the two kinds of sentences.) An argument conceming the construction of a logical system cannot contain a logical proof of metaprinciples determining the construction of the system itself. Conceived as metapostulates, the principles cannot be proved logically. Only the analysis of the pragmatic role of the intended system (in our case the role of norms in the field of action theory) provides reasons for establishing appropriate metatheoretical principies for the logic of norms.

13. The Concept of a 'Range for Action' Many scholars believe that the concept of action presupposes the existence of freedom in the sense of liberatum arbitrium indifferentiae. Otherwise there would exist only complicated systems of causally determined chains of behavior, Le., trajectories of states of affairs. I do not share these views, but follow quite a different line of thought.

14 The restriction to informative conc\usions is necessary, because non-informative (tautological) sentences follow from any c\ass of premises (inc\uding the empty c\ass). This principIe. valid in descriptive logic, will be valid in normative logic as weIl. Examples of uninformative ought-sentences are: '(p V -p) is obligatory'; if (p 1\ -p), then q ought to be'. 15 Cf. Morscher, E. and G. Zecha: 1972, 'SearIe, Sein und Sollen. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem revidierten Argument von Searle', Zeitschrift für philosophische Forschung 26. p. 282. 9 Weinberger

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Let me introduce the concept of a 'range for action'. When confronted with the future development of his life, the agent will see before hirn a treelike system of possible states of affairs. Let us presuppose a system of discontinuous time-points, but with the proviso that this system can be refined without any limit by inserting further time-points between any neighbouring points of the system. 16 The course of the agent's life may be described within this system as a trajectory (or temporal series) of states of affairs, symbolized graphically as points (nodes) on a line, e.g., from the left to the right. An action is possible only if at least some point of the trajectory contains several branches (alternative possibilities). An action takes place if the choice of one of the alternatives at some node is determined by the information process of willing. Are there really such alternative possibilities, or is the mere presupposition of a branching trajectory in conflict with the principle of causality? There may be different grounds for speaking about several alternatives in the future course of an agent's life. The Iife-tree can be regarded as furcated at a future time-point even in a causalistic conception of the world: (i) because of our imperfect knowledge of the system, (ii) because of uncontrolled influences (inputs) on the system which may modify its future behavior, or (iii) because the future behavior of the system depends on information processes whose content is not completely accessible to recognition. The existence of the nodes of furcation in life-trees is a plain fact: there is no doubt that human behavior is guided by information systems which are not wholly accessible for a spectator or even for the agent hirnself. A branching life-tree, representing an agent's range for action may not be known in detail, partly because of our imperfect knowledge of the information available to the agent and / or of this system of preferences, and partly because of the uncertainty concerning future development of the environment. But the existence of a plurality of alternatives as weil as the fact that at least in some cases an agent is able to choose one of the alternatives on the basis of his informational processes can hardly be subject to serious doubt. The concept of action presupposes only that the agent's behavior depends on an information process which determines the path of his life within a range of alternative possibilities. We should no ti ce that the Iife-tree, as described above, need not be a system of merely diverging furcations, as it is not impossible that one and the same state of affairs could be reached in different ways. (That is, the tree may contain different paths leading to a single node.) The Iife-tree is a tree ofthe type 16 This stipulation provides a possibility of an infinitive approximation of the discontinuous description to a continuous one.

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tO

t7

t2

t3

t4

Fig. A: A genuine tree

An agent in the sense of a general theory of action is a system which is able to realize an information process within a range for action in such a way that it deterrnines a choice among the alternative branches of the life-tree. The notion of a 'range for action' is irnportant for the theory of action also in another respect. It plays an irnportant role in the rnodeling of the deliberation leading to action. On the basis of his knowledge, the agent sketches a tree of possible future trajectories which provides hirn with a range for action. The alternatives within this Iife-tree can also be conceived of as alternatives (with different probabilities) which a given act rnay realize in the future. The range for action considered as a basis of deliberation is not an objective fact, but a construction worked out on the basis of the knowledge and the skills which the agent has at his disposal. The relativity of this tree to the agent's knowledge and skills irnplies that the tree is neither cornplete nor necessarily adequate in the sense of objective truth. For exarnple, "to produce rain by a prayer" rnay be an alternative in the range of action if the subject is convinced of a causal relationship between a prayer and a subsequent rain.

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Freedom, Range for Action, and the Ontology of Norms

x

y

lO

t4

tl

Fig. B: A treelike structure containing different paths leading to x and to y

So far as the range for action is created in this way on the basis of one's knowledge and skilI, it is something like an invention. Alternatives may have the character of trials if the result of a possible act is more or less unknown. This subjective character of the construction of a life-tree in the context of the deliberation leading to an action implies that the action actually performed (i.e., its resuIts) may deviate from the intended continuation of the trajectory.

14. Freedom of Action

The existence of a range for action and the choice of a certain alternative depend on an informational process representing the agent's will. All this is presupposed in action theory, and weil known from experience. But what does this imply for the dispute between determinism and indeterminism? Does the existence of a range for action provide us with an argument for one or the other position? In my view the idea of a range for action and the analysis of the structure of the informational processes on which actions are based do not by themselves settle the dispute about the freedom of will. The theory of action outlined above is the common basis for both conceptions.

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The partisans of indetenninism hold that the infonnation process which determines action in accordance with the decisions made by the agent is a proof of the agent's freedom: he could act (or could have acted) otherwise if he decided (had decided) otherwise. The partisans of detenninism hold that even the infonnational process is not a 'prime cause' , but is itself detennined by the character of the agent, his aims and preferences and the factors which have influenced his mind. Thus both sides seem to have convincing arguments. In any case an infonnational decisi on process as a detenninant of action distinguishes action from other processes. It is therefore true, as the indetenninist stresses, that the agent could have acted otherwise if he had decided to act otherwise. But it is plain that the way he decided is a function of his character (his personality, his purposes, his value-standards, etc.), as freedom means to be able to act in accordance with one's own will and character. So the difference between the two conceptions reduced to a difference in the explication of the role of the agent's personality in detennining decisions. Indetenninism holds that the decisive role of personality in deciding how to act me ans the same as the freedom (nondetennination) of the agent. Detenninism is convinced that we should conceive the infonnational process leading to action as a process detennined by circumstances, i.e., by the structure of the agent's personality, prior inputs, and by the state of the surrounding world. In detail, detenninism holds either that (i) every action is detennined by given circumstances (the world in which the action takes place and the agent's constitution incJuding his aims, preferences and skills), or that (ii) actions are detennined by conditions which are more or less accessible to recognition; the progress of science will even make the infonnational detenninants of action more accessible to recognition so that action will become more and more predictable. J7 Detenninism in sense (ii) is evidently mi staken, as neither the agent's personality nor the system of his knowledge and preferences are wholly accessible to recognition. Detenninism in sense (i) excJudes the view that an agent is a 'prime cause', which is in some way the tenet of indetenninism, but it also stresses the opinion that actions are not wholly accessible to recognition, and the prediction of actions is therefore possible only in a very restricted degree.

15. Obligation and Permission as Informational Determinants of Action In an ontology of nonns which regards nonns as detenninants of action we must distinguish ought-sentences from pennissive sentences in such a way that 'ought' 17 Weinberger, 0.; 1980, 'Determinismus and Verantwortung', Zeitschrift für philosophische Forschung 34, 607 - 620; reprinted in Weinberger, 0., Studien zur formal-finalistischen Handlungstheorie, op. cit.

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is considered to be the primary concept of the logic of norms, and permission is taken as secondary. Only ought-sentences can have a regulating function because no state of affairs (no behavior) is excluded by a permission alone. Thus an exclusively permissive system would not be a genuine normative system. 18 According to this approach, the logic of norms should start by developing a logical theory of ought-sentences, and consider secondarily the logical relations among permissive sentences. Roughly speaking, inferences from ought-sentences should guarantee that the class of inferred obligations is a subclass of the obligations stated by the premises. Permissive sentences express a preclusion of an ought - in advance or subsequently to it (as in the case of aderogation). They may have the following functions: (a) They restrict the field of obligations. For example, 'Everybody should keep his promises'. But, 'In case of unforeseen circumstances it is allowed not to keep the promise' . (b) Ought-sentences may be derogated by using permissive sentences (from the standpoint ofthe dynamics ofnorms). (c) Permissive sentences are used to overcome doubts about 'ought' or 'may' in open normative systems. (d) Future prohibitions of a certain kind can be precluded by using permissive sentences (cf. the establishment of Human Rights), if these permissions are of higher legal validity than the possible prohibitions. A permissive sentence precluding the class of obligations 0 implies all permissive sentences which preclude a class of obligations 0' such that 0' is a subclass ofO.

16. The Meaning of Norm Sentences and Their Pragmatic Roles

In addition to the role of conveying a normative message, a norm sentence with a certain structure and meaning may take over various additional pragmatic functions. It may be used in a speech act of commanding or as act of establishing a new statute. The speech act may have the role of giving secondary normative information, e.g., when a law teacher or an advocate uses the sentence to inform a listener about some valid law. In another situation the norm sentence may be used in a speech act to provide a basis for linguistic or logical analyses.

18 Weinberger/Ch., Weinberger, 0.: 1979, Logik, Semantik, Hermeneutik, C. H. Beck, Munich, pp. 114 ff., 127 ff.

Freedom, Range for Action, and the Ontology of Norrns

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It is important to stress that the logical relations among norms, as weil as logical inferences involving norms, are related to the structure and the meaning of norm sentences but do not depend on their additional pragmatic functions. The logic of norms is a theory of certain relations and operations in the field of norm senten ces and descriptive sentences, but not a theory of the pragmatic roles of norm sentences in various speech acts. The same logical relations hold for all uses of norm sentences: the same logic is valid both for the sender of a normative message and for its receiver. Otherwise communication and the handling of normative messages would be disturbed. 19 Theories which distinguish between the norm as uttered in the speech act of a legislator and the norm as understood by an addressee or a legal scholar are misleading. Effective communication presupposes that aseries of signs functions as a transmitter of meaning, and that this meaning should be the same on both ends of the communication channel. Therefore I must strongly oppose Kelsen's distinction between 'Rechtsnorm' and 'Rechtssatz' . A 'Rechtsnorm' is defined by Kelsen as the norm sentence uttered by the legislator. 'Rechtssatz' as the sentence used by an addressee, a legal scholar, or somebody else who describes the normative relation established by the norm (by some act of the legislator).20 The understanding of a norm sentence is not a judgment about the sentence uttered, but is a grasping of the thought of the sender as the meaning of the sentence (as aseries of signs) which works as a vehicle of communication. To hold that the signs used for communication refer to two different ideal objects, one in the act of the speaker and another one in the understanding of the hearer, leads to absurdities, the worst of which is the duality of normative and descriptive norm sentences and of the logics associated with each?1

17. The Existence of Systems of Soda) Norms

The linguistic existence of a norm sentence amounts to nothing but the recognition that aseries of signs is a well-formed expression of a given language, and therefore has a certain meaning within that language; but the social existence of norms is quite a different question. We may presuppose that norms which exist in social reality are expressible in a suitable language - but it is not necessary that all existing (socially valid) norms are in fact explicitly expressed in linguistic form.

19 Weinberger, 0.; 1977, 'Intersubjektive Kommunikation, Normenlogik und Normendynamik', Rechtstheorie I, 19-40. 20 Kelsen, H.: 1960, Reine Rechtslehre. 2nd edition, Deuticke, Vienna, pp. 73 ff. 21 Weinberger, 0., Intersubjektive Kommunikation, Normenlogik und Normendynamik, op.cit.

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The real existence of nonnative regulative systems is based on their institutionalization. Nonns are real in so far as they detennine behavior. They are connected with institutions and institutionalized in sodety in people's minds, in the existing sodal organizations, and in the working of sodal institutions. So-called institutional facts - as opposed to brute facts - can be understood only through their normative characterization, which fonns their core.

Handlungsentscheidung als Optimierungsprozeß I. Die informationstheoretische Konzeption der Handlung Der Begriff der Handlung kann nicht in adäquater Weise behavioristisch definiert werden. Eine Handlung ist zwar ein Verhalten eines Handlungssubjektes, doch geht es darum, die Handlung als besondere Art von Verhalten zu charakterisieren. Das Spezifikum, das Handlungen gegenüber anderem Verhalten abhebt, ist ein Informationsprozeß, durch den jenes Verhalten bestimmt ist, das wir als Handlung verstehen. Wenn wir die Welt als System von Zuständen der Welt (oder eines Teiles der Welt) und deren Abfolgen erfassen, dann ist dieses System der Weltbeschreibung in sich geschlossen: jede Erklärung des Geschehens wird behavioristisch strukturiert sein, d. h. es können nur solche kausale Begründungen gegeben werden, die auf vorangehende Zustände bezug nehmen. In einem solchen Gebäude von Erkenntnissen über die Vorgänge in der Welt hat ein echter Handlungsbegriff keinen Platz. Es ist zwar möglich, gewisse Subjekte am Geschehen teilnehmen zu lassen, doch wird die "Handlung" (in dieser Konzeption) dennoch nichts anderes sein können als eine Aufzählung von Verhaltenstransformationen, bei denen eben das betreffende Subjekt irgendwie mitbeteiligt ist. [Diese Verhaltensbeschreibung, welche als behavioristisches Bild der Handlung auftritt, kann als Transformation des Zustands des Subjekts oder als Transformation am Handlungsobjekt beschrieben werden.] Das Wesentliche der Handlung kommt hier aber überhaupt nicht zum Ausdruck, nämlich die Tatsache, daß die Handlung Ergebnis eines Informationsprozesses ist, der die Entscheidung, wie gehandelt wird und was mit welchen Mitteln erreicht wird (werden soll), bestimmt. In positivistisch-behavioristischer Sicht kann kein echter Handlungsbegriff konstituiert werden, und es ist in dieser Sicht zwecklos, überhaupt von Handlungen zu sprechen. Der Handlungsbegriff muß informationstheoretisch konzipiert werden, nämlich als Verhalten, das durch einen Informationsprozeß bestimmt ist. Die Struktur dieses handlungsbestimmenden Informationsprozesses definiert das Wesen der Handlung. Die informationstheoretische Betrachtungsweise legt es nahe, den Handlungsbegriff formal zu bestimmen und ihn nicht an die menschliche Person zu binden. Handlungsträger kann in einer solchen formal charakterisierten Theorie nicht nur das menschliche Individuum sein, sondern jedes beliebige System, das direkt oder

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Handlungsentscheidung als Optirnierungsprozeß

mit Hilfe seiner Organe die entsprechenden Informationsprozesse realisieren kann. Es ist dann durchaus sinnvoll von Handlungen von Kollektiven oder Institutionen zu sprechen, was für die Anwendung der Theorie von großem Vorteil ist. Die formal konzipierte Handlungstheorie ist keine Beschreibung der tatsächlichen mehr oder weniger bewußten Entscheidungsvorgänge und Lenkungsoperationen der Handlungsrealisation, also keine Psychologie des Hande\ns, sondern ein Idealmodell der handlungsbestimmenden Prozesse. Aus praktischen Gründen sind die realen handlungsbestimmenden Vorgänge zwar an diesem Idealbild orientiert, doch sind sie als wesentliche Vereinfachungen zu verstehen.

11. Was ruft Handlungen hervor? Die handlungsbestimmenden Infvrmationsprozesse sind nicht als jenes Moment zu verstehen, weIches die Handlung hervorruft (kausal oder quasi-logisch, wie man in den Handlungstheorien meist annimmtl), sondern die Aktivität des Handlungsträgers ist durch seine Konstitution gegeben (beim menschlichen Individuum ist es die natürliche Aktivität des Lebewesens, bei Institutionen die institutionalisierte Aktivität des Handlungsträgers). Die aktive Einstellung des Handlungsträgers kommt in seinen Zielsetzungen und Präferenzen zum Ausdruck, die als Daten in die Informationsprozesse eintreten. Die wirkende Kraft der Handlung ist die Aktivität des Akteurs, der durch den Informationsprozeß die Richtung und der konkrete Handlungsinhalt gegeben wird.

111. Handlungsentscheidung und Handlungslenkung Es erscheint mir zweckmäßig, die handlungsbestimmenden Operationen in zwei Arten einzuteilen, jene, die zur Handlungsentscheidung führen, und jene, die bei der Durchführung von Handlungen zur Geltung kommen (vor allem bei der Lenkung von Handlungen aufgrund von Feedback-Beziehungen). Das Wesen der 1 Nach von Wright kann man zwei Typen von Handlungstheorien unterscheiden: "Aus Gründen der Zweckmäßigkeit werde ich diejenigen, die es für möglich halten, daß die Intention eine Humesche Ursache des Verhaltens ist, Kausalisten und die, die Verbindung zwischen Intention und Verhalten als eine Verbindung begrifflicher oder logischer Natur ansehen, Intentionalisten nennen." (G. H. von Wright, Erklären und Verstehen, Frankfurt a.M. 1974, S. 92) Weder die Kausalisten noch die Intentionalisten haben recht. Motive (= interpretierte Zwecke) sind keine beobachtbaren Zustände, die als Bedingungen dem Antezedens von Kausalgesetzen entsprechen würden, sondern teleologische Informationen. Diese sind aber auch nicht, wie die Intentionalisten voraussetzen, etwas, was die Handlung logisch (oder quasi-logisch) bewirken könnten. Bewirkt wird die Handlung durch den Strom der Aktivität des Handlungsträgers, der so organisiert ist, daß die Aktivität mittels eines im wesentlichen teleologisch strukturierten Informationsprozesses den Inhalt der Handlung bestimmt. Meine Handlungskonzeption ist also im wesentlichen intentionalistisch, doch vermeidet sie das Unding eines "logischen Bewirkens".

Handlungsentscheidung als Optimierungsprozeß

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Handlung wird in erster Linie durch die zur Handlungsentscheidung führenden Prozesse charakterisiert.

IV. Der teleologische Charakter der Handlung Handlung ist nach allgemein akzeptierter Überzeugung intentionales (zweckbestimmtes) Verhalten, ein Verhalten, das durch den Willen des Akteurs bestimmt ist, ihm als Willensprodukt zugerechnet wird. Nun ist der Begriff des Willens einerseits psychologistisch gefärbt, andererseits explikationsbedürftig. Es ist daher zweckmäßig, in der formalen Handlungstheorie nicht mit diesem Begriff zu arbeiten, sondern mit jener Begriffsapparatur, die den Willensoperationen zugrunde liegen, nämlich mit dem Begriff der Teleologie (oder synonym: der Finalität). Die hier vertretene Handlungstheorie habe ich deswegen als ,formal-finalistische Theorie' bezeichnet? Die handlungsbestimmenden Informationsprozesse beruhen (a) auf Tatsachenerkenntnissen: Kenntnis der Situation, Kausalwissen und technologischem Wissen, und (b) auf stellungnehmenden Informationen, die eine Selektion (Wahlentscheidung) aus der Klasse möglicher Handlungsweisen zu begründen erlauben. Die semantische Basis der handlungsbestimmenden Prozesse ist daher zweigeteilt; sie besteht aus Sätzen von kognitivem (beschreibendem) Sinn und praktischen Sätzen, die stellungnehmenden Sinn haben und daher eine Wahl zwischen Möglichkeiten begründen. Die praktischen Sätze drücken Zwecke, Wertungen, Präferenzen oder Normen aus. Die Struktur der handlungsbestimmenden Prozesse, nämlich die Tatsache, daß hier notwendigerweise sowohl beschreibende als auch stellungnehmende Informationen erforderlich sind, ist der wahre Grund für das Postulat, nicht nur die Handlungstheorie, sondern die gesamte praktische Philosophie auf eine dichotome Semantik zu stützen, die deskriptive und praktische Sätze kategorial unterscheidet.

V. Das Zwecksystem Handlungen sind prinzipiell zweckgerichtet. Der Akteur verfolgt mit seinem Tun und Lassen Zwecke. Für die Erklärung der handlungsbestimmenden Informationsprozesse, durch die das Wesen der Handlung definiert wird, ist daher vor allem notwendig, das Wesen der Teleologie zu erörtern. 2 O. Weinberger, Zur Idee einer formal-finalistischen Handlungstheorie, in: ders., Recht, Institution und Rechtspolitik, Stuttgart 1987, S. 43-84; ders., Alternative Handlungstheorie. Gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit Georg Henrik von Wrights praktischer Philosophie, Wien, Köln, Weimar 1996.

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Handlungsentscheidung als Optimierungsprozeß

Der Handlungsträger verfolgt in der Regel eine Pluralität von verschiedenen Zwecken. Die teleologische Analyse geht daher von einem Zwecksystem aus, das dem Handelnden zugeordnet ist. Die Zwecke des Systems sind die Kriterien, nach denen die Handlungsmöglichkeiten zur Erreichung der Zwecke bestimmt sind. Es werden Mittel zur Erreichung der Zwecke gesucht, die dann unter dem Gesichtspunkt der Zwecke verglichen, d. h. relativ gewertet werden. Das Zwecksystem enthält auch divergierende Zwecke, die miteinander konkurrieren; es ist also für das Zwecksystem keine Konsistenzforderung im gewöhnlichen Sinne zu stellen. Zwecke, deren Erfüllung sich gegenseitig ausschließt, können im Zwecksystem nebeneinander bestehen; und dies bedeutet keinen logischen Mangel des Zwecksystems. Es wird dann aufgrund der teleologischen Analyse und der relativen Wertung von Handlungsalternativen eine Wahl der präferierten Alternative durchgeführt. VI. Die Bestimmung der Mittel und der Handlungsentscheidung Die Bestimmung der Mittel hängt im wesentlichen von Kausalrelationen ab: das, was eine Folge kausal bewirken kann, ist ein mögliches Mittel zur Erreichung dieser Folge als eines gegebenen Zweckes. Die in Betracht kommenden Mittel können natürlich komplex sein; man kann ganze Handlungsprogramme als Mittel auffassen. Die Wertung von Mitteln erfolgt nach den einzelnen Zwecken, die durch das Mittel in höherem oder geringerem Maße und mit größerer oder kleinerer Wahrscheinlichkeit befriedigt werden können. Die Betrachtung nach den einzelnen Zwecken gestattet eine Präferenzreihung. Die Präferenzreihung ist eine Halbordnung, denn verschiedene Mittel können ggf. als gleichwertig beurteilt werden. Die Wahlentscheidung wird nach einer Präferenzreihung durchgeführt, die als Gesamtpräferenz unter Berücksichtigung aller Zwecke erstellt wird. In die Gesamtreihung treten die Präferenzen nach den einzelnen Zwecken mit verschiedenen Gewichten ein.3 Die so gewonnene Gesamtpräferenzreihung bestimmt die Wahl der Mittel. Da die Präferenzordnung eine Halbordnung ist, ist die Wahlentscheidung nach Zwecken nicht immer eindeutig. Wenn verschiedene alternative Mittel als optimal gewertet werden, dann erfolgt die Wahl zwischen diesen Alternativen zufällig. VII. Die Handlungsentscheidung als Optimierungsprozeß Die teleologische Analyse, wie ich sie in groben Umrissen beschrieben habe, ist als Optimierungsprozeß zu verstehen. Er verläuft im wesentlichen in zwei Schrit3 Ich habe die Struktur der teleologisch begründeten Gesamtpräferenz skizziert. die Möglichkeit einer globalen Präferenz, welche die Gründe nicht analysiert. sollte damit nicht ausgeschlossen werden.

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ten: (a) in der Auffindung möglicher Mittel (Handlungs alternativen) und (b) deren relativer Bewertung, wodurch eine Präferenzordnung erzeugt wird, welche die Wahlentscheidung bestimmt. Dieser rationale Formalismus wird in der Handlungstheorie in zweierlei Weise verwendet: als Optimierungsdeliberation zur Begründung der Handlungsentscheidung und zur Deutung von beobachteten Verhaltensweisen eines Subjektes, die man als Handlungen versteht. Diese, sozusagen sekundäre Benutzung des Formalismus der Teleologie kann man Motivdeutung nennen, denn es geht hierbei darum, die zur Handlung führende Motivation des Akteurs interpretativ zu rekonstruieren. Der Betrachter sucht zu verstehen, welche Zwecke und Präferenzen den Handelnden motiviert haben. Die formale Darstellung der Handlungstheorie bringt es mit sich, daß man in ihr nicht mit "natürlichen" Zwecken argumentiert, sondern für beliebige Festlegung der Zwecksysteme offen ist. Und tatsächlich sind der Mensch und unsere Institutionen fähig, unter Umständen ganz verschiedene Zwecksysteme zu realisieren. Auch das, was als natürlicher Zweck erscheinen mag, z. B. Genuß, kann als Zweck abgelehnt werden. Askese kann Zweck sein.

VIII. Über die Rolle von Normen Die handlungs bestimmenden Prozesse werden in der Praxis durch die Wirkung von Verhaltensnormen (autonomer oder heteronomer Natur) modifiziert. Diese wichtige Frage, welche das faktische Verhalten handelnder Subjekte wesentlich modifiziert, werde ich hier nicht ausführlich behandeln. Durch Normen wird schon die Klasse der möglichen Mittel, die bei der teleologischen Optimierung herangezogen werden, auf die zulässigen Mittel reduziert. Schon hier tritt meist eine normative Zensur in ihr Recht. Auch die normative Regulierung hat implizit teleologische Struktur; sie dient Zwecken, die aber mit den aktuell angestrebten Zielen des Handelnden nicht identisch sein müssen. Bei autonomen Normen handelt es sich meist um autonom fixierte moralische Einstellungen, bei heteronomen Normen um Postulate der Gesellschaft, die dem Subjekt als bestimmender Faktor entgegentritt, welche vom Akteur internalisiert werden.

IX. Die Kompliziertheit der teleologischen Analyse Die teleologische Abwägung und die Bestimmung der Handlungsentscheidung auf ihrer Basis sind recht komplizierte Argumentationen. An vielen Stellen kommen Wertdezisionen ins Spiel, z. B. bei der relativen Gewichtung der Zwecke, wenn eine Gesamtpräferenz erstellt werden soll. Wenn man gleichzeitig die Inten-

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sität der Zweckerfüllung und die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit dieses Erfolges berücksichtigt, muß eine Wertentscheidung über die relative Relevanz beider Momente getroffen werden. Die Präferenzordnung, die durch teleologische Analyse erzeugt wird, ergibt nicht immer eine eindeutige Wahlentscheidung, da es möglich ist, daß verschiedene Alternativen gleichermaßen optimal sind. [Das hat zur Folge, daß man aus dem tatsächlichen Wahlverhalten eines Akteurs seine Präferenz nicht eindeutig bestimmen kann: wenn er die Alternative Al gegenüber der Alternative A2 wählt, beweist dies nicht, daß er A l A 2 vorzieht, denn es ist auch der Fall möglich, daß er beide Alternativen für optimal hält und deswegen zur Zufallsauswahl geschritten ist.] Die teleologische Bewertung kann je nach Zeithorizont verschieden sein. In kurzfristiger Sicht erhält man andere Präferenzrelationen als unter dem Gesichtspunkt längerer Zeiträume. Immer bleibt es eine Sache der Werteinstellung, ob man jetzige Zweckbefriedigung späterer vorzieht oder umgekehrt und in welchem Ausmaß der Zeitindex die Wertung beeinflußt. Für die Bewertung der möglichen Handlung und die Bestimmung der Präferenzen in der teleologischen Analyse ist nicht nur das intendierte Handlungsergebnis relevant, sondern auch die Gesamtheit der Neben- und späteren Folgen. Da diese Gesamtheit kaum erfaßbar ist, wird die teleologische Analyse praktisch auf ein gewisses Ausmaß der Folgenbetrachtungen eingestellt sein. Eine Änderung der Berücksichtigung der Folgen kann natürlich die Gesamtpräferenz und damit auch die Handlungsentscheidung modifizieren.

X. Nutzenanalyse

In vielen Bereichen der Ökonomie und der Sozialwissenschaften wird die Handlungsdetermination auf Nutzenanalysen gestützt, indem das Handeln unter dem Prinzip der Nutzenmaximierung betrachtet wird. Auch die durch Nutzenerwägungen determinierte Handlungsbestimmung ist ein Optimierungsprozeß. Wir müssen uns nun mit der Frage befassen, welche Beziehungen zwischen der teleologisch-präferenziellen und der Bestimmung der Handlung aufgrund von Utilitätsanalysen bestehen. Nutzen ist ein teleologischer Begriff. Wenn etwas nützlich ist, dann nur deswegen, weil es gewissen Zwecken dient. Es wäre widersinnig zu sagen, etwas sei nützlich und gleichzeitig zwecklos. Nutzen und Schaden (als Verringerung des Nutzens) werden immer unter dem Gesichtspunkt von Zwecken beurteilt. Doch wenn man von Nutzen (Utilität) spricht, gibt man den Zweck (das Zwecksystem) nicht explizit an. Es steht fest, daß immer, wenn man von Nutzen spricht, der Nutzen zweckbestimmt ist, aber wenn man etwas als nützlich bezeichnet, rechnet man zwar mit der Existenz von Zwecken, nach denen man Nutzen feststellen kann, es

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wird aber nicht explizit angegeben, welche Zwecke als Kriterien der Wertung verwendet werden. Die teleologische Erwägung ist spezifischer; während Utilität zwar unter dem Kriterium der Zweckerfüllung steht, ohne daß die relevanten Zwecke (ihr System) angeführt werden, wird bei der teleologischen Erwägung das Zwecksystem ausdrücklich zur Begründung der Präferenzen herangezogen. Utilität wird als verallgemeinerte Werthaftigkeit vom Standpunkt der Zweckerfüllung verstanden, aber als Wertung, die nicht in Relation zu den konkreten Zwecken, die verfolgt werden, bestimmt ist. In dieser Richtung erinnert der Begriff des Nutzens an den Begriff des Geldes. Ebenso wie Geld ist Nutzen ein abstrakter Wertmaßstab, der durch die Existenz von Zwecken charakterisiert, aber nicht als Relation zu den konkreten Zwecken definiert ist. Es wird mit dem Begriff des Nutzens so operiert, als sei das System der Zwecke ein objektives Datum und nicht eine Größe, die von dem akzeptierten Zwecksystem abhängt. Man denkt meist nicht daran, daß der Nutzen kein objektives Datum ist, sondern grundsätzlich verändert wird, wenn man von einem anderen teleologischen und Präferenzsystem ausgeht. Bei Utilitätsanalysen wird die Systemrelativität oft außer acht gelassen, obwohl sie infolge der Abhängigkeit der Nutzenwertung vom zugrundeliegenden Zweckund Präferenzsystem in gleicher Weise gilt wie in der teleologischen Analyse. Die kritische Überlegung muß daher manchmal auf die teleologischen Beziehungen zurückgreifen, weil diese die eigentliche Basis der Utilität bilden. Man unterscheidet in der Utilitätstheorie ordinale und kardinale Utilität. Der Nutzen von zwei Gegenständen (Sachverhalten) wird ordinal aufgefaßt, wenn er als Ergebnis relativer Wertung, als Bestimmung der Präferenz, verstanden wird. Der Abstand zwischen dem Nutzen der relativ gewerteten Gegenstände kommt gar nicht zum Ausdruck. Der Nutzen wird hier nicht durch Zuordnung von Zahlenwerten charakterisiert. Auch in dieser Sicht bedeutet Schaden Verringerung von Nutzen, aber nicht als arithmetische Operation, sondern als Verringerung des Nutzens, der ggf. die Reihung beeinflussen kann. Bei kardinaler Nutzenbestimmung wird der Nutzen quantitativ bestimmt. Wie die Zuordnung von Zahlen, welche die Größe des Nutzens charakterisieren, begründet wird, ist manchmal durch technische Bedingungen bestimmbar, sonst eine Frage der wertenden Zuordnung. Die kardinale Nutzenbestimmung bringt den Werteabstand zwischen relativ gewerteten Gegenständen zum Ausdruck, und es können mit Nutzenbestimmungen arithmetische Operationen durchgeführt werden. (Es zeigt sich hier die Verwandtschaft der Nutzenbetrachtung zur monetären Bewertung. Die monetäre Bewertung, der Preis, wird aber - wenigstens im wirtschaftlichen Bereich - durch Marktprozesse und teilweise auch normativ bestimmt, während die Zuordnung von Quanten des Nutzens in der allgemeinen Nutzenanalyse wertende Festsetzungen sind.)

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Der Vorteil der Nutzenbetrachtung - vor allem der kardinalen - besteht darin, daß arithmetisch kalkuliert werden kann. Als Zielsetzung der Handlungsoptimierung kann die Nutzenmaximierung festgesetzt werden. Als Korollar gilt dann der Grundsatz der Minimierung des Aufwandes zur Erreichung des angestrebten Ergebnisses.

XI. Gefahr der Täuschung durch Nutzenanalysen

In der Utilitätsanalyse werden die Zwecke nicht explizit klargestellt. Es wird mehr oder weniger vorausgesetzt, daß die Betrachtung sich an den relevanten Zwecken orientiert. (Und ein Gleiches gilt von Optimierungsüberlegungen aufgrund monetärer Bewertung.) Die Optimierung findet de facto nur dort statt, wo die wesentlichen Zweckkriterien in adäquater Weise herangezogen werden. Ob dies der Fall ist, bleibt bei Utilitätsanalysen unbeantwortet, weil man auf die verwendeten Zweckkriterien gar nicht eingeht, denn dies würde einen Rückgriff auf die explizitere teleologische Überlegung erfordern. Wenn man meint, durch Nutzenanalyse (meist ausgedrückt in Geldeinheiten) tatsächlich das Optimum bestimmt zu haben, kann dies täuschend sein, denn man weiß nicht, ob man alle wesentlichen Zweckmomente berücksichtigt hat. Wenn man z. B. den Nutzen wirtschaftlicher und politischer Maßnahmen durch den Wert des BNP mißt, bleibt die Frage offen, ob die Zielsetzung, den Output der Produktion zu maximieren, das Optimum des gesellschaftlichen Nutzens adäquat definiert. Gegen diese Nutzenanalyse läßt sich einwenden, daß sie vielleicht wesentliche Zwecke - wie Verteilung, Vollbeschäftigung und anderes - nicht in Betracht zieht. Der Rückgriff auf die teleologische Betrachtung macht wenigstens klar, daß die Frage erörtert werden muß, ob die Utilität alle relevanten Zwecke berücksichtigt.

XII. Methodologische und politische Implikationen

Ich halte es für sinnvoll, die Utilitätsanalyse als zweckmäßige Vereinfachung der teleologischen Betrachtung anzusehen. Ihre Anwendung ist einfacher und bringt gleich praktikable Vorgangsweisen, vor allem wenn die Utilität kardinal konzipiert wird. Dabei wird aber die Zuordnung von Nutzeneinheiten oft problematisch. Das bedeutet, die leichte Handhabbarkeit wird erkauft durch problematische Schritte, die gerechtfertigt werden müssen und die es erforderlich machen, zu prüfen, ob nicht Verzeichnungen die Analyse entstellen. Überall dort, wo die Relevanz der zu berücksichtigenden Zwecke zur Debatte steht, und dies ist bei politischen Betrachtungen so gut wie immer der Fall, ist die Utilitätsanalyse nur als Partialbetrachtung, die durch eine kritische Überprüfung

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ergänzt werden muß, am Platze. Hier muß die teleologische Analyse zu ihrem Recht kommen, wenn man nicht die Kontrolle über die Angemessenheit der Zweckkriterien verlieren will. In ökonomietheoretischer Diktion kann man die Folgerung ziehen, daß die rein monetäre Betrachtung - sie entspricht strukturell der Utilitätsanalyse - nicht immer das gesellschaftliche Optimum des politischen Handlungsprogramms bestimmt, denn in der monetären Bewertung werden nicht alle gesellschaftlich relevanten Momente berücksichtigt. Schlagwortartig kann man sagen: Für das einzelne Wirtschaftssubjekt ist die monetäre Erfolgsanalyse meist im wesentlichen adäquat, vom Standpunkt der geseIlschaftspolitischen Entscheidungen geht es aber in hohem Maße um Momente, die in der rein monetären Sicht nicht adäquat zum Ausdruck kommen, vor allem natürlich soziale Momente (Verteilungsprobleme von Gütern und Arbeit) sowie Fragen der Erhaltung der Umwelt und der Lebensqualität. Gesellschaftliche Zwecke müssen in teleologischen Untersuchungen, d. h. mit expliziter Betrachtung der Zwecke, und nicht bloß als Nutzenanalysen in der Sprache des Geldes, betrachtet werden.

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Zwecke, Werte und Normen in dynamischer Perspektive Moraltheoretische, soziologische und demokratietheoretische Implikationen* 1. Die Charakteristik des Problems Für die Gesamtheit der moralischen, politischen und religionsphilosophischen Auseinandersetzungen ist die Gegenüberstellung konservativer und progressiver Einstellungen charakteristisch. Die Konzeptionen, die zum Konservativismus neigen, wollen die überkommenen und institutionell bestehenden WerteinsteIlungen erhalten, ihre Inhalte bewahren und eventuell sogar neuere Entwicklungen rückgängig machen, um dem Altehrwürdigen, den Werten der Väter und der "wahren" Quelle unserer Kultur Geltung zu verschaffen. Im religiösen Weltbild wird die Offenbarung oft als fixer Pol der konservativen Einstellung angesehen. Die progressive Einstellung glaubt dagegen einerseits an unsere Fähigkeit, neue und bessere Lebensformen zu erfinden, andererseits hält sie es für unerläßlich, die Lebensformen und WerteinsteIlungen neuen Gegebenheiten anzupassen. Die progressive Einstellung geht den Weg des Suchens und hält es für eine Absage an die Vernunft und für die Aufgabe der menschlichen Würde, auf das Erfinden neuer Wege und auf das Streben nach einer besseren Welt zu verzichten. Beide Einstellungen können plausible Argumente ins Treffen führen. Das stärkste Argument zugunsten konservativer Einstellungen ist die Tatsache, daß eingelebte Handlungsweisen und WerteinsteIlungen sich im Laufe des Lebens von Generationen bewährt haben und aufgrund der Eingewöhnung einen relativ reibungslosen Ablauf des Lebens ermöglichen. Gegen Neuerungen kann mit Recht eingewandt werden, daß jede Umgestaltung der Institutionen, Lebensformen und Wertungen mit einem Unsicherheitsfaktor belastet ist, der aus der prinzipiellen Unvollständigkeit unseres Wissens folgt, das die Grundlage unserer Entscheidungen bildet. Die Gesamtheit der Folgen neuer Einrichtungen kann nicht mit Sicherheit überblickt werden. Es kann daher praktisch niemals ausgeschlossen werden, daß Neuerungen, die wir einführen, neben den intendierten Auswirkungen andere und zwar oft schädliche und unerwünschte - Folgen haben. Manche Formen des Offenbarungsglaubens und der politischen Indoktrination tendieren zu einem starren Konservativismus, vor allem dann, wenn sie fundamen-

* Diese Abhandlung ist ein Teilergebnis meiner Untersuchungen. die ich aufgrund des Humboldt-Forschungspreises für ausländische Geisteswissenschaftler (1989) durchführe. Ich danke der Alexander-von-Humboldt-Stiftung für die Förderung meiner Arbeit. 10'

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talistisch argumentieren und eine Rückkehr zu ursprünglichen Auffassungen fordern, die sie für das absolut Richtige halten und die sie petrifiziert wissen woIIen. Ich werde später zeigen, daß der starre Konservativismus dem Bewahren der Werte keinen guten Dienst leistet, denn nur ein adaptiver Konservativismus kann lebensfahig bleiben. Das angeführte starke Argument für den Konservativismus verliert aber seine Kraft und aIIgemeine Geltung, wenn man bedenkt, daß auch die umgekehrte Gefahr besteht, nämlich die Möglichkeit, daß Lebensformen und Wertungen, die einst im wesentlichen adäquat waren, ihre Angemessenheit verlieren, wenn sich die Realität, die Umstände des Lebens und die faktischen sozialen und technisch-ökonomischen Relationen geändert haben. Da dies tatsächlich immer wieder geschieht, wird das Argument für den Konservativismus durch die Möglichkeit ausgewogen, daß das Altehrwürdige zur aktueIIen Welt oft nicht mehr paßt. Es gibt kein aIIgemeines Rezept für die richtige Entscheidung zwischen Bewahren und Erneuern; nur die Warnung bleibt bestehen: Wer Neues einführt, muß mit vielseitigen Folgen rechnen, ja auch mit Auswirkungen, die er nicht vorhergesehen hat oder nicht vorhersehen konnte. Die progressiven Konzeptionen gehen von der Überzeugung aus, daß der Mensch die Fähigkeit - und daher auch die Aufgabe - hat, seine Lebensformen und die geseIIschaftIichen Institutionen zu bessern. Der progressive Mensch sieht die Menschlichkeit und die menschliche Würde gerade darin, gemäß seinem Wissen und in einem Prozeß des Suchens und Versuchens die Welt zu bessern. Es ist ferner eine Tatsache, die keinem Zweifel unterliegt, daß sich die Welt und die Umstände unseres Lebens mit der Zeit ändern. Sie ändern sich infolge der Entwicklung der Natur, infolge der inneren Entwicklung der Institutionen sowie der Entfaltung neuer Institutionen und durch menschliche Entscheidungen und Handlungen. Die Lebensformen und WerteinsteIlungen, die für eine frühere Welt entsprechend waren - setzen wir dies für die Durchführung dieses Arguments voraus, obwohl keineswegs apriori sicher ist, daß die akzeptierte EinsteIlung die optimale war -, muß in der veränderten Situation durchaus nicht passend sein. Es erscheint den progressiv EingesteIlten deswegen als eine Absage an die Vernunft und unverträglich mit der suchenden LebenseinsteIlung, auf das Erfinden neuer Wege und auf das Streben nach einer besseren Welt zu verzichten. Dieser ewige Streit der LebenseinsteIlungen, mit dem wir uns noch näher befassen werden, steht - philosophisch gesehen - im Hintergrund unserer Problemstellung, die Dynamik von Normen, Zwecken und Werten zu untersuchen. Und unter diesem weltanschaulichen Aspekt müssen die nachfolgenden Überlegungen über den Begriff der Handlung und über das Wesen der praktischen Informationen betrachtet werden. Diese, sozusagen metatheoretischen, Untersuchungen sind dazu erforderlich, um eine geeignete Argumentationsbasis für die nachfolgenden Darlegungen über diese Grundfragen der Ethik, der Sozialphilosophie und der Politik zu gewinnen.

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2. Die strukturtheoretische Erklärung des HandlungsbegritTes Das menschliche Dasein ist nicht nur Verhalten, sondern in essentieller Weise auch Handeln, eine auf bloße Reflexe unreduzierbare Verhaltensweise. Nur durch Bestimmung des Wozu, der Zwecke, können Handlungen verstanden und erklärt werden. Das menschliche Handeln ist eingebettet in einen gesellschaftlichen Kontext: der einzelne handelt im Rahmen von gegebenen Institutionen; viele Handlungen sind gemeinschaftliche Handlungen, Aktionen, die das Zusammenspiel von Tätigkeiten mehrerer handelnder Subjekte impliziert (man kann vieles nur gemeinsam machen, nur gemeinsam eine Last heben, nur zu zweit oder zu viert Tennisspielen, nur arbeitsteilig an einem modemen Produktionsprozeß teilnehmen); man handelt nicht nur nach Zwecken der persönlichen Utilität, sondern in nicht unbedeutendem Maße auch zum Nutzen anderer und aus solidarischem Bewußtsein; und die soziologische Betrachtung kennt neben Handlungen von Einzelmenschen das Handeln institutioneller (kollektiver) Subjekte. Die Vermutung scheint naheliegend, daß wir mit dem Begriff und dem Wesen der Handlung aus der Lebenspraxis so weitgehend vertraut sind, daß es nur darum gehen kann, unser Wissen über das Wesen der Handlung ausdrücklich darzustellen. Ich glaube nicht, daß dem so ist, denn das, was wir als unser Handeln erleben, gibt kein vollständiges Bild der Struktur der Handlung. Ein Konglomerat von bewußten und unbewußten Faktoren bestimmen das Handeln; ein Zusammenspiel von Gewohnheiten, Nachahmung, Entscheidungen und programmbestimmenden Prozessen, das durchaus nicht in transparenter Weise vor uns liegt. Wir müssen vielmehr versuchen, eine Strukturtheorie der Handlung aufzubauen, die keine bloße Beschreibung des menschlichen Handeins ist, wie wir es aus unserem persönlichen Erleben kennen, sondern die eine solche Explikation des Handlungsbegriffes darstellt, die mit formaler Allgemeinheit individuelle und gemeinschaftliche Handlungen charakterisiert. Der Weg zu einer Strukturtheorie der Handlung führt über die Analyse jener Informationsverarbeitungsprozesse, die das Handeln bestimmen. I Handlungen werden bestimmten Subjekten (Handlungsträgem) zugesprochen. Man spricht z. B. von der Handlung des Franz Mayer, vom rechtserzeugenden Akt einer Behörde, vom Willensakt eines Käufers, usw. Zwecke, Normen und Werte sind spezifische praktische (handlungsbezogene) Informationen, die in handlungs be stimmenden Informationsverarbeitungsprozes1 Ich habe an anderer Stelle gezeigt, daß nur eine solche fonnale Theorie das Handeln in seiner sozialen Vielfalt, d. h. auch kollektives Handeln, Handeln institutioneller Entitäten, z. B. juristischer Personen durch ihre Organe, Handlungen im Namen anderer (Stellvertreter) u. a. erfassen kann. Die idealisierte Struktur der Handlungen, wie sie in den Grundschemata der fonnal-finalistischen Handlungstheorie dargestellt sind, sind nicht identisch mit den Formen der Wahlakte, die wir in der Lebenspraxis durchführen. Die faktischen Wahlprozesse sind wesentliche Vereinfachungen der idealisierten Modelle.

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sen eine Rolle spielen, und zwar neben kognitiven Infonnationen (über die Situation, in der gehandelt wird, und über kausale Beziehungen, die erlauben, brauchbare Mittel zur Erreichung von Zielen aufzufinden). Der Handlungstheorie, wie ich sie auffasse, geht es in erster Linie um die Darstellung der Struktur der handlungsbestimmenden Operationen. Welche Zwecke, Wertungen und Präferenzen in der einzelnen Handlung zur Geltung kommen, wird erst in einer zweiten Phase der Analyse diskutiert. Der Handlungsträger wird durch seine Tendenzen (praktischen Einstellungen) in der Handlungsüberlegung repräsentiert. Die gedankliche (infonnationelle) Struktur der Handlung wird sozusagen in rationaler Rekonstruktion dargestellt, und hierdurch wird erklärt, was eigentlich ,handeln' heißt. Diese strukturelle Charakteristik der Handlung wird schichtenweise aufgebaut, indem man mit der grundlegenden teleologischen Fonn der Handlungsdeliberation beginnt und sukzessive weitere modifizierende Momente (z. B. die Auswirkung von Nonnen) in Betracht zieht. 2 Auffallend ist, daß in diesen Überlegungen meist ein Zwecksystem als statisch gegeben vorausgesetzt wird und kaum - oder nur am Rande - die Frage des dynamischen Charakters des Zwecksystems, welches das dem Wählen und Handeln zugrundeliegende Streben ausdrückt, in Betracht gezogen wird.

3. Die semantische Kategorie der praktischen Sätze: Zwecke, Werte, Normen Die infonnationstheoretischen Analysen des Handeins und aller handlungsbezogenen Disziplinen gehen von der semantischen Gegenüberstellung beschreibender und praktischer Infonnationen aus. 3 Dem entsprechen Sätze von deskriptivem und Sätze von praktischem Sinn. Jene sind die Aussagesätze aller Art, diese sind im wesentlichen drei Typen von Sätzen (nämlich: Zwecksätze, Wertsätze und Nonnsätze 4 ) für die zwei Eigenschaften charakteristisch sind: (i) sie drücken in gewisser Weise Stellungnahmen aus, und (ii) sie sind systemrelativ. 2 Vgl. O. Weinberger. Recht, Institution und Rechtspolitik (Kap. 11; Zur Idee einer fonnalfinalistischen Handlungstheorie), Stuttgart 1987, oder ders., Rechtslogik, 2. Aufl. (Kap. 11. Teleologie und Handlungstheorie), Berlin 1989. 3 O. Weinberger. Eine Semantik für die praktische Philosophie, in: R. Haller (Hrsg.), Beiträge zur Philosophie von Stephan Körner, Grazer Philosophische Studien 20/1983, S. 219239. 4 Die Tenninologie ist hier nicht stabilisiert: Zwecke ausdrückende Sätze werden manchmal Forderungssätze, Postulate (bei Karel Englis) genannt; Wertsätze nennt man oft Werturteile; statt von Nonnsätzen spricht man von SolJsätzen (und unterscheidet Arten des SolJens: SolJen (i.e.S.), Dürfen, Ennächtigen, Derogieren - H. Kelsen), u.ä.

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Leider ist man sich der Verschiedenheit von Wert und Norm nicht immer bewußt. Ich werde deswegen versuchen, die Beziehungen zwischen den drei angeführten Arten praktischer Sätze zu analysieren und die mit ihnen verbundenen Operationen strukturell zu beschreiben; dies wird den Unterschied zwischen diesen Satzarten klar machen. Zwecke drücken Willenseinstellungen aus; sie sind richtungsbestimmend fürs Wählen und Handeln, und zwar nicht dadurch, daß sie angeben, welche Wahl getroffen oder welche Handlung realisiert werden soll, sondern sie bestimmen das "indirekte Handeln", d. h. die Erfüllung der Intention durch Einsatz von Mitteln. ,Zweck' und ,Mittel' drücken korrelative Begriffe aus. Beide sind Begriffe der Willenssphäre. Der Zweck kann durch Anwendung von Mitteln realisiert werden; die Mittel werden durch den Zweck bestimmt, dem sie dienen können. Was einem gegebenen Zweck (Zwecken) dienen kann, d. h. zur Realisation des Bezweckten (des Zweckinhalts) führen kann, wird durch Kausalrelationen bestimmt. Daher hängt teleologisches Denken wesenhaft von der Kausalität ab, vom (deterministischen oder stochastischen) Kausalwissen, bzw. von Meinungen über Kausalrelationen. Das teleologische Denken, dessen Gegenstand die Entwicklung von alternativen Möglichkeiten der Zweckbefriedigung (d. h. die Bestimmung möglicher Mittel, möglicher zweckbestimmter Handlungsprogramme) und die Gewinnung der Wahlentscheidung ist, hängt in der Praxis meist nicht von einem einzigen Zweck, sondern von einem zusammengesetzten Zwecksystem ab. 5 Die Wahl eines Mittels aus der Klasse der möglichen Mittel, die in der teleologischen Erwägung aufgefunden werden, hängt von deren relativen Wertung ab. Vereinfacht kann man sagen: es wird das am höchsten bewertete Mittel gewählt; bei Gleichwertigkeit "willkürlich" (d. h. zufällig) eines der gleichermaßen höchstbewerteten Mittel. 6 Es hängt also die teleologische Entscheidung auch von relativen Werten (von Präferenzrelationen) ab. Werten ist eine Stellungnahme zu Gegenständen oder Sachverhalten: zu existenten oder vorgestellten Gegenständen, zu bestehenden oder möglichen Sachverhalten. Diese Stellungnahme kann globale Stellungnahme sein, oder es handelt sich um Werten nach gewissen explizit bestimmten Gesichtspunkten (z. B. ökonomisches, moralisches, rechtliches, ästhetisches Werten). Man kann zwischen einstelligen und relativen Wertsätzen (bzw. Wertungen) unterscheiden. Die einstelligen Wertsätze charakterisieren einen Gegenstand (Sachverhalt) durch ein Wertattribut (,gut', ,böse'; ,schön', ,häßlich' u.ä.) aufgrund einer S Näheres über teleologisches Denken und über die Systeme de.; handlungsbezogenen Denkens überhaupt findet der Leser in meinem Buch "Rechtslogik", !. Aufl., Berlin 1989. 6 Das berühmte Moden des Motivationsgleichgewichts, dargestf;nt durch den "Buridansehen Esel", ist prinzipien falsch. Es fußt auf einer verfehlten AnalOgie zwischen physikalischen Kräften und Handlungsdetenninanten. Bei Wertgleichheit der zur Wahl stehenden Alternativen (oder Motive) kommt es nicht zum Gleichgewichtsstillstand, sondern zur willkürlichen Wahl einer der Möglichkeiten.

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gewissen Werteskala. Im Prinzip geht es um (a) positive, (b) indifferente7 , (c) negative Bewertung, oder um die Zuordnung von Meßwerten einer Skala (,A ist ÖS 100,- wert'). Die relative oder Präferenz wertung drückt einen Wertvergleich von Objekten oder Sachverhalten aus. Sie kann ebenso wie die einstellige Wertung global, nach einem spezifischen Kriterium oder nach einem komplexen Kriterium geschehen. Es gilt für zwei Objekte a, b: aPb, bPa oder aCb (entspricht: -,aPb & -,bPa).8 Die Präferenz (Gleich wertung) kann ordinal oder kardinal sein. Ordinal ist sie, wenn Vorrang oder Gleichwertung bestimmt sind, aber keine größenmäßige Bestimmung der Präferenz vorliegt, d. h. keine Zahlenzuordnung besteht und der Wertabstand zwischen zwei verschiedenen Objekten nicht bestimmt ist. Normen fixieren vor allem ein Soll-Verhalten, daneben können sie auch ein Dürfen oder Ermächtigen ausdrücken. 9 Aus Normen folgen normenlogische Konsequenzen (oft unter Heranziehung von Tatsachenfeststellungen als Prämissen). (Es gibt z. B. eine normenlogische Individualisierungsregel sowie eine normenlogische Abtrennungsregel. 10) Die Zusammenhänge zwischen Normsätzen und Zwecken sowie Werten läßt sich annähernd in folgender Weise skizzieren: Normen sind Instrumente zur Erreichung gewisser gesellschaftlicher Zwecke, indem sie in gewisser Weise als Handlungsdeterminanten wirken. Ermächtigungsnormen sind außerdem wichtig für den Aufbau von gesellschaftlichen (rechtlichen, staatlichen) Institutionen. Normen haben einen teleologischen und axiologischen Hintergrund, der für das Denken, für die Anwendung und Extrapolation des Rechts (z. B. bei der Lückenfüllung) wesentlich ist. Soll-Normen selbst sind eine Basis des Wertens (sc. vom Standpunkt des betreffenden Systems): Die Erfüllung von Pflichten (des Sollens) wird positiv, die NichtErfüllung negativ gewertet. Schon aus dieser skizzenhaften Darlegung der Logik der Zwecke, Werte und Normen sowie der Beziehungen zwischen den drei Hauptarten praktischer Sätze geht hervor, daß Teleologie, Axiologie und Normologie unterschieden werden müssen, daß aber zwischen diesen Systemen des praktischen Denkens wesentliche Beziehungen bestehen. 7 Die Wertung als indifferent ist wohl zu unterscheiden von der Situation, wo ein Objekt (Sachverhalt) nach dem in Betracht stehenden Kriterium nicht bewertet wird (nicht bewertbar ist). "ein langes (kurzes) Leben zu haben" ist nicht moralisch indifferent, sondern nach diesem Kriterium nicht bewertbar. 8 Ich verwende hier den starken Präferenz-Begriff ,P' und den Begriff der Wertgleichheit ,G'. Dieselben Relationen lassen sich auch mittels des schwachen Präferenz-Begriffes P' darstellen, der durch ,P' und ,G' definiert werden kann: aP' b =dfaPb oder aGb. 9 Über die Beziehungen von Sollen und Dürfen im Normensystem, sowie über den Charakter der Ermächtigungsnormen s. O. Weinberger. Rechtslogik, 2. Aufl., Berlin 1989. 10 Vgl. op. eit. in Anm. 7., Kap. 10.

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4. Das praktische System und sein Trägersubjekt Eine der wesentlichen Eigenschaften von Zwecken, Werten und Normen ist die Systernrelativität der praktischen Sätze. Diese Eigenschaft muß hier näher erörtert werden. Dies wird zweckmäßigerweise in Gegenüberstellung zur Objektivität der deskriptiven Sätze geschehen. Wenn man hier von Systemen spricht, muß man vorerst zwei Dinge unterscheiden: (a) das sprachlich-logische System und (b) das System von Sätzen, mittels dessen man Erkenntnisse ausdrückt oder - im Falle praktischer Sätze - eine Gesamtheit handlungsbestimmender Informationen. Das Sprachsystem [im Sinne von (a)] ist eine Menge von Ausdrücken mit einer gewissen Grammatik; die Kenntnis der Sprache eröffnet den Sprachbenutzern die Möglichkeit, Mitteilungen zu machen. Das Sprachsystem bildet die Grundlage einer dem Sprachbereich entsprechenden Logik. Es werden logische Systeme der deskriptiven Sprache und solche der präskriptiven Sprache entwickelt. Die Sprache ist sozusagen ein Reservoir von Sprachstrukturen, aus dem der Sprachbenutzer zur Erstellung seiner Nachricht Ausdrucksmittel auswählen kann. Eine Menge von deskriptiven Sätzen stellt ein System von Erkenntnissen dar. Es darf weder logisch inkonsistent noch tautologisch sein, wenn es über einen gewissen Gegenstandsbereich Informationen geben soll. Das System solcher deskriptiven Sätze - man kann auch sagen ,das kognitive System' - wird in dem Sinne als objektiv verstanden, daß es Informationen über einen vorschwebenden Gegenstandsbereich gibt und in geeigneter Weise an diesem Bereiche falsifiziert oder verifiziert werden kann. 11 Kognitiven Charakter haben auch Modalaussagesätze, d. h. Aussagesätze, die einen Gegenstand oder Sachverhalt als möglich, notwendig oder kontingent charakterisieren. Aussagen über Möglichkeiten (,mögliche Welten') gehen von der aktuellen Welt aus (sie charakterisieren die aktuelle Welt auch insoweit, als das Bestehen von Möglichkeiten ein zusätzliches Wissen über die Wirklichkeit ist) und konstruieren auf dieser Basis aufgrund von Festsetzungen Systeme möglicher WeIten. Auch Modalaussagen werden im Rahmen der sie konstituierenden Festsetzungen objektiv verstanden. Der Wahrheitstest von Modalaussagesätzen kann allerdings nicht durch bloße Beobachtung (durch den Vergleich der beobachtbaren Sachverhalte mit den als möglich behaupteten) geschehen. Ein System von praktischen Informationen (z. B. ein Normensystem) wird dagegen systemrelativ konzipiert, und ein Test der Adäquanz des Systems an einer Rea11 Der Gegenstandsbereich kann auch eine mögliche Welt sein. Unmittelbare Verifikationsprozesse sind im Fall der nicht wirklichen und nur möglichen Welten allerdings nicht realisierbar.

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Zwecke, Werte und Normen

lität kommt nicht in Frage, da der Sinn des Systems praktischer Sätze keine Beschreibung einer solchen Realität gibt. Das System praktischer Sätze wird einem Trägersubjekt zugesprochen: es drückt dessen praktische Orientierung, seine Einstellungen, aus. Träger eines solchen Systems, z. B. eines Zwecksystems, kann ein Mensch, ein Kollektiv oder eine andere institutionelle Person (z. B. eine Stiftung) sein, oder das System selbst wird zu einer Trägerperson hypostasiert. Ein Moralsystem wird z. B. als System hypostasiert: seine Normen, Zwecke und Werte werden als Charakteristik dieser, vorgestellten oder real bestehenden, Institution konzipiert. Die Systemrelativität von Normen impliziert: (a) Widersprechende Normen können in der Gesellschaft nebeneinander bestehen, wenn sie verschiedenen Systemen angehören. (Es ist zwar sinnvoll - um ein Beispiel anzuführen - zu sagen: die staatliche Norm, welche die Wiederverehelichung Geschiedener zuläßt, ist mit der kirchlichen Norm, welche die Wiederverehelichung Geschiedener verbietet, logisch unverträglich; doch bedeutet das Nebeneinander-Bestehen dieser Normen zweier verschiedener Normensysteme keinen logischen Mangel, keine normen logische Inkonsistenz.) (b) Der Begriff der normenlogischen Unverträglichkeit (Inkonsistenz) ist relativ genau zu einem System definiert; eine solche Inkonsistenz des in Betracht stehenden Systems besteht dann und nur dann, wenn es einander widersprechende Normen enthält. (c) Die Geltung einer Norm bedeutet ,Geltung in einem System' (d. h. ,Bestandteil des in Erwägung stehenden Systems zu sein'). Analoges gilt für Zweckund Wertsysteme. Aus wichtigen Gründen, die ich andernorts dargelegt habe 12, halte ich es für zweckmäßig, den Begriff der Handlung durch die dem Handeln zugrunde liegende Informationenverarbeitungsoperationen zu charakterisieren und das System dieser Operationen formal darzustellen, um diesen Formalismus sowohl auf Handlungen einzelner Menschen als auch auf das Handeln institutioneller Handlungsträger anwenden zu können. Wenn ich eine Handlungsüberlegung anstelle, beginne ich mit der Festsetzung von Zielen, von normativen Regeln und einem System von Präferenzen eines Handelns, d. h. ich bestimme die Orientierung meiner Aktivitäten durch Zuordnung eines Zweck-, Normen- und Wertesystems. Wenn ich versuche, das Handeln anderer Menschen zu verstehen, ordne ich dem handelnden Subjekt ein praktisches System zu, das dessen Bedürfnissen und Einstellungen entspricht. Die Bestimmung des Zwecksystems, des Systems der Normen und Wertmaßstäbe der beobachteten Per12 Vgl. O. Weinberger, Studien zur formal-finalistischen Handlungstheorie, Frankfurt a.M., Bem, New York 1983; ders., Grundzüge der formal-finalistischen Handlungstheorie, in: ders., Recht, Institution und Rechtspolitik, Stuttgart 1988; ders., Alternative Handlungstheorie, Wien, Köln, Weimar 1996.

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sonen ist eine komplexe Interpretationsaufgabe, die teils auf Mitteilungen des Handelnden, teils auf allgemeinen und spezifischen Vorerfahrungen, auf Einfühlen und Analogien beruht. Zu beachten ist, daß diese Interpretation immer hypothetisch bleibt. Je nach der gegebenen Problemsituation wird der Formalismus der handlungsbestimmenden Informationsverarbeitung in zweierlei Weise angewendet: (i) als Handlungsdeliberation, oder (ii) als Basis der Motivinterpretation. Im Rahmen der statischen Betrachtungen der Teleologie, der Axiologie und Normologie dient die Zuordnung des Systems zu einem Trägersubjekt vor allem der Abgrenzung und inhaltlichen Bestimmung des Systems. Sobald man zur dynamischen Betrachtung übergeht, erlangt das Trägersubjekt eine weitere Funktion: es unterliegt einer Entwicklung (z. B. der Mensch wird älter und es ändern sich seine Bedürfnisse und Interessen, und dementsprechend seine teleologische und wertende Ausrichtung). Das praktische System wird aufgrund erlebter Erfahrung sowohl kognitiver als auch wertender Natur transformiert. Für Untersuchungen der Dynamik praktischer Systeme ist die pragmatische Sicht unerläßlich, welche das praktische System in Relation zu seinem Trägersystem und dessen Entwicklung betrachtet. Dies gilt für alle Fälle, mag der Träger ein menschliches Individuum sein, ein Kollektiv, eine Gesellschaft oder eine begriffliche Konstruktion. Immer ist die Entwicklung des Trägersubjekts in die Untersuchung der Dynamik einzubeziehen.

5. Determinanten der Dynamik praktischer Systeme

Neben der grundlegenden Erkenntnis, daß das Problem der Dynamik praktischer Systeme eine pragmatische Frage ist, die nur unter Einbeziehung der jeweiligen Trägersubjekte erklärt werden kann, sind noch einige Vorüberlegungen erforderlich, bevor wir eine Übersicht über die Faktoren, welche die Dynamik der praktischen Systeme bewirken, geben können. Drei Punkte dieser Vorüberlegungen scheinen mir wichtig: (i) Die Betrachtung der Beziehung zwischen den Wertungen bloß vorgestellter Sachverhalte und den entsprechenden Werterlebnissen. Hier knüpft ein Prozeß der Bewährungsprüfung an, den ich als Rektifikation bezeichne. (ii) Die Untersuchung der Rolle von Erfahrung für das praktische Denken. (iii) Die Klärung der pragmatischen Beziehung zwischen individuellen und gemeinschaftlichen praktischen Sytemen. Ad (i): WerteinsteIlungen und Wertungen sind Akte, die sich auf Vorstellungen von Gegenständen oder Sachverhalten beziehen, oder aber auf Gegenstände bzw. Sachverhalte, die eine real existente Basis der Wertungsakte bilden. Wenn ich z. B.

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einen Apfel einer mir bekannten Sorte sehe, bewerte ich ihn als bekömmliche und schmackhafte Kost. Ich führe gegebenenfalls eine relative Wertung zwischen dem Apfel und einer Birne durch, die zur Präferenz des Apfels führt. Die Wertzuschreibung des erlebten Sachverhalts muß nicht identisch mit den Wertungen sein, die als Wertungen in der bloßen Vorstellung durchgeführt wurden. Auf dieser möglichen Unterschiedlichkeit des Wertens von Vorstellung und Realität beruht ein Prozeß, welcher der empirischen Verifikation im kognitiven Bereich analog ist: die Rektifikation von Zwecken, Werten oder Normen. Ad (ii): Es zeigt sich hier eine der wichtigen Relationen zwischen den praktischen Einstellungen und der Erfahrung: die Erfahrung bietet eine Bewährungsprobe für die Akzeptabilität praktischer Sätze. Dieser Prozeß der Bewährung umfaßt Erfahrungserkenntnisse (vor allem über die Ergebnisse von Handlungen); die Bewährung, d. h. das positive oder negative Werturteil, ist aber immer auch ein stellungnehmender Akt (z. B. eine Wertung des Handlungsergebnisses). Die Erfahrung und empirisches Wissen sind außerdem die Grundlage des Auffindens von geeigneten Mitteln und möglichen Handlungsprogrammen. Und schließlich ist es die Erfahrung - und nur die Erfahrung -, die uns die Menge der sogenannten Nebenfolgen unseres Tuns und Lassens vor Augen führt, und dadurch das Werten zu einem immer fortschreitenden Prozeß der wertenden und wollenden Aktivitäten werden läßt. Ad (iii): Vielgestaltig sind die Relationen zwischen praktischen Einstellungen verschiedener Systeme. Der Einzelne übernimmt WerteinsteIlungen der Mitmenschen aufgrund von Nachahmung, Erziehung, Mode, u.ä. Soziologisch gesehen sind diese interpersonalen Einwirkungen ein Mittel, durch das der Einzelne auch Erfahrungen anderer Personen verwerten kann. Das Handeln des Individuums beruht weitgehend auf dem Bestehen institutioneller Strukturen. Institutionen als Handlungsrahmen und die in ihnen bestimmten Rollen bringen praktische Einstellungen der Individuen hervor oder beeinflussen sie wenigstens wesentlich. Umgekehrt sind es die Individuen, die als Organe und Rollenträger die Wertungen und Präferenzen kollektiver Personen und von Institutionen bestimmen. Im ganzen läßt sich sagen, daß eine rege Beziehung der gegenseitigen Beeinflussung der verschiedenen praktischen Systeme der Gesellschaft besteht. Aufgrund dieser Betrachtungen gelange ich zu folgender Übersicht über die Faktoren, welche die Dynamik praktischer Systeme hervorrufen und bestimmen: 1. Wenn der Träger eine psychophysische Person oder ein sozialer Körper ist, treten mit der Zeit innere Entwicklungen des Trägers auf, welche Veränderungen des praktischen Systems bewirken. Im Prozeß der biologischen Entwicklung des Menschen verändert sich die Bedürfnisstruktur, und sie schwankt auch mehr oder weniger zyklisch infolge des Ablaufs biologischer Prozesse. Analoges gilt bei den kollektiven Trägern, deren praktische Einstellungen infolge des Wandels der Strukturen des sozialen Körpers modifiziert werden.

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2. Die Entwicklung der empirischen Erkenntnis und die Erfindung von möglichen Handlungsprogrammen sind Umstände, die auch eine Veränderung der Intentionen ermöglichen und neue Zielsetzungen und Handlungsmethoden zulassen. Infolgedessen werden auch die Präferenzen Veränderungen unterliegen. 3. Die Werterfahrungen mit den Handlungsergebnissen bedeuten eine Rektifikation der vorausgesetzten Ziel- und Wertvoraussetzungen und führen daher zu einer Dynamik der praktischen Systeme selbst. 4. Es besteht ein Wechselwirkungsprozeß zwischen verschiedenen nebeneinander existierenden praktischen Systemen, aus dem Transformationen der praktischen Systeme resultieren. Die praktischen Einstellungen des Individuums werden durch die Werteinstellungen anderer Personen sowie durch die Entwicklung der institutionellen Rahmen beeinflußt. Der Einzelne als Teilnehmer oder Rollenträger in Institutionen bewirkt unter gewissen Umständen Veränderungen der Funktionsweise und der Einstellungen institutioneller Subjekte. 13 5. Schließlich werden von den Trägern der Systeme Analysen durchgeführt, die zur Entfaltung und eventuell zur Korrektur der bisherigen praktischen Einstellungen führen.

6. Praktische Systeme und Wertungen in zeitlicher Perspektive Wenn wir praktische Systeme in dynamischer Perspektive, d. h. in ihrer Entwicklung in der Zeit, betrachten, handelt es sich um zwei unterschiedliche Fragen: (i) die Darstellung des Systems als einer (realen oder nur vorgestellten) Entität, die im Verlaufe der Zeit betrachtet wird, (ii) die Erklärung jener Momente, durch die diese Dynamik realer Systeme bewirkt wird. Die Frage (i) ist ein Problem der adäquaten syntaktischen und semantischen Beschreibung praktischer Systeme und ihrer Transformationen in Abhängigkeit von Zeitkoordinaten; die Frage (ii) betrifft die komplexe Problematik der Momente, welche Veränderungen des Systems bewirken. Frage (ii) umfaßt, wie aus Abschnitt 5 meiner Darlegungen hervorgeht, pragmatische Determinanten, die durch die innere Entwicklung des Trägersubjekts bewirkt werden, ferner durch kognitive Momente des Erkenntnisfortschritts, durch Momente der Werterfahrung und durch analytische sowie konstruktive Ergebnisse der praktischen Überlegungen. Logisch gesehen ist ein dynamisches System eine zeitlich geordnete Folge von praktischen Systemen. Nehmen wir als Beispiel ein Normensystem. Betrachtet man das System in einem gewissen Zeitpunkt, kann es als Menge jener Normen 13 H. Schelsky, Die Soziologen und das Recht, in: ders .• Die Soziologen und das Recht, Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 77 f.

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angesehen werden, die in dem gegebenen Zeitpunkt gelten. Wie die Herren AIchourron und Bulygin überzeugend dargelegt haben, ist ein Normensystem im Zeitpunkt t genau die Menge der in t geltenden Normen, oder ausführlicher gesagt: die Konsequenzenmenge der gültig kreierten Normen, die - auch unter Heranziehung wahrer Tatsachenfeststellungen - aus der Menge der gültig festgesetzten Normenmenge logisch abgeleitet werden kann. 14 Ein Normensystem, zu dem irgendeine Norm hinzugefügt (oder aus dem irgendeine Norm eliminiert wird), ist einfach - statisch bzw. semantisch und logisch betrachtet - ein anderes Normensystem. Gerade aus diesem Grunde muß das sich in der Zeit verändernde System als zeitliche Abfolge von verschiedenen Systemen expliziert werden. Wenn dieses System zum Zeitpunkt t und zum Zeitpunkt I verschieden ist, dann resultieren zu den verschiedenen Zeitpunkten - t, I - verschiedene Konsequenzmengen von Normen. Das logische Folgern ist also ein Operieren mit den in den einzelnen Zeitpunkten gültigen Normen als Prämissen, d. h. es ist ein Operieren aufgrund statisch gegebener Prämissen. Analoges wie in der Dynamik des Normensystems gilt auch mutatis mutandis von anderen praktischen Systemen. Über die tatsächlichen Entwicklungen der Trägersysteme gibt es keine allgemeine Theorie, denn die verschiedenen Arten von Trägem verändern sich ebenso wie die entsprechenden praktischen Einstellungen in unterschiedlicher Weise. Über den Vorgang der Rektifikation läßt sich aber noch einiges in genereller Perspektive sagen. Der Rektifikationsprozeß beginnt mit dem Erleben, in dem die in der Erwartung vorgestellten Inhalte mit den Handlungsresultaten konfrontiert werden. Die erwartete Wertung wird in realen Wertungsakten getestet. Ist die erlebte Wertung mit der erwarteten konform, hat die Rektifikation bestätigenden Charakter, ist das tatsächliche Werterlebnis zur Erwartung konträr, wird die kognitive Basis oder I und die vorangestellte praktische Einstellung in Frage gestellt. Wenn die kognitiven Voraussetzungen nicht bezweifelt werden, wird im Rektifikationsprozeß eine Transformation des praktischen Systems aktuell. Ausgehend von Zweifeln an der Angemessenheit der vorausgesetzten praktischen Einstellungen kann eine partielle oder tiefgreifende Umgestaltung des praktischen Systems zustande kommen. Wichtig ist hier vor allem die Erkenntnis der entscheidenden Elemente dieses Prozesses: reale Erfahrung; an sie anknüpfende Wertungen; Rückschlüsse, die zum Zweifel an den vorausgesetzten praktischen Einstellungen führen; Rekonstruktion des praktischen Systems. Es ist ein unabdingbares Faktum, daß im Leben eine Dynamik der Zwecke, Werte und Ziele besteht. Jetzt muß aber gefragt werden, welche Konsequenzen diese Erkenntnis für die Moraltheorie, für die Soziologie und für die Politik hat. 14 C. E. Alchourronl E. Bulygin, The Expressive Conception of Nonns, in: R. Hilpinen (Hrsg.), New Studies in Deontic Logic, Dordrecht, Boston, London 1981, S. 95 - 124.

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7. Moraltheoretische Konsequenzen der Dynamik praktischer Systeme Angesichts der Unvermeidbarkeit der Dynamik der praktischen Einstellungen erlangt die traditionelle Problematik der Objektivität der moralischen Werte einen neuen Charakter. Die Auffassung, ewige und unveränderliche Moralnormen seien die Leitgedanken des Moralischen, die immanent gegeben sind - sei es anthropologisch oder aus göttlicher Offenbarung -, muß aufgegeben werden. Und um so mehr jede fundamentalistische Forderung, die ein Zurück zu irgendweIchen als absolut gültig vorausgesetzten materiellen Moralprinzipien vorschreibt. Die Vorstellung, Moral sei ein gegebener Maßstab, der nur redlich angewendet und befolgt werden muß, ist gefallen. Es ändert sich die Welt, es ändert sich die Gesellschaft und ihre sich den Lebensbedingungen anpassenden Lebensformen. Unabhängig davon, ob man sich dem Fortschritts- und Reformierbarkeitsglauben oder dem prinzipiellen Werte-Konservativismus verschreibt, man muß die praktischen Systeme flexibel machen, weiterentwickeln und der sich wandelbaren Realität anpassen. Man kann sich gegen den Werte wandel sträuben, doch nur um den Preis des Verlustes der Lebensadäquatheit der Wertestandards sowie mit dem Effekt, ein System der moralischen Unfreiheit und - wie die Geschichte zeigt - oft auch ein System der Verheerung bewirkenden Verblendung zu erzeugen. Ein fundamentalistischer Konservativismus ist kein Weg zum Heil und kein Weg zur echten Moral, denn diese beruht auf Autonomie und auf der Würde der Kraft zur Eigenverantwortung, die nur dann besteht, wenn auch die Wertmaßstäbe autonom gesetzt werden. Wer primär Bewahrer sein will, kann natürlich genau so wie der Reformgläubige den Weg der autonom suchenden Moral gehen, wenn er die Aufgabe und Bürde auf sich nimmt, im Geist des akzeptierten Wertesystems dieses weiterzuentwikkeIn, wobei er seine eigenen Prinzipien - womöglich nicht nur de facto und heimlich, sondern der intellektuellen Redlichkeit halber ausdrücklich - auch im Licht der aktuellen Welt transformiert. Hier scheint es mir notwendig, einige Worte über den Fall zu sagen, daß die grundlegende Moralüberzeugung auf Offenbarungsglauben beruht. Prima facie könnte man meinen, daß diese Form der Fundierung prinzipiell starr sein müßte. Eine solche Meinung entspringt meiner Ansicht nach einer Mißdeutung des Offenbarungsglaubens. I. Die Offenbarung ist zweifellos eine Art von Mitteilung. Sie hat daher ihre hermeneutische Dimension: sie muß verstanden und zu diesem Zwecke gedeutet werden. 2. Die wichtigsten Erkenntnisse der Hermeneutik sind zwei Thesen, die m.E. nicht bestritten werden können: (i) Jegliches Verstehen ist das Ergebnis von Deutungsprozessen, die der Mitteilungsempfänger mehr oder weniger bewußt und mehr oder weniger systematisch bei der Aufnahme von Mitteilungen vollzieht.

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Zwecke, Werte und Normen

(ii) Jeder Prozeß des Deutens ist eingebettet in ein Feld von Vorstellungen und

Tendenzen des Interpreten, die seiner Lebenssituation entspringen und seinen Zutritt zur Aufgabe des Deutens bestimmen: Deuten ist immer relativ zu einem hermeneutischen Horizont. Nun, wenn man das Verstehen der Offenbarung vom hermeneutischen Standpunkt aus betrachtet, gibt es eine Veränderbarkeit des Verstehens der Offenbarung in Abhängigkeit vom jeweils aktuellen hermeneutischen Horizont. Es bleibt also auch dem Offenbarungsgläubigen die Aufgabe des Suchens und der moralischen Sinngebung keineswegs erspart. Sie tritt aber sozusagen im hermeneutischen Gewand auf. Es stellt sich hier die Frage nach der hermeneutischen Methode. Und da gibt es wesentliche Differenzen der Konzeptionen und infolgedessen der Deutungsresultate. Sollen hier (a) historische Gesichtspunkte, (b) historische Gesichtspunkte und die anschließenden Deutungskonzeptionen der Tradition oder (c) sollen auch die aktuelle Realität, die derzeitigen Aufgaben und neu auftauchende moralische Probleme in den Lebensformen als Gründe der hermeneutischen Analyse berücksichtigt werden? Ich bin der Meinung, daß ein gewichtiges Argument für die Konzeption (c) spricht: Man kann doch als Gläubiger nicht voraussetzen, daß der Inhalt der Offenbarung nicht dauernd lebendig bleiben sollte; die aktuelle Adäquatheit ist aber nur dann möglich, wenn die Offenbarung jeweils im hermeneutischen Horizont der aktuellen Welt und nach dem Wissensstand von heute gedeutet wird. Diese Überlegung schließt die Konzeption (a) aus. Im Sinne von (b) könnte man aber diese Aktualisierung ausschließlich als Weiterentwicklung der Tradition konzipieren. Ich meine jedoch, daß auch dies problematisch wäre. Wir wissen, daß die Tradition oft - und nicht nur punktuell - problematische und auch moralisch inakzeptable Konzeptionen vertreten hat, und zwar mit verheerenden Folgen: Ausrottungsideologien, Hexenverfolgungen, Religionskriege u.ä., sodaß dem aktuellen Wissen und Weltverständnis als entscheidendem hermeneutischen Horizont der Vorrang gebührt - oder wenigstens, daß tradierte Deutungskonzeptionen im Licht der derzeitigen Erkenntnis kritisch geprüft werden müssen. Wenn man - wie ich es tue - die Autonomie und die rationale Analyse als Basis der Moral und ihrer Entwicklung in der Kultur ansieht, muß man auch die Grenzen der Vernunftanalyse in der Ethik sehen: Moral wird nicht durch Vernunft konstituiert, aber mittels der Vernunft und im sozialen Prozeß der kulturellen Entwicklung entfaltet. Die autonome Konzeption der Moral, wie sie wenigstens seit Kant in der Philosophie herrschend ist, impliziert die Möglichkeit und Zulässigkeit unterschiedlicher moralischer Wertungen. Diese Tatsache unterstreicht die RoHe der Selbstverantwortung, sie impliziert aber auch die Notwendigkeit gesellschaftlicher Diskurse über Werte und moralische Fragen. Die Beweglichkeit des moralischen Lebens hängt wesentlich mit diskursiven Prozessen zwischen individueller und gesellschaftlicher Moral zusammen.

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Die Vielfalt der Standpunkte stört nicht das Gleichgewicht; sie ist kein Hindernis für das Zusammenleben kultivierter Menschen, sondern im Gegenteil eine der notwendigen Bedingungen für den moralischen Fortschritt.

8. Gesellschaftspolitische Implikationen der Dynamik praktischer Systeme Zwei grundlegende Fakten sind entscheidend für soziologische und pragmatische Konsequenzen der Dynamik praktischer Systeme: (a) die prinzipielle Veränderbarkeit dieser Systeme als Folge gesellschaftlicher, ökonomisch-technischer, organisatorischer, machtmäßiger und sozialer Entwicklungen, (b) die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen und persönlichen Werte- und Sollenssystemen. Die Variabilität der praktischen Einstellungen im Sinne von Punkt (a) möchte ich aber nicht im marxistischen Geist als Entwicklung der Werte- und Normensysteme, als Reflexwirkung im Feld des Überbaus auf ökonomischen Entwicklungen, konzipieren. Es handelt sich meiner Ansicht nach vielmehr um komplexe wechselseitige Adaptationszusammenhänge zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Faktoren. Die Werteinstellungen und geistig-kulturellen Tatsachen dürfen nicht als bloße Epiphänomene der ökonomischen Faktoren gedeutet werden. Die Prozesse der Anpassung der normativen und Willenseinstellungen sind keine bloßen ideologisch-verklärenden Auswirkungen der ökonomischen Realität. In der gegebenen gesellschaftlichen Situation werden WerteinsteIlungen und Lebensformen gesucht, die in dieser Situation als tragfähig und akzeptabel bewertet werden. Es werden gesellschaftliche Prozesse des Diskurses realisiert, die unter Gesichtspunkten der Vervollkommnung der Lebensformen stehen. Dieser Prozeß muß als Interaktion individueller Entscheidungserwägungen und Überlegungen über die Gestaltung der Institutionen verstanden werden. Das Bestehen und die Dynamik praktischer Systeme können nur dann verstanden werden, wenn man persönliche und institutionelle Systeme in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit erfaßt. Das einer bestimmten Person zugeordnete System ist auch wenn es ganz als autonome Entität existiert - kein von Mustern und institutionalisierten Systemen unabhängiges Gebilde. Es ist aber eine relativ autonome Schöpfung, sozusagen eine autonome Synthese. Die den Institutionen zugeordneten Systeme rechnen naturgemäß mit den Einstellungen der an der Institution teilnehmenden Personen. Die Entwicklung der institutionalisierten Systeme reagiert einerseits auf die Entwicklung der involvierten Personen, andererseits werden die Normen und Wertestandards der Institutionen von Organen gestaltet und umgestaltet, welche die Leitideen entwickeln und transformieren. 11 Weinberger

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So sehe ich die soziologische Struktur der Dynamik praktischer Systeme. Nun müssen noch die mit dieser Dynamik zusammenhängenden praktischen Postulate erörtert werden. Man könnte vermuten, daß die in der Ethik - wie ich sie verstehe - vorausgesetzte persönliche Autonomie zu einem untragbaren moralischen Relativismus und pragmatisch störenden Wertungsdivergenzen der Menschen führen kann, die in der Wirklichkeit eng zusammenleben müssen. Ich halte es für unbestreitbar, daß Menschen, die zusammenleben wollen, auch ein irgendwie kompatibles - aber nicht notwendig identisches - moralisches Weltbild haben sollten. Sie realisieren vieles gemeinsam. Befriedigend können ihre Handlungen für alle nur dann sein, wenn sie ähnliche gesellschaftliche Zwecke anerkennen und nicht ganz divergente Präferenzsysteme vertreten. Den Ausweg aus diesen Schwierigkeiten bildet das konsensuale Erzeugen gemeinsamer Zielsetzungen und die gegenseitige Anpassung der Präferenzen. Dies sollte in diskursiven Prozessen geschehen. Ein positives Ergebnis der Konsensbestrebungen ist aber nicht immer erreichbar. Das Feld und der direkte partnerschaftliche Zusammen schluß wird nicht immer möglich, bzw. nicht immer wünschenswert erscheinen. Diese Feststellung, daß Konformität der praktischen Einstellung nicht erreichbar ist, muß durchaus nicht pessimistisch gedeutet werden. Nach demokratischer Vorstellung ist die Welt nicht ein geistig, kulturell und moralisch einheitliches System, kein System der universellen praktischen Übereinstimmung, sondern ein System der Toleranz gegenüber anderen Lebensformen und WerteinsteIlungen. Die reale Gestaltung der Gemeinschaften wird Konformität (bzw. wenigstens Kompatibilität) nur in Gemeinschaften der direkten Kooperation anstreben, aber ein hohes Maß an Verständnis und Toleranz für divergierende Lebens-, Werte- und Kulturformen haben. Diese, sozusagen gestaffelte Konsensforderung je nach der Nähe der kooperierenden institutionellen Zirkel, muß aber noch differenzierter gesehen werden. Erstens, ist auch bei direktem Zusammenleben und enger Kooperation (z. B. in der Familie, in einem Betrieb, innerhalb einer politischen Partei, in einer Kirche) ein nicht unbeträchtliches Maß an persönlicher Besonderheit der Einstellungen akzeptabel. Zweitens, ist auch bei bloß nebeneinander stehenden Gesellschaften, Kulturen oder Staaten keine vollkommen uneingeschränkte Beliebigkeit der Einstellungen und der propagierten Postulate zulässig. Z. B. Herrschaftsansprüche von Gemeinschaften über andere Menschen, die als minderwertig oder untergeordnet angesehen werden, sind ebenso wenig akzeptabel und durch Toleranzforderungen gedeckt, wie religiöse Postulate des heiligen Kriegs, der Ausrottung Andersdenkender, u.ä. Die Forderung nach höchster Toleranz impliziert nicht Toleranz der Intoleranz. Bei Vorherrschaft einer offenen und demokratischen Lebensauffassung ist aber eine absolute Übereinstimmung der Wertüberzeugung auch bei engen Partnern nicht erforderlich. Tolerante Menschen können sehr gut mit Andersdenkenden

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auch eng zusammenleben. Ich z. B. habe keine Schwierigkeiten, mir ein harmonisches Zusammenleben zwischen einem gläubigen Katholiken und einem Protestanten, oder einem Atheisten und einem Gläubigen vorzustellen. Man unterstreicht vor allem in der politischen Theorie des öffentlichen und .staatlichen Lebens -, daß Demokratie einen gewissen Grundkonsens der Lebensformen und des Wertens erfordere. Ich glaube, daß bis auf eine gewisse Akzeptanz der demokratischen Leitideen - wie Anerkennung der gleichen Würde der Menschen und Ausschluß von extremen Heils- oder / und Ausrottungsideologien - ein friedliches und geordnetes Zusammenleben bei recht weitreichender Divergenz der Lebenseinstellungen sehr gut möglich ist, wenn man nicht meint, allein das absolut Wahre und Richtige zu kennen, und prinzipiell eine offene Kommunikationsgemeinschaft zu realisieren bemüht ist.

9. Schlußbemerkung Menschen konservativer Geisteshaltung, Politiker und Theologen konservativer Prägung befürchten den Verlust der Werte, wenn alte Strukturen aufgebrochen werden und überkommene Wertvorstellungen und der ihnen zugrunde liegende Glaube in Zweifel gezogen werden. In Wirklichkeit geht es den Reformern keineswegs um die Aufhebung der Werte und um die Aufgabe der Sinnhaftigkeit des Lebens, sondern um Transformationen der Wertesysteme und der gesellschaftlichen Strukturen unter veränderten Leitideen. Dem reformfreudigen Menschen scheint es evident, daß die Welt und die Gesellschaft sich verändern und daß neue technische, ökonomische und Umweltbedingungen einen Wertewandel implizieren. Die Realität des Wertewandels kann nicht aus der Welt geschafft werden. Es können aber Veränderungen angestrebt und in gewisser Weise auch realisiert werden, die Vorstellungen der Vergangenheit, Werte und Lebensformen früherer Epochen wieder zum Leben erwecken wollen. Das angestrebte Urbild ist dabei de facto nicht das Gedanken- und Wertesystem, wie es damals wirklich war, sondern eine historische Rekonstruktion, die als Urbild hingestellt wird, aber mehr imputierte Nachdichtung als historische Tatsache ist. Wenn fundamentalistische Bestrebungen für unsere Zeit die Rückkehr zu Urbildern als Heilsrezept vorschlagen, sind diese Urbild-Vorstellungen historisierende Idealisierungen, die nur partiell historisch getreu sind (aus hermeneutischen Gründen gibt es keine absolut treffende objektive historische Rekonstruktion), und es bleibt unbewiesen, ob diese ,.Rückkehr zum Urbild" - in Wirklichkeit zum Urbild-Konstrukt - wirklich ein gutes Rezept für die Gestaltung unserer heutigen WerteinsteIlungen sein kann. Ich sehe - im wesentlichen im Geiste der suchenden Reformer - unser Ethos als schöpferische Aufgabe. Es gab nie eine moralisch ideale Welt (es gab kein ..goldenes Zeitalter") und es gibt kein absolutes Rezept für die Bestimmung des objektiv Moralischen in jeder Situation. 11'

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Zwecke, Werte und Nonnen

Gewissen ist nicht die mystische Stimme des objektiv Guten in uns, sondern ein Name für die moralisch suchende Betrachtung im Geiste der menschlichen Solidarität und Selbstverantwortung. Nur der moralisch autonom Handelnde verkörpert die menschliche Würde. Moralische Verantwortung ist nicht Verantwortung vor einer äußeren Instanz nach vorgegebenen normativen Maßstäben. Moralische Verantwortung ist die autonome moralisch-kritische Reflxion, die von einer solidarischen Lebenseinstellung ausgeht. Angesichts der Dynamik der Wertesysteme sind wir nicht nur für die Erfüllung moralischer Pflichten verantwortlich, sondern auch für die Entwicklung moralischer Maßstäbe. Diese Auffassung der Moral liefert nicht die Beruhigung des illusorischen Glaubens, daß wir wissen, was das Richtige ist. Es bleibt die Last, moralische Konflikte lösen zu müssen, auf den Schultern jedes Einzelnen liegen. Pflichtgehorsam genügt nicht zur Begründung unserer moralischen Selbstzufriedenheit, wir müssen vielmehr zweifeln und suchen. Das Bewußtsein, daß wir an diesem Streben teilnehmen, kann uns befriedigen, nicht die illusorische Vorstellung, daß wir objektiv wissen, was das moralisch Richtige ist, und daß wir daher in unserer Pflichterfüllung das objektiv Gute tun.

Wissensaussage und die Unmöglichkeit ihrer Objektivierung Kann der Satz ,pi durch den Satz ,S weiß, daß pi begründet werden?

1. Problemstellung Sätze vom Typus, Wp' nenne ich Wissenssätze; ich lese diese symbolische Niederschrift in Worten "Wissen, daß p". In der epistemischen Logik wir die These, W(p) --t p' und die entsprechende Folgerungsregel "Aus ,W(P)' folgt ,p'" vorausgesetzt. Der durch die gnoseologischen Situationen, in denen er auftritt, bestimmte Charakter der Wissenssätze solI untersucht werden ebenso wie das Wesen der Implikation ,W(P) --t p'. Insbesondere solI die Frage erörtert werden, ob "p', weil ,W(P)'" gilt, resp. sinnvoII ist, d. h. ob ein Wissensinhaltssatz ,p' durch den entsprechenden Wissenssatz ,W(P)' begründet (bewiesen) werden kann. Die Schlußfolgerung von einem Wissenssatz zum entsprechenden Wissensinhaltssatz als Beweis dieses nenne ich ,Objektivierung des Wissenssatzes'. Es geht mir also in dieser Studie im wesentlichen um zwei Probleme: um eine erkenntniskritische Analyse der Wissenssätze und um die Frage, ob eine Objektivierung von Wissenssätzen möglich ist. Die Implikation, W(P) --t p' erscheint einerseits als evident, andererseits ist mit ihr ein skeptisches Unbehagen verbunden. Es sind - glaube ich - insbesondere zwei Momente, weIche den Satz --t p' als evident erscheinen lassen: I. Man kann offenbar nicht im gleichen Atem sagen ,Ich weiß, daß p und (nicht-p)' [ggf. ,(Das Subjekt S weiß, daß p) und (nicht-p)', ,(Es besteht Wissen, daß p) und (nicht-p)']. 2. Wenn man den Unterschied in der Bedeutung von ,wissen' und ,meinen' ins Auge faßt, dann scheint dieser gerade darin zu liegen, daß man von ,wissen' nur dann sprechen kann, wenn der Inhalt des Wissens zutrifft. Beim ,meinen' wird dies nicht mitverstanden. Es erscheint also prima facie berechtigt, wenn von ,wissen' und nicht nur von ,meinen' die Rede ist, den Wissensinhaltssatz aus dem entsprechenden Wissenssatz zu folgern.

,W(P)

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Wissens aussage und die Unmöglichkeit ihrer Objektivierung

Den Gründen des Unbehagens und der Zweifel an der Schlußfolgerung von

,W(P)' auf ,p' und der Möglichkeit einer Objektivierung von Wissenssätzen gibt Griffiths in seiner Einleitung zur Textesammlung "Knowledge and Belief' in psychologischem Gewand eindringlich Ausdruck. "It has already been said that if X knows that p is true, then p is true. Now if there were astate of mind unique to knowledge and logically necessary to it, it would have to follow that being in this state of mind guaranteed the truth of what was said to be known. But it is difficult to see what the state of any human individual's mind, whatever it might be, could have to do with the truth of such statements as ,The Sun is bigger than Jupiter' or ,The Pterodactyl is extinct.' But if we admit that states of mi nd are in no way connected with the truth of such statements, then it is possible that the state of mind can obtain whether or not what is said to be known is true; in which case the state of mi nd (which might then look very like belief, or opinion) is not unique to knowing."l Wir können von dem psychologistischen Gewand dieser Überlegung absehen. Wir gelangen in analoger Weise zu dem ebenso befremdlichen Eindruck, wenn wir nicht vom Problem der psychischen Zustände sprechen, sondern von der Begründung des Wissens, also von einer logischen und erkenntnistheoretischen Relation. Denn es ist doch in keiner Weise einzusehen, wie eine systemabhängige Charakteristik eines Gedankeninhalts (,'zum Wissenssystem gehören") ein Grund für das objektive Bestehen des durch den Gedankeninhalt beschriebenen Sachverhalts sein könnte. Ich werde meine Analysen nicht in Evidenzüberlegungen fortführen, sondern durch erkenntnistheoretische Untersuchungen der relevanten Problemsituationen eine Basis für einen klaren Standpunkt zu den oben angeführten Problemen zu gewinnen suchen. Evidenz ist nämlich kein Verdikt einer vorgegebenen aprioristischen Instanz, sondern abhängig von der KlarsteIlung der Struktur der gnoseologisehen Situation. Ebensowenig wie die Evidenz kann der Sprachgebrauch kompetenter Sprachbenützer zur Entscheidung philosophischer Fragen herangezogen werden. Auch der Aufbau und das Durchspielen proponierter epistemischer Kalküle bringt keine Klärung unserer Probleme, denn jeder Kalkül verbleibt bei den ihm zugrunde liegenden Festsetzungen. Die Adäquatheit dieser Festsetzung, die in dieser Studie zum Problem erhoben wird, hängt von der Struktur der einschlägigen gnoseologischen Situation ab und kann daher nur durch deren Analyse bestimmt werden. 2. Der Gegenstand des Wissens Was kann man wissen? Mit anderen Worten: Was ist Gegenstand des Wissens? oder eigentlich: Was kann Gegenstand des Wissens sein? Allgemein läßt sich sagen, daß Gegenstand des Wissens Sachverhalte sind. I

Vgl. Knowledge and Belief, Griffiths, A. Ph. (ed.), Oxford 1967, S. 7.

Wissensaussage und die Unmöglichkeit ihrer Objektivierung

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Sachverhalte werden in Aussagesätzen dargestellt, die als Kornmunikate die intersubjektive Infonnation über Sachverhalte vennitteln. Dieser Prozeß ist abhängig von gewissen pragmatischen Konventionen über den Informationscharakter der im Satz dargestellten Sachverhaltsbeschreibung. Der im mitgeteilten Satz dargestellte Sachverhalt wird vorn Absender der Nachricht als bestehend hingestellt und vorn Empfänger als Tatsachenbeschreibung verstanden (Behauptungskonvention 2). Für die nachfolgenden Überlegungen ist es wichtig festzuhalten: Der Inhalt des Wissens wird durch Aussagesätze ausgedrückt, und zwar durch Aussagesätze über jene Gegenstände, über die man etwas weiß, nicht aber durch Aussagesätze über Wissen oder über Personen und deren Wissen. In schematisierender Darstellungsweise kann man sagen: Wissen wird ausgedrückt in Sätzen von der Fonn ,p', nicht in Wissenssätzen von der Fonn ,W(P)'; das heißt: in der Ausdrucksform des Wissens über Sachverhalte treten keine epistemischen Operatoren auf. Gegenstand des Wissens sind - allgemein gesagt - beliebige Objekte (im allgemeinen Sinne des Wortes) betreffende Beschreibungen; diese Beschreibungen werden durch die Angaben von Eigenschaften der Objekte oder / und von Beziehungen zwischen Objekten gegeben. Inhalt des Wissens ist also nicht das, was durch Sätze vorn Typus, W(P)' oder expliziter ,Das Subjekt S weiß, daß p' ausgedrückt wird, sondern Inhalt des Wissens ist der Sachverhalt p selbst. Natürlich ist die Tatsache, daß eine bestimmte Person ein gewisses Wissen hat (oder nicht hat), wieder ein Sachverhalt, der Gegenstand von Behauptungen und des Wissens sein kann. Sachverhalte vorn Typus ,S weiß, daß p' oder ,Ich weiß, daß p' sind andere, und zwar strukturell komplexere Sachverhalte, die freilich wieder Gegestände des Wissens sein können. Wenn man de facto bestehende Sachverhalte (die also durch wahre Aussagesätze dargestellt werden können) Tatsachen nennt, dann kann man den Gegenstand des Wissens auch so bestimmen: Gegenstand des Wissens sind Tatsachenbeschreibungen. Ob diese Bestimmung durch den modifizierenden Zusatz ,,Beschreibungen von wirklichen oder venneintlichen Tatsachen" zu ergänzen und zu präzisieren ist, mag einstweilen offengelassen werden.

3. Sachwissen und sprachabhängiges Wissen Die Beziehungen zwischen Wissen, Sprache und Sachverhalten (resp. Tatsachen) führen zu gewissen Differenzierungen, welche das Wissen, resp. Behauptungen über das Wissen betreffen. Die Sätze (I)

S weiß, daß dies der Abendstern ist

(2)

S weiß, daß dies die Venus ist 3

2

Vgl. Weinberger, 0., Rechtslogik, Wien-New York 1970, S. 32.

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Wissensaussage und die Unmöglichkeit ihrer Objektivierung

können so verstanden werden, daß beide Sätze genau dieselbe Infonnation geben, oder aber so, daß sie verschiedene Infonnationen geben. Wenn ,Wissen' als reine Tatsachenkenntnis (ggf. die Kenntnis venneintlicher Tatsachen eingeschlossen) verstanden wird, dann ist es ganz unerheblich, mit welchen sprachlichen Mitteln der entsprechende Sachverhalt dargestellt wird; ob für einen Gegenstand dieser oder jener Name verwendet wird, ob das Wissen deutsch, französisch oder in irgendeiner anderen Sprache dargestellt wird. Das, was gewußt wird, ist in diesem Falle invariant in Bezug auf die sprachliche Ausdrucksweise. Dann haben aber (1) und (2) nicht nur immer denselben Wahrheitswert, sie können auch wahr sein, wenn S keinen dieser Namen kennt oder überhaupt der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Es kann hier sogar von Wissen gesprochen werden, ohne daß überhaupt sprachliche Äußerungen zustande kommen, denn es muß nicht präsumiert werden, daß das Wissenssubjekt sein gesamtes Wissen ausdrücklich sprachlich fonnuliert hat. Wissenschaftstheoretiker haben zwar eine gewisse Neigung, von Wissen nur dann zu sprechen, wenn irgendeine sprachliche Fonnulierung des Wissens vorliegt, auf die Bezug genommen werden kann, mir erscheint dies jedoch kein notwendiges Merkmal des Wissens zu sein; es genügt auch für logische und wissenschaftstheoretische Analyse nur die grundsätzliche - im einzelnen vielleicht gar nicht durchführbare - sprachliche Ausdrückbarkeit des Wissens anzunehmen. Anthropologisch gesehen ist dies adäquater als die Meinung, Wissen bestehe nur als sprachlich fonnuliertes Wissen, weil es den Weg zum Erfassen der Beziehungen zwischen Erkenntnisprozessen, der Sinneswahrnehmung, ggf. ererbter Infonnationen und dem ganzen Komplex vor- und außerwissenschaftlichen Wissens in seinem Zusammenspiel mit den Wissenschaften nicht versperrt, wie es die Gegenthese tut. Versteht man Wissenssätze in einem anderen Sinn, dann geben die Sätze (I) und (2) verschiedene Infonnationen; sie sind keineswegs äquivalent, sondern im Gegenteil voneinander logisch unabhängig, d. h. sie können beide wahr sein, beide unwahr, der erste wahr und der zweite unwahr, oder der erste unwahr und der zweite wahr sein. Wer weiß, daß dies der Abendstern ist, kann, aber muß nicht wissen (sc.: bei dieser Deutung von ,wissen'), daß dies die Venus ist, denn er muß ja das Sprachwissen, daß ,Abendstern' und ,Venus' denselben Gegenstand bezeichnen, nicht haben. So verstanden ist Wissen abhängig von der sprachlichen Fonnulierung des Wissensinhalts. Wir müssen festhalten: ,Wissen, daß ... ', ,Ich weiß, daß ... ', ,S weiß, daß ... ' und ähnliche Wendungen können verschieden verstanden werden, je nachdem, ob Sprachwissen einbezogen wird oder nicht. Dieser Unterschied muß bei der Analyse beachtet werden:

3 In (l) und (2) sei S ein beliebiges Wissenssubjekt, ggf. der Sprecher selbst. Näheres über die Frage des Wissensträgers bringe ich in Abschnitt 4, S. 169 f.

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a) ,Wissen' bedeutet reines Sachverhaltswissen - sprachunabhängiges Wissen. b) Wir verstehen ,Wissen' so, daß es nur dann besteht, wenn die Bedeutung der Sachverhaltsbeschreibung (d. h. der Satz) verstanden und ihr Inhalt gewußt wird - sprachlich formuliertes Wissen. Im Falle (b) wird Wissen als durch die Sprache vermittelt und gleichsam als an die Sprache gebunden aufgefaßt. Es geht hier darum, ob jemand das, was in einem Aussagesatz ausgedrückt ist, weiß, und zwar in der Weise, daß er dieses Wissen durch Vermittlung dieses Satzes hat. Da Wissen gegenständliche Sachverhalte, die Sprache, oder beides betreffen kann, kann das Wissen sein: I. Sprachunabhängiges Sachwissen (es ist zu bejahen, daß Wissen besteht, auch dann, wenn die sprachliche Darstellung des Wissensinhalts nicht verstanden wird);

2. Sachwissen in bestimmter sprachlicher Formulierung (Wissen ist nur dann zu bejahen, wenn die sprachliche Darstellung verstanden und ihr Inhalt gewußt wird); 3. reines Sprachwissen (es kann bestehen, ohne daß gewußt wird, ob die betreffenden Sachverhalte bestehen oder nicht bestehen, ob die Namen leer oder nichtleer sind [es kann z. B. gewußt werden, was ,perpetuum mobile' oder ,Gott' ist, ohne daß gewußt wird, ob ein perpetuum mobile (resp. Gott) existiert]; 4. Sprachwissen, welches sachfundiert ist; seine Quelle, Begründung und Funktionsweise im Denken gründet sich auf sachliche Beziehungen [z. B. das Wissen um die formalen Eigenschaften von Relationen - etwa ",größer' ist irreflexiv", das Wissen um die gegenseitige Ausschließlichkeit der Farben (im Sinne von Farberlebnisqualitäten), u.ä.].

4. Wissenssystem und Wissensträger Wissen bildet immer ein System, d. h. wir fassen Wissen immer als einen Komplex von Wissenselementen auf, die durch Aussagesätze dargestellt werden oder wenigstens darstellbar sind. 4 Das Wissen als System aufzufassen - mag der Wissenskomplex gegebenenfalls auch nur aus einem einzigen Satz bestehen - hat vor allem die Bedeutung, daß Wissen als Wissensbestand gewisser Subjekte, einzelner Personen, von Gruppen, einer Kulturgemeinschaft u.ä. aufgefaßt werden muß. Verschiedene Systeme können nebeneinander bestehen, ohne miteinander zu interferieren. Wissen als System aufzufassen ermöglicht es auch, eine innere Strukturie4 Ich möchte zwar grundSätzlich Norm- und Wertwissen nicht ausschließen, doch kann hier von dieser Frage abgesehen werden. Diese Frage würde eine eingehende Erörterung über das Problem voraussetzen, ob Norm- und Wertwissen im Erfassen von Norm- oder Wertsätzen oder von Aussagesätzen über Norm- oder Wertsätze besteht.

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rung des Wissens in Betracht zu ziehen und Beziehungen zwischen Wissenssystemen zu studieren. Wir treffen folgende terminologische Festsetzung: Wir werden von "Wissenssystem" sprechen, unabhängig davon, ob es um einen tatsächlichen oder nur angenommenen Wissenskomplex einer bestimmten realen Person oder eines Kollektivsubjekts oder einer fiktiven Person geht. Fragen, welche die Konstitution des Wissenssystems oder die Beschaffenheit des Wissensträgers betreffen (z. B. wie das Wissen einer Gruppe definiert und festgestellt werden kann) sind aus unseren Überlegungen ausgeklammert. Für die logischen, erkenntnistheoretischen und methodologischen Probleme, die hier untersucht werden sollen, sind diese Momente irrelevant, resp. sie werden als irrelevant betrachtet. 5 Da Wissen immer gewissen Subjekten (ggf. fiktiven) zugesprochen wird, werde ich allgemein vom Träger des Wissens oder des Wissenssystems sprechen, ohne zu unterscheiden, ob der Träger eine psychophysische Person, ein Kollektiv oder eine gedankliche Konstruktion ist. Nach dieser terminologischen Festsetzung gilt also: Jedes Wissenssystem hat einen Träger; jedem Wissensträger (Wissenssubjekt) wird ein Wissenssystem zugeordnet, welches sein Wissen darstellt. Den Träger werde ich mit dem Symbol ,so (oft mit Index), sein Wissenssystem mit ,Ws' (ev. mit Index) bezeichnen. Die Zuordnung zwischen Träger und seinem Wissenssystem wird durch Gleichheit der Indizes ausgedrückt. Da Wissen immer systemgebunden und laut Festsetzung immer Wissen eines Wissensträgers ist, werde ich den Wissenssatz ,Ws(P) , oder ,Ws;(P)' schreiben. Dies lese ich ,Wissen des Trägers S (oder Si), daß p' Jeder Satz von der Form ,W(P)' kann daher immer expliziter in der Form, Ws(P) , geschrieben werden. 6 5. Wissen und Wissensreflexion Selbstreflexion und vergleichende Reflexion

Wissen wird in Aussagesätzen über Sachverhalte ausgedrückt. Die Gedankenoperationen im Bereich des Wissens werden mit Sachverhalte ausdrückenden Sätzen durchgeführt. Man kann sagen, daß Aussagesätze immer über etwas referieren. Wenn man etwas weiß - oder in formalerer Sprechweise: wenn ein Subjekt Si weiß, daß p, dann referieren die Sätze, welche das Wissen des Subjekts Si ausdrükken, über gewisse Gegenstände, deren Namen in ,po auftreten. Sie referieren aber nicht über das Subjekt Si ebensowenig wie über das Wissenssystem W .. dessen Träger Si ist. ~ Dies kann eventuell zur Folge haben, daß bei der Anwendung der Ergebnisse unserere Analysen darauf Bedacht genommen werden muß, ob diese soziologischen Momente in dem Anwendungsfall tatsächlich außer acht gelassen werden dürfen. 6 Natürlich könnte man statt, Ws,(P) , auch äquivalent die Symbolik ,Ww , (P)' wählen.

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Wissenssätze von der Form, Ws(P) , sind dagegen nicht Wissen ausdrückende Sätze, sondern Sätze, welche eine Reflexion über Wissen, genauer über ein Wissenssubjekt und sein Wissenssystem ausdrücken. Wahrend Sachverhaltsaussagesätze (Wissensinhaltssätze) als Beschreibung von Tatsachen, d. h. objektiv bestehenden Sachverhalten, gemeint sind, dienen Wissenssätze der Reflexion über ein subjektzugehöriges Wissenssystem; sie haben nicht die Aufgabe, direkt eine Orientierung in der Welt zu geben, sondern sie ordnen und adaptieren das Sachverhaltswissen in kritischen Reflexionen. Aus der Tatsache, daß Wissen durch Wissensinhaltssätze, nicht aber durch Wissenssätze ausgedrückt wird, und daß Wissenssätze Sätze der Reflexion sind, entspringt die Problematik unserer Studie: Es steht die Frage zur Diskussion, ob es einen logischen Weg vom Wissenssatz, der immer systembetrachtend ist, zum objektiven Sachverhaltssatz gibt. Wissenssätze sind von zweierlei Art: Sätze eines Systems über ein anderes System oder Sätze der Selbstreflexion im Rahmen eines Wissenssystems. Wenn ein Subjekt S2 von einem anderen Subjekt SI sagt, SI wisse, daß p, dann kann dies zweierlei bedeuten:

1. S2 konstatiert, daß der Sachverhalt p von SI als Bestandteil seines Wissens angesehen wird. Da hier S2 sein Urteil über das wirkliche Bestehen von p zurückhält und nicht darüber befindet, ob p zu Recht als Wissen in WI auftritt, nenne ich so einen Satz ,Satz über das Wissen-Meinen'. 2. S2 beurteilt das Wissen von SI, d. h. er stellt fest a) daß W I P beinhaltet und b) daß p der Fall ist, daß SI also zu Recht p als Wissensbestandteil ansieht. In dieser Deutung geht es um einen Satz, den ich der vergleichenden Wissensreflexion zurechne und den ich ,systemvergleichender Wissenssatz' nenne. Mit den systemvergleichenden Wissenssätzen müssen wir uns näher befassen. Wird das Wissenssystem W I des Trägers SI von einem zweiten Wissenssystem W 2 beurteilt, dann werden zwei Wissenssysteme miteinander verglichen. Das Wissen des Trägers S2, das beurteilende System W 2 , wird zum Maßstab des beurteilten Systems W I . S2 wird von SI nur dann sagen, daß SI weiß, daß p, wenn der Sachverhalt p Bestandteil von W I ist und wenn S2 selbst gleichzeitig den Sachverhalt p als bestehend ansieht. Wenn nur die erste Bedingung erfüllt ist, d. h. festgestellt wird, daß der Satz ,p' zum Wissenssystem W\ gehört, aber vom beurteilenden Subjekt S2 nicht gewußt wird, ob p der Fall ist, dann kann S2 dem SI zwar glauben, daß SI weiß, daß p; sein Urteil über Wh nämlich die Behauptung ,SI weiß, daß p' in der unter Nr. 2 angegebenen Bedeutung ist aber nicht begründet. Wenn S2 sogar weiß daß ""p, dann kann S2 nicht behaupten, daß SI weiß, daß p, sondern höchstens, daß SI zu wissen meint, daß p, d. h. er wird nur einen Satz über das WissenMeinen aussprechen.

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Die systemvergleichenden Wissenssätze drücken einen Vergleich zweier Systeme aus, bei dem das eine - wir nennen es das beurteilende System - als Maßstab fungiert. Es ist offensichtlich, daß dieser Maßstab nichts Absolutes ist, sondern ein Bestandteil des beurteilenden Wissenssystems: der Geltungsanspruch dieses Maßstabes liegt in der Geltungsbegründung der entsprechenden Sätze im beurteilenden System. Ein systeminterner (oder selbstreflektierender) Wissenssatz liegt vor, wenn das reflektierende Subjekt mit dem Träger des Wissenssystems, das der Reflexion unterzogen wird, identisch ist. Der Wissenssatz ,Ws (p)' gehört dann zum selben Wissenssystem wie die Wissensinhaltssätze. In diesem Fall werde ich, Wso (p)' schreiben. Durch das Sternchen bei ,S' soll ausgedrückt werden, daß das beurteilende Subjekt der Wissensträger selbst ist. So ein Wissenssatz gehört zum Wissenssystem, das er beurteilt, er muß jedoch von den Sachverhaltssätzen des Systems streng unterschieden werden. Die Wissensinhaltssätze und die Wissenssätze bilden zwei getrennte Schichten des Wissenssystems. Die Begründung systeminterner Wissenssätze hat natürlich eine ganz andere Struktur als die der Wissenssätze der vergleichenden Reflexion. Bei der systeminternen Reflexion kann das Wissen des Systems selbst nicht als kritischer Maßstab genommen werden. Das im selbstreflektierenden Wissenssatz ausgedrückte Urteil gründet sich auf verschiedene Arten der Wissensfundamente. Im praktischen Leben, soweit es von philosophischer Analyse und Meditation frei ist, wird das ,ich weiß, daß ... ' global mehr oder weniger intuitiv gesetzt, wenn die Wissen fundierenden Momente wie: Sinneserfahrung, verläßliche Information, Erschließbarkeit aus anderen als Wissen gegebenen Sätzen, besteht, oder wenn der Inhalt des Wissenssatzes analytisch aus der Sprachstruktur hervorgeht. Hier werden die Erkenntnisfundamente und Gründe der Wissensbehauptung nicht immer explizit bewußt und nach ihrer Art unterschieden. Dennoch hat auch diese - ich möchte sagen: vorwissenschaftliche und vorphilosophische - Wissensreflexion ihre pragmatische Rolle: sie bewirkt eine Strukturierung des Gedanken- und Wissenssystems, welche auch für das praktische Denken außerhalb der Wissenschaften wesentlich ist. Denn die Antwort auf die Frage ,Weiß ich das?' führt zu Differenzierungen je nach dem Status des Gedankeninhalts vom Annehmen, hypothetischen Vermuten, Meinen mit verschiedenen Sicherheitsgraden, zum gesicherten Wissen und zum Wissen mit Notwendigkeitscharakter. Die Wissensreflexion ist der Weg zur erkenntniskritischen und philosophischen Analyse. Die epistemische Selbstreflexion ist verknüpft mit der Analyse der Wissensquellen und der elementaren oder systematisch entwickelten Theorie der Wissensbegründung. Uns geht es hier nicht darum, diese Analysen im einzelnen zu betrachten; dies würde die Gesamtheit der erkenntnistheoretischen Fragen und die Probleme der Wahrheitskriterien zur Sprache bringen. Es geht uns nur um einen Charakterzug

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dieser Analysen. Die Begründung des Wissens, daß P, besteht aus primären Wissenskonstatierungen (,ich weiß, daß PI', ,ich weiß, daß P2' - Z. B. aus unbezweifelter Sinneserfahrung) und aus einer begründenden Ableitung im Bereich Wissensinhalte. Das heißt: Wenn P durch PI, P2 begründet werden kann, dann ist der Wissenssatz Ws-(P) durch Ws' (PI) und WS·(P2) begründbar. Die indirekte (schlußfolgernde Wissens begründung stützt sich auf Beziehungen zwischen Wissensinhaltssätzen nach der Regel: Besteht zwischen den Sachverhaltssätzen (= Wissensinhaltssätze) die Beziehung, daß P durch die Prämissenmenge P begründbar ist, dann ist Ws- (P) durch Ws' (P) begründbar. Die begründungstheoretischen Beziehungen zwischen den Sachverhaltssätzen sind die entscheidenden Beziehungen der Wissensbegründung. Hinzu tritt nur die pragmatische Charakteristik der die Erkenntnis fundierenden Prämissen, welche die Prämissen der Wissensbegründung in primären Wissensinformationen verankern. Wenn ich hier von primären Quellen der Wissensinformation spreche, soll damit kein absolut fixer Anknüpfungspunkt angenommen werden; d. h. es wird nicht ausgeschlossen, daß die Geltung der in einer Wissensreflexion als primär fungierenden Wissenssätze in einer anderen Analyse hinterfragt werden kann. Die oben skizzierte grundsätzliche Abhängigkeit der epistemischen Begründung von Begründungsbeziehungen im Bereich der Wissensinhalte, d. h. der entsprechenden Sachverhaltsbeschreibungen rechtfertigt die Meinung von M. O. Hocutt, daß in der epistemischen Logik eigentlich nichts wesentlich Neues gegenüber den ohne epistemische Operatoren konstituierten Logiksystemen vorliegt. 7 Mir scheint die Bedeutung der epistemischen Systeme darin zu liegen, daß in ihnen die verwendete Denkweise und die angewandten Fundamente und Quellen des Wissens und seiner Begründung explizit gemacht werden. Ferner wird durch die epistemisch-Iogische Analyse nachgewiesen, daß die Gewinnung logisch abgeleiteten Wissens und die Wissensbegründung durch Operationen im Bereich der Wissensinhalte liegt. Die Wissensbegründung ist also von der Logik der Sachverhaltsbeziehungen abhängig und in den Theorien der Sachgebiete verankert, nicht in einer besonderen Theorie der epistemischen Logik. Die pragmatische Note als Wissen durch objektiv konzipierte Sachbeziehungen von epistemischen Prämissen auf epistemische Folgerungen übertragen. Durch die besonderen Regeln eines epistemisch-Iogischen Systems wird nur explizit angegeben, welche Operationen im Bereich der Sachverhalte zu Gewinnung und Begründung abgeleiteten Wissens herangezogen werden.

7 Seine Meinung, daß nur die Regel ,Aus W(p) folgt p' eine Ausnahme bildet, können wir einstweilen dahingestellt lassen, denn diese Frage wird als Thema der vorliegenden Studie genügend besprochen werden. Vgl. Hocutt. M. 0., Is Epistemic Logic possible, Notre Dame Journal of Formal Logic. Vol. XIII I 1972. S. 433-453.

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Es kann z. B. das Logiksystem gewählt werden, es können die Beziehungen für die statistisch-induktive Begründung bei der Wissensbegründung bestimmt werden, usw. Wie noch später gezeigt werden wird, kommt durch pragmatische Momente eine Differenzierung der Kriterien zustande, welche bestimmen, unter welchen Umständen Kenntnisse als Wissen anerkannt werden können, und wann sie bloß als Meinen, hypothetische Annahmen oder Voraussetzungen gelten (vgl. Abschnitt 9). Durch diese Verschiedenheit der Kriterien der Wissensreflexion entstehen aber nicht verschiedene epistemische Logiken. Das Wissens system wird durch die Wissensreflexion strukturiert. a) Es entstehen epistemische Schichten von Sätzen: Sachverhaltssätze (p, q, ... ), Wissenssätze (Ws-(P), (Ws· (q), ... ) und gegebenenfalls Sätze höherer Reflexionsschichten (Ws' (Ws· (P), ... ). b) Es tritt eine Differenzierung der Sätze des Wissenssystems nach ihren Erkenntnisquellen ein (primäre Erfahrungssätze, Verallgemeinerungen, Hypothesen, logische und sprachlich-bedeutungsdeterminierte oder analytische Sätze usw.) c) In Abhängigkeit von den unter b) angeführten Verschiedenheiten und anderen Momenten, welche die Erkenntniskritik bestimmt, erhält das Wissen verschiedene Gewißheitsbestimmungen und tritt in verschiedenen Funktionen ins Denken ein. Zu beachten ist, daß die Funktion des Wissens als Orientierung in der Welt durch die Schichte der Sachverhaltsbeschreibungen (p, q, r, . .. ) gegeben ist. Das Reflexionswissen kommt in der Denkpraxis in differenzierten Regeln über die Anwendungsweise des Wissens zur Geltung. Die außerordentlich große Wichtigkeit der Wissensreflexion (auch im vorwissenschaftlichen Denken) hängt mit dem wesenhaft tentativen Charakter der Erkenntnis zusammen. Die Erkenntnis, d. h. die Gewinnung des Wissens, ist in allen Phasen tentativ: das Erkennen des Gegenstands (z. B. daß die Person, welche ich zufällig auf der Straße treffe, mein Freund N. ist), wird zwar meist global bewußt, ist aber als Wiedererkennungsakt ein tentativer Prozeß mit hypothetischen Elementen und nachfolgender Überprüfung (ob es wirklich N. ist); die Subsumtion des wahrgenommenen Gegenstands, d. h. die Erkenntnis, daß ein Gegenstand einer gewissen Art vorliegt; die Explikation von Ereignissen und die Voraussicht des Ablaufs des betreffenden Vorgangs; die Erkenntnis von Strukturen und Wesensbindungen in den Erscheinungen durch Hypothesenbildung und deren Prüfung; die Deutung menschlichen Verhaltens als Handlungen und die Bestimmung der ihnen zugrunde liegenden Motive ist konstruktiv-hypothetisch und der Adäquatheitsprüfung zu unterwerfen; usw. Ich weiß nicht, inwieweit das tentative Moment in den Erkenntnisprozessen dem naiven (d. h. nicht philosophisch reflektierenden) Menschen im praktischen Leben bewußt wird. Die tentativen Momente treten jedenfalls verstärkt auf, sobald man erkenntniskritisch meditiert.

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Diese Momente des Tentativen im Erkenntnisprozeß können auch als Fragestellungen der Wissensreflexion angesehen werden, denn z. B. die Frage ..Weiß ich, daß dies mein Freund N. ist?" kann als Antrieb zur Prüfung der primären tentativen Wahmehmungssetzung ..Dies ist mein Freund N." gelten. Wissensreflexion ist in gewissem Sinne nur ein anderer Name für die Aufforderung zur kritischen Prüfung der Geltung tentativ gesetzter Wissensinhalte.

6. Der Begriff der Objektivierung eines Wissenssatzes Ich habe ,Objektivierung eines Wissenssatzes vom Inhalt p' die begründende Gedankenoperation genannt, durch die aus diesem Wissenssatz der objektivierte Satz ,p' gewonnen wird. Die Objektivierung ist also die Herauslösung des Wissensinhalts aus dem Bereich des W-Operators und seine objektive, d. h. wissenssystemungebundene Setzung. Durch diesen Terminus soll nicht darüber entschieden werden, ob oder / und wann so eine Operation als Begründung von ,p' gilt oder wann sie nicht gilt. Ich werde - analog wie man von gültigen und ungültigen Schlüssen spricht, obwohl eigentlich ,ungültiger Schluß' eine contradictio in adjecto ist - von gültiger und ungültiger Objektivierung sprechen. Der Übergang von ,Ws(P) , zu ,p', also die Objektivierung wird zum philosophischen Problem, weil diese Operation einen Weg anzudeuten scheint, wie von Wissen als einer systemgebundenen Kategorie, durch die nur eine der Erkenntnissituation entsprechende Geltung beansprucht wird, zur objektiven, vom Erkennen unabhängigen, absoluten These gelangt werden kann. Wissen wird immer in dem Sinne objektiv verstanden, daß es Sachverhaltsbeschreibungen beinhaltet, nicht Wissensreflexionen; in der über Wissen reflektierenden Betrachtung können aber die Grenzen der Systemabhängigkeit in keiner Weise überschritten werden. Dies wird nun im einzelnen zu zeigen sein.

7. Zum Problem der Objektivierung systemvergleichender Wissenssätze Der Wissenssatz ,Ws, (P)' drückt ein Urteil des Subjekts S2 über WJ, also das über das Wissen von SI aus. Neben der zu W 2 gehörenden Erkenntnis, daß SI weiß, daß p, kommt durch den Satz Ws, (P) - wenigstens implizite - zum Ausdruck, daß gemäß dem Wissen von S2 p der Fall ist. Die gnoseologische Situation ist also offensichtlich von so einer Struktur, daß diese Wissensaussage nur dann als Bestandteil von W 2 bestehen kann, wenn der Sachverhaltssatz ,p' ebenfalls zu W 2 gehört; durch die Erkenntnis des Subjekts S2,

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daß non-p der Fall ist, wird der Wissenssatz ,Ws, (p)' aus dem System W 2 ausgeschieden, widerlegt. Das Subjekt S2 kann aus seinem Wissenssatz über W 1 (resp. über SI), d. h. durch

,Ws, (p)' niemals ,p' begründen. Sein Wissen (d. h. das Wissenssystem W2) wird

hier als kritische Instanz vorausgesetzt. Das Subjekt S2 kann vielleicht eine subjektive Befriedigung darüber empfinden, daß auch SI dasselbe p-Wissen hat, wie es selbst, doch bedeutet dies wegen der kritischen Rolle von S2 gegenüber W 1 keine Begründung des Wissensinhalts p. Begründungstheoretisch besteht hier die gnoseologisch fundierte Asymmetrie: der Wissenssatz ,Ws, (p)' ist abhängig von ,p' als W 2-Inhalt; ,Ws, (p)' kann aber niemals Grund des p-Wissens von S2 sein, und noch weniger ein Beweis für das objektive Bestehen des Sachverhaltes p. Wenn ein Dritter - sagen wir: S3 -, der ,Ws, (p)' als Satz des Systems W2 betrachtet, kann er nur feststellen, daß, wenn Ws, (p)' zu W 2 gehört, laut Wissen des S2 das Bestehen des Sachverhaltes p von beiden Subjekten SI und S2 gewußt wird. Diese Feststellung spricht jedoch über ein Wissen-Meinen dieser Subjekte; von dieser Feststellung gibt es keinen gültigen Weg der Objektivierung. Ein Objektivierungssschluß von ,Ws, (P) auf den Satz ,p' ist nur in dem Sinne möglich, daß erschlossen werden kann, daß ,p' zu W 2 gehört, wenn W2 den Wissens satz ,Ws, (p)" enthält, weil sonst der Wissenssatz in W 2 nicht bestehen könnte. Aus der Tatsache, daß S\ weiß, daß p, folgt aber keine Begründung von ,p'; ebensowenig wie ,p' aus der Tatsache begründbar ist, daß das beurteilende System p weiß, wenn es S\ Wissen und nicht nur Meinen (oder Meinen-zu-Wissen) zuspricht. Es gibt hier keine logische Operation und es kann keine geben, welche die Wissenssystemabhängigkeit zu lösen erlauben würde.

8. Die Unmöglichkeit der Objektivierung von Sätzen über Wissen-Meinen Die Feststellung des S2, daß S\ P zu wissen meint, ist möglich - unabhängig davon, ob S2 p, non-p oder keines von beiden weiß. S2 wird dann nicht den wissensbeurteilenden Satz ,Ws, (p)' behaupten, sondern den rein feststellenden Satz ,S \ meint zu wissen, daß p', ,SI ist davon überzeugt zu wissen, daß p', was man symbolisch ,Ws, (Ws; (p))' schreiben kann. [Wenn S2 weiß, daß non-p, kann nur so ein Satz, nicht aber Ws, (P)' behauptet werden.] Der Satz, W\ (WS; (p))' konstatiert eigentlich nicht, daß S\ weiß, daß p, sondern daß S\ in seiner Selbstreflexion p als gewußte Tatsache anerkennt, S2 konstatiert hier nicht p als Wissen von SI, sondern die Tatsache, daß S \ den Inhalt des wissensreflektierenden Satzes ,WSi (P) weiß. Eine Objektivierung des Satzes ,p' aus dem Wissenssatz über das Wissen-Meinen von SJ, also aus ,W(Ws;(P))', ist vollends ausgeschlossen, denn dieser Satz kann auch wahr sein, wenn non-p der Fall ist (oder I und wenn S2 non-p weiß).

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9. Zum Problem der Objektivierung systemintemer Wissenssätze Die systeminterne Wissensreflexion zielt darauf ab, den gnoseologischen Charakter, den Gewißheitsgrad und damit die Verwendbarkeit von Wissensinhalten zu bestimmen. Der resultierende Wissenssatz ,Wso (p)' bringt zum Ausdruck, daß der Sachverhaltssatz ,p' als Satz von Ws die Prüfung bestanden hat (oder, wenn man einen Fallibilismus vertritt, wengistens: daß er sie einstweilen überstanden hat). Der Wissenssatz ist hier ein Ergebnis der kritischen Wertung der Erkenntnisoder Infonnationsquellen und der Beziehungen im Bereich der Sachverhalte. Zur Begründung des reflektierenden Wissenssatzes werden herangezogen: a) Argumente, weIche auf Primärinfonnationen fußen; man kann sie in primären Wissenssätzen ausdrücken; b) andere Sachverhaltssätze, weIche auf früherer Erfahrung beruhen; c) logische Instrumente. Die begründenden rationalen Operationen werden mit den Sachverhaltssätzen durchgeführt. Zwischen der Wissensreflexion und den den Sachverhaltswissensbestand bildenden Sätzen besteht ein gewisser Überftihrungsmechanismus. Ob man diesen Prozeß als rein logischen Prozeß ansehen soll, erscheint mir zweifelhaft. Jedenfalls aber ist es nicht ein Folgern von Wissenssätzen ,Wso (p)' auf das Bestehen des Sachverhalts p. Um diese Frage besser zu verstehen, müssen wir uns die Elemente der Problemsituation vergegenwärtigen. Es besteht eine gewisse Koordination zwischen Primärinfonnation und primärem Wissenssatz. Z. B.: Wenn sich das Wissen auf eine bestimmte sinnliche Wahrnehmung stützt, kann ich dies in einem protokollartigen Satz in der Ebene der Sachverhalte ("Die Sonne ist an diesem Punkt des Horizonts untergegangen") ausdrücken; ich kann aber auch einen Erlebnissatz aussprechen (,,Ich habe die Sonne an diesem Punkt des Horizonts untergehen gesehen") , und ich kann zu einem reflektierenden Wissenssatz gelangen ("Ich weiß, daß die Sonne an diesem Punkt des Horizonts untergegangen ist"). Auch der Erlebnissatz kann als Wissen reflektiert werden ("Ich weiß, daß ich die Sonne an diesem Punkt des Horizonts untergehen gesehen habe"). Wir sehen nun die Begründungszusammenhänge aus? Das Erlebnis ist primäre Infonnationsquelle und daher Grund des Sachverhaltssatzes. Transponiert in die Ebene der reflektierenden Sätze erhält man ,,Ich weiß, daß die Sonne an diesem Punkt des Horizonts untergegangen ist" - weil ich die Sonne an diesem Punkt untergehen gesehen habe (oder: weil "Ich weiß, daß ich die Sonne an diesem Punkt untergehen gesehen habe"). Ob hier der Begründungszusammenhang als Beziehung zwischen dem konstatierenden Wahrnehmungssatz oder dem Wissenssatz über die Wahrnehmung dargestellt wird, halte ich nicht für einen wesentlichen Unterschied. 12 Weinberger

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Man kann je nach der erwählten Darstellungsfonn verschiedene Überführungsregeln zwischen Wahrnehmungssatz und Sachverhalts- resp. Wissenssatz aufstellen; z. B. "Wenn wahrgenommen wurde, daß p, dann wird der Satz ,p' ins Sachverhaltswissen des wahrnehmenden Subjekts aufgenommen; (oder: dann ist der entsprechende reflektierende Wissenssatz ,Ws' (p)' als hinreichend begründet anzusehen)". Man kann hier reflektierend verschiedene Kriterien und Kautelen dazwischenschalten und auch das direkt Erlebte als Quelle der Infonnation, daß p der Fall ist, hinterfragen. Es bleibt aber auf jeden Fall so, daß der Wissenssatz sich auf Quellen stützt und von Momenten der Sachverhaltssphäre seine Begründung herleitet; er kann daher nicht als Begründung des Satzes ,p' gelten, denn dies wäre ein fehlerhafter Zirkel. Die Regeln, nach denen Wissen als hinreichend begründet gilt, sind in hohem Maße abhängig von der Problemsituation und den Zwecken der benötigten Information. Wenn ich in der Zeitung eine Anzeige über den Tod des Herrn A gelesen habe, werde ich dies als hinreichende Basis für mein Wissen, daß A gestorben ist, hinnehmen. Wenn ich aus einem anderen Inserat eine Infonnation über einen offerierten Artikel entnehme, werde ich diese Infonnation nicht als Wissen ansehen, sondern als einen zu überprüfenden Kandidaten auf Anerkennung als Wissen. Je nach der Situation und den Zwecken des Wissens (insbesondere als Handlungsbasis), wird als Bedingung des "ich weiß, daß ... " verschiedene Genauigkeit und Verläßlichkeit beansprucht werden. Die primären Infonnationen treten in Begründungszusammenhänge für andere Sätze ein. Ihre Struktur und das Niveau ihrer Stringenz wird abhängig sein von der Art der Sätze und der durch die pragmatische Situation erforderten Verläßlichkeit und Genauigkeit der Erkenntnis. Auch hier kann dann ein reflektierender Wissenssatz ausgesprochen werden "Ich weiß (auf Grund der Anerkennungs- und Begründungskriterien, die für diese Situation gelten), daß p". Man mag - wenn man hierfür eine Vorliebe hat - den begründenden Gedankenzug in der Ebene der Wissenssätze ausdrücken, d. h. den Primärinfonnationen primäre Wissenssätze zuordnen und von diesen ausgehend die zu begründenden Wissenssätze gewinnen; die vennittelnden Relationen sind aber immer Relationen zwischen Wissensinhalten (die Sachverhaltsbeziehungen entsprechen) und abhängig von den Theorien, die für diese Sachbereiche gelten (anerkannt werden). Wieder ist hier - mag man in der Sachverhaltssphäre selbst sprechen oder die Überlegung in das Gewand von Wissenableitungen kleiden - offensichtlich der gnoseologische Begründungsweg so gestaltet, daß der gewonnene Wissenssatz durch Primärinfonnationen und Sachverhaltsbeziehungen (inklusive logische Beziehung) begründet ist, daß aber der so begründete Wissens satz von der Fonn ,Ws' (p)' nicht als Begründung des Satzes ,p' gelten kann. Die gnoseologischen Verschiedenheiten der Wissensinhaltssätze (z. B. logische Thesen, empirische Konstatierungen, nomologische Aussagen usw.) und die kriti-

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sche Reflexion führen zu einer Schichtung des Wissenssystems und zu differenzierten Regeln der Wissensverwertung. Die Schichtung betrifft die Trennung von Sachverhaltsbeschreibung von den Reflexionen über deren Wissensstatus. Mit der Charakteristik als Wissen und mit der gnoseologischen Bestimmung des Charakters der Wissensinhalte sind unterschiedliche Anwendungsregeln für die betreffenden Wissensinhalte gekoppelt. In der alltäglichen Denkpraxis sind es gewohnheitsmäßige Vorgangsweisen, die hier ins Spiel kommen; der analysierende Philosoph wird sie durch ausdrückliche Regeln festhalten. Er wird z. B. Bedingungen angeben, wann Primärinformationen als Wissen in Zweifel gezogen und überprüft werden müssen. Diese Bedingung könnte der Konflikt mit anderen Primärdaten sein. Die Schichte der Wissensreflexionen führt zur Umgestaltung der Schichte des Sachverhaltswissens; die Wissensreflexion ist kritische Instanz gegenüber der Schichte des Sachwissens. Die Wissensreflexion selbst schöpft die Geltung ihrer Thesen vom Typus , Ws- (P) aus der Erkenntniskritik, nicht aus dem Vorhandensein des Satzes ,p' in der Schichte des Sachwissens. Zwischen den Schichten besteht also ein asymmetrisches Begründungsverhältnis. Die Wissensreflexion, welche die gesamte Theorie der Erkenntnis und kritischen Erkenntnisanalyse ausnützt, führt zu Ergebnissen, die sich auf den Bestand des Sachverhaltswissens wesentlich auswirken. Es kommen hier folgende Ergebnisse der Wissensreflexion in Frage: 1. Die Reflexion ergibt den Wissenssatz ,Ws-(P)'. Dies hat zur Folge, daß ,p' als Element des Sachverhaltswissens bestehen bleibt.

2. Die Reflexion ergibt, daß -'p der Fall ist, also den Wissenssatz ,Ws-(-.p)'. Dies führt zur Elimination von ,p' aus dem System des Sachwissens von S. 3. Es ist ein wesentlicher Charakterzug der Erkenntnis, daß es ein Drittes neben der Erkenntnis, daß p, und der Erkenntnis, daß non-p, gibt: das non-liquet, ob p, oder aber non-p der Fall ist. Symbolisch könnte dies geschrieben werden ,-.Ws.(p) /\ -.Ws-(-.p)' (in Worten ungefährt: Weder Wissen, daß p noch Wissen, daß non-p). ,p' bleibt weiterhin hypothetischer oder zweifelhafter Bestandteil oder noch unentschiedener Anwärter auf Zugehörigkeit zum Wissensbestand von S. Da diese Wissensreflexion ihrem Wesen nach systemintern ist, wird gefragt werden müssen, wie in dem System Meinen und Wissen zusammenhängen, wann in dieser Sicht überhaupt von Wissen gesprochen werden kann und soll und wodurch sich systemintern Wissen vom Meinen abhebt. Wenn man bedenkt, daß die Erkenntnis abhängig ist und bleibt vom System, seinen Informationen und deren Bearbeitung im System, dann erhält alles eigentlich den Charakter von Meinen. Das, was aus dem Meinen systemintern als Wissen her12'

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ausgehoben wird, ist das für den gegebenen Zweck und in der gegebenen Erkenntnissituation ausreichend begründete Meinen. [Soweit das System als Informationsbasis handelnder Subjekte auftritt, ist mit dieser Wissensmarke im System die Bereitschaft verbunden, dieses Sachwissen als Grundlage des HandeIns zu nehmen. 8 ] Wegen der Erfahrungs- und Systemrelativität kann - dies muß man kritisch reflektierend einsehen - keine von den subjektiven, d. h. informations- und systemabhängigen Faktoren unabhängige Objektivität erreicht werden. Das Meinen und Wissen (als ausreichend begründetes Meinen) wird aber objektiv (im Sinne von sachbeschreibend) verstanden. Es ist aber nicht objektiv im Sinne von subjektunabhängig. Begründungen folgender Art sind erkenntniskritisch gesehen ein Unding: Der Sachverhalt p besteht [sc. objektiv], weil Wso (p). Durch die systeminterne Erkenntnis Wso (P) wird der Satz ,p' nur als Satz der Schichte des Sachwissens legitimiert, es kann ihm aber hierdurch keine wie immer geartete systemtranszendente Geltung gegeben werden. Wenn man Ws.(p) ausspricht, drückt man dem Satz ,p' explizit die Marke des systeminternen Sachverhaltswissens auf. Wenn ,Wso(P)' wahr ist, gilt, daß ,p' zum Wissensbestand gehört, aber die absolute Objektivität des Sachverhalts p ist daraus nicht begründbar. Die Wissensreflexion zielt auch ihrer Anlage nach gar nicht auf so eine Objektivierung ab, sondern bloß auf die Sicherung des Platzes von ,p' in der Schichte des Sachwissens. Dies gilt alles offenbar von den sachinformativen Wissensinhalten. Als einigermaßen anders kann nur das Wissen angesehen werden, welches von der Sprachkonstitution abhängig ist. Dort ist der Begründungszusammenhang schon durch die Bedeutungsregeln gegeben 9 und kann daher insoweit informations- und systemunabhängig werden, als der Satz ,p' sprachlich als gültig bestimmt ist, also analytisch gilt. Daß die Mutter, Frau N., wenigstens ein Kind hat (oder hatte), ist insoweit objektiv und über das Wissenssystem hinaus gültig, als wenn eine Person N. existiert, die Mutter ist (dies bleibt eine systemrelative Erkenntnis), N. wenigstens ein Kind gebar. Bei der systeminternen Wissensreflexion besteht Wissen gen au dann, wenn ein Wissensinhalt hinreichend begründet ist und hierdurch jene Qualifikation erhält, die ihn für den Wissensträger als bestehende (d. h. praktisch gültige) Information und Handlungsbasis macht. Betrachtet man ein System aber als beurteilendes Subjekt S2, kann das Wissen p bestehen, auch ohne hinreichend begründet zu sein, nämlich, wenn SI p zu wissen meint und p der Fall ist (nach Wissen des S2). 8 Vgl. Braithwaite. R. 8.. The Nature of Believing. in: Knowledge and Belief. Ed. A. Ph. Griffiths.Oxford 1967. S. 30 f. 9 Camap. R.• Introduction to Semanties. Cambridge-Massachusetts 1948. 78 ff.

Wissensaussage und die Unmöglichkeit ihrer Objektivierung

181

Wenn man Wissen als Sachwissen (ohne Rücksicht auf sprachliche Fonnulierung) versteht, sind logische Transfonnationen im Wissenssatz zulässig. Z. B.: Wenn , Ws- (P), und pO analytisch aus p gewonnen werden kann, dann gilt auch

,Ws' (PO)'.

Wird Wissen aber als von der sprachlichen Fonnulierung abhängig betrachtet, dann muß S natürlich nicht wissen (d. h. hier nicht begründet haben), daß ,Ws' (PO)' gilt, wenn er weiß (begründet hat), daß, Ws- (P)' gilt. Die systeminterne Wissensmarke bedeutet - kritisch betrachtet - hinreichend begründetes Meinen. Natürlich relativ zu den pragmatischen Erfordernissen der Situation. Aus dieser Struktur des systeminternen Wissens ergibt sich: es gibt keine strikte Grenze zwischen Meinen und Wissen. Meinen wird der kritischen Analyse unterworfen, es kann in der systeminternen Wissensreflexion zum Wissen erhoben werden; doch jedes Wissen kann als Meinen weiteren Prüfungen oder Zweifeln unterworfen werden. Daher kann auch Wissen als Ergebnis von Selbstreflexion nicht objektiviert werden, soweit es sachliche, nicht nur sprachliche Relationen ausdrückt. Der Wissenssatz ,Ws(P)' ist Bilanz der kritischen Wissensreflexion. Er gilt als Legitimation von ,p' im Wissenssystem des Subjekts S, nicht aber als logischer Grund für eine systemtranszendente Objektivierung des Satzes,p'. Wenn ,Ws(P)' zurecht behauptet wird, bedeutet dies noch nicht, daß - absolut gesehen - Wissen mehr als begründetes Meinen sein kann.

10. Wahrheitsbeziehung zwischen Ws(P) und p

Es ist offensichtlich, daß der Wahrheitswert der Wissenssätze ,Ws(P) , (beider Art) keine Wahrheitsfunktion des Argumentsatzes ,p' ist. Damit ist aber nicht gesagt, daß der Wissenssatz ,Ws-(P)' (, Ws-(P)') von ,p' wahrheitsfunktional unabhängig ist. Es geht uns jetzt hauptsächlich um die Analyse des wahrheitsfunktionalen Bedingungssatzes (3)

Ws(P)

-+

p

der dadurch begründet zu sein scheint, daß man nicht gleichzeitig ,Ws(P)' und ,-'p' als wahr setzen kann. Die Anwendung wahrheitsfunktionaler lunktoren setzt voraus: 1. daß die mit Wahrheitswerten zu belegenden Sätze - die Teilsätze und die als Funktionswerte zugeordneten Sätze - semantisch bestimmt sind oder, wenn es Satzfonnen sind, daß sie nach Belegung aller Variablen durch Konstante zu semantisch bestimmten Sätzen werden;

182

Wissensaussage und die Unmöglichkeit ihrer Objektivierung

2. daß bei der Wahrheitsbewertung die Wahrheitswerte begrifflich gleichartig sind und demselben System angehören. [Es kann z. B. die Wahrheit eine Glaubenswahrheit (oder ein subjektives Meinen) sein, doch wird sich dann alles in dieser Sphäre bewegen und die Folgerung nur in diesem Rahmen Geltung haben.] Nun ist zu fragen, ob der Bedingungssatz (3) in den drei Fällen a) Se1bstreflexion b) vergleichende Reflexion c) Wissen-Meinen-Satz die Bedingung 1 und 2 erfüllt. Ad a): Ich habe die Trennung der Schichte der Wissenssätze von der Schichte der Sachverhaltssätze (Wissensinhaltssätze) gefordert. Diese Forderung läßt es zweifelhaft erscheinen, ob hier die Bedingung 2 erfüllt ist. Sollte diese Schichtentrennung nicht gerade schichtenvermischende Sätze und deren Folge, nämlich: schichtenvermengende Argumentationen, verhindern? Meine Ansicht, daß aus dieser Schichtentrennung auch die Illegitimität solcher schichtenvermischenden Sätze wie (3a)

Ws-(P) -. p

folgen sollte, erscheint durch folgende Überlegung unterstützt. Wenn (3a) als einwandfrei akzeptiert werden würde, müßte nicht nur die Folgerung (modus ponens)

Ws·(p) p

sondern auch die Folgerung (modus tollens)

gelten. Nun schließt m.E. die Asymmetrie der Begründungsbeziehung zwischen Wissenssatz und Sachverhaltsatz aus, daß aus einem Sachverhaltssatz etwas über die Geltung des Wissenssatzes bestimmt werden kann. Es ist doch die Rolle des Wissenssatzes, als kritische Instanz über die Schichte der Wissensinhaltssätze zu fungieren. Daß umgekehrt ein Satz dieser Schichte einen Wissenssatz begründen oder widerlegen könnte, scheint inadäquat.

Wissensaussage und die Unmöglichkeit ihrer Objektivierung

183

Auch vom Standpunkt der ersten Bedingung für die Anwendung von wahrheitsfunktionalen lunktoren lassen sich gegen (3a) Einwände erheben, wenn man nur überhaupt anerkennt, daß Wissenssätze von Sachverhaltssätzen zu trennen sind. Die semantische Unbestimmtheit von (3a) liegt darin, daß nicht geklärt ist, zu weicher Schichte (3a) zu rechnen ist. Es gibt grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten, die Situation zu lösen. I. (3a) kann als sinnlos angesehen werden, weil er eine - in diesem Fall als unzulässig angesehene - Schichtenvermengung enthält. M.E. ein durchaus vertretbarer Standpunkt. 2. (3a) kann als Satz der Wissensreflexionsschichte bestimmt werden. Diese Festsetzung entspricht dem Grundsatz ,,Alle Wissensreflexion enthaltenden Sätze gehören der Schichte der Wissenssätze an". Technische Schwierigkeiten dürften unvermeidbar sein, denn es kann immer durch Schlußfolgerungen zur Abtrennung des einen Teils des gemischten Satzkomplexes kommen. Ist die Konklusio ein Sachverhaltssatz, dann könnte dies als Bestimmung für die Sachverhaltsschichte gelten; wäre die Konklusio ein Wissenssatz, dann bestünde (die schon früher besprochene) Schwierigkeit, daß Wissenssätze durch Sätze jener Schichte bestimmbar wären, denen gegenüber die Wissensreflexion als kritische Instanz fungieren soll. Solche Schlüsse würden wohl den Grundsatz der Schichtentrennung verletzen. 3. (3a) könnte als Satz der Sachverhaltsschichte angesehen werden. Dies erscheint mir mit einer Schichtentrennung nicht verträglich. 4. Die gemischt-zusammengesetzten Sätze können einer besonderen Schichte (oder je nach Struktur mehreren solchen Schichten) zugerechnet werden. Dann sind besondere methodologisch adäquate Folgerungsregeln zu bestimmen, welche der Begründungsasymmetrie Rechnung tragen müßten. Meines Erachtens ist dies ein nicht unkomplizierter, aber gangbarer Weg. Zusammenfassend kann gesagt werden: akzeptabel ist entweder der Ausschluß von (3a) als illegitim (Nr. I), oder solche Festsetzungen, welche besondere Folgerungsregeln, die die Asymmetrie der Beziehung zwischen Wissensreflexion und Sachverhaltsaussage beachten, für Sätze gemischter Struktur festlegen (dies betrifft Nr. 2 und Nr. 4). Ad b): Bei der vergleichenden Wissensreflexion besteht für den zu analysierenden Satz vom Typus (3) eine zweifache (oder gar dreifache) Deutungsmöglichkeit: I. (3) kann so verstanden werden, daß der Hintersatz ,p' als Satz von W 1 angesehen wird; dies läßt sich folgendermaßen symbolisch andeuten: (3)'

Ws, (P) -+ P(W,)

Wenn man den Satz so versteht, ist er kaum problematisch, denn ,P(Wl)" d. h. die in W 2 bestehende These, daß der Satz ,p' zu W 1 gehört, ist Bedingung dafür,

184

Wissensaussage und die Unmöglichkeit ihrer Objektivierung

daß S2 behauptet werden kann, daß S\ weiß, daß p. Ja ,P(WIl' besagt kaum etwas anderes als, Ws, (P)', außer daß, Ws, (P)' auch implizit ausdrückt, daß S2 selbst ,p' für wahr hält. 2. (3) kann bedeuten (3)"

Ws, (P) -. P(W,)

(3)" bringt zum Ausdruck, daß, wenn S2 ,p' als Bestandteil des Wissens von S\ charakterisiert, er damit selbst p zu den Tatsachen rechnet, d. h. ,p' Bestandteil von W 2 ist. Auch in (3)" scheint mir nichts Problematisches vorzuliegen. Weder (3)' noch (3)" kann Basis für einen Objektivierungsschluß sein. 3. Würde man den Satz vom Typus (3) der vergleichenden Wissensreflexion im Sinne (3)

Ws,(P) -. p

verstehen, wobei ,p' als sowohl von W\ als auch von W 2 unabhängig, einfach als objektiver Satz, angesehen werden würde. Dann muß aber die Geltung von (3) bestritten werden. Der Satz enthält eine unbegründete Transzendierung der Wissensreflexion ins Objektive. Dies muß die erkenntniskritische Reflexion als grundsätzlich verfehlt ablehnen. Das heißt, die in Nr. 3 gegebene Deutung durch (3), weIche allein zum Objektivierungsschluß führen würde, ist erkenntnistheoretisch betrachtet ein Unding. Ad c): Daß ein Satz über Wissen-Meinen keinen Objektivierungsschluß zuläßt, erfordert keine nähere Betrachtung, da hier die Geltung eines Satzes vom Typus (3) gar nicht in Frage kommt, denn in

Ws, (Ws,

* (P)) -. p

kann ,p' sowohl im objektiven Sinne als auch im Sinne eines Satzes von W 2 unwahr sein, obwohl der Vordersatz von (3)M wahr ist. Objektivierungsschlüsse gibt es nicht und keine begriffliche Spielerei, die einen Satz vom Typus (3) mit objektiv verstandenem Hintersatz als evident vortäuscht, kann die Systembindung und die Situationsbeschränkung für das Erkennen überwinden.

11. Rechtstheorie, Ethik und Gerechtigkeitstheorie

Logical Analysis in the Realm of the Law 1. Methodological Preliminaries

The modem conception oflogic is based on the principle oftolerance. The maxim "Logique oblige" is understood as a postulate to adhere strictly to the forms and rules of the system while the system itself can be constructed in a variety of ways. I This freedom in the construction of logical systems makes it necessary, on the other hand, that a proposed system has to prove its validity. The system's appropriateness for its purpose has to be examined. To establish a semantic system that is appropriate for use in jurisprudence (and all action-related disciplines) means justifying it methodologicaIly. The distinction between descriptive and practical sentences is based on the fact that this distinction is a necessary precondition for constituting the concept of action. 2 The thesis "being does not entail ought" (as weIl as the reverse claim) is not a provable logical truth but a postulated principle serving the semantic separation of descriptive and prescriptive sentences in the process of constructing normlogical systems. The conditions for applying the principles of deontic logic in the realm of law are not fulfiIled, since deontic sentences are treated as propositions and the mutual definability of deontic operators presupposed in the standard systems of deontic logic is not generally applicable. "Wh at is not (explicitly) forbidden is permitted" is not valid in open systems, as the normative status of some given facts within these systems is not defined. The fact that may (permission) does not playas fundamental a part as ought (obligation) in the normative context becomes evident if one considers that a normative system containing only may-sentences and no ought-sentences would not provide any regulation of behaviour, since to regulate always means to limit (exclude) possible forms of behaviour. Such exclusions cannot be achieved by permissions, as those do not exclude any possible behaviour. They cannot be infringed. (Consequently both behaviour p and behaviour non-p can be permitted without logical contradiction.) The conception that logical consequences of ought contents are obligatory - as presupposed by the standard systems of deontic logic - is inadequate, precisely because of the possibility that the obligations may not be fulfilled. I

2

Cf. Carnap's thesis "There is no morality in logic"; Carnap (1968). Cf. Weinberger (1996).

188

Logical Analysis in the Realm of the Law

We have to examine the principal features of normlogical inferences more c10sely and demonstrate why the possibility of non-compliance with the demand of ought limits the logically valid inferences. In any case, we have to adhere to the principle that the making of logical inferences must not be productive. For the 10gic of norms this means that no ought (obligation) not already contained in the premises must be derived from them by inference. The following two inference-schemes can be cited as essential examples of inferences which are recognized by deontic systems of logic although their validity is problematical: (i) From 'O(p /\ q)' follows 'Op' and 'Oq' (the splitting of the conjunction in the ought-sentence). (ii) From 'Op' follows 'O(p V q)' (the so-called Ross' Paradox).

The proposition-logical inferences "From 'p /\ q' follows 'p' and 'q'" and "From 'p' follows 'p V q'" which form the basis of the norm-logical inference schemes, referred to above, are not, of course, called into question. The rejection of schemes (i) and (ii) is justified by doubts about a principle c1aiming that the logical inferences of the ought-content (contained in the norm sentence) give rise to derivable ought-inferences. Logically equivalent transformations of ought-contents are permissible; this is a direct consequence of the extensional description of the given facts underlying the normative content. This does not mean, however, that every logical inference of an ought-content infers an obligation, i.e. brings about a norm-logical consequence. The fact that obligations (ought-contents) which are non-tautological can be infringed (Le. not complied with) is indisputable and an essential characteristic of norms in general. It is quite possible - and this has to be taken into account when assessing the validity of inference schemes (i) and (ii) - that the conditions p, q are not realized even if the premises are valid (in a system of norms under consideration). There is a possibility that the conditions [here: p, q] occurring in the premises may be infringed by the intended addressee of the norm (i.e. not realized). What that means for the norm-logical inference relations can be demonstrated by examining quite generally the relationship between evidence and inference relations. Proof on the basis of inference relations is achieved precisely when all the premises are tme (respectively valid). In inferences couched in purely descriptive language the conc1usion is proved if all the premises of a valid inference are true. In that case the conc1usion is a proved sentence of the respective system of propositions. If apremise has a normative character (or - in the currently prevalent interpretation of deontic sentences - gives an account of the validity of an ought or may within the norm system) there is, neverthe1ess, a possibility that the obligation is not fulfilled although it is valid (that the deontic sentence - for instance 'O(p /\ q)' or 'Op' - is true).

Logical Analysis in the Realm of the Law

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In using the inference relation (i) as a basis for an argumentation one proves that 'Op' and 'Oq' are - on the basis of (i) - true as independent propositions concerning the respective system of norms, i.e. that 'p ought to be' and that 'q ought to be' are valid as norms of that system, that is, regardless of whether the other partial obligation is fulfilled. Although it is true that the given facts of the situation (p /\ q) can only be realized if both p and q are realized this does not mean that each part of the obligation stands as a separate obligation. If one partialobligation of the conjunction is not realized there is no reason why the other partialobligation should be regarded as binding. (Compare the relations between complementary goods.) It might even make sense for a partialobligation of a conjunctive oughtcontent to be prohibited if the other part is not realized. The criticized inference (i) would strengthen the ought situation established by the premise whereas additional obligations must not be created as a result of norm-logical inferences. In order to demonstrate the independent validity of the p-obligation and of the q-obligation this ought-situation has to be expressed by the juxtaposition of 'Op' and 'Oq'.

Note: From 'Op' and 'Oq' follows 'O(p /\ q)' (but not vi ce versa). On the basis of scheme (ii) 'O(p V q)' is proved from the validity of 'Op'. In this context q can be anything, e.g. the murder of a neighbour or -'q. An ought norm with a disjunctive content is fulfilled if at least one argument of the disjunction is fulfilled. If 'O(p V q)' is proved in accordance with (ii) any option al fact is made an obligation, e.g. also the murder of a neighbour or even '-.p', i.e. the negation of the ought content of the premise. The absurdity of this conclusion is obvious. Von Wright's attempt to justify (ii) does not convince. While it is true that both norms, the premise and the conclusion of (ii), can only be fulfilled by the realization of p and that both these norms are valid if the inference scheme (ii) is presupposed, this does not change in any way the fact that the premise 'Op' can be infringed and that the norm 'O(p V q)' is proved if (ii) is accepted and that all the absurd consequences mentioned above would ensue, namely, that any action or omission whatsoever becomes the fulfillment of an obligation. It appears to me that the inference schemes (i) and (ii) are presupposed in analogy with the alethic system of modal logic although it is weil understood that inference schemes taken from modal logic cannot safely be transferred to the realm of norms. We have always known that 'p --+ (;p' and Dp --+ p' have no deontic analogy.

Von Wright has described the finding of a satisfactory theory of the conditional norm sentence as the touchstone of norm logic;3 and rightly so, considering that in the practical application of normative disciplines - especially so in the legal context - ought is usually defined in terms of dependence on conditions. The content

3

See von Wright (1984).

190

Logical Analysis in the Realm of the Law

of laws and of other legal sources expresses a conditioned ought as a rule. A sentence expressing a conditioned ought has to have the following characteristics: (a) It has to be a normative sentence; it has to be able to present the meaning and purpose of norm-setting acts of volition. (b) It must give expression to the conditions for actualizing the conditioned ought and express the nature of the obligation once the conditions have been fulfilled. (c) The validity of the conditioned norm sentence does not depend on whether the condition is fulfilled or not. If the condition is fulfilled, then the conditioned ought is actualized. The logical operation, which is defined by the rule of detachment, corresponds to this process: the fulfilled condition can be omitted and the norm stating that the ought conditionally stipulated in the premise is unconditionally valid can be achieved. The standard systems of deontic logic propose two different formulas for expressing the conditioned ought: (A)

p -+ Oq

O(p

(8)

-+

q)

Form (A) is, in my view, unsuitable for expressing the normative sentence, for the following reasons: (a) The fact that the sentence in its entirety is a norm sentence (respectively, a sentence about the validity of a norm sentence) does not find expression in this form. (b) If 'Op' is interpreted as an ought sentence (i) infringes the principle stating that arguments of proposition-Iogical functors can only be sentences capable of having truth values, Le. propositions. (c) The sentence '...,Oq --+ ""p' which is equivalent to (A) also proves problematical, since it can hardly be described as a conditional normative sentence: it is a norm (or a sentence about the validity of a norm) that here appears as conditioning whereas the non-normative given fact ""p is stipulated as conditioned. (d) If 'Oq' is seen as the proposition stating that the norm 'q is obligatory' is part of the norm-system in question then this proposition is made dependent on the fact p without, however, stipulating an obligation of q which depends on the condition p. (e) As the rule of detachment would, indeed, be valid, there would be a problem with the modus tollens propositions about two norms, 'p --+ Oq' (where this can be understood as aproposition about the validity of a conditional normative sentence) and '...,Oq', would serve to justify a non-normative fact, namely, '''''p'.

Logical Analysis in the Realm of the Law

191

Von Wright rejects (A) as an expression of the conditional norm and pieads for (B) as an adequate form for expressing the conditioned ought. This norm obliges its addressee to ensure that non-p or q are not the case. If p is the case - which can, obviousIy, occur either as a fact independent of an act of volition or as the resuit of an action on the part of the addressee - then there is, in the author's view, a practical necessity for the addressee to realize q. We now have to examine whether this is an acceptable explication of the conditional normative sentence, or, in other words, an acceptable expression of conditioned ought. It is for the following reasons that I doubt the appropriateness of this explication:

(a) Form (B) does not express whether the conditioning and the conditioned parts of the sentence are conceived as normative or as descriptive, respectively, which argument is to be regarded as normative and which as descriptive. (b) 'O(p -+ q)' and 'O(-.q -+ -.p)' are logically equivalent but the respective interpretations of these formulas as conditional norm sentences, clearly, have different meanings: 'If p then there ought to be q' does not have the same meaning as 'if -.q then there ought to be -.p'. (c) Our understanding of conditional ought is, that there is no ought (no obligation exists) as long as the condition is not fulfilled. In form (B), on the other hand, there is aiways an ought for the addressee, namely, to bring about -'p or to cause q to happen. I am of the opinion that this is fundamentally different from the conditional ought. (d) Neither is it adequate, in my view, to regard the conditional norm as a norm which instructs either to prevent the condition from occurring or that which is conditioned from being realized. The norm HIf you have an income you ought to pay income tax" does not require the addressee not to have an income or to pay taxes. The inadequacy of the proposed explication for the conditioned ought is even more marked in the penal norm. In this explication it offers the choice of either not committing the criminal act or of accepting the punishment. In reality the addressee is not given the choice between the criminal act and the criminal act plus acceptance of the sanction as presented in form (B).

2. Reasons for a Genuine Logic of Norm Sentences There can be no dispute about the fact that logically incompatible norms do exist, norms, that is, which for logical reasons - not just factually - cannot be fulfilied simultaneously. These are norms which prescribe and prohibit the same things [Op - O-.p]. It is equally inconsistent to prohibit and permit the same things [Op - p-.p]. It is obvious, furthermore, that inferences beionging to the same type as the rule of detachment and as the rule de omni et nullo are valid in the realm of norm sentences. The adequacy of the formal presentation of these rules may be

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controversial but the fact that they have validity can hardly be denied. Hence it is possible and necessary to construct a genuine logic of nonns.

3. The Role of Logical Analysis The structural theory of law and juristic argumentation present the key problem areas of modern legal theory. They depend essentially on logical analysis. Structural theory ex amines the fonn which is used to present legal contents - the so-called tenet of the legal sentence - as weB as the unity and structure of legal rules and principles, legal dynamics and the justification of legal decisions. All these questions are c10sely connected with logical analysis. In the theory of justice, too, especially in studies concerned with the concept of equality, logical analysis plays a crucial role.

4. The Limits of Logical Analysis Apart from the positive contribution which logic renders to jurisprudence it is also important, I believe, to recognize the limitations of logical analysis, i.e. to acknowledge what logic is not able to achieve in this context. Logical analysis is not capable of providing jurisprudence and legal philosophy with the ultimate substantiation of legal principles. In legal life - as in any other fields - logic is no more than a tool used in argumentations and a critical authority against specious arguments. It cannot, however, replace nonnative or value premises. It is precisely an understanding of the instrumental character of logic that prec1udes regarding practical reason as the source of knowledge about right (just) law. The "Logic of Law" rests on a non-cognitive basis, being aware of the fact that systems of logic do not produce premises for nonns and values - as little as they can provide the empirical laws of physics on which the study of nature is based. The logic of law does not supply us with the foundations for a "rationalist" naturallaw.

5. Two Stages of the Theory of Legal Sentences The theory of the legal senten ce initially aimed at finding a general fonn by which the entire content of legal sources could be expressed. There were chiefly two structures that were under discussion: the general (generally addressed) hypothetical nonn sentence and the sanctioning nonn sentence as defined by Kelsen. Later developments have shown up the necessity of differentiating between different fonns of legal sentence: legal principles were distinguished from nonns of behaviour because the logical application of principles to the process of detennining

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legal decisions was shown to differ fundamentally from the application of rules of behaviour. 4 The rules for generating norms which form the logical basis for the empowering process have a structure that diverges from other conditional norm sentences. 5 This structure can be indicated by the following scheme (which cannot be obtained by substitution from an ordinary conditional norm sentence): "If an empowered organ stipulates an act of volition that norm N is to be valid then N is regarded as norm of the empowering system". Note: Kelsen's much discussed sanctioning form of the legal sentence had two intellectual sources: (i) Kelsen's conviction that only one's own behaviour can be willed whereas an addressee's behaviour in accordance with norms can only be effected by motivators (the threat of punishment or the promise of reward). (ii) Kelsen's effort to distinguish the law in general and formally from other types of norms - above all, from moral norms. It is, in fact quite possible to will and command the behaviour of others; to assume, that only punishment and reward of the addressee act as motivation is to practice a problematical form of sociology. It is hardly the way to achieve the formal distinction of legal norms from other types of norms considering that proces ses generating laws can also produce sanctionless norms. The suggestion that the process of generating laws produces norms which are not legal norms is not an altogether plausible theory. This conception also conflicts with the dynamic theory of the validity of law which regards the generating processes as the only criterion of validity.

The highest organs of state are not motivated by sanctions or rewards in their decisions, and to interpret their relations with the law as mere moral duty is to violate the unity of the norm-logical structure of the legal order. In the classical "Pure Theory of Law" Kelsen argues that the norm expressing the duties of the legal subjects is superfluous since it follows logically from the sanctioning norm. [The behaviour norm does not, however, follow logically from the form of the sanctioning norm. The basic norm of the tax law "If you have an income you must pay income tax" takes the same form as the penal norm, but nobody would conclude that we are to infer from the tax norm that we are not to have an income. We can only read the sanctioned behaviour norm from the hypothetical norm if we know that the respective conditional norm is a penal norm, i.e. based on the non-fulfillment of a behaviour norm.] In Kelsen's later theory wherein the validity of norm-logical inferences is denied, the thesis, that the behavioural norm is redundant, cannot be maintained. Although this does not correspond to Kelsen's teachings - the setting of sanctions by the institution of the state is obligatory - it is tempting to assurne on the 4 5

Dworkin (1977). Weinberger (1989).

13 Weinberger

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basis of the sanction-fonn of the legal sentence that there is no legal obligation if de facto no sanction has been set or if there is no danger that any might be set. There is, therefore, a great deal to be said against the sanction theory of the legal sentence. The fact that the legal system is a system containing sanctioning nonns does not imply that every nonn of this system takes the fonn of a sanctioning nonn.

6. The Unity ofthe Legal System The problem of the unity of the legal system has a factual and a logieal aspect. If the legal order is referred to as a unity this is because the system is regarded as a specific kind of system of nonns which has to be rationally conceived of as being free of contradictions. The ideal of the system's rational unity is the necessary prerequisite for detennining unambiguously what is prescribed, what is pennitted and what power has validly been conferred to legal subjects. Considering, however, that we cannot assume automatically that the generating of legal rules always takes place in accordance with a hierarchie plan the unity of the legal system has to be understood as the result of a rational reconstruction achieved through the efforts of legal dogmatics rather than the result of generating laws realized by a hierarchically ordered process of conferring power for the creation of nonns. The unity of the legal system has to be considered from two perspectives: (a) as consistency of the prescribed behaviour and (b) as unambiguousness in the process of detennining competences. The model of the hierarchic structure of the legal system, as defined by Merkl and Kelsen, is meant to offer a solution for both requirements. The unambiguous structuring of the agencies gene rating laws in conjunction with the theory of the hierarchy of nonns provides a model which realizes the stipulated unity of the legal order. There is no proof, however, that this is the only possible way of achieving a consistent legal ought and unequivocal definitions of competences. Processes generating nonns without hierarchic detennination are logically capable of coexisting without conflicting with each other if the regulated subject matters of different areas are disjunctive - although it is doubtful that this can be strictly adhered to. In the actual reality of legallife, in particular in the co-existence of European law with the legal systems of the individual member states, these coexisting legal systems do not fonn a unified hierarchical legal order. 6 European law has precedence before the legal provisions of the member states and, therefore, possesses a higher hierarchical status within the legal systems of the member states than the laws of the individual states. Nevertheless, the institutions of the EU are deter6

See MacConnick (1994).

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mined by processes taking place in the member states. The legal systems of the member states cannot, therefore, be regarded as delegated systems of the EU. (Compare also the principle of subsidiarity in European law.) The unified structure of a valid legal system can only be achieved, therefore, in my opinion, by practical decisions and - with reference to these - by rational reconstruction carried out by legal dogmatics.

7. Consistency of Legal Systems The postulate of consistency which prohibits that one and the same thing should be prescribed and prohibited or that one and the same thing should be prohibited and permitted applies in the field of normative systems. This postulate is relative to one specific normative system; different normative systems, may, of course, contain incompatible norms. The inconsistency of proposition systems means that there is no reality (cannot be any) which can be described by means of this inconsistent system. On the other hand, there can be norm systems which contain inconsistent norms. For instance, two inconsistent legal norms can be created quite vaIidly in the same system. Such a system is, admittedly, defective and it is impossible to determine what exactly the ought is under these circumstances.

8. The Logic of Legal Dynamics The legal order is to be understood as a dynamic system of norms; it is an immanent feature of this system that new norms are generated within it. This happens, on the one hand, by the occurrence of facts - the active right of a citizen to vote results from the fact that he reaches a certain age - or, on the other hand, through empowered legal acts leading to contracts, legislation or legal decisions. Legal decisions have a norm-logical core. Together with a valid norm its logical consequences are also valid (principle of co-validity).7 For the purpose of determining these consequences statements of fact are also relevant. The validity of norms generated in processes of legal dynamics is not only based on already existing norms as Kelsen believes - but also on facts and on actual events. The validity of the process that has brought about a citizen's active right to vote is based not only on the general norm of (fuH adult) franchise but also on the actual passing of time. The basis for the validity of a new law is not only the fact that parliament has been given the power to pass such a law as a result of a constitutional norm but also the fact that such adecision was taken (and other preconditions for the generation of laws were met). In contrast to Kelsen who, in accordance with the postulate of pur-

1

13'

Cf. Weinberger (1989).

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Logical Analysis in the Rea1m of the Law

ity, regards legal dynamics as a process taking place in the realm of norms alone, I consider them as an interplay between norms and facts.

9. Fields of Logical Analysis Logical analysis finds application in legal thinking in many different ways. Not only the logic of norms is relevant in this respect but also other systems of practical reasoning: namely: formal teleology, formal axiology, the logic of preferences. Logical analysis has, I believe, also a place in the field of evaluations which play a part in legal hermeneutics as weH as in practices of legal decision-making.

10. Two Examples of Logical Analysis The foHowing remarks conceming the problems of equality and universalization in the theory of justice may serve as examples for the application of logical analysis in the field of legal philosophy. If we accept the structure of the legal rule "for every subject fulfiHing the conditions of subsumtion F the legal consequences G are to apply" it foHows that (formal) equality exists precisely when the same real consequences are realized for aH subjects fulfilling F. The principle of equality is frequently found to be wrongly formulated as foHows: "What is equal is to be treated equaHy and what is different differently." There is no good reason for the second part of this sentence. Imposing the same penalty for two different offences (i.e. theft and fraud) does by no means conflict with the principle of equality. The logical analysis of the principle of equality proves that it is the equivalent of the postulate requiring us to judge on the basis of general rules. It also shows that the principle of equality is neutral in terms of value judgements and can be used to express every kind of regulation. The transparency thus achieved - the relation between legal reason and legal consequence is being c1arified - makes an evaluating response to the legal rule possible. 8 The principle of universalization is frequently portrayed as an objective standard of justice. Logical analysis shows, however, that the application of the principle involves value judgements. This conc1usion applies both to Kant's categorical imperative and to Hare's maxim of universalizability. The categorical imperative "(H)andle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich woHen kannst, daß sie ein aHgemeines Gesetz werde" ("Act only on that maxim whereby thou canst at the same time wiH that it should become a universal law.") depends on the subject's ability to want something, in other words, on a de-

8

Cf. Weinberger (1979) and Weinberger (1992).

Logical Analysis in the Realm of the Law

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cision based on a value preference which is subjective, i.e. different people may in each case accept different maxims as universallaw. Hare supposes that the demand for universalization serves as a principle of moral selection. The universalization of an individual norm cannot be determined objectively. It is dependent on a vaIue preference. "A ought to pay DM 100 to B" can be universalized in a number of different ways, e.g. "Everybody ought to pay DM 100", "Everybody ought to pay any sum to everybody" ... The universalization is only justified if the individual norm sentence links the ought-consequence in a reasonable way to a condition establishing the reason for the obligation. "If A borrows a book he ought to return it within an appropriate period of time." Even then, however, there is room for a value preference regarding the universalizing elements and the dass of universality. "When A is married A has the duty to support his marriage partner in an appropriate manner." The norm can be universalized in the dass of all married couples or in the dass of all husbands. Consequently the principle of universalization only determines the form of a possible argumentation but does not provide an objective standard of moral and legal decision-making.

11. Some Questions to Professor von Wright

Professor Meggle, the editor of the volume "Actions, Norms, Values", has informed me that Professor von Wright will be so kind as to ans wer some questions by its contributors. I agree with Professor von Wright that our views on practical philosophy and on the character of a logic of norm senten ces concur more than they diverge. We are now both convinced that there are norm-Iogical inferences and that we need a genuine logic of norm sentences. I presume also that Professor von Wright will accept that normative inferences must not be productive, i.e. a valid inference must not provide condusions that are not contained - implicitly, at least - in the premises. Despite the philosophical affinity of our views it would be useful to spell out the points of disagreement as dearly as possible. Therefore, I shall formulate some of these: (A) "Ought" rather than "permiued" should be accepted as the basic term of normative systems. Such systems have to function as regulators of behaviour. Permission alone does not exdude any behaviour and, therefore, a purely permissive system cannot function as regulator. (B) The possibility of non-fulfilling a non-tautological ought has consequences for the validity of the following inference mies. (i) From 'O(pl\q)' follows 'Op' and 'Oq'. (ii) From 'Op' folio ws 'O(p V q)'

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Logical Analysis in the Realm of the Law

If p is not realized the conc1usions of (i) and (ii) are not justified.

Ad (i): If it is obligatory to see that (p 1\ q) then - if pis not realized - it is not a logical consequence of the premise that q is obligatory. This can be illustrated by the following example: Fill up the boiler with water (P) and heat it (q). If p is not fulfilled q is not obligatory; it may even be forbidden in this case. [Op, Oq is evidently stronger than O(p 1\ q).] Ad (ii): If the premise Op is not satisfied then the supposed conc1usion O(p V q) can be fulfilled only by doing q. If O(p V q) were a valid conc1usion there would be an ought which could be satisfied by doing q, but such an ought is not granted by the premise. [Von Wright's thesis that Op and O(p V q) cannot be fulfilled together except by doing p is true but not to the point. What is essential is the problem of fulfilling the inferred ought if the ought expressed by the premise is not fulfilled.] (C) The proposed explication of the hypothetical norm by 'O(p --+ q)' adjudges the right to choose between realizing ""p and realizing q. This is not, however,

the duty situation established by the hypothetical ought sentence. Is it not an intuitively (or analytically) given feature of every kind of conditional (hypothetical) sentence that we can infer the consequence if the antecedent is proven to be true?

References Camap (1968). Rudolf Camap: Logische Syntax der Sprache. 2nd ed. Vienna 1968 Dworkin (1977). Ronald Dworkin: Taking Rights Seriously. London 1977 Krawietz et al. (1984). Werner Krawietz/Helmuth Schelsky/Günther Winkler and Alfred Schramm (eds.): Theorie der Nonnen. Berlin 1984 MacCormick (1994). Neil MacCormick: Sovereignty, Democracy, Subsidiarity. Rechtstheorie 25 (1994) Weinberger (1979). Ota Weinberger: Gleichheitspostulate. Eine strukturtheoretische und rechtspolitische Betrachtung. In Logische Analysen in der Jurisprudenz. Berlin 1979. Weinberger (1989). Ota Weinberger: Rechtslogik. 2 nd ed. Berlin 1989 Weinberger (1992). Ota Weinberger: Die Conditio Humana und das Ideal der Gerechtigkeit. In: Moral und Vernunft. Vienna 1992 Weinberger (1996). Ota Weinberger: Alternative Handlungstheorie. Vienna 1996 von Wright (1984). Georg Henrik von Wright: Bedingungsnormen - ein Prüfstein der Normenlogik. In: Krawietz et al. (1984)

Die Revolution in der Rechtssatztheorie Das Programm der analytischen Rechtsphilosophie und die Rolle der Theorie des Rechtssatzes in ihr

Die analytische (strukturtheoretische) Zutrittsweise zur Rechtstheorie ist nicht nur eine Folge der linguistischen Wende im philosophischen Denken, sondern eine wesentliche Grundlage jeder Jurisprudenz, die rationales Argumentieren anstrebt. Sowohl das Bestreben, das Recht und die durch das Recht geschaffene gesellschaftliche Ordnung klar zu erfassen und darzustellen, als auch das rationale Begründen rechtlicher Prozesse und Entscheidungen stützen sich notwendigerweise auf die Strukturanalysen des Rechts und auf eine Theorie der sprachlichen Mittel, welche zur Darstellung der Rechtsinhalte und der gedanklichen Operationen mit dem Recht erforderlich sind. I Das juristische Denken benötigt zweierlei Satzkategorien: deskriptive Sätze zum Ausdruck von Tatsachenfeststellungen und Normsätze, durch die regulierende Dispositionen des Rechtssystems ausgedrückt werden können. 2 Rechtsinhalte sind von zweierlei Art: generell adressierte Regeln und individuelle Anordnungen. Der Rechtsnormbegriff ist als Satzkategorie aufzufassen, die beide Satzarten, universelle und individuelle Normen, umfaßt. Dies ist eine begriffliche Vorbedingung des entscheidungsbegründenden Operierens mit Normen und der konsequent rationalen Darstellung der Rechtsdynamik, die offenbar auf logischen Beziehungen zwischen normativen Rechtsregeln und individuellen Normen beruht. Die Theorie des Rechtssatzes gibt eine strukturelle Definition der normativen Regel (d. h. der generell adressierten Anordnung) an und charakterisiert das logische Operieren mit Rechtssätzen. Die Rechtssatztheorie bildet also einen wesentlichen Kern der Strukturtheorie des Rechts, der auch die Basis für die Erklärung der Rechtsdynamik abgibt. 1 Im Geiste des Toleranzprinzips der Logik muß die Möglichkeit verschiedener Formen der Darstellung von Rechtsinhalten zugelassen werden. Verschiedene Sprachsysteme, welche diese Funktion erfüllen können, haben aber gemeinsame Züge, welche von der Strukturtheorie des Rechts bestimmt werden müssen. Alternativen, wie diese Anforderungen erfüllt werden können, sind aber prinzipiell möglich. 2 Das bedeutet in der Sprechweise der neo-institutionalistischen Jurisprudenz: Die Rechtssprache ist - wie die Sprache jeder praktischen Disziplin - auf einer dichotomen Semantik aufgebaut.

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Die Revolution in der Rechtssatztheorie

Die traditionellen Theorien der Rechtssatzstruktur

Es ist der gemeinsame Charakterzug der traditionellen Rechtssatztheorien, daß sie eine einheitliche Grundstruktur angeben, in der jeder mögliche normative Inhalt der Rechtsordnung adäquat ausgedrückt werden kann. Das Auffinden einer solchen universellen Grundstruktur für die Darstellung jedes möglichen Inhalts von Gesetzen, Verordnungen usw. ist natürlich eine Zielsetzung, die wegen ihrer Einfachheit und Breite der einheitlichen Explikation ihren Reiz hat und daher geeignet ist, wissenschaftliche Akzeptanz zu wecken. Wenn es gelänge, das gesamte Rechtssystem und das gesamte juristische Argumentieren auf einer einheitlichen formalen Basis aufzubauen, erhielten wir eine "elegante" Theorie, die man gerne akzeptieren würde. Es wird aber gerade die Aufgabe meiner Ausführungen sein, zu zeigen, daß die Rechtstheorie und Rechtslogik gezeigt haben, daß diese Reduktion der Formen der Rechtsinhalte auf eine einzige Form nicht möglich ist. Die wichtigsten Konzeptionen dieser - wie ich es nenne - ersten Phase der Strukturtheorie des Rechts sind: (a) Der Rechtssatz hat die Form eines generell adressierten Bedingungsnormsatzes. (b) Der Rechtssatz ist eine allgemeine normative Regel, die statuiert, welche Sanktionen gesetzt werden sollen, wenn ein postuliertes Verhalten nicht erfüllt wird. 3 (c) Nach der realistisch-prognostischen Auffassung ist die geltende Rechtsregel (der gesetzliche Rechtsinhalt) nichts anderes als die Voraussage, wie die zuständigen Staatsorgane Rechtsfälle von gewissem Typus entscheiden werden.

3 Hauptvertreter der Sanktionstheorie des Rechtssatzes ist Hans Kelsen. Er meint, das Recht könne nur dadurch etwas anordnen, daß es auf das dem Gesollten entgegengesetzte Verhalten Sanktionen festsetzt. "Würde der Gesetzgeber die Rückzahlung einer Darlehensschuld gebieten oder Diebstahl verbieten, ohne an die Nichtrückzahlung der Schuld oder an die Verübung des Diebstahls eine Sanktion zu knüpfen, würde er nur einen rechtlich irrelevanten Wunsch zum Ausdruck bringen; wäre die Rückzahlung der Schuld oder die Unterlassung des Diebstahls rechtlich nicht geboten", sagt Kelsen in der Allgemeinen Theorie der Normen, Wien 1979, S. 78. Diese Auffassung entspringt der Überzeugung, daß das Wollen nur auf das eigene Verhalten des Subjekts gerichtet ist. (Vgl. H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, entwikkelt aus der Lehre vom Rechtssatz, Tübingen 1911, S. 110: "Damit von einem Wollen im eigentlichen Sinne und nicht bloß von einem Wünschen die Rede sein kann, muß im Bewußtsein die Vorstellung eines zur Bedürfnis- oder Triebbefriedigung geeigneten künftigen Vorgangs oder Zustands verbunden sein mit einer eigenen Aktivität des Wollenden.") Das rechtliche Sollen bestimmt also primär das Verhalten der Staatsorgane, die unter den statuierten Bedingungen Sanktionen setzen sollen. Und die Sanktionsandrohung bestimmt sekundär (und motiviert) das Verhalten des Bürgers (des Pflichtsubjekts).

Die Revolution in der Rechtssatztheorie

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Kritische Anmerkungen zu den traditionellen Rechtssatztheorien

Die Konzeption (a), der gemäß der Rechtssatz ein generell adressierter Bedingungsnormsatz ist, kann als die normale und wichtigste Form der Rechtsregel angesehen werden. Die in dieser Form auftretende generelle Quantifikation garantiert die Erfüllung des Grundsatzes der formalen Gleichheit. Der bedingende Vordersatz stellt die Subsumtionsbedingungen dar, und zwar sowohl jene, welche das Pflichtsubjekt charakterisieren4 als auch die anderen Sachverhaltselemente. Die Anwendung dieses Rechtssatzes erfolgt durch den Subsumtionsschluß. In dieser Form der Rechtsregel kann auch die Sanktionsnorm auf die Verletzung einer normativen Regel "Wenn p, soll q sein" dargestellt werden; sie lautet: "Wenn p, aber q nicht erfolgt, dann soll die Strafe S gesetzt werden." Vielfältig sind die Einwände gegen Kelsens Sanktionstheorie des Rechtssatzes. Neben der schon oft kritisierten problematischen Konzeption Ke1sens, daß der Wille des Staates auf sein eigenes Handeln, d. h. das Handeln seiner Organe gerichtet ist, motiviert Kelsen zur Sanktionstheorie auch die Bemühung, das Recht durch formale Eigenschaften von der Moral zu trennen. Die Meinung, daß nur das Recht ist, was durch Sanktionsandrohung sanktioniert ist, impliziert große theoretische Schwierigkeiten und führt zu einer m.A.n. unerwünschten Einstellung zum Recht: Zwang und Zwangsandrohung allein wird als entscheidend angesehen, auf social engineering wird nicht geachtet. Sog. leges imperfectae werden als rechtlich irrelevant angesehen, obwohl sie soziologisch betrachtet nicht bedeutungslos sind. Sie nicht als gültiges Recht zu betrachten (sondern sozusagen nur als moralische Hinweise), stört die Grundsätze der formalen Begründung der Rechtserzeugung. Die höchsten Organe (z. B. der Verfassungsgerichtshof) entscheiden nach Gesetz nicht aus Rechtspflicht, sondern nur im Sinne einer moralischen Pflicht. Das verletzt die Einheitlichkeit des rechtlichen Weltbildes, und würde das bewirken, was Kelsen mit Recht zu vermeiden sucht: nämlich die Abhängigkeit des Rechtslebens von der Moral. Kelsen behauptet, daß neben der Sanktionsregel eine Verhaltenspflichten der Bürger statuierende Norm überflüssig sei, weil sie sich aus der Sanktionsnorm logisch ergebe. Dies ist logisch falsch - wie auch Hart gezeigt hat -, denn aus "Wenn p, dann soll S" ist, "non-p soll sein" nicht ableitbar. Es würde doch offenbar niemand schließen, daß aus der Norm "Wenn Du ein Einkommen hast, sollst Du Einkommensteuer zahlen" folge "Du sollst kein Einkommen haben". In Kelsens Spätlehre, in der er normenlogische Folgerungen überhaupt ausschließt, ist die logische

4 In dem Schema des Rechtssatzes wird der Quantifikator als unbeschränkt aufgefaßt, zum Unterschied gegenüber der Umgangssprache. Beschränkte Quantifikation ,Jeder Dieb soll bestraft werden"; unbeschränkte Quantifikation: "Für alle x gilt, wenn x gestohlen hat, ...... Die Beschränkung wird durch die person bestimmenden Subsumtionsbedingungen ausgedrückt.

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Die Revolution in der Rechtssatztheorie

Bestimmung der Verhaltensnormen aus Sanktionsnormen unmöglich, weil im Konflikt mit seinem normenlogischen Skeptizismus. Kelsen hat erkannt, daß die Gebote ,,A soll sein" und "non-A soll sein" dargestellt in der Form von Sanktionsnormen, nämlich "Wenn non-A, soll eine Sanktion gesetzt werden" und "Wenn A soll eine Sanktion gesetzt werden" logisch nicht unverträglich sind. 5 M.A.n. spricht diese Tatsache gegen die Sanktionstheorie des Rechtssatzes, weil diese Form die Unverträglichkeit kontradiktorischer Gebote verschleiert. Kelsen hat selbst erkannt, daß Ermächtigungsnormen keine Normen sind, die in der Form einer Sanktionsregel dargestellt werden können (Reine Rechtslehre, 2. Aufl. Wien 1960, S. 57). Statt daraus zu folgern, daß es auch Rechtsregeln - und zwar soiche, die für den Aufbau des Rechtssystems wichtig sind - gibt, die keine Sanktionsnormen sind, versucht er in beinahe grotesker Weise, seine fixierte Meinung, Recht könne nur durch Sanktionsandrohung normieren, zu retten. Die Ermächtigungsnorm sei eine unvollständige Norm, weil sich die Geltung der Sanktionsnormen auf sie stütze. Die Ermächtigungsnorm ist aber erstens ein gültiger (und selbständiger) Bestandteil der Rechtsordnung, wenn de facto aufgrund von ihr gar keine Sanktionsnorm erzeugt wird, und zweitens ist das Gesolltsein der Sanktion der erzeugten Sanktionsnorm keine Unrechtsfolge der Nichterfüllung der Ermächtigungsnorm . Es ist evident, daß die Sanktion der aufgrund einer Ermächtigungsnorm erzeugten Norm nicht als Sanktion der Ermächtigungsnorm gelten kann, sodaß durch Kelsens Hinweis die Ermächtigungsnorm keineswegs die Form einer Sanktionsnorm annimmt. Bei der realistisch-prognostischen Konzeption des Rechtsinhalts geht es nicht um eine Strukturtheorie des Rechtssatzes im eigentlichen Sinn, sondern um einen Versuch, ohne die Normsatzkategorie auszukommen und der möglichen Differenz zwischen sprachlich formuliertem Kodex und der Rechtspraxis Rechnung zu tragen. In der skandinavischen Lehre spielt die einst vom Neopositivismus vertretene Meinung eine wesentliche Rolle, daß der Satzsinn durch die Methode seiner Verifizierung definiert ist, sodaß die Norm nur Ausdruck der Ideologie ist. 6 Der amerikanische Realismus deutet den geltenden Rechtsinhalt als Prognose über das zu erwartende Entscheidungsverhalten des Richters, das durch die aktuelle Entscheidungspraxis begründet wird. Diese Theorie bildet eher einen Maßstab für die Rechtsberatung, denn eine Strukturlehre des Rechtssatzes. Schwierigkeiten dieser Rechtsgeltungstheorie beruhen vor allem auf folgenden Umständen: (i) Die Prognose ist eine Wahrscheinlichkeitsaussage, was unseren Vorstellungen von der Rechtsgeltung kaum entspricht. (ii) Die Entscheidungskompetenz der Staatsorgane wird durch Rechtsnormen bestimmt, was kaum prognostisch konzipiert werden 5

6

H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 27. V gl. Wittgenstein, Hägerström, Alf Ross.

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kann. (iii) Für den Richter entsteht - insbesondere bei neuen Rechtsregeln - ein gewisses Argumentationsdilemma: Wenn er sich fragt .,soll ich im Sinne Adern geltenden Recht nach entscheiden?", dann gilt: wenn er die Entscheidung A trifft, dann gilt A als gesollt, wenn er diese nicht trifft, dann gilt non-A als gesollt. Es kommt also keine Detennination der Entscheidung durch das Rechtssystem zustande.

Gründe für die Notwendigkeit der Differenzierung der Rechtssatzstruktur

Die Revolution in der Rechtssatztheorie wurde durch zwei Momente hervorgerufen: 1. durch den Nachweis, daß die Inhalte der Rechtsordnung (als einem System nonnativer Bestimmungsinstrumente) nicht alle in der universellen Standardfonn angemessen ausgedrückt werden können; 2. durch die Betrachtung des Rechts als eines Prozesses der Entscheidungs- und Organisationsdetennination, was ein systematisches Zusammenspiel von rationalen Prozessen und Argumentationen mit institutionellen Vorgängen mit sich bringt. Das erste Problem wird in diesem Abschnitt behandelt, das zweite im nächsten. a) Verhaltensnorm und Rechtsprinzip: Das als universal verstandene Schema der nonnativen Regel 7 setzt voraus, daß Inhalt der Nonn menschliches Verhalten (Handlungen oder Unterlassungen) ist.

Verschiedene Forscher (vor allem Esser und Dworkin) haben erkannt, daß die Bestimmung der juristischen Entscheidung nicht immer nur durch Regeln dieser Art gegeben ist, sondern daß auch andere Argumente in der Begründung der Entscheidung verzwickterer Fälle (hard cases) zur Geltung kommen: in erster Linie Rechtsgrundsätze. Der entscheidende Beweis, daß Rechtsgrundsätze wesensverschieden von Verhaltensnonnen sind, hat Dworkin erbracht. Rechtsnonnen werden im wesentlichen durch Subsumtion angewendet, wenn die Subsumtionsbedingungen erfüllt sind, folgt logisch die in der Rechtsregel vorgesehene Rechtsfolge. Anders ist die Wirkungsweise der Grundsätze: sie sind Abwägungskriterien, die gleichzeitig mit anderen Grundsätzen die eventuell die Entscheidung in anderer Richtung beeinflussen. Die Grundsätze sind verschiedener Art: sie können Prozeßrecht oder materielles Recht betreffen; sie sind manchmal in Rechtstexten ausdrücklich statuiert oder können durch Analyse und Verallgemeinerung aus verschiedenen Quellen des Rechts herausgelesen werden. Sie werden manchmal von Richtern bei ihrer Entscheidungstätigkeit neu eingeführt. Dworkins Meinung, daß Rechtsprinzipien Naturrecht seien, kann ich nicht beipflichten. Sie sind keine objektiven rechtlichen Gegebenheiten, sondern systemrelativ: ein Rechtsprinzip kann in einem System gelten, in einem anderen aber nicht. Auch wenn sie vom Richter neu eingeführt werden, sind sie nicht die Erkenntnis einer naturgegebenen Rechts7

Ich gehe von der unter (a) angeführten Struktur der Rechtsregel aus.

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Die Revolution in der Rechtssatztheorie

realität, sondern normative Regelerzeugung durch Organe, die zur sekundären Normerzeugung legitimiert sind. Sie müssen ins System passen, was plausibel gemacht werden muß. Sie können in der Tat durch moralisch-wertende Überlegungen gestützt werden. Das bedeutet aber nicht, daß sie als moralische Gebote im naturrechtlichen Sinne verbindlich sind. Wenn man das Rechtssystem im institutionalistischen Sinne als Normensystem ansieht, das Leitideen und legislative Maximen in Begründungszusammenhängen sieht, dann fällt auf, daß Rechtsgrundsätze als Elemente der Entscheidungsbegründung verwandt sind mit den legislativen Maximen; beide machen die Rechtserzeugung zu einem von rational-wertenden Argumentationen abhängigen Entscheidungsprozeß.

b) Maßstabnormen: Aus der Wilburgschen Lehre und den anschließenden Untersuchungen von Gerhard Oue geht eine andere Differenzierung der Rechtsregeln hervor: die sog. Maßstabnormen, weIche Rechtsfolgen abhängig machen von Umständen, weIche abstufbar sind - "je ... desto" -, und die das Ausmaß der Rechtsfolgen, deren Quantität und Qualität, durch Intensitätskriterien bestimmen. Maßstabregeln können explizit oder implizit gesetzt sein, oder sie sind ein Ergebnis doktrinaler Analysen mit einer wichtigen Auswirkung auf die Rechtspraxis. Die argumentative Anwendungsweise der Maßstabnormen geschieht auch nicht durch einfache Subsumtionsschlüsse, sondern in Form relativer Wertungen im Bereich möglicher Fälle oder durch Vergleich mit verwandten, früher judizierten Fällen. e) Aufgabennormen: Durch Rechtsnormen können heteronom Ziele oder Aufgaben auferlegt werden. Oder es können programmatische Zielsetzungen statuiert werden. Aus normativen Willensäußerungen dieser Art kann eine teleologische Regulierung, nicht aber eine Sollensbestimmung durch Subsumtion abgeleitet werden.

d) Ermiiehtigungsnormen: Eine ganz wichtige Differenzierung des Regelwerks der Rechtsordnung ist die Gegenüberstellung der Ermächtigungsregeln, weIche die Geltung von Normerzeugungsprozessen fundieren, mit den Normen, weIche das Verhalten der Adressaten normieren. Das Recht ist ein sich selbst erzeugendes System. Rechtsregeln entstehen in normierten Rechtserzeugungsprozessen. Staatsorgane haben unter gewissen Bedingungen des Rechtsverfahrens die Kompetenz, verbindliche Rechtsentscheidungen (d. h. normative Rechtsfallentscheidungen) zu treffen. Privatautonomie gibt Rechtssubjekten die Möglichkeit, durch ihre Willensäußerungen (z. B. durch Testament, Vertrag usw.) rechtliches Sollen zu erzeugen. Die rechtliche Möglichkeit, in diesen drei Weisen rechtliches Sollen zu schaffen, beruht auf Ermächtigungsnormen, d. h. Rechtserzeugungsregeln. Die Rechtserzeugungsregeln begründen die gültige Entstehung neuer Normen des Rechtssystems aufgrund von Willensakten normativen Inhalts. Das ungefähre Schema einer Normerzeugungsregel kann lauten:

Die Revolution in der Rechtssatztheorie

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Wenn das Subjekt S den Willensakt setzt, daß N sein soll, dann soll N sein (als Nonn des betreffenden Rechtssystems). Die Erzeugungsregel ist ein hypothetischer All-Satz, doch läßt sich seine Struktur nicht auf einen verhaltensbestimmenden Bedingungsnonnsatz reduzieren, denn für die Erzeugungsregel ist die inhaltliche Übereinstimmung zwischen dem Inhalt des Willensaktes, der im bedingenden Vordersatz steht, und der nonnativen Konsequenz entscheidend, und die ist in der Fonn der verhaltensbestimmenden Rechtsregel nicht darstellbar. Die Nonnerzeugungsregel ist daher von anderer Struktur als der verhaltensbestimmende Rechtssatz. Sie ist für die Strukturtheorie des Rechts äußerst wichtig, denn sie ist die Grundlage des strukturellen Aufbaus der Rechtsordnung und der Explikation der Rechtsdynamik.

Anmerkung: Rechtspolitische Argumente und das rechtliche Entscheiden Ronald Dworkins Betrachtungen über die Rolle von Rechtsgrundsätzen bei der Argumentation zur Begründung der juristischen Entscheidungen von hard cases hat allgemeine Beachtung gefunden;8 seinem Hinweis, daß die Entscheidung auch rechtspolitische Momente berücksichtigt und zu berücksichtigen hat, wurde aber kaum größere Aufmerksamkeit geschenkt. Rechtspolitische Argumente betreffen zwar nicht die Rechtssatztheorie, sind aber m.E. für die Lehre von der Begründung der Adjudikation beachtenswert. Rechtspolitische Argumente mögen teilweise in der Fonn von Rechtsgrundsätzen zum Ausdruck kommen, sie sind aber darüber hinaus relevante Gesichtspunkte der juristischen Fallentscheidung. Ich meine, daß der Richter auch beachten sollte, daß seine Entscheidungsweise Bestandteil des social engineering ist und die Gesellschaft und ihre Wertungen fonnt und zukunftsorientiert zu fonnen hat.

Die Erkenntnis der Notwendigkeit, mit fonnal differenzierten Rechtssatzstrukturen zu arbeiten, zusammen mit der Erkenntnis, daß die verschiedenen Rechtssatzstrukturen auch verschiedene Fonnen des juristischen Begründens mit sich bringen, hat eine neue Phase der analytischen Rechtstheorie impliziert, m.E. ein revolutionäres Ergebnis. Es handelt sich hier um eine Revolution in der Logik des Rechtssatzes; es gibt aber auch eine methodologische Umgestaltung der Lehre vom Rechtssatz, die ich im nächsten Abschnitt erörtern möchte.

8 R. Dworkin, Taking Rights Seriously, London 1977; s. auch O. Weinberge/; Die Naturrechtskonzeption von Ronald Dworkin, in: ders., Moral und Vernunft, Wien-Köln-Weimar 1992, S. 201 -220.

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Die systemische Betrachtungsweise und die Rechtssatztheorie Die auf der klassischen Rechtssatztheorie - erster und zweiter Phase - aufgebaute Jurisprudenz betrachtete die Rechtsregeln als Form des Inhalts des Rechtssystems wie es als Ergebnis der Interpretation erfaßt und logisch geordnet dargestellt werden kann. Die Rechtssatztheorie der Jurisprudenz dient also einerseits als Maßstab dafür, welche Elemente durch Interpretation der Rechtsordnung als Rechtsinhalt festgestellt werden müssen, andererseits als formales Schema der rational-rekonstruktiven Darstellung der Regeln der Rechtsordnung. Die Rechtsordnung wird hierbei hierarchisch aufgefaßt als System der Kompetenzverteilung von einem Zentrum aus, das das System zu einer gesamten Einheit macht. Diese hierarchische Einheit wird abstrakt aufgefaßt und muß nicht durch ein monokratisches Organ an der Spitze realisiert sein. Die traditionelle Rechtssatztheorie hat in ihrer ersten Phase zu einer gewissen Atomisierung der juristischen Betrachtung geführt, weil die Analyse vor allem auf die Zusammenstellung der Subsumtionsbedingungen und die Anknüpfung der Rechtsfolge gerichtet war. In der zweiten Phase, die für die heutige Rechtssatztheorie charakteristisch ist, geht es darum, alle normativen Determinanten des juristischen Entscheidens aufzudecken. Die Methodologie des juristischen Entscheidens beschränkt sich nicht auf die Subsumtion unter Verhaltensnormen, sondern berücksichtigt auch Wertabwägungen, welche in Form von Prinzipien als Inhalt der rechtlichen Regulierung auftreten. Die neo-institutionalistische Rechtstheorie bringt weitere Gesichtspunkte in die Überlegung ein: 1. die Forderung, auch rechtspolitische, zukunftgestaltende Argumente - wo sinnvoll oder nötig - ausdrücklich ins Spiel zu bringen (dies entspricht Dworkins "policies"); 2. den funktionalen Charakter der Rechtsinstitution, wie er durch ihre Leitideen bestimmt ist, zu beachten; 3. die Bedeutungsbestimmung des Rechtsinhalts durch das faktische Zusammenspiel der Systemschichten des Rechtslebens in Rechnung zu ziehen. Das Verständnis und die Deutung des Inhalts von Rechtsvorschriften ist nicht nur Deutung im traditionellen Sinne, sondern auch abhängig von dem Wirken der Systemschichten des Rechtslebens. Wenn man das Recht als institutionelle Realität - also nicht nur als Menge von Normen, sondern als Einrichtung des menschlichen Zusammenlebens und Handeins - betrachtet, kann das Recht als Komplex von Systemschichten angesehen werden. Abgesehen von Einzelheiten der Strukturdifferenzierung zeigen sich uns folgende funktional charakterisierte Systemschichten: das System der Rechtsregeln, das System der Rechtsbeziehungen, das System der Rechtsprechung und das System der Rechtsdogmatik und Rechtstheorie. Was eine Rechtsregel bedeutet, wird nicht nur durch den Gesetzestext bestimmt, sondern erhellt auch aus verstehenden Reaktionen der anderen Systemschichten. Die Judikatur zeigt den Sinn der rechtlichen Bestimmungen durch das Repertoire der Fälle auf, die als subsumierbar verstanden werden. Die Rechtspraxis - auch wenn sie

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nicht über offizielle Entscheidungen läuft - ist ein Bild des usuellen Rechtsverständnisses und der praktischen Auswirkung des Rechts. Die Rechtsprechung ist Anwendung des komplexen Systems der Rechtsregeln, einschließlich der Prinzipien, Zwecke und Leitideen der rechtlichen Institute. Aber die bestimmende Funktion von Rechtsregel und Judikatur ist nicht einseitig; sie verläuft nicht nur vom Gesetz zur Entscheidung. Die systemtheoretische Betrachtung sieht - und unterstreicht mit Recht - die bestimmende Wirkung in der entgegengesetzten Richtung, von der Entscheidungspraxis zur Sphäre der generellen Rechtsregeln. Hauptsächlich in zwei Richtungen: (a) als Explikation des usuellen Bedeutungsverständnisses und (b) als Spezifikation und Ergänzung im Bereich der nicht ausreichenden Bestimmung durch generelle Regeln. - Darin liegt natürlich auch ein wichtiges Element der Entwicklungsdynamik des Rechts. Dies bedeutet keine Loslösung der Rechtsprechung vom Gesetz im freirechtIichen Sinne, sondern bloß die Beachtung dynamischer System zusammenhänge im Rechtsleben. Auch die Jurisprudenz im weiten Sinne des Wortes - von Rechtsdogmatik über Rechtstheorie, Rechtssoziologie bis zur rechtspolitischen und funktional-kritischen Analyse - ist institutioneller Bestandteil des Rechtslebens. Sie trägt bei nicht nur zur reinen Erkenntnis des Rechts, vielmehr auch zur Gestaltung des Rechtslebens. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der diskursiven Entfaltung des Rechts. Was haben diese Betrachtungen mit der Rechtssatztheorie zu tun? Sie verändern diese Theorie, weil sie die Darlegung des bestehenden Rechtssystems in der Form von Rechtssätzen abhängig macht von der Betrachtung tatsächlicher Prozesse des Rechtslebens. Die Interpretation ist abhängig von institutionellen Vorgängen - vor allem von der Rechtsprechung, aber auch von Standpunkten, die von der Jurisprudenz erarbeitet werden. Die Methodologie des Umgangs mit Rechtssätzen ist rationale Rekonstruktion, die anknüpft an Vorgänge des Rechtslebens, in denen Rechtsre1ationen und eine Entscheidungspraxis entstehen, und an rationale und wertende Prozesse auf verschiedenen Ebenen.

WaIter Wilburgs Beitrag zur Revolution der Rechtssatztheorie

Wilburg hat zur Transformation der Rechtssatztheorie und zur Revision der Konzeption des juristischen Argurnentierens Wesentliches beigetragen. (i) Die Elemente der Abwägung seines beweglichen Systems sind normative Prinzipien, die das abwägende Entscheiden lenken. Der Autor spricht ausdrücklich von "gelenktem Ermessen", das er der Freirechtskonzeption entgegenstellt. Seine "Elemente" des Entscheidens im beweglichen System haben offenbar normativen Charakter, wenn sie auch nicht eindeutig determinierend sind. (Thesen der Dwor-

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kinsehen Art von der einzig richtigen Entscheidung, die ein Herkules-Jurist treffen müßte, finden wir bei Wilburg nicht.) Die Rolle normativer Grundsätze und deren wertend abwägende Argumentationsfunktion hat Wilburg klar erkannt. (ii) Wilburg erweckt manchmal prima facie den Eindruck, als unterscheide er nicht scharf zwischen de lege ferenda-Argumentation und den Erwägungen über Fallentscheidungen de lege lata. Ein solcher Vorwurf scheint mir aber nicht gerechtfertigt. Der Eindruck kommt nur dadurch zustande, daß die Art der wertenden Abwägung und juristischen Stellungnahme in beiden Bereichen weitgehend analog sind und funktional zusammenhängen. (iii) Wilburg ist sich dessen bewußt, daß die richterliche Entscheidungspraxis Anhaltspunkte für die Abwägung aufgrund von Elementen des beweglichen Systems liefert. Er sieht also klar den Zusammenhang zwischen gesetzlicher Determination und Vorgängen auf der Ebene der Rechtsprechung.

Natürliche Konstituenten der Gerechtigkeit I. Problemstellung

In dieser Abhandlung befasse ich mich mit der Frage, warum der Mensch unserer Gesellschaft überall und immer wieder Fragen der Gerechtigkeit stellt und erörtert. Welche anthropologischen Eigenschaften oder welche institutionellen Tatsachen sind es, die den Menschen befähigen - und auch dazu treiben -, über Gerechtigkeit nachzusinnen und Gerechtigkeit zu fordern? Welche Strukturen oder immanenten Voraussetzungen unseres Geistes führen uns dazu, nach Gerechtigkeit zu streben und Gerechtigkeit zu fordern? Man würde die Fragestellung meiner Überlegungen mißverstehen, würde man sie als Suchen eines Fundamentes für eine Naturrechtstheorie deuten. Diese Arbeit schreibe ich nicht in naturrechtlicher Absicht. Um dies zeigen zu können, möchte ich einen kurzen Exkurs über das Wesen der Naturrechtsdoktrin machen. Die Definition der Naturrechtslehren ist umstritten, ebenso wie die Frage, was eigentlich das Hauptanliegen der NaturrechtIer ist. Hans Kelsen meint, daß im Grunde alle Naturrechtslehren auf religiösen Glaubensvoraussetzungen aufbauen 1 Es ist zwar richtig, daß die meisten religiös fundierten Rechtsdenker zum Naturrecht neigen, weil sie meinen, daß nicht nur das Daseiende, die materielle Welt, vom Schöpfer bestimmt sei, sondern daß auch das, was sein soll, ,gut' und ,böse' von Gott, und nicht durch menschliche Einstellungen und Entscheidungen, determiniert werde. Gerechtigkeitsmaßstäbe und die Definitionen des Guten und Bösen sind für den religiösen Denker vorgegeben, nicht Schöpfungen und Entscheidungen des Menschen. Dennoch gibt es auch unter den religiösen Rechtsphilosophen mehr oder weniger positivistische Konzeptionen. M.A.n. lassen sich auch gute Motive für naturrechtliches Philosophieren finden, die aus rechtsmethodologischen und nicht aus religiösen Motiven entspringen: die Vorstellung ist verlockend, daß man letztinstanzlich objektive Begründungen von ,richtig' und ,unrichtig', ,gerecht' und ,ungerecht' geben kann. Genau das versprechen die Naturrechtler, die immer kognitive Wege anzugeben versuchen, wie man die Frage nach dem richtigen (d. h. gerechten) Recht beantworten könne. Fundamentale Argumente für Gerechtigkeitsabwägungen zu haben und über subsidiäre Entscheidungshilfen bei Lücken und anderen Ermessenproblemen zu verfügen, ist I H. Kelsen. Allgemeine Theorie der Normen, hrsg. von K. Ringhojer/ R. WalteT; Wien 1979. S. 4-5.

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für den Rechtsmethodologen und den praktisch argumentierenden Juristen eine erhoffte Hilfe. Ich habe schon in einer früheren Arbeit dargelegt 2 , daß für die Frage des Naturrechts allein die argumentative Verwendbarkeit von Naturrechtsprinzipien entscheidend ist, und daß die bloße These, es gäbe ein immanentes, unveränderliches und rein kognitiverfaßbares Naturrecht, wertlos ist, wenn diese Grundsätze nicht so festgestellt werden, daß sie als Gründe in juristischen Argumentationen Verwendung finden können. Wenn man von dieser Konzeption ausgeht, erscheint die Frage der Nachweisbarkeit immanenter und inhaltlich klarer Naturrechtsregeln als das A und 0 der Debatten um das Naturrecht. Naturrechtslehren behaupten die rein kognitive und dezisionsfreie Erfaßbarkeit des richtigen Rechts, während der Positivismus die Meinung vertritt, daß ein dezisionsunabhängiges Bestimmen dessen, was richtigerweise sein soll (sollte), unmöglich ist. Der Positivismus läuft auf einen Non-Kognitivismus hinaus, Naturrechtslehren sind kognitivistisch. 3 Ich vertrete einen "schwachen" Rechtspositivismus. Ich glaube nicht, daß alles gültige Recht durch ausdrückliche oder wenigestens implizit feststellbare Setzungsakte geschaffen werden muß (ich trete also gegen den Setzungspositivismus jeder Art aur), und ich bin davon überzeugt, daß eine vemunftmäßige Argumentation de lege ferenda sehr wohl möglich ist, allerdings nur eine solche, die auch Stellungnahmen (oder Wert- bzw. Präferenzvoraussetzungen) umfaßt. Recht 2 O. Weinberger. Jenseits von Positivismus und Naturrecht, in: Contemporary Conceptions of Law, 91h IVR World Congress, Basel 1979, ARSP Supplementa, Vol. I, Part I, 1982, S. 43-56; wiederabgedruckt in: ders., Moral und Vernunft, Beiträge zu Ethik, Gerechtigkeitstheorie und Normenlogik, Wien, Köln, Weimar 1992, S. 299-314. 3 Hart führt eine Liste verschiedener Konzeptionen des Rechtspositivismus an (H. L. A. Hart, The Concept of Law, Oxford 1961, S. 253), aus der auch hervorgeht, daß die Unterscheidungskriterien zwischen Positivismus und Naturrecht variieren. M.A.n. ist für die Naturrechtslehren entscheidend, daß sie kognitive Erfaßbarkeit richtigen Rechts voraussetzen. 4 Der Setzungspositivismus behauptet, daß nur durch normenerzeugende Willensakte Recht entsteht. Es gibt zwei Arten solcher Lehren; die einen anerkennen nicht nur durch Setzungsakte erzeugte Normen als Recht, sondern auch solche, die von gesetzten Normen durch logische Operationen ableitbar sind; die anderen meinen, daß jede einzelne Rechtsnorm durch einen Willensakt des entsprechenden Inhalts hervorgebracht werden muß. Dieser Setzungspositivismus im engen Sinne leugnet die Gültigkeit von normen logischen Folgerungen. Wenn z. B. ein Gesetz statuiert wird, gilt diese generelle Regel, nicht aber die Konsequenz für den Einzelfall, der unter die Regel fallt. H. Kelsen (FN 1). (Vgl. auch: O. Weinberger. Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik. Eine Auseinandersetzung mit Hans Kelsens Theorie der Normen, Berlin 1981). Wie jeder Rechtspositivismus betrachtet der Normativistische Institutionalismus das Recht als Menschenwerk, nicht als etwas, das durch Gott, die Natur oder die Vernunft vorgegeben ist und nur richtig erfaßt werden muß. Recht entsteht nicht nur durch Gesetzgebung, d. h. durch Willensakte der Staatsmacht, die auf die Festsetzung genereller Regeln abzielen. Situationsgerechtes faktisches Handeln (inklusive die Entscheidungspraxis von Einzelfällen) kann zum gültigen Rechtsmaßstab werden, wenn die Leitregeln des HandeIns und Entscheidens in der Gesellschaft mit der opinio iuris verbunden sind und wenn sie als solche institutionell wirksam werden.

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kann auch spontan entstehen, wie der juristische Institutionalismus unterstreicht. 5 Grundsätze des Rechtssystems können auch aus dem gesamten rationalen Gefüge der Ordnung herausgelesen werden; d. h. sie gelten auch dann, wenn sie vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich ausgesprochen wurden. Ich bin ferner ganz entschieden der Meinung, daß die oberflächliche, d. h. nicht näher analysierte und begründete These mancher Rechtspositivisten, daß alles Beliebige Inhalt des Rechts sein könne, falsch ist. Das besagt der Non-Kognitivismus keineswegs; er behauptet, daß richtiges Recht nicht rein kognitiv bestimmbar ist, was aber durchaus nicht impliziert, daß der Spielraum möglichen Rechts unbegrenzt ist. Wir wissen nicht, ob es nicht anthropologisch gegebene Grenzen möglichen Rechts gibt. Die kritisierte These ist also zu stark, sie sagt mehr, als wir begründen können. Die Untersuchung anthropologisch gegebener Konstituenten der Gerechtigkeitsanalysen und des immanenten Gerechtigkeitsstrebens beruht nicht auf kognitivistischen Voraussetzungen und führt nicht zu kognitivistischen Argumentationen. Mein Vorhaben, Konstituenten der Gerechtigkeit im System menschlicher Verhaltens-, Wertungs- und Denkdispositionen aufzuweisen, zielt also durchaus nicht auf Naturrecht ab.

11. Anthropologische Voraussetzungen meiner Analysen Die gedankliche Basis meiner Antwort sind anthropologisch gegebene Eigenschaften, Reaktionsweisen und Denkstrukturen, die Moral und ethische Analysen ermöglichen. Primäre Grundlagen der Möglichkeit von Moral- und Gerechtigkeitsanalysen sind: Veranlagung des Menschen, als Zoon politikon zu leben; Willensfreiheit im Sinne der Fähigkeit, im Rahmen von HandlungsspieIräumen durch entsprechende 5 Diese spontane Entstehung des Rechts steht im Gegensatz zur These, daß die Rechtsentstehung nur durch explizite Akte aufgrund von gültigen Ermächtigungsnormen vor sich gehen kann. Die Auffassung, daß nur nach ausdrücklich festgesetzten Regeln Recht erzeugt werden kann, zwingt uns, die letztinstanzliehe Begründung der Rechtsentstehung auf eine Voraussetzung vom Typus der Kelsenschen Grundnorm zu stützen. Die neo-institutionalistische Konzeption, die ich vertrete, geht von der Überzeugung aus, daß der Mensch in gewissen Situationen explizit oder in stillschweigender Übereinkunft Normen und Institutionen konstituiert. Dies ist ein Faktum überall dort, wo Kooperation erforderlich ist oder zur Erhöhung der Effektivität des Handeins eingeführt wird. In der rationalen positivistischen Rekonstruktion kann man in vielen Fällen mit implizit gegebenen Ermächtigungen operieren. Im Grund bleibt aber die Tatsache bestehen, daß gesellschaftliche Normen auch originär (ohne vorangehende Ermächtigungen) entstehen können, wenn die realen Situationen dies erfordern. Spontane Entstehung von Normen ist aber in meiner Auffassung - nicht wie bei von Hayek - kein außerrationaler Prozeß. (S. F A. von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Landsberg a. Lech 1980-81).

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Infonnationsprozesse das Verhalten zu bestimmen; die Fähigkeit, Institutionen als Handlungsrahmen zu schaffen; und schließlich die Offenheit für die Wirksamkeit von Nonnen. 6 Es ist wohl selbstverständlich, daß Lebewesen, die in Gemeinschaften leben, aufeinander abgestimmte Verhaltensmuster entwickeln. Diese gemeinschaftlichen Verhaltensmuster mögen bei anderen Gemeinschaftswesen durch Erbanlagen und an sie anknüpfende Prägungen erklärbar sein, beim Menschen nehmen sie infolge der Elastizität und Offenheit der Verhaltensweisen die Fonn der Fähigkeit zu freiem Handeln und zur Berücksichtigung gemeinschaftlich orientierter Handlungsdetenninanten, zur Schöpfung von Institutionen und Lenkung des Verhaltens durch Nonnen an. Dies bedeutet nicht, daß beim Menschen erbkoordiniertes Verhalten nicht existiert, sondern bloß, daß hier eine breite Sphäre handlungsartiger Verhaltensdetennination hinzutritt. 7 Das Zusammenleben der Menschen in Institutionen korreliert mit zwei psychosozialen Tatsachen: erstens mit der Tatsache, daß wir in einem Erwartungshorizont leben, das heißt vor allem, daß wir unseren Mitmenschen, Partnern in institutionellen Relationen mit gewissen Erwartungen entgegentreten, und zweitens, daß wir nicht umhin können, praktisch-wertende Fragen zu stellen, d. h. nach Moral und Recht zu fragen. Das bedeutet aber auch, daß unser Handeln wegen der immanenten gemeinschaftlichen Perspektive nicht bloß nach dem Gesichtspunkt der subjektiven Utilitätsmaximierung vor sich geht, sondern immer auch nach dem Gesichtspunkt von Gemeinschaftsrelationen gewertet wird. Moralische Rücksichten, die Beachtung von Gemeinschaftsineressen, sind Momente, die unser Tun und Lassen mitbestimmen. Dies geht so weit, daß auch unser subjektives Utilitätsbewußtsein mitfühlend wertet: es ist für den einzelnen ein subjektiver Wert, wenn sein Handeln nicht ihm selbst, aber z. B. seinen Kindern oder Freunden Nutzen und Freude bringt. Mitfühlendes, miterlebendes Werten ist integrierender Bestandteil der persönlichen Utilitätswertung des einzelnen. 8 Der Non-Kognitivist und Werterelativist sieht hier eine eigentümliche Situation: Was als gerecht und gemeinschaftlich adäquat gilt, kann problematisch sein und 6 Eine nähere Erklärung dieser Eigenschaften findet der Leser in meinem Buch "Recht, Institution und Rechtspolitik", Stuttgart 1987, vor allem in Kap. I "Bausteine des Institutionalistischen Rechtspositivismus" . 7 Damit soll nicht ausgeschlossen werden, daß auch bei höheren Tieren handlungsartiges Verhalten existiert. 8 Wenn man sich - wie z. B. Rawls - entscheidet, mit einem Begriff der subjektiven Utilität zu arbeiten. der Beziehungswertungen (Wertungen aus Sympathie) ausschließt, arbeitet man mit einem Konstrukt. das der psychischen Realität nicht entspricht. Vgl. J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt 1975, S. 171 ff. Man begründet die sympathiefreie Utilität mit technischen Erwägungen - es käme sonst zu einer Überschneidung und Kumulierung mancher Positionen, so daß eine Verzeichnung der Gesamtutilität zustande käme. In der Tat aber wird das Wesentliche der humanen WerteinsteIlung hierdurch vollkommen entstellt. denn es gibt keine sympathiefreie Wertempfindung. Das ganze System des Wertens wird contra factum dehumanisiert!

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unterliegt eventuell unterschiedlicher Wertung je nach persönlicher Einstellung; doch der Frage, ob eine Handlungsweise gerecht oder ungerecht ist, kann nicht ausgewichen werden. Das Problem ist für uns als Gemeinschaftswesen immanent.

III. Handlungsrähigkeit

Zur begrifflichen Konstitution von Handlungsfähigkeit sind folgende Voraussetzungen erforderlich: die Existenz von Handlungsspielräumen, ein Informationsprozeß, durch den die Realisation der Handlung im Rahmen des Spielraums bestimmt wird. Und dies erfordert wiederum eine für handelnde Subjekte spezifische Semantik, die ich dichotome Semantik nennen möchte, da sie kategorial zwischen beschreibenden und praktischen Sätzen unterscheidet. Handlungsspielraum besteht darin, daß - wenigstens in gewissen Momenten verschiedene Möglichkeiten des zukünftigen Verhaltens existieren. Daß der Lebensbaum des Menschen solche Alternativen zukünftigen Verhaltens umfaßt, kann als empirisch belegte Tatsache gelten. 9 Es ist auch empirisch belegbar, daß das Handlungssubjekt durch Entscheidungen aufgrund von Informationsprozessen besonderer Struktur die Alternative bestimmen kann, die realisiert wird. In dem Zusammenspiel dieser bei den Faktoren, der Existenz von Verhaltensspielräumen und der handlungsbestimmenden Informationsprozesse, ist die Handlungs- (oder Willens-)freiheit gelegen. Die Struktur der handlungsbestimmenden Informationsprozesse nötigt uns, mit zwei kategorial verschiedenen Gedankeninhalten (bzw. Satzarten) zu arbeiten. Die Beschreibung von Sachverhalten - Tatsachen oder möglichen Tatsachen des verästelten Lebensbaumes - wird deskriptiv dargestellt, ebenso wie die Erkenntnis notwendiger (kausaler) Bindungen zwischen Sachverhalten. Hierzu benötigen wir deskriptive Sätze. Die Auswahl der zu realisierenden Alternative kann nur durch stellungnehmende Informationen bestimmt werden: Selektion setzt praktische Informationen voraus. Deswegen ist das handlungsbezogene Denken nur im Rahmen einer dichotomen Semantik möglich 10, die beide Arten von Informationen auszudrücken erlaubt.

9 Hierbei ist in unserer jetzigen Überlegung nicht relevant, warum diese Alternativen bestehen. Wir erleben das Bestehen solcher Situationen. Ich weiß, daß ich - eben je nach meiner Entscheidung - weiterschreiben oder mit dem Schreiben autbören kann. Ob mein Entscheiden in einer anderen Betrachtungsebene wieder determinierenden Umständen unterliegt, beeinträchtigt nicht das Operieren mit Handlungsspielräumen und die Durchführung von handlungsbestimmenden Informationsprozessen. 10 Vgl. O. Weinberger, Eine Semantik flir die praktische Philosophie, in: R. Haller (Hrsg.), Beiträge zur Philosophie von Stephan Körner, Grazer Philosophische Studien 20 (1989), S. 219-239, wo ich jedoch eine andere Terminologie verwende; wiederabgedruckt in: ders., Moral und Vernunft (FN 2), S. 412-430.

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IV. Normen- und Institutionenontologie Das Wesen der Norm ist einerseits semantisch charakterisiert, andererseits ist es funktional zu erklären, und drittens muß erklärt werden, was es heißt, daß eine Norm existiere (es komme ihr reales Dasein zu, sie gelte). Semantisch wird der Normsatz als Art eines praktischen Satzes den deskriptiven Sätzen gegenübergestellt: er beschreibt nicht, was ist, stellt keine Tatsachen fest. Die in dem Normsatz angeführten Inhalte haben die Rolle, das Handeln zu bestimmen. Sie sind nicht wahrheitsfahig, weil sie keine Relation zwischen ihrem Inhalt und der Welt behaupten. Sie sind ferner - wie alle praktischen Sätze - systemrelativ: eine Norm eines bestimmten Inhalts kann in einem System gelten und im anderen nicht gelten. Die kategoriale semantische Zäsur zwischen Normsatz und Aussagesatz, zwischen Norm als Bedeutung jenes und Proposition als Bedeutung dieses, ist der Grund, warum aus Normsätzen (ohne Hinzuziehung von deskriptiven Prämissen) keine Aussagesätze folgen und aus Aussagesätzen (ohne praktische Prämissen) keine Normsätze ableitbar sind. Die damit zusammenhängende Unbegründbarkeit des So liens und Dürfens aus deskriptiven Prämissen ist der wesentliche Kern des Non-Kognitivismus. Normen beziehen sich auf beobachtbares Verhalten oder aber auf norm erzeugende Akte. Die zwei Möglichkeiten ergeben zwei aufeinander irreduzible Arten von Normsätzen: Verhaltensnormen und Ermächtigungsnormen. Ein Unterschied, der in der Normentheorie meist nicht genügend beachtet wird. 11 Die Ermächtigungsnormen spielen bei der rationalen Erklärung der Struktur von Einrichtungen und Organisationen eine wichtige Rolle. Handeln wird vor allem durch Zwecke bestimmt, wie die formal-finalistische Handlungstheorie unterstreicht. 12 WeIche pragmatische Funktion haben dann Normen? Sie treten in autonomer oder in heteronomer Funktion auf. Im handlungslenkenden System kommt ihnen zweierlei Aufgabe zu: sie dienen der Fixierung der Handlungsweisen, und sie drücken - vor allem als Moralnormen - dem Handeln der einzelnen Person den Stempel der Berücksichtigung gemeinschaftlicher Aspekte auf. Wer umfassende Aufgaben bewältigen will, muß hierfür ein Programm haben, sich für dieses Programm entscheiden und es normativ fixieren, d. h. für längere Zeit als Richtlinie seines Handeins festsetzen. Wenn ich z. B. Französisch lernen will, muß ich die Entscheidung für Akte über eine längere Zeitperiode fallen und mein zukünftiges Verhalten durch Normen fixieren. O. Weinberger, Rechtslogik, 2. Aufl., Berlin 1989, S. 253. O. Weinberger, Studien zur formal-finalistischen Handlungstheorie, Frankfurt a.M., Bem, New York 1983; ders., Recht, Institution und Rechtspolitik, Stuttgart 1987, Kap. 11. 11

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Die Sphäre der Moral beschränkt nonnativ mögliche Verhaltensweisen durch Gemeinschaftsrücksichten. Es werden - an und für sich - mögliche Mittel als Handlungsmethoden ausgeschlossen (tabuisiert); und es wird kooperativ-gemeinschaftliches Verhalten sowie Solidarität (oder Nächstenliebe) postuliert. In direkt zwischenmenschlicher Funktion dienen Nonnen der Grundlegung von Kooperation sowie von Institutionen, und sie fixieren das gesellschaftliche Verhalten, detenninieren die Erwartungen und Wertungen der Menschen, die in Gemeinschaften leben. Die vom Neo-Institutionalismus gegebene Erklärung, was reales gesellschaftliches Dasein (Geltung) von Nonnen bedeutet, lautet: Das reale Dasein der Nonn besteht in ihrer Einbettung in existierende - und in ihrer Funktion und Wirkung beobachtbare - Institutionen. Das Nonnensystem ist also real existent zusammen mit der Institution, deren Funktionieren durch dieses System bestimmt wird. Diese Art der Wirksamkeit als Kriterium des Daseins des Nonnensystems bedeutet nicht notwendigerweise Befolgung, sondern nur die Tatsache, daß dieses System mitwirkt bei der Bestimmung der Verhaltensweisen und Handlungen in der betreffenden Institution. Die gesellschaftlich existente Nonn ist institutionalisiert, d. h. sie ist Bestandteil der bestehenden Institution. Die Ontologie der Nonnen und Institutionen bildet insoweit ein Ganzes, als die Existenz der Institutionen und das Dasein der Nonnen immer zusammen bestehen: jede Institution hat einen nonnativen Kern, und das real daseiende Nonnensystem ist gerade dann existent, wenn es als Basis einer bestehenden Institution fungiert. Soweit die grundlegende Skizze des semantischen und ontologischen Rahmens unserer Überlegung. Nun komme ich zur Hauptfrage meiner heutigen Untersuchung: Gibt es neben der anthropologischen Charakteristik, daß der Mensch handlungsfähig, Schöpfer von Institutionen und nonnativ lenkbar ist, anthropologisch fundierte Verhaltens- und Reaktionsweisen, weIche die inhaltliche Gestaltung der überpersonalen Relation und den Inhalt unserer Gerechtigkeitsvorstellungen erklären? Bevor ich versuchen kann, diese Frage zu beantworten, möchte ich einige Reaktions weisen im überpersonaIen Kontakt erörtern, die naturgegeben sind, d. h. offenbar vor und unabhängig von Geboten, Verboten oder moralischen Postulaten bestehen.

v. Dankbarkeitsreaktionen Undankbarkeit wird als moralisches Manko angesehen. Wir können uns eine Menge von moralischen Forderungen, die auf Dankbarkeit abzielen, vorstellen, samt mehr oder weniger geistreichen oder flachen Begründungen. Es gibt aber auch Sprüche, die Zweifel an der realen Wirksamkeit der Dankbarkeitspostulate ausdrücken; z. B. "Undank ist der Welten Lohn". Mit all diesen Sachen will ich mich hier nicht befassen. Es geht mir nicht um das moralische Gesolltsein der Dankbarkeit oder ihrer Grenzen (vgl. die Frage, inwieweit Grundsätze von der Art

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"Eine Hand wäscht die andere" noch moralisch sind). Es interessiert mich ein ganz anderes Phänomen, von dem ich behaupte, daß es ein immanenter Verhaltensmechanismus ist, der vor- und außernormativ funktioniert, weil er zur konstitutionell gegebenen Reaktionsweise des Menschen gehört. Die Verhaltensweise eines Menschen gegenüber einem anderen ist nicht wertneutral- weder für den Absender noch für den Empfänger (wenn ich die interagierenden Personen terminologisch so unterscheiden darf). Der Absender unterstützt, hilft, bereitet Freude oder Kummer, behindert, behauptet, schädigt, usw. den Empranger. Es ist für unsere Überlegung nicht sehr wichtig, aus welchen Gründen er dies tut, aus Mutterliebe, Freundschaft, moralischer Einstellung, religiös fundierter Nächstenliebe, Haß, Revanche oder vielleicht nur eines Zufalls wegen. Es ist unvermeidlich, daß der Empfänger auf die Leistung oder Einwirkung reagiert. Er reagiert kognitiv, erkennt, daß das, was er empfangen hat, vom Absender stammt, von ihm verursacht wurde. 13 Er reagiert aber fast immer auch mit Gefühlen, d. h. wertend. Damit will ich nicht sagen, daß dies bewußt geschieht; ich behaupte bloß, daß eine Gefühlsreaktion in den meisten Fällen nicht ausbleiben wird. Und die Reaktion wird nicht nur die Leistung, sozusagen den Input, betreffen, sondern auf deren Urheber übertragen. Ähnliche Reaktionen - positive oder negative - WerterIebnisse gegenüber empfangenen Leistungen werden ohne Dankbarkeitsabsichten, einfach als summiertes Gefühlserlebnis auftreten. Wie die Person A sich dem B gegenüber benimmt, wird bei B wie in eine Sparkasse hineingetragen und schafft eine Beziehung des B gegenüber dem A. Ob dies bewußt oder unbewußt geschieht, ist von zweitrangiger Bedeutung. Ob - und inwieweit - positive oder negative Gefühlsreaktionen gegenüber dem Absender entstehen, ist keine Sache des moralischen Entscheidens oder der Befolgung der moralischen Postulate der Dankbarkeit, keine Befolgung der Aufforderung, wie man dem Absender gegenüber handeln soll [z. B. nach dem Grundsatz "Wie Du mir, so ich Dir" oder nach der christlichen Forderung, dem bösen Angreifer auch die andere Backe hinzuhalten], sondern eine natürliche Reaktionsweise. Die Tendenz des B, einer Person A, die ihm immer Wohltaten erbracht hat, auch seinerseits positiv entgegenzutreten, A gegenüber auch positiv zu handeln, ist - bis auf sozusagen pathologische Fälle - eine natürliche Folge, unabhängig von normativer Lenkung durch Moralgebote. 14 13 Es kann auch die Erkenntnis hinzutreten, daß der Absender in guter oder böser Absicht gehandelt hat - und dies kann die Wertung modifizieren (muß es aber nicht). 14 Es kann sogar in der Moral das entgegengesetzte Gebot gelten, sich nicht von Wohltätern beeinflussen zu lassen, d. h. unter manchen Umständen nicht dankbar zu sein. Z. B.: die wissenschaftliche Arbeit meines Assistenten sollte ich objektiv und unbeeinflußt von der Tatsache, daß er mir in vielen Situationen sehr viel geholfen hat, beurteilen. - Wenn jemand mein Anliegen nicht unterstützt hat, obwohl er dies hätte tun können, werde ich nächstens seine Position, wenn sie objektiv berechtigt ist, dennoch zu unterstützen haben.

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VI. Gegenseitigkeitsrelationen

Vertrauens- oder Mißtrauensreaktionen sind weitgehend geprägt durch vorangehende Erfahrungen. "Das gebrannte Kind fürchtet das Feuer" charakterisiert einen Fall einer natürlichen Reaktion auf Vorerfahrungen. Gefühlsrelationen und Erwartungen aufgrund von Vorerfahrungen sind natürliche Reaktionen, die ihrer logischen Struktur nach auf Generalisierung gestützte Prognosen sind. 15 Diese sozusagen "natürliche" Reaktionsweise wird in der modernen Gesellschaft weitgehend modifiziert durch ideologische Momente. Gesellschaftlich eingenistete Überzeugungen, die teils durch Erfahrungen, zum größeren Teil aber durch ideologische Propaganda etabliert sind, beeinflussen tiefgreifend die Reaktionen des einzelnen. Schon die Interpretation der einzelnen Erfahrungen wird im Lichte derartiger Vorurteile durchgeführt, so daß die natürliche Reaktionsweise auf Vorerfahrungen nicht klar hervortritt. Dennoch glaube ich, daß die Grundstruktur besteht, daß Gefühls- und Erwartungsrelationen Reaktionen auf Vorerfahrungen sind. Sie sind ein - wenn auch modifzierbarer - natürlicher Verhaltensmechanismus. Der Mensch als Zoon politikon, dessen natürliche Ausstattung und dessen Schutz durch Instinkte nur in sehr geringem Maße gewährleistet ist, hat unter passenden Umständen eine natürliche Kooperationsbereitschaft. Es gibt Situationen, in denen schon instinktive Reaktionen zu gemeinschaftlichem und kooperativem Handeln hinführen. Dies sind nicht nur die Mutter-Kindund Familien-Relationen, die so fundiert (aber wesentlich durch Institutionen kultiviert) sind; auch der alltägliche Lebenskampf zwingt zur Kooperation. Dieser Zwang zur Kooperation nimmt verschiedene Formen an; er realisiert sich (a) als gemeinsame Tatigkeit, als gegenseitige Hilfe, als Tausch und als solidarische Hilfsbereitschaft; oder aber (b) in Form hierarchischer Strukturen, die der Kooperation an einem Werk dienen. Die Kooperationsformen des Typus (a) können im Prinzip als natürliche Reaktionsweisen existieren, Kooperationen mit hierarchischer Ordnung - im Sinne von (b) - sind immer abhängig von wenigstens impliziten normativen Regeln und Befehlsrelationen. Wenn eine Arbeitsleistung die Kräfte des Individuums überschreitet, ist es naheliegend, die Aufgabe mit anderen gemeinsam zu bewältigen. Dies ist eine natürliche Verhaltensweise, die erst in der Phase der Ergebnisverwertung normative und Wertentscheidungen erfordert. Die Kooperation ist natürliche Grundlage, sie bringt die Notwendigkeit mit sich, Gerechtigkeitsprobleme zu erwägen und normativ zu entscheiden. Natürliche Kooperation nimmt den Charakter gegenseitiger Hilfe an, primär wohl schon als biologisch fundierte Reaktionsweise des Gemeinschaftswesens 15 Damit ist natürlich nicht gemeint, daß sie solche bewußten Denkprozesse sind, sondern bloß, daß sie als solche Operationen modelliert werden können.

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Mensch. Relationen der gegenseitigen Hilfe sind einerseits natürliche Reaktionen ("Wer mich schützt, den schütze ich"), andererseits Konventionen der Gegenseitigkeit, also normative Festsetzungen. Die Tendenz, diese Relation als gegenseitige Kooperation zu gestalten, scheint mir natürlich gegeben; sie wird zur genetischen Basis von partnerschaftlichen Relationen, bei denen dann die Gegenseitigkeit als Gerechtigkeitspostulat auftritt. Eine besondere Art von Kooperationsoperation ist auch der primäre Tausch. Idealiter besteht er aus freiem Konsens und ist an folgende Bedingungen gebunden: (i) die Tauschgegenstände a und b sind sachlich verschieden; (ii) die Person A zieht adern b vor, die Person B b dem a;

(iii) zwischen a und b besteht eine Wertäquivalenz. Die Bedingung (iii) ist für gerechtigkeitstheoretische Betrachtung wesentlich. Für die Erklärung des Tauschaktes genügen jedoch die Bedingungen (i) und (ii). Dennoch glaube ich, daß auch die Relation (iii) erwogen wird und geprüft werden muß. Man kann zwar in rein verhaltensbeobachtender Sicht sagen, daß die Realisation des Tauschaktes selbst die Wertäquivalenz von a und b objektiviert. In Wirklichkeit bestehen bloß entgegengesetzte Präferenzurteile der Tauschpartner. Die Personen PI und P 2 werden nur dann zum Tausch von GI und G2 bereit sein, wenn PI als Besitzer von GI> G2 dem Gegenstand GI vorzieht, und P2 als Besitzer von G 2, GI G 2 vorzieht. Die Tatsache des Tauschaktes als Zeichen einer objektiven Wertäquivalenz anzusehen, halte ich für problematisch. Wenn wir fragen, ob ein Tausch gerecht oder ungerecht sein kann, dann müssen wir die Frage nach der Wertäquivalenz der Gegenstände des Tausches als sinnvoll zulassen. Man kann hier aber auch beides ablehnen, sowohl die Frage nach der Wertäquivalenz als auch die nach der Gerechtigkeit des Tausches. Dann erscheint jeder Tausch als gerecht, denn die Tauschpartner haben frei gehandelt. Viele sind davon überzeugt, daß einem freiwilJig Handelnden nie Unrecht entstehen kann ("Vo!enti non fit iniuria"). Ich lehne den Grundsatz "Volenti non fit iniuria" aus zwei Gründen ab: Er spricht hier vom Handeln aus freier Entscheidung, ohne Situationen des Freiseins und Unfreiseins des Handelnden zu unterscheiden. Ein Wollen und freies Entscheiden in unfreier Situation, z. B. unter Knebelungsbedingungen des harten ökonomischen oder / und sozialen Drucks, garantiert keineswegs, daß das Ergebnis der Entscheidung vom Standpunkt der Gerechtigkeit nicht in Frage gestellt werden kann. Und so ist auch beim Tausch die Akzeptabilität der Wertrelation zwischen den Tauschobjekten durch den Tauschakt selbst nicht sichergestellt, denn die freie Entscheidung der Partner kann durch faktische Unfreiheitssituation (Notsituationen,

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Täuschung, unterschiedlicher Informationsstand der Kontrahenten u. a.) wesentlich verzerrt sein. Nicht eindeutig kann ich darauf antworten, wie die Wertrelation der Tauschobjekte bestimmt werden soll. Soll es die Wertung des unvoreingenommenen wohlwollenden Beobachters sein, der allgemeine Verkehrswert oder ein "objektives" Maß (wie z. B.: die investierte Arbeit I6), was hier entscheidet? Ein einheitliches und eindeutiges Kriterium, das in jedem Fall eine klare Entscheidung zuließe, dürfte es kaum geben. Doch scheinen mir oft solche Situationen feststellbar, daß an dem Urteil eines unbeteiligten Beobachters über die markante Wertungsgleichheit keine Zweifel bestehen. Den Einwand, daß dies ein moralisches, nicht aber ein rein ökonomisches Urteil ist, kann ich akzeptieren. Es haben sich partnerschaftliehe Gegenseitigkeitsbeziehungen herausgebildet, die ich als Solidaritätsrelationen bezeichnen möchte. Sie sind primär natürliche Beziehungen, die oft durch implizite oder explizite Konventionen stabilisiert und normiert werden. Solidaritätsrelationen bestehen nicht in faktischen gegenseitigen Leistungen, sondern in der gegenseitigen Bereitschaft, im Bedarfsfall die entsprechenden Leistungen zu erbringen. Sie haben verschiedene Grundlagen: sie können aus Dankbarkeitsgefühlen entspringen, aus genetisch vorprogrammierten (oder institutionalisierten) Familienbeziehungen, sie entspringen aus Freundschaft, Liebe u. a. Als Gemeinschaftswesen haben wir naturgemäß eine immanente Bereitschaft zu solidarischen Einstellungen und zur Herausbildung von Solidaritätsrelationen. Sie kommen spontan zustande, oder sie werden durch Übereinkünfte, Gewohnheiten, Moralkodizes oder Rechtsinstitutionen gegründet. Solidaritätsbeziehungen haben das Image moralischer Qualität: solidarisches Handeln wird als moralisch richtig, als inhaltlich gerecht gewertet. Elemente der Solidarität im menschlichen interpersonalen Verhalten halte ich für naturgegeben, und sie sind in ihrer institutionellen Entfaltung essentielle Momente der inhaltlichen Gerechtigkeitswertung.

VII. Hierarchische Kooperation Viele Kooperationen sind ihrer Natur nach, d. h. der zu bewältigenden Aufgabe entsprechend, hierarchisch aufgebaut. Die Kooperation muß gelenkt sein und von einem Plan ausgehen. Die hierarchische Struktur kann in verschiedener Weise zustande kommen. Die Effektivität der durch die Aufgabe bestimmten Aktivitäten ist wesentlich abhängig von einer hierarchisch geordneten Lenkung. Die hierarchisch 16 Die Anwendung der investierten Arbeit als Wertmaßstab ist in objektiver Weise kaum realisierbar. Es ist nicht nur die Arbeitszeit entscheidend, sondern auch die Intensität der Arbeit und die zur Arbeitsleistung nötige Qualifikation.

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geformte Kooperation kann für ein bestimmtes Werk konstituiert werden; es besteht aber eine natürliche Tendenz zur über den Einzelfall hinweggreifenden Stabilisierung der hierarchischen Strukturen, die dann den Charakter von organisierten Kooperationsinstitutionen annehmen. Hierarchische Kooperation bedeutet implizit oder ausdrücklich eine normative Konstellation: es bestehen differenzierte Kompetenzen, verbunden mit Gebieten und Gehorchen; es bestehen Pflichten und Erwartungen. Die realen Situationen und die Notwendigkeit, Formen der Kooperation zu bestimmen und zu etablieren, sind der Grund, warum Institutionen, deren ideeller Kern normative Regeln sind, entstehen. Daß Institutionen sich herausbilden oder bewußt geschaffen werden, ist ein natürlicher Zug des menschlichen Lebens. Hierarchische Kooperation ist ein natürliches Attribut von Gemeinschaftswesen. Es geht primär um Verhaltensweisen, die wir auch bei Tieren beobachten können. Das Besondere beim Menschen ist die differenzierte Gestaltbarkeit der Institutionen. Dies ist auch der Grund, warum wir vom Menschen als dem Schöpfer der Institutionen sprechen und ihn nicht nur als passives Glied einer kollektiven Organisation ansehen. Die Conditio humana macht es unvermeidbar, Institutionen zu schaffen; nur darin, wie er es tut, hat er ein gewisses Feld der Freiheit. Trotz der hierarchischen Struktur der meisten Kooperationsrahmen bestehen in der Regel auch hier innere Solidaritätsrelationen. Im Falle des Bedarfs wird dem einzelnen - auch wenn er in der Hierarchie eine untergeordnete Stellung einnimmt - Unterstützung und Hilfe geleistet. Es gibt also auch hier sozusagen natürlicherweise Gegenseitigkeitsbindungen. Der Aufbau oder die Umgestaltung von Institutionen, die wir überlegt durchführen, steht unter verschiedenen Zwecken und Beurteilungskriterien, die man sinnvoll in zwei Gruppen einteilen kann: (a) Kriterien der Effektivität, wobei vor allem die Zweckmäßigkeit der Organisation für die Erfüllung der Aufgabe (der Leitidee, wie man in der Institutionentheorie zu sagen pflegt) zu beurteilen ist, daneben aber auch z. B. Momente der Tradition und der Durchsetzbarkeit, und (b) Kriterien der Gerechtigkeit. Über diese sind einige Anmerkungen am Platz. Auch in den "spontan" entstandenen Institutionen gibt es, wie oben erwähnt, natürliche Solidaritätsbindungen. Dort, wo die Institution mehr oder weniger Konstruktion ist, muß die natürliche Komponente der Kooperation kultiviert werden. Hier besteht für den Schöpfer der Institution die moralische Aufgabe, Gerechtigkeitsgesichtspunkte heranzuziehen. Die hier relevanten Probleme zerfallen m.E. in folgende Teile: (i) Die Frage der Ausgewogenheit der Rollen. Die Vorteile, die der Rollenträger erhält, sollen mit den eingebrachten Leistungen harmonieren. Es werden hier immer Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und des Image der Positionen zu beurteilen sein.

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(ii) Für die Konstitution und Stabilität der Institution ist es entscheidend, die Identifikation der Mitglieder mit der Institution und ihrer Aufgabe sicherzustellen. Dies kann in verschiedener Weise geschehen. Dem demokratischen Ideal entspricht eine freie wohl erwogene Zustimmung zu der Institution. Wirkungsvoll können aber auch andere ideologische Faktoren sein. (iii) Es müssen Solidaritätsbindungen in der institutionellen Gemeinschaft aufgebaut werden. Eine gerechte Gesellschaft muß immer auch diesen humanen Aspekt der Institutionen berücksichtigen.

VIII. Zur Ontologie von Pflicht und Befehl Die Idee der Pflicht wird von vielen Denkern mit einem gewissen Nimbus umgeben. Pflicht wird als die Kernidee der Moralität verstanden. Pflichterfüllung wird - offenbar unter dem Einfluß militärischer Erziehung oder in ihrem Vorbereitungsfeld - in die Nähe von Gehorsamkeitsidealen gebracht. Die Verherrlichung der Pflicht und die verklärende Pflichtmetaphysik haben eher verwirrende Konsequenzen 17, als daß sie geeignete Ausgangspunkte einer rationalen ethischen Analyse sein könnten. Von den poetisch verklärenden und aus Militärtraditionen stammenden blinden Gehorsamkeitsidealen können wir in unseren Betrachtungen absehen, obwohl sie zweifellos eine der Facetten der Pflichtontologie in unserer Gesellschaft darstellen. Pflicht kann - rein semantisch betrachtet - als Pendant des Sollens verstanden werden: es ist Pflicht, das Gesollte zu tun und das Verbotene zu unterlassen. Wenn wir uns im Feld der autonomen Moral bewegen, ist die Rede von Pflichten nur eine andere sprachliche Variante der ethischen Rede. Der wichtigere Bereich, wo über das Wesen der Pflichten in sozialer Perspektive zu sprechen ist, sind die heteronomen Pflichten, d. h. Pflichten als jene Postulate, die dem Menschen von Institutionen für sein Verhalten vorgeschrieben sind. Sowohl bezüglich autonomer als auch heteronomer Pflichten gilt ein Mechanismus der Befriedigung, die man mit dem Bewußtsein der erfüllten Pflicht erlebt. Es ist eine Art von Erfolgserlebnis, wenn man sich mit einer Pflicht identifiziert hat und feststellen kann, daß man sie erfolgreich erfüllt hat. (Der Versuch, pflichtgemäß zu handeln, hätte ja auch mißlingen können.) Pflicht kann individuell oder generell verstanden werden. In einer individualisierten Situation kann einer Person ein spezifisches Verhalten als Pflicht gesetzt sein, oder es kann ein Typus des HandeIns auf Dauer, d. h. für eine längere Zeit17 Z. B. mit der Formel "Ich habe nur meine Pflicht getan" als Exkulpation für militärischen Kadavergehorsam unabhängig von moralischen und politischen Inhalten der Aktivitäten. Vgl. O. Weinberger, Pflicht. Gehorsam und Humanität. in: G. Mikula/G. Schulz/O. Weinberger, Pflicht und Gehorsam. Politicum 42. 9. Heft 1989. S. 2 - 8.

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spanne als gesollt gelten, wann immer eine entsprechende Gelegenheit - eine Pflichtsituation - eintritt. Vom pragmatischen Standpunkt aus ist gerade die Setzung genereller Pflicht von großer funktionaler Bedeutung: es wird höhere Effektivität bei breiteren Vorhaben (z. B. beim Training, beim Lernen u.ä.) erreicht und eventuell sogar eine Lebensform kreiert. 18 Gemeinschaften bedeuten immer Pflichtrelationen, und zwar sowohl Verhaltenspflichten als auch Kompetenzen, die Pflichten sind oder unter Umständen zu Pflichten werden können. Weit verbreitet ist die Meinung, daß heteronome Pflichten nur unter Zwang Strafe bei Nichtbefolgung oder Lohn bei Gehorsam - akzeptiert werden. Das ist soziologisch falsch. Das mag im wesentlichen - wenn auch nicht ganz, wie ich meine - bei oktroyierten Befehlen gelten, gilt jedoch sicher nicht im ganzen Bereich der Wirksamkeit heteronomer Normen. Es gibt ein Gemeinsamkeitsbewußtsein, mit dem alle effektiven gesellschaftlichen Institutionen arbeiten. Wir akzeptieren aus ideeller Überzeugung das meiste, was die Institutionen, denen wir angehören, uns heteronom auferlegen. Auch ziemlich Extremes wird oft akzeptiert, wie z. B. Kastenwesen, weil es durch einen religiösen Glauben gestützt wird. Man könnte meinen, daß Systeme der strengen Unterordnung - wie z. B. ein politisches System auf der Basis des Führerprinzips oder eine andere Parteidiktatur - von vernünftigen Subjekten nicht frei, sondern nur gezwungenermaßen akzeptiert werden können. Aber auch das ist nicht der Fall: Einerseits kann der Mensch nur sehr schwer aufs Mitspielen verzichten, wenn das System praktisch das gesamte gesellschaftliche Leben für sich usurpiert, andererseits wird das System immer in idealer Verbrämung präsentiert, so daß dem, der mittun will, hierfür moralisch akzeptable Gründe vorgelegt werden, die das Negative als unvermeidliche Nebensächlichkeiten vergessen lassen. Soziale Gerechtigkeit und die Überwindung der Ausbeutung sind doch schöne Ideale, welche die Unfreiheit des Tuns und Denkens vergessen lassen (der Stalinismus). Manchen gefällt auch nationale Größe und läßt auf Ausrottungsideologien vergessen, die damit verbunden sind (der deutsche Nationalsozialismus). Ich habe den Eindruck, daß in Wirklichkeit kein einziges System nur auf erzwungener Akzeptanz steht. Auch die entarteten Systeme des Terrors und Unrechts erlangen - wenigstens in ihren Anfangsstadien - ihre Akzeptanz weitgehend durch die Auswirkung ideologischer Ideale und durch die Notwendigkeit, die für jedermann - und vor allem für den kleinen Mann - besteht, mitspielen zu müssen und mitspielen zu wollen. Manchmal wird ausdrücklich, manchmal nur implizit vorausgesetzt, daß Pflicht - z. B. A zu tun - nur ein Reflex, eine pragmatische Folge der Strafandrohung (oder der tatsächlich drohenden Strafe) bei Nichterfüllung der Pflicht sei. 19 Dies gilt im Bereich der autonomen als auch der heteronomen Normen. Hans Kelsen sagt z. B. ausdrücklich, daß das Recht nur dadurch gebieten kann (d. h. Rechtspflichten statuiert), daß es auf das entgegengesetzte Verhalten Sanktionen festsetzt. H. 18

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Dies halte ich für falsch. Es ist dies eine logisch problematische Konstruktion, welche die Soziologie der Pflicht und des Pflichtbewußtseins verzeichnet. Es gibt Pflichten ohne direkte Sanktion, und auch die Tatsache der Existenz sanktionsloser Pflichten kann kaum bestritten werden. Es gibt zwar "ungesellige Geselligkeit" im Sinne von Kant, aber primär besteht der Wille, gesellschaftlich positiv, d. h. pflichtgemäß zu handeln. Die soziologische Realität der Pflichtbeziehungen - vor allem mit ihren Solidaritätsaspekten - ist ganz anders, als die Sanktionsexplikation der Pflicht suggeriert. Nur wer Pflichten hat und akzeptiert, sie im Bewußtsein trägt, hat auch das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit, ist integriert in die Gesellschaft. Aufgaben und Pflichten sind nicht negative Erlebnisinhalte, sondern Bindungen und die Basis von Erfolgserlebnissen und Selbstwertbewußtsein. Es gibt natürlich auch belastende und erdrückende Pflichten, aber die Vorstellung, das Ideal der Freiheit sei auf die Befreiung von Pflichten gerichtet, muß abgelehnt werden. Zwischen Freisein und Pflichtenhaben besteht kein Konflikt. Pflichten stehen oft in Verbindung mit Befehlen. Befehle können funktional verstanden werden, nämlich so, daß sie nichts anderes sind als die Konkretisierung dessen, was man tun oder lassen soll, um den gemeinsamen Zielsetzungen und Leitideen zu dienen. Sie können aber auch reine Äußerungen übergeordneter Macht und Unterdrückung sein, dann sind sie Stachel des Befehlenden gegen die Person, die dem Befehl unterworfen ist. Dann kommen Mechanismen zustande, die wegführen vom freien Leben zur Dynamik der Befehl-Stachel-Relationen. Elias Canetti hat dies in dem Buch "Masse und Macht" treffend beschrieben?O

IX. Gleichheit Gleichheit ist formale Gleichheit oder inhaltliche Egalität. Formale Gleichheit ist ein unabdingbarer Zug des Gerechtigkeitsdenkens. Das Postulat der formalen Gleichheit bedeutet nichts anderes, als daß das, was in relevanter Hinsicht gleich ist, gleich gewertet und gleich behandelt werden muß. Das kann man auch äquivalent so ausdrücken: Die Gerechtigkeitsanalyse arbeitet in genereller Sicht, das bedeutet, nach generellen Regeln, die mit als relevant festgesetzten Bedingungen normative Folgen verbinden. Genau das bedeutet formale Gleichheit: In relevanter Hinsicht gleiche Handlungen bringen gleiche Wertung und gleiche normative Folgen mit sich?1

Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., Wien 1960, S. 26 et passim; ders., (FN I), S. 77. Bei Moralnormen übernehmen Gewissensbisse die Rolle der Strafe. 20 E. Canetti, Masse und Macht, Frankfurt a.M. 1992 (I. Aufl. 1960), Kapitel "Der Befehl". Diesen Wirkungen wird in der modernen pädagogischen Psychologie und in der Kriminologie mit Recht immer mehr Beachtung geschenkt.

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Formale Gleichheit ist eine notwendige Gerechtigkeitsstruktur, besagt aber nichts über den Inhalt des gerechten Sollens. Das Prinzip der formalen Gleichheit konstituiert die universalistische Perspektive der Gerechtigkeit, hat aber nichts mit inhaltlicher Egalität zu tun. Aus ganz anderen Quellen kommen Überlegungen über Egalität (oder Gleichheit im inhaltlichen Sinn). Im demokratischen Geist kann man gewisse Arten von Gleichberechtigung der Menschen postulieren, und man kann aus Solidaritätsgründen sozialen Ausgleich fordern. Ob, in welchen Richtungen und in welchem Ausmaß Egalitätsforderungen festgesetzt werden, ist eine Frage der rechtspolitischen Entscheidung. Keinesfalls bedeuten aber Egalitätspostulate, daß das Leben, die Lebensformen und Lebensbedingungen der Menschen gleich sein müssen, um Gerechtigkeit herzustellen. Es liegt nicht in der Macht der Menschen oder eines politischen Systems, die Position aller Menschen in jeder Beziehung gleich zu machen - und dies ist, glaube ich, nicht einmal ein Traumziel.

x. Gerechtigkeit und ihre natürliche Basis In diesem Schlußkapitel möchte ich: (i) eine zusammenfassende Antwort auf die Frage nach den natürlichen - d. h. anthropologisch gegebenen - Konstituenten und Vorbedingungen der Gerechtigkeitsüberlegungen geben, (ii) auf natürliche Reaktionen hinweisen, die - ohne von bewußten Gerechtigkeitsanalysen abzuhängen Gerechtigkeitsmechanismen sind, d. h. konform mit Gerechtigkeitspostulaten wirken, und (iii) begründen - vor allem in Konfrontation mit Harts Lehre vom Minimalinhalt an Naturrecht -, daß die Anerkennung einer natürlichen Basis der Gerechtigkeit keine Naturrechtslehre ist. (i) Die Behauptung, daß Gerechtigkeitsanalysen eine anthropologische Basis haben, hat geringen Erklärungswert, denn alles, was die Menschen realisieren, ist irgendwie in ihrer Natur angelegt. Beachtenswert wird die Überlegung erst dann, wenn konkretisiert wird, worin die anthropologischen Konstituenten der Gerechtigkeit bestehen. Es existieren natürliche Reaktionen auf das Handeln der Mitmenschen, sozusagen automatische Gefühlsantworten: Dankbarkeit, Haß, Stachel-Reaktionen; die letzteren mit der Besonderheit, daß sie weniger Reaktion gegen Verursacher sind als vielmehr eine Transferwirkung in die Zukunft und auf andere Befehlsempfänger haben. Dankbarkeit und Haß sind Reaktionen, die Rudimente für die gerechte Gestaltung von Beziehungen liefern. Stachel-Reaktionen sind eher Verweise auf psycho-soziologische Schwierigkeiten für den Aufbau einer demokratisch gerechten Weit.

21 o. Weinberger. Gleichheitspostulate. Eine strukturtheoretische und rechtspolitische Betrachtung, in: ÖZÖR 25 (1974), S. 23 - 38; wiederabgedruckt in: ders., Logische Analysen in der Jurisprudenz, Berlin 1979, S. 146-163.

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Als "selbstverständliche" Reaktionen oder als Übereinkünfte beginnen Beziehungen der Gegenseitigkeit, und sie entwickeln sich weiter zu Beziehungen der interpersonalen Leistungsgestaltung, oft mit markant normativer Regulierung. Gegenseitigkeitsbeziehungen, inklusive Tausch, der als besonderer Fall dieser Beziehungen gelten kann, unterliegen der Gerechtigkeitswertung. Gegenseitigkeitsbeziehungen nehmen natürlich verschiedene Formen an. Besonders wichtig - und, wie ich meine, schon durch unsere Anlage gegeben - sind Solidaritätsbeziehungen, die nicht äquivalente Leistungen der Partner anstreben, sondern gleiche Bereitschaft zu Leistungen, falls diese erforderlich werden. Solidaritätsideen, die von dieser anthropologisch gegebenen Einstellung hergeleitet sind, halte ich für unabdingbare Grundkomponenten unserer Gerechtigkeitsvorstellungen. 22 Daß der Mensch kooperationsbedürftig und kooperationsfähig ist, Institutionen als Handlungsrahmen zu schaffen, ist naturgegeben ebenso wie das hohe Maß der Freiheit bei der Gestaltung von Institutionen. Gerechtigkeitsfragen werden hierbei naturnotwendig auftauchen, vor allem in bezug auf Rollenbewertung. Die Fragen werden mit Naturnotwendigkeit auftauchen, die Antworten sind weitgehend Wertdezisionen. (ii) Mechanismen, die auf die Entwicklung gerechter Beziehungen einwirken, sind vor allem die psychosoziologisch fundierte Tatsache, daß jeder Mensch die Handlungsweise der Partner irgendwie speichert, nicht nur als einfach deskriptives Vergangenheitsbild, sondern immer auch mit wertender Stellungnahme, die einen Mechanismus der positiven oder negativen Bereitschaft gegenüber dem Verursacher mit sich bringt: WerteinsteIlungen, Erwartungen und mehr oder weniger positive Einstellung gegenüber dem Nächsten werden als natürliche - aber auch rational darstellbare - Folgen erzeugt. Dies geschieht "automatisch" meist ohne bewußtes Entscheiden. Diese Reaktionsweise wird natürlich unter Umständen 'auch in moralisches oder/und rechtliches Sollen transformiert. Tatsachen der Kooperation und Solidarität sind natürlich Konstituenten unseres Lebens und nicht erst durch Moral, Religion oder Erziehung hervorgebrachte Beziehungsmuster. (Die Vorstellung, daß die Moral, die Religion und die Gesellschaftspolitik im wesentlichen gegen unsere Natur ankämpfen müssen, da diese primär sündhaft sei, ist durch eine repressive Moraltheorie, Vorstellungen von Erbsünde u.ä. hervorgerufen, aber kaum durch objektive Tatsachen belegbar.)23

22 Sie können natürlich unter verschiedenen Bezeichnungen auftreten, z. B. Nächstenliebe. Gemeinschaftssinn. 23 Vgl. O. Weinberger. Unkonventionelles über Moral. in: M. W. Fischer/O. Weinberger. Entartete Ideale, Graz 1992, S. 211 - 257. 15 Weinberger

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Ein anderer wichtiger Mechanismus ist der gemeinschaftskonstituierende Effekt von Pflichtbindungen. Die zugehörige Gerechtigkeitsproblematik stellt sich vor allem in Form der Frage nach der Ausgewogenheit des Rollenspiels in den Institutionen dar. Da Institutionen Machtkonstellationen schaffen, wird auch die Frage aktuell, ob die Macht nur funktionale Macht ist oder darüber hinaus ohne gerechten Grund als Machtschema wirkt. Die hier besprochenen Mechanismen und interpersonalen Reaktionsweisen haben in gewissen Fällen für einzelne Menschen sehr schmerzliche Folgen. Wenn jemand - ggf. aus psychopathologischen Gründen oder wegen moralisch negativer Einstellungen - es nicht versteht, mit den Menschen seiner Umgebung wohlwollend und kooperativ zu handeln, dann ist es sehr wahrscheinlich, daß dies auf sein Leben einen negativen Einfluß haben wird. Er wird kaum Freunde haben, und die Mitmenschen werden sich ihm gegenüber auch eher ablehnend verhalten. Es kommt hier sozusagen ein System von negativen Kreisreaktionen zustande. Ein rigider Moralist, der meint, man solle eben wohlwollend und kooperativ handeln und sei, wenn man sich nicht so verhält, an den negativen Folgen selber schuld, sieht die Problematik sehr verkürzt. Er zeigt auch wenig Sinn für solidarisches Denken und für den gesellschaftlich wichtigen Aspekt jeder Moralüberlegung, das Dasein der Menschen bessern zu wollen. Man muß m.A.n. Wege suchen, wie der Zyklus der Negativität und die Spirale der Haßreaktionen durchbrochen werden können. Die möglichen negativen Folgen der natürlichen Reaktionen auf das Verhalten der Mitmenschen annullieren aber nicht die prinzipiell konstruktive Bedeutung der natürlichen Reaktionen. Sie sind ein grundlegender gesunder Rahmen jeder Gemeinschaft. Im politischen Leben gibt es analoge automatische Reaktionen auf die historische Erfahrung, die Gruppen oder Staaten mit anderen gesellschaftlichen Gebilden gemacht haben. Frühere Feindschaften oder Verfolgungen auf der einen Seite oder erfolgreiche Kooperation auf der anderen haben auch hier analoge Folgen wie Vorerfahrungen im persönlichen Leben des einzelnen. In der Politik werden die Gefühlsreminiszenzen der Feindschaften oft noch durch politische Propaganda vertieft. Ich bin davon überzeugt, daß die Abkehr von jeglichem Historizismus und die Weisheit der verstehenden Toleranz heute das primäre Postulat einer humanen Friedenspolitik sein muß. Möglichkeiten einer solchen Politik bestehen tatsächlich, denn in unserer Zeit ist Kooperation und gegenseitige Offenheit eine wesentlich erfolgreichere Taktik als Konfrontationen und Feindseligkeiten. Die modeme Technik und Organisation der Produktion bietet mehr, als durch Gewalt und Raub erlangt werden könnte. Die aktuelle Waffen- und Kriegstechnik sagt uns eindringlich, daß Frieden und Kooperation heute das A und 0 jeder vernünftigen Politik sein muß.

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Das Bestehen und Entstehen von politischen und Interessenkonflikten sowie von Feindschaftsreaktionen ist unvermeidbar. Deswegen ist es unbedingt erforderlich, politische und völkerrechtliche Vorgangsweisen der Konfliktlösung zu institutionalisieren. Die Struktur der friedensfördernden Aktionen der Völkerrechtsgemeinschaft muß verändert werden: es müssen präventive Verhandlungsmechanismen zur Bewältigung von Problemen konstituiert werden, und die Völkerrechtsgemeinschaft muß ihre bisherige Rolle einer bloßen Feuerwehr transzendieren. (iii) Hart, der im englischen Sprachraum wohl als der profilierteste Rechtspositivist gilt, hat in seinem berühmten Buch "The Concept of Law" eine Lehre entwikkelt, die von vielen als eine gewisse Konzession an das Naturrecht gewertet wird. Seine Terminologie leistet dieser Deutung Vorschub, denn er spricht vom "minimal content of natural law". Seine Argumentation verläuft folgendermaßen: Ohne diesen unabdingbaren Minimalinhalt könnten Recht und Moral nicht das Minimum an Zweckmäßigkeit anbieten, das der Mensch braucht, um mit anderen in Gemeinschaft leben zu können. Fünf anthropologische Grundcharakteristiken führen zu den entsprechenden unabdingbaren Inhalten jedes Rechtssystems: 1. Der Mensch ist verletzbar, daher statuiert das Recht Verbote der Tötung und der Verletzung der körperlichen Integrität. 2. Die Menschen sind annähernd gleich, trotz Verschiedenheit ihrer Kraft, Aktivität und intellektuellen Fähigkeit. Dies führt zu wohlwollendem Verständnis und Kompromißbereitschaft, welche die Basis rechtlicher und moralischer Verpflichtungen sind. 3. Es gibt einen, allerdings beschränkten, Altruismus; wir sind weder Teufel noch Engel; es besteht also die Möglichkeit ebenso wie die Notwendigkeit normativer Regelung. 4. Die beschränkten Ressourcen, über die der Mensch verfügt, machen die Institution von Eigentum unerläßlich, in dynamischer Perspektive führt dies den Menschen zur Arbeitsteilung und zum konsensualen Eingehen von Verpflichtungen unter dem Grundsatz, daß Versprechen einzuhalten sind. 5. Sowohl unser Verständnis als auch unser Willen sind von beschränkter Kraft, so daß wir manchmal unseren augenblicklichen Interessen den Vorrang geben vor den geordneten zweckmäßigen Kooperationen; daher benötigt die Gesellschaft ein regulierendes Zwangsystem. Ich möchte hier nicht darüber diskutieren, ob Hart die wesentlichen Züge des Menschen und die entscheidenden Konsequenzen für sein Minimalnaturrecht adäquat herausgearbeitet hat. Es interessiert mich hier nur die Frage, ob solche Überlegungen überhaupt etwas mit Naturrecht zu tun haben. Seine Analyse zeigt nichts anderes, als daß ein brauchbares Rechtssystem gewisse interpersonale Beziehungen normativ behandeln muß. Es wird jedes Rechtssystem mit dem Schutz der Person, mit Kooperation, mit Dispositionsrechten und Zuteilung von Ertrag und mit Abmachungen zu tun haben. Aber seine ganze Argumentation gibt kein Argument in die Hand, wie diese Fragen normativ adäquat zu behandeln sind. Sie ist also in keiner Weise Naturrecht in dem Sinne, wie ich Naturrecht konzipiere, denn es kommt keine rechtlich-praktische Erkenntnis zustande. Es werden Problemkreise bestimmt, aber keine Antworten kognitiv gestützt. IS"

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Harts Lehre belegt, daß immanente Funktionen des Rechts existieren; er charakaterisiert also das Rechtssystem inhaltlich-funktional, gibt aber keine kognitiven Antworten, was richtiges - gerechtes - Recht ist. Meine Auffassung geht vielleicht noch weiter: Ich habe versucht, natürliche Konstituenten aufzuweisen, die zur Gerechtigkeitsanalyse ausgebaut werden. Auch dies ist aber keineswegs Naturrecht.

Moral - retrospektiv oder prospektiv? 1. AufgabensteIlung meiner Untersuchung Ethische und juristische Betrachtungen verlaufen in zwei Richtungen: (i) sie sind repressiv und retrospektiv, indem sie Tabus einführen, Verbote aufstellen und Pflichtverletzungen vorwerfen und mit Strafen belegen; (ii) sie sind prospektiv, weil sie die richtige (moralische) Gestaltung des Lebens

jedes Einzelnen und das gute Zusammenleben in Gemeinschaften anstreben. In der Ethik und Rechtsphilosophie unseres Kulturkreises scheint mir eine markante Prädominanz der repressiv-retrospektiven Sicht zu bestehen. Sie zeigt sich in verschiedenen Disziplinen der praktischen Philosophie: in der Normenontologie darin, daß immer wieder auf eine angeblich unaufhebbare Wesensbeziehung zwischen Sollen und Sanktion hingewiesen wird; in der Pädagogik geht man oft von der Vorstellung aus, daß erst durch die Erziehung und die soziale Kontrolle sowie durch die Bekämpfung des Bösen in unserere Anlage eine moralische Einstellung erzeugt werden kann; wesentliche Elemente religiöser Lehren - wie die Lehre von der Erbsünde und die Voraussetzung böser Anlagen in der Natur des Menschen sind Ausdruck der repressiven Auffassung der Moral; Postulate der Askese sowie die Abwertung alles Sinnlich-Körperlichen resultieren aus einer repressiven Moralauffassung; die Meinung, daß Recht nur zusammen mit motivierenden Sanktionen bestehen und wirken kann, entspringt der repressiv-retrospektiven Denkweise in der Jurisprudenz. Ich vertrete eine moraltheoretische und rechtsphilosophische Konzeption, die mit dieser herrschenden Vorstellung über Moral, Recht und Gerechtigkeit nicht übereinstimmt. Ich fordere den Vorrang prospektiven Denkens in der praktischen Philosophie; konstruktiv gestaltenden Überlegungen ist der Vorrang zu geben vor einer bloß tabuisierenden und strafenden Moral. Wir müssen unsere GrundeinsteIlung in der Ethik sowie in der Jurisprudenz ändern: Wir müssen übergehen von einer Moral der Repression und Verdrängung zu einer Moral der Lebensfreude, von einer Politik des Gruppen- und Nationalegoismus zu einer Politik der Verständigung und Kooperation. Wenn wir Moral und kritische Vernunft vereinen wollen, wenn wir einer Welt der Feindbilder und des Overkills entrinnen und eine Welt des Friedens, der Kooperation, des Verstehens und der Verständigung schaffen wollen, dann müssen wir in Fragen der praktischen Philosophie prospektiv denken lernen.

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Aufgabe dieser Abhandlung ist es: 1. jene Gebiete aufzuweisen, in denen sich die Dominanz der retrospektiven Sichtweise und der Repressionsideologie zeigt, und 2. Möglichkeiten und Wege einer prospektiven Betrachtungsweise in der Ethik und materialen Rechtsphilosophie aufzufinden. Meine Untersuchungen betreffen drei Gebiete: - die Nonnenontologie, - die Moraltheorie und - die Jurisprudenz. Um eine solide Argumentationsbasis zu gewinnen, werde ich einige Bemerkungen über handlungstheoretische Grundlagen der Moral- und Rechtstheorie vorausschicken.

2. Handlungstheoretische Grundlagen der Moraltheorie Moralische Postulate ebenso wie Rechtsnonnen beziehen sich auf unser Handeln, auf die Kooperation mit unseren Mitmenschen, auf Beziehungen des Individuums zur Gemeinschaft und auf die Interaktion zwischen Gemeinschaften. Das Wesen der Moral und des Rechts muß daher in handlungstheoretischer Sicht dargestellt werden. Moral setzt in gewissem Sinne Willensfreiheit voraus. Wie kann diese Willensfreiheit handlungstheoretisch fundiert werden? Handeln ist infonnationsbestimmtes intentionales Verhalten. Handlungssubjekte haben die Fähigkeit, Infonnationen zu gewinnen und sie zur Bestimmung ihres Verhaltens zu verwenden. 1 Das Wesen der Handlung kann durch die Darstellung der Struktur der handlungsbestimmenden Informationsprozesse expliziert werden. Der Begriff der Handlung ist eigentlich nur dann sinnvoll, wenn Handlungsspielräume und informationsbestimmtes Entscheiden existieren. 2 Beide sind empirisch nachweisbare Tatsachen. Sie bestehen nicht nur als Erlebnisgewißheit, weil ich weiß, daß ich im nächsten Augenblick stehen bleiben oder mich zum Tisch hinsetzen kann, je nachdem, wie ich mich entscheide, sondern sie sind auch durch Experimente belegbar: durch Zuleitung bzw. durch Abschirmen von Informationen ceteris paribus - kann das Verhalten von Handlungsträgern geändert werden. Sowohl die subjektive Analyse als auch die experimentell belegbare Erfahrung lassen folgende These als wohlbegründet erscheinen: Es gibt wenigstens einige Zeitpunkte im Lebensbaum des Handelnden, in denen er aufgrund von Informationen I O. Weinberge/; Zur Idee einer formal-finalistischen Handlungstheorie, in: ders., Recht, Institution und Rechtspolitik, Stuttgart 1987, S. 43 - 84. 2 O. Weinberge/; Freedom, Range for Action, and the Ontology of Norms, Synthese, Vol. 65,1985, S. 307-324 (S. 121 ff. dieses Bandes).

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entscheiden kann, welche der verschiedenen möglichen Verhaltens alternativen er realisiert. Handlungsfreiheit ist die Fähigkeit, das Verhalten durch unser Wollen gemäß unserem Wissen (bzw. Meinen) und gemäß unseren praktischen Einstellungen zu bestimmen. Handlungsfreiheit bedeutet nicht, daß unser Handeln indeterminiert, d. h. unabhängig von den determinierenden Umständen sowie von den vorliegenden Informationen ist. Der Mensch ist frei zu handeln. wie er will. aber es ist nicht sinnvoll zu sagen. er sei frei zu wollen. was er will. Für moraltheoretische und rechts philosophische Analysen ist es wichtig, sich darüber ein Bild zu machen. welche praktischen Informationen bei der Bestimmung des HandeIns zur Geltung kommen. Vor allem ist es ein System von Zwekken und Präferenzen, das die Wahl entscheidungen des Handelnden bestimmt. Dieses System definiert, was für das Handlungssubjekt nützlich ist, und es ist die Basis der teleologischen Abwägung, die zur Handlungsentscheidung führt. Neben dem zweckbestimmten Utilitätsdenken gibt es im System der Handlungsdeterminanten noch wenigstens zwei wichtige bestimmende Faktoren: autonome und heteronome Normen. Handeln ist zwar prinzipiell teleologisch explizierbar, aber ein realistisches Bild der Handlungsdetermination entsteht nur dann, wenn man berücksichtigt, daß nicht jeder einzelne Akt, nicht jede einzelne Handlungsentscheidung auf einer umfassenden teleologischen Analyse beruhen kann. Es entstehen vielmehr relativ fixierte Handlungsrahmen und das Handeln des Individuums wird durch Normen gesellschaftlich koordiniert. Durch Habitualisierung werden gewisse Verhaltensabläufe zu Ganzheiten, die unter entsprechenden Bedingungen gewohnheitsmäßig gesetzt werden, ohne daß jedesmal eine Zweckabwägung neu durchgeführt wird. Es werden Vorsätze fixiert, die entweder einen einzelnen Akt betreffen oder die ein gewisses regelhaftes Handeln mit sich bringen. Solche Vorsätze konstituieren Lebensformen und den Bereich der autonomen Moral. Fixierte Absichten und selbstgesetzte Normen erhöhen die Effektivität des Handelns; sie sind auch eine Vorbedingung des systematischen Lernens. Als Gemeinschaftswesen berücksichtigt der Handelnde immer auch gesellschaftliche Normen, die für ein Leben in den gesellschaftlichen Institutionen unerläßlich sind. Gesellschaftliche Normen schränken die Klasse der möglichen Mittel, die zur Erreichung von Zielen dienen können, auf die Klasse der zulässigen Mittel ein. Sowohl Utilitätsanalysen, d. h. zu guter Letzt Zwecke, die der Handelnde verfolgt, als auch gesellschaftliche Normen haben die Funktion, das Handeln zu determinieren. Das, was Utilitätsüberlegung fordert, kann mit dem normativ Geforderten übereinstimmen, verträglich sein oder im Konflikt stehen. Utilität und Norm wirken

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nicht immer in gleicher Richtung, d. h. es ist möglich, daß sie jede für sich genommen entgegengesetzte Entscheidungen hervorrufen würden. Wie kann man das Handeln nach Normen erklären? Kann der Mensch nach Normen handeln, wenn eine solche Handlung mit seiner Utilitätsüberlegung im Konflikt steht? Kant sagt: "Du kannst, denn du sollst." Dieses Sollen ist hierbei durch den kategorischen Imperativ bestimmt. Daß man kann, weil man soll, oder daß man kann, was man soll, ist offenbar keine Selbstverständlichkeit, keine analytische Wahrheit. Der Satz ist nur für den überzeugend, der an das Sittengesetz wie an ein in der Welt bestehendes Prinzip glaubt. Im Hintergrund des Kantschen Denkens steht der Glaube an das Bestehen eines objektiv richtigen Sollens. Es läßt sich daran zweifeln, ob aus der Formulierung des kategorischen Imperativs "handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde,,3 folgt, daß es ein eindeutig bestimmtes moralisches Sollen gibt. Das Postulat der Universalität des Sittengesetzes reicht dazu nicht aus, den moralisch richtigen Sollinhalt zu bestimmen. Es tritt hier eine zusätzliche und problematische Annahme Kants hinzu, daß ein Zusammenstimmen des Willens jedes vernünftigen Wesens bestehe und daß ein einheitlicher Wille der moralischen Gesetzgebung existiere. Das, was verschiedene Personen "wollen können", was sie durch diesen Willen zum moralischen Gesetz erheben, muß inhaltlich nicht identisch sein. Moralische Überzeugungen können divergieren, und die Erfahrung zeigt, daß dies oft auch tatsächlich der Fall ist. Universalität ist daher keine hinreichende Begründung konkreter moralischer Grundsätze. Bei Kant bedeutet Willensfreiheit gerade die Möglichkeit, nach dem Gesetz zu handeln; meiner Auffassung nach jedoch bedeutet sie die Fähigkeit, aufgrund informationsbestimmter Entscheidungen sein Verhalten einzurichten. Im Rahmen meiner Konzeption muß das Verhältnis zwischen der Bestimmung der Handlung durch Utilitätsanalysen und gleichzeitig durch Normen erklärt werden; es genügt nicht (wie bei Kant), moralisches Handeln als Handeln nach dem Gesetz zu definieren und strikt ein solchese Handeln zu postulieren. Man kann das Entscheiden so gestalten, daß die Determination durch die Norm vor alle Utilitätsüberlegungen gestellt wird. Die Norm allein entscheidet, wie man handelt, und nur in dem Feld, das sie nicht bestimmt, kommen Utilitätsüberlegungen zur Geltung. In gewissen Bereichen ist dies tatsächlich der Fall, vor allem dort, wo gewisse mögliche Mittel zur Erreichung unserer Ziele durch die Normen von vornherein ausgeschlossen werden und die Utilitätsanalyse nur moralisch zulässige Mittel in Erwägung zieht. Die Ausschaltung eines Konkurrenten könnte z. B. die Erfüllung meines Zieles herbeiführen; ihn zu ermorden, wäre zwar ein mögliches, doch unzulässiges Mittel, das daher gar nicht in die teleologische Erwägung einbezogen wird. 3

I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785.

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In den meisten Fällen ist aber der absolute Vorrang des moralischen Sollens vor die Utilitätsabwägung unrealistisch. Hier setzen sich moralische Postulate und gesellschaftliche Normen in einer Abwägung gegenüber Utilitätserwägungen mehr oder weniger durch. Ich halte dies für die Normalsituation des Lebens. Es kann nun gefordert werden, das Gewicht der Moral gegenüber Utilitätsmomenten zu stärken, doch im Prinzip bleibt die Dialektik von Utilität und Norm bestehen. Es ist m.E. ein vernünftiges Lebensprinzip, einen Lebensplan anzustreben, der Harmonie zwischen Moral und Utilität sucht. Nicht die Moral des Märtyrers scheint mir erstrebenswert, sondern das Suchen nach nützlichen und moralisch akzeptablen Lösungen.

3. Normenontologie und die Funktionen der Norm Normen sind Instrumente der Handlungslenkung, der interpersonalen Koordination des Verhaltens sowie des Aufbaus gesellschaftlicher Institutionen. Sie haben den Charakter von Informationen mit spezifischer, nämlich: normativer, Bedeutung. Zusammen mit anderen Faktoren bestimmen sie auch die Erwartungen, mit denen verschiedene Personen einander gegenübertreten. Die Normenontologie, die das Wesen der Normen und deren Rolle im Leben des Einzelnen und der Gesellschaft explizieren will, muß sich daher auf handlungs- und institutionstheoretische Überlegungen stützen. Handeln ist auf zukünftiges Verhalten gerichtet; Normen haben daher im wesentlichen einen auf die Zukunft bezogenen Inhalt. Genauer gesagt: Die zeitlichen Bestimmungen der Sollinhalte liegen - relativ zum Zeitpunkt der Setzung der Norm - in der Zukunft. 4 Sätze vom Typus "Gestern sollst du p tun" sind keine sinnvollen Anordnungen. Die Grammatik kennt eigentlich keine Vergangenheit des Imperativs. "Gestern hättest du p tun sollen" ist eine Konstatierung einer Pflichtverletzung, aber kein Befehl: der Satz drückt keine Handlungsanordnung aus. In rückblickender Anwendung fungiert die Norm nur als Wertungsmaßstab. In gewisser Weise haben Normen aber doch retrospektiven Charakter, wenn sie Verhalten nicht direkt gebieten oder verbieten, sondern indirekt durch Strafen oder Belohnungen zu einem gewissen Verhalten motivieren wollen. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß im Rechtsleben der repressive Motivator (die Strafe) wesentlich häufiger auftritt als positive Motivation durch Gewährung von Vorteilen oder I und Be4 Die Subsumtionsbedingungen für hypothetische Anordnungen können selbstverständlich beliebige zeitliche Bestimmungen haben. Die These, daß Sollinhalte wegen ihrer handlungsbestimmenden Funktion vernünftigerweise zukünftiges Verhalten anordnen, ist daher keine Begründung für das strafrechtliche Verbot der Rückwirkung von materiellen Strafrechtsbestimmungen. Der prinzipiell berechtigte Grundsatz "Nullum crimen, nulla poena sine lege praevia" folgt nicht aus der Normenontologie, sondern er muß anders, nämlich rechtspolitisch und moralisch, begründet werden.

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lohnungen. Auch die Moralphilosophen sprechen mehr von Gewissensbissen ob böser Taten denn von der Freude und Befriedigung aus der guten Tat oder aus dem solidarischen Kooperieren und dem Mitfühlen. Das Androhen von Strafen und der institutionalisierte Strafvollzug haben allerdings auch Auswirkungen in die Zukunft: Sie definieren das Delikt - allerdings dann und nur dann, wenn der angedrohte Nachteil als Strafe, d. h. als Folge einer Pflichtverletzung charakterisiert wird 5 - und wirken sich als negative Motivatoren aus. Normen greifen in verschiedener Weise in das gesellschaftliche Handlungsgefüge ein: (i) sie treten als autonome oder heteronome Determinanten in die Handlungsentscheidung des Einzelnen ein; (ii) sie bestimmen Kooperationen und Pflichtrelationen zwischen Handlungssubjekten;

(iii) sie sind unabdingbare Bestandteile des Aufbaus von Institutionen und determinieren deren Organisation sowie die Rollen der in den Institutionen mitwirkenden Personen und Gruppen. Trotzdem aus der handlungsdeterminierenden und institutionenformenden Funktion der Normen folgt, daß sie primär prospektive Funktionen haben, gibt es gewisse Gründe, die dazu geführt haben, daß Normen oft vor allem repressiver Charakter zugesprochen wird. Die Gründe, weIche angeführt werden oder faktisch in Erscheinung treten, liegen in verschiedenen Ebenen. 1. Ein philosophisches (a) und ein informationstheoretisches (b) Argument verlaufen beinahe parallel: (a) Spinozas These" Omnis determinatio est negatio" (sie spielt auch in der Hegelschen Philosophie eine nicht unwesentliche Rolle) impliziert, daß alles - also auch das Verhalten der Normadressaten - nur negativ, d. h. durch Ausschluß (Repression) von Möglichkeiten normativ determiniert werden kann. Spinozas These ist unter gewissen Bedingungen nicht unplausibel, nämlich gen au dann, wenn man - wie in seinem System des Deus sive Natura - von einer begrifflich gegebenen Gesamtheit ausgeht. Dann ist jede untergeordnete Sphäre oder jedes Einzelding durch Abgrenzung gegenüber dem Ganzen bestimmt. Der allgemeinen Erkenntnissituation entspricht die These aber nicht: Gegenstände können durch Feststellung der Gleichheit mit einem Standard charakterisiert werden. Die meisten Eigenschaften, durch die wir Gegenstände charakterisieren, stützen sich auf Äquivalenzen (Gewicht, Farbe usw.). Der Gegenstand wird dann durch Einreihung in eine Äquivalenzklasse beschrieben, nicht durch Negation. 5 O. Weinberger, Der Begriff der Sanktion und seine Rolle in der Normenlogik und Rechtstheorie, in: H. Lenk (Hrsg.), Normenlogik, Grundprobleme der deontischen Logik, München 1973, S. 89 - 111.

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(b) Die Theorie der Regulierung lehrt uns, daß jede Regulierung eine Einschränkung des Feldes der Verhaltensmöglichkeiten mit sich bringt. Daraus scheint die These zu folgen, daß Normen ihrem Wesen nach repressiv sind, weil sie nur durch Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten lenkend in Erscheinung treten können. Eine relativ einfache Überlegung zeigt aber, daß aus dem angeführten informationstheoretischen Grundsatz über Regelungssysteme nicht folgt, daß Normen prinzipiell nur repressiven Charakter haben. Der Aufbau eines Lenkungs- oder Regulierungssystems besteht aus zwei Schritten: aus der Bestimmung des Feldes möglicher Zustände oder Verhaltensweisen und aus der Auswahl einer Verhaltensalternative (oder wenigstens einer Einschränkung des Feldes der Möglichkeiten). Da das gesamte Feld aller Verhaltensmöglichkeiten der Menschen und Sozietäten nicht gegeben ist, kann zwar gesagt werden, daß die Normierung de facto Möglichkeiten einschränkt, das Sollen kann aber nicht nur in Form von Beschränkungen ausgedrückt werden. Normierung ist ihrem Wesen nach nicht negativ, denn Sollen will positiv ein gewisses Verhalten und Handeln hervorrufen und nicht nur gewisse mögliche Verhaltensweisen unterdrücken. Normierung setzt in erster Linie positive Richtlinien des HandeIns, hierdurch - oder daneben - werden auch Verhaltenspotentialitäten ausgeschlossen. Eine wichtige Form der Normen, die beim Aufbau von gesellschaftlichen Einrichtungen, Strukturen und Rollen unabdingbar sind, nämlich die Ermächtigungsnormen, sind als bloße Beschränkungen nicht konstruierbar. 2. Die juristische Theorie der Rechtsregel (des Rechtssatzes) - sie wird vor allem von Kelsen vertreten -, die behauptet, das Recht könne nur durch Androhung von Sanktionen anordnen, dient vor allem der Charakterisierung der Rechtsnorm in Gegenüberstellung zu anderen Normen, zu Normen der Sitte, der Moral u.ä. Mit dieser Theorie werde ich mich noch später befassen. Hier sei nur angemerkt, daß diese Auffassung sowohl logisch als auch psychologisch und soziologisch unhaltbar ist und daß sie zu kaum akzeptablen rechtspolitischen Konsequenzen führt. Aus der Regel, daß bei Vollzug der Handlung A eine für den Adressaten unerwünschte Rechtsfolge eintreten soll, folgt nicht, daß A verboten ist (die Pflicht nicht-A besteht).6 Ermächtigungsnormen (z. B. die Rechtsnorm, die ermächtigt zu testieren) können kaum in akzeptabler Weise in die Form von Sanktionsnormen umgegossen werden. Psychologisch und soziologisch betrachtet ist es falsch, daß leges imperfectae wirkungslos sind. Last, but not least führt die Sanktionskonzeption zu einer rechtspolitischen Auffassung, die Repression und Sühne in den Vordergrund der Rechtspolitik stellt, positive Motivation durch Vorteilhaftigkeit 6 Das beweist folgendes Gegenbeispiel: ,Wer ein Einkommen hat, das einen gewissen Wert überschreitet, soll Einkommensteuer zahlen' (offenbar eine unerwünschte Wertverminderung des Vermögens). Diese Norm impliziert aber keineswegs die Pflicht, kein Einkommen über den Schwellenbetrag der Einkommensteuer zu haben. Vgl. auch H. L. A. Hart, The Concept of Law, Oxford 1961 1, 1972, S. 39.

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rechtsgemäßen Verhaltens praktisch außer acht läßt und die gesellschaftskonstruktive und organisatorische Rolle des Rechts in die juristische Theorie nicht einbezieht. 3. Liberalistischen Vorstellungen entspringt das Postulat, Recht solle nur insoweit repressiv sein, als es eine möglichst ungestörte Koexistenz der freien Tätigkeit der Individuen garantieren solle; es habe aber nicht positiv lenkend zu sein. Ich halte diese Auffassung für falsch. Der Autbau von Institutionen und die Konstitution interpersonaler Kooperation sind schöpferisch und formen das soziale Leben in prospektiver Weise, und dies hat das Rechtssystem zu leisten. Ja, es hat diese Aufgabe auch dann, wenn es nur konstruktiv Initiativen der Bürger einführt und dem Staat keine wirtschaftlich-organisatorische Kompetenzen einräumt7 , d. h. wenn ein extrem liberalistischer Staat konstituiert wird. Sache der politischen Einstellung ist es, zu entscheiden, wie weit staatliche Normierung Lebensformen vorschreiben oder diese Aufgabe permissiv delegieren soll. Auch dann, wenn die Institutionen und Lebensformen nicht durch staatliche Lenkung bestimmt werden, muß eine auf Übereinkunft beruhende Normierung konstitutiv zur Geltung kommen.

4. In der Logik haben einige Autoren versucht, die Problematik der logischen Analyse von Normen auf eine gewisse Art von Aussagesätzen über Sanktionen zurückzuführen. Ich meine, ohne Erfolg, denn es gelingt nicht - und ich bin der Meinung, es kann gar nicht gelingen -, mittels aussagender Sanktionssätze Normsätze adäquat darzustellen. Die bekannteste Theorie dieser Art stammt von A. R. Anderson. 8 Der Begriff der Sanktion wird hier nicht als etwas gedeutet, was für den Adressaten unerwünscht ist, sondern als ,das unrechte Ding', als ,Unwert', sozusagen als Marke für das Schlechte. Der Unwert S wird als etwas Vermeidbares verstanden. (Wenn S unvermeidbar wäre, dann könnte es zur Vermeidung der Handlung nicht motivieren. Der das Sollen darstellende Satz wäre immer wahr.) Im Andersonschen System wird etwas (ein Verhalten, eine Handlung) dadurch als gesollt (verboten) charakterisiert, daß sein Negat (es selbst) den Unwert notwendig impliziert: ,Es ist geboten, daß p' (,Op') wird dargestellt durch den Satz ,Wenn 'P, dann notwendigerweise S'. ,Es ist verboten, daß p' (,Fp') durch: ,Wenn p, dann notwendigerweise S'. ,Es ist erlaubt, daß p' (,Pp') durch: ,Es ist nicht der Fall, daß: Wenn p, dann notwendigerweise S'.

7 Oe facto macht jeder Staat irgendwie auch Wirtschaftspolitik, z. B. als Träger des Währungs- und Finanzsystems. 8 A. R. Anderson/O. K. Moore. The Formal Analysis ofNormative Concepts. Am. Sociol. Rev., Vol. 22/1, 1957, S. 9 - 121; A. R. Anderson. The Logic of Norms, Logique et analyse,

1958, S. 84-91.

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Diese Theorie führt zu bedeutenden Schwierigkeiten: (i) Damit der Unwert vermeidbar sei, muß das Gebotene realisierbar sein: Soll man die möglichen Normen auf tatsächlich Realisierbares einschränken? Das ist nicht ganz unproblematisch. (ii) Wenn man wenigstens zwei Normen NI und N2 in Betracht zieht (das gilt also für jedes praktisch interessante Normensystem), dann erhalten diese Normen in der Andersonschen Transkription die Form (,S' sei das Zeichen für den Unwert, nl, n2 das NI, resp. N2 entsprechende Verhalten): Wenn nl, dann notwendigerweise S. Wenn n2, dann notwendigerweise S. Wird nun wenigstens eine Norm verletzt, dann hat dies S zur Folge - also ist der Unwert nicht mehr vermeidbar. Die Transkription funktioniert also bloß, wenn es um eine einzige Norm geht oder wenn keine Norm verletzt wird. (iii) In der Andersonschen Form tritt eine Implikation mit der Sanktion (= Unwert) als Konsequent auf. Es ist fraglich, ob der Unwert ein rein beobachtbares kognitives Datum ist, ob es sich nicht vielmehr um ein Wertzeichen handelt, das nicht ohne weiteres als Argument eines wahrheitsfunktionalen Junktors angewendet werden kann. (iv) Wenn man hier das ,impliziert notwendig' als al ethische Modalität versteht, sind die meisten als Normübersetzung angeführten Sätze unwahr, denn die Erfahrung lehrt, daß es durchaus nicht so ist, daß jede Pflichtverletzung tatsächlich - umso weniger notwendig - ihre Strafe findet. Ist diese Notwendigkeit aber normativ zu verstehen, dann kommt keine Reduktion der Normsätze auf Sätze der deskriptiven Sprache zustande. 9 Die Anwendung der strikten Implikationen täuscht zwar sprachlich Adäquatheit vor, sie ist aber nicht zielführend. Die Andersonsche Erlaubnisdefinition - sie bedeutet nicht mehr als ,Es ist möglich, daß (p und non-S)' - ist offenbar so schwach, daß man dies kaum als Erlaubnis von p verstehen kann. \0 Jeder Versuch, Normsätze in Form von Sanktionssätzen darzustellen, hat folgendeMängel: (a) Sanktionslose Normen werden aus der Betrachtung ausgeschlossen. (b) Aus dem einem Normsatz als "Übersetzung" zugeordneten Sanktionssatz sind Folgerungen ableitbar, die aus dem Normsatz selbst nicht folgen. 11 Von Bedeutungsgleichheit dieser Sätze kann also keine Rede sein. 9 P. H. Nowell-Smith/ E. J. Lemmon, Escapism: the Logical Basis of Ethics, Mind, NF. 69, 1960, S. 289-300. 10 G.H. von Wright, Deontic Logic and the Ontology of Norms, in: Akten des XlV. Internationalen Kongresses für Philosophie, Bd. H, Wien 1968. 11 Vgl. eh. Weinberger/O. Weinberger. Logik, Semantik, Hermeneutik, München 1979, S. \03.

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(c) Der Sanktionssatz ist widerlegbar, nämlich dann, wenn die Sanktionsbedingungen, nicht aber die Sanktion eintritt (der zugeordnete Normsatz kann in dieser Weise nicht widerlegt werden). (d) Das Unterfangen führt zu einem Zirkel, denn der Sanktionsbegriff kann nur als Folge einer Normenverletzung definiert werden. (e) Immer, wenn A Tatsache wäre, müßte ,A soll sein' gelten (dies folgt aus der Tautologie ,A ~ (-,A ~ S)', deren Hintersatz der Sanktionssatz ist. (f) Es müßte immer wenigstens einer der Sätze ,A soll sein' oder ,-,A soll sein'

gelten [weil ,(A

~

S) V (-,A

~

S)' eine Tautologie ist].

Die Ergebnisse dieses Abschnittes kann ich in folgenden Thesen zusammenfassen: Normierung ist primär prospektiv, sie erzeugt Strukturen und mittels Institutionen Bedingungen der Lebensform. Sie ist allerdings auch repressiv, denn Normierung beschränkt die Zulässigkeit von Handlungsweisen als Mittel zur Erreichung von Zwecken. Im Rückblick ist die Norm Wertungsmaßstab und Begründung von Sanktionen, soweit diese normativ vorgesehen sind. Es scheint mir wünschenswert - psychologisch, soziologisch und moralisch betrachtet -, sich nicht auf negative Motivatoren zu beschränken, sondern mehr positive Motivatoren in Betracht zu ziehen. Auch in der Logik der Normen ist es verfehlt, von der Voraussetzung auszugehen, die Norm sei ihrem Wesen nach an Sanktionen gebunden, und zwar in dem Sinne, als könne Sollen dann und nur dann bestehen, wenn Nicht-Erfüllung des Sollens Sanktionen (faktisch oder / und als gesollt) hervorrufen.

4. Repressive und retrospektive Momente in der Moraltheorie In verschiedener Form und mit unterschiedlicher Intensität wird von ethischen Konzeptionen der repressive Charakter der Moral betont. Es würde mir nicht gelingen, einen geordneten und wenigstens einigermaßen vollständigen Überblick der repressiven Elemente in den moraltheoretischen Lehren zu geben; ich werde es daher gar nicht versuchen, sondern nur einige Punkte, die mir wichtig erscheinen, herausheben. Man nimmt an, daß die Sozialisation eine Art der Dressur ist, bei der das Individuum der Gesellschaft, den Lebensbedingungen und Werthaltungen der Gesellschaft eingepaßt wird, damit es in den Rahmen der Institutionen hineinwächst, in denen es leben muß. Die Sozialisation ist natürlich unter anderem auch Anpassung und Beschränkung der Verhaltensmöglichkeiten, aber es gehören zu ihr auch positive Faktoren des Lernens, Nachahmens und Einübens. Hierbei kommen soziale Grundtriebe zur Geltung: der Nachahmungstrieb und ein positives Streben, das aus dem Bedürfnis, gemeinschaftlich zu leben, resultiert. Repressionen sind nur zusätzliche Adaptationsmittel, die nur gelegentlich zum Schutz gegen Mißfunktionen zur Geltung kommen.

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Es gibt verschiedene metaphysische Annahmen über das Wesen der Menschen, die den Prozeß der Sozialisation und noch mehr den Aufbau der moralischen Persönlichkeit als Unterdrückung negativer Anlagen des Menschen erscheinen lassen. Kant meint z. B., daß der Mensch aus krummem Holz sei; er müsse daher zur Moral erst erzogen werden. Er glaubt auch an das "radikal Böse", das überwunden werden müsse. 12 Die von der christlichen Religion tradierte Lehre von der Erbsünde dürfte auf Kant und andere Denker unseres Kulturkreises einen wesentlichen Einfluß gehabt haben. Sie ist zusammen mit den religiösen Vorstellungen über den Kampf zwischen Gut und Böse wohl der wichtigste Vorstellungskomplex, der zur repressiven Konzeption der Moral führt. Ich muß eingestehen, daß die Idee der Erbsünde eine für mich nicht nachvollziehbare Auffassung ist. Sünde kann es wohl ex definitione nur aufgrund von Schuld geben; und Schuld ist nur denkbar als Folge des HandeIns oder des pflichtwidrig verabsäumten Handelns. Mit Schuld und Sünde das Leben zu beginnen, ohne als Handelnder in Erscheinung getreten zu sein, ist daher ein Ding der Unmöglichkeit. Die Vorstellung, daß die Schuld - und damit die Sünde - in der natürlichen oder ererbten Neigung zum Bösen bestünde, würde mit der moralischen Autonomie in Konflikt geraten, denn wenn Moral und moralisches Werten von der Autonomie der Person ausgeht, dann ist Schuld nur im Wollen und Tun oder Lassen, nicht in dem Dasein der Person selbst verankert. Ich glaube auch nicht daran, daß der Mensch von Geburt und seinem Wesen nach einen primären Hang zum Bösen hat. Im Gegenteil, gerade aus der - vielleicht nicht unberechtigten - Angst, daß wir nicht fähig sein werden, gut - oder wenigstens nicht immer gut - zu handeln, resultiert die Vorstellung, daß wir vielleicht doch einen gewissen Hang zum Bösen haben. Unsere Schwäche und die Unfähigkeit des Menschen, immer moralisch optimal zu handeln, sehe und anerkenne ich natürlich. Ich zweifle nur daran, ob dieser Zug der Conditio humana durch den Terminus (und Begriff) der Erbsünde adäquat dargestellt wird: Wenn es prinzipiell für den Menschen unmöglich ist, immer stark zu sein und immer moralisch optimal zu handeln, dann wäre es eine Forderung ultra posse, und kein angemessenes Moralpostulat, vom Menschen engelhaftes Verhalten gepaart mit Herkules-Kraft zu fordern. Auch in meiner autonomen Selbstwertung muß ich die Grenzen des Möglichen als Grenzen möglicher moralischer Verurteilung anerkennen. Das kann nicht menschliche Sünde sein, was nicht Menschen, sondern nur Engel leisten können. Nach meiner Auffassung der Moral sind Schuld und Sünde prinzipiell nur dem Handelnden selbst zurechenbar, und daher ist Sünde nicht durch die "Ursünde" Adams - also einer anderen Person - begründbar. 12 I. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1773), in: Kant Werke, Bd. VIII, Frankfurt 1956.

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Man könnte vielleicht die Erbsünde anders auffassen: nicht als eine Art der Sünde aufgrund von Schuld, sondern als Begriff, der nur zum Ausdruck bringen soll, daß die Struktur des menschlichen Lebens von der Art ist, daß man nicht sündenfrei leben kann. Das mag wahr sein, aber es hätte den Charakter einer Exkulpation: denn wenn es keinen sündenfreien Weg gibt, dann ist das Minimieren der Sündhaftigkeit das Beste, was man machen kann, so daß dann darüber hinaus Schuld nicht mehr besteht. Nur eine wesentlich schwächere Behauptung scheint mir richtig. Der Mensch kann es nicht vermeiden, so zu handeln, daß er auch Schlechtes bewirkt. Darin liegt eine Härte des Lebens, ein Grund für Trauer, aber kaum eine Begründung für ein Schuldurteil, für eine Feststellung der Schuldhaftigkeit des Menschen ab initio oder seinem Wesen nach. Wichtig scheint mir eine moralische Implikation der Unvermeidbarkeit, auch Schlechtes zu bewirken: Genauso können unsere Mitmenschen nicht vermeiden, gelegentlich auch Schlechtes zu bewirken. Wir sollten es daher lernen, dafür Verständnis aufzubringen und jeden ethischen Rigorismus und moralische Intoleranz zu vermeiden. In einigen Religionssystemen wird in verschiedener Weise eine Metaphysik des Kampfes zwischen Gut und Böse aufgebaut. In der Lehre Zarathustras als Kampf zweier Prinzipien, die an und für sich bestehen und um die Herrschaft in der Welt streiten; nach christlicher Lehre als Prinzip des Guten und als Prinzip des Bösen: Gott und Teufel, wobei aber das Böse nicht als selbständiges Urprinzip, sondern nur als von Gott zugelassener Gegenspieler da ist. Ich halte die Hypostasierung von ,gut' und ,böse' und die damit verbundene Metaphysik für eine problematische Basis der Moraltheorie. Sie entspricht meiner Ansicht nach nicht der menschlichen Lebenssituation. Gute und weniger gute (bzw. in verschiedenem Maße böse) Tendenzen mögen in unserer Brust bestehen und sich mehr oder weniger in unseren Entscheidungen und Handlungen durchsetzen. Es gibt aber wohl keinen Menschen, der restlos gut oder der restlos böse handelt. Wenn wir bildlich sprechen wollen, können wir sagen, daß bei niemandem nur das Gute oder nur das Böse herrscht: es besteht vielmehr ein moralischer Kampf zwischen verschiedenen Tendenzen unserer Seele. Weniger bildhaft ausgedrückt bedeutet dies: wir entscheiden darüber, wie wir uns verhalten unter der Konkurrenz von subjektiven Utilitätsüberlegungen und moralischen Werten. Die angestrebte Utilität (ein gewisser subjektiver Egoismus) darf aber nicht mit dem Bereich des Bösen gleichgesetzt werden. Utilität und Egoismus mögen stellenweise auch böse Wege gehen, aber Utilitätsdenken ist nötig und nicht immer moralwidrig. Mit der Hypostasierung von ,gut' und ,böse' geht häufig die ganz unsachliche Vorstellung Hand in Hand, daß wir uns im Prinzip und im gesamten Feld unseres Handeins uno actu für ,gut' oder aber für ,böse' entscheiden, gegebenenfalls, daß wir vom Guten oder vom Bösen beherrscht werden. Unser Leben beruht nicht auf einer solchen Fundamentalentscheidung. Das moralische Leben besteht im täglichen Kampf um ,gut', und dessen sollten wir uns bewußt sein, und zwar gleicher-

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maßen in der Selbstbetrachtung wie in Relation zu unseren Mitmenschen. Bei der Hypostasierung von ,gut' und ,böse' sowie bei der Voraussetzung, daß wir uns prinzipiell für eines oder das andere entscheiden, setzt auch der Glaube an den Teufel an. Der Glaube an den Teufel - oder an Teufel - birgt in sich die Gefahr, Menschen als vom Teufel besessen oder mit dieser bösen Macht kooperierend anzusehen. 13 Was daraus werden kann, hat uns die Geschichte gezeigt: die grausame - und ich meine: unchristliche - Verfolgung von Hexen und Zauberern, Inquisition und Autodafe. Wir wissen, daß der Mensch der heutigen Hochkultur dem Massenwahn und seinen Folgen ebenso unterliegen kann wie unsere Vorfahren, die auch nicht von primitiven Tölpeln, sondern von gelehrten Theologen, Religionsstiftern und Päpsten zu diesen Aktivitäten hingeführt wurden. Die Hypostasierung von ,gut' und ,böse' verschleiert die wahre Situation der Moral und der moraltheoretischen Analyse: ,gut' und ,böse' sind keine fixen Gegebenheiten, sondern wir stehen stets vor dem Problem und der Aufgabe, in unserer Situation eine gute, d. h. moralisch akzeptable, Lösung zu suchen. Das Böse wurde im christlichen Kulturkreis oft mit der Ächtung von Eros, Sinnlichkeit und Genuß in Verbindung gebracht. Das natürliche Streben, natürliche Sehnsüchte - einschließlich verstehender Zärtlichkeit -, sollten unterdrückt werden. Und dies wurde zum Grundinhalt der Moral gemacht. Askese und Repression beherrschten die Moral. Die Konsequenzen standen oft in tiefem Widerspruch zur christlichen Nächstenliebe und lenkten das moralische Denken von der Grundaufgabe der menschlichen Solidarität und der verstehenden Brüderlichkeit ab. Nun, 13 Zum Problem des Teufelsglaubens siehe J. B. Bauer, Abschied von Hexenwahn und Teufelsglauben. Die Hexenverfolgungen aus der Sicht der heutigen Kirchen, in: H. Valentinitsch (Hrsg.), Hexen und Zauberer. Die große Verfolgung - ein europäisches Phänomen in der Steiermark, Graz 1987, S. 207-412. Beachtenswert ist ein Zitat von H. Haag, das der Autor anführt: "Der Teufel ist ein bequemes Alibi für alle menschlichen Untaten, bis heute. Er liefert sogar die willkommene Erklärung (und Entschuldigung?) für die Gaskammern von Auschwitz. In einer am 26. 9. 1976 in Altötting gehaltenen Predigt erklärte der damalige Bischof von Regensburg: ,Wenn es den Bösen nicht gibt, dann steckt das Böse ganz im Menschen. Dann ist der Mensch allein verantwortlich für die abgrundtiefe Bosheit, Gemeinheit und Grausamkeit. Dann ist er allein schuldig an den Morden im Archipel Gulag und an den Gaskammern von Auschwitz, an den unmenschlichen Folterungen und Qualen. Dann aber entsteht die Frage: Kann Gott den Menschen als ein solches Scheusal erschaffen haben? Nein, das kann Gott nicht, denn er ist Güte und Liebe. Wenn es keinen Teufel gibt, dann gibt es auch keinen Gott.' Dabei scheint der Bischof für einen Augenblick vergessen zu haben, daß nach einmütiger Lehre der Theologen der Teufel nur das vermag, was Gott ihm ausdrücklich erlaubt. Also hat Gott dem Teufel erlaubt, Auschwitz anzurichten, und somit fällt schließlich doch alles auf Gott zurück, den man mit dem Teufel entlasten wollte. Der Teufelsglaube führt von einer Schwierigkeit in die andere. Vor allem ist er untauglich, das Böse in der Welt zu erklären." Der Moralphilosoph wird es auch für äußerst bedenklich finden, menschliche Schuld vom handelnden Menschen abzuwälzen. Verbrechen zu exkulpieren, indem man sie nicht dem Täter, sondern dem Teufel zurechnet. 16 Weinberger

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ich glaube, in diesem Bereich hat sich viel geändert, aber das Problem ist noch immer da. Sexuelle Verdrängungen sind kein gutes Lebensprogramm. Verdrängungen haben bei den Hexenverfolgungen nicht unwesentlich zur Entfaltung des Wahns beigetragen. Jedenfalls sind Askese und Verdrängung kein Weg zu einer harmonischen, friedlichen und heiteren Lebensform. Für die rückblickende Betrachtungsweise der Moraltheorien ist der Begriff der Vergeltung charakteristisch. Vergeltung fordert, daß Lohn und Strafe nicht nur zu zukünftigem Verhalten motivieren sollen, sondern als Kompensation verstanden werden: Aug um Aug und Zahn um Zahn, oder allgemeiner: Böses für Böses. Die Entwicklung der Gesellschaft ebenso wie die Beziehungen zwischen Individuen sind gekennzeichnet durch vorangehende Erfahrungen über die gegenseitigen Wohltaten oder Verletzungen. Erlittene Verletzungen, Ungerechtigkeiten und Greuel aus früherer Zeit sind an sehr vielen Stellen vorhanden. Es wirkt hier ein Mechanismus der Affekte. den schon Spinoza in seinen Grundzügen adäquat charakterisiert hat: Liebe erzeugt Liebe und Haß generiert Haß. 14 Aus diesem Teufelskreis kann man nur dadurch ausbrechen, daß man sich entschließt, zum prospektiven moralischen Denken überzugehen. Man spricht heute viel von Vergangenheitsbewältigung. Nun. Grund hierzu hat mehr oder weniger jeder einzelne. und noch mehr die verschiedenen Sozietäten: Staaten, Regime, ja auch Kirchen, die zwar beanspruchen. die Schöpfer und Träger der Moral zu sein, aber fast alle zu gewissen Zeiten Greueltaten und inhumane Verfolgungen hervorgerufen haben. Man sollte versuchen. die Situation realistisch zu analysieren und die moralischen und politischen Postulate in differenzierter Weise aufzustellen. Bei den Wertungen ist zwischen der Perspektive des Einzelindividuums und jener von Gemeinschaften zu unterscheiden. Kollektivschuld ist Unsinn. Es ist aber zu beachten. daß der Einzelne in Massenorganisationen und deren Veranstaltungen eingegliedert ist, massenpsychologischen Einwirkungen ausgesetzt ist. sowie den Auswirkungen von gesellschaftlichen Strukturen, die seine Handlungsweise bei Greueltaten dirigieren. wenigstens beeinflussen und oft auch erzwingen. Diese Umstände erklären vieles. Sie exkulpieren m.E. nicht; gegebenenfalls können sie Gründe für die Anerkennung mildernder Umstände sein. Ich glaube, es gibt keine Vergangenheits bewältigung in dem Sinne. wie sie die Mahner gutgläubig fordern. Es gibt sie weder als aktuelle Wirklichkeit, noch ist das Postulat realisierbar. sie aus dem Leben des Einzelnen vollständig zu streichen und ihren Einfluß auf seine Haltungen ganz auszuschließen. Man sollte sich daher lieber auf prospektive Postulate konzentrieren. 14

B. Spinoza. Ethik (1677).

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Man muß die Menschheitsgeschichte realistisch betrachten, sich mit der Tatsache der unbeschreiblichen Greuel der Vergangenheit abfinden und eine prinzipiell prospektive Lebenseinstellung suchen. Sich an die Brust zu schlagen, "pater peccavi" zu rufen oder in Schuldkomplexen zu leben, bringt nichts, jedenfalls keine tragfahige Basis für ein harmonisches und moralisches Leben. Auf jedem Individuum und jeder Gruppe lastet die Vergangenheit, die unser Denken und Werten geprägt hat - und oft auch, wie man so sagt, unser Gewissen belastet. Soll man vergessen? Kann man die historische Belastung aus der politischen Vergangenheit einfach ignorieren? Es wäre falsch, dies zu versuchen, denn es geht gar nicht. Man muß lernen, rückblickend zu verstehen, aber vorausschauend zu leben und zu handeln. Man muß verstehen lernen, was unkritischer Fanatismus bedeutet, wozu unkritische Überzeugungen führen können, wenn sie die Massen ergreifen und mit einer gesellschafts beherrschenden Organisation verbunden werden. Die größten Greuel der Menschheitsgeschichte haben sich aus fixierten Überzeugungen und Idealen entwickelt, sobald diese mit dem Versuch verbunden wurden, ein Leben nach diesen felsenfesten Überzeugungen durch den Aufbau rücksichtsloser Machtstrukturen zu realisieren: Inquisition, Nazismus, Stalinismus und der schiitische Fundamentalismus sind gute Beispiele hierfür. Das Forcieren der Rüstung unter dem Schlagwort "Abschreckung" als Weg zum Frieden ist m.E. ein Aberglaube ähnlicher Art und gleich gefahrlich. Wir müssen lernen, das Zweifeln als moralische Grundtugend anzusehen; und Zweifel sind nötig auch gegenüber unseren eigenen Meinungen. Statt den unerschütterlichen Glauben und fanatische Überzeugungen zu verherrlichen, müssen wir verstehen lernen, daß wir nur Suchende, nicht Wissende sein können. Der Blick auf die gräßliche Vergangenheit hat eine individuell persönliche und eine gemeinschaftliche Perspektive: 1. die Frage, wie soll ich mein eigenes Tun und Lassen in den relevanten Situationen sehen und beurteilen; 2. die Frage, wie ist das Tun der Gemeinschaft zu beurteilen, und wie soll man angesichts der Vergangenheit sein Handeln prospektiv einrichten? In persönlicher Perspektive bin ich nur für mein eigenes Tun, meinen Anteil am Bösen verantwortlich, in gewissem Maße auch für Passivität und Mangel an Zivilcourage. Menschen sind m.E. weder als Engel noch als Helden oder Märtyrer geboren. Der generelle Vorwurf, der Einzelne hätte die Greueltaten verhindern sollen und können, scheint mir wegen der Gewaltstrukturen, die bestanden, nicht gerechtfertigt. Wer nicht - auch nicht indirekt - in böse Taten involviert war, hatte vielleicht nur Glück, daß er durch seine Lebensposition dem Druck, Werkzeug des bösen Tuns zu werden, entkommen ist. Wichtig ist aber das Problem - weil es mutatis mutandis auch die prospektive Moral betrifft -, wie man blinde Begeisterung beurteilen soll. Sicher ist, Systeme der Massenaggression hätten ohne diese Massenbegeisterung nicht existieren kön16·

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nen. Ich habe den Eindruck, daß es immer wohlklingende Ideale sind, die diese unkritische Begeisterung hervorrufen - meist allerdings Ideale mit schändlichen Folgen. In der Ethik, die ich im Herzen trage, gibt es zwar soziologisches Verständnis für blinde Begeisterung, aber kein Placet. Hier müßte vorausschauendes Gewissen ins Spiel treten, und der Hochmut, mit dem man voraussetzt, ein absolutes Wissen des Richtigen zu haben, müßte der Erkenntnis weichen, daß wir als Menschen nur meinen und suchen. Ich möchte hier nicht von moralischer Schuld sprechen - diese wird durch die subjektiv gute Absicht aufgehoben -, aber ich möchte daran das Memento knüpfen: Zweifle!, und akzeptiere keine Auffassung mit unhumanen Folgen! Greueltaten werden in der Regel von organisierten Gruppen getragen, z. B. von der Nazi-Partei oder der die Inquisition betreibenden Kirche. Es gibt also schuldige Kollektive, und es gibt Kollektivschuld soweit und solange dieses Wirken der Gemeinschaft gebrochen werden muß. Kollektivschuld eines Volkes oder von Überzeugungsgemeinschaften aus der Vergangenheit gibt es nicht. Auch hier ist die prospektive Sicht entscheidend. Es kann und darf nicht um Sühne gehen, sondern darum, neue humane und kooperative Einstellungen zu gewinnen. Der Blick in die Vergangenheit überzeugt uns aber davon, daß keine Autorität sei es ein Führer, eine Partei oder eine Kirche - uns die Gewähr gibt, daß sie uns einen moralisch richtigen Lebensweg vorzeichnet. Menschen haben die Tendenz, sich mit ihren Gemeinschaften zu identifizieren. Sie erleben den Erfolg oder Mißerfolg ..ihres" Sportklubs als ..ihren" Erfolg oder Mißerfolg. Sie fühlen mit dem Schicksal des Staates, der Nation (wie immer diese definiert sein mag) oder ihrer Religionsgemeinschaft. Man könnte nun fragen: Wenn wir auf Erfolge der Nation stolz sind (obwohl wir vielleicht an ihnen gar keinen Anteil gehabt haben), müssen wir dann nicht auch ob der Schandtaten, die im Namen dieser Gemeinschaft verübt wurden, beschämt den Blick senken? Ich glaube, wir sollten dies nur sehr bedingt und in beschränkter Weise, jedenfalls nicht in Fonn von drückenden Schuldgefühlen. Man sollte m.E.: (a) den Gruppenstolz und damit verbundene Überwertigkeitsvorstellungen wenigstens in Grenzen halten, wenn man schon nicht die kritische Kraft hat, darauf ganz zu verzichten; (b) versuchen, die Vergangenheit zu verstehen und den verheerenden Mechanismus der Massenaggressionen aufzudecken; (c) keine Kollektivschuld voraussetzen, wohl aber Schuld nicht nur, und nicht in erster Linie, bei den Vollziehern und Schergen orten, sondern vor allem bei den geistigen Urhebern und Produzenten des Massenwahns, der den Aggressionen zugrunde liegt; 15 IS

A. Grabner-Haider/O. Weinberger/K. Weinke (Hrsg.), Fanatismus und Massenwahn,

Graz, Wien 1987.

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(d) den Anteil der einzelnen Person, ihren Fanatismus, ihre Feigheit oder Zivilcourage von der Gesamtverantwortung trennen. Vergangenheitsbewältigung zu fordern, ist ineffektiv. Die Prägung durch die Vergangenheit ist unaufhebbar. Die durch Propaganda, Indoktrination und Gewöhnung geschaffene Werteinstellung sowie verschiedene Arten damit verbundener Vorurteile sind kurzfristig kaum behebbar. Wir können nicht aus unserer Haut heraus; wir müssen aber lernen, unsere Standpunkte und Werthaltungen selbst in Zweifel zu ziehen, und wir sollten darüber mit anderen - mit den Opfern und den Andersdenkenden - reden. Wir müssen das gesellschaftliche Phänomen der Massenaggressionen selbst verstehen lernen und scheinbare Ideale (chauvinistischen Nationalismus, unerschütterlichen Glauben, ... ) an ihren Folgen testen. Wir müssen uns klarmachen, daß es kein verkörpertes Böses gibt, und daß durch Ausrottung von Menschen nichts Gutes bewirkt oder geschaffen werden kann. Und vor allem gilt: Wehrt den geistigen Anfängen!

5. Die Moral der Solidarität und der harmonischen Lösungen Ich glaube nicht an die Existenz einer objektiv gültigen Moral, ebensowenig wie an die Möglichkeiten einer objektiven praktischen Erkenntnis. Ich glaube aber an ein Solidaritätsbewußtsein im Menschen und an ein daraus resultierendes immanentes moralisches Streben. Es gehört zum Wesen der Moral, daß sie die autonome Lebensgestaltung des Individuums betrifft und daß sie sein Verhalten gemeinschaftlich orientiert. Autonomie und Rücksicht auf den Mitmenschen und die Gemeinschaft sind in irgendeiner Weise Bestandteile jedes Moralsystems. Hauptzweck der Moral ist es, eine lebensfähige Ausgeglichenheit zwischen Eigeninteressen und Gemeinschaftsinteressen zu schaffen. Es tritt hinzu, und wird in unserer Zeit immer aktueller, die friedvolle Harmonisierung der Interessen und Beziehungen zwischen Gruppen und übergeordneten Gesamtheiten. In diesem Geiste stelle ich für den Einzelnen das Postulat der Harmonisierung von Eigeninteressen und Gemeinschaftsinteressen auf. Ich halte es daher für richtig, einen solchen Lebensweg zu suchen, der Utilität vom Standpunkt der persönlichen Zwecke mit der Rücksicht auf den Nächsten und die Gemeinschaft in Übereinstimmung bringt. Man soll ein angenehmes Leben und Lebenserfolge anstreben, aber in einer solchen Weise, die gleichzeitig auch der Gemeinschaft dient. Das ist natürlich noch kein Lebensprogramm - und soll es auch nicht sein -, aber eine praktisch-moralische Vorgabe für die Gestaltung moralisch akzeptabler Lebensprogramme.

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Die Idee und das moralische Ideal der Solidarität sind durchaus nicht eindeutig bestimmt. Es handelt sich dabei immer um die Beziehung der Einzelperson zu anderen Menschen und zu einer Gruppe. Die Gruppe entwickelt Interessen und Relationen zu anderen Gruppen und überhaupt zu Menschen außerhalb der Gruppe. Solidarität setzt immer in gewisser Weise Gegenseitigkeit voraus. Zwar nicht Gleichheit und Gleichwertigkeit der tatsächlichen gegenseitigen Leistungen, aber gegenseitige Bereitschaft zur Kooperation und Solidarität. Man kann die Verhaltensweise des Individuums und der Gruppen nach verschiedenen Strategiesystem konzipieren. Zwei Grundtypen zeigen sich hier: (i) die Freund-Feind-Strategie, (ii) die Strategie des Verstehens und der Kooperation zu beiderseitigem Vorteil. Zweifellos ist das Freund-Feind-Denken ein Moment, das die Gemeinschaft und die Gruppenintegration stärkt. Es ist aber auch gegen die eigene innere Freiheit des Individuums in der Gruppe gerichtet und schafft eine Welt der Konflikte. Das Ideal der Kooperation, des Verstehens und Tolerierens halte ich für produktiver und für moralisch befreiend. Das Programm der produktiven Koexistenz und Kooperation im Geiste der Solidarität hat nur dann wirkliche Lebenschancen, wenn es von einer prospektiven Sicht getragen ist und der Toleranz und dem Suchen auch im Bereich der Moral den Vorrang gibt vor dem Glauben, daß man die praktische Wahrheit. d. h. Kenntnis des objektiv Richtigen, in der Tasche hat. In einer Zeit, in der es auf der Welt enger wird, muß Solidarität immer mehr gruppenüberschreitenden Charakter annehmen.

6. Plädoyer für prospektives Denken in der Jurisprudenz Die Vorherrschaft der rückblickenden Sicht in der Jurisprudenz, der Nachdruck auf repressive Funktionen des Rechts und das relativ bescheidene Ausmaß prospektiver Betrachtung in dieser Wissenschaft wurden schon früher erwähnt. Ich möchte nun einen Problemkreis der Jurisprudenz betrachten und dabei auf die Möglichkeiten hinweisen, wie die Dinge in prospektiver Sicht betrachtet werden können. Die Sanktionstheorie der Rechtsnorm 16

Das Recht ist zweifellos ein Zwangssystem: es gebietet nicht nur, sondern setzt die Gebote auch - wenn nötig - mit Zwang durch. Daraus folgt aber nicht, daß jede Rechtsnorm mit einer Sanktion verbunden sein muß. Noch weniger folgen daraus Kelsens gewagte Thesen, (a) daß die Rechtsnorm immer die Form einer Sanktionsnorm habe und (b) daß die Verhaltensnorm überflüssig sei. 16 Ich werde hier von der Kelsenschen Sanktionstheorie der Rechtsnorm sprechen; mutatis mutandis gilt das meiste auch von anderen Sanktionstheorien der Rechtsnormen.

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Im Sinne der dynamischen Theorie des Rechts wird die Existenz (Geltung) von Rechtsnormen nach Erzeugungskriterien (d. h. aufgrund von Ermächtigungsnormen) beurteilt. Es kann nicht bestritten werden - und Kelsen tut dies auch nicht -, daß in dieser Weise unsanktionierte Rechtsnormen entstehen können, ja erfahrungsgemäß auch entstehen. Formal gültig entstandene Normen nicht als Rechtsnormen, sondern bloß als unverbindliche moralische Ratschläge anzusehen, sprengt die einheitliche dynamische Konstruktion der Rechtsordnung. Und diese Konstruktion ist wohl das imposanteste theoretische Ergebnis der Reinen Rechtslehre. Es wäre auch falsche Psychologie und falsche Soziologie, zu behaupten, daß leges imperfectae keine gesellschaftlichen Auswirkungen haben. Im Sinne von Kelsens Spätlehre, die logisches Folgern aus normativen Prämissen für unmöglich erklärt, wäre es überhaupt unmöglich, aus der Sanktionsnorm Rechtspflichten herauszulesen, denn dies müßte ein normenlogischer Schluß sein. Wenn wir nicht von Kelsens spätem normen logischen Skeptizismus ausgehen, sondern normenlogisches Deduzieren als gültige Denkoperationen voraussetzen, folgt aus der Sanktionsnorm von der Form ,Wer A tut, soll S bezahlen' dennoch nicht ,Niemand darf A tun'. Nur dann, wenn ,S' nicht nur als Geldbetrag (als etwas Unangenehmes), sondern als Strafe, sprich: Unrechtsfolge, charakterisiert wird, kommt man zu dieser Konklusion. Daß ,S' eine Unrechtsfolge ist, geht aber nur daraus hervor, daß die Handlung ,A' eine Verhaltensnorm verletzt. Bedeutet aber ,A' ,ein Einkommen haben' und ,S' ,Einkommensteuer zahlen', dann wird niemand schließen, daß man die Pflicht habe, kein Einkommen zu haben. Das Gegenbeispiel beweist, daß es um keine logische Folgerung geht; und es kann keine Rede davon sein, daß die ein Verhalten (eine Pflicht) gebietende Norm überflüssig sei, denn sie ist zur Bestimmung dessen, was Unrechtsfolge ist, unerläßlich. Kelsen hat richtig erkannt 17, daß ohne logischen (normenlogischen) Widerspruch sowohl das Verhalten A als auch das Verhalten non-A mit Sanktionen belegt werden können. Die kritische Funktion der logischen Analyse, die bekanntlich ein Hauptziel der analytischen Jurisprudenz ist, wird im wesentlichen aufgehoben, wenn das gleichzeitige Gebieten und Verbieten ein und desselben Verhaltens als logisch einwandfrei akzeptiert werden.

17 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., Wien 1960, S. 26 f.: "Daraus ergibt sich, daß innerhalb einer solchen normativen Ordnung ein und dasselbe Verhalten in diesem Sinne ,geboten' und zugleich ,verboten' sein und daß diese Situation ohne logischen Widerspruch beschrieben werden kann. Die beiden Sätze: A soll sein, und A soll nicht sein, schließen sich gegenseitig aus; von den beiden damit beschriebenen Normen kann nur eine gelteil. Beide können nicht zu gleicher Zeit befolgt oder angewendet werden. Aber die beiden Sätze: Wenn A ist, soll X sein, und: Wenn non-A ist, soll X sein, schließen sich gegenseitig nicht aus, die beiden damit beschriebenen Normen können zu gleicher Zeit gelten; unter einer Rechtsordnung kann eine Situation bestehen - und tatsächlich bestehen solche Situationen, wie wir noch sehen werden -, in der ein bestimmtes menschliches Verhalten und zugleich das gegenteilige Verhalten eine Sanktion zur Folge haben."

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Moral - retrospektiv oder prospektiv?

Für mich ist noch ein Argument wichtig: Die Sanktionskonzeption weckt die sehr unerwünschte Vorstellung, der Staatsanwalt sei zusammen mit dem sanktionierenden Apparat das Zentrum des Rechts; die lenkende und konstruktive Funktion des Rechts wird außer acht gelassen. Daß das Recht die Kooperation zu organisieren habe, daß es Institutionen und effektive Organisationen aufzubauen habe, steht nicht im Zentrum der juristischen Überlegungen, die nur vereinzelt Ideen eines social engineering mit dem Recht und der Jurisprudenz verbinden. Mit der prospektiven Sicht in der Jurisprudenz sind natürlich auch schwierige Probleme verbunden. Das wichtigste ist die Entwicklung einer Methodik der funktionalistischen Analyse des Rechts und rechtlicher Institutionen. 18 In prospektiver Sicht wird Gerechtigkeit nicht als etwas Bestehendes, aus der Geschichte der Welt und aus dem Recht und seiner Historie Ablesbares aufgefaßt, sondern als Aufgabe und kritisches Suchen. Ein Bereich, der reich an Problemen ist; eines davon ist die Beziehung zwischen reformatorischer Gerechtigkeit und dem ius quaesitum, denn Rechtssicherheit und Rechtsfriede gehören zum Wesen unserer Gerechtigkeitsvorstellungen. Was heute als gerecht gilt, sollte nicht nur heute, sondern auch morgen Geltung haben. Erworbene Rechte müssen daher geschützt werden. Andererseits fordern wir eine Entwicklung der Institutionen zu einer gerechteren Gesellschaft hin. Zwischen diesen bei den Postulaten können Konflikte entstehen. Eine universell gültige Regel für ihre Lösung gibt es wohl nicht. Es muß eine ausgewogene Lösung gefunden werden, die das Vertrauen auf die wohlerworbene Rechtsposition schützt, die aber auch dem Fortschritt in der gesamtgesellschaftlichen Gerechtigkeit nicht im Wege steht. Es scheint mir, daß in unserer Zeit eine Entwicklung von einer gemeinschaftlichen zu einer übergemeinschaftlichen Orientierung der Gerechtigkeitsideale vor sich geht und erforderlich ist. Die Zweckorientierung der Gerechtigkeitsideale ist traditionell auf die Gemeinschaft gerichtet: Solidarität in der Gemeinschaft. Die Pluralität der Gemeinschaften, denen in unserer Welt jeder angehört, und die engen Kontakte zwischen verschiedenen Gemeinschaften erfordern eine Umorientierung: die Gerechtigkeit der Beziehungen zwischen den Gemeinschaften wird aktuell. Harmonische Lösungen erfordern Kommunikation, Toleranz und die Konstituierung zwischengemeinschaftlicher Beziehungen. Die Gerechtigkeitsideale sind in den Dienst dieser Probleme zu stellen. Sowohl bei den Problemen der internationalen Beziehungen und bei den Gruppenrelationen als auch im Bereich der Beziehungen der Individuen wird die prospektive Einstellung versuchen, den Mechanismus von Schuld, Sühne, Vergeltung und Repression, der den traditionellen Gerechtigkeitsvorstellungen entspricht, durch das Suchen nach Lösungen zu ersetzen, um tragfähige Institutionen und Beziehungen für die Zukunft zu schaffen. 18 Vgl. O. Weinberger, Reine oder funktionalistische Analyse des Rechts, in: ders., W Krawietz (Hrsg.), Reine Rechtslehre im Spiegel ihrer Fortsetzer und Kritiker, Wien 1988, S.217-252.

Moral zwischen Autonomie und Heteronomie* 1. Problemsituation

Autonomie ist - wenigstens seit Kant - ein konstitutives Begriffsmerkmal der Moral. In der moralischen Betrachtung wird der Mensch als autonomes Subjekt aufgefaßt, das frei nach seinem eigenen Willen handelt, Entschlüsse faßt und selbstverantwortlich ist. Der Mensch als moralisches Subjekt setzt sich selbst sowohl Pflichten in konkreten Lebenssituationen als auch allgemeine Regeln des moralischen Verhaltens. Autonomie des moralischen Denkens, Entscheidens und Hande1ns ist eine grundlegende Voraussetzung der modemen Ethik, die allgemein anerkannt ist und daher als begriffliches Element der Moral gilt. Dieses Element des Moralbegriffes kann durch ein Diktum Kants in der "Grundlegung der Metaphysik der Sitten" (1785) definiert werden: "Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille." Gegenstand jedweder moralischen Wertung ist ausschließlich das Wollen des handelnden Subjekts. Hierbei ist Wollen als Kapazität der Selbstbestimmung des Handelnden zu verstehen. Obwohl das moralische Sollen autonom gesetzt ist, ist es nicht Ausfluß der subjektiven Utilitätsüberlegung des Akteurs, sondern ein Sollen, das sich aus einer universellen Sicht ergibt, nicht aus dem subjektiven Wünschen des Individuums. Es wird als transsubjektives Sittengesetz verstanden und als Maßstab angesehen, der nicht nur für das einzelne autonome Subjekt Geltung hat. Mit dem Begriff der Autonomie sind wichtige Probleme verbunden. Wie kommt dieses, das subjektive Wollen transzendierende, Sollen zustande, wenn es seinem Wesen nach autonom ist und daher nicht aus äußeren gebietenden Quellen stammt? Was heißt im Kontext autonomer Betrachtungen Verantwortung, wenn es hier doch nicht um Verantwortung gegenüber einer befehlenden, prüfenden und sanktionierenden Instanz gehen kann. Müßte aus dem autonomen Charakter der Moral nicht folgen, daß moralisches Werten und moralische Wertmaßstäbe rein subjektiv sind? Impliziert die Autonomie der Moral nicht, daß Moral keine übersubjektive Geltung haben kann? Ist es dann überhaupt berechtigt, Mitmenschen moralisch zu

* Diese Abhandlung entstand im Mai/Juni 1991 während meines Humboldt-Preis-Aufenthalts in Münster. Ich bin meinem Freund und Gastgeber Prof. Dr. Dr.Dr.h.c. Werner Krawietz für die vielen Gespräche und Anregungen sehr zu Dank verpflichtet, ebenso wie der Alexander von Humboldt-Stiftung für die Finanzierung meines Forschungsaufenthaltes.

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werten, wenn Moral rein autonome Setzung ist? Welche Denkweise und welche Kriterien benützt der Mensch, um sein subjektives Wünschen in der moralischen Überlegung zu transzendieren? Auf der anderen Seite gibt es beachtenswerte Moraltheorien, die durchaus nicht primär auf dem Begriff der Autonomie aufbauen, sondern Moral als ein heteronom aufgetragenes Sollen ansehen. Zwei Typen solcher Systeme möchte ich hier in Betracht ziehen: autoritätsbestimmte Moralsysteme (wie es z. B. aus religiösem Glauben oder aus der Offenbarung abgeleitete Moralsysteme sind) und die Auffassung, Moral sei aus strukturtheoretischen Gründen als heteronom anzusehen (Kelsens Spätlehre). Heteronome Moralsysteme sind nicht anti-autonom im strikten Sinne, denn sie verstehen das moralische Sollen als persönliche Aufgabe und die Moralgrundsätze als Normensystem, das die innere Sphäre des Subjekts anspricht. Nur die Bestimmung dessen, was moralisch gesollt ist, d. h. die inhaltliche Festlegung der Grundsätze der Moral, wird gemäß dieser Konzeptionen heteronom konzipiert. Die Moralauffassungen der ReIigionssysteme oder politischer Ideologie schreiben das richtige Sollen dem Subjekt heteronom vor. Sie postulieren - unabhängig vom eigenen Wollen des Subjekts -, was man moralisch wollen und wie man sich moralisch verhalten soll; sie setzen heteronome Maßstäbe, die bei der Religion durch Offenbarung, vorgelebte Muster, Tradition oder theologische Lehre begründet werden. In politischen Ideologien werden die moralischen Normen als Konsequenzen des ideologischen Systems und als verbindliche Erkenntnisse hingestellt. Es wird gefordert, daß das Subjekt freiwillig so wollen soll, wie es vom religiösen oder ideologischen System gefordert wird. Aus ganz anderen Motiven gelangt die Auffassung der Norm als Imperativ, d. h. als auf fremdes Sollen gerichtetes Wollen, zur heteronomen (oder pseudo-autonomen) Konzeption der Moral. Von dieser strukturtheoretischen Konzeption ausgehend, erscheinen die Normen der Moral als heteronom gesetzt und nur autonom rezipiert. (Vgl. H. Kelsens Spätlehre: Das moralische Gebot ist rezipiert aus der Lehre der Religionsschöpfer; es ist aufgrund dieser Rezeption ein Imperativ des Ego an das Alter-Ego, an das handelnde Subjekt. l ) Neben der Erörterung dieser Probleme werde ich versuchen, den Wesenszusammenhang der autonomen und heteronomen Sicht in der ethischen Analyse aufzuweisen. Ich möchte ferner zeigen, daß es zum Wesen der Moral gehört, weder rein autonom noch rein heteronom zu sein, weil das moralische Denken und Analysieren im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Heteronomie liegt.

1 H. Kelsen. Allgemeine Theorie der Normen, hrsg. von K. Ringhojer und R. Walter. Wien 1979.

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2. Was heißt Autonomie? Die anthropologische Grundlage der Autonomie ist die Willensfreiheit des Menschen. Ich muß hier nicht auf den "ewigen" Streit zwischen Determinismus und Indeterminismus eingehen oder eine metaphysische Begründung der Willensfreiheit suchen. Handlungsfreiheit - in dem noch näher zu bestimmenden Sinne kann als empirisches Faktum der inneren sowie der Fremdbeobachtung gelten: Ich weiß, daß ich verschieden handeln kann, je nachdem, wie ich mich entscheide. Und ich kann beobachten, daß Menschen verschieden handeln, je nachdem, wie sie sich aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen entscheiden. Handlung ist überhaupt nur unter der Voraussetzung von Willensfreiheit begrifflich möglich. 2 Handlung muß als informationsbestimmtes Verhalten verstanden werden; hierbei wird die Bestimmung der tatsächlichen Verhaltensweise des Subjekts durch Wahlakte realisiert, die teleologisch oder I und normativ bestimmt sind. Meine Konzeption der Handlungstheorie kann durch folgende Thesen charakterisiert werden: (i) Handlungen werden einem Träger, dem Handlungssubjekt, zugesprochen. Das Subjekt verwirklicht in irgendeiner Weise den verhaltensbestimmenden Informationsprozeß. Ist der Handlungsträger eine psychophysische Person, hat sie von Natur aus die Fähigkeit der aktiven Einstellung, der Zweckausrichtung und der Wahl aufgrund von Präferenzen. Bei Handlungen von Kollektiven (institutionellen Personen) werden diese Informationsprozesse von den Organen der institutionellen Person durchgeführt. (ii) Der Handlungsträger verfügt über einen Handlungsspielraum. Das Leben eines Subjekts kann - bildlich gesprochen - als Abfolge von Zuständen, die der Folge von Zeitpunkten zugeordnet sind, verstanden werden. Das Bild des Lebenslaufes eines handelnden Subjekts ist nicht bloß ein linearer Übergang von einem Zustand zu einem anderen im Verlaufe der Zeit, sondern - wenigstens in die Zukunft betrachtet - ein System von alternativen Möglichkeiten, das man ,Lebensbaum' nennen kann. Handeln ist begrifflich nur dann möglich, wenn es wenigstens gewisse Zeitpunkte gibt, in denen verschiedene Verhaltensweisen möglich sind, d. h. wo das Subjekt eine Wahl zwischen verschiedenen Alternativen des nachfolgenden Lebensweges hat. [In dieser Überlegung geht es nicht darum, den Lebensbaum tat2 Wenn wir das Geschehen in der Welt, inklusive den Bereich des menschlichen Verhaltens und des Verhaltens menschlicher Kollektive, rein behavioristisch als Systeme von Verhaltensabläufen betrachten, dann ist nirgends ein sinnvoller Platz für Handlungen. Das System der beobachtbaren Verhaltensabläufe ist in sich geschlossen, und es können in ihm nichts anderes als Verhaltenstatsachen auftreten. Um von Handlungen sprechen zu können, müssen Verhaltensspielräume existieren, d. h. im wesentlichen: mögliche Alternativen von Verhaltensweisen, und es wird durch einen Informationsprozeß entschieden, welche der möglichen Alternativen verwirklicht wird. Siehe: o. Weinberger, Zur Idee einer formal-finalistisehen Handlungstheorie, in: ders., Recht, Institution und Rechtspolitik, Stuttgart 1987,

S.43-84.

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sächlich zu kennen, es genügt uns das Wissen über die Existenz von Gabelungen, d. h. verschiedener Fortsetzungsmöglichkeiten des Lebensweges.] Die Existenz dieser Gabelungen ist eine gesicherte Gegebenheit der menschlichen Erfahrung. Ich weiß, daß ich im nächsten Augenblick weiterschreiben oder z. B. schlafen gehen kann, und ich weiß auch, daß meine Entscheidung darüber bestimmt, welche der offenstehenden Alternativen ich realisieren werde? (iii) Das Handlungssubjekt leistet einen Informationsverarbeitungsprozeß, von dem die Bestimmung der zu realisierenden Alternative abhängt. Wenn wir diesen Prozeß als Wollen bezeichnen, können wir Handeln als willens gelenktes Verhalten charakterisieren. (iv) Der handlungsbestimmende und der die Durchführung der Handlung begleitende Informationsprozeß (Rückkoppelung) wird von der Handlungstheorie beschrieben. Er beruht prinzipiell auf zweierlei Arten von Informationen: Tatsacheninformationen (über die Situation, über Kausalbeziehungen und über Programme, wie Ziele erreicht werden können) und praktischen Informationen (Zweckbestimmungen, Präferenzen, Normen). Die praktischen Informationen sind Ausdruck der aktiven (wählenden) Einstellung des Subjekts; sie sind jene Instrumente, durch welche die Selektion der Handlungsalternative aus dem Feld der möglichen Alternativen bestimmt wird. (v) Die Handlung wird durch eine teleologische Abwägung oder / und durch Normen bestimmt. Im Modell der Handlungserklärung wird dem Subjekt ein Zwecksystem zugeordnet sowie die Fähigkeit, Präferenzentscheidungen zwischen teleologisch bewerteten Alternativen zu treffen. (vi) Die Determination der Handlungsweise erfolgt nicht nur durch teleologisch bestimmte Wahl, sondern auch aufgrund von verhaItensbestimmenden Normen. Das Zusammenspiel der bei den handlungsbestimmenden Momente - Zweck und Norm - ist sehr kompliziert und, wie ich meine, nicht vollkommen geklärt. Ich kann daher hier nur eine sehr grobe Skizze dieser Beziehungen geben. Die eigentliche Funktion der normativen Festsetzung ist die Stabilisierung und die gesellschaftliche Koordination des menschlichen Verhaltens. Wenn ich mich entscheide, ein gewisses Ziel zu verwirklichen (z. B. Französisch zu lernen), erfordert dies oft eine gewisse Konstanz der Tatigkeit, die als Sollen stabilisiert wird. Autonomes Sollen kann aber auch eine andere Rolle haben. Es ist zwar autonome Setzung, aber mit dem Inhalt, gesellschaftliche Koordination oder gesellschaftliche Ein- oder Unterordnung anzustreben. Zweifellos kommt - da der Mensch ein Gemeinschaftswesen ist - diese interpersonale normative Regulierung zustande. Wie? Ich meine, daß hier sowohl spontane Prozesse als auch ausdrückliche Überein3 Dies können wir Willensfreiheit nennen. Dieser für die Konstitution des Handlungsbegriffes erforderliche Begriff der Willensfreiheit ist zwar für die Detenninismus-Indetenninismus-Debatte relevant, er impliziert aber nicht ein Votum für den Indetenninismus im Sinne der These, daß unser Wollen und Entscheiden liberum arbitrium indifferentiae sei. Vgl. O. Weinberger (FN 2).

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künfte zwischen den Beteiligten zur Geltung kommen, ferner Imperative sowie rein machtgelenkte Normensetzungen mit Sanktionsandrohungen. (vii) Zwei Arten normativer Regeln wirken bei der Bestimmung unserer Handlungen mit: autonome und heteronome Normen. Dem Geltungsgrund nach sind diese Typen von Normen verschieden; inhaltlich beeinflussen sie sich aber gegenseitig in wesentlicher Weise. Was der einzelne sich als moralisches Sollen autonom setzt, steht unter dem Einfluß des in der Gesellschaft oder der Gruppe institutionalisierten Sollens, und in der Regel hält man es für ein Element des moralischen Sollens, die in der Gemeinschaft institutionalisierten Pflichten zu erfüllen. Hierdurch wird den Rechtspflichten und den sozialen Rollenpflichten das Image des Moralischen gegeben. Die Auswirkungen heteronomer und institutionalisierter Normen sind vielfältig. Sie schließen gewisse mögliche Mittel als unzulässig aus. Sie werden von den einzelnen Subjekten internalisiert und hierdurch zum Bestandteil der subjektiven natürlichen Anpassung und Nachahmung, die jedes Lebewesen realisiert, oder schließlich - sie haben regulierende Auswirkungen wegen der positiven oder negativen Sanktionen, die mit ihnen verbunden sind. Gesellschaftliche Normen schaffen auch Institutionen sowie Kompetenzen, und sie ermöglichen die Zusammenarbeit in den Gemeinschaften. Die autonomen Normen sind teils generalisierte Handlungsentscheidungen, die durch Fixierung gewissen Handlungsformen den Charakter der Dauerhaftigkeit geben. Manche Entschlüsse sind nur als auf Dauer gestellte Verhaltensregeln sinnvoll, z. B. Laufen zu trainieren oder Französisch zu lernen. Die fixierte Regel erspart oft neuerliche Entscheidungsanalysen. Wenn die bedingenden Umstände erkannt sind, wird das Sollverhalten durch Subsumtion unter die Regel bestimmbar. Diese autonomen Verhaltensnormen, sozusagen diese normativen Festsetzungen zur Erreichung gewisser Zwecke, sind noch keine Normen der Moral. Moralnormen entspringen übersubjektiver Betrachtung und universalistischer Wertung. Sie regeln interpersonale Beziehungen und Einstellungen, die das menschliche Zusammenleben betreffen, d. h. sie transzendieren die subjektive Utilität. Sie berücksichtigen Gemeinschaftsinteressen sowie Interessen von Partnern, mit denen man in verschiedenen Relationen kooperiert. Sie drücken das selbst gesetzte Sollen des einzelnen aus, das sich ein Subjekt selbst als Mitglied von Gemeinschaften und Institutionen auferlegt. Für die hier zur Diskussion stehende Problematik ist es wesentlich, daß das autonome moralische Sollen funktional und inhaltlich nicht nur Produkt des guten Willens des einzelnen ist, sondern auch durch die Institutionen, Rollen und Kooperationsbeziehungen in den Gemeinschaften mitbestimmt wird. (viii) Autonomie bezieht sich auf zwei Bereiche: auf die Befolgung moralischer Sollregeln und auf die Bestimmung moralischer Prinzipien. Eine autonome Konzeption der Ethik um faßt beide Bereiche moralischen Denkens. Denn diese be-

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schränkt sich nicht auf die Feststellung der Befolgung oder Verletzung moralischer Normen. Das Suchen nach wohlbegründeten moralischen Regeln ist immer auch eine Aufgabe der moralischen Persönlichkeit und des moralischen Lebens. Der Mensch ist auch für den Inhalt der moralischen Grundsätze verantwortlich, denn er bezieht sie nicht passiv von einer äußeren Autorität, sondern ist ihr Schöpfer, wenigstens ihr Mitgestalter in der Gemeinschaft. (ix) Als autonomes Subjekt ist nur der Handelnde selbst für sein Handeln oder Unterlassen verantwortlich. Für das Handeln anderer kann man nur dann verantwortlich sein, wenn man selbst die moralische Pflicht hat, das Handeln des anderen zu bestimmen. Es ist daher moralisch nicht akzeptabel, im Sinne von Mose 20/5 die Folgen der Missetaten der Väter moralisch den Kindern zuzurechnen. (Es kann aber sinnvoll sein, von den faktischen Folgen der Missetaten der Väter für die Kinder zu sprechen.) Bestrafung der Kinder wegen der Handlungen und der Schuld der Eltern, Übertragung der Unrechtsfolgen auf andere Personen, ist moralisch inakzeptabel. Mag sein, daß diese Bestimmung als ein an die Väter gerichteter Motivator gedacht ist. Hierfür würde es aber genügen, auf die tatsächlichen Folgen der Taten der Väter für die Kinder hinzuweisen, ohne daß man über Zurechnung von Schuld und Sanktionsandrohung spricht, die andere als die handelnden Personen treffen soll. (x) Wie der Mensch ist, kann nicht Gegenstand moralischer Wertung sein: unsere ererbten Eigenschaften (ob wir blond oder schwarzhaarig, groß oder klein sind) sind es nicht, ebensowenig wie die Position, in die wir vom Schicksal gestellt wurden. Unser Sein - ob wir Deutsche oder Franzosen sind, reich oder arm - und unsere Stellung in der Gesellschaft und ihren Institutionen sind moralisch nur so weit zurechenbar, als sie durch unser Wollen, Tun oder Unterlassen gestaltet wurden. Vom Standpunkt der moralischen Autonomie sind noch folgende drei Fragen zu erörtern: geteilte Verantwortung bei Handlungen, die ein einzelner als Glied einer hierarchischen Struktur vollbringt; das Problem der kollektiven Schuld für Handlungen, die einem Kollektiv zuzurechnen sind; und das Problem der sog. historischen Schuld. (xi) Handeln in institutionalisiertem Rahmen bringt es oft mit sich, daß es problematisch wäre, die Handlung einfach nur demjenigen zuzuschreiben, der sie letztlich durchgeführt hat. Es liegt oft eine solche Verkettung der Aktivität verschiedener Instanzen vor, daß es nicht sinnvoll wäre, einem Akteur, und nur ihm, die Schuld (oder das Verdienst) zuzuschreiben. Man kann hier bildlich von geteilter Verantwortung sprechen, obwohl dies natürlich nicht heißt, daß die Zurechnung ein Ganzes in Teile aufteilt. Eine moralisch angemessene Bewertung zu statuieren, ist in solchen Fällen recht schwierig. Die Rechtspraxis straft meist das letzte handelnde Glied, die übergeordneten Instanzen - und vor allem die geistigen Väter politischer Missetaten - bleiben meist ungeschoren. (xii) Unter kollektiver Schuld versteht man die Zurechnung von Schuld und Unrechtsfolgen an den einzelnen für die Missetaten einer Gemeinschaft oder eines

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fonnalen Kollektivs. Zum Problem wird diese Relation vor allem dann, wenn der einzelne selbst nicht tätig war oder / und wenn er zwangsmäßig (z. B. durch Geburt) oder ohne Wissen um die schuldhaften Aktivitäten der Gemeinschaft sich dieser anschloß. Die autonome Moralkonzeption lehnt kollektive Schuld im Prinzip (außer bei Teilnahme an den zur Last gelegten Handlungen als tatsächlicher Mittäter) ab. Die Mittäterschaft scheint mir aber schon dann gegeben, wenn der Eintritt in die Gemeinschaft mit dem Bewußtsein vor sich ging, daß die vorgeworfenen Handlungen realisiert werden sollen. Dennoch kann man auch bei manchen Fällen kollektiver Schuld nicht bedingungslos aus der Vergangenheit und der aus ihr resultierenden Verantwortung aussteigen. Ein Beispiel möge die Komplexität der Überlegung aufzeigen: Eine Person, die - nehmen wir an - gezwungenennaßen an einem Eroberungskrieg teilnahm, wird wohl kaum mit der Ablehnung kollektiver Schuld auch davon befreit, für die Wiedergutmachung ihren Beitrag zu leisten. Die Person wäre offenbar wenigstens indirekt - auch zum Nutznießer des Erfolgs geworden; sie hätte vom Kriegserfolg profitieren können. Dann ist es aber auch billig, daß sie - auch ohne persönlich schuldig zu sein - die Folgen mitträgt. (xiii) Die Geschichte ist reich an Ereignissen des Hasses und der Feindschaften. Zwischen Staaten, Nationen, Religionen, Berufsschichten und Klassen gibt es in der Geschichte fast überall reichlich Grund für Schuldzuschreibung wegen früherer Missetaten. Die Gebietsverteilung hat in der Geschichte sehr viele Veränderungen mitgemacht. Auch aus anderen Gründen kommt es immer wieder zu Veränderungen der staatlichen und gesellschaftlichen Konstellationen, und so manche von ihnen sind Folgen politischer Aktionen: Besetzungen, Massenumsiedlungen, geförderte Umsiedlungen aus national- und machtpolitischen Gründen. Fast in jeder Situation gibt es mehr oder weniger starke Gründe für politische Rekriminationen, Revanchegefühle, historische Reminiszenzen, die feindschaftliehe Vorstellungen oder politische Ansprüche zu rechtfertigen scheinen. Wenn wir eine Welt des Friedens suchen, muß man es aufgeben, historische Schuld und historische Ansprüche zu Maßstäben aktueller Politik zu machen. Vorrangig ist dann nur das Suchen nach friedlichen Lösungen und nach produktiven Kooperationsformen für die Zukunft. Nur zur Erklärung des emotionalen Zustands der Gemeinschaften ist vergangene Schuld relevant. Nicht wegen der Vergangenheit, sondern für die Zukunft muß man Politik machen. Hier kann es nie nur Gerechtigkeit durch Revanche geben, sondern nur das Bestreben, für die Zukunft akzeptable Lösungen zu suchen. Es bleibt aber das Memento der Gefahren von Rezidiven.

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3. Wie ist autonome Moral möglich? Die Beantwortung dieser Frage ist keineswegs trivial. Der Wille des autonomen Subjekts ist durch sein Zwecksystem und seine Utilitätsabwägungen bestimmt. Als Subjekt, welches sich selbst moralische Grundsätze auferlegt, hat es ein anderes Problem zu bewältigen, als subjektiven Nutzen zu erreichen. Die Frage der akzeptablen und wohlbegründeten Moralprinzipien kann nicht einfach ein Produkt der subjektiven, den persönlichen Zwecken dienenden, Utilitätsabwägungen sein. Es ist autonom bestimmt, was als moralisch akzeptiert und postuliert wird; aber es ist auch Setzung eines Sollens, das als Prinzip des moralischen Handeins, also als ein das subjektive Zweckwünschen transzendierendes Postulat, gesetzt und begründet werden soll. Das Problem besteht also darin, die moralische Perspektive als übersubjektive Sicht zu konstituieren. Es gibt zwar Überlegungen von Moraltheoretikern, die versuchen, aus subjektiven Vorteilsgründen die moralische Perspektive (bzw. die Frage, warum man moralisch handeln solle) zu begründen, doch meine ich, daß eine solche Fragestellung selbst inadäquat ist. Es mag aus Überlegungen vom Typus des Gefangenen-Dilemmas folgen, daß für alle - und für die Gesamtheit - die Kooperation günstiger ist als rein individuelles Gewinnstreben, es folgt daraus aber nicht, daß für das einzelne Subjekt in jedem Fall die Kooperation das günstige Ergebnis ergibt. Es gibt sicherlich andere praktische Erfahrungen, die den prinzipiellen Erfolg von Kooperation belegen, doch halte ich es nicht für nötig, Kooperation und Solidaritätsdenken vom subjektiven Vorteilsdenken aus zu begründen. Der Mensch als Gemeinschaftswesen hat eine immanente Tendenz in sich, neben seinen subjektiven Utilitätsabwägungen in moralischer Perspektive zu denken. Im einzelnen sind es verschiedene Theorie, die die Konstitution der moralischen Perspektive erreichen sollen, oder mit anderen Worten: die dazu dienen, die Transzendenz der moralischen Betrachtung gegenüber der subjektiven Utilitätsüberlegung darzustellen. Summarisch betrachtet lassen sich in den verschiedensten Zutrittsweisen gemeinsame Grundideen konstatieren, die natürlich in sehr verschiedenen Ausformungen auftreten: auf der einen Seite sind es die Ideen der Universalität und Gerechtigkeit und auf der anderen die Ideen der Gemeinschaftlichkeit und Solidarität, was zur Konstitution der Moralbetrachtung führt. Universalistisch ist z. B. nicht nur Kants kategorischer Imperativ, der auf die Akzeptanz universeller Maximen abzielt, sondern auch Hares Universalisierbarkeitsforderung des Moralischen sowie Rawls Schleier des Nicht-Wissens. Ja, auch der Utilitarismus baut nicht auf der Utilität für den Handelnden auf, sondern auf der Forderung der Maximierung der Utilität für alle Individuen, die mit gleichem Gewicht zu berücksichtigen sind. Auch die Meinung der diskurs theoretischen Ethik, die Moralprinzipien müssen in einem universellen bzw. einem allgemeinen Diskurs der Betroffenen als universell akzeptierbar nachgewiesen werden, realisiert in eigentümlicher Weise diese universalische Perspektive.

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Nächstenliebe (nicht zu verwechseln mit Selbstlosigkeit), Solidarität - oder wie man das sonst bezeichnen mag - ist der andere Pol der Moralkonstitution. Ich glaube, daß sich in beiden Elementen, sowohl in der Universalität als auch in der Solidarität, das essentielle Moment der Gemeinschaftlichkeit des Menschen als einer immanent anthropologischen Charakteristik äußert. Ein Zoon politikon hat notwendigerweise diese Moralstruktur, sobald es handlungsfähig und zu rationaler Analyse fähig wird. Unterstreichen muß ich hier, daß Solidarität, wie ich sie auffasse, Bereitschaft zur Kooperation, gleiche Bereitschaft zu Hilfe, Wohlwollen und Schutz bedeutet unabhängig von faktischer oder erwarteter Gegenleistung. Ich glaube ferner, daß diese Grundhaltung nicht durch Utilitätskalkül begründbar ist - und auch einer solchen Begründung nicht bedarf. Moral ist möglich - nicht, weil sie als nützlich nachweisbar ist, sondern weil sie in uns als handelnden Gemeinschaftswesen angelegt ist.

4. Wie kann man selbstverantwortIich sein? In der autonom konzipierten Moral wird moralisches Entscheiden und moralisches Verhalten keineswegs als willkürlich angesehen, sondern als verantwortliches Handeln. Da diese Selbstverantwortlichkeit ihrem Wesen nach anders strukturiert ist als der gängige Begriff der Verantwortung, muß ich der Frage nachgehen, was Selbstverantwortung bedeutet. Verantwortung im allgemeinen Sinne ist eine Relation, die angibt, wer, wofür, wem verantwortlich ist; und es werden nonnative Folgen der Pflichterfüllung und Pflichtverletzung festgelegt. Wem ist man moralisch verantwortlich, wenn Moral autonom konzipiert wird? Je nachdem, wie ernst man es mit der Autonomie meint, gibt es verschiedene Antworten: jedennann gegenüber; einem hierzu bestimmten Rollenträger der Gemeinschaft; Gott gegenüber; dem eigenen Gewissen. Wenn man moralische Verantwortung als Pflicht gegenüber allen Mitgliedern der Gemeinschaft ansieht, kommt man zu einer universellen Rechtfertigungspflicht etwa im Sinne der Diskursethik. Einerseits würde dies die Auflösung der Autonomie bedeuten, andererseits ist der Konsens der Diskurspartner nicht immer erreichbar, und wenn er zustande kommt, ist er kein Beleg für die Richtigkeit der konsentierten Inhalte. Gesellschaftliche Diskussionen über Fragen der Moral können nützliche Hilfen der Klärung und des Fortschritts sein, sie sind aber für das moralische Entscheiden nicht konstitutiv. Moralische Verantwortung als Relation gegenüber spezifischen gesellschaftlichen Instanzen - Priestern / Beichtvätern, Historikern oder Journalisten - aufzufassen, ist weder Ausdruck einer autonomen Ethik noch geeignet. angemessene oder gar objektiv gültige Wertungen zu erlangen. 17 Weinberger

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Die moralische Verantwortung in Beziehung zu Gott zu sehen, ist eine durchaus sinnvolle Konzeption. Ob man gläubig ist oder nicht, kann die Vorstellung einer objektiven (unparteiischen) und jedem gegenüber gleichermaßen wohlwollenden Instanz der moralischen Wertung einen brauchbaren Rahmen der Verantwortungsanalyse darstellen. 4 In weltlicher Diktion spricht man eher von der Verantwortung vor dem eigenen Gewissen. Das Gewissen als Instanz, vor der man moralisch verantwortlich ist, hat den Anschein einer ganz autonomen Konzeption. Das Gewissen ist hier eine fiktive Instanz, eine Ad-hoc-Konstruktion, welche den relativen Charakter des "Verantwortlich-Seins-gegenüber" aufrechterhalten soll. Realistischer ist es, im Bereich der Moralanalysen nicht das Gewissen als Verantwortungsinstanz einzuführen, sondern verantwortliche Moralüberlegungen durch die Prinzipien der Transsubjektivität, des Postulats, jeden wohlwollend zu verstehen und in universalistischer sowie solidarisch orientierter Perspektive zu werten, zu charakterisieren. D.h. in der moralischen Verantwortung ist keine Instanz vorhanden, der gegenüber man verantwortlich ist. Daß man verantwortungsbewußt vorgeht, bedeutet nur Nachdruck auf die Sorgfalt bei der wohlbedachten Analyse. Das Operieren mit dem eigenen Gewissen kann auch negative Aspekte mit sich bringen, wenn das Gewissen als Quelle von Gewissensbissen eingeführt wird. Der rückschauende Blick des schlechten Gewissens birgt Gefahren in sich, die Seele krank zu machen und den nötigen Lebensoptimismus zu verderben.

5. Die heteronome Moral: die Moral des Gehorchens

Wenn man moralische Gebote als heteronom auferlegte Pflichtsetzung betrachtet, dann bedeutet moralisches Verhalten nichts anderes als Gehorsam gegenüber diesen Geboten oder gegenüber denjenigen Instanzen, die dazu berufen sind, moralische Prinzipien festzusetzen oder an und für sich objektiv bestehende Gebote in autoritativer Weise zu artikulieren. Es gibt - wie schon erwähnt - verschiedene Systeme der Pflicht-GehorsamkeitsEthik: Systeme religiöser Moral, welche moralische Postulate aus der Offenbarung und aus kirchlichen Anordnungen ableiten, oder Systeme, die in anderer Weise die Objektivität und kognitive Erfaßbarkeit der universell bindenden Moralnormen voraussetzen. Sehr markant hat Hans Kelsen die heteronome Konzeption der Moralnormen in seiner "Allgemeinen Theorie der Normen" dargestellt. [Es darf aber nicht übersehen werden, daß die hier zitierten Darlegungen bei Kelsen nicht im Kontext der

4 Da aber die Wertung von den akzeptierten Wertkriterien und deren relativer Gewichtung abhängt. wird auch die Analyse in diesem Rahmen. d. h. die Verantwortung vor Gott oder einem vorgestellten unparteiischen Richter. nicht zu objektiv gültigen Ergebnissen führen.

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Diskussion moral theoretischer Fragen, sondern im Zusammenhang mit der Untersuchung der logischen Struktur der Normen steht.] Kelsen plädiert für die These, daß jede Norm ein Imperativ ist, d. h. ein Wollen einer Person, daß sich eine andere Person in bestimmter Weise verhalten soll. "Wer einen Befehl gibt, meint etwas. Er erwartet, daß der andere dieses Etwas versteht. Er meint mit seinem Befehl, daß sich der andere in bestimmter Weise verhalten soll. Das ist der Sinn seines Willensaktes." (S. 25) "Im Falle eines auf das Verhalten eines anderen gerichteten Willensaktes, das ist im Falle eines Befehls ist der Sinn des Willensaktes des einen nicht das Tun des anderen, sondern das Sollen des Tuns des anderen, da in diesem Befehl befohlen wird. Da auch im Falle eines an sich selbst gerichteten Befehls der Befehlsadressat dem Befehlsgeber als ein anderer, als sein alter ego, gegenübersteht, ist auch der Sinn des Willensaktes, mit dem man an sich selbst einen Befehl richtet, das Sollen des eigenen Tuns, und nicht das Tun, will man, daß man das Befohlene tun soll, will man nicht das Befohlene tun." (S. 35) "Darin besteht das, was man als Autonomie der Moral bezeichnen kann. Diese Autonomie besteht nicht darin, daß die generellen Normen der Moral, um zu gelten, von dem Individuum selbst gesetzt werden müssen, auf dessen Verhalten sie sich beziehen - diese generellen Normen werden durch Gewohnheit oder durch hervorragende Persönlichkeiten wie Moses, Jesus, Mohammed gesetzt, und insofern ist eine solche Moral heteronom -, sondern darin, daß die Anwendung dieser generellen Normen auf konkrete Fälle nur durch die individuellen Normen erfolgen kann, die das Individuum in Anerkennung der generellen Moral-Norm an sich selbst richtet, oder die andere dieses Verhalten billigende oder mißbilligende Individuen in Anerkennung der generellen MoralNorm setzen. Insofern als die generelle Moralnorm auf das Verhalten eines bestimmten Individuums von den andern auch dann angewendet werden kann, wenn dieses Individuum die generelle, auf sein Verhalten sich beziehende Norm nicht selbst anerkennt, kann von einer Autonomie der Moral nur in diesem beschränkten Sinne die Rede sein." (S. 38) Mit der skizzierten Konzeption Kelsens möchte ich mich hier näher befassen, denn sie bringt drei interessante, aber problematische Meinungen zum Ausdruck: (I) Das, was man gewöhnlich als Autonomie der Moral bezeichnet, ist bloß Anerkennung heteronom gegebener Normen. (2) Die Religionen sind die Hauptquelle der Moral. (3) Moral bedeutet nichts anderes als die Anerkennung der Gewohnheitsnormen oder der Gebote der Religionsschöpfer sowie Befolgung dieser Gebote. Autonomie bedeutet für einen Moralphilosophen m. E. mehr als bloßes Akzeptieren gegebener Normen. Jede moralische Person ist Mitschöpfer der Moral nicht nur gehorchender Adressat. Das Suchen von moralischen Grundsätzen und von Lösungen aktueller moralischer Probleme gehört zum Wesen der Moral und bildet die Grundlage der menschlichen Würde. 17'

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Der tatsächliche Einfluß von Gewohnheiten mit sittlicher Relevanz, von Religionen und anderen ideologischen Systemen ist unbestritten; es bedeutet aber eine Verzerrung des Wesens der moralischen Überlegung, wenn man den Beitrag der Person zu ihrem Ethos nur als Anerkennung fremder Gebote konzipiert. Richtig ist, daß der Inhalt eines Moralsystems niemals nur aus dem eigenen Ich geschöpft ist, sondern durch gesellschaftliche Faktoren: Beispiel, Erziehung, geistige oder ideologische Einwirkung in wesentlicher Weise beeinflußt wird. Meine moralischen Wertvorstellungen sind geprägt durch die soziale Struktur meiner Umwelt und durch das personale und materiale Milieu, in dem ich lebe. Ganz falsch ist aber die Meinung, daß die moralischen Überzeugungen durch einen bloßen Prozeß der Anerkennung eines vorgegebenen Sollsystems zustandekommen. Moral ist kein Ableger der Religion. Vorauszusetzen, Religionssysteme seien die letzten Maßstäbe der Moral, gerät in Konflikt mit der Geschichte der meisten Religionssysteme. In gewissen Perioden gehört das Wirken von Religionssystemen zum Inhumansten, was der Mensch getan hat. Ich verweise auf die Verfolgung der Heiden, der Ketzer, der Protestanten, die Hetze gegen die Juden sowie die Judenpogrome, auf die Inquisition und Hexenverfolgungen. Es wäre daher philosophisch und moralisch inakzeptabel, die Religionen angesichts ihrer schrecklichen Geschichte als letzte Maßstäbe der Moral anzusehen. Es ist im Gegenteil unerläßlich, moralische Maßstäbe an die Religion und an die Religionsgemeinschaften anzulegen. Religion hat zweifellos mit Moral zu tun. Die Religionsgebote sollen moralische Gebote sein. Die der Religion zugrundeliegende Moral bildet jedenfalls die grundlegende Schicht der religiösen Gebote, zu der gegebenenfalls kultische Gebote ergänzend hinzutreten können. Diese dürfen aber mit der Moral nie in Konflikt geraten. Im Geiste Kants scheint mir ein Moralismus in der Religion und Theologie gerechtfertigt. Die Interpretation religiöser Quellen kann nur dann richtig sein, wenn ihr Sinn nicht Moralprinzipien widerspricht. 5 Religiöse Gebote sind an die autonome Person gerichtet; sie sollten nicht aufgrund heteronom verstandenen Gehorsams, sondern aus dem autonomen Wollen erfüllt werden. Glaubensgehorsam zu fordern, Religion mit Zwang durchzusetzen, ist widersinnig. Religion sollte den Menschen nicht dazu führen, auf abergläubische Praktiken zu vertrauen, rituale Handlungen als Mittel zur Erreichung seiner Wünsche anzusehen. Religiosität sollte vor allem zur moralischen Überlegung sub specie des verstehenden und wohlwollenden Betrachters, man kann auch sagen, unter der Idee Gottes, hinführen. Wenn man Religiosität in diesem moralistischen Sinne auffaßt, dann muß man von den Religionsgemeinschaften ein hohes Maß an Toleranz gegenüber den Angehörigen der Gemeinschaft fordern, denn der Glaube des einzelnen - wenn er autonome Persönlichkeit sein und Religiosität als moralische Persönlichkeit erleben S

I. Kant. Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793).

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soll - wird je nach Standpunkt, Bildungsgrad und Persönlichkeitsstruktur differenziert sein. Moral kann nicht nur Anerkennung der Gewohnheit oder der Gebote von Religionsschöpfern sein. Die Entfaltung der Moralkonzeptionen und deren Adaptation an die Welt, in der wir leben, ist eine unerläßliche moralische Aufgabe, die nicht durch Gehorsam, auch nicht durch freiwilligen, erfüllt werden kann, sondern nur durch autonome Teilnahme an der Gestaltung und Setzung moralischer Prinzipien.

6. Der gemeinschaftliche Aspekt der Moral

Moral ist autonom, weil wir freie Persönlichkeiten sind, deren Würde in der Potentialität, frei zu entscheiden liegt. Moral muß aber auch funktional verstanden werden, als Tatsache des individuellen und gesellschaftlichen Lebens, die dazu dient, ein geordnetes Zusammenleben der Menschen zu ermöglichen und zur Konstitution einer Lebensform beizutragen. Mit einem Schlagwort läßt sich sagen: Moral dient der Gestaltung der Beziehungen zum Mitmenschen, zur Gemeinschaft und ihren Institutionen. Handlungsregeln, zu denen auch die Grundsätze der Moral gehören, betreffen teils die persönliche Lebensweise des einzelnen, teils Verhaltensweisen des interpersonalen Kontaktes und der Kooperation. Auch dort, wo die moralischen Normen rein auf das persönliche Verhalten im Selbstinteresse gerichtet zu sein scheinen, wie z. B. Gebote der Hygiene und des gesunden Lebens, haben sie - anders betrachtet - auch einen gemeinschaftlichen Aspekt. Hygiene ist z. B. auch eine Kollektivforderung. Der bedeutendere, ja der essentielle Inhalt des moralischen Sollens sind gemeinschaftliche Postulate. Wir leben in Gemeinschaften und Institutionen. Der Lebensweg des einzelnen ist daher vom Verhalten der Partner, der Mitarbeiter, der Konkurrenten und Gegner abhängig. Die vorrangige Funktion der moralischen Normen ist es, den einzelnen im gesellschaftlichen Verhalten, in der Ausübung seiner Rollen zu bestimmen. Die wesentlichen Momente der Moral haben also gemeinschaftlichen Sinn und gemeinschaftliche Funktion. Der gemeinschaftliche Charakter des Inhalts der Moral steht nicht im Widerspruch zur autonomen Setzung der Moral. Wegen ihrer Funktion sind die moralischen Prinzipien und Postulate im folgenden Sinne übersubjektiv bzw. transsubjektiv: sie sollen überpersonale Maßstäbe sein, nach denen ich nicht nur mein Tun und Lassen beurteile, sondern auch das Verhalten der Mitmenschen, die mit mir in Lebensgemeinschaft stehen. Moral muß, da sie Zusammenleben betrifft, wo das Handeln des anderen auch für mein Leben entscheidend wird, mit transpersönlichen Geltungsansprüchen auftreten. Primärer Sinn der Moral ist Bestimmung und Wertung meines eigenen Verhaltens, aber ich stelle auch moralische Ansprüche an meine Partner - und muß dies tun. Im faktischen Funktionieren ist Moral immer

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Moral zwischen Autonomie und Heteronomie

auch überpersönlich. Wir müssen an unsere Mitmenschen - insbesondere, wo sie Partnerschaften bilden - moralische Anforderungen stellen, und wir werden ihr Verhalten moralisch werten. Das gemeinschaftliche Leben ist mit überpersonalen Erwartungen und geforderten Verhaltensweisen unserer Mitmenschen verbunden. Es fragt sich, wie diese transsubjektive Moral auf der Basis einer autonomen Moralkonzeption zustande kommt: Moral ist sicherlich keine rein solipsistische Leistung jedes Individuums, wenn es auch dabei als autonomes Subjekt auftritt. Die überindividuelle Anwendbarkeit der Moral ist nur deswegen möglich, weil gewisse übersubjektive allgemeine Rahmen bestehen - vor allem der Grundsatz der Universalisierbarkeit und die Gegenseitigkeitsforderungen in Partnerschaften sowie die anthropologisch gegebene Solidaritätseinstellung. Wesentlich scheint mir auch, daß immer wichtige, zur Konformität führende Momente wirksam sind: (i) Wie bei jedem höheren Lebewesen ist beim Menschen eine starke Tendenz zur Nachahmung vorhanden. Jeder von uns lernt Verhaltensweisen und Lebensformen, indem er seine Mitmenschen nachahmt. Auch überpersonale Einstellung und moralische Reaktionen werden - wenigstens teilweise - durch Nachahmung erworben. (ii) Der Mensch als Gemeinschaftswesen will und muß "mitspielen"; es besteht also ein aktiver Anpassungswille und auch ein Anpassungsdruck, der spontane Reaktion hervorruft, aber auch durch Zwang zur Geltung kommen kann. (iii) Die modeme Gesellschaft ist so organisiert, daß spezifische Institutionen der adaptiven Einordnung in die Gesellschaft und der Erzeugung moralischer Konformität dienen: das Erziehungswesen. (iv) Die etablierten Institutionen sind Rahmen des koordinierten Verhaltens und werden als solche in der Regel akzeptiert, und das ihnen entsprechende Rollenverhalten wird als moralisch gesollt verstanden. (v) Innerhalb der etablierten Institutionen, aber auch zum Zweck intendierter neuer Aufgaben, werden durch explizite oder stillschweigende Konventionen Regeln aufgesetzt, die für das Zusammenleben in der Institution oder für die Realisationsweise des angestrebten Werkes gelten. Die Moral fordert "pacta servanda sunt". Dies ist nicht nur eine Forderung des Rechts, sondern ein allgemeiner Grundsatz der Moral. Auf diesen Grundsatz stützen sich Regeln, die autonom durch Übereinkünfte geschaffen werden und die überpersönliche Regeln und gesellschaftliche Strukturen in gemeinschaftlichen autonomen Prozessen erzeugen. (vi) Seit eh und je diskutiert man in verschiedenen Ebenen moralische Fragen. In der modemen Gesellschaft ist dieser Diskurs auch institutionell fundiert: vom Biertisch über Massenmedien zu ideologischen und kirchlichen Gemeinschaften gibt es moralisches Abwägen und das Bemühen, moralische Prinzipien zu klären. [Das Ergebnis ist eine Entwicklungsdynamik, die für die Adaptation und für die moralische Entwicklung sehr wertvoll ist. Diese Institutionen der

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Moralkritik entarten aber leider oft in ideologische oder / und moralische Zwangsjacken.] 7. Das DoppelantIitz der Moral: persönliches Ethos und Gesellschaftsmoral Es ist so etwas wie eine allgemeine Ansicht, daß der Terminus ,Moral' zwei verschiedene Dinge bezeichnet: einerseits das persönliche Moralsystem, das jedes Individuum als seine eigene moralische Überzeugung und sein persönliches Ethos besitzt, und andererseits das gesellschaftlich institutionalisierte System moralischer Regeln und Grundsätze. Moral im ersteren Sinne sei autonom, eine Leistung des individuellen guten Willens und der persönlichen Philosophie; gesellschaftliche Moral sei dagegen ein etablierter Forderungskatalog, der dem Individuum als vorgegeben entgegentritt. Ich bin der Meinung, daß es hier nicht um zweierlei Moralbegriffe, also zwei verschiedene Dinge geht, sondern um das wesenhafte Doppelantlitz der Moral. Auch das, was man als gesellschaftliche Moral bezeichnet, muß mit autonomen Subjekten rechnen, die nicht nur das gegebene System zu akzeptieren und zu befolgen haben, sondern auch freiwillig moralisch werten und handeln sollen. Auch Moral als Gesellschaftsphänomen beruht auf den autonomen moralischen Stellungnahmen des einzelnen; es ist kein petrifiziertes Glaubenssystem. Nur über persönliches moralisches Werten und mittels gesellschaftlicher Diskurse über Fragen der Moral kommt eine Dynamik der gesellschaftlichen Moral zustande. Dies ist allerdings nur dann realisierbar, wenn Moral als Gemeinschaftsphänomen undogmatisch, einfühlend und relativ tolerant ist. Das persönliche Ethos und die moralische Wertung der "philosophierenden" Persönlichkeit ist immer irgendwie relativ zur Gemeinschaftsstruktur und den gesellschaftlich-moralischen Wertvorstellungen, zu denen sie jedoch eine autonome Stellungnahme darstellt. Daraus scheint mir zu folgen: I. die Realität von persönlicher Wertung und individuellem Ethos und dem Gesellschaftsphänomen Moral ist immanent wesenhaft und stellt ein funktionales Zusammenspiel dar; 2. jede moralische Analyse und jede Moralkonzeption steht im Spannungsfeld von Autonomie und gesellschaftlicher Koordination des moralischen Sollens; 3. jede Einschränkung des autonomen Charakters der Moral führt zur Aufhebung der liberalen Kultur und der Würde des Menschen; das Nicht-beachten des prinzipiell gemeinschaftlichen Charakters der Moral und der immanent solidarischen Einstellung als Basis jeder Moral löst Moral auf und negiert die soziale Funktion der Moralität.

Die formal-finalistische Handlungstheorie und das Strafrecht

Ulrich Klug, dem erfolgreichsten Vorkämpfer für die Verbreitung der modemen logischen Analyse in der deutschen Jurisprudenz, zum siebzigsten Geburtstag

1. Die Problemsituation in der Strafrechtslehre sowie in der Handlungstheorie und die Aufgaben meiner Untersuchung· Die Explikation des Handlungsbegriffes ist eines der wichtigsten Grundlagenprobleme der Jurisprudenz. In der Strafrechtstheorie wurde die Problematik im Gefolge der Welzelschen finalen Handlungslehre (FHL) mit ihren philosophischen und dogmatischen Implikationen zu einem zentralen Diskussionsthema. 1 Durch die FHL wurde nicht nur eine ganze Reihe traditioneller Probleme der Strafrechtstheorie in ein neues Licht gestellt, sondern die FHL hat auch markante

* Herrn Kollegen Dr. Man/red Proske bin ich für kritische Hinweise zur ersten Fassung dieser Untersuchung zu großem Dank verpflichtet; für die hier dargelegten Konzeptionen bin ich jedoch allein verantwortlich. I H. Welzel. Kausalität und Handlung, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 51, 1931, S. 703 -720; ders., Um die finale Handlungslehre, Tübingen 1949; ders., Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, Göuingen 1951; ders., Aktuelle Strafrechtsprobleme im Rahmen der finalen Handlungslehre, Karlsruhe 1953; ders., Das neue Bild des Strafrechtssystems, Göuingen 1961; ders., Vom Bleibenden und dem Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, Marburg 1964; ders., Das deutsche Strafrecht, 9. Aufl., Bonn 1965. Siehe dazu ferner: K. Engisch. Der finale Handlungsbegriff, in: Probleme der Strafrechtserneuerung. FS für Eduard Kohlrausch, Berlin 1944, S. 141 - 179; ders., Logische Überlegungen zur Verbrechensdefinition, in: FS für Hans Welzel zum 70. Geburtstag, hrsg. von G. Stratenwerth u. a., Berlin, New York 1974, S. 343 - 378; H.-H. Jescheck, Der strafrechtliche Handlungsbegriff in dogmengeschichtlicher Entwicklung, in: FS für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag, hrsg. von P. Pochelmann u. W. Gallas, Göuingen 1961, S. 139-155.; U. Klug. Der Handlungsbegriff des Finalismus als methodologisches Problem. Prolegomena zu einem axiomatischen Handlungsbegriff, in: Philosophie und Recht. FS für C.A. Emge, Wiesbaden 1960, S. 34-50; R. Moos, Die finale Handlungslehre, in: Strafrechtliche Probleme der Gegenwart, Bd. H, Strafrechtliches Seminar der Vereinigung der österreichischen Richter, Druck: Bundesministerium für Justiz, Stein 1974, S. 5-41; W Niese. Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit, Tübingen 1951; C. Roxin. Kritik der finalen Handlungslehre, in: ders., Strafrechtliche Grundlagenprobleme, Berlin, New York 1973, S. 72-122 (ZStW, Bd. 74,1962, S. 515 ff.); E. A. Wolff, Der Handlungsbegriff in der Lehre vom Verbrechen, Heidelberg 1964.

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Fonnal-finalistische Handlungstheorie und Strafrecht

und viel diskutierte Thesen aufgestellt: Sie betrachtet die Finalität als konstitutives Merkmal des Handlungsbegriffes. Den strafrechtlichen Handlungsbegriff stützt sie auf den allgemeinen Begriff der Handlung und setzt voraus, daß durch die allgemeine Struktur der Handlung unabdingbare Züge der Handlung im rechtlichen Sinne gegeben sind und daß die verschieden normierbaren Elemente ebenfalls durch begrifflich-strukturelle Rahmen des Handlungsbegriffes vorgegeben sind. Sie bemüht sich, den Verbrechensoberbegriff zu bestimmen und kämpft um eine akzeptable Explikation des Unterlassungsbegriffes. Sie hat Wichtiges zur Schuldformenlehre zu sagen, insbes. mit der These, daß der Vorsatz ein Element des Tatbestandes ist. Sie nimmt in beachtenswerter Weise zu Problemen des Versuchs, der Beteiligung und anderen Fragen Stellung. Die heutige allgemeine Handlungstheorie ist durch divergierende Meinungen gekennzeichnet: die Kontroverse zwischen Determinismus und Indeterminismus; den Streit zwischen Kausalisten und Intentionalisten 2 ; Divergenzen in den Definitionen der Begriffe ,Handlung' und ,Motiv'; Auseinandersetzungen über die Form der Beschreibung und die Artbestimmung von Handlungen; Unklarheiten über die Bedingungen der Konstitution des Sinns von Handlungen; Kontroversen über die Beziehungen zwischen der Theorie des rationalen und des faktischen Entscheidens (Handeins); das Problem der Entstehung und des Wirkens von Normen als Handlungsdeterminanten, usw. Angesichts der umstrittenen Probleme in der FHL und der allgemeinen Handlungstheorie möchte ich versuchen, vorn Standpunkt der formal-finalistischen Handlungstheorie (FFH), die ich zu entwickeln versucht habe 3 , und des institutionalistischen Rechtspositivismus (1RP)4 die Hauptthesen der FHL zu untersuchen, da ich davon überzeugt bin, daß diese Zutrittsweise zur Klärung - wenn nicht nur Lösung - der Streitfrage beitragen kann.

G. H. von Wright, Erklären und Verstehen, Frankfurt a.M. 1974 (1. Auf!. 1971), S. 92. Ch. Weinberger/O. Weinberger, Logik, Semantik, Henneneutik, München 1979; O. Weinberger, Rationales und irrationales Handeln, in: F. Kaulbach/W. Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft, Berlin 1978, S. 721-744 (S. 99 ff. dieses Bandes); das., Handeln und Schließen. Überlegungen zum Begriff der praktischen Inferenz, in: F. van Dun (Hrsg.), Law between Morality and Politics, Philosophica 23,1979 (I), S. 5-35; das., Finalität und Zeit2

3

ablauf. Gleichzeitig eine Kritik an Wolfgang Stegmüllers Begriff der fonnalen Teleologie, in: Rechtstheorie 13 (1982), S. 285 - 302. 4 O. Weinberger, Die Nonn als Gedanke und Realität, ÖZÖR, Bd. 20 (1979), S. 203-216; das., Tatsachen und Tatsachenbeschreibungen. Eine logisch-methodologische Überlegung zu einem Grundlagenproblem der Sozialwissenschaften, in: K. Salamun (Hrsg.), Sozialphilosophie als Aufklärung. FS für Ernst Topitsch, Tübingen 1979, S. 173 -187; das., Das Recht als institutionelle Tatsache. Gleichzeitig eine Überlegung über den Begriff des positiven Rechts, Rechtstheorie 11 (1980), S. 427 -442; das., Zur Idee eines institutionalistischen Rechtspositivismus. Gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit Hans Kelsens Setzungspositivismus, Revue internationale de philosophie, 1981, S. 487 -507; D. N. MacCormick, Law as Institutional Fact, Edinburgh 1973.

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2. Charakteristik der formal-finalistischen Handlungstheorie

Die übliche Erklärung, Handeln sei willentliches Verhalten, muß näher bestimmt werden. Wir sind zwar aus unserer Lebens- und Sprachpraxis mit den Begriffen ,Handlung' und ,Wollen' wohl vertraut, die wissenschaftliche Behandlung dieser Begriffe muß sich jedoch auf solche Explikationstheorien stützen, welche die dem Wollen entsprechende Infonnationsverarbeitung fonnal darstellen. Die Grundlage der FFH bildet die formale Teleologie (Fr), die, gestützt auf die vorausgesetzte Kenntnis der Kausalität (der Begriff ,Kausalbeziehung' , ,Kausalgesetz'), in nicht-psychologistischer Weise entwickelt wird. Durch die Fr wird eine spezifische Art der Infonnationsverarbeitung dargestellt, die wir als ,teleologisches Denken' bezeichnen können, wenn wir ,Denken' nicht als psychischen Vorgang, sondern als Infonnationsverarbeitungsprozeß konzipieren. Diese Infonnationsverarbeitung umfaßt neben Zielsetzungen auch Tatsacheninfonnationen über die Situation, über Kausalbeziehungen und Kausalgesetze, ferner das Auffinden möglicher Mittel zu gegebenen Zielen und die relative Wertung der Mittel vom Standpunkt der Ziele. 5 Es wird jenes Mittel oder jene Programmalternative gewählt, welche relativ höher gewertet wird. Bei Wertgleichheit der Alternativen wird eine derselben willkürlich (zufällig) ausgewählt. Unter dem Träger des teleologischen Systems verstehen wir ein Subjekt (eine Person oder ein anderes System), dem ein System von Zielen zugeordnet ist und das die Fähigkeit hat, relativ zu werten (d. h. Adern B vorzuziehen, B dem A vorzuziehen, oder A und B gleich zu werten). Unter dem Verhalten einer Person (oder eines Systems) verstehen wir die in einem gewissen Zeitabschnitt vor sich gehende Abfolge von Zuständen der Person (des Systems). Der Begriff der Handlung ist als Verhaltensablauf definiert, der von einem spezifischen Infonnationsverarbeitungsprozeß abhängig ist, dessen Kern das teleologische Denken bildet, das durch die Fr schematisch dargestellt wird. Das Merkmal der Finalität ist also für die FFH ebenso wie für die FHL ein konstitutives Merkmal des Handlungsbegriffs. Für den Begriff der Handlung ist es wesentlich, daß das Verhalten von Infonnationselementen (Wissen und Zielsetzungen) und der Infonnationsverarbeitung abhängig ist, und daß verschiedene Verhaltensmöglichkeiten existieren, d. h. ein Verhaltensspielraum besteht, so daß die Handlung je nach der infonnationsabhängigen Entscheidung verschieden sein kann.

5 eh. Weinberger/O. Weinberger, FN 3; O. Weinberger, Handeln und Schließen, FN 3; ders., Finalität und Zeitablauf, FN 3; ders., Probleme der fonnalen Teleologie, Amilisis Filosofico, 1985.

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Freiheit im Sinn dieser alternativen Möglichkeiten, d. h. die Existenz eines Verhaltensspielraums, ist eine Vorbedingung des Begriffs der Handlung; Indeterminiertheit des Handeins in dem Sinne, daß das Subjekt prima causa wäre und seine Handlung unabhängig von Determinanten bestimmen könnte, ist zur begrifflichen Konstitution des Handlungsbegriffes nicht erforderlich.

Ein wichtiges Element der FFH ist der Begriff der Fixierung. Die teleologische Handlungsdeliberation wird häufig durch "vorgefertigte Blöcke" des Wollens vereinfacht. Es treten ferner Absichtsfixierungen auf, die es ermöglichen, ohne Aufrollen der teleologischen Deliberation in relativ konstanter Weise zu handeln. Autonome Nonnen können als besondere Art der Absichtsfixierung aufgefaßt werden.

Da der Mensch ein Gesellschaftswesen ist und da gemeinsames Handeln und ein Zusammenleben nur aufgrund institutionalisierter Normenregulative möglich ist, treten auch heteronome Nonnensysteme als Handlungsdeterminanten auf. Die FFH setzt voraus, daß es eine Art von Interferenz zwischen der Handlungsdeliberation aufgrund des Zielsystems und anderer Determinanten, insbes. normativen Regulativen, gibt. Die Wirkungsweise normativer Regulative ist komplex: Normen werden teils internalisiert und wirken als rezipierte Determinanten, teils wird der Adressat durch Motivatoren (Strafe, Belohnung) zur Normerfüllung motiviert. Es wäre falsch, das Wirken heteronomer Normen nur als Utilitätsreaktion auf Straf- oder Belohnungserwartungen zu betrachten. Der Mensch ist auch in dem Sinne frei, daß sein Handeln - in gewissem Ausmaß auch entgegen seiner finalen Utilitätsdeliberation - durch Normen beeinflußbar ist. Die dem Handeln zugrundeliegende Informationsverarbeitung betrifft die Bestimmung von Mitteln zu gegebenen Zwecken, von Handlunsprogrammen und die Entscheidung zwischen den als möglich erkannten Alternativen von Mitteln oder Programmen. Auch die Realisation der Handlungen ist mit einem Informationsverarbeitungsprozeß der Handlungslenkung verbunden (Theorie der Rückkoppelung). Die FFH betrachtet die erwähnten Informationsverarbeitungsprozesse nicht als Quelle der Handlungen - die Aktivität ist beim Menschen oder anderen Handlungssystemen durch deren Wesen gegeben -, sondern als Einrichtung, die der Richtungsbestimmung und Lenkung der biologisch oder sozial konstituierten Systeme mit spontaner Aktivität dient. Durch diese Auffassung wird der Meinungsstreit zwischen Kausalisten und Intentionalisten in der Handlungstheorie gegenstandslos. Die FFH läßt verschiedene Arten von Handlungsbeschreibungen zu: die Handlung kann als Beschreibung des Zustandsablaufs des Aktors (z. B. "Aufstehen") oder durch die Beschreibung des Zustandsablaufs jenes Systems gegeben werden,

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auf welches der Aktor einwirkt (z. B. "einen Menschen töten"). Die Handlung kann als Übergang von einem Zustand in einen anderen, oder bloß durch den zu erreichenden Endzustand bestimmt werden. 6 Im sozialen Kontext sind Handlungen oft nicht bloß als informationsgelenkte Zustandsabfolgen zu verstehen, sondern es kommt ihnen auch ein institutionell festgesetzter Sinn zu. Die Zustandstransformation, bei der ich meinen Hut vom Kopf hebe und dann nach einer gewissen Zeit wieder aufsetze, hat als Handlung auch den Sinn (wenn die entsprechenden Nebenbedingungen gegeben sind) eines Grußes. Ich habe also die Handlung des Grüßens vollzogen, indem ich eine Bewegung mit meinem Hut realisiert habe. Ein wesentlicher Zug der FFH ist die Unterscheidung zweier grundsätzlich verschiedener Anwendungsweisen der Fr in der Handlungstheorie 7 : (a) die Handlungsdeliberation. durch die Mittel bzw. Programme ausgewählt werden, (b) die Motivinterpretation. bei der beobachtete Handlungsabläufe durch deutende Rekonstruktion der handlungslenkenden Informationsverarbeitung als Handlungen erklärt werden. Die FFH faßt Motive als durch Interpretation bestimmte Zwecke von Handlungen auf; sie sind nicht-beobachtbare informationelle Entitäten. ]ürgen Rödigs Auffassung der Begriffe . Handlung , und. Unterlassung'

Rödig. einer der bedeutendsten Schüler Ulrich Klugs. definiert den Begriff der Handlung folgendermaßen: "Ist SI ein Verhalten und gibt es wenigstens ein S2. das zum selben Verhaltensspielraum wie SI gehört und sich von SI unterscheidet, so sagen wir: .Sl ist eine Handlung' .,,8 Analog definiert er den Unterlassungsbegriff "Gehört SI zum seI ben Verhaltensspielraum wie S2 ( ••• ) und ist SI von S2 verschieden, so sagen wir: ,SI ist eine Unterlassung von S2 ....9 Diese Definitionen nehmen nur auf die alternativen Möglichkeiten des HandeIns, nicht aber auf den Informationsverarbeitungsprozeß Bezug: Und das halte ich für verfehlt. Rödig betrachtet die Unterlassung als Handlung, soweit man bei seiner Begriffsapparatur bleibt, mit Recht, wenn man jedoch die Informationsabhängigkeit der Handlung mit ins Auge faßt - wie es meiner Konzeption und jener der FHL entspricht -, dann muß man die Unterlassung als Art des Verhaltens ansehen. das nicht immer eine Handlung ist. 6 7

O. Weinberger. Probleme der fonnalen Teleologie, FN 5.

eh. Weinberger/O. Weinberger. FN 3.

R J. Rödig, Die Denkfonn der Alternative in der Jurisprudenz, Berlin, Heidelberg, New York 1969, S. 98. 9 J. RÖdig. FN 8, S. 85.

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3. Der Begriff ,institutionalistischer Rechtspositivismus'

Ausgehend von Searles Unterscheidung von ,brute facts' und ,institutional facts dO charakterisiere ich das Recht als institutionelle Tatsache. Meine Auffassung der institutionellen Tatsachen deckt sich jedoch nicht mit der Searleschen, denn er hat diesen Begriff eingeführt, um die Ableitbarkeit von Sollen aus Sein (Tatsachen) zu beweisen, während ich von der erkenntnismäßig differenzierten Semantik ausgehe 11 und die These unterstreiche, daß institutionelle Tatsachen ohne nonnative, teleologische oder (und) wertende Charakteristiken nicht beschrieben werden können. 12 Der IRP faßt das gesellschaftliche Dasein (die Geltung) der Rechtsnonnen als Folge des Zusammenspiels zwischen Nonnen (als verstehbaren Sinngebilden) und beobachtbaren gesellschaftlichen Vorgängen auf. Die Rechtsnonn ist Tatsache, indem sie mit realen und beobachtbaren Prozessen verflochten ist, und diese Art der Tatsachen sind nur wegen ihres nonnativen (teleologischen bzw. wertmäßigen) Kerns besondere, nämlich: institutionelle Tatsachen. Wie jeder Rechtspositivismus leugnet der IRP die Möglichkeit der praktischen Erkenntnis, d. h. der empirischen oder (und) logischen Bestimmbarkeit richtigen Sollens; er rechnet aber mit der Wertintuition als einer empirisch belegbaren psychologischen und soziologischen Tatsache. Daher anerkennt er die Möglichkeit von rechtspolitischen Argumentationen und untersucht deren Struktur; er ist immer bestrebt, Dezisionselemente von kognitiven Argumenten zu trennen. 13 Der IRP transzendiert den Unterschied zwischen nonnativistischem und realistischem Rechtspositivismus, denn die Rechtswirklichkeit ist für ihn eine Nonnenordnung, eine Menge von Rechtsbeziehungen, deren Existenz funktionell mit der Nonnenordnung verknüpft ist, und ein System von Einrichtungen (Staatsapparat und Rechtsstab), zu denen sich auch die Jurisprudenz - sowohl die Rechtsdogmatik als auch die Rechtstheorie und juristische Methodenlehre - hinzugesellt, da sie das Rechtsleben als institutionelle Tatsache mitfonnt. Der IRP hat methodologische Implikationen, von denen hier nur einige genannt seien: das Postulat der Trennung von Erkenntnis und Dezision; wenn man die Wirkung der Nonn untersucht, darf man sich nicht auf die Frage der Befolgung und Verletzung beschränken, sondern muß die Gesamtheit der Auswirkungen in Betracht ziehen; Strafbegründung aufgrund von Rechtsregeln muß von Strafrechtfertigungsüberlegungen säuberlich getrennt werden; Schuld ist keine rohe Tatsachenbeziehung, sondern Zurechnung nach normativ festgesetzten Kriterien. J. R. Searle. Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language, Cambridge 1969. eh. Weinberger/O. Weinberger, FN 3, S. \09. 12 O. Weinberger. Tatsachen und Tatsachenbeschreibungen, FN 4, S. 179 f. 13 O. Weinberger. Jenseits von Naturrecht und Rechtspositivismus, ARSP, Supplementa, Vol. I. Part. I, Contemporary Conception of Law, 9th World Congress, Basel 1979, erschienen 1982, S. 43 - 56. 10

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4. Grundgedanken der finalen Handlungstheorie im Strafrecht Wenn wir von der Vorgeschichte absehen [Welzel führt M. Grünhut und E. Schwinge als Vorläufer an]14, muß Hans Welzel als der Vater und wichtigste Vorkämpfer der FHT im Strafrecht angesehen werden. Ich möchte folgende Grundzüge der FHT hervorheben: (i) Es gibt bleibende Strukturen, an die der Gesetzgeber gebunden ist. Zu ihnen gehört der Handlungsbegriffmit seinem finalen Charakter. "Weder erzeugt es [das Recht] die Handlungen noch ihre finale Struktur noch die mit ihr eröffnete Sinndimension, sondern es wählt aus: Es verbietet solche Handlungen, die mit einer von ihr gewünschten sozialen Ordnung unverträglich sind, und gebietet solche, die diese Ordnung fördern. In dieser Funktion al1erdings ist das Recht ,frei' und ,schöpferisch', jedenfalIs im Verhältnis zur Finalstruktur der Handlung, - ob und wieweit es anderen Bindungen unterliegt, möge hier zunächst dahingestel1t bleiben. ,,15 (ii) Die FHL geht von einem einheitlichen Handlungsbegriff aus, den sie als Verbrechensoberbegriff ansieht.

(iii) Die Handlung ist ex definitione final (zielgerichtet). Eine Person handelt dann und nur dann, wenn ihr Verhalten zielgesteuert ist. (iv) Auch fahrlässiges Handeln ist insoweit final- obwohl fahrlässiges Handeln keine zielgerichtete Tätigkeit sein muß -, als es nach Welzel "zwecktätig vermeidbare Verursachung" des fahrlässig verursachten Erfolgs ist. Es wird hier also wenn ich richtig verstehe - potentiel1e Zwecktätigkeit als Art der Finalität angesehen. Das al1gemeine Wesen der Zwecktätigkeit wird von der Zielsetzung und Zielverwirklichung auf die Steuerung des Verhaltens verschoben, und die Möglichkeit zu handeln wird als Finalität verstanden. (v) Die Handlung hat eine Sinndimension: Das [nämlich: daß sie eine geistige Leistung ist] unterscheidet sie [die Handlung] radikal vom bloßen Naturvorgang: Eine Handlung kann gar nicht anders, als ,die Sinndimension mit einschließen', nämlich die Sinndimension, die durch die Antizipation des Handlungszieles, die Auswahl der Handlungsmittel etc. eröffnet wird. 16 "Dazu gehört, daß jede Handlung - im Unterschied zum bloßen Naturvorgang - ein Sinngebilde ist, dessen Rückgrat der sie gestaltende und formende Handlungswille ist. Wie das Recht zu dieser Finalstruktur der Handlung nichts hinzufügen und von ihr nichts wegnehmen, sondern sie nur normieren und bewerten kann, so geht die primäre Aufgabe der StrafrechtswissenschaJt dahin, die Hand14 H. We/zel, Vom Bleibenden und dem Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, FN I, S. 5. IS We/zel. FN. 14, S. 6, 8. 16 We/zel. FN 14, S. 7.

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lungsstruktur sachgemäß zu begreifen und die auf sie bezüglichen Rechtsbegriffe nach ihr auszudeuten.,,17 (vi) Der Gesetzgeber ist an die ontologische Struktur der Handlung gebunden, die der Bewertung und Regelung vorgegeben ist. "Wer Handlungen normieren will, muß die ontologische Struktur der Handlung beachten. Die Struktur der menschlichen Zwecktätigkeit und die Funktion des Vorsatzes in ihr kann auch der Gesetzgeber nicht ändern, sondern muß, wenn er sie normieren will, in seiner Regelung an sie anknüpfen, widrigenfalls er das Regelungsobjekt verfehlt.,,18 Mit dieser - meines Erachtens richtigen Auffassung - verbindet Wetzel gewisse naturrechtliche Thesen. Er hält zwar eine objektive Richtigkeit für rational nicht ableitbar, meint aber, daß die Anerkennung des Bestehens objektiver (objektiv begründeter) Handlungsziele eine notwendige Voraussetzung dafür ist, daß sinnvolle existentielle Akte gesetzt werden können. 19 Die sachlogischen Strukturen sind jeder positiven Regelung vorgegeben. 2o Er postuliert die Annahme eines transzendentalen Lebenssinnes. 21 "Die Strukturgesetzlichkeit der Handlung und die Prinzipien der Schuld bilden die beiden festen Punkte, die von ,außen' - d. h. aus der Grundverfassung des Menschen heraus als eines handelnden und in seinen Handlungen einem übergreifenden Lebenssinn verpflichteten Wesens - in das Strafrecht hinein reichen und zwischen denen sich die geschichtliche Vielfalt der strafrechtlichen Regelungen bewegt."22 Welzels naturrechtlichen Folgerungen kann ich nicht folgen: Die ontologische Struktur der Handlung bildet einen Rahmen für eine mögliche Rechtssetzung, nicht jedoch eine Richtigkeitsbestimmung des Rechts im naturrechtlichen Sinne. Um Werte setzen zu können, ist die Voraussetzung der transzendentalen Existenz objektiver Werte nicht erforderlich. Dazu genügt es, die Tatsache des Wertbewußtseins als empirisch feststellbares Merkmal des Menschen aufzuweisen. (vii) Eine markante Konsequenz der FHL ist es, daß der Vorsatz zu einem Bestandteil des Tatbestandes wird und nicht als nur zur Schuld gehörig angesehen wird. Die FHL unterstreicht die subjektiven Elemente des Tatbestandes und führt zu einer personalen Unrechtsauffassung. (viii) Mit der FHL werden auch Konsequenzen für die Auffassung der Teilnahme (Beteiligung) und andere Fragen der Strafrechtsdoktrin verbunden, die ich hier jedoch außer Betracht lassen muß. 17

18

19

20 21

22

We/zet. We/zet. Wetzet. We/zet. We/zet. We/zet.

FN 14. S. 9. Naturrecht und materiale Gerechtigkeit. FN I. S. 197. FN 18. S. 196. FN 18. S. 198. FN 14, S. 16. FN 14, S. 25.

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5. ,Handlung' und ,Unterlassung' in der Strafrechtslehre Man kann folgende Haupuypen von Handlungstheorien in der Strafrechtslehre unterscheiden: 1. die naturalistische (oder kausale), 2. die soziale, 3. die personale und 4. die finale Handlungskonzeption. 23 Die kausal-naturalistische Konzeption ist unbefriedigend, da ,Wille' kein beobachtbarer Sachverhalt ist, der als Ursache auftreten könnte, so daß mittels dieses Begriffes keine kausale Erklärung der Handlung gegeben werden kann. Der Begriff ,Wille' muß selbst expliziert werden, was m.E. jedoch nicht durch Beschreibung direkt beobachtbarer Vorgänge und Kausalgesetze geschehen kann, sondern nur durch eine den Willensphänomenen entsprechende Informationsverarbeitungstheorie. Auch der soziale Handlungsbegriff, den Maihofer in folgender Weise definiert: "Handlung ist auf Verletzung von Sozialgütern gerichtetes Verhalten,,24, ist nicht befriedigend: 1. Es wird das Wesen der Handlung nicht angemessen expliziert, da der für das Handeln charakteristische Informationsverarbeitungsprozeß des Entscheidens und der Handlungslenkung außer acht bleibt. 2. Wenn der in der Definition auftretende Terminus ,gerichtet' intentional gedeutet wird, dann fällt der Begriff des Unterlassens ebensowenig unter den sozialen wie unter den finalen Handlungsbegriff. 3. Wenn ,gerichtet' nur Bewirken bedeutet, dann wird der Begriff des ,Verhaltens' zum Oberbegriff des Verbrechenssystems, dem der Name ,Handlung' gegeben wird. Die erforderliche Definition des Handlungsbegriffes, der Intentionsund Informationsabhängigkeit jener Verhaltensweisen ausdrücken muß, die wir üblicherweise als Handlungen ansehen, fehlt. 4. Die Definition unterscheidet nicht zwischen ,Handeln' und ,rechtswidrigem Handeln' bzw. zwischen ,Verhalten' und ,rechtswidrigem Verhalten', weil die Definition nur von rechtswidrigem Verhalten spricht. Es erscheint aber erforderlich, einen wertneutralen Handlungsbegriff zu definieren und es dem Gesetzgeber zu überlassen, rechtswidrige Verhaltensweisen durch seine Wertung auszuwählen, weil sie das, was er für Sozialgüter hält, verletzen. Den personalen Handlungsbegriff definiert Arthur Kaufmann mit folgenden Worten: ,.Menschliches Handeln ist verantwortliche, sinnhafte Gestaltung der Wirklichkeit mit vom Willen beherrschbaren (dem Handelnden daher zurechenbaren) kausalen Folgen (im weitesten Sinne).,,25

Durch diese Begriffsbestimmung wird einerseits Positives geleistet, da der willenhafte Kern der Handlung, die Sinnkomponente der Handlung im juristischen 23 O. Weinberger. Probleme der formalen Teleologie, FN 5, S. 1-6; A. Kaufmann, Die ontologische Struktur der Handlung, Skizze einer personalen Handlungslehre, in: ders., Schuld und Strafe, Köln u. a. 1966, S. 39-65. 24 W. Maihofer. Der Handlungsbegriff im Verbrechenssystem. Tübingen 1953. S. 72. 25 Kaufmann. FN. 23. S. 65. 18 Weinberger

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Kontext und die Willenszugänglichkeit der Folgen unterstrichen werden, andererseits aber ist einzuwenden, daß die Willenhaftigkeit nicht angemessen expliziert wird und daß hier die Definition des Handlungsbegriffes von rechtlichen Stellungnahmen zu Handlungen nicht getrennt wird. Die finale Handlungskonzeption trifft m.E. den Kern des Handlungsbegriffs, indem sie den intentionalen Charakter der Handlung unterstreicht. Sie muß aber m.E. durch eine eingehende Theorie der informationellen Lenkung der Handlung ergänzt werden. Die finale Theorie kann nur dann konsequent bleiben, wenn sie einsieht, daß nicht jede Unterlassung eine Handlung ist, und wenn sie es aufgibt, den Handlungsbegriff als Verbrechensoberbegriff hinzustellen (bzw. zu postulieren). Die FFH versucht, der Handlungstheorie eine Strukturtheorie der Finalität zugrunde zu legen, sie integriert dabei Elemente der Fixierung (autonome, heteronome Normen, und ggf. pathologische Momente) in die handlungs lenkenden Informationsverarbeitungsprozesse, was zu einer subtileren Motivanalyse führt. Das Problem der Bewußtheit finaler Momente in der Handlung 26 kann auf dieser Basis angemessen gelöst werden: Bewußtheit der Ziele ist keine Voraussetzung der FFH, sie kann aber als Merkmal einer besonderen Form der Intention herangezogen werden. Zum Unterschied von der FHL betrachtet die FFH nicht jede Unterlassung als Handlung, und sie lehnt es deswegen ab, ,Handlung' als Verbrechensoberbegriff zu postulieren. Was bedeutet es, wenn man sagt: ,Die Handlung H wird unterlassen'? ,Unterlassung' ist ein Komplementärbegriff. Unter Komplementärbegriffen versteht man Begriffe, die in folgender Weise konstituiert sind: 1. Es wird ein Oberbegriff (Universalbegriff) U und ein Artbegriff von U - sagen wir: A - angegeben. 2. Der Komplementärbegriff ,nicht-A' wird definiert als Begriff, der genau jene Gegenstände umfaßt, die U, aber nicht A sind. [Z. B.: ,Nichtraucher' wird definiert als Mensch (Oberbegriff), der nicht unter den Begriff ,Raucher' fällt.] Bei Komplementärbegriffen der Umgangssprache herrscht oft Unklarheit, weIches der entsprechende Oberbegriff ist, weil dieser meist nicht ausdrücklich angeführt wird. In unserem Beispiel: Ist ,Nichtraucher' ein Mensch, der nicht Raucher ist, oder ein Mann, der nicht Raucher ist? Bei der Unterlassung müssen wir uns zwischen ,Handlung' und ,Verhalten' als möglichen Oberbegriffen entscheiden. Es besteht kein Zweifel, daß, wer eine Handlung unterläßt, nicht immer eine Handlung (,Handlung' im Sinne einer finalen Theorie) vollführt. Selbst Welzet schreibt (1965): 26 W. Platzgummer, Die Bewußtseinsfonn des Vorsatzes. Eine strafrechtsdogrnatische Untersuchung auf psychologischer Grundlage, Wien 1964; A. Pöhl, Böser Vorsatz und unbewußtes Wissen, ÖJZ 16, 1961, S. 66-67; G. Stratenwerth, Unbewußte Finalität? in: Festschrift für Hans We1zel zum 70. Geburtstag, hrsg. von Stratenwerth u. a., Berlin, New York 1974, S.289-305.

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"Ontologisch gesehen ist die Unterlassung, da sie ja die Unterlassung einer Handlung ist, selbst keine Handlung." ... "In Wahrheit sind Handlung und Unterlassung einer Handlung zwei eigenständige Unterarten des menschlichen, vom zwecktätigen Willen beherrschbaren ,Verhaltens'. ,,27

,Unterlassung' muß daher als Komplementärbegriff in bezug auf den Oberbegriff ,Verhalten' definiert werden.

6. Der Verbrechensoberbegriff des Strafrechtssystems Es ist ein sinnvolles Bemühen, das System des Strafrechts auf einem einheitlichen Grundbegriff aufzubauen, unter den alles fällt, weswegen Strafen angedroht und gesetzt werden können. Man kann als unstrittig ansehen, daß Adressat der Strafandrohung nur ein handlungsfähiges Subjekt sein kann, denn Strafe wird als etwas angesehen, was als Handlungsmotivator wirken soll. Strukturtheoretisch betrachtet könnte auch eine juristische Person Adressat von Strafandrohung und Strafe sein, denn sie ist mittels ihrer Organe handlungsfähig und motivierbar. [Die Auflösung eines Vereines wegen statuten widriger Tätigkeit könnte als Strafe gegen den Verein aufgefaßt werden.] Aus der Tatsache, daß Strafen nur auf handlungsfähige Subjekte motivatorisch einwirken können, wird vorschnell geschlossen, daß man sinnvoll erweise nur wegen Handlungen bestraft werden kann. Deswegen wird der Begriff der Handlung als der gesuchte Verbrechensoberbegriff angesehen. Ein Rechtssystem, das Fahrlässigkeitsdelikte und echte Unterlassungsdelikte kennt, kann nicht den Begriff der Handlung als Verbrechensoberbegriff voraussetzen. Fahrlässigkeit betrifft zwar Handlungspotentialitäten, fahrlässiges Verhalten ist aber nicht immer eine Handlung. Genauer gesagt: Bewirkt ein Subjekt S fahrlässig einen Erfolg E, den es nicht bewirken durfte oder den zu verhindern seine Pflicht war, dann vollbringt es keine Handlung, deren Intention durch das Ziel non-E charakterisiert werden könnte, sondern sein Verhalten muß überhaupt keine Handlung sein. Bei echten Unterlassungsdelikten handelt es sich zwar um Verhaltensweisen handlungsfähiger Subjekte, aber nicht immer um Handlungen. Strafe, die Fahrlässigkeit ahndet oder auf ein echtes Unterlassen festgesetzt ist, kann zweifellos motivierend wirken, sie kann das Subjekt zur geforderten Sorgfalt bzw. zur postulierten Handlung bewegen, deren Unterlassung mit Strafe bedroht ist, obwohl diese Strafe ein Verhalten ahndet, das keine Handlung sein muß. Wenn man Finalität als konstitutives Merkmal des Handlungsbegriffs festsetzt sei es im Sinne der FHL oder der FFH -, kann ,Handlung' nicht der gesuchte Ver27

We/zel, Das Deutsche Strafrecht, FN I, S. 180.

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brechensoberbegriff sein. Als Verbrechensoberbegriff ist, willenszugängliches Verhalten' zu setzen. Unter Verhalten versteht man allgemein einen Zustandsablauf, der durch Zustände des Subjekts oder (und) Zustände des Systems charakterisiert ist, auf das das Subjekt einwirkt. Nicht jeder solche Zustand des Subjekts kann Grund von Strafen sein: nur jene Verhaltensweisen kommen hierfür in Frage, die willenszugänglich sind, die prinzipiell durch menschliche Handlungen beeinflußt werden können. [Die in der Zeit fortschreitende Verkalkung der Arterien ist ein Verhalten des Subjekts im oben definierten Sinn, doch kein vernünftiger Grund einer Strafe, weil es kein willenszugängliches Verhalten ist.] Man kann daher einschränkend festsetzen (obwohl eine zu weite Klasse der potentiellen Strafgründe ohne Folgen für den Aufbau des Strafrechtssystems sind): Verhalten im Sinne des Strafrechts ist willenszugängliches Verhalten. Die Grenze zwischen willenszugänglichem und willensunzugänglichem Verhalten ist situationsrelativ und unscharf. Wenn ich nicht schwimmen gelernt habe, ist die Rettung eines Ertrinkenden unter schwierigen Bedingungen ein mir nicht zugängliches Verhalten, wenn ich schwimmen und eventuell sogar Rettungsschwimmen gelernt habe, ist diese Handlung für mich durchführbar.

7. Der Begriff der Schuld Prinzipiell ist es möglich, Strafrecht (a) rein kausal-objektiv oder (b) unter Heranziehung von Kriterien der subjektiven Vorwerfbarkeit zu konzipieren. Wenn in der Rechtsordnung die ein Sollen statuierende Regel gilt, daß niemand schneller als 130 km / h fahren darf (primäre Verbotsnorm), dann kann eine Strafnorm festsetzen, daß jeder, der schneller als 130 km / h fährt, mit der Strafe S bestraft werden soll. Nach der kausal-objektiven Konzeption ist durch die Verursachung des beobachtbaren Tatbildes die Setzung der Strafe begründet. Das modeme Strafrecht ist Schuldstrafrecht, welches nicht nur Schuldformen als Bedingung der Vorwerfbarkeit - und damit der Strafe - einführt, sondern auch andere Vorwerfbarkeit - und infolgedessen Strafbarkeit - ausschließende Momente, wie Unzurechnungsfähigkeit, entschuldigende Notwehr u. a. in Betracht zieht. ,Schuld' ist ein Begriff, der im Bereich der rohen Tatsachen keinen Platz hat. ,schuld' ist ein normativer Begriff, denn Schuld beruht auf normativer Zurechnung aufgrund von Tatsachen, die als vorwerfbar gewertet werden. Die Normbestimmung: (i) wann Schuld zugerechnet wird, (ii) welche Tatbestände (= Sachverhalte) Schuld begründen. (iii) welche Strafe den Schuldigen treffen soll. Die Bestimmungselemente der Zurechnung - (i) und (ii) - stützen sich auf feststellbare Tatsachen. Die Person, der Schuld an etwas angelastet wird, steht in der Regel in

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einer Kausalbeziehung zum Tatbestand; sie hat ihn durch ihr Verhalten verursacht oder sie hätte ihn durch ein anderes Verhalten abwenden können. Dennoch ist diese Person nicht durch Kausalrelationen bestimmt, sondern durch Normierung, die in gewisser Weise auf die natürlichen Beziehungen Bezug nimmt. Der Tatbestand - sowohl das objektive Tatbild als auch die subjektiven Elemente, welche die Schuld konstituieren - sind Sachverhaltsbeschreibungen. Ohne Sachverhaltsbasis (in der Sicht des Verfahrens: ohne Sachverhaltsfeststellung) ist Zurechnung nicht sinnvoll. Der Zurechnung von Schuld entspricht immer ein primäres Sollen, denn Grund des Schuldvorwurfs ist die Verletzung einer primären Verhaltensnorm. Schuld im Sinne des Schuldstrafrechts kommt aber nicht schon allein durch die objektive Verletzung der primären Verhaltensnorm zustande, sondern hierzu müssen auch gewisse subjektive Kriterien erfüllt sein. Die Rechtsordnungen kennen verschiedene Schuldformen, die durch Festsetzung bestimmter Kriterien, welche die einzelnen Schuldformen definieren, normiert sind. Die verschiedenen Schuldformen kann man in zwei Kategorien einteilen, in (i) intentionale Schuld und (ii) Sorglosigkeitsschuld (Schuld aus Nichterfüllung der Sorgfaltspflicht). In den gängigen Diskussionen der Strafrechtsdogmatiker entspricht dieser Kategorisierung die Unterscheidung von ,Vorsatz' und ,Fahrlässigkeit'. In unseren Überlegungen ist es zweckmäßig, mit jenen allgemeineren Begriffen zu arbeiten, da wir von der spezifischen Spielart der Vorsatzbestimmung, die der Gesetzgeber in einer bestimmten Rechtsordnung gegeben hat, absehen wollen, ebenso wie von den verschiedenen Arten von Vorsatz oder (und) Fahrlässigkeit, die eingeführt werden können. (Vgl. dolusdolus eventualis - ,wissentlich'; bewußte - unbewußte Fahrlässigkeit, u. a. Differenzierungen. ) Bei intentionaler Schuld ist das Moment der Absicht des Aktors (zusammen mit den rechtlich festgesetzten Qualifikationen - wie Bewußtheit des Motivs, Gewißheit des Wissens über die Folgen u. a.) Bestandteil des Tatbestandes. Im Verfahren ist eine Tatsachenfeststellung erforderlich, daß der Erfolg - eventuell in qualifizierter Weise - beabsichtigt war. Bei Sorglosigkeitsschuld ist natürlich eine auf Erfolg gerichtete Absicht nicht Merkmal des Delikts; es muß nur ursächlich wirkender Sorgfaltsmangel festgestellt werden. Dies ist eine Feststellung, die eine rechtliche Wertung umfaßt. Die viel diskutierte Frage, ob der Vorsatz (die intentionale Schuld) zum Tatbestand oder zur Schuld (Schuldbeurteilung) gehört, ist m.E. falsch gestellt: (i) Was als Schuld zu betrachten ist, wird durch die normative Festsetzung der Schuldkriterien der betreffenden Schuldform bestimmt. Die Feststellung der Schuld ist also eine Wertung von Tatsachen nach diesen Kriterien. (ii) Die Feststellung, daß diese Kriterien im beurteilten Fall erfüllt sind, beruht auf einer Tatsachenerkenntnis, sie ist also ein integrierender Bestandteil der TatbestandsfeststeIlung.

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Die Schuld kann nur deswegen zugerechnet werden, weil die entsprechenden Sachverhalte festgestellt werden, das heißt aber: wenn sie Tatsachenbestandsfeststellungen sind. Bei Sorglosigkeitsschuld wird wohl zu fordern sein, daß das Verhalten, welches als pflichtgemäßes gilt, willenszugänglich ist, d. h. daß der Schuldige durch sein Handeln (eventuell durch sorgfaltigeres Vorgehen) den sozial unerwünschten Erfolg hätte abwenden können.

8. Anmerkungen zur Metatheorie der strafrechtlichen Subsumtion Die Metatheorie eines gewissen Bereichs der menschlichen Tätigkeit hat die Aufgabe, Regeln des rationalen Vorgehens in dem betreffenden Bereich aufzustellen und zu begründen. (Vgl. die Begriffe ,Metamathematik', ,Metalogik', ,Metaethik' .) Die Metatheorie der strafrechtlichen Subsumtion befaßt sich mit der Frage, wie die Bedingungen der Subsumtion legistisch dargestellt werden sollen, und mit der Frage, wie eine Subsumtion unter Strafrechts normen durchzuführen ist. Diese bei den Fragen stehen natürlich in Wechselbeziehung. Wenn wir uns vorstellen, daß wir die Gesamtheit der Subsumtionskriterien eines Falltypus aus den relevanten Vorschriften herausgelesen haben, dann kann ein Strafrechtssatz von folgender Form aufgestellt werden: (I)

wo die Stellen I1 (i E {I, 2, ... , n}) leer oder mit einem Negationszeichen ,-,' besetzt sind. 28 Für jedes x gilt, wenn es die Subsumtionsbedingungen BI, B 2 ••• Bn erfüllt (diese Bedingungen können gegebenenfalls negative Bedingungen sein), dann soll x mit der Strafe S bestraft werden. Daß die Strafe gesetzt werden soll, ist genau dann gültig, wenn für ein gewisses Subjekt die Subsumtionsbedingung ,(jIBlx /l.hB2x /I. ... /l.lnBnx)' erfüllt ist, die sich aus einer Konjunktion (,und' -Verbindung) von Bedingungen zusammensetzt. Sowohl das Gesetz als auch die Lehre fassen die Subsumtionsbedingungen zweckmäßigerweise in gewisse Typen von Negativbedingungen zusammen. Die herrschende Lehre gliedert die Merkmale - und dementsprechend die Subsumtionsüberlegung - in: (i) Tatbestandsfeststellung, (ii) Feststellung der Rechtswidrigkeit und (iii) Feststellung der Schuld. Wenn man Verwirrung vermeiden will, muß man zwei Begriffe des Tatbestands unterscheiden: 28

Zur Symbolik siehe: eh. Weinberger/O. Weinberger. FN 3.

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I. die Gesamtheit der Tatbestandsbedingungen, wie sie im Klammerausdruck dargestellt sind, - TI (,Gesamttatbestand'); 2. die Tatbetandsmerkmale des im Strafgesetz definierten Delikts - T2 (,Deliktstatbestand '). TI umfaßt die Gesamtheit der Subsumtionsbedingungen, alle jene Tatsachen, deren Feststellung die Grundlage der Subsumtion und die Schlußfolgerung auf die Strafe ist.

T2 umfaßt nur einen Teil der Bedingungen von TI, denn bei der Definition der Deliktstatbestände werden gewisse Negativbedingungen nicht erwähnt. Es muß jedoch immer geprüft werden, ob sie vorliegen, denn wenn wenigstens eine dieser Negativbedingungen erfüllt ist, wird die Schlußfolgerung [aus (1) und der TatsachenfesteIlung des Falles], daß x bestraft werden soll, ausgeschlossen.

Die Rechtswidrigkeit ist positiv bestimmt durch die Deliktsmerkmale, sie wird aber eingeschränkt durch sog. Rechtfertigungsgründe, wie Notwehr, Einwilligung des Verletzten, Sozialadäquanz usw. Wenn man die Rechtswidrigkeit prüft, geht es gerade um die Feststellung, ob Rechtswidrigkeit ausschließende Momente (also Negativbedingungen der Subsumtion) vorliegen. Ebenso bedeutet hier die Prüfung der Schuld, daß man nach dem Vorliegen subjektiver Negativbedingungen fragt. Es wird die These vertreten, daß die Feststellungsschritte (i) bis (iii) in der angeführten Reihenfolge aneinander anknüpfen müssen. 29 Dies mag zwar arbeitstechnisch praktisch sein, doch da die Bedingungen in TI als Konjunktion auftreten, ist dies logisch nicht relevant. Es muß zwischen zwei verschiedenen Auswirkungen von Negativbedingungen unterschieden werden: (a) solche, die eine Verhaltensweise trotz Tatbestandsmäßigkeit im Sinne von T2 als erlaubt erscheinen lassen (z. B. Notwehr § 3 (1) österr. StGB) oder Sozialadäquanz, und (b) solche, die Nicht-Strafbarkeit zur Folge haben (Zurechnungsfähigkeit). ,Rechtlich erlaubt' und ,nicht-strafbar' decken sich begrifflich offenbar nicht. Es erscheint zweckmäßig, zwischen ,Rechtfertigungsgründen ' und ,Entschuldigungsgründen' zu unterscheiden: erstere führen zur Erlaubtheit, letztere nur zur Straffreiheit. Verboten sind offenbar auch manche Verhaltensweisen, welche keine Strafe nach sich ziehen. Oder kann man daran zweifeln, daß ein Kind rechtswidrig handelt, wenn es jemand erschießt? Dort, wo nur Entschuldigungsgründe, aber keine Rechtfertigungsgründe vorliegen, ist das Verhalten nicht erlaubt, wenn auch straflos. Anders scheint es mir bei Notwehr oder sogenannten sozialadäquatem Verhalten zu sein. Diese Handlungen sind als nicht rechtswidrig anzusehen.

29

Z. B. D. Kienapfel, Österreichisches Strafrecht. Allgemeiner Teil, Wien 1979, S. 242 f.

Verfassungstheorie vom Standpunkt des neuen Institutionalismus I. Terminologische Vorbemerkung Der neue Institutionalismus ist kein Abkömmling der klassischen juristischen Institutionenlehre; er ist kein reformierter Maurice Hauriou oder Carl Schmitt. Er ist unabhängig von diesen Lehren entstanden und drückt eine weitgehend unterschiedliche Auffassung der gesellschaftlichen Normen, des Rechts sowie der Institutionen aus. Ich habe - respektive D. N. MacCormick und ich haben - diese Rechtstheorie ,Institutionalistischer Rechtspositivismus' genannt.} Diese Theorie besteht aus einer normativistischen Konzeption der Institutionen und einem Rechtspositivismus besonderer Art. Diese Lehre ist insoweit positivistisch, als sie die Möglichkeit der praktischen Erkenntnis, d. h. die Möglichkeit, richtiges Sollen und echte Werte rein kognitiv zu bestimmen, ablehnt. Sie anerkennt aber die Möglichkeit rationaler Argumentationen über Fragen der Rechtspolitik. Wie noch später dargelegt werden wird, handelt es sich also um eine schwache Form des Rechtspositivismus. Ich werde in dieser Abhandlung die Termini ,neuer Institutionalismus ' und ,Institutionalistischer Rechtspositivismus' (Abkürzung: ,IRP') promiscue verwenden.

11. AufgabensteIlung der Abhandlung In diesem Paper sollen die Grundlagen der Verfassungstheorie in der Sicht der IRP erörtert werden. Zwei Motive führen mich zu diesem Versuch: (a) die Überzeugung, daß die Positionen des IRP zur Klärung einiger Grundfragen der Verfassungstheorie nützlich sein können, und (b) das Bestreben, den neuen Institutionalismus auf eine Bewährungsprobe zu stellen. Die Bedeutung einer rechtsphilosophischen Theorie äußert sich nämlich vor allem darin, was sie für die verschiedenen rechtswissenschaftlichen Disziplinen leisten kann. Es geht also darum, die methodologischen und rechtsdogmatischen Implikationen in einem wichtigen Feld I o. Weinberger / D. N. MacCormick, Grundlagen des Institutionalistischen Rechtspositivismus, Berlin 1985; englische Version: dies., An Institutional Theory of Law: New Approaches to Legal Positivism, Dordrecht et al. 1986; O. Weinberger, Recht, Institution und Rechtspolitik. Grundprobleme der Rechtstheorie und Sozialphilosophie, Stuttgart 1987; ders., Norm und Institution. Eine Einführung in die Theorie des Rechts, Wien 1988.

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der Jurisprudenz zu untersuchen. Ich lasse hierbei die Frage offen, ob es adäquater ist, solche Fragen dem Vertreter der dogmatischen Fachdisziplin - hier dem VerfassungsrechtIer - zu überlassen oder ob der Rechtsphilosoph sich zu einigen Grundlagenfragen der dogmatischen Disziplinen äußern soll. Ich wage hier den Versuch, als Rechtsphilosoph auch auf Grundlagenprobleme der Verfassungstheorie einzugehen. IH. Grundprobleme der Verfassungstheorie

Für die Zwecke dieser Untersuchung möchte ich eine Liste von Grundproblemen der Verfassungstheorie aufstellen, auf die ich vom Standpunkt des IRP wenigstens partiale Antworten zu geben versuchen werde. Vollständigkeit werde ich hierbei nicht anstreben: 1. Welche Beziehung besteht zwischen dem Staat und der Verfassung? 2. Kann es einen Staat ohne Verfassung geben? In welchem Sinne ist die Verfassung eine Voraussetzung für das rationale Erfassen des Staates und seiner Struktur? Wie hängt die Verfassung von Gewohnheiten und von expliziter Festsetzung von Verfassungsnormen ab? 3. Verfassung und Verfassungsnorm im technischen Sinn. 4. Welches ist der essentielle Inhalt und welche sind die grundlegenden Funktionen der Verfassung? 5. Welche Beziehungen bestehen zwischen gesellschaftlicher Macht und der Institutionalisierung von Kompetenzen und Rollen? 6. Legalität als Idee der verfassungsmäßigen Normierung der Gesellschaftsstruktur und der politischen Prozesse im Staat. Die Idee des Rechtsstaats und die Bestimmung der Rechtsdynamik durch die Verfassung - Verrechtlichung der institutionellen Prozesse im Staat und im öffentlichen Leben. 7. Das Problem der gesellschaftlichen Macht und die Beziehung dieser Frage zum Rechtssystem: Probleme der Gewaltenteilung (Analyse der Idee und Prüfung der Effektivität der Gewaltenteilung im Staat); Vernetzung der Macht als Element des Aufbaues eines Lenkungssystems und als Mittel der Beschränkung sowie der Kontrolle der Macht, die Leitideen der Institution und der Begriff der funktionalen Macht. 8. Das Legalitätsproblem der staatlichen Ordnung und der Machtausübung im Staat. 9. Die Beziehung zwischen Verfassung, Rechtsstaat und Demokratie; Demokratie als Forderung nach legalen Kompetenzen und demokratischer Kontrolle sowie als Forderung, gesellschaftliche Macht funktional zu konzipieren. Der demokratische Staat und die demokratische Lebensform als System von Kompetenzen und als System von demokratischen Leitideen.

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IV. Thesen des IRP, die für die Verfassungstheorie relevant sind Erste These: Jede Institution besitzt einen nonnativen Kern. der erforderlich ist, damit die Institution als gesellschaftlicher Handlungsrahmen existieren und funktionieren kann. Das Bestehen der Institution ist nicht nur an die Existenz von Verhaltensgewohnheiten und Verhaltensmustern gebunden, sondern umfaßt immer auch institutionalisierte Soll- und Wertkomponenten. Bei Institutionen körperschaftlicher Natur besteht das Sollen sowohl aus Verhaltens- als auch aus Kompetenznormen. Zweite These: Die Existenz einer gesellschaftlichen Institution und die Existenz ihres normativen Regulativs sind wesenhaft verbundene Phänomene. Die Institution kann nicht funktionieren ohne normative Regelung; gesellschaftliche Normen gelten - d. h. sind als gesellschaftliche Tatsachen existent - genau dann, wenn sie als Regulative das Funktionieren der entsprechenden Institution bestimmen. Unter Geltung einer gesellschaftlichen Nonn versteht man das Bestehen des Wirkzusammenhangs der Nonn mit der entsprechenden Institution. Dritte These: Die Rechtstheorie muß als rational-analytische Lehre aufgebaut werden. Der IRP steht ganz in der Tradition der analytischen Rechtsphilosophie. der gemäß die Strukturtheorie des Rechts und die Theorie der juristischen Argumentationsstrukturen die Basis der gesamten Rechtstheorie bilden. Zum Unterschied gegenüber anderen analytischen Lehren - vor allem in Opposition zur Reinen Rechtslehre ist die Aufgabe der Jurisprudenz nach Meinung des IRP nicht auf Strukturanalysen beschränkt. Der IRP fordert mit Nachdruck. daß die Jurisprudenz auch den rechtspolitischen Charakter und die Funktionalität der Institutionen untersuchen muß. Vierte These: In der Entwicklung der analytischen Rechtsphilosophie lassen sich zwei Phasen unterscheiden: in der ersten Phase war die Aufgabe vorrangig, eine gemeinsame Grundstruktur des Rechtssatzes aufzudecken, um ein formales Mittel für die Darstellung aller möglichen Rechtsinhalte zu gewinnen; in der zweiten Phase galt es, sich mit wichtigen Differenzen zwischen den verschiedenen Rechtsstrukturen zu befassen - vor allem wurden Rechtsgrundsätze den Verhaltensregeln gegenübergestellt und auf die unterschiedliche Argumentationsweise mit diesen bei den Elementen hingewiesen 2 , und es wurde die spezifische Struktur der Ermächtigungsnormen gegenüber den Verhaltensregeln klargestellt. 3 Der IRP ist eine analytische Theorie der zweiten Phase und befaßt sich daher sowohl mit den expliziten als R. Dworkin. Taking Rights Seriously, Harvard 19782 . Vgl. O. Weinberger, Norm und Institution. Eine Einführung in die Theorie des Rechts, Wien 1988, S. 91 ff.; ders., Rechtslogik, Berlin 19892 • 2

3

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auch impliziten gedanklichen Bindungen zwischen den Normen des Rechtssystems, d. h. mit Rechtsgrundsätzen, dem teleologischen Hintergrund des Rechts und politischen Forderungen (,policies' bei Dworkin), ebenso wie er die automatische Entstehung von Normen durch das Eintreten von beobachtbaren Tatsachen von der aktabhängigen Normerzeugung unterscheidet, durch die neue Inhalte in die Rechtsordnung aufgenommen werden können. 4 Fünfte These: Das Recht ist ein dynamisches Normensystem. Der IRP übernimmt im wesentlichen die von A. Merkl und H. Kelsen entwickelte dynamische Konzeption des Rechts, aber in wesentlich modifizierter Form, wie es dem institutionalistischen Grundkonzept entspricht. Die Rechtsdynamik wird nicht als reiner Vorgang im Bereich des Rechtsnormensystems konzipiert 5 , sondern als institutioneller Prozeß, der seinem Wesen nach als ein Zusammenwirken von tatsächlichen gesellschaftlichen Vorgängen und Rechtsakten mit dem institutionalisierten Normensystem aufgefaßt werden muß. Die Theorie der Rechtsdynamik ist daher sowohl von normativem Verstehen und normenlogischer Deduktion als auch von Feststellungen aus der Beobachtung der sozialen Wirklichkeit abhängig. Sechste These: Für die modeme Gesellschaft ist es charakeristisch, daß in ihr nebeneinander eine Mehrzahl von gesellschaftlichen Normensystemen besteht. Sie sind teils allgemeine Regelsysteme, die sich auf alle Mitglieder der Gemeinschaft beziehen, teils partikulare Regulative gewisser Gruppen. Siebente These: Es gibt rechtliche und außerrechtliche Institutionen (für beide gilt natürlich die erste These vom normativen Kern der Institution). Institutionen können aufgrund rechtlicher (verfassungsrechtlicher) Normierung entstehen. Sie entstehen aber auch - sozusagen spontan - aus gewissen gesellschaftlichen Situationen. Außerrechtlich entstandene Institutionen können verrechtlicht werden. indem sekundär eine entsprechende Normierung in das hierarchische Rechtssystem aufgenommen wird.

4 Vgl. A. Procluizka. Nonnative Theorie und Rechtserzeugung, in: V. KubeS/O. Weinberger (Hrsg.). Die Brünner rechtstheoretische Schule (Nonnative Theorie), Wien 1980, S. 304-

323.

5 Die rein nonnativistische Auffassung der Rechtsdogmatik ist wohl am markantesten in der 2. Auflage von Kelsens Reiner Rechtslehre ausgedrückt. Kelsen bezeichnet den Satz, der die Sollregel ausdrückt, als conditio per quam - wir können sagen: als eigentlichen Geltungsgrund - der nonnativen Konklusion, während er den die Tatsachen feststellenden Satz nur als conditio sine qua non der Schlußfolgerung ansieht (S. 196 f.). Da beide Prämissen zur Gewinnung der Konklusion erforderlich sind, ist eine solche Unterscheidung logisch unhaltbar. Vgl. auch O. Weinberger, Recht, Institution und Rechtspolitik, S. 91 und S. \02 f.

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Achte These: Eine wesentliche Konsequenz jeder institutionalisierten Theorie ist die Forderung, Rechtsregeln nicht nur als einzelne isolierte Sollsätze zu verstehen, sondern als funktional zusammenhängende Komplexe. Man weiß noch nicht alles über das Recht, wenn man weiß, welche Verhaltensweisen geboten, verboten oder erlaubt sind und welche Normerzeugungskompetenzen bestehen. Bezüglich der normativen Institutionen (,Institute' im romanistischen Sinn) hat MacCormick drei Typen von Regeln unterschieden: institutive, konsequentielle und terminative Regeln, die zusammen die Rechtsinstitution definieren. 6 Eine noch größere Rolle spielt der Begriff der Leitidee als begriffliche Bestimmung der Aufgabe der Institution. Das Werk, dem die Institution dienen soll, ist soziologisch gesehen das Kristallisationszentrum für die Herausbildung der spezifischen sozialen Realität der Institution und der Anknüpfungspunkt für die Identifikation der beteiligten Personen mit der Institution. (Von den metaphysischen Spekulationen Haurious über das objektive Dasein der Leitideen, demzufolge sie nur aufgefunden werden müssen, bleibt natürlich im IRP nichts übrig. 7 Sie sind von Situationen und Bedürfnissen inspirierte Schöpfungen, ja teils Erfindungen des menschlichen Geistes.)

Neunte These: Der Kulturmensch kann nicht ohne Institutionen leben. Seine Interesseneinstellung zur Institution und ihren Normen ist aber oft ambivalent: Er hat ein Interesse am Bestehen der Institution, und er identifiziert sich mit ihr wenigstens in gewissem Maße. Er fühlt sich ihr daher auch verpflichtet: er anerkennt seine Aufgaben und Pflichten und realisiert durch dieses Pflichtbewußtsein sein Zugehörigkeitsgefühl zur institutionellen Gemeinschaft. Er hat aber manchmal ein Interesse, das Regulativ zu verletzen und aus dem Nicht-Einhalten des akzeptierten Regulativs Nutzen zu ziehen. Daher wird ein normativer und faktisch realisierter Schutz der Regeln der Institutionen - unter anderem durch Sanktionen - erforderlich. Soziologisch grundfalsch ist aber die Meinung, daß regel konformes Verhalten nur durch Motivatoren - Belohnung, Strafe, Zwangsmaßnahmen - erreicht werden kann. 8

Zehnte These: Der IRP ist eine positivistische Lehre, obwohl er einige von Positivisten oft vertretene Behauptungen ablehnt: Es ist nicht beweisbar, daß alles Beliebige rechtens sein kann, denn es mögen anthropologische - wenn auch uns nicht explizit bekann6 D. N. MacCormick, Law as Institutional Fact, in: ders. und O. Weinberger, An Institutional Theory of Law. New Approaches to Legal Positivism, Dordrecht 1986, S. 49 - 76 (deutsch in: dies., Grundlagen des Institutionalistischen Rechtspositivismus, S. 76-107). 7 Vgl. O. Weinberger, Institutionentheorie und Institutionalistischer Rechtspositivismus, in: ders. und W Krawietz (Hrsg.), Helmut Schelsky als Soziologe und politischer Denker, Stuttgart 1985, S. 150 ff. 8 So bei H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze, Tübingen 1911, S. 202. - Ke\sen hat diese Auffassung niemals aufgegeben.

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te - Grenzen dieser Möglichkeiten existieren. Geltendes Recht entsteht nicht nur durch ausdrückliche rechtsetzende Entscheidungsakte, sondern auch durch Etablierung von Praktiken, von gewohnheitsmäßigem Verhalten, das als Sollverhalten institutionalisiert werden kann. Jedenfalls ist die Extremposition des Setzungspositivismus abzulehnen, der die Existenz einer Norm nur dann anerkennt, wenn ein expliziter normerzeugender Willensakt des entsprechenden Inhaltes vorausgegangen ist. 9

Der IRP macht keine naturrechtlichen Voraussetzungen und anerkennt keine apriorisch inhaltlich bestimmende praktische Vernunft, um das Feld der möglichen Gestaltung der Institutionen möglichst offen zu halten und um Einschränkungen der historisch akzeptierten Vorurteile nicht zu petrifizieren. Die Geltung des Rechts kann nicht von Wertkriterien abhängig gemacht werden. Wenn die Verfassungslehre die tatsächlich bestehende Gesamtinstitution Staat realistisch erfassen soll, muß sie das tatsächlich bestehende Netz der Ermächtigungen bestimmen und die wirksamen normativen Anordnungen zur Kenntnis nehmen. Das Recht strebt zwar in gewisser Weise Konformität mit der gesellschaftlichen Moral an, das positive Recht kann von jedem Betrachter moralisch bewertet werden, doch gibt es keine präpositiven (vom gesellschaftlichen Wollen unabhängige) Wertpostulate, durch die definiert wäre, was zulässiges Recht ist.

Der IRP akzeptiert auch nicht die subsidiäre Geltung der Moral als rechtsbestimmend, unter anderem, weil es die gesellschaftliche Moral nicht gibt und alle akzeptierten Prinzipien der Moral strittig sein können. Er fordert daher ein moralisch-suchendes Bewußtsein der Rechtserzeuger und des gesamten Rechtsstabs.

V. Anmerkungen zu Grundproblemen der Verfassungstheorie In diesem Abschnitt möchte ich zeigen, daß Implikationen der angeführten Thesen des IRP bei der Beantwortung einiger Grundfragen der Verfassungs theorie von Nutzen sein können, weil sie Perspektiven einführen, die m.E. zur Klärung der Problematik beitragen.

1. Staat und Verfassung

Der Staat kann als Gesamtinstitution, als institutionelles Ganzes, angesehen werden, in dem das Leben der modernen Gesellschaft vor sich geht. Es entspricht im wesentlichen der heutigen politischen Situation, den Staat als die relevante Ge9 Dies ist der Standpunkt von Kelsen in der Spätlehre. Vgl. H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, hrsg. v. K. Ringhofer und R. Walter. Wien 1979; O. Weinberger. Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik. Eine Auseinandersetzung mit Hans Kelsens Theorie der Normen, Berlin 1981.

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samtinstitution anzusehen. Dies ist für juristische und rechtspolitische Betrachtungen angemessen, obwohl nicht außer acht gelassen werden darf, daß Institutionen bestehen, die staatenübergreifende Geltung und Wirkung haben. Als Institution besitzt der Staat notwendigerweise einen normativen Kern: eine Rechtsordnung. Der Staat wird als Einheit (Ganzheit) aufgefaßt, die strukturiert ist und verschiedene relativ selbständige institutionelle Systeme umfaßt. Das primäre Wesen der Verfassung des Staates ist die Konstitution der Grundorganisation und der Organe des Staates. Die Verfassung ist daher in erster Linie jene Normensphäre, welche die Staatsstruktur determiniert, und zwar vor allem dadurch, daß sie untergeordnete Institutionen und Organe autorisiert und die Relationen zwischen ihnen so bestimmt, daß eine einheitliche Gesamtstruktur des Staatssystems entsteht: Die Verfassung schafft ein einheitliches System der staatlichen Ordnung.

2. Die Unabdingbarkeit der Verfassung für die Existenz des Staates

Es gibt Staaten, die eine kodifizierte Verfassung (eine Verfassungsurkunde) haben, und es gibt Staaten, die keine solche explizite Verfassung in Form eines ius scripturn besitzen. Vom Standpunkt des IRP hat aber notwendigerweise jeder Staat eine Verfassung, d. h. ein normatives Regulativ, durch das die Gesamtinstitution Staat als geordnete Einheit konstituiert wird. Die Verfassung knnn explizit ausgedrückt sein oder nur implizit bestehen. In diesem Fall kann sie doktrinal, d. h. durch die Rechtswissenschaft, die das normative Grundgerüst des Staates darstellt, erarbeitet werden. Der Geltungsgrund einer doktrinalen Festlegung der Verfassung ist aber nicht die Darstellung des Rechtswissenschaftlers, sondern es sind die de facto geltenden Regeln, nach denen der Staat als Gesamtheit von Institutionen lebt. Die "doktrin ale Verfassung" (wenn ich das so nennen darf) ist nicht selbst konstitutiv für den Staat, sondern deklariert - mehr oder weniger sachadäquat - den institutionalisierten Verfassungszustand des Staates. Kein Staat ohne Verfassung. Die Existenz des Staates als gesellschaftliche Gesamtinstitution ist unabtrennbar von der Existenz seiner Verfassung und der durch sie konstituierten Rechtsordnung. Die Verfassung (und das zugehörige Rechtssystem) gilt genau dann, wenn sie in der Weise institutionalisiert ist, daß das System der staatlichen Einrichtungen im wesentlichen dem Verfassungssystem entsprechend funktioniert.

3. Das Realsein der Verfassung

Die Verfassung ist dem Sinn nach ein System von Normen, und zwar das grundlegende Subsystem des Rechtssystems des Staates. Wenn wir die Verfassung institutionalistisch betrachten, dann muß uns die Beziehung zwischen diesen Normen

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auf der einen Seite und den Einrichtungen und dem Funktionieren des Staates auf der anderen Seite interessieren. Die verfassungsrechtlichen Normen, wie sie explizit oder implizit (also nur doktrinal) dargestellt sind, sind genau dann real, wenn sie als Handlungsrahmen gesellschaftlicher Praktiken jungieren. 10 Das heißt nicht notwendig, daß sie immer befolgt werden, sondern lediglich, daß sie die Organisation und das Leben der Institution bestimmen. Das Verfassungsrecht beschreibt daher die politische Realität des Staates nicht als System von beobachtbaren Tatsachen und Vorgängen - wegen seines normativen Sinnes kann es dies nicht -, es muß aber der Realität der gesellschaftlichen Praktiken entsprechen. Die Betrachtung dieser "Entsprechung" zwischen Verfassungsnorm und gesellschaftlichen Praktiken, begründet manchmal das Urteil, daß die gesatzte Verfassung unvollständig ist oder daß sie der Wirklichkeit widerspricht; die doktrin al dargestellten Verfassungsregeln können falsch sein, wenn sie den Verfassungspraktiken widersprechen. Anmerkung zur marxistischen These vom Absterben des Staates

Wenn man den Staat als Gesamtinstitution der Gesellschaft konzipiert und das Recht als die normative Basis des Staates ansieht, dann ist es nicht sinnvoll, vom Absterben des Staates zu sprechen. Die Struktur des Staates und die Regelungssowie die Durchsetzungsmethoden des Rechts können sich ändern, es ist aber nicht denkbar, daß der Staat als gesellschaftliche Gesamtordnung mit seinem normativen Regulativ verschwinden könnte, denn dies würde bedeuten, daß die Menschen ohne Institutionen leben sollten - und dies ist undenkbar. Der Marxismus erklärt die Entstehung und das Wesen von Staat und Recht klassentheoretisch als Einrichtung einer Klasse zur Unterdrückung einer anderen Klasse. Mit dem Aufheben der Klassenstruktur der Gesellschaft wird Absterben von Staat und Recht prognostiziert. Veränderungen der Machtstrukturen, der ökonomischen Formen und der Produktionsbeziehungen sind wohl denkbar und vielleicht sogar zu erwarten, wenn auch nicht im Sinne der ziemlich vagen Vorstellungen von Marx, doch ist dies kein Grund für die Annahme, die Gesamtinstitution Staat und das Recht könnten als solche absterben. Das einseitige und problematische Explikationsmodell des klassischen Marxismus wird mit seiner Prognose des Absterbens unrealistisch.

4. Die institutionelle Einheit des Rechtsquellensystems

Meine strikte Behauptung über die einheitsstiftende Rolle der Verfassung, durch die Staat und Recht als Gesamtinstitution konstituiert wird, gerät in Konflikt mit gewissen Erkenntnissen der Systemtheorie - und in analoger Weise mit der Institutionenlehre. Das, was Inhalt des Rechtssystems ist, die relevanten Rechtsprozesse, werden in Wirklichkeit nicht von einem einzigen normativen Zentrum, von einem lO

Vgl. H. L. A. Hart, The Concept of Law, Oxford 19726 (1961 1), Chap. V und S. 245.

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zentralen Rechtserzeuger geschaffen und nur aufgrund ermächtigter zusätzlicher Determination bestimmt. Der Richter ist z. B. de facto auch Mitschöpfer der generellen (gesetzartigen) Normierung. Institutionen und gesellschaftlich relevante Normen entstehen nicht immer aus der Rechtshierarchie heraus. Der IRP unterstreicht die Möglichkeit der außerrechtlichen Genesis von gesellschaftlichen Institutionen und den dazugehörigen Normen. Im soziologischen Sinne gilt also nicht, daß ein einheitliches, aus einer einzigen Grundquelle entspringendes System der Quellen gesellschaftlicher Normen bestehen würde. Es muß mit der sozusagen spontanen Genesis von Institutionen und gesellschaftlichen Normen gerechnet werden. Die außerrechtlich entstandenen Institutionen erfahren dann nicht selten einen Transformationsprozeß der Verrechtlichung. Die postulierte rationale Einheitlichkeit des Rechtssystems und der konfliktfreie Aufbau der Staatsordnung in Form eines hierarchischen, durch normative Ermächtigung bestimmten Systems sind das Ergebnis einer rationalen Konstruktion. die das komplexe gesellschaftliche Geschehen logisiert erfaßt.

S. Die rechtliche Stabilisierung der Verfassung: Das Verfassungsgesetz (das Grundgesetz, die Verfassungsurkunde)

Mit dem Begriff der Verfassung werden die Ideen der Stabilität und der Nimbus der festlichen Gründung verbunden. Symbolträchtige Fixierung wird oft mit dem Konstitutionsakt gekoppelt, wobei dieser Akt und das Feierliche der Setzung nicht immer die Quelle der Institutionalisierung sind. Formale Verfassungssetzung ist aber immer eine wesentliche Stütze der weiteren Formung des Staates und der Gesellschaft. Die formale Stabilisierung der Verfassung als eines Systems von Normen von grundlegender Relevanz wird oft unterstützt durch die Einführung einer spezifischen Rechtsform, dem Verfassungsgesetz. Semantisch und logisch sind verfassungsrechtliche Normen nichts anderes als andere Rechtsregeln. Da meist erkannt wurde, daß eine absolute Petrifizierung der Verfassung nicht möglich und wohl auch nicht erwünscht ist, versucht man, relative Stabilität der Verfassung durch erschwerte Kreations- bzw. Änderungsbedingungen zu erreichen. Dadurch wurde auch die Möglichkeit geschaffen, gewisse Leitideen des gesellschaftlichen Systems vor schneller oder nicht genügend erwogener Veränderung zu schützen. Es bleibt aber problematisch, ob ein formaler Schutz auch gegen die ,,Entartung des Rechts", gegen die Installierung von Diktaturen oder anderen groben Gewaltherrschaften effektiv ist. Ich würde diese Frage verneinen. Systeme des ideologischen Wahns und der rohen Gewalt bewältigen meist leicht auch diese Erschwernisse oder sie überwinden sie mit Gewalt und durch Verfassungsbruch. Man darf daher in dieser Richtung nicht allzu viel erwarten. 19 Weinberger

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Es kommt noch ein anderes Problem auf. Welche materiellen Rechtsprinzipien sollen formalen Verfassungsrang haben? Nun, die Leitideen des Systems. Diese Bestimmung ist jedoch vage. Geht es doch in Wirklichkeit oft um die Frage, was in den Rang der Leitideen erhoben werden soll. Man sollte m.E. auch davor warnen, die materiellen Rechtsprinzipien voreilig zu Verfassungsgesetzen zu machen, denn durch solche formalen Verhärtungen könnten dem sozialen und rechtspolitischen Fortschritt sowie der aktuellen Adaptation des Rechts Hindernisse in den Weg gestellt werden. Ich plädiere hier sehr für weise Vorsicht, der vor Propaganda der Vorrang gebührt.

6. Der wesentliche Inhalt der Verfassung

Ich halte es für nicht unwichtig, eine Kategorisierung der Verfassungsinhalte zu geben, die sich herausgebildet haben. Die Verfassungsnormen drücken nämlich nicht nur jene Elemente aus, die den Aufbau der Gesamtinstitution Staat bewirken, sondern darüber hinaus auch Normen, welche aus irgendwelchen politischen Gründen erschwerten Änderungsbedingungen unterworfen werden sollen. (i) Die primäre Schicht der Verfassungsnormen sind jene Regeln. durch die Staatsorgane und deren Relationen bestimmt werden. Durch diese Normenschicht werden Strukturen, Kompetenzen und Rollen normiert. Es müssen die Formen und Bedingungen der Normerzeugung und alle Bereiche der Realisation des staatlichpolitischen HandeIns in Grundzügen durch Ermächtigungen normiert werden.

Diese Schicht der Verfassungsinhalte ist nicht nur für die Verfassung fundamental - sozusagen: die ratio essendi der Verfassung -, sondern es ist auch jener Teil der Verfassung, durch den die Logisierung des Rechtssystems zu einer rational erfaßbaren Einheit realisiert wird. Die Einheit wird durch eine Art von Delegationshierarchisierung und durch Vermeidung von Kompetenzkonflikten erreicht (oder wenigstens angestrebt). (ii) Die Verfassung bringt die Grundideen des Gesellschaftssystems zum Ausdruck. Anknüpfend an die Terminologie von Maurice Hauriou. die in der Institutionentheorie weithin akzeptiert ist, kann man sagen: Die Verfassung bringt die Leitideen der Gesamtinstitution Staat und der in ihm herrschenden Gesellschaftsform zum Ausdruck; meist aber nicht nur die obersten Leitideen der ganzen Gesellschaft, sondern auch die Leitideen der untergeordneten Institutionen.

Leitideen etablieren sich zusammen mit den entsprechenden Institutionen, und beide erlangen ein gesellschaftliches Eigenleben. Manchmal meint man, die konstitutive Leitidee ist das, was während der Entwicklung der Institution konstant bleibt. Das ist aber nur teilweise wahr. Es gehört sogar zum Wesen der Leitidee, daß sie sich entfaltet und mit dem Wachsen der Institution und der Transformation der Institution selbst verändert. Nur eine gewisse Grundtendenz, die in der Leitidee verkörpert ist, bleibt als richtungsgebende Einstellung bestehen.

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Die Leitideen des Staates und seiner Institutionen sind im wesentlichen dasselbe wie die sogenannten Grundsätze des politischen Systems oder die Aujbauprinzipien einzelner Institutionen. Für die Verfassungstheorie ergibt sich daraus die Konsequenz, daß jene Verfassungsformen, die vor allem Leitideen ausdrücken, anders zu handhaben sind als Verhaltens- und Ermächtigungsnormen. Sie drücken eher abstrakte Grundsätze aus, die nicht immer direkt judizierbar sind. Sie sind aber dennoch kein Nichts, sondern ein Element, das für das adäquate Verstehen des Rechts und die Arbeit in der Institution wichtig ist. (iii) Die Form des Verfassungsgesetzes mit ihrem relativen Petrifizierungseffekt wird dazu benutzt, gewisse Rechtsnormen zum erhärteten Bestand der Rechtsordnung zu machen. Dies sind dann Verfassungsrechtsnormen, die eigentlich nicht Verfassungscharakter haben. Es wird - im wesentlichen in machtpolitischer Absicht - die Verfassungsform dieser Bestimmungen eingeführt, ohne daß diese Inhalte den Aufbau des Staates und des Gesellschaftssystems (d. h. die Leitideen) darstellen. Es bleibe dahingestellt, ob dies sachlich gute Lösungen sind und ob sie der demokratisch-fortschrittlichen Entwicklung dienen.

7. Die institutionalistische Auffassung der Verfassungserkenntnis

Eine der wichtigsten Konsequenzen der Lehre des IRP für die Jurisprudenz ist eine grundsätzliche Änderung der Abgrenzung des Begriffes und der Aufgaben der Rechtserkenntnis. Bei uns - gemeint ist vor allem in Österreich - bedeutet Rechtserkenntnis ,scire leges'; Kenntnis der Rechtsvorschriften, das Verstehen, an welche Tatsachenbedingungen welche Rechtsfolgen (Gebote, Verbote, Erlaubnisse, Ermächtigungen) gebunden sind. In der Frage, was Rechtserkenntnis ist, sind die Vorstellungen der Reinen Rechtslehre herrschende Meinung, selbst bei den Gegnern dieser Theorie. In drei Richtungen geht die Erweiterung der juristischen Betrachtungen, die der IRP fordert: einerseits wird ein breiteres Erfassen der Sinnkomponenten des Rechts gefordert: das Verstehen der Leitideen und der institutionellen Zusammenhänge; andererseits wird die aus verstehenden Beobachtungen hervorgehende soziologische Tatsachenerkenntnis als integrierender Bestandteil der Rechtserkenntnis, also als Aufgabe der Jurisprudenz, angesehen. Rechtserkenntnis ist eine Erkenntnis komplexer institutioneller Tatsachen, auch eine Erkenntnis des tatsächlichen Daseins der Institutionen, nicht nur das Verstehen des Sein-So liens. Wir müssen uns dafür ineressieren, wie das Recht die Menschen motiviert, welche Verhaltensweisen durch das Recht und durch die vom Recht installierten Organisations formen hervorgerufen werden. Und diese Auswirkungen des Rechts bewegen sich keineswegs nur zwischen den Polen "Befolgung oder Verletzung der Norm". Durch Normierung werden Machtkonstellationen aufgebaut und die Interessenlagen des Einzelnen wesentlich verändert, so daß auch seine Verhaltensweise in der Institution geändert ist. Und auch 19"

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das muß man als Jurist verstehen. 11 Jegliche Wertung oder rechtspolitische Stellungnahme zu rechtlichen Maßnahmen muß - wenn sie wohlbegründet sein soll - die relevanten Tatsachen beachten. Ja sogar die Interpretation der Rechtstexte selbst ist von Tatsachen und Tatsachenstrukturen abhängig. Diese weitreichenden Thesen muß ich wenigstens partiell exemplizifieren (um dies in einigermaßen hinreichender Weise zu tun, müßte man allerdings ein ganzes Buch darüber schreiben). In der sogenannten Stalin-Verfassung der UdSSR hatte jede Teilrepublik das Recht, aus der Union auszutreten. Es könnte scheinen, daß freie Selbstbestimmung und politische Dezentralisation, in der das Gemeinsame, die Union, nur auf freiem Konsens beruhte, bestand. Wer nur das Gesetz liest, könnte es glauben, wer wenigstens ein bißchen die Realität kennt, weiß, daß diese Deutung falsch ist, daß es keine schärfere Zentralisation geben kann, weil es im Stalinismus gar keine Möglichkeit gab, die im Gesetz ausgedrückten ..Austrittsrechte" der Teilrepubliken zu realisieren. Wenn die neue Verfassung der Gorbatschowschen Zeit dieses ..Austrittsrecht" abschafft, könnte der, der so unvernünftig wäre, nur Gesetzestexte zu lesen, ohne das Verstehen von Tatsachenwissen abhängig zu machen, dies als zentralistischen Rückschritt werten. Autonomie ist zweifellos in vielen Fällen ein wichtiges Postulat der Verfassungsgestaltung, die angesichts der in Europa wohl unvermeidlichen nationalen (und anderen) Verschiedenheiten innerhalb der Staaten ein demokratisches Postulat ist. Sachzusammenhänge und faktisches politisches Verhalten der Gruppen können aber auch zur Destruktion des Staates führen, wenn das Autonomiestatut nur als vorbereitender Schritt für Ausgliederungsaktionen verstanden wird. Nun, wenigstens ein Beispiel einer Interpretationsproblematik. Art. 18 (1) B-VG statuiert das Legalitätsprinzip: ..Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden." Ein wichtiger Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit. Doch wie soll er verstanden werden? Wenn ein Staatsorgan für einen gewissen Bereich (z. B. für polizeiliche Maßnahmen) unbeschränkt ermächtig ist, dann handelt das Organ formal aufgrund des Gesetzes. Wird aber eine wenigstens rahmenhafte inhaltliche Bestimmung des Gesetzes gefordert (und dies ist wohl die akzeptierte Interpretation), dann können je nach der Art der Verwaltungstätigkeit Schwierigkeiten auftreten. Die Varietät der Verwaltungstätigkeiten ist so groß, daß diese normativen Schranken nicht überall in gleicher Weise sinnvoll sind: vor allem im Bereich der Wirtschaftsverwaltung muß die Sache anders beurteilt werden, als dort, wo Freiheitsrechte geschützt werden sollen. Die Sacherkenntnis der prinzipiellen Verschiedenheit der Verwaltungstätigkeit erheischt eine differenzierende 11 Wenigstens ein Beispiel: Als die Laufbahn des Universitätsassistenten in entscheidender Weise vom Wohlwollen und den Wertungen des Ordinarius abhing, richtete jeder sein Verhalten danach aus. Sobald in der heutigen Gruppenuniversität die Karriere von den Stimmen der Kollegen und Studenten abhängig wurde, sucht man diese Stimmen zu gewinnen (z. B. durch Unterstützung auch unsachlicher Anträge der Kollegen).

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Interpretation oder - was besser wäre - eine differenzierte Nonnierung des Legalitätsprinzips.

VI. Politische Macht und Verfassungsstruktur

Die Begriffstrias ,Herrschaft', ,Macht', ,Gewalt' deutet Probleme an, die für die Verfassungstheorie bedeutsam sind. In gewissem Sinne kann jede Rechtsordnung als Herrschaftssystem angesehen werden, das durch die Verfassung konstituiert wird. Die Verfassung bestimmt nicht nur die Struktur des Staates, die Funktionen seiner Organe und die Leitideen des gesellschaftlichen Systems, sondern auch die Herrschaft im Staat. Herrschaft ist die Willensbildung der Gesamtgesellschaft und die Bestimmung des Handelns gegenüber anderen Staaten sowie Machtausübung in der staatlichen Gemeinschaft selbst gegenüber Gruppen und jedem einzelnen. Die Ausübung von Herrschaft ist primär konzipiert in Analogie zur Macht des Eigentümers in bezug auf dessen Besitz: Herrschaft ist ursprünglich Dominium. Unter dem Einfluß demokratischer Ideen hat der Begriff der Herrschaft teilweise seinen Charakter verändert: der Staat wird nicht als Dominium irgendeiner Person oder Institution konzipiert, sondern als res publica, als Gesamtinstitution der Volksherrschaft. Dies ist allerdings nur eine vage Charakteristik in Fonn einer angedeuteten Leitidee. Eine realistische und sachlich explizierende Beschreibung erhält man erst dann, wenn man die Fragen der die Herrschaft bestimmenden Macht erörtert. Die Problematik der Herrschaft konzentriert sich auf zwei Problemkreise: (a) auf den Begriff der Herrschaft des Rechts (rule of law) und auf die Beziehung zwischen herrschenden Machhabern und der demokratischen Idee der Herrschaft des Rechts; (b) auf die Frage der Konstitution.und Struktur der Macht, dabei muß auch die Beziehung zwischen Gewalt und Gewaltmitteln in der Beziehung zur Macht in Betracht gezogen werden, denn Gewalt ist für die politische Theorie ein Faktor der Gestaltung der Macht. Herrschaft üben Menschen aus, auch dann, wenn man den Staat und andere Gemeinwesen nicht mehr als Besitz eines Dominus ansieht. Herrschaft ist auch dann noch das Bestimmen der Aktionen der Gemeinschaftsinstitution, und zwar koordinierende Aktion innerhalb der Institution: Bestimmung der Aufgaben und Kompetenzen des Einzelnen inklusive des eventuellen Zwangs zur entsprechenden Tätigkeit; Entfaltung der Maßnahmen zur Realisation der Leitideen, ferner Lenkung des Handeins der Institution nach außen. Was bedeutet es dann, von der Herrschaft des Rechts zu sprechen? Wie kann gefordert werden, die Herrschaft des Rechts zu etablieren, oder die Herrschaft des Rechts vor die Herrschaft der Menschen zu setzen?

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"Herrschaft des Rechts" ist keine Beschreibung der Machtverhältnisse in der Gesellschaft, sondern eine ideelle Konstruktion, die meiner Ansicht nach eine Vorbedingung des demokratischen Gesellschaftsaufbaus ist. Zu prüfen ist, was die Konstruktion genau aussagt und ob sie realistisch ist. Der Herrscher - jeder Herrscher, ob Diktator oder demokratischer Funktionär ist nach der Rule-of-Law-Konzeption ennächtigter Akteur in Relation zum Feld seiner Herrschaft. Herrschaft ist nicht mehr bloße Folge originärer Macht, sondern Kompetenz (gegebenenfalls - etwa beim Diktator oder absoluten Herrscher - unumschränkte Kompetenz) und dadurch gesellschaftliche Funktion. Auch der absolute Alleinherrscher ist ennächtigtes Organ des Staates, er hat eine gesellschaftliche Rolle in der Institution. Falls "princeps legibus solutus" gilt, gilt dieser Grundsatz als Element des Rechtssystems, bezieht sich aber nicht auf die Ennächtigungsnonn, durch die (unbeschränkte) Herrschaftsmacht konstituiert ist. Es ist einerseits ein suggestiv-symbolischer Unterschied zwischen (a) der durch Kompetenzen festgesetzten Herrschaft und (b) der Auffassung, daß Herrschaft eine originäre - von Gott oder der Vorsehung gegebene - Position ist, die über das Gemeinwesen verfügt. Mit der Rule-of-Law-Konzeption kann - aber muß nicht - eine gesellschaftlich wertende Legitimitätsprüfung verbunden werden, während die DominiumKonzeption solche Überlegungen a limine ausschließt. Gerade die Tatsache, daß die Herrschaft des Rechts auch mit diktatorischen Systemen verträglich ist, belegt, daß diese Staats- und Verfassungskonzeption eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Basis für demokratische Systeme ist. Welche Konstruktion gibt ein realistisches Bild der Herrschaftsmacht, das Dominium-Modell oder das Rule-of-Law-Modell? De facto ist jede Macht - auch jene des ganz unbeschränkten Diktators - aufgebaut auf einer Menge von Beziehungen und institutionalisierten Momente, d. h. sie ist nonnativ-institutionell fundiert, natürlich auch dann, wenn sie theokratisch begründet wird. Insoweit ist die institutionalistische Kompetenz-Konstruktion sachlicher. Nur wenn man nicht beachtet, daß "Herrschaft des Rechts" eine ideelle Konstruktion ist, nicht aber eine Beschreibung der aktuellen Herrschaftsmacht selbst, kommt die fiktive Auffassung auf, daß das personifizierte Recht der tatsächliche Machtträger sei. In Wirklichkeit ist die Rule-of-Law-Konzeption als Forderung und nicht als Deskription von Herrschafts- und Machtverhältnissen konzipiert. Wenn man die Problematik der Macht politisch und verfassungstheoretisch analysieren will, muß man sie in handlungs- und institutionentheoretischer Perspektive betrachten. Die berühmte Max Webersche Definition ,,Macht bedeutet die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf die Chance beruht,,12, ist unzureichend. Es scheint mir sogar, daß diese Definition das Problem der politischen Macht in eine inadäquate Perspektive versetzt, weil sie Macht nur im Spannungsfeld des Subjekts zu anderen Akteuren versteht, während - institutionalistisch betrachtet - Macht 12

M. Weber, Wissenschaft und Gesellschaft, Tübingen 19725 , S. 28.

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vor allem Kompetenz ist sowie die reale Möglichkeit, das Handeln der Institution zu bestimmen und zu verwirklichen. Man könnte - obwohl dies wohl nicht Webers Intention entspricht - Macht als etwas ansehen, was der Demokratie und den Freiheitsidealen widerspricht, wenn man bei dem Machtproblem das Hauptgewicht auf das Durchsetzen-gegen-den-Willen-anderer legt. Ist es nicht eine Begriffsverschiebung, wenn man Macht als Chance, d. h. als Wahrscheinlichkeit, das Intendierte zu erreichen, definiert? Macht ist nicht die Chance, seinen Willen durchzusetzen, sondern jene Position eines Subjekts - sei es eine Einzelperson oder ein Kollektiv - in einer Gesellschaftsstruktur, welche diese Chance begründet. In handlungstheoretischer Sicht erscheint das Problem der Macht in etwas anderer Perspektive. (a) Macht ist in erster Linie Handlungsmöglichkeit. Mächtig ist, wer ein breites Feld von Handlungsmöglichkeiten und entscheidenden Einfluß auf das Verhalten anderer Individuen oder kollektiver Personen ausüben kann. Träger von Macht ist nicht nur der Einzelne. Die politische Theorie muß auch die Macht verschiedener Gruppen, Organisationen und Einrichtungen in Betracht ziehen. Von besonderem Interesse sind die Relationen zwischen der Macht des Einzelnen und der Macht der Institutionen, sowie der Macht des Einzelnen in der Institution und seiner eventuellen Machtvorteile auf anderen Gebieten aufgrund seiner Funktion in der Institution. (b) Vorbedingung der Macht ist ein Handlungsspielraum l3 : Die Erweiterung der Handlungsspielräume bildet die Basis für die Möglichkeit der Ausweitung der Macht. Durch Gründung von Institutionen werden Handlungsmöglichkeiten geschaffen, d. h. der Handlungsspielraum - wenigstens mancher Subjekte - wird erweitert. Zum Beispiel: Durch Einführung des Schachspiels wird die Möglichkeit, Schach zu spielen, geschaffen. Mit der Weiterentwicklung der Institution können weitere Strukturen entstehen, aus denen sich Machtpositionen entwickeln können: man kann Schachlehrbücher schreiben, Schachmeister werden, ... und hierdurch Geld und andere Macht bietende Positionen gewinnen. Ähnliches gilt für andere Bereiche, z. B. für den Bereich der Erziehung, der Bildung, der Forschung. Die dem Lernen und der Ausbildung dienenden Institutionen erweitern das Handlungsund Arbeitsfeld; sie erzeugen gesellschaftliche Strukturen und die Voraussetzung für das Entstehen von Machtfeldern verschiedener Subjekte. (c) Die institutionalistische Auffassung betrachtet die Macht vor allem als Voraussetzung und Basis des Aufbaus der Institutionen; die der Institution dienende Organisation schafft Strukturen der Macht, die den Leitideen der Institution funktional dienen sollen. Der Institutionalismus ist sich aber auch dessen bewußt, daß diese funktionale Macht (Kompetenzmacht in den Institutionen) auch darüber hin13 Zum Begriff des Handlungsspielraumes siehe O. Weinberger. Freedom, Range for Action. and the Ontology of Norms. in: Synthese. Vol. 65/1985. S. 307 - 324 (S. 121 ff. dieses Bandes).

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aus gesellschaftliche Macht schafft, die dem Funktionär zuwächst. Der Funktionär gewinnt Handlungsmöglichkeiten durch das Anwachsen seiner ökonomischen Mittel, durch den Gewinn an Informationen (die nicht immer allgemein zugänglich sind), durch die Bekanntschaft mit einflußreichen Menschen, durch den gesellschaftlichen Status, der mit der Funktion verbunden ist, usw. (d) Macht ist nicht nur Einflußnahme auf das Handeln anderer; sie ist nicht nur die Erweiterung der Wirkungsmöglichkeiten eines Machtträgers, welche sich in der Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten anderer äußern würden. Durch Organisation und Macht können auch die Handlungsmöglichkeiten der anderen Mitglieder der Institution - und nicht nur jene des Machtträgers - anwachsen. Zum Beispiel: Die Macht (Kompetenz und Fähigkeit), die ein Funktionär hat, kulturelle Veranstaltungen zu organisieren, bietet den Kulturschaffenden erweiterte Schaffensmöglichkeiten und dem Publikum zusätzliche Möglichkeiten, Kultur zu konsumieren. Die konstruktiven Funktionen, welche Macht durchaus haben kann, werden aus dem Blickfeld verdrängt, wenn man Macht nur als Relation des Machtträgers zu anderen Akteuren definiert, die durch seine Machtausübung gelenkt oder beeinflußt werden. (e) Funktionale Strukturen schaffen positionelle Ungleichheiten der Menschen in der Gesellschaft. Gleichheit als einen aktuellen Zustand kann es in einer funktional strukturierten Gesellschaft nicht geben. Es können nur folgende zwei Formen der demokratischen Gleichheit angestrebt werden: (a) formale Gleichheit des Zugangs zu Funktionen (verbunden mit möglichst großer faktischer Realisierbarkeit dieses Zugangs) und (b) eine gewisse Art der Gleichgewichtigkeit bei sachlicher Verschiedenheit der Positionen. (f) Die demokratische Einstellung zur Macht muß sich daher dessen bewußt sein, daß es keinesfalls um die Negation von Herrschaft und Macht gehen kann, denn die Institutionen müssen funktionieren und die Organisation den Leitideen dienen. Es geht nur darum, daß die Institutionen demokratischen Leitideen dienen - oder wenigstens Leitideen, die mit demokratischen Lebensformen nicht in Konflikt stehen -, daß eine solche Spaltung und Verteilung der Macht - unter anderem durch Gewaltenteilung - eingeführt wird, die demokratische Kontrolle und gegenseitige funktionale Beschränkung der Macht von Einzelnen, Machtgruppen und Institutionen garantiert.

(g) Probleme der Macht können nicht rein statisch erfaßt werden; man kann Machtkonstellationen nur in dynamischer Perspektive verstehen. Die Machtverhältnisse werden in Prozessen aufgebaut, die die Entwicklung von Institutionen sowie deren Organisation und eine Verteilung von Kompetenzen umfassen. Für den Aufbau der Machtverhältnisse sind aber nicht nur die Tatsachen entscheidend, sondern auch das Wissen bzw. die Meinung der Menschen über die Kompetenz und Machtverteilung, ferner die an diese Meinungen anknüpfenden Erwartungen. 14

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(h) Macht wird durch normative - rechtliche oder außerrechtliche - sowie durch faktische Relationen konstituiert. Sie verändert sich durch Änderungen im Bereich der normativen Kompetenzen, durch Änderungen der Begleitumstände (z. B. durch das Anwachsen oder die Einschränkung der Institutionen) sowie durch die Veränderung der Meinungen der Menschen über die Machtbeziehungen. In der Regel fungieren die Vorstellungen über das Bestehen von Macht als self-fulfilling prophecies. (i) Macht muß als vernetzte Relation, d. h. als systembedingt verstanden werden; sie ist niemals nur Befugnis, Handlungsmöglichkeit und Chance, den eigenen Willen seinen eigenen Zwecken entsprechend durchzusetzen, sondern immer auch "Gegenleistung", Bindung des Machtträgers an die Rolle oder wenigstens die Erwartung der Mitglieder der Gesellschaft, daß der Machtträger Leistungen für die Gesellschaft erbringt. (j) Auf der einen Seite wird manchmal die These vertreten, daß die Macht entscheidet, was Recht ist, andererseits habe ich zu zeigen versucht, daß die Macht des Mächtigen neben anderen Faktoren auch durch das Recht geschaffen wird. Was ist nun in Wirklichkeit primär, das Recht oder die Macht? Diese Frage ist nicht korrekt gestellt. Wenn man Recht und Macht in dynamischer Sicht betrachtet, dann ist das Problem weniger verwirrend. Momente der Macht, inklusive der Möglichkeit der Gewaltanwendung, verbinden sich mit Momenten der Konstruktion funktionsfähiger Institutionen sowie mit dem Aufbau das Recht begründender Wertsysteme (bzw. Ideologien). Der Aufbau der gesellschaftlichen (staatlichen) Gesamtorganisation ist immer normativ zu verstehen - im Sinne einer Kompetenzerteilung - und in gewisser Weise immer auch hierarchisch strukturiert, denn auch im demokratischen System muß eine Organisation bestehen, die zur Willensbildung, zu Entscheidungen und zur effektiven Lenkung führen muß.

VII. Das Problem der Legitimität Die Herrschaft des Rechts aufgrund der Verfassung des Rechtsstaates bestimmt die Legitimität des gesellschaftlichen Lebens durch Verrechtlichung der Herrschaft und der Macht mittels eines geordneten Kompetenzsystems. Die kritische Gesellschaftstheorie stellt - meist im Geiste demokratischer Ideen - die Frage nach der Legitimität der Herrschaft. 15 Das entscheidende Problem ist dann die Bestimmung der Kriterien der Legitimität. Das faktische Herrschen ist nicht genug; es wird gefordert, daß die Herrscher (oder das System der Herrschaft) irgendwie - moralisch oder gesellschaftspolitisch - ausgewiesen sein müssen. Die tatsächliche Wirksamkeit des Herrschaftssystems, d. h. die Tatsache, daß die Herrschenden ihren Willen Vgl. B. Bames, The Nature of Power, Oxford 1988. Vgl. Z. B. P. Graf Kielmannsegg (Hrsg.), Legitimationsprobleme politischer Systeme, Opladen 1976. 14

15

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durchsetzen (durch Macht, Gewalt oder/und aufgrund von Akzeptanz) genügt von dieser Warte aus gesehen - nicht als Garantie der Legitimität. Wenn man von einem bestehenden Herrschaftssystem ausgeht, ist genau jene Herrschaftsausübung legitim, die durch dieses System zur Machtausübung ermächtigt ist, und jede Macht oder Herrschaft anstrebende Bewegung, Person oder Gruppe ohne solche Ermächtigung erscheint als illegitim. Ein charakteristischer Zug jedes demokratischen Systems ist, daß das System eine realisierbare Methode umfaßt und einen legitimen - d. h. durch innere Regeln des Systems bestimmten - Übergang der Herrschaftsermächtigung anbietet. Da es eine unbestreitbare historische Tatsache ist, daß im Staate nicht immer ein solcher wirksamer Mechanismus des potentiellen Machtwechsels existiert, und da es immer wieder entartete Rechts- und Herrschaftssysteme gibt - diese Entartungen sind oft so markant im Widerspruch zu allen zivilisierten Moralvorstellungen, daß kaum jemand, wenn er das System aus räumlicher oder / und zeitlicher Feme betrachtet, also ohne dem entsprechenden Massenwahn selbst zu unterliegen 16 , an der Verderbtheit des Machtsystems zweifelt -, haben gesellschaftskritische Denker die Frage gestellt, wann ein Herrschaftssystem als legitim zu gelten hat. Es ist nicht leicht, auf diese Frage eine befriedigende Antwort zu finden. Eine exakte und vollbefriedigende Antwort, die uns immer eine unstrittige und unbestreitbare Antwort zu geben erlauben würde, was legitim ist, gibt es wahrscheinlich gar nicht. Es können nur Betrachtungsweisen und Lösungsversuche angeführt werden, die wenigstens partiale Bestimmungen für die Beurteilung der Legitimität eines Systems bieten. (1) Der kontrakttheoretische Zutritt zum Problem der Beziehungen zwischen Herrscher und Beherrschten - er hat in der Geschichte der politischen Theorien eine wichtige Rolle gespielt - transformiert das Herrschen von der Position der subjektiven Willkür in ein System der Pflichtbindung des Herrschers an seine Lenkungsfunktion. Auch wenn wir von dem Gleichnis, das durch die Idee des Vertrags dargestellt ist, abrücken, bleibt das Postulat der gesellschaftlichen Bindung und Verpflichtung zur Lenkungsaufgabe als eines der notwendigen, wenn auch nicht hinreichenden Kriterien der Legitimität der Herrschaft.

(2) Legitimität ist sicherlich nicht durch Hinweis auf die faktische Durchsetzung der Herrschaft begründbar, soll doch die Beurteilung der Legitimität ein dem rein Faktischen gegenübergestelltes Wertkriterium sein. Die tatsächliche Durchsetzung - oder die reale Chance der Durchsetzung - ist aber dennoch als notwendige Vorbedingung der Legitimität des Herrschaftssystems anzusehen, denn das legitime System muß eine institutionalisierte Existenz haben (oder erlangen können). (3) Der Kern des Legitimitätskriteriums scheint die Akzeptanz der Herrschaft und des Rechtssystems durch die Mitglieder der Gesellschaft zu sein. Im demokra16 Vgl. O. Weinberger, Angst vor dem menschlichen Wahn, in: A. Grabner-Haider/O. Weinberger/ K. Weinke (Hrsg.), Fanatismus und Massenwahn, Graz, Wien 1987, S. 4-34.

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tischen Geiste ist universelle Akzeptanz das wesentliche Legitimitätskriterium. Doch muß man fragen: gibt es so etwas, insbesondere gibt es so etwas in komplexen und differenzierten Gesellschaften, wie sie den modemen Staaten zugrunde liegen? Dies ist besonders dann problematisch, wenn wir die Akzeptanz als echte wohlerwogene Zustimmung verstehen, nicht als bloßes soziologisches Faktum des nicht expliziten Widerstrebens. Man wird vielleicht zu dem Begriff der Mehrheitsakzeptanz gelangen - vielleicht in zwei Stufen, der ganz überwiegenden (beinahe universellen) Akzeptanz und der einfach mehrheitlichen Akzeptanz. Der partiellen Akzeptanz fehlt die starke Überzeugungskraft der universellen Zustimmung, denn nur bei dieser gilt, daß das System schon deswegen legitim ist, weil es vom Willen aller Mitglieder der Gemeinschaft getragen ist. (4) Wenn man sich genötigt sieht, von der universellen Akzeptanz zu einer Art partiellen Zustimmung überzugehen - und dies ist wohl praktisch unvermeidlich -, dann taucht die Frage auf, ob nicht neben - oder gar an Stelle - der Akzeptanz der Begriff der Akzeptabilität als Legitimationskriterium treten sollte. Obwohl es auch hier um Zustimmung - also eine WerteinsteIlung der Mitglieder der Gemeinschaft - geht, wird hier das Augenmerk von der bloßen wertenden Stellungnahme auf die Begründung der Akzeptanz gerichtet. Das Heranziehen von Gründen der Zustimmung oder Gründen der Ablehnung führt dazu, daß die bloße Mehrheit - sei sie überwiegend oder nur knapp - nicht mehr als alleiniges Kriterium der Legitimität akzeptabel ist. Ganz allgemein zu sagen, was die entscheidenden "guten Gründe" für ein Akzeptabilitätsurteil sind, ist wahrscheinlich unmöglich. Es wird aber oft breiter Konsens darüber zu erreichen sein, welche Momente die Legitimität des Systems stören.

VIII. Verfassung und die Leitideen der Demokratie Demokratie hat wesentlich mit der Verfassung zu tun, denn Demokratie als Postulat und Programm der Volksherrschaft hängt von gemeinschaftlichen Willensbildungsprozessen ab, und solche Prozesse müssen durch normative Regulative bestimmt werden, die zu guter Letzt durch die Verfassung konstituiert werden. Die formale Legitimierung eines Aktes des Gemeinschaftswillens kann nur durch autorisierende Ermächtigung, also normativ, gegeben werden. 17 Auch wenn man versucht, durch eine sogenannte Urabstimmung dem Ermächtigungssystem selbst eine demokratische Legitimation zu verschaffen, ist dies nur relativ zu einem für die Urabstimmung vorausgesetzten normativen Regulativ möglich.

17 Vgl. meinen Aufsatz "Abstimmungslogik und Demokratie" [in: B. Sutter et al. (Hrsg.), Reformen des Rechts, Graz 1979. S. 605 -623]. in dem ich zu zeigen versucht habe, daß kollektive Willensbildung nur aufgrund vorangesetzter normativer Regeln möglich ist. Im System des modernen Staates hat die Verfassung diese Aufgabe, die Organfunktion im Staat sowie die Kompetenzen und Willensbildungsprozesse normativ zu fundieren.

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,Volksherrschaft' ist eine vage - aber keineswegs bedeutungslose - Leitidee, die mittels der Verfassung den Weg zur Realisierung findet. Strukturprinzipien der Willensbildung und der Ausübung von Herrschaft sowie der Lenkung der gesellschaftlichen Institutionen formen das System mit Rücksicht auf zwei Hauptgesichtspunkte: die Leitidee der Volksherrschaft und das Postulat des effektiven Funktionierens der Institutionen (beurteilt nach den Leitideen der in Betracht stehenden Institutionen). Im Bereich des Herrschens und der Macht gelten drei grundlegende Forderungen, die man in institutionalistischer Terminologie relativ klar formulieren kann: (1) Macht muß möglichst auf funktionale Macht beschränkt werden. (2) Die Leistungsfähigkeit der Institutionen muß sichergestellt werden. (3) Sämtliche öffentliche Funktionen müssen der demokratischen Kontrolle unterzogen und gleichzeitig den demokratischen Leitideen sowie dem aktuellen Willen der Gesellschaft angepaßt werden. Zu Punkt (1):

Macht ist notwendig zur Realisierung gesellschaftlicher Zwecke, weil Aktionsfahigkeit, Entscheidung im Namen der Institution, Koordination der Tätigkeiten der Individuen sowie Kontrolle für die Effektivität der Institutionen, den Leitideen zu dienen, notwendig sind. Der Einzelne handelt zu einem guten Teil im Sinne der Institution, weil er sich mit der Institution identifiziert und ihre Zwecke mittragen will. Daneben ist aber auch eine leitende und koordinierende Macht unerläßlich. In der Demokratie ist sie immer mit politischer Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft gepaart. Recht schafft immer gesellschaftliche Positionen, die zusätzliche Möglichkeiten bieten, Macht in anderen Dingen und anderen Richtungen auszuüben. Es geht nun in der Demokratie darum, diese nicht funktionale Macht einzudämmen und nur funktionale Macht gelten zu lassen. Zu Punkt (2):

Manche meinen, Demokratie und demokratische Formen seien an und für sich wertvoll, auch wenn sie für die Sache ineffektiv sind. Sie behaupten, man müsse, um den Wert des demokratischen Lebens zu erlangen, ein gewisses Maß von Behinderungen einer effektiven Lenkung in Kauf nehmen. Mir scheint diese Auffassung nicht akzeptabel. Es ist m. E. unbestreitbar, daß jedes System sozusagen Reibungsverluste der Organisationsstruktur hat: die Verwaltung umfaßt immer auch Überflüssiges; die Wirtschaft widmet nicht unbedeutende Mittel der Reklame (obwohl diese oft für die Bedürfnisbefriedigung nichts bringt). Das demokratische System hat zweifellos auch unvermeidliche "Reibungsverluste". Es ist aber wichtig, sie zu minimieren und beim Aufbau der Organisationsformen auf Effektivität der Institutionen zu ach-

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ten. Die Demokratie steht in Konkurrenz zu anderen Gesellschaftsformen und sie wird nur dann auf Dauer lebensfähig sein, wenn sie sich auch funktional bewährt. Wenn man die Notwendigkeit anerkennt, daß die Lenkung demokratischer Institutionen effektiv sein muß, wird es je nach Umständen nötig sein, verschiedene Formen der Organisation und Willensbildung einzusetzen. Transparente und kontrollierte monokratische Lenkung ist nicht weniger demokratisch als kollektives Entscheiden. Scheindemokratische Einrichtungen müssen vermieden werden, und es muß immer der Tatsache Rechnung getragen werden, daß richtiges Entscheiden von Informationen und Problemlösungsideen abhängt. Diese Tatsache schränkt die Möglichkeiten der direkten Demokratie wesentlich ein. Verschiedene Partizipations- und Beratungsformen sind jedenfalls bloßen Abstimmungsmechanismen vorzuziehen. Die Struktur der Institutionen muß funktional so bestimmt werden, daß sie sowohl die Leitideen des zu schaffenden Werkes, d. h. die beabsichtigte gesellschaftliche Rolle der Institution, als auch die allgemeinen demokratischen Leitideen erfüllt. Die Funktionstüchtigkeit der Institution erfordert ein gewisses Maß an Hierarchisierung. Bei der Bestimmung der Struktur der Institution sind vor allem folgende Kriterien zu beachten: a) die adäquate Kompetenzverteilung, die eine leistungsfähige Lenkung und eine demokratische Machtbeschränkung sicherstellen muß, b) die Effektivität der inneren und äußeren Kontrolle als eines unabdingbaren Elements der Handlungslenkung, c) die motivierende Auswirkung der Strukturen auf das Verhalten der beteiligten Personen. Zu Punkt (3):

Kontrolle ist ein integrierender Bestandteil jeder Handlung. Der Handelnde kontrolliert seine Tätigkeit selbst. Gute Selbstkontrolle ist ein wesentlicher Faktor der Kultur. Gesellschaftlich relevantes Handeln - vor allem politische und wirtschaftliche Tätigkeit - muß außerdem gesellschaftlich kontrolliert werden. Sowohl hierarchische als auch Beratungsstrukturen können je nach Umständen angemessen sein. Wichtig ist das richtige Timing der Entscheidungen und Kontrollen. Ineffektive und scheindemokratische Strukturen neigen zu leichtfertigen Entscheidungen und zu ineffektiven Kontrollen post factum. Es hat keinen Sinn, den Bau eines Atomkraftwerkes (Zwentendorf) zu beschließen, es aufzubauen und dann zu entscheiden, es nicht zu betreiben. Ebenso ist Kontrolle nicht nur als abschließendes Placet oder als Vorwurf ex post zweckmäßig, sondern vor allem als ständige Begleitung jeder Arbeit. In der Jurisprudenz wird oft die kollektive Willensbildung als die demokratische angesehen und der monokratischen gegenübergestellt. Formale Regeln der gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse sollen das demokratische Leben der Gesellschaft sichern und mittels des Majoritätsprinzips das Maximum an Freiheit garantieren. Formale Regeln allein reichen aber zur Sicherung der demokratischen Gesellschaft nicht aus.

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Die Alternative demokratische (= kollektive) oder monokratische Lenkung ist keine brauchbare Theorie der Lenkungsformen, denn einerseits sind auch gewisse monokratische Formen der Lenkung vom demokratischen Standpunkt aus durchaus akzeptabel und andererseits gibt es eine ganze Reihe verschiedener Formen, die in dieses alternative Schema nicht passen (insb. Formen der Mitbestimmung). Ein demokratisches System kann nur dann als solches funktionieren, wenn neben den Regeln, durch die demokratische Willensbildungsprozesse eingeführt werden, in der Gesellschaft auch ein System inhaltlicher Postulate weithin anerkannt wird und wenn in dieser Gesellschaft demokratische Gewohnheiten sowie ein Wertempfinden für demokratische Ideale bestehen. Die Ideale der Demokratie sind eine offene Klasse von Werteinstellungen und Postulaten, die im historischen Prozeß und im Zusammenhang mit der technischen, ökonomischen und geistigen Entwicklung Veränderungen unterliegen. Wenn man davon ausgeht, daß das demokratische System auf einer formal-demokratischen und einer inhaltlichen Konstituente basiert, dann stellen sich zwei Fragen: (a) Wenn aufgrund der inhaltlichen Postulate begründet werden kann, was das gesellschaftlich Richtige ist, dann hat eigentlich ein Prozeß der demokratischen Abstimmung keine positive Funktion: führt er zur rational begründeten Entscheidung, war er überflüssig, widerspricht er ihr, dann kommt durch diesen Autoritätsakt eine schlechte Entscheidung zustande. Diese Problemstellung ist täuschend. Erstens sind die inhaltlichen Postulate der demokratischen Weltanschauung nicht hinreichend für die Determination der politischen Entscheidungen; und die Postulate selbst sind im einzelnen nicht exakt bestimmend, so daß insbesondere dort, wo verschiedene Postulate zusammentreffen, Stellungnahmen erforderlich werden; und zweitens ist nicht unstrittig, welche inhaltlichen Prinzipien Geltung beanspruchen können. Minderheitenschutz, Periodizität von Wahlen und anderen Willensbildungsprozessen sowie Glaubensfreiheit sind allgemein anerkannte Anwärter für eine solche Position im demokratischen Weltbild. Die Anwendung der Grundsätze ist abwägend und nicht einfach durch Subsumtion bestimmt, und außerdem könnten sie - wenn sie als absolut gültige Regeln aufgefaßt werden würden - oft sehr problematisch werden. In unserer Kultur wird z. B. Glaubensfreiheit als unstrittiges demokratisches Postulat angesehen. Es darf aber nicht vergessen werden, daß Glaubenssysteme selbst oft äußerst intolerant sind. Die Begeisterung für den Glauben führt nicht nur zu der Idee der Verbreitung und Mission, sondern oft auch zu Verachtung von Nicht- oder Andersgläubigen, zur Bekämpfung anderer Glaubensauffassungen ("Ketzer") und zu Krieg und Vernichtung, die oft mit besonderer Grausamkeit verbunden sind. Glaubenssysteme pflegen mit kirchlichen Organisationen verbunden zu sein, die oft Herrschaftsgewalt über das öffentliche Leben und den Staat beanspruchen, nicht nur Einfluß auf das Seelenleben und die Moral ihrer Angehörigen. So sehr Glaubensfreiheit geschützt werden muß, darf nicht vergessen werden, daß Religion und

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Religionsgemeinschaften sehr undemokratisch sein können; sie können auch zu Religionskriegen oder zum "Heiligen Krieg" sowie zum Genozid führen. Wird Glaubensfreiheit als absolutes Prinzip aufgefaßt. unabhängig von den Glaubensinhalten und der Toleranz der Glaubensgemeinschaft selbst. dann kann dieses Prinzip zu einem Blankoscheck gegen Freiheit und Demokratie entarten. (b) Aufgrund demokratischer Willensbildungsprozesse können Entscheidungen zustande kommen. die gewissen materiellen Prinzipien der Demokratie zuwiderlaufen. Demokratische Prozesse können durch Propaganda. ideologische Indoktrination oder starre Prinzipien verdorben werden. Diktaturen werden manchmal demokratisch oder durch manipulierte. nur scheinbar demokratische. Prozesse installiert. Inhaltliche Grundsätze der Demokratie können auf demokratischem Wege vernichtet werden. Ein Beispiel: Nach dem Majoritätsprinzip können Minoritätenrechte aufgehoben werden. Bei einer entsprechenden Interessenlage - z. B. drohende Arbeitslosigkeit - kommt es gelegentlich zu Maßnahmen gegen einzelne Gruppen (z. B. gegen Gastarbeiter. gegen Nichtmitglieder von Parteien und Gewerkschaften u.ä.) Wie kann man die Vernichtung oder Entartung demokratischer Prozesse verhindern? Ein Schutz durch Petrifizierung oder durch Festsetzung erschwerter Änderungsbedingungen ist gerade in entscheidenden Augenblicken kaum wirksam. denn gegenüber emotionalen Massenbewegungen sind solche Hindernisse unwirksam. Absolute Unveränderbarkeit festzusetzen. ist weder wirkungsvoll noch im Einklang mit dem demokratischen Weltbild. das nicht zuläßt. den aktuellen Willen des Volkes von der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens fernzuhalten. Aufgrund der institutionalistischen Auffassung kann eine gewisse Antwort auf das Problem der Beziehung zwischen den Fonnen der demokratischen Willensbildung und den materiellen demokratischen Idealen gefunden werden. Die materiellen Prinzipien der Demokratie können als eine Art von Leitideen der demokratischen Institutionen angesehen werden. Sie sind nicht strikte Verhaltensregeln. sondern Zielvorstellungen und regulative Ideen. die in konkreten Analysen entwickelt werden. Sie sind richtungsweisend für die Wertung der Organisation und für die Beurteilung der Funktionalität der Institutionen. Eine angemessene Berücksichtigung der materiellen Grundsätze ist nur dann gewährleistet. wenn man die Demokratie als Beratung. Diskussion und Kritik. und nicht nur als Kampf um Mehrheiten versteht. Es ist daher ein wichtiges Postulat für kulturell hochentwickelte Demokratien. den demokratischen Diskurs vielschichtig durchzuführen. Es nehmen an ihm teil nicht nur die politischen Parteien. die Interessenvertretungen. die einzelnen Politiker und die Bürokratie. sondern auch Presse und andere Massenmedien. die Wissenschaften. Klubs. Institutionen der Volksbildung usw. Es ist für eine hinreichende Institutionalisierung dieser geistigen Auseinandersetzung zu sorgen.

Der Neo-Institutionalismus als Basis der inhaltlichen Rechtsbetrachtung Ich denke dankbar an die Zeit zurück, als ich 1968 - 69 mit Günther Winkler zusammenarbeiten durfte. Winklers rechtsphilosophisches Hauptanliegen ist eine kritische Stellungnahme zur Kelsenschen Lehre und die Durchsetzung eines - wie er es nennt - erkenntniskritischen Realismus in den Rechtswissenschaften. Auch ich habe versucht, Kelsen in kritischem Licht zu sehen, allerdings in anderer Perspektive als Winkler: Winkler geht es darum, den Normativismus Kelsenscher Prägung anzugreifen sowie die Orientierung der Reinen Rechtslehre auf die Strukturtheorie des Rechts zu kritisieren. Mir ging es immer darum, die rechts logischen Strukturen der klassischen Reinen Rechtslehre sowie der Kelsenschen Spätlehre kritisch zu beleuchten und andere Wege der Rechtslogik einzuschlagen. Durch die Ausarbeitung der neo-institutionalistischen Zutrittsweise zur Rechtstheorie habe ich das Reinheitspostulat Kelsens abgelehnt und eine breitere AufgabensteIlung der juristischen Analyse gefordert, als durch das Reinheitspostulat bestimmt wurde. Zum Unterschied von Winkler spreche ich der Rechtslogik und der Strukturtheorie des Rechts große Bedeutung zu; aber gerade diese Betrachtungen führen mich zur Überzeugung, daß diese Studien allein nicht das Wesen der juristischen Analysen ausmachen können. Die funktionale Betrachtungsweise des Rechts und der gesellschaftlichen Institutionen halte ich für eine wesentliche Bereicherung der Rechtswissenschaft, die hierdurch auch Problemen der Rechtspolitik ihre kritische Aufmerksamkeit schenkt. Die nachfolgenden Überlegungen, die ich Günther Winkler aus Anlaß der Beendigung seines Wirkens an der Universität Wien widme, sollen zeigen, wie die neo-institutionalistische Konzeption der Rechtstheorie Strukturund Argumentationstheorie mit der Forderung nach inhaltlicher und sozialkritischer Rechtsbetrachtung verbindet.

I. Strukturtheorie und inhaltliche Rechtsbetrachtung

Die strukturtheoretische Entwicklung in der Rechtstheorie steht einerseits unter dem Einfluß von Hume und Kant und andererseits entspricht sie dem allgemeinen Trend der modernen Philosophie, die man als linguistische Wende bezeichnet hat. Kant und Hume verdankt die zeitgenössische Rechtsphilosophie die semantische Unterscheidung von Sein und Sollen, oder besser: kognitiv-beschreibender und praktischer Gedankeninhalte, und die Erkenntnis der logisch-methodologischen Verschiedenheit des Beweisens und Begründens im praktischen (d. h. handlungsbezogenen) Denken gegenüber dem Operieren im Bereich der Erkenntnis. Die 20 Weinherger

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strukturtheoretisch orientierte Jurisprudenz entspricht dem Trend der Philosophie, den Einfluß der Sprache und der Kommunikation als konstitutives Element jeder Theorie zu betrachten. Diese Einstellung hat verschiedene Formen angenommen: die Form der analytischen Philosophie, die unter dem Einfluß der modemen Logik zum rationalen Rekonstruktivismus wurde, oder die Form der Wittgensteinschen Sprachphilosophie, die einerseits als Theorie der Sprachspiele in Erscheinung tritt und andererseits zum Credo der Ordinary Language Philosophy wurde, die den normalen Sprachgebrauch als Maßstab des Richtigen ansieht und durch das Schlagwort "zurück zur natürlichen Sprache" die Verhexung des Geistes durch die Sprache zu überwinden sucht, ja sogar die Existenz echter philosophischer Probleme leugnet, indem diese nur als mißbräuchliche Verwendung der Sprache gedeutet werden. Die hermeneutische Philosophie, die Sprechakttheorie und die Diskursphilosophie weisen diesen Charakterzug des Abhängigmachens der philosophischen Analyse von sprachlichen und Kommunikationsgesichtspunkten auf, welche durch den Terminus "linguistische Wende in der Philosophie" angedeutet wird. Ich erwähne diese Zusammenhänge hauptsächlich deswegen, weil diese Konzeptionen auch in die Rechtsphilosophie Eingang gefunden haben. Was verstehe ich unter strukturtheoretischer Rechtsbetrachtung? Keineswegs das, was Winkler an der Konzeption der Reinen Rechtslehre kritisiert, nämlich die Meinung, Rechtstheorie sei vor allem Formanalyse und nicht sozialwissenschaftliche Erkenntnis sozio-kultureller Tatsachen. Für den Neo-Institutionalismus ist es essentiell, daß das Recht - und daher auch die Rechtstheorie - handlungs- und institutionentheoretisch betrachtet werden muß. Der handlungstheoretische Approach setzt eine dichotome Semantik voraus, denn die handlungsbestimmenden informationsverarbeitenden Prozesse können nur im Rahmen einer Sprache dargestellt werden, die beschreibende und stellungnehmende Informationen heranzieht und kategorial unterscheidet. I Die Strukturtheorie des Rechts stellt sich die Aufgabe, die Form darzustellen, in der Rechtsinhalte rational ausgedrückt werden können, und sie bestimmt den logischen Aufbau der Rechtsordnung sowie die logischen Operationen, die den rechtlichen Vorgängen zugrunde liegen. Diese Form- und Operationserkenntnisse bilden einerseits die Basis für die logisierte Deskription faktisch existierender normativer Ordnungen, andererseits sind sie die Grundlage der Theorie der juristischen Argumentation. Hierbei ist zu beachten, daß das juristische Argumentieren zwar einen grundlegenden Kern logischer Operationen enthält, aber daneben in breitem Ausmaß auch Plausibilitätsargumentation ist. Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Rechtsdogmatik und der Strukturtheorie des Rechts: die Strukturtheorie gibt Auskunft darüber, was die Interpretation des Recht feststellen muß (Subsumtionsbedingungen und die zugeI O. Weinberge" Alternative Handlungstheorie. Gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit Georg Henrik von Wrights praktischer Philosophie, Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar 1996, S. 51 ff.

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ordneten Rechtsfolgen), und bietet eine Typologie der Strukturen der Rechtsregeln (Verhaltensnonnen, Rechtsgrundsätze, teleologische Nonnen, Rechtsprinzipien, Ennächtigungsnonnen, ... ) an - zusammen mit den rationalen Regeln ihrer Anwendung bei der Entscheidungsfindung und -begründung. Aus der Strukturtheorie des Rechts resultieren Prinzipien für den Aufbau der Rechtsordnung, vor allem für eine solche Ordnung der Kompetenzen, daß Kompetenzkonflikte vennieden und Rechtsstaatlichkeit sowie adäquate Kontrolle optimiert werden können. Gerade die logisch-kritische Betrachtung der juristischen Strukturen zeigt, daß die juristische Erkenntnis nicht auf Strukturtheorie beschränkt sein kann. Der linguistisch-logische Rahmen der Strukturtheorie erfordert, um aktuelle Rechtserkenntnis der sozialen Realität des Rechts zu sein, die Aufnahme empirischer Erkenntnisse über die betrachteten Rechtssysteme. Diese empirische Erkenntnis ist einerseits verstehendes Erfassen von nonnativen Rechtsinhalten, andererseits die Erkenntnis beobachtbarer Rechtstatsachen (institutionalisierter Tatsachen). Wenn man Rechtslogik richtig konzipiert, wird ganz klar, daß rechtslogische Erkenntnis und das Studium der Rechtsstrukturen allein nicht das Wissen über das Recht ausmachen können. Inhaltliche Analysen und eine Theorie der inhaltlichen Argumentationsmethoden sind erforderlich.

11. Das Feld der inhaltlichen Rechtsbetrachtungen

Was inhaltliche Rechtsbetrachtungen sind, kann verschieden konzipiert werden. Man kann darunter nur juristische Henneneutik und die Darlegung des Rechts in systematischer Fonn, die von der Rechtsdogmatik geleistet wird, eventuell unter Einschluß der historischen Entwicklung der Rechtsordnung und der Rechtsvergleichung, die verschiedene Rechtssysteme konfrontiert, verstehen oder man faßt die inhaltliche Rechtserkenntnis wesentlich breiter auf, wie dies z. B. der Neo-Institutionalismus tut. Nach institutionalistischer Auffassung ist das Recht nicht nur ein Komplex von Verhaltens- und Kompetenznormen, sondern ein System, das auf Leitideen der Institutionen beruht und durch ideelle Beziehungen verknüpft ist. Zum Erfassen der rechtlichen Realität gehört daher auch das Verstehen der den einzelnen Bestimmungen zugrundeliegenden Leitideen und Rechtsprinzipien, sowie das Verstehen der funktionalen Rolle der nonnativen Bestimmungen als Instrumente zur Realisation der Leitideen. Das Recht muß in funktionalen Beziehungen untersucht werden. Dies führt nicht nur zu Fragestellungen vom Typus "Wozu dient diese oder jene Rechtskonzeption?", sondern auch zu Fragen der Wirkungsweise des Rechts als Motiv für das Handeln der Adressaten und zur rechtspolitischen Beurteilung der Rechtsinstitute. Wenn man die Institutionen als nonnative Maßnahmen zur Erfüllung von Aufgaben - ausgedrückt in den Leitideen - ansieht, dann kann man die Frage erörtern, 20'

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ob die normativen Regelungen und deren Durchführung die Leitideen in effektiver Weise realisieren. Die rechtspolitische Beurteilung von Institutionen wird zur legitimen Aufgabe der Jurisprudenz. Der Neo-Institutionalismus konzipiert die juristischen Fragestellungen breiter als die traditionelle Jurisprudenz. Diese zusätzlich geforderte juristische Betrachtung um faßt Rechtstatsachenforschung (diese wird teilweise auch von der traditionellen Jurisprudenz gefordert) und funktionale Analysen der Institutionen. Nach dieser Auffassung genügt es nicht, Rechtserfahrung in dem Sinne zu fordern, daß die bestehenden normativen Regelungen dogmatisch erfaßt werden, sondern es müssen darüber hinaus Probleme der motivierenden Auswirkungen und sozialen Effekte der Normierungen analysiert werden.

IH. Funktionale und rechtspolitische Analysen als Aufgaben der Jurisprudenz

Der Neo-Institutionalismus ist zwar eine normativistische Theorie und genauso wie die Reine Rechtslehre an der Strukturtheorie des Rechts interessiert, doch lehnt er das Reinheitspostulat und die mit ihm verknüpfte Einschränkung der juristischen Untersuchungen ab. Das Reinheitspostulat ist m.E. auch im Rahmen der Strukturtheorie unhaltbar, denn Rechtsgeltung und Rechtsdynamik sind Fragen, die ohne Einbeziehung von gesellschaftlichen Tatsachen nicht lösbar sind? Der aus dem Reinheitspostulat resultierende Ausschluß aller Fragen des faktischen Wirkens des Rechts aus der juristischen Betrachtung bedeutet eine unerträgliche Verarmung der Jurisprudenz. Um mögliche Mißverständnisse zu vermeiden, muß jedoch erklärt werden, daß die neo-institutionalistische Konzeption durchaus nicht den Unterschied zwischen Rechtserkenntnis und Rechtserzeugung, den die Reine Rechtslehre immer wieder unterstreicht, leugnet oder praktisch mißachtet. Der Rechtstheoretiker maßt sich nicht an, Recht zu erzeugen; wir meinen jedoch, daß die Rechtserkenntnis die Untersuchung der funktionalen Beziehungen einschließt, und daß die Frage, wie das Recht seine, durch Leitideen bestimmte, Aufgabe erfüllt und welche soziale Auswirkungen Rechtsinstitutionen haben, legitime Erkenntnisaufgaben der Jurisprudenz sind. Daß solche Erkenntnisse indirekt praktischen Einfluß auf die Rechtserzeugung haben können, daß sie eine Orientierungshilfe für gesetzgebende Entscheidungen liefert, kann kein Einwand sein, sondern muß als gesellschaftlich erwünschte Leistung der funktionalistischen Analysen gewertet werden.

2 Geltung ist auch gemäß der Konzeption der Reinen Rechtslehre abhängig von der Effektivität der Ordnung (nicht nur von der Grundnormannahme) und die Feststellung der Effektivität ist zweifellos eine soziologische Tatsachenerkenntnis. Die Rechtsdynamik ist ebenfalls zweifellos von dem Eintreten subsumierbarer Tatsachen oder von der tatsächlichen Realisation von Rechtserzeugungsakten abhängig.

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Der Zusammenhang der juristisch-dogmatischen Betrachtung mit rechtspolitischen Analysen wird auch von anderen rechtsphilosophischen Konzeptionen vertreten, aber in anderer Weise als vom Neo-Institutionalismus. Zur Klärung der Situation möchte ich zwei solche Theorien mit meiner Konzeption konfrontieren: die Naturrechtslehren und die marxistische Einstellung zur Rechtsphilosophie. Die Naturrechtslehren fordern, daß positiv gesetzte Normen, damit sie als Recht gültig sein können, gewisse inhaltliche Minimalforderungen erfüllen müssen; außerdem wird eine sozusagen subsidiäre Geltung gesellschaftlicher Moral als Ergänzung des Rechts vorausgesetzt. Solche Erwägungen sind dem Neo-InstitutionaIismus fremd. Er will nicht eine Kritik des Rechts und der Institutionen vom Standpunkt einer gewissen Naturrechts- oder Moralüberzeugung sein, sondern beurteilt die Adäquatheit und Effektivität der Institutionen vom Standpunkt der positiv gegebenen (oder wenigstens vermuteten) Leitideen und Aufgaben der Institutionen. Zwei Thesen des Marxismus sind für die Konzeption der marxistischen Rechtstheorie entscheidend: die Überbautheorie und die Lehre vom Klassenkampf. [Die metaphysisch begründete Lehre vom Absterben des Staates, die wohl kaum von jemandem ernst genommen wurde, kann dagegen außer Acht gelassen werden.] Die Überbautheorie ist m.E. falsch. Es ist nicht so, daß geistige Phänomene letztlich durch die Produktionsbeziehungen bestimmt sind und im Grunde aus ihnen erklärt werden können. Die tatsächlichen Beziehungen zwischen geistigen, ideologischen und kulturellen Phänomenen auf der einen Seite und wirtschaftlichen sowie Produktionsbeziehungen auf der anderen sind wesentlich anders strukturiert, und können nicht durch den einseitigen Explikationsweg vom Materiellen zum Ideellen erklärt werden. Ideologische Strukturen bilden sich heraus unter dem Einfluß verschiedener Momente, sicher nicht nur unter dem Einfluß ökonomischer Bedingungen, wenn es auch zweifellos so ist, daß ökonomische Momente und ökonomisch relevante Machtstrukturen dabei eine wesentliche Rolle spielen, aber neben anderen Determinanten. Es gelten zweifellos wesentliche Abhängigkeiten der Produktionsmöglichkeiten und Produktionsformen von ideellen Einstellungen und ideologischen Vorstellungen. Die Überbautheorie ist ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit, und hat auch pragmatisch ungünstige Konsequenzen: sie suggeriert die falsche Vorstellung, daß nur durch Änderung der Produktionsbeziehungen wesentliche ökonomische und kulturelle Reformen erreichbar sind. Auch die verheerenden Folgen ideologischen Wahns, z. B. der Hexenverfolgungen oder die Idee des heiligen Krieges, können auf der Grundlage der Überbautheorie nicht erklärt und nicht bekämpft werden. Die Klassenkampftheorie knüpft an einen realen Zug der modemen Gesellschaftsstruktur an. Es gibt so etwas wie ein Klassendifferenzierung: Menschen und Menschengruppen, die in unterschiedlichen Positionen zu gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozessen stehen. Es ist auch richtig, daß manche dieser Differenzen wesentliche Determinanten der gesellschaftlichen Möglichkeiten des einzelnen Menschen sind. Problematisch sind aber zwei mit der Klassenkampftheorie ver-

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bundene Thesen: Die Meinung, daß nur die Unterscheidung von Besitzern von Produktionsmitteln und Mittel10sen für die Gesel1schaftsstruktur entscheidend ist. Ferner die These, daß das gesamte gesel1schaftliche Geschehen ein Kampf dieser Klassen ist, sodaß Staat und Recht als bloße Instrumente dieses Kampfes anzusehen sind. Die gesel1schaftlich relevante Stratifikation der Mitglieder der modernen Gesel1schaft ist wesentlich komplexer und von verschiedenen Kriterien abhängig. Die Existenz des Staates und des Rechts kann im einzelnen nicht aus der Klassenkampfrelation erklärt werden: Wie in den meisten gesel1schaftlichen Bereichen ist eine monokausale - beim Marxismus eine ökonomische - Explikation der gesel1schaftlichen Phänomene nicht adäquat. Der Neo-Institutionalismus lehnt zwar die marxistische Betrachtungsweise von Staat und Recht ab, weil die marxistische Erklärung monokausal-simplifizierend ist, doch scheint die analytische Fragestel1ung gegenüber rechtlichen Institutionen und normativen Lösungen "Cui prodest?" in sehr vielen Fäl1en berechtigt. Die marxistischen Antworten halte ich für unangemessen; aber die Fragen nach Interessenstrukturen und Interesseneinfluß bei der Rechtsgestaltung müssen von einer soziologisch realistischen Rechtstheorie beachtet werden. Dieser Hinweis führt zu wichtigen demokratietheoretischen Implikationen. Sind demokratische Strukturen und Rechtsstaatlichkeit durch bloße formale Regeln effektiv erreichbar, oder müssen zur Sicherstel1ung einer demokratischen Lebensform auch inhaltliche Postulate herangezogen werden? Ich bin der Meinung, daß es keinen hinreichenden und effektiven Schutz der demokratischen Lebensform gibt, wenn nicht der gesel1schaftliche Wille besteht, demokratische Grundsätze einzuhalten. 3 Wenn Verfassungs grundsätze als Prinzipien des demokratischen Lebens gelten, kann die faktische Verletzung dieser Grundsätze bei einer entsprechenden Mehrheitskonstel1ation des Parlaments dadurch sanktioniert werden, daß man die Gesetze, welche diese Grundsätze verletzen, als Verfassungs gesetze beschließt. Dies geschieht nicht, weil man erkannt hat, daß der Grundsatz eine wohlbegründete Ausnahme von dem Prinzip rechtfertige, sondern nur um die Anfechtbarkeit vor dem Verfassungs gerichtshof wegen Verfassungswidrigkeit auszuschließen. Die Autoren der österreichischen Bundesverfassung legten Wert auf die Unterscheidung von Verfassungsänderung und Gesamtänderung der Verfassung. Wenn auch die begriffliche Bestimmung, was als Gesamtänderung zu gelten habe, in manchen Fäl1en problematisch sein kann, so versuchten sie doch mit Recht, die Verfassung als Ausdruck der grundlegenden politischen Staatsform durch sehr strenge und klar bestimmte Änderungsbedingungen zu schützen. Sie waren davon überzeugt, daß der unabhängige Verfassungsgerichtshof ein sicherer Garant der Grundstruktur der Staats- und Rechtsform sei. 4 Diese Erwartung hat sich nicht er3

Vgl. O. Weinberger. Zwei Hauptprobleme der modernen Demokratie, JRP 1995, S. 1 - 9.

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füllt. Es ist wohl unstrittig, daß der Beitrittsvertrag zur EU eine Gesamtänderung der Bundesverfassung mit sich gebracht hat. Die formale Schutzbestimmung gegenüber einer Gesamtänderung der Verfassung, nämlich, daß nach Art. 44 Abs. 3 B-VG eine Volksabstimmung nach Beendigung des Gesetzgebungsverfahrens, jedoch vor Beurkundung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten durchgeführt werden muß, hat sich de facto als unwirksam erwiesen, denn der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, daß für die Rechtmäßigkeit des Abstimmungsverfahrens über das Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union nicht darauf einzugehen sei, ob es sich bei dem Vertrag um eine Gesamtänderung der Bundesverfassung handle. Daß der Beitritt zur EU eine solche Gesamtänderung der Verfassung zur Folge hat, ist allerdings evident und dies war wohl auch der Grund, warum eine Volksabstimmung durchgeführt wurde. Art. 44 Abs. 3 B-VG sollte gerade sicherstellen, daß der Bürger die Gesamtänderung, die er durch die Abstimmung akzeptiert, in ausformulierter Form vor sich haben sollte. Bei dieser Volksabstimmung war dies nicht der Fall. 5 Diese Beispiele stehen in der gleichen Reihe mit der bekannten Tatsache, daß Menschenrechte, vor allem Minderheitenrechte, auf formal-demokratischem Wege aufgehoben werden können. Die Soziologie - und auf sie gestützt - die politische Theorie arbeiten mit gesellschaftlichen Stratifikationen nach verschiedenen Kriterien, die der jeweiligen Fragestellung angepaßt sind. Die Stratifikation je nach der Beziehung zu den Produktionsmitteln ist nur eine der möglichen Gesichtspunkte, aber nicht der einzig relevante Ausgangspunkt der Betrachtungen der sozialen Realität. Auch unter dem Klassengesichtspunkt, d. h. der Beziehung zu den Produktionsmitteln, geht es nicht nur um die marxistische Distinktion "Kapital und Arbeit", sondern z. B. um Interessenkämpfe zwischen Klein- und Großkapital, die heute eine wesentliche Rolle spielen. Die Verdrängung der Klein- und Mittelbetriebe aus vielen Bereichen des Wirtschaftslebens ist heute ein aktuelles soziales Problem.

IV. Versuch einer Systematik der inhaltlichen Rechtsbetrachtungen und der Standpunkt des Neo-Institutionalismus zu ihnen Die nachfolgenden Bemerkungen geben keine Systematik im strengen Sinne; ich möchte nur versuchen, die Vielseitigkeit inhaltlicher Rechtsbetrachtungen anzudeuten, um zu zeigen, daß diese Analysen an vielen Stellen interdisziplinären Charakter annehmen. Zu den einzelnen Punkten möchte ich auch anführen, in wel4 Vgl. M. Troper, Kelsen und die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit, in: A. Carrino/G. Winkler, Rechtserfahrung und Reine Rechtslehre, Wien, New York 1995, S. 15 - 39. 5 Nicht einmal die Frage der "immerwährenden Neutralität" war geklärt. Vgl. auch: O. Weinberger, Maastricht Vertrag und die Theorie der Aufgabennormen, JRP, Jg. 2/ H. 3, 1995, S. 223 - 237 (S. 443 - 452 dieses Bandes).

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cher Weise die neo-institutionalistische Rechtstheorie zur Lösung der Probleme beiträgt. In einer ersten groben Einteilung der inhaltlichen Rechtsbetrachtungen kann die juristische Hermeneutik und systematische Darlegung der Rechtsordnung funktionalistischen und politologischen Analysen des Rechts gegenübergestellt werden.

1. Juristische Hermeneutik und Systematisierung des Rechts

Das Recht tritt uns in der Regel in Form von Texten, also in sprachlicher Formulierung, entgegen. Texte sind selbsterklärend, d. h. für den Nachrichtenempfänger schon aufgrund seiner Sprachkompetenz verstehbar. Dieses prima facie Verständnis ist aber bei weitem keine genügende Basis für das juristische Erfassen des Rechts. Interpretation ist unerläßlich. Die Deutung der Rechtsregeln ist ein methodologisch gelenkter Prozeß, der als ein Zusammenspiel rationaler juristischer Argumentationen mit Deutungsprozessen in der Anwendungspraxis des Rechts verstanden werden kann. Die deutende und systematisierende Doktrin und die Anwendungspraxis sind gesellschaftliche Prozesse, die an der Bedeutungsbestimmung des Rechts beteiligt sind. Dem Begriff nach ist Interpretation eine rein feststellende und unschöpferische Tätigkeit, die den Sinn normativer Texte aufzudecken sucht. Sätze, weIche die Bedeutung rechtlicher Bestimmungen angeben, sind nach Meinung mancher Theoretiker wahre oder falsche Aussagen, je nachdem, ob sie den Sinn der entsprechenden TextsteIle richtig oder unrichtig wiedergeben. Da der interpretierende Satz genau so wie der zu interpretierende eine sprachliche Äußerung ist, beruht diese Wahrheit auf der Konstatierung einer Bedeutungsgleichheit zweier sprachlicher Äußerungen. Die Wahrheitsbedingungen einer Interpretationsaussage sind also vom Verstehen beider Äußerungen abhängig, und daher nur dann feststellbar, wenn man beide Bedeutungen kennt. Die Interpretationsaussage drückt also das Ergebnis der Deutung aus, sie bestimmt aber nicht die Methode des juristischen Deutens. Durch eine Interpretationsaussage wird also nur dann etwas gewonnen, wenn der als Deutung herangezogene Satz terminologisch verständlicher oder / und expliziter ist als der gedeutete. In der juristischen Praxis geht es bei der Interpretation meist nicht nur um sprachliche Erklärungen mittels leichter verständlicher Ausdrücke, sondern um die Analyse der Anwendungsbedingungen der Norm und um die Bestimmung der Rechtsfolgen subsumierbarer Sachverhalte. Die mit der Deutung verbundene Systematisierung des Inhalts des Rechts führt zur Erörterung von Fragen, weIche die bloße Bedeutungsfeststellung überschreiten. Interpretation wird de facto zur Entfaltung des Rechts und pflegt mit der Beurteilung von (auftretenden oder nur gedachten) hard cases eine konstruktive Erweiterung oder Determination des Rechts mit sich zu bringen. Sie ist dann nicht mehr rein feststellend. Die Deutung, weIche

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der Anwendung des Rechts durch die Staatsorgane zugrunde liegt, ist einerseits ein Beleg dafür, wie die Rechtsquellen in der Gesellschaft verstanden werden, andererseits immer auch ein Faktor der gesellschaftlichen Weiterentwicklung des Rechts. Dies gilt auch für Rechtsordnungen, die prinzipiell als Gesetzesrecht konzipiert sind. Die Deutung und Systematisierung des Rechts führt auch zur Klärung der Zusammenhänge und Prinzipien, welche in den Normen oft nur implizit enthalten sind. Die analytische Aufgabe der Deutung betrifft zweierlei: (a) die Bestimmung des ge sollten und loder zulässigen Verhaltens, und (b) die rechtlichen Kompetenzen sowie deren Relationen (hierdurch wird der hierarchische Aufbau der Rechtsordnung klargestellt). 2. Der neo-institutonalistische Beitrag zu den Problemen der Rechtsgeltung, der juristischen Interpretation und der Rechtsdogmatik

Wenn man über Rechtsgeltung spricht, befaßt man sich mit einer institutionellen Tatsache; das impliziert, daß die Behauptung, eine Norm sei geltendes Recht, zwei Komponenten hat, sie ist einerseits eine Feststellung einer sozialen Tatsache und andererseits Erkenntnis des gesellschaftlichen Daseins einer verstehbaren kulturellen Idealentität. Die Geltungsfrage tritt in zwei Gestalten auf: als Frage nach der Geltung eines vorschwebenden Rechtssystems oder als Frage nach der Geltung einer Norm als Bestandteil eines als geltend erkannten oder als geltend vorausgesetzten Systems. Die erste Frage wird im Sinne der neo-institutionalistischen Grundkonzeption beantwortet: Eine Normenordnung gilt genau dann, wenn sie als ordnende Basis einer staatlichen Gesellschaft fungiert. (Die Kriterien für diese Feststellung sind allerdings komplex, und sie führen nicht immer zu einer eindeutigen Antwort. Immer eine eindeutige Antwort auf die Geltungsfrage vorauszusetzen, wäre im Konflikt mit den Tatsachen, denn es gibt in der politischen Wirklichkeit Situationen z. B. Krieg oder Bürgerkrieg -, wo keine eindeutige Ordnung besteht.) Die zweite Frage ist in modemen Rechtssystemen durch Stammbaumbeziehungen bestimmt; sie wird von der Rechtstheorie als ermächtigte Normerzeugung verstanden, wobei die Feststellung der formalen Geltungstatsache - wenigstens in den Systemen des ius scriptum - durch offizielle Promulgationsmittel eindeutig gemacht wird. Es bleibt dann allerdings noch die Tatsache, daß die Frage, was gilt, von der Interpretation abhängig ist, denn es gilt eigentlich der normative Sinn des Textes, der als Ergebnis der Interpretation auftritt. Interpretation ist als bedeutungsbestimmender Prozeß anzusehen, der in gewisser Weise mit jedem sprachlichen Kommunikationsprozeß verbunden ist. Hermeneutische Analysen sind eine kultivierte Form dieser immer vorhandenen Kompo-

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nente der sprachlichen Verstehensprozesse, die im Falle der juristischen Hermeutik zu einem wissenschaftlichen Argumentationsprozeß ausgeweitet sind. Für diesen Prozeß sind zwei institutionelle Charakteristiken wesentlich: (a) die Tatsache, daß diese verstehende und deutende Tätigkeit mit Rechtsprozessen qua gesellschaftlichen Geschehen verbunden sind, wie sie sich in der Judikatur (im weiten Sinne des Wortes) äußern, und (b) die Existenz und Funktion der Rechtsdogmatik als einer dem Recht und der juristischen Arbeit dienende Institution. Zwischen dogmatischer Arbeit und der Deutung des Rechts bestehen wesentliche Zusammenhänge. Die Dogmatik strebt Systematisierung der Rechtsinhalte an und ist mit juristischer Hermeneutik wesenhaft verbunden. Die Bestimmung der Bedeutung ist systemabhängig: das gedankliche Netzwerk des Systems trägt zur Deutung bei. Und die Bausteine des dogmatischen Systems sind die gedeuteten Normenkomplexe. Die Strukturtheorien des Rechts pflegen eine Tendenz zur atomaren Betrachtung der Rechtssätze zu haben. Dagegen bemüht sich der Neo-Institutionalismus zwar, die Rechtsatzstrukturen zu analysieren und die Logik ihrer Anwendungen zu klären, aber er unterstreicht auch, daß das Verstehen des Rechts ein Erfassen einer institutionellen Realität ist, und daß daher normative Bestimmungen in ihrem funktionalen Zusammenhang verstanden werden müssen. Sinnvolles ist immer geistige Textur, also nur verstehbar in Zusammenhängen; Recht muß als sinnvoll erkannt werden. Nach neo-institutionalistischer Auffassung ist dieses Sinnerfassen nicht nur geistiges Verstehen, sondern auch funktionale Erkenntnis, d. h. ein Verstehen, das als Erkenntnis der sozialen Realität konzipiert ist.

3. Theorie des Rechtssatzes - Neo-institutionalistische Sicht

Die modeme Konzeption des Rechtssatzes hat erkannt, daß es nicht eine einzige Form der Struktur gibt, in der normative Bestimmungen darzustellen sind. Neben Verhaltensregeln sind Rechtsgrundsätze - also abstraktere normative Regeln als Verhaltensnormen - für die Bestimmung der Entscheidungen relevant (R. Dworkin. der auch gezeigt hat, daß die Anwendung von Grundsätzen als Argumenten der Rechtsentscheidung einer anderen Logik folgt als die Anwendung von Verhaltensnormen). Der Neo-Institutionalismus hat die formale Verschiedenheit der Ermächtigungsnormen gegenüber den Verhaltensnormen aufgezeigt. Aus der Tatsache, daß Rechtsordnungen Sanktionssysteme sind, darf nicht geschlossen werden, daß das Recht nur durch Androhung von Sanktionen Pflichten setzen kann, wie Kelsen meint. Nicht jede Rechtsnorm ist eine Sanktionsnorm, und eine gültig erzeugte Norm verliert nicht ihren Rechtscharakter, wenn sie nicht in Sanktionsform auftritt. 6 6 Auf die mit der Sanktionstheorie der Rechtsnorm verbundenen Schwierigkeiten möchte ich hier nicht näher eingehen, da ich diese Problematik schon öfters behandelt habe.

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Mit der Problematik der Struktur der Rechtsinhalte ist auch die Frage der Einheit der Rechtsordnung verbunden. Der einheitliche Aufbau der Rechtsordnung durch entsprechende Kompetenzbestimmungen ist ein Postulat der analytischen Jurisprudenz, dem jedoch die Realität nicht immer entspricht. Deswegen betrachtet der Neo-Institutionalismus die Einheit der Rechtsordnung als Forderung, die nicht immer durch ein hierarchisches Ermächtigungssystem erreicht wird, sondern manchmal eher als Ergebnis einer dogmatisch ordnenden rationalen Rekonstruktion zustande gebracht wird. 7 4. Theorie und Praxis der juristischen Argumentation

Im Rechtsleben und in der zeitgenössischen Rechtsphilosophie hat das Problem der juristischen Argumentation eine zentrale Stellung. Zwei fundamentale Unterscheidungen sind zu beachten: (i) die Argumentation de lege lata und jene de lege ferenda; (ii) die logisch-deduktive Begründung und die Plausibilitätsargumentation. Man kann das Rechtssystem in zweierlei Perspektive betrachten: als gegebenes Normensystem, das Ausgangspunkt und Maßstab jeder rechtlichen Beurteilung ist - der Gesichtspunkt de lege lata; oder man stellt sich die Frage, was in der untersuchten Ordnung sein sollte, d. h. man plädiert für Rechtsregel und rechtliche Institutionen, die man als adäquat oder nichtadäquat wertet. Diese Wertung kann vom Standpunkt der eigenen Zwecke und Werte des Systems ausgehen oder aber eine Wertung vom Standpunkt eines anderen Wertesystems sein. Die Unterscheidung von de lege lata und de lege ferenda Betrachtungen ist für die juristische Methodologie fundamental, weil in den bei den Fällen ganz andere Begründungsstrukturen relevant sind. 8 Dieser Unterschied der Argumentationsweise steht aber der Tatsache nicht im Weg, daß bei der Begründung von Rechtsentscheidungen, d. h. bei Überlegungen, die Alf Ross als de sententia ferenda bezeichnet hat, beide Argumentationsweisen oft in gewisser Weise ineinandergreifen. Nicht ganz einfach ist die Beziehung der logisch-deduktiven und der Plausibilitätsargumentation: den Kern und das Grundgerüst des juristischen Argurnentierens 7 Nach institutionalistischer Auffassung ist es prinzipiell möglich, daß Recht spontan entsteht, ohne vorhergehende explizite Ermächtigung, wie es die Kelsensche Lehre von der Normenhierarchie fordert. Die hierarchische Ermächtigungsbeziehung zwischen Europarecht und dem Recht der Mitgliedsstaaten läßt sich kaum im Geiste der Kelsenschen Theorie deuten. (Wo sollte die Grundnorm stehen? Das Recht der einzelnen Mitgliedsstaaten könnte kaum adäquat als vom Europarecht ermächtigte Teilordnung betrachtet werden.) Vgl. N. MacCormick, Sovereignty, Democracy, Subsidiarity, in: Rechtstheorie 25, 1994, S. 281-290; ders., The Maastricht-Urteil: Sovereignty Now, in: European Law Journal, Vol. I, No. 3,1995, p. 250-266. 8 Die Konsequenzen, weIche die Reine Rechtslehre aus dieser Unterscheidung zieht, nämlich alle de lege ferenda, d. h. rechtspolitischen Betrachtungen als außerjuristisch anzusehen und aus der Rechtswissenschaft zu verbannen, sind aber nicht begründet.

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bilden logische Beziehungen und deduktive Begründungen. Es sind dies hauptsächlich nonnenlogische Subsumtionsschlüsse, durch die aus nonnativen Verhaltensregeln oder Sanktionsregeln Nonnen, die den Einzelfall betreffen, abgeleitet werden. Sowohl in der Rechtstheorie als auch in der Logik wird darüber gestritten, wie diese logische Bindung und das nonnenlogische Folgern konzipiert werden sollen. 9 Von der kaum haltbaren Konzeption des nonnenlogischen Skeptizismus 10 über die Meinung, daß die deontische Logik, die angemessene Theorie des nonnenlogischen Folgerns sei, bis zur Meinung, daß eine spezifische, die echte, Nonnenlogik zur Anwendung kommen muß, reicht das Meinungsspektrum in dieser Frage. 11 Mit Recht wird unterstrichen, daß im juristischen Denken an vielen Stellen Begründen im Sinne von plausibel machen stattfindet. Die Argumentationstheorie hat sich daher eingehend mit den Methoden des sogenannten rationalen rhetorischen Argumentierens befaßt. Charakteristisch für die hier herrschenden Lehren ist bei aller Verschiedenheit der Theorien, daß sie im wesentlichen als Prozeß zwischen einem argumentierenden Redner und einem Auditorium aufgefaßt werden, also ganz im Bereich der Sprachpragmatik abgehandelt werden. Ich habe dagegen dafür plädiert, die Plausibilitätsargumentation nicht nur als pragmatischen Prozeß zu betrachten, bei dem Überzeugung des Gesprächspartners geschaffen wird, sondern auch die Frage der objektiven Gültigkeit der Argumente zu erörtern. Nur in dieser Sicht kann die sachliche Kraft der Argumente von ihrer pragmatischen Auswirkung unterschieden werden, und es kann eine sachliche Optimierung der Plausibilitätsargumentation angestrebt werden. Außerdem kann man dann zwischen zwei verschiedenen Argumentationsweisen, dem nach Objektivität strebenden, suchenden Diskurs und der advokatischen Argumentation unterscheiden. 12 Für eine kritische Argumentationstheorie ist es wichtig, sachlich gute Gründe von der Überzeugung schaffenden Wirkung der Argumente zu unterscheiden. Die Argumentation hängt mit dem gesellschaftlichen Diskurs eng zusammen. Sowohl im Rechtsleben als auch in der praktischen Politik kommt es zu einem gesellschaftlichen Diskurs, der für das demokratische Leben wesentlich ist. M.E. ist die Existenz dieses Diskurses und ein erreichter Konsens zwar kein Beweis für die Richtigkeit des Ergebnisses, aber ein wichtiges Element einer demokratischen Ge9 Wichtig ist klarzumachen, daß durch das logische Folgern keine neuen Normen erzeugt werden, doch wird aus subsumierbaren Tatsachen und der Rechtsregel, die für den Einzelfall geltende Norm, die durch die Regel und die entsprechende Tatsachenfeststellung schon bestimmt ist, ,,herausgelesen". \0 S. O. Weinberger, Der normenlogische Skeptizismus, in: Rechtstheorie 17 (1986), S.13-81. 11 Dieser Fragenkomplex wird ausführlich erörtert in: O. Weinberger, Alternative Handlungstheorie, a. a. O. 12 O. Weinberger, Zur Theorie der politischen Argumentation, in: Rechtstheorie Bd. 26, 1995, H. 2, S. 163-182 (S. 329-346 dieses Bandes); ders., Überzeugen als Aufgabe, in: ARSP Vol. 81, 1995, H. 3, S. 305 - 320 (S. 347 ff. dieses Bandes).

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seilschaft, deren Funktionieren an die Existenz offener Diskurse gebunden iSt. 13 Der gesellschaftliche Fortschritt ist abhängig vom Streben nach Konsens, von kritischer Analyse und der gesellschaftlichen Zu lässigkeit von Dissens. Das Funktionieren des demokratischen Systems ist an die Idee einer offenen Gesellschaft im Sinne von K.R. Popper gebunden.

5. Probleme der funktionalen Analyse

Wenn man im Sinne der Institutionentheorien voraussetzt, daß Rechtsinstitute und gesellschaftliche Einrichtungen Leitideen dienen, dann kann man auch die Frage stellen, ob die Institutionen die Leitideen adäquat erfüllen, d. h. man kann ihre funktionale Effektivität prüfen. Die funktionale Prüfung hat verschiedene Seiten: Sie ist eine Untersuchung der Wirkungsweise der Institutionen in der sozialen Realität, wobei die vorausgesetzten Leitideen gleichsam als Maßstab dienen. Diese Beurteilung ist naturgemäß von der Feststellung gesellschaftlicher Tatsachen abhängig. Es muß ferner gefragt werden, wie die rechtlichen Bestimmungen und die Institutionen als Motive auf die beteiligten Personen wirken. Diese Frage wird nicht einfach durch Beobachtung zu beantworten sein, sondern man wird sich aufgrund allgemeiner Erfahrungen über das menschliche Handeln hypothetische Vorstellungen bilden, wie sich Normen oder Maßnahmen motivatorisch auswirken werden. Der Gesichtspunkt der vermutlich motivierenden Wirkung ist für pragmatische und rechtspolitische Überlegungen von entscheidender Bedeutung, denn davon hängt die effektive Gestaltung der Institutionen und Maßnahmen ab. Die funktionale und rechtspolitische Analyse kann aber nicht vollkommen im Rahmen der vorschwebenden Leitideen bleiben. Es werden nämlich nicht nur Effekte der Maßnahmen in jenen Bereichen erzielt, die durch die Normierung und/ oder Maßnahmen reguliert werden sollten, sondern es treten immer - wie bei jeder Handlung - auch Nebenwirkungen auf, d. h. Auswirkungen, die nicht geplant und eventuell auch nicht vorhersehbar waren. Auch solche Prüfungen der Auswirkungen gehören zur funktionalen Analyse. Die funktionale Prüfung sollte daher von anderen Instanzen durchgeführt werden als den planenden und durchführenden Subjekten. Die funktionale Beurteilung muß in verschiedenen zeitlichen Perspektiven erfolgen, denn die Zweckmäßigkeit ist je nach Zeithorizont verschieden. [Es gibt keine logische Regel, welche zeitliche Perspektive entscheidend sein sollte. Die Wahl der verschiedenen Zeithorizonte für das Werten und Entscheiden ist Sache besonderer Überlegungen.]

13 O. Weinberger, Habermas on Democracy and Justice. Limits of aSound Conception, in: Ratio Juris 1994, S. 239 - 253. V gl. auch N. Rescher, Pluralism. Against the Demand of Consensus, Oxford 1993.

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Ohne funktionale Analyse scheint mir das juristische Werten unvollständig; und es ergibt kein adäquates Bild der rechtspolitischen Realität. Allerdings sind funktionale Untersuchungen mit großer Umsicht zu machen, denn angesichts der Pluralität der funktionalen Beziehungen besteht bei funktionalen Erklärungen die Gefahr einer einseitig verkürzenden Sicht. Die funktionalen Analysen sind weitgehend hypothetische Explikationen. Täuschungen und Mißdeutungen sind gar nicht selten. Die politische Propaganda nützt die Möglichkeit, partiale Charakteristiken als entscheidend hinzustellen, in täuschender Weise und oft auch in täuschender Absicht aus. Was mit einer Normierung erreicht werden soll, wird aus politischtaktischen Gründen in den Begründungen nicht immer realistisch dargestellt. Im Feld der rechtspolitischen Argumentationen - und funktionale Analysen fallen wenigstens teilweise in diesen Bereich - sind unsaubere Argumentationen sehr häufig. Man argumentiert mittels Schlagworten, die gerade en vogue sind, und man stützt sich auf Feststellungen mittels statistischer Indikatoren, ohne zu beachten, daß diese nicht immer jene Maßstäbe darstellen, die für die behandelte Problematik relevant sind. [Man mißt z. B. den Wohlstand der Gesellschaft mittels des BIP, ohne wesentlich differenzierende Momente zu beachten, vor allem die Frage der Verteilung und soziale Momente, wie Arbeitszeit, soziale Sicherstellung, usw.] Trotz aller Schwierigkeiten, objektiv gültige Ergebnisse der funktionalen Analysen zu erlangen, kann man m.E. nicht darauf verzichten, solche Betrachtungen anzustellen.

6. Juristische Gerechtigkeitsbetrachtungen

Jedes Rechtssystem stellt sich selbst als gerechtes System dar. Es drückt sozusagen eine Gerechtigkeitskonzeption aus. Dennoch ist es sinnvoll und in vielen Situationen des Entscheidens und des Aufbaus der Rechtsdogmatik wichtig, Gerechtigkeitsfragen zu erörtern. Die philosophische Frage "Was ist gerecht?" ist ein zentrales Problem der Jurisprudenz, die sich keinesfalls mit der These zufrieden geben kann, daß das positive Recht definiert, was im Sinne dieses Systems als gerecht gilt. Es ist immer sinnvoll, das positive Recht vom Standpunkt gewisser Gerechtigkeitspostulate zu prüfen. Es bestehen sehr divergierende Meinungen darüber, was gerecht ist, ebenso wie über die Aufgabe der Gerechtigkeitstheorie. lohn Rawls, einer der einflußreichsten modemen Gerechtigkeitstheoretiker, meint, daß es die Aufgabe dieser Theorie sei, die Gesellschaft zu definieren, in der Verteilungsgerechtigkeit herrscht. Ich bin dagegen der Meinung, daß die Gerechtigkeitstheorie nicht die Aufgabe hat, die gerechte Gesellschaft im Sinne eines politischen Programms zu definieren, denn ich meine, je nach Weltanschauung und Tradition können verschiedene Gesellschaftsformen und daher verschiedene gesellschaftspolitische Programme vorgeschlagen werden. Meiner Auffassung nach ist es nicht die Aufgabe der Gerechtigkeitstheorie, ein politisches Programm zu erstellen, sondern es geht ihr vor allem um eine

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kritische Untersuchung, welche zwar nicht fähig ist, allgemein klarzustellen, was gerecht ist, aber sehr wohl Ungerechtigkeiten aufweisen kann. Die Idee der Gleichheit spielt in der Gerechtigkeitstheorie eine zentrale Rolle. Im Geiste Aristoteles' wird oft versucht, die Gerechtigkeitsproblematik auf Gleichheitsrelationen zu reduzieren. Ich glaube jedoch, daß der Begriff der Gleichheit in der Gerechtigkeitstheorie zwar eine wichtige Rolle spielt, daß aber das Problem der Gerechtigkeit nicht auf Gleichheitspostulate reduziert werden kann. Klar ist das Kriterium der formalen Gerechtigkeit: Unter gleichen relevanten Bedingungen müssen gleiche Rechtsfolgen gesetzt werden. Dieses Prinzip ist ein Anwendungsgrundsatz für jedes Rechtssystem: Gerechtigkeit kann nur dann herrschen, wenn formale Gleichheit eingehalten wird, d. h. wenn nach generellen Regeln judiziert wird. Ob die Regeln des positiven Systems inhaltlich gerecht sind, kann in dieser Betrachtung nicht beurteilt werden. 14 Ganz anderer Art sind die inhaltlichen Gleichheitsforderungen. Materiale Gleichheit ist keine Realität des sozialen Lebens; es besteht nicht einmal die Möglichkeit, universelle Gleichheit zwischen den Menschen zu schaffen. Ob man Egalität im materiellen Sinne als Ideal ansieht oder nicht, ist eigentlich irrelevant, denn wir haben nicht die Möglichkeit, für alle Menschen ein gleiches oder gleichwertiges Schicksal zu schaffen. Wenn man im Rahmen von Gerechtigkeitsüberlegungen über materielle Gleichheit nachdenkt, kann es um zweierlei gehen: (a) um die Bestrebung, einen sozialen Ausgleich zu schaffen, oder (b) um die Bestimmung der Bedingungen, unter denen von der vorausgesetzten allgemeinen Gleichheit der Menschen gerechterweise abgewichen werden kann. Es gibt verschiedene gute Gründe, warum ein gewisser sozialer Ausgleich angestrebt werden soll. Krasse soziale Unterschiede behindern die freie Gestaltung des Lebens, besonders dann, wenn auf der einen Seite Not und aussichtslose Mittellosigkeit vorliegt und auf der andern extremer Luxus. Entscheidend ist nicht nur Besitz- und Einkommensverteilung, sondern auch die Frage der sozialen Mobilität sowie die Chancen der Minderbemittelten zur Besserung ihrer Lage und zu sozialem Aufstieg. Die ökonomische Position bestimmt Macht und Ohnmacht der Menschen, allerdings im Rahmen rechtlicher Regeln. Nivellierung ist nicht zweckmäßig, aber ein gewisser Ausgleich sowie der rechtliche Schutz des ökonomisch Schwachen ist ein Desiderat, das als gerecht anzusehen ist, denn es ist eine Kompensation der Machtvorteile des ökonomisch Übermächtigen. Die Rawlssche Theorie der Gerechtigkeit, welche davon ausgeht, daß prinzipielle Gleichheit herrschen sollte, legt folgende Bedingungen für die Zulässigkeit der Ungleichheit fest: Nach dem Grundsatz der größtmöglichen Freiheit muß jedermann das gleiche Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreihei14 O. Weinberger. Gleichheitspostulate. Eine strukturtheoretische und rechtspolitische Betrachtung, in: ÖZÖR 25, 1974, S. 23 - 38.

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ten gewährt werden, das mit dem gleichen System von Freiheiten für alle anderen verträglich ist. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, daß sie a) zu jedermanns Vorteil dienen und daß sie b) mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen. Nivellierende Gleichheit ist weder ein realistisches noch ein zu wirtschaftlicher Effizienz führendes Ziel. Ob die Rawlsschen Bedingungen die Kriterien für eine gerechte Gesellschaft adäquat bestimmen, ist eine komplexe Frage, die hier nicht diskutiert werden kann. 15 Ich zweifle unter anderem deswegen daran, weil ich wie schon oben erwähnt - die Aufgaben der Gerechtigkeitstheorie anders sehe als Rawls. M.E. kommt man mit Gleichheitsüberlegungen nicht aus, sondern muß die Frage "Was ist gerecht?" in mehreren Dimensionen betrachten und Gerechtigkeitsprobleme als kritische Analysen, nicht als politisches Programm der Güterverteilung konzipieren. Ich möchte hier auf drei Dimensionen der Gerechtigkeitsproblematik hinweisen. Postulate der gerechten Anwendung des Rechts: Grundlegend ist das Postulat der Jor11Ullen Gleichheit, welches mit der Forderung gleichwertig ist, daß nach generellen Regeln vorzugehen ist, die sachliche Bedingungen für die Rechtsfolgen festlegen. Wenn gerecht geurteilt werden soll, dann muß die Anwendung universeller Regeln an wahre Tatsachenfeststellungen anknüpfen (Postulat der wahren SachverhaltsJeststellung). Dieses Postulat ist eine banale Selbstverständlichkeit, aber in der Rechtspraxis ein schwieriges Problem. Da Gerechtigkeit nicht nur in der richtigen Wertung besteht, gilt auch das Postulat der Realisation: Die durch die Rechtsregel und die Sachverhaltsfeststellung bestimmten Rechtsfolgen sind in die Tat umzusetzen. Es ist ein rechtspolitisches Desiderat der Gerechtigkeit, solche Methoden des Rechtsverfahrens einzusetzen, welche die Wahrscheinlichkeit gerechter Entscheidungen maximieren (Postulat der Verfahrensgerechtigkeit). Das ausgewogene Rollenspiel: Durch gesellschaftliche Institutionen werden Rollenspiele konstituiert, d. h. es werden Aufgaben, Rechte, Pflichten und Kompetenzen der beteiligten Personen festgesetzt. Das Rollenspiel ist ein Komplex aus Sollen, Dürfen und Können, aus Ansprüchen und Erwartungen, aus Tätigkeiten und Verhaltensanpassungen. Es gehört zur menschlichen Lebenssituation, daß die Ausgewogenheit des Rollenspiels in der Institution immer ein Gerechtigkeitsproblem aufwirft. [Es wird z. B. als ungerecht erscheinen, wenn der eine den gesamten Gewinn erhält, der andere aber allein das Risiko trägt.] Gerechtigkeitsideen: Da die Idee der Gleichheit zur Konstitution einer Gerechtigkeitskonzeption nicht hinreicht, muß die Gerechtigkeitstheorie über Kriterien nachsinnen, welche die Gerechtigkeitskonzeption bestimmen. Soweit man bei dem Problem der Verteilungsgerechtigkeit bleibt, sind Zuteilungsgründe zu diskutieren. 15 J. Rawls. Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt a.M. 1975; 0. Weinberger. Begründung oder Illusion. Erkenntniskritische Gedanken zu John Rawls' Theorie der Gerechtigkeit, in: ders., Logische Analysen in der Jurisprudenz, Berlin 1979, S. 195-216.

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Es ist kaum überzeugend, ein einziges Kriterium der Zuteilung (Leistung, Mühe, Bedarf, Qualifikation, ... ) allein als entscheidend zu nehmen. Und es fragt sich auch, ob diese Zuteilung der Güter in den Verteilungsprozessen überhaupt primär durch wertende Argumentation bestimmt sind und nicht eher durch Marktprozesse, Machtrelationen und institutionelle Strukturen. Ich teile zwar nicht die Meinung von Hayeks, daß von sozialer Gerechtigkeit überhaupt nicht gesprochen werden sollte, da gerechte Verteilung und gerechter Lohn weitgehend rational unbestimmbar sind, doch können Analysen, durch die soziale Gerechtigkeit angestrebt werden, nicht rational konstruktiv, sondern nur als korrektive Bestrebungen realisiert werden. Gerechtigkeitstheoretische Untersuchungen stoßen m.E. vor allem auf folgende Probleme, die gerade in der heutigen Zeit aktuell sind. Es geht darum, den Menschen freie Lebensgestaltung und freie wirtschaftliche Aktivität sicherzustellen. Es ist aber offensichtlich, daß die wirtschaftliche Freiheit selbst nicht immer eine Optimierung der gesellschaftlichen Prozesse mit sich bringt. Die Adam Smithsche unsichtbare Hand, welche rein gewinnstrebige Aktivitäten des einzelnen Unternehmers zum gesamtgesellschaftlichen Nutzen werden läßt, darf nicht als allgemeines Prinzip gedeutet werden, daß die Unternehmungsfreiheit immer zu einer gesellschaftlichen Optimierung führe. Die BSE-Seuche und die ungeheuren Probleme, die mit ihr verbunden sind, beweisen, daß der nur gewinnstrebige Prozeß nicht zu nützlichen und moralisch vertretbaren Wirtschaftsformen führt. Im Gegenteil inhumane Tierhaltung statt artgerechter, allgemein bedrohliche Schäden und sehr ernste Umweltprobleme können aus der rein gewinnorientierten Wirtschaftsform resultieren. Die Wirtschaftsfreiheit als Grundsatz der gerechten (guten) Gesellschaft gerät in Konflikt mit der Solidaritätsidee, die nach weitverbreiteter und m.E. berechtigter Meinung ein Motiv des Gerechtigkeitsstrebens ist. Die Wirtschafts form, welche zur Zweidrittel-Gesellschaft hin strebt, d. h. ihrer Struktur nach - nicht nur als augenblickliche Krise - zur Massenarbeitslosigkeit führt, kann nicht als System der Gerechtigkeit gelten. Wenn wir Gerechtigkeitsprobleme im Geiste eines demokratischen Weltbildes betrachten, dann erscheinen uns die Leitideen der Demokratie (gesellschaftliche Willensbildung, Menschenrechte, Minderheitenschutz, ... ) als Bestandteile der Gerechtigkeitstheorie. 16 Gerechtigkeit ist im Prinzip konservativ: sie strebt nach Rechtssicherheit sowie Rechtsfrieden und tritt für den Schutz wohlerworbener Rechte ein. Gleichzeitig suchen wir eine Entwicklung der Institutionen zu mehr Gerechtigkeit und eine Vertiefung der Gerechtigkeitsideale. Die konservative und reformatorische Gerechtig-

16 Vgl. O. Weinberger. Leitideen der Demokratie, in: ders., Moral und Vernunft. Beiträge zu Ethik, Gerechtigkeitstheorie und Normenlogik. Wien, Köln, Weimar 1992, S. 261-273.

21 Weinberger

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keit stehen zueinander in einem Spannungs verhältnis, in dem relative Wertentscheidungen erforderlich werden. Unsere Gerechtigkeitsvorstellungen werden beherrscht vom Prinzip der gerechten Belohnung und Strafe, deren Begründung rückschau end ist; Kriterien sind Verdienst oder Schuld; die vorherrschende Wirkungsweise ist Vergeltung und Repression. Ich plädiere jedoch für eine eher prospektive Gerechtigkeit. Es geht darum, tragfähige Institutionen zu schaffen für ein zukünftiges Zusammenspiel der menschlichen Aktivitäten. Insbesondere in völkerrechtlichen Relationen sind historische Gesichtspunkte und Reminiszenzen oft Hindernisse für die Gestaltung friedlicher Kooperation. Die gesellschaftliche Moral ist im Wesentlichen auf die Zwecke und Interessen der Gemeinschaft orientiert (wie diese auch immer definiert sein mag). Traditionell gilt die gemeinschaftliche Zweckorientierung der Gerechtigkeitsanalyse. Die Tatsache, daß in der modemen Welt der Einzelne in der Regel mehreren Gemeinschaften angehört, und die Tatsache des Nebeneinanderbestehens verschiedener Gemeinschaften führen dazu, daß heute das vorrangige Ziel gilt, zwischengemeinschaftliche Beziehungen zu konstituieren. Die Gerechtigkeitsideale unserer Zeit sind in den Dienst der Kommunikation zwischen Gemeinschaften, zwischen Kulturen und zwischen politischen Systemen zu stellen. Aus den vorgelegten Überlegungen geht hervor, daß der Neo-Institutionalismus, obwohl er eine logizistische Strukturtheorie des Rechts ist, ein breiteres Feld inhaltlicher und wertender Rechtsbetrachtungen ins Auge faßt als die traditionelle Jurisprudenz.

Objectivity and Impartiality in Moral and Legal Argumentation Objectivity and impartiality are ideals of practical philosophy. But what these ideas really mean and in which sense argumentation can be objective and judgeme nt impartial in moral and legal argumentation must be carefully investigated.

Objectivity of Knowledge versus Non-Objectivity of Practical Views In the field of knowledge objectivity is connected with the fact that there is in principle a possibility to check the truth of our theses by experience, namely by direct or indirect observation. Even if we accept the view of constructivism that judgements about facts and their relations (expressed in empiricallaws) are dependent on a theoretical framework for empirical recognition in every framework for the knowledge of real facts there is methodological advice of testing (verifying and falsifying) the findings. This implies that knowledge is conceived of as a description of an objective reality, and the truth of theses about this reality can be tested by observation. In the field of practical philosophy objectivity in an analogous sense Iike in empirical sciences is not justified. Moral and legal theses have no descriptive meaning, and therefore they cannot be tested by mere observation. We may scrutinize the acceptability of practical principles, and we may do this also by help of experience, realizing a so-called rectijication. nameJy a process wh ich is analogous to the verification of descriptive findings insofar as it is based on experience; but rectification is principally different from verification or falsification as rectification cannot be decided by mere observation of facts. Rectification is necessarily connected with evaluating the observed or experienced results of the application of the respective principle. The criteria of evaluation are dependent on the subject's attitude, i.e. they are relative in respect to the system on the basis of which we are considering the matter. There are, of course, value-theoretical conceptions which suppose that there is a universally valid objective standard for moral (and therefore also for legal) evaluation. I would like to mention two kinds of such conceptions: (a) the religious belief that there is a revealed standard of morality, and (b) the opinion that the rule of maximizing utility provides an objective mechanism for choosing the best possible alternative in every given situation. 21'

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Ad (a): In fact the religious foundation of the criterion of morality is not a matter of objective proof but of faith or authority reasons. The interpretation of religious sources is under hermeneutic dispute and not univocal - as history shows. And there always remains the problem of adaptation of the moral standards to the actual social reality. Only fundamentalistic conceptions try to deny this dependence of vaIue principles on the actual social situation. But history shows the variability of religious "truth" even if they are based on the same believed revelation. Ad (b): The maximization of utility in fact is not an objective criterion, because utility is a relative concept - based on different cIasses of accepted purposes and preferences, but not an univocal and objective measure: utility is formed as a complex of purposes accepted by a subjective system and the purposes are applied with different weights. There is no objective utility, but only a system-relative utility. The postulate of utility maximization does not lead to an objective evaluation, but is only a device for using different systems of utility conceptions. I The argumentation based on the notion of utility is influenced and partiaIly distorted by the parallel with the use of money. We may concIude that there is no objectively valid universal moral standard, but only different moral systems dependent on culture and actual ideology or philosophical construction. Under the presupposition of a certain standard (expressed by a fixed moral system or a codex of law) relatively objective value judgements can be justified. But even this relative objectivity is not strictly realizable in practice; the relative weight of views determining the evaluation are not given in an operable way, so that in fact the judgement is not determined by simple subsumption, but often more or less dependent on a concrete value decision.

The Notion of Impartiality Impartiality is a notion which is related to the ideal of objectivity. If we have to give an opinion about the conflicting interest situations of two or more persons we are bound to impartiality, namely we have to use "objective" criteria which have precedence over the subjective wishes of the parties, their personal preferences and their subjective interests. In so me way we all are convinced of the judges' and the moral arbitrators' duty to be impartial. But there remain doubts concerning the realizability of impartiality stricto sensu. Another formulation of impartiality which is independent of the problematic notion of the objectivity of the criteria of value judgements is the postulate of equal concern of the situation of all parties involved in the evaluated situation. I The illusion that there is utility as an objective fact has had detrimental consequences also in the theory of utilitarianism and in economic theory.

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Impartiality is an ideal which characterizes the good judge or the honest moral arbitrator. But from the methodological point of view it is not easy to define the role of an impartial judge or arbitrator. Impartiality has two features which can be easily explained. But they are not sufficient for defining genuine impartiality. It is in the first place the position of an arbitrator, namely the position of a third person who judges the situation and the moral relation as an independent person who is not a partisan of either of the persons involved whose interests may conflict. The arbitrator may not like one of the persons more than the other. And, secondly, the decision of the arbitrator should be determined by a codex of morality or of law which is the basis of the kind of judgement under consideration. Both features are c1ear, but they do not suffice to define and guarantee the realization of impartiality in the ideal conception.

Methodological Problems of Impartiality In fact there does not exist an impartial judgement per se, but any practical judgement is possible only on the basis of a given standard or / and a system of preferences. The negative definition of impartiality, namely not to give more weight to the view or the interests of one party than to the other by not giving equal concern to both persons concerned does not provide a possible standard or rule for deciding. Principally there cannot be an objective practical standard per se, but only acutally accepted standards, rules or / and preferences which justify the decision. From this fact follow important methodological problems of the requirement of impartiality: 1. Impartiality is possible, and the requirement of impartiality is meaningful only on the presupposition of a practical system of rules, value standards and preferences. This frame for deciding impartially may be a given legal system or an accepted system of social morality. 2. The role of an impartial arbitrator can be established only by presupposing a system of practical rules, value standards and preferences. Impartiality as an objective view without determination by an accepted practical system is a non-entity, because without presupposed practical rules how to evaluate there cannot exist any practical decision. 3. But in practice even on the basis of a presupposed value system - expressed in rules, standards or / and preferences - absolute impartiality is not realizable. In fact additional decisions besides judgement on the basis of given rules are mostly indispensable. The arbitrator can realize only such a thing as an equal concern of the parties involved, but he applies in any practical case an additional evaluating competence which is not exhausted by applying "impartially" the given system, but is a value decision of the arbitrator hirnself. Therefore he has to be considered

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Objectivity and Impartiality in Argumentation

responsible not only concerning his aim to provide equal concern for the parties, but also for his value influence by deciding the case. 4. In all cases of some complexity the arbitrator's decision is not only an aIl-ornothing subsumptive judgement, but a result of an evaluating process based also on principles and on teleological consideration. The different arguments are used with different weights. In hard cases the weights of arguments are not clearly predetennined, but they are attributed to the arguments by a reflection (and adecision) of the arbitrator. It is, of course, a great merit of Ronald Dworkin that he has explained the different detenninants in such argumentation. 2 But we must comment - and then reject - two of his theses concerning this problem: Firstly, the view that principles are elements of naturallaw. Principles are not valid "by nature", but they are elements of the given positive legal system under consideration: a given principIe may be valid in one system, but not in the other. Secondly, the field of principIes and relevant policies is not ordered in such a way that an optimal judge or arbitrator - a Hercules-judge in Dworkin's tenninology - would be able to state rationally and univocally the sole correct decision. The judgement of individual situations has nearly always an important element of discretion which is in fact not predetennined by rules, principles and value standards and their relative weights. Therefore impartiality in the strang sense is impossible. In the realm of law decisions are controlled and checked by the discoursive influence of instances of the legal pracess as weIl as by political control, and by critical comments of jurisprudence. In the field of morality there always remains an open discoursive situation; we should realize practical discourses in the democratic society in a mi nd of tolerance and with the aim to apply rational argumentation based on empirical findings as weIl as on careful value consideration. The postulate of impartiality is the expression of a useful ideal, but not a postulate which could be realized in a strictly objective way. The postulate of impartiality cannot replace discourses concerning legal or moral questions.

2 R. Dworkin, Taking Rights Seriously, London 1977. Cf. also: O. Weinberger, Die Naturrechtskonzeption von Ronald Dworkin, in: idem, Moral und Vernunft, Vienna, Cologne, Wei-

mar 1992, p. 201-220.

111. Demokratietheorie und andere politische Fragen

Zur Theorie der politischen Argumentation* Magnifizenzen, Spektabilitäten, werte Gemeinschaft der Alexander von Humboldt-Stiftung, meine Damen und Herren! Es ist für mich eine besondere Freude, daß ich heute anläßlich der Grazer Tagung der Humboldt-Stiftung diesen Vortrag halten darf. Ich fühle mich der Idee und Gemeinschaft der Humboldt-Stiftung zutiefst verbunden, nicht nur, weil ich aufgrund des Humboldt-Preises ein Jahr in der Bundesrepublik arbeiten durfte \ sondern vor allem, weil der Leitgedanke und die Praxis dieser Stiftung meinem Weltbild und meiner Lebenseinstellung entsprechen: Ich glaube genau wie diese Institution an die völkerverbindende Funktion der Wissenschaft; ich kämpfe für das Ethos der Internationalität und bin von der fortschrittlichen Rolle der Zusammenarbeit der Wissenschaftler überzeugt, und zwar nicht nur in den Naturwissenschaften und in der Technik, sondern auch im Feld der Sozial- und Geisteswissenschaften. Wir brauchen - dringender als technischen Fortschritt - Ideen und Beiträge zur Lösung sozial-politischer Probleme. Kriegerische Auseinandersetzungen, die Nicht-Existenz einer echten Friedensordnung, sehr hohe Arbeitslosigkeit, die Existenz von bitterer Armut und Aussichtslosigkeit auch in reichen Gesellschaften, die drohende Bevölkerungsexplosion, die ökologische Problematik und die Gefahr von Wirtschaftskrisen belegen, daß wir die wichtigsten gesellschaftlichen Probleme nicht im Griff haben. Es geht nicht darum, spekulative Vorschläge für die Gestaltung einer idealen Gesellschaft vorzulegen, sondern darum, wenigstens Partialerkenntnisse über die Struktur der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu erarbeiten, die für das Leben der modernen Gesellschaft weiterführend sein werden.

Die Problematik meines Vortrags

Mein Vortrag soll einen Aspekt unseres politischen Lebens analysieren: das Argumentieren in der Politik und in der demokratischen Gesellschaft. Politik ist sozial relevantes Handeln. Es muß immer das "Was" und "Wie" des politischen Handeins gesucht und begründet werden. Daraus erklärt sich die zentrale Rolle der politischen Argumentation für die Entwicklung politischer Konzep-

* Dieser Text ist eine erweiterte Fassung des Festvortrags, den ich am 19. April 1995 beim Kolloquium der Alexander von Humboldt-Stiftung in der Aula der Karl-Franzens-Universität Graz gehalten habe. I Ich möchte bei dieser Gelegenheit nochmals meinen Gastgebern Prof. Dr.Dr. Dr. h.c. Werner Krawietz, Münster, Prof. Dr. Lothar Phillips, München, und Prof. Dr. Ernst-Joachim Mestmäcker, Hamburg, für die entgegenkommende und fruchtbare Zusammenarbeit danken.

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tionen sowie bei der gesellschaftlichen Verbreitung politischer Meinungen und Programme. Ich werde mich mit der Theorie der politischen Argumentation befassen; ich werde aber kein Plädoyer für eine bestimmte politische Auffassung halten. Daß aus den theoretischen Analysen und Überlegungen auch Folgen für das politische Programm ableitbar sein können, möchte ich natürlich nicht leugnen. Diese sind aber nicht Gegenstand meiner Betrachtungen. Einzelne politische Thesen werden nur gelegentlich als Beispiele angeführt, um Mängel der Argumentationsweise in der politischen Praxis und in der Theorie der Politik aufzuweisen. Ein geistesgeschichtlicher Rückblick zeigt, daß die Theorie des Argumentierens in der Entwicklung der Wissenschaften und des philosophischen Denkens eine bedeutende Rolle gespielt hat. Wenigstens seit Aristoteles und den Stoikern gab es systematische Reflexionen über Begründen und Beweisen in allgemein strukturtheoretischer Sicht. Diese Überlegungen bewegten sich in zwei Richtungen: Das Studium des Beweisens führte zur Grundlegung der Logik und zur Theorie des systematischen Aufbaus der Wissenschaften; Überlegungen über das Begründen und intersubjektive Überzeugen führten zur Entwicklung der Rhetorik und deren besonderen Zweigs, der Eristik. Es ist interessant, daß auch in anderen Kulturen, nämlich in Indien und China, ähnliche Entwicklungen in Ansätzen auftraten. 2 Die Motivation zu argumentationstheoretischen Studien entspringt aus zwei Quellen, dem Bedürfnis des Beweisens und möglichst objektiven Begründens in den Wissenschaften und dem Wunsche, Rechtsanwälten und Politikern praktische Anleitungen zum erfolgreichen Argumentieren anzubieten. Im Feld der Pragmatik des Überzeugens wurde in der Eristik eine Lehre entwickelt, wie im Disput die schwächere Position zur stärkeren, d. h. zur überzeugenderen, gemacht werden kann. Unsere geistige und kulturelle Entwicklung stand im Zeichen der empirisch fundierten und logisch aufgebauten wissenschaftlichen Systeme. Vor allem im Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften wurden Theorien des Argumentierens entwickelt. Die Problemsicht dieser theoretischen Ansätze ist pragmatisch orientiert, d. h. sie ist ganz auf zwischenmenschliche Kommunikation sowie auf das Überzeugen von Gesprächspartnern und auf Konsenssuchen gerichtet. Drei Ansätze scheinen mir beachtenswert: Perelmans Theorie der Plausibilitätsargumentation (Ja nouvelle rhetorique), Habermas' Diskursphilosophie und die hermeneutische Philosophie Gadamers. 3 Es sind interessante Beiträge zu unserer Siehe I. Bochenski. Formale Logik, Freiburg, München 1956. Vgl. eh. Perelmanl L. Olbrechts-Tyteca. Traite de I' Argumentation. La nouvelle rhetorique, 2. Aufl., Brüssel 1970; J. Habermas. Wahrheitstheorien, in: H. Fahrenbach (Hrsg.), Wirklichkeit und Reflexion, Pfullingen 1973, S. 211-265; ders., Theorie des kommunikativen Handeins, Bd. I und 11, Frankfurt 1981; H. G. Gadamer. Wahrheit und Methode, 5. Aufl., Tübingen 1986. 2

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Problematik. Meinen Standpunkt zu diesen Theorien kann ich hier nur ganz kurz andeuten. Perelman konzipiert das Argumentieren als pragmatischen Prozeß, der zwischen einem Redner und seinem Auditorium stattfindet. Es wird zwischen Überreden und rationalem Überzeugen unterschieden. Die rhetorische Argumentation erlangt rationalen Charakter, wenn sie als an ein universelles Auditorium gerichtet gedacht wird. Durch die regulative Idee des universellen Auditoriums sollen subjektive und rein emotionale Argumente ausgeschlossen werden. Ich bin jedoch der Meinung, daß diese Idee nicht ausreicht, das rationale Argumentieren zu definieren. Als entscheidend betrachte ich die Berücksichtigung des suchenden Prozeßcharakters der rationalen Argumentation und die Anwendung objektiv fundierter guter Gründe. Da das universelle Auditorium von der gegebenen Kultur und den herrschenden allgemeinen Meinungen abhängt, ist eine von dieser Realität ausgehende Argumentation nicht fähig, gegenüber den Zeitmeinungen kritisch zu sein und neue Konzeptionen argumentativ zu stützen. Und dies ist für die geistige Dynamik entscheidend.

Die Habermassche Diskursphilosophie beruht auf der m.E. sehr problematischen Kernidee, daß Rationalität als kollektiver Prozeß eine Sache interpersonaler (also pragmatischer) Prozesse sei; Rationalität wird also dem individuellen Denken gegenübergestellt. Der Autor unterscheidet zwei Typen von Diskursen: reale und ideale Diskurse. Diese seien herrschaftsfrei, universell zugänglich und zeitlich unbegrenzt. Argumente werden ausschließlich nach ihrer Überzeugungskraft im Diskurs gewertet: Gute Gründe sind solche, die überzeugen. Wahrheit (und Richtigkeit) wird als universeller Konsens im idealen Diskurs definiert. Ich halte dies alles nicht nur für falsch, sondern für sehr schädlich für die Wissenschaftsmethodologie und die politische Philosophie. Rationale Prozesse sind Operationen, deren Geltung weder vom einzelnen Denker noch von der Kollektivität des Argumentierens abhängt. Der Begriff des idealen Diskurses ist eine schlechte Idealisierung, nicht nur, weil solche Diskurse ex definitione nicht existieren, sondern vor allem deswegen, weil sie nicht das Wesentliche der Effektivität des Diskurses treffen. Wirkliche Herrschaftsfreiheit gibt es nicht, und sie ist nicht immer das wesentliche Moment für die Offenheit und Effektivität des Meinungsstreits. Es gab auch immer wieder entgegen Herrschaft und Macht fortschrittliche Diskussionen (vgl. das Wirken der Dissidenten), und Herrschaftsfreiheit garantiert in keiner Weise, daß das Denken effektive Methoden der Erkenntnis realisieren wird. Übereinstimmendes Meinen garantiert in keiner Weise objektive Wahrheit oder Richtigkeit. Die begriffliche Konstruktion der Konsenswahrheit ist logisch mangelhaft: Es ist nämlich nicht bewiesen und nicht beweisbar, daß der fortschreitende Diskurs sich genau einem Grenzwert nähert. Es muß im Diskurs keine Konsensannäherung an einen Wert geben. Ein Grenzwert (hier die Konsenswahrheit) darf nur dann eingeführt werden, wenn Konvergenz zu einem Wert nachgewiesen ist. Das Streben des Philosophen und Wissenschaftlers wird durch die Diskursphilosophie von der methodologischen und Beweisproblematik abgelenkt und auf das bloße Konsenssuchen

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konzentriert. Diese Einstellung ist äußerst schädlich. Wenn die allgemein akzeptierte Meinung Wahrheitsmaßstab ist, dann leugnen Kritik und Dissens die Wahrheit. In Wirklichkeit wird aber die geistige Dynamik nur durch ein offenes Zusammenspiel von Konsenssuchen und Dissens getragen. 4 Die hermeneutische Philosophie bezieht sich auf die zwischenmenschliche Kommunikation und unterstreicht mit Recht, daß das Verstehen und Deuten von Kommunikaten ein aktiver Prozeß ist, dessen Struktur analysiert und erkannt werden kann. Verstehen und Deuten ist abhängig von Verarbeitungsprozessen, die situations- und intentionsgebunden sind. Das, was aus der Mitteilung herausgelesen wird, ist nicht nur durch die Nachricht selbst, sondern auch durch die erfassende Bearbeitung bestimmt. Die Berücksichtigung des aktiven Beitrags des verstehenden und deutenden Subjekts ist ein Moment, das für das Verständnis der intersubjektiven Argumentationsprozesse und der Propaganda essentiell ist. Zwei Momente der hermeneutischen Philosophie sind aber für mich nicht akzeptabel: einerseits die Meinung, daß die Verstehensprozesse nicht-logische Struktur haben (und zwar vor allem wegen des sogenannten hermeneutischen Zirkels) und andererseits, daß die hermeneutische Theorie des Verstehens mit der Lehre jener Disziplinen, in denen Verstehen zur Anwendung komme, zu einer unzertrennbaren Einheit zusammenfließe.

Meine Zutrittsweise zur Argumentationstheorie Ich werde für meine Betrachtungen wesentlich andere Ausgangspunkte wählen als die angeführten Autoren, denn ich bin davon überzeugt, daß diese Problematik nicht adäquat behandelt werden kann, wenn man die Untersuchung auf das Feld der Sprachpragmatik beschränkt. In Gegenüberstellung zu den angeführten Lehren möchte ich meine Zutrittsweise zur Argumentationstheorie durch folgende These charakterisieren: Die Kernfrage der Argumentationstheorie ist die Beziehung zwischen der sachlichen Geltung von Argumentationen und der Pragmatik des interpersonalen Überzeugens. Daher kann die Argumentationstheorie nicht bloß im Bereich der Pragmatik des Überzeugens abgehandelt werden, sondern es sind immer auch die sachlichen Strukturen des behandelten Gegenstandsbereichs mit in Betracht zu ziehen. Nur unter dieser Bedingung kann die Wahrheitsstrebigkeit und der gesellschaftliche Wert des Diskurses beurteilt werden. Ich glaube an die heuristische Bedeutung des Meinungsstreits und bin von der kulturellen und politischen Rolle gesellschaftlicher Diskurse überzeugt, meine je4 O. Weinberger, Basic Puzzles in Discourse Philosophy, in: Ratio Juris, 1996, S. 172 - 81 ; ders., Conflicting Views on Practical Reason. Against Pseudo-Arguments in Practical Philosophy, in: Ratio Juris, Vol. 5, No. 6, 1992, S. 252-268; ders., Habennas on Democracy and Justice. Limits of aSound Conception, in: Ratio Juris, Vol. 7, No. 2, 1994, S. 239- 253.

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doch im Gegensatz zu Habermas, daß Diskursergebnisse nicht als Wahrheits- und Richtigkeitskriterien anzusehen sind. Die demokratische Gesellschaft braucht den offenen Diskurs, der aber oft durch verschiedene Momente gestört wird. Ich widme daher meine besondere Aufmerksamkeit jenen Momenten, welche die Gefahr implizieren, daß die moderne Informationsgesellschaft zu einem Indoktrinationssystem entartet.

Zwei Typen von Argumentationen Die Argumentationstheorie bezieht sich auf zwei Typen von Argumentationen: 1. auf das sachliche Begründen von Thesen oder I und praktischen Einstellungen mittels guter Gründe und 2. auf Prozesse des intersubjektiven Überzeugens. Nur durch Unterscheidung dieser bei den Aspekte des Argumentierens kann man zu einer brauchbaren Argumentationstheorie gelangen, die auch etwas über die Geltung von Argumenten aussagen und die sich der wichtigen Aufgabe stellen kann, nicht nur die Entstehung von Überzeugungen durch interpersonale Prozesse festzustellen, sondern auch dem Problem nachzugehen, ob sich diese Prozesse sachlich stichhaltigen Ergebnissen nähern. Nur unter dieser Voraussetzung kann man versuchen, die Bedingungen des geistig und gesellschaftlich förderlichen Diskurses zu erörtern. Die Frage, was sachlich gute Gründe sind, ist natürlich eine sehr komplexe Frage und die Antwort vielgestaltig, denn sie ist abhängig vom Betrachtungsbereich. Es scheint mir sogar problematisch, ob es überhaupt eine erschöpfende Antwort auf diese Frage gibt. Da wir keinen vollständigen Katalog möglicher Probleme und Problembereiche zur Verfügung haben, kann auch das gültige Begründen in den möglichen Bereichen nicht apriori erschöpfend dargestellt werden. Die Methodologie des jeweiligen Problembereichs bestimmt, was in dem in Erwägung stehenden Feld als sachlich gültige Begründung fungiert. Und auch dies kann von der theoretischen Konzeption des Bereichs abhängig gemacht werden, d. h. je nach der methodologischen Zutrittsweise kann der Charakter der guten Gründe variieren. Niemals kann man aber die Bestimmung der sachlich guten Gründe durch die Feststellung ersetzen, daß von einem bestimmten Auditorium gewisse Behauptungen als überzeugende Gründe für eine These anerkannt werden. Eine kritische Argumentationstheorie wird von vornherein blockiert, wenn man die Qualität von Gründen in Habermasscher Weise mit ihrer pragmatischen Überzeugungskraft für ein Auditorium identifiziert; und eine Bewertung der gesellschaftlichen Diskurse und Meinungsbildungsprozesse nach ihrer geistigen und aufklärenden Bedeutung würde völlig unmöglich gemacht, wenn man nicht zwischen sachlich guten Gründen und überzeugender Auswirkung von Argumenten unterscheiden würde. Ohne diese grundlegende Unterscheidung gäbe es keinen Unter-

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schied zwischen dem propagandistischen Wirken von Wahnfanatikern, die manchmal erfolgreich - für Hexenglauben, Rassenwahn und Heiligen Krieg argumentieren, und der Begründung von Feststellungen historischer Tatsachen, von wirtschaftlichen Zusammenhängen oder von Prognosen (z. B. über das morgige Wetter oder die drohende Bevölkerungsexplosion). Wenn die Argumentationstheorie einen sinnvollen Beitrag zur Analyse des Argumentierens in der Sozialphilosophie und in der Politik liefern soll, dann muß man gute Gründe von der akzeptanzschaffenden Kraft der Argumentationen unterscheiden. Nur wenn man das Doppelantlitz des Argumentierens beachtet: auf der einen Seite die sachliche Geltung der Argumentation und das Hervorrufen von Überzeugung auf der anderen, kann man zu einer brauchbaren Argumentationstheorie gelangen. Bei der Betrachtung politischer Agumentationen, um die es mir heute vor allem geht, interessieren uns nicht nur die überzeugungschaffenden Wirkungen, sondern immer auch die Frage, ob die Argumentationen und Diskurse zu einer gesellschaftlichen Optimierung der Erkenntnis und der gesellschaftlich relevanten Entscheidungen führen. Ich möchte nun meinen, im wesentlichen handlungstheoretisch orientierte Zutritts weise zur Argumentationstheorie darlegen, um dann in einem nächsten Schritt die allgemeinen und die aktuellen Probleme der politischen Argumentation zu erörtern. Meine Ausführungen werde ich mit einigen Bemerkungen zur Rolle des Argumentierens in der demokratischen Gesellschaft und mit dem Hinweis auf die politisch relevanten Aufgaben der Gesellschaftswissenschaften und der Philosophie abschließen.

Das Thema der Argumentation

Bei jeder Argumentation geht es um ein Thema, das zur Debatte steht. Dieses Thema sei in Anlehnung an die Terminologie der logischen Beweistheorie ,These' oder ,Probandum' genannt. Das heißt, ich verwende diese Termini nicht nur als Bezeichnung des Gegenstandes des Beweises, sondern auch des Gegenstandes rhetorischer Argumentationen, d. h. des Themas, das durch Argumentationen plausibel gemacht werden soll. Das Thema der Argumentation kann kognitiven oder praktischen Charakter haben. In der pragmatischen Argumentation können auch reine Tatsacheninformationen die Funktion von praktischen Motivatoren haben. Wenn mir mein Beifahrer im Auto sagt "Es ist rot", hat dies die Funktion einer Aufforderung, stehen zu bleiben.

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Die Entstehung von Akzeptanz Sachliche Einsicht oder die Akzeptanz von Wertestandards und praktischen Einstellungen können entstehen: (a) direkt durch unmittelbare Lebenserfahrung, (b) durch Beweis oder plausibelmachende Begründung, oder (c) durch unkontrollierte emotionale Einwirkungen. Wenn ich einen guten Apfel esse, entsteht aufgrund dieser Erfahrung - nicht im Wege einer rationalen Argumentation - eine positive Einstellung zu dieser Apfelsorte mit direkten Auswirkungen auf mein zukünftiges Handeln. Es liegt hier kein interpersonaler Argumentationsprozeß vor, meist nicht einmal ein inneres begründendes Gespräch, aber eine Veränderung der Handlungsbereitschaft und der Erwartungen gegenüber möglichen zukünftigen Ereignissen, etwa einem nächsten Konsum eines Apfels der gleichen Sorte. Im Falle (b), d. h. bei Argumentationen, handelt es sich um indirektes Begründen, das immer relativ zu vorgetragenen Gründen ist. Das Proband um wird durch Argumente gestützt, und die Argumentation gilt nur dann, wenn die verwendeten Argumente gelten. Jeder Beweis und jedes Plausibelmachen gilt nur relativ zur Wahrheit oder Geltung der Argumente. 5 Der Beweis gilt, wenn aus den Argumenten die These logisch folgt, die Plausibilitätsbegründung, wenn die Argumente gute Gründe für die Plausibilität der These darstellen. Es gibt auch außerargumentative Auswirkungen des Redners auf den Adressaten [im Sinne von Punkt (c)], die pragmatisch nicht bedeutungslos sind, aber nur Randzonen des Argurnentierens betreffen. Der Charme eines wahlwerbenden Kandidaten kann den Adressaten dazu bringen, ihn zu wählen - ziemlich unabhängig vom geistigen Inhalt seiner Rede. Der Redner wirkt in einem solchen Fall nicht durch Argumente, sondern durch emotionale Momente. Es gibt natürlich auch andere unkontrollierte Einwirkungen auf Personen, die für ihre Haltung bestimmend sind. Sie können bewußte oder unbewußte Reaktionen sein. Es können dies Auswirkungen der Erziehung sein oder Reminiszenzen ideologischer Indoktrination, gegebenenfalls auch Meinungen, die der Adressat der neuen Mitteilung schon längst überwunden zu haben meint. Die Vergangenheit ist aus der Seele nie ganz ausgelöscht. Nur am Rande sei angemerkt, daß auch die Praxis des wissenschaftlichen Diskurses nicht rein rational ist: Auch hier haben emotionale Momente Einfluß auf die Akzeptanz von Meinungen. Problematische Lehrmeinungen oder Argumentationen werden akzeptiert, wenn sie von berühmten Autoritäten stammen, obwohl die Geistesgeschichte reich an Beispielen ist, daß renommierte Gelehrte absurde

5

Weinberger. Rechtslogik, 2. Aufl., Berlin 1989, S. 98, S. 381 f.

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Thesen vertreten haben: Gelehrte Theologen predigten Hexenglauben, Professoren der Biologie traten für Sozialdarwinismus und Rassismus ein. Ein wichtiges Beispiel emotional negativer Wirkungen, die nicht argumentativ zum Ausdruck kommen müssen, sind die Diskrepanzen zwischen dem Inhalt der Propaganda und der meist später erlebten Realität. Die Möglichkeit, Verhaltensweisen zu erklären, die uns prima facie als mehr oder weniger irrational erscheinen, ist nur dann vorhanden, wenn wir auch solche Inputs und Reminiszenzen berücksichtigen, welche die Bewußtseinsschwelle der Person nicht überschreiten. Eine einfühlsame Deutung kann manchmal mehr herauslesen, als der Adressat selbst weiß. (Die Deutung bleibt aber jedenfalls hypothetisch.) Das Verstehen der historischen Situation und der sie bestimmenden geistigen Einflüsse ist eine schwierige und weitgehend unsichere Sache. Bei späten Folgen emotionaler und propagandistischer Einflüsse ist die Ursächlichkeit empirisch meist nur schwer beweisbar. Dennoch geht es hier um Momente, die nicht außer acht gelassen werden dürfen. Es ist wichtig, sich klarzumachen, daß nur ein Teil, wenn auch ein sehr wichtiger Teil, der Meinungsbildung und Beeinflussung des Auditoriums Argumentation ist. Dies wird sich als ganz entscheidend bei der Diskussion der politischen Propaganda zeigen, deren Charakter wir ganz verzerrt sehen würden, wenn wir nur die Argumentationen in Betracht ziehen würden.

Beweisen und Überzeugen

Das Idealbild des Beweises ist der mathematische und logische Beweis. Wenn ich beweise, daß ..j2 keine rationale Zahl ist, so ist die These streng bewiesen. Auch logische Beweise müssen nicht unstrittig sein: Es kann z. B. die Adäquatheit des logischen Systems problematisiert werden. [Dies war z. B. in den Diskussionen über die Normenlogik nicht selten der FalL] Nicht jedermann kommt selbst auf die Methode der Beweisführung; und auch wenn ein Beweis vom Gesprächspartner vorgelegt wird, muß der Adressat die Geltung des Beweises nicht einsehen. Die objektive Gültigkeit des Beweises und der sachlichen Begründung hängen nicht davon ab, daß sie vom Auditorium akzeptiert werden. Man darf weder von der Geltung eines Beweises oder einer These auf deren Akzeptanz, noch umgekehrt von der Akzeptanz auf die Geltung schließen. Nicht jedes Thema der Argumentation ist in einer gegebenen Situation streng beweisbar. Dennoch kann die These rein sachlich begründet werden, z. B. wenn man ihren Inhalt als sehr wahrscheinlich nachweist. Die sachliche Begründung ist

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also nicht immer ein strikter Beweis; sie beruht aber immer auf guten Gründen, wie Erfahrung, Wahrscheinlichkeit, Kohärenz mit anderen Feststellungen u.ä. Zu einem ganz anderen Typus der Argumentation gelangen wir, wenn wir das Argumentieren als Prozeß des Überzeugens zwischen Redner und Auditorium betrachten. Effiziente Argumente sind dann genau jene, welche die Akzeptanz der These beim Auditorium fördern. Von diesem Standpunkt aus sind die Argumente nicht nur relativ zum Thema, sondern auch relativ zum Auditorium. Auch sachlich ungültige Argumente können Überzeugungen schaffen; z. B. Argumente ex autoritate oder täuschende Hinweise. Meist, aber nicht immer, sind sachlich gute Gründe auch pragmatisch wirksame Argumente.

Sachliche versus advokatische Argumentation

Da der Meinungsaustausch mehr oder weniger nur auf die Gewinnung von Zustimmung und Erzeugung von Überzeugungen und Einstellungen des Auditoriums gerichtet sein kann oder aber danach strebt, sachlich angemessene Konzeptionen plausibel zu machen und deren Akzeptanz zu verbreiten, ist es berechtigt, das auf Sachlichkeit abzielende, sogenannte rationale Plausibelmachen von propagandistischer Akzeptanzerzeugung abzuheben. Die pragmatische Argumentation bewegt sich zwischen zwei Polen: der suchenden und der advokatischen Vorgangsweise. Bei der suchenden Argumentation sind die Diskurspartner vor allem bestrebt, wahre Überzeugungen und richtige praktische Einstellungen zu erlangen. Es kann sich hierbei um ein Zwiegespräch oder um den Vortrag eines Redners vor einem Auditorium handeln. Bei der advokatischen Argumentation ist eine gewisse These oder praktische Wertung im voraus fixiert, und es werden solche Argumente gesucht, welche geeignet sind, die These zu stützen und den Zuhörer von der vorgefaßten Meinung zu überzeugen. Ich spreche hier von advokatischer Argumentation in Ermangelung eines besseren Terminus, möchte aber damit weder behaupten, daß das Argumentieren der Rechtsanwälte immer von dieser Art ist, noch daß diese Argumentationsweise nur von Advokaten realisiert wird. Diese Denk- und Argumentationsweise tritt z. B. sehr oft in den Argumentationen politischer Parteien oder von Interessenvertretern auf. Die advokatische Argumentationsweise vermeidet selbstkritische Reflexionen und weicht Gegenargumenten aus. Es geht ihr nur um die Durchsetzung und das Propagieren der These - oft sogar unabhängig davon, ob sie wahr oder falsch, richtig oder unrichtig ist. Der Adressat des advokatischen Argumentierens ist nicht 22 Weint>erger

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ebenbürtiger Partner des geistigen Suchens, sondern Masse, die der Redner beeinflussen und fonnen will. Eristik und Anti-Eristik

Es gibt viele Möglichkeiten, mittels täuschender Argumente Überzeugungen zu erzeugen. Die Reklame des Wirtschaftslebens ist hierfür ein deutlicher Beleg. Sie zeigt auch, daß die Grenzen zwischen sachlicher Infonnation, einseitiger Betrachtungsweise und Tauschung fließend sind. Der Eristik als der Lehre von der suggestiven Argumentation muß eine Anti-Eristik, d. h. eine Anleitung zum kritischen Widerstand gegen eristische Methoden, entgegengestellt werden. Dies ist ein wichtiges Stück philosophischer und politischer Aufklärung.

Die soziologische Basis der advokatischen Argumentation

Meine Bemerkungen über die Struktur der advokatischen Argumentation möchte ich ergänzen durch einige Anmerkungen über die gesellschaftlichen Situationen und Rollenspiele, die zu dieser Art der Argumentation führen. In vielen politischen Argumentationen sind die Beteiligten nicht freie Denker, sondern sie treten in Rollen auf, in denen sie gewisse Interessen zu vertreten haben. Jeder Funktionär hat dann einerseits die Aufgabe, für gewisse Gruppeninteressen einzutreten, und andererseits sucht er durch seinen Erfolg seine eigene Machtposition als Funktionär zu fördern. Solche Situationen führen eher zu advokatischem Denken als zur Sachlichkeit des Meinungsstreites. Im Geiste der demokratischen Einstellung und der von ihr geforderten Kompromißbereitschaft ist es aber zweckmäßig - trotz rollenbedingter Gebundenheit -, so weit als möglich Sachlichkeit der Argumentation anzustreben. Nur so können tragfahige Kompromisse - und nicht nur Halbheitslösungen - zustande kommen.

Besonderheiten der politischen Argumentation

Politische Argumentation kommt - wenn ich richtig sehe - in drei Situationen zur Anwendung: 1. bei der Erstellung des politischen Programms, und zwar sowohl bei der Begründung der politischen Weltanschauung als auch bei der Bestimmung aktueller Ziele und Maßnahmen; 2. im Diskurs mit potentiellen Anhängern und Wählern, die überzeugt, gewonnen und aktiviert werden sollen;

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3. im Diskurs mit politisch Andersdenkenden und bei der Durchsetzung politischer Maßnahmen im Sinne der Partei, einer sozialen Bewegung oder gewisser gesellschaftlicher Institutionen. Die Themen politischer Argumentationen stehen immer in Handlungskontexten. Es geht um die Fragen, wie man handeln soll, welche Institutionen geschaffen werden sollen, welche Lebensformen und Werte das Leben der Menschen bestimmen sollen. Das Feld des Politischen ist komplex, das politische Argumentieren daher immer kompliziert und meist in vieler Hinsicht strittig. Die gesellschaftliche Realität selbst ist komplex, weil sie eine Vielfalt von Beziehungen und Institutionen umfaßt; komplex sind auch die gesellschaftlichen Zielsetzungen und Wertestandards. Die praktischen Einstellungen zu gesellschaftlichen Fragen sind außerdem in hohem Maße gruppenspezifisch differenziert. Die Gesamtheit der Konsequenzen und Auswirkungen von Handlungen und politischen Maßnahmen sind im voraus kaum überschaubar. Wie in jeder Handlungsüberlegung sind für die politischen Entscheidungen zwei Arten von Bestimmungsstücken relevant: Situations- und Kausalinformationen auf der einen Seite und Zweckvorgaben sowie Präferenzen auf der anderen. Die für das gesellschaftliche Geschehen relevanten Kausalbeziehungen lassen sich meist nicht auf eine einfache lineare Ursächlichkeit reduzieren. Es geht meist um Relationen, die von vielen verschiedenen Parametern abhängen. Auch die Folgen politischer Maßnahmen pflegen verzweigt zu sein. Wir können daher von vernetzter Kausalität sprechen, die noch dadurch komplizierter wird, daß menschliche Handlungen und deren Motivationen hier eine wesentliche Rolle spielen. Die kausale Analyse von Handlungen ist bekanntlich besonders schwierig; Handlungen sind nur teilweise und in groben Umrissen prognostizierbar. Die Bestimmung der Motive ist deutende Interpretation und bleibt daher in hohem Maße hypothetisch. 6 Gesellschaftliche Parameter liegen oft in Form statistischer Korrelationen vor, bei denen die kausale Deutung strittig sein kann. Bezüglich der Zweckorientierung der politischen Argumentation kann man sagen, daß politisches Handeln und politische Maßnahmen dazu dienen sollen, die Lebensform und das Wohl des Menschen nach Maßgabe eines vorschwebenden Menschenbildes zu optimieren. Dies ist aber bloß eine rahmenhafte Bestimmung, die kaum hilfreich ist, denn in der modemen komplexen Gesellschaft gibt es meist kein allgemein akzeptiertes Menschenbild, und entscheidend ist die Konkretisierung der Wertkriterien des politischen HandeIns, und diese sind weitgehend kontrovers. 6 Vgl. z. B. H. Lenk, Handlung als Interpretationskonstrukt. Entwurf einer konstituentenund beschreibungstheoretischen Handlungsphilosophie, in: ders. (Hrsg.), Handlungstheorien - interdisziplinär, Bd. 2. 1. Halbband. S. 279 - 350; O. Weinberger. Zur Idee einer formal-finalistischen Handlungstheorie. in: ders .• Recht. Institution und Rechtspolitik. Stuttgart 1987. S.43-84.

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Theoretisch mag es sinnvoll sein, zwischen politischer Argumentation und politischer Propaganda zu unterscheiden. Die erstere ist ihrer Idee nach ganz auf rationale Begründungen orientiert, während Propaganda vor allem auf die Schaffung von Überzeugungen hinarbeitet, und zwar vorwiegend mit advokatischen Argumentationen und emotionalen Mitteln. In der Praxis kann jedoch keine scharfe Grenze zwischen Argumentation und Propaganda gezogen werden. Man kann sich aber auch in der Politik bemühen, möglichst rational (d. h. mit guten Gründen) zu denken und zu argumentieren. Aus der Komplexität und der relativen Unbestimmtheit der Zielideen des politischen Agierens folgt, daß die politische Propaganda immer zahlreiche Möglichkeiten hat, für ihre ideologischen Tendenzen pragmatisch verwertbare Argumente zu finden: Man kann immer Gründe angeben, die als Plausibilitätsargumente wirksam sein können. Damit ist allerdings nur gesagt, daß die politische Propaganda ein reiches Aktionsfeld hat, es wird aber nichts über die Stichhaltigkeit der Gründe behauptet.

Schwierigkeiten des kritischen Argumentierens in der Politik Drei erkenntnistheoretische Momente erschweren die Kritik politischer Argumentationen: I. Man sieht Tatsachenfeststellungen nicht unmittelbar an, ob sie wahr oder falsch sind. Der Adressat politischer Propaganda oder Indoktrination hat nicht die Möglichkeit, alle Behauptungen der politischen Argumentation und Propaganda zu überprüfen. 2. Es ist nicht unmittelbar erkennbar, aus welchen Motiven ein Akteur handelt. Wenn jemand etwas tut, tut er dies nicht immer aus den Gründen, durch die er seine Handlung rechtfertigt. Politische Agitatoren können leicht andere Motive vortäuschen als jene, die durch die proponierte Maßnahme tatsächlich intendiert werden. Es muß nicht immer genau ein Ziel die Handlung motivieren, sondern verschiedene Motive können gleichzeitig für (bzw. gegen) die Entscheidung sprechen. Man kann z. B. für erweiterte Immigration aus humanitären Gründen plädieren, oder um billige Arbeitskräfte zu bekommen, oder aber gleichzeitig aus bei den Gründen. 3. Gesellschaftliche Erscheinungen werden durch Indikatoren gemessen. Z. B. versucht man, durch die Größe des BSP zu beurteilen, ob es den Menschen einer gewissen Gesellschaft gut geht. Wenn man kritisch sein will, muß man klar sehen, daß die Indikatoren nicht die beurteilte Qualität darstellen, sondern nur ein Hilfsmittel zur Beurteilung einer Eigenschaft sind, die mit dem begrifflichen Inhalt des Indikators nicht identisch ist. Man kann und muß daher manchmal die Aussagekraft des Indikators hinterfragen. So kann man z. B. das BSP als Indikator für den Wohlstand der Gesellschaft in verschiedener Weise in Frage stellen.

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Man kann fragen, ob die in Betracht gezogenen Güter wirklich die wesentlichen Elemente des Wohlstands sind - sind nicht auch Arbeitszeitaufwand oder monetär nicht ausdrückbare Momente für die Beurteilung des Wohlstands relevant, vor allem Momente der sogenannten Lebensqualität? -; ist der Wohlstand der Gesellschaft wirklich bloß eine Funktion der Produktenmenge, ist er nicht vielmehr auch abhängig von der angemessenen Verteilung der Güter in der Gesellschaft? Wenn man sich allein auf Indikatoren verläßt, blendet man oft wesentliche Momente aus der Betrachtung aus. Die politische Propaganda arbeitet verhältnismäßig selten mit plumpen Lügen. Sie hat es nicht nötig, denn es stehen ihr meist Halbwahrheiten zur Verfügung, mit denen es sich besser arbeitet. Es ist natürlich nicht möglich, den diskutierten Gegenstand in allen Zügen vollständig darzustellen. Der Vorwurf, daß man mit Halbwahrheiten argumentiert, betrifft natürlich nicht diese Grenzen der Informationsmöglichkeiten. Die Halbwahrheit als Instrument der politischen Propaganda ist das Verschweigen des Wesentlichen in der betrachteten Relation. Es läßt sich nicht allgemein sagen, was das Wesentliche ist, denn dies hängt von der Situation ebenso ab, wie von der Zutritts weise und den Interessen, von denen die politische Auseinandersetzung ausgeht. Auch wenn man nicht allgemein bestimmen kann, was das Wesentliche ist, ist es doch in jeder Diskussion die entscheidende Frage, ob man über das Wesentliche spricht oder aus propagandistischen Gründen das Wesentliche verschweigt, d. h. das Auditorium mit Halbwahrheiten abspeist. Die Breitenwirkung politischer Thesen hängt von der griffigen Formulierung ab. An und für sich ist gegen solche grundlegende Behauptungen, die auch in der Ökonomie und in der Jurisprudenz ihre wichtige Rolle spielen, nichts einzuwenden. Doch muß man sich darüber im klaren sein, daß Schlagwortprinzipien meist nur Partialerkenntnisse sind und daß sie Grenzen der Anwendbarkeit haben. Man kann z. B. im Sinne von Adam Smith von der "unsichtbaren Hand" in der Marktwirtschaft sprechen, die bewirkt, daß das Streben der Wirtschaftssubjekte nach Gewinn zum Nutzen der ganzen Gesellschaft gereicht. Aber man muß von diesem Schlagwort der unsichtbaren Hand zu Strukturanalysen übergehen, welche die funktionalen Zusammenhänge aufweisen, die diesen Effekt hervorrufen. Hierdurch werden auch die Grenzen des Prinzips aufgedeckt, z. B. die Tatsache, daß das Handeln der Wirtschaftssubjekte nach ihrem subjektiven Nutzen nicht immer zur gesellschaftlichen Optimierung führt. Wenn jeder Fischer in den Weltmeeren seine Fangerfolge mit allen Mitteln maximiert, führt dies sicherlich nicht zur optimalen Situation für die Zukunft der Welt. Das subjektive Nutzenstreben der einzelnen Wirtschaftssubjekte berücksichtigt weder Umweltfolgen noch soziale Auswirkungen. Die Resultante aus den Einzelbestrebungen der Wirtschaftssubjekte ist daher kein gesellschaftliches Optimum. Ich möchte hier darauf hinweisen, daß unkritisches Schlagwortdenken nicht nur die politische Argumentation gefährdet, sondern sich manchmal auch in der Wissenschaft ungünstig auswirkt.

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Eine beliebte und werbewirksame Methode der propagandistischen Argumentation sind voreilige Generalisierungen. Man schließt z. B. aus dem Zusammenbruch der stalinistischen Systeme und deren wirtschaftlichen Mißerfolgen, daß sozialistische Systeme unmöglich sind und keine leistungsfähige Wirtschaft aufbauen können, obwohl die Systeme des sogenannten realen Sozialismus sicherlich nicht alle möglichen sozialistischen Systeme darstellen. [Es mag strukturelle Gründe geben, warum sozialistische Wirtschafts systeme nicht effektiv sein können, die historische Erfahrung mit den stalinistischen Systemen beweisen diese These aber nicht.] Es wurde von kritischen Betrachtern der politischen Argumentation wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß durch die emotional gefärbte Wortwahl schon für (oder gegen) politische Phänomene Stellung genommen wird, - oft vor und außerhalb jeder begründenden Argumentation. Diese Tatsache ist so allgemein bekannt, daß es mir überflüssig erscheint, hier Beispiele anzuführen. Man muß sich gegen diese täuschende Vorgangsweise wehren, wenn man einen offenen demokratischen Diskurs aufrecht erhalten will. Die politische Argumentation stützt sich auf Prognosen, denn für die Bestimmung des zweckmäßigen Handeins ist Zukünftiges relevant. Das politische Entscheiden ist ferner abhängig von der Voraussage der gesellschaftlichen Auswirkungen politischer Maßnahmen. Eine rationale politische Analyse müßte daher immer auch Untersuchung der Folgen politischen Handeins umfassen. Es erscheint angemessen, diese Feedback-Prüfungen von Instanzen durchführen zu lassen, die von den politischen Akteuren unabhängig sind, denn es geht darum, der Rückmeldung objektiven Charakter zu geben und auch Nebenwirkungen festzustellen, die im Programm nicht berücksichtigt wurden.

Marketingmethoden in der Politik

Die politische Argumentation und Propaganda hat neue Formen angenommen, die das Funktionieren der westlichen Demokratien wesentlich verändert haben. Ins politische Leben sind Marketingmethoden eingedrungen. Während in den klassischen Konzeptionen der Demokratie Prozesse realisiert werden, durch die der Wille des Volkes zur Bestimmung der volonte generale herangezogen werden soll, wird hier die Funktion von Abstimmungen und Wahlen verändert: Propagandazentralen und Marketingmanager haben die Aufgabe übernommen, das Wahlverhalten der Stimmbürger im Sinne der Auftraggeber zu manipulieren. Dies geschieht teilweise durch sachliche Information, vor allem aber durch advokatische Argumentation einschließlich verdeckter, aber den Politmanagern und deren Auftraggebern voll bewußter Täuschungen und außerargumentativer, emotionaler Einrichtungen z. B. durch emotionale Plakate. Marketingmethoden in der Politik haben verschiedene Stufen, und sie sind für die Demokratie in verschiedenem Maße gefährlich. Solange die Maßnahmen nur

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Äußerlichkeiten betreffen oder nur den Bekanntheitsgrad der Politiker fördern, kann dies durch analoge Vorgangs weisen der Konkurrenten paralisiert werden. Es kommt jedoch ein Ungleichgewicht zwischen kapitalstarken und anderen Gruppen zustande. In Grenzen hält sich die Gefahr der Marketingmethoden in der partei politischen Propaganda, weil sie doch durch die konkurrierenden Parteien mehr oder weniger ausgewogen werden. Dennoch gibt es bedenkliche Folgen des Ausuferns der Parteipropaganda durch Marketingmethoden: (a) die Programmarbeit verkümmert, und (b) der Geldbedarf der Parteien wächst markant und führt manchmal sogar zu schmutzigen Methoden der Parteifinanzierung. Beispiele sind hinlänglich bekannt. - Eine echte Gefahr für die Demokratie bedeutet es aber, wenn die irrationale Marketingpropaganda zentral organisiert ist, vom Staat oder anderen universell mächtigen Organisationen (z. B. Kirchen) getragen wird. Durch den massiven Einsatz dieser Methoden wird auch in demokratischen Staaten ein ähnlicher Effekt erzeugt, wie durch die Propaganda in totalitären Staaten. 7 Kritische Haltungen und Gegenmeinungen werden stigmatisiert; es kommen oft organisatorische Maßnahmen hinzu, die das Funktionieren einer diskursiven Demokratie hemmen. Geldflüsse für Kultur und Forschung werden einseitig orientiert; mit kritischen Meinungen akademische Erfolge zu erzielen, wird unmöglich gemacht usw. Zur Verteidigung des politischen Marketings und der zentralen emotionalen Propaganda hat man eingewandt, daß die Mündigkeit der Bürger gegen diese negativen Auswirkungen schütze. Dies ist nicht wahr, und die Verteidiger des politischen Marketings wissen das ganz genau, denn sie werben für diese Methoden gerade mit der Erkenntnis, daß diese Methoden in unentrinnbarer Weise wirken. Erstens setzt sich die Wählerschaft niemals nur aus mündigen Bürgern zusammen, sondern sie ist ein Konglomerat geistig und interessenmäßig unterschiedlich konstituierter Menschen. Zweitens, niemand, auch kein noch so kritischer Denker, kann sich dem Einfluß kommunikativer Indoktrination entziehen. Wir werden gezwungen, Informationen aufzunehmen, und ihrer Wirkung können wir nicht entrinnen. Wer hundertmal hört "Katzen würden Whiskas kaufen", kann nicht umhin, sich den Namen "Whiskas" als Bezeichnung eines Katzenfutters zu merken, und es wird auch das Gefühl geweckt, daß dies ein gutes Katzenfutter sei. Werbung ist eine Vergewaltigung unseres Denkens und Wertens; politisches Marketing kann für die Demokratie gefährlich werden. Es besteht außerdem keine Möglichkeit, den durch Marketingpropaganda präsentierten politischen Standpunkt einer rationalen Diskussion zu unterziehen. Die Wirkmöglichkeiten einer Verhaltenstechnologie im Sinne von B. F. Skinner ist unbestreitbar. 8 Auch wenn man die Skinnersche Psychologie nicht akzeptiert und Gewicht vor allem auf die rational-argumentative Basis des Handeins und politischen Wirkens legt, sind die Möglichkeiten der Verhaltenstechnologie offen7 O. Weinberger, Darf Staatspropaganda in der Demokratie stattfinden?, in: Kleine Zeitung vom 14.5. 1994, S. 28. 8 Vgl. B. F. Skinner, Jenseits von Freiheit und Würde, Hamburg 1973.

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sichtlich. Politisches Marketing kann im Interesse des Auftraggebers - ja gegen die Interessen des Adressaten - wirksam sein und praktisch unentrinnbare Indoktrination schaffen. 9 Die Vorstellung, daß Demokratie an breite rationale Diskurse gebunden sein soll, wird durch das Überhandnehmen von Marketingmethoden in der Politik ad absurdum geführt. Der demokratische Bedarf nach breiter Information für den Bürger wird zu einem Indoktrinationsinstrument umgemünzt. Die Struktur der Macht wird verändert. Wer große Mittel für die politische Propaganda einsetzt und eine effektive Indoktrinationsmaschinerie aufbaut, bestimmt das Wahl verhalten der Bürger in seinem Sinn und die Zielvorgaben der Politik. Ist das noch Demokratie als Realisation des Willens des Volkes, durch das Volk und im Interesse des Volkes? Wenn der politische Diskurs zur breit angelegten Indoktrination entartet, und politisches Marketing ist heute hierfür die vorherrschende Methode, dann hat dies gefährliche Folgen. Es wird eine einseitig dogmatische Atmosphäre geschaffen, in der das Funktionieren einer geistig offenen Gesellschaft unmöglich gemacht wird. Reflexwirkungen der Indoktrination zeigen sich bei den Bürgern und auch bei den aktiven Politikern selbst. Der Bürger erkennt recht bald, daß er von der politischen Werbung verschaukelt werden soll resp. verschaukelt wurde. Er erkennt, daß die, welche sich solcher Methoden bedienen, eigentlich keine echten Demokraten sind. Der Bürger reagiert mit Mißmut, Politikverdrossenheit, und es wird ein Nährboden für Radikalismus erzeugt, weil der Bürger sieht, daß auf diskursivem Wege nichts zu erreichen ist. Die Auswirkungen der marketingartigen politischen Propaganda ist oft kurzzeitig, und sie schlägt manchmal ins Gegenteil um. 10 Eine ganz wichtige Folge ist bei den politischen Akteuren selbst zu verzeichnen. Die kritische Reflexion, die zur Entfaltung der angestrebten Tendenzen erforderlich ist, wird durch die doktrinäre Atmosphäre abgetötet. Bekannt ist dies aus der Praxis der totalitären Staaten: So hat z. B. der dogmatische Stalinismus die Entwicklung der ökonomischen Theorie verhindert. Kritik, Revision und Transformation gedeihen nur in einer offenen Gesellschaft. Zentral organisierte Indoktrination mittels marketingartiger Propaganda hat aber auch im demokratischen Rahmen ähnliche hemmende Auswirkungen. Wenn ich auf die Gefahren der aktuellen Formen der politischen Propaganda für die modeme Demokratie hingewiesen habe, muß ich mir nun auch die Frage stel9 Auch die Erziehung umfaßt ein Stück Verhaltenstechnologie, zum Unterschied von der Marketingpropaganda, aber ganz im Interesse des Adressaten und mit der Tendenz, ihn zur geistigen Selbständigkeit anzuregen. 10 Die intensive, umfassende und staatlich gelenkte Propaganda für den EU-Beitritt Österreichs hat bei der Volksabstimmung eine 2/3-Zustimmung gebracht; laut Zeitungsnachrichten ist die heutige Zustimmung in Umfragen nur 1/3.

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len, ob und wie gegen diese Entwicklungen angekämpft werden kann. Die Antwort lautet: Staatliche und andere zentralisierte Marketingpropaganda ist zu vermeiden. Man muß die organisatorischen Vorbedingungen der offenen Gesellschaft - oder mit anderen Worten: der diskursiven Demokratie, institutionalisieren. Das ist allerdings eine umfassende Aufgabe, die nicht nur die Politiker betrifft, sondern auch die Wissenschaftler, die Kulturschaffenden und die Mitarbeiter der Massenmedien. Ich möchte nun, bevor ich die Resultate meiner Untersuchungen in Thesen zusammenfasse, noch einen skeptischen Hinweis machen: Leider gilt auch für die politische Argumentation das spanische Sprichwort "No hay peor sordo, que el que non quiere oir" - "Niemand ist so taub, wie der, der nicht hören will".

Die Ergebnisse meiner Untersuchung

Ich möchte die Ergebnisse meiner Überlegungen kurz zusammenfassen: A. Allgemeine Thesen zur Argumentationstheorie

1. Die Argumentationstheorie liegt an der Grenze der Begründungstheorie, die unter Abstraktion von den beteiligten Personen arbeitet, und der Pragmatik des interpersonalen Überzeugens. Daher ist die Untersuchung der Struktur des Bereichs, dem das Probandum angehört, integrierender Bestandteil der Argumentationsanalyse. 2. Eine wissenschaftliche Argumentationstheorie muß sowohl das erkenntnistheoretische Problem, was gute Gründe sind, studieren, wie die Frage, wie Überzeugungen zustandekommen. Überzeugende Argumente mit (sachlich) guten Gründen zu identifizieren, markiert den Niedergang der Argumentationstheorie. 3. Das Thema der Argumentation kann deskriptiven oder praktischen Sinn haben. Auch rein deskriptive Mitteilungen können praktisch-motivierende Funktion annehmen. 4. Überzeugungen entstehen: (a) durch unmittelbare Erfahrung, (b) durch Argumentieren, d. h. durch Beweisen oder Plausibelmachen mit Hilfe von Argumenten oder (c) durch unkontrollierte emotionale Einwirkungen. 5. Der argumentative Diskurs ist gemeinsames Suchen der Diskurspartner oder aber advokatisches Überzeugen. In diesem Falle ist für den Redner die These vorfixiert, und es werden Überzeugungsmittel zu ihrer Stützung gesucht. 6. Es ist eine Aufgabe der philosophischen und politischen Aufklärung, Anti-Eristik zu betreiben und sich täuschender Argumentation zu widersetzen.

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B. Thesen zur politischen Argumentation

1. Die politische Argumentation steht immer in einem Handlungskontext. Sie ist daher nie frei von WerteinsteIlungen. 2. Politische Fragen sind immer komplex in ihrer Struktur, in ihrer Bewertung und in ihren Folgen. 3. Im Bereich der politischen Argumentation gibt es ein breites Feld für die Anwendung eristischer Methoden, für Manipulation mit Halbwahrheiten sowie für Schlagwortdenken mit seinen Täuschungseffekten. 4. Das politische Denken muß programmatisch sein, aber es müssen auch unabhängige Kontrollen der Realisation politischer Maßnahmen und Programme institutionalisiert werden. 5. Das Eindringen des politischen Marketings ins politische Leben wird zur Gefahr für die Demokratie, wenn es zentral organisiert ist und eine doktrinäre Atmosphäre schafft. Es verdirbt die Basis für eine offene Gesellschaft und den demokratischen Diskurs. 6. Die Auswirkungen der politischen Marketingpropaganda sind oft kurzzeitig; sie schlagen manchmal ins Gegenteil um; und die durch Indoktrination geschaffene Atmosphäre schränkt oft die eigene Reflexion des Politikers ein.

Überzeugen als Aufgabe 1. Die Rolle der Argumentation im Rechtsleben und in der Politik Die Rechtstheoretiker und Politikwissenschaftler unserer Zeit sind sich der grundlegenden Bedeutung der Argumentationsprozesse für das Rechtsleben und die Politik sehr wohl bewußt. Es wurde daher über diese Problematik sehr viel geschrieben, und man erkannte auch, daß dies ein Problemkreis ist, der einerseits mit dem logischen Beweisen zusammenhängt, andererseits aber doch eine ganz andere Betrachtung über das Begründen darstellt als die Logik des Beweisens. Der wesentliche Unterschied wird in der Tatsache erblickt, daß beim Argumentieren in der juristischen und politischen Praxis nicht alles auf logisch stringente Beweisführungen reduziert werden kann, sondern daß es sich oft um Plausibelmachen und Gewinnung von Akzeptanz bzw. um den Nachweis von Akzeptierbarkeit diskutierter Thesen, Meinungen und Wertungen handelt. Es geht den Argumentationstheoretikern darum, auch jenen Argumentationen, die nicht logisch zwingend sind, der sogenannten rhetorischen oder Plausibilitätsargumentation, eine methodologisch fundierte, d. h. rationale, Grundlage zu geben. Obwohl man sich der zentralen Bedeutung der Argumentation für die Jurisprudenz und Politik bewußt war und viel über diese Probleme nachgedacht wurde, scheint mir vieles im unklaren geblieben zu sein, und die herrschenden Theorien bringen m.E. kein zufrieden stellendes Bild der Sachlage, denn wesentliche Züge der Argumentation im Rechtsleben und in der Politik bleiben unbeachtet. Im Bereich der Jurisprudenz geht es einerseits um logisches Folgern (vor allem beim Subsumtionsschluß) und um die Frage der logischen Verträglichkeit von Rechtsnormen sowie den rational einwandfreien Aufbau der Rechtsordnung, andererseits um Plausibilitätsargumentationen, die in vielen Feldern der juristischen Arbeit zur Anwendung kommen. Das Interpretieren, das Konkretisieren beim Entscheiden, die Begründung von Ermessensentscheidungen und die Rechtspolitik hängen wesenhaft von rationalem Plausibelmachen ab. In der Politik sind das Argumentieren sowie das Plausibelmachen und Propagieren von Meinungen und Wertpräferenzen von ganz zentraler Bedeutung, und es scheint, daß Momente reklameartiger Propaganda auch in demokratischen Systemen immer mehr Einfluß auf das politische Geschehen gewinnen und den Charakter des politischen Lebens in der Demokratie verändert haben.

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2. Allgemeine theoretische Grundlagen des Argumentierens Die verschiedenen Arten des Argurnentierens - Beweisen, Begründen, Plausibelmachen und Überzeugen - haben bei aller Verschiedenheit ihrer Natur und Anwendungsweise einige gemeinsame Züge. Nur am Rande sei angemerkt, daß nicht-stringente Argumentationen natürlich auch in anderen Bereichen als im Recht und in der Politik zur Geltung kommen, vor allem in allen Gebieten der hermeneutischen Analysen, aber auch im Feld empirischer Überlegungen. (a) Die Relativität. Argumentationen sind immer relativ. Wenn wir das, was bewiesen, begründet oder plausibel gemacht werden soll, These nennen, dann können wir ganz allgemein behaupten: Jede Argumentation für eine These ist relativ, sie untermauert die These durch Argumente - also andere Sätze, deren Wahrheit oder Geltung vorausgesetzt wird -, die zur These in begründender Relation stehen. Die Argumente belegen die Wahrheit, Wahrscheinlichkeit, Plausibilität oder Akzeptierbarkeit der These. l Wenn jedoch das Argument (oder wenigstens eines der Argumente der Argumentation) nicht gilt, fällt die ganze Argumentation in sich zusammen. Die Geltung der Argumentation ist relativ zur Geltung der Argumente. [Die These kann jedoch trotz der Widerlegung der vorgeschlagenen Begründung gelten, aber sie gilt dann nicht aufgrund dieser Argumentation.] (b) Alle Tatsachenbegründungen - seien ihr Gegenstand Erscheinungen oder Gesetzmäßigkeiten oder praktische Einstellungen (Normen, Werte, Zwecke, Präferenzen) - benötigen zur Begründung irgendwelche inhaltliche Daten, die der Erfahrung entstammen oder durch Willensakte explizit oder implizit gesetzt sind. Thesen dieser Art können niemals durch Logik oder durch logische Analyse allein begründet werden. Diese Behauptung, die ich für eine Selbstverständlichkeit halte, kann man als allgemeine Empirismusthese bezeichnen. Sie ist eine Verallgemeinerung des naturwissenschaftlichen Empirismus. So wie keine Naturerkenntnis ohne Beobachtungsdaten möglich ist, gibt es auch im Bereich des Praktischen keine Begründungen inhaltlicher Thesen ohne praktische, d. h. stellungnehmende, Argumente. (c) In der Methodologie der Tatsachenerkenntnis gelten immer nebeneinander Verijikations- und FaLsijikationsprozesse. Wenn man z. B. eine Hypothese von der Form ,,Für jedes x gilt, wenn Fx, dann Gx" aufstellt, kann sie an beobachteten Tatsachen vom Typus Fx getestet werden. Wenn wir durch Erfahrung feststellen, daß Fx tatsächlich Gx zur Folge hat, dann liegt ein Bewährungsfall der Hypothese vor. Trotz der bekannten und unbestreitbaren Behauptungen des Fallibilismus, daß allgemeine Gesetze durch Testen an Einzelfällen nicht endgültig bewiesen werden I Man beachte: Akzeptanz ist die faktische Einstellung eines Subjekts oder einer Gruppe, nach der eine gewisse Meinung angenommen wird. Akzeptierbarkeit ist genau dann gegeben, wenn nachgewiesen ist, daß es wohlbegründet, vernünftig oder richtig ist, die These anzuerkennen.

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können, daß aber das Gesetz durch negative Einzelfälle widerlegt werden kann, muß auch die Existenz positiver Instanzen als Bedingung der Bewährung einer Hypothese vorliegen, sonst wäre die Hypothese empirisch nicht belegt. Es gibt immer eine prinzipielle Möglichkeit der Widerlegung der Hypothese, die genau dann gegeben ist, wenn Fx und non-Gx beobachtet werden. Ich behaupte, daß Analoges auch für den praktischen Bereich gilt. Wenn ich eine normative Regel (ggf. nur tentativ) festsetze, kann ich Folgen feststellen und und werten. Die Feststellung negativ bewerteter Folgen stellt die normative Regel in Frage. Auch individuelle Thesen, und zwar sowohl im theoretischen als auch im praktischen Bereich unterliegen Bestätigungs- und Widerlegungsprozessen. Eine These über ein historisches Ereignis wird z. B. der Überprüfung durch weitere Erkenntnisquellen unterzogen; erwartete Genüsse werden durch tatsächliches Erleben rektifiziert oder als irrig erwiesen. Es gibt also ein Testen durch Erfahrung auch für den praktischen Bereich. Gewertete Erfahrung kann als Bestätigung, aber auch als Widerlegung eines Werturteils oder einer normativen Regel fungieren. Das Argumentieren über Tatsachenprobleme ist also immer - auch in der praktischen Philosophie - eingebettet in Prozesse des Bestätigens und Widerlegens.

3. Sachliche und pragmatische Dimension der Argumentation

Neben der schon früher angeführten Unterscheidung der Argumentationen in Beweise und Plausibilitätsbegründungen nach dem Kriterium "zwingend I plausibel machend, aber nicht-zwingend" ist eine andere Differenzierung der Argumentationen essentiell. Argumentationen werden in sachlicher oder in pragmatischer Sicht betrachtet. Es handelt sich um zwei sehr verschiedene Aspekte des Argumentierens, zwischen denen zwar gewisse Relationen bestehen, die aber prinzipiell unterschieden werden müssen. Die Nichtbeachtung dieses Unterschiedes führt zu argen Unklarheiten der Argumentationstheorie. Ich behaupte sogar, daß die schlimmsten Verwirrungen in diesem Bereich daraus resultieren, daß man die zwei Aspekte des Argumentierens nicht genau auseinanderhält. Dies zeigt sich ganz klar bei der Analyse der Frage, was gute Gründe sind. In sachlicher Perspektive sind gute Gründe Argumente, die wegen ihrer logischen oder sachlichen Beziehung zur These diese stützen. In pragmatischer Beziehung sind gute Gründe für eine These jene Momente, die Akzeptanz der These bei einer gegebenen Zuhörerschaft erzeugen. Es ist offensichtlich, daß diese beiden Begriffe sich nicht decken und daher gen au unterschieden werden müssen. Der sachliche Aspekt der Argumentation. Man argumentiert, um wohlbegründete Thesen zu erhalten, deren Wahrheit, Geltung oder Akzeptabilität objektiv fundiert sein sollen. In dieser Perspektive wird von den argumentierenden Subjekten abstrahiert, und es geht nur um die objektive Gültigkeit der Argumente und deren

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rein sachliche Relevanz für die Begründung der These. Hier bewegen wir uns ganz im Bereich des Beweisens und rein sachlich-rationalen Begründens. Argumentation in pragmatischer Funktion. Die pragmatische Argumentation bezieht nicht nur die Argumentierenden in den Argumentationsprozeß ein, sondern sie interessiert sich gerade dafür, wie man - etwa als Redner - Überzeugungen der Zuhörer erzeugen oder beeinflussen kann. Hier sind gute Argumente jene, die geeignet sind, Überzeugung zu schaffen, d. h. die Ansichten, Einstellungen und Wertungen des Adressaten im Sinne des Redners zu formen, und zwar ohne Rücksicht auf die sachliche Beweiskraft oder Relevanz der vorgetragenen Argumente. In der pragmatischen Argumentationstheorie wird der Adressat gewöhnlich als Auditorium bezeichnet. Es kann irgendeine angesprochene Person oder Gruppe sein, oder man kann ggf. im privaten Denken für sich selbst argumentieren, d. h. durch Überlegungen sich selbst überzeugen.

Ich behaupte natürlich nicht, daß zwischen sachlichem Argumentieren und der pragmatischen Argumentation keine Beziehungen bestehen. Gültige Beweise im objektiven Sinne sind natürlich auch pragmatisch wirksam, wenn sie als solche erkannt sind. Auch das sachliche Beweisen beruht auf gewissen axiomatisch vorausgesetzten Prinzipien, z. B. dem Widerspruchsprinzip, dem Kausalitätsprinzip, dem Grundsatz der Transititivät der Präferenz, wenn sie auf einem einzigen Kriterium beruht. In sachlich konzipierten Argumentationen über praktische Fragen wird das stellungnehmende Subjekt aus der Überlegung nicht ausgeschlossen, d. h. es können normative, teleologische oder axiologische Argumente zur Geltung kommen, jedoch als explizit formulierte Elemente der Argumentation, das bedeutet als Voraussetzungen, aus denen rationale Konsequenzen gezogen werden. Beim Studium der pragmatischen Argumentation zeigt sich schon auf den ersten Blick, daß Überzeugung und Akzeptanz in verschiedener Weise zustande gebracht werden können: 1. durch Überreden oder irgendeine Form der emotionalen oder / und wiederholten Einwirkung, man kann auch sagen durch werbungsartige Methoden, oder 2. durch rationale Prozesse der Plausibilitätsargumentation. Die emotionalen Einflüsse auf die Überzeugungen und das Verhalten des Auditoriums sind von zweierlei Art: positiv, wenn für eine These wohlwollende Emotionen oder / und Hoffnungen geweckt werden, oder aber negativ, wenn Feindbilder aufgebaut werden oder / und wenn eine Meinung systematisch und global verteufelt wird. Wie sich rationales rhetorisches Argumentieren vom emotionalen Überreden unterscheiden läßt, ist eine immer noch weitgehend offene Frage. Ich werde zeigen, daß in der Struktur der pragmatischen Argumentation eine tiefgreifende Veränderung vor sich geht, wenn das Argumentieren als Aufgabe auftritt, eine gewisse vorgegebene These dem Auditorium aufzudrängen, sei es weil der Redner die suchende Einstellung des Argumentierens völlig aufgegeben hat,

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sei es, daß er als Propagandist und advocatus für eine vorgefaßte Meinung ans Argumentieren herantritt. Das pragmatische Argumentieren muß meiner Ansicht nach von der Unterscheidung zweier verschiedener Typen des argumentativen Diskurses ausgehen: auf der einen Seite steht der prinzipiell suchende Diskurs, auf der anderen die advokatische Argumentation. [Dieser Unterschied ist fundamentaler als die traditionell diskutierte Gegenüberstellung von Überreden und Überzeugen.] Eine der Hauptthesen dieser Abhandlung wird es sein, zu zeigen, daß unter der advokatischen AufgabensteIlung die ganze Vorgangsweise des Argumentierens grundsätzlich verändert ist.

4. Zwei Versuche, rationales Begründen zu charakterisieren

Zwei einflußreiche Lehren möchte ich hier kurz erörtern, nämlich die Perelmansc he Theorie der rhetorischen Argumentation und die Habermassche Diskursphilosophie, die mit Konsenswahrheit und Diskursrationalität arbeitet. Die kritische Diskussion dieser Theorien wird eine gute Vorbereitung für meine eigenen Darlegungen sein. Viehwegs Topik-Lehre, die in der deutschen Jurisprudenz eine Zeit lang hoch im Kurs stand, müssen wir hier nicht näher in Betracht ziehen, da sie kaum etwas Wesentliches bringt und heute eigentlich schon tot ist? Weder PereIman noch Habermas gehen von der Unterscheidung rein sachlicher und pragmatischer Argumentationen aus, die ich hier als grundlegende Alternative eingeführt habe, sondern beide betrachten das Argumentieren lediglich als pragmatischen Prozeß, in dem die beteiligten Personen Akzeptanz für eine These hervorrufen wollen. Perelman hat nicht nur die klare Unterscheidung zwischen Überreden und Überzeugen diskutiert, sondern auch versucht, ein brauchbares Kriterium für die Charakteristik des rationalen Überzeugens einzuführen. 3 Die idealtypische Gegenüberstellung von Überreden als Erzeugung von Akzeptanz mit beliebigen Methoden auch mit reklameartigen Mitteln - und rationalem Überzeugen ist wohl kaum zu bestreiten. Zweifeln ausgesetzt ist jedoch Perelmans Definition der rationalen Plausibilitätsargumentation. Der pragmatische Argumentationsprozeß - ein Redner sucht ein Auditorium dazu zu bewegen, eine gewisse These zu akzeptieren nehme den Charakter des rationalen Überzeugens an, wenn die Argumentation als an ein universelles Auditorium gerichtet gedacht wird. Das universelle Auditorium wird hierbei als regulative Idee verstanden, nicht als eine konkret gegebene Zuhö2 Th. Viehweg, Topik und Jurisprudenz. Ein Beitrag zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung, München 19694 (1953 \ O. Weinberger, Topik und Plausibilitätsargumentation, in: ARSP 59, 1973, S. 17 - 36. 3 s. vor allem eh. Perelman I L. Olbrechts-Tyteca, Traite de I' Argumentation. La nouvelle rhetorique. Brüssel 19702 .

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rerschaft. Der Sinn dieser Konstruktion ist es, subjektive Momente der Meinungen, Einstellungen und Präferenzen des jeweiligen Zuhörers durch eine historisch und kulturell bestimmte Akzeptanzbereitschaft zu ersetzen. Die persönlich subjektiven Neigungen und Auffassungen des einzelnen können so zugunsten einer gesellschaftlich objektivierten Betrachtung ausgeschlossen werden. Doch gerade im entscheidenden Moment versagt aber das Kriterium des universellen Auditoriums zur Bestimmung dessen, was rational ist. Es handelt sich im Argumentationsprozeß oft um die Kritik herrschender Meinungen, um die Entwicklung neuer Konzeptionen, die plausibel gemacht werden sollen. Wenn man nun die Akzeptabilität neuer Thesen und der Kritik herrschender Meinungen unter das Kriterium der historisch gegebenen Vorstellungen und Wertüberzeugungen stellt, fesselt man das innovative Denken, denn mittels des universellen Auditoriums wird die Argumentation mehr oder weniger konservativ bestimmt. Ein gangbarer Ausweg besteht wohl nur darin, daß man die rationale Plausibilitätsargumentation als offenen Prozeß konzipiert, der keine vorgegebenen Kriterien benutzt, sondern ein Prozeß der fortschreitenden Abwägungen und des Testens durch Erfahrungen ist. [Die Diskurstheorie geht teilweise in diese Richtung, sie ist aber leider mit problematischen Voraussetzungen belastet, wie ich im nachfolgenden zeigen werde.] Perelman hat auch in überzeugender Weise Methoden und Tricks des Weckens von Akzeptanz vorgeführt. Er zeigt, wie man es macht, um der Argumentation Plausibilität zukommen zu lassen, z. B. durch die Wahl einer suggestiven Terminologie. Was mir bei dieser Theorie jedoch fehlt, ist die Suche nach Wegen, wie die suggestiven Effekte kritisch hinterfragt werden sollen. Es geht nämlich nicht nur um Ratschläge, wie man plausibel macht, sondern auch um die kritische Frage, wie man von der Erkenntnis dessen, was faktisch plausibel macht und Akzeptanz weckt, zu jenen Argumentationsformen gelangen kann, die zu einer rationalen und sachlichen Optimierung der Meinungsbildung führen können. Die Habermassche Konzeption hat insoweit einen gesunden Kern, als sie den Prozeßcharakter der argumentativen Auseinandersetzungen unterstreicht; sie steht aber auf einigen sehr problematischen Voraussetzungen seiner philosophischen Grundkonzeption, die ich Diskursphilosophie nenne. Die Diskursphilosophie meint, Rationalität bestehe darin, daß unter idealisierten Bedingungen interpersonale Diskurse abgehalten werden. Der ideale Diskurs sei herrschaftsfrei, für jedermann offen und zeitlich unbeschränkt. Dagegen ist einzuwenden: Sachlich-logische Rationalität hat subjektunabhängige Geltung, sie ist weder als private Leistung eines Einzelnen noch als kollektive Leistung zu verstehen. Die Wahrheit einer These ist unabhängig davon, wer sie behauptet, und davon, ob sie eine Erkenntnisleistung eines Individuums oder eines Kollektivs ist. Die Habermassche Gegenüberstellung idealer und realer Diskurse halte ich nicht für nützlich, weil der Begriff des idealen Diskurses eine schlechte Idealisierung ist: Freiheit von Herrschaft ist an und für sich keine Garantie für einen fruchtbaren Verlauf des Diskurses und der Erkenntnis. Die bloße Kollektivierung der Mei-

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nungsbildung bringt methodologisch nichts, denn sie stellt die Entwicklung effektiver Forschungs- und Argumentationsmethoden nicht sicher. Der ideale Diskurs im Habermasschen Sinn ist ex definitione irreal und als Idealmaßstab realer Diskurse nicht verwendbar. Die tatsächlichen, die Effektivität gesellschaftlicher Diskurse störenden Momente - Vorurteile, Autoritätsglaube, emotionale Werbemethoden und Indoktrination - werden hier gar nicht tangiert. Es wird keine soziologisch-politologische Analyse dieser Erscheinungen vorgelegt, deren Bedeutung in unserer Zeit angesichts der bestehenden "Informationsgesellschaft" und der politischen marketing artigen Propaganda außerordentlich gewachsen ist, noch wird nach Remedien gesucht, wie gegen Indoktrination und täuschende politische Reklame angekämpft werden kann. Nur Herrschaftsfreiheit postuliert der Autor, er sucht also das Heil dort, wo es nicht existiert und nicht existieren kann. Aus dem Geist dieser Lehre entspringt die Konsensustheorie der Wahrheit. Wahrheit sei das Ergebnis idealer Diskurse. Jeder Diskurs - ob real oder ideal bewegt sich im Bereich der Meinungen der Diskursteilnehmer. Vom Meinen zur objektiven Wahrheit oder objektiven Geltung gibt es keinen gültigen Weg. Es ist in keiner Weise beweisbar - und ein solcher Beweis wurde gar nicht versucht -, daß Diskurse notwendigerweise zum Konsens konvergieren müssen. Die Erfahrung mit Diskussionen zeigt, daß weder Konsens noch Konsensstrebigkeit eine notwendige Eigenschaft des Meinungsstreites sind. Konsenswahrheit, die sozusagen als Grenzwert eines idealen Diskurses konzipiert ist, ermangelt des Beweises der Existenz dieses Grenzwertes. Es ist also eine logisch mangelhafte Begriffskonstruktion. Außerdem führt es die wissenschaftlichen und philosophisch-analytischen Bestrebungen in die falsche Richtung: statt Methoden der Forschung und Begründung zu suchen, wird das Augenmerk bloß auf Zustimmung gerichtet. Wenn man die Wahrheit (Richtigkeit) mit dem Konsens definitorisch in Verbindung bringt, stört man die Dynamik des Infragestellens und Testens. Eine universell konsentierte These ist nur eine derzeitige Einheitsmeinung, die im Prinzip dem Zweifeln und der Prüfung nicht enthoben werden sollte. [Bezüglich des normalen Wahrheitsbegriffes als adaequatio rei ac intellectus, der als Asymptote der Erkenntnis verstanden wird, gilt kein analoger Einwand wie bezüglich der Konsenswahrheit.] Gute Argumente werden von Habermas nur im pragmatischen Sinne gesehen und als jene definiert, welche die Diskurspartner überzeugen. Die eigentliche methodologische Problematik der sachlich stichhaltigen Argumente kommt gar nicht ins Blickfeld dieser Philosophie. Ich bin daher der skeptischen Meinung, daß die Diskursphilosophie keine angemessene Basis für eine Argumentationstheorie bietet. Dies gilt auch von der nicht unwesentlichen Transformation der Theorie durch Robert Ale.xy, der Rationalität und den rationalen Diskurs durch ein Regelsystem zu definieren sucht. 4 4 Mit der Diskurstheorie und Alexys Lehre habe ich mich wiederholt auseinandergesetzt und möchte mich hier nicht wiederholen. Siehe O. Weinberger, Theorie der Argumentation:

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5. Wie kommt es zur typologischen Spaltung der pragmatischen Argumentationen Wenn man die Argumentation in pragmatischer Perspektive betrachtet, d. h. die beteiligten Personen als Akteure einbezieht, werden die Prozesse des Argumentierens durch die Sprachbenutzer und deren variierende Intentionen beeinflußt. Die Sprachbenutzer verfolgen in ihren Argumentationen und Diskursen sehr verschiedene Absichten. Und hierdurch werden die typologischen Differenzen der Argumentationen hervorgerufen, die von einer brauchbaren Argumentationstheorie nicht außer acht gelassen werden dürfen. Auch bei den auf Sachlichkeit ausgerichteten Argumentationen sind de facto argumentierende Subjekte involviert. Ihrer sachlich suchenden Zielsetzung entsprechend abstrahieren sie jedoch soweit als möglich von ihrer subjektiven Wertung der Argumentation und konzentrieren sich auf die sachliche Relevanz der Gründe. Auch Berechnungen und Beweise führen Menschen aus, doch wird diese Arbeit so gemacht, daß die Persönlichkeit des Denkers hierbei genauso irrelevant bleibt, wie z. B. die Frage, ob die Niederschriften mit Füllfeder oder mit Kugelschreiber durchgeführt werden. Beim pragmatischen Begründen, bei dem die Relationen zwischen Sprachbenutzern und daher auch der Einfluß gesellschaftlicher Situationen, in denen die Argumentationen stattfinden, eine wesentliche Rolle spielen, erzeugt die pragmatische Einstellung des Redners die fundamentale Differenzierung der pragmatischen Argumentationen, von denen ich schon oben gesprochen habe. Die Intention aller pragmatischen Argumentationen ist es, das Auditorium zu überzeugen, doch kann dies zwei ganz verschiedene Dinge bedeuten. Entweder fühlt sich der Argumentierende frei, seine Thesen nach bestem Wissen und Gewissen zu bestimmen, und sie stehen auch für ihn selbst auf argumentativen Fundamenten - er ist also wenigstens im Vorfeld der Argumentation ein Suchender, der eventuell selbst aus dem Diskurs lernen will, oder aber er geht von einer These aus, die für ihn vorgegebener Glaubenssatz oder als fixiertes Ziel der Argumentation festgelegt ist. Man könnte meinen, daß es Übergänge und vielleicht auch ein Schwanken des Argumentierenden zwischen den bei den pragmatischen Argumentationsweisen geben mag, daß diese Differenz nicht ganz so wichtig ist, wie ich behaupte. Ich werde aber zeigen, daß sich die ganze Denkweise und Vorgangsweise im Diskurs danach richtet, ob man als prinzipiell Suchender oder als advocatus einer vorgefaßten Meinung argumentiert. Die Gründe, warum man advokatisch argumentiert, mögen sehr verschieden sein, aber die Vorgangs weise des Argumentierens wird durch die Vorgabe der Was heißt rational begründen?, in: P Koller IW Krawietzl P Strasser (Hrsg.), Institution und Recht, Rechtstheorie, Beih. 14, S. 253-266; ders .• Der Streit um die praktische Vernunft. Gegen Scheinargumente in der praktischen Philosophie. in: Rechtssystem und praktische Vernunft. hrsg. von R. Alexy und R. Dreier. ARSP, Beih. 51. 1993. S. 30 - 46; Basic Puzzles of Discourse Philosophy. in: Ratio Juris. Vol. 9. 1996. S. 172 - 81.

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These, als deren advocatus man auftritt, gegenüber dem suchenden Diskurs fundamental verändert. Motiv für die advokatische Zutrittsweise zum Diskurs können vor allem folgende Momente - oder deren Kombination - sein: a) Wenn man von einem Standpunkt oder einer Behauptung absolut überzeugt ist, schließen manche Menschen, daß es ihr Recht oder sogar ihre Pflicht sei, mit allen Mitteln ihre Gesprächspartner von der These zu überzeugen. Dies halten sie dann für die richtige, und vielleicht sogar für die zweckmäßigste Vorgangsweise. Wenn die propagierte Meinung wirklich das absolut Wahre und Richtige wäre, dann könnte man meinen, daß der Weg, auf dem man Akzeptanz erreicht, unwichtig sei. Indoktrination und sogar täuschende Argumentation sei dann nur eine pia fraus, durch die eventuelle subjektive Ungeschicklichkeit des Argumentierenden der guten Sache wegen kompensiert werde. [Ich kann allerdings einer solchen Erwägung keineswegs zustimmen. Die feste Überzeugung des Argumentierenden darf sich legitimerweise nur auf überzeugende Argumente stützen, und nicht auf dogmatischen Glauben. Wenn sie in entsprechender Weise sachlich fundiert ist, dann sollte man auch die Gesprächspartner durch diese Argumente für die Meinung des Redners gewinnen. Wer anders vorgeht, mißachtet den Gesprächspartner, indem er ihn als bloß manipulierbares, aber nicht einsichtsfähiges Geschöpf ansieht, und er ist in Wirklichkeit selbst ein dogmatischer und nicht ein rational argumentierender Mensch.] b) Der Argumentierende sieht es als seinen Beruf oder als seine Berufung an, für die betreffende These einzutreten. Das hat er gelernt, zu dieser Auffassung oder Denkschule bekennt er sich, oder für diese Aufgabe ist er engagiert, und hierfür wird er ggf. auch bezahlt. Es kann eine solche institutionalisierte Aufgabe geben, wie z. B. die Rolle eines Rechtsanwaltes im Prozeß, und diese Einseitigkeit oder sogar Parteilichkeit pflegt dann gerechtfertigt zu sein, weil sie im Rahmen der Institution kompensiert wird. Der Rechtsanwalt kann und soll die einseitig interessierte Sicht darstellen, weil ihm die ebenfalls teilweise andere Einseitigkeit des Staatsanwaltes gegenüber steht und vor allem weil hier die nach Objektivität strebende Rolle des Richters entscheidend zur Geltung kommt. In vielen anderen Fällen ist der advokatische Standpunkt in der Sicht einer gesellschaftlichen und moralischen Wertung weniger akzeptabel. Propagandistisches Wirken, sozusagen Reklame im nicht-marketing Bereich, ist zwar keine schöne Sache, die - wie ich noch zeigen werde sehr bedenkliche Auswirkung für die demokratische Praxis hat, ist aber in der Realität kaum zu verhindern. Was aber unbedingt verhindert werden muß, wenn man am Boden der Demokratie bleiben will, ist eine staatlich (d. h. zentral und aus öffentlichen Mitteln) gelenkte politische Reklame, die den Bürger zum bloßen Objekt der Indoktrination macht. c) Oft besteht in der Gesellschaft eine solche ideologische Konstellation, daß das Bekenntnis zu dieser Ideologie gesellschaftliche Vorteile bringt, oder sogar eine wesentliche Bedingung des gesellschaftlichen Wirkens - wenigstens in höheren Funktionen - ist. 5 Man arrangiert sich mit herrschen5 Solche Situationen bestanden nicht nur im nationalsozialistischen System und in den Ländern, in denen die stalinistische Doktrin herrschte. Zu gewissen Zeiten waren (oder sind) religiöse Glaubensdogmen entscheidende Voraussetzung fürs Mitspielen. Nach dem Unter-

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den Meinungen und ideologischen Postulaten, um nicht in die Rolle des Proskribierten oder des Dissidenten eintreten zu müssen. d) Man stimmt einem Teil des Ideenkomplexes zu und akzeptiert sukzessive andere Teile des Systems mit mehr oder weniger Widerwillen, um so lange "mitspielen" zu können, bis man sich den advokatischen Standpunkt selbst zu eigen macht.

6. Das Feld der sachlich-rationalen Argumentationen

Der Mensch schafft sich Bereiche des objektivierten Wissens und Denkens. Wissen entstammt in gewisser Weise immer dem subjektiven Erleben, denn alle Erfahrung wird von einer Person erlebt oder von gemeinsamer Erlebnis- und Beobachtungstätigkeit der Menschen hergeleitet. Das Ergebnis dieser Prozesse wird aber nicht als Summation subjektiver Erfahrungen, sondern im objektiven Sinne als Tatsachenbehauptung verstanden. Das Wissenssystem besteht nicht aus Sätzen vom Typus ,,Ich habe dort einen roten Punkt gesehen", sondern vom Typus "Dort ist ein roter Punkt". Dem objektiven Konzept des Wissens entspricht auch eine objektivistische Konzeption des Beweisens und Begründens. Das logische Beweisen ist formbestimmt und schon deswegen unabhängig von subjektiver Ingerenz. Tatsachenbeweise beruhen außerdem auf Erfahrungsdaten und der Konstruktion von empirischen Hypothesen (Theorien), die als objektiv bewährt gelten. Sicherlich gibt es auch im Bereich der objektiven Tatsachenerkenntnis nicht nur stringent deduktive Beweise, sondern aus Plausibilitätsüberlegungen. Auch Deutungskonstrukte spielen in gewissen Gebieten der empirischen Erkenntnis eine wesentliche Rolle, z. B. in der Psychologie, der Handlungstheorie, der Ethologie, in den ökonomischen Wissenschaften und der verstehenden Soziologie. Gegenstand des objektiv verstandenen Wissens sind kausale sowie Wahrscheinlichkeitserkenntnisse. Auf der Basis von nomischen Erkenntnissen können Möglichkeitsanalysen und Erwägungen unter kontrafaktischen Voraussetzungen als objektiv rationale Prozesse durchgeführt werden. 6 Vor allem in den historischen und den Sozialwissenschaften haben objektiv verstandene Plausibilitätsargumentationen ein breites Feld der Anwendung. Hierbei kommen abwägende Stellungnahmen oft ins Spiel. Gibt es rein objektive Argumentationen auch im Bereich des Praktischen? Diese Frage ist deswegen berechtigt, weil überall, wo es um handlungsrelative Thesen gang des sogenannten realen Sozialismus galt der Begriff "sozialistisch" als Marke des Verpönten, und während des österreichischen Propagandafeldzugs für den Beitritt zur EU galt jede Skepsis gegenüber der EU als das Böse schlechthin. 6 Vgl. O. Weinberger. Kontrafaktualität und Faktentranszendenz, in: Ratio 16, 1974, S.13-28.

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geht, stellungnehmende Prämissen in die Betrachtung einbezogen werden müssen, die ihrem Wesen nach subjektiven, d. h. vom Willenssubjekt abhängigen, Charakter haben. Wenn die praktischen Elemente der Überlegung (Normen, Werte, Präferenzen und die Gewichtung der stellungnehmenden Kriterien) explizit formuliert sind, dann kann auch eine praktische Argumentation rein rational, sozusagen als Berechnung, durchgeführt werden. 7 Nicht nur vom Standpunkt der Argumentationstheorie ist es wichtig, daß praktische Begründungen durch explizite Angabe der praktischen Einstellungen rational durchführbar gemacht werden können, sondern diese Tatsache bildet auch die Basis dafür, daß man praktische Argumentation intersubjektiv zugänglich, verstehbar und kritisierbar machen kann. Aus diesem Grunde kann man auch Entscheidungsüberlegungen für jemanden anderen durchführen, und man kann für jemand anderen und in dessen Namen handeln, wenn man seine Einstellungen und Interessen als Basis des Entscheidens nimmt. Diese Möglichkeit, Interessen extern (als außenstehende Person) wahrzunehmen und die Handlungsüberlegung für einen anderen durchzuführen, hat in der gesellschaftlichen Praxis viele Realisationen: Organhandlungen institutioneller Subjekte (juristischer Personen), Stellvertretung, Vormundschaft, Rechtsberatung usw. Die rationale Objektivierung der praktischen Argumentation erfordert eine klare Trennung jener Elemente der Überlegung, wo Erkenntnisse und wo stellungnehmende Elemente in den Begründungszusammenhang eintreten.

7. Der suchende Diskurs Der eigentliche überzeugungschaffende Diskurs ist im Grunde suchend orientiert. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, daß in der Praxis der kommunikativen Prozesse zwischen den Beteiligten sehr verschiedene Relationen bestehen können. Der Argumentierende kann als Lehrer oder Meinungsleader auftreten, es kann sich um Rede mit nachfolgender Diskussion, um Podiumsdiskussionen oder um einen runden Tisch des Meinungsstreites handeln. Trotz dieser nicht unwesentlichen "technischen" Differenzen sind diese Diskurse im Prinzip suchender Natur, wenigstens in dem Sinne, daß die diskutierten Thesen als Ergebnis von Begründungsprozessen auftreten und daß Kritik und Gegenbeweis zulässig sind. Die Effizienz und Offenheit des suchenden Meinungsstreits ist allerdings durchaus keine Selbstverständlichkeit. In gesellschaftlicher Sicht betrachtet, geht es darum, jene Formen des Diskurses zu institutionalisieren, die eine offene Gesellschaft braucht. Ich bin der Meinung, daß nur unter Bedingungen, die Offenheit des gesellschaftlichen Diskurses garantieren, ein echt demokratisches Leben möglich ist. Welches sind nun diese Bedingungen der Verwirklichung der offenen Gesellschaft? 7 Diese Bedingungen sind allerdings meist nicht erfüllt; manchmal hilft man sich mit zweckmäßigen Festsetzungen, die erlauben, die Analyse kalkulierbar zu machen.

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Sie lassen sich nicht vollzählig angeben, denn in konkreten Situationen können immer wieder neuartige Hindernisse auftreten; nur die prinzipielle Tendenz, geistige und diskursive Offenheit zu fordern, ist allgemeingültig. Jedenfalls muß eine offene Gesellschaft die relative Unabhängigkeit und Differenziertheit der Meinungsträger sicherstellen. Und es müssen effektive Wege existieren, daß Meinungsverschiedenheiten gleichennaßen öffentliches Gehör erlangen können. Das heißt aber, daß auch Minderheitenmeinungen ihr Platz zukommen muß. Hier ist nicht nur Zivilcourage gefordert (in der Regel werden von den Mächtigen Meinungen, die ihren Interessen und Absichten entgegenstehen, mit unangenehmen Folgen belegt), sondern es ist auch dafür zu sorgen, daß Minderheitenvoten in der Gesellschaft ernst genommen werden. [Es mag hier Grenzen für zulässige Meinungen geben, die durch Ideale der Humanität bestimmt sind.] Es gehört zum Wesen der gesellschaftlichen Struktur der Diskurse, daß jeder Argumentierende recht behalten will, d. h. als Gewinner des Meinungsstreits dastehen möchte. Das muß nicht immer mit der Sachlichkeit der Argumentation in Konflikt stehen. Dieser subjektive Wunsch, den Meinungsstreit zu gewinnen, wirkt sich aber oft recht ungünstig auf die geistige Offenheit der Gesellschaft aus. Häufig besteht in der Gesellschaft eine solche Atmosphäre, daß eine gewisse Tendenz der Wertungen und Einstellungen große Chancen hat, zu überzeugen. Viele Meinungsstreiter richten ihre Thesen - teils bewußt, teils unbewußt - weitgehend so ein, daß die Thesen der Atmosphäre entsprechend gute Aussicht haben, akzeptiert zu werden. Das ist ein oft beobachtetes Phänomen, das die Sachlichkeit der Betrachtung einschränkt. Es kann aber nicht vollkommen beseitigt werden, da diese Einstellung in der eitlen Natur der Menschen verankert ist. Ich schätze jedoch die Einstellung jener Selbstdenker sehr, die ihren Argumenten mehr trauen als Überlegungen über die Chancen der Akzeptanz bei den Zuhörern.

8. Die advokatische Argumentation Das, was ich "advokatische Argumentation" nenne, zeichnet sich durch eine besondere Struktur der Denkweise und des Argumentationsaufbaues aus. Entscheidend ist hierbei nicht, ob es zwischen den beiden von mir eingeführten Typen der pragmatischen Argumentation Übergänge gibt oder nicht - ich glaube es gibt sie in der Weise, daß die advokatische Argumentationseinstellung streckenweise in die suchende Argumentation eindringt -, sondern allein die Besonderheit der advokatischen Argumentation, daß das Probandum in fixierter Weise vorgegeben ist. Der Argumentierende sieht aus verschiedenen Gründen seine Aufgabe darin, eine Meinung durchzusetzen, für sie zu werben und Stimmung zu machen, Käufer oder Wlihler zu gewinnen. Durch diese Einstellung wird der ganze Aufbau der Gedankenführung und des Begründens verändert. Ich möchte versuchen, einige Momente anzuführen, die hier auftauchen. Beachtenswert ist dabei, daß diese argumentativen Operationsmöglichkeiten hauptsäch-

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lich im Bereich gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Betrachtungen bestehen, weil hier die Beziehungen vielschichtig sind, die Thesen praktisch immer von mehreren Parametern abhängen und weil hier oft von kurzfristigen zu langfristigen Wertungen (oder umgekehrt) gewechselt werden kann. Man wählt die Argumentationsbasis so, daß man erwarten kann, daß die Überlegungen der fixierten These günstig sein werden. Man hat gewöhnlich keine Schwierigkeiten, positive Folgen der propagierten Maßnahmen ausfindig zu machen; dies gelingt um so leichter, als man ja eine tendenziöse Darstellung anbieten kann, die in der gewünschten Richtung optimistisch ist. - Man wiederholt, was sich einprägen soll, benutzt suggestive Bilder und Metaphern. - Man argumentiert unter dem Gesichtspunkt der Beratung, aber mit der vorgefaßten Absicht, advokatisch zu wirken. - Man verfaßt Abhandlungen unter der Devise "pro und contra", aber wohlweislich die Situation so abwägende, daß die "contra" verharmlost und die "pro" unterstrichen werden. Wenn es bloß um geschäftliche Werbung geht, sind auch "optimistisch-tendenziöse Verzeichnungen" nicht allzu ernst zu nehmen, wo es aber um politische Haltungen geht, wird die Sache schon ernster. Hier droht die Gefahr, daß eine tiefgreifende Volksverführung aufgebaut wird. Bei wichtigen Problemen wird oft in der Gesellschaft eine ideologische Stimmung geschaffen, welche die Kritiker der propagierten These diskreditieren: abweichende Meinungen werden zum Unwert, der Zweifler wird zum Feind, der Meinungsgegner zum Repräsentanten des Bösen. Es ist zu erwarten, daß, sobald die einseitige Indoktrination gesellschaftlich wirksam wird, auch die Möglichkeiten der Gleichgewichtigkeit der divergierenden Meinungen in den Massenmedien und sogar auch in der Fachpresse eingeschränkt werden. In der Regel sind advokatische Standpunkte nicht nur pragmatische Richtlinien des Argumentierens, sondern Haltungen gesellschaftlicher Kräfte, die durch Macht, Einfluß und oft durch viel Geld getragen werden. Man behauptet oft, daß emotionale Propaganda nur den unkritischen Bürger betrifft, die Meinungen des mündigen und kritischen Bürgers aber gar nicht tangieren kann. Diese Auffassung ist grundsätzilch falsch. Wenn man dem Strom der Reklame und Propaganda ausgesetzt ist, kann man sich dagegen nicht wehren, daß man Namen, Sachen und Personen kennt, die einem in Werbeverfahren wiederholt vorgestellt werden. Bei entsprechender kritischer Aufmerksamkeit kann man selbständig werten; wenn man noch dazu die entsprechenden Erfahrungen hat, ggf. ganz konträr zur Propaganda. Aber im ganzen wirken emotionale Inputs doch sehr wesentlich auf die Einstellungen auch der kritischesten Bürger, denn niemand ist bei der Aufnahme aller Inputs immer kritisch, wobei vieles noch dazu unter- oder nur halbbewußt aufgenommen wird. Reklamemethoden in der Politik mit Hinweis auf den "mündigen Bürger" zu verteidigen, ist falsch.

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Der advokatische Diskurs durchbricht den für die Erkenntnis und den Fortschritt wesentlichen Mechanismus der Bewährungs- und Kritikprozesse. Hier wird Widerlegung der These nicht zugelassen. Die These wird nie aufgegeben, sondern durch Ausflüchte und Rettungsversuche weiter propagiert. Die komplexe Struktur gesellschaftlicher Tatsachen und Beziehungen begünstigt die Möglichkeit tendenzieller Argumentationen. Man kann praktisch immer Relationen finden, die als Argumente für unsere vorgefaßte These sprechen. Grenzen und andere Seiten der Sache läßt man aus der Betrachtung aus. Das probateste Mittel der advokatischen Argumentation ist die Halbwahrheit. Es ist dies aber auch die einzige Art der Lüge, die hier möglich ist. Offensichtliche Unwahrheiten werden offenbar ihre Wirkung verfehlen. Wer kennt nicht die wahren, aber doch täuschenden Statistiken als Mittel des tendenziösen Überzeugens? Es geht in gesellschaftspolitischen Analysen oft darum, die wesentlichen Ursachen der gesellschaftlichen Erscheinungen hervorzuheben. Da die untersuchten Prozesse in der Regel von mehreren Parametern abhängen, können statistische Korrelationen auch zwischen jenen Umständen bestehen, die kaum die wesentlichen Ursachen der Erscheinungen sind. Mit anderen Worten, die ursächlichen Beziehungen sind meist wunschgemäß interpretierbar, wenn man vorgefaßte Meinungen als Maßstab nimmt. Politisches Entscheiden ist im wesentlichen auf Zukünftiges gerichtet. Und das Bild der Zukunft, das man in die Entscheidungsargumentation einbringt, schwankt zwischen sachlich fundierter Prognose und Absichtserklärungen. Das Gewicht dieser Sachargumente - oder scheinbaren Sachargumente - ist meist nicht eindeutig. Es wird eher propagandistisch als durch kritische Sachlichkeit gestützt. Wenn in der Gesellschaft eine Mehrzahl von Tendenzargumentationen von verschiedenen Meinungsträgern angeboten werden, dann kann der Meinungsstreit zwischen ihnen als gesellschaftliches Korrektiv wirken; zur undemokratischen Indoktrination wird die Propaganda, wenn diese Pluralität nicht vorliegt und wenn die Propaganda zentral (staatlich) gesteuert wird. Und dies gibt es nicht nur in totalitären Staaten, sondern auch manchmal in Staaten, die sich zur Demokratie bekennen. 8 Man fragt oft und erklärt, warum man etwas macht, warum man eine Maßnahme setzt oder empfiehlt. Im Bereich der gesellschaftlich vernetzten Kausalität ist es leicht - und dies geschieht häufig -, daß man ganz andere Gründe angibt, als jene, welche die Maßnahme eigentlich motivieren. Die advokatische Argumentation ist hier sicher nicht immer aufrichtig. Auch parlamentarische Materialien zur Begründung von Gesetzen muß man kritisch lesen. 8 In Österreich wurde z. B. zum Zwecke der politischen Werbung für den EU-Beitritt ein Staatssekretariat geschaffen, das große Mittel und auch alle Formen der emotionalen Werbung eingesetzt hat. Im ganzen wurde der Diskurs nicht in einer Art geführt, der einer offenen Gesellschaft entsprechen könnte.

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9. Der argumentative Diskurs im Rechtsleben Das Rechtsleben ist ein breites Feld des Argumentierens: Interpretation, Dogmatik, Entscheidungspraxis, Rechtspolitik, um nur die wichtigsten Gebiete zu nennen. Man hat versucht, das juristische Argumentieren kritisch zu betrachten, indem man einerseits Argumentationstricks kasuistisch analysiert hat - z. B. in der Eristik oder in Perelmans neuer Rhetorik - andererseits hat man versucht, allgemeine Kriterien des rationalen Diskurses aufzustellen. Dies war offenbar eine der Absichten der Alexyschen Argumentationstheorie. Leider wird hier das Rationale der Argumentation mit dem interpersonalen Prozeß in inneren Zusammenhang gebracht, wodurch sachliche und logische Momente mit prozeduralen Postulaten für einen rationalen Diskurs vermengt werden 9 , und die von mir geforderte Differenzierung der Argumentationsweisen wird nicht beachtet. Auf die methodologischen Probleme der juristischen Argumentation soll hier nicht im einzelnen eingegangen werden. Statt dessen werde ich mich nur mit einigen besonderen Fragen dieses Bereichs befassen. Das Dasein des Rechts ist institutionelle Existenz; die Erkenntnis der Geltung des Rechts ist daher methodologisch komplex: sie ist Verstehen von Rechtsinhalten und gleichzeitig empirische Erkenntnis der gesellschaftlichen Realität. Dies ist gerade die ontologische Grundauffassung des normativistischen Institutionalismus, der Recht, Staat und Gesellschaft und alle Institutionen in handlungstheoretischer Perspektive betrachtet. 10 Die juristische Argumentation ist grundsätzlich in zwei Betrachtungsweisen gespalten: in das Argumentieren de lege lata und de lege ferenda. Es gibt zwar Aufgaben - vor allem im Feld des juristischen Entscheidens -, wo diese Argumentationsweisen ineinander greifen, doch geht es um prinzipiell verschiedene Fragen und verschiedene argumentative Antworten. Sprachlich kann man diesen Unterschied durch die Gegenüberstellung der Fragen "Was soll (rechtens) sein?" und "Was sollte (rechtens) sein?" ausdrücken. Das rechtliche Normensystem hat im wesentlichen zwei Funktionen: es ist Verhaltensregulator und dient dem Aufbau der institutionellen Strukturen. Die verhaltenregulierende Funktion haben Verhaltensnormen inklusive Rechtsgrundsätze; beim Aufbau der Organisation von Institutionen haben Ermächtigungsnormen eine entscheidende Rolle. 11 Zur Kritik der Alexyschen Lehre vergleiche die in FN 4 angeführten Arbeiten. O. Weinberger, Recht, Institution und Rechtspolitik. Grundlagen der Rechtstheorie und Sozialphilosophie, Wiesbaden 1987; ders., Norm und Institution. Eine Einführung in die Theorie des Rechts, Wien 1988; ders., Moral und Vernunft. Beiträge zu Ethik, Gerechtigkeitstheorie und Normenlogik, Wien, Köln, Weimar 1992; ders., Grundlagenprobleme des Institutionalistischen Rechtspositivismus und der Gerechtigkeitstheorie, in: P. Koller/W Krawietzl P. Strasser (Hrsg.), Institution und Recht, Rechtstheorie, Beih. 14, 1994, S. 173 -306. 11 O. Weinberger, Rechtslogik, 2. Aufl., a. a. 0., S. 261 ff. 9

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Die juristische Methodenlehre befaßt sich meist nicht eingehend mit den verschiedenen Einstellungen der Adressaten, die von ihren Rollen abhängt. Es wird mehr oder weniger vorausgesetzt, daß das Rechtssystem in objektiver Perspektive betrachtet wird, die im wesentlichen der Sicht des Richters entspricht. Um das komplexe Zusammenspiel verschiedener Verhaltensregeln zu klären, betrachten wir als Modell das Schachspiel. Es gibt hier normative Regeln, die den Spielern gewisse Pflichten auferlegen und Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Normativ ist das Ziel festgesetzt, den Gegner schachmatt zu setzen, oder wenigstens remis zu erzielen. Es gibt ferner eine Schicht von Verhaltensregeln, die nicht das Schachspiel implizite definieren, sondern die raten, wie man erfolgreich spielen kann (taktische Regeln des Schachspiels). Je nach der Beziehung des Rechtsunterworfenen gibt es auch Regeln des zweckmäßigen Vorgehens im Rechtsleben. Dies sind keine Rechtsregeln im eigentlichen Sinne, aber Anleitungen, wie man mit dem Recht zweckmäßig umgehen soll. (Ein Teil dieser Regeln kann aber auch explizite als Rechtsregeln formuliert sein, z. B. in Form einer Geschäftsordnung.) Diese Regeln sind verschieden je nach der Rolle, die der Adressat in der Institution Recht spielt. Sollte nicht die akademische Lehre durch ausdriickliche Diskussion dieser pragmatischen Anwendungsregeln des Rechts den Studenten größere Praxisnähe vermitteln? Sollte man ihnen nicht erklären, wie man als Richter, Staatsanwalt oder Rechtsberater zweckmäßig vorgeht? Jedenfalls muß man verstehen, daß der Rechtsadressat keineswegs nur ein Subjekt ist, welches das Recht zu erfüllen und das im Falle der Rechtsverletzung Sanktionen zu gewärtigen hat. Das Rechtssystem mit seinen Institutionen und normierten Verhaltensmöglichkeiten wird vom Adressaten als Rahmen seiner Entscheidungen und Handlungen angesehen, das er zur Erreichung seiner Zielsetzungen in verschiedener Weise einsetzen kann. Er kann hierbei das Recht erfüllen, verletzen oder so handeln, daß gewisse Rechtsvorschriften auf ihn nicht zur Anwendung kommen. Man kann Rechtsfolgen ausweichen. Ein derart gestaltetes Verhalten ist auch eine der möglichen Auswirkungen des Rechts auf die gesellschaftliche Realität. Argumentationen bilden wesentliche Teile von Rechtsverfahren. Diese Argumentationen nehmen aufgrund besonderer normativer Regulierungen einen besonderen Charakter an. Der Angeklagte im Strafverfahren darf lügen oder schweigen, der Rechtsanwalt hat die Interessensperspektive seines Mandanten zu wahren, was in gewisser Richtung dem ähnelt, was ich als "advokatische Argumentation" bezeichnet habe. Die spezifischen Normierungen entsprechen gewissen besonderen Funktionen, die das Argumentieren im gegebenen Verfahrenskontext hat. Im Ergebnis soll eine pragmatisch akzeptable und im wesentlichen objektive Fundierung der Entscheidungen zustande kommen.

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10. Demokratietheoretische Implikationen Es gehört seit jeher zum Wesen der Demokratie, daß in diesem System der Redner und alle Formen des überzeugenden Diskurses eine bedeutende Rolle spielen. Das Volk als unstrukturierte Masse kann nicht Schöpfer politischer Ideen und Programme sein. Demokratie beruht daher immer auf dem Wirken von Schöpfern politischer Ideen, demokratischen Herrschaftsträgem und dem Wählervolk, sowie aus den Kommunikationen und Argumentationen, die das Zusammenspiel der Schichten dieses Systems ermöglichen. Meinungsleader, Herrschende und Kommunikation dieser Elite mit dem Volk gibt es auch in undemokratischen (totalitären und diktatorischen) Staaten. Damit das System wenigstens einigermaßen dem Ideal einer Herrschaft des Volkes, im Interesse des Volkes und durch das Volk entspreche, müssen zusätzliche Bedingungen erfüllt sein. Es muß eine Pluralität relativ unabhängiger Meinungsträger existieren, es muß auch kritische Kommunikation möglich und wirksam sein, es muß Transparenz in öffentlichen Angelegenheiten geben und eine angemessene Periodizität von Wahlen. Wenn ich es in moderner philosophisch-politologischer Terminologie sagen darf: das System muß die Anforderungen einer offenen Gesellschaft in den Grundzügen realisieren. Ich bin davon überzeugt, daß Demokratie niemals durch die bloß formalen Regeln des demokratischen Wahlverfahrens definiert und gesichert werden kann. Im Gegenteil gilt - wie die Geschichte lehrt -, daß Demokratie immer wieder in ihrem Bestand gefahrdet ist. Und die Art der Gefährdungen der Demokratie nimmt je nach gesellschaftlichen Umständen neue Formen an. Politische Achtsamkeit ist immer nötig. Es kann durch ganz unterschiedliche Vorgangsweisen sowohl zu inhaltlich ganz inakzeptabler Gesetzgebung kommen (z. B. zur Unterdrückung von Minderheiten), und es kann auch zur formalen Aufhebung der Demokratie durch formal-demokratisch einwandfreie Beschlüsse kommen.

Will man die Demokratie erhalten, darf man nicht alles tun, was formal-demokratisch möglich ist. Man kann z. B. durch Mehrheitsbeschlüsse die Periodizität der Wahlen aufheben. Man kann Minderheiten vom Wahlrecht ausschließen. Man kann ideologische Staatspropaganda installieren, man kann die Verfassung brechen und den Verfassungsgerichtshof aufheben, usw. Man kann dies und anderes in formal-legitimer Weise machen; de facto vernichtet man aber damit auf einmal oder schrittweise die Demokratie. Die modeme Struktur der Gesellschaft, vor allem die Tatsache, daß wir in einer Informationsgesellschaft leben, bringt neue Aspekte der Demokratieproblematik mit sich. Information über politische Tatsachen und Wertungen gesellschaftlicher Ereignisse kann in großem Ausmaß breiten Schichten der Bevölkerung zugänglich gemacht werden. Und tatsächlich nehmen breite Schichten der Bürger solche Informationen mehr oder weniger systematisch auf. Die meisten von uns lesen Zeitungen, Zeitschriften sowie andere politisch informierende Quellen. Fast jeder hört

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Radio oder / und läßt sich vom Fernsehen informieren. Die Massenmedien sind eine politische Macht geworden, mit der die Politiker arbeiten und der sie sich gewissermaßen stellen. Massenmedien sind Bestandteile des Herrschaftsapparates, aber unter Umständen auch eine relativ selbständige politisch relevante Macht. Diese Situation ist im Prinzip eine für die Möglichkeiten des demokratischen Lebens wichtige Tatsache: der mündige Bürger kann aufgrund von sachlicher Orientierung seine politischen Entscheidungen treffen. Nicht einmal ein Berufspolitiker könnte ohne die Informationen, die ihm das Netz der Massenmedien anbietet, genügend universell informiert sein. Das mögliche Wirken der Massenmedien kann aber auch ganz andere, weniger erfreuliche Auswirkungen auf das öffentliche Leben haben. Es kann einseitige Indoktrination und Volksverhetzung (z. B. durch massive Kriegspropaganda) durchgeführt werden. Die Informationsgesellschaft mit ihren leistungsfähigen Massenmedien steht also vor der Frage, wie die Massenmedien davor bewahrt werden können, zur Indoktrinationsinstanz zu werden. Oder positiv ausgedrückt: Wie kann man die Landschaft und Tätigkeit der Massenmedien im Geiste einer offenen Gesellschaft gestalten? Für die Lösung dieser Frage der demokratischen Kultur gibt es keine einfache Antwort. Das ernsteste Problem der Demokratie unserer Tage ist das Eindringen von Marketingmethoden in das demokratische Leben. Wir haben die Vorstellung, daß das Volk seinen Willen, seine Lebensideale in einem demokratischen Prozeß in irgendeiner Weise zur politischen Geltung bringen soll und kann. Nur das ist Demokratie. Der Wille des Volkes bildet sich heraus und realisiert sich in einem komplexen diskursiven Prozeß, einem Prozeß, an dem verschiedene Gesellschaftsschichten in unterschiedlicher Weise beteiligt sind, aber immer in aktiver Form und vielschichtiger geistiger Auseinandersetzung. Durch die Realität der politischen Reklame nach dem Muster der wirtschaftlichen Marketingmethoden, hat sich jedoch der Charakter der demokratischen Systeme fundamental verändert: der Bürger ist zu einer manipulierten Wählerherde degradiert. Der Wille des Bürgers wird von den Machthabern manipuliert; der Bürger ist nicht mehr Partner von Diskursen, sondern Objekt der Indoktrination im Interesse der Herrschenden. Das politische Argumentieren hat den sachlichen und rationalen Charakter vollends verloren. Emotionale Verdummungsmethoden herrschen. In der vollkommen emotionalisierten, oft halb täuschenden Informationsweise kommen Kritik und rationale Diskussion nicht mehr zustande. Es wird eine vorfixierte emotionale Atmosphäre geschaffen, die auch das analytische Denken deformiert. Die offene Gesellschaft und damit die Demokratie wird ad absurdum geführt. Zu beachten ist, daß hierbei oft große finanzielle Mittel eingesetzt werden, aber wenig forschender und argumentierender Geist, denn die Marketingmethoden stehen ganz auf der Plattform des advokatischen Diskurses, und zwar unter Vorherrschaft emotionaler Momente. Unter Bedingungen der emotional-politischen Reklame sind Wahl- oder Abstimmungsergebnisse kein Bild des Volks willens, sondern zum großen Teil ein Effekt

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undemokratischer Indoktrination. Demokratie wird zur Pseudodemokratie, in der nicht der Diskurs, sondern der Reklamechef oder sein finanzieller Geldgeber herrschen. Und um so schlimmer ist die Situation, wenn dies der Staat selbst realisiert. Es ist unbestreitbar, daß politische Reklame, wenn sie einigermaßen fachmännisch gemacht wird, wirksam ist. Sie modifiziert die Ergebnisse demokratischer Prozesse im Sinne der Auftraggeber, gegebenenfalls auch gegen die eigenen Interessen der Wähler. Es gibt unentrinnbare Effekte der Propaganda: es wird z. B. Bekanntheit gewisser Personen erzeugt, und man kann sich durch Kritik nicht den emotionalen Einwirkungen entziehen, denn diese Einflüsse unterliegen oft gar nicht bewußter Kontrolle. Das Wählervolk besteht immer aus Selbstdenkern, Mitläufern und rein emotional Reagierenden. Wenigstens die Unentschiedenen und die rein emotional Reagierenden werden durch emotionale Werbung wahrscheinlich gewonnen. Bei großangelegten Propagandafeldzügen wird eine Gesamtatmosphäre geschaffen, die kritisches Denken und die Wirkung von Gegenmeinungen sehr behindert. Im weiteren Verlauf der ideologischen Lenkung entstehen dann solche Gesellschaftsstrukturen, die Menschen mit anderen politischen Meinungen die Karrieren abschneiden und dadurch viele Bürger in den Sog der politischen Propaganda zwingen. Politische Systeme, die zur systematischen Indoktrination schreiten und den offenen demokratischen Diskurs in advokatische Argumentationen mit im voraus fixierten Thesen umwandeln, schädigen sich selbst. Dies zeigt sich vor allem in langzeitiger Perspektive. Sie degenerieren durch Ausschaltung von Kritik und durch die Tatsache, daß der eigene Stab des Systems in solcher Weise der Indoktrination unterliegt, daß er keine objektive Information über die Gesellschaft vermittelt und daher den gesellschaftlichen Feedbackmechanismus zerstört. [Man vergleiche z. B. die Jubeldarstellungen des Zustands der Gesellschaft in den stalinistischen Systemen auch zur Zeit, als schon alles kaputt war. Ähnliche Erscheinungen kommen immer dort zustande, 'wo die Offenheit der Gesellschaft durch Indoktrinationsmechanismen ersetzt wird.] Gibt es Remedien gegen diese Entwicklung, welche die diskursive Demokratie zu zerstören droht. Ich bin nicht sicher, ob ich hinreichend wirksame Maßnahmen kenne. Zwei Postulate scheinen mir aber notwendig zu sein für eine Demokratie als offener Gesellschaft: 1. Politische Staats propaganda muß in der Demokratie verboten sein. 12 [Es ist etwas ganz anderes, wenn einzelne konkurrierende Parteien in beschränktem Maße solche Methoden anwenden, als wenn es der Staat macht, der dann ein Monopol der Werbung hat.] 12 O. Weinberger. Darf Staatspropaganda in Demokratien stattfinden? in: Kleine Zeitung vom 14.4. 1994, S. 28.

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2. Man muß in der Bevölkerung das Bewußtsein wecken und pflegen, daß diese Methoden ein untrügliches Anzeichen antidemokratischer Gesinnung sind, d. h. daß die, welche mit solchen Methoden arbeiten, sich selbst für demokratisch gesinnte Menschen disqualifizieren.

Habermas on Democracy and Justice Limits of aSound Conception 1. Preliminary Remarks This paper is a response to Jürgen Habermas's new book "Faktizität und Geltung" in which the author has presented what he calls "a discourse theory of law and of the democratic state" (Habermas 1992). Habermas's attempt to use his discourse philosophy as a tool for explaining basic problems of legal and political philosophy is, of course, important in its own right, and also for the critical comment it provokes. I believe that it is a matter of fairness to make cIear from the very beginning my personal view on the basic ideas of Habermas's discourse philosophy and on his political tendencies. I am indeed very sceptical about discourse philosophy, namely about the view that collective discourse processes have something to do with rationality, that the quality of arguments is defined by their persuasive capacity, or that communication commits the speaker to give reasons for his/her views and that a speaker always has to be ready to argue for his / her theses in discourses. Habermas's political intentions and his democratic and social convictions are much nearer to mine than the philosophical and methodological bases of his argumentation. This is why I speak on the one hand of the soundness of his conceptions, and of the limits (or failures) of his legal philosophy and theory of democracy on the other. The failures of his conception are consequences of the problematic features of discourse philosophy as such. Habermas is not very explicit in explaining the main ideas of discourse philosophy in this book; instead, he presupposes their validity as a more or less uncontroversial basis for his theoretical and political argumentation. I approve of this technique of dealing with the essential issues of this book without repeating in detail all the ideas of discourse philosophy, because it would be boring for the reader to hear a complete repetition of Habermas's discourse theoretical considerations. But a critical analysis - which is my task in this paper - cannot contest the concIusions without also criticizing the presuppositions of the discourse philosophical approach. The cIass of problems with which the author deals is not exactly the field of traditional jurisprudential and democracy-theoretical research. But in any case Habermas's theses are important for actual analyses in legal and political theory.

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I must restrict my considerations to the following questions: (i) the problem of legitimacy of a legal system, or to put it in other words: the relation between facticity and validity of law; (ii) Habermas's conception of democracy and of the democratic state; (iii) his views on justice. Before starting my exposition of these topics I must argue for my rejection of the presuppositions of discourse philosophy. This is necessary as I shall argue that it are just these methodological presuppositions that spoil so me sound ideas conceming democracy and justice. 2. Rationality and Discourse Rationality is in the first place what we can call logical rationality, namely a matter of the appropriate structure of thoughts (in the objective sense) and their linguistie expressions, and of the correct way of carrying out inferences and proofs. Logieal rationality is not only a matter of applying given logieal rules, but is also dependent on the constitution of appropriate semantic and logical systems. The elaboration of semantics is connected with a philosophieal analysis of methodological tasks in the field under consideration. Regarding practical philosophy in the broad sense, the discussion of dichotomie semantics, i.e., of semantic systems embracing the categorial distinction between descriptive and practical sentences (cf. Weinberger 1989, 1991,70-89), is the main issue. In the modem conception of logic, which is guided by the principle of tolerance we take into consideration various systems of logic, but all logical systems presuppose the idea of "logique oblige" - that accepted rules must be strictly followed. In various systems of philosophy of science rationality is also understood in a different, methodological sense. Rational argumentation and rational proceedings are methods which provide knowledge and which are the basis of valid scientific proof. The basic idea of discourse philosophy, namely the notion of discourse rationality, is a methodological conception rather than a view on the logic of argumentation. In my opinion, the notion of discourse rationality is detrimental for science as weil as for practical philosophy, because it is at variance with the fundamental character of knowledge and scientific argumentation. The idea of discourse philosophy is based on the - at least implicit - opinion that there are two opposite conceptions of rationality and argumentation, namely an individualistic and a collectivistic view. I I K. -0. Apel has rather c1early expressed this opposition by the alternative of the standpoint of a collective procedure in a communicative community and the view wh ich he calls "methodological solipsism" . The main point of the opposition is c1ear despite the fact that the term "solipsism" is out of place here. Cf. Apel (1973) and Weinberger (1992,258).

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Knowledge, argumentation and proof in the sense of science and philosophy are neither a matter of individual mental states nor products of collective communicative operations. Instead, they are objectivized constructions, so to speak ideal objects which are meaningful in themse1ves and independent of mental or social acts. The objectivization of thoughts, their conception as ideal constructions which are conceived of as separate from their production by individual or collective acts of thought (or in other words, the separation of objectivized ideas from mental or social acts) is the fundamental step from psychologism to ideal constructivism as a necessary basis for science, philosophical analysis and logic. This view is important as an indispensable precondition for logical procedures and for intersubjective discourse. Communication does not deal with the subjective experience of thought processes and the content of mental or collective phenomena, but with thoughts as objectivized ideal entities. 2 Discourse rationality is not simply the result of communicative processes of argumentation; truth and correctness - the genuine result of discourse rationality are bound to the idea of ideal discourses. 3 Ideal discourses are only a kind of regulative idea or a model of argumentation, not an actual collective process. The presupposition that discourse processes must lead to the best knowledge or to the best practical view is not well-founded. Ideal discourses are fictitious models of argumentation which may not be convergent to one absolutely valid result; and real discourses do not necessarily lead to consensus, nor do they guarantee that the best opinion will be accepted by the participants in the discourse. This comment on discourse rationality is, of course, compatible with the belief that social discourses are a very important tool for achieving intellectual, moral and political progress. But there is no reason to attribute to the resuIts of discourses the character of rationality, objectivity, truth or correctness - as discourse theory does. 3. The Problem of Good Arguments Nobody doubts that there are strong and weak, valid and invalid, more and less convincing arguments. But the definition of valid arguments (or "good reasons") is an open problem. The first step to arriving at a useful theory of good arguments is, 2 Habermas himse1f is aware of the fact that thoughts can be conceived of as objectivized ideas as he writes: "Thoughts remain, even if they are grasped by different subjects at different pI aces and at different moments, in a strict sense the same thoughts" (Gedanken bleiben, auch wenn sie von verschiedenen Subjekten an jeweils verschiedenen Orten zu jeweils anderen Zeiten erfaßt werden, ihrem Inhalt nach im strikten Sinne dieselben Gedanken.) (Habermas 1992, 25). But I doubt wh ether he realizes the fact that in the whole context of scientific and argumentative discourse we are dealing with objectivized thoughts. 3 Concerning the problems of the opposition of real and ideal discourses cf. Weinberger (1992,259 f.; 1993, 1994).

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in my opinion, to distinguish between two aspects of argumentation that are in principle different, namely the validity of reasons and the pragmatic effect of argumentation in generating plausibility or acceptance in an audience for the theses under consideration. Good reasons, from the perspective of the validity of argumentation, are means by which proofs can be constructed, or at least by which the probability of the thesis is strengthened. As it seems necessary also to take objective rhetorical argumentation into consideration, we can say that good arguments are able to underpin acceptability.4 It is misleading to conflate good reasons in the sense of valid arguments with the persuasive capacity of arguments. It is very dangerous to do so in political theory, because history shows clearly that very unsound reasons have often been accepted by a broad audience as absolutely convincing. There is hardly an idea that is so preposterous that it could not be accepted as a good reason under appropriate circumstances and strong propaganda. People have believed in devils, in witches, in racism, and have used such convictions as "good arguments," that is as effective tools of persuasion. Irresistible propaganda would be the ideal of democratic policy if we were interested only in persuasive effects, as such invalid, but suggestive tools of argumentation are in fact very effective.

4. Kinds of Theses There is a great variety of theses which can be the topic of argumentation: logical relations, descriptive facts, laws of nature (nomic assertions), institutional facts, value standards, value judgments, preferences, norms, practical decisions, etc. The structure of valid argumentation will be rather different in relation to each of these different kinds of theses. Conceming moral, legal and political questions there is a special relevance in people's opinions and in conclusions not reached by cognitive deliberation, but through consensus arrived at by democratic bargaining. But even in this case - if we accept the relevance and importance of such agreements because of our democratic conviction in favour of such agreements - we are not entitled to hold that the content of an agreement is always the best solution. It is only a good solution relative to the actual knowledge and the accepted ideals of the persons concemed.

4 The use of the notion of acceptability - in opposition to acceptance - meaning "acceptance with good reason" iso indeed. that a solution of the problem of what good reasons are. I suppose that we cannot find a general and satisfactory ans wer to this problem. just because the validity of arguments - or the definition of wh at good arguments are - is relative to the respective field of argumentation. so that there is not one universally valid answer to our problem.

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The result of a free agreement may not be a just ordering of interpersonal relations. The opinion that volenti nonfit iniuria is primajacie a plausible opinion, but it can also be a dangerous illusion. A free agreement may not only be subject to error on one side, but the relative social situation can motivate a person to accept very unsound and rather unjust agreements.

5. Consensus and Objectivity; Acceptance or Acceptability; the Unsoundness of the Consensus Theory of Truth; Consensus and Practical Justification There is no doubt that in many fields of reasoning and practice as weil as in politics problems of consensus are important. In democratic systems acceptance of opinions is always a central question and, so to speak, a criterion of reasonable politics. Yet even in non-democratic systems acceptance plays a role, because every ruler is interested in having a c1ass of supporters of his system. (No one can be an absolute ruler in the strict sense of being wholly independent of supporters.) It seems to be a specific feature of the democratic conception that political positions are in so me way derived from the will of the members of society and determined by the interests of the people. 5 Broad consensus on practical topics cannot always be achieved. Improving acceptance is not only a matter of argumentation, but to a considerable extent a matter of inventing dispositions of social institutions and activities which have a chance of acceptance. Some authors try to bridge the gap between acceptance in a discourse process and the characterization of its result as justified by postulating not only acceptance, but also acceptability of practical opinions. But the characterization of an opinion as acceptable depends on additional argumentation besides consensus in a discourse. All processes of argumentation are confrontations between opinions of individual persons or of social collectivities. By no kind of consensus - not even by universal consensus - is there a road from people's opinions to the objective truth of a thesis. Majority opinion or even a universally accepted opinion is quite another thing than objective truth or objective validity. Under the impression of the impossibility of reaching absolutely valid empirical knowledge or of ascertaining objectively valid moral principles or objective value standards, some philosophers con5 There are different views on the way in which this dependence of the collective will on the will of the individuals should be adequately realized. The relation is rather complicated as it is not only a matter of voting. but in the first place of constructing what should be the content of social acts and of political actions. Institutionalism underlines the fact that the ideal framework and the aims of institutions are proposed by leading elites of the institutions and only accepted by cooperating participants and other persons concerned.

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ceive objectivity as established by universal consensus. But such a position is very inappropriate and misleading. In the cognitive realm, such a conception is represented by the so-called consensus theory of truth. This conception is mi staken. It works with the problematic notion of an ideal discourse. Even in this case, there is no valid transition from opinion to objective validity. The consensus definition of truth is actually logically deficient, because no proof of convergence of discourses has been presented - nor, in my opinion, can any such proof be given. 6 In the conception of consensus theory, truth is a kind of limit, and to speak of a limit without proof of the existence of convergence is unjustified. In the field of argumentation about practical and political matters, consensus has a more constitutive role, but even here consensus should not be identified with objective correctness. The (unjustified) supposition that actual consensus proves objectivity of an opinion or evaluation would hinder reconsideration in the future, and all practical conceptions should be open for new scrutiny as time passes.

6. Legitimacy In the framework of Habermas's procedural conception of law (prozedurales Rechtsverständnis), legitimacy of law is dependent not only on acceptance of the legal system and of its norms, but also on rational acceptability, which is given only if the production of law is realized in a democratic process and on the basis of a discursive process by which a consensus is established. The source of legitimacy is based on the democratic process of generating the law, and this process is an expression of the sovereignty of the people (cf. Habermas 1992, 117). There are two ideas wh ich determine the democratic Rechtsstaat, namely people's sovereignty, i.e., the right and power of the people to establish legal norms in a democratic and discursive process, and human rights. There is, of course, a certain inner discrepancy which Habermas tries to express by the notion of the immanent tension between facticity and validity of the law. His way of dealing with this problem does not seem very clear to me. If human rights are postulates given before and independently of legislative acts of will, they are a kind of limit within which discursive generation of norms has to be realized. Does this mean that human rights principles are self-evident and therefore binding for all possible legislation, or are they material criteria of legitimacy independent of democratic legitimation by lawgenerating processes? Habermas's view seems to be expressed in the thesis: "The normative content of human rights is itself part of the realization of people's so vereignty" (ibid., 131 ).7 6 Cf. Weinberger (1993. 1994; 1992. 257 - 59) where the methodological shortcomings of the consensus theory of truth are discussed.

7 "Der normative Gehalt der Menschenrechte geht vielmehr in den Vollzug der Volkssouveränität selber ein."

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Habermas's idea of discursive justification of acceptance, i.e. the establishing of acceptability of law, is indicated in the following quotation: "If discourses are the place where rational will can be formed then legitimacy of law is based on a communicative procedure: All persons which form the legal community are entitled to test as participants of rational discourses whether the norm under consideration will find or could find assent in the dass of persons which could be concemed by it." (Habermas 1992, 134)8 Let me quote a passage which shows Habermas's view on the relation between legal form (I would prefer to say: The relation between legal empowerment) and rational acceptance or acceptability. ''The execution of political power is not legitimated by a formal legal relation, but only by the commitment following from law which has been stated in a legitimate way. And on the post-traditional level of justification such a law is only legitimate if it could be accepted by all members of the legal community in a discursive process of formation of opinion and will." (Habermas 1992, 169)9 This is rather problematic from the juristic point of view as weil as from the point of view of general argumentation theory. The validity of formally established law is assessed with regard to a rather undetermined criterion of legitimacy. This criterion is not based on an actual discursive process wh ich has in fact taken place, but on a fictitious procedure ("rational akzeptiert werden könnte"). Here, therefore, not acceptance but acceptability is postulated. And this acceptability has to be reasonable, but it is not established by areal discourse. In fact discourse and assent are only feigned, and Habermas's argumentation is wholly misleading. It has nothing to do with discursive democracy. I doubt the adequacy of Habermas's conception of discursive justification of law. It is undetermined, because the dass of people concemed by a normative role (die Betroffenen) is nearly always controversial. It often indudes persons who cannot participate in actual political discourse: Future generations, children or mentally ill persons. Habermas's exposition gives the impression that there is one univocal ans wer to such political questions, so to speak one, and only one, discursively rational solution. Yet in reality deliberation is not determined by the facts of the case under consideration. There are, at least, different possibilities of evaluating the proposal (or the outcome of the analysis), dependent inter alia on the temporal horizon of judging the problem - remember the well-known opposition between the short-term and long-term views). 8 "Wenn aber Diskurse den Ort bilden, an dem sich ein vernünftiger Wille bilden kann, stützt sich die Legitimität des Rechts letztlich auf ein kommunikatives Arrangement: als Teilnehmer an rationalen Diskursen müssen die Rechtsgenossen prüfen können, ob eine strittige Nonn die Zustimmung aller möglicherweise Betroffenen findet oder finden könnte." 9 "Nicht die Rechtsfonn als solche legitimiert die Ausübung politischer Herrschaft, sondern allein die Bindung ans legitim gesetzte Recht. Und auf dem posttraditionalen Rechtfertigungsniveau gilt nur das Recht als legitim, das in einer diskursiven Meinungs- und Willensbildung von allen Rechtsgenossen rational akzeptiert werden könnte."

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It is confusing to put side by side "Zustimmung finden" and "Zustimmung finden können, " as there is an essential difference between an actual consensus in a real discourse and the possibility of consensus. It is nearly impossible to judge possible consensus, and the mere possibility of consensus is no valid argument for a normative rule.

Habermas's criterion of legitimacy is not se1f-evident. Universal acceptance is a democratic idea of a sort, but is certainly not equivalent with valid justification, as we know of many cases in which such a social consensus has occurred (e.g., in establishing a dictatorship), and where one would not be willing to acknowledge it as rational even if it were the result of discursive process. Every political system declares itself to be legitimate - even if the legitimacy is only based on problematic postulates, e.g., on so-called "historical rights". Internationallaw tries to state criteria of legitimacy which are, instead, based on facticity, namelyon actual ability to legislate and enforce the law and on the organization of the respective state and society. Such a view is, of course, unsatisfactory from a philosophical point of view. But if we take peace and peaceful evolution as the basic social ideal, then we have to start from the actual political situation and must acknowledge existing power relations as prima facie legitimate. Such a view allows for the fight for a more democratic political system, but not by simply defining the actual political state as wholly illegitimate. We should strive for improvements, but we should not simply morally disqualify all political structures which are not in accordance with our ideals. The political experience of our time shows clearly that it is necessary to find appropriate procedures to achieve peaceful transformations of political systems and of the structure or the borders of states. Theoretical considerations point in the same direction. International law and the policy of the political organization of the world should not be restricted to actions by which conflicts are restricted and resolved, i.e., it should not act merely as a "fire brigade" but in the first place as a forum to adapt political situations to actual developments by peaceful means. It is an essential feature of the democratic Rechtsstaat that its legal system provides tools for changing the rules and the organization of the system in a legal way, namely by the institutionalization of empowered legislation. An analogous political arrangement must be established in the field of international law, which would be able to rearrange the organization of the state and relations between different states if we want to prevent deep conflicts which necessarily lead to military measures. The idea of political legitimacy has to be developed into an international legal system allowing for dynamic processes of adaptation which would at the same time proscribe military action as a means for rearranging political relations between states and between parts of astate aiming at autonomy.

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7. Habermas's Theory ofDemocracy Habermas's conception of democracy is characterized by his discoursetheoretical views. Discourses are - in his view - the essence of democracy. But the author's conviction that discourses by themselves lead to the justification of law and social institutions has the problematic effect that he does not deal in detail with the real problems of the organization of discursive processes in society. and the very important forces that in practice disturb the rational and effective realization of discursive processes and democratic decision making. I completely agree with Habermas that discourses in society and an appropriate organization of them is one of the most important and even a defining characteristic of every democratic system. But I disagree with hirn that discourses as such are a measure and. so to speak. a sufficient legitimation and justification of any result of social discursive processes. As I do not accept every result of discourses as justified. I draw my attention especially to various forces which in practice disturb rational argumentation in socia! discourses. namely the damaging effects of propaganda. prejudices. and unreflective argumentation by mere political slogans. When lobserve political argumentation in practice. I see the detrimental influence of half-truths. the deflection of the discussion from essential points to unimportant topics. a heavy suppression of dissenting opinions. and the use of a terminology which casts a distorting light on the matter. These influences are not always an effect of power relations. but often an effect of the intention to fight for a political party and to reach power in democratic political processes. People are often convinced of the validity of principles expressed in slogans. and do not appreciate the fact that such principles have their limits of application. They believe. e.g .• in self-determination of nations (without appreciating the fact that this often leads to the destruction of weil established and peaceful bodies. and that most nationalist movements are not willing to apply this principle to other nations. namely to their own minorities); many democrats believe that only collective decisions are appropriate or that only privatization can establish effective production. and do not carry out a functional analysis of the respective institutions. We should not forget two facts: (i) Political relations are nearly always very complex and embedded in a network of causal relations. Therefore it is easy to find arguments - even valid arguments - in favor of a political conception which accords with the interests of a powerful group. There is a good basis for deceptive propaganda. and we know that vulgus vult decipi. It is dangerous for democracy and not in accordance with reality to presuppose critical thinking in the masses. (ii) The social processes of collective choice are far from being a matter of justified reasoning. It is not the installation of collective and discursive processes that leads to a reasonable policy of discursive democracy. but the establishing of an open society which is directed toward critical scrutiny realized by democratic elites.

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In short: I am a partisan of a discursive conception of democracy, but not in the sense which discourse philosophy attributes to the notion of discourse. We should analyze not only the organizational structure of social discourses - e.g., the role of an adequate plurality of institutions which take part in the formation of the convictions of the people -, but also the logical and rhetorical structure of political argumentation. Habermas gives two forms to the notion of autonomy: in one it is the basis of moral principles, in the other of the principles of democracy. Human rights, he says, have moral content, but are legal rights (Habermas 1992, 136).10 It seems strange to me when the author says "a legal order can be legitimate only if it does not contradict moral principles" (ibid., 137). Such a thesis, which is reminiscent of a natural law position, is hardly compatible with Habermas's subsequent theses, that moral principles have no hierarchical preference over the law, and that autonomous morality stands to positive law in the relation of a supplement. 11 If a norm - here the norm of morality - has the power to exc1ude the validity of a norm of another system - here a norm of the legal system - this norm is hierarchically stronger (in the logical sense) than the norm of law. This means it is "übergeordnet". From a sociological point of view, morality and law are complements insofar as they both playa role as motives, and do so in functional cooperation, but sometimes also in a conflicting way. But from the point of view of validity of normative systems they stand separately side by side, so that - in my opinion - not even conflicts in their content are exc1uded. Habermas founds his theory of democracy on assumptions which are expressed in definitions or definition-like theses: (i) Practical questions can be judged impartially and decided rationally (ibid., 140). As the solution of practical problems depends essentially on value standards and preferences (which can be divergent) there is not a unique and impartial rational solution of all practical questions. (ii) All norms of action (moral or legal norms) are valid that can be agreed upon by all persons potentially affected participating in rational discourses (ibid., 138). The c1ass of all persons potentially affected by an enactment is controversial in principle (e.g., future generations may have a justified interest in our actual decisions about our economic activities). There is no good reason for the supposition that universal agreement will be reached about a proposed enactment. I do see how this thesis can be justified in the framework of discourse theory. Aber dieser Moralbezug darf uns nicht dazu verleiten, die Moral dem Recht im Sinne einer Nonnenhierarchie überzuordnen. [ ... ] Die autonome Moral und das auf Begründung angewiesene positive Recht stehen vielmehr in einem Ergänzungsverhältnis" (Habermas 1992,137). 10

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(iii) Every attempt to arrive at an agreement on validity claims is a rational discourse if it takes place under the conditions of communication within a public realm established by illocutionary duties which makes possible free discussion about topics and contributions, information and reasons (ibid., 138 f.). Rational discourse cannot be defined by formal procedural rules alone; it depends on appropriate methods of argumentation and on effective methods of inquiry, and in the realm of practical philosophy also on accepted value standards and preferences. (iv) In moral disco urs es the rule of argumentation has the form of the rule of universalization (ibid., 140). The principle of universalization is, of course, neither uniquely determined (it is not stated which elements shall be subject to universalization: see Weinberger 1988, 225 f.), nor is it sufficient to underpin by itself all moral argumentation. (v)

Principles of democracy and of morality can be distinguished on the levels of external and internal considerations (Habermas 1992, 142).

In my opinion it is not very illuminating to back up the distinction between morality and law by the old idea that in morality only inner views are relevant, while in law only external views are applied. (vi) On the basis of rational morality (Vernunftmoral) the individual tests the validity of norms under the presupposition that they will be in fact fulfilled by everybody (ibid., 148). Such a contrary-to-fact supposition - is also held by other authors - is neither necessary nor useful. In arguing for rules and for the acceptance of moral principies we should take a realistic position. (vii) Private and public autonomy have to be realized with the same weight, and in the discourse-theoretical conception of autonomy, human rights and sovereignty of the people have an internal connection (ibid., 151). The interesting and important problem of the conception of human rights as a valid presupposition and the autonomy of the people to state social rules freely cannot be answered by such a pseudo-explication ("internal connection").

If we derive the content of all practical principles from the individual standpoints and convictions of the individuals concerned articulated in discourses, we reach a situation similar to that reached by liberal philosophers who try to derive social evaluation of social normative regulations from individual value standards and preferences. I doubt whether this is appropriate. The specific value standards and preferences of institutions are, in the conception of institutional theory, a specific construction determined in the first place by the idee directrice of the institution, which is constructed in a process of founda-

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tion of the institution, and which derives its force from the identification of the participants with the leading idea. Because of this identification with the institution, people work to develop and realize the leading idea. It is a dangerous illusion to conceive of social discourses as processes in which all persons play the same role. A realistic sociological view on social processes of argumentation and of producing convictions is not shaped by such a conception of equality. Habermas's supposition restricts his analysis in such a way that the most important problems are not analyzed; in the first place the 'role of elites' , and secondly the multiplicity of dangers which can destroy the value of democratic processes (e.g., deceptive propaganda or slogans).

8. Habermas's Theory of Justice

Habermas's ideas conceming justice are not a very specific theory, but more of an ec1ecticism which is coloured in a characteristic way by the principles of discourse philosophy. In Habermas's theory of justice there are so me background convictions which in fact determine his position: The tendency to fight against domination which reduces freedom and openness of mind; the acceptance of the principle of universalization; the awareness of the fact that there are no objectively valid principles of justice (as regards the content of just rules and just action), which leads to the view that justice must be founded only on procedural criteria. I have the impression that in Habermas's mind democracy (in the conception of discoursive policy), the legitimacy of law and justice are strongly linked together so that they can only coexist and form a whole. This is an interesting and attractive feature of the theory, but it also implies some problems. The approach based on the postulate of discursive policy does not provide a tool for drawing a c1ear boundary between criteria of justice and utility considerations determining our decisions. Both depend on argumentative procedures and a resulting consensus. In these processes there is no good reason for distinguishing strictly between criteria of justice and arguments of usefulness. The c10se linkage between justice and ideas of democracy, though it is useful as a source of effective arguments in our political considerations about social justice, also implies some problems. Is justice only an issue in democratic systems, so that the question of whether a social relation, a normative rule or adecision is just makes no sense in non-democratic systems? I believe that a theory of justice is defective if it is valid only under the specific conditions of democratic society. Habermas's theory of justice is a procedural theory, insofar as it does not argue in favor of specific principles of justice - though it presupposes some of them to be valid independently of discourses and acceptance in discourses (namely the

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principle of universalization and perhaps also some principles of human rights) but justifies the validity of principles of justice with the help of discourses and consensus. (It is not a theory of procedural justice in other senses, namely in the sense of looking for rules of procedure which can optimize the application of the law, or in the sense of achieving the subjective acceptance of legal procedure by participants: cf. Röhl 1993.) Only a theory of morality and justice which is conceived of in a proceduralistic way can provide for an impartial procedure of justifying and weighing principles. (Habermas 1992,562 f. )12 I cannot see a convincing reason why procedures by themselves should guarantee impartiality. They can do so only if principles of universalization and / or of a hypothetical exchange of roles are accepted. Nor do I understand why in another process of argumentation impartiality cannot be realized. Decisions on practical questions are always dependent on the value standards and preferences which are applied; and I cannot understand how impartiality in respect of these determinants of practical decisions can be realized. Habermas holds that "the idea of impartiality forms the nucleus of practical reason" (ibid., 563).13 Impartiality has to be applied to the justification of norms of morality and justice. The author deals with three approaches which give an ans wer to this problem. Rawls, who arrives at an impartial justification by transferring deliberation to a fictitious original position behind a veil of ignorance about the deliberator's own position in society, Kohlberg's view based on the idea of intertwined reciprocal relations, and his own method (shared with Apel 1973). This theory holds that moral argumentation and argumentation in matters of justice presuppose that there is a cooperative discursive procedure in which only better arguments are decisive (Habermas 1992, 564 f.). In the field of law, to assess the justice of an enactment it is only essential to know whether the decision has been arrived at by a procedure following the rule of law and of rational discourses. The structure of the procedure leading to rational formation of the will is based on the presupposition that the cooperative process is determined only by the force of the better argument. 14 I doubt whether Habermas's advice as to how to analyze problems of justice, namely the reference to a discursive procedure by which acceptability would be proven, is sufficient for practical argumentation in the fields of social policy and individual decision making. In my view, problems of justice are not only formal 12 "Allein die prozeduralistisch angelegten Moral- und Gerechtigkeitstheorien versprechen ein unparteiliches Verfahren für die Begründung und Abwägung von Prinzipien." 13 "Diese Idee der Unparteilichkeit bildet den Kern der praktischen Vernunft." 14 Here the quality of arguments cannot be their convincing force - as Habennas defines good arguments at other pI aces (otherwise the exposition would be circular), but must be their objective quality.

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problems and cannot be tested by mere procedural criteria, but are value decisions in which rational argumentation (in the logical sense) plays a role, yet remains in a high degree relative. Habermas himself is, of course, aware of the fact that rational assent of the participants, is neither infallible, nor univocal, nor temporal (ibid., 566). In his book, Habermas (1992) aims not only to establish a specific theory of law, but also to present a theory of the democratic Rechtsstaat. In order to accomplish this intention it would have been useful to discuss the two following problems as well: (i) the possibility of transformations of the structure of a democratic state in legal processes on the basis of empowering norms, and (ii) the relevance of other theories of democracy, e.g., Schumpeter's, Down's teachings, pressure-groups theory and the Marxist conception.

References Apel, K.-O. 1973. Transfonnationen der Philosophie. Frankfurt: Suhrkamp. Habennas, 1. 1992. Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates. Frankfurt: Suhrkamp. Röhl, K. F. 1993. Verfahrensgerechtigkeit (Procedural Justice). Einführung in den Themenbereich und Überblick. Zeitschrift für Rechtssoziologie 2: I - 34. Weinberger, O. 1988. Nonn und Institution. Eine Einführung in die Theorie des Rechts. Vienna: Manz.

- 1989. Rechtslogik. 2nd ed. Berlin: Duncker & Humblot. - 1991. Law, Institution and Legal Politics. Fundamental Problems of Legal Theory and Social Philosophy. Dordrecht-Boston-London: Kluwer. - 1992. Conflicting Views on Practical Reason. Against Pseudo-Arguments in Practical Philosophy. Ratio Juris 5: 252-68. - 1995. Argumentation in Law and Politics. In Communication and Cognition: 37 - 54. - 1994. Basic Puzzles of Discourse Philosophy. Ratio Juris 1992, S. 172-81.

Diskursive Demokratie ohne Diskursphilosophie l Unter Diskursphilosophie verstehe ich die von Jürgen Habermas, Karl-Otto Apel und anderen vertretene philosophische Konzeption, die vor allem folgende Thesen vertritt: (1) Diskursrationalität: Rational ist, was im (idealen) Diskurs Konsens erzielt. Das

Vernunftmäßige wird soziologisiert, indem ein interpersonaler Prozeß im Gegensatz zum individuellen Denken als Merkmal des Rationalen hingestellt wird. (2) Den tatsächlichen Prozessen des Meinungsstreits wird ein ex definifione irrealer, sog. idealer Diskurs gegenübergestellt, der als herrschaftsfrei, jedem zugänglich und zeitlich unbegrenzt definiert ist. Er wird als Mittel der Wahrheitsund Richtigkeitsdefinition verwendet und als Maßstab gesetzt, dem sich reale Diskurse nähern sollen. (3) Dem traditionellen Wahrheitsbegriff wird der Begriff der Konsenswahrheit entgegengestellt: Wahr ist, was im idealen Diskurs universellen Konsens erzielt. (4) Sowohl in der kognitiven wie auch in der praktischen Sphäre wird Konsens als Ziel und einziges entscheidendes Kriterium angesehen. (5) Gute Gründe der Argumentation sind genau jene, die das Auditorium überzeugen: die Qualität der Argumente wird nach ihrer Überzeugungskraft beurteilt. (6) Es werden Vorbedingungen der Kommunikation als universell notwendig festgesetzt, nämlich Wahrhaftigkeit und die Bereitschaft, Thesen (jede Mitteilung) in offenen Diskursen zu verteidigen. (7) Aus den immanenten - schon immer vorausgesetzten - Prinzipien der Kommu-

nikation werden notwendig geltende Prinzipien der Moral abgeleitet. Ad (1): Rationale Argumentationsprozesse - Beweise und Begründungen - sind weder individuell noch kollektivistisch. Sie sind nicht als pragmatische Operationen zwischen Menschen zu verstehen, sondern als Begründungen, die sich auf gute Gründe stützen. Es ist ihr grundlegender Wesenszug, daß sie sachlich, also objektiv verstanden werden. Sie werden als gültig oder ungültig beurteilt. Die rationale Beziehung, auf die sich jede rationale Argumentation stützt, ist wohl zu unterscheiden von den pragmatischen Prozessen des interpersonalen Überzeugens. [Überzeugen I Ausführlicher habe ich mich mit Habermas' Demokratietheorie auseinandergesetzt in: Habermas on Democracy and Justice. Limits of aSound Conception. in: Ratio Juris Vol. 7. 1994, S. 239-253.

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kann man mit rationalen Argumenten, manchmal aber auch mit falschen oder täuschenden Thesen. Und es kann auch der Fall eintreten, daß ein strikter mathematischer Beweis einen Zuhörer gar nicht überzeugt, z. B. weil er ihn nicht versteht.] Ad (2): Der Begriff des idealen Diskurses ist eine schlechte Idealisierung; er erfaßt weder das Wesentliche des Meinungsstreits noch die Bedingungen der fortschrittsfördernden Diskussion. Herrschaftsfreiheit ist unter allen Umständen, unter denen Menschen leben, irreal. Außerdem kann trotz Herrschaft mit Zivilcourage Wahres gesagt und für Fortschrittliches gekämpft werden. [Bedenke das Wirken von Dissidenten.] Auch wenn wir einen herrschaftsfreien Diskurs denken (in dem nicht einmal die Autorität großer Denker einen Sondereinfluß haben dürfte), ist hierdurch in keiner Weise sichergestellt, daß die Diskursteilnehmer gute Ideen haben werden, Forschungs- und Beweismethoden ersinnen werden, die weiterführen. Durch Herrschaftsfreiheit wird zwar der Mut zur Kritik überflüssig, aber es wird hierdurch nicht sichergestellt, daß analytisch treffsicher kritisiert wird. Auch universelle und freie Teilnahme sowie die zeitliche Unbegrenztheit garantieren nicht, daß die idealen Diskurse einen fruchtbaren Verlauf haben werden und zum Konses führen. Es ist nicht einmal begründbar, daß ein späteres Stadium der im Diskurs vorherrschenden Meinung immer der wahren Erkenntnis näher ist als ein früheres. Die Habermasschen Kriterien des idealen Diskurses garantieren weder eine Optimierung der Argumentationen noch universelle Konvergenz der Meinungen. Der ideale Diskurs ist daher kein brauchbarer Maßstab realer Diskurse. Ad (3): Wenigstens aus zwei Gründen ist die Konsenstheorie der Wahrheit inakzeptabel: (a) Jeder Diskursteilnehmer vertritt eine subjektive Meinung. Auch wenn alle dasselbe meinen, bleibt es Meinung - und kann falsch sein, denn alle können irren. (b) Konsenswahrheit ist ein Grenzbegriff, dem man sich im idealen Diskurs nähert. Da nicht bewiesen und nicht beweisbar ist, (i) daß der fortschreitende Diskurs sich mit Notwendigkeit der Grenze nähert und (ii) daß jeder Idealdiskurs sich einem einzigen Wert nähert, ist die Existenz dieser Grenze nicht bewiesen. Von Konsenswahrheit im Habermasschen Sinne zu sprechen, ist also logisch unzulässig, da die Existenz der so bezeichneten Entität nicht bewiesen ist. Ad (4): Auch bei universellem Meinungskonsens - und um so mehr bei Mehrheitsansichten - bleibt die objektive Geltung der These offen, es bleibt immer die Möglichkeit von Kritik und Revision bestehen. Es muß prinzipiell zwischen Konsens in faktisch durchgeführten Diskursen und vorausgesetztem Konsens in einem idealen (und daher irrealen und nur modellhaften) Diskurs unterschieden werden. Für die erste spricht die (widerlegbare) Präsumtion der aktuell herrschenden Meinung und wenn es um praktisch-politische Fragen geht, das demokratische Votum. Beim Idealdiskurs, der immer irreal ist, kommt es zu einer Umkehr des Begründungsweges: der Konsens ist kein festgestelltes Faktum, von dem die Begründung ausgehen könnte, sondern man hält eine These für so plausibel (an und für sich gut begründet), daß man voraussetzt, sie müßte allgemeine Anerkennung finden. Konsens im Idealdiskurs ist kein Beweis- oder Begründungsmittel, sondern bloß eine suggestive Darstellungsweise.

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Konsens ist kein Wahrheits- oder Richtigkeitskriterium, sondern nur ein rhetorisch wirksamer Hinweis. Die Ausrichtung der Bemühungen auf gesellschaftlichen Konsens lenkt von der eigentlichen Grundaufgabe der Wissenschaften und der philosophischen Analyse ab, nämlich von der Erfindung von Methoden der Forschung, der Beweise und Begründungen. Aus der Diskursphilosophie ergibt sich keine adäquate Betrachtung des gesellschaftlichen Meinungsstreits, in dem die kritische Analyse der Argumentation eine entscheidende Rolle spielt (ganz besonders wichtig in einer Zeit, in der immer mehr Marketing-Methoden ins politische Leben eindringen). Die Praxis der Demokratie sollte sich nicht auf Konsensfinden konzentrieren, sondern auch Meinungsdifferenzen und Dissens ertragen. 2 Demokratie ist "offene Gesellschaft", ein Tolerieren von Differenzen der Lebensformen und des kritischen Dissenses, nicht Stillstand im Geist der konsentierten Meinung. Die Dynamik des geistigen und politischen Fortschritts ist ein Zusammenspiel von Konsenssuchen und Dissensprozessen. Ad (5): Eine Folge der Auffassung, daß Argumentation ein pragmatischer Prozeß zwischen Redner und Auditorium sei, ist die Wertung der guten Gründe nach ihrer Überzeugungskraft, die sie auf das Auditorium ausübt. Hier zeigt sich markant die Abwegigkeit der Diskursphilosophie: das Problem der sachlich guten Gründe, die von der Methodologie der verschiedenen Bereiche, über die gesprochen wird, abhängt, wird mißdeutet als pragmatische Relation des Überzeugens (oder Überredens). Begründen und objektive Plausibilität wird vermengt mit den Mitteln und Wegen der überzeugungschaffenden Kommunikation. [Die Absurdität der Habermasschen Konzeption der "guten Gründe" wird augenfallig, wenn man bedenkt, daß sachlich ganz falsche Gründe - "Die Erde kann nicht kugelförmig sein, weil sonst die Antipoden ins Weltall fallen würden." "Der Fall des Stalinismus widerlegt die Möglichkeit sozialistischer Systeme." - als gute Gründe anerkannt werden müßten, weil sie faktisch akzeptiert wurden und Überzeugungen erzeugt haben.] Ad (6): Es ist an und für sich richtig, daß die Durchführung interpersonaler Kommunkation gewisse pragmatische Prinzipien voraussetzt, die von den Sprachbenutzern als Basis der Verständigung implizit vorausgesetzt werden. Die Postulate, weIche die Diskursphilosophie hier als immer schon gegeben, notwendig und verpflichtend ansieht, sind aber ganz etwas anderes als die Kommunikationsvoraussetzungen nach meiner Konzeption. Meiner Ansicht nach setzt man, wenn man Tatsachenmitteilungen macht, voraus, daß die mitgeteilten Sachverhaltsbeschreibungen als wahre Mitteilungen vorgelegt werden. Ich habe diesen Grundsatz ,Behauptungskonvention' genannt. 3 [Das ist keine logische Notwendigkeit; man kann unter gewissen Umständen auch aufgrund einer entgegengesetzten Festsetzung 2

N. Rescher, Pluralism. Against the Demand of Consensus, Oxford 1993.

3

O. Weinberger, Rechtslogik, 2. Aufl., Berlin 1989, S. 54.

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miteinander reden. In der ironischen Sprechweise wird ein Sachverhalt beschrieben, der als nicht wahr mitgeteilt wird.] Dieses Postulat schließt Lügen nicht aus; im Gegenteil, es ist auch Grundlage der Lüge. Eine Mitteilung, die unter der Behauptungskonvention steht, wird zur Lüge genau dann und deswegen, weil etwas als wahr vorgelegt wird, wobei der Sprecher weiß, daß die Behauptung in Wirklichkeit nicht wahr ist. Habermas meint, es bestehe die Forderung, immer die Wahrheit zu sprechen, als unabdingbare Voraussetzung der Kommunikation. Hinter der Habermasschen Auffassung steht ein Stück einer richtigen Überlegung. Wenn man bei der Aufnahme von Informationen wüßte, daß eine 50%-Wahrscheinlichkeit besteht, daß die Information wahr ist, dann bekäme man durch die Mitteilung gar keine Information. Mitteilungen haben informativen Wert nur dann, wenn eine wesentlich über 50% liegende Wahrscheinlichkeit besteht, daß die Mitteilung wahr ist. Das bedeutet aber nicht, daß man nur unter Wahrheitspflicht kommunizieren kann. Man versteht die Äußerungen eines Angeklagten - auch wenn dieser nicht verpflichtet ist, die Wahrheit zu sagen. Auch durch Lügen wird das Kommunikationssystem nicht zerstört, denn die Behauptungskonvention bleibt bestehen, ja sie ist, wie schon erwähnt, die Basis der Möglichkeit zu lügen. Es gibt natürlich Relationen - z. B. den erkenntnissuchenden interpersonalen Diskurs -, in denen Wahrhaftigkeit Voraussetzung der Effektivität ist. Aber Wahrhaftigkeit, d. h. die strikte Bemühung der Sprecher, genau das zu sagen, was sie für wahr halten, ist keine notwendige Vorbedingung der Kommunikation. Und ganz verfehlt ist die Meinung, jeder Sprecher verpflichte sich implizit durch sein Behaupten, seine These in Diskursen zu rechtfertigen. Wenn ich nur das sagen dürfte, was ich beweisen kann, müßte ich sehr viel mehr schweigen. Ad (7): Der Versuch, eine gleichsam aprioristische Ethik aus den "immer schon vorausgesetzten" Grundsätzen der Kommunikation abzuleiten, ist abwegig. Die von Habermas und Apel vorausgesetzten Grundsätze der Kommunikation geiten m.E. nicht; und es ist inakzeptabel, weil im Konflikt mit der Idee der moralischen Autonomie, das als moralisch bindend anzusehen, was die Lebens- und Kommunikationsgemeinschaft als solche universell anerkennt und mir in dieser Weise heteronom vorschreibt. Von den diskursphilosophischen Grundpositionen bleibt kaum etwas bestehen; das Schlimmste scheint mir aber die Tatsache zu sein, daß sie die Wissenschaftsmethodologie von der Sachlichkeit und dem Nachdenken über Probleme der Forschungs- und Beweismethoden entfernt und auf die Pragmatik der Gewinnung von Zustimmung hinlenkt. Sie bietet auch keine gute Ausgangsposition für das kritische Studium der politischen Realität des Argumentierens, denn ohne Unterscheidung von sachlicher Geltung und Überzeugungs wirkung ist eine brauchbare Analyse des Argumentierens nicht möglich: Die heute virulenten Probleme der politischen Marketing-Propaganda kommen nicht ins Blickfeld dieser Lehre.

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Im Bereich der politischen Standpunkte stehe ich Habermas aber viel näher, wenn auch in diesem Bereich wesentliche Verschiedenheiten feststellbar sind. Diskurs ist kein Kriterium der richtigen Politik, sondern nur eine Vorbedingung des demokratischen Lebens. Er ist nur dann wirksam und erfolgversprechend, wenn allseits geistige Offenheit herrscht. Die Postulate der offenen Gesellschaft sind umfassender und die eigentliche Grundvoraussetzung der Demokratie und Diskurs nur ein unabdingbares Mittel in diesem Rahmen. Gemäß des Habermasschen prozeduralen Rechtsverständnisses hängt die Legitimität des Rechts nicht nur von der Akzeptanz des rechtlichen Normensystems ab, sondern auch von dessen Akzeptabilität, die gerade dann gegeben sei, wenn aufgrund eines diskursiven Prozesses ein Konsens zustande gekommen ist. Die Quelle der Legitimität gründet sich auf einen demokratischen Erzeugungsprozeß, der Ausdruck der Volkssouveränität sei (FuG4 117). Zwei Ideen determinieren den demokratischen Rechtsstaat: die Volkssouveränität und die Menschenrechte. Es besteht hier allerdings eine gewisse innere Diskrepanz, die Habermas als immanente Spannung zwischen Faktizität und Geltung des Rechts bezeichnet. Seine Darlegung dieser Frage ist für mich nicht klar. Wenn die Menschenrechte vorgegebene Postulate sind, dann bilden sie Grenzen für die diskursive Erzeugung von Normen. Bedeutet dies, daß Menschenrechte evidente Prinzipien sind, die im voraus gegeben und für jede mögliche Gesetzgebung verbindlich sind, oder sind sie materielle Kriterien der Legitimität unabhängig von dem demokratischen Rechtserzeugungsprozeß. Habermas' Auffassung ist in der sehr unklaren These ausgedrückt ,,(D)er normative Gehalt der Menschenrechte geht vielmehr in den Modus des Vollzugs der Volkssouveränität selber ein". (FuG 131) Habermas definiert die Akzeptabilität des Rechts in folgender Weise. "Wenn aber Diskurse ( ... ) den Ort bilden, an dem sich ein vernünftiger Wille bilden kann, stützt sich die Legitimität des Recht letztlich auf ein kommunikatives Arrangement: Als Teilnehmer an rationalen Diskursen müssen die Rechtsgenossen prüfen können, ob eine strittige Norm die Zustimmung aller möglicherweise Betroffenen findet oder finden könnte." (FuG 134) Über die Beziehung zwischen Rechtsform (ich würde sagen: Rechtlicher Ermächtigung) und rationaler Akzeptanz oder Akzeptabilität sagt Habermas: ,,Nicht die Rechtsform als solche legimiert die Ausübung politischer Herrschaft, sondern allein die Bindung ans legitim gesetzte Recht. Und auf dem posttraditionalen Rechtfertigungsniveau gilt nur das Recht als legitim, das in einer diskursiven Meinungs- und Willensbildung von allen Rechtsgenossen rational akzeptiert werden könnte." (FuG 169) Sowohl vom juristischen als auch vom Standpunkt der allgemeinen Argumentationstheorie ist dies ziemlich problematisch. Die Geltung formal erzeugten Rechts 4 J. Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats (Abkürzung "FuG"), Frankfurt a.M. 1992.

25 Weinbergcr

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wird abhängig gemacht von dem ziemlich unbestimmten Kriterium der Legitimität. Dieses Kriterium gründet nicht auf einem tatsächlichen diskursiven Prozeß, sondern auf eine fiktive Prozedur (wie die Worte "rational akzeptiert werden könnte" belegen). Es wird hier also nicht Akzeptanz, sondern Akzeptabilität gefordert. Und die Akzeptabilität muß rational sein; sie ist aber nicht durch einen tatsächlichen Diskurs erzeugt. Der Diskurs und die Zustimmung werden also nur angenommen; die Habermassche Argumentation hat jedenfalls mit diskursiver Demokratie nichts zu tun. Habermas' Auffassung der diskursiven Rechtfertigung des Rechts ist nicht überzeugend. Sie ist unbestimmt, weil die Klasse der Betroffenen fast immer strittig ist. Sie betrifft oft Personen, die an aktuellen politischen Diskursen nicht teilnehmen können, nämlich: zukünftige Generationen, Kinder oder Geisteskranke. Habermas' Darlegung täusche vor, daß es hier eine eindeutige Antwort gibt, sozusagen eine einzige rational-diskursive Lösung. Es gibt aber offenbar verschiedene Möglichkeiten, einen Gesetzentwurf zu bewerten, was unter anderem vom temporalen Horizont abhängt (Langzeit- oder Kurzzeitbetrachtung). Es ist verwirrend, wenn man "Zustimmung finden" und ,'zustimmung finden können" nebeneinander setzt, denn es besteht hier der grundlegende Unterschied zwischen einem aktuellen Konsens in einem tatsächlichen Diskurs und der bloßen Möglichkeit des Konsenses. Einerseits ist es kaum möglich, einen bloß möglichen Konsens zu bestimmen, und andererseits ist der bloß mögliche Konsens kein gültiges Argument für eine normative Regel. Das Habermassche Kriterium der Legitimität ist keineswegs einleuchtend. Universelle Akzeptanz ist eine Art der demokratischen Rechtfertigung, aber sicherlich nicht gleichwertig mit einer gültigen Rechtfertigung, da wir viele Fälle kennen, in denen ein gesellschaftlicher Konsens zustandegekommen ist (z. B. Einführung einer Diktatur), wir aber nicht bereit sein werden, das Ergebnis als vernünftig anzusehen, auch wenn es sich auf einen diskursiven Prozeß stützt. Jedes politische System hält sich für legitim. Das Völkerrecht sucht Kriterien der Legitimität anzugeben, die sich im wesentlichen auf Faktizität stützen, nämlich auf die tatsächliche Fähigkeit des Systems, Recht zu erzeugen und mittels einer Organisation durchzusetzen. Wenn wir jedoch Frieden und eine friedliche Entwicklung als grundlegendes soziales Ideal akzeptieren, dann müssen wir von der aktuellen politischen Situation ausgehen und die Prima-facie-Legitimität der existierenden Machtbeziehungen anerkennen. Wir können demokratische Entwicklungen anstreben, aber dies kann kaum dadurch realisiert werden, daß wir alle bestehenden politischen Strukturen, die unseren Idealen nicht entsprechen, für illegitim erklären. Die heutige politische Erfahrung zeigt klar, daß wir Prozesse suchen müssen, durch die eine friedliche Transformation politischer Systeme sowie der Strukturen und Grenzen der Staaten durchgeführt werden können. Das Völkerrecht und die Politik der internationalen Organisationen der Welt darf sich nicht darauf beschränken, bestehende Konflikte zu begrenzen - sie sollten nicht als bloße Feuerwehr

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wirken. Das internationale Recht muß dynamische Prozesse der Anpassung einführen, durch die - unter gleichzeitigem Verbot militärischer Aktionen - eine Umgestaltung der politischen Beziehungen zwischen den Staaten bzw. zwischen Teilen eines Staates, die Autonomie anstreben, realisiert werden kann. Nach Habennas bilden Diskurse das Wesen der Demokratie. Die Meinung des Autors, daß Diskurse selbst eine Rechtfertigung des Rechts und der sozialen Institutionen bilden, führt dazu, daß er nicht im einzelnen die Organisation der gesellschaftlichen Diskurse analysiert und sich nicht mit den Kräften befaßt, die in der politischen Praxis die effektive Durchführung diskursiver Prozesse und demokratischer Entscheidungen stören. Ich stimme Habennas vollkommen zu, daß gesellschaftliche Diskurse und deren angemessene Organisation eines der wichtigsten, wenn nicht sogar das definierende Merkmal des demokratischen Systems sind. Ich halte es aber für verfehlt anzunehmen, daß Diskurse als solche Maßstäbe und hinreichende Rechtfertigungen gesellschaftlicher Nonnen, Maßnahmen und Institutionen sind. Da ich nicht bereit bin, alle Ergebnisse von Diskursen als hinreichend gerechtfertigt anzuerkennen, konzentriere ich meine Aufmerksamkeit auf jene Momente, die die Wirksamkeit sozialer Diskurse stören, vor allem: Propaganda, Vorurteile und unreflektierte politische Schlagworte. Nicht nur Herrschaft (wie Habennas meint), sondern auch ideologische Fixierungen behindern den fortschrittlichen Meinungsstreit. 5 Die Prozesse der kollektiven Willensbildung sind weit entfernt von kritischen Überlegungen. Es geht darum, trotz dieser Tatsache rationale Argumentation in der Gesellschaft zur Geltung zu bringen. Nicht die Einführung kollektiver und diskursiver Prozesse allein führt zu einer vernünftigen Politik und zur diskursiven Demokratie, sondern die Einführung einer offenen Gesellschaft, die danach strebt, kritische Prüfung durch demokratische Eliten zu realisieren. Ich bin Anhänger der diskursiven Konzeption der Demokratie, doch nicht in dem Sinne, den die Diskursphilosophie mit dem Tenninus ,Diskurs' verbindet. Wir müssen die Organisationsstruktur der gesellschaftlich Diskurse prüfen, vor allem die Rolle einer angemessenen Pluralität von Institutionen, die an den Meinungsbildungsprozessen des Volkes teilhat, wir müssen aber auch die logische und rhetorische Struktur der politischen Argumentation analysieren. Habermas unterscheidet zwei Autonomiebegriffe, einer bildet die Basis der moralischen Prinzipien, der andere jene der Demokratie. Er sagt, daß die Menschenrechte "ungeachtet ihres moralischen Gehalts, von vornherein als Recht im juridischen Sinne begriffen werden". (FuG 136) Befremdlich erscheint mir Hahennas' These, daß eine Rechtsordnung nur dann legitim sein kann, wenn sie moralischen Prinzipien nicht widerspricht. (FuG 137) Diese These erinnert an Naturrecht, und 5 O. Weinberger. Angst vor dem menschlichen Wahn, in: A. Grabner-Haider/O. Weinberger/K. Weinke (Hrsg.), Fanatismus und Massenwahn, Graz, Wien 1987, S. 4-34.

25'

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sie ist offensichtlich inkompatibel mit Habermas' Behauptung ,,Aber dieser Moralbezug darf uns nicht dazu verleiten, die Moral dem Recht im Sinne einer Normenhierarchie überzuordnen" ( ... ) ,,Die autonome Moral und das auf Begründung angewiesene positive Recht stehen vielmehr in einem Ergänzungsverhältnis". (FuG 137) Dies ist widersprüchlich in se, denn, wenn eine Norm die Geltung einer anderen ausschließt, bedeutet dies nichts anderes, als daß sie ihr normativ übergeordnet ist. Soziologisch betrachtet, ergänzen sich Moral und Recht insoweit, als sie beide eine motivierende Rolle haben, normativ betrachtet, müssen sie aber als nebeneinander stehende Normensysteme betrachtet werden. Habermas' Demokratietheorie beruht auf folgenden definitionsähnlichen Thesen: (a) Praktische Fragen können unparteiisch und rational entschieden werden. (FuG 140) - Da die Lösung praktischer Probleme immer in wesentlicher Weise von Wertestandards und Präferenzen abhängt, die offensichtlich verschieden sein können, gibt es nicht eine einzige, unparteiische und rationale Lösung für jede praktische Frage. (b) "Gültig sind genau die Handlungsnormen, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könnten." (FuG 138) Die Klasse der eventuell Betroffenen einer Norm ist prinzipiell strittig. Es gibt auch keinen guten Grund für die Annahme, daß eine universelle Übereinkunft über eine vorgeschlagene Normierung zustande kommen müßte. (c) "Und ,rationaler Diskurs' soll jeder Versuch der Verständigung über problematische Geltungsansprüche heißen, sofern er unter Kommunikationsbedingungen stattfindet, die innerhalb eines durch iIIokutionäre Verpflichtungen konstituierten öffentlichen Raums das freie Prozessieren von Themen und Beiträgen, Informationen und Gründen ermöglichen." (FuG 138 f.) - Der vernünftige Diskurs kann nicht durch bloße Prozeduralregeln definiert werden; er hängt von der Angemessenheit der Argumentationsmethoden und den effektiven Forschungsmethoden ab, im Bereich der praktischen Philosophie außerdem von den vorausgesetzten Wertestandards und Präferenzen. (d) ,,In moralischen Begründungsdiskursen nimmt dann das Diskursprinzip die Form eines Universalisierungsgrundsatzes an." (FuG 140) - Das Universalisierungsprinzip bestimmt nicht eindeutig die zu setzende Regel, weil nicht bestimmt ist, welche Elemente der Universalisierung unterliegen. 6 Das Prinzip genügt auch nicht zur Begründung aller praktischen Argumentationen. (e) Die Prinzipien der Demokratie und jener der Moral können als externe oder interne Überlegungen unterschieden werden. (FuG 142) - Diese Auffassung entspricht zwar einer alten Konzeption, daß für die Moral nur innere Gesichts6

O. Weinberger, Norm und Institution. Wien 1988. S. 225 f.

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punkte relevant seien, während im Recht eine Betrachtung des äußeren Verhaltens gilt. Ich zweifle jedoch daran, ob dies ganz treffend ist und zur Klärung der Problematik wirklich beiträgt. (f) ,,Nach Maßgabe einer Vernunftmoral prüfen ( ... ) die Einzelnen die Gültigkeit

von Normen unter der Voraussetzung, daß diese faktisch von jedermann befolgt werden." (FuG 148) - Diese (auch von anderen Autoren angenommene) kontrafaktische Voraussetzung der Moralbetrachtung ist weder notwendig noch nützlich: Auch moralische Überlegungen sollten von realistischen Positionen ausgehen. (g) Private und öffentliche Autonomie der Bürger sei gleichgewichtig zur Geltung zu bringen, und in der diskurstheoretischen Konzeption der Autonomie bestehe eine innere Verbindung zwischen Autonomie, Menschenrechten und Volkssouveränität. (FuG 151) - Durch solche unklare Hinweise wird dieses Problem nicht erklärt. Wenn wir den Inhalt aller praktischen Prinzipien von den individuellen Standpunkten und Überzeugungen ableiten, wie sie in Diskursen geäußert werden, dann gelangen wir in eine ähnliche Situation, wie die Philosophen des Liberalismus, die versuchen, die gesellschaftlichen Wertungen und normativen Bestimmungen von individuellen Wertestandards und Präferenzen abzuleiten. Ich halte dies für problematisch, weil ich im Sinne der Institutionentheorie meine, daß die Leitideen der Institutionen in anderer Weise zustande kommen. Es ist eine gefährliche Illusion, die gesellschaftlichen Diskurse als Prozesse anzusehen, in denen alle Menschen die gleiche Rolle spielen. Realistisch gesehen, sind die gesellschaftlichen Argumentationsprozesse und die Schaffung von Überzeugungen nicht durch solche scheinbare Gleichheit geformt. Die Habermasschen Voraussetzungen schränken die Analysen in der Weise ein, daß die wichtigsten Argumente nicht zur Sprache kommen; vor allem die Rolle der Eliten und die vielen Gefahren, welche die praktische Bedeutung der demokratischen Prozesse bedrohen. Da es keine herrschafts freie Welt gibt - und, wie ich meine, nicht geben kann -, geht es nicht darum, Herrschaftsfreiheit als Allheilmittel zu postulieren, sondern Wege zu suchen, wie in unserer Welt trotz Herrschaft offene Diskurse realisiert werden können. Meine Gründe für eine diskursive Konzeption der Demokratie - sie decken sich nicht mit Habermas' Motiven -lauten: (1) Die formalen Regeln für die demokratische Willensbildung reichen für die

Fundierung des demokratischen Lebens nicht aus (Argument: man kann auf demokratischem Weg Diktaturen errichten). (2) Die Demokratie beruht außer auf den formalen Willensbildungsprinzipien auf einer offenen Klasse inhaltlicher demokratischer Prinzipien, die in ständiger Diskussion sind und nur durch Etablierung der Grundsätze und Formen der geistig offenen Gesellschaft realisiert werden können.

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(3) Die Erfahrung lehrt uns: Demokratie ist immer gefährdet; sie muß durch ständige Wachsamkeit und die zugehörigen Diskurse geschützt werden. [In heutiger Zeit ist es vor allem das Eindringen von Marketing-Propaganda in das politische Leben. Sie bedeutet eine Degradierung des Volkes zum manipulierten Stimmvieh.]

Demokratie am Prüfstand Oft hört man die Meinung, die sich auf ein Bonmot von Winston Churchill stützt, Demokratie sei eine sehr mangelhafte Staatsform, aber alle anderen seien noch wesentlich schlimmer. Ich kann mich mit dieser Auffassung nicht anfreunden, nicht nur weil sie zu pessimistisch klingt, sondern weil sie als Exkulpation für Mängel der demokratischen Ordnung verwendet wird, statt nach besseren Wegen zu suchen. Ich vertrete die Gegenposition: Es geht darum, das demokratische System prinzipiell und dessen aktuelle Formen zu prüfen und eine effiziente Staatsform im Geiste demokratischer Ideale zu realisieren. Die These von der wesenhaften Mangelhaftigkeit der Demokratie möchte ich durch eine andere, und zwar eine warnende These ersetzen: Die demokratischen Institutionen können immer wieder mißbraucht werden, Demokratie ist immer gefährdet, und zwar in wechselnder Weise. Kritische Achtsamkeit ist daher immer erforderlich. Demokratie ist kein Ruhekissen, sondern ein Kampf um eine Lebensform, die an einem System demokratischer Einstellungen arbeitet, sie zu realisieren und weiterzuentwickeln sucht. Auch in unserer Zeit gibt es Anzeichen, die auf die Aktualität der Zweifel an dem befriedigenden Zustand unserer, der sogenannten demokratischen Welt hinweisen. Einige Beispiele: Sowohl Befürworter als auch Gegner der Europäischen Union sprechen von Demokratiedefiziten in dieser Organisation. - Man stellt immer wieder Demokratie und Effizienz einander gegenüber. Es sollte aber das Ziel sein, den demokratischen Staat als effiziente Organisation aufzubauen. - Wir wissen aus der Geschichte, daß in Form demokratischer Willensbildungsprozesse Diktaturen errichtet werden können und daß Menschenrechte, z. B. Minderheitenschutz, durch demokratisch erzeugtes Recht beschnitten werden können. - Das Problem des Friedens, weder innerstaatlich zwischen Volksgruppen noch völkerrechtlich, ist im demokratischen Geist gelöst. Offen ist das Problem Kirche und Demokratie - vergleiche das diesbezügliche Forschungsprojekt an der Theologischen Fakultät der Grazer Universität [Demokratische und synodale Strukturen in der Kirche (Leitung: Bernhard Körner)]. Motive für Überlegungen, wie sie durch den Titel meines Referats definiert werden, sind also zweifellos gegeben. Ich muß nun vorerst die Vorbedingungen der Sinnhaftigkeit der Problemstellung meines Referats erörtern. Offenbar muß man in erster Linie den Begriff der Demokratie einigermaßen klären, natürlich nicht in dem Sinne, daß man eine genaue Begriffsdefinition voranstellt, wie man sie in den mathematischen und exakten Wis-

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senschaften den Darlegungen voranzustellen pflegt. Hier müssen wir uns mit plausiblen Charakteristiken zufriedengeben. Ich werde die begriffliche Klärung, was ich unter Demokratie verstehen will, in zwei Phasen durchführen. Nach der Bestimmung der Grundtendenz der Demokratie als Selbstherrschaft des Volkes werde ich einige Demokratietheorien kurz erörtern, um zu zeigen, daß sie nur partiale Aspekte des Wesens der Demokratie darstellen und daß sie, wenn man sie verabsolutiert, d. h. andere Aspekte nicht mitberücksichtigt, nicht nur ein verzeichnetes Bild ergeben, sondern auch auf die Praxis des politischen Handeins in der Demokratie ungünstige Auswirkungen hervorrufen. Das Testen der aktuellen Realität in den demokratischen Systemen erfordert, daß man Bewertungskriterien voraussetzt. Die Bewertung sollte von zweierlei Art sein: Man sollte (i) den gesellschaftspolitischen Charakter des demokratischen Systems und dessen Lenkungseffizienz untersuchen und (ii) prüfen, ob bzw. in welchem Ausmaß die demokratischen Prinzipien von der faktischen politischen Praxis erfüllt werden. Meine Untersuchungen dieser Fragen beruhen allerdings auf einer spezifischen Konzeption der Demokratie, wie sie aus der neo-institutionalistischen Rechts- und Sozial theorie resultiert. 1

I. Die Grundidee der Demokratie Demokratie ist ein vager, nur sehr rahmenhaft bestimmter Begriff. Wenn man versucht, ihn zu klären, kann man sozusagen in verschiedenen Ebenen vorgehen; man kann die Grundtendenz der demokratischen Systeme und der demokratischen Weltanschauung charakterisieren, oder man versucht, die Realität der verschiedenen existierenden Systeme, die mehr oder weniger dieser Grundtendenz verschrieben sind, sachlich zu beschreiben, ihre Ideale und ihr Funktionieren als gesellschaftliche Realität vorzustellen, oder - schließlich - man versucht, Grundzüge ideeller und organisatorischer Natur des demokratischen Staates anzugeben, welche als Idealbild eines realisierbaren demokratischen Systems postuliert werden. Wenn man das Problem der Demokratie vom neo-institutionalistischen Standpunkt betrachtet, dann ist der Hinweis auf die weltanschauliche Grundtendenz der Demokratie nicht bedeutungslos, sondern ein geistiger Ausgangspunkt für das Verstehen dieser Systeme, der in einer zweiten Phase durch die Leitideen der Demokratie differenzierter und konkreter ausgedrückt wird. Termini wie ,Volksherrschaft', ,Selbstherrschaft des Volkes' oder Proklamationen in den einleitenden allI Über das Wesen dieser Konzeption siehe: D. N. MacCormick/O. Weinberger, Grundlagen des Institutionalistischen Rechtspositivismus, Berlin 1985; O. Weinberger, Recht, Institution und Rechtspolitik, Wiesbaden 1987; ders., Alternative Handlungstheorie, Wien, Köln, Weimar 1996.

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gemeinen Bestimmungen demokratischer Verfassungen tragen nur in geringem Maße zur Klärung bei. Wenn z. B. unsere Bundesverfassung in Art. 1 sagt "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus", ist dies eher proklamatorisch, denn normativ inhaltlich determinierend zu verstehen. Es wird in keiner Weise geklärt, wie das "Ausgehen des Rechts vom Volk" realisiert wird, außer man faßt die in der Verfassung gegebenen Normerzeugungsprozesse als den Weg vom Volk zum gültigen Recht auf. Auch dies muß aber als problematisch gelten, denn Europarecht als vorrangig bindende Rechtssphäre wird nicht in einem solchen vom österreichischen Volk ausgehenden Prozeß erzeugt. Etwas mehr sagt schon die Lincolnsche Formel aus, der gemäß Demokratie Herrschaft des Volkes, durch das Volk und im Interesse des Volkes ist. Die grundlegende Zielsetzung des demokratischen Systems wird durch diese Formel in drei Richtungen charakterisiert: (i) Der demokratische Staat sei eine Institution des Volkes, nicht ein Dominium irgendeiner Person oder Einrichtung. (ii) Diese Herrschaft wird vom Volke als einer Gemeinschaft selbst realisiert. (iii) Herrschaft muß so eingerichtet werden, daß sie den Interessen des Volkes dient. Demokratie im wahren Sinne des Wortes existiert eigentlich nur dann, wenn diese drei Ziele gleichzeitig verfolgt werden. Es muß klargestellt werden, daß durch den Hinweis auf die demokratische Grundtendenz nur die abstrakte Spitze der Leitideen der Demokratie charakterisiert, aber keine funktionale Beschreibung des demokratischen Systems gegeben wird.

11. Anmerkungen zu einigen gängigen Demokratietheorien

Hans Kelsens Konzeption der Demokratie kommt in zwei Behauptungen zum Ausdruck: erstens in der Einteilung der politischen und rechtlichen Entscheidungsprozesse in monokratisch oder kollektivistisch organisierten Formen, wobei die kollektive Entscheidungsform als die demokratische bezeichnet wird; und zweitens in der These, daß die Demokratie der Freiheit jedes Individuums diene, die durch das Majoritätsprinzip in optimaler Annäherung erreicht werde. Mir scheinen Kelsens Konzeptionen nicht ganz befriedigend, obwohl sie ein Stückehen Wahrheit enthalten. Die Identifizierung der kollektiven Entscheidungsform mit der Demokratie suggeriert die Meinung, daß monokratisches Entscheiden undemokratisch sei. Ich meine jedoch, daß bei entsprechender Kontrolle monokratisches Entscheiden in der Demokratie akzeptabel und manchmal für die Effizienz der Lenkung erforderlich ist; und die kollektive Form des Entscheidens garantiert noch lange nicht die Erfüllung der demokratischen Prinzipien. Das Majoritätsprinzip als Methode der demokratischen Entscheidungsfindung ist zwar in gewisser Weise unerläßlich, aber es garantiert nicht immer das Optimum der Annäherung an den Willen der Individuen.

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Ich halte es ferner für eine einseitige und verzeichnende Sicht, nur die Maximierung der individuellen Freiheit als Leitidee der Demokratie hinzustellen, statt von einem offenen System demokratischer Ideale zu sprechen, welches - wie ich noch zeigen werde - als die ideelle Basis der demokratischen Weltanschauung und als Leitidee der Demokratie anzusehen ist. Die einflußreichste Theorie der Demokratie ist heute wohl das Schumpetersche Modell. Ausgehend von der einleuchtenden These, daß das Volk niemals selbst herrscht, sondern immer gewisse Eliten - man kann vielleicht auch sagen, daß das Volk nur mittels dieser Eliten Herrschaft ausüben kann -, behauptet das ElitenKonkurrenz-Modell, daß der Kampf der Eliten um die demokratische Legitimation durch Wahlergebnisse die Herrschaft im demokratischen Staat bestimme. In der modemen Demokratie bilden sich gewisse Eliten heraus, die Organisationen schaffen, welche in der Bestrebung agieren, die entscheidende Macht im Staate zu erlangen, um die politische Lenkung - und eventuell ihre politischen Zielsetzungen - durchzusetzen. In Prozessen der demokratischen Wahl habe das Volk die Kompetenz, sich zwischen den wahlwerbenden Eliten (politischen Parteien) zu entscheiden. Durch die in der Wahl erlangte Mehrheit wird der entsprechenden Elite die demokratische Legitimation zur Ausübung der Herrschaft erteilt. Nur auf diesem indirekten Weg des Entscheidens zwischen den wahl werbenden Eliten habe das Volk die Möglichkeit, seinen Willen auszudrücken, Politik gutzuheißen oder abzulehnen und das Geschehen in der Gesellschaft zu bestimmen. Ich bin der Meinung, daß diese Theorie nur einen Aspekt der demokratischen Prozesse erfaßt, wesentliche andere Momente aber außer acht läßt. Hat die Partei ihre primären Ziele, für deren Realisation sie die Macht gewinnen will, oder adaptiert sie ihr Programm so, daß sie sich dem "Willen des Wahlers" anpaßt, um Stimmen zu gewinnen? In Wirklichkeit handelt es sich um eine vielschichtige Dynamik, die sich oft von der Sachlichkeit entfernt und manchmal sogar täuschende Propagandamittel anwendet. Diese sind allerdings noch im Schumpeterschen Modell unterbringbar. Was nicht zum Ausdruck kommt, ist die Berücksichtigung des sozial-strukturellen Kampfes in der Politik und die Rolle des Diskurses in der Entwicklung der Demokratie, die neben der Konkurrenz-Dynamik eine wesentliche Rolle spielt. Politische Ideologien sind nicht nur Argumente des Konkurrenzkampfes um Macht, nicht nur Motive der Wahlwerbung, sondern Ergebnisse realer Interessenstrukturen. Die Einseitigkeit der Schumpeterschen Demokratiekonzeption hat ungünstige pragmatische Konsequenzen. Das politische Leben wird von Wahltaktik beherrscht. Diese Theorie fordert geradezu auf, Wahltaktik in den Mittelpunkt des politischen Handeins zu stellen. Die Programme werden populistisch konzipiert, die Wertung eher auf Kurzfristiges denn auf Nachhaltiges ausgerichtet, und an die Stelle rationaler Argumentationen treten Methoden der emotionalen Werbung. Wichtige Ideale der Demokratie, z. B. das Ideal einer offenen diskursiven Gesellschaft, Ideale der Transparenz, Ideale der sozialen Gerechtigkeit u.ä. werden nur

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als Werbemittel, nicht aber als gesellschaftlich-konstruktive Elemente gesehen. Momente der sogenannten Gefalligkeitsdemokratie werden bedenkenlos akzeptiert, auch wenn sie spätere Gefahren für die Gesellschaft und Funktionsmängel implizieren. Man kann mit Recht einen andem Aspekt der demokratischen Systeme hervorheben, nämlich die Tatsache, daß die Mitglieder der Gesellschaft beruflich, sozial und ideell differenzierte Interessen haben, die gesellschaftlich nur durch Interessenorganisationen geschützt und durchgesetzt werden können. Tatsächlich bilden sich in der modemen Gesellschaft Interessenorganisationen heraus, die in verschiedener Weise interagieren, für Interessen der pressure groups eintreten, gegeneinander kämpfen oder einen Interessenausgleich realisieren. Man kann das demokratische System als eine Menge von pressure groups ansehen und das Geschehen in der Demokratie als Ergebnis dieser Kämpfe, Einflußnahmen oder Kompromisse deuten. Mit dieser Auffassung verbindet man meist die Forderung, in der Demokratie müsse man prinzipiell zu Kompromissen bereit sein, denn nur so könne ein System von divergierenden Interessengemeinschaften zu einem friedlichen Zusammenwirken kommen. Auch die Pressure-groups-Theorie der Demokratie stellt einen Aspekt der demokratischen Realität dar, der in sehr verschiedenen Ausformungen vorliegen kann. Die Lösungen bzw. Kompromisse sind abhängig von der Macht der Gruppen, aber deren Wirkung hängt auch von organisatorischen und ideologischen, d. h. diskursiv bestimmten Momenten ab. Die Pressure-groupsTheorie stellt m.E. nach keine selbständige Konzeption der Demokratie dar, sie gibt aber einen Charakterzug des modemen demokratischen Lebens an, der zu einem wichtigen Postulat als einer aktuellen Leitidee der Demokratie führt, nämlich zur Forderung der Freiheit von Institutionen, die als Interessenorganisationen agieren. Einen interessanten Beitrag zur Theorie der Demokratie stellt Jürgen Habermas' Theorie der Legitimität und der diskursiven Demokratie dar. Seine Lehre steht auf der Basis seiner Diskursphilosophie, die ich für prinzipiell verfehlt halte. Dennoch gibt es wesentliche Übereinstimmungen in der Konzeption der Demokratie zwischen Habermas und mir - obwohl ich von ganz anderen philosophischen und methodologischen Ansichten ausgehe -, wie aus meinen späteren Darlegungen der neo-institutionalistischen Auffassung der Demokratie ersichtlich sein wird? Um Mißverständnisse zu vermeiden und den Unterschied zwischen meiner Demokratiekonzeption und der Habermasschen klarzulegen, muß ich einige kritische Bemerkungen über die Diskursphilosophie einschieben. Inakzeptabel erscheinen mir sein Begriff der Diskursrationalität, seine Unterscheidung von realem und idealem Diskurs und seine Konsensustheorie der Wahrheit. 3 2 Vgl. O. Weinberger. Habennas on Democracy and Justice. Limits of aSound Conception, in: Ratio Juris 7,1994, S. 239-253. 3 O. Weinberger. Basic Puzzles of Discourse Philosophy, in: Ratio Juris 9, 1996, S. 172181.

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Diskurs als Kennzeichen der Rationalität zu nehmen, ist abwegig: Vernünftigkeit der Argumentation ist weder Sache der individuellen noch der kollektiven Vorgangsweise, sondern eine Frage der sachlichen Geltung der Argumente. Kollektive Meinungsbildung kann demokratisch sein, doch ist Konsens kein Beweis der Wahrheit oder Richtigkeit einer These. Die Dynamik der fortschrittlichen Entwicklung ist nicht nur von interpersonalen Diskursen mit dem Ziel, Konsens zu erreichen, abhängig, sondern beruht auf sachlicher Forschung, auf Konsenssuchen, aber auch auf kritischer Analyse und Dissens. Habermas definiert Wahrheit als Konsensus in einem sog. idealen Diskurs. Der ideale Diskurs ist als herrschaftsfrei, zeitlich und personell unbeschränkt definiert. Ein solcher Diskurs kann nicht existieren, er ist aber auch eine schlechte Idealisierung. Auch wenn er vorläge, könnte er das, was er nach diskursphilosophischer Auffassung leisten sollte, nicht leisten: Er würde den optimalen Erkenntnisweg nicht sicherstellen und nicht garantieren, daß man tatsächlich Konsens erreichen würde und der Wahrheit (im üblichen Sinne) näher kommen müßte. Außerdem gibt es keinen Übergang vom Meinen der Diskursteilnehmer - auch wenn es eine Konsensmeinung ist - zur objektiven Wahrheit. - Einen solchen Grenzbegriff, wie es die Konsenswahrheit ist, einzuführen, wäre logisch nur dann gerechtfertigt, wenn die Existenz dieses Grenzwertes bewiesen wäre. Es ist aber nicht möglich, Wahrheit als Grenzwert idealer Diskurse aufzufassen, da nicht beweisbar ist, daß ein solcher Diskurs immer genau zu einer These konvergieren müßte. Wenn man - wie Habermas - Konsens als Kriterium der Richtigkeit ansieht und gute Gründe nur nach ihrer konsensschaffenden Wirkung beurteilt, dann läßt man die echten Probleme der gesellschaftlichen Diskurspraxis außer acht; vor allem widmet man allen jenen störenden Momenten, die nicht nur Folgen der Herrschaft sind, nicht die gebührende Aufmerksamkeit: z. B. den Halbwahrheiten, Vorurteilen, der Propaganda u.ä. Aber der Habermasschen Meinung, daß gesellschaftliche Diskurse wesentliche Bestandteile und Vorbedingungen der Demokratie sind, kann ich zustimmen, ohne aber aus eventuell erzieltem Konsens den Beweis der Richtigkeit der Entscheidungen abzuleiten. Auch das Ergebnis von Konsens ist im weiteren Verlauf der Dinge hinterfragbar.

IH. Thesen und Forderungen der neo-institutionalistischen Demokratietheorie Ich werde nun die neo-institutionalistische Demokratietheorie in einigen Punkten charakterisieren.

1. Demokratische Fonn und Leitideen der Demokratie

Es gibt Versuche, Demokratie als System formaler Regeln zu definieren, die den Mechanismus der demokratischen Willensbildung und Herrschaftsausübung be-

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stimmen. Entscheidend sei die Existenz von wahl werbenden Parteien, die sich periodisch wiederholenden Wahl vorgänge, das allgemeine und geheime Wahlrecht usw. Zwei Gründe fUhren die neo-institutionalistische Theorie dazu, dieser Auffassung entgegenzutreten: (i) Die historischen Erfahrungen mit formal-demokratischen Systemen zeigen, daß - wie schon angefUhrt - die formal-demokratischen Formen in verschiedener Weise mißbraucht werden können, was zur faktischen Vernichtung des demokratischen Charakters der Institutionen führen kann oder wenigstens dazu, daß ihr Funktionieren weit entfernt ist von jener Daseinsweise, die den demokratischen Idealen entspricht. Durch formal gültigen "demokratischen" Mehrheitsbeschluß kann das System sich selbst negieren, sich als demokratische Einrichtung aufheben, z. B. durch Installierung einer Diktatur. Es kann erschlichene, nur durch Tauschung erwirkte Zustimmung geben. Durch relativ geringe Modifikationen organisatorischer Art kann das Wesen des demokratischen Entscheidens unter gewissen Umständen in ein de facto ganz undemokratisch wirkendes Entscheidungssystem transformiert werden; z. B. durch Einführung einer Einheitspartei oder eines zentral gelenkten Parteienblocks, durch Bestimmung der Kandidaten von einer ideologischen Zentralstelle aus und vieles andere. 4 Dem Geist der Demokratie widersprechende Gesetzgebung und gegebenenfalls Zustimmung zu totalem Krieg oder zu ethnischer Vernichtung gewisser Gruppen kann durch Akklamation oder auch durch formale Abstimmung erreicht werden. Wesentlich ist bei dieser Überlegung, daß die Menge der möglichen Maßnahmen zur faktischen Transformation der formalen Demokratie in ein undemokratisches System von den aktuellen Umständen abhängt und daß die möglichen demokratievernichtenden Maßnahmen nicht in erschöpfender Weise im vorhinein erkannt werden können. Es gibt daher keinen formalen Schutz gegen möglichen Mißbrauch demokratischer Formen. (ii) Gesellschaft und Staat haben institutionellen Charakter. Es ist das grundlegende Kredo der neo-institutionalistischen Gesellschaftstheorie, daß jede Institution einen ideellen Kern praktischer Informationen hat, der die Leitidee, die teleologische Einstellung und das Wertesystem charakterisieren, die der Institution zugrunde liegen. Das demokratische System - das wir als Institution auffassen - beruht auf einem offenen System von Leitideen der Demokratie. Ich behaupte daher: Das demokratische System besteht aus zwei Konstituenten, die miteinander verknüpft sind und in der Praxis des demokratischen Lebens zusammenspielen; Demokratie umfaßt 4 Daß auch faktische Maßnahmen das Funktionieren demokratischer Willensbildungsprozesse zunichte machen können, zeigt die Volksabstimmung vom 24. 5. 1997 in der Slowakei, bei der die wesentliche Frage des Referendums nach der Einführung der Direktwahl des Präsidenten auf einem großen Teil der Stimmzettel nicht angeführt war. Kann man unter solchen Umständen noch von einer funktionierenden Demokratie sprechen?

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(1) Regeln, welche die Herrschafts- und Lenkungsform öffentlicher Angelegenhei-

ten determinieren, und (2) ein offenes System von praktischen Grundsätzen und WerteinsteIlungen, die man als Leitideen des demokratischen Systems ansehen kann und durch die die Demokratie als Lebensform charakterisiert wird. Demokratie ist also nicht nur ein System formaler Regeln der gesellschaftlichen Willensbildung, sondern auch ein System inhaltlicher Postulate; nur eine auch inhaltlich bestimmte und um eine demokratische Lebensform ringende Gesellschaft ist als politisches System lebensfähig.

2. Realistische Betrachtung der Institutionen versus romantische Auffassung der Demokratie

Das Denken mancher Demokraten wird von romantischen Vorstellungen getragen, die in Schlagworten "Das Volk irrt nie", "Vox populi, vox Dei" zum Ausdruck kommen. Man meint - weniger poetisch ausgedrückt -, daß kollektives Entscheiden prinzipiell die Tendenz in sich hat, rational zu sein und zu einem gesellschaftlichen Optimum hinzustreben. Das halte ich für unrealistisch. Adäquates Entscheiden hängt von folgenden Faktoren ab, deren Optimierung durch kollektive Willensbildung allein nicht gewährleistet ist: (a) richtiges Entscheiden hängt von Tatsachen- und Kausalinformationen ab, (b) die Entscheidung hängt von den akzeptierten Zwecken und Präferenzen sowie von der entsprechenden teleologischen Analyse ab; (c) die Lösung technischer oder gesellschaftlicher Probleme hängt von der Erfindung passender Programme ab. - Da ich nicht daran glaube, daß die kollektive Entscheidung schon rein instinktiv das Richtige treffe, plädiere ich für funktionalistische Analysen der Institutionen, die allerdings in gesellschaftliche Diskurse eingebettet sein sollten. Eine Konsequenz der funktionalistischen Sicht ist es, daß man je nach Aufgabe der Institution verschiedene Organisationsformen wählen sollte. Auch monokratisches Entscheiden in Zusammenspiel mit Beratungs- und Mitspracheformen ist akzeptabel und für die Effizienz der Lenkung manchmal erforderlich, wenn die Vorgangsweisen transparent sind und demokratischer Kontrolle unterliegen.

3. Die dynamische Konzeption der Leitidee der Demokratie und der gesellschaftliche Diskurs

Viele Demokratietheoretiker sind davon überzeugt, daß eine funktionierende Demokratie ein gewisses moralisches Menschenbild voraussetzt; es muß vor allem die Anerkennung der Menschenwürde als universelles Grundprinzip gelten. Der Begriff der Menschenwürde ist allerdings ein recht vager Begriff, der keine klaren

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Anwendungskriterien angibt. Er ist nur im Zusammenhang mit der geistigen Tradition, die mit ihm verbunden wird, als Wertungsmaßstab anwendbar. Bedeutende politische Denker verstehen den moralischen Hintergrund des der Demokratie zugrundeliegenden Moralkonzepts als religiöse Einstellung, z. B. die bei den ehemaligen Präsidenten Kirchschläger und Masaryk. Ich bin nicht davon überzeugt, daß das humanistische Menschenbild religiös fundiert sein muß, wie ich überhaupt nicht der Meinung bin, daß Moral nur auf religiöser Basis sinnvoll ist, doch erscheint mir eine wesentliche Bindung zwischen Demokratie und gewissen Moralkonzepten zu bestehen: die Anerkennung des Mitmenschen als autonomer Persönlichkeit, Menschenrechte und gewisse humanistische Ideale, Gerechtigkeit und das Recht jedes Menschen, ein zufriedenes Leben zu suchen. Gedrängt ausgedrückt bedeutet dies, daß das demokratische Weltbild moralische Schranken anerkennt: In der Demokratie darf man nicht alles, was man kann. Die Leitidee und die ihnen entsprechenden demokratischen Gewohnheiten fungieren als kritische Instanzen gegenüber manchen formal möglichen Vorgangsweisen, sie können zur Kritik von Maßnahmen führen, die zwar formal-demokratisch möglich sind, aber den demokratischen Leitideen widersprechen. Die Wertung kann zur Kritik und zum Imageverlust der politischen Akteure führen. Die Leitideen der Demokratie inklusive Menschenrechte sollte man nicht als fixen Katalog des gesellschaftlichen Sollens und der jedem zustehenden Rechte ansehen, nicht als unwandelbare Prinzipien der Moral und des Rechts, sondern als offenes System, das einerseits von Umständen abhängig ist und das andererseits der gesellschaftlichen Situation entsprechend entwickelt werden muß. Wir kennen zwar rahmenhaft gewisse Leitgedanken und Ideale der Demokratie, doch was sie im einzelnen bedeuten, ist keine unstrittige Selbstverständlichkeit, sondern unterliegt der Prüfung, Entfaltung und dem Diskurs. Wenn man nicht auf der Ebene der Schlagworte bleibt, sondern die Ideen der Demokratie im einzelnen prüft, gibt es viel Raum für Probleme und Diskurse. Wenn man die Ideale der Demokratie und die Menschenrechte nicht als immanentes Naturrecht, sondern als Ergebnis humanistischer Gesellschaftsentwicklungen, die auf allgemeine Anerkennung Anspruch erheben, konzipiert, dann muß man sie als Gegenstände gesellschaftlicher Diskurse verstehen. Sie stehen im Lichte von diskursiven Auseinandersetzungen und werden durch diese gestaltet. Dies ist einer der Gründe für die diskursive Konzeption der Demokratie.

4. Ideale der Demokratie

Neben jenen Ideen, die der demokratischen Willensbildung dienen, wie Transparenz der politischen Prozesse, Breite der politischen Information, adäquate Wahlund Abstimmungsmodi, Periodizität von Wahlen usw., gibt es im demokratischen Weltbild eine Menge von Idealen, die zur demokratischen Lebensform gehören. Sie bilden kein überschaubares System, und es mag teils strittig sein, was sie ei-

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gentlich postulieren. Diese Ideale sind aber wesentliche Fragen, die man erörtern muß, wenn man Demokratie auf die Waage legt. Man wird das Wesen dieser Ideale analysieren müssen und fragen, in welchem Ausmaß sie aktuell realisiert werden.

Schranken und Kontrolle der Macht. Politik ist Zielsetzung und Herrschaft, Verwirklichung der angestrebten Ziele durch Organisation und Machtausübung. Demokratie steht nicht gegen Macht, aber sie ist für die Minimierung von Gewalt. Die Beschränkung der Macht ist ein Grundproblem jeder Demokratie. Jeder Machtfaktor hat die Tendenz, über jenen Bereich hinwegzuwachsen, in dem Macht ihre konstruktive Funktion hat. Daher ist organisatorische Beschränkung der Macht durch entsprechende Kompetenzverteilung und durch rechtliche Begrenzung ein wichtiges Desiderat in jedem demokratischen System. Macht erfordert Kontrolle im Interesse der Gemeinschaft. Der Aufbau von Macht ist vielschichtig, und es ist eine Vielzahl von Kontrollmechanismen und organisatorischen Machtschranken nötig. Wenn ich hier von Macht spreche, meine ich jede Art der Macht, nicht nur die politische Macht staatlicher Funktionäre, sondern auch die Macht ideologischer Institutionen, von Kirchen und gesellschaftlich wirksamen Bewegungen und - last but not least - die Macht des Kapitals. Positionen, Klassen, soziale Schichten. Der Realismus des demokratischen Weltbildes nimmt die Differenzierheit der Positionen der Bürger wahr und die daraus sich ergebende Notwendigkeit des Schutzes der Schwachen. Es entspricht sowohl der Tradition der Rechtstheorie als auch jener der religiösen sowie der philosophischen Moraltheorie, den Schutz des Schwachen als eine der wesentlichen Aufgaben der Gesellschaft anzusehen. Dies wurde in manchen liberalistischen Konzeptionen dadurch etwas zurückgedrängt, daß man sich bloß auf das Ziel der Autonomie konzentrierte. Ich glaube aber, daß die Zielsetzung des Rechts, den Schwächeren zu schützen, nach wie vor gilt, und zwar sowohl gegen Übergriffe der Mächtigen als auch durch adäquate Gestaltung der Rechtsbeziehungen. Das Recht in seiner schützenden Funktion zu verstehen, ist ein Postulat der demokratischen Politik. Wenn man das politische Leben realistisch betrachten will, ist es auch erforderlich, die divergierenden Interessen sozialer Schichten bei der Beurteilung von Institutionen und von rechtspolitischen Maßnahmen zu berücksichtigen. Es hieß, das Kind mit dem Bade ausgießen, würde man mit der Kritik und der Ablehnung der marxistischen Klassenkampftheorie jede Wertung vom Standpunkt der sozialen Schichten und ihrer divergierenden Interessen ausschließen. Es ist eine dogmatische Vereinfachung, nur die Klassendichotomie Kapital und Arbeit ins Auge zu fassen, denn die gesellschaftliche Stratifikation ist viel komplexer. [Es gibt z. B. einen aktuellen Kampf zwischen Groß- und Kleinkapital, sowie viele andere Interessendivergenzen zwischen verschiedenen sozialen Schichten.] Es ist immer berechtigt und notwendig in der Rechtspolitik zu fragen "Cui prodest?", und zwar nach Gesichtspunkten der sozialen Schichten. Z. B. im Mietrecht; wenn es solche Gesichtspunkte nicht beachtet, halte ich dies nicht nur für unsozial, sondern auch für undemokratisch.

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Friede und Kooperation. Das Ideal des Friedens und das Streben nach friedlicher Kooperation ist ein unabdingbarer Bestandteil der demokratischen Einstellung; Krieg wird immer durch ideologische Ideale oder Machtansprüche gerechtfertigt. Kriegerische Ziele werden zwar oft pseudodemokratisch begründet, z. B. durch nationale oder religiöse Ideale, der Krieg ist aber immer destruktiv und geht auf Kosten des kleinen Mannes, der sich dabei leider oft als Held fühlt. Das demokratische Weltbild lehnt Krieg als politische Methode ab. Es glaubt an die Möglichkeiten der Kommunikation, des Interessenausgleichs und der Kooperation und versucht, der verheerenden Rüstungsspirale zu entrinnen. Im Zeitalter der ABC-Waffen kann man nicht nach dem problematischen Prinzip "Si vis pacem, para bellum" vorgehen. Das bedeutet aber nicht, daß militärische Maßnahmen niemals notwendig werden können. Für den Demokraten sind sie aber nicht Ziel des Machtaufbaues und im Prinzip keine akzeptable politische Methode.

Demokratie und Rechtsstaat. Das moderne Weltbild des Demokraten ist ohne das Ideal des Rechtsstaates nicht denkbar. Rechtsstaatlichkeit bedeutet nicht nur, daß das gesamte gesellschaftliche Geschehen im Rahmen des Rechts und aufgrund des Rechts vor sich geht - im strikten Sinne ist das politische Leben bei weitem nicht nur Realisation des Rechts, sondern auch schöpferisch im Geiste der Leitideen -, sondern Rechtsstaatlichkeit bedeutet auch, daß das Recht und die aktuelle staatliche Organisation sich selbst auf rechtlichem Wege - ohne Revolution transformieren kann. Für den Bereich des Völkerrechts ist es noch nicht gelungen, friedliche Wege der politischen Umgestaltung zu institutionalisieren. Die jugoslawische Katastrophe zeigt wohl am klarsten, wie weit wir davon entfernt sind, völkerrechtliche Transformationen in Form von Rechtsprozessen durchzuführen. Die V6lkergemeinschaft hat noch keine effektiven Methoden der Konfliktvermeidung und Konfliktlösung entwickelt; sie agiert nur als Feuerwehr ex post. Im Bereich der V6lkergemeinschaft hat die Demokratie es bisher nicht erreicht, eine effektive Friedenspolitik, die auch eine wesentliche Rüstungsbeschränkung umfassen müßte, zu verwirklichen.

Politische Freiheit als System von Freiheiten. Freiheit ist ein unbestrittenes Ideal des demokratischen Weltbildes, doch wird das Freiheitsproblem meist ungenügend analysiert. 5 Es gibt nicht die politische Freiheit, sondern verschiedene Typen von Freiheiten, die durchaus nicht absolut, sondern nur in einem ausgewogenen System sinnvoll sind. Besonders wichtig für demokratietheoretische Betrachtungen ist die Assoziationsfreiheit und die Glaubensfreiheit, die beide für das demokratische System fundamental sind, aber nicht schrankenlos gelten. Oder soHten wir die Mafia

5 Vgl. O. Weinberge/; Gleichheitspostulate. Eine strukturtheoretische und rechtspolitische Betrachtung, in ders., Logische Analysen in der Jurisprudenz, Berlin 1979, S. 146-163; ders., Gleichheit und Freiheit: komplementäre oder widerstreitende Ideale, in: Equity and Freedom: Comparative Jurisprudence, Vol. 11, New York, Leiden 1977, S. 641 - 654.

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legalisieren und den Religionsgemeinschaften den Aufruf zum Mord oder zum "heiligen Krieg" gestatten? Es ist bedenklich, daß man in der Demokratietheorie und in der philosophischen Ethik fast nur über die rechtliche Institutionalisierung der Freiheiten spricht und kaum über die realen Bedingungen, sie zu nutzen. Wer denkt z. B. darüber nach, daß in unserer Gesellschaft die faktisch bestehende hohe Arbeitslosigkeit in unserer Gesellschaft die Freiheit des Arbeitnehmers de facto immens beschränkt? Man muß die institutionellen Bedingungen der Möglichkeit, Freiheiten tatsächlich zu nutzen, eingehend studieren, nur dann kann man wirklich etwas für die menschliche Freiheit machen. Sozialer Fortschritt. Das demokratische Weltbild enthält natürlich auch ein Ideal des sozialen Fortschritts. Wie es aussehen sollte, darüber sind sich die Demokraten nicht einig. Man sagt, Demokratie strebe nach Wohlstand, doch bleibt offen, was darunter zu verstehen ist. Das Bruttoinlandsprodukt ist ein inadäquater Maßstab für die Beurteilung des gesellschaftlichen Wohlstands, weil es wesentliche Momente nicht berücksichtigt, z. B. den sozialen Nutzen des Produkts (Güter zur Bedürfnisbefriedigung des Menschen werden gleich gewertet wie Reklame oder Rüstungsprodukte), die Verteilung der Güter und die sozialen Lebensbedingungen der Menschen.

Ist sozialer Ausgleich - eventuell Umverteilung - ein gültiges Postulat? Wir stehen vor sehr komplexen Fragen einer Neugestaltung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die infolge der technologischen Revolution und anderen Veränderungen, z. B. der geänderten Stellung der Frau, notwendig geworden ist. Es besteht für mich kein Zweifel, daß die immense Arbeitslosigkeit nicht nur ein Zeichen dafür ist, daß wir die aktuelle industrielle Revolution sozial-politisch nicht bewältigt haben und - wie ich meine - unter neo-liberalistischen Voraussetzungen nicht bewältigen können. Die Lebensfähigkeit der demokratischen Systeme wird davon abhängen, ob es gelingen wird, ein neues und akzeptables System der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zu finden und zu etablieren. Durch den Beschluß einer Sozialcharta durch die EU wird dieses Problem nicht gelöst. Die ungelöste soziale Problematik, vor allem die Situation der Arbeitslosigkeit, gefährdet die Stabilität der Demokratie. [Die Diskussion darüber, wie diese Problematik gelöst werden könnte, liegt außerhalb meines Themas.]

IV. Diskursive Demokratie und die Vorbedingungen einer offenen Gesellschaft Demokratie ist Diskussion, nicht nur weil Abstimmungen und Wahlen ideell vorbereitet werden müssen, weil die Bürger als Wahler Informationen brauchen und über ihr Wahlverhalten nachdenken und mit Gesinnungsgenossen und Gegnern

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Meinungsaustausch pflegen sollten. Es gibt m.A.n. noch tiefere Gründe für politische Diskurse in der Demokratie. Der Abstimmungsprozeß selbst ist unschöpferisch, er kann nur auf Vorschlägen beruhen, die erarbeitet werden müssen. Das ist eine Aufgabe der Eliten verschiedener Prägung, die zweckmäßigerweise ihre Meinungen in Diskursen erarbeiten und in gewissen Gemeinschaften durchsetzen. Der Prozeß der gesellschaftlichen Meinungsbildung und der gesellschaftliche Meinungsstreit vollziehen sich nicht nur auf dem Boden der rechtserzeugenden Institutionen, sondern sie sind ein Produkt des kulturellen und diskursiven Lebens der Gesellschaft. Deswegen betrachtet die diskursive Konzeption der Demokratie die Prozesse der gesellschaftlichen Willensbildung nicht nur als Mittel der Rechtserzeugung, sondern als Gesamtleistung der Gesellschaft. Sie versteht den gesellschaftlichen Diskurs als geistig-kulturelle Dynamik und fordert daher für das demokratische System, daß es eine offene Gesellschaft sein muß. Demokratie in diesem Sinne beruht auf der geistigen Offenheit der Gesellschaft und schafft daher die Vorbedingungen hierfür. Die diskursive Demokratie geht von der Überzeugung aus, daß die offene Gesellschaft Pluralität der Meinungen in weitem Ausmaß zuläßt, und Glaube an die fortschrittliche Funktion des rationalen Meinungsstreits. Wichtig ist, daß durch die Teilnahme verschiedener Berufsgruppen am gesellschaftlichen Diskurs unterschiedliche Zutrittsweisen zur Geltung kommen. Der Politiker steht in der Regel unter Zeitdruck und Entscheidungszwang. Der Wissenschaftler hat die Möglichkeit, seine Erwägungen gelassen und unter verschiedenen Gesichtspunkten durchzuführen und verschiedene Meinungen der Literatur abzuwägen. Durch den offenen Diskurs erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, daß die geplanten Maßnahmen von verschiedenen Seiten gewertet werden und daß sowohl Kurzzeit- als auch Langzeiteffekte beachtet werden. Gewisse Eigenschaften der Menschen und Organisationen werden als demokratische Tugenden erwartet: Toleranz, Diskursbereitschaft, Kritik und Selbstkritik.

Vorbedingungen für die Offenheit der Gesellschaft. Für das Funktionieren der offenen Gesellschaft sind gewisse Rahmenbedingungen erforderlich: Rechtlicher Schutz der freien Meinungsäußerung; die Existenz freier Organisationen als differenzierter Meinungsträger; relative Toleranz auch innerhalb der ideologischen Organisationen, wie IGrchen, politische Parteien; und natürlich eine freie und kritische Wissenschaft. Es muß wirksame Plattformen für den Meinungsstreit geben. Freiheit und Differenziertheit der Massenmedien und der gesamten Journalistik sind erforderlich. Auch wirtschaftliche Konzentration im Bereich der Massenmedien oder politische Eingriffe in die Tätigkeit der Journalisten schädigen das demokratische Leben. Leider ist die heutige Situation bei uns nicht günstig. Auch die diskursive Funktion der Wissenschaften, vor allem der Sozialwissenschaften und der philosophischen Kritik, wird nicht in genügender und gesellschaftlich wirksamer Weise wahrgenommen. 26'

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v. Aktuelle Gefahren für das demokratische Leben Wie immer ist auch in unserer Zeit das demokratische Leben durch verschiedene Momente bedroht. Die Entwicklung der Informationsgesellschaft hat positiven Einfluß auf das demokratische Leben, denn sie gibt dem Bürger Informationen in nie dagewesener Breite. Die negativen Folgen sind aber ebenfalls ernst. Es besteht die Gefahr von systematischer Verzeichnung der Informationen, und die Möglichkeiten systematischer Indoktrination wächst. Im Sinne der Skinnerschen Psychologie und auf der Plattform der Schumpeterschen Demokratiekonzeption halten emotionale Marketing-Methoden ihren Einzug in das politische Leben. Manchmal wird diese Propaganda sogar von zentralen Stellen organisiert, was ganz gegen den Geist der offenen Gesellschaft ist. Ich verweise auf die EU-Propaganda in Österreich und auf die Verträge über Informationsvorträge über die Einführung einer einheitlichen EUWährung, in denen sich die Vortragenden verpflichteten, nicht gegen die Meinung der EU-Kommission zu argumentieren. Infolge von Protesten wurde von diesen Verträgen Abstand genommen. Sie zeigen aber, wie wenig Sinn für demokratische Offenheit besteht. Die politische Propaganda verläßt oft den Boden der rationalen Argumentation und verschlingt Millionen. Der vorherrschende Einfluß der Kapitalstarken ist offensichtlich. Der Bürger wird zum gelenkten statt zum lenkenden Subjekt. Die Grundidee der Demokratie wird mehr oder weniger auf den Kopf gestellt. Eine ernste Gefahr erblicke ich in der desintegrativen und demoralisierenden Wirkung der Massenarbeitslosigkeit und des Sozialabbaus. Fundamentalistische Strömungen - religiöser, politischer oder anderer Art 6 sind für die diskursive Demokratie ein schwieriges Problem nicht nur wegen ihrer intoleranten Haltung, sondern auch wegen der mangelnden Kommunikationsbereitschaft.

6 Leider gibt es auch in den Wissenschaften ideologische Fixierungen. Auch hier ist Zivilcourage bei Auseinandersetzungen mit herrschenden Meinungen erforderlich.

Angst vor dem menschlichen Wahn 1. Problemstellung

Nichts auf der Welt erschüttert den, der an Humanität, Solidarität und Nächstenliebe glaubt, mehr als ein Blick auf die historischen Phänomene von Autodafe, Holocaust und Genozid. Wie ist es möglich - müssen wir uns fragen -, daß der Mensch seinem Mitmenschen nicht als verständnisvoller Bruder, sondern oft als gehässiger Wolf entgegentritt, und daß die Einstellung des Hasses und der Destruktion zu einer verheerenden Massenerscheinung heranwachsen kann, obwohl wir von Natur aus Gemeinschaftswesen sind, die ein Solidaritätsbewußtsein entwikkein, und obwohl sich jeder von uns als vernünftiges moralisches Subjekt versteht? Fühlt nicht jedermann in seiner Brust die Tendenz zur christlichen Nächstenliebe? Haben wir nicht das Bedürfnis und ein tief eingewurzeltes Streben, unseren Mitmenschen zu verstehen? Ich möchte versuchen, diese zwiespältige Haltung des Menschen: Sehnsucht nach Verstehen und Verständigung, Solidaritätssinn und Humanitätstendenzen auf der einen Seite, fanatischer Wahn, Haß, kollektiver Wahn und Vernichtungswille auf der anderen, zu erklären. Wie ist die Möglichkeit des destruktiven Massenwahns in der menschlichen Natur angelegt? Wie werden solche Wahnvorstellungen bzw. Wahntheorien zu gesellschaftlichen Massenerscheinungen, die in den Mitmenschen das verkörperte Böse sehen und unter diesen Pseudotheorien den Menschen als den vermeintlichen Träger des Bösen in systematischer und rohester Weise vernichten? Darf man voraussetzen, daß nur das primitive Denken früherer Kulturepochen jener Boden war, auf dem Wahnideen und kollektiver Haß verbunden mit Massenverfolgungen sprießen konnten? Leider zeigt uns die Geschichte der Neuzeit, daß diese Annahme ganz falsch wäre. Das deutsche Volk, der Träger des Nazismus und des großen Holocaust, war eines der kulturell und geistig am höchsten entwickelten Völker der Erde. Einer der größten Philosophen und Theologen, Thomas von Aquin, sowie bedeutende moralische Führer der Menschheit, Martin Luther und Johannes Calvin, glaubten an Hexen und Dämonen, und ihre Autorität trug zur Verbreitung des Hexenwahns nicht unwesentlich bei. Angesehene und gelehrte Theologen - Jakob Sprenger und Heinrich Institoris - haben den Hexenhammer verfaßt. Ein Papst Innozenz VIII. - hat 1484 die Hexenbulle "Summis desiderantes" erlassen. Und dies war nicht die einzige päpstliche Aufforderung zur physischen Ausrottung von Ketzern, Hexen und Juden. Auch der "wissenschaftliche Sozialismus" hat unter Stalin - aber nicht nur unter diesem Diktator - Millionen Menschen ums Leben gebracht. Die Theorie, der gemäß destruktiver Wahn mit all seinen Folgen in gei-

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stiger Primitivität wurzelt und in einer WeIt der technischen und geistigen Hochkultur unmöglich sei, ist zweifellos ganz falsch. Kultur, Wissenschaft, Technik und modeme Technologie bilden keinen Schutzwall gegen haßerfülltes Denken und Vernichtung unter dem Banner von Wahnidealen, ebensowenig wie die Religion der Nächstenliebe dem Aufflammen von Scheiterhaufen unter dem Namen "Autodafe" (= "Glaubensakt") im Wege stand. Gerade die Tatsache, daß die Phänomene des Wahns nicht Sache der kulturellen und geistigen Primitivität sind, führt zu meiner Angst vor dem menschlichen Wahn. Die Sache ist sehr ernst; sie wird mit wachsender technischer und organisatorischer Kapazität der Menschheit nur noch gefahrlicher. Heiliger Krieg kann auch Atomkrieg werden; atomare Abschreckung könnte sich mit der Idee der endgültigen Vernichtung des Bösen verbinden und das Overkill ins Rollen bringen. Absolute Glaubenssätze religiöser oder weltlicher Art könnten das freie Denken und das Streben nach freien und gerechten Lebensformen in entscheidender Weise behindern. Ich habe Angst vor dem Wahn gleichermaßen in religiösem wie in wissenschaftlichem Gewand; ich glaube aber auch an die menschliche Vernunft. Sie kann die Wurzeln und Quellen des Wahns aufdecken, oder vorsichtiger gesagt: sie kann versuchen, aufgrund anthropologischer Analysen eine Erklärung des destruktiven Wahns zu geben. Vielleicht lassen sich dann auch Wege aufzeigen, wie gegen diesen Wahn und seine gesellschaftlichen Folgen angekämpft werden kann. Schon bei einer ersten Betrachtung zeigt sich, daß der destruktive Wahn immer ein gewisses gedankliches Gerüst hat, daß er auf einem Komplex von Meinungen aufgebaut ist, die blind geglaubt werden, obwohl sie bei kritischer Betrachtung gerade sehr problematisch erscheinen. Diese Wahntheorien führen gerade dann zur Verheerung, wenn der Wahn organisierte Formen annimmt, wenn ein eigenartiges Zusammenspiel zwischen persönlichen Meinungen und gesellschaftlichen Strukturen, die ideologisch fixiert sind, zustande kommt. Wie das im einzelnen funktioniert, wird näher zu prüfen sein. Man kann geschichtlich-wertende Fragen stellen, wie z. B.: "Wer ist schuld am nazistischen Holocaust? Hitler? Gobineau? Schönerer? Lueger? Rosenberg?" oder "Wer ist schuld an der Häretiker-, Hexen- und Zaubererverfolgung? Die Theologen, der Papst und die Hierarchie, die Inquisitoren oder die Folterknechte und die weltliche Gerichtsbarkeit mit ihrem Irrglauben, daß das Geständnis - auch unter Folter - die Königin der Beweise sei?" Solche Fragen interessieren mich hier nicht, und ich will mich in keiner Weise mit dem Problem der historischen Schuldzuweisung befassen; ich will vielmehr die Bedingungen und Strukturen dieser tragischen Erscheinungen der Menschheitsgeschichte analysieren. Jedenfalls ist das Zusammenspiel verschiedener Faktoren - von den geistigen Urhebern, den Schreibtischtätern, der ideologischen Organisation bis zu den letzten exekutierenden Knechten - erforderlich, damit das Ganze funktionieren kann. Niemand ist meines Erachtens frei

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von Schuld und Verantwortung, weder die geistigen Väter am Schreibtisch noch die Agitatoren am Rednerpult noch die "pflichtgetreuen" Schergen. In meinen Analysen geht es natürlich auch nicht um solche problematischen Schlagworte wie "Vergangenheitsbewältigung"; aber auch die Vemiedlichung der Ketzer- und Hexenverfolgungen muß vermieden werden. Für meine Betrachtungsperspektive bietet die Geschichte nur eine Sammlung von Fallbeispielen aus einer offenen Klasse von Möglichkeiten. Ich habe mehr zukünftige Gefahren im Sinn als den Wunsch, Richter über die Vergangenheit zu sein.

2. Geboren zur Freiheit Wir erleben uns als Subjekte, die frei sind, zu handeln, wie wir wollen. Ich weiß, daß ich, wenn ich will, meinen rechten Arm heben kann, daß ich ihn aber auch, wenn ich mich anders entschließe, herabhängen lassen kann. Mit einer Kurzformel kann man sagen: Wir erleben Handlungsfreiheit. Handlungen sind ein Typus von Vorgängen. Nach dem Kausalprinzip erfassen wir Vorgänge als verursacht. Einen Zustand eines Dinges (oder eines Systems) oder die Abfolge von Zuständen des Dinges (des Systems) verstehen wir als Folge von vorangegangenen Ereignissen und Umständen nach gewissen Gesetzmäßigkeiten (die unserer Erkenntnis nicht immer zugänglich sind). Wir müssen daher fragen: Ist die Handlungsfreiheit, wie wir sie erleben, mit dem Kausalprinzip, nach dem wir die Ereignisse und Vorgänge in der Welt erfassen, verträglich? Kann die Handlung eines Akteurs als realer Vorgang in der Welt anders erklärt werden als durch ursächliche Bindungen an vorangehende Ereignisse und Umstände? In unserer Reflexion über die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten bestand unsere Handlungsfreiheit gerade darin, daß wir davon überzeugt waren, so handeln zu können, wie wir handeln wollen. Man muß nun weiter fragen: Kann ich auch so wollen, wie ich will? Könnte ich auch anders wollen, als ich will? Kann ich den Inhalt meines Willens wählen? Oder ist mein Wollen durch äußere oder innere Umstände bestimmt, die meiner Kontrolle nicht unterliegen? Dem Kenner der Philosophie ist klar, daß hier Fragen angeschnitten werden, die den Streit zwischen Indeterminismus und Determinismus betreffen. In diesem Meinungsstreit wird immer wieder die Frage erörtert, ob "Schuld" und "Verantwortung" überhaupt sinnvolle Begriffe wären, wenn keine Handlungsfreiheit bestehen würde: Wenn ich nicht frei wählen kann, was ich will und was ich tue oder lasse, wie kann ich dann für mein Handeln verantwortlich sein? Wie könnte man mir dann Schuld oder Verdienst zurechnen? Manche Denker postulieren gerade deswegen die Existenz der Handlungsfreiheit, weil sonst - wie sie meinen - von Schuld und Verantwortung nicht sinnvoll gesprochen werden könnte. Ausgehend vom Begriff der Information, und gestützt auf die Erkenntnis, daß Informationen eine besondere Art von Tatsachen sind, die sich von anderen Gegen-

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ständen und Ereignissen unterscheiden, obwohl sie nur mittels gegenständlicher Zeichen dargestellt werden können, möchte ich versuchen, eine einfache und plausible Antwort auf diese Grundproblematik der Philosophie zu geben. Gleichzeitig wird der Handlungsbegriff und seine Beziehung zur Handlungsfreiheit eine akzeptable Deutung erhalten. Der Begriff der Handlung ist nur dann sinnvoll, wenn dem Handelnden Handlungsspielräume zur Verfügung stehen. Ein noch so komplizierter und noch so detailliert beschriebener Ablauf von Zuständen eines Subjekts stellt noch keine Handlung dar. Nur dann, wenn irgendwann im Verhalten des Menschen eine solche Situation auftritt, daß zwei oder mehrere Möglichkeiten der Fortsetzung des Verhaltensablaufes bestehen, kann sinnvoll von einer Handlung gesprochen werden. Ich bin ein Handlungssubjekt, ich kann handeln, wenn es möglich ist, daß ich mich in irgendeinem Augenblick nach dem jetzigen Zeitpunkt to in der Weise A oder aber in einer anderen Weise B verhalte. Es ist z. B. möglich, daß ich meinen Arm im nächsten Augenblick heben werde, und es ist auch möglich, daß ich ihn nicht heben werde. Es ist möglich, daß ich weiter sitzen bleibe; es ist aber auch möglich, daß ich aufstehen werde. Hat der Mensch tatsächlich diese alternativen Möglichkeiten, oder lebt er nur in der täuschenden Vorstellung, daß ihm Handlungsspielräume offenstehen? Es ist nicht nur eine Selbsttäuschung, sondern eine Erfahrungstatsache, daß wir uns aufgrund eines Informationsprozesses, der in eine Entscheidung ausmündet, verschieden verhalten können. Wie läßt sich das beweisen? Unsere erlebte Vorstellung, daß wir nach Belieben A oder aber B tun können, genügt für den Beweis nicht. Es wäre ja durchaus denkbar, daß wir meinen, nach unserem Belieben frei zu wählen, daß aber in Wirklichkeit der Ablauf unserer Entscheidungen durch Umstände determiniert ist, die nicht in unser Bewußtsein gelangen. Der Beweis der Existenz von Handlungsspielräumen, d. h. der Existenz von Handlungsfreiheit, verläuft anders. Die Frage muß anders gestellt werden, nämlich: Gibt es Stellen (sogenannte Knoten der Verhaltenstrajektorie), an denen das Verhalten in einem nachfolgenden Augenblick nachweisbar von Informationen - gegebenenfalls von einem Informationsverarbeitungsprozeß, der dem Subjekt zuzurechnen ist - abhängt? Daß es solche Stellen gibt, wissen wir mit Sicherheit und können es durch Versuche belegen. Die Existenz von Handlungsspielräumen bedeutet nicht, daß das Geschehen in der Welt indeterminiert ist, daß der Mensch wie eine erste Ursache seine Handlung setzt, sondern bloß, daß das Verhalten des Handelnden durch Informationen bestimmt ist, und zwar durch mehr oder weniger bewußte Prozesse der Informationsverarbeitung. Wissen und Denken, die Fähigkeit, Stellung zu nehmen und zu wählen und danach unser Verhalten einzurichten, sind die Basis unserer Freiheit. Diese Freiheit ist nicht nur ein Privileg der Gattung Mensch; sie charakterisiert vielmehr unsere Lebenssituation, aus der wir nicht ausbrechen können. Wir sind zur Freiheit geboren und müssen als handelnde Wesen leben. Wir können nicht zu der

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Lebensweise niederer Organismen zurückkehren, uns nur von Instinkten und einfachen erbkoordinierten Verhaltensweisen und Mustern bewegen lassen. Wir müssen über unser Handeln nachdenken, wir müssen wertend Stellung nehmen, wir müssen aufgrund unseres Wissens wählen und entscheiden. Wir können allerdings mehr oder weniger systematisch und überlegt handeln, wir können eine mehr oder weniger breite Orientierung in der Welt erlangen, und ein größeres oder kleineres Wissens system unserer Entscheidungserwägung - und damit dem Handeln - zugrunde legen. Wir können eher blindlings oder eher sorgsam analysierend und abwägend unsere Dezisionen treffen, aber wir können nicht aufhören, handelnde Wesen zu sein. Wir sind nicht nur frei, weil wir frei sein wollen, sondern wir sind mit Freiheit ausgestattet, so wie wir als Menschen mit aufrechtem Gang ausgestattet sind. Darin liegt die Größe und Würde des Menschseins, denn nur handlungsfähige Wesen kennen Moral und Verantwortung. Da der Mensch nicht nach fixierten Mechanismen handelt und lebt, die in seinem Wesen biologisch endgültig vorgegeben sind, kann er sein Leben, seine Normen und Wertmaßstäbe entwickeln und sie je nach Umständen modifizieren. Diese Freiheit ist nicht nur eine Charakteristik der Lebenssituation des Individuums, sondern auch eine Eigenschaft menschlicher Gemeinschaften. Wir schaffen Institutionen sowie die dazugehörende VorstellungsweIt und das System der WerteinsteIlungen. Ein und dieselbe Freiheit, das Leben zu gestalten und Wertprinzipien zu setzen, ist auch die Basis der Möglichkeit, individuellen und kollektiven Wahnvorstellungen zu unterliegen. Geboren zur Freiheit heißt: geboren zur Moral; keine paradiesische Unschuld und Automatik des wahrscheinlich richtigen Weges, sondern Verantwortung, Pflicht und Entscheidungszwang; daher auch Würde und Sorge; aber auch: Offenheit für Entartungen, die Möglichkeit, unter dem Einfluß von Vorstellungen zu handeln, die einem unkritischen Wahn entspringen.

3. Das Orientierungssystem unseres Handeins Die zeitgenössischen Erklärungen der Lebensphänomene beruhen auf dem Begriff der Information. Die Erbanlagen, die die Entwicklung des Organismus bestimmen, sind im Zellkern gespeicherte Informationen. Instinktverhalten wird als System von Informationen konzipiert, das im Genom gespeichert ist. Das Verhalten des instinktgelenkten Organismus wird einerseits aus innerer Aktivität in den erbbestimmten Formen, andererseits durch äußere Auslösemechanismen gemäß dem ererbten Programm realisiert. Bei höheren Lebewesen wächst die Plastizität der Verhaltensweisen und der Umfang der Bestimmung des Verhaltens durch Erfahrung und Erlerntes. Die Bedeutung des durch Erfahrung, Nachahmung und Lernen geformten Informationssystems nimmt im Verhältnis zu den ererbten Verhaltensmustern zu. Beim Menschen ist die Verhaltensdetermination durch Instinkte - d. h. relativ stabile ererbte Verhaltensmechanismen - gegenüber anderen verhaltensbestimmen-

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den Faktoren wesentlich zurückgedrängt, wenn auch keineswegs ausgeschaltet. Ein komplexes Wissenssystem und Institutionen werden zu unabdingbaren Elementen der Verhaltens- und Handlungsbestimmung. Der Mensch schafft seine Lebensformen. Er entwickelt Informationssysteme - Wissens- und Präferenzsysteme -, er erarbeitet Programme zur Lösung von Aufgaben (Arbeitstechniken), er erlernt Fertigkeiten und etabliert relativ stabile Institutionen. Biologisch gegeben sind auch beim Menschen die Grundstrukturen: die prinzipiell aktive Einstellung, eine gewisse Struktur der Grundbedürfnisse und Lebenstendenzen, sowie die Tatsache, daß der Mensch ein gemeinschaftsorientiertes Wesen (ein Zoon politikon im Sinne von Aristoteles) ist. Wenn man die Conditio humana mit ihren Höhen und Tiefen, mit ihrer Größe und ihren Entartungen, verstehen will, muß man vor allem dem menschlichen Orientierungssystem nähere Aufmerksamkeit schenken. Das Orientierungssystem dient dem menschlichen Handeln, der zwischenmenschlichen Interaktion und der Konstitution von Institutionen. Es muß daher in handlungstheoretischer Perspektive betrachtet werden. 1 Aus handlungstheoretischen Gründen können wir das Orientierungssystem als komplexes Informationssystem ansehen, das aus zwei Teilen besteht, deren Bedeutung und pragmatische Funktion verschieden ist: 1. aus dem System der Tatsacheninformationen (Wissenssystem) und 2. aus dem System der praktischen (steIlungnehmenden) Informationen. Das Wissenssystem umfaßt: (a) Informationen über die Situation und Umgebung des Handelnden und über das Feld, in dem die Handlung vollzogen werden soll; (b) Kausalwissen; (c) technologisches Wissen (Kenntnis von Programmen, die zur Bewältigung gewisser Aufgaben dienen können); (d) die Kenntnis von Institutionen und der durch sie gegebenen Handlungsrahmen (Handlungsmöglichkeiten).2 Das Orientierungssystem jedes Handlungssubjektes ebenso wie jeder Körperschaft oder jedes Systems gemeinschaftlichen Handeins muß neben Tatsacheninformation ein System praktischer Informationen enthalten. Der handlungsbestimmende Informationsprozeß erfordert nämlich Stellungnahmen zu bestehenden und möglichen Tatsachen, die in rationalisierter Form durch praktische Informationen (praktische Sätze) dargestellt werden. Handeln ist immer ein Wählen (Entscheiden) zwischen alternativen Handlungsmöglichkeiten; und dies ist ohne steilungnehmende Akte bzw. stellungnehmende Informationen nicht denkbar. Die praktischen Informationen drücken Zwecke, Normen, Werte (Wertungskriterien) und Präferenzen aus. Sie haben im handlungsbestimmenden Informationsprozeß die Rolle von Auswahlkriterien bzw. Auswahlfunktionen des Entscheidens. 1 Diese Auffassung kann man als ,These von dem erkenntnistheoretischen Primat der Praxis' bezeichnen. 2 Diese Übersicht zeigt klar, daß das Wissenssystem Sachinfonnationen enthält, die auf mögliches Handeln ausgerichtet sind.

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Das System der praktischen Informationen, das dem Individuum zugeordnet ist, ist in seiner primären Grundlage Ausdruck der biologischen Tendenzen und der immanenten Strebenseinstellung des Menschen, gleichzeitig aber auch Folge der anerzogenen, der erlernten und der akzeptierten Wünsche. Analog müssen wir auch Gemeinschaften oder Körperschaften als Handlungsträgern, wenn wir sie und ihr Handeln verstehen wollen, ein System von Zwecken, Tendenzen und Präferenzen zuordnen. Soziologisch betrachtet hat die Gemeinschaft oder Körperschaft ein Eigenleben, das Bestandteil der entsprechenden Institution ist. Der Institution kommt gesellschaftliches Dasein zu; und sie ist gegenüber den praktischen Einstellungen der Mitglieder relativ selbständig (obwohl natürlich gewisse komplexe Beziehungen zwischen den Leitideen und Zwecken der Institution und den Einstellungen der an der Institution beteiligten Personen bestehen). Auf drei Eigenschaften des Orientierungssystems, die beide Teile betreffen, möchte ich noch besonders aufmerksam machen. Erstens: Der Mensch arbeitet unentwegt an bei den Teilen des Orientierungssystems. Wir suchen Erkenntnisse, prüfen unser Wissenssystem, um es zu verbessern und um es auf einem zeitgemäßen Stand zu erhalten. Wir arbeiten aber auch an unseren Wertvorstellungen und praktischen Einstellungen; wir fragen uns immer wieder, ob wir das Richtige tun, ob wir eine vernünftige Lebenseinstellung haben und realisieren, ob wir unsere Mitmenschen und die Institutionen unserer Gesellschaft adäquat werten. Zweitens: Es verläuft immer und auf verschiedenen Ebenen ein Prozeß der gegenseitigen Beeinflussung der Informationssysteme des Individuums, seiner Mitmenschen und der Gemeinschaften. Das Wissen des Einzelnen ist kein rein persönliches Erfahrungs- und Denkprodukt, sondern in hohem Maße ein individuell geformtes Extrakt aus einem gemeinschaftlichen Erkenntnissystem, das selbst eine soziale Summation individueller Erkenntnisleistungen ist. Ähnlich ist die Situation im Bereich der praktischen Informationen. Es bestehen dialektische Beziehungen zwischen persönlichem Ethos, dem Wünschen, Werten und Wollen des Einzelnen und den gemeinschaftlichen Systemen des Sollens und Wertens sowie mit den korrelierenden gesellschaftlichen Institutionen. 3 Drittens: Die einzelnen Elemente des Orientierungssystems sind in verschiedenem Grade gewiß. Ungewißheit betrifft sowohl das Wissenssystem als auch die praktischen Einstellungen. Der Wunsch, sicher orientiert zu sein, ist für den Handelnden von großer Bedeutung. Die reale Lebenssituation bietet uns eine solche Sicherheit nur partiell. Im alltäglichen Leben meditieren wir relativ wenig über die 3 Über die Beziehungen zwischen Institutionen und gesellschaftlichen normativen Regulativen, Wertsystemen und Präferenzen siehe D. N. MacCormick/O. Weinberger, Grundlagen des Institutionalistischen Rechtspositivismus, Berlin 1985 (englische Fassung: dies., An Institutional Theory of Law. New Approaches to Legal Positivism, Dordrecht, Boston, Lancaster, Tokio 1986); ferner O. Weinberger, Recht, Institution und Rechtspolitik. Grundprobleme der Rechtstheorie und Sozialphilosophie, Stuttgart 1987.

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Frage der Gewißheit unserer Erkenntnis und verdrängen Zweifel in bezug auf die Richtigkeit unserer Lebenseinstellungen, Werturteile und Zielsetzungen. Schnell, und oft vorschnell, deuten wir das Handeln unserer Mitmenschen und deren Handlungsmotive in einer solchen Weise, als wären dies sichere Erkenntnisse, vor allem dann, wenn wir fixierte allgemeine Vorstellungen über gewisse Menschen oder Situationen haben. Für die Wissenschaft, das philosophische und moraltheoretische Denken, sind Reflexionen über die Gewißheit aller Elemente unseres Orientierungssystems ganz wesentlich. Der kritische Denker ist vorsichtig: er zweifelt an Prima-facie-Gewißheiten, ja auch an seinen eigenen theoretischen und praktischen Überzeugungen (bzw. Voraussetzungen). Er sucht aber immer auch Wege, die Gewißheit seiner Thesen und die Adäquatheit seiner praktischen Einstellungen zu erhöhen.

4. Rahmenbedingungen der Massenverfolgungen

Ich gehe von der Hypothese aus, daß die Entstehung und Entwicklung von Wahntheorien, die ganze Gesellschaften erfassen und zu Massenverfolgungen führen, an gewisse Bedingungen gebunden sind, die einerseits im geistigen Bereich und andererseits im Bereich der gesellschaftlichen Strukturen angesiedelt sind. Die geistigen Voraussetzungen sind notwendige Bedingungen für die Herausbildung von Machtstrukturen, durch die Massenverfolgungen in die Tat umgesetzt werden. Die geistigen Umstände allein können höchstens zu sozialen Aufspaltungen, zu gewissen Diskriminierungen oder zu gesellschaftlichen Isolierungen gewisser Individuen führen. Sie sind latente Gefahren, die nur dann, wenn die entsprechenden Machtstrukturen da sind oder aufgebaut werden, in massive Verfolgungen und Menschenvernichtung ausarten. Sicherlich gibt es andererseits auch Auswirkungen von Machtstrukturen auf die in der Gesellschaft produzierten Vorstellungen, Meinungen und Lebenseinstellungen - kurz: auf die gesellschaftlich wirksamen Ideologien. Markant ist die Tatsache, daß jede Verfolgung und jeder Holocaust im Namen gewisser Ideale, also unter dem Banner des Kampfes für das Gute stehen. Ich meine, daß der Mensch im Prinzip nach dem Guten strebt, und daher nur unter der Vorstellung von Idealen fähig ist, Greueltaten zu vollbringen. Wenn der Mensch fixe Wahnideale im Auge hat, dann wird aber seine Roheit unter Umständen grenzenlos. 5. Die geistigen Bedingungen der Massenverfolgungen

Absolutes Wissen: Wer glaubt (davon überzeugt ist), die Wahrheit in der Tasche zu haben, und wer meint, mit absoluter Gewißheit zu wissen, was gut und richtig ist, kann jedes Mittel zur Realisierung seiner Vorstellungen akzeptieren.

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Wenn ich davon felsenfest überzeugt wäre, daß die Erschießung meines besten Freundes die notwendige und hinreichende Bedingung für das Heil der Welt, sowie für das Ende der Not und der Kriege in der Welt wäre, hätte ich dann nicht die Pflicht, ihn zu erschießen? Das scheint mir recht plausibel; aber nur ein Wahnsinniger kann solche Überzeugungen entwickeln. Eine wesentliche Vorbedingung des Vernichtungswahns ist die absolute Überzeugung, die Ablehnung jedes Zweifelns. Vor allem absolute Gewißheit in metaphysischen Grundfragen: in Fragen der Religion, der Weltanschauung und der Moral. Und dies sind meines Erachtens gerade jene Bereiche, wo Zweifeln und suchende Überlegungen nicht nur gerechtfertigt sind, sondern auch der menschlichen Lebenssituation entsprechen und für die Formung einer gediegenen moralischen Persönlichkeit notwendig sind.

Monistisches ldeal- monistische Heilsvorstellungen. Mit der Voraussetzung, absolutes Wissen zu haben (oder der Forderung, suchendem Zweifel durch bedingungslosen Glauben zu begegnen, pflegt eine monistische Heilskonzeption verbunden zu sein, nämlich die Vorstellung, daß ein einziges fundamentales Postulat zu erfüllen sei, wodurch das Heil mehr oder weniger automatisch sichergestellt sei: Der Klassenkampf muß ausgefochten werden, Wohlstand, soziale Gerechtigkeit und freie Entfaltung der Persönlichkeit werden dadurch allen nachfolgenden Generationen zuteil werden. - Freier Markt und alle ökonomischen und moralischen Probleme werden gelöst sein. - Gewisse religiöse Glaubensakte sind das Essentielle des Weges zur heilen Welt und die Garantie, daß dieser Weg erfolgreich sein wird. Anmerkung: Ich bin der Meinung, daß das Postulat der Nächstenliebe nicht diesen Charakter hat, trotz seiner zentralen Stellung in religionsphilosophischen und ethischen Betrachtungen. Es wird zwar als oberstes Prinzip konzipiert, aber mit dem Bewußtsein, daß es nur als richtungsbestimmender Grundsatz für alle Überlegungen vom moralischen Standpunkt aus fungiert, daß jedoch bei allen Wertentscheidungen zusätzliche Erwägungen und Argumente erforderlich sind. Die Unterordnung unter eine ideologische Hierarchie. Zu den geistigen Strukturen, die für die Herausbildung von Massenwahn entscheidend sind, ist auch die Auffassung zu zählen, daß geistig-ideologische Führung - oft in gestufter Konzeption und verbunden mit einem institutionalisierten Apparat - ein System von Auffassungen und Meinungen in authentischer Weise erarbeitet, das von jedermann akzeptiert wird und akzeptiert werden soll. Es kann sicherlich die Tatsache nicht in Abrede gestellt werden, daß gesellschaftliche Kooperation und die Arbeit von Meinungsbildungsinstitutionen erforderlich sind. Diese soziologische Tatsache hat aber mit dem Akzeptieren authentischer ideologischer Instanzen nichts zu tun, denn: 1. die in demokratischen Systemen bestehenden geistigen Institutionen sind pluralistisch konzipiert; 2. sie sollten prinzipiell anti-hierarchisch funktionieren; 3. sie haben keinerlei verbindliche Autorität und wirken nur durch die Kraft der vorgetragenen Argumente; jedermann kann die Meinung prüfen, akzeptieren oder verwerfen.

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Dem Standpunkt der geistigen Unterwerfung und der Akzeptanz ideologischer Hierarchien kann man in freier Abwandlung Kantscher Ideen4 das Postulat des Selbstdenkerturns und der Selbstverantwortung für Meinungen, WerteinsteIlungen und Zielsetzungen jedes Einzelnen entgegensetzen. ,Selbstdenker' wird hierbei nicht als wissenschaftliche Qualifikation oder Expertenturn verstanden, denn es geht dabei nicht darum, daß man alles, was man meint, oder alles, wofür man eintritt, selbst erarbeitet oder begründet hat. Es geht hier vielmehr um eine Frage der menschlichen Würde und um eine gesellschaftspolitische Charakteristik der demokratischen Lebensform: jeder hat das Recht und ist dazu aufgerufen, seine Meinung und Einstellung zu bilden (soweit er dazu fähig ist). Die Verherrlichung der unerschütterlichen Überzeugungen. Sowohl in religiösen als auch in manchen weltlichen Systemen gilt es als höchste Tugend, unerschütterliche Überzeugungen zu haben, an absolute Autoritäten zu glauben, in deren Worten letzte Wahrheiten und Maßstäbe des Guten und Richtigen objektiv dargestellt sind. Diese Systeme fordern überdies, daß das entsprechende Lehrgebäude als Ganzes, und nicht nur als Grundstruktur, sondern in allen einzelnen wesentlichen Thesen akzeptiert und unerschütterlich geglaubt werde. Es ist gar kein so entscheidender Unterschied, ob diese Autorität als der große weltliche Lehrer (wie Marx, Stalin, Mao) oder als Träger eines kirchlichen Lehramts (Augustinus, Thomas, ein Papst oder Khomeini) angesehen wird: immer wird Überzeugungsgehorsam und Unerschütterlichkeit des Glaubens gefordert. Meines Erachtens steht diese Forderung selbst in Konflikt mit der menschlichen Würde, mit der tatsächlichen Conditio humana, die uns - jedes Individuum - verpflichtet, ein moralisch autonomer Selbstdenker zu sein. Wenn wir solche Systeme im historischen Rückblick oder von einer anderen geistigen, kulturellen oder religiösen Position aus betrachten, dann können wir aus der Erfahrung recht wenig für die universelle Unfehlbarkeit der Autoritäten anführen: Gerade die Vorstellung, die zu den grauenvollen Verfolgungen und Massenvernichtungen geführt haben, wurden oft von höchsten Autoritäten als jene Ansichten festgesetzt, an die man hatte unerschütterlich glauben sollen. Die tatsächliche Struktur des menschlichen Wissens und unserer Wertüberzeugungen läßt jede Verherrlichung der absolut starren Überzeugungen als verfehlt erscheinen; und pragmatisch betrachtet, sind Forderungen nach unerschütterlichen Überzeugungen (manchmal auch ,Glauben' genannt) die psycho-soziale Basis der Entstehung von Wahntheorien. Die Realität der Ungewißheit des Wissens und der Fehlbarkeit des Wertens und Handeins führen zu einem Ethos des Suchens, zum Mut des Zweifelns. Blinder Glaube und Überzeugungen, die als unrevidierbar und unkritisierbar akzeptiert werden, führen in eine Geisteswelt der Intoleranz und Unmenschlichkeit, und gegebenenfalls auch zu Vorstellungen, die in einen Holocaust ausmünden können.

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I. Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784).

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Die Theorie des Bösen. Jede Moraltheorie (und daher notwendigerweise jede Religion, die ja neben einer ontologischen Metaphysik immer auch eine Morallehre enthält) befaßt sich mit der Frage von ,gut' und ,böse'. Die Probleme von ,gut' und ,böse' liegen in verschiedenen Ebenen: 1. Ist ,gut' / ,böse' eine Charakteristik von Handlungsweisen, die vom moralischen Standpunkt aus beurteilt werden sollen, oder sind das Gute und das Böse einander gegenübergestellte moralische Entitäten? 2. Stehen einander gegenüber das Prinzip des Guten (bei Kant die Handlung nach dem Gesetz, das durch den kategorischen Imperativ expliziert ist) und das Prinzip des Bösen (das Handeln nach einem Prinzip des Bösen 5 , das aber bei Kant nicht ausdrücklich definiert wird), oder stehen wir immer vor einer moralischen Wertungs frage , welche Verhaltensweise als gut zu realisieren oder als böse zu meiden ist. 3. Sind das Gute und das Böse Charakteristiken der Welt oder der Mächte der Welt (Gott - Teufel), oder sind sie wertende Stellungnahmen, die als moralische Auswahlkriterien in der Handlungsüberlegung auftreten? 4. Läßt sich prinzipiell für alle Situationen, alle Relationen und alle Zeiten bestimmen, was das Gute, und was das Böse ist? Und hätte eine solche Bestimmung den Charakter einer objektiven Erkenntnis? Im Rahmen dieser Untersuchung ist es nicht möglich und auch nicht erforderlich, die Gesamtheit der Probleme von ,gut' und ,böse' zu erörtern. Nur eine Frage ist hier wichtig: Sind das Gute und das Böse an und für sich bestehende Entitäten, für die man sich entscheiden kann? Ich halte eine solche Konzeption für eine ganz verfehlte und gefährliche Hypostasierung. ,Gut' und ,böse' sind Werteigenschaften, und nichts anderes. Gute und weniger gute (bzw. in verschiedenem Maße böse) Tendenzen mögen in unserer Brust bestehen und sich mehr oder weniger in unseren Entscheidungen und Handlungen durchsetzen. Es gibt wohl keinen Menschen, der restlos gut oder der restlos böse handelt. Wenn wir bildlich sprechen wollen, können wir sagen, daß bei niemandem nur das Gute oder nur das Böse herrscht: es besteht vielmehr ein moralischer Kampf zwischen verschiedenen Tendenzen in unserer Seele. Weniger bildhaft ausgedrückt bedeutet dies: wir entscheiden darüber, wie wir uns verhalten, unter der Konkurrenz von subjektiven Utilitätsüberlegungen und moralischen Werten. Die Utilitätsüberlegungen können zwar mit moralischen Werten in Konflikt geraten, sie müssen aber keineswegs moralisch bedenklich sein. Utilität und Monil zu harmonisieren, ist eine wünschenswerte Bestrebung. Mit der Hypostasierung von ,gut' und ,böse' geht häufig die ganz unsachliche Vorstellung Hand in Hand, daß wir uns im Prinzip und im gesamten Feld unseres HandeIns für das Gute oder für das Böse entscheiden, gegebenenfalls daß wir von dem einen oder aber von dem anderen beherrscht werden. In der Weltanschauung, die zu rigoristischem Wahn führt, faßt man gewisse Menschen als Inkarnation des Bösen auf, als vom Bösen besessen, als auf das Böse 5

I. Kant, Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1783/94).

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gerichtet kraft eines Willensaktes. So etwas gibt es in Wirklichkeit nicht, sondern wir stehen täglich und stündlich in einem Entscheidungskampf, in dem wir ,gut' und ,böse' als Eigenschaft von Verhaltensarten (Möglichkeiten des tatsächlichen Tuns oder Lassens) bestimmen und in dem wir eine Resultante aus moralischen und Utilitätstendenzen schaffen. Der Überzeugung, daß gewisse Menschen (Juden, Häretiker, Hexen, Kapitalisten, ... ) Inkarnationen des Bösen seien, folgt der Wunsch sowie die Forderung der Vernichtung der Träger des Bösen auf den Fuß. Es gibt keine unchristlichere Auffassung; statt zu verstehen, zu lieben, zu bessern und zu reformieren, das Vernichten und Morden von Brüdern, weil Menschen dem Wahn unterliegen, 1. daß gewisse Menschen Träger des Bösen seien, und 2. weil sie meinen, durch Vernichtung dieser Menschen könne das Böse, Mindere, Verwerfliche ein für allemal aus der Welt geschafft werden. Ich würde über solche Auffassungen ihrer evidenten Dummheit wegen lachen, wären sie nicht der Hintergrund des Vernichtungswahns. Innere und äußere Intoleranz. Für Menschen, die eine demokratische Erziehung genossen haben und gewohnt sind, demokratisch zu denken, ist Intoleranz fast unverständlich; sie erscheint ihnen als eine Art von Beschränktheit und eine Folge mangelnden kritischen und verstehenden Ausblicks. Wenn man jedoch versucht, sich in das Denken jener Menschen einzufühlen, die unerschütterlich meinen, objektives Wissen über die essentiellen Dinge und über ,gut' und ,böse' zu besitzen, dann kann man verstehen, daß sie nicht tolerant sein können: man kann doch nicht die Unwahrheit als gleichberechtigte Alternative zur Wahrheit tolerieren; ebensowenig wie man Alternativen zum einzig objektiv Guten zulassen kann. Toleranz beginnt daher mit einer selbstkritischen und suchenden kognitiven und moralischen Einstellung. In weltanschaulichen Systemen, die eine gedankliche Plattform für Vernichtungswahn und Verfolgungen bilden, pflegt zweierlei Intoleranz aufzutreten: (1) innere Intoleranz gegenüber den eigenen Anhängern, (2) Intoleranz gegenüber Außenstehenden, d. h. gegenüber Individuen oder Grup-

pen, die nicht der Überzeugungs- oder Glaubensgemeinschaft angehören. Die innere Intoleranz äußert sich im Unerschütterlichkeitspostulat genauso wie in der Forderung, aUe Thesen des Systems in ihrer Gesamtheit zu akzeptieren. Ein kritischer Denker ist sich dagegen der verschiedenen Gewißheitsgrade der Thesen bewußt; er rezipiert weltanschauliche Konzeptionen nicht global, sondern mit differenzierender Zustimmung. Sowohl die rezipierten als die selbstproduzierten Auffassungen betrachtet er als revidierbar. Keinesfalls verdammt er den Meinungsgegner, sondern er versucht, ihn zur Diskussion und zum gemeinsamen Suchen herauszufordern.

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Äußere Intoleranz entspringt gewöhnlich gleichzeitig verschiedenen Motiven: (a) dem Wunsch, seine Überzeugungen zu verbreiten (wer hätte diesen Wunsch nicht, ist doch unser Forschen und Philosophieren immer beides: ein persönliches und ein gemeinschaftliches Anliegen); (b) dem Versuch, eine Lebensform zu institutionalisieren; (c) Machtbestrebungen verschiedener Art. Äußere Intoleranz ist einerseits eine aggressive Einstellung gegenüber anderen Gruppen oder einzelnen Andersdenkenden, andererseits Ausdruck eines expansiven Machtstrebens, also eine Einstellung, die mit demokratischen Auffassungen prinzipiell unverträglich ist. Die äußere Intoleranz ist wohl zu unterscheiden von dem Bestreben, den Diskurs mit anderen Meinungen zu suchen, und von dem Versuch, Andersdenkende zu überzeugen. Diskussionsfreudige Menschen wollen zwar Überzeugungen wecken, immer aber auch aus dem Meinungsstreit für den Ausbau der eigenen Meinung Gewinn ziehen. Toleranz ist die fundamentale Forderung, die demokratische Systeme als Bedingung der Akzeptabilität von Überzeugungen und Glaubensgemeinschaften aufstellen. Die Freiheit solcher Gemeinschaften muß jedes demokratische System gewährleisten, aber nicht als Freibrief für die Unterdrückung anderer Meinungssysteme. Toleranz ist die Bedingung der Überzeugungsfreiheit. Meinungs-, Gewissens- und Glaubensfreiheit ist gebunden an das Postulat der inneren und äußeren Toleranz, die jede Überzeugungsgemeinschaft einhalten muß.

In der Perspektive der Überzeugungssysteme geht es um die Toleranzforderung; gesamtgesellschaftlich gesehen geht es aber nicht um Toleranz - d. h. um die Duldung anderer Überzeugungssysteme neben einem herrschenden System -, sondern um rechtliche, gesellschaftliche und moralische Gleichstellung verschiedener Überzeugungssysteme. Hier von ,Toleranz' zu sprechen, bedeutet eigentlich eine implizite Diskriminierung; es geht um gleiches Recht für verschiedene Gemeinschaften. Angesichts der Tatsache, daß weder die historische Entwicklung noch die aktuelle politische Realität der Überzeugungssysteme von Toleranz beherrscht wird, ist es angemessen, einige allgemeine Gedanken zu dieser Frage vorzulegen. Unter welchen Bedingungen können verschiedene Überzeugungs- oder Glaubenssysteme friedlich koexistieren und zur allgemeinen kulturellen Entwicklung der Gesellschaft beitragen? (i) Es muß die prinzipielle Gleichstellung verschiedener Überzeugungsgemeinschaften garantiert sein. (ii) Die Überzeugungsgemeinschaften müssen innere und äußere Toleranz pfle-

gen. Diese Toleranz impliziert auch, daß den Mitgliedern der Gemeinschaft ein Austritt aus der Gemeinschaft ohne sozial untragbare Folgen ermöglicht wird. 27 Weinberger

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(iii) Es muß eine funktionale Trennung zwischen dem staatlichen Machtapparat auf der einen Seite und den Überzeugungsgemeinschaften (z. B. IGrchen, politischen Parteien) nicht nur de iure, sondern auch de facto bestehen. (iv) Bezüglich der Methoden der Verbreitung von Überzeugungssystemen oder der Mission von Religionen bestehen gewisse Beschränkungen; jedenfalls ist absolute Gewaltfreiheit zu fordern. Ich bin aber nicht sicher, ob nicht weitere einschränkende Bedingungen statuiert werden sollten. (v) Die Rahmenbedingungen für den geistigen Kampf um die Verbreitung von Überzeugungssystemen und für religiöse Mission müssen in gleicher Weise auch für die Gegner des Systems bestehen.

6. Institutionelle Bedingungen des Massenwahns und der Massenverfolgungen Ich gehe - wie schon erwähnt - von der These aus, daß Massenverfolgungen durch ein Zusammenspiel von Auffassungen (Ideologien) und gesellschaftlichen Organisationen sowie Machtstrukturen (Institutionen) ermöglicht werden, und unter gewissen Bedingungen dann tatsächlich entstehen. Die Wahntheorien gehen zwar oft in gewisser Weise auf mehr oder weniger individuelle geistige Quellen zurück, sie bilden sich aber zu echten Wahntheorien mit gesellschaftlicher Relevanz nur dann heraus, wenn sie mit institutionalisierten Organisationen verwachsen, die den Thesen eine spezifische - meist eine den ursprünglichen Sinn und die primäre Funktion transformierende - Interpretation geben und für die Massenverbreitung sorgen. Ein dogmatischer Marxismus konnte sich z. B. nicht in rein akademischer Diskussion herausbilden, sondern nur auf der Basis institutionalisierter Apparate, die dann im Stalinismus allerdings auch versuchen, das höhere Geistesleben und die Universitäten zu beherrschen. Analoge Strukturen finden wir auch in Religionsgemeinschaften und IGrchen, die oft das suchende Denken - inklusive Theologie - in unifizierende Zwangsjacken drängen, und eine einzige Meinung und einen einzigen Standpunkt mit verbalen, aber auch mit Zwangsmitteln durchzusetzen suchen. Ich würde nun gerne ein allgemein gültiges Bild der gesellschaftlichen Organisationen und Machtstrukturen skizzieren, die überall auftreten, wo Verfolgung und Vernichtung zum gesellschaftlichen Massenphänomen werden, denn ein solches universelles Strukturbild hätte im wesentlichen auch Geltung für mögliche zukünftige Entwicklungen: es würde eine wichtige Leitlinie für die Prävention darstellen. Leider läßt sich eine solche universell gültige Strukturbeschreibung nicht angeben. Das Feld der möglichen Strukturen ist in verschiedenen Richtungen offen, so daß eine Gesamtschau über die Möglichkeiten nicht durchführbar ist. Gewisse Züge der Institutionen können in einem Kontext in ganz unbedenklicher Weise wirken, unter anderen Umständen, bei anderer Verwendung der Möglichkeiten des institu-

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tionellen Rahmens aber zu inhumanen und destruktiven Entwicklungen führen. Ich kann mir daher nur eine viel bescheidenere Aufgabe stellen, nämlich die wichtigsten funktionalen Elemente herauszuheben, die Tendenzen zum Vernichtungs wahn und zur Menschenvernichtung wecken. Die ideologische Organisation. Im Dienste einer Idee (einer Weltanschauung, eines Glaubenssystems) wird eine Organisation aufgebaut, oder eine schon bestehende Organisation wird auf diese Aufgabe hin orientiert. Zum Unterschied von anderen Institutionen (wie z. B. einer Aktiengesellschaft, einem Kommunalbetrieb, einem Sportverein) besteht hier die Leitidee 6 nicht nur als Kristallisationszentrum der Institution, als Bestimmung des zu schöpfenden Werkes, sondern als Dogma, nicht nur als eine weiter zu entwickelnde und zu läuternde Idee, sondern als absoluter Maßstab, der - im Falle der Entartung - zu Destruktion von allem, was im Wege steht, aufruft. Die organisierte Dogmatisierung. Diese Institutionen sind geistig nicht offen, auch dann nicht, wenn sie sich selbst als offenes System deklarieren (wie z. B. der Marxismus); das heißt: sie sind auf gewisse Grundthesen festgelegt, die sie als Richtigkeitsmaßstab verwenden, und die keiner weiteren Prüfung unterzogen werden. Was ich damit meine, läßt sich vielleicht am besten an einem markanten Charakterzug der dogmaabhängigen Denkweise illustrieren: Wenn wir marxistische Arbeiten z. B. über philosophische, moralische, soziologische, ökonomische oder juristische Fragen lesen, fällt uns auf, daß die Autoren vor allem zu beweisen suchen, wie die marxistische Antwort auf die Problemstellung lauten muß, oder sie legen wenigstens breit dar, daß ihre Antwort als marxistisch, wenn nicht als die einzig richtige marxistische Antwort auf die gegebene Frage gelten muß. Daß dies auf dem Boden anderer dogmatischer Systeme nicht wesentlich anders ist, wird dem Leser wohl schon aufgefallen sein. Auf eine Kurzformel gebracht kann man diese Funktion als "Unsachlichkeit der Dogmatisierung" bezeichnen. Der Propagandastab. In verschieden ausgestalteter Form entsteht oft ein Stab von Personen, die professionell oder halbprofessionell der Propagierung der Idee dienen. Dieser Stab pflegt hierarchisch aufgebaut zu sein, aber anders als freie Arbeits- und Forschungsstätten, nämlich mit geistiger Subordination. Gegenüber der Masse der Bevölkerung erlangt der Stab eine weitreichende Sonderstellung: er wird zur sozialen und geistigen Elite, die in gewisser Weise unanfechtbar gemacht wird, so daß sie nicht von außen und nicht von unten, sondern nur von der übergeordneten Hierarchie kritisiert werden kann. Dies hat zur Folge, daß auch ganz abwegige Thesen oder Interpretationen von Glaubenssätzen ebenso wie gegebenenfalls Aufforderungen zu inhumanen Verfolgungen unter solchen institutionellen Rahmenbedingungen kaum kritisierbar sind, und vom Einzelnen nur mit Gefahr 6 Über die Rolle von Leitideen für die Konstitution von Institutionen, siehe: M. Hauriou, Die Theorie der Institution und der Gründung, in: R. Schnur (Hrsg.), Die Theorie der Institution, Berlin 1965, S. 27-66 (franz. Original 1925); O. Weinberger, Recht, Institution und Rechtspolitik, Stuttgart 1987.

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für die persönliche Sicherheit und die Lebensposition abgelehnt werden können. (Kämpfer gegen Hexenverfolgungen oder gegen nazistische Konzentrationslager waren selbst Verfolgungen ausgesetzt.) Erfolg und sozialer Aufstieg in dieser Hierarchie wird weniger durch Niveau und mehr durch dogmatische Treue und propagandistische Fähigkeiten bestimmt. Die Mitglieder dieses Stabes sind dazu gedrängt, sich nicht nur als überzeugte Anhänger des ideologischen Systems, sondern auch als treue Gefolgsmänner der Mächtigen zu profilieren, denn Tüchtige (Macher) sind erwünscht, nicht aber Selbstdenker.

Emotionalisierung der eigenen Auffassung und moralische Stigmatisierung der Gegner. Es wird durch die Institution die emotionale Färbung der Überzeugung so weit wie möglich gestärkt, und Gegenmeinungen werden mit einem moralischen Negativstigma versehen. Der Andersdenkende wird zur Negativperson, zum Träger des Bösen gemacht. Innere Disziplinierung in ideologischen Organisationen. Die ideologischen Institutionen wirken durch verschiedene Mechanismen auf die innere Disziplinierung der Mitglieder ein und hemmen die kritische Selbstreflexion der eigenen Anhänger. Verschiedenartige Mechanismen können hier wirksam werden: Einrichtungen, die die persönliche Karriere von der orthodoxen Meinung abhängig machen; die Notwendigkeit der Angehörigen der Gesinnungsgemeinschaft, sich als brave Gefolgsleute zu präsentieren; eine einseitige Dotationspolitik; Zensur oder ein Index Iibrorum prohibitorum, u.ä. Als Außenstehender wundert man sich, daß solche Mittel ohne Scham angewendet werden, obwohl sie eigentlich ein Zweifeln an der Überzeugungskraft der eigenen Argumente anzeigen.

Imagepflege zur Kompensation von Greueltaten. Es werden taktische Mittel eingesetzt, die dazu dienen sollen, das moralische Image zu halten, trotz des Bewußtseins breiter Schichten, daß in Wirklichkeit Greueltaten verübt werden. Im stalinistischen System ist es die Rollenteilung zwischen Partei und Staatsapparat, die so konstruiert ist, daß die Partei jedenfalls (relativ und scheinbar) rein bleibt. Ähnliches finden wir in unseren Ländern bei den Hexenverfolgungen; die Kirche befleckt sich nicht mit dem Blut der Opfer, zwingt aber den Staat dazu, dies zu tun, und sie tritt sogar für die Verschärfung der Folter ein (z. B. durch den Rat, daß hier das Verbot, die Folterung zu wiederholen, unter dem lügnerischen Namen der Unterbrechung der Folter "legal" untergebracht werden könne.?) Die Möglichkeiten der Imagepflege trotz tiefster Entartung sind schier unerschöpflich. Hierher gehört wohl auch die Geheimhaltung oder teilweise Geheimhaltung der Gewaltmaßnahmen. 8 7 So lautet die Anleitung der Gelehrten Inquisitoren Sprenger und Institoris im "Hexenhammer". Vgl. auch W Behringer. "Erhob sich das ganze Land zu ihrer Ausrottung ... ", in: R. Dülmen (Hrsg.), Hexenwelten. Magie und Imagination vom 16.-20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1987, S. 145. 8 Ein gutes Beispiel sind die nazistischen Konzentrationslager. Fast niemand wußte alles (Zahlen, Daten, Einzelheiten über die Organisation oder Informationen über die konkreten Lebensbedingungen der Häftlinge), aber jeder wußte etwas, nämlich gerade soviel, daß die Lager als abschreckende Drohung wirkten.

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Überzeugungssystem und Macht. Die dem Überzeugungssystem dienenden Apparate müssen in der Gesellschaft große Macht erlangt haben, wenn sie zu massiven Vernichtungsschlägen ausholen. Diese Übermächtigkeit hat in der Regel verschiedene Standbeine: (i) ideologische Herrschaft, wenn es gelingt, weite Kreise widerstandslos zu überzeugen; (ii) Macht, die aus der Organisiertheit folgt; sie ist vor allem relativ zu den Opponenten wirksam, ökonomische Macht, die aus relativ großen Ressourcen resultiert oder aus der Unterstützung ökonomisch mächtiger Förderer; Informationsmacht in Form der einseitigen Beherrschung der Massenmedien und Kommunikationsmittel. Im demokratischen System sind Grenzen der Macht der ideologischen Organisationen notwendig.

7. Der philosophische Sinn der Religiosität Handlungstheoretische Untersuchungen zeigen uns, daß wir uns in einem Raum bewegen, den wir nur teilweise kennen, und daß wir unsere Handlungsentscheidungen zwar aufgrund von Wissen treffen, daß aber dieses Wissen niemals dazu ausreicht, eine volle Begründung der Entscheidung zu liefern. Wir kennen nicht alle möglichen Handlungsalternativen, ebensowenig wie die Gesamtheit der Folgen jeder einzelnen Alternative. Unsere Erkenntnisse sind ungenau, und das aus der Erfahrung abgeleitete Wissen gilt in der Regel nur als mehr oder weniger wahrscheinliche Information. Wir entscheiden und handeln daher unterinformiert, das heißt: ohne ein solches Wissen, das die Richtigkeit und Zweckmäßigkeit der Handlungsweise sicherstellen würde. Mit diesen Ungewißheiten müssen wir leben. Wenn wir über unsere Situation und unser Handeln kritisch reflektieren, bringen wir uns diese Tatsache auch zum Bewußtsein. Nicht nur Philosophen, sondern jeder Kulturmensch denkt über unsere Stellung in der Welt nach. Aus dieser Reflexion geht hervor, daß unser Leben eingebettet ist in ein Feld von Rahmenbedingungen, die teils, aber nur teils, unserer Verfügung unterstehen. Einen Teil dieser Rahmenbedingungen bilden die gesellschaftlichen Institutionen, die größtenteils in einem historischen Prozeß gewachsen sind. Die institutionalisierten Rahmenbedingungen sind nur partiell und nur selten in kurzer Frist modifizierbar. Ein anderer Teil der Rahmenbedingungen unseres Lebens entzieht sich vollends unserer Verfügung: die Grundzüge der biologisch gegebenen Erbinformation sowie des individuellen Charakters (der zwar modifiziert werden kann, als eine der Determinanten aber niemals verschwindet), das persönliche Schicksal, und vor allem: Leiden und Tod. Wir wissen zwar mit Sicherheit, daß es für uns Unverfügbares gibt, sowohl für jede Einzelperson als auch für menschliche Gemeinschaften und für die Menschheit als Ganzes, doch wissen wir nicht, wo die Grenze zwischen Verfügbarem und Unverfügbarem verläuft. Der Tod ist unabwendbar, und das gleiche gilt im Prinzip vom Leiden, doch sind viele entsetzliche Fälle des Leids - nämlich jene, die durch menschliches Handeln erzeugt werden, wie z. B. Massenverfolgungen und Genozid - durchaus vermeidbar.

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Unser Nichtwissen und die Grenzen unseres Könnens werfen die grundlegende Frage des Glaubens auf. Können wir glauben - oder dürfen wir hoffen (wie Kant sagen würde 9 ) -, daß das, was für uns unverfügbar ist, aber dennoch den wesentlichen Rahmen unseres Daseins darstellt, einem Weltplan entspricht, dem wir uns nicht nur fügen, weil er uns vorgegeben ist, sondern den wir auch akzeptieren, weil wir ihn als Ergebnis eines höheren und sinnvollen Ratschlusses ansehen, und zwar auch dann, wenn er uns Leid beschert. Diese Lebenseinstellung, das Akzeptieren der Weltordnung, dieses Lebensgefühl der Zustimmung zum Unverfügbaren (hierzu gehört auch der Charakter der eigenen Person) kann man als Basis der Religiosität im philosophischen Sinne ansehen. Wie der Glaube im einzelnen konzipiert wird, ob eher personalistisch oder eher pantheistisch, ist meines Erachtens von sekundärer Bedeutung. Die Religiosität ruft eine andere Haltung, eine andere Gefühlseinstellung, so etwas wie Geborgenheitsgefühle und Gelassenheit hervor. Man weiß, daß man zwar handelt, und hierbei gewisse Zwecke verfolgt und Werte realisieren will, man weiß aber auch, daß das Ergebnis unseres Tuns und Lassens durch Momente bestimmt wird, die nicht im Bereich unserer Disposition stehen. "L'homme propose et Dieu dispose" ist vielleicht der adäquate Ausdruck dieses Lebensgefühls. Die religiöse Lebenseinstellung setzt sich in gewisser Weise immer auch mit der Frage des Todes auseinander. Diese Frage hat wenigstens zwei Aspekte: erstens der Tod als Grenze des möglichen Handeins, und zweitens die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Religiosität ermöglicht uns, die bestehende, aber uns unbekannte Grenze des Lebens und unserer Lebenspläne mit Gelassenheit zu akzeptieren, denn bei dieser Einstellung betrachten wir unsere Person bloß als ein Element des Lebensstroms und des Geschehens in der Welt, dessen Rolle eben begrenzt ist. Auf die zweite Frage wird jeder eine andere Antwort geben. Wenn man vom "Leben nach dem Tod" spricht, bedeutet der Begriff "Leben" keineswegs dasselbe, wie wenn man diesen Ausdruck auf das Diesseits bezieht. In diesem Kontext bedeutet "Leben" also nicht ein System psychischer und physischer Prozesse, die mit dem diesseitigen personalen Dasein verknüpft sind. Es gibt keinen Metabolismus im jenseitigen Leben, keine Interaktion zwischen Körper und Psyche, die für das Leben im Diesseits charakteristisch ist. Offen ist vor allem die Frage des Weiterbestehens der Personalität, die als solche eine von den materiellen Prozessen losgelöste Entität sein müßte. Dies können wir nicht näher erklären; wir können uns aber auch unser personales Nichtsein nicht vorstellen. Für mich sind diese Fragen ein Feld des Ignoramus und wahrscheinlich auch des Ignorabimus. Nach dem Tod ein anderes als das personale Weiterbestehen im Geiste pantheistischer Konzeptionen vorauszusetzen, ist ebenfalls eine mögliche Ansicht. 9 Kant charakterisiert bei der Bestimmung des Feldes der Philosophie in weltbürgerlicher Bedeutung die Religion durch die Frage "Was darf ich hoffen?" (I. Kant, Logik, Leipzig 1920 3, S. 27).

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Eine Entscheidung zwischen diesen Möglichkeiten kann kaum begründet werden; es ist daher angemessen, in diesen Bereich von "hoffen dürfen" zu sprechen. Der kritische Denker wird zwar den pragmatischen Wert der religiösen Lebenseinstellung anerkennen, er wird sich aber auch fragen, ob man die WeIt vernünftigerweise so auffassen kann. Ist es zulässig, vorauszusetzen, daß der Welt ein Projekt lO , ein Weltplan zugrunde liegt? Ist es sinnvoll und ohne Sacrificium intellectus möglich, die Welt und das gesamte Geschehen als Schöpfung anzusehen, also als etwas, was einem höheren Willen entspringt, und was daher in einer Weise sinnvoll ist, die das menschliche Verständnis transzendiert? Ich behaupte, daß dies sehr wohl möglich ist und daß es keine empirische Methode gibt, zu entscheiden, ob hinter der Welt ein Projekt steht oder nicht. Durch Feststellung von Zuständen und Verhaltensabläufen allein kann prinzipiell niemals entschieden werden, ob diese Zustände und Vorgänge durch bloße Naturursachen oder durch willentlich gesetzte Akte hervorgerufen sind. 11 Die These, daß der Kosmos aufgrund eines Projekts besteht, kann nicht erkannt, aber auch nicht widerlegt werden. Evolutionstheoretische Explikationen, einschließlich die Prinzipien des Darwinismus, ändern an dieser Erkenntnissituation nichts. Evolutionsmechanismen können problemlos als Elemente des Projekts und als Mittel und Wege seiner Verwirklichung gedeutet werden. Die Idee einer Evolution ist mit der Idee der Schöpfung der Welt durchaus verträglich; auch die Erzählung der Schöpfungsgeschichte in der Bibel kann meines Erachtens als bildhafter Abriß einer Evolution gedeutet werden. Der Glaube an Wunder ist aber mit einer philosophischen Konzeption der Religiosität unverträglich. Die Vorstellung eines Projekts, das in der Welt zum Ausdruck kommt (mit anderen Worten: die Idee der Schöpfung) impliziert in keiner Weise die Existenz von Wundem. Bildlich kann man das Problem so darstellen: Wenn Gott die Welt nach seinem Plan erschaffen hat, so muß nicht vorausgesetzt werden, daß sie so mangelhaft funktioniert, daß immer wieder regelnde Eingriffe (Wunder) zur Lenkung der Welt nötig werden. Es muß auch nicht vorausgesetzt werden, daß Gott seinen ursprünglichen Plan immer wieder ändert und die Änderungen durch Wunder durchführt. Sicherlich gilt, daß wir vieles nicht verstehen und nicht erklären können, daß uns - in Relation zu unserem Wissensstand - so manches als Wunder erscheint; vorauszusetzen, daß das, was wir nicht angemessen erklären können, ein Wunder 10 Vgl. J. Monod. Zufall und Notwendigkeit. Philosophische Fragen der modernen Biologie. München 1975; franz. Original 1970. S. 36 f. 11 Siehe N. Hartmann. Teleologisches Denken, Berlin 1951. S. 19: "Hier aber liegt gerade die erste Merkwürdigkeit in der Gegebenheitsweise zeitlicher Vorgänge: es ist einem Ablauf rein als solchem niemals anzusehen, ob er kausal oder final determiniert ist. Und da in aller Finaldetermination das Kausalverhältnis schon mit vorausgesetzt ist - denn im Realprozeß bringen auch die Mittel den Zweck kausal hervor -, so muß man richtiger sagen: es ist einem Ablauf als solchem nicht anzusehen, ob er bloß kausal oder auch final determiniert ist."

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sei, ist ganz unbegründet, und es verdirbt die Grundlagen der wissenschaftlichen Forschung.

8. Religion und Moral

Religiöses Denken bezieht sich immer auch auf Probleme der Moral. Die metaphysisch-ontologische Frage wird verbunden mit Überlegungen über ,gut' und ,böse', über Recht und Unrecht. Die Religionssysteme fixieren entweder ein System von Sollregeln oder/und Grundprinzipien (wie das Prinzip der Nächstenliebe), nach denen das Richtige in Zusammenhang mit anderen Gedanken gefunden werden kann. Für den Standpunkt der philosophischen Religiosität sind die konkreten Gebote Kulturgegebenheiten, die soweit anerkannt werden, als sie der aktuellen Lebenssituation entsprechen. Das Prinzip der Nächstenliebe zusammen mit dem menschlichen Solidaritätsbewußtsein halte ich für die Basis der Moral. Meines Erachtens muß es aber nicht als gedankliche Konsequenz der Religiosität aufgefaßt werden. Moral ist nicht nur auf religiöser Basis möglich. In der modemen Moraltheorie spielt der unparteiische (objektive) wohlwollende Betrachter eine wesentliche Rolle. Relationen zwischen den Menschen sind vom Standpunkt eines solchen sozusagen objektiven Schiedsrichters zu analysieren. Subjektive Interessensperspektiven werden mittels dieses Denkmodells aus der moralischen Überlegung ausgeschaltet, ebenso wie Fragen des Beweises, wie und aus welchen Motiven wer tatsächlich gehandelt hat. 12 Im religiösen Rahmen, besonders beim Glauben an einen personalen Gott, kann der innere moralische Diskurs, der in der Ethik als Gesichtspunkt des verstehenden und allgemein wohlwollenden objektiven Beobachters konzipiert wird, als gedachter Dialog mit Gott dargestellt werden. In dieser Weise gelangt man auf religiöser Basis zu einem Modell der objektivierten Moralbetrachtung. Insoweit sieht der Philosoph eine ganz enge Beziehung zwischen Religion und Moral. Inakzeptabel erscheint mir aber die Meinung (sie wird de facto von gar nicht wenigen vertreten, obwohl sie nur selten explizit behauptet wird), daß Moral nur auf der Basis von Religion möglich sei. Diese Meinung hat verschiedene Quellen. Man setzt z. B. voraus, daß der Mensch nur seinen persönlichen Vorteil sucht und nur durch den Glauben an jenseitige Strafen, die ihm drohen, davon abgehalten werden kann, mit allen Mitteln - auch den unmoralischen - seine egoistischen Ziele zu verfolgen. Abgesehen davon, daß dies meines Erachtens schlechte Psychologie ist, verliert eine solche Handlung, die nur aus Angst vor Strafe durchgeführt wird, den eigentlichen Charakter der moralischen Tat. Wird die religiöse Motivation so aufgefaßt, daß nicht Angst vor jenseitiger Strafe das Motiv des moralischen 12 Solche Fragen spielen dagegen in rechtspolitischen Untersuchungen eine entscheidende Rolle. Rechtsbeziehungen müssen soweit als möglich so gestaltet werden, daß das Verhalten der Beteiligten auch äußerlich erkennbar wird und in entsprechenden Rechtsverfahren nachgewiesen werden kann.

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Verhaltens ist, sondern Treue zum Sittengesetz der Religion, dann fällt dieser Einwand weg, dann kann religiöser Glaube eine Basis des moralischen Standpunkts sein. In der Praxis stellt sich dann allerdings oft die Frage, ob man einzelne Gebote, wie Speisegebote, Vorschriften des Ritus u.ä. als moralische Gebote ansehen soll oder eher bloß als Regeln, die zwar eine Lebensform konstituieren, die aber in manchen ihrer Elemente moralisch indifferent sind. Im religiösen Denken verschwimmt oft die Grenze zwischen echten moralischen Geboten und Vorschriften, die die religiöse Lebensform bestimmen, ohne im echten Sinne moralisch relevant zu sein. Ein anderer Grund für die These, daß Moral nur auf religiöser Basis möglich sei, ist die Vorstellung, daß in uns ein Hang zum Bösen bestehe, der nur durch Erziehung, religiöse Akte oder Drohung mit Strafen im Diesseits oder Jenseits ausgeschaltet werden könne. Nicht nur der Mensch, sondern auch andere Gemeinschaftswesen handeln nicht nur im Eigeninteresse. Der Einzelne strebt nicht nur nach egoistischem Genuß. Wir fühlen und leiden mit anderen. Solidarität ist uns sozusagen ein inneres Bedürfnis. Handeln, das egoistische Ziele transzendiert, gehört in gewisser Weise zu unserer biologisch gegebenen Anlage und ist nicht nur ein Ergebnis von Erziehung und Disziplinierung. Ich sehe keinen Grund, primäre Sündhaftigkeit des Menschen vorauszusetzen, und soweit der Mensch seinen individuellen Vorteil im Konflikt mit der Moral verfolgt, entsteht ein Spannungs feld zwischen engem Egoismus auf der einen Seite und Gemeinschaftlichkeit und Moral auf der anderen. Für das Entscheiden in diesem Feld kann Religion eine nicht unwesentliche Rolle spielen, doch ist dies sicherlich nicht der einzige Weg zum moralischen Leben. Auch andere individuelle sowie gesellschaftliche Faktoren prägen unsere moralische Lebenseinstellung. Moral kann daher genauso gut auf dem Boden anderer Überzeugungssysteme aufbauen. Daß Religion und die Befolgung der Gebote einer Religionsgemeinschaft keine hinreichende Bedingung von Moral ist, belegt die Geschichte der Religionskriege und der religiös motivierten Verfolgungen (und weIche Religionsgemeinschaft weist in ihrer Geschichte keinen soIchen Makel auf?). Die von Religionshierarchien gesetzten Gebote garantieren durchaus nicht, daß uns von ihnen der Weg des moralisch guten Lebens verläßlich vorgezeichnet wird. Vor allem in gewissen Perioden der Entwicklung der christlichen Religionen aber nicht nur in diesen - herrschte die Vorstellung, daß das Körperliche und das Sinnliche mit dem Bösen, dem Verwerflichen und dem Niedrigen in einem Wesenszusammenhang stehe. Askese und Verdrängung von Sinnenlust, Keuschheit und Liebesabstinenz wurden als entscheidende sittliche Gebote gesetzt. Steht das Körperlich-Sinnliche und die menschliche Zärtlichkeit wirklich im Gegensatz zum Geistigen und zum Moralischen? Hat die Schöpfung wirklich die Sphäre der Gefühle, des Eros, der Erotik und der Sexualität nur als Versuchung und als Bereich des Verwerflichen dem Menschen vorgelegt? Ich kann diese Auf-

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fassung nicht nachvollziehen. Das, womit die Natur oder Gott (sei er pantheistisch oder personal verstanden) uns ausgestattet hat, muß der religiöse Mensch nach meinem Verständnis akzeptieren. Wir sind Körper und Geist; nur eine Moral, die bei des akzeptiert als die uns von Natur (und Gott) gegebene Ausstattung, erscheint mir akzeptabel. Allerdings besteht die nicht leichte Aufgabe, beide Elemente des menschlichen Lebens in sozial adäquater Weise ausgewogen zu gestalten. Die Beziehung zwischen dem Gefühlsleben, der Sexualität und der geistigen Kultur wird unter verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen unterschiedlich sein. Der absolute Nachdruck auf Askese und die Verteufelung der Sinneslust und Sexualität hat wenigstens in zwei Richtungen schlimme Folgen: 1. Sie lenkt unsere Aufmerksamkeit von den entscheidenden und lebenswichtigen Moralproblemen ab, nämlich vom Problem der Nächstenliebe, der menschlichen Solidarität und der Gerechtigkeit. 2. Sie erzeugt psychisch und psychosozial kranke Persönlichkeiten, sowie Verdrängungen, die sich oft in asozialem Verhalten und Aggressivität äußern.

9. Gottes-, Dämonen- und Teufelsglaube Die philosophische Religiosität hat ein Naheverhältnis zum Monotheismus, denn mit polytheistischen Konzeptionen sind solche Gedanken wie die oben dargelegten kaum verträglich. Es ist eine Tatsache, daß auch erklärtermaßen monotheistische Religionen Glaubenselemente enthalten, die nicht ganz der Idee des Monotheismus entsprechen; ich meine den Glauben an gute und böse Geister, bzw. Dämonen und Teufel. Meinem Verständnis nach liegen zwischen Religiosität (nicht nur im philosophischen, sondern auch im kirchlichen Sinne) und Gottesglauben auf der einen Seite, und Dämonen- und Teufelsglaube auf der anderen ganze Welten. Für einen Denker unserer Zeit, für eine Welt nach der Aufklärung, die Wissenschaft und philosophische Kritik gelernt hat, ist ein Glaube an Dämonen und Teufel inakzeptabel. Der Dämonen- und Teufelsglaube ist nicht nur philosophisch problematisch, er birgt in sich auch eine reale Gefahr, in der gesellschaftlichen Praxis in furchtbarer Weise wirksam zu werden. Wenn Dämonen und Teufel existieren, dann haben sie offenbar irgendwelche Funktionen in dieser Welt. Dann kann man mit ihnen irgendwie Kontakt aufnehmen, sie bitten, sich ihnen verschreiben u.ä. Dann ist es auch unter Umständen sinnvoll, Teufel auszutreiben oder ähnliche Praktiken zu vollziehen. Dann ist auch Schadenszauber möglich. Dann kann man auch wieder versucht sein, die durch solche Lehren plausibel werdenden Teufelspakte durch Ausrottung von Verdächtigen zu bekämpfen. Solange der Dämonen- und Teufelsglaube nicht ausdrücklich abgelehnt wird, bleiben die geistigen Wurzeln der Hexen- und Zaubererverfolgung bestehen.

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Diese Überlegungen stehen ausschließlich auf philosophischer und soziologischer Plattfonn. Ich fühle mich keineswegs kompetent, das Problem theologisch zu analysieren. Ich darf aber auf die hochinteressante Arbeit von Johannes B. Bauer "Abschied von Hexenwahn und Teufelsglaube. Die Hexenverfolgung aus der Sicht der heutigen Kirche,,13 hinweisen. JedenfaUs ist dem Autor zuzustimmen, daß der Teufelsglaube kein Instrument ist, das Böse in der Welt (verwerfliches Handeln des Menschen oder von menschlichem Handeln unabhängiges Übel in der Welt) zu erklären. Der Moralphilosoph wird es auch für äußerst bedenklich finden, menschliche Schuld vom handelnden Menschen abzuwälzen. Verbrechen zu exkulpieren, indem man sie nicht dem Täter, sondern dem Teufel zurechnet.

10. Die Gemeinschaftlichkeit der Religion

Es ergäbe ein verzeichnetes Bild, würde man das Wesen der Religion nur im Bereich der individueUen und persönlichen Religiosität sehen. Religion ist auch ein Gemeinschaftsphänomen. Genauer gesagt, Religion hat ausgeprägte persönliche Züge; sie ist Sache der persönlichen Glaubenseinstellung und des Herzens des Individuums, aber gleichzeitig ist sie Gemeinschaftserlebnis und gemeinschaftliches Tun. Analoges gilt mutatis mutandis auch für andere Überzeugungsgemeinschaften. Mit dieser Tatsache ist eine ganze Reihe von Folgen verbunden; es treten Symbole in Erscheinung, ebenso wie Rituale und Kult. Es wird gemeinschaftlich gefeiert, und es wird über Fragen, die ihrem philosophischen Sinn nach persönlich und individueU sind, in der Gemeinschaft geredet. Es werden Organisationen aufgebaut, die wie aUe Institutionen eine Eigendynamik entfalten.

13 J. B. Bauer, Abschied von Hexenwahn und Teufelsglauben. Die Hexenverfolgungen aus der Sicht der heutigen Kirche, in: H. Valentinitsch (Hrsg.), Hexen und Zauberer. Die großen Verfolgungen - ein europäisches Phänomen in der Steiermark, Graz 1987, S. 207-412. Beachtenswert ist ein Zitat von H. Haag, das der Autor anführt: "Der Teufel ist ein bequemes Alibi für alle menschlichen Untaten, bis heute. Er liefert sogar die willkommene Erklärung (und Entschuldigung?) für die Gaskammern von Auschwitz. In einer am 26. 9. 1976 in Altötting gehaltenen Predigt erklärte der damalige Bischof von Regensburg: ,Wenn es den Bösen nicht gibt, dann steckt das Böse ganz im Menschen. Dann ist der Mensch allein verantwortlich für die abgrundtiefe Bosheit, Gemeinheit und Grausamkeit. Dann ist er allein schuldig an den Morden im Archipel Gulag und an den Gaskammern von Auschwitz, an den unmenschlichen Folterungen und Qualen. Dann aber entsteht die Frage: Kann Gott den Menschen als ein solches Scheusal erschaffen haben? Nein, das kann Gott nicht, denn er ist Güte und Liebe. Wenn es keinen Teufel gibt, dann gibt es auch keinen Gott.' Dabei scheint der Bischof für einen Augenblick vergessen zu haben, daß nach einmütiger Lehre der Theologen der Teufel nur das vermag, was Gott ihm ausdrücklich erlaubt. Also hat Gott dem Teufel erlaubt, Auschwitz anzurichten, und somit fällt schließlich doch alles auf Gott zurück, den man mit dem Teufel entlasten wollte. Der Teufelsglaube führt von einer Schwierigkeit in die andere. Vor allem ist er untauglich, das Böse in der Welt zu erklären." (S. 411)

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Die philosophische Problematik der Religiosität wird gewissermaßen umgemünzt in eine bildhafte Darstellung und ein System markanter, und daher oft vereinfachender Thesen. Tendenzen zur Dogmatisierung zeigen sich immer. Damit muß man rechnen. Religion ist für Menschen verschiedener Schichten und von verschiedenem geistigen Niveau da. Für das gesellschaftliche Massenphänomen der Religion ist eine gewisse Institutionalisierung und eine Vereinfachung der Probleme unerläßlich. Bedeutet dies, daß Religion notwendigerweise dogmatisch sein muß? Unter welchen Bedingungen kann diese Tendenz zur Dogmatisierung vermieden oder wenigstens eingeschränkt werden? Auch die Religionsgemeinschaften können - und sollten meines Erachtens - das Bewußtsein haben und verbreiten, daß uns absolutes Wissen nicht gegeben ist, sondern daß wir die Wahrheit und das moralisch Gute suchen. Das sollte zum Ethos der Religion gehören, denn dies entspricht unserer Stellung in der Welt. Wer glaubt, durch Ausschließen von Zweifeln, stärkere Religiosität zu schaffen, irrt: das Bewußtsein des ständigen Suchens hat mehr Tiefenwirkung als überspannter Dogmatismus. Dies gilt gleichermaßen für die Metaphysik der Religion wie für den Bereich der Moral. Die Mitglieder der großen Religionsgemeinschaften sind oft kulturell und geistig sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Es ist kaum denkbar, daß sie in Glaubensfragen, wenn sie sich überhaupt ernstlich Gedanken machen, wirklich gleicher Meinung sind. Es ist daher notwendig, wenn man die Individualität und Würde der Menschen achten will, relativ weite Spielräume der Meinungen in der Gemeinschaft zuzulassen. Wichtig erscheint es mir, daß diese Gemeinschaften in einer demokratischen Welt als offen konstituiert werden: nicht als Geheimlehren. Offen auch in der personalen Beziehung des Ein- und Austritts, und im offenen geistigen Kontakt mit anderen Gemeinschaften. Hierfür ist neben äußerer höchste innere Toleranz eine notwendige Vorbedingung. Dies bedeutet keineswegs eine Schwächung oder Einschränkung der eigenen Überzeugungen. Trotz der Tendenz zur Dogmatisierung, die ein Folge der Gemeinschaftlichkeit ist, sollte das Bewußtsein bestehen bleiben, daß Überzeugungen nur dann lebendig sind, wenn sie auch Zweifel kennen. In der praktischen Sphäre können Grundwerteinstellungen vertreten werden, und doch kann man weltoffen und adaptiv sein: es gibt einen reformbereiten Konservativismus.

11. Kann Religion lernen?

Wenn man über diese wichtige Frage nachdenkt, kann man von zwei Thesen ausgehen, an denen man kaum zweifeln kann: 1. Die äußeren ebenso wie die institutionellen Bedingungen unseres Lebens ändern sich wesentlich im Laufe der Ge-

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schichte. Unser Wissen wächst und wandelt sich. Die Technik entwickelt sich und bietet ein verändertes Feld von Handlungsmöglichkeiten an. 2. Das Weltbild und die Lebenseinstellungen sind funktional abhängig von den sich ändernden Faktoren: von der Entwicklung der Wissenschaft und Technik und von dem Zustand der gesellschaftlichen Institutionen. Die religiösen Vorstellungen als Bestandteil des Weltbildes und der praktischen Einstellung des Menschen ist mit den realen Veränderungen konfrontiert. Wie reagiert die Religion (als System metaphysischer und praktischer Konzeptionen) und wie reagieren Religionsgemeinschaften (als Organisationen) auf diese Situation? De facto ändert sich die Religion. Es gibt eine Geistesgeschichte der Religionen, die nicht nur eine historische Sukzession verschiedener Religionssysteme feststellt, sondern die auch in den einzelnen Systemen modifizierte Entwicklungen verfolgt. Ein Religionssystem, das sich gar nicht den aktuellen Realitäten anpassen würde, wäre in Gefahr, weltfremd zu werden. Die Situation ist aber in der Tat gar nicht so einfach. Die Religion will selbst die Lebensform gestalten; oft will sie sogar die erste Basis sein, auf der das persönliche und das gesellschaftliche Leben aufgebaut werden soll. In Verbindung mit der Idee der Offenbarung, aus der zu folgen scheint, daß diese religiösen Inhalte fixe Gegebenheiten sind, kann Zweifel über die Veränderbarkeit und adaptive Lernfahigkeit der Religion entstehen. Ein Beleg für die Notwendigkeit des Lernens der Religionssysteme ist die Existenz der Theologie, die in gewisser Form in jeder Religionsgemeinschaft existiert. Ihre Aufgabe ist ein aktuelles Religionsverständnis zu schaffen; sie diskutiert Grundlagenprobleme und sucht Einstellungen zu Fragen der Zeit zu finden. Ihre Aufgabe beschränkt sich sicher nicht darauf, nur die Thesen des Religionssystems zu verbreiten. (Analoges gilt von anderen ideologischen Systemen.) Theologen sind de facto immer damit befaßt, die Lehre weiterzuentwickeln und - meist ohne dies einzugestehen - zu verändern. Eine Lehre ohne gedankliche Dynamik gibt es nicht, unter anderem auch aus hermeneutischen Gründen. Es ist nun die Frage, in welchem Geist Interpretation und Fortentwicklung durchgeführt werden, ob rein historisierend und rückblickend oder mit Offenheit für neues Gedankengut und mit Sinn für die zeitgenössische Wissenschaft und die aktuelle Lebenssituation. Die religiösen Inhalte - auch die in der Offenbarung verankerten - müssen als Kommunikate verstanden werden, die folgende zwei Eigenschaften haben: (a) Sie sind so rahmenhaft, daß sie für das sich verändernde Leben anwendbar sind (natürlich unter der Voraussetzung einer zeitgemäßen Interpretation). (b) Sie sind nur sinnvoll auf der Basis eines hermeneutischen Horizonts und aufgrund eines Deutungsprozesses. Dieser Horizont ist unser aktuelles Wissen und die moralische Überzeugung unserer Zeit. Weder die Voraussetzung, daß religiöse Quellen ihren versteinerten Sinn haben, noch die Annahme, daß die Kette der in der geschichtlichen Entwicklung

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auftretenden Deutungen nur extrapoliert werden sollte, sind vernünftige Auffassungen. Man muß den Mut haben, Irrwege explizit abzulehnen und zeitgemäße Konzeptionen zu suchen. Für die Deutung von Glaubensquellen scheint mir folgender Grundsatz von Bedeutung: Jede Interpretation, die Glaubensthesen unmoralischen oder inhumanen Sinn zuschreibt, ist zu verwerfen. Dies sollte wenigstens vom internen Standpunkt aus gelten, denn für den, der sich zum Religionssystem bekennt, ist es gleichzeitig ein Moralkodex. Ein Betrachter, der zu der Überzeugung gelangt, daß eine humane und moralische Interpretation eines Glaubenssatzes nicht möglich ist, müßte dafür eintreten, daß dieser Glaubenssatz aufgegeben werde - oder er müßte überhaupt (wenn es um eine ganz grundsätzliche Frage geht) die Glaubensgemeinschaft verlassen. Die religiösen Thesen müssen vernünftigerweise so gedeutet werden, daß sie rahmenhaften Charakter haben, denn nur dann werden sie den Erfordernissen der Zeit gemäß adaptierbar. Man muß nämlich voraussetzen, daß sie zweckmäßig und pragmatisch brauchbar sein sollen, und dies sind sie nur dann, wenn sie elastisch und aktualisierbar sind. Es entsteht hier - so scheint mir - folgendes Problem: Sind die Deutungen, wie sie den Bedürfnissen und dem Geist der Zeit sowie der kulturellen Situation der Menschen entsprechend dargestellt wurden, auch für die Zukunft bindend? Oder ist es adäquater, manche frühere Deutungen und Konzeptionen in einer veränderten geistigen Welt fallenzulassen? Meines Erachtens ist nur die aktuelle Adäquatheit der Auffassung entscheidend. Allerdings ist auch die historische Kette des Lernens beachtenswert. Dabei ist aber zu bedenken, daß falsche Konzeptionen entstehen können. Und dann gibt es nur einen Ausweg: den Mut und die Kraft zu haben, die Meinungsänderung ausdrücklich durchzuführen. Es ist kein prinzipieller Vorwurf gegenüber der Theologie, wenn wir feststellen, daß sie zweifellos auch zur Entfaltung von Wahnideen beigetragen hat - z. B. durch die Dämonologie - und zu jeder Zeit in Gefahr steht, die gesunde Entwicklung gesellschaftlicher Ideen zu hemmen. Auch die Gesellschaftswissenschaften haben es nicht immer verstanden, richtig zu sehen und gesellschaftlich tragfähige Programme zu entwickeln. 14 In der Regel führt sie aber, wenn sie sich frei entfalten kann, zum geistigen Fortschritt. Historische Betrachtungen über die Irrwege der Theologie und deren traurige Folgen führen zu der Forderung, auch Theologie als freie und suchende Auseinandersetzung zu gestalten und nicht vorauszusetzen, daß eine institutionalisierte Elite ein Patent auf Wahrheitsfindung besitze. 14 Auch die Natur- und Gesellschaftswissenschaften kennen solche Irrwege (vgl. Sozialdarwinismus, und die stalinistischen Wissenschaften, wie z. B. die Lehre Lysenkos, der Kampf gegen moderne Logik sowie gegen die Kybernetik und last but not least die Verhinderung der Entwicklung ökonomischer Theorien), und auch sie haben sehr negative Folgen gehabt.

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Ich weiß natürlich, daß diese Meinung mit Unfehlbarkeitsdogmen nur schwer verträglich ist. Unfehlbarkeit ist aber überhaupt mit der Conditio humana unverträglich. Und historische Tatsachen, wie jene des Hexenwahns, lassen den Glauben an Unfehlbarkeit kaum zu. Suchende Religiosität ist meines Erachtens der dogmatischen auch moralisch vorzuziehen.

12. Wahn, Greuel und das Menschenbild Wenn man an die Grausamkeiten der menschlichen Geschichte denkt - Kriege, Verfolgungen, Folter und Scheiterhaufen -, dann kann man leicht zu einem sehr pessimistischen Menschenbild gelangen: der Mensch zeigt sich als die furchtbarste Bestie der Welt. Dieses Bild ist aber nicht ganz richtig. Gerade die Tatsache, daß Verfolgungen und Greuel meist durch gewisse - wenn auch zweifelhafte - Ideale begründet werden, zeigt auch den prinzipiellen Wunsch des Menschen, Gutes zu schaffen und seine Grundtendenz zum Moralischen. Im Kampf gegen Greuel sind zwei Momente entscheidend: 1. Unsere Freiheit bedeutet Handeln nach den Vorstellungen, die wir uns gebildet haben. Und Vorstellungen können Irrglaube und Wahn sein. Wo der Wahn beginnt, ist nicht immer ganz klar. Daraus folgt, daß der Kampf gegen Dogmatismus ein moralisches Grundpostulat ist. Zweifeln und Suche als Lebenseinstellung muß nicht nur propagiert, sondern auch institutionell sichergestellt werden. 2. Neben den Idealen tritt bei der Entstehung der Greuel eine Organisation ins Spiel, die meistens von unersättlichem Machtdurst angetrieben wird. Für Ideale und im Geist des Machtstrebens ist kein Weg und kein Mittel zu unmenschlich, als daß sie der Mensch nicht akzeptieren würde. Daher muß dem dogmatischen Absolutheitsstreben der ideologischen Organisationen, ebenso wie deren Machtstreben entgegengetreten werden.

Souveränität in der EU 1. Strukturanalyse und Realität des Rechts Ziel des analytischen (oder strukturtheoretischen) Zutritts zur Betrachtung des Rechts ist es, ein begriffliches Instrumentarium zu schaffen, welches ermöglicht, Rechtsordnungen beliebiger Art als rational geordnete Systeme zu erfassen und logisch konsistent zu beschreiben. Aus dieser Einstellung zum Recht resultieren zwei Forderungen, welche den Aufbau des Rechtssystems betreffen: 1. das Postulat der inhaltlichen Konsistenz des Rechtssystems und 2. das Postulat der Bestimmtheit (oder wenigstens Bestimmbarkeit) der Kompetenz in der dem Rechtssystem entsprechenden Ordnung. Beide Postulate beziehen sich jeweils auf eine Rechtsordnung, die als selbständige Einheit betrachtet wird. Konsistenz als Postulat ist sinnvoll in Bezug auf eine bestimmte Normenordnung, während inhaltliche Widersprüche zwischen verschiedenen Normensystemen keinen logischen Mangel darstellen: Normenlogische Konsistenz ist ein systernrelatives Postulat. Im Sinne einer dynamischen Theorie des Rechts kommt die Frage der Rechtserzeugung ins Spiel und hierdurch auch die Betrachtung der Konsistenz in zeitlicher Perspektive. Es müssen hier die bekannten Probleme der Derogation und der verschiedenen derogatorischen Kraft der einzelnen Rechtsquellen zur Sprache kommen. Das Konsistenzpostulat verhindert allerdings nicht, daß inkonsistente Normierungen auftreten können, d. h. daß im dynamischen Normensystem gleichzeitig miteinander logisch unverträgliche Normen gültig entstehen können. Es besteht dann aber im System eine logische Unbestimmtheit, welche der untereinander unverträglichen Normen als handlungsbestimmend gelten soll. Das ist eine logisch nicht lösbare Situation, die nur durch Dezisionen (oder durch Konfliktlösungsregeln) entschieden werden kann. Die Rechtsorganisation - der Staat - ist ein komplexes System von Instanzen, die der Normerzeugung und Normrealisation dienen. Das dynamische Rechtssystem funktioniert aufgrund von Ermächtigungsnormen, die verschiedenen Subjekten Normerzeugungs- und Normrealisationskompetenzen erteilen. Damit dieses System von Rechtsinstanzen konfliktfrei funktionieren kann, müssen eindeutige oder wenigstens rational bestimmbare Kompetenzverteilungen bestehen. Die normativen Regeln, welche Verhalten oder / und Kompetenzen bestimmen, bilden den Rahmen der Rechtsordnung, Maßnahmen zur Verwirklichung des 28 Weinberger

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Rechts sowie die Grundlage für die Erzeugung von Rechtsakten und der Anwendung des Rechts (d. h. der Rechtsprechung). Die Strukturtheorie des Rechts hat eine Reihe von Begriffen eingeführt, welche dazu dienen solIen, die in der sozialen Realität vorfindbaren Rechtsphänomene zu erfassen und normativ zu bestimmen. Zwei dieser Begriffe sind für meine heutige Betrachtung wesentlich: der Begriff der Souveränität und die Typologie der Staatenvereinigungen (Bundesstaat / Staatenbund). Die oben angeführten Postulate inhaltliche Konsistenz und Bestimmbarkeit der Kompetenzen - sind unabdingbare Forderungen, sozusagen logisch-methodologische Erfordernisse, die für den rationalen Aufbau und das geordnete Funktionieren der Rechtsordnung erforderlich sind. Die Begriffe und Konstruktionen, welche zum Erfassen der historisch gegebenen Rechtsphänomene erstellt werden, können und müssen in Anpassung an die Realität in der Weise transformiert werden, daß die jeweiligen Rechtsphänomene angemessener charakterisiert werden können. Ein Beispiel, das zeigt, daß auch gleichsam selbstverständliche Züge des Rechts nicht notwendige Eigenschaften sein müssen: Das Territorialprinzip, welches für die modernen staatlichen Rechtsordnungen charakteristisch ist, ist keine logischmethodologische Notwendigkeit, denn Rechtsordnungen können auch anders (z. B. personal) bestimmt sein. Eine Rechtsordnung ist souverän, wenn sie ihre Geltung von keiner anderen Ordnung ableitet. Eine souveräne Rechtsordnung ist selbständig, sie wird als letzter (nicht abgeleiteter) Geltungsgrund der Normen des Systems angesehen. Probleme entstehen in drei Ebenen: (a) Wie ist die Beziehung zwischen zwei oder mehreren souveränen Ordnungen zu konzipieren? Wie kann Volkerrecht im Feld souveräner Staaten konstituiert werden? (b) Welchen Einfluß haben die Rechtsphänomene Bundesstaat / Staatenbund auf das Souveränitätsproblem? (c) Kann trotz Souveränität übergeordnete Bindung für den Staat bestehen? Vor allem ist es wichtig, die Beziehung zwischen theoretischer (rationaler) Konstruktion und den tatsächlich auftretenden institutionellen Konstellationen klarzustelIen: Die theoretische Konstruktion muß logisch klar sein, aber sie ist nicht Selbstzweck, sondern sie muß eine sachadäquate Darstellung der gesellschaftlichen Realitäten ermöglichen. Man kann zwar das Programm haben, ein strukturtheoretisches System vorzulegen, das einen Rahmen für alle möglichen Rechtsinstitutionen darstellt 1, es bleibt aber immer eine offene Frage, ob nicht institutionelIe Strukturen in Erscheinung treten können, welche im vorgegebenen theoretischen Rahmen keinen Platz finden. Dann darf man natürlich nicht schließen, diese KonstelIation sei unmöglich (diese Konklusion gilt nur dann, wenn eine innerlich widersprüchliche Struktur auftritt), sondern man muß einsehen, daß durch die neuen Realitäten der bisher als universell gültig betrachtete Rahmen gesprengt wurde. Die Aufgabe, neue institutionelIe Sachverhalte adäquat zu erfassen und begrifflich 1

Diese Aufgabe stellt sich z. B. die Kelsensche Reine Rechtslehre.

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zu bestimmen, zwingt uns manchmal, den theoretischen Rahmen in verallgemeinerter Weise zu rekonstruieren. Die Zielsetzung der analytischen Rechtstheorie: logische Konsistenz und Kompetenzbestimmtheit sicherzustellen, bleibt allerdings bestehen, doch kann es durchaus sein, daß dies in anderer Weise zustande gebracht werden muß, als es die bisherige Theorie tat. Nur dort, wo die Konsistenz und Kompetenzbestimmtheit nicht gegeben sind, kann die Rechtstheorie die Rechtsordnung vom formalen Standpunkt kritisieren.

2. Das Nebeneinander von Normensystemen Jede souveräne Ordnung kann für sich - unabhängig von anderen etwa nebengeordneten Ordnungen - betrachtet werden. In der modemen Welt bestehen aber nebeneinander verschiedene formal von einander unabhängige Normensysteme. Dieses Zusammenbestehen ist von zweierlei wesentlich verschiedener Art: Es geht einerseits um verschiedene gesellschaftliche Normensysteme, die nebeneinander und in verschiedener Weise für jeden Einzelnen in der modemen komplexen Gesellschaft relevant sind (das Recht, Religionssysteme, Sitte, usw.), andererseits um das politische Nebeneinander verschiedener Staaten mit jeweils selbständigen (souveränen) Rechtsordnungen. Das Nebeneinander gesellschaftlicher Normensysteme bedeutet für das Entscheiden und Handeln des modemen Menschen eine erschwerte Entscheidungssituation, denn er hat hierbei nicht nur mit seiner subjektiven Utilität und dem moralischen Wertsystem zu tun, sondern auch mit Rahmen und Bindungen, welche durch das Recht und andere für ihn relevante Normensysteme gelten. Der moralistische Standpunkt, dem gemäß es die moralische Wertung sein muß, welche über die relative Relevanz der verschiedenen normativen Ordnungen entscheidet, bedeutet eine Verkürzung der realen Situation. Das Entscheiden wird, wenn man wohlüberlegt handeln will, wesentlich komplizierter sein, weil es eine Resultante aus Zwängen, institutionalisierten Möglichkeiten und verschiedenartigen Soll- und Wertabwägungen ist. Die Problematik des Nebeneinanderbestehens und der Beziehungen territorial von einander abgegrenzter Normensysteme tritt in zwei verschiedenen Formen auf, die sachlich sehr verschieden sind, aber in den Rechtswissenschaften gleichartig behandelt werden: es geht einerseits um die föderalen Staatsstrukturen, andererseits um das Volkerrecht als den Bereich der Beziehungen zwischen souveränen Staaten und deren Rechtsordnungen. Beide Probleme werden in der Perspektive der hierarchischen Konzeption der normativen Ordnungen behandelt, in den Teilordnungen durch territorial differenzierende Ermächtigungen geordnet, und hierdurch logisch (formal) zusammengestimmt. 28'

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Bei föderalen Staaten werden Gliedstaaten (föderale Unterstaaten) als delegierte Teilrechtsordnungen für Teilgebiete normativ festgelegt, wobei in der Regel die Sphären des Gesamtstaates und Rechtsbereiche der relativ selbständigen Teilstaaten festgeschrieben sind. Das Maß der Gemeinsamkeit (sozusagen des Bundes) und der Partikularität der untergeordneten Teilstaaten (Länder) kann sehr verschieden sein. Diese Verschiedenheit sucht man manchmal durch die Unterscheidung von Bundesstaat und Staatenbund zu charakterisieren; in Wirklichkeit geht es aber um ein ganzes Spektrum verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten föderaler Strukturen. Juristisch wird der Bundesstaat / Staatenbund im Prinzip als hierarchisch aufgebaute Ganzheit konzipiert, deren mehr oder weniger selbständige Teile durch delegierte Kompetenzen konstruiert sind. Diese Konstruktion als rationales Modell besteht unabhängig davon, wie die Struktur historisch entstanden ist, ob sie als politischer Zusammenschluß oder im Gegenteil als bundesstaatliche Aufteilung eines einheitlichen Staates zustande gekommen ist. Bei Bundesstaaten pflegt den Teilstaaten (Ländern) durch die Verfassung für gewisse Bereiche freie Kompetenz oder Kompetenz im Rahmen der Bundesgesetze zugesprochen zu werden. Bei Föderationen wird die Kompetenz der Substaaten als freie oder als durch den Gesamtstaat kontrollierte Normierungsmacht verfassungsmäßig festgelegt. Das eigentliche souveräne System ist der Gesamtstaat; untergeordnete Subsysteme haben höchstens partiale Souveräntität (wobei dieser Terminus eher bildlich als streng logisch verstanden werden muß). Die hier zugrundegelegte hierarchische Konzeption wird als territorial bestimmte Ermächtigung (Kompetenzdelegation) verstanden, weIche auch inhaltliche Konsistenz sicherstellen soll, und zwar entweder durch Regeln, weIche die Überordnung der gesamtstaatlichen Normen festlegen oder indem sie die Rahmen für die autonome Normierungskompetenz der Teilstaaten durch die Delegationsnorm bestimmen?

3. WeItrechtsordnung und Souveränität

Das Nebeneinander selbständiger Staaten kann zwar normentheoretisch als vollkommene Unabhängigkeit angesehen werden, es kann aber nicht außer acht gelassen werden, daß zwischen souveränen Staaten auch Rechtsbeziehungen sowie Kooperations- und Konfliktkontakte bestehen. Es gibt Interaktion zwischen souveränen Staaten, und eine normative Regulierung dieser Beziehungen sowie des zwischenstaatlichen Zusammenspiels wird unabdingbar erforderlich. Es gibt also eine 2 Wenn man das Kelsensche Grundnormmodell (oder ähnliche aber weniger fiktive hierarchische Modelle wie z. B. die Hartsche master rule) zur Explikation heranzieht, dann erscheint die Grundnorm (die master rule) als dem Gesamtsystem vorangestellt, während die Teilsysteme von dem zentralen System ihre Kompetenz und den Geltungsrahmen erhalten.

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Rechtssphäre, welche Rechtsbeziehungen der Staaten normiert sowie jene Institutionen, die das Zusammenleben verschiedener staatlicher Gemeinschaften regeln und organisieren. 3 Auch hier steht man vor den Fragen (a) wie Konsistenz bei inhaltlicher Selbständigkeit der Staaten, und (b) wie völkerrechtliche Bestimmung der Kompetenz der souveränen Staaten erreicht werden kann. Anders ausgedrückt kann man fragen: Wie ist eine WeItrechts- und Friedensordnung selbständiger Staaten denkbar? Unabhängig von dem realen gesellschaftlichen Vorgang der Erzeugung einer Weltrechtsgemeinschaft aufgrund der Konstitution von Volkerrecht - unabhängig von der Frage wie diese überstaatliche Rechtssphäre als Institution geschaffen wird4 - stellt sich die Frage, welche Struktur eine Verrechtlichung der Völkerrechtsgemeinschaft haben muß. Die Definition der souveränen Ordnung (des selbständigen Staates) muß als Folge normativer Festsetzung der territorialen Kompetenz der Macht- und Rechtsträger für ein Staatsgebiet konzipiert werden. Die so definierte souveräne Staatsordnung ist dann nicht absolut letzter Geltungsgrund des souveränen Staates, sondern rechtliche Erteilung der freien Kompetenz für ein gewisses Gebiet durch das Volkerrecht. Diese Souveränität bedeutet nicht nur Freiheit gegenüber einer eventuell normativ von außen bestimmender Rechtsmacht, sondern Kompetenzzuteilung im Rahmen einer vorgestellten und postulierten Weltordnung. Diese begriffliche Transformation des Terminus "Souveränität" bedeutet keine inhaltliche Einschränkung für die Ausübung der souveränen Kompetenz. Die Konstruktion ermöglicht es aber auch, inhaltliche Bestimmungen festzusetzen, d. h. die Kompetenz zu modifizieren, z. B. durch menschenrechtliche Postulate. Diese völkerrechtliche Konstruktion, die unter der Idee - oder vielleicht besser: unter dem Ideal - des Weltrechts steht, ist auf dem hierarchischen Prinzip aufgebaut. 5

3 Außerdem müssen auch außerstaatliche Institutionen und deren normative Ordnungen, die oft staatenübergreifende Funktion haben, z. B. Kirchenrecht, internationale Sportorganisationen, in Betracht gezogen werden, wenn man ein realistisches Gesamtbild der gesellschaftlichen Ordnungen erhalten will. - Ich beschränke meine Betrachtungen hier auf das Völkerrecht als Rechtssphäre der Beziehungen und Institutionen zwischen Staaten. 4 Als institutionelle Quelle werden in der Regel völkerrechtschaffende Gewohnheiten und völkerrechtliche Verträge angeführt. Die rechtserzeugende, d. h. meiner Auffassung nach institutionenschaffende Kraft von Gewohnheit und Vertrag beruht auf der Tatsache, daß diese beiden Momente institutionelle (d. h. faktisch wirksame und anerkannte) Elemente der Normerzeugung sind. Sie können mit den Schlagworten "bonus usus" und "pacta servanda sunt" ausgedrückt werden. S Die Konstruktion kann offensichtlich auch nach einem grundnormartigen Modell dargelegt werden.

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4. Europarecht und die Souveränität der Mitgliedstaaten Die hierarchische Doktrin der Rechtsordnung mit dem Prinzip der inhaltlichen Schachtelung der untergeordneten Normen, wo nicht freie Delegation vorgesehen ist, löst sowohl das aus dem Konsistenzpostulat folgende Problem als auch das Problem der Bestimmtheit des rechtlichen Kompetenzensystems. Es ist aber nicht gesagt, daß dies der einzig mögliche Weg ist, diese Probleme in den Griff zu bekommen, und ich glaube, es gibt gute Gründe für den Nachweis, daß diese Konstruktion der heutigen Rechtskonstellation - vor allem der Beziehung zwischen den Mitgliedstaaten der EU und dem Rechtssystem der EU - nicht gerecht wird. Die bei den Grundpostulate der analytischen Jurisprudenz bleiben aufrecht, aber die Explikation der Rechtswirklichkeit der Europäischen Union muß adäquatere Wege der rationalen Rekonstruktion dieser Rechtsstrukturen suchen. 6 Die monistisch-hierarchische Konzeption kennt nur Rechtssysteme, die entweder selbständig sind und ggf. koordiniert nebeneinander bestehen oder die als föderale Systeme ihre Subsysteme durch Ermächtigung schaffen. Es wäre unangemessen, die Europäische Union als Bundesstaat anzusehen etwa in der Weise, daß man Europarecht und die Organe der EU als Recht eines Gesamtstaates ansehen würde, welcher die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten für ihren Bereich ermächtigen würde. Es gibt zwar einige Charakterzüge der EU, die üblichen Merkmalen von Bundesstaaten verwandt sind - vor allem die Unionsbürgerschaft, die Existenz von Rechtserzeugungsorganen und Gerichtsbarkeitsorganen der EU sowie den hierarchischen Vorrang von Europarecht gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten, dennoch ist es nicht möglich, die Mitgliedstaaten und deren Rechtsordnungen als bloß ermächtigte Subsysteme des EU-Rechts anzusehen. Es gibt aber offenbar auch Momente, welche die EU - in der heutigen Situation kaum als föderalen Gesamtstaat erscheinen lassen. Die Mitgliedstaaten sind V61kerrechtssubjekte. Sie haben Verfassungsautonomie und ihre eigene Verfassungsgerichtsbarkeit. Sie bestimmen selbst ihr Staatsbürgerrecht (die Unionsbürgerschaft ist eigentlich eine von der Staatsbürgerschaft abgeleitete Rechtsposition). Die Mitgliedstaaten haben ihre eigene Militärorganisation und entscheiden über den eventuellen Einsatz militärischer Mittel. Es gilt das Subsidiaritätsprinzip (als Grundsatz der EU). EU-Recht hat nur das zu normieren, was nicht von den Mitgliedstaaten wirkungsvoll geregelt werden kann. Es handelt sich dabei um eine offene Kompetenz der Mitgliedstaaten, aber nicht in dem Sinne wie die Kompetenzgarantie der Teilstaaten eines Bundesstaates verfassungsmäßig sichergestellt zu werden pflegt. Für das Subsidiaritätsprinzip ist entscheidend, wer letztlich darüber entscheidet, was den Mitgliedstaaten (in Zukunft) zur Normierung vorbehalten ist. Die Situation scheint mir realistisch in folgender Weise deutbar: Die Mitgliedstaa6 Zum nachfolgenden vgl. N. MacCormick. Sovereignty, Democracy, Subsidiarity, in: Rechtstheorie 25 (1994), S. 281-290; ders., The Maastricht-Urteil: Sovereignty Now, in: European Law Journal, Vol. 1,1995, S. 259-266.

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ten haben pnmar eine offene Normierungs- und Lenkungskompetenz, solange keine verbindliche EU-Normierung vorliegt. Gegen eine solche können sich die Mitgliedstaaten mit Hinweis auf das Subsidiaritätsprinzip kaum wehren. Die prinzipielle - wenn auch kaum realisierbare - Möglichkeit des Austritts aus der EU belegt die Tatsache, daß die Mitgliedstaaten eine Art von Eigenständigkeit besitzen, die ihnen eine staatliche Willensbildung ermöglicht. 7 Es scheint mir, daß "eine pluralistische und interaktive Analyse der Beziehungen zwischen den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten und deren gemeinsamen EU-Rechts system" im Sinne von MacCormick einen adäquaten Weg zum Erfassen der Rechtslage bietet. Ich möchte hier nochmals unterstreichen, daß die juristische Beschreibung der Rechtslage die früher angeführten Grundprinzipien - Konsistenzpostulat und Kompetenzklärung - erfüllen muß.

5. Quellen der Schwierigkeiten der rationalen Explikation der aktuellen Relationen zwischen EU-Recht und dem Recht der Mitgliedstaaten Diese Schwierigkeiten haben ihre Wurzeln in zwei Ebenen: (a) in der BegriffIichkeit und Methodologie der Betrachtung, (b) in der Komplexität und teil weisen Unbestimmtheit des analysierten Gegenstands, der sich gleichsam in einem status nascendi befindet.

Zu Punkt (a): Der Terminus "Souveränität" tritt in drei Betrachtungsebenen auf: Er drückt (i) Unabhängigkeit der politischen Macht oder (ii) letztinstanzliche Rechtsautorität des Staates aus; und (iii) in der demokratischen Theorie des Staates spricht man von der Souveränität des Volkes als der politischen Quelle des Rechts und der staatlichen Ordnung. Zwischen politischen Machtbeziehungen und der wirksamen Rechtsautorität bestehen Wesensbeziehungen. Das Rechtssystem ist wirksam - als institutionelle Realität vorhanden -, wenn es durch Autorität, Akzeptanz und Macht etabliert ist. Reale Macht wird aber durch verschiedene Momente - und unter anderem durch Recht - konstituiert. 7 Es gibt zwar auch Verfassungen von Bundesstaaten, die die Möglichkeit des Austritts von Teilstaaten zulassen (die Stalin-Verfassung der UdSSR), doch ging es dabei um eine ganz andere politische Struktur, in der die Machtposition der kommunistischen Parteien eine besondere Rolle spielte. - Die Realität der Vormachtstellung der Sowjetunion und der kommunistischen Partei fand auch ihren Ausdruck in der sog. Breschnew-Doktrin, die eine Souveränitätsbeschränkung der Staaten des Warschauerpaktes implizierte. Da in den Beziehungen der Warschauerpakt-Staaten einerseits die Vormachtstellung eines dieser Staaten (der UdSSR) und andererseits die Rolle der kommunistischen Parteien als Klassenkampfträger bestimmend war, sollte man diese Relationen nicht mit unserem Thema in Verbindung bringen, weil die rechtliche und die Machtsituation ganz anders war als beim Souveränitätsproblem der Mitgliedstaaten der EU.

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Die Machtbeziehungen des politischen Lebens sind nicht immer transparent. Und die machtmäßige Unabhängigkeit der Staaten besteht nicht immer, wenn formalrechtliche Souveränität vorliegt. Die juristische Betrachtung ist vorwiegend auf die formalrechtliche Souveränität gerichtet, wenn die normative Selbständigkeit bzw. als territorial bestimmte Ermächtigung zur Rechtsgestaltung durch das Völkerrecht konzipiert wird. Machtpolitische Beschränkungen werden in diesem Rahmen hinzugezogen um dem formal-juristischen Bild auch den Charakter einer institutionell-realistischen Dimension zu geben. Auf einer anderen Ebene liegt die Frage der Volkssouveränität, die als demokratisch-politisches Postulat zu verstehen ist und die - realistisch betrachtet - bildlich gedeutet werden muß. Einer staatlichen Ordnung wird vom demokratischen Standpunkt das Placet nur dann zugesprochen, wenn sie im wesentlichen als dem Willen des Volkes entsprechend verstanden werden kann; das heißt, wenn sie durch demokratische Willensbildung oder / und Akzeptanz als Ordnung, die durch das Volk und im Interesse des Volkes geschaffen - natürlich in einem sehr losen und bildlichen Sinne - ist, gelten kann. Trotz dieses bloß metaphorischen Charakters ist dieser Begriff der Volkssouveränität für die Problematik dieser Abhandlung wichtig, denn er thematisiert das Problem des demokratischen Charakters der politischen Strukturen. Dieses Thema ist für die Betrachtung von EU-Recht sowie der Beziehung der Mitgliedstaaten zu dieser verbindlichen Rechtssphäre wichtig. Volkssouveränität wird bei den Mitgliedstaaten vorausgesetzt, für den Bereich des EU-Rechts bleibt aber Volkssouveränität ein vages Desiderat. In dieser Beziehung ist anzumerken, daß der Begriff der Volkssouveränität nur sinnvoll ist, wenn das Volk als Bezugsklasse des Volkswillens und Volksinteresses bestimmt ist. Im Bereich der einzelnen Mitgliedstaaten kann so etwas wie die Existenz eines Volkswillens und dessen Artikulation in politischen Prozessen von demokratischer Struktur cum grano salis vorausgesetzt werden. Gilt etwas Analoges für die Europäische Union? Ich meine, daß dies nur in sehr beschränktem Maße der Fall ist. Politische Aktionen, z. B. friedensfördemde konsentierte Aktionen sind hier ineffektiv (vgl. die Politik gegenüber dem ehemaligen Jugoslawien). Ob und inwieweit eine echte Identifikation des Gesamtvolkes der EU mit diesem politischen Gebilde - ähnlich wie meist des Staatsvolkes mit dem einzelnen Staat - besteht, wage ich nicht zu beurteilen. Die Tatsache der rechtlichen Vorrangstellung von EU-Recht gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten bringt natürlich Beschränkungen der innerstaatlichen Volkssouveränität mit sich. Die sog. Demokratiedefizite der EU verpflanzen sich in gewisser Weise in die Ordnung der Mitgliedstaaten. Zu Punkt (h): Die Europäische Union ist eine politische Institution, die primär ausgehend von der Wirtschafts- und Wettbewerbsthematik weitreichende sozusagen universelle politische Zielsetzungen verfolgt. Zwischen Zielsetzungen und der Form und Effektivität der Realisation bleibt immer ein breiter Raum der Unbestimmtheit. Es gibt z. B. zweifellos das Bestreben, ein EU-Sicherheitssystem zu

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schaffen. Wie es als Institution strukturiert sein soll (sein wird), wie effektives sein wird und welche politische Nebenfolgen, welchen Einfluß es auf die geistig-moralische Haltung der Menschen, auf Probleme der weltweit anzustrebenden Rüstungs- und Atomwaffenbeschränkung haben wird, weiß im einzelnen heute niemand. 8 Eine besondere Sphäre der institutionellen Strukturen, welche zwar nützlich sein können, aber gleichzeitig die Relevanzbeziehungen zwischen EU-Recht und dem Recht der Mitgliedstaaten in gewisser Weise intransparent machen, sind die Regionalinstitutionen. Angesichts der in unvorhersehbarer Entwicklung befindlichen Institution der EU, ist es nicht möglich, scharfe Aussagen und Prognosen über die Beziehung des EU-Rechts und der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu machen. Meine resultierenden Bemerkungen gelten daher nur mit dem Zusatz: "Wie es heute zu sein scheint".

6. Schlußfolgerungen über das Problem der Mitgliedstaaten-Souveränität Die traditionellen Kategorien der Föderation (des Bundesstaates/Staatenbundes) und des souveränen Staates müssen einer offenen Begrifflichkeit weichen, die politische Realitäten zu erfassen - und sie rational zu beschreiben - erlaubt, die der traditionell fixierten Begriffsbildung nicht entsprechen. Das Rechtsleben in der EU muß zwei Arten von Rechtskörpern - EU-Recht und das Recht der Mitgliedstaaten - in Interaktion als institutionelle Realität anerkennen. Die so entstehenden Beziehungen zwischen den relevanten Rechtsnormen: EURecht / Recht der "souveränen" Mitgliedstaaten, kann nicht mono-hierarchisch dargestellt werden. Trotzdem muß hierbei inhaltliche Konsistenz des resultierenden Sollens und Bestimmbarkeit der Kompetenzen erreicht werden. Es gibt m.M.n. wichtige Momente, welche dafür sprechen, weiterhin - wenn auch in neuer, modifzierter Weise von der Souveränität der Mitgliedstaaten zu sprechen. Sie sind insoweit nicht souverän (im bisher traditionellen Sinne) als für sie EU-Recht bindend und normativ vorrangig ist; sie sind aber im neuen Sinne souverän, weil sie primär staatslenkend und für Recht und Ordnung in dem Mitgliedstaat verantwortlich sind. Dem trägt das Subsidiaritätsprinzip indirekt Rechnung. Sie hat die unabgeleitete Handlungs- und Normierungspflicht in Gefahrenund Sondersituationen. Sie haben die Aufgabe, als initiative Kraft im System des 8 Zur Frage der Unbestimmtheiten des Europarechts und der entsprechenden Institutionen s. o. Weinberger. Maastricht-Vertrag und die Theorie der Aufgabennormen, in: JRP 1995/ H. 2, S. 76-81.

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EU-Rechts und der EU-Institutionen zu wirken, die Probleme der inneren Ordnung und des inneren Friedens zu lösen, deren Auftreten durch die Existenz der EU nicht ausgeschlossen sind. Jedem Mitgliedstaat obliegt die Pflicht, den Staat und die Bürger zu schützen. Dies kann auch im Bereich des EU-Rechts aktuell werden, wie die Folgen der Rinderwahnseuche belegen. Der Mitgliedstaat ist und bleibt auch in der EU Institution des Schutzes seiner Bürger. Dies entspricht auch der herrschenden Interaktionsstruktur zwischen EU-Recht und dem Mitgliedstaat. Der Mitgliedstaat ist selbständig aktionsfähig, vor allem zum Schutz der Bürger, ja sogar zum Austritt aus der EU.

Maastricht-Vertrag und die Theorie der Aufgabennormen I. Begriffsgeschichtliche Vorbemerkung Die Jurisprudenz unserer Zeit ist ganz wesentlich beeinflußt durch die analytischen Bestrebungen in der Rechtsphilosophie. In einer gewissen Parallele zur allgemeinen Entwicklung der Philosophie - man spricht in der allgemeinen Philosophie von einer linguistischen Wende um das Hinwenden der philosophischen Untersuchungen zu strukturtheoretischen und sprachlich-kommunikationstheoretischen Analysen anzudeuten - haben die bedeutendsten Rechtstheoretiker von Austin, Bentham, Kelsen, Weyr, Merkl und viele andere ihre Aufmerksamkeit den sprachlichlogischen Strukturen des Rechts, dem logischen Aufbau der Rechtsordnung und der logisch-argumentativen Charakteristik des rechtlichen Geschehens gewidmet. Richtig verstanden bedeuteten diese strukturtheoretischen Analysen eine klare Darstellung logischer Strukturen und der für das Rechtsleben relevanten Argumentationsprozesse, sie sollten und konnten aber keineswegs die inhaltlich abwägenden Wertüberlegungen ersetzen. Das Ziel jeglicher analytischen Untersuchungen ist die Erlangung begrifflicher Klarheit und transparenter Folgerichtigkeit der Begründungen im juristischen Denken, sowie die Aufgabe, die Gedankengänge und Voraussetzungen des Juristen offenzulegen, um sie der Kritik, der Zustimmung oder begründeten Ablehnung zugänglich zu machen. Das erste markante Ergebnis der analytischen Bemühungen war die wichtige, wenn auch nur (wie sich später zeigte) im groben gültige Erkenntnis, daß das gesamte Rechtsmaterial und alle dynamischen Prozesse eine weitgehende strukturelle Verwandtschaft aufweisen. Dieses Stadium der Forschung ist charakterisiert durch die Lehre vom Rechtssatz als universell gültiger Form der Rechtsregel. Diese Grundstruktur sämtlicher rechtlicher Anordnungen wird zwar bei den verschiedenen Autoren unterschiedlich dargestellt (als generelle Norm, als generell adressierter Bedingungsnormsatz oder als genereller Sanktionsnormsatz unter den Kelsenschen Voraussetzungen, daß (a) die Rechtsnorm nur das eigene Verhalten des Normsubjektes, d. h. des Staates, bestimmen kann, und (b) daß das Recht nur durch Androhung von Sanktionen auf entgegengesetztes Verhalten gebieten kann), doch immer mit der Ansicht verbunden, daß diese Form universell für das gesamte rechtliche Sollen gelte und die einheitliche logische Basis für die Ableitung der Rechtsfolgen im Einzelfall biete. Es ist im wesentlichen der Subsumtionsschluß, der hier zur Anwendung kommt.

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Im Rahmen dieser frühen Strukturtheorie kommen zwar auch Probleme zur Sprache, aber der einheitliche Strukturrahmen wird beibehalten. Diese Probleme sind einerseits Probleme der Bestimmtheit der Subsumtion (vage Begriffe, bei denen die Subsumtion nur im Kern eindeutig, im Bereich des Begriffshofes aber verschwommen ist; wertende Subsumtion, bei der eine Wertentscheidung für die Bestimmung der Subsumtion entscheidend wird), andererseits Fragen der adäquaten Konkretisierung der Rechtsfolgen. Die spätere Entwicklung der Strukturtheorie des Rechts ist sich der prinzipiellen logischen Verschiedenheiten der generellen Normierung bewußt geworden: auch wenn Rechtssätze universell adressiert und hypothetische Normen sind, sind sie strukturell differenziert, und ihre Anwendung hat verschiedene logische Struktur. Die moderne analytische Jurisprudenz baut auf Differenzierungen auf, die - wie sich zeigt - mit wesentlichen logisch-methodologischen Unterschieden verbunden sind. Ich verweise auf die Gegenüberstellung von Verhaltensnormen und Rechtsgrundsätzen, sowie auf den strukturellen Unterschied zwischen Verhaltensnormen und Ermächtigungsnormen. In brillant klärender Weise hat Dworkin die Eigenart des Argurnentierens mit Rechtsprinzipien dargestellt und sie vom Subsumtionsdenken abgehoben. Ich habe die strukturelle Verschiedenheit von Normen, die zur Normerzeugung ermächtigen, gegenüber Verhaltensnormen aufgezeigt. Die Begründung der Geltung von Normen, die aufgrund von Ermächtigungsnormen erzeugt werden, hat ihre eigene "Logik", die nicht auf reine Subsumtion zurückgeführt werden kann. Mit einer anderen Besonderheit von Norminhalten, nämlich den teleologischen oder Aufgabennormen wird sich diese Abhandlung befassen. Es wird hierbei dreierlei zu leisten sein: a) die Darlegung der geistesgeschichtlichen Genesis der Lehre von den teleologischen Normen; b) die Betrachtung der Stufen, wie normative Anordnungen handlungsbestimmend sein können; c) die Untersuchung der strukturellen Besonderheit der Maastricht-Verträge, die in weiten Bereichen Absichtserklärungen, also Normen mit teleologischem Inhalt, sind; es wird deren normative Relevanz zu diskutieren sein, ebenso wie deren Relation zu einzelstaatlichem Recht und die Auswirkung dieser Relation auf die Verfassungsrealität nach dem Beitritt zur EU.

Maastricht-Vertrag und die Theorie der Aufgabennormen

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11. GolUllskis Beitrag zur Theorie der Aufgabennormen Der sowjetische Rechtstheoretiker J. A. Golunski hat zwei Thesen aufgestellt: I. Es gibt Rechtsnonnen, die nicht ein durch deskriptive Merkmale definiertes Verhalten vorschreiben (d. h. eine gewisse Verhaltensweise gebieten oder verbieten, ggf. als zulässig erklären), sondern festlegen, welche Ziele zu erreichen sind (teleologische oder Aufgabennonnen). Die Erkenntnis, was zur Erfüllung einer teleologischen Nonn erforderlich ist, kann nicht direkt aus dem Gesetz herausgelesen werden, sondern hierzu müssen Kausalzusammenhänge zwischen dem Handeln und den Handlungsergebnissen in Rechnung gezogen werden. Zur Erkenntnis der Erfüllung von Aufgabennonnen gelangt man nicht einfach durch einen Subsumtionsschluß, man braucht hierzu vielmehr auch zusätzliches empirisches Wissen. 2. Es ist ein charakteristisches Merkmal des sozialistischen Rechtes, daß in diesen Rechtssystemen teleologische Nonnen eine vorrangige Rolle spielen. Der Hinweis auf die Existenz der teleologischen Nonnen ist eine wichtige strukturtheoretische Erkenntnis. Das Recht bestimmt durch heteronome Nonnen das Handeln nicht nur in der Weise, daß gewisse Verhaltensmuster als geboten oder verboten (ev. als zulässig) hingestellt werden, sondern es können auch zu erreichende Ziele vorgeschrieben werden. Es können Aufgaben heteronom aufgetragen werden.) Während bei Verhaltensnonnen durch Beschreibungen festgelegt ist, welche Verhaltensweisen nonnativ angeordnet sind, bleibt bei Aufgabennonnen unbestimmt, wie der Akteur zu handeln hat. Es besteht für das Pflichtsubjekt nur insoweit eine Einschränkung des zulässigen Verhaltens, als es nicht solche Handlungen setzen darf, die das Erreichen des Zieles verhindern. Wie die Erfüllung von Aufgabennonnen zu realisieren ist, hängt von Tatsachenbeziehungen ab, von Kausalzusammenhängen und Handlungsprogrammen, die auf die Verwirklichung des Aufgabenziels gerichtet sind. Im Zusammenhang mit Aufgabennonnen tauchen interessante juristische Probleme auf: a) Ist die Aufgabe überhaupt erfüllbar? Es geht in der Praxis kaum um die objektiv denkbare Möglichkeit, sondern eher um die Möglichkeit, wie sie durch den aktualen Tatsachenrahmen und das Wissen des Handelnden gegeben ist. b) Aber auch bei sinnvoller AufgabensteIlung bleibt die Frage der Verantwortung (und infolgedessen) der Sanktionen problematisch. I Durch diese Behauptung soll die Möglichkeit autonomer Aufgabennormen nicht ausgeschlossen werden. Die autonomen Normen können wir uns so vorstellen, daß das Subjekt einerseits als Handlungssubjekt ("Ego") und andererseits als sich selbst gebietendes, sein eigenes Sollen festsetzendes Subjekt ("Alterego") auftritt. Man kann offensichtlich für sich selbst - z. B. in einer moralischen Überlegung - Pflichten oder Aufgaben festsetzen.

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Maastricht-Vertrag und die Theorie der Aufgabennormen

Der Erfolg der Handlungen zur Erfüllung von Aufgaben hängt oft vom Verhalten anderer Subjekte ab, und da man meist weitgehend aufgrund von Wahrscheinlichkeitskausalität handelt, ist das Handlungsergebnis - hier die Aufgabenerfüllung - weitgehend Sache des Zufalls, was eine Verantwortungszurechnung und die Rechtfertigung von Sanktionen erschwert. Es gab daher in der sozialistischen Welt eine starke Abneigung gegen die Zulässigkeit von Sanktionen bei Aufgabennormen. Man kannte die Gefahr, Sündenbökke als Entschuldigung für wirtschaftliche Mißerfolge heranzuziehen. Vom rein logischen Standpunkt aus lassen sich Sanktionsnormen in Bezug auf Aufgabennormen leicht definieren: Wenn dem Subjekt S die Aufgabe gestellt ist, A zu erreichen, S aber A nicht erreicht, dann soll gegen S eine Strafe B gesetzt werden. Golunskis zweite These kann nicht ohne weiteres akzeptiert werden. Teleologische Normen sind kein Spezifikum des Rechts sozialistischer Staaten. Sie nehmen allerdings in jenen Systemen einen relativen breiten Raum ein, in dem der staatliche Wirtschaftsplan als Rechtsnorm gesetzt wird. Ob Wirtschaftspläne als Rechtsnormen gesetzt werden, ist - auch wenn man staatliche Planung und Sozialismus voraussetzt - m.E. keine Notwendigkeit. Es besteht andererseits kein Zweifel, daß Aufgabennormen auch in nicht-sozialistischen Rechtssystemen ihren legitimen Platz haben. Sowohl Gesetze als auch individuelle Normen (z. B. der Inhalt von Verträgen) kann teleologischen Sinn haben, d. h. der Normerzeuger muß nicht immer Verhaltensweisen anordnen, sondern kann auch Zielsetzungen festlegen.

III. Allgemein über normative Determination

Ich möchte nun versuchen, allgemein über die Arten der Bestimmung des Verhaltens durch Normen nachzudenken. Die Vorstellung, welche in der ersten Phase der analytischen Rechtsphilosophie herrschte, daß jede normative Regel Verhaltensweisen der Pflichtsubjekte durch Angabe von Subsumtionsmerkmalen anordne, kann als überwunden angesehen werden. Als grundlegende Differenzierung der Norminhalte betrachte ich die Gegenüberstellung von Verhaltensnormen (im weiten Sinn des Wortes) und Ermächtigungsnormen. Diese ermächtigen zur Normerzeugung, und zwar entweder Staatsorgane durch Kompetenzbestimmungen und Angabe der rechtsgültigen Erzeugungsweise von normativen Regeln oder Entscheidungen, oder sie statuieren die Bedingungen der privatautonomen Normerzeugung durch als relevant anerkannte einseitige Willensäußerungen oder durch Vertrag (zweiseitige übereinstimmende Willensäußerung). Die Gesamtheit der Rechtserzeugungsregeln stellen das Strukturskelett des Rechtssystems dar. Die Verhaltensregeln (im weiten Sinn) bestimmen das inhaltliche Sollen, und zwar - wie zu zeigen sein wird - in verschiedener Weise: direkt durch Kriterien, die eine Subsumtion des Einzelfalles zulassen, oder / und durch

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partiel1 (indirekt) determinierende Anordnungen. Die wichtigsten normativen Regeln dieser Art sind teleologische Normen und Rechtsgrundsätze. Bei keinen von bei den kann eine Anwendung durch direkte Subsumtion unter statuierte Merkmale durchgeführt werden. Um feststel1en zu können, ob eine Aufgabe erfül1t wurde, das festgesetzte Ziel durch eine Handlung erreicht wurde, ist darzutun, daß ein zu diesem Ziel hinführendes Handlungsprogramm realisiert wurde. Eine teleologische Bestimmung - die Festsetzung einer Aufgabe - bildet in der Regel einen Rahmen, der verschieden ausgefüllt werden kann. Wenn ich die Aufgabe habe, meinen Sohn zu erziehen, impliziert dies, daß ich versuchen muß, ihn zur Redlichkeit und Humanität hinzuführen und daß ich Sorge zu tragen habe, ihm eine angemessene berufliche Ausbildung zu gewähren. Das sind al1es Rahmenziele, die sehr verschieden ausgefüllt werden können. Seine Berufsausbildung kann durch eine Tischler/ehre ebenso erfül1t werden wie durch ein Mathematikstudium. Die Beurteilung und Wertung aufgrund teleologischer Normen ist in der Regel nicht eindeutig und erfordert auch eine Reihe von Sachinformationen, nicht nur das Konstatieren des Erreichens oder Nichterreichens des vorgeschriebenen Zwekkes (Zielzustands). Die Entscheidungs- und Wertungsdetermination durch rechtlich statuierte Prinzipien ist ein Abwägungsprozeß, der sich fundamental von einer Subsumierbarkeitsfeststellung unterscheidet. Ich bin der Meinung, daß die Prinzipien selbst verschiedenen semantischen Charakter haben können. Es können gleichzeitig geltende gesellschaftliche Zwecke sein oder andere abstrakte Gesichtspunkte. Die Klasse der die Überlegung gleichzeitig bestimmenden Grundsätze muß nicht logisch konsistent sein (ein teleologisches System kann bekanntlich logisch unverträgliche Zwecke enthalten - z. B. ich kann gleichzeitig A [Beibehaltung meines Berufs] und non-A [berufliche Veränderung] wünschen und muß dann nur zu einer Präferenzentscheidung kommen). Die Grundsätze können die Entscheidung gegebenenfal1s in entgegengesetzte Richtungen führen. Das Werten und Entscheiden auf der Basis von Grundsätzen ist die Bestimmung einer Präferenz in einem Kräftefeld konvergenter oder/und divergenter Antriebsmomente. Die Wertabwägung ist weitgehend offen, unter anderem auch wegen der unterschiedlichen Gewichtung der Grundsätze (und die relative Gewichtung muß nicht im ganzen Feld der Betrachtung konstant sein). Die juristische Wertabwägung ist normativ gelenkt nicht nur durch subsumtionsbestimmende Verhaltensregeln (im engeren Sinne), sondern auch durch Zweckbestimmungen und normative Grundsätze, deren Heranziehung bindend sein kann, aber in diesem Feld der Determinationen bleibt reichlich Raum für Präferenz- und Wertdezisionen, die auf sachliche Betrachtungen zu stützen sind.

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Anmerkung

Die dargelegte gestufte nonnative Bestimmung des Verhaltens von Pflichtsubjekten entspricht der handlungstheoretischen Zutrittsweise zum Recht. Das Handeln wird als infonnationsbestimmtes Verhalten aufgefaßt. Die Handlungsdetennination durch wählende Entscheidungsprozesse nach Zwecken und Präferenzen realisiert. Als mitbestimmende - und oft vorangestellte - Determination kommen heteronome Nonnen (oder autonome Festsetzungen) ins Spiel. Und diese sind - wie oben erklärt - in unterschiedlicher Weise handlungsbestimmend. Je nach der Art der Nonnierung wird die nonnative Detennination mit Tatsacheninfonnationen zu koppeln sein.

IV. Die strukturelle Eigenart des Maastricht-Vertrages Ist die EU ein Superstaat?

Die Rechtstheoretiker sind gewöhnt, mit einem begrifflichen Netz den verschiedenen Fonnen föderaler Staatsgebilde entgegenzutreten und vor allem eine orientierende Klassifizierung der betrachteten Realität zu versuchen. Bei gesellschaftlichen Gebilden, die durch mehrere verschieden kombinierte Merkmale charakterisiert sind, stößt die klassifizierende Charakterisierung oft auf Schwierigkeiten. Das übliche Begriffsnetz, das zur Klassifizierung der verschiedenen föderalen Gebilde verwendet wird, hat keine bedeutende Erklärungskapazität; dort, wo neuartige Gebilde vorliegen, wie es bei der EU und der Beziehung der EU zu den Mitgliedsstaaten der Fall ist, kann man keine aufschlußreiche Erklärung durch eine Einreihung in ein übliches Klassifizierungsschema geben. Die Beantwortung von Fragen der folgenden Art "Ist die EU ein Bundesstaat, ein Staatenbund oder ein Überstaat?" wird auch dadurch erschwert, daß die EU keine fixierte Struktur ist, sondern zu weiten Teilen als Rahmen und als Gestaltungsprogramm gegeben ist. Bei einigen Elementen dieses Programms ist einstweilen weitgehend unklar und unbestimmt, "was daraus wird". Wie sollte das angestrebte gemeinsame Verteidigungssystem strukturiert sein, wie sollte eine gemeinsame militärische Macht aufgebaut werden, wie sollte sie politisch wirksam sein und wie gelenkt werden, wie sollten die Beziehungen zu den Anneen der Mitgliedstaaten gestaltet werden? So ein Sicherheitssystem müßte verschiedene Schichten haben: Konfliktvenneidung, austragung, resp. Lösung, Realisierung von friedensschaffender Machtausübung bei inneren Konflikten (zwischen den Mitgliedstaaten oder Gruppen innerhalb dieser Staaten) oder äußeren Konflikten (d. h. Konflikten mit Nicht-Mitgliedstaaten); ferner Bedingungen (und Grenzen) der Rüstung, des militärischen Einsatzes oder der Unterstützung anderer Staaten durch Rüstungsgüter, oder aber die Setzung von Sanktionen durch wirtschaftliches oder Waffenembargo. Die für die Bestimmung

Maastricht-Vertrag und die Theorie der Aufgabennormen

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der föderalen Form entscheidenden Fragen der Macht-, Sicherheits- und militärischen Kooperation bleiben so weitgehend ungeklärt, da nicht einmal das angestrebte Ziel klar definiert ist, daß das Wesen dieses Überstaates ungeklärt bleibt. Eine bestimmende Rolle ist den Regionen zugedacht, die als die Grenzen der Mitgliedsstaaten überschreitende Gebilde verstanden werden. Es läßt sich kaum abschätzen, welche strukturbildenden oder strukturverändernden Auswirkungen von diesem institutionellen Programm ausgehen werden. Gemeinsame Unionsbürgerschaft (zusätzlich zu den mitgliedstaatlichen Staatsbürgerschaften), Wirtschafts-, Währungs- und politische Entwicklungspolitik, Zollunion, das Prinzip des freien Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehrs sowie die Verbindlichkeit des Europarechts für die Mitgliedsstaaten scheinen anzudeuten, daß das Programm der EU auf eine spezifische Art von Superstaat hinausläuft, es aber aktuell noch nicht ist. Hauptsächlich wegen des in wesentlichen Stücken programmatischen Charakters (verbunden mit wesentlichen Unbestimmtheiten der faktischen Auswirkungen und zukünftigen Gestaltungen der Strukturen) läßt sich heute keine klare klassifizierende Aussage machen. Es läßt sich auch noch keine den neuen Realitäten entsprechende Definition der föderalen Struktur der EU geben. Es ist auch teils problematisch, was wirksames politisches Programm ist und was eher den Charakter einer Proklamation zur Erreichung von Akzeptanz ist. Was bedeutet z. B. das Subsidiaritätsprinzip, dem gemäß durch Europarecht nur die Bereiche normiert werden sollen, die auf der Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten nicht adäquat bewältigt werden können (Art. 3 b). Wer entscheidet, ob die europarechtliche Normierung erforderlich ist? Offensichtlich die Organe der EU, die daher die sachliche Kompetenzkompetenz haben. Durch diese Formulierung wird nicht sichergestellt, was in der ausschließlichen Kompetenz der Mitgliedstaaten bleibt. (Dies pflegt jedoch in föderalen Staaten genau bestimmt zu sein.) Normative Strukturtypen

Dem analytischen Rechtstheoretiker erscheint der Inhalt des Vertrags als strukturell verschiedenartig, und diese Unterschiedlichkeiten implizieren verschiedene Relevanz und Anwendungsweisen der Normen. Der Versuch einer Typisierung dürfte sich lohnen. (Die strukturelle Differenzierung, über die ich reden werde, ist in der Systematik des Textes nicht dargestellt, sondern ein Ergebnis einer systematisierenden rationalen Rekonstruktion.) Eine Schicht der Normen dient der Etablierung der Europäischen Union als Institution. Durch diese Normen werden die Organe der EU eingeführt und ihre Struktur, ihr Willensbildungsprozeß und ihre Kompetenz bestimmt. Diese konstituierenden Normen sind im wesentlichen Ermächtigungsnormen (power conferring norms), die gleichzeitig Kompetenzen abstecken. Zur Konstitution der EU als Institution gehört ferner die Festsetzung der Leitideen dieser Institution. 29 Weinberger

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Maastricht-Venrag und die Theorie der Aufgabennonnen

Institutionentheoretisch betrachtet sind die Leitideen für den ideellen Aufbau und die Verwirklichung der Institution von essentieller Bedeutung. Sie drücken grundlegende Zielsetzungen und Absichtserklärungen aus, meist in relativ abstrakter Weise und zwar so, daß ihre Implikationen, die Konsistenz und die Realisierbarkeit geprüft bzw. erarbeitet werden müssen. Die Leitideen unterscheiden sich von konkreteren Aufgabennormen dadurch, daß bei ihnen noch geklärt werden muß, wie diese Ideen in Aufgaben und Maßnahmen gegliedert werden müssen, um politische Gestalt anzunehmen. Wenn man z. B. die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes als Leitidee festlegt, kann man nicht wie bei einer AufgabensteIlung durch einen Produktionsplan (z. B. 1000 Autos einer gewissen Qualität zu produzieren) die entsprechenden Arbeitsprogramme entwickeln und realisieren, sondern man muß auf viel abstrakterer Ebene Konstellationen entwickeln (und deren Verwirklichungsbedingungen prüfen), die dieser Leitidee entsprechen: Zollunion, Wirtschaftsfreiheiten, Zentralbank, ev. Währungsunion usw. Es sind meist sehr komplexe Analysen erforderlich, um die Adäquatheit und Realisierbarkeit der Wege zur Verwirklichung der Leitideen zu prüfen. Der Vertrag umfaßt Verhaltensnormen, durch die Vorgangsweisen der Mitgliedstaaten bestimmt und Verpflichtungen auferlegt werden, resp. durch die Normen, die von den Organen der EU geschaffen werden, als verpflichtend gelten, andere Normen empfehlen Angleichungen des Rechtssystems der Mitgliedsstaaten und werden erst aufgrund dieser wirksam. Die Schicht der materiellen Rechtssätze des EU-Rechts wird offenbar weniger durch vorangestellte Gesetzgebung als durch die Judikatur bestimmt werden. Das EU-Recht wird wahrscheinlich eine markante Tendenz zum Präzedenzienrecht haben. Es ist markant, daß viel in Form von Aufgabennormen vorgeschrieben ist, wobei die Realisationsweise teils bestimmt ist und teils offen bleibt. Dies scheint mir nicht verwunderlich, denn es entspricht dem Wesen der Normierung wirtschaftlicher Gegenstände, Maßnahmen und Einrichtungen. Auffallend ist aber die Tatsache, daß in manchen Bereichen, vor allem im Bereich der Sicherheitspolitik und gemeinsamen Verteidigungspolitik (WEU) eher Absichtserklärungen so unbestimmter Art vorgelegt werden, welche die erstrebenswerte Durchsichtigkeit und teleologische Relevanz als Handlungsleitlinien vermissen lassen. Manche normativ postulierte Zielsetzungen erscheinen angesichts der politischen Tatsächlichkeit der EU als etwas, das zwischen einem frommen Wunsch und einer Werbeproklamation liegt. Wer - um ein wichtiges und aktuelles Beispiel anzuführen - das politische Handeln der Mitgliedstaaten in brisanten Situationen (z. B. in den mit dem Zerfall Jugoslawiens verbundenen Krisen) beobachtet, kann man keine gemeinsame politische Linie und kein wirksames Eintreten für den Frieden und die Sicherheit in Europa feststellen. Die politische Realität der EU ist also vom Programm einer gemeinsamen Politik meilenweit entfernt.

Maastricht-Vertrag und die Theorie der Aufgabennormen

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Für mich bleibt einstweilen auch die Rolle der Regionen und die politische Tendenz der Regionalpolitik, wie sie vor allem in den Bestimmungen über den Ausdruck der Regionen zum Ausdruck kommt, unklar. Soll dies nur nützliche grenzüberschreitende Kooperation fördern? Soll das Menschen (Nachbarn) näher bringen oder Grenzen in Frage stellen? Ich weiß keine Antwort auf diese Fragen. Ich bin mir dessen bewußt, daß diese strukturtheoretischen Betrachtungen über den normativen Inhalt des Maastricht-Vertrages zwar Licht auf einen Aspekt der EU-Problematik wirft, aber in keiner Weise dazu genügt, das politische, wirtschaftliche und soziologische Wesen der EU zu erklären. Bei aller Wichtigkeit der strukturtheoretischen Betrachtungen muß man die begrenzte Erklärungskapazität der Strukturtheorie sehen, und man darf aus ihr allein keine politologische Analyse ableiten. Vor allem dann, wenn man sich ein Bild der EU vom demokratietheoretischen Gesichtspunkt aus machen will, sind hierzu ganz andere Betrachtungen erforderlich.

V. Die Unbestimmtheit der Verfassungsrealität nach dem Maastricht-Vertrag Niemand zweifelt daran, daß der Maastricht-Vertrag sehr schwierige verfassungsrechtliche Probleme aufwirft. Es ist klar, daß der Beitrittsvertrag zur EU weitreichende Änderungen der österreichischen Bundesverfassung nötig macht. Es dürfte wohl auch unbestritten sein, daß die erforderlichen Änderungen tiefgreifend und umfangreich sind. Es werden Grundprinzipien des Verfassungsrechts tangiert (es wird in gewissem Sinne sogar EU-Recht als übergeordnetes Recht akzeptiert, was, wenn man Kelsenianisch sprechen will, zu einer Verschiebung resp. Transformation der Grundnorm führen müßte) und es sind sehr viele Änderungen erforderlich, sodaß es sich offensichtlich um eine Gesamtänderung der Bundesverfassung handelt (Art. 44 (3) B-VG). Besondere Schwierigkeiten impliziert die Tatsache, daß die Gesamtheit der Änderungen im Augenblick des Vertragsabschlusses nicht klar bestimmt werden können. Sie hängen nämlich teilweise sehr wesentlich von der Art und Weise der Realisation der im Vertrag enthaltenen Absichtserklärungen ab. Das markanteste Beispiel ist wohl die Sicherheitspolitik. Die Verwirklichung eines Sicherheitssystems, welches wohl auch durch militärische Macht gestützt sein würde, dürfte ganz wesentliche - aber einstweilen noch ganz unbestimmte - Momente umfassen, die eine Umgestaltung der Verfassung erforderlich machen dürften. Da dies wahrscheinlich eine Änderung der Staatsstruktur und der Grundprinzipien des Staates implizieren würde, würde auch die Einführung eines neuen Sicherheitssystems (mit ev. Militärdienst der Österreicher in einer europäischen Armee und eine eventuelle Stationierung dieser Truppen auf österreichischem Gebiet) eine Gesamtänderung der Bundesverfassung sein, die nur nach Art. 44 (3) B-VG durchgeführt werden kann. 29'

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Maastricht-Vertrag und die Theorie der Aufgabennormen

Da Vieles im Maastricht-Vertrag als Aufgabennorm auftritt, ist nicht geklärt, weIche Verfassungsbestimmungen zu verändern sind, denn je nach den gewählten Methoden der Aufgabenrealisation können verschiedene Konflikte mit dem aktuellen Verfassungsrecht entstehen. In der gegebenen Situation ist die Bestimmung jener Punkte, wo eine Verfassungsänderung erforderlich ist, nicht exakt durchführbar. Es muß noch auf eine logisch-methodologische Tatsache aufmerksam gemacht werden. Wenn festgestellt ist, daß eine gewisse Bestimmung der Bundesverfassung mit dem normativen Inhalt des Maastricht-Vertrags nicht verträglich ist, dann ist es (in der Regel) nicht möglich, rein logisch zu bestimmen, weIche Änderung (d. h. weIche neue normative Bestimmung) als neues Verfassungsrecht festgesetzt werden muß. Es ist nicht logisch bestimmt, wie die Anpassung an den vorrangig gültigen Maastricht-Vertrag durchgeführt werden soll. Es gibt fast immer mehrere mögliche Alternativen. Wenn wir nicht eine schier grenzenlose Verfassungs unsicherheit haben wollen, dann muß unsere Verfassung durch eine explizite Novellierung maastrichtgerecht gemacht werden. (Dies fordert auch Art. 44 (3) B-VG für jede Gesamtänderung der Verfassung.)

Monofinale Ideologien Definition des Problems

In der modemen Gesellschaft zeigen sich zwei Grundtendenzen, die gewissermaßen Gegenpole in der aktuellen Gesellschaftspolitik darstellen, nämlich fundamentalistische Tendenzen und das Postulat der offenen Gesellschaft. Meine Aufgabe wird es sein, die anthropologische Basis und die Funktionsweise bei der Einstellungen zu erklären. Wenn wir Fundamentalismus und offene Gesellschaft als Bestandteile der sozialen Wirklichkeit erfassen wollen, müssen wir einerseits ihre ideelle Struktur sowie ihre Funktionsweise darstellen und andererseits die zugehörigen Organisationsformen untersuchen. Wenn ich hier von Fundamentalismus spreche, habe ich nicht nur jene bedeutende Strömung christlicher Einstellungen im Sinne, die in der amerikanischen protestantischen Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts mit zutiefst konservativer Tendenz in Erscheinung getreten ist, sondern einen viel allgemeineren Begriff, dessen eine besondere Ausformung jene fundamentalistische Theologie ist. Der Charakter des amerikanischen Fundamentalismus äußert sich vor allem in folgenden fünf Punkten, die das Credo dieser Auffassungen definieren: 1. die Bibel ist absolut irrturnsfrei, 2. es gibt keine Zweifel an der Jungfrauengeburt Christi, 3. der Tod Jesu ist stellvertretendes Sühneopfer, 4. die leibliche Auferstehung Christi und 5. der Glaube an dessen Wiederkunft. Dieser Fundamentalismus war und ist - wie jede solche Einstellung - kämpferisch gegen das modeme Leben und die modeme Wissenschaft gerichtet. Jedweder Modernismus in der Theologie, das heißt die deutende Anpassung der religiösen Lehre an die modemen Wissenschaften, wurde abgelehnt. Die modemen Wissenschaften mit ihren evolutionären Konzeptionen, vor allem der Darwinismus, wurden proskribiert. Unter Fundamentalismus verstehe ich hier jene Haltung von Vertretern ideologischer Systeme - seien es Religionssysteme, politische Theorien oder philosophische Lehren -, die meinen, es gäbe eine grundlegende autoritäre Informationsquelle für die Erkenntnis des Wahren und Guten. Der krasse Gegensatz zur fundamentalistischen Einstellung ist das Bewußtsein, daß absolutes Wissen nicht erreichbar ist und daß daher der Conditio humana eine prinzipiell suchende Lebenseinstellung entspricht. Ich möchte unterstreichen, daß auch der Offenbarungsglaube nicht fundamentalistisch sein muß. Auch wer an Offenbarung glaubt, kann sich dessen bewußt sein, daß die Offenbarung als Information nur einen Ausgangspunkt darstellt, welcher

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Monofina1e Ideologien

der Deutung unterliegt, so daß eine Aktualisierung des Glaubensinhalts immer wieder erforderlich wird. Diese Aufgabe kommt der Theologie zu, die unter Umständen ziemlich undogmatisch arbeiten kann, wenn sie voraussetzt, daß das menschliche Verstehen auch im Rahmen religiöser Überzeugungen ein Suchen ist und daß auch in diesem Bereich eine Anpassung der Meinungen und Einstellungen an die aktuelle Welt erforderlich ist. Der kritische Rückblick auf die Geschichte der Theologie mit so manchen verheerenden Lehren und Praktiken (wie z. B. Judenverfolgungen, Hexenwahn und Inquisition 1) zeugt von der Fehlbarkeit der Theologie. Es gibt also sehr gute Gründe dafür, die Theologie als verbesserbares und suchendes Bestreben anzusehen und nicht als Quelle absoluter Wahrheiten. Den Begriff des Fundamentalismus beziehe ich nicht nur auf theologische Auffassungen und Programme, sondern ebenso auf politische Ideologien, ökonomische und soziologische Theorien, denn in allen diesen Bereichen können fundamentalistische Konzeptionen zur Geltung kommen. Der Fundamentalismus in der Politik und in den Wissenschaften ist ebenso gefährlich wie im Bereich der Religion. Den Begriff der offenen Gesellschaft fasse ich sehr allgemein; er drückt die Forderung nach geistiger Autonomie der Bürger aus. Niemand hat die objektive Wahrheit in der Tasche. Daher hat jeder das Recht, sich seine Meinung frei zu bilden, sie darzulegen und sie in effektiver Weise in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen. Die offene Gesellschaft gewährt Meinungs- und Redefreiheit, sowohl rechtlich als auch organisatorisch. Der Begriff der offenen Gesellschaft ist natürlich ein etwas vages Ideal. Die Forderung nach Offenheit steht unter der Idee der Humanität; sie legitimiert also keineswegs jede beliebige Einstellung. Vor allem aggressive Haltungen und Aufforderungen zu gesellschaftsschädigendem (strafbarem) Verhalten sind keine zulässigen Standpunkte. Das Strafrecht kann aber nicht ohne weiteres als Grenze und Maßstab des in der offenen Gesellschaft Zulässigen gelten, denn in ideologisch-diktatorischen Systemen kann - wie wir aus Erfahrung wissen - das ideologische Muß auch durch Strafrecht verordnet sein und durch das Strafrecht oder rechtliche Maßnahmen erzwungen werden. Die Idee der geistigen Offenheit der Gesellschaft dient nicht nur der Konstitution der selbstdenkerischen Autonomie; sie ist vielmehr auch ein gesellschaftlich produktives Prinzip, das eine positive Dynamik der geistigen, kulturellen und ökonomischen Entwicklung der Gesellschaft wahrscheinlich macht. Auch die autoritär-geschlossenen Gesellschaften pflegen Gremien zu haben, denen die Entwicklung und Aktualisierung der geistigen Haltungen obliegt. Dies gilt gleichennaßen für die politischen Diktaturen wie für dogmatisch geschlossene ReI Vgl. o. Weinberger, Angst vor dem menschlichen Wahn. In: A. Grabner-HaiderIO. Weinberger I K. Weinke (Hrsg.), Fanatismus und Massenwahn. Graz, Wien 1987 (S. 405 ff. dieses Bandes).

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ligionssysteme. Die Arbeits- und Wirkungsweise dieser Gremien ist aber ganz anders als die Auseinandersetzung in offenen Gesellschaften. In der offenen Gesellschaft ist der Kreis der Meinungsschöpfer prinzipiell offen. Jeder, der ernstlich etwas zu sagen hat, darf reden, darf zweifeln und kritisieren, Theorien konstruieren, sie testen und gesellschaftliche Lebensformen und Institutionen proponieren. Die Gremien der ideologisch geschlossenen Gesellschaften sind dagegen an fixierte Leitideen gebunden; sie arbeiten auf dem Boden eines vorangestellten Credo und dürfen dieses nur weiterentwickeln, nicht aber kritisch aufheben. Die Grenzen zwischen der Veränderung von Meinungen und der Entfaltung fidxierter Leitideen ist jedoch keineswegs starr. Es gibt daher, wenn auch meist durch organisatorischhierarchische Schranken begrenzt, eine gewisse Dynamik auch in geschlossenen Gesellschaften, sozusagen unter der Decke und meist in Form hermeneutischer und interpretativer Diskurse. Der essentielle Unterschied zwischen den geistigen Entwicklungen in offenen und geschlossenen Gesellschaften bleibt jedoch bestehen: in geschlossenen ideologischen Systemen muß sich das Neue als Fortentwicklung gegebener Konzeptionen legitimieren, in der offenen Gesellschaft ist dagegen Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit herrschenden Meinungen kein Kriterium der Rechtfertigung. Geistige Offenheit der Gesellschaft ist ein Ideal, das aber auch in den sogenannten freien Gesellschaften nicht perfekt realisiert ist. Die offene Gesellschaft pflegt den Diskurs der Meinungen auf der Basis rationaler Argumente. Hierbei ist es aber strittig, wie rationales Argumentieren definiert und in der Gesellschaft effektiv realisiert werden kann. Jeder Mensch ist nämlich der Gefahr von Vorurteilen ausgeliefert und vieles, was man als selbstverständlich ansieht, ist bei näherer Betrachtung gar nicht selbstverständlich. Wir haben historisch und kulturell bedingte Brillen auf, die manchmal Seh- und Wertungs störungen hervorrufen, und diese Brillen können wir nicht ohne weiteres ablegen. Geistige Offenheit bedeutet also auch selbstreflexive Kritik und die prinzipielle Bereitschaft, möglichst unvoreingenommen, sachlich und vernunftmäßig zu argumentieren. Gerade weil sich die Theorie und Praxis der Reklame, und zwar auch in den ideologischen und politischen Bereichen, so entwickelt hat, daß sie heute ein wesentlicher Faktor des gesellschaftlichen Geschehens ist, muß diese grundlegende Forderung der offenen Gesellschaft nach Sachlichkeit und Rationalität des Argumentierens besonders unterstrichen werden. Wer die ungeheuren Ausmaße von Reklame und Indoktrination - auch in der Politik der demokratischen Welt - erlebt, wird einsehen, wie schwierig es ist, Rationalität der Argumentation als Bedingungen des Funktionierens der offenen Gesellschaft klar zu definieren und in die Praxis unseres Denkens, unseres Meinungsstreits sowie in das politische Leben umzusetzen. Ich bekenne mich zur Idee der offenen Gesellschaft aus zwei gleichgewichtigen Gründen: aus meiner persönlichen Liebe zur geistigen Freiheit, die mein Leben bestimmt hat, und aus der Überzeugung, daß dies eine notwendige Vorbedingung des Friedens, der zwischengemeinschaftlichen Kooperation sowie des gesellschaftli-

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chen Fortschritts ist. Deswegen werde ich mir auch die Frage stellen, ob und wie Remedien gegen fundamentalistische Tendenzen gefunden werden können.

Gewißheits- und Heilssehnsucht Wieso erlangen fundamentalistische Tendenzen auch in einer Welt der entwikkelten Kultur und Technik bedeutenden Einfluß? Sollte nicht die geistige Kultur an und für sich ein Schutzwall gegen solche wissenschaftsfeindliche und philosophisch primitive Konzeptionen sein? Die Erfahrung zeigt, daß dies nicht der Fall ist. 2 Wie kann man das erklären? Meiner Meinung nach müssen hier zwei Momente in Betracht gezogen werden: 1. Das Faktum, daß die Lebensbedingungen der handelnden Person, die Ungewißheiten über den Tatsachenrahmen des Handelns und die Unklarheit des richtigen Weges als quälend empfunden werden, wodurch der Wunsch nach zweifelsfreien Überzeugungen und nach eindeutiger praktisch-moralischer Orientierung geweckt wird, und 2. die organisatorischen Tatsachen unserer Welt unterstützen die Verbreitung fundamentalistischer Tendenzen. In unserer Gesellschaft existieren mächtige ideologische Institutionen, die sich oft auch unkritische und rein emotionale Indoktrination zum Ziel gesetzt haben. Als handelnde Subjekte stehen wir unentwegt vor der Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen, für die wir keine ausreichende Orientierung haben. Wir wissen viel zu wenig über den faktischen Rahmen unseres HandeIns und ahnen nur einen Teil der Folgen, die unsere Handlungen haben können. Für die Aufgabe, optimal zu entscheiden, haben wir praktisch nie hinreichende Kenntnisse. Und was die Wertung und die moralische Rechtfertigung unseres HandeIns betrifft, gelangt eine kritische Betrachtung meist zum Ergebnis, daß wir in Wirklichkeit gar nicht so eindeutig wissen, ob wir nützlich und moralisch richtig handeln. Nun, ich weiß nicht, in welchem Ausmaß der Mann auf der Straße solche Reflexionen tätigt, doch hat er implizit sicherlich Zweifel und Unsicherheiten, die aus dieser Sachlage resultieren. Er erlebt eine gewisse Sehnsucht nach Gewißheiten, welche sein Handeln von den Problemen des Nicht-Wissens befreien würden. Er ist bereit, eine Führung zum Heil zu akzeptieren, wenn sie ihm vorspiegelt, daß sie den "wahren" Weg zum Guten anbieten kann. Der kritische Denker weiß, daß er mit Ungewißheiten und Zweifeln leben muß, er empfindet sich vielleicht gerade deswegen nur um so mehr als moralisches und verantwortliches Subjekt. Breite Schichten der Bürger werden aber durch die erlebte Ungewißheit und den alltäglichen Druck, einen Lebensweg finden zu müssen, zugänglich für eine Propaganda, die Heilsvorstellungen weckt und vorspiegelt, den objektiv richtigen Weg zu kennen. Der Traum von Gewißheit und von der Existenz der einzig richtigen Zielvorgabe ist die Basis für fundamentalistischen Glauben, und zwar gleichermaßen von religiöser wie von weltlicher Natur. 2

Vgl. Anmerkung 1.

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Diese Betrachtung ist natürlich kein Argument gegen Religion oder politische Programme, sondern bloß ein Plädoyer für kritisches Suchen und Zweifeln, und gegen die Vorstellung, daß bedingungslose Begeisterung die richtige Lebenseinstellung sei. Es ist ferner - wovon später noch die Rede sein wird - eine Warnung vor Ideologien, die ein einziges Ziel als absolut dominant setzen. Es gibt verschiedenartige Versuche, mit den beunruhigenden Ungewißheiten fertig zu werden. (a) Der Glaube an die menschliche Ratio meint, aus der reinen Vernunft Moral zu begründen oder durch gewisse meinungs bildende Diskursprozesse zu einer objektiv gültigen Moralkonzeption gelangen zu können. Beides ist täuschende Illusion: es gibt keine Möglichkeit, objektiv und ohne dezisionistische Momente Moral zu begründen, etwa aus der Struktur der praktischen Vernunft, ebenso wie Diskurse keinen Weg zur objektiven Richtigkeit darstellen. 3 Auch die Vorstellung, wissenschaftliche Erkenntnis könne an und für sich den Weg zur optimalen Lebenseinstellung - wenn schon nicht das objektiv Richtige - markieren, ist problematisch. Wissenschaft kann die Orientierung als Basis des Entscheidens verbessern, sie liefert aber keine objektiven Wertkriterien. Und es sind gerade die Wertkriterien, welche die Entscheidungen bestimmen. (b) Religiöser oder metaphysischer Glaube ist vielleicht ein unabdingbares Element der Conditio humana, welches die menschlichen Einstellungen bestimmt. Die entscheidende Frage ist jedoch, wie man zu diesen Überzeugungen steht. Meint man bedingungslos glauben zu müssen, und diesen Glauben jedem Wissen voransetzen zu sollen, hält man absolute Festigkeit des Glaubens für die höchste Tugend, auch wenn er dem klaren Wissen widerspricht, oder vielleicht sogar, weil er absurd ist, oder aber steht man zu dieser Überzeugung, weil man sie für die im Augenblick beste hält und bemüht sich um eine weitere Klärung oder Korrektur? In dieser Alternative, nicht in der Negation jedweden Glaubens liegt der Unterschied zwischen den fundamentalistischen und der offenen Lebenseinstellung. Im Sinne der geistigen Offenheit wird dann die metaphysische bzw. religiöse Glaubensfrage von der "unerschütterlichen" Glaubenswahrheit zur Frage "Was darf ich (vernünftigerweise) hoffen?,,4 Man wird vielleicht einwenden, nur die restlos überzeugte Begeisterung schafft starke gemeinschaftliche Aktivitäten, nicht aber das zweiflerisch, kritische Meinen. Ich möchte die Kraft der blinden Begeisterung nicht leugnen, aber auch auf deren moralische und soziologische Inadäquatheit hinweisen, ebenso wie auf die oft verheerenden Folgen unkritischer Begeisterungen. Die Menschen sind in Wirklichkeit nicht uniform, auch dann nicht, wenn sie derselben ideellen Gemeinschaft angehören. Blinde Begeisterung ist also eine Art der Vergewaltigung des menschlichen Wesens. Moralisches Verhalten als Aus3 4

O. Weinberge" Basic Puzzles of Discourse Philosophy, Ratio Juris 1992, S. 172 - 81. I. Kant. Logik, Einleitung III.

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druck der menschlichen Autonomie kann es nur in freien Gemeinschaften geben. Die Verherrlichung blinder oder argloser Begeisterung ist immer mit dem Machtstreben der ideologischen Führer verbunden, und nicht Ausdruck humanistischer Gesinnung oder gesellschaftlich konstruktiven Strebens. (c) In vergleichbarer Weise wie religiöse Glaubenssysteme wirken auch politische Ideologien, wenn sie als Doktrinen auftreten, die absolute Heilsvorstellungen zu wecken suchen, und vorgeben, den einzig möglichen Weg der Gemeinschaft zur idealen Gesellschaft zu kennen. Sowohl der Marxismus als auch der Liberalismus nehmen oft diesen Charakter an: der Marxismus, wenn er dogmatisch die materielle (wirtschaftliche) Determination aller Elemente der Kultur voraussetzt und Klassenkampf nicht nur als umfassende Realität des gesellschaftlichen Geschehens ansieht, sondern auch als das alleinige Mittel des Fortschritts postuliert; der Liberalismus, wenn er dogmatisch behauptet, daß der freie Markt und die monetäre Optimierung immer die gesellschaftlich optimale Lösung nicht nur der wirtschaftlichen, sondern aller gesellschaftlichen Probleme bringt. Nur das freie Spiel der Kräfte am Markt bewirke mittels der "unsichtbaren Hand" den besten Weg zum Wohlstand der Gesellschaft. Auch ein solcher Glaube ist fundamentalistisch.

Glaube und Macht

Ideologische Heilssysteme, vor allem Kirchen, haben ein markantes Verhältnis zur politischen Macht. Wer davon überzeugt ist, den einzigen Weg zum Guten zu kennen, fühlt sich in der Regel berechtigt, oder sogar verpflichtet, ihn nicht nur selbst zu gehen, sondern auch andere hierfür zu gewinnen. Er wird eine Organisation aufbauen, die diesen Zwecken dienen soll. Wirkungsvoll wird die Organisation gerade dann, wenn sie Macht hat oder mit Machtorganisationen verschränkt ist oder kooperiert. Die ideelle Begründung der Machtbestrebungen religiöser Systeme mag primär die Absicht sein, den Heilsweg allen, der gesamten Gemeinschaft zugänglich zu machen. Macht wird aber - wie die Geschichte zeigt - sehr schnell zum Selbstzweck, d. h. Kirchen kämpfen um Macht, nicht nur um auch andere Menschen für den Heilsweg zu gewinnen, sondern um an der Macht in der Welt teilzuhaben oder um die weltliche Macht zu beeinflussen. In zwei Formen treten Religionssysteme in politische Machtrelationen ein: in Form der gegenseitigen Unterstützung von Kirche und weltlicher Macht oder als politische Priesterschaft. Konstantin der Große und die christlichen Kirchen haben diese Allianz gegründet, als die weltliche Macht erkannte, daß das Wirken der Religion als ideologisch bindender Faktor und Stütze weltlicher Macht verwertet werden kann und als die Kirchen bereit waren, den weltlichen Machtträgem in dieser Richtung zu dienen gegen die Einräumung der Legalität der Religionsgemeinschaft und der Teilnahme an der weltlichen Macht. Diese Relationen wirken auch in der modemen Zeit. Es sei hier nur am Rande auf die Wesenssymbiose des Katholizismus mit dem Habsburgerreich hingewiesen. Die andere Form ist die Prie-

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sterschaft, bei der die Priesterschaft direkt staatlich-politische Funktionen ausübt oder / und die Religionsgesetze zum Bestandteil oder Richtigkeitskriterium des staatlichen Rechts und der staatlichen Machtausübung gemacht werden. Analog kann auch die politische Ideologie zur Herrschaft über die geistige Einstellung der Gesellschaft herangezogen werden. Dies war z. B. in den stalinistischen Systemen der Fall, wenn Marxismus als Konzeption in der Wissenschaft und Lehre sogar rechtlich vorgeschrieben war. Daß alle diese Momente der Durchdringung staatlichen Wirkens mit ideologischen Systemen das Dasein einer offenen Gesellschaft nicht nur behindern, sondern geradezu vernichten, ist evident. Daß staatlich gelenkte politische Propaganda, wie sie z. B. bei uns in Bezug auf die EU durchgeführt wird, wobei tendenziöse und Halbinformationen mit rein emotionaler Reklamepropaganda vermischt werden, uns von der demokratisch offenen Gesellschaft wegführt, ist wohl unbestreitbar.

Zwei Wege der rationalen Kritik Der Diskurs in der offenen Gesellschaft muß rational begründendes Überzeugen sein. Überreden, rein emotionales, reklameartiges Wirken macht die Möglichkeit eines Meinungsaustausches und der Herausbildung neuer Meinungen im Sinne der offenen Gesellschaft unmöglich. Die Grundlagen für die Meinungsbildung sind in der Regel keine logisch oder mathematisch strengen Beweise, sondern in hohem Maße Plausibilitätsbegründungen, und gerade bei diesen ist es nicht leicht, eine Grenze zwischen rationalem Überzeugen und Überreden, d. h. reklameartigem Wirken, zu ziehen. Im wesentlichen sind hier zwei Theorien von Interesse: die Perelmansche Definition der rational-rhetorischen Argumentation mit Hilfe des Begriffes des universellen Auditoriums und der diskurstheoretische Zutritt im Sinne von Habermas. Nach Perelman wird eine Argumentation zu einem rational plausibel-machenden Prozeß gerade dann, wenn die Argumentation als eine an das universelle Auditorium gerichtete Begründung aufgefaßt wird. 5 Die Argumentation ist für Perelman ein pragmatischer Prozeß, in dem der argumentierende Redner ein Auditorium von einer These überzeugen will. Der Prozeß der Erzeugung von Meinungen und praktischen Einstellungen ist oft weitgehend von subjektiven Situationen und intellektuellen sowie anderen Präferenzen des Auditoriums abhängig. Objektiviert - d. h. rationalisiert - kann dieses Überzeugen dadurch werden, daß der Redner ausschließlich mit solchen Argumenten arbeitet, die ihm für ein universelles Auditorium überzeugend zu sein scheinen. Der Begriff des universellen Auditoriums ist keine fixierte Realität, sondern - wie der Autor ausdrücklich sagt - eine regulative 5 Ch.Perelman/ L. Olbrechts-Tyteca, Traite de l' Argumentation. La nouvelle rhetorique. 2. Aufl., Brüssel 1970.

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Idee. Das universelle Auditorium ist eine kulturell gegebene Größe, vielleicht etwas vage, aber jedenfalls kein empirisch strikt feststellbarer Maßstab. Ist die Perelmansche Lehre eine gute Anweisung, wie man zur Definition der Vernunftmäßigkeit des Argumentierens und Plausibel-Machens gelangen kann? Sie ist nur insoweit nützlich, als sie das Abstellen des Begründens auf subjektive Präferenzen des Adressaten ausschließt und dadurch zu einer teilweisen Objektivierung beiträgt. Sonst ist sie aber kaum effektiv. Die Idee des universellen Auditoriums ist kulturabhängig; sie versagt daher immer dann, wenn es darum geht, neue Erkenntnisse und Einstellungen rhetorisch zu begründen. Und dies ist wohl der wichtigste Teil des gesellschaftspolitischen Argumentierens. Auch wenn man bestrebt ist, den Maßstab des universellen Auditoriums anzuwenden, ist nach dieser Auffassung die Praxis der Diskurse von den Vorstellungen und Auffassungen des Lebensmilieus der Argumentierenden bestimmt. Es gibt offenbar durch die jeweilige Epoche bestimmte Überzeugungen, Präferenzen, Voraussetzungen und sozusagen allgemein akzeptierte Meinungen, die eher Vorurteile als wohlbegründete Vernünftigkeit zur Geltung bringen. Die Idee des universellen Auditoriums versagt daher als Instanz der aufklärenden Kritik. In dieser Richtung verspricht die diskurstheoretische Konzeption bessere Ergebnisse. Nach Habermas ist die rationale Argumentation verknüpft mit einem interpersonalen Prozeß der Meinungsbildung und des Meinungsstreits. Seine Philosophie spricht von Diskursrationalität, wenn Thesen in einem Prozeß des herrschaftsfreien, personell offenen und zeitlich unbegrenzten Diskurses erzeugt werden oder als in einem solchen Prozeß konzertiert erachtet werden können. Habermas meint, daß Rationalität gerade durch die Vorstellung eines Prozesses des idealen Diskurses definiert sei. Durch Konsens in einem solchen Diskurs sei die Wahrheit definiert (Konsenstheorie der Wahrheit), ebenso wie das objektiv Richtige als Konsensergebnis des idealen Diskurses bestimmt ist. 6 Nun, die Diskursphilosophie mit ihrer Kollektivierung der Rationalität und mit der Konsenstheorie der Wahrheit ist für mich aus folgenden Gründen inakzeptabel: I. Die Richtigkeit der Gedankenoperationen, die Wahrheit der Erkenntnisse und die Rechtfertigung moralischer Grundsätze ist nicht abhängig davon, ob sie ein Einzelner oder eine Gruppe in Gemeinschaftsarbeit durchführt. 2. Es führt kein Weg vom übereinstimmenden Meinen der Diskursteilnehmer zur objektiven Wahrheit. 3. Diskurse führen nicht immer, und sicher nicht mit Notwendigkeit, zu einem eindeutigen Ergebnis, zu einer von allen akzeptierten Meinung. Da eine Konvergenz der Erkenntnis im Diskurs nicht nachgewiesen werden kann, ist der Begriff der Konsenswahrheit keine wohldefinierte Idee.

6 J. Habennas, Wahrheitstheorien. In: H. Fahrenbach, Wirklichkeit und Reflexion, PfulIingen 1937.

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4. Der Glaube an die Unfehlbarkeit kollektiven Meinens ist unbegründet. 5. Das wesentliche Moment der Erkenntnis und des Argumentierens, nämlich das Erfinden effektiver Forschungs- und Beweismethoden, wird ganz außer acht gelassen. Richtig ist aber, daß Prozesse der Analyse im eigenen einsamen Denken sowie in interpersonaler Kooperation eine kritische Entwicklung unserer Thesen und Einstellungen versprechen; aber die Voraussetzung, daß dies wirklich die Wahrheit oder das Optimum der rationalen Auffassung mit sich bringen muß, ist unbegründet. R.ationalität ist weder an einsames Denken noch an einen Prozeß der kollektiven Argumentation gebunden. Diese Momente sind für das Wesen der rationalen Relationen irrelevant. Vom Standpunkt des Begründens ist oft Mehrwegigkeit der Plausibilitätsüberlegungen verbunden mit relativem Abwägen der Alternativen entscheidend, und vom Standpunkt der gesellschaftlichen Prozesse der Meinungsbildung sind gerade die Postulate der offenen Gesellschaft relevant.

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Die realen Bedingungen des Lebens ermöglichen es niemals, in dem Sinne fundamentalistisch vorzugehen, daß man wirklich restlos auf die Grundlagen - z. B. auf die Offenbarung selbst zurückgreift. Jedem solchen Versuch stehen zwei Momente im Wege. Erstens die Unabdingbarkeit der hermeneutischen Perspektive des Verstehens, und zweitens die Notwendigkeit des Lebens, Meinungen, Vorstellungen von der Welt und praktische Programme den aktuellen Bedingungen anzupassen. Zwischen dem zu erfassenden Text und dem Verstehen in einem gegebenen Zeitpunkt steht immer die gedankliche Arbeit des Verstehensprozesses, der nie frei sein kann von Einflüssen des hermeneutischen Horizonts. Wenn man "zurück zu den Quellen" fordert, fordert man eigentlich eine rückschrittliche Weltauffassung, die aber in Wirklichkeit kein horizontloses Verstehen mit sich bringt, sondern eine starre Rückschrittsforderung ist, meist im Dienste gewisser Machtgruppen. z. B. des Klerus. Daß sich die Welt und die gesellschaftlichen Lebensbedingungen verändern, ist unbestreitbar. Eine Welt mit Atomwaffen, Computern und Chips bietet andere Voraussetzungen für die Lebensgestaltung als eine Welt, in der die Offenbarung stattfand. Kann man vernünftigerweise voraussetzen, daß alles, was einst galt, unverändert für ganz andere Bedingungen Geltung behält? Leben ist Anpassung, und wer dies nicht wahrhaben will, plädiert in Wirklichkeit für einen irrealen Traum oder für rückschrittliche und lebensunfähige Konzeptionen. Zwischen fundamentalistischen Tendenzen und monofinalen Einstellungen scheint mir ein Wesenszusammenhang zu bestehen. Monofinalismus, die Auffassung, daß es ein einziges grundlegendes und zentrales Ziel gibt, ist offensichtlich

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unverträglich mit der Idee der Offenheit des Weltbildes und der offenen Meinungsbildung in der Gesellschaft. Das Wahlen und Entscheiden ist in der Lebenspraxis des Einzelnen ebenso wie in jener von Gemeinschaften abhängig von komplexen Zweck-, Wert- und Präferenzsystemen. Einfacher gesagt: das Leben besteht nicht in der Verfolgung eines einzigen Zwecks - sei dieser noch so wichtig -, sondern in der Auffindung solcher Wege und Maßnahmen, die eine Menge verschiedener Bedürfnisse und Ziele in optimaler Ausgewogenheit zu befriedigen suchen. Trotz dieser natürlichen Struktur der dem Entscheiden und Handeln zugrundeliegenden Zwecksysteme zeigt sich in der gesellschaftlichen Realität oft, daß ein einziges Hauptziel dem gesamten politischen Leben als herrschende Grundidee vorangestellt wird. Und dies führt zu einer sehr bedenklichen Verzerrung der praktischen Verhaltensweisen, die fundamentalistische Konsequenzen hat und vernünftigem, allseitig ausgewogenem Werten und Handeln im Wege steht. Ich möchte unterstreichen, daß monofinale Einstellungen sowohl im Bereich religiöser Auffassungen als auch im weltlich-politischen Bereich feststellbar sind. Es gibt Religionskonzeptionen, die das gesamte Leben und Streben des Menschen einer einzigen Zielsetzung unterordnen wollen, der Errichtung des Gottesstaates und der Unterordnung des Menschen unter das einzige Ziel des gottgefälligen Lebens. Diese Einstellung setzt natürlich voraus, daß man im fundamentalistischen Sinne von vornherein genau weiß, was das gottgefallige Leben ist. Fundamentalistisch und monofinal war der stalinistische Marxismus mit seiner Erklärung des gesellschaftlichen Geschehens aus der historisch-materialistischen Sicht und aus dem Grundpostulat des proletarischen Klassenkampfes. Eine adäquate Lösung gesellschaftlicher Probleme wie Demokratie, Freiheit und Effektivität war auf dem Boden dieses monofinalen Denkens nicht möglich. Auch auf der anderen Seite - sagen wir in der Welt, die sich zur Demokratie bekennt - gibt es monofinale Einstellung und daher fundamentalistische Politik. Die Politik der Vereinigten Staaten war - wie ihr geistreicher Vizepräsident Al Gore schreibt - monofinal von der Idee des Anti-Kommunismus beherrscht. Dies führte z. B. dazu, daß die amerikanische Politik auch undemokratische Systeme und Diktatoren unterstützt hat, nur wenn man sich dessen sicher war, daß sie antikommunistisch agieren werden. 7 Leider hat dies aber oft - manchmal mit zeitlicher Verschiebung - der demokratischen Welt nicht unbedeutenden Schaden gebracht. Auch in den Bereich der Gesellschaftstheorie hat fundamentalistisches Denken Eingang gefunden. Man glaubt an Schlagworttheorien, wie z. B. an die Wirkung der "unsichtbaren Hand" und an die Fähigkeit des sogenannten freien Marktes, immer das gesellschaftlichwirtschaftliche Optimum zu erreichen. Schädliche Illusionen, die aufgrund einseitiger Zielsetzung viele reale Momente außer acht lassen. In fundamentalistischer Einseitigkeit beachtet man nicht, daß gewisse gesellschaftlich wesentliche Mo7 Al Gore. Wege zum Gleichgewicht. Ein Marshallplan für die Erde. Boston et al. 1992, S.269.

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mente in individuell-liberalistischer Sicht gar nicht zur Geltung kommen, und daher auch durch die unsichtbare Hand nicht realisiert werden können, z. B. Umweltund soziale Auswirkungen. Die fundamentalistische Einstellung neigt zu Argumentationen, die eristische Täuschungen verwenden. Man sucht im Sinne der Eristik, die bekanntlich darauf angelegt ist, unabhängig vom Wahrheits streben die schwächere Position zur stärkeren zu machen, den Diskussionspartner zu überreden, ihn durch emotionale und gegebenenfalls auch ganz unsachliche Argumente zu indoktrinieren, nur um ihn zur Annahme von Meinungen zu führen, für die wir plädieren. Man setzt dogmatisch voraus, daß man da absolut gültige Ziele kennt, sodaß es überflüssig wird, für diese Einstellungen zu argumentieren; es gehe - so meint man - also bloß darum, andere Menschen von dieser "Wahrheit" oder vom absolut Richtigen zu überzeugen. Ob man dies durch gültige Argumente macht oder durch Indoktrination und eristische Tricks, scheint manchen angesichts der Voraussetzung, daß man für die Wahrheit und das absolut Richtige wirbt, irrelevant. Politische Agitation hat - soweit sie nicht ganz zynisch unabhängig vom eigenen Glauben nur auf Stimmen und Machtgewinn aus ist - oft diese Struktur. Daß die eristische Vorgangsweise mit der Idee der offenen demokratischen Gesellschaft in tiefem Konflikt steht, ist offensichtlich. Es ist keine pia fraus, wenn man in der Politik propagandistisch täuschend und mit Halbwahrheiten argumentiert, sondern Verrat an der Demokratie, und zwar aus zwei Gründen: 1. die Thesen und Programme gelten nicht apriori, sondern nur aufgrund ihrer überzeugenden Begründungen, 2. der Bürger wird zynisch vom autonomen Gesprächspartner zum manipulierten Abstimmungsberechtigten degradiert. Der Weg zur offenen Gesellschaft Fundamentalistische Einstellungen sind nicht nur weit verbreitet, sie haben auch - wie ich zu zeigen versucht habe - gute Entwicklungschancen, weil sie sich auf entsprechende Organisationen stützen und die Neigungen des Menschen ausnützen, sich nach Gewißheit zu sehnen und vorgetäuschte Gewißheiten zu akzeptieren. Monofinale Weltanschauungen und Programme üben oft eine magische Überzeugungskraft aus, sodaß sie über kritische Vernunft obsiegen können. Es gibt keinen Königsweg zur offenen Gesellschaft, keine universell gültige und in jeder Situation realisierbare Anleitung, wie eine offene Gesellschaft konstituiert und gefördert werden kann. Die Situation ist aber keineswegs aussichtslos, denn es gibt auch bedeutende Kräfte, die sich positiv auf die geistige Offenheit und ihre Meinungsbildungsprozesse auswirken. Der Mensch sehnt sich auch nach klarem und kritischem Denken, das sich - wenn es einmal Platz gegriffen hat - nicht leicht ausmerzen läßt. Die Hinweise, die ich nun geben werde, können in vielen Situationen zur Offenheit der Gesellschaft beitragen, sie reichen aber dazu nicht aus, Offenheit zu garantieren.

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1. Zwischen dem Staat und ideologischen Organisationen (Kirchen, Parteien u.ä.) sollte eine weitgehende Trennung durchgeführt werden. Keine Organisation darf den Staat ideell beherrschen und der Staat selbst darf keine ideologische Propaganda betreiben. Er kann es zweifellos, doch wenn er ein demokratischer Staat bleiben will und das Ideal der offenen Gesellschaft anstrebt, darf er es nicht tun. Informations- und Propagandaministerien (auch wenn sie nur den Rang von StaatssekretärInnen haben) entsprechen totalitären Staaten, vernichten aber den offenen demokratischen Geist, weil sie immer zu Indoktrinationsinstanzen degenerieren, soweit sie nicht schon zu diesem Zwecke gegründet wurden. 2. In einer modernen Gesellschaft kann eine offene geistige Auseiandersetzung nur dann zustande kommen, wenn in der Gesellschaft verschiedene Instanzen bestehen, die zur Stellungnahme berufen sind und die organisatorisch und ideell voneinander möglichst unabhängig sind. 3. Die Pluralität von meinungsbildenden Instanzen muß begleitet sein von einer systematischen Institutionalisierung von Diskursen, die öffentlich sind und bei denen auch kritische und Minderheitenansichten breite Schichten erreichen können. Es gibt kein einheitliches Rezept, wie dies realisiert werden soll. Es muß eine angemessene Medienvielfalt existieren. In der demokratischen Gesellschaft sollten nicht nur die professionellen Journalisten zu Worte kommen, Streitgespräche auf verschiedenen Ebenen in sokratischem Geist sind der Nährboden der Demokratie. Leider sehen wir in der heutigen Zeit ein Vordringen rein emotional ausgerichteter Werbemittel. z. B. Großplakate. Es wird in der Politik nach den Methoden des sogenannten nicht-kommerziellen Marketings vorgegangen, das weniger auf Sachlichkeit ausgerichtet ist als die oft kritisierte Waschmittelwerbung. Manchmal wird das politische Marketing sogar aus staatlichen und nicht nur aus Mitteln der politischen Parteien finanziert. Die Sorge um die Demokratie scheint mir berechtigt. 4. Wegen der Notwendigkeit, eine große Anhängerschaft zu gewinnen, um im Kampf um Minderheiten zu bestehen, ist es unvermeidlich, in der Politik meinungsbildend zu agieren. Daß man hierbei nicht nur sokratisch und rational argumentiert, sondern zu eristischen Praktiken greift, ist leider eine Tatsache. Der kritische Diskurs - soweit er wirklich stattfindet - kann ein gewisses Gegengift gegen täuschende Eristik sein. Im Interesse der offenen Gesellschaft müßte eine Anti-Eristik entwickelt werden. Und die, denen es nicht um die Erlangung politischer Macht, sondern um eine demokratische geistige Welt geht, sollten mit Zivilcourage der täuschenden und rein emotionalen Propaganda in der Politik entgegentreten. Indoktrination steht heute leider auch in den Demokratien auf der Tagesordnung. Die demokratischen Denker und Sozialwissenschaftler sind hier aufgerufen: Rettet die Demokratie vor ideologischen Einpaukern. Leider kann man sich, auch wenn man ein kritischer Denker ist, vor den Auswirkungen von Propaganda und emotional ausgerichteter Reklame nicht schützen. Wenn man einer Reklame ausgesetzt ist, kann man durch das "Gegengift" der rationalen Analyse die Entstehung von Bekanntheit und von gewissen emotionalen

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Einstellungen nicht verhindern. Wenn ich immer wieder höre und lese: "Katzen würden Whiskas kaufen", kann ich mich dagegen nicht wehren, daß mir der Name "Whiskas" bekannt wird, und zwar als Bezeichnung eines Katzenfutters. Und es ist auch kaum vermeidbar, daß bei mir ein Gefühl entsteht, dies sei ein für Katzen schmackhaftes Futter. Alle diese Reaktionen sind unabhängig von meinen persönlichen Einstellungen und meinen Interessen. Die Verbreitung von Werbemethoden in der Politik sind eine Gefahr für die Demokratie und für die offene Gesellschaft mit ihrer prinzipiellen Rationalitätsforderung. 5. Eine Diskussion kann advokatisch oder suchend konzipiert werden. Wer in ein Gespräch eintritt, um letztendlich zusammen mit seinen Partnern bessere Meinungen zu erarbeiten, versteht sich, obwohl er im Grunde sein Auditorium von seinen Meinungen überzeugen will, im Prinzip als Suchender. Er achtet seine Gesprächspartner als Menschen, die guten Willens sind, zur Wahrheit und zu vernünftigen, praktischen Positionen fortzuschreiten. Wer aber von einer fix vorgefaßten Doktrin ausgeht, agiert als Advokat der Meinung, die er zu propagieren hat. Das Auditorium zu überreden, es für diese Meinung zu gewinnen, ist der Zweck seiner Argumentation. Dieser Meinung hat er sich verschworen, hierfür wird er bezahlt, nicht für die Einstellung einer wohlbegründeten Meinung. Die Themen und die Betrachtungen werden so ausgewählt, daß sie das Probandum jedenfalls in ein positives Licht stellen, Statistiken und Erhebungen so eingerichtet, daß sie belegen, was man begründen will. Die offene Gesellschaft ist nicht Sache der advokatischen Rechtfertiger, sondern der suchenden Denker. 6. Debattierende kämpfen nicht nur für ihre Meinung und ihre Ideen, sie streben auch danach, einen Sieg in der Debatte zu erlangen. In einer gegebenen Diskussionssituation sind die Erfolgschancen eines Argumentierenden durch die Überzeugungen der Epoche, durch die augenblicklichen Einstellungen des Auditoriums und durch Meinungsleader bestimmt. Der argumentierende Redner paßt sich dem Auditorium an, wenn er nur von seinem Erfolgswunsch angetrieben wird. Diese in gewissem Sinne natürliche Verhaltensweise - steht aber nicht im Einklang mit den Ideen des offenen und sachlichen Meinungsstreits. Hier ist moralisch-intellektuelles Gewissen wichtiger als Erfolg. Die demokratische Gesellschaft braucht dringender sachlich suchende Sokratiker als advokatisch erfolgreiche Redner.

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Quellenverzeichnis

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