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German Pages 877 [893] Year 1965
AUGUST BEBELS
BRIEFWECHSEL
MIT F R I E D R I C H
ENGELS
QUELLEN UND U N T E R S U C H U N G E N ZUR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN UND ÖSTERREICHISCHEN ARBEITERBEWEGUNG HERAUSGEGEBEN
VOM
INTERNATIONAAL INSTITUUT VOOR SOCIALE GESCHIEDENIS, AMSTERDAM DIREKTOR:
PROF.
D R . A . J . C.
VI
1965
MOUTON & CO LONDON
• THE H A G U E •
PARIS
RÜTER
AUGUST BEBELS BRIEFWECHSEL MIT FRIEDRICH ENGELS HERAUSGEGEBEN
VON
WERNER B L U M E N B E R G
1965
M O U T O N & CO L O N D O N • T H E H A G U E • PARIS
© GEDRUCKT PRINTED
MIT
COPYRIGHT
UNTERSTÜTZUNG
IN THE
NETHERLANDS
DER
RESERVED
DEUTSCHEN
BY M O U T O N
&
FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT CO-PRINTERS-THE
HAGUE
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort Häufiger benutzte Abkürzungen
vxi LI
Verzeichnis der Briefe
1
Briefe
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Register
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August Bebel
VORWORT I Die Veröffentlichung des Briefwechsels August Bebels mit Friedrich Engels erhält ihre Rechtfertigung durch die beiden hervorragenden Briefschreiber selbst. Friedrich Engels korrespondierte „als sozusagen Repräsentant des grossen Generalstabes der Partei" (70) 1 mit den Führern der sozialistischen Parteien vieler Länder und bemühte sich, ihre Ansichten aufeinander abzustimmen und gelegentlich ihre Aktionen zu koordinieren. August Bebel war der anerkannte Führer der deutschen Partei, die durch ihre Organisation, ihre Wahlerfolge und ihre parlamentarische Tätigkeit das Vorbild der sozialistischen Parteien der II. Internationale in den frühen neunziger Jahren wurde, in denen der Schwerpunkt dieses Briefwechsels liegt. Dadurch gewinnt er besondere Bedeutung für die Herausbildung der Grundsätze der politischen Theorie und Praxis der Sozialdemokratie, die in jenen Jahren im wesentlichen abgeschlossen wurde. Der Briefwechsel wird zum erstenmal geschlossen und so vollständig wie möglich veröffentlicht. Er umfasst 319 Briefe, und zwar 96 Briefe von Engels an August und Julie Bebel und 216 Briefe dieser beiden an Engels; ferner 5 Briefe von Bebel an Marx sowie einen Brief Bebels an den Generalrat der IAA., den Marx als Sekretär des Generalrats für Deutschland erhielt. Angesichts der engen Zusammenarbeit der Londoner Freunde bedarf die Aufnahme der Marx-Briefe keiner Begründung. Briefe von Marx an Bebel existieren nicht, wenn wir von dem auch in Marx' Namen von Engels verfassten Brief an Bebel u.a. von Mitte September 1879 (17) absehen. Der Inhalt eines MarxBriefes an Bebel vom Juli 1869 ist einem Briefe Marx' an Engels (4 Anm. 1, 4), der Inhalt eines Briefes von Marx und Engels an Bebel vom Juli 1879 einem Briefe Bebels an Vollmar (15 Anm. 1) zu entnehmen. Schliesslich wurde der im Auftrag der Fraktion geschriebene Brief Liebknechts und Fritzsches an Engels hinzugefügt (19), den Bebel übersandte und der eine Ergänzung seines eigenen Briefes vom 23. Oktober 1879 (18) bildet. Die Briefe werden nach den Originalen abgedruckt, die im Internationalen Institut für Sozialgeschichte zu Amsterdam aufbewahrt werden. Lediglich für sechs Briefe (1, 5, 6, 10, 11, 12) wurde, da die Originale fehlen, der Abdruck in Bebels 1
Die Zahlen in Klammem bezeichnen die Nummern der Briefe dieser Ausgabe.
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Erinnerungen Aus meinem Leben zugrunde gelegt. Auch bei Briefen, die bereits früher abgedruckt wurden, folgen wir den Originalen, wodurch unser Text häufig von dem anderer Veröffentlichungen abweicht. Die Engels-Briefe unserer Sammlung wurden bis auf einen Brief bereits früher veröffentlicht. Allerdings wurde ein bereits kurz nach Engels' Tode gefasster Plan, seine Korrespondenz zu veröffentlichen, nicht verwirklicht. Schon im September 1895 erliessen Bebel und Bernstein, die testamentarischen Erben von Engels' literarischem Nachlass, einen Aufruf 2 an alle, die Engels-Briefe im Besitz hatten, ihnen diese im Original oder abschriftlich zur Verfügung zu stellen. Als Zweck gaben sie dabei an: „ E s handelt sich darum, diese Briefe, von denen eine Anzahl einen hohen zeitgeschichtlichen Wert hat, zusammenzustellen und aus ihnen, resp. mit ihrer zweckentsprechenden Veröffentlichung das Bild der ausserordentlichen Eigenschaften und Betätigungen des Verstorbenen darzustellen, den Schatz von Belehrung und Anregung, den sie enthalten, auch weiteren Kreisen zugängig zu machen." Der Plan wurde nicht ausgeführt. Bebel selbst veröffentlichte nur wenige der an ihn gerichteten Briefe Engels' im zweiten und dritten Bande seiner Lebenserinnerungen. Es dauerte dreissig Jahre, bis die erste grössere Ausgabe zustande kam, und zwar erfolgte sie, die Engels-Briefe bis zum Jahre 1886 umfassend, zusammen mit Briefen von Marx und Engels an Liebknecht, Kautsky u.a. in russischer Sprache; 3 ihr folgte bald eine deutsche Ausgabe derselben Briefe. 4 In Deutschland erschien eine Ausgabe der Engels-Briefe im Jahre 1958.5 Sie enthielt 97 Briefe. Die Abweichung von unserer Zählung ergibt sich daraus, dass die als Nr. 56-57 der Berliner Ausgabe aufgeführten Briefe vom 29. September und 1. Oktober 1891 einen Brief bilden und ebenso die Briefe Nr. 86-87 vom 29. November 1892. Dagegen wird der Brief Nr. 73 vom 19. Januar 1885 zum erstenmal veröffentlicht. Möglicherweise bildeten auch die Briefe Nr. 12 und 13, Berliner Ausgabe Nr. 3 und 4, einen Brief, der dann „12.-15. Oktober 1875" zu datieren wäre. Auf dem Fragment des zweiten Briefes ist dieses als zum Brief vom 12. Oktober gehörig bezeichnet. Wir konnten uns jedoch nicht zur ZuDie Neue Zeit, X I V . Jahrg. (1896), Bd. I, S. 27. Im Archiv Marksa i Engel'sa, Bd. I (VI) (Moskau, 1932). 4 Karl Marx—Friedrich Engels, Briefe an A. Bebel, W. Liebknecht, K. Kautsky und Andere, Teil I: 1870-86. Besorgt vom Marx-Engels- Lenin-Institut Moskau, unter Redaktion von W. Adoratski, Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der U d S S R (Moskau-Leningrad, 1933). 5 Friedrich Engels, Briefe an Bebel. Besorgt vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Z K der S E D (Berlin, 1958). 2
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sammenfügung der Fragmente entschliessen und bringen sie so, wie sie vorliegen. Die deutsche Ausgabe der Engels-Briefe macht ihre neuerliche Veröffentlichung nicht überflüssig. Die Herausgeber der Berliner Ausgabe teilen mit,6 dass ihnen nur Maschinenabschriften der EngelsBriefe vorlagen. Diese vermutlich für Gustav Mayer angefertigten Abschriften sind nicht gut. Es fehlen in ihnen nicht nur ganze Absätze und Postskripta; auch die Entzifferung ist sehr fehlerhaft. Daher finden sich in unserem auf die Originale zurückgehenden Text ausserordentlich viele Abweichungen von den früheren Ausgaben. Anders verhält es sich mit den Briefen Bebels. Sie sind bis auf die wenigen von Bebel selbst sowie von Kautsky, dem Herausgeber des dritten Bandes der Erinnerungen Bebels, in seinem „Nachwort" mitgeteilten Briefe nicht veröffentlicht. Wohl hat Gustav Mayer in seiner Engels-Biographie die Briefe Bebels benutzt, soweit sie ihm für seine Darstellung wertvoll zu sein schienen; und gelegentlich wurden Zitate aus den Briefen in anderen Arbeiten verwertet. Aber da alle Äusserungen ihre Färbung durch die Umstände erhalten, in denen sie fielen, und da sie aus diesem Zusammenhang verstanden werden müssen, ist es notwendig, gerade diese Briefe unverkürzt zu besitzen. Darin unterscheidet sich unsere Ausgabe von den beiden obengenannten Ausgaben. Wir sehen in diesen Briefen eine wichtige Quelle zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, und niemand wird leugnen wollen, dass für ein Verständnis der Geschichte dieser Bewegung die Äusserungen ihres Hauptwortführers wenigstens ebenso wichtig sind wie die Äusserungen von Engels. Die Briefe unserer Sammlung verteilen sich sehr ungleichmässig auf die verschiedenen Zeitabschnitte. Während aus den siebziger Jahren nur je 9 Engels- und Bebel-Briefe vorhanden sind, besitzen wir aus den achtziger Jahren 42 Briefe von Engels und 70 Briefe von Bebel. Für die neunziger Jahre wird das Ergebnis günstiger: aus den Jahren 1890-93 liegen 44 Briefe von Engels vor, dagegen aus dem Jahre 1894 nur ein an Bebel und Singer gerichteter Brief (307), und aus dem Jahre 1895 existiert kein Brief. Jedoch können wir 136 Bebel-Briefe aus den Jahren 1890-95 veröffentlichen, wodurch die Kontinuität der Korrespondenz erhalten wird. Der Briefwechsel ist also, wie das Verhältnis 96 : 216 zeigt, keineswegs vollständig. Nicht einmal alle Bebels-Briefe sind erhalten. Bebel selbst sagt,7 dass „die meisten" seiner Briefe nach Engels' Tod in seinen Besitz kamen; er gibt an,8 dass Engels' Briefe an ihn von 1875 6
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Ebd., S. 6. A. m. L., Bd. II, S. VII. Ebd., Bd. III, S. 50.
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an abhanden kamen, sie seien erst wieder vom Jahre 1879 an vorhanden. Wie viele der Engels-Briefe verloren sind, wissen wir nicht. Wahrscheinlich war ihre Zahl jedoch ebenso gross wie die der BebelBriefe. In Anmerkungen wurde nur dann auf das Fehlen von EngelsBriefen hingewiesen, wenn auf sie in Bebels Briefen Bezug genommen wurde. Es war möglich, den Inhalt von sicherlich neun EngelsBriefen 9 der vorzüglichen Ausgabe des Briefwechsels Engels' mit Laura und Paul Lafargue 10 zu entnehmen. Die Lückenhaftigkeit des Briefwechsels hat zwei Ursachen. Die ungleiche Verteilung der erhaltenen Briefe auf die einzelnen Jahre zeigt, dass die eine Ursache das Bestehen des Sozialistengesetzes war. Bebel selbst wies bei der Abfassung seiner Lebenserinnerungen darauf hin,11 dass es in bestimmten Zeitabschnitten seines Lebens gefährlich gewesen sei, Briefe aufzuheben, wollte man nicht zum Denunzianten an anderen und sich selbst werden. Da die Sozialistenführer ständig Gefahr liefen, einer Haussuchung oder körperlichen Durchsuchung unterworfen zu werden, verbot es sich von selbst, Briefe aufzuheben, da sie als belastendes Material dienen konnten. Es war sogar ein Prinzip des illegalen Kampfes, den die Sozialdemokratie zu führen hatte — und es wurde den Mitgliedern eingehämmert —, nichts aufzuheben.12 Bebel selbst gab diesen Rat, und in den „Ratschlägen für die sozialistische Agitation"13 waren für die Behandlung aller Postsachen auf » S. Briefe Nr. 127 Anm., 1; 131 Anm. 1; 132 Anm. 1; 135 Anm. 1; 136 Anm 1; 149 Anm. 1; 273 Anm. 1, 3. 10 Friedrich Engels—Paul et Laura Lafargue, Correspondance. Textes recueillis, annotés et présentés par Êmile Bottigelli, Traductions de l'anglais par Paul Meier, Bd. I-III (Paris, Éditions Sociales, 1956-59). 11 A. m. L., Bd. I, S. Vllf., Bd. II, S. VII. 12 Nach der Verhängung des kleinen Belagerungszustandes über Leipzig am 29. Juni 1881 wurde folgender Handzettel verbreitet: „Motto: Gebt mir drei Zeilen von einem Menschen, und ich bringe ihn an den Galgen. Fouché, weiland Oberpolizeimeister Napoleon I. — Die Polizei geht umher, wie ein „brüllender Löwe" und suchet, welchen sie verschlinge, auch giebt es heute viel Schlangen und Otterngezücht in Deutschland, das ehrliche, überzeugungstreue Leute zu verderben trachtet. Daraus folgt als Lehre: Ein richtiger Mann hebt von Parteifreunden keine Briefe auf und seien diese noch so harmlos; er schreibt selbst solche nur mit grösster Vorsicht, damit er andere nicht kompromittiert; Adressen lässt er nicht finden; Drucksachen, die Unberufene nichts angehen, bringt er unfindbar bei Seite; den Fragen der Polizei gegenüber ist er stumm wie ein Fisch, und überlegt sich zehnfach, was er vor Richtern sagt. Wer anders handelt, ist ein E . ..! Die offiziellen Organe der sächs. Regierung führten unter den „Gründen" für die Verhängung des kleinen Belagerungszustandes über Leipzig u.a. an, „dass in Deutschland vielfach bei Haussuchungen Briefe der Leipziger „Führer" gefunden worden seien", und heute ist Niemand auch nur einen Augenblick vor einer Durchsuchung seiner Person und einer Haussuchung sicher." 13 Druck und Verlag von L. Hübscher (Hottingen, o.J.}, S. 14f. S. Brief Nr. 97 Anm. 5.
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Grund der Erfahrungen eingehende Anweisungen gegeben. Jeder Brief sollte sofort nach Empfang gelesen und vernichtet werden, und sei der Inhalt noch so harmlos; sehr nachahmenswert sei die Gewohnheit Brackes, alle Briefe nach der Lektüre sofort zu verbrennen,14 Bebel behielt diese Gewohnheit auch nach dem Ablauf des Sozialistengesetzes bei. Ende 1891 bat er Engels (162), gewisse Briefe, die er über Liebknecht geschrieben habe, zu vernichten: „Du hast die Gewohnheit, die Briefe aufzuheben; etwas, was uns nur ganz ausnahmsweise passiert." Die andere Ursache für das Verlorengehen vieler Briefe war Bebels ausserordentliche Lässigkeit in der Behandlung von Archivstücken, die in auffallendem Widerspruch steht zu seinem obenerwähnten mit Bernstein erlassenen Aufruf, Engels-Briefe zu sammeln. Bei der Abfassung seiner Erinnerungen waren ihm Briefe und sonstiges Material willkommene Gedächtnisstützen. Soweit dieses Material noch vorliegt, zeigt es, dass Bebel es mit einem Blaustift sehr rücksichtslos „redigierte"; auch die Engels-Briefe, die er zum grossen Teil im dritten Bande verwerten wollte. Unnötig zu sagen, dass auf diese redaktionellen Bearbeitungen bei der Herausgabe keine Rücksicht genommen wurde. Nur wenn eine Stelle wirklich durch dicke Tintenübermalung völlig unleserlich wurde, ist darauf hingewiesen. Nachdem Bebel das Material benutzt hatte, scheint es für ihn keinen Wert mehr gehabt zu haben. Er vernichtete wiederholt viel Material, da er sich durch „zuviel Papier" manchmal geradezu bedrückt fühlte.15 Kautsky teilt mit,16 dass Bebel für den dritten Band der Erinnerungen umfangreiches, bis zum Jahre 1890 reichendes Material zusammengetragen habe, „Briefe, Dokumente, Zeitungsausschnitte, Exzerpte, Flugschriften und dergl. mehr". Es ist möglich, dass die bewahrten Briefe den heutigen Bestand des Bebel-Nachlasses bilden, der bei Bebels Gleichgültigkeit diesen Dingen gegenüber recht dürftig ist. Er hat wirklich „nur ganz ausnahmsweise" Briefe aufgehoben. Die grösste Sammlung der an Bebel gerichteten Briefe, die sich in seinem Nachlass vorfanden, ist die der Engels-Briefe. Danach kommen die 24 Briefe Victor Adlers an Bebel, die Friedrich Adler zusammen mit 134 Briefen Bebels, die Victor Adler aufgehoben hatte, veröffentlichen konnte.17 Dann folgt dem Umfang nach eine Sammlung von kaum 20 Briefen Kautskys an Bebel. Dass ihre Korrespondenz aber einen grossen Umfang hatte, geht daraus hervor, dass Kautsky etwa 270 an ihn Ebd. Friedrich Adler in Victor Adler, Briefwechsel mit August Bebel und Karl Kautsky (Wien, 1954), S. XXI. 16 A. m. L„ Bd. III, S. Vllf. 17 In der Anm. 15 genannten Ausgabe.
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gerichtete Briefe Bebels aufhob.18 Nur neun Liebknecht-Briefe hob Bebel auf, Liebknecht dagegen 121 Bebel-Briefe. Gegenüber diesem Verhältnis muss das Vorhandensein von 96 Engels-Briefen immerhin noch als recht günstig bezeichnet werden. Alle Briefe werden unverkürzt veröffentlicht. Versteht sich das von selbst für die Briefe vorwiegend politischen Inhalts, so sei es ausdrücklich betont für die Briefe persönlichen, intimen Charakters. Es wurden auch die Briefe von und an Julie Bebel und Louise Kautsky aufgenommen, die manchmal im Auftrage August Bebels bzw. Engels' schrieben. Louise Kautsky führte Engels' Haushalt seit 1890. Zu ihr trat Bebel in ein vertrauteres Verhältnis, und sie nimmt daher im Briefwechsel dieser letzten Jahre einen besonderen Platz ein. Wir glaubten es daher nicht verantworten zu können, die rein persönliche Dinge behandelnden Teile der Briefe zu kürzen.
II Das persönliche Verhältnis ist deutlich, in dem die Korrespondenten zueinander standen. Bebel wird im Marx-Engels-Briefwechsel nur selten erwähnt;19 aber beide sahen bald in ihm den zuverlässigsten deutschen Arbeiterführer, der den ihnen seit langem bekannten Liebknecht bei weitem überrage. Besonders nach seinem ersten Besuch in London im Dezember 1880 wurde Bebel der deutsche Sozialdemokrat, mit dem sie wichtige Fragen am liebsten behandelten. Engels hielt Bebels Mitteilungen für die einzigen, die unbedingt als zuverlässig anzunehmen seien (65). Er gab seiner wachsenden Zuneigung wiederholt Ausdruck (53, 65, 193, 242), am schönsten in dem Gratulationsbrief zu Bebels silberner Hochzeit, nachdem diesen Engels' Veröffentlichung des Marxschen „Programm-Briefes" ernstlich verstimmt hatte: „ . . . es leben nicht viel Leute, denen ich so aufrichtig und so herzlich zu einem solchen Fest meine Glückwünsche darbringen kann, wie Dir. Seit wir zusammen korrespondiert und uns dann persönlich nähergetreten, habe ich fortwährend eine Übereinstimmung der Denkrichtung und Denkweise zwischen uns bemerkt, wie sie zwischen Leuten von so verschiedenem Entwicklungsgang förmlich wunderbar ist. Das schliesst — glücklicherweise — nicht aus, dass man auch über manche Punkte nicht übereinstimmt... Und ich wenigstens segne noch heute den Tag, wo Du mit mir in regelmässigen Briefverkehr 18 Sie befinden sich in Kautskys Nachlass; ihre Veröffentlichung wird vom IISG. vorbereitet. 19 Marx an Engels 29. März 1869, Engels an Marx 6. April 1869, 26. August 1879, Marx an Engels 16. September 1882, Engels an Marx 9. Januar 1883.
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tratest" (155). Als Engels seine Korrespondenz aufs äusserste einschränken musste, war die mit Bebel die einzige, die er stets mit Freude besorgte (213). Bekannt ist Marx' Urteil nach der Falschmeldung von Bebels Tod: Bebel war „eine einzige Erscheinung innerhalb der deutschen (man kann sagen innerhalb der „europäischen") Arbeiterklasse".20 Auf diesen Ton sind auch Engels' weitere Urteile über Bebel gestimmt. An J. Ph. Becker am 15. Oktober 1884: „Er ist der klarste Kopf in der ganzen deutschen Partei und dabei durch und durch zuverlässig und nicht zu beirren." An L. Schorlemmer am 28. Mai 1892: „ . . . und die Kräfte Bebels müssen geschont werden. Das ist ein solcher Prachtkerl, wie wir einen zweiten nicht wieder kriegen." In einem Brief an P. Lafargue vom 5. Dezember 1892 nannte er ihn „l'homme le plus clairvoyant, le plus sensé, le plus énergique du parti allemand". Es dürfte keinen Sozialisten geben, an dem Marx und Engels so wenig zu kritisieren fanden, wie an Bebel. Von dessen Freundschaft zu dem zwanzig Jahre älteren Engels sprechen viele der vorliegenden Briefe. Von ihr spricht Bebel auf der der Persönlichkeit des Freundes gewidmeten Seite seiner Erinnerungen,21 und von ihr zeugte er in seiner Ansprache bei der Trauerfeier an Engels' Sarge in der Wartehalle der Westminster Station am 10. August 1895.22 Er rühmte dankbar Engels' nie versagende Bereitwilligkeit, jederzeit Rat und Aufschluss zu geben und Verworrenes zu klären. Keine Bewegung in irgendeinem Lande, deren Führer sich nicht in dem einen oder anderen Falle um Rat, Auskunft und Belehrung an den internationalen Vertrauensmann des Proletariats gewandt und diese stets bereitwillig erhalten hätten.
III Nicht so einfach sind die politischen Beziehungen der Korrespondenten. Sie wurden nach den bisher bekannten Briefen Engels' an Bebel so dargestellt, dass Engels in vielen Briefen systematisch als Leiter der deutschen Parteiangelegenheiten im Einverständnis mit Marx aufgetreten sei; dass er der Partei Direktiven gegeben habe. Bebel habe sich besser als jeder andere die Richtlinien von Marx und Engels angeeignet und unter der unmittelbaren Führung der beiden für den revolutionären Charakter der Partei gekämpft. Diese beiden seien jedoch die praktischen Leiter der Arbeiterbewegung gewesen, in 20 21 22
Marx an Engels 16. September 1882. A. m. L., Bd. III, S. 170f. Victor Adler, Briefwechsel mit August Bebel und Karl Kautsky, S. 183f.
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diesem Falle der deutschen Partei.23 Auch die Herausgeber der Berliner Ausgabe der Engels-Briefe stellen die führende Rolle von Marx und Engels gegenüber der deutschen Sozialdemokratie fest. Ihre Direktiven und Ratschläge hätten ohne Zweifel Bebel geholfen, einen im wesentlichen richtigen Weg zu gehen.24 Natürlich entging W. Adoratski die häufige Diskrepanz zwischen gewissen Äusserungen von Marx und Engels und der politischen Praxis der Sozialdemokratie nicht. Er glaubte sie leicht mit einem ernsten Tadel Bebels lösen zu können: „ . . . Doch war selbst dieser beste Vertreter der deutschen Sozialdemokratie noch lange nicht frei von opportunistischen Fehlern. Selbst in der besten Epoche seiner Wirksamkeit nahm er in einer Reihe von Fragen gegenüber dem Opportunismus eine versöhnlerische Haltung ein." 25 Systematisch wurde diese Einschätzung von einer durch Lenins Erkenntnisse vervollkommneten Geschichtsbetrachtung ausgebildet, die sehr freigebig im Erteilen von — meist schlechten — Zensuren ist, von denen auch Engels nicht verschont bleibt.28 Vor einer solchen Einschätzung von Marx und Engels als systematischen Leitern der Parteiangelegenheiten, die Direktiven erteilten, die einfach zu befolgen waren, und deren Nichtbefolgung sie als Fehler gerügt hätten, konnte allein schon Bebels eigene Aussage bewahren, die in einer Fussnote akzentuiert wurde: „Ich muss meinerseits konstatieren, dass Marx und Engels in ihrem Briefwechsel mit mir sich nie anders denn als Ratgebende gezeigt haben, und ihr Rat wurde von mir in mehreren sehr wichtigen Fällen nicht befolgt, weil ich mir aus der Lage der Dinge heraus die bessere Einsicht zuschrieb."27 Hierauf stützte der erste Biograph Bebels schon in dessen Todesjahr seine Darstellung, alle Ehrfurcht habe Bebel nicht gehindert, einen Ratschlag aus London, wenn er ihn für irrig hielt, beiseite zu legen und nach eigenem Ermessen zu handeln.28 Handelt es sich bei den obenerwähnten um Fehlurteile, die zum Teil vielleicht aus dem bisherigen Unbekanntsein der Bebel-Briefe zu erklären sein mögen, so vereinfacht doch auch Gustav Mayers zusammenfassende Darstellung die Beziehungen Engels' zu Bebel zu Moskauer Ausgabe, s. Anm. 4, S. Vllf., X. Berliner Ausgabe, s. Anm. 5, S. 5. 25 Moskauer Ausgabe ebd. 26 S. etwa H. Bartel, Friedrich Engels Kampf für die Schaffung einer marxistischen Arbeiterpartei in Deutschland (Berlin, Dietz Verlag, 1956). S. 16 wird gerügt, dass später bei Engels der Gedanke „in Vergessenheit geraten" sei, „die spezifische Form der Diktatur des Proletariats müsse eine politische Organisation vom Typus der Pariser Kommune sein und nicht die parlamentarische, demokratische Republik." S. dazu Brief Nr. 160. 27 A. m. L„ Bd. I, S. 216. 28 H. Wendel, August Bebel (Berlin, 1913), S. 63. 23
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sehr;29 denn er kannte bereits die Briefe Bebels, aber benutzte sie, was in einer Biographie Engels' verständlich ist, vor allem zur Darstellung der politischen Führerrolle seines Helden. Die Tatsache, dass Engels' Vertrauensverhältnis zu Bebel unbedingter war als zu Liebknecht, führt Mayer darauf zurück, dass Bebel nach Herkunft und Instinkt dem Proletariat noch näher gestanden habe als Liebknecht und die Intellektuellen mit grösserer Kritik betrachtete. Engels habe Bebel ferner ein nüchterneres Urteil gegenüber konkreten politischen Situationen zugetraut, wenn dieser auch in seinem naiven Optimismus das Tempo der Entwicklung leicht überschätzt habe. In theoretischer Hinsicht habe er Engels jedoch des öfteren enttäuscht, bis es diesem „schliesslich gelang, ihn zu seinem Adepten zu machen". Nun bildete sich Bebels Auffassung vom Charakter der Partei als Klassenpartei, die eng zusammenhängt mit der politischen Perspektive oder Zukunftserwartung, weniger durch das Studium und auch nicht allein durch Liebknechts Unterweisung, sondern vielmehr vor allem durch die tägliche Erfahrung im politischen Kampfe; und diese Auffassung war, als der Briefwechsel begann, bereits gefestigt. Seine Übereinstimmung mit Engels ist hierin, wie in anderen grundsätzlichen Fragen, vollkommen. Was die Taktik angeht, die Haltung gegenüber konkreten politischen Situationen, so ist es unbestreitbar, dass nicht Engels, sondern Bebel der Beeinflussende ist. Dabei überboten beide Korrespondenten allerdings in der Überschätzung des Tempos der Entwicklung einander häufig, und hier ist wieder ein solcher „naiver Optimismus" gerade bei Engels besonders bemerkenswert. Engels selbst gab zu, er entscheide sich über keinen Punkt in Beziehung auf deutsche Parteitaktik, ehe er Bebels Meinung darüber in einer seiner Korrespondenzen für die Wiener Arbeiter-Zeitung oder in einem Briefe gelesen habe; Bebel habe eine „wunderbar feine Nase".30 Bebel sprach sich über die Beeinflussung noch deutlicher aus: Er beeinflusse Engels mehr als dieser ihn, und das könne Liebknecht, der sein ganzes Leben mit Engels auf dem Kriegsfusse gestanden habe, nicht verstehen.31 Zu den „sehr wichtigen Fällen", in denen Bebel den Rat des Freundes nicht befolgte oder seine Meinung ablehnte, gehören die Vereinigung der beiden sozialdemokratischen Parteien in Gotha 1875 und die Zurückdrängung des lassalleschen Einflusses, — eine Differenz, die nach der Veröffentlichung des Marxschen „Programm-Briefes" 1891 wieder aufklingt; die Gründung und Haltung des Züricher Sozialdemokrat, 1879-80, die Frage der Dampfersubvention 1885, die poli28 80 31
G. Mayer, Friedrich Engels, Bd. II, S. 279f. An Sorge 12. April 1890. An Victor Adler 7. November 1893.
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tischen Forderungen des Erfurter Programms 1891, die Militärpolitik 1893. In die bereits seit 1872 im Gang befindliche Diskussion über die Vereinigung der beiden sozialdemokratischen Parteien greifen die Londoner ein, da sie befürchten, dass die Eisenacher dem lassalleschen Einfluss zuviel Konzessionen machen und selbst den Volksstaat nicht frei davon halten (7). Bebel nimmt mit Recht an, dass Engels sich auf unzutreffende Mitteilungen Hepners stützt; er selbst wünscht eine Zerstörung des Lassalle-Mythos und bittet Marx vergeblich um eine klare Darlegung seiner theoretischen Auffassungen gegenüber denen Lassalles (5, 6). Allerdings wehrt er sich dagegen, da ihm Marx' und Engels' Meinung über Lassalle nicht unbekannt ist, dass durch ein rücksichtsloses Vorgehen die Gefühle grosser Massen verletzt werden. Man dürfe nicht vergessen, dass Lassalles Schriften die Grundlage der sozialistischen Anschauung der Massen seien; sie seien zwanzigmal mehr verbreitet als andere sozialistische Schriften. Überhaupt könne Engels von London aus unmöglich die deutschen Verhältnisse genau beurteilen, eine Vorhaltung, der wir häufig begegnen (5, 11, 18, 21, 28, 69). Schon 1875 fragt Bebel an, ob Engels nicht einmal Deutschland besuchen wolle, „Sie sitzen in England wie eingerostet" (11); 1884 hielt er es für dringend wünschenswert, dass Engels einmal vier bis sechs Wochen durch Deutschland reise, um die „totale Umgestaltung von Land und Leuten" gegenüber der Zeit, die Engels aus eigener Anschauung kenne, zu sehen (69); aber noch 1892 muss er es bedauern, dass Engels auch in jenem Jahr noch nicht kommen könne, so dass seine „Vorurteile gegen das gegenwärtige Deutschland" noch nicht beseitigt würden (227). Die Auseinandersetzung mit Lassalle soll also nicht in verletzender Form erfolgen (5). Fast zehn Jahre später, als Engels in einer Schrift über Bismarcks Staatssozialismus auch Lassalle erledigen will, meint Bebel, die ehemals eifrigsten Lassalleaner liessen sich eine Kritik Lassalles gefallen, nur dürfe sie nicht feindselig gehalten sein (42). Wiederum zehn Jahre später hat Bebel scharf eine Äusserung Bernsteins in dessen Einleitung zur Ausgabe der Schriften Lassalles als leichtfertig zu tadeln (162, 165, 166). Er wehrt sich nicht gegen die Zerstörung von Legenden um Lassalle, und er scheut nicht eine sachlich scharfe Auseinandersetzung; aber als Parteiführer muss er eine Schädigung der Partei dadurch befürchten, dass die psychologische Auswirkung einer auch persönlich scharfen, vielleicht gar gehässigen Kritik die Parteifreudigkeit der Massen beeinträchtigt. Dieselbe Erwägung bestimmt Bebels Haltung gegenüber Engels' Kritik an der Einigungsfrage überhaupt (7, 9-13). Auch hier spricht der Theoretiker zum Parteiführer. Bebel seufzte noch später darüber: XVI
„Man sieht, es war kein leichtes Stück, sich mit den beiden Alten in London zu verständigen. Was bei uns kluge Berechnung, geschickte Taktik war, das sahen sie als Schwäche und unverantwortliche Nachgiebigkeit an, schliesslich war doch die Tatsache der Einigung die Hauptsache."32 Gewiss hat er Engels' theoretischen Erwägungen in der Kritik am Einigungsprogramm beigepflichtet; wenn es auch sehr wohl denkbar ist, dass z.B. dessen kühne Perspektive — Warum vom Staat überhaupt soviel Aufhebens machen, da er doch bewiesenermassen nur eine vorübergehende Einrichtung ist! Sobald von Freiheit die Rede ist, hört der Staat als solcher auf zu bestehen (10) — sich für den eben erst nach mehrjähriger Freiheitsstrafe in diesen polizeilichen Gegenwartsstaat zurückkehrenden Bebel in nebelhafter Ferne verlor. Obwohl er weiss, dass es sich um Engels' Hauptanliegen handelt, missbilligt er die Veröffentlichung von Marx' „Programm-Brief" im Januar 1891 in heftiger Form (153, 154). Sachlich sei gegen den Brief nichts einzuwenden; aber wegen seiner Form würde er die Veröffentlichung in einem deutschen Organ verhindert haben. Das persönlich Verletzende und Kompromittierende habe mit der Kritik nichts zu tun, und als Dummkopf oder Betrüger lasse man sich auch von seinen besten Freunden nicht hinstellen. Die Lassalleaner würden seinerzeit nicht das geringste gegen eine Änderung der von Marx privatim kritisierten Sätze gehabt haben — so wenig Gewicht hatten damals überhaupt theoretische Formulierungen! —, aber die heftigen Ausfälle gegen Lassalle würde Bebel nicht zugelassen haben. Innerlich stimmt er wohl dem Urteil eines „erheblichen Teiles der Presse" zu, dass die Kritik persönlicher Gehässigkeit und Eifersucht entsprungen zu sein scheine. Durch Sachlichkeit würde sie wesentlich verbessert worden sein. Es dürfte vor allem wieder Engels' Ton gewesen sein, durch den die Auseinandersetzungen anlässlich der Gründung des Züricher Sozialdemokrat eine ausserordentliche Schärfe erhielten (14-28). Wir dürfen Liebknecht glauben, dass Engels „mitunter etwas militärisch Kurzes hatte, was zum Widerspruch herausforderte".33 Es handelte sich um die Verhandlungen mit Hirsch über die Besetzung des Redakteurpostens des Züricher Blattes und dessen voraussichtliche Haltung, wobei frühere Angriffe Hirschs auf einen Abgeordneten wegen seiner Haltung in der Schutzzollfrage eine Rolle spielten, und schliesslich um das „Züricher Manifest", den berüchtigten Dreisterne-Artikel in Höchbergs Jahrbuch für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. In seiA. TO. L., Bd. II, S. 338. Manuskript über Engels vom August 1895 (im Nachlass). Nach Liebknecht hatte es deswegen schon „viel Krach" in der Neuen Rheinischen Zeitung gegeben. „Ich selbst habe mit Marx nur zweimal Streit gehabt, mit Engels recht oft." 32 38
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nem klassischen „Zirkularbrief" von Mitte September 1879 (17) unterzieht Engels diese Vorgänge und Äusserungen einer eingehenden Kritik, die auf Marx' Wunsch 3 4 besonders „schroff und rücksichtslos" gehalten ist. Dies ist der einzige Fall, in dem Engels im Einvernehmen mit Marx deutlich „Direktiven", noch dazu fast ultimativen Charakters erteilte, und zwar in einer fordernden Sprache, die Bebel als herausfordernd empfand. Er weist nun mit bemerkenswerter Schärfe Inhalt und Form dieser „Direktiven" zurück, obwohl er dem prinzipiellen Kern der Kritik zweifellos zugestimmt haben wird. E r ist sich darüber klar, dass Engels' und Marx' Haltung in diesen Fragen durch einseitige Informationen Hirschs verschärft worden ist.35 Wir wissen, etwa aus Hirschs Briefen an Marx vom 12. Juni, 2. August und 7. August 1879, dass das wirklich der Fall war. Es ist auch bekannt, dass Marx „leichtgläubig seinen Freunden gegenüber" war,36 namentlich wenn es sich um Tendenzen handelte, die er verabscheute und also bekämpfen musste. Hirsch aber war aus mancherlei Gründen gegen eine Reihe führender Sozialdemokraten erbittert und sein Urteil daher keine zuverlässige Information. Marx sah das selbst bald ein.37 Gustav Mayer sieht mit Recht im Briefwechsel dieser Zeit eine „Quelle schwerer Missverständnisse", die sehr lange nachklangen, und die Ursache darin, dass Marx und Engels „sich damals mehr als Klugheit gebot auf sein [Hirschs] Urteil über die Verhältnisse innerhalb der deutschen Sozialdemokratie" verliessen, „die sie selbst aus unmittelbarer Anschauung nicht hinreichend kannten". 38 So berichtigt Bebel sachlich Engels' irrige Auffassungen über jene Fragen (16, 18, 21), ebenso die Fraktion (19). Er rückt entschieden von dem weinerlichen Jahrbuch-Artikel ab; aber Engels' Meinung über den Einfluss der Verfasser in der Partei sei durchaus irrig. Es falle ihm nicht ein, sich über diese Punkte weiter auszulassen: „Sie im Ausland haben gar keinen Begriff von den Schwierigkeiten, mit denen fast jeder einzelne von uns zu kämpfen hat" (18). Jenen Aufsatz könnten nur Leute für eine offizielle Kundgebung der Partei gehalten haben, „die ausserhalb der Partei stehen" (28). Wiederholt kommt Engels auf die Berechtigung seiner Kritik in der Zollfrage zurück, ohne Bebels sachlichen Berichtigungen die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Die deutsche Partei habe sich schliesslich in Anlehnung an Marx' und seine theoreMarx an Engels 10. September 1879. A. m. L., Bd. III, S. 54f. 36 E. Bernstein, „Von Marx-Engels und ihrem Kreise" in: Sozialistische Monatshefte, Jahrg. XI (1907), Bd. II, S. 519. 37 An Jenny Longuet 29. April 1881, Hirsch werde stets unverträglicher, und seine (Marx') Meinung über ihn sinke mehr und mehr. Nouvelle Revue Socialiste, XI-XII (1928), S. 105. 38 G. Mayer, a.a.O., Bd. II, S. 335. 34
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XVIII
tischen Aufstellungen entwickelt; daher müsse ihnen daran liegen, dass „die praktische Haltung der deutschen Partei und namentlich die öffentlichen Äusserungen der Parteileitung auch mit der allgemeinen Theorie im Einklang bleiben" (20). Bebel antwortet, dass die reine Negation in den Wählerkreisen keinen Anklang finde. „Wir werden, solange wir parlamentarisch mittun, uns in der reinen Negation nicht halten können; die Masse verlangt, dass auch für das Heute gesorgt werde, unbeschadet dessen, was morgen kommt." Jede Entscheidung müsse sorgfältig geprüft werden, und Meinungsverschiedenheiten träten sehr leicht auf, „namentlich wenn man, wie Ihr, ausserhalb der Fühlung mit den Massen steht, auf die man zunächst Rücksicht zu nehmen hat". „Ihr könnt Euch eben dort von der Situation hier keine rechte Vorstellung machen, und da legt Ihr eben einen ganz anderen Massstab an und kritisiert, wie innerhalb Deutschlands niemand zu kritisieren einfällt." Die Kritik sei stets erwünscht, auch im Blatt, „nur nicht in verletzender Form" (21). Dann lehnt er Auseinandersetzungen über die Zollfrage ab, da man sich brieflich doch nicht verständige (23). Als Engels wieder einem Artikel eine forcierte Auslegung gab (24), antwortet Bebel kurz: „Ich lasse mich mit Ihnen in bezug auf das früher Vorgefallene in keine Polemik mehr ein; ich bin in einer Weise mit Arbeit beladen, dass ich meine keineswegs gute Laune mir nicht noch mehr durch fruchtlose Auseinandersetzungen verderben will" (25). Mit diesem Brief übersandte er Engels ein scharfes Schreiben Vollmars; diesem sagte er, seine Antwort an Engels sei gut, aber der werde schimpfen: „Schadet nichts, ich habe seine Nörgelei auch satt und habe ihm das auch geschrieben."39 Bebel bedauert Marx' und Engels' „vollständige Passivität", die häufig nicht günstig beurteilt werde (27), und bittet wiederholt um ihre Mitarbeit (18, 21, 27, 28); aber es dauerte noch etwa zwei Jahre, bis Engels' erster Aufsatz im Sozialdemokrat erschien (40). Scharf und gereizt ist dann später eigentlich nur noch Bebels Reaktion auf die Veröffentlichung des Marxschen „Programm-Briefes" (154). Aber in wichtigen Fragen hat Bebel häufig eine abweichende Meinung. Bei ausdrücklicher prinzipieller Übereinstimmung wird seine andere Haltung durch taktische Erwägungen bestimmt, durch die Rücksichtnahme auf Mitglieder oder Wähler, durch augenblickliche Situationen, die offene prinzipielle Äusserungen ungeraten erscheinen lassen, oder durch die Vorschriften des Strafgesetzbuches, des Vereins- und Versammlungsrechts und des Pressgesetzes. Als Vollmar im Herbst 1882 gegenüber einer starken Strömung in der Reichstagsfraktion vor der Erwartung einer Beseitigung des Aus39
An Vollmar, A. m. L., Bd. III, S. 133.
XIX
nahmegesetzes auf parlamentarischem Wege und der Einstellung auf eine solche Möglichkeit warnte und demgegenüber betonte, dass das Gesetz, dessen segensreiche Auswirkung übrigens eine Verschärfung der Klassengegensätze sei, nur auf revolutionärem Wege beseitigt werden könne, begrüsste Engels diese Ansicht. Die Aufsätze hielt er für so vernünftig, dass er sie Bebel zuschrieb (41, 42). Dieser dagegen bezeichnete sie als gut geschrieben und „prinzipiell korrekt, aber taktisch falsch". Führe man die von Vollmar empfohlene Sprache, so sässen binnen vier Wochen alle im Gefängnis, und dazu jeder, der das Blatt verteile. „Ihr im Ausland könnt Euch eben gar nicht in unsere Lage denken und wisst nicht, wie wir zu lavieren haben, um nicht mit etwelchen Strafgesetzbuchparagraphen gefasst zu werden." Überhaupt ist er nicht der Meinung, dass die Beseitigung des Ausnahmegesetzes und die Verschärfung der allgemeinen Gesetze ein Schaden für die Partei sei. Eine „wahre Wohltat" sei es, wenn zu der Unzufriedenheit der bürgerlichen Schichten über die Wirtschaftsverhältnisse noch die offene politische Opposition der Sozialdemokratie hinzukomme (42). Vom Bürgertum sei sie nicht zu erwarten. Bebel sieht einen kraftvollen politischen Oppositionsgeist beim Bürgertum nicht mehr, und das lässt ihn am Entwicklungsschema zweifeln, das die Abnutzung der bürgerlichen Parteien als notwendig vorsieht. Einen bürgerlichen Radikalismus gebe es in Deutschland nicht mehr. Engels täusche sich über die deutsche Entwicklung; ein bürgerlich radikales Zwischenstadium werde es nicht mehr geben (69). Engels sieht die Berechtigung jener Taktik gegenüber Vollmar ein (44); aber seine einleuchtende Argumentation über die Gegnerschaft der „um die reine Demokratie sich gruppierenden Gesamtreaktion" am Tage der Krise und nachher (44, 68, 70) kann Bebel nicht überzeugen (69, 71), und auch später (96, 98, 99) betont er, dass es mit der bürgerlichen Opposition in Deutschland für immer aus sei. Als Folge des sozialdemokratischen Wahlsieges von 1890 sieht auch Engels dann die Annäherung der bürgerlichen Parteien zur „einen reaktionären Masse" sich vollziehen (191, 193). Beim Streit über die die Partei aufwühlende Dampfersubvention scheinen die Rollen umgekehrt zu sein (84-86). Während Bebel sie, wie die Kolonialpolitik überhaupt, grundsätzlich ablehnt, weil man „der bankerotten bürgerlichen Gesellschaft nicht künstlich das Leben verlängern" solle, hält Engels die Dampfersubvention nicht für eine prinzipielle Frage und zeigt gar einen Mittelweg: die Subventionen zu bewilligen unter der Bedingung, dass derselbe Betrag den Arbeitern, insbesondere Arbeitergenossenschaften zur Verfügung gestellt würde. Bebel hält es für verkehrt, in der Politik eine Art Handels- und Schacherstandpunkt einzunehmen; das verdunkele den prinzipiellen Standpunkt und könne auf die schiefe Ebene führen. Ausserdem sei
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Engels' Vorschlag eine bedenkliche Konzession an Lassalles Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe. Engels' Entgegnung wird auch hier Bebel nicht überzeugt haben, zumal die in Frage kommenden Genossenschaften nicht vorhanden waren. Dem Erfurter Programm wurden nicht Engels' Vorschläge, sondern Kautskys Entwurf zugrunde gelegt (160, 164,175). Engels hoffte unter den politischen Forderungen auch die Republik, „die spezifische Form für die Diktatur des Proletariats", und die Beseitigung der Kleinstaaterei zu finden. Bebel antwortet, jene Forderung sei natürlich in Deutschland unmöglich, diese habe keinerlei Bedeutung mehr; sie verschwinde wie vieles andere, wenn einmal der Boden wanke, worauf sie stehe. Im übrigen ist er der Meinung, dass bei der raschen Entwicklung in Deutschland „leichter das Ganze erreicht werden" könne, „ehe nur ein Teil verwirklicht wird". Während der Beratung der Militärvorlage im Winter 1892/93 bat Bebel um eine „Lektion", die Engels in der Arbeit Kann Europa abrüsten? erteilte, indem er diese Frage bejahte. Bebel lehnte jedoch Engels' Vorschläge ab, die auf eine Ersetzung der stehenden Heere durch Milizen und die sofortige Verkürzung der Dienstzeit hinausliefen. Die Partei könne unmöglich mit ihnen operieren, und Engels werde es sich gefallen lassen müssen, dass die Fraktion die Vorschläge als unverbindlich erklären werde, falls die Gegner sich darauf beriefen. Nicht nur taktische, sondern auch prinzipielle Erwägungen — die aristokratische Natur der militärischen Hierarchie und die innere Organisation der Armee sowie die Aufbringung der Mittel durch indirekte Steuern — machten die entschiedenste Opposition der Fraktion notwendig (257-260). Engels liess nicht nur pressgesetzlich erforderliche Änderungen seiner Arbeit zu, sondern er würde sich auch mit einer Desavouierung einverstanden erklärt haben; denn er hatte sich längst damit abgefunden, dass seine Artikel die Partei ja ohnehin nicht bänden (175). Man tut Bebel und seiner Partei unrecht damit, dass man ihnen die Nichtbeachtung Engelsscher „Direktiven" als „Fehler" anrechnet. Sie hatten bei ihren politischen Entscheidungen Rechnung mit der Wirklichkeit, den deutschen Verhältnissen zu halten, die es einer legalen, demokratischen Massenpartei nicht gestatteten, eine wesentlich andere Politik zu treiben. Und dafür gewann auch Engels je länger, desto mehr Verständnis. IV Für die Entwicklung der Grundsätze der politischen Theorie und XXI
Praxis der Sozialdemokratie ist die Verbindung Engels-Bebel besonders fruchtbar gewesen. Es kann sich hier nicht um eine erschöpfende Darstellung dieser Theorie und Praxis handeln, die nur unter Berücksichtigung vieler anderer Korrespondenzen und der in den Anmerkungen herangezogenen Tatsachen und Äusserungen möglich wäre. Eine thematische Analyse des vorliegenden Briefwechsels soll vielmehr nur die wesentlichen Punkte umreissen. Bei dem Versuch, die Ansichten über Theorie und Praxis zu systematisieren, ist nicht zu übersehen, dass Briefe meistens nicht durchgearbeitete Abhandlungen, sondern Äusserungen des Augenblicks über gerade aktuelle Fragen sind, und dass also immer die Gefahr einer Überbetonung bestimmter Züge besteht. Diese Gefahr ist jedoch am geringsten bei allen Äusserungen über prinzipielle Fragen: über den Charakter der Partei, ihre revolutionäre Aufgabe und die Erwartung des Zusammenbruches in naher Zukunft. Da die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiter selbst sein kann, muss es das wesentliche Merkmal der Arbeiterpartei sein, ihren Klassencharakter zu betonen und den Klassenkampf nicht zu bemänteln. Die heftigste Kritik übte Engels an der Verwässerung des proletarischen Klassencharakters der Partei, und niemals bekam der Ton seiner Briefe eine solche höhnische Schärfe wie bei der Charakterisierung und Bekämpfung der kleinbürgerlichen Elemente in der Partei. Hierin besteht zwischen beiden Korrespondenten vollkommene Übereinstimmung. Engels' Kritik an der Einigung der Parteien (7) und der Zirkularbrief (17-19) sind aus der Sorge um den Charakter der Partei zu verstehen. Es ging Engels schon zu weit, dass die Fraktion in ihrem ersten Rechenschaftsbericht unter dem Sozialistengesetz ausführte, warum sie nach Erlass des Gesetzes nicht die „direkte Taktik" des Bürgerkrieges wählte und Wert auf die öffentliche Meinung legte (20). Schon das hielt er für bedenkliche Entgleisungen. Die Kleinbürger sind die aus dem Bürgertum kommenden Anhänger der Partei, die sich nicht die „Anschauungsweise des Proletariats" zu eigen gemacht haben, sondern ihre mitgebrachten Vorurteile in der Partei verbreiten (17). Dazu sind alle Nicht-Arbeiter zu zählen. Häufig werden sie auch als Philister und Spiessbürger bezeichnet. Die schlimmste Gruppe sind die verbummelten Studenten, Kommis usw., sie sind der Fluch der Bewegung (58). Die gemässigte Haltung der Fraktionsmehrheit führt Engels auf die sogenannten gebildeten Elemente zurück, die entgegen seinen und Marx' Warnungen nicht nur zugelassen, sondern in Reichstagssitze hineinprotegiert wurden (62).40 Es ist eine gebräuchliche, aber falsche Konstruktion, dass während des Sozialistengesetzes die Fraktion als Vertretung der gemässigten Wählerschaft einen 40
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Vergebens versichert Bebel, der Zug nach links sei in der Partei so stark, dass alle Manöver, ihr eine andere Richtung zu geben, scheitern müssten (63). Der Vorstoss der Fraktion gegen den Züricher Sozialdemokrat gibt Engels die Gewissheit, dass das kleinbürgerliche Element der Fraktion sich zum Herrn in der Partei aufwerfen und das proletarische Element zurückdrängen wolle (75). Bebel stimmt ihm zu; aber die Fraktionskämpfe seien unendlich klein angesichts der Zuspitzung der Verhältnisse. Die Mehrheit habe keine Ahnung von der Zeit, in der sie lebe, und der Rolle, die sie spielen müsse (76). Engels glaubt, dass schon die Betonung des Arbeiterklassen-Charakters im Parteinamen jene Elemente abschrecken werde, und daher rügt er, dass 1890 die Sozialistische Arbeiterpartei in Sozialdemokratische Partei Deutschlands umbenannt wurde. Bebel beruhigt ihn: bei der Umbenennung sei man nur dem Sprachgebrauch gefolgt; und mit dem blossen Parteinamen habe man sich auch früher jener Elemente nicht erwehren können (150). Auch die Rebellion der „Jungen" sieht Engels vereinfachend und unzutreffend als einen Wutausbruch von „Gernegross-Studenten, Literaten und literarisch werden wollenden Ex-Arbeitern" darüber, dass die Partei fortschreite, ohne der Hilfe dieser Herren zu bedürfen (233). Bebel, der sehr scharf gegen diese Rebellion auftritt, begrüsst doch die Kritik der „Jungen" an der Verbürgerlichung der Partei und ist geneigt, gegenüber der Rechten ihr Lob zu singen (235). Im ganzen brauche die Partei die Spiessbürgerei nicht zu fürchten; denn die „ungeheure Mehrheit der Partei sind Arbeiter, und die lassen sich nicht verspiessern" (237-239). Dass auch „Leute aus der bisher herrschenden Klasse sich dem kämpfenden Proletariat anschliessend ist für Engels „eine im Gang der Entwicklung begründete, unvermeidliche Erscheinung"; das sei schon im Kommunistischen Manifest klar ausgesprochen (17). Die Feststellung Bebels, dass in manchem Wahlkreis Kleinbürger und Bauern für die Partei gestimmt haben müssten, während die Arbeiter unter einem Wahlterror litten (21), wertet Engels (22) in Verkennung der Verhältnisse als ein Kennzeichen des reissenden Fortschrittes der Bewegung, als Beweis, dass das Proletariat in Wirklichkeit die leitende Klasse Gegensatz zu der radikalen Mitgliedschaft der Partei gebildet habe. (Etwa K. Brandis, Die Deutsche Sozialdemokratie bis zum Fall des Sozialistengesetzes, Leipzig, 1931, S. 52f., 93f.). Niemals wurden die Kandidaten van den Wählern, sondern stets von der Partei aufgestellt. Selbst unter dem Sozialistengesetz war die Parteiorganisation derart, dass Versammlungen, die über die Aufstellung von Kandidaten befanden, Versammlungen organisierter Sozialdemokraten waren. Das schliesst nicht aus, dass von der Sozialdemokratie als Kandidaten präsentierte selbständige Gewerbetreibende Stimmen von Gewerbetreibenden erhielten, wie etwa der Druckereibesitzer J. H. W . Dietz 1887 in seinem Hamburger Wahlkreis.
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geworden sei. Aber es sei auch eine Gefahr, wenn man vergesse, dass „diese Leute kommen müssen, aber auch nur kommen, weil sie müssen". Wenn das Proletariat ihnen Konzessionen mache, verscherze es seine leitende geschichtliche Rolle. Erst später, als er mit wenigen Jahren bis zum Siege rechnete, wurde Engels toleranter gegenüber bürgerlichen Elementen in der Partei (175, 176, 178, 233). Von dem kleinbürgerlichen unterscheidet sich für Engels wie für Bebel das proletarische Element sehr vorteilhaft. Bebel rühmt den selbständigen und klaren Geist, der es beseele; das Klassenbewusstsein sei in den Jahren des Sozialistengesetzes mächtig gewachsen (54). Engels rühmt die Zähigkeit und Entschlossenheit und den Humor der deutschen Arbeiter, womit sie eine Position nach der andern bei den Wahlen eroberten (67); kein anderes europäisches Proletariat hätte die Probe des Sozialistengesetzes so glänzend bestanden, keins hätte trotz der Unterdrückung einen solchen Machtzuwachs erringen können, keins hätte eine solche Organisation zustande gebracht (70). Auch Bebel ist davon überzeugt, dass die Masse „wie immer" besser als die Führer sei und eines Tages über sie hinwegschreiten werde (31). Als Führer, dessen Autorität unbestritten und der jeden Augenblick der Zustimmung der Massen sicher ist, stellt er fest, dass die Partei selbständig sei und sich nicht von Führern leiten lasse, wer sie auch seien (78). Ein Parteivertreter nach dem andern mache Dummheiten und stelle sich bloss; das erziehe die Leute zur Selbständigkeit und mache allem Personenkultus den Garaus (82). Die Massen bringe keiner von der Rechten auf seine Seite; denn das Klassenbewusstsein komme in einer Versammlung „einfacher" Parteigenossen noch mehr zum Ausdruck als auf einem Parteitag (176). Da die klassenmässige Reinhaltung der Partei Engels die Gewähr gibt, dass sie ihre historische Aufgabe zu erfüllen imstande ist, richtet er sein Augenmerk auf eine Ausscheidung der nicht-proletarischen Elemente (7, 12, 13, 17). Die kommende notwendige Spaltung der Partei in einen rechten und linken Flügel (40, 53, 79), ist für ihn in den achtziger Jahren ein Axiom. Den linken Flügel bilden seiner Ansicht nach die Massen, während den rechten Flügel die Führer vertreten. Dies wachsende Bewusstsein werde die später kommende Spaltung erleichtern (81). Erst als die Partei trotz des Ausbleibens der von Engels erwarteten und für notwendig gehaltenen Spaltung grosse Erfolge erzielte, trat der Gedanke an eine Spaltung bei ihm zurück. Der Klassencharakter der Partei verbietet nach Bebels Ansicht selbst in sozialpolitischen Fragen ein Zusammengehen mit anderen Gruppen. Er rügt scharf die Teilnahme der „gesamten Gewerkschaftsführer" am Frankfurter Sozialkongress, wo „Kompromiss-Wassersuppen" gekocht werden sollen (278), und auch eine Teilnahme am Schweizer InterXXIV
nationalen Arbeiterschutz-Kongress lehnt er ab, da auch nicht-sozialistische Gruppen eingeladen sind. Überhaupt führe die „praktische Arbeit" dazu, dass alle prinzipielle Aufklärung und Stellungnahme vernachlässigt werde (292, 293). E s ist auffallend, dass Bebels Verkennung der Aufgaben der Gewerkschaften in der revolutionären Zukunftserwartung, aber auch in seiner Auffassung vom Charakter der Partei begründet ist. Engels dagegen war 1889 bereit, in wichtigen Fragen, wenn der Klassencharakter der Partei dadurch nicht beeinträchtigt werde, selbst mit einer radikalen bürgerlichen Partei zusammenzugehen; ihm sei „jedes Mittel recht, das zum Ziel führe, das gewaltsamste, aber auch das scheinbar zahmste". Er sei Revolutionär genug, sich auch jenes Mittel nicht verbieten zu lassen; aber die unerlässliche Voraussetzung sei, dass der proletarische Klassencharakter der Partei erhalten bleibe. 41 Während der Kampf gegen die „Jungen", die sich bei ihrem Protest gegen die Verbürgerlichung der Partei, gegen die Aufgabe der revolutionären Ziele und gegen einen überragenden Einfluss der Parteiführung auf Erklärungen von Engels, Bebel und Liebknecht stützen konnten, in der Hauptsache eine taktische Entscheidung war, da der Parteiführung eine starke Betonung des revolutionären Charakters der Partei unerwünscht war zu der Zeit, als es sich um die Aufhebung des Sozialistengesetzes handelte, wurde der Kampf gegen Vollmars Reformpolitik als prinzipieller Kampf angesehen; denn diese Politik verfälsche den Charakter der Partei, und ein Erfolg dieser Politik könne zur Aussöhnung mit dem gegenwärtigen System führen und Arbeiter der Partei abspenstig machen. Dieser Zweifrontenkampf wurde in der Uberzeugung geführt, dass die Partei von jenem Ziel, das die politische Perspektive bot, der sozialistischen oder klassenlosen Gesellschaft, dem Zukunftsstaat oder wie man immer diesen Endzustand nennen will, nicht mehr sehr weit entfernt sei, und dass nur der von der Partei mit Erfolg beschrittene Weg zu diesem Ziele führe. Dass die Schaffung dieser Gesellschaft die revolutionäre Aufgabe der Sozialdemokratie sei, war für den Mitverfasser des Kommunistischen Manifestes eine Selbstverständlichkeit und einbegriffen im Charakter der Partei als einer proletarischen Klassenpartei. Sie war nicht weniger eine Selbstverständlichkeit für den Politiker Bebel, der im vierten Abschnitt seines Buches über die Frau und den Sozialismus die „Sozialisierung der Gesellschaft" mit solcher Hingabe schilderte. Beiden wird die Revolution zur politischen Aktualität durch den Vormarsch der Sozialdemokratie und den Zusammenbruch des herr41
An Gerson Trier 18. Dezember 1889.
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sehenden Systems. Dieser Zusammenbruch, der „Kladderadatsch" wird durch innerwirtschaftliche Ursachen, Krisen, Anwachsen des Elends und damit verbundene Zersetzung der anderen Parteien oder durch äussere Ereignisse, einen Krieg herbeigeführt. Zu niemand hat Engels sich so häufig über diese Gedanken ausgesprochen; denn kein anderer sozialistischer Führer hatte so grosses Verständnis dafür wie Bebel. Inbrünstig stimmte er Engels' weit ausgreifenden Gedanken zu, sorgfältig registrierte er alle Einzelerscheinungen des Tages und sah sie in unmittelbarer Beziehung zu diesen Gedanken. Beide wetteiferten miteinander in ihrem Optimismus, der sie grosse Zeiträume erfordernde Entwicklungen auf kurze Fristen zusammendrängen liess. Zu freier Tätigkeit kann die Sozialdemokratie nach Ansicht Bebels erst kommen, „nachdem der grosse Auskehrtag vorüber ist" (18). Es ist selbstverständlich, dass die neue Revolution mit der bürgerlichen Gesellschaft viel gründlicher aufräumen wird, als die bürgerliche Revolution es mit der feudalen Gesellschaft getan hat (31). Unverständlich ist es ihm, dass es unter den Parlamentariern seiner Partei Leute gibt, die nicht an die „Höhe der revolutionären Bewegung" glauben und daher ein „schärferes Vorgehen" ablehnen. Wer glaube, dass es noch mindestens hundert Jahre bis zur sozialen Revolution dauere, trete anders auf als jener, der sie „in absehbarer Ferne" sehe (52). Er ist davon überzeugt, dass „wir mit Riesenschritten der Revolution entgegengehen". Daher sei es falsch, im Reichstag nur Anträge zu stellen, die sich noch auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft bewegten; man müsse „die Fahne ganz aufhissen" und in Resolutionen sagen, „welche grundstürzenden Umwandlungen vorgenommen werden müssen, soll die Gesellschaft befriedigt werden". Solche für die herrschenden Klassen unannehmbaren Anträge würden, wenn der grosse Krach komme, den Massen zeigen, wo ihre Freunde seien (69). Für Bebel ist es eine unbedingte Gewissheit, dass Deutschland nächstes Mal „den Reigen eröffnet und die erste Geige spielt". In Frankreich habe sich wohl das Bürgertum klassischer entwickelt, aber in Deutschland sei der Klassengegensatz schärfer, das Proletariat sei massenhafter, und es sei disziplinierter und geschulter (63). Engels stimmt zu: in Deutschland seien die gesellschaftlichen Umwälzungen durch die industrielle Revolution gründlicher und tiefer als in England und Frankreich, wo jene Revolution abgeschlossen sei. Das deutsche Proletariat sei nicht durch Niederlagen demoralisiert und besitze dank Marx tiefere Einsicht in die Ursachen der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung und die Bedingungen der bevorstehenden Revolution. „Dafür sind wir aber auch verpflichtet zu siegen" (70). Gegenüber Vollmar, der Anfang der achtziger Jahre an die Aufhebung des Sozialistengesetzes durch eine mit ihrem Siege XXVI
endende offene Schlacht der Sozialdemokratie gegen die „eine reaktionäre Masse" dachte, sah Engels die Möglichkeit revolutionärer Ereignisse in Russland mit einer Rückwirkung auf Deutschland, oder er sah in dem zu erwartenden Thronwechsel oder einem Abgang Bismarcks die Revolution vorbereitende Ereignisse (44-46). Er warnt davor, das Recht auf Revolution aufzugeben, das sich Parteien, Klassen und selbst Bismarck nahmen (68). Da Bebel an der Möglichkeit des Zwischenstadiums der reinen Demokratie in Deutschland zweifelt (69), gibt Engels zu, dass es allerdings eine Möglichkeit gebe, dieses zu überspringen. Da ein unbewaffnetes Volk gegen eine heutige Armee eine verschwindende Grösse sei, könne in Deutschland die Revolution von der Armee ausgehen (70). Die Sozialdemokratie werde nicht losschlagen, solange eine bewaffnete Macht gegen sie sei; sie werde warten, bis diese aufhöre, eine Macht gegen sie zu sein (68). Jedenfalls sieht er die Revolution in solcher Nähe, dass die Sozialdemokratie, wenn die Revolution komme, wahrscheinlich „die Majorität der Wähler, also der Nation" noch nicht hinter sich habe (70). Eine wahre Herzstärkung ist für Bebel Engels' Äusserung, dass die Sozialdemokratie möglicherweise bis zum Jahre 1898 ans Ruder kommen könne. Er nimmt diese Mitteilung, die seine Position in der Partei stärkt, mit Jubel auf, nachdem er mit früheren befristeten Ankündigungen dieses Ereignisses viel geärgert worden ist. „Der Blödeste kann doch nicht mehr leugnen, dass die Sintflut naht." Engels' Äusserung wirkte „wie ein Flintenschuss unter Spatzen" (163). Dieser Optimismus, der das revolutionäre Ziel zum Greifen nahe sieht, wurde durch den Wahlerfolg von 1890 gestärkt. Aber auch diese befristete Ankündigung sollte, da von reformistischer Seite häufig darauf angespielt wurde, für Bebel die ganzen neunziger Jahre hindurch zu einer Quelle grossen Ärgers werden, ohne doch seinen Optimismus dämpfen zu können. Engels hat die „fast absolute Sicherheit", innerhalb von zehn Jahren ans Ruder zu kommen. Er macht wohl einige Vorbehalte hinsichtlich des Fortvegetierens der bürgerlichen Gesellschaft nach „ihrem wesentlich inneren Tode"; aber er sieht die Ankunft bei der Möglichkeit der Herrschaft als „eine pure Wahrscheinlichkeitsrechnung nach mathematischen Gesetzen" (175). Bebel hält an dieser Voraussage fest: „Wer weiss, ob Du mit Deiner Prophezeiung auf 1898 nicht mehr recht behältst, als Du selber glaubst. Gegen '98 verwette ich keinen Dreier" (305). Schon 1886 stellt er fest, dass von der kommenden Revolution als von einer Selbstverständlichkeit gesprochen werde, wie vor 1789 in Frankreich. Nur in der eigenen Partei ahnten die Führer nicht, was bevorstehe, und schwatzten noch von einer gesetzlichen Lösung der sozialen Frage (92). Engels meint, dass Deutschlands Lage weit eher XXVII
der Frankreichs im Jahre 1847 gleiche (183); aber nach Bebels Ansicht wählte man jenen Vergleich, weil einmal jene Geschichtsperiode ganz anders im Gedächtnis hafte als 1848, und weil ferner die Veränderungen von 1789 viel gründlicher gewesen seien (184). Er ist so sehr vom Gedanken an die nahe Revolution erfüllt, dass ihm sogar die politischen Programmforderungen als nicht so wichtig erscheinen (160). Die Gewissheit der herannahenden Revolution gründet sich auf die Unhaltbarkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse, eine Krise ohne Ende mit steigendem Elend und wachsender Unzufriedenheit auch der bürgerlichen gewerblichen Kreise. Alle Symptome des vermeintlichen nahen Zusammenbruches beobachtet und registriert Bebel sorgfältig. Wohl weiss Engels, obwohl er diese Wirtschaftsberichte interessant findet, dass sie cum grano salis zu nehmen sind und manchmal „kleine Gesichtspunkte" zeigen.42 Er ist daher immer bestrebt, den Freund zu belehren und seinen Gesichtskreis zu erweitern (etwas 22, 46, 53, 73, 86, 90, 253). Jede Beobachtung stärkt Bebels Optimismus. Schon 1881 wird seine Überzeugung täglich fester, dass die Krise chronisch sei und sich fortschleppe, bis irgendein Ereignis den Anstoss zum allgemeinen Kladderadatsch gebe (31). In den höheren Regionen fühle man instinktiv, dass sich ein unheimliches Gewitter zusammenziehe, vor dem es kein Entrinnen gebe. Die herrschenden Klassen könnten sich einmal „in einer Art hypnotischen Zustandes befinden und fast widerstandslos alles über sich ergehen lassen", falls die Entwicklung ausreifen könne und nicht frühzeitig zur Explosion getrieben werde (32). Die Gegner hätten den Glauben an ihr eigenes System verloren und seien geneigt, neue Lehren anzunehmen, wenn man es nur verstehe, sie ihnen mundgerecht zu machen (35). Die Furcht vor der Sozialdemokratie sei im Steigen; man fühle, dass die Stunde komme, wo sie als Siegerin auf der Bühne erscheine. Dass er den Sieg in verhältnismässig kurzer Zeitspanne als sicher hinstelle, habe ihn in den Ruf eines unverbesserlichen Optimisten gebracht, was er jedoch nie gewesen sei (37). Zu der Zeit teilte er Marx folgende Prognose mit, über die dieser sich nicht äusserte: „Kommt in Frankreich der Börsenkrach und darauf folgend der Industrie- und Handelskrach, und das steht ja alles nahe bevor, folgt darauf der Krach in den USA, der in zwei bis drei Jahren sicher eintreten dürfte, dann ist Deutschland fertig" (38). Nach seiner Kenntnis der Stimmung ist 1882 die Voraussetzung der Katastrophe erreicht, dass nämlich ein grosser Teil der bürgerlichen Welt zu der Erkenntnis gekommen ist, dass das herrschende System nach allen Seiten fertig ist und nichts mehr leisten kann (42). Eine amerikanische 42
An Marx 9. Januar 1883.
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Krise scheint ihm dann jedoch mit mehr Wahrscheinlichkeit als ein europäischer Krieg die „Sturmglocke für die europäische Revolution zu werden" (45). Wohl sucht er seine Ungeduld zu bändigen: es solle ihm gleich sein, ob der Generalkrach in zwei oder in fünf Jahren komme; dauere es etwas länger, dann hätte die Gärung der Geister sich mehr entwickelt und werde die Umwälzung um so radikaler sein (47). Dass die ökonomische Abnutzung weiter fortschreite, beweisen ihm eine Stagnation auf dem Eisenmarkt sowie in der Stickerei- und Spielwarenbranche (52). Engels' Belehrungen über den Krisenzyklus bestätigen Bebel die Berechtigung seines Optimismus. Da die Überproduktion sich rascher geltend mache, kämen die fünfjährigen Zwischenkrisen wieder auf; und das sei ein „Beweis der vollständigen Erschöpfung der kapitalistischen Produktionsweise. Die Periode der Prosperität kommt nicht mehr zu ihrer vollen Entwicklung, schon nach fünf Jahren wird wieder überproduziert, und selbst während dieser fünf Jahre geht es im ganzen schofel ab. Was aber keinesfalls beweist, dass wir nicht 1884-87 wieder eine ganz flotte Geschäftszeit haben, wie 1844-47. Dann aber kommt der Hauptkrach ganz sicher" (53). Seitdem England nicht mehr unbeschränkt den Weltmarkt beherrsche, sei die Periode der Krisen im bisherigen Sinne abgeschlossen. „Wenn die Krisen zu chronischen werden, aber an Intensität nichts verlieren, wie kann das auslaufen?" Die neue Periode sei dem Bestände der alten Gesellschaft ungleich gefährlicher als die Periode der zehnjährigen Krisen (86). Bebel legt sich „jeden Tag mit dem Gedanken schlafen, dass das letzte Stündlein der bürgerlichen Gesellschaft in Bälde schlägt". Er sieht das letzte Bollwerk des Liberalismus und Manchestertums zerbröckeln, da ein Teil der Deutsch-Freisinnigen sozialreformerisch sei (85). Er glaubt zu sehen, dass man aus der Überproduktion nicht mehr herauskomme. Die Wiederbelebung dauere keine sechs Monate; dann seien die Verhältnisse schlimmer als vorher. Die Katastrophe komme durch eine Missernte mit unerschwinglichen Preissteigerungen der Lebensmittel oder durch einen grossen Krieg. Die Verantwortlichen sähen mit grosser Sorge der Zukunft entgegen und wüssten nicht, wie sie dem Verhängnis entrinnen sollten (89). Auch Engels hält längere als sechsmonatige Prosperitätsperioden nicht mehr für möglich. Nur die Erschliessung Chinas biete noch Aussicht auf eine Geschäftsbelebung. „Aber sechs Monate reichen hin, um das zu diskontieren und uns dann vielleicht wieder einmal eine akute grosse Krise erleben zu lassen." Mit der Erschliessung Chinas sei aber auch das letzte Sicherheitsventil der Überproduktion verschlossen; sie werde für Amerika, Ostasien und vielleicht auch Europa eine Revolution in den Produktionsbedingungen hervorrufen, „wenns hier noch so lange dauert" (90). XXIX
Bebel meint 1886, Zehntausende von Unternehmern warteten auf den Augenblick, wo sie unter einem schicklichen Vorwand die Bude zumachen könnten (92). Mit einem starken Sturz der Kurse schreite die Aufräumung in der Mittelklasse mächtig vor (109). 1890 sieht er den industriellen Krach seinen Schatten vorauswerfen. Der Sturz der Kohlenaktien und der Industriepapiere sowie ein unerwarteter und bedeutender Rückgang der Einnahmen der preussischen Eisenbahnen erscheinen ihm als bedenkliche Symptome (142). Kaum habe die Bourgeoisie aufgeatmet, da liege sie schon wieder auf der Nase, und schlimmer als je (150). 1893 geben die Erfolge der Wahlrechtsbewegungen in Belgien und Österreich Engels den Gedanken ein: „Wir sind vielleicht noch fünf bis sechs Jahre vor der Krise; aber mir kommt vor, als sollten Belgien und namentlich Österreich diesmal die vorbereitende Rolle spielen zu der Entscheidung, die diesmal in Deutschland fallen wird" (280). Sehr früh stimmen Engels und Bebel auch darin überein, dass die Gegner für die Sozialdemokratie arbeiten; es könne gar nichts geschehen, ohne dass ihr Vorteil daraus erwachse (26). Selbst wenn die Sozialdemokraten die Hände in den Schoss legten, würden die Ereignisse sie mit Gewalt in den Vordergrund schieben und den Sieg vorbereiten. Die lange vorhergesehene revolutionäre Weltlage reife der allgemeinen Krisis entgegen, die Entwicklung treibe dem Weltkrach zu (33). Engels: Was auch passieren möge, es schlage schliesslich aus in ein Mittel, die Sozialdemokratie zur Herrschaft zu bringen und dem ganzen alten Schwindel ein Ende zu machen (84). Zehn Jahre später schreibt ein bayerischer Offizier an Bebel: alle Sozialdemokraten könnten heute schlafen; ihr Geschäft besorge besser und umfangreicher die kaiserliche Regierung. „Der Brief zeigt, dass der Mann weiss, wie es steht" (184). Engels sah wie Bebel das schnelle Herannahen der sozialen Revolution durch das unaufhaltsame Wachsen der Sozialdemokratie und den Zusammenbruch des kapitalistischen Systems als die „normale Entwicklung". Die Sozialdemokratie müsse diese ungestörte Entwicklung wünschen, da die Verhältnisse ihr überall in die Hände arbeiteten (46, 84, 175). Diese Entwicklung könne jedoch unterbrochen werden durch äussere Einwirkungen, einen Krieg. Die Erörterungen dieser Möglichkeit nehmen einen breiten Raum ein. Schon das Wettrüsten drohe zu einem Vernichtungskrieg zu führen (112, 258). Die aus vielen Anlässen drohende Kriegsgefahr wird erörtert, anlässlich der russischen Balkanpolitik, Russlands Vordringen in Asien, Russlands innerer Situation, des bulgarisch-serbischen Konfliktes, der französisch-englischen Begegnung im Sudan, der österreichischen Balkanpolitik sowie schliesslich die Möglichkeit eines ZweifrontenXXX
krieges Deutschlands nach der französisch-russischen Annäherung (175, 178, 211, 234, 249). Für diesen Fall wird auch die Haltung der Sozialdemokratie im Kriege erörtert (167, 175, 211, 234). Von einer unmöglichen Konstruktion Bebels abgesehen (254-256), sind die Korrespondenten immer der Ansicht, dass die Zeit der lokalisierten Kriege vorüber sei und dass jeder Krieg in Europa ein europäischer Krieg werden müsse (46, 82, 84, 98, 100, 175, 255). Diese Gewissheit und die Vervollkommnung der Waffen durch die riesigen Fortschritte der Technik sicherten vorläufig den Frieden (139). Ein europäischer Krieg würde das grösste Unglück sein. Die deutsche Partei würde wie die anderen Arbeiterparteien unter dem Kampf eines jeden Volkes um die nationale Existenz begraben und die Bewegung um zehn oder zwanzig Jahre zurückgeworfen (24, 46), und sie müsste wie nach 1850 wahrscheinlich wieder von vorn anfangen (84). Aber ganz sicher komme nach dieser Katastrophe die Sozialdemokratie ans Ruder (84); für sie sei dann der Boden unendlich viel günstiger als jetzt (95). Überzeugt davon, dass die Sozialdemokratie nach dem Wahlerfolg von 1890 in absehbarer Zeit zur Macht komme, wünscht Engels keine Unterbrechung dieses stetigen Entwicklungsprozesses durch einen Krieg, der den Prozess um zwei bis drei Jahre abkürzen, aber auch ebenso gut um zehn Jahre verlängern könne (164). Die Sozialdemokratie entwickele sich so gut, dass sie nicht va banque zu spielen brauche, wozu der Krieg zwinge (175). Da Engels in der deutschen Arbeiterbewegung die Avantgarde der internationalen sozialistischen Bewegung sah, erwartete er, dass sie diese Position auch gegen einen äusseren Feind verteidige. Dieser Gedanke trat Anfang der neunziger Jahre in den Vordergrund und nahm festere Formen an, je mehr das französisch-russische Bündnis sich festigte. Gegen Russland, wenn es den Krieg beginne, und seine Verbündeten, wer sie auch seien, müsse der Krieg „mit allen revolutionären Mitteln" geführt werden. Engels' Überschätzung der deutschen Partei und seine Unterschätzung des kaiserlichen Deutschland sprach wieder daraus, dass er, sich des Jahres 1793 erinnernd, dieser Partei zumutete, an die Spitze des Reiches zu treten, wenn das Kaiserreich den Krieg nicht ernsthaft zu führen bereit sei (167,175,178, 234, 249). Bei der Gleichartigkeit der Äusserungen über die Kriegspolitik ist nicht zu übersehen, dass bei Engels die revolutionären Aspekte vorherrschen, bei Bebel jedoch die nationalpolitischen. Sie sind bei diesem so stark, dass er in Ausführungen des Reichskanzlers von Caprivi einen Triumph der aussenpolitischen Ansichten der Sozialdemokratie, besonders Russland gegenüber, sieht und von einem konservativen Abgeordneten ein „etwas zweideutiges Kompliment" für seine Ausführungen über die Militärvorlage erhält (251). XXXI
V Die prinzipielle Einstellung, die das Herannahen der Revolution durch den weiteren Vormarsch der Sozialdemokratie und den Zusammenbruch des Systems erwartete, wurde durch die „neue Taktik", die erfolgreiche Benutzung des Wahlrechts und die parlamentarische Tätigkeit der Sozialdemokratie, nicht beeinträchtigt. Der Theoretiker Engels sah ihre Richtigkeit vielmehr gerade durch die Wahlerfolge bestätigt. In der politischen Praxis hingegen waren Spannungen zwischen jener prinzipiellen Einstellung und der „neuen Taktik" stets vorhanden; aber erst in den letzten neunziger Jahren wurden sie so stark, dass sie sich in den Revisionismus-Debatten entluden. Ansichten wie die über die eigentümliche, seit 1848 auf dem ganzen Kontinent grassierende Krankheit des „parlamentarischen Kretinismus",43 die an der Erfahrung im bonapartistischen Frankreich demonstrierte Wertlosigkeit des allgemeinen direkten Wahlrechts für eine deutsche Arbeiterpartei,44 ferner die Propagierung der Nichtteilnahme an den Wahlen und der Nutzlosigkeit des Parlamentarismus überhaupt, wenn auch mit gewissen Vorbehalten,45 wurden bereits durch die Erfahrungen mit dem Wahlrecht während des Sozialistengesetzes erschüttert und gehörten nach den grossen Wahlerfolgen der neunziger Jahre für die politische Praxis der Sozialdemokratie endgültig der Vergangenheit an. Sie wurden gleichwohl noch sehr lange als Beweis für den einstmals „revolutionären" Charakter der dann „entarteten" Sozialdemokratie zitiert. Meistens diente ihre Zitierung zur Begründung eigener politischer Konzeptionen, wie bei Luxemburg und Pannekoek. Soweit damit jene Ansichten als nicht zeitgebunden und verbindlich bezeichnet wurden, erfolgte die Zitierung zu Unrecht. Engels und Liebknecht haben in einer Fülle von Äusserungen jenen Standpunkt als überholt bezeichnet; und es erhebt sich die Frage, ob Marx aus jenen Erfolgen nicht ähnliche Lehren gezogen haben würde wie Engels, wenn er sie sicherlich auch vorsichtiger formuliert und nicht mit solchem Elan verkündet hätte. Der Vormarsch der Sozialdemokratie bei den Wahlen — 1881 mit einem geringen Rückgang unter dem Sozialistengesetz 312.000, 1884: 550.000, 1887: 763.000, 1890: 1.427.000, 1893: 1.787.000 Stimmen - , Marx, Der achtzehnte Brumaire (Berlin, 1914), S. 73. Engels, Die Preussische Militärfrage und die Deutsche Arbeiterpartei (Hamburg, 1865), S. 48. 45 Liebknecht, Über die politische Stellung der Sozialdemokratie usw. (Leipzig, 1869). 43
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der in zwölf Jahren mehr als eine Verfünffachung der Stimmen brachte, verfehlte seine Wirkung auf Engels nicht. Das Ergebnis von 1884 war für ihn ein Ereignis von europäischer Bedeutung. Er erinnerte daran, wie 1875 die deutschen Wahlsiege in Europa einschlugen und den Bakunismus in den romanischen Ländern vertrieben; auch jetzt werde der Erfolg für England und Frankreich von grösster Bedeutung sein. „Mit einem Wort, die Siege, die Ihr erringt, wirken nach von Sibirien bis Kalifornien und von Sizilien bis Schweden" (65). Die Hauptsache sei der Beweis, dass die Bewegung mit ebenso raschen wie sicheren Schritten voran marschiere und Wahlkreis nach Wahlkreis davon ergriffen werde (67). Ein Mandatsverlust im Jahre 1887 erscheint Engels in mancher Hinsicht als ein Vorteil; insbesondere werde dadurch verhütet, dass die Partei in die Gefahr komme, „dem Parlamentarismus zu verfallen". Dagegen bedeute der Gewinn von 225 000 neuen Stimmen einen Schritt vorwärts, der seine Wirkung in ganz Europa und Amerika gehabt habe. Etwas gewaltig Imponierendes habe dieser gemessene, aber sichere, unaufhaltsame Fortschritt der Partei (100). Von besonderer Bedeutung sind die Wahlen des Jahren 1890. Mit Recht kann Engels Bebel gratulieren zu der günstigen Situation am Wahlvorabend, die durch die Ablehnung der Verlängerung des Sozialistengesetzes, die verfrühte Wahl und den Konflikt des jungen Kaisers mit Bismarck für die Sozialdemokratie entstand. Gegenüber Bernsteins und Kautskys Ansicht, dass es darauf ankomme, eine regierungsfeindliche Mehrheit zu erstreben, macht er sich selbst Bebels Meinung zu eigen, dass es bei dem Fehlen des bürgerlichen Radikalismus in Deutschland so etwas nicht geben könne. Er sieht, sobald das Sozialistengesetz falle, die Fortschrittspartei verschwinden: die Bürgerlichen darunter würden zu den Nationalliberalen gehen, die Kleinbürger und Arbeiter zur Sozialdemokratie (139), während er früher entsprechend dem politischen Entwicklungsschema meinte, die liberalen Parteien würden erst dann die Massen verlieren, wenn sie ans Ruder gelangt wären und versagt hätten (62). Auch das Zentrum sieht er infolge der Taktik Bismarcks auseinanderfallen; damit verschwinde die letzte nicht auf rein ökonomischer Basis ruhende Parteibildung, und das komme der Sozialdemokratie zugute. Er fürchtet nur eins: dass die Partei zuviel Sitze bekomme. „Aber wir werden nun einmal eine grosse Partei und müssen die Folgen davon auf uns nehmen." Für die Wahlwoche trifft er Vorsorge, dass ihm die Telegramme auch nachts zugestellt werden (140). Engels wünscht der Partei 1.200.000 Stimmen. Dass das Ergebnis noch um eine gute Viertelmillion höher liegt, macht einen sehr tiefen und nachhaltigen Eindruck (141, 142). Er ermahnt Bebel, mit grösster Umsicht und Geschicklichkeit vorzuXXXIII
gehen (148); denn nach diesem Ergebnis gehörte der Plan einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie durchaus nicht ins Bereich der Illusion. Bebel stimmt ihm darin zu und stellt als Grundsatz auf, man müsse, ohne den Anschein des Paktierens zu wecken, so operieren, dass alle politischen Anträge der Sozialdemokratie der Sympathie der bürgerlichen Kreise sicher seien (143). Dieses Wahlergebnis, das Engels natürlich rechnerisch auswertete und aus dem er die Folgerung zog, dass die Wahlerfolge sich in arithmetischer Progression fortsetzen würden, veranlasste die Prognose, dass die Sozialdemokratie bis 1898 ans Ruder kommen könne. Für die Taktik, mit der solche überzeugenden Siege errungen wurden, war er rückhaltlos gewonnen. Daran dachte wohl F. A. Sorge, als er in bewegten Worten an K. Kautsky darüber klagte, dass Engels seit dieser Zeit durch den Einfluss von Deutschen angekränkelt gewesen sei.48 Nun hing Sorge, mehr als vielleicht irgend jemand, mit unerschütterlicher Treue an Marx und Engels, und dieses persönliche Verhältnis erklärt den bitteren und verletzenden Ton seiner Äusserung. Man darf andrerseits nicht vergessen, dass er in seinen Erinnerungen lebte und der europäischen Entwicklung seit langem entfremdet war. Es bedarf kaum der Erwähnung, dass nicht nur die persönlichen Beziehungen zu führenden Sozialdemokraten Engels beeinflussten, sondern in der Hauptsache die Ereignisse selbst. Über das Wahlergebnis von 1893 liegt uns keine Äusserung Engels' zu Bebel vor, während dieser ihn über die Wahlbewegung auf dem laufenden hielt (262, 264, 266-268, 270, 271). Aber Engels äusserte einen Optimismus, „dass man ordentlich erschrickt", und dass selbst Bebel „angst und bange" wurde (268). Er hatte der Sozialdemokratie 2. November 1900: „. . . Sie wissen wahrscheinlich, dass Engels (und auch Schorlemmer) im Hochsommer 1888 eine Woche bei mir wohnte. In dieser Zeit haben wir lebhaft Unterhaltungen geführt, fast über alles, was die Bewegung und die Partei betrifft und seine (Engels') Stellung zu den verschiedenen Fragen und Ländern. Es ist möglich, dass ich noch einiges davon veröffentliche, woraus dann auch andere Leute ausser mir erkennen werden, dass mein alter Freund damals noch er selbst war, noch nicht angekränkelt durch den Einfluss, den Deutsche später auf ihn ausübten, einen Einfluss, den Sie sehr wohl kennen und in Ihren Streitschriften gegen Bernstein berührt haben. Ich habe diesen Einfluss gar sehr verspürt in den Briefen, die ich in den neunziger Jahren von Engels empfing, und ganz besonders von der Zeit an, als verschiedene Grössen sein Haus als Absteigequartier benutzten. Diese Besudelung des Hauses meines alten Freundes werde ich nie vergessen, und deshalb habe ich seit längerer Zeit vermieden, mit gewissen Leuten in nähere Verbindung zu treten, so hoch sie auch stehen mögen. . . " Mit der Andeutung des Kautsky bekannten Einflusses dürfte Sorge neben den revisionistischen Gedankengängen Kautskys Äusserung meinen, dass persönliche Freundschaft verstummen müsse, „sobald wissenschaftliche oder politische Überzeugung mit ihr in Konflikt" komme. Bernstein und das sozialdemokratische Programm (Stuttgart, 1899), S. VI. 46
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21/i bis 2Vä Millionen Stimmen zugebilligt; würde nicht wiederum verfrüht, sondern zur normalen Zeit gewählt, so würden es 3V2 Millionen Stimmen sein (268 Anm. 3). Die Tatsache, dass das Ergebnis um eine halbe Million hinter der vorsichtigsten Schätzung zurückblieb, konnte ihn in seinen enthusiastischen Prognosen nicht beirren; er wiederholte, dass die Partei sehr wohl gegen Ende des Jahrhunderts an die Macht kommen könne. Noch im Vorwort zur Neuausgabe der Klassenkämpfe in Frankreich, 1895, betrachtete er die Aussichten der Sozialdemokratie, als er ihre besondere Stellung und Aufgabe behandelte, voll Siegeszuversicht: „Die Masse liefert schon jetzt über ein Viertel der abgegebenen Stimmen; und wie die Einzelwahlen für den Reichstag, die einzelstaatlichen Landtagswahlen, die Gemeinderats- und Gewerbegerichtswahlen beweisen, nimmt sie unablässig zu. Ihr Wachstum geht so spontan, so stetig, so unaufhaltsam und gleichzeitig so ruhig vor sich wie ein Naturprozess. Alle Regierungseingriffe haben sich ohnmächtig dagegen erwiesen. Auf 21/i Millionen Wähler können wir schon heute rechnen. Geht es so voran, so erobern wir bis Ende des Jahrhunderts den grösseren Teil der Mittelschichten der Gesellschaft, Kleinbürger wie Kleinbauern, und wachsen uns aus zu der entscheidenden Macht im Lande, vor der alle anderen Mächte sich beugen müssen, sie mögen wollen oder nicht. Dies Wachstum ununterbrochen im Gang zu halten, bis es dem herrschenden Regierungssystem von selbst über den Kopf wächst, das ist unsere Aufgabe."47 Was die parlamentarische Tätigkeit angeht, so war Bebel schon sehr früh der Ansicht, dass die Sozialdemokratie, solange sie parlamentarisch mittue, sich nicht in der reinen Negation halten könne (21), und auch den Treueid des Abgeordneten hält er, wenn auch nur als Formalität, für geboten; „denn wollte man ihn nicht leisten, so brauchte man überhaupt nicht zu wählen" (23). Engels sah zu dieser Zeit die Fragen, in denen sozialdemokratische Abgeordnete aus der reinen Negation heraustreten könnten, als sehr eng begrenzt. Das sei nur möglich in Fragen, die das direkte Verhältnis der Arbeiter zum Kapitalisten beträfen, Fabrikgesetzgebung, Normalarbeitstag, Haftpflicht, Lohnzahlung in Waren u. dgl., allenfalls noch bei Fragen in rein bürgerlichem Sinne, die einen positiven Fortschritt bildeten: Münz- und Gewichtseinheit, Freizügigkeit, Erweiterung der persönlichen Freiheit. In allen anderen ökonomischen Fragen müsse immer der entscheidende Gesichtspunkt sein, nichts zu bewilligen, was die Macht der Regierung gegenüber dem Volk verstärke (22). Wieder zu Unrecht hat man, wie etwa K. Brandis es tut,48 diese Äusserung aus dem Jahre 1879 als Engels' Ansicht über die parlamentarische Tätig47 48
Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848-1850 (Berlin, 1895), S. 17. Brandis, a. a. O., S. 90.
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keit schlechthin genommen. Überhaupt richtet sich die Kritik, die Brandis wiederholt an der Sozialdemokratie übt, gegen Engels selbst: dass in der Diskussion über die Dampfersubvention Marxsche Kriterien, die eine negative Haltung verlangten, keine Rolle spielten; und dass die gesamte Fraktion dem Bau des Nord-Ostsee-Kanals zustimmte. 49 Gerade Engels hatte ja den Weg des Kompromisses gewiesen, auf dem man der Subvention zustimmen könne (84-86); und gerade Engels erklärte es für „töricht, aus angeblicher Opposition gegen die Benutzung des Kanals durch die Flotte für einen seichten, weniger als acht bis neun Meter tiefen Kanal zu s t i m m e n . . . Den Kanal aber so einrichten, dass er in zehn bis zwanzig Jahren ebenso nutzlos und veraltet ist wie der alte Eiderkanal, hiesse Geld zum Fenster hinauswerfen" (86). Aber auch in politischen und gar militärischen Fragen verlässt Engels die Haltung der reinen Negation. Eingehend erörtert er Möglichkeit und Grenzen der Unterstützung der Regierung durch die Sozialdemokratie in einem drohenden Kriege; dabei behandelt er sowohl die prinzipielle Seite der Frage als auch Fragen der militärischen Zweckmässigkeit (167). Als Lafargue die Indiskretion beging, in einer Versammlung auszuplaudern, er habe 1870 aus den Kreisen der Intern. Arb.-Assoziation Feldzugspläne erhalten, ist Engels in allergrösster Bestürzung (180, 182, 183). Dann wieder teilt er Bebel einen Spionagefall von der deutschen Ostgrenze mit, den Bebel verwerten will; denn „dass dort an der russischen Grenze keine Schweinereien zu Deutschlands Schaden vorgehen, dabei sind wir alle interessiert" (255-257). Skeptisch äussert sich hin und wieder über den Nutzen der parlamentarischen Arbeit Bebel. In einem Anfall von Parlamentsmüdigkeit fragt er sich, ob sie Zeit und Kraft lohne (52). Engels beruhigt ihn: es sei damit wie mit dem Reklamemachen und Herumreisen im Geschäft. Der Erfolg komme nur langsam, für manchen gar nicht. Aber wer einmal darin sei, müsse die Dinge bis zu Ende durchmachen, oder alle Mühe sei verloren (53). Bebel meint an der Fraktion korrumpierende Auswirkungen des Parlamentarismus beobachten zu können; gäbe es Diäten, sei es noch schlimmer — dabei stimmte die Fraktion natürlich sämtlichen immer wiederkehrenden Anträgen auf Diäten49
Ebd., S. 86ff., 92. Dabei gewinnt Brandis diese Marxschen Kriterien für die Wirtschaftspolitik auf folgende Weise: „Eine Zusammenfassung der wirtschaftspolitischen Auffassungen des Marxismus, insbesondere eine Darstellung seiner Haltung zu den Fragen der imperialistischen Politik, die erst nach Marxens Tode akut wurden, kann nur durch die Interpretation kleinerer Aufsätze und Reden Marx-Engels' gewonnen werden." Und dabei stützt er sich auf Marx' Rede über den Freihandel von 1848 und Engels' Ausführungen über Fr. List und über Schutzzoll- oder Freihandelssystem, beide von 1845(1). Ebd., S. 87.
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Zahlung zu —, und er spricht vom „Sumpf des Parlamentarismus" (78). Engels stimmt ihm zu, aber meint, dass „auch die richtigen Leute ins Parlament kämen", wenn der Kampf sich zuspitze (79). Auch später hielt Bebel die Parlamentsluft für eitle Leute für besonders gefährlich (235). Aber das waren Äusserungen gelegentlichen Unmutes, und sie berührten nicht die grundsätzliche Bejahung des parlamentarischen Weges. Gegenüber denen, die geringschätzig vom Parlamentarismus dachten, wurde immer schon das Argument benutzt, dass von der Tribüne des Reichstages die wirkungsvollste Agitation zu führen sei. Und im Reichstag, der selbst schon in der verfassungsmässigen Struktur des Reiches gegenüber Kaiser und Bundesrat eine untergeordnete Rolle spielte, konnte zumal die Opposition nur durch die Ausnutzung aller parlamentarischen Möglichkeiten und durch intensivste Mitarbeit einigen Einfluss ausüben. Sie musste in den Kommissionen Vorlagen zu beeinflussen suchen, was ihr wiederholt gelang, nicht nur bei sozialpolitischen Gesetzentwürfen, sondern auch bei der lex Heinze oder der Umsturzvorlage. Die Mitarbeit war eine der Folgen der Tatsache, dass die Sozialdemokratie eine grosse Partei geworden war, wie Engels sagte (140). Bebel nahm diese Arbeit besonders ernst. Er gehörte den wichtigsten Ausschüssen an und versäumte kaum eine Sitzung, obwohl allein die Arbeiterschutz-Kommission in einem Monat fünfzehn Mal tagte (146). Er beteiligte sich an den Sitzungen der Militärkommission und ihrer Subkommission, und zwar auch an den Debatten über militärtechnische Fragen (146, 251, 256). Doch blieb es stets der Grundsatz, den Etat abzulehnen, „der stärkste Protest, der parlamentarisch gegen eine Regierung ausgesprochen werden kann" (234). Für Bebel erhalten parlamentarische Gesichtspunkte in wichtigen Situationen eine solche Bedeutung, dass er, dem die Partei der höchste politische Wert ist,50 sogar innerparteiliche Angelegenheiten im grösseren Rahmen sehen kann. Während der Umsturzdebatten (302, 305, 306, 309-314, 316, 317) stellt er mit Befriedigung fest, dass die Auseinandersetzung mit Vollmar den bürgerlichen Parteien die Gewissheit gegeben habe, die Sozialdemokratie sei nicht so gefährlich, wie sie erscheine, und dass also Ausnahmegesetze gegen sie nicht nötig seien (306, 309). Die Erreichung des Zieles auf parlamentarischem Wege setzt die Gewinnung der „Majorität der Wähler, also der Nation" (70) voraus. Nach dem Wahlerfolg des Jahres 1890 stellte Engels eine Berechnung 50
Bebel an V. Adler 4. November 1898: „. . . Mit der Infragestellung der Grundsätze ist auch die Taktik in Frage gestellt, ist unsere Stellung als Sozialdemokraten in Frage gestellt, handelt es sich um Sein oder Nichtsein als Partei." Grundsätze, Taktik, Partei — ist eine Steigerung im Sinne Bebels.
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auf: binnen drei Jahren könne die Sozialdemokratie die Landarbeiter gewinnen, und damit habe sie „die Kernregimenter der preussischen Armee" aus den östlichen Provinzen,51 und bis Ende des Jahrhunderts den grösseren Teil der Mittelschichten, Kleinbürger und Kleinbauern. Nun war es die grundsätzliche Ansicht, dass diese Schichten kommen müssten (22), und es wurden keine Anträge zu ihren Gunsten gestellt (69). Diese grundsätzliche Ansicht wurde beibehalten, obwohl die Partei eine sehr intensive Agitation betrieb und z.B. grundsätzlich auch in aussichtslosen Wahlkreisen Kandidaten aufstellte, um die Möglichkeit der Agitation zu haben und die Anhänger zu zählen. Bebels Urteile über Jaurès' und Lafargues Anträge zugunsten der Kleinbauern, die ihn an Vollmars Politik erinnern, lassen an dieser Einstellung trotz der Agitation keinen Zweifel (247, 293, 295, 297, 298).52 Die ersten Versuche, zur Agrarfrage ein Verhältnis zu gewinnen, scheiterten an jener prinzipiellen Haltung (306, 318), und erst 1927 konnte die Sozialdemokratie sich ein positives Agrarprogramm geben. So konnte Bebel, als die Partei aus diesen Schichten nicht den erwarteten Stimmenzuwachs erhielt, nur darüber klagen, dass sie sich jämmerlich benommen hätten (271). „Ich hörte Handwerker sagen: ihr erklärt ja rundheraus, dass ihr uns nicht helfen könnt; wir wollen aber nicht untergehen, und da wählen wir antisemitisch; sie versprechen, uns zu helfen. Ähnlich steht es mit den Kleinbauern. Rede den Menschen mit Engelszungen gegenüber und beweise ihnen haarscharf, dass alles Schwindel sei, sie bleiben d a b e i . . D a b e i weiss er, dass Handwerker und Kleinbürgertum in einer sozial äusserst gedrückten Lage sind, und dass die Notlage der Kleinbauern furchtbar geworden ist (272). Die Tatsache, dass diese Schichten stark antisemitisch wählten, war ihm schon früher ein Symptom für den raschen Untergang dieser Schichten, wie der Antisemitismus überhaupt die gegnerischen Parteien zum Vorteil für die Sozialdemokratie zersetze (210). Er schreibt die Erfolge der Gegner bei diesen Schichten lediglich ihrer Propaganda zu, und darin änderte sich seine Ansicht niemals.53 An Liebknecht 9. März 1890. An Sorge 12. April 1890: „ Also Aussicht, dass wir jetzt bald das Landproletariat der Ostseeprovinzen erobern, und damit die Soldaten der „Kernregimenter". Dann ist die ganze alte Wirtschaft Kladderadatsch und wir herrschen . . ." 52 Über die Ursachen der positiven Bauernpolitik in Frankreich s. E. H. Posse, Der Marxismus in Frankreich 1871-1905 (Berlin, 1930), S. 35, 54ff. - H. Goldberg, „Jaurès and the Formulation of a Socialist Peasant Policy 1885-1898", Intemational Review of Social History, 1957, S. 372ff. — C. Landauer, „The Guesdists and the Small Farmer. Early Erosion of French Marxism", ebd., 1961, S. 212ff. 53 Im Vorwort zur Ausgabe der Klassenkämpfe in Frankreich (Berlin, 1911): „In einem täuschte sich Friedrich Engels in seiner Auffassung. Die Partei hat aus den 51
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Als die Handlungsgehilfen sich zu organisieren begannen, ohne sich zur Sozialdemokratie zu rechnen, war die Distanzierung von ihnen eine selbstverständliche Pflicht (318). Aber doch weiss er, dass, je grösser die Partei werde, desto mehr Elemente kämen, die unklar seien, aber das Verlangen hätten, „praktisch" zu sein (293). Solange Engels nur die revolutionäre als die normale Entwicklung sah, bot ihm der proletarische Klassencharakter der Partei die Gewähr für die Erfüllung ihrer historischen Aufgabe; die Ausscheidung der nichtproletarischen Elemente erschien ihm als Notwendigkeit. Damals forderte er, man solle den Mut haben, unter Umständen den augenblicklichen Erfolg wichtigeren Dingen (dem Prinzip) zu opfern (7). Dazu stimmte es, dass er die Ansicht vertrat, die Aufrüttelung der gleichgültigen Volksmassen könne nur durch die Ereignisse selbst geschehen, und die Eroberung der Massen im Sturm sei viel wertvoller als die allmähliche durch offene Propaganda, der man in Deutschland immer zuviel Wert beigelegt habe (36). Jetzt, da er mit der Erringung der Mehrheit in absehbarer Zeit als der normalen Entwicklung rechnet, stellt er fest, dass die „Gefahr der Spaltung" „nicht im entferntesten vorhanden" sei; die Partei sei so gross, dass absolute Freiheit der Debatte in ihr eine Notwendigkeit sei. „Die grösste Partei im Reich kann nicht bestehen, ohne dass alle Schattierungen in ihr vollauf zur Geltung kommen . . ."54 1892 redet er einer Presse das Wort, die nicht vom Parteivorstand und Parteitag abhängig sei und innerhalb des Programms gegen Parteimassnahmen Opposition machen und innerhalb des Parteianstandes auch Programm und Taktik frei kritisieren könne. Die Partei wachse aus der bisherigen Disziplin heraus, mit zwei bis drei Millionen und dem Zustrom gebildeter Elemente sei mehr Spielraum nötig (242). Schon ein Jahr vorher hatte ihn Bebels sicher zu optimistische Andeutung, dass in Technikerkreisen grosses Interesse für die Partei bestehe, froh gemacht und zu Erörterungen über die Bedeutung dieser Kreise veranlasst (175, 176, 178). Aber auch diese Änderung seiner Ansichten erfolgte in Übereinstimmung mit jener, die man gewiss verallgemeinern darf: die Partei lege sich in Fesseln, wenn sie sich an frühere Beschlüsse binden wolle. Massgebend müssten für sie immer die „lebendigen, stets wechselnden
Kreisen der Kleinbürger und Kleinbauern nicht den Zuwachs erhalten, den er glaubte annehmen zu müssen. Er sah nicht die intensive Agitation, die das Agrariertum und die an der ökonomischen Rückständigkeit Deutschlands interessierten Schichten in den Kleinbauern- und Kleinbürgerkreisen entfalteten . . . Blieb aus diesen Gründen der raschere Fortschritt der Sozialdemokratischen Partei hinter den Erwartungen, die Engels und mit ihm andere hegten, zurück, die Zukunft wird nachholen, was die Vergangenheit noch nicht brachte." S. 6. 54 An Sorge 9. August 1890.
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Bedürfnisse" sein; wolle man sie früheren Beschlüssen unterordnen, die starr und tot sein könnten, so grabe sie sich ihr eigenes Grab (2). Hiermit stimmte es auch wieder überein, wenn Engels bei allem Verständnis für die durch die innerdeutschen Verhältnisse bedingte Taktik der Sozialdemokratie sich dagegen wehrte, dass man einer Taktik überhaupt absolute Gültigkeit zuschreibe. 55 Die Änderungen in Engels' Vorwort zur neuen Ausgabe von Marx' Klassenkämpfe in Frankreich im Jahre 1895 haben eine lebhafte literarische F e h d e hervorgerufen. Sämtliche Änderungen nahm Engels selbst vor angesichts der drohenden Umsturzvorlage, so dass von einer Verfälschung des Vorwortes durch den sozialdemokratischen Parteivorstand nicht gesprochen werden kann. 54 Nur einige, gegenüber den von ihm selbst vorgenommenen als geringfügig zu bezeichnende Änderungen lehnte er ab, so dass sie unterblieben. 57 Nachdem er die Aussichtslosigkeit eines Aufstandes gegen modernes Militär eingehend dargelegt hat, will er doch nicht „den absoluten Verzicht aufs Dreinschlagen" predigen und wünscht, dass die Partei sich das Recht des Widerstandes wahre zur Verteidigung im Falle eines gewaltsamen Vorgehens gegen sie. Bebel beantwortete Engels' Brief an Fischer (314) mit einer nachAn Richard Fischer 8. März 1895. Am krassesten drückte es wohl K. Sauerland, Der dialektische Materialismus (Berlin, 1932), S. 89ff. aus. Auch G. Mayer machte sich die Auffassung zu eigen, dass der Parteivorstand einige Äusserungen unterdrückt habe. Friedrich Engels, Bd. II, S. 497ff. Allerdings gesteht er, dass er Engels' Brief an Fischer vom 8. März nicht habe auffinden können, ebd. S. 567. Hätte er den Brief gekannt, dann würde er jene Ansicht nicht geäussert haben. Neuerdings sprach noch G. A. Ritter, Die Arbeiterbewegung S. 42 von einer Verfälschung des Vorwortes. Engels' Protest richtete sich nicht gegen die Veröffentlichung des Vorwortes in der bekannten Form, sondern gegen Liebknechts entstellende Zusammenfassung im Vorwärts, s. Brief Nr. 314 Anm. 1. 57 An Fischer 8. März 1895: „Ich habe Euren schweren Bedenken nach Möglichkeit Rechnung getragen, obwohl ich beim besten Willen nicht einsehen kann, worin die Bedenklichkeit bei etwa der Hälfte besteht. . . Ich habe also Eure Änderungen akzeptiert mit folgenden Ausnahmen: l.)Fahne 9, bei den Massen, heisst es jetzt: sie müssen begriffen haben, für was sie eintreten sollen. — 2.) folgender Absatz, der ganze Satz vom Losschlagen gestrichen. Euer Vorschlag enthielt eine tatsächliche Unrichtigkeit. Das Schlagwort vom Losschlagen gebrauchen Franzosen, Italiener etc. alle Tage, nur ists weniger Ernst. — 3.) Fahne 10: Der sozialdem. Umsturz, der augenblicklich davon lebt, wollt Ihr das augenblicklich fort, also eine augenblickliche in eine dauernde, eine relative in eine absolut geltende Taktik verwandeln. Das tue ich nicht, kann ich nicht tun, ohne mich unsterblich zu blamieren. Ich vermeide also die Stellung des Gegensatzes und sage: der s.z. Umsturz, dem es gerade jetzt sehr gut bekommt, dass er die Gesetze hält.. . Die Leute wissen ja so gut wie wir, dass wir mit Macht dem Sieg entgegen rücken, dass wir in ein paar Jahren unwiderstehlich werden, und deswegen wollen sie uns schon jetzt an den Kragen . . . Gesetzlichkeit, solange und soweit sie uns passt, aber keine Gesetzlichkeit um jeden Preis, selbst nicht in der Phrase!" 55 56
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drücklichen Verteidigung der Haltung der Partei und will dann (316) „kein Wort mehr darüber verlieren, da die Broschüre ja erschienen" sei. Dass man nicht einmal Engels' Entrüstung über Liebknechts entstellenden Abdruck im Vorwärts allzu ernst nahm, zeigt eine Bemerkung Paul Singers.58 Engels will ohne Zweifel, wie jene Äusserung zeigt, nicht als Anbeter der Gesetzlichkeit um jeden Preis gelten. Aber Bebel und der Parteivorstand konnten — ganz abgesehen von der durch die Umsturzdebatte gegebenen taktischen Zwangslage, aus der die Änderungswünsche entsprangen und von Engels verstanden und erfüllt wurden, — sich auch darin mit Engels durchaus einig fühlen. Sie selbst waren ja grundsätzlich revolutionär und hatten jene oben skizzierte prinzipielle Haltung niemals aufgegeben. Und der Erwartung des schliesslichen Sieges der Partei auf dem Wege der Wahlen und des Parlamentarismus hatte Engels gerade jetzt in jenem Vorwort ja mit solchem Optimismus Ausdruck gegeben. So liegt die eigentliche Bedeutung des Falles nicht in der Beantwortung der Fragen, ob Engels die Gewaltanwendung überhaupt abgelehnt habe oder ob das Vorwort gefälscht sei, sondern darin, dass Engels die beiden Elemente deutlich nebeneinander stellt, die bei ihm wie bei Bebel und in der Haltung der Sozialdemokratie stark ausgeprägt sind: den parlamentarischen Weg zum Siege und die revolutionäre Grundhaltung, — wenn man die Beantwortung eines gewaltsamen Vorgehens gegen die Partei mit Gewalt als revolutionär bezeichnen will.
VI Selbst wenn dem Theoretiker Engels die Vereinigung dieser Elemente gedanklich, in schöpferischer Konzeption gelungen wäre, — wie sollte es einer demokratischen Massenpartei gelingen, diese heterogenen Prinzipien in der praktischen Politik zu verbinden?59 In dieser Unmöglichkeit ist der zwiespältige Charakter der Politik der Sozialdemokratie begründet. Auffallend sind die Widersprüche in Engels' wie Bebels ÄusserunAuf Fischers Brief an Engels vom 6. April 1895 bemerkte er nach der Anrede Fischers „Lieber General": „Nicht so hitzig! Du haust uns ja doch nicht. Herzlichst Dein Paulus." 59 Arthur Rosenberg hält das, in Ubereinstimmung mit Engels, für möglich: „Die politische Führung der Bewegung muss nur dann den richtigen psychologischen Moment erkennen, in dem der Übergang von der Legalität zur Aktion erfolgt." Demokratie und Sozialismus. Zur politischen Geschichte der letzten 150 Jahre (Amsterdam, 1938), S. 289f. 58
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gen. Aus Bebels Reden und Schriften wie aus seinen Briefen konnten Linke und Rechte, sogen. Marxisten und sogen. Revisionisten ihre Sondertheorien stets lückenlos dokumentieren, ebenso wie mit EngelsZitaten. Treffend hat R. Michels diese „grösste Widerspruchsfülle" festgestellt mit der Kennzeichnung, dass aus Bebel wie aus der Bibel alles zu beweisen sei.40 Die Ursache dieser Widerspruchsfülle gab Bernstein richtig an, wenn er von Bebels „dogmatischer Denkweise" sprach, „die bei ihm im krassesten Widerspruch steht zu seiner helläugigen Praxis. Niemand glaubt mehr an die Zusammenbruchstheorie wie August, niemand lässt sich aber weniger in seinem praktischen Handeln durch sie bestimmen wie er. Er könnte mich köpfen lassen, wenn ich ihm theoretisch bewiese, was er praktisch t u t . . ."61 Gerade weil aus den Äusserungen beider Korrespondenten alles zu beweisen ist, wird es zur besonderen Pflicht, zu untersuchen, ob sie der Reihe der politischen Theorie zuzuordnen sind oder jener der Grundsätze der Praxis. Wollte man die Äusserungen vermischen oder verabsolutieren, so erhielte man eine Konstruktion, die höchstens der Propaganda für irgendeine Richtung, aber nicht der Erkenntnis dienen kann, und man würde die politische Problematik der Sozialdemokratie verkennen oder verdunkeln. Neben den Widersprüchen fällt die Fülle falscher Prognosen auf. Aus ihnen spricht eine Überschätzung der Schwäche und Anfälligkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems und des politischen Regimes, eine Uberschätzung der eigenen Stärke und des Tempos der Entwicklung. Sei es, dass geringfügige Krisenerscheinungen, Unzufriedenheit, Klagen über schlechten Geschäftsgang als Krisen des Kapitalismus aufgefasst werden; dass längere als sechsmonatige Prosperitätsperioden nicht mehr für möglich gehalten werden; dass die Endkrise, der Zusammenbruch in naher Zukunft gesehen wird, ohne dass doch eine Vorstellung von ihr zu bestehen scheint; dass schon das Absinken der Effektenkurse eine gründliche Aufräumung in den Mittelschichten bedeuten soll; dass die in sechs Monaten zu bewältigende Erschliessung Chinas das letzte Sicherheitsventil der kapitalistischen Wirtschaft sein soll. Oder sei es, dass der politische Zusammenbruch sich immer wieder ankündigen soll in der Ratlosigkeit der kaiserlichen Regierung und der oberen Regionen, die einmal nicht mehr wissen, wie sie der nahenden Sintflut, dem Fatum, das die Sozialdemokratie für die Gesellschaft bedeutet, entrinnen sollen; dass der Zerfall der gegnerischen Parteien der Sozialdemokratie zugute kommen soll; dass überhaupt alles, was auch geschehen möge, ihr den 60
„August Bebel", in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 37. Bd.
(1913), S. 690ff. 61 An V. Adler 28. März 1899.
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Weg bereiten müsse; dass der Zusammenbruch komme, ohne dass sie selbst irgendetwas zu tun brauche; dass er mit Naturnotwendigkeit sich vollziehe, selbst wenn sie die Hände in den Schoss lege. Hand in Hand damit ging eine Überschätzung der eigenen Stärke, die durch die Wahlerfolge verursacht wurde und rechnerisch zu der Annahme verleitete, dass in drei Jahren die Landarbeiter im östlichen Deutschland und in wenigen weiteren Jahren die grösseren Teile der Mittelschichten gewonnen werden könnten. Als Engels nur den revolutionären Weg für den normalen hielt, sah er die Entwicklung sich in ähnlichem Tempo vollziehen, wobei er unverkennbar an die 1848er Revolution dachte. Die bürgerliche Republik diene der Sozialdemokratie „zur Eroberung der grossen Massen der Arbeiter für den revolutionären Sozialismus, das ist in einem oder zwei Jahren abgemacht . . .",62 Bis zu einem gewissen Grade sind diese Irrtümer zu verstehen aus dem starken Optimismus, zu dem Engels wie Bebel die revolutionäre Ungeduld verführte. An Bebel wird bis zu seinem Lebensende die jugendliche Impulsivität und Raschheit des Urteils gerühmt; er sei „impulsiv und vorschnell und dabei hartnäckig, wenn er sich einmal entschieden" habe. 63 Er kann Engels und sich „eigentlich die Jungen" in der Partei nennen (163). Aus Engels' Briefen kennen wir dieselben Züge; selbst wenn er danebenhaut, drückt er sich doch mit grösster Entschiedenheit und Präzision aus. „Verwegene Einseitigkeit" nannte G. Mayer diese Haltung, die Engels immer eigen blieb. 64 Dann waren es die ersten Erfahrungen mit dem Wahlrecht, dessen Ausübung so grosse Erfolge brachte und zu berauschenden Visionen veranlasste. Bebel hatte ferner als Agitator unvergleichliche Erfolge bei den Massen wie im Parlament; wie hätte er selbst von diesen Erfolgen unbeeinflusst bleiben sollen! Er nahm auch gern die zweckpessimistischen Äusserungen kaiserlicher Offiziere und Ministerialbeamten in den Reichstagskommissionen zur Stärkung seines Optimismus auf. Engels wieder hatte sich immer mehr an militärstrategisches Denken gewöhnt, und daher rechnete er, wenn er auch gelegentlich die Kampfkraft nationaler Heere wertete (95), mit festen, messbaren Grössen, Heeresstärken und Art und Umfang der Bewaffnung. Und diese strategische Denkart übertrug er auf den Klassenkampf. Doch erklären diese Momente nicht ganz das eigenartige Verhältnis von Theorie und Praxis bei den Korrespondenten. Es wäre auch verfehlt, es als „dialektisch" interpretieren zu wollen; denn offensichtlich stehen die beiden Reihen — der theoretischen Überzeugungen und der 82 63 64
An Bernstein 27. August 1883. Kautsky an V. Adler 21. Mai, 7. Juli 1913. Friedrich Engels, Bd. II, S. 432.
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Grundsätze der praktischen Politik — beziehungslos nebeneinander und sind in ihrer wesentlichen Andersartigkeit nur als Gegensatz von Theorie und Praxis zu verstehen. Der Theoretiker gewinnt seine grosse Perspektive, — seiner Ansicht nach das Spiegelbild des geschichtlichen Verlaufes in abstrakter, logischer und theoretisch konsequenter Form, — durch Abstraktion von allem „Zickzack" der Entwicklung und ihren „störenden Zufälligkeiten".65 Sosehr der Politiker sich letzten Endes auch an jener Perspektive orientieren mag, in der täglichen Praxis hat er es nur mit diesem Zickzack zu tun und nur mit den störenden Zufälligkeiten. Während Marx zudem im Alter bei jenem Verfahren durch wissenschaftliche Bedenken zu grösserer Vorsicht veranlasst wurde, erscheinen schwierige Gedankengänge in Engels' konkreter, direkter, leichter verständlicher Sprache erheblich vereinfacht. In diese Perspektive passte Engels genau wie Bebel Wahrnehmungen des Tages ein, und daher ist es wohl zu verstehen, dass er die wirkliche Entwicklung sich so geradlinig und in schnellem Tempo vorstellen konnte, wie ihr „Spiegelbild" sich in seinen Gedanken bewegte. Die falschen Prognosen und die oft groteske Verzeichnung der Perspektive dürften in dieser Eigenart, Tatsachen der realen Wirklichkeit des Tages ohne weiteres einzufügen in die rationale Deutung einer langfristigen Entwicklung, ihre Erklärung finden; und darin ist auch der „naive Optimismus" begründet, den G. Mayer bei Bebel feststellte, und der ebenso bei Engels zu finden ist. Alle sozialdemokratischen Führer kannten die Spannungen zwischen Theorie und Praxis, Ideologie und Politik, und sie sind in Engels' Korrespondenzen mit ihnen als Differenzen und Meinungsverschiedenheiten um so mehr zu finden, je weniger es sich im Meinungsaustausch um theoretische Fragen, je mehr es sich um praktische Politik handelt; am häufigsten sind sie also im Briefwechsel mit Liebknecht, dann in dem mit Bebel, weniger in dem mit Bernstein und am wenigsten in dem mit Kautsky zu finden. Demgemäss wird auch Engels' Bedeutung empfunden. Während der reine Theoretiker Kautsky noch zehn Jahre nach Engels' Tod ihn auf Schritt und Tritt vermisst,46 kann der reine Praktiker Auer sogleich den Verlust nicht besser charakterisieren als damit, dass Engels als „Oberpatriarch der heiligen Familie" sehr fehlen werde; er sei unersetzlich in der „Bibelauslegung", und man werde sich bis auf weiteres ohne „Urquell der Wahrheit" behelfen müssen. Wie sehr jedoch auch die „Rechte" in der letzten Zeit Engels' Autorität würdigte, zeigt Auers Bemerkung, sie sei vielleicht imstande 65 F . Engels, „ H e g e l und die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie", in: Die Neue Zeit, Jahrg. X X X I X (1920), Bd. I, S. 417ff. S. dazu M. Rosental, Die Dialektik in Marx' ,Kapital' (Berlin, 1957), S. 364ff., 372f£. 66 An V. Adler 12, Dezember 1904.
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gewesen, Bebels Schwankungen in der Agrarfrage zwischen dem Frankfurter und Breslauer Parteitag zu überwinden.67 Victor Adler, sicherlich einer der scharfsichtigsten sozialdemokratischen Führer, empfand ständig jene Spannungen, und er suchte sie zu vermindern dadurch, dass er Übertreibungen vermied: die prinzipiellen Fragen, voll Skepsis gegen voreilige, optimistische Prognosen,68 nüchterner betrachtete und in der Politik mehr Entschiedenheit forderte. Er wusste sehr wohl, dass auch Engels „revidierte", wo es nötig war, und zu Beginn der Revisionismus-Debatten sah er „in allem nur die Schwierigkeit, die aus dem Tode von Engels uns geblieben ist; der Alte hätte uns auch die „Revision", soweit sie nötig ist, erleichtert. So müssen wir es mühsam selber machen..." 6 9 Es scheint, dass auch Arthur Rosenberg, dessen Werk immer wieder durch die zügige Durchführung grosser Entwicklungslinien besticht, der Gefahr der Verabsolutierung bestimmter Äusserungen bei seiner Behandlung von Engels' Verhältnis zu den Parteien der II. Internationale nicht entgangen ist.70 Ihm stellt sich die Frage, warum Marx und Engels, die eine revolutionäre Realpolitik trieben, nicht gegen den falschen Kurs der sozialistischen Parteien Europas protestiert hätten, warum sie nicht das Kommunistische Manifest den veränderten Verhältnissen gemäss neu herausgegeben und warum Engels nicht 1890 „ein entsprechendes Buch als Leitfaden für die Politik der neuen Internationale" hätte erscheinen lassen. Und er beantwortet die Fragen damit, dass beide die wirkliche Eigenart der seit den sechziger Jahren sich herausbildenden europäischen Arbeiterparteien niemals ganz verstanden hätten. Sie hätten einzelne Fehler in der Politik der Parteien gesehen, wo es sich um einen neuen Parteitypus handelte: die „normale Berufspartei der europäischen Arbeiter" sei „von dem revolutionären Marxismus ihrem Wesen nach verschieden gewesen". Bei der Einseitigkeit seines ganzen Urteils habe Engels die Sozialdemokratie für eine revolutionäre Partei gehalten; ihre revolutionäre Kraft sei die Basis aller seiner Erwägungen einer deutschen Revolution gewesen, die er in den letzten zehn Jahren seines Lebens immer wieder angestellt habe. Wir haben von Engels sehr prägnante, von gründlicher Kenntnis zeugende Charakteristiken verschiedener politischer und gewerkschaftlicher Gruppen in England und Frankreich — und während zweier Jahrzehnte sollte sein Verhältnis zur deutschen Sozialdemokratie, zu der seine Verbindung am engsten war, auf einem Missver67 68 60 70
An dens. 26. September 1895. An Kautsky 30. November 1901. An Bebel 1. November 1898. A. Rosenberg, a. a. O., S. 275-292.
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ständnis beruht haben? Wenn die Politik der sozialistischen Parteien gemessen wird am revolutionären Marxismus — wo liegt zeitlich die Grenze seiner Fixierung? Liegen ihm nur die Erfahrungen der 48er Revolution und der Kommune zugrunde, und wurde er abgeschlossen etwa mit Marx' Programm-Kritik im Jahre 1875? Warum sollen Engels' Äusserungen aus den neunziger Jahren aus ihm eliminiert werden? Ist es wirklich angängig, Engels trotz seiner vielen Fehlurteile das Organ für geschichtliche Erfahrungen abzusprechen? Die Revolution bezeichnet offensichtlich für die Sozialdemokratie nicht ein politisches Ziel, auf das Denken und Wollen sich richtet. Die Revolution ist nicht eine Kategorie des politischen Denkens, die eine politische Partei zur Erörterung der Probleme der Macht und der Machtergreifung verpflichten müsste, sondern sie ist, wie die anderen Sätze der politischen Theorie, eine Glaubensgewissheit. So konnte sie, ohne Gefahr des Verlustes, leicht interpretiert werden; und schon seit dem Leipziger Hochverratsprozess 1872 hatte jeder sozialdemokratische Theoretiker seine Interpretation der Revolution. Auffallend ist es, dass die Revolution zusammenfällt mit dem Zusammenbruch, der in Wirklichkeit immer mehr an ihre Stelle tritt. Ja, man wird kaum fehlgehen, wenn man an den meisten Stellen in Reden und Schriften, wo von der Revolution die Rede ist, den Begriff „prinzipielle Propaganda" setzt, dessen wesentliches Element die Revolution eben ist. Bebel wusste sehr früh, dass, wenn man von Revolution rede, die Anhänger „Handlungen danach verlangen", und dass es gefährlich sei, „Ansichten zu verbreiten, denen nicht zu entsprechen ist" (45). Was Engels angeht, so stammt die von A. Rosenberg kommentierte Auslassung, die in Engels' Revolutionserwägungen eine grosse Rolle spielt, aus dem Jahre 1884,71 und auch die von G. Mayer dazu herangezogenen Äusserungen stammen aus den achtziger Jahren.72 In den neunziger Jahren stellt Engels, wenn er die Möglichkeit einer Revolution erwägt, die Armee in Rechnung; jene „Kernregimenter" sind dabei von ausschlaggebender Bedeutung. Wie wenig es sich dabei jedoch um eine realistische Prognose handelt, zeigt seine Vorstellung von der Bewusstseinsbildung: er sieht die ostelbischen Landarbeiter, nachdem sie einmal sozialdemokratisch gewählt haben, als von revolutionärem Willen erfüllte Sozialisten, die das Schicksal des Kaiserreiches in der Hand haben. Das Urteil, dass die neuen sozialistischen Parteien bei Marx und Engels, eben wegen jenes Missverständnisses, „praktisch gar keine Hilfe fanden", 73 ist sehr einzuschränken, wie Engels' gesamte Korre71 72 73
A. a. O., S. 283f. A. a. O., S. 371f., 464ff„ 484, 488. A. Rosenberg, a. a. O., S. 275.
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spondenz zeigt. Den Grundgedanken der Theorie — Klassenkampf, revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft, Zusammenbruch der kapitalistischen Wirtschaft — verdankte die sozialdemokratische Agitation die grösste Werbekraft; aber andrerseits konnten sie für die praktische Politik des Tages keine kraftvollen Impulse geben. So blieb die Taktik der Partei starr und unbeweglich und ihre Tätigkeit, in Erwartung der ohne ihr Zutun kommenden Katastrophe, wesentlich auf die Stärkung der Organisation gerichtet. Über Möglichkeiten der Zukunft brauchte man sich nicht den Kopf zu zerbrechen.74 Der Sieg war ja eine „pure Wahrscheinlichkeitsrechnung nach mathematischen Gesetzen" (175), eine Gewissheit, die Liebknecht noch fasslicher formulierte: Marx und Engels hätten den Sozialismus zur Wissenschaft erhoben... „und seinen Sieg zum notwendigen Ergebnis eines Rechenexempels mit festen, feststehenden Grössen gemacht".75 Bebel und mit ihm die Parteimehrheit sahen niemals einen Widerspruch zwischen der theoretischen und politischen Haltung der Partei. So konnte Bebel gegenüber der Rechten mit radikalen Prinzipien argumentieren und gegenüber der Linken die Bedeutung der Errungenschaften für die Arbeiter, die „Sorge für das Heute", rühmen. In beidem wusste er sich von Engels gestützt. Die politische Problematik, die der Sozialdemokratie aus dem Verhältnis der Ideologie zur Politik erwuchs, zeichnet sich bereits bei Engels deutlich ab.
VII Bildet die Erörterung prinzipieller und taktischer Fragen auch das wichtigste Thema des Briefwechsels, so bietet er daneben ausserordentlich viel wertvolles Material biographischer und politischer Art. Von grosser Bedeutung waren für Bebel Engels' Darlegungen weltpolitischer Zusammenhänge; sie erweiterten seinen in mancher Hinsicht eingeengten Gesichtskreis und förderten sein Verständnis der Weltpolitik. Nicht weniger interessant waren für Engels Bebels Mitteilungen über die deutsche Innenpolitik, bei denen er häufig mit der Witterung des echten Politikers Kommendes ahnte. Seine Beurteilung von Personen und Vorgängen der deutschen Politik, insbesondere Wilhelm II. und seiner Politik, deckt sich oft mit den freilich von ganz anderem Standpunkt gefällten Urteilen militärischer und politischer Würdenträger, die sie verschwiegenen Tagebüchern anvertrauten. In den Anmerkungen wurde auf solche gleichartigen Urteile A. Bebel in seinem Vorwort zur Ausgabe der Klassenkämpfe in Frankreich (Berlin, 1911), S. 11. 75 In dem Anm. 33 erwähnten Manuskript. 74
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hingewiesen. Grossen Reiz haben die Berichte des unermüdlichen, immer kampfesfrohen Agitators und Parlamentariers über alle Fortschritte der Bewegung und innerparteiliche wie parlamentarische Vorgänge. Engels' grösstes Interesse galt der Arbeiterbewegung der verschiedenen Länder. Er verfolgte besonders aufmerksam die Entwicklung selbständiger Arbeiterparteien und registrierte selbst die geringfügigsten Ankündigungen ihres Fortschrittes. Seine Berichte über Aktionen der Arbeiter, Streiks, grosse Demonstrationen u. dgl. sowie über die englische und französische Arbeiterbewegung sind oft kleine Abhandlungen; immer sind es vorzügliche Stimmungsbilder, die wir mit Genuss lesen. Die Mitteilungen über die englische und französische Arbeiterbewegung vor allem waren für Bebel sehr wichtig, da er keine dieser Bewegungen aus eigener Anschauung kannte, jedoch mit manchem Vorurteil die englische (31,82,229,256,304) und die französische Bewegung (82, 114, 124, 135, 136, 232, 243, 247, 250) sehr skeptisch betrachtete; niemals wurde er seine Vorurteile ganz los. Eine Fülle wichtiger und interessanter Mitteilungen erhalten wir über Parteitage: Kopenhagen 1883 (52, 53), Erfurt 1891 (168-175), Berlin 1892 (230, 241, 242), Köln 1893 (282, 283), Frankfurt 1894 (302). Uber die ersten offiziellen Beziehungen der Sozialdemokratie zur I. Internationale unterrichten die Briefe 1, 2, 4. Die Vorgeschichte der II. Internationale, in der Bebel sehr aktiv war und Engels seinen ganzen Einfluss auf die französischen Freunde aufbieten musste, um den Pariser Kongress zu sichern, ist Schritt für Schritt zu verfolgen, die Schwierigkeiten mit den englischen Gewerkschaften (108, 111) und die langwierigen Verhandlungen über die Teilnahme der Possibilisten (122, 123,125-133). Auch über die Vorbereitung des Brüsseler Kongresses 1890 (148, 149) und des Züricher Kongresses 1893 (222, 223, 228, 229, 273, 274) gibt Bebel interessante Details. Uber die Maifeiern der ersten Jahre und die jedes Jahr aus den Verhältnissen der einzelnen Länder sich ergebenden besonderen Schwierigkeiten, den Brüsseler Beschluss und seine Auslegung durch Deutsche und Österreicher und die Haltung der Landesparteien unterrichten viele Briefe (143, 145, 156, 157, 195, 239, 242, 243, 247, 274). Das Verhältnis der deutschen Sozialdemokratie zur I. Internationale wurde durch das deutsche Vereinsgesetz bestimmt (4), und darauf nahm Bebel wieder Bezug, als er kurz vor seiner Abfahrt zum Pariser Kongress 1889 erklärte, dass von einer Wiederherstellung der Internationale keine Rede sein könne; auf mehr als ein Büro zum Meinungsaustausch könne und dürfe es nicht abgesehen sein (133). Selbstverständlich gab die deutsche Partei wiederholt Beweise ihrer internationalen Solidarität (3, 132, 135, 210, 305), und Bebel war nach Liebknecht sicherlich der XL VIII
stärkste Befürworter internationaler Kontakte (274); aber zweifellos hat die Berücksichtigung innerdeutscher Verhältnisse viel dazu beigetragen, der Internationale, die bis zum Jahre 1900 nicht einmal ein geschäftsführendes Büro hatte, ihre lose Form zu geben. Die Korrespondenten unterrichten einander fortlaufend über eigene literarische Pläne, und verschiedene Briefe berichten über den Zustand der von Marx hinterlassenen Kapital-Manuskripte und die Bearbeitung des zweiten und dritten Bandes durch Engels (52, 55, 238, 249). Schliesslich sei auf Engels' Urteile über Personen hingewiesen, die häufig sehr treffend sind und immer ebenso bestimmt wie die über Zustände und Vorgänge. Für mehrere Deutsche erhalten wir Beiträge zu ihrer Charakteristik, etwa für Bernstein im Vergleich zu Kautsky (36, 79, 224), für Kautsky (80, 81), für Liebknecht (53, 157), für Motteier (114, 115), für Mehring (195, 196), für Hirsch (183). Andrerseits ist nicht zu vergessen, dass Engels' Urteile über Personen, insbesondere über manche englische Arbeiterführer nicht immer abgewogene Urteile, sondern vertrauliche briefliche Äusserungen sind.
VIII Alle Briefe dieses Bandes werden ungekürzt veröffentlicht. Hinsichtlich der Textgestaltung sei bemerkt, dass der Briefkopf gleichartig wiedergegeben wurde. Das Datum wurde stets ausgeschrieben, auch wenn der Monat in römischen Ziffern erscheint oder, wie meistens auch die Jahreszahl, abgekürzt ist. Auch im Text wurden Monatsangaben ausgeschrieben. Die auf dem Briefpapier eingedruckte Adressenangabe wurde nur dort mitgeteilt, wo sie zum erstenmal erscheint: Gross-Görschenstrasse 22a (148) und Gross-Görschenstrasse 40 (305); dagegen wurden handschriftliche Adressenangaben nicht gestrichen. Die ausserordentlich häufigen Abkürzungen wurden in eckigen Klammern ergänzt; nicht ergänzt wurden die gebräuchlichen Abkürzungen etc., ca., usw. Ausgeschrieben wurde der Name Louis Vierecks, der in den Briefen meistens mit einem Quadrat (•) bezeichnet wird. Die Orthographie wurde modernisiert, ausser in Titeln, so dass Streik statt strike, Kuvert statt Couvert usw. gelesen wird. Offensichtliche Flüchtigkeitsfehler wurden ebenso wie falsch geschriebene Eigennamen stillschweigend verbessert. Stilistische und grammatikalische Eigentümlichkeiten wurden in der ursprünglichen Form belassen. Auch die Interpunktion wurde modernisiert, so dass häufig in sehr langen Sätzen ein Semikolon statt eines Komma oder ein Komma an XLIX
Stelle eines Gedankenstrichs, wenn es sich nicht um deutliche Einschiebungen handelt, erscheint. Zahlen im Text wurden ausgeschrieben mit Ausnahme von Jahreszahlen, Programm- oder Tagesordnungspunkten, fahrplanmässigen oder Preisangaben. Auch abgerundete Wahlergebnisse wurden ausgeschrieben, dagegen nicht die genauen Zahlen dieser Ergebnisse. Ausgeschrieben würden sie schwer lesbar sein, insbesondere wenn damit noch, wie etwa in den Briefen 214, 215 und 264, Additions- oder Subtraktionsrechnungen vorgenommen werden. Da in den Briefen durchgehend Tagesereignisse auf Grund aktueller Publikationen behandelt werden, wurde in den Anmerkungen, wenn irgend möglich, auf diese Veröffentlichungen zurückgegriffen. Zitate, die von den Korrespondenten herangezogen werden, wurden nach diesen Publikationen gebracht. Das gilt auch für die Reichstagsreden Bebels und anderer, wenn auf ihre Wiedergabe in bestimmten Zeitungen oder in Sonderveröffentlichungen Bezug genommen wurde. Auch hier wurde die Veröffentlichung herangezogen, die den Korrespondenten vorlag. Soweit es sich um schwerer zugängliche Zeitungen oder Broschüren handelt, wurde, was der Leser begrüssen wird, in den Anmerkungen aus ihnen zitiert. Amsterdam, August 1962.
L
W. B.
HÄUFIGER BENUTZTE ABKÜRZUNGEN Organisationen ADAV IAA SDAP SDF SPD
Allgemeiner Deutscher Arbeiter-Verein Internationale Arbeiter-Assoziation Sozialdemokratische Arbeiterpartei Social Democratic Federation Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Protokolle Minutes Protokolle der Sitzungen des Generalrates der IAA (Manuskript im IISG) Nur für die selteneren deutschen Protokolle der sechziger und siebziger Jahre sowie für englische und französische wurden bibliographische Angaben gemacht. Die Protokolle der sozialdemokratischen Parteitage zu Wyden 1881, Kopenhagen 1883, St. Gallen 1887, Halle 1890, Erfurt 1891, Berlin 1892, Köln 1893, Frankfurt 1894 werden zitiert als Protokoll Wyden, Protokoll Kopenhagen usw.; ebenso die Protokolle der internationalen Kongresse Paris 1889, Brüssel 1890, Zürich 1893.
Briefwechsel Briefe von V. Adler an A. Bebel V. Adler an F. Engels A. A. E. F. F. F.
Bebel an V. Adler Bebel an G. v. Vollmar Bernstein an V. Adler Engels an V. Adler Engels an J. Ph. Becker Engels an E. Bernstein
F. Engels an K. Kautsky F. Engels an L. und P. Lafargue
F. Engels an W. Liebknecht
werden zitiert nach Victor Adler, Briefwechsel mit August Bebel und Karl Kautsky. Gesammelt und erläutert von Friedrich Adler (Wien, 1954). Victor Adlers Aufsätze, Reden und Briefe. Erstes Heft: Victor Adler und Friedrich Engels (Wien, 1922). s. V. Adler an A. Bebel. A. Bebel, Aus meinem Leben. s. V. Adler an A. Bebel, s. V. Adler an F. Engels. Vergessene Briefe (Berlin, [1920]). E. Bernstein, Die Briefe von Friedrich Engels an Eduard Bernstein (Berlin, 1925). Friedrich Engels' Briefwechsel mit Karl Kautsky. Herausgegeben von B. Kautsky (Wien, 1955). Friedrich Engels — Faul et Laura Lafargue, Correspondance. Textes recueillis, annotés et présentés par Émile Bottigelli, I-III (Paris, 1956-59). Wilhelm Liebknecht, Briefwechsel mit Karl Marx und Friedrich Engels. Herausgegeben von G. Eckert (Den Haag, 1963).
LI
F. Engels an K. Marx
F. Engels an F. A. Sorge
K. Kautsky an V. Adler K. Kautsky an F. Engels A. Labriola an F. Engels L. und P. Lafargue an F. Engels K. Marx an F. Engels Alle anderen in den Anmerkungen erwähnten Briefe
Karl Marx — Friedrich Engels, Briefwechsel. MEGA, Dritte Abteilung, Bd. 1-4 (Berlin, 192931). Briefe und Auszüge von Briefen von J. Ph. Becker, Josef Dietzgen, Friedrich Engels, Karl Marx u. A. an F. A. Sorge und Andere (Stuttgart, 1906). s. V. Adler an A. Bebel. s. F. Engels an K. Kautsky. Antonio Labriola, Lettere a Engels (Roma, 1949). s. F. Engels an L. und P. Lafargue. s. F. Engels an K. Marx nach den Originalen (im IISG).
Andere Literatur A. m. L. E. Bernstein, Geschichte
E. Bernstein, Lehrjahre Bismarck,
Gedanken
Bismarck, Reden Bismarcks grosses Spiel
W. Bios,
Denkwürdigkeiten
L. Brügel, Geschichte E. Engelberg, Revolutionäre Politik Th. Höhle, Mehring
O. Hue, Die Bergarbeiter
K. Kautsky,
LH
Erinnerungen
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Waldersee,
Denkwürdigkeiten
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LIII
VERZEICHNIS DER 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45.
BRIEFE
Bebel an den Generalrat der I.A.A. (23. Juli 1868) Bebel an Marx (27. März 1869) Bebel an Marx (14. Juli 1869) Bebel an Marx (30. Juli 1869) Bebel an Engels (vor dem 19. Mai 1873) Bebel an Marx (19. Mai 1873) Engels an Bebel (20. Juni 1873) Bebel an Engels (8. September 1874) Bebel an Engels (23. Februar 1875) Engels an Bebel (18.-[28.] März 1875) Bebel an Engels (21. September 1875) Engels an Bebel (12. Oktober 1875) Engels an Bebel (15. Oktober 1875) Bebel an Engels (19. Juli 1879) Engels an Bebel (4. August 1879) Bebel an Engels (20. August 1879) Engels an Bebel, Liebknecht u.a. [Mitte September 1879] . . . . Bebel an Engels (23. Oktober 1879) Fritzsche und Liebknecht an Engels (21. Oktober 1879) Engels an Bebel (14. November 1879) Bebel an Engels (18. November 1879) Engels an, Bebel (24. November 1879) Bebel an Engels (11. Dezember 1879) Engels an Bebel (16. Dezember 1879) Bebel an Engels (23. Januar 1880) Engels an Bebel [27. März 1880] Bebel an Engels (22. September 1880) Bebel an Engels (4. Dezember 1880) Bebel an Engels (26. Dezember 1880) Bebel an Engels (14. Januar 1881) Bebel an Engels (11. Februar 1881) Bebel an Engels (28. März 1881) Engels an Bebel (30. März 1881) Engels an Bebel (28. April 1881) Bebel an Engels (13. Juni 1881) Engels an Bebel (25. August 1881) Bebel an Engels (20. September 1881) Bebel an Marx (12. Dezember 1881) Engels an Bebel (16. Mai 1882) Engels an Bebel (21. Juni 1882) Engels an Bebel (23. September 1882) Bebel an Engels (1. Oktober 1882) Bebel an Engels (28. Oktober 1882) Engels an Bebel (28. Oktober 1882) Bebel an Engels (14. November 1882)
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Bebel an Engels (9. April 1892) . . 530 Bebel an Engels (11. April 1892) 531 Engels an Bebel (16. April 1892) 532 Bebel an Engels (19. April 1892) 534 Julie Bebel an Engels [19. April 1892] 535 Bebel an Engels (5. Mai 1892) 537 Engels an Bebel (7. Mai 1892) 538 Bebel an Engels (10. Mai 1892) .539 Julie Bebel an Engels und Louise Kautsky (10. Mai 1892) . . . . 540 Bebel an Engels (4. Juni 1892) 541 Bebel an Engels (11. Juni 1892) 544 Engels an Bebel (20. Juni 1892) 544 Bebel an Engels (24. Juni 1892) 547 Bebel an Engels (29. Juni 1892) 551 Bebel an Engels (1. Juli 1892) 553 Engels an Bebel (5. Juli 1892) 554 Engels und Louise Kautsky an Bebel (6. Juli 1892) 556 Engels an Bebel (7. Juli 1892) 558 Bebel an Engels (8. Juli 1892) 560 Bebel an Engels (9. Juli 1892) 561 Engels an Bebel (23. Juli 1892) 563 Bebel an Engels (29. Juli 1892) 565 Engels an Bebel (8. August 1892) 567 Bebel an Engels (14. August 1892) 569 Engels an Bebel (14. August 1892) 570 Bebel an Engels (17. August 1892) 573 Engels an Bebel (20. August 1892) 575 Bebel an Engels (23. August 1892) 578 Engels an Bebel (25. August 1892) 579 Bebel an Engels (7. September 1892) 580 Engels an Bebel (11. September 1892) 582 Bebel an Engels (14. September 1892) 585 Bebel an Engels (17. September 1892) 587 Engels an Bebel (26. September 1892) 589 Bebel an Engels (29. September 1892) 593 Engels an Bebel (7. Oktober 1892) 596 Bebel an Engels (11. Oktober 1892) 600 Bebel an Engels (12. Oktober 1892) 602 Bebel an Engels (16. Oktober 1892) 604 Bebel an Engels (18. Oktober 1892) 604 Engels an Bebel (6. November 1892) 606 Bebel an Engels (10. November 1892) 609 Engels an. Bebel (15. November 1892) 614 Bebel an Engels (16. November 1892) .615 616 Engels und Louise Kautsky an Bebel (19. November 1892) . . . . Bebel an Engels (22. November 1892) 620 Bebel und Julie Bebel an Engels (24. November 1892) 623 Engels an Julie Bebel und Bebel (29. November 1892) 626 Engels und Louise Kautsky an Bebel (3. Dezember 1892) . . . . 628 Bebel an Engels (5. Dezember 1892) 634 Julie Bebel an Engels (6. Dezember 1892) 636
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Engels an Bebel (22. Dezember 1892) 637 Bebel an Engels (27. Dezember 1892) 642 Bebel an Engels (15. Januar 1893) 644 Bebel an Engels (23. Januar 1893) 647 Engels an Bebel (24. Januar 1893) 650 Bebel an Engels (31. Januar 1893) 653 Engels an Bebel (9. Februar 1893) 656 Bebel an Engels (11. Februar 1893) 661 Engels an Bebel (24. Februar 1893) 665 Bebel an Engels (25. Februar 1893) 666 Bebel an Engels (28. Februar 1893) 669 Bebel an Engels (12. März 1893) 671 Engels an Julie Bebel (31. März 1893) 674 Bebel an Engels (11. April 1893) 675 Bebel an Engels (15. April 1893) 677 Bebel an Engels (18. April 1893) 677 Bebel an Engels (24. April 1893) 680 Bebel an Engels (15. Mai 1893) 682 Bebel an Engels (23. Mai 1893) 685 Bebel an Engels (8. Juni 1893) 686 Julie Bebel an Engels (13. Juni 1893) 689 Bebel an Engels (15. Juni 1893) 690 Bebel an Engels (17. Juni 1893) 693 Bebel an Engels (25. Juni 1893) 696 Bebel an Engels (2. Juli 1893) 699 Bebel an Engels (17. Juli 1893) 702 Bebel und Julie Bebel an Engels (22. Juli 1893) 704 Bebel an Engels (29. Juli 1893) 705 Engels und Louise Kautsky an Julie Bebel (3. Oktober 1893) . . . 707 Bebel an Engels (10. Oktober 1893) 710 Julie Bebel an Engels und Louise Kautsky (11. Oktober 1893). . . 713 Engels an Bebel (12. Oktober 1893) 715 Engels an Bebel (18.-[21.] Oktober 1893) 720 Bebel an Engels (19. Oktober 1893) 724 Bebel an Engels (25. Oktober 1893) 726 Bebel an Engels (13. November 1893) 729 Bebel an Engels (14. November 1893) 733 Bebel an Engels (26. November 1893) 735 Julie Bebel an Engels (26. November 1893) 737 Bebel an Engels [Etwa 10. Dezember 1893] 738 Bebel an Engels (11. Dezember 1893) 740 Bebel und Julie Bebel an Engels (28. Dezember 1893)' 743 Bebel an Engels (10. Januar 1894) 744 Bebel an Engels (15. Januar 1894) 745 Bebel an Engels (27. Januar 1894) 747 Bebel an Engels [23. Februar 1894] 752 Bebel an Engels (26. Februar 1894) 752 Julie Bebel an Engels (8. März 1894) 754 Bebel an Engels (21. März 1894) 755 Bebel an Engels (24. April 1894) 757 Julie Bebel an Engeds (4. Mai 1894) 761
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Bebel an Engels (16. Mai 1894) Bebel an Engels (2. Juni 1894) Bebel an Engels (10. Juli 1894) Bebel an Engels (4. August 1894) Bebel an Engels (26. August 1894) Bebel an Engels (15. Oktober 1894) Bebel und Julie Bebel an Engels (10. November 1894) Engels an Bebel und Paul Singer (14. November 1894) Bebel und Julie Bebel an Engels (24. November 1894) Bebel an Engels (8. Dezember 1894) Bebel an Engels (18. Dezember 1894) Bebel an Engels (13. Januar 1895} Bebel und Julie Bebel an Engels (4. Februar 1895) Bebel an Engels (18. Februar 1895) Bebel an Engels (11. März 1895) Bebel an Engels (31. März 1895) Bebel an Engels (20. April 1895) Bebel an Engels (6. Juni 1895) Bebel an Engels (17. Juli 1895)
762 765 768 771 774 776 780 783 784 785 788 790 791 793 795 797 798 800 803
7
1.
BEBEL
AN
DEN
GENEBALBAT
DE B
INTERNATIONALEN
A B B E I T E B AS S O Z I A T I O N
Abdruck.1
An den Generalrat der Internationalen Arbeiterassoziation zu London.2 Leipzig, den 23. Juli 1868. Geehrte Herren!
Ein wichtiger Vorgang, der in einem grossen Teile der deutschen Arbeitervereine bevorsteht, veranlasst mich, diese Zeilen an Sie zu richten. Am 5., 6. und 7. September hält der Verband Deutscher Arbeitervereine in Nürnberg seinen Verbandstag ab.3 Unter den wichtigen Fragen, welche die Tagesordnung enthält, steht als die wichtigste „Die Programmfrage" obenan, das heisst, es soll sich entscheiden, ob der Verband noch ferner in dem jetzigen prinzip- und planlosen Arbeiten beharren oder nach festen Grundsätzen und bestimmter Richtung wirken soll. Wir haben uns für das letztere entschieden und sind gesonnen, das Programm der Internationalen Arbeiterassoziation,4 wie es die erste Nummer des Vorboten enthält, zur Annahme vorzuschlagen, respektive den Anschluss an die Internationale Arbeiterassoziation zu beantragen. Die Majorität für diesen Antrag ist bereits gesichert,5 der Erfolg also zweifellos. Wir glauben aber, dass es einen sehr guten Eindruck machen würde, wenn bei diesen Ihr Interesse auf das lebhafteste in Anspruch nehmenden Verhandlungen die Internationale Arbeiterassoziation durch einen Deputierten vertreten wäre, und beehren uns deshalb, an Sie den Wunsch und die dringende Einladung auszusprechen, A. m. L., I, S. 202. Den Brief erhielt Marx als Sekretär für Deutschland. 3 Es handelt sich um den Fünften Vereinstag der Deutschen Arbeitervereine. Protokoll, herausg. vom Vorort Leipzig, 2. Aufl. (Leipzig, C.W. Vollrath, o.J.). 4 Gemeint sind die Address and Provisional Rules, die unter den Titeln „Manifest an die arbeitende Klasse Europas" und „Provisorische Bestimmungen der Internationalen Arbeiter-Association" in Der Vorbote, 1. Jahrg., Nr. 1-5, Januar-Mai 1866 erschienen. 5 In namentlicher Abstimmung wurde das Programm mit 69 gegen 46 Stimmen angenommen; 61 Vereine stimmten dafür, 32 dagegen. Protokoll, S. 18. Bebel stellte gegenüber irreführenden Mitteilungen der Minderheit in Nr. 37 des Demokratischen Wochenblattes vom 12. September fest, dass die 69 für das Programm abgegebenen Stimmen 74 Vereine repräsentierten, die 46 Gegenstimmen nur 37 Vereine. Mehring, Geschichte, III, S. 326, gibt statt 74 nur 72 Vereine an. 1
s
9
zum Vereinstag in Nürnberg einen oder mehrere Deputierte als Vertreter der Internationalen Arbeiterassoziation zu entsenden. 6 Wir geben uns der angenehmen Hoffnung hin, dass Sie unsere Bitte erfüllen und uns bald geneigte Antwort zukommen lassen werden. Einer freundlichen Aufnahme können Ihre Herren Deputierte sich versichert halten. Mit Gruss und Handschlag Der Vorort des Verbandes Deutscher Arbeitervereine. AUG. B E B E L , Vorsitzender. • Marx verlas den Brief in der Sitzung des Generalrates, Minutes 28. Juli 1868; sein Vorschlag, einen Delegierten zu entsenden, wenn die Mittel es erlaubten, fand Zustimmung. Eccarius erklärte sich, Minutes 25. August 1868, bereit, nach Nürnberg zu gehen, wenn ihm 2 £, zur Reise bewilligt würden. Das geschah, und in der Sitzung vom 22. September 1868 erstattete er einen Bericht über seine Reise, Minutes von diesem Tage, „stating that he was exceedingly gratified with the tact the German working men had acquired during the short time they had been in possession of the liberty of public meeting . . . . Cit. Marx stated that a Committee of 16 had subsequently been appointed to carry out the resolution and to act as the Executive Committee of the International Association in Germany." Diese Feststellungen liefen den Tatsachen voraus, s. Br. Nr. 4. Der erwähnte Beschluss sprach davon, dass der Vereinstag „seinen Anschluss an die Bestrebungen der Internationalen Arbeiter-Association" beschlösse. Protokoll, S. 19. Zum „Präsidenten des Vororts", d.h. zum Vorsitzenden des Verbandes der deutschen Arbeitervereine mit dem Sitz in Leipzig, wurde Bebel gewählt; die anderen fünfzehn Mitglieder wurden als „Vertrauensmänner" durch Zuruf gewählt. Protokoll, S. 37.
2. B E B E L AN
MARX
Elberfeld, den 27. März 1869.
Original. Hochgeehrter Herr!
Liebknecht und ich sitzen eben hier in Elberfeld in einem kleinen Kreis von Freunden (feurige Mitglieder der Internationalen), 1 um den Feldzugsplan für die morgige Schlacht vorzubereiten. 2 Wir haben hier eine solche Fülle von Schuftereien Schweitzers zu hören bekommen, dass uns die Haare zu Berge stehen. Ebenso stellt sich zur Evidenz heraus, dass Schweitzer das Programm der Int [ernationalen] Arb[eiter-] Ass[oziation] nur zu dem Zweck vorschlägt, um einen Hauptcoup gegen uns zu führen und ein gut Teil oppositioneller Die eingeklammerten Worte fehlen im Abdruck. A. m. L., II, S. 68. Zur Achten Generalversammlung des Allg. Deutschen Arbeitervereins, 28. März bis 2. April 1869 in Elberfeld, waren Bebel und Liebknecht eingeladen, um ihre oft geäusserten Anklagen gegen den Präsidenten des Vereins, von Schweitzer, zu begründen. A. m. L., II, S. 67ff.; s.a. G. Mayer, /. B. von Schweitzer (Jena, 1909), S. 284ff. 1
2
10
Elemente niederzuschlagen respektive herüberzuziehen zu sich. Ich bitte Sie deshalb3 im Namen Liebknechts und sämtlicher hiesiger Freunde, eine etwaige Notifikation4 des betr. Beschlusses der Generalversammlung durch Schweitzer vorläufig unberücksichtigt zu lassen oder wenigstens nur sehr vorsichtig zu beantworten.5 Nähere Mitteilungen folgen bald nach. Über den Ausgang der morgigen Disputation lässt sich noch gar nichts sagen, nur das eine kann ich Ihnen sagen, dass Schweitzer mit allen Mitteln der Perfidie und Intrige gegen uns wühlt; auf einen durchschlagenden Erfolg hoffen wir auf keinen Fall. Die Organisationen, jede Opposition aus der Mitte seines eigenen Vereins totzuschlagen, sind schon seit Wochen hier mit grossem Geschick getroffen worden. Gestern abend beispielsweise hat Schweitzer bei seiner Ankunft einen wahren Triumphzug durch Elberfeld-B armen gehabt.« Damit schliesse ich für heute. Mit sozialdemokratischem Gruss und Handschlag Ihr. A.
BEBEL.
Im Abdruck hinzugefügt: zugleich. Im Abdruck: Ratifikation. 5 Wie zurückhaltend Marx sich gegenüber Bebel und Liebknecht verhielt, zeigt sein Brief an Engels, 29. März 1869, in dem er dieses Schreiben Bebels behandelt. • Im Abdruck hinzugefügt: (In einer mit Schimmeln bespannten Equipage). 3
4
3. B E B E L
AN
MARX
Leipzig, den 14. Juli 1869.
Original. Hochgeehrter Herrl
Die beigefügten Taler fünfundzwanzig beehre ich mich im Namen des hies[igen] Arbeiter-Bildungs-Vereins als einen kleinen Beitrag für die Unterstützung der Familien der Niedergemetzelten von Seraing zu übersenden.1 Wir würden gerne mehr getan haben, aber die beständigen Unter1 Im Generalrat, Minutes 20. Juli 1869, zeigte Marx den Empfang von £.3.15.0 aus Leipzig für die belgischen Opfer an. Am 9., 10. und 11. April wurde ein von den Belegschaften des Eisenwerks und des Kohlenbergwerks Coquerill in Seraing um die Arbeitsbedingungen geführter Streik vom Militär besonders grausam unterdrückt, wobei mehrere Arbeiter getötet und viele verwundet wurden. L'Internationale, Brüssel berichtete darüber in Nr. 14 vom 18. April, das Demokratische Wochenblatt in Nr. 17 und 18 vom 24. April und 1. Mai. Der Aufruf des Generalrats der I.A.A. vom 4. Mai, in dem zu Geldsammlungen für die Opfer der belgischen Metzeleien aufgefordert wurde, erschien in Nr. 21. des Demokratischen Wochenblattes vom 22. Mai.
11
Stützungen, die wir an Notleidende aller Art im eignen Vaterlande zu gewähren haben, machten es uns unmöglich. Im Namen des Arbeiter-Bildungs-Vereins zeichnet mit sozialdemokratischem Gruss A. BEBEL, Vorsitzender.
4. B E B E L AN
MABX
Leipzig, den 30. Juli 1869.
Original. Hochgeehrter Herr!
Ihr werter Brief, 1 den ich soeben empfangen, hat mir viel Freude gemacht; ich habe die Vorschläge Beckers im Vorboten2 ebenfalls gelesen und muss gestehen, dass sie mich etwas unbehaglich stimmten, weil ich daraus zu ersehen glaubte, dass es Becker darum zu tun sei, die Leitung für Deutschland in bezug auf die Intern[ationale] A r b e i ter-] Assoziation in die Hände zu bekommen. Mein Entschluss war denn auch, auf dem Kongress 3 das unpraktische, ja unausführbare, Zeit und Geld nutzlos kostende Projekt zu bekämpfen, und es freut mich nur, an dem Generalrat der Internationalen] Arb[eiter-] Ass[oziation] selbst eine Stütze gefunden zu haben. 4 Fürchten Sie Der Brief liegt nicht vor. Sein Inhalt ist aus Marx' Brief an Engels, 27. Juli 1869, zu entnehmen: „.. . Bebel hatte mir 25 Taler für die Belgier von Seiten seines Arbeiterbildungsvereins geschickt. Ich habe heute die Sendung acknowledged und die Gelegenheit benutzt, um ihm über Beckers Phantasiepläne zu schreiben. Ich habe ihn auf Artikel 6 der Statuten aufmerksam gemacht, der nur nationale Zentralkomitees, direkt in Verbindung mit dem Generalrat, anerkennt und, wo dies polizeilich unmöglich, die Lokalgruppen in jedem Land verpflichtet, direkt mit dem Generalrat zu korrespondieren. Ich habe ihm den Unsinn der Beckerschen Prätention auseinandergesetzt und schliesslich gesagt, dass, wenn der Eisenacher Kongress — quoad the International — Beckers Vorschlag annähme, wir ihn sofort als statutenwidrig öffentlich kassieren würden . . . " S. u., Anm. 4. 2 Das Zentralkomite der Sektionsgruppe deutscher Sprache Hess dem Aufruf zum Eisenacher Kongress in Nr. 7 des Vorbote, Juli 1869, eine „Resolution" folgen, die dem Kongress eine Denkschrift des Zentralkomites über die Organisationsform der neu zu gründenden Partei zur Erwägung empfahl. Die Denkschrift wurde auf dem Eisenacher Kongress verlesen. Protokoll der Verhandlungen (Leipzig, 1869), S. 19ff. 3 Der Allgemeine Deutsche sozial-demokratische Arbeiterkongress zu Eisenach, 7., 8., 9. August 1869. 4 Marx führte im Generalrat aus, Minutes 3. August 1869: „. . . Ph. Becker, of Geneva, had published a programme proposing the Geneva Committee as the Central one for the German language, upon which the men of Leipzig has appealed to him as to how to act. He had replied that the Council did not deal with languages but with nationalities; for that reason there were secretaries for Germany, Switzerland, France, etc." Bebel erklärte auf dem Kongress: „. . . Ich habe 1
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deshalb nicht, dass ich Sie oder den Generalrat irgendwie nutzloser Weise in die Debatte hereinziehen werde; ich werde sogar versuchen, wenn Becker selbst oder ein anderer Vertreter aus Genf kommt, 5 privatim erst die Gründe ihm auseinanderzusetzen. Auch können Sie im voraus versichert sein, dass B[ecker]s Vorschlag weder von unserer Seite, noch von seiten der Opposition des Allgemeinen] Dfeutschen] Arb[eiter-]Ver[eins], noch von den Schweizer oder österreichischen Vertretern unterstützt wird, ich müsste denn die Stimmung sehr schlecht kennen. Wie wir uns unser Verhältnis zur Internationale gedacht, werden Sie aus dem von mir entworfenen und von Braunschweig und Hamburg mitberatenen Organisationsentwurf, 6 den das Wochenblatt diese Woche bringt, ersehen. Ich glaube, es ist die einzig richtige und mögliche Form; 7 was Höhe der Beiträge etc. anlangt, so wird das Gegenstand besonderer Vereinbarung mit dem Generalrat sein, und ich hoffe, dass sich dieses auf dem Baseler Kongress, den wir unter allen Umständen beschicken werden, wird machen lassen.8 Ich selbst werde auf alle Fälle nach Basel kommen und hoffe, dort Gelegenheit zu haben, Ihre hochwerte persönliche Bekanntschaft zu machen. 9 Inzwischen grüsst Sie hochachtungsvoll A. BEBEL.
einen Brief vom Generalrat der Internationale in der Tasche, woraus hervorgeht, dass die Arbeiter in Frankreich es so gemacht haben, dass jede einzelne Person ihre Mitgliedskarte als direktes Mitglied vom Generalrat der Internationalen Arbeiterassoziation entnahm. Die Arbeiter erklärten öffentlich: das Gesetz verbiete ihnen zwar, sich als Zweig der Internationalen zu versammeln und zu betrachten, aber das Gesetz verbiete ihnen nicht, dass jeder sich direkt an den Generalrat der Internationalen wende und Mitglied w ü r d e . . P r o t o k o l l , S. 19. 5 J. Ph. Becker-Genf und Paul Stumpf-Mainz vertraten die Sektionsgruppe deutscher Sprache auf dem Kongress. 6 „Programm und Organisationsvorlage" in Nr. 31 des Demokratischen Wochenblattes, 31. Juli Beilage. Der Passus über die Internationale lautet: „In Erwägung, dass die Befreiung der Arbeit weder eine lokale noch nationale, sondern eine soziale Aufgabe ist, welche alle Länder, in denen es moderne Gesellschaft gibt, umfasst, betrachtet sich die sozialdemokratische Partei Deutschlands, soweit es die Vereinsgesetze gestatten, als Zweig der Internationalen Arbeiterassoziation, sich deren Bestrebungen anschliessend." Er wurde in dieser Form vom Kongress beschlossen. In seinen Ausführungen darüber wies Bebel nachdrücklich auf die Vereinsgesetze hin und empfahl die direkte Mitgliedschaft der Einzelpersonen wie in Frankreich. Protokoll, S. 19. 7 Nur bis hier veröffentlicht in A. m. L., II, S. 90. 8 Liebknecht vertrat die Partei auf dem Baseler Kongress der LA.A. 9 Persönlich wurde Bebel erst mit Marx und Engels bekannt, als er im Dezember 1880 mit E. Bernstein eine Beise nach London unternahm. A. m. L., III, S. 165ff. E. Bernstein, Lehrjahre, S. 113ff. 13
5. BEBEL AN 1
Abdruck.
ENGELS
[Hubertusburg, vor dem 19. Mai 1873].
Ihr Brief, den Sie am 17. v. M. an Liebknecht sandten und von dessen Inhalt ich Kenntnis genommen, gibt mir Veranlassung, ebenfalls einige Zeilen an Sie zu richten. Hepner 2 hat augenscheinlich die Farben über den Stand unserer Parteiverhältnisse sehr dick aufgetragen und namentlich den Einfluss und die Absichten Yorks3 recht schwarz gemalt. Wundern tut mich das von Hepner nicht; er ist ein durchaus braver und treuer Genosse, aber leicht verbissen, und gegen den Ausschuss und speziell gegen York hat er infolge einer ganzen Reihe von Streitigkeiten einen solchen Zorn, dass er das Schlechteste von ihnen glaubt und jedes Wort aufs strengste auslegt. (Ich setzte dann im Detail auseinander, warum Hepner und York verbissene Gegner seien, und fuhr fort:) * Neben den schlimmen hat York auch entschieden gute Eigenschaften; dahin gehört, dass er mit grossem Eifer die Agitation und regelmässige Steuerzahlung5 betreibt, zwei Dinge, die sehr notwendig sind und die seit den Wirren des Jahres 1870 — Verhaftung des Braunschweiger Ausschusses — im argen gelegen haben. Hier ist sein Feld, und hier hat er allerdings auch Verdienste aufzuweisen. Ein zweiter Punkt ist unsere Stellung zu Lassalle und dem Lassalleanismus. Da sind Sie wie Hepner entschieden im Unrecht, wenn Sie meinen, wir könnten rücksichtslos vorgehen, ohne erheblichen Schaden in der Partei zu haben. Der Lassallekultus muss ausgerottet werden, damit bin ich ganz einverstanden, auch die falschen Ansichten Lassalles müssen bekämpft werden, aber mit Vorsicht. Sie können von dort aus unmöglich unsere Verhältnisse genau beurteilen, und Hepner ist zu wenig praktisch.
1
A. m. L., II, S. 293ff. Adolph Hepner (1846-1923) besuchte das jüdisch-theologische Seminar zu Breslau, wurde Buchhändler, dann Redakteur des Volksstaat. 1872 war er mit Bebel und Liebknecht Angeklagter im Leipziger Hochverratsprozess. Aus Leipzig und Sachsen ausgewiesen, war er wieder Buchhändler in Breslau. Er wanderte nach den Vereinigten Staaten aus und war in St. Louis Redakteur einer sozialdemokratischen Zeitung. 1908 kehrte er nach Deutschland zurück und lebte in Dresden und München. 3 Theodor York (1830-1874), Tischler, einer der Gründer und bis 1869 Vorstandsmitglied des Allg. Deutschen Arbeitervereins. Mitbegründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Eisenach, wurde er 1871 deren Sekretär. Femer Vorsitzender der Gewerkschaft der Holzarbeiter. 4 Im Abdruck hinzugesetzt. 5 Beitragszahlung. 2
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Sie dürfen nicht vergessen, dass die Lassalleschen Schriften tatsächlich — das lässt sich nicht wegdiskutieren — durch ihre populäre Sprache die Grundlage der sozialistischen Anschauung der Massen bilden. Sie sind zehnfach, zwanzigfach mehr wie irgendeine andere sozialistische Schrift in Deutschland verbreitet, Lassalle geniesst so eine bedeutende Popularität. Diese Popularität ist durch die Ihnen hinlänglich bekannten Mittel der Gräfin Hatzfeldt, Schweitzers und anderer zum Kultus potenziert worden, und wenn letzterer auch, dank dem gesunden Gefühl der Massen und unserer eigenen Tätigkeit, schon bedeutend abgenommen hat und täglich mehr abnimmt, so wäre es doch unklug, durch rücksichtsloses Vorgehen diese Gefühle zu verletzen. In unserer eigenen Partei ist der Lassallekultus so gut wie verschwunden; aber immerhin gibt es einige Gegenden, wie das Rheinland und Schlesien, in denen er Anhänger zählt, und, was uns namentlich veranlassen muss, nicht allzu schroff vorzugehen, ist, dass sehr viele Arbeiter im früheren Hatzfeldtschen Lager 6 und im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein sich mehr und mehr uns nähern und teilweise schon angeschlossen haben. Dass je der Lassalleanismus in Deutschland wieder Oberwasser bekommt, daran ist nicht entfernt zu denken; lassen wir also den Dingen ruhig ihren Lauf, und wo sich Gelegenheit bietet, dem spezifischen Lassalleanismus einen Klaps zu versetzen, da wird es geschehen. Das hat, glaube ich, auch der Volksstaat bisher getan, und wenn darüber York und einige andere sich ereifern, so lässt man sie eben gewähren. Ein vernichtender Schlag für den Lassallekultus würde es sein, wenn Freund Marx dem Wunsche Liebknechts — den ich vollständig teile — nachkäme und in einigen objektiv gehaltenen Artikeln im Volksstaat wissenschaftlich die Fehler und Mängel der Lassalleschen Theorien nachwies. Marx' wissenschaftliche Autorität auf ökonomischem Gebiet ist so unbestritten, dass die Wirkung einer solchen Arbeit eine kolossale sein würde. Helfen Sie uns, dass Freund Marx diesen Dienst der Partei leistet. Das oben Gesagte kurz resümiert, steht die Sache also so: Yorks Einfluss ist unbedeutend, er selbst nichts weniger als gefährlich, der Lassalleanismus in der Partei ist ebenfalls wenig verbreitet, Schonung nur in Rücksicht auf zahlreiche ehrliche, aber missleitete Arbeiter, die bei geschickter Behandlung uns sicher sind, geboten. Ich hoffe, dass nach diesen Auseinandersetzungen Sie nicht anstehen werden, Ihre Mitarbeiterschaft dem Volksstaat zu erhalten. • Der von der Gräfin Hatzfeldt ins Leben gerufene „Lassallesche Allgemeine Deutsche Arbeiterverein."
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Eine Zurückziehung7 wäre das Allerverkehrteste, was Sie tun könnten; dadurch würden Sie dem oppositionellen Element eine Bedeutung beilegen, die es absolut nicht hat, und die Partei schädigen.... Mit freundlichem Gruss Ihr BEBEL. 7
Im Abdruck hinzugesetzt: (womit Engels gedroht).
6. B E B E L AN M A R X
Hubertusburg, den 19. Mai 1873.
Abdruck.1 Geehrter Freund!
. . . Es sind mehr als fünf Jahre, dass ich Ihnen zum letztenmal geschrieben, und jener Brief betraf Schweitzer. Dieser ist nun glücklich gestürzt und vieles andere seit jener Zeit ebenfalls. Unsere Partei hingegen hat einen mächtigen Aufschwung genommen, und ich hoffe, in weiteren fünf Jahren ist sie so weit, dass sie ein ernsthaftes Wörtchen mitreden kann. Hepner hat allem Anschein nach Ihnen und Freund Engels unsere Parteiverhältnisse sehr düster gemalt, sehr mit Unrecht. Ich habe darüber Freund Engels ausführlicher geschrieben, der Ihnen Mitteilung davon machen wird. Im grossen und ganzen halte ich die Parteiverhältnisse für durchaus zufriedenstellend; was noch mangelhaft ist, wird in nicht allzulanger Zeit sich beseitigen lassen, allerdings ist da auch notwendig, dass man sich leidlich verträglich hält und nicht mit Gewalt Krakeel haben will. Was mich zu dieser Verträglichkeit bestimmt, ist, dass ich genau weiss, dass der beste und ehrlichste Wille für das Wohl der Partei auch bei den Andersmeinenden vorhanden ist. In einem solchen Falle halte ich es für unrecht, Meinungsverschiedenheiten schroff zu behandeln und zum Bruch zu reizen. Glauben Sie aber nicht, dass wir deshalb die Verträglichkeit zur Schwäche treiben, es gibt eine Grenze, wo sie aufhört; die Mittel und die Macht fehlen dann auch nicht, um unseren Willen durchzusetzen . . . Dem Wunsche Liebknechts, dass Sie Lassalles Schriften mal zum Gegenstand einer kritischen Abhandlung machen möchten, schliesse ich mich vollkommen an. Eine solche ist durchaus notwendig, und damit sie die nötige Wirkung erzielt, müssten Sie und kein anderer sie veröffentlichen. Eine solche Kritik würde der Partei in Deutschland nach verschiedenen Seiten hin den Boden ebnen. 1
16
A. m. L.,
II, S. 292.
Mit Liebknecht habe ich schon mehrere Male gesprochen wegen neuer Herausgabe des Kommunistischen Manifestes; wir können es aber in Rücksicht auf den Schluss nicht riskieren. Dieser würde uns sofort einen Hochverratsprozess auf den Hals laden. Das Manifest is zwar in einem Heft des Leipziger Hochverratsprozesses als Aktenstück abgedruckt, es sind auch einige Separatabzüge2 gemacht worden; aber das genügt nicht, es müsste nachdrücklich empfohlen und öffentlich verkauft werden können. Diese Schrift, mit einem passenden Vorwort verbunden, würde vielen die Augen öffnen; sie würde beweisen, wie unendlich schwächlich die Lassalleschen Vorschläge sind. Überlegen Sie sich die Sache einmal. Mit freundlichem Gruss Ihr BEBEL.
Die Ausgabe erschien als Separatabdruck aus dem Leipziger Hochverrathsprozess. Ausführlicher Bericht usw. (Leipzig, Verlag der Expedition des Volksstaat, 1872), unter dem Titel „Das Kommunistische Manifest. Neue Ausgabe mit einem Vorwort der Verfasser" im gleichen Verlag. Marx und Engels besorgten die Korrekturen und schrieben das vom 24. Juni 1872 datierte Vorwort. Ein grösseres Vorwort könne man nicht aus dem Ärmel schütteln, es seien Studien dazu nötig; „. . . ein kleines Vorwort für den SeparatabdTuck wollen wir Euch schicken, und das reicht zunächst hin." Engels an Liebknecht 23. April, 6. Juni 1872.
2
7. E N G E L S AN
BEBEL
London, den 20. Juni 1873.
Original. Lieber Bebel!
Ich antworte auf Ihren Brief zuerst, weil der von Liebknecht sich noch bei Marx befindet, der ihn augenblicklich nicht finden kann. Es war nicht Hepner, sondern Yorks vom Ausschuss1 unterzeichneter Brief an diesen, der uns hier befürchten liess, die Tatsache Ihrer Gefangenschaft werde von den, unglücklicherweise ganz Lassalleschen, Parteibehörden benutzt werden, um den Volksstaat in einen „ehrlichen" N[euen] Soz[ial-] Dem[okrat] zu verwandeln. Die Absicht gestand York klar ein,2 und da der Ausschuss sich als Ansteller und Absetzer der Redakteure hinstellte, war die Gefahr sicher gross 1 Der auf dem Eisenacher Kongress eingesetzte fünfköpfige Ausschuss der Partei hatte bis zum zweiten Kongress, Dresden 1871, seinen Sitz in Braunschweig-Wolfenbüttel, danach in Hamburg. Die fünf Mitglieder mussten in dieser Stadt wohnhaft sein. Als Sekretär der Partei führte York die Korrespondenz des Ausschusses. 2 Über die geplante Änderung s. Absatz 5 dieses Briefes. Vgl. auch W. Bios, Denkwürdigkeiten, I, S. 145ff.
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genug. Hepners bevorstehende Ausweisung gab diesen Plänen eine weitere Handhabe. Unter diesen Umständen mussten wir absolut wissen, woran wir waren, und daher diese Korrespondenz. Sie dürfen nicht vergessen, dass Hepner, und noch viel weniger Seiffert, Bios 8 etc., keineswegs gegenüber York dieselbe Stellung hat wie Sie und L[iebknecht], die Stifter der Partei, und dass, wenn Sie dergleichen Zumutungen einfach ignorieren, dies jenen schwerlich zugemutet werden kann. Die Parteibehörden haben immerhin ein gewisses formelles Recht der Kontrolle über das Parteiorgan, dessen Ausübung zwar Ihnen gegenüber unterblieb, aber diesmal unzweifelhaft, und in einer die Partei schädigenden Richtung versucht wurde. Es schien uns also unsere Pflicht, das unsrige zu tun und ebenfalls dem entgegenzuwirken. Hepner mag in Einzelheiten taktische Verstösse gemacht haben, die meisten erst nach Empfang des Ausschussbriefs, aber in der Sache müssen wir ihm entschieden recht geben. Schwäche kann ich ihm auch nicht vorwerfen; denn wenn der Ausschuss ihm deutlich zu verstehen gibt, er solle von der Redaktion abtreten, und dazusetzt, anders werde er unter Bios arbeiten müssen, so sehe ich nicht, welchen Widerstand er noch leisten konnte. Er konnte sich doch nicht auf der Redaktion gegen den Ausschuss verbarrikadieren. Nach einem solchen kategorischen Brief seiner vorgesetzten Behörde finde ich sogar die von Ihnen aufgeführten und mir schon vorher unangenehm aufgefallenen Bemerkungen H[epner]s im Volksstaat4 entschuldbar. Soviel ist sicher, der Volksstaat ist seit Hepners Verhaftung und Abwesenheit von Leipzig 5 weit schlechter geworden und der Ausschuss, statt mit ihm zu zanken, hätte besser getan, ihm jede mögliche Unterstützung zukommen zu lassen. Der Ausschuss verlangte geradezu, dass der Volksst[aat] anders redigiert werde, dass die wissenschaftlicheren Artikel wegbleiben und durch Leitartikel ä la Neue[r Social9 Redakteure des Volksstaat. Wilhelm Bios (1849-1927), Historiker und Journalist, war ausser am Volksstaat an den sozial-demokratischen Zeitungen in Braunschweig, Hamburg und Bremen tätig. Reichstagsabg. 1877/8, 1881, 1884 und seit 1890. Nach 1918 Staatspräsident von Württemberg. - Rudolf Seifert (18261886), Buchdrucker und gewerkschaftlicher Organisator; zu Bios' Zeit zeichnete er meist verantwortlich für die Redaktion des Volksstaat. 4 Vor allem wohl die mit einem Stern bezeichneten redaktionellen Anmerkungen in Nr. 18, 1. März, Nr. 22, 15. März, Nr. 38, 10. Mai. Die erste Notiz war gegen Bios gerichtet, während die anderen Angriffe gegen York enthielten. S. a. Bios, a.a.O. s Er wurde am 13. September 1872 wegen Teilnahme an den Kongressen in Den Haag und Mainz verhaftet. Nachdem er am 8. März 1873 eine viermonatige Gefängnisstrafe verbüsst hatte, wurde er am 12. März aus Leipzig ausgewiesen (Volksstaat, Nr. 23, 19. März), und danach auch aus Connewitz b. Leipzig, (ebd., Nr. 40, 17. Mai).
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Demokrat] ersetzt werden sollen, und stellte direkte Z wangsmassregeln in Aussicht. Ich kenne Bios durchaus nicht, aber wenn derselbe Ausschuss ihn gleichzeitig ernennt, so muss man doch voraussetzen, dass dieser Ausschuss sich einen Mann ausgesucht hat, der nach seinem Herzen ist. Was nun die Stellung der Partei zum Lassalleanismus angeht, so können Sie natürlich die zu befolgende Taktik besser beurteilen als wir, namentlich für die einzelnen Fälle. Aber es ist doch auch dies zu bedenken. Wenn man sich wie Sie gewissermassen in einer Konkurrenzstellung zum Allgemeinen] Dfeutschen] Arb[eiter-] V[erein] befindet, so nimmt man leicht zu viel Rücksicht auf den Konkurrenten, und gewöhnt sich, in allem zuerst an ihn zu denken. Nun ist aber sowohl der A l l g e m e i n e ] D[eutsche] A[rbeiter-] V[erein] wie die Soz[ial-] Demokratische] Arb[eiter-] Partei, beide zusammen, immer noch eine sehr kleine Minorität der deutschen Arbeiterklasse. Nach unserer Ansicht, die wir durch lange Praxis bestätigt gefunden haben, ist aber die richtige Taktik in der Propaganda nicht die, dem Gegner hie und da einzelne Leute und Mitgliedschaften abspenstig zu machen, sondern auf die grosse noch teilnahmlose Masse zu wirken. Eine einzige neue Kraft, die man aus dem Rohen heraus selbst herangezogen hat, ist mehr wert, als zehn lassallesche Überläufer, die immer den Keim ihrer falschen Richtung mit in die Partei hineintragen. Und wenn man die Massen nur bekommen könnte, ohne die Lokalführer, so ginge das noch. So aber muss man immer einen ganzen Haufen von solchen Führern mit in den Kauf nehmen, die durch ihre früheren öffentlichen Äusserungen, wenn nicht noch durch ihre bisherigen Anschauungen gebunden sind und nun vor allem nachweisen müssen, dass sie ihren Grundsätzen nicht abtrünnig geworden, dass vielmehr die s[ozial-] d[emokratische] Arb[eiter-] Partei den wahren Lassalleanismus predigt. Das war das Pech in Eisenach, 4 damals vielleicht nicht zu umgehen; aber geschadet haben diese Elemente der Partei unbedingt, und ich weiss nicht, ob diese auch ohne jenen Zutritt nicht heute mindestens ebenso stark wäre. Jedenfalls aber würde ich es für ein Unglück halten, wenn diese Elemente Verstärkung erhielten. Man muss sich durch das Geschrei nach „Einigung" nicht beirren Von den 263 Delegierten des Eisenacher Kongresses wurden im Protokoll 21 ausdrücklich als Vertreter von Lassalleanern bezeichnet. Aber ihre wirkliche Zahl war grösser. Der im Demokratischen Wochenblatt am 17. Juli veröffentlichte Aufruf zum Kongress war von 63 Mitgliedern des ADAV. unterzeichnet; viele von ihnen erschienen auf dem Kongress. Mehring, Geschichte, III, S. 366, schätzt, dass höchstens etwa tausend Mitglieder des ADAV. sogleich in die neue Partei kamen, darunter jedoch viele mit bekanntem Namen. 6
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lassen.7 Die dies Wort am meisten im Munde führen, sind die grössten Zwietrachtstifter, wie ja gerade jetzt die Schweizer Jurabakunisten, 8 die Anstifter aller Spaltungen, nach nichts mehr schreien als Einigung. Diese Einigungsfanatiker sind entweder beschränkte Köpfe, die alles in einen unbestimmten Brei zusammenrühren wollen, der sich bloss zu setzen braucht, um die Unterschiede in weit schärferem Gegensatz wieder herzustellen, weil sie sich dann in Einem Topf befinden (in Deutschland haben sie ein schönes Exempel an den Leuten, die die Versöhnung der Arbeiter und Kleinbürger predigen), oder aber Leute, die die Bewegung unbewusst (wie z.B. Mülberger) 9 oder bewusst Nachdem der 3. Kongress der Soz.-dem. Arbeiterpartei, Mainz 7.-11. September 1872, drei Anträge auf Vereinigung der beiden Arbeiterparteien behandelt und den Parteiausschuss beauftragt hatte, „ein prinzipielles Zusammengehen mit dem Allg. Deutschen Arbeiterverein immer von neuem zu versuchen" und jede Polemik einzustellen, brachte der Neue Social-Demokrat in Nr. 109, 20. September, einen Aufruf „Ein ernstes Wort an die Arbeiter der Eisenacher Partei!", in dem der Partei vorgeworfen wurde, dass sie jene Mainzer Beschlüsse nicht beachte. Der Volksstaat druckte diesen Aufruf in dem Artikel „Eine Antwort" in Nr. 78, 28. September nach. Verfasser dieses Artikels waren Bebel und Liebknecht. Sie gingen noch über die Mainzer Beschlüsse hinaus und befürworteten einen gemeinschaftlichen Kongress mit dem Ziel der Vereinigung der beiden Parteien; sollte es nicht zur Verschmelzung kommen, dann müssten wenigstens ein gemeinsames Programm aufgestellt und die Formen für gemeinsame Aktionen gefunden werden. Wahrscheinlich hatte Engels diesen Vorschlag im Auge. S. darüber auch A. m. L., II, S. 288ff. Der Waffenstillstand dauerte nur kurze Zeit; bald begann der Kampf zwischen den beiden Richtungen wieder, der im Volksstaat und im Neuen Social-Demokrat Schritt für Schritt zu verfolgen ist. 8 Die Fédération Jurassienne, die bakunistische Organisation der Schweiz, veröffentlichte das vom 15. April 1873 datierte Mémoire. . . à toutes les Fédérations de l'Internationale, (Sonvillier, 1873), über die Entwicklung der Gegensätze innerhalb der internationalen Organisation. Zur Zeit der Abfassung des vorliegenden Briefes nahm Engels an den Arbeiten der vom Haager Kongress zur Begründung der Vorwürfe gegen Bakunin bestimmten Kommission teil. Sie schloss ihre Arbeit am 21. Juli ab. Das Ergebnis war die Schrift L'AUiance de la Démocratie Socialiste et l'Association Internationale des Travailleurs (London-Hamburg 1873); deutsche Ausgabe: Ein Complot gegen die Internationale Arbeiter-Association, übers, von S. Kokosky (Braunschweig, W. Bracke jun., 1874). 9 Dr. Arthur Mülberger (1847-1907), Stadtarzt in Crailsheim, später Oberbürgermeister von Esslingen, Württemberg, war der bekannteste Anhänger Proudhons in Deutschland. Gegen seine Aufsätze „Die Wohnungsfrage. Eine sociale Skizze von A. M." im Volksstaat (Nr. 10-13, 3. bis 14. Februar, Nr. 15, 21. Februar und Nr. 19, 6. März 1872; auch als Broschüre, Leipzig, Verlag der Expedition des Volksstaat, 1872) richtete Engels seine Aufsätze „Zur Wohnungsfrage", I: „Wie Proudhon die Wohnungsfrage löst" im Volksstaat, Nr. 51-53, 26. Juni bis 3. Juli, als Broschüre ebd. (1872); II: „Wie die Bourgeoisie die Wohnungsfrage löst", ebd., Nr. 103-104, 25. und 28. Dezember 1872, Nr. 2-3, 4. und 8. Januar 1873, als Broschüre ebd. (1872); „Nachtrag über Proudhon und die Wohnungsfrage" ebd., Nr. 12-13, 8. und 12. Februar, Nr. 15-16, 19. und 22. Februar 1873, als Broschüre ebd., [1873]. Mülberger antwortete auf die erste Artikelserie in Nr. 86, 26. Okto-
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verfälschen wollen. Deswegen sind die grössten Sektierer und die grössten Krakeeler und Schurken in gewissen Momenten die lautesten Einigungsschreier. Mit niemandem haben wir in unserem Leben mehr Last und Tuck gehabt als mit den Einigungsschreiern. Natürlich will jede Parteileitung Erfolge sehen, das ist auch ganz gut. Aber es gibt Umstände, wo man den Mut haben muss, den augenblicklichen Erfolg wichtigeren Dingen zu opfern. Namentlich bei einer Partei wie die unsrige, deren schliesslicher Erfolg so absolut gewiss ist, und die zu unseren Lebzeiten und unter unseren Augen sich so kolossal entwickelt hat, braucht man den augenblicklichen Erfolg keineswegs immer und unbedingt. Nehmen Sie z.B. die Internationale. Nach der Kommune hatte sie den kolossalsten Erfolg. Die zusammengedonnerten Bourgeois schrieben ihr Allmacht zu. Die grosse Menge der Mitglieder glaubte, das werde ewig so bleiben. Wir wussten sehr gut, dass die Blase platzen müsse. Alles Gesindel hing sich an sie an. Die in ihr enthaltenen Sektierer wurden üppig, missbrauchten die Int [ernationale] in der Hoffnung, man werde ihnen die grössten Dummheiten und Gemeinheiten erlauben. Wir litten das nicht. Wohl wissend, dass die Blase doch einmal platzen müsse, handelte es sich für uns nicht darum, die Katastrophe zu verschieben, sondern Sorge zu tragen, dass die Internationale] rein und unverfälscht aus ihr hervorgehe. Im Haag 10 platzte die Blase, und Sie wissen, dass die Mehrzahl der Kongressmitglieder im Katzenjammer der Enttäuschung nach Hause zog. Und doch hatten fast alle diese Enttäuschten, die in der Internationalen das Ideal der allgemeinen Brüderlichkeit und Versöhnung zu finden wähnten, zu Hause viel bittreren Krakeel, als er im Haag losbrach! Jetzt predigen die sektiererischen Krakeeler Versöhnung und verschreien uns als die Unverträglichen und Diktatoren! Und wären wir im Haag versöhnlich aufgetreten, hätten wir den Ausbruch der Spaltung vertuscht — was war die Folge? Die Sektierer, namentlich die Bakunisten behielten ein Jahr lang Zeit, im Namen der Internationale] noch viel grössere Dummheiten und Infamien zu begehen; die Arbeiter der entwickeltesten Länder wandten sich im Ekel ab; die Blase platzte nicht, sie sank, durch Nadelstiche verletzt, langsam zusammen; und der nächste Kongress, der die Krisis doch bringen musste, wäre ein Skandal der ber 1872. Später schrieb er u.a. Studien über Proudhon (1891), Zur Kenntnis des Marxismus (1894), P. J. Proudhon. Leben und Werke (1899). 10 Der Kongress in Den Haag, 1. bis 7. September 1872, schloss Bakunin und seine Anhänger aus und beschloss die Verlegung des Sitzes des Generalrates nach New York. Die Verbindung mit Europa wurde immer schwächer, und 1 8 7 6 wurde die IAA. formell aufgelöst. Der bakunistische Flügel behielt seine internationale Organisation bis zum Kongress von Verviers, September 1877.
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gemeinsten Persönlichkeiten geworden, weil im Haag das Prinzip ja bereits preisgegeben war! Dann war die Internationale] allerdings kaputt — kaputt durch die „Einigung"! — Statt dessen sind wir die faulen Elemente jetzt mit Ehren für uns losgeworden — die in der letzten entscheidenden Sitzung anwesenden Kommunemitglieder sagen, keine Kommunesitzung habe ihnen eine so furchtbare Wirkung hinterlassen wie diese Gerichtssitzung über die Verräter am europäischen Proletariat — wir haben sie zehn Monate alle ihre Kräfte aufbieten lassen zu lügen, zu verleumden, zu intrigieren — und wo sind sie? Sie, die angeblichen Vertreter der grossen Majorität der Internationale], erklären jetzt selbst, dass sie nicht wagen, zum nächsten Kongress zu kommen. (Näheres in einem Artfikel], der hiermit an den Volksstaat abgeht.) 1 1 Und wenn wir es noch einmal zu tun hätten, wir würden im ganzen und grossen nicht anders handeln — taktische Fehler werden natürlich immer begangen. Jedenfalls glaube ich, dass die tüchtigen Elemente unter den Lassfalleanem] Ihnen mit der Zeit von selbst zufallen werden, und dass es deshalb unklug wäre, die Frucht vor der Reife zu brechen, wie die Einigungsleute wollen. Übrigens hat schon der alte Hegel gesagt: Eine Partei bewährt sich dadurch als die siegende, dass sie sich spaltet und die Spaltung vertragen kann. 12 Die Bewegung des Proletariats macht notwendig verschiedene Entwicklungsstufen durch; auf jeder Stufe bleibt ein Teil der Leute hängen und geht nicht weiter mit; allein schon daraus erklärt sich, weshalb die „Solidarität des Proletariats" in der Wirklichkeit überall in verschiedenen Parteigruppierungen sich verwirklicht, die sich auf Tod und Leben befehden, wie die christlichen Sekten im römischen Reich unter den schlimmsten Verfolgungen. Auch dürfen Sie nicht vergessen, wenn z.B. der Neue [SocialDemokrat] mehr Abonnenten hat als der Volksstaat, dass jede 11 „ A u s der Internationalen", Volksstaat, Nr. 53, 2. Juli 1873, in dem die Tätigkeit der Anhänger Bakunins seit dem Haager Kongress in den einzelnen Ländern behandelt wurde. 12 Engels meint wohl Hegels Äusserung im Kapitel „ D i e Wahrheit der Aufklärung" der Phänomenologie des Geistes: „ Ü b e r jenes absolute Wesen gerät die Aufklärung selbst mit sich in den Streit, den sie vorher mit dem Glauben hatte, und teilt sich in zwei Parteien. E i n e Partei bewährt sich erst dadurch als die siegende, dass sie in zwei Parteien zerfällt; denn darin zeigt sie das Prinzip, das sie bekämpfte, an ihr selbst zu besitzen, und hiermit die Einseitigkeit aufgehoben zu haben, in der sie vorher auftrat. D a s Interesse, das sich zwischen ihr und der andern teilte, fällt nun ganz in sie und vergisst der andern, weil es in ihr selbst den Gegensatz findet, der es beschäftigt. Zugleich aber ist er in das höhere siegende Element erhoben worden, worin er geläutert sich darstellt. So dass also die in einer Partei entstehende Zwietracht, welche ein Unglück scheint, vielmehr ihr Glück beweist." Werke, Bd. II (Berlin, 1832), S. 434f.
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Sekte notwendig fanatisch ist, und durch diesen Fanatismus, besonders in Gegenden, wo sie neu ist (wie der Allgemeine] D[eutsche] A[rbeiter-] V[erein] in Schleswig-Holstein z.B.) weit grössere augenblickliche Erfolge erreicht als die Partei, die ohne Sekten-Absonderlichkeit einfach die wirkliche Bewegung vertritt. Dafür dauert der Fanatismus auch nicht lange. Ich muss schliessen, die Post geht ab. In Eile nur noch: M[arx] kann an den Lassalle nicht gehen,13 bis die französische] Ubersetzung [des „Kapital"] fertig (Ende Juli zirka), und hat dann positiv Erholung nötig, da er sehr überarbeitet ist. Dass Sie Ihre Gefangenschaft stoisch aushalten und studieren, ist sehr schön. Wir alle freuen uns, Sie nächstes Jahr hier zu sehen. Herzlichen Gruss an Lfiebknecht], Aufrichtigst Ihr F. E N G E L S . 13
S. Briefe Nr. 5 und 6.
8. B E B E L AN
Original.
ENGELS
Zwickau, Landesgefängnis, den 8. September 1874. Lieber Engels!
Ich bin genötigt, Sie heute einmal mit reinen Privatangelegenheiten zu behelligen. Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, fabriziere ich Türdrücker und Fenstergriffe aus Büffelhorn.1 Dieser Artikel hat seit meiner Haft und namentlich in den letzten Monaten eine so bedeutende Konkurrenz durch den Grossbetrieb erhalten, dass ich alle Anstrengungen machen muss, mein Geschäft bis zum Ausgang meiner Haft wenigstens auf seinem jetzigen Niveau zu erhalten. Erst wenn ich frei bin, ist es mir möglich, die notwendigen Änderungen (Dampfbetrieb) und Erweiterungen vornehmen zu können. Nun ist es sehr wichtig für mich, ein billigeres Rohmaterial, als ich es bisher gehabt, beziehen zu können. London gilt als Hauptstapelplatz für Büffel-, Brasilienhörner etc. Dort kaufen unsere Grossisten, aber sie kaufen die ganzen Hörner mit den fusslangen Höhlungen, welch letztere sie abschneiden lassen und an die Kammfabriken etc. absetzen. Die vollen Spitzen, mit höchstens vier bis fünf Zentimeter Höhlung, erhalten die Drechsler. Bebel hatte sich 1863 als Drechslermeister selbständig gemacht. 1874 fand er in Ferd. Issleib in Berka a. W. einen Teilhaber; 1884 löste er dieses Verhältnis. S. Brief Nr. 71. Über die Entwicklung der Firma A. m. L., I, S. 187ff. 1
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Diese ganzen Hörner kann ich nun allerdings nicht brauchen, da mir erstens die Absatzquellen für die Höhlungen fehlen, zweitens ein Betriebskapital notwendig ist, wie ich es nicht besitze oder auftreiben kann, drittens zum Abschneiden auch Dampfbetrieb gehört. Aber ich vermute, dass in London auch Häuser sein müssen, wo man die Spitzen abgeschnitten kaufen kann, also Häuser, die mit Horn, Elfenbein, Walrosszähnen, fremden Hölzern etc. Handel treiben. Eine solche Quelle mir ausfindig zu machen, ist, worum ich Sie recht dringend bitte. Durch Ihre Bekanntschaften ist Ihnen das nicht allzu schwer. Aber ich wünschte noch mehr. Ich möchte Sie bitten, dass Sie in diesem Falle bei dem betreffenden Hause sich nach den Preisen und Bezugsbedingungen erkundigten. Da gälte es nun allerdings verschiedenes zu beobachten. Unsere Hornhändler haben ihre Spitzen sortiert, ich kann da Originalware (also gemischt, wie sie fällt, wobei aber das schöne Horn ausgelesen ist), breite schlanke Spitzen, runde schlanke Spitzen beziehen. Diese Bezeichnungen beziehen sich ausschliesslich auf Büffelhorn. Brasilianer Ochsenspitzen sind, nach der Länge sortiert, drei, vier, fünf bis sechs, sieben bis acht Zoll und stehen danach im Preis. Höhlungen dürfen Brasilspitzen höchstens ein oder eineinhalb Zentimeter haben, da wir die Höhlung nicht verwenden können. Es fragt sich also, ist die Ware drüben auch sortiert vorhanden oder gemischt, so dass gar keine Auswahl getroffen ist, und was ist der Preis z.B. für fünfzig Kilogramm (ein Zentner). Mein jetziger Bedarf beläuft sich jährlich auf hundert Zentner, davon sind fast neun Zehntel Büffelspitzen. Doch habe ich Aussicht, meinen Bedarf nicht unerheblich zu steigern, wenn ich erst frei bin. Ich würde zunächst eine kleine Partie als Probe kommen lassen und, fällt diese nach Wunsch aus, grössere Bestellungen machen. Die Ware wäre per Schiff bis Hamburg als dem nächstgelegenen Hafen zu expedieren, von dort erhielte ich sie per Bahn. Vielleicht würde mir später ein Londoner Haus die Agentur in diesem Artikel übertragen, doch das ist Nebensache. Ich würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie auf Grund obiger Mitteilungen Erkundigungen einziehen und mir berichten wollten. Aber ich habe noch ein Anliegen. Können Sie mir sagen: ob in England meine Artikel fabriziert werden, oder ob ich Aussicht hätte, damit dort ein Geschäft zu machen? Zur Orientierung sende ich Ihnen unter Kreuzband eine Musterkarte. Vor neun Jahren ungefähr wandte sich auf Veranlassung eines Amsterdamer Hauses, mit dem ich anzuknüpfen versucht hatte, ein Londoner Haus an mich. Da ich aber kurz darauf erfuhr, dass das Amsterdamer Haus faul sei, brach ich mit beiden ab. Es scheint aber, 24
da der Londoner meine Musterkarte wie Proben und Preise jedenfalls in Amsterdam gesehen, dass er ein Geschäft zu machen für möglich hielt. Nach Schweden und der Schweiz liefere ich ganz hübsche Aufträge; mein Bestreben muss sein, hauptsächlich im Ausland Kundschaft zu erhalten, weil ich da am sichersten bin. Das Fabrikat hat den Vorteil, dass es nie geputzt zu werden braucht, fein aussieht, dauerhaft ist und sich namentlich in der Kälte, zum Unterschied von Metallgriffen, höchst angenehm anfasst. Würden für England andere Façons gewünscht werden, könnte ich auch diese liefern. Ich glaube, bei dem Dampfschiffbau würden sie für Kajütentüren etc. sehr gut zu verwenden sein. Könnten Sie mir jemand rekommandieren, welcher den Vertrieb übernehmen wollte, würde ich diesem eine Anzahl Proben mit Karten und Preiskuranten übersenden. Einen Preiskurant in der neuen Reichsmünze füge ich der Musterkarte bei, ich gewähre auf denselben 20% Rabatt, Zahlung per comptant. Es ist viel Mühe, welche ich Ihnen zumute, aber ich bin überzeugt, Sie unterziehen sich derselben gern; handeln Sie damit doch auch im gewissen Grade im Parteiinteresse; denn gelingt es mir, eine unabhängige Stellung in geschäftlicher Beziehung zu schaffen, kann ich um so ungehinderter auch für die Partei eintreten. Hat mir doch namentlich in Leipzig meine agitatorische Tätigkeit geschäftlich sehr geschadet. Die ersten vier bis sechs Monate nach meiner Freilassung werde ich sowieso kaum viel tun können; denn am 1. April, dem Tag meines Auszugs hier, halte ich in Leipzig Einzug in neu gemietetes Fabrikslokal, das mir die Ausdehnung und die Reorganisation meines Geschäftsbetriebs ermöglicht, und dann gilt es zu rennen und zu jagen, um die Konkurrenz aus dem Felde zu schlagen und wieder festen Boden unter die Füsse zu bringen. Von hier kann ich Ihnen melden, dass ich mich durchaus wohl befinde und mit der Handhabung der Haft zufrieden bin. Ich bitte Sie, Marx zu grüssen, und seien Sie ebenfalls freundlichst gegrüsst von Ihrem A.
BEBEL.
Kommt vielleicht Scheu 2 zu Ihnen, dann bitte ich auch diesen zu grüssen.
Andreas Scheu (1844-1927) war in jenen Jahren einer der bekanntesten Führer der österreichischen Arbeiterbewegung. Er hatte 1869 als Vertreter der Wiener Handschuhmachergehilfen den Eisenacher Kongress besucht, wo er Bebel kennen lernte. A. Scheu, XJmsturzkeime (Wien, 1923), Bd. I, S. 160ff. Seit Juli 1874 lebte er in England, ebd., II, S. 163ff. Er stand später vorübergehend Johann Most nahe und war mit William Morris eng befreundet. 2
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9. B E B E L AN
ENGELS
Zwickau, den 23. Februar 1875.
Original. Lieber Engels!
Ihren Brief habe ich durch meine Frau erhalten. Ihre Antwort fiel so aus, wie ich erwartete, und ich stimme Ihrer Ansicht ganz bei, jeden weiteren Versuch zu unterlassen. Merkwürdig. Während alle übrigen Rohmaterialien eher im Preise fallen, habe ich für die letzten Sendungen in diesen Tagen fünf Prozent mehr zahlen müssen; diese Preissteigerung gilt von allen deutschen Lieferanten. Für ihre Bemühungen sage ich Ihnen herzlichen Dank. Auf Ihre Anfrage, wie mir das Gefängnis in gesundheitlicher Beziehung bekommen ist, kann ich nur antworten: gut. Ich habe mich im Gefängnis entschieden erholt, vor drei Jahren war ich gar sehr hin. Sie möchten, ich solle mit L[iebknecht] im Laufe dieses Jahres zu Ihnen nach London kommen; ich möchte recht gern und L[iebknecht] sicher auch, aber mir ist es für dieses Jahr unmöglich. Wenn ich frei werde, wird mich nicht allein die Partei mit mehr Versammlungseinladungen überschütten, als Tage im Jahre sind — das ist bei uns jetzt so üblich, und jeder Ort bildet sich ein, er habe nach so langer Zeit das Recht, einen Besuch zu beanspruchen — ich habe namentlich auch im Geschäft sehr viel zu tun. Das heisst nicht Uberfluss an Kundenarbeit, mehr das Gegenteil, wohl aber eine gänzliche Umgestaltung vorzunehmen, um der gewachsenen Konkurrenz und den veränderten Anforderungen entsprechen zu können. Auch werde ich einige grössere Geschäftsreisen machen müssen. Mittlerweile kommt der Spätherbst heran und damit der Reichstag, den ich natürlich nicht versäumen möchte. Meines Erachtens muss von unserer Seite dort ganz anders vorgegangen werden als bisher, unsere Leute haben sich zu passiv verhalten und sind zu nachgiebig gewesen. Sie hätten trotz allen Bestrebens, sie mundtot zu machen, sich viel unbequemer machen können. Darüber vielleicht später mehr. Was sagen Sie und M[arx] denn zu der Einigungsfrage?1 Ich habe kein vollgültiges Urteil; denn ich bin ausser aller Kenntnis, ich weiss Die Öffentlichkeit erhielt von den Einigungsverhandlungen Kenntnis durch eine in den Zentralorganen gleichzeitig erscheinende Erklärung, dass Besprechungen zwischen Vertretern beider Parteien über „die Vereinigung auf vollständig gesunder Grundlage" abgehalten seien, und in der alle Mitglieder aufgefordert wurden, die Einigungsbestrebungen zu unterstützen. Von I. Auer und A. Geib unterzeichnet, erschien sie in Nr. 144 des Volksstaat vom 11. Dezember 1874; von Hasenclever gezeichnet, in derselben Nr. des Neuen Social-Demokrat vom gleichen Tage. 1
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nur, was die Zeitungen berichteten. Ich bin gespannt, zu sehen und zu hören, wie die Dinge liegen, wenn ich den 1. April frei komme. Seien Sie und Marx herzlichst gegrüsst von Ihrem A . BEBEL.
10. ENGELS A N
Abdruck.1
BEBEL
London, den 18.[-28.] März 1875. Lieber Bebel!
Ich habe Ihren Brief vom 23. Februar erhalten und freue mich, dass es Ihnen körperlich so gut geht. Sie fragen mich, was wir von der Einigungsgeschichte halten? Leider ist es uns ganz gegangen wie Ihnen. Weder Liebknecht noch sonst jemand hat uns irgendwelche Mitteilung gemacht, und auch wir wissen daher nur, was in den Blättern steht, und da stand nichts, bis vor ca. acht Tagen der Programmentwurf2 kam. Der hat uns allerdings nicht wenig in Erstaunen gesetzt. Unsere Partei hat so oft den Lassalleanern die Hand zur Versöhnung oder wenigstens zum Kartell geboten und war von den Hasenclever, Hasselmann und Tölckes3 so oft und so schnöde zurückgewiesen worden, dass daraus jedes Kind den Schluss ziehen musste: wenn diese Herren jetzt selbst kommen und Versöhnung bieten, so müssen 1
A. m. L., II, S. 318ff. Der auf der Vorkonferenz von sechzehn Vertretern beider Parteien am 14. und 15. Februar in Gotha beschlossene Entwurf. Der Volksstaat Nr. 20, 19. Februar. Veröffentlicht mit der Einladung zum Kongress ebd., Nr. 27, 7. März; Protokoll des Vereinigungs-Congresses der Sozialdemokraten Deutschlands (Leipzig, 1875), S. 3f. S. darüber E. Bernstein, „Zur Vorgeschichte des Gothaer Kongresses", Die Neue Zeit Jahrg. XV (1897), Bd. I, S. 466ff. 3 Die bekanntesten Führer der Lassalleaner: Wilhelm Hasenclever (1837-1889), Lohgerber, Redakteur des Neuen Social-Demokrat, Nachfolger von Schweitzers als Präsident des ADAV., in Gotha zum Vorsitzenden der neuen Partei gewählt; mit Liebknecht führte er 1876 bis 1878 die Redaktion des Vorwärts und war von 1869 bis 1887 mit einigen Unterbrechungen Mitglied des Reichstages. Er starb in geistiger Umnachtung. — Wilhelm Hasselmann (geb. 1844), Chemiker, Redakteur des Social-Demokrat und des Neuen Social-Demokrat; Vertreter seiner Partei bei den Einigungsverhandlungen. Lehnte die Teilnahme an der Redaktion des Zentralorgans ab und gründete in seinem Wahlkreis Elberfeld-Barmen ein eigenes Blatt, Die Rote Fahne, in dem er eine Oppositionsstellung gegen die Parteileitung bezog; die Zeitung ging im Oktober 1877 ein. Auf dem Wydener Kongress 1880 mit Most aus der Partei ausgeschlossen, ging er über London nach Amerika, wo er immer mehr in anarchistisches Fahrwasser geriet. — Karl Wilhelm Tölcke (1817-1893), nach Bernhard Beckers Rücktritt Präsident des ADAV., um den er sich als Verfasser von Zweck, Mittel und Organisation des ADAV., 3 Tie (Berlin, 1873), und in praktischer Organisationsarbeit grosse Verdienste erwarb. In seiner Partei nahm er die Initiative zur Vereinigung. 2
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sie in einer verdammten Klemme sein. Bei dem wohlbekannten Charakter dieser Leute ist es aber unsere Schuldigkeit, diese Klemme zu benutzen, um uns alle und jede mögliche Garantien auszubedingen, damit nicht jene Leute auf Kosten unserer Partei in der öffentlichen Arbeitermeinung ihre erschütterte Stellung wieder befestigen. Man musste sie äusserst kühl und misstrauisch empfangen, die Vereinigung abhängig machen von dem Grade ihrer Bereitwilligkeit, ihre Sektenstichworte und ihre Staatshilfe fallen zu lassen und im wesentlichen das Eisenacher Programm von 1869 oder eine für den heutigen Zeitpunkt angemessene verbesserte Ausgabe desselben anzunehmen. Unsere Partei hätte von den Lassalleanern in theoretischer Beziehung, also in dem, was fürs Programm entscheidend ist, absolut nichts zu lernen, die Lassalleaner aber wohl von ihr; die erste Bedingung der Vereinigung war, dass sie aufhörten, Sektierer, Lassalleaner zu sein, dass sie also vor allem das Allerweltsheilmittel der Staatshilfe wo nicht ganz aufgaben, doch als eine untergeordnete Ubergangsmassregel unter und neben vielen möglichen anderen anerkannten. Der Programmentwurf beweist, dass unsere Leute theoretisch den Lassalleanerführern hundertmal überlegen — ihnen an politischer Schlauheit ebensowenig gewachsen sind; die „Ehrlichen"4 sind einmal wieder von den Nichtehrlichen grausam über den Löffel barbiert. Zuerst nimmt man die grosstönende, aber historisch falsche Lassallesche Phrase an: gegenüber der Arbeiterklasse seien alle anderen Klassen nur eine reaktionäre Masse. Dieser Satz ist nur in einzelnen Ausnahmefällen wahr, zum Beispiel in einer Revolution des Proletariats, wie die Kommune, oder in einem Land, wo nicht nur die Bourgeoisie Staat und Gesellschaft nach ihrem Bilde gestaltet hat, sondern auch schon nach ihr das demokratische Kleinbürgertum diese Umbildung bis auf ihre letzten Konsequenzen durchgeführt hat. Wenn zum Beispiel in Deutschland das demokratische Kleinbürgertum zu dieser reaktionären Masse gehörte, wie konnte da die Sozialdemokratische Arbeiterpartei jahrelang mit ihm, mit der Volkspartei, Hand in Hand gehen? Wie kann der Volksstaat fast seinen ganzen politischen Inhalt aus der kleinbürgerlich-demokratischen Frankfurter Zeitung nehmen? Und wie kann man nicht weniger als sieben Forderungen in dies selbe Programm aufnehmen, die direkt und wörtlich übereinstimmen mit dem Programm der Volkspartei und kleinbürgerlichen Demokratie? Ich meine, die sieben politischen Forderungen 1 bis 5 und 1 bis 2, von denen keine einzige, die nicht bürgerlich-demokratische Spitzname der „Eisenacher". „Die deutsche Arbeiterpartei verlangt als freiheitliche Grundlage des Staates: 1. Allgemeines, gleiches, direktes und geheimes Wahlrecht aller Männer vom 21.
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Zweitens, wird das Prinzip der Internationalität der Arbeiterbewegung praktisch für die Gegenwart vollständig verleugnet, und das von den Leuten, die fünf Jahre lang und unter den schwierigsten Umständen dies Prinzip auf die ruhmvollste Weise hochgehalten. Die Stellung der deutschen Arbeiter an der Spitze der europäischen Bewegung beruht wesentlich auf ihrer echt internationalen Haltung während des Krieges; kein anderes Proletariat hätte sich so gut benommen. Und jetzt soll dies Prinzip von ihnen verleugnet werden im Moment, wo überall im Ausland die Arbeiter es in demselben Masse betonen, in dem die Regierungen jeden Versuch seiner Betätigung in einer Organisation zu unterdrücken strebenl Und was bleibt allein von Internationalismus der Arbeiterbewegung übrig? Die blasse Aussicht — nicht einmal auf ein späteres Zusammenwirken der europäischen Arbeiter zu ihrer Befreiung — nein auf eine künftige „internationale Völkerverbrüderung" — auf die „Vereinigten Staaten von Europa" der Bourgeoisie von der Friedensliga!6 Es war natürlich gar nicht nötig, von der Internationale als solcher zu sprechen. Aber das mindeste war doch, keinen Rückschritt gegen des Programm von 1869 zu tun und etwa zu sagen: obgleich die deutsche Arbeiterpartei zunächst innerhalb der ihr gesetzten Staatsgrenzen wirkt (sie hat kein Recht, im Namen des europäischen Proletariats zu sprechen, besonders nicht etwas Falsches zu sagen), so ist sie sich ihrer Solidarität bewusst mit den Arbeitern aller Länder und wird stets bereit sein, wie bisher auch fernerhin die ihr durch diese Solidarität aufgelegten Verpflichtungen zu erfüllen. Derartige Verpflichtungen bestehn auch, ohne dass man gerade sich als Teil der „Internationale' proklamiert oder ansieht, zum Beispiel Hilfe, Abhalten Lebensjahr an. für alle Wahlen in Staat und Gemeinde; 2. Direkte Gesetzgebung durch das Volk mit Vorschlags- und Verwerfungsrecht; 3. Allgemeine Wahrhaftigkeit. Volkswehr an Stelle der stehenden Heere. Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung; 4. Abschaffung aller Ausnahmegesetze, namentlich der Press-, Vereins- und Versammlungsgesetze; 5. Rechtsprechung durch das Volk. Unentgeltliche Rechtspflege. Die deutsche Arbeiterpartei verlangt als geistige und sittliche Grundlage des Staates: 1. Allgemeine und gleiche Volkserziehung durch den Staat. Allgemeine Schulpflicht. Unentgeltlichen Unterricht. 2. Freiheit der Wissenschaft. Gewissensfreiheit." Protokoll, S. 4. 6 Die Friedens- und Freiheitsliga wurde auf dem Friedenskongress, der im Anschluss an den zweiten Kongress der IAA., Lausanne 2.-8. September, in Genf vom 9. bis 12. September 1867 tagte, gegründet. Protokoll: Annales du Congrès de Genève (Genf, 1868). Ihr Organ, Die Vereinigten Staaten von Europa, erschien seit 1868 in einer deutschen und französischen Ausgabe. Der Liga gehörten pazifistische demokratische Kreise an, die der wachsenden Kriegsgefahr entgegenzuwirken suchten. Die IAA. hielt sich der Liga und ihren Bestrebungen fern; von den 64 Delegierten des Lausanner Kongresses nahmen jedoch 26 am Genfer Kongress teil.
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von Zuzug bei Streiks, Sorge dafür, dass die Parteiorgane die deutschen Arbeiter von der ausländischen Bewegung unterrichtet halten, Agitation gegen drohende oder ausbrechende Kabinettskriege, Verhalten während solcher, wie 1870 und 1871 mustergültig durchgeführt usw. Drittens haben sich unsere Leute das Lassallesche „eherne Lohngesetz" aufoktroyieren lassen, das auf einer ganz veralteten ökonomischen Ansicht beruht, nämlich dass der Arbeiter im Durchschnitt nur das Minimum des Arbeitslohnes erhält, und zwar deshalb, weil nach Malthusscher Bevölkerungstheorie immer zu viel Arbeiter da sind (dies war Lassalles Beweisführung). Nun hat Marx im „Kapital" ausführlich nachgewiesen, dass die Gesetze, die den Arbeitslohn regulieren, sehr kompliziert sind, dass je nach den Verhältnissen bald dieses, bald jenes vorwiegt, dass sie also keineswegs ehern, sondern im Gegenteil sehr elastisch sind, und dass die Sache gar nicht so mit ein paar Worten abzumachen ist, wie Lassalle sich einbildete. Die Malthussche Begründung des von Lassalle ihm und Ricardo (unter Verfälschung des letzteren) abgeschriebenen Gesetzes, wie sie sich z.B. „Arbeiterlesebuch" Seite 5 aus einer anderen Broschüre Lassalles zitiert findet, ist von Marx in dem Abschnitt über „Akkumulationsprozess des Kapitals" ausführlich widerlegt.7 Man bekennt sich also durch Adoptierung des Lassalleschen „ehernen Gesetzes" zu einem falschen Satz und einer falschen Begründung desselben. Viertens stellt das Programm als einzige soziale Forderung auf — die Lassallesche Staatshilfe in ihrer nacktesten Gestalt, wie Lassalle sie von Buchez gestohlen hatte. Und das, nachdem Bracke diese Forderung sehr gut in ihrer ganzen Nichtigkeit aufgewiesen;8 nachdem fast alle, wo nicht alle Redner unserer Partei im Kampfe mit den Lassalleanern genötigt gewesen sind, gegen diese „Staatshilfe" aufzutreten! Tiefer konnte unsere Partei sich nicht demütigen. Der Internationalismus heruntergekommen auf Amand Gögg,9 der Sozialismus Das Kapital, I. Bd., 7. Abschn., 21., 22. Kapitel. In seiner Schrift Der Lassalle'sche Vorschlag. Ein Wort an den 4. Congress der social-demokratischen Arbeiterpartei (Braunschweig, 1873), hatte er den Punkt 10 der „nächsten Forderungen" des Eisenacher Programms einer eingehenden Kritik unterzogen: „Staatliche Förderung des Genossenschaftswesens und Staatscredit für freie Produktivgenossenschaften unter demokratischen Garantien." S. bes. Kap. III, S. 36ff. 9 Amand Goegg (1820-1897), Jurist und Nationalökonom, war 1848/49 die treibende Kraft der badischen Demokratie. In der Revolutionsregierung war er Finanzminister, er nahm an Gefechten teil und war Flüchtling in der Schweiz und in Frankreich. Später wurde er Sozialdemokrat. Seine Reisen in Amerika und Australien schilderte er in dem Buche „Überseeische Reisen". Er war Mitbegründer und eifriger Propagandist der Friedens- und Freiheitsliga, s. Anm. 6, deren Grundgedanken er schon 1850 in der „Gesellschaft des Völkerbundes" zu Paris 7 8
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auf den Bourgeoisrepublikaner Buchez, der diese Forderung gegenüber den Sozialisten stellte, um sie auszustechen! Im besten Falle aber ist die „Staatshilfe" im Lassalleschen Sinne doch nur eine einzige Massregel unter vielen anderen, um das Ziel zu erreichen, was hier mit den lahmen Worten bezeichnet wird: „um die Lösung der sozialen Frage anzubahnen", als ob es für uns noch eine theoretisch ungelöste soziale Frage gäbe! Wenn man also sagt: Die deutsche Arbeiterpartei erstrebt die Abschaffung der Lohnarbeit und damit der Klassenunterschiede vermittelst der Durchführung der genossenschaftlichen Produktion in Industrie und Ackerbau und auf nationalem Massstab; sie tritt ein für jede Massregel, welche geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen! — so kann kein Lassalleaner etwas dagegen haben. Fünftens ist von der Organisation der Arbeiterklasse als Klasse vermittelst der Gewerksgenossenschaften gar keine Rede. Und das ist ein sehr wesentlicher Punkt; denn dies ist die eigentliche Klassenorganisation des Proletariats, in der es seine täglichen Kämpfe mit dem Kapital durchficht, in der es sich schult, und die heutzutage bei der schlimmsten Reaktion (wie jetzt in Paris) platterdings nicht mehr kaputtzumachen ist. Bei der Wichtigkeit, die diese Organisation auch in Deutschland erreicht, wäre es unserer Ansicht nach unbedingt notwendig, ihrer im Programm zu gedenken und ihr womöglich einen Platz in der Organisation der Partei offenzulassen. Das alles haben unsere Leute den Lassalleanern zu Gefallen getan. Und was haben die anderen nachgegeben? Dass ein Haufen ziemlich verworrener rein demokratischer Forderungen im Programm figurieren, von denen manche reine Modesache sind, wie zum Beispiel die „Gesetzgebung durch das Volk",10 die .in der Schweiz besteht und mehr Schaden als Nutzen anrichtet, wenn sie überhaupt was anrichtet. Verwaltung durch das Volk, das wäre noch etwas. Ebenso fehlt die erste Bedingung aller Freiheit: dass alle Beamte für alle ihre Amtsvertreten hatte. Seine 1850 im Verlag der Gesellschaft erschienene Schrift Rückblick auf die badische Revolution wurde konfisziert. Das Organ der Gesellschaft war Der Völkerbund, Genf, 1849. Im Volksstaat, Nr. 13, 12. Februar 1873, hatte Goegg eine Lanze für die Liga gebrochen. 10 Sie wurde von Moritz Rittinghausen (1814-1890) mit grossem Erfolg propagiert. Rittinghausen war 1848/49 Mitarbeiter der Neuen Rheinischen Zeitung und nach deren Verbot mit H. Becker Begründer der Westdeutschen Zeitung. Als Flüchtling vertrat er 1850 in Paris in der Démocratie Pacifique, Nr. vom 8. September und folg. seine Gedanken, für die er Victor Considérant, Delescluze, Victor Hugo, Ledru-Rollin, Felix Pyat und viele andere gewinnen konnte. Er behandelte das Thema in fünf „Sozialdemokratischen Abhandlungen" (Köln, 1869); das Buch erlebte unter dem Titel Die direkte Gesetzgebung durch das Volk viele Auflagen und fand rasch Eingang in die SDAP.
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handlungen jedem Bürger gegenüber vor den gewöhnlichen Gerichten und nach gemeinem Recht verantwortlich sind. Davon, dass solche Forderungen wie: Freiheit der Wissenschaft — Gewissensfreiheit, in jedem liberalen Bourgeoisprogramm figurieren und sich hier etwas befremdend ausnehmen, davon will ich weiter nicht sprechen. Die freie Volksstaat ist in den freien Staat verwandelt. Grammatikalisch genommen ist ein freier Staat ein solcher, wo der Staat frei gegenüber seinen Bürgern ist, also ein Staat mit despotischer Regierung. Man sollte das ganze Gerede vom Staat fallen lassen, besonders seit der Kommune, die schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr war. Der „Volksstaat" ist uns von den Anarchisten bis zum Überdruss in die Zähne geworfen worden, obwohl schon die Schrift Marx' gegen Proudhon und nachher das Kommunistische Manifest 1 1 direkt sagen, dass mit Einführung der sozialistischen Gesellschaftsordnung der Staat sich von selbst auflöst und verschwindet. D a nun der Staat doch nur eine vorübergehende Einrichtung ist, deren man sich im Kampf, in der Revolution bedient, um seinen Gegner gewaltsam niederzuhalten, so ist es purer Unsinn, vom freien Volksstaat zu sprechen: solange das Proletariat den Staat noch gebraucht, gebraucht es ihn nicht im Interesse der Freiheit, sondern der Niederhaltung seiner Gegner, und sobald von Freiheit die Rede sein kann, hört der Staat als solcher auf, zu bestehen. Wir würden daher vorschlagen, überall statt Staat „Gemeinwesen" zu setzen, ein gutes altes deutsches Wort, das das französische „Kommune" sehr gut vertreten kann. „Beseitigung aller sozialen und politischen Ungleichheit" ist auch eine sehr bedenkliche Phrase statt: „Aufhebung aller Klassenunterschiede". Von L a n d zu Land, von Provinz zu Provinz, von Ort zu Ort sogar wird immer eine gewisse Ungleichheit der Lebensbedingungen bestehen, die man auf ein Minimum reduzieren, aber nie ganz beseitigen können wird. Alpenbewohner werden immer andere Lebensbedingungen haben als Leute des flachen Landes. Die Vorstellung der sozialistischen Gesellschaft als des Reiches der Gleichheit ist eine einseitige französische Vorstellung, anlehnend an das alte „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", eine Vorstellung, die als Entwicklungsstufe ihrer Zeit und ihres Ortes berechtigt war, die aber, wie alle die Einseitigkeiten der früheren sozialistischen Schulen, jetzt überwunden sein sollten, da sie nur Verwirrung in den Köpfen anrichten, und präzisere Darstellungsweisen der Sache gefunden sind. Ich höre auf, obwohl fast jedes Wort in diesem dabei saft- und kraftlos redigierten Programm zu kritisieren wäre. E s ist derart, dass, 11 Das Elend der Philosophie, 2. Aufl. (Stuttgart, 1892), S. 163f. - Das Kommunistische Manifest, Schluss des II. Abschnittes.
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falls es angenommen wird, Marx und ich uns nie zu der auf dieser Grundlage errichteten neuen Partei bekennen können und uns sehr ernstlich werden überlegen müssen, welche Stellung wir — auch öffentlich — ihr gegenüber zu nehmen haben. Bedenken Sie, dass man uns im Auslande für alle und jede Äusserungen und Handlungen der deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei verantwortlich macht. So Bakunin in seiner Schrift „Politik und Anarchie", 12 wo wir einstehen müssen für jedes unüberlegte Wort, das Liebknecht seit Stiftung des Demokratischen Wochenblattes gesagt und geschrieben. Die Leute bilden sich eben ein, wir kommandierten von hier aus die ganze Geschichte, während Sie so gut wie ich wissen, dass wir uns fast nie im geringsten in die inneren Parteiangelegenheiten gemischt, und auch dann nur, um Böcke, die nach unserer Ansicht geschossen worden, und zwar nur theoretische, wieder nach Möglichkeit gutzumachen. Sie werden aber selbst einsehen, dass dies Programm einen Wendepunkt bildet, der uns sehr leicht zwingen könnte, alle und jede Verantwortlichkeit mit der Partei, die es anerkannt, abzulehnen. Im allgemeinen kommt es weniger auf das offizielle Programm einer Partei an, als auf das, was sie tut. Aber ein neues Programm ist doch immer eine öffentlich aufgepflanzte Fahne, und die Aussenwelt beurteilt danach die Partei. E s sollte daher keinesfalls einen Rückschritt enthalten, wie dies gegenüber dem Eisenacher. Man sollte doch auch bedenken, was die Arbeiter anderer Länder zu diesem Programm sagen werden; welchen Eindruck diese Kniebeugung des gesamten deutschen sozialistischen 13 Proletariats vor dem Lassalleanismus machen wird. Dabei bin ich überzeugt, dass eine Einigung auf dieser Basis kein Jahr dauern wird. Die besten Köpfe unserer Partei sollten sich dazu hergeben, auswendig gelernte Lassallesche Sätze vom ehernen Lohngesetz und der Staatshilfe abzuleiern? Ich möchte zum Beispiel Sie dabei sehen! Und täten Sie es, Ihre Zuhörer würden Sie auszischen. Und ich bin sicher, die Lassalleaner bestehen gerade auf diesen Stücken des Programms wie der J u d e Shylock auf seinem Pfund Fleisch. Die Trennung wird kommen; aber wir werden Hasselmann, Hasenclever und Tölcke und Konsorten wieder „ehrlich gemacht" haben; wir werden schwächer und die Lassalleaner stärker aus der Trennung hervorgehen; unsere Partei wird ihre politische Jungfernschaft verloren haben und wird nie wieder gegen Lassallephrasen, die sie eine Zeitlang selbst auf die Fahne geschrieben, herzhaft auftreten können; und wenn die Lassalleaner dann wieder sagen: sie seien die 12 13
M. Bakunin, Gosudarstvennost' I m Abdruck: sozialen.
i anarchija
(Zürich-Genf 1873), S. 289ff.
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eigentlichste und einzige Arbeiterpartei, unsere Leute seien Bourgeois, so ist das Programm da, um es zu beweisen. Alle sozialistischen Massregeln darin sind ihre, und unsere Partei hat nichts hineingesetzt als Forderungen der kleinbürgerlichen Demokratie, die doch auch von ihr in demselben Programm als Teil der „reaktionären Masse" bezeichnet ist! Ich hatte diesen Brief liegenlassen, da Sie doch erst am 1. April zu Ehren von Bismarcks Geburtstag freikommen und ich ihn nicht der Chance des Abfassens bei einem Schmuggelversuch aussetzen wollte. D a kommt nun gerade ein Brief von Bracke, 14 der auch wegen des Programms seine schweren Bedenken hat und unsere Meinung wissen will. Ich schicke ihn daher zur Beförderung an ihn, damit er ihn lese und ich den ganzen Kram nicht noch einmal zu schreiben brauche. Übrigens habe ich Ramm ebenfalls klaren Wein eingeschenkt, 15 an Liebknecht schrieb ich nur kurz. Ich verzeihe ihm nicht, dass er uns von der ganzen Sache kein Wort mitgeteilt (während Ramm und andere glaubten, er habe uns genau unterrichtet), bis es 14 W. Bracke an Engels 25. März 1875: „ . . . Die Annahme dieses Programms ist für mich unmöglich, und auch Bebel ist derselben Meinung für sich." Nach einer Kritik an der Staatshilfe für Produktivgenossenschaften: „Alles dies würde mich veranlassen, dem Programmentwurfe offene Fehde anzukündigen; aber einesteils mag ich, resp. kann ich bei meiner geschwächten Gesundheit, die Strapazen nicht über mich nehmen, die eine notwendige Folge davon sein würden; andernteils mag ich meinen Freunden und engeren Parteigenossen nicht gern entgegentreten; endlich bedenke ich mich, ob ich es verantworten kann, die Vereinigung in Frage zu stellen. Da aber Bebel entschlossen scheint, den Kampf aufzunehmen, würde ich mindestens mich gedrängt fühlen, ihn nach Kräften zu unterstützen. Vorher aber möchte ich doch gern wissen, wie Sie und Marx über die Angelegenheit denken. Ihre Erfahrung ist eine reifere, Ihre Einsicht eine bessere, als die meine . . . " S. darüber H. Leonard, Wilhelm Bracke (Braunschweig, 1930), S. 78; Georg Eckert, Aus den Anfängen der Braunschweiger Arbeiterbewegung (Braunschweig, 1955), S. 50. — Bebel hatte dieselben Bedenken wie Bracke, die Einigung zu gefährden, und trat daher nicht öffentlich gegen den Programmentwurf auf. A. m. L., II, S. 324. 15 H. Ramm war Vorsitzender des Vorstandes der Leipziger Genossenschaftsdruckerei und Leiter der Druckerei, in deren Verlag der Volksstaat erschien. Engels' Brief ist nicht vorhanden, jedoch die Antwort Ramms vom 24. Mai 1875, in der es heisst: „ . . . Ihre Zuschrift an mich hat gleich der Marx'schen an Bracke die Runde gemacht, und werden Sie aus den Congressverhandlungen ersehen, dass man unsererseits bestrebt gewesen ist, Ihren Intentionen und den Marx'schen möglichst Rechnung zu tragen; was auf dem Congress — von welchem Liebknecht in dieser Stunde schreibt, dass alles trefflich gehe — viel leichter, als vor zwei Monaten.... Anders dagegen steht es in Betreff unseres Verhaltens in taktischer Hinsicht. Da unterhegt es für uns keinem Zweifel, dass, wenn wir nicht entschiedene Zustände [soll heissen: Zugeständnisse] gemacht hätten, es den Hasselmännem beim besten Willen unmöglich gewesen sein würde, ihrer Gesellschaft den Einigungsgedanken mundgerecht zu machen — dank der Himverkleisterung, die jene Burschen seit % Dutzend Jahren betrieben h a b e n . . . "
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sozusagen zu spät war. Das hat er zwar von jeher so gemacht — und daher die viele unangenehme Korrespondenz, die wir, Marx sowohl wie ich, mit ihm hatten — aber diesmal ist es doch zu arg, und wir gehen entschieden nicht mit. Sehen Sie, dass Sie es einrichten, im Sommer herzukommen, Sie wohnen natürlich bei mir, und wenn das Wetter gut, können wir ein paar Tage seebaden gehen, das wird Ihnen nach dem langen Brummen recht nützlich sein. Freundlichst Ihr F. E. Marx ist eben ausgezogen, er wohnt 41 Maitland Park Crescent NW. London. 11. B E B E L AN
ENGELS
Leipzig, den 21. September 1875.
Abdruck.1 Lieber Engels!
Ich muss recht sehr um Entschuldigung bitten, dass ich Sie auf Ihren Brief von Ende März ohne alle Antwort gelassen. Ich kann Ihnen aber versichern, dass ich in den ersten drei bis vier Monaten nach meiner Freilassung2 keine ruhige Stunde gehabt, in der ich den Brief hätte beantworten können, und selbst heute fällt es mir schwer, die nötige Müsse aufzutreiben. Mit dem Urteil, das Sie über die Programmvorlage fällten, stimme ich, wie das auch Briefe von mir an Bracke beweisen, vollkommen überein. Ich habe auch Liebknecht über seine Nachgiebigkeit heftige Vorwürfe gemacht, aber nachdem einmal das Malheur geschehen war, galt es, sich so gut als möglich herauszuziehen. Was der Kongress beschlossen, war das Äusserste, was zu erreichen war. Es zeigte sich auf der anderen Seite eine entsetzliche Borniertheit und teilweise Verbissenheit, man musste mit den Leuten wie mit Porzellanpüppchen umgehen, wollte man nicht, dass der mit soviel Lärm in Szene gesetzte Einigungskongress zum Jubel der Gegner und zur grössten Blamage der Partei resultatlos auseinanderging. Schliesslich gelang es aber dennoch, namentlich in der Personenfrage, derart zu operieren, dass wir mit dem Resultat zufrieden sein konnten. Es wird allerdings A. m. L„ II, S. 334ff. Bebel hatte bis zum 1. April eine Haft von einunddreissig Monaten verbüsst, zweiundzwanzig Monate Festung in der Landes-Korrektionsanstalt Hubertusburg und auf der Festung Königstein, wozu er im Leipziger Hochverratsprozess im März 1872 verurteilt war, und neun Monate Gefängnis in Zwickau, die ihm im Juli 1872 wegen Majestätsbeleidigung zudiktiert waren. 1
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noch manchen Kampf gegen die Borniertheit und den persönlichen Egoismus zu kämpfen geben; aber ich zweifle nicht, dass auch diese Kämpfe, wenn wir geschickt operieren, ohne Schaden für das Ganze ausgefochten werden, und dass in zwei Jahren ein ganz anderer Geist die jetzt teilweise noch widerhaarigen Elemente durchdringt. Das Ganze ist eine Erziehungsfrage. Nachdem die Leute acht bis neun Jahre in Lassalle-Schweitzerschem Geiste erzogen worden sind, wollen sie sich nicht sofort an die andere Methode gewöhnen; hier gilt's Geduld haben.3 Die von mir bezeichnete Erziehungsmethode würde sich vielleicht erheblich abkürzen lassen, wenn wir hier den von allen Seiten herbeiströmenden Einladungen zu Versammlungen und Festreden genügen könnten. Im persönlichen Verkehr mit den Leuten liessen sich Vorurteile und Voreingenommenheiten rascher beseitigen, aber wir können nicht entfernt leisten, was verlangt wird. Ich speziell bin durch mein Geschäft ganz bedeutend lahmgelegt, und der Durchkrach bei der Landtagswahl4 hat niemand mehr gefreut als mich. Liebknecht und Motteier geht es, trotzdem sie in der Partei ihre ganze Stellung haben, nicht viel besser; denn ihre laufende Arbeit verträgt sich schlecht mit dem vagabundierenden Agitatorenleben, und dann haben wir in diesem Punkte auch schon zuviel geleistet, um noch grosse Sehnsucht danach zu empfinden. Lunge und Stimmorgane sprechen ja auch ein Wörtchen mit. Im allgemeinen können ivir mit dem Gang der Partei sehr zufrieden sein, jetzt sieht man erst, wie die frühere Bekämpfung die Kräfte zersplitterte; die Partei ist jetzt finanziell so gestellt, wie nie zuvor, und die Steuern gehen, trotz der schlechten Geschäftszeit, sehr pünktlich und regelmässig ein. Ihrer freundlichen Einladung nach London konnte ich natürlich unter den oben geschilderten Umständen nicht nachkommen; ich möchte gerne einmal hinüber nach Old-England, aber vorläufig ist nicht daran zu denken. Vielleicht muss ich nächstes Jahr nach dem Rheinland, eventuell nach Holland in Geschäften, und dann ist der Weg zu Ihnen nicht mehr allzu weit. Wie ich gehört, ist Marx in Karlsbad, wahrscheinlich werde ich ihn aber nicht zu sehen bekommen; wie mir Liebknecht sagte, will er durch Bayern zurück. In ungefähr vierzehn Tagen werde ich nach Karlsbad kommen, ich will eine Geschäftstour nach Böhmen machen; 3 Bebel bemerkt dazu, A .m. L., II, S. 336, aus Engels' Antwort vom 12. Oktober gehe hervor, dass Marx und Engels diese Äusserungen in einem Sinne aufgefasst hätten, der dem wirklichen Inhalt seines Briefes nicht entsprach. 4 Bei der sächsischen Landtagswahl im Wahlkreise Meerane-Hohenstein-Emstthal unterlag Bebel mit 694 gegen 899 nationalliberale Stimmen.
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dann wird er aber nicht mehr dort sein. Grüssen Sie Marx, wenn er zurückkehrt. Wollen Sie denn nicht Deutschland mal heimsuchen? Sie sitzen in England wie eingerostet. Freundschaftlichst grüsst Ihr ergebener BEBEL.
12. ENGELS AN B E B E L
Abdruck.1
London, den 12. Oktober 1875. Lieber Bebel,
Ihr Brief bestätigt ganz unsere Ansicht, dass die Einigung unseierseits überstürzt ist und den Keim künftigen Zwiespalts in sich trägt. Wenn es gelingt, diesen Zwiespalt bis über die nächsten Reichstagswahlen hinauszuschieben, wäre es schon g u t . . . Das Programm, wie es jetzt ist, besteht aus drei Teilen: 1. Den Lassalleschen Sätzen und Stichworten, die aufgenommen zu haben eine Schmach unserer Partei bleibt. Wenn zwei Fraktionen sich über ein gemeinsames Programm einigen, so setzen sie das hinein, worüber sie einig und berühren nicht das, worüber sie uneinig sind. Die Lassallesche Staatshilfe stand zwar im Eisenacher Programm, aber als eine aus vielen Ubergangsmassregeln, und nach allem, was ich gehört habe, war sie, ohne die Einigung, ziemlich sicher, im diesjährigen Kongress auf Brackes Antrag an die Luft gesetzt zu werden.2 Jetzt figuriert sie als das eine unfehlbare und ausschliessliche Heilmittel für alle sozialen Gebrechen. Das „eherne Lohngesetz" und andere Lassallesche Phrasen sich aufoktroyieren zu lassen, war für unsere Partei eine kolossale moralische Niederlage. Sie bekehrte sich zum Lassalleschen Glaubensbekenntnis. Das ist nun einmal nicht wegzuleugnen. Dieser Teil des Programms ist das kaudinische Joch, unter dem unsere Partei zum grösseren Ruhm des heiligen Lassalle durchgekrochen ist; 2. aus demokratischen Forderungen, die ganz im Sinn und im Stil der Volkspartei aufgesetzt sind; 3. aus Forderungen an den „heutigen Staat" (wobei man nicht weiss, an wen denn die übrigen „Forderungen" gestellt werden), die sehr konfus und unlogisch sind; 4. aus allgemeinen Sätzen, meist dem Kommunistischen Manifeste und den Statuten der Internationale entlehnt, die aber so umredigiert 1 2
A. m. L„ II, S. 336ff. Gemeint ist Brackes Schrift s. Brief Nr. 10, Anm. 8.
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sind, dass sie entweder total Falsches enthalten oder aber reinen Blödsinn, wie Marx das in dem Ihnen bekannten Aufsatz im einzelnen nachgewiesen.3 Das Ganze ist im höchsten Grade unordentlich, konfus, unzusammenhängend, unlogisch und blamabel. Wenn unter der Bourgeoispresse ein einziger kritischer Kopf wäre, er hätte dies Programm Satz für Satz durchgenommen, jeden Satz auf seinen wirklichen Inhalt hin untersucht, den Unsinn recht handgreiflich auseinandergelegt, die Widersprüche und ökonomischen Schnitzer (zum Beispiel: dass die Arbeitsmittel heute „Monopol der Kapitalistenklasse" sind, als ob es keine Grundbesitzer gäbe, das Gerede von „Befreiung der Arbeit" statt der Arbeiterklasse, die Arbeit selbst ist heutzutage ja gerade viel zu frei\) entwickelt und unsere ganze Partei greulich lächerlich gemacht. Statt dessen haben die Esel von Bourgeoisblättern dies Programm ganz ernsthaft genommen, hineingelesen, was nicht darin steht und es kommunistisch gedeutet. Die Arbeiter scheinen dasselbe zu tun. Es ist dieser Umstand allein, der es Marx und mir möglich gemacht hat, uns nicht öffentlich von einem solchen Programm loszusagen. Solange unsere Gegner und ebenso die Arbeiter diesem Programm unsere Ansichten unterschieben, ist es uns erlaubt, darüber zu schweigen. Wenn Sie mit dem Resultat in der Personenfrage zufrieden sind, so müssen die Ansprüche auf unserer Seite ziemlich tief gesunken sein. Zwei von den Unseren und drei Lassalleaner!4 Also auch hier die Unseren nicht gleichberechtigte Alliierte, sondern Besiegte und von vornherein überstimmt. Die Aktion des Ausschusses, soweit wir sie kennen, ist auch nicht erbaulich: 1. Beschluss, Brackes und B. Beckers zwei Schriften über Lassallesches nicht auf die Parteischriftenliste zu setzen; wenn dies zurückgenommen,5 so ist es nicht die Schuld des * „Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei", die Marx mit dem Brief vom 5. Mai 1875 an Bracke sandte. Erste Veröffentlichung von Engels u.d.T. „Zur Kritik des sozialdemokratischen Parteiprogramms" in der Neuen Zeit, lahrg. IX 1891, Bd. I, S. 561ff. Dazu Briefe Engels an Kautsky 13. Dez. 1890 bis 21. März 1891. Neues urkundliches Material aus dem Marx-Engels-Nachlass brachte B. Nikolajewski in seinem Aufsatz „Marx und Engels über das Gothaer Programm", Die Gesellschaft, 4. Jahrg. 1927, Bd. II, S. 154ff. 4 Auf Wunsch Bebels wurden drei Lassalleaner in den Vorstand gewählt, Hasenclever, Hartmann und Derossi, sowie von Eisenacher Seite Auer und Geib. Protokoll, S. 75f. S. A. m. L., II, S. 338. 5 Brackes im Brief Nr. 10 Anm. 8 genannte Schrift und B. Beckers Bücher Enthüllungen über das tragische Lebensende Ferdinand Lassalles (Schleiz, 1868), und Geschichte der Arbeiter-Agitation Ferdinand Lassalles. Nach authentischen Aktenstücken (Braunschweig, 1875). Auf dem Gothaer Kongress 1877 wurde der gleiche Antrag gestellt und abgelehnt. Protokoll, S. 81. Dort auch Geibs Erklärung, dass „schon vor zwei Jahren im damaligen Vorstand mit 3 gegen 2 Stim-
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Ausschusses und auch nicht Liebknechts; 2. Verbot an Vahlteich, die ihm von Sonnemann angetragene Korrespondenz für die Frankfurter Zeitung anzunehmen. Dies hat Sonnemann dem durchreisenden Marx selbst erzählt.6 Was mich noch mehr dabei wundert als die Arroganz des Ausschusses und die Bereitwilligkeit, womit Vahlteich sich gefügt hat, statt dem Ausschuss etwas zu pfeifen, ist die kolossale Dummheit dieses Beschlusses. Der Ausschuss sollte doch lieber dafür sorgen, dass ein Blatt, wie die Frankfurter [Zeitung], von allen Orten aus nur durch unsere Leute bedient wird. . . . Dass die ganze Sache ein Erziehungsexperiment ist, das auch unter diesen Umständen einen sehr günstigen Erfolg verspricht, darin haben Sie ganz recht. Die Einigung als solche ist ein grosser Erfolg, wenn sie sich zwei Jahre hält. Aber sie war unzweifelhaft weit billiger zu haben. men beschlossen sei, die Beckersche Broschüre (Agitation Lassalles — das Lebensende war schon vergriffen) vom offiziellen Verzeichnis der Parteischriften abzusetzen." 8 Marx an Engels 21. August 1875: „Sah den Sonnemann . . . Er setzte mir in längerer Unterredung auseinander, sein Hauptzweck sei, das Kleinbürgertum in die sozialdemokratische Bewegung zu ziehn . . . Uber den Dienst, den seine Zeitung als politischer Kolporteur der Arbeiterpresse liefre, sei er völlig im klaren. Andrerseits aber tue diese Partei nichts für ihn. So habe er z.B. den Vahlteich als Correspondent engagiert gehabt; diesem sei aber die Korrespondenz vom Vorstand der Koalisierten verboten worden . . . "
1 3 . E N G E L S AN
Original.1
BEBEL
[London,] den 15. Oktober 1875.
. . . Abmachungen nicht, sehe aber nur, dass sich die juristischen Verhältnisse der Gesellschaft sehr geändert haben müssen. Darüber möchte ich Aufklärung haben, auch darüber, welche Garantien bestehen, dass nicht, im Fall einer Spaltung, die Lass[alle]sehe Mehrheit des Verwaltungsrates die ganze Druckerei an sich reisst.2 Durch den erfolgten Umzug erfahre ich indirekt, dass der Plan, ein eigenes Haus anzukaufen, aufgegeben oder unnötig geworden ist.3 Dies ist sicher sehr gut, denn für eine arme Partei wie die unsere, Der Anfang des Briefes, vier Seiten, fehlt. S. Vorwort S. VIII f. Auf Bebels Antrag beschloss der Gothaer Kongress, die Verwaltung der Zeitungen dem Vorstand zu übertragen. Protokoll, S. 79. 3 H. Ramm an Engels 24. Mai 1875: „ . . . Ihre Mitteilung, dass Sie sich ev. mit einem Darlehn von 1000 rt. an einem Grundstück für die Genossenschaftsdruckerei beteiligen würden, hat uns um so mehr gefreut, als es mit der Beteiligung an diesem unserem Vorhaben nicht sehr vom Flecke gehen w i l l . . . " 1
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Geld in Grundeigentum festzulegen, wäre nur im äussersten Notfall zu rechtfertigen. Erstens weil man das Geld als Betriebskapital besser brauchen [kann], und zweitens weiss man nie, was, bei der kolossalen Rechtsunsicherheit in politischen Dingen in Deutschland, aus dem Grundeigentum werden mag, wenn einmal eine akute Reaktion einsetzt. In Portugal haben wir wieder ein Blatt: O Protesto, der Protest.4 Die Bewegung dort geht voran, trotz grosser Hindernisse von seiten der Regierung und Bourgeoisie. Marx hat sich sehr beklagt über die unbegreifliche Note in Nr. 104 zu der Stelle aus seinem Anti-Proudhon: die Sozialisten ebenso wie die Ökonomisten verurteilten die Koalitionen: das seien „Sozialisten vom Schlage Proudhons".5 Erstens gab es damals keinen einzigen Sozialisten vom Schlage Proudhons als Prfoudhon] selbst. Zweitens gilt M[arx]' Behauptung von allen bis dahin aufgetretenen Sozialisten (uns zwei ausgenommen, die in F[ran]kreich unbekannt waren), soweit sie in den Fall kamen, sich mit Koalitionen zu beschäftigen — an der Spitze Robert Owen! Desgleichen die Owenisten und von den Franzosen u.a. Cabet. Da in Frankreich kein Koalitionsrecht bestand, wurde dort diese Frage wenig berührt. Da aber vor M[arx] nur feudaler, bürgerlicher, kleinbürgerlicher oder utopistischer, oder aus verschiedenen dieser Elemente gemischter Sozialismus bestand, so war es klar, dass alle diese Sozialisten, die jeder ein bestimmtes Allerweltsheilmittel zu besitzen vorgaben und ganz ausserhalb der wirklichen Arbeiterbewegung standen, in jeder Form der wirklichen Bewegung, also auch in Koalitionen und Streiks, einen Irrweg sahen, der die Massen vom alleinseligmachenden Weg des wahren Glaubens abführte. Sie sehen, die Anmerkung war nicht nur falsch, sondern total widersinnig. Aber es scheint unseren Leuten, wenigstens einer Anzahl darunter, unmöglich, sich in ihren Artikeln auf das zu beschränken, was sie wirklich begriffen haben. Beweis die unendlichen Bandwürmer theoretisch-sozialistischen Inhalts von Ky, Symmachos9 und wie sie alle heissen und die mit ihren ökonomischen Schnitzern und falschen Gesichtspunkten und Unkenntnis der sozialistischen Es erschien als Wochenblatt in Lissabon von September 1875 bis Januar 1878. „Die Oekonomisten und Sozialisten sind in einem einzigen Punkt einig: das ist, die Koalitionen zu verurteilen" im Artikel „Karl Marx über Strikes und Arbeiter-Koalitionen", Volksstaat, Nr. 104, 10. Sept. 1875. Anlässlich des Erscheinens der deutschen Ausgabe des Elend der Philosophie behandelte E. Bernstein dieselbe Frage in zwei Artikeln des Sozialdemokrat-. „Wie Karl Marx im Jahre 1846 über Streiks und Arbeiter-Koalitionen dachte", Nr. 7, 12. Februar, Nr. 9, 26. Februar 1885. Engels brachte entsprechende Bemerkungen im zweiten Artikel an. 6 Pseudonyme Karl Kautskys. Sein Urteil über diese Jugendarbeiten und seine Bemängelung der Redaktionsführung des Volkksstaat in Erinnerungen, S. 373f. 4
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Literatur das beste Mittel abgeben, die theoretische Überlegenheit der bisherigen deutschen Bewegung gründlich zu vernichten. Marx war nahe daran, eine Erklärung wegen dieser Anmerkung zu veranlassen. Doch genug der Klagen. Ich will hoffen, dass sich die von der so unüberlegt überstürzten Einigung gehegten Hoffnungen und Erwartungen verwirklichen, dass die Masse der Lassalleaner aus dem Lassallekultus zu einer verständigen Auffassung ihrer wirklichen Klassenlage sich hinüberführen lässt und dass die Spaltung, die so sicher kommt wie 2 X 2 gleich 4 ist, unter den für uns günstigsten Umständen sich vollzieht. Dass ich das alles aber auch glauben soll, das wäre zu viel verlangt. Das Land ausserhalb Deutschland und Österreich, auf das wir am meisten aufmerksam sein müssen, bleibt Russland. Dort wie bei uns ist die Regierung der Hauptbundesgenosse der Bewegung. Aber ein weit besserer als unsere Bismarck-Stieber-Tessendorfs. Die russische] Hofpartei, die jetzt so ziemlich herrscht, sucht alle während der „neuen Ära" von 1861 und folgenden Jahren gemachten Konzessionen wieder umzuwerfen und das mit echt russischen Mitteln. So sollen jetzt wieder nur „Söhne der höheren Stände" studieren dürfen, und um dies durchzuführen, lässt man alle anderen im Abgangsexamen durchfallen. Dies Schicksal betraf 1873 allein nicht weniger als 24000 junge Leute, denen so ihre ganze Karriere gesperrt, da man ihnen sogar ausdrücklich verbot, Elementarschullehrer zu werden! Und da wundert man sich über Ausbreitung des „Nihilismus" in Russland. Wenn Walster,7 der ja Russisch kann, einige der bei B. Behr in Berlin erschienenen, von der liberalen Opposition ausgegangenen Broschüren8 verarbeiten wollte, oder wenn sich jemand fände, der Polnisch genug verstände, die Lemberger Zeitungen (z.B. Dziennik polski oder Gazeta Narodotva) zu lesen und diese Sachen auszuziehen, so könnte der Volksst[aat] in russischen Dingen das erste Blatt von Europa werden. Und es scheint fast, als ob der nächste Tanz in Russland losgehen sollte. Wenn dies geschieht zu der Zeit, wo der unvermeidliche Krieg zwischen d[em] preuss[ischen] Reich und Russland
Dr. A. Otto-Walster, Redakteur des Dresdener Volksbote, 1870 Mitglied des Ausschusses der SDAP., hatte einige Jahre in Russland gelebt. 1875 wanderte er nach Amerika aus. Seine Romane, u.a. Am Wehstuhl der Zeit, und Eine mittelalterliche Internationale, wurden damals viel gelesen. 8 A. Koselev, Nase polozenie etwa erschien 1875 in Berlin, jedoch bei E. Bock; deutsch Unsere Lage (Berlin, Dümmler, 1875). — Ders., Zapiski (Berlin, B. Behr, 1884). 7
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im Gang ist, und dies ist sehr wahrscheinlich, so ist der Rückschlag auf Deutschland unvermeidlich. Marx lässt Sie bestens grüssen. Aufrichtigst Ihr F . ENGELS.
Grüssen Sie Liebknecht bestens.
1 4 . B E B E L AN E N G E L S
Original.
Leipzig, den 19. Juli 1879.
Lieber Engels! Bracke sandte mir Ihren Brief vom 28. v. Mts., worin Sie um Aufklärung baten wegen der Äusserungen Mösts bezüglich Ihrer und M[arx]' Haltung zur Freiheit.1 Soviel ich mich entsinnen kann, stammt meine Mitteilung von Bernstein in Z[ürich], es ist dies also dieselbe Quelle, auf die eine anderweitig an Sie gelangte Mitteilung zurückzuführen ist. Ich möchte Ihnen nun vorschlagen, vorläufig eine Erklärung gegen Most zu unterlassen, dagegen Ihre und M[arx]' Meinung in anderer Weise in die Öffentlichkeit zu bringen. E s hat sich nämlich allseitig das Bedürfnis herausgestellt, dass wir ein auswärtiges Blatt, das frei und vor allen Dingen sozialistisch schreiben kann, durchaus nötig haben. Einesteils um eine bessere VerJohann Most (1846-1906), Redakteur in Chemnitz und Berlin, einer der bekanntesten Agitatoren der Partei. Reichstagsmitglied 1874-1878. Fruchtbarer Parteischriftsteller, u.a. Verfasser der „Kapital"-Popularisierung Kapital und Arbeit (Chemnitz, 1873), in 2. Auflage von Marx überarbeitet. In London gab Most 1878 im Auftrag des Comm. Arb.-Bildungsvereins die Freiheit heraus, die bald eine anarchistische Richtung einschlug. 1881 wurde er wegen Verherrlichung des am 13. März auf Alexander II. verübten Attentates zu sechzehn Monaten Gefängnis verurteilt und ging darauf nach Amerika, wo er die Freiheit weiter bis zu seinem Tode herausgab. Bebel erwähnt, A. m. L., III, S. 50f., dass Most sich seiner freundschaftlichen Beziehungen zu Marx und Engels rühmte. Deren Haltung war abwartend, nicht unfreundlich, sie waren natürlich Abonnenten des Blattes; sie wurde ablehnend, als die Freiheit sich dem Anarchismus näherte. S. über Mösts Verhältnis zu Marx und Engels auch R. Rocker, Johann Most (Berlin, 1924), S. 80ff. Dort auch Marx' Protest dagegen, dass Most seinen Namen im Briefkasten des Blattes missbrauche: „Die fragliche Notiz lautete: ,Marx, neuneinhalb Schillinge erhalten, ging aber nicht den .berühmten Karl Marx an, sondern einen Arbeiter dieses Namens, welcher als Maschinist in Woolwich beschäftigt war." Femer Marx an Sorge 19. Sept. 1879. Engels über seine und Marx' Beziehungen zu Most im Brief an Ph. van Patten 18. April 1883, von Engels deutsch veröffentlicht im Aufsatz „Zum Tode von Karl Marx. II.", Der Sozialdemokrat, Nr. 21, 17. Mai 1883. 1
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bindung aufrechterhalten zu können, dann aber namentlich, um Prinzipienfragen wie Fragen der Taktik ungeniert besprechen zu können. Das Blatt soll im Laufe nächsten Monats im Format und Stil des früheren Volksstaat in Zürich erscheinen,2 als dem Ort, wo die Bedingungen nach reiflicher Erwägung am günstigsten vorhanden sind. C[arl] H[irsch] soll und will die Laterne3 eingehen lassen, Redakteur soll er oder Vollmar4 werden. Wir wollen sämtlich mitarbeiten, und soll auch die Verbreitung des Blattes möglichst organisiert werden. Mit diesem Blatt haben wir auch die geeignete Waffe gegen Most — obgleich wir entschlossen sind, die Freiheit mehr durch vornehmes Ignorieren, als durch direkte Angriffe unmöglich zu machen — und in diesem Blatt könnten Sie in einer Korrespondenz von London aus das nötig Scheinende sagen, wie wir denn hoffen und darauf rechnen, dass Sie und Marx als Mitarbeiter des Blattes sich beteiligen werden. Um dem Blatte nicht das Leben durch Interventionen von deutscher Regierungsseite schwer zu machen, soll dasselbe einen internationalen Charakter annehmen und neben dem deutschen einen schweizerischen Redakteur besitzen. Ich zweifle nicht, dass der Plan reüssiert und auch Ihre und M[arx]s Zustimmung finden wird . . . In der Angelegenheit Hasselmann wurde auf Drängen der Berliner Der Name des Organs war Der Sozialdemokrat. Der Untertitel war bis 1880 Nr. 39 „Internationales Organ der Sozialdemokratie deutscher Zunge", bis 1886 Nr. 44 „Zentral-Organ der deutschen Sozialdemokratie" (s. Brief Nr. 97, Anm. 3), von da ab „Organ der Sozialdemokratie deutscher Zunge". Die Probenummer erschien am 28. September 1879. Während der ganzen Dauer des Sozialistengesetzes erschien es wöchentlich in Zürich, seit dem 1. Oktober 1888 in London. Über die Gründung s. A. m. L., III, S. 65ff., E. Bernstein, Lehrjahre, S. 87ff. Schon seit 1881 wurde ein erheblicher Teil der Auflage geheim in Deutschland gedruckt, so zeitweise in Crimmitschau, Nürnberg, Stuttgart, Hamburg, Altenburg and Köln. S. etwa Bebel, A. m. L., III, S. 97f.; E. Engelberg, Revolutionäre Politik, S. 182ff.; K.-A. Hellfair, Die deutsche Sozialdemokratie während des Sozialistengesetzes (Berlin, 1958), S. 151ff. 3 Carl Hirsch (1841-1900), Redakteur des Demokratischen Wochenblattes, nach Liebknechts Verhaftung 1870 des Volksstaat. Korrespondent deutscher Zeitungen in Paris. Nach Erlass des Sozialistengesetzes gab er die Laterne heraus. Nach längerem Aufenthalt in Frankreich und England Redakteur der Frankfurter Zeitung und der Rheinischen Zeitung, Köln. — Die Laterne von Carl Hirsch, seit Nr. 6 Die Laterne, erschien im Kleinformat vom 15. Dez. 1878 bis 29. Juni 1879 in 26 Nummern, 884 S. Sie war in der Aufmachung Rocheforts Lanteme nachgebildet, die auch deutsch in der gleichen Aufmachung 1877 im Leipziger Verlag Carl Minde erschien. Als Ort der Herausgabe wurde Breda, als Verleger H. Kistemaeckers, Brüssel angegeben. 4 Georg v. Vollmar (1850-1922), Offizier, dann Journalist. Redakteur des Dresdener Volksbote, 1879/80 des Züricher Sozialdemokrat. Seit 1881 Mitglied des Reichstages.
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nochmals eine Art Kompromiss geschlossen. H[asselmann] soll das von ihm gegründete Blatt unter allgemeine Kontrolle stellen und einfacher Redakteur sein.5 H[asselmann] machte allerlei Ausflüchte, und wir werden ja sehen, ob er sich fügt. Wenn nicht, gehen wir weiter gegen ihn vor, wir haben eine Partei Briefe von ihm in Händen, die er kurz nach der Vereinigung geschrieben, die, wenn sie veröffentlicht werden, ihm den Hals brechen. Ich war für entschiedenen Bruch, selbst auf die Gefahr einer Spaltung hin, aber man war nicht allerseits der Meinung, man muss erst noch mehr schlimme Erfahrungen machen. Entschuldigen Sie und Marx, dass ich so selten schreibe; aber ich bin wirklich über alle Massen in Anspruch genommen; beständig die Haut wechselnd, einmal Geschäftsmann und commis voyageur, dann wieder Parteimann, und von beiden möglichst die unangenehmen Seiten kostend, bin ich in einer beständigen Aufregung und Uberarbeitung. Seien Sie und Marx herzlich gegrüsst von Ihrem A.
BEBEL.
Hasselmann ging nach seiner Ausweisung aus Berlin im November 1878 nach Hamburg, um dort die in Berlin in wenigen Nummern erschienenen Blätter Glück auf und Berlin, Organ für die Interessen der Reichshauptstadt weiter herauszugeben. Während jenes bis zum dritten Jahrgang erscheinen konnte, wurde dieses bald verboten. Ihm folgte die Deutsche Zeitung. S. darüber H. Laufenberg, Geschichte, II. Bd., S. 55ff. 5
15. ENGELS
Konzept und Kopie.1
AN
BEBEL
London, den 4. August 1879.
Lieber Bebel! Seit meinem letzten [Brief] vom 25. Juli 2 hat uns Hirsch seine Korrespondenz] mit Bernstein und Liebkn[echt] wegen des neuen Blattes mitgeteilt. Hiernach steht die Sache doch bedeutend anders, als wir nach Ihrem Brief anzunehmen berechtigt waren. Wir veröffentlichen den Brief nach der Kopie, die von Engels selbst als solche bezeichnet ist. Das Konzept weicht in der Fassung, nicht inhaltlich von ihr ab. 2 Der Brief ist nicht erhalten. Bebel teilte Vollmar am 27. Juli mit: „ . . . Wir halten einmaliges Erscheinen pro Woche für vollständig ausreichend; Marx und Engels in London schreiben mir heute, dass sie eventuell sogar ein vierzehntägiges Erscheinen für genügend halten . . . Engels und Marx erklären sich mit unserem Projekt in der Hauptsache einverstanden." A. m. L., III, S. 53. 1
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Da Hirsch auf seine sehr berechtigten Anfragen wegen der getroffenen Anordnungen und wegen der Leute, die einerseits fundierend, andrerseits dirigierend hinter dem Blatt stehen würden, keine andere Antwort von Lfiebknecht] erhielt als: „die Partei plus Höchberg"3 und die wiederholte Versicherung, es sei alles in Ordnung — so mussten wir schon daraufhin annehmen, dass das Blatt von Höchberg fundiert und dass die „Wir", denen nach E[duard] Bernsteins Brief „die Inszenierung und Beaufsichtigung" übertragen, wiederum Höchberg und sein Sekretär Bernstein4 sind. Aus dem soeben empfangenen zweiten B[rief] Bernsteins an Hirsch geht hervor, dass sich dies in der Tat so verhält. Es wird Ihnen nun nicht entgangen sein, dass die Fehler, vor denen ich in meinem letzten [Briefe] warnte, jetzt dem Blatt fast mit Notwendigkeit angeboren sein werden. Höchb[erg] hat sich bewährt, theoretisch als ein höchst unklarer Kopf, und praktisch als beseelt von unaufhaltbarem Verbrüderungsdrang mit allen und jeden, die nicht bloss sozialistisch, sondern sogar nur sozial zu sein vorgeben. Er hat sein Probestück in der Zukunft5 geleistet, die Partei theoretisch und praktisch blamiert. Die Partei braucht vor allem ein politisches Organ. Und Höchb[erg] ist doch wahrhaftig im besten Fall ein ganz unpolitischer Mann, nicht einmal Sozialdemokrat, sondern Sozialphilanthrop. Auch soll nach B[ernstein]s Brief das Blatt gar nicht politisch sein, sondern prinzipiell sozialistisch, d.h. in solchen Händen notwendig sozialphantastisch, eine Fortsetzung der Zukunft. Ein solches Blatt repräsentiert die Partei nur, wenn diese sich zum Schwanz Höchb[erg]s und seiner kathedersozialistischen Freunde degradieren will. Wenn die Partei-
Dr. Karl Höchberg (1853-1885) vertrat seit 1876 in der Sozialdemokratie einen ethisch begründeten Sozialismus und verwandte ein grosses Vermögen, über das er als Sohn eines Frankfurter Bankiers verfügte, dazu, durch die Gründung wissenschaftlicher Zeitschriften dem Sozialismus Anhänger über den Kreis der Partei hinaus zu gewinnen. E r gab die Zukunft, das Jahrbuch für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, die Staatswirthschaftlichen Abhandlungen und die Wirtschaftspolitische Korrespondenz heraus. E r regte viele Untersuchungen an und förderte die Herausgabe wissenschaftlicher Werke. Ausserdem finanzierte er viele sozialdemokratische Druckereien und Parteiorgane, vor allem den Sozialdemokrat und Die Neue Welt. Die Redaktion des Sozialdemokrat widmete ihm in der Nr. 26, 25. Juli 1885, einen Nachruf und schilderte sein Wirken für die Arbeiterbewegung in der folgenden Nummer vom 2. Juli. 4 Eduard Bernstein war Höchbergs Sekretär von Ende 1878 bis Ende 1880. 5 Diese Zeitschrift Höchbergs erschien 1 8 7 7 / 7 8 an Stelle des parteioffiziellen wissenschaftlichen Organs, dessen Erscheinen der Kongress von Gotha 1877 beschlossen hatte. S. Brief Nr. 17.
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leiter so das Proletariat unter die Leitung Höchb[erg]s und seiner verschwommenen Freunde stellen wollten, so würden die Arbeiter schwerlich mitmachen; die Spaltung und Desorganisation würden unvermeidlich; Most aber und die hiesigen Schreier würden den grössten Triumph erleben. Unter diesen Umständen, die uns ganz unbekannt waren, als ich meinen letzten Brief schrieb, finden wir, dass Hirsch ganz recht hat, wenn er mit der Sache nichts zu tun haben will. Dasselbe gilt von Marx und mir. Unsere Zusage der Mitarbeit bezog sich auf ein wirkliches Parteiorgan, konnte also nur gelten für ein solches, nicht aber für ein als Parteiorgan verkleidetes Privatorgan des Herrn Höchberg. Daran arbeiten wir unter keinen Umständen mit. Marx und ich bitten Sie also ausdrücklich, gef[älligst] Sorge tragen zu wollen, dass wir nicht als Mitarbeiter genannt werden.
1 6 . B E B E L AN
ENGELS
Leipzig, den 20. August 1879.
Original. Lieber Engels!
Ihre Auffassung über das neu zu gründende Blatt ist unrichtig, und wenn C[arl] H[irsch] sich durch einige Stellen in B [ernstein] s Briefen zu der gleichen Auffassung bekannt hat, so ist das um so unbegreiflicher, als er von Liebknecht genügende Aufschlüsse erhalten hatte. L[iebknecht] ist auf C[arl] H[irsch] sehr schlecht zu sprechen, den er beschuldigt, sich durch ganz andere Motive, als er angibt, von der Übernahme des Redakteurpostens haben abbringen zu lassen. Ich kann Ihnen versichern, dass wir in keinem anderen Sinne die Redaktion des Blattes dulden werden, als wie ich Ihnen geschrieben, und dass von einem massgebenden Einfluss H[ö]chb[erg]s keine Rede sein kann. Dafür wird auch schon Vollmar sorgen, der infolge der Ablehnung C[arl] H[irsch]s die Redaktion übernimmt. Wir haben von V[ollmar] eher ein zu scharfes und derbes Vorgehen zu erwarten als das Gegenteil, auch hat V[ollmar] sich, seitdem er in der Bewegung steht, stets eifrigst mit der internationalen Bewegung beschäftigt, so dass er auch auf diesem Gebiete kein Fremdling ist. Übrigens wird V[ollmar] — der augenblicklich noch eine dreiwöchentliche Gefängnishaft verbüsst — bevor er nach Z[ürich] geht, hier eine längere und gründliche Besprechung mit uns haben, so dass er von unseren Intentionen genau unterrichtet ist. 46
Ich hoffe also, dass Sie und M[arx], wie zuerst versprochen, für das Blatt mitarbeiten und damit dasselbe in Wirklichkeit ein deutsch — internationales Blatt wird. Dass ich Ihren Brief so spät beantwortete, wollen Sie entschuldigen, ich war mehrere Wochen auf der Geschäftsreise und bin erst Sonnabend zurückgekehrt. Der Eindruck, den ich auf meiner Reise über die Stimmung im Volke erhalten, entspricht ganz und gar den Ausführungen, die Sie in Ihrem vorhergehenden Briefe über die Wirkungen der deutschen Zollpolitik machten. Wir können, trotz Sozialistengesetz, mit dem Gang der Dinge sehr zufrieden sein. Herzliche Grüsse an Sie und Marx Ihr A . BEBEL.
Bracke, den ich in Braunschweig traf, ist augenblicklich im Bad, ich traue seinem Gesundheitszustand wenig, doch ist es möglich, dass er sich bis zu einem gewissen Grad erholt; Invalide bleibt er, insofern es sich um eine spätere öffentliche Wirksamkeit handelt.1 Wenn H[ö]chb[erg] auch materiell das Blatt unterstützen wird, wovon ich vorläufig nichts weiss, so sind wir doch auf ihn allein keineswegs angewiesen. Es sind uns von mehreren Seiten bereits in Summa achthundert M[ark] in Aussicht gestellt und mehr wird, wenn notwendig, folgen; zudem hoffe ich, dass der Zuschuss kein bedeutender zu sein braucht, indem das Blatt sich in Bälde decken wird. Endlich muss ich sagen, dass H[ö]chb[erg] bisher nie einen Versuch gemacht, ungebührlichen Einfluss zu erwerben.2 Der Mann hat mit sich selbst zu viel zu tun und ist zu sehr körperlich leidend, um dies zu können. Als Redakteur der Zukfunft] war es natürlich, dass er seinen Anschauungen möglichst Spielraum gab. Er hat bei der Redaktion des Sozialdemokrat nicht mehr Stimme als jeder andere bekannte Parteigenosse, und seine Meinung wird gegen die unsere unter keinen Umständen durchdringen.
W. Bracke musste im Januar 1880 sein Reichstagsmandat niederlegen und starb am 27. April 1880. 2 Dass Höchberg niemals die Zustimmung zu seinen Ansichten als Bedingung für seine grosszügigen Hilfeleistungen forderte und dass er niemals nach Einfluss strebte, wurde später von allen anerkannt, die eng mit ihm zusammengearbeitet hatten. S. E . Bernstein, Aus den Jahren meines Exils, (Berlin, 1917), S. 50ff., 64ff. A. Bebel, A.m.L., II, S. 390. Friedrich Engels' Briefwechsel mit Karl Kautsky (Wien, 1955), S. 11. K. Kautsky, Erinnerungen, S. 401ff., 420ff. 1
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1 7 . E N G E L S AN B E B E L , L I E B K N E C H T UND A N D E R E 1
[London, Mitte September 1879.]
Konzept. Lieber Bebel!
Die Beantwortung Ihres Briefes vom 29. Aug[ust]2 hat sich verzögert einerseits durch die verlängerte Abwesenheit von Marx, dann durch einige Zwischenfälle: erst die Ankunft des „Richter'schen Jahrbuches, dann die von Hfirsch] selbst. Ich muss schliessen, dass Liebknfecht] Ihnen meinen letzten Brief an ihn nicht vorgelegt hat, obgleich ich ihm dies geradezu auftrug. Andernfalls würden Sie mir sicher nicht dieselben Gründe vorgeführt haben, die Liebknecht geltend gemacht und auf die ich in jenem Brief bereits geantwortet,3 Gehen wir nun die einzelnen Punkte durch, auf die es hier ankommt. 1. Die Verhandlungen mit C[arl] Hirsch Liebknecht fragt bei Hirsch an, ob dieser die Red[aktion] des in Zürich neuzugründenden Parteiorgans übernehmen will. Hirsch wünscht Auskunft über die Fundierung des Blatts: welche Fonds zur Verfügung stehen und wer sie liefert. Ersteres, um zu wissen, ob das Blatt nicht schon nach ein paar Monaten erlöschen muss. Das andere, um sich zu vergewissem, wer den Knopf auf dem Beutel und damit die schliessliche Herrschaft über die Haltung des Blattes behält. Liebknechts Antwort an Hirsch: „alles in Ordnung, wirst von Zürich das weitere erfahren" (Liebknecht an Hfirsch] 28. Juli) kommt nicht an. Von Zürich aber kommt ein Brief Bernsteins an Hirsch (24. Juli), worin B[ernstein] mitteilt, dass „man mit der Inszenierung und Beaufsichtigung (des Blattes) uns beauftragt hat". Es habe eine Besprechung „zwischen Vier[eck] 4 und uns" stattgefunden, worin man fand, „dass Ihre Stellung durch die Differenzen, welche Sie als LaterÜber das Zustandekommen dieses Briefes s. Marx an Sorge 19. September 1879; Bebel, A. m. L., III, S. 60. Das Schreiben war an die Fraktion gerichtet; von ihr ging es an W . Bracke, und dieser sandte es an die Verfasser des in Anm. 8 genannten Aufsatzes. 2 E s muss heissen: 20. August; in Bebels Brief war 19. geändert in 20. 3 Der Brief ist nicht bekannt. 4 Louis Viereck (1851-1921), lurist, war schon als Student eifrig in der Berliner Sozialdemokratie tätig, so dass ihn seine Abkunft — seine Mutter war die Schauspielerin Edwina Viereck, die Geliebte des Prinzen Wilhelm von Preussen, und dieser galt als sein Vater — nach Erlass des Sozialistengesetzes nicht vor der Ausweisung aus Berlin schützte. E r gab in München das Deutsche Wochenblatt, das Recht auf Arbeit, die Süddeutsche Post u.a. Blätter heraus. 1 8 8 4 - 8 7 vertrat er den Wahlkreis Leipzig-Land im Reichstag. 1886 im Freiberger Prozess zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, emigrierte er Ende der achtziger Jahre nach Amerika. 1
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nenmann mit einzelnen Genossen gehabt, etwas erschwert werden würde, doch halte ich dies Bedenken für nicht sehr gewichtig". Uber die Fundierung kein Wort. Hirsch antwortet umgehend 26. Juli mit der Frage nach der materiellen Situation des Blattes. Welche Genossen haben sich zur Deckung des Defizits verpflichtet? Bis zu welchem Betrag und für wie lange Zeit? — Die Gehaltsfrage des Red[akteurs] spielt hierbei absolut keine Rolle; Hirsch will lediglich wissen, ob „die Mittel gesichert sind, das Blatt mindestens ein Jahr lang zu sichern". Bernstein antwortet 31. Juli: ein etwaiges Defizit wird durch freiwillige Beiträge gedeckt, deren einige (!) schon gezeichnet sind. Auf Hirschs Bemerkungen über die Haltung, die er dem Blatt zu geben denke, worüber unten, erfolgen missbilligende Bemerkungen und Vorschriften: „darauf muss die Aufsichtskom[mission] um so mehr bestehen, als sie selbst wiederum unter Kontrolle steht, d.h. verantwortlich ist. Über diese Punkte müssten Sie sich also mit der Aufsichtskomfmission] verständigen." Umgehende, womöglich telegrfaphische] Antwort erwünscht. Also statt aller Antwort auf seine berechtigten Fragen erhält Hirsch die Nachricht, dass er unter einer in Zürich sitzenden Aufsichtskommission redigieren soll, deren Ansichten von den seinigen sehr wesentlich abweichen und deren Mitglieder ihm nicht einmal genannt werden! Hirsch, mit vollem Recht entrüstet über diese Behandlung, zieht es vor, sich mit den Leipzigern zu verständigen. Sein Brief vom 2. Aug[ust] an Liebkfnecht] muss Ihnen bekannt sein, da Hfirsch] ausdrücklich Mitteilung an Sie und Viereck verlangte. Hirsch will sogar sich einer Züricher Aufsichtskom[mission] insoweit unterwerfen, als diese der Red[aktion] soll schriftliche Bemerkungen machen und die Entscheidung der Leipziger Kontrollkommission anrufen dürfen. Liebknfecht] inzwischen schreibt 28. Juli an Hirsch: „Natürlich ist das Unternehmen fundiert, da die ganze Partei -j- (inklusive) Höchberg dahinter steht. Um die Details kümmere ich mich aber nicht." Auch der nächste Brief L[iebknecht]s enthält über die Fundierung wieder nichts, dagegen die Versicherung, dass die Züricher Kommission keine Redaktionskommission sei, sondern nur mit der Verwaltung und dem Finanziellen betraut. Noch am 14. Augfust] schreibt L i e b knecht] dasselbe an mich und verlangt, wir sollen Hfirsch] zureden, dass er annimmt. Sie selbst sind noch am 29. Aug[ust] so wenig vom wahren Sachverhalt in Kenntnis gesetzt, dass Sie mir schreiben: „Er (Höchberg) hat bei der Redaktion des Blattes nicht mehr Stimme als jeder andere bekannte Varteigenosse". 49
Endlich erhält Hirsch einen Brief von V[iereck], 11. Aug[ust], worin zugegeben wird, dass „die drei in Zürich Domizilierten als Redaktionskommission die Gründung des Blattes in Angriff nehmen und unter Zustimmung der drei Leipziger einen Red[akteur] auswählen sollten . . . soviel mir erinnerlich, war in den mitgeteilten Beschlüssen auch ausgesprochen, dass das zu zwei erwähnte (Züricher) Gründungskomitee sowohl die politische wie die finanzielle Verantwortlichkeit der Partei gegenüber übernehmen sollte... Aus diesem Sachverhalt scheint sich nun für mich zu ergeben, dass . . . ohne Mitwirkung der drei in Z[ürich] Domizilierten und von der Partei mit der Begründung Beauftragten an eine Übernahme der Red[aktion] nicht gedacht werden kann". Hier hatte nun Hirsch endlich wenigstens etwas Bestimmtes, wenn auch nur über die Stellung des Redakteurs zu den Zürichern. Sie sind eine RecZö/cijonskommission; sie haben auch die politische Verantwortlichkeit; ohne ihre Mitwirkung kann keine Redaktion übernommen werden. Kurz, Hirsch wird einfach darauf hingewiesen, sich mit den drei Leuten in Zürich zu verständigen, deren Namen ihm noch immer nicht angegeben sind. Damit aber die Konfusion vollständig werde, schreibt Liebkn[echt] eine Nachschrift unter den Brief Vierecks: „Soeben war S[inger] aus B[erlin] hier und berichtete: Die Aufsichtskommission in Zürich ist nicht, wie V[iereck] meint, eine Redaktionskommission, sondern wesentlich Verwaltungskommission, die der Partei, d.i. uns gegenüber für das Blatt finanziell verantwortlich ist; natürlich haben die Mitglieder auch das Recht und die Pflicht, sich mit Dir über die Redaktion zu besprechen (ein Recht und eine Pflicht, die beiläufig jeder Parteigenosse hat); Dich unter Kuratel zu stellen, sind sie nicht befugt". Die drei Züricher und ein Leipziger Ausschussmitglied — das einzige, das bei den Verhandlungen zugegen gewesen — bestehen darauf, dass H[irsch] unter amtlicher Direktion der Züricher stehen soll, ein zweites Leipziger Mitglied leugnet dies geradezu. Und da soll Hirsch sich entscheiden, ehe die Herren unter sich einig sind? Dass Hirsch berechtigt war, Kenntnis zu nehmen von den gefassten Beschlüssen, die die Bedingungen enthielten, denen zu unterwerfen ihm zugemutet wurde, daran wurde um so weniger gedacht, als es den Leipzigern nicht einmal einzufallen schien, selbst von jenen Beschlüssen authentische Kenntnis zu nehmen. Wie war sonst obiger Widerspruch möglich? Wenn die Leipziger nicht einig werden können über die den Zürichern übertragenen Befugnisse, so sind die Züricher darüber vollständig im klaren. 50
Schramm an Hirsch, 14. Aug[ust]: „Hätten Sie nun nicht s[einer] Z[eit] geschrieben, Sie würden im gleichen Falle (wie der Kaysersche) wieder ebenso vorgehen und damit eine gleiche Schreibweise in Aussicht gestellt, dann würden wir kein Wort darüber verlieren. So aber müssen wir uns, dieser Ihrer Erklärung gegenüber, das Recht vorbehalten, über Aufnahme von Artikeln in das neue Blatt ein entscheidendes Votum abzugeben." Der Brief an Bernstein, in dem Hirsch dies gesagt haben soll, ist vom 26. Juli, lange nach der Konferenz in Zürich, auf der die Vollmachten der drei Züricher festgestellt worden waren. Man schwelgt aber in Zürich schon so sehr im Gefühl seiner bureaukratischen Machtvollkommenheit, dass man auf diesen späteren Brief Hirschs bereits die neue Befugnis beansprucht, über die Aufnahme der Artikel zu entscheiden. Die Redaktionskommission ist bereits eine Zensurkommission. Erst als Höchberg nach Paris kam, erfuhr Hirsch von ihm die 'Namen der Mitglieder der beiden Kommissionen. Wenn also die Unterhandlungen mit Hirsch sich zerschlugen, woran lag es? 1. an der hartnäckigen Weigerung sowohl der Leipziger wie der Züricher, ihm irgend etwas Tatsächliches mitzuteilen über die finanziellen Grundlagen und damit über die Möglichkeit, das Blatt am Leben zu erhalten, wenn auch nur für ein Jahr. Die gezeichnete Summe hat er erst von mir hier (nach Ihrer Mitteilung an mich) erfahren. Es war also kaum möglich, aus den früher gemachten Mitteilungen (die Partei -f Hföchberg]) einen anderen Schluss zu ziehen als den, dass das Blatt entweder schon jetzt vorwiegend von Höchberg fundiert sei oder doch bald ganz von seinen Zuschüssen abhängen werde. Und diese letztere Möglichkeit ist auch jetzt lange nicht ausgeschlossen. Die Summe von — wenn ich recht lese — 800 Mark ist genau dieselbe (40 Pffund] St[erling]), die der hiesige Verein der Freiheit im ersten Halbjahr hat zusetzen müssen. 2. die wiederholte, seitdem als total unrichtig erwiesene Versicherung Liebknfechts], die Züricher hätten die Redfaktion] gar nicht amtlich zu kontrollieren, und die daraus erwachsene Komödie der Irrungen; 3. die endlich erlangte Gewissheit, dass die Züricher die Red[aktion] nicht nur zu kontrollieren, sondern selbst zu zensieren hätten, und dass ihm, Hirsch, dabei die Rolle des Strohmannes zufalle. Dass er daraufhin ablehnte, darin können wir ihm nur recht geben. Die Leipziger Kommission, wie wir hören von H[öch]b[er]g, ist noch durch zwei nicht am Ort wohnende Mitglieder verstärkt worden, kann also nur dann rasch einschreiten, wenn die drei Leipziger einig 51
sind. Dadurch wird der wirkliche Schwerpunkt vollends nach Zürich verlegt, und mit den dortigen würde Hirsch ebensowenig wie irgendein anderer wirklich revolutionär und proletarisch gesinnter Redakteur auf die Dauer haben arbeiten können. Darüber später. 2. Die beabsichtigte
Haltung des Blattes
Gleich am 24. Juli benachrichtigt Bernstein den Hirsch, die Differenzen, die er als Laternenmann mit einzelnen Genossen gehabt, würden seine Stellung erschweren. Hirsch antwortet, die Haltung des Blattes werde seines Erachtens im allgemeinen dieselbe sein müssen wie die der Laterne, d.h. eine solche, die in der Schweiz Prozesse vermeidet und in Deutschland nicht unnötig erschreckt. Er fragt, wer jene Genossen seien, und fährt fort: „ich kenne nur einen, und ich verspreche Ihnen, dass ich diesen im gleichen Fall disziplinwidrigen Benehmens genau wieder so behandeln werde". Darauf antwortet Bernstein im Gefühl seiner neuen amtlichen Zensorwürde: „Was nun die Haltung des Blattes betrifft, so ist die Ansicht der Aufsichtskommission allerdings die, dass die Laterne nicht als Vorbild gelten soll; das Blatt soll unserer Ansicht nach weniger in politischem Radikalismus aufgehen als prinzipiell sozialistisch gehalten sein. Fälle wie die Attacke gegen Kayser, die von allen Genossen ohne Ausnahme (!) gemissbilligt wurde, müssen unter allen Umständen vermieden werden."5 Und so weiter, und so weiter. Liebknecht nennt den Angriff gegen Kayser „einen Bock", und Schramm hält ihn für so gefährlich, dass er daraufhin die Zensur über Hirsch verhängt. Hirsch schreibt nochmals an Höchberg, ein Fall wie der Kaysersche „kann nicht vorkommen, wenn ein offizielles Parteiorgan existiert, dessen klare Darlegungen und wohlmeinende Winke ein Abgeordneter nicht so dreist in den Wind schlagen kann". Auch Viereck schreibt, dem neuen Blatt sei „leidenschaftslose Haltung und tunlichstes Ignorieren aller vorgekommenen Differenzen . . . vorgeschrieben", es solle keine „vergrösserte Laterne" sein, und Bernstein „könnte man höchstens vorwerfen, dass er zu gemässigter Richtung ist, wenn das in einer Zeit, wo wir doch nicht mit voller Flagge segeln können, ein Vorwurf ist". Max Kayser (1853-1888) war seit 1871 in der Partei tätig, seit 18.74 Redakteur des Dresdener Volksbote, seit 1878 Reichstagsabgeordneter. Er war wegen seiner Rede in der Schutzzolldebatte des Reichstages von C. Hirsch in der Laterne, Nr. 21, 25. Mai und Nr. 23, 8. Juni 1879 scharf angegriffen worden. S. darüber die Briefe Nr. 18 und 19. 5
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Was ist nun dieser Fall Kayser, dies unverzeihliche Verbrechen, das Hirsch begangen haben soll? Kayser spricht und stimmt im Reichstag, der einzige unter den soz[ial]dem[okratischen] Abgeordneten, für Schutzzölle. Hirsch klagt ihn an, die Parteidisziplin verletzt zu haben, indem K[ayser] 1. für indirekte Steuern stimmt, deren Abschaffung das Parteiprogramm ausdrücklich verlangt; 2. dem Bismarck Geld bewilligt und damit die erste Grundregel aller unserer Parteitaktik verletzt: Dieser Regierung keinen Heller. In beiden Punkten hat Hirsch unleugbar recht. Und nachdem Kayser einerseits das Parteiprogramm, auf das ja die Abgeordneten durch Kongressbeschluss sozusagen vereidigt worden, und andrerseits die unabweisbarste, allererste Grundregel der Parteitaktik mit Füssen getreten, Bismarck zum Dank für das Sozialistengesetz Geld votiert, hatte Hirsch ebenfalls, unserer Ansicht nach, vollkommen recht, so derb auf ihn loszuschlagen, wie er tat. Wir haben nie begreifen können, wieso man sich in Deutschland so gewaltig über diesen Angriff auf Kayser hat erbosen können. Jetzt erzählt mir Höchberg,6 die „Fraktion" habe Kayser die Erlaubnis zu seinem Auftreten erteilt, und durch diese Erlaubnis halte man K[ayser] für gedeckt. Wenn sich das so verhält, so ist das doch etwas stark. Zunächst konnte Hirsch von diesem geheimen Beschluss ebensowenig etwas wissen wie die übrige Welt.7 Sodann wird die Blamage für die Partei, die früher auf K[ayser] allein abgewälzt werden konnte, durch diese Geschichte nur noch grösser, und ebenso das Verdienst Hirschs, offen und vor aller Welt diese abgeschmackten Redensarten und noch abgeschmacktere Abstimmung Kaysers blossgelegt und damit die Parteiehre gerettet zu haben. Oder ist die deutsche Soz[ial]-Demokratie in der Tat von der parlamentarischen Krankheit angesteckt und glaubt, mit der Volkswahl werde der heilige Geist über die Gewählten ausgegossen, der Fraktionssitzungen in unfehlbare Konzilien, Fraktionsbeschlüsse in unantastbare Dogmen verwandelt? Ein Bock ist allerdings geschossen, nicht aber von Hirsch, sondern von den Abgeordneten, die den Kayser mit ihrem Beschluss deckten. 6 Höchberg hatte auf einer Geschäftsreise Engels am 13. September in London besucht. 7 In Engels' Konzept ist hier gestrichen: Gesetzt auch, zwei oder drei andere s[ozial]-d[emokratische] Abgeordnete (denn mehr waren schwerlich da) hätten sich verleiten lassen, dem Kfayser] zu erlauben, seine Abgeschmacktheiten vor aller Welt herzusagen und Bismarck Geld zu bewilligen; so waren sie verpflichtet, die Verantwortlichkeit dafür öffentlich auf sich zu nehmen und abzuwarten, was Hirsch davon sagen würde.
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Und wenn diejenigen, die vor allem auf Aufrechterhaltung der Parteidisziplin zu achten berufen sind, diese Parteidisziplin selbst durch einen solchen Beschluss so eklatant brechen, so ist das um so schlimmer. Noch schlimmer aber, wenn man sich bis zu dem Glauben versteigt, nicht Kayser durch seine Rede und Abstimmung und die andern Abgeordneten durch ihren Beschluss hätten die Parteidisziplin verletzt, sondern Hirsch, indem er trotz dieses ihm noch dazu unbekannten Beschlusses den Kayser angriff. Es ist übrigens sicher, dass die Partei in der Schutzzollfrage dieselbe unklare und unentschiedene Haltung eingenommen hat wie bisher in fast allen praktisch gewordenen ökonomischen Fragen z.B. bei den Reichseisenbahnen. Das kommt daher, dass die Parteiorgane, namentlich der Vorwärts, statt diese Fragen gründlich zu diskutieren, sich mit Vorliebe auf die Konstruktion der zukünftigen Gesellschaftsordnung gelegt haben. Als die Schutzzollfrage nach dem Sozialistengesetz plötzlich praktisch wurde, gingen die Ansichten in den verschiedensten Schattierungen auseinander, und es war nicht ein einziger am Platz, der zur Bildung eines klaren und richtigen Urteils die Vorbedingung besass: Kenntnis der Verhältnisse der deutschen Industrie und ihrer Stellung auf dem Weltmarkt. Bei den Wählern konnten dann hie und da schutzzöllnerisdie Strömungen auch nicht ausbleiben, diese wollte man doch auch berücksichtigen. Der einzige Weg, aus dieser Verwirrung herauszukommen, indem man die Frage rein politisch auffasste (wie in der Laterne geschah), wurde nicht entschieden eingeschlagen. So konnte es nicht fehlen, dass die Partei in dieser Debatte zum ersten Mal zaudernd, unsicher und unklar auftrat und schliesslich durch und mit Kayser sich gründlich blamierte. Der Angriff auf Kayser wird nun zum Anlass genommen, um Hirsch in allen Tonarten vorzupredigen, das neue Blatt solle die Exzesse der Laterne keineswegs nachahmen, solle weniger in politischem Radikalismus aufgehen, als prinzipiel sozialistisch und leidenschaftslos gehalten werden. Und zwar von Viereck nicht weniger als von Bernstein, der jenem gerade deshalb, weil er zu gemässigt ist, als der rechte Mann erscheint, weil man doch jetzt nicht mit voller Flagge segeln kann. Aber warum geht man denn überhaupt ins Ausland, als um mit voller Flagge zu segeln? Im Ausland steht dem nichts entgegen. In der Schweiz existieren die deutschen Press-, Vereins- und Strafgesetze nicht. Man kann dort also nicht nur diejenigen Dinge sagen, die man zu Hause schon vor dem Sozialisten]-Gesetz, wegen der gewöhnlichen deutschen Gesetze nicht sagen konnte, man ist auch verpflichtet dazu. Denn hier steht man nicht bloss vor Deutschland, sondern vor Europa und hat die Pflicht, soweit die Schweizer Gesetze erlauben,
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Europa gegenüber die Wege und Ziele der deutschen Partei unverhohlen darzulegen. Wer sich in der Schweiz an deutsche Gesetze binden wollte, bewiese eben nur, dass er dieser deutschen Gesetze würdig ist und in der Tat nichts zu sagen hat, als was in Deutschland vor dem Ausnahmegesetz zu sagen erlaubt war. Auch auf die Möglichkeit, der Redaktion die Rückkehr nach Deutschland temporär abzuschneiden, darf keine Rücksicht genommen werden. Wer nicht bereit ist, das zu riskieren, gehört nicht auf einen so exponierten Ehrenposten. Noch mehr. Die deutsche Partei ist mit dem Ausnahmegesetz in Bann und Acht getan worden, gerade weil sie die einzige ernsthafte Oppositionspartei in Deutschland war. Wenn sie in einem auswärtigen Organ Bismarck ihren Dank damit abstattet, dass sie die Rolle der einzigen ernsthaften Oppositionspartei aufgibt, dass sie hübsch zahm auftritt, den Fusstritt mit leidenschaftsloser Haltung hinnimmt, so beweist sie nur, dass sie des Fusstritts wert war. Von allen deutschen Emigrationsblättern, die seit 1830 im Ausland erschienen, ist die Laterne sicher eins des gemässigtesten. Wenn aber die Laterne schon zu frech war — dann kann das neue Organ die Partei vor den Gesinnungsgenossen der nichtdeutschen Länder nur kompromittieren. 3. Das Manifest der drei Züricher Inzwischen ist uns das Höchbergsche Jahrbuch8 zugekommen und enthält einen Artikel: Rückblicke auf die sozialistische] Bewegung in Deutschland, der, wie Höchberg selbst mir gesagt, verfasst ist gerade von den drei Mitgliedern der Züricher Kommission.9 Hier haben wir ihre authentische Kritik der bisherigen Bewegung und damit ihr authentisches Programm für die Haltung des neuen Organs, soweit diese von ihnen abhängt. Gleich von vornherein heisst es: „Die Bewegung, welche Lassalle als eine eminent politische ansah, zu welcher er nicht nur die Arbeiter, sondern alle ehrlichen Demokraten aufrief, an deren Spitze die unabhängigen Vertreter der Das Jahrbuch für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik erschien 1879-81 in Zürich-Oberstrass; als Herausgeber zeichnete Höchberg unter dem Pseudonym Dr. L. Richter. 9 Der Aufsatz „Rückblicke auf die sozialistische Bewegung in Deutschland. Kritische Aphorismen von erschien Jahrg. I, S. 75-96. Über seine Entstehung s. E. Bernstein, Lehrfahre S. 78ff. Ders., Die Briefe von Friedrich Engels an Eduard Bernstein (Berlin, 1925), S. llf. — Der Verfasser war Dr. Karl Flesch, später Stadtrat in Frankfurt a.M. Er wurde als Sozialreformer bekannt, schrieb u.a. Die Ursachen der Armut und die Krankenversicherung (Minden, 1886), und war Landtagsabgeordneter der Fortschrittlichen Volkspartei. Der Aufsatz wurde von Höchberg und K. A. Schramm bearbeitet. 8
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Wissenschaft und alle von wahrer Menschenliebe erfüllten Männer marschieren sollten, verflachte sich unter dem Präsidium J[ohann] Ba[ptist] v. Schweitzers zu einem einseitigen Interessenkampf der Industriearbeiter."10 Ich untersuche nicht, ob und wieweit dies geschichtlich sich so verhält. Der spezielle Vorwurf, der Schweitzer hier gemacht wird, besteht darin, dass Schweitzer den Lassalleanismus, der hier als eine bürgerlich demokratisch-philanthropische Bewegung aufgefasst wird, zu einem einseitigen Interessenkampf der Industriearbeiter verflacht habe, verflacht, indem er ihren Charakter, als Klassenkampf der Industriearbeiter gegen die Bourgeois vertiefte. Ferner wird ihm vorgeworfen seine „Zurückweisung der bürgerlichen Demokratie". Was denn hat die bürgerliche Demokratie in der soz[ial]-dem[okratischen] Partei zu schaffen? Wenn sie aus „ehrlichen Männern" besteht, kann sie gar nicht eintreten wollen, und wenn sie dennoch eintreten will, dann doch nur, um zu stänkern. Die Lassallesche Partei „zog vor, sich in einseitigster Weise als Arbeiterpartei zu gerieren". Die Herren, die das schreiben, sind selbst Mitglieder einer Partei, die sich in einseitigster Weise als Arbeiterpartei geriert, sie bekleiden jetzt Amt und Würden in ihr. Es liegt hier eine absolute Unverträglichkeit vor. Meinen sie, was sie schreiben, so müssen sie aus der Partei austreten, mindestens Amt und Würden niederlegen. Tun sie es nicht, so gestehen sie damit ein, dass sie ihre amtliche Stellung zu benutzen gedenken, um den proletarischen Charakter der Partei zu bekämpfen. Die Partei also verrät sich selbst, wenn sie sie in Amt und Würden lässt. Die soz[ial]-dem[okratische] Partei soll also nach Ansicht dieser In Engels' Konzept ist hier gestrichen: „Schweitzer war ein grosser Lump, aber ein sehr talentvoller Kopf. Sein Verdienst bestand grade darin, dass er den alten ursprünglichen engen Lassalleanismus (durchbrach) mit seiner beschränkten Staatshilfe-Panacee durchbrach . . . Was er auch aus korrupten Motiven verschuldet hat und wie sehr er auch zur Erhaltung seiner Herrschaft an der Lassalleschen Panacee von der Staatshilfe festhielt, so hat er doch das Verdienst, den ursprünglichen engen Lassalleanismus durchbrochen, den ökonomischen Gesichtskreis der Partei erweitert und damit ihr späteres Aufgehn in die deutsche Gesamtpartei vorbereitet zu haben. Der Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie, dieser Angelpunkt alles revolutionären Sozialismus, war schon vor Lassalle gepredigt worden. Wenn Schweitzer diesen Punkt noch schärfer betonte, so war das in der Sache selbst jedenfalls ein Fortschritt, wie sehr er auch sich damals einen Vorwand geschmiedet haben mag, seiner Diktatur gefährliche Personen zu verdächtigen. Ganz richtig ist, dass er den Lassalleanismus zu einem einseitigen Interessenkampf der Industrie-Arbeiter machte. Aber nur darum einseitig, weil er aus Gründen politischer Korruption von dem Interessenkampf der Landarbeiter gegen den grossen Grundbesitz nichts wissen wollte. Nicht das ist es, was ihm hier vorgeworfen wird, die „Verflachung" besteht darin, dass er" . . . 10
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Herren keine einseitige Arbeiterpartei sein, sondern eine allseitige Partei „aller von wahrer Menschenliebe erfüllten Männer". Vor allem soll sie dies beweisen, indem sie die rohen Proletarierleidenschaften ablegt, und sich „zur Bildung eines guten Geschmacks" und „zur Erlernung des guten Tons" (S. 85) unter die Leitung von gebildeten philanthropischen Bourgeois stellt. Dann wird auch das „verlumpte Auftreten" mancher Führer einem wohlehrbaren „bürgerlichen Auftreten" weichen. (Als ob das äusserlich verlumpte Auftreten der hier Gemeinten nicht noch das Geringste wäre, das man ihnen vorwerfen kann!) Dann auch werden sich „zahlreiche Anhänger aus den Kreisen der gebildeten und besitzenden Klassen einfinden. Diese aber müssen erst gewonnen werden, wenn die . . . betriebene Agitation greifbare Erfolge erreichen soll." Der deutsche Sozialismus hat „zuviel Wert auf die Gewinnung der Massen gelegt und dabei versäumt, in den sogen[annten] oberen Schichten der Gesellschaft energische (!) Propaganda zu machen". Denn „noch fehlt es der Partei an Männern, welche dieselbe im Reichstag zu vertreten geeignet sind". Es ist aber „wünschenswert und notwendig, die Mandate Männern anzuvertrauen, die Gelegenheit und Zeit genug gehabt haben, sich mit den einschlagenden Materien gründlich vertraut zu machen. Der einfache Arbeiter und Kleinmeister . . . hat dazu nur in seltenen Ausnahmsfällen die nötige Müsse". Wählt also Bourgeois! Kurz: die Arbeiterklasse aus sich selbst ist unfähig, sich zu befreien. Dazu muss sie unter die Leitung „gebildeter und besitzender" Bourgeois treten, die allein „Gelegenheit und Zeit haben", sich mit dem vertraut zu machen, was den Arbeitern frommt. Und zweitens ist die Bourgeoisie beileibe nicht zu bekämpfen, sondern durch energische Propaganda — zu gewinnen. Wenn man aber die oberen Schichten der Gesellschaft oder nur ihre wohlmeinenden Elemente gewinnen will, so darf man sie beileibe nicht erschrecken. Und da glauben die drei Züricher eine beruhigende Entdeckung gemacht zu haben: „Die Partei zeigt gerade jetzt unter dem Druck des Sozialistengesetzes, dass sie nicht geuAllt ist, den Weg der gewaltsamen, blutigen Revolution zu gehen, sondern entschlossen i s t . . . den Weg der Gesetzlichkeit, d.h. der Reform zu beschreiten." Also wenn die fünf- bis sechshunderttausend soz[ial]-dem[okratischen] Wähler, ein Zehntel bis ein Achtel der gesamten Wählerschaft, dazu zerstreut über das ganze weite Land, so vernünftig sind, nicht mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen und einer gegen zehn eine „blutige Revolution" zu versuchen, so beweist das, dass sie sich auch für alle Zukunft verbieten, ein gewaltiges auswärtiges Ereignis, eine dadurch hervor57
gerufene plötzliche revolutionäre Aufwallung, ja einen in daraus entstandener Kollision erfochtenen Sieg des Volkes zu benutzen! Wenn Berlin wieder einmal so ungebildet sein sollte, einen 18. März zu machen, so müssen die Sozialdemokraten, statt als „barrikadensüchtige Lumpe" (S. 88) am Kampf teilzunehmen, vielmehr den „Weg der Gesetzlichkeit beschreiten", abwiegeln, die Barrikaden wegräumen, nötigenfalls und mit dem herrlichen Kriegsheer gegen die einseitigen, rohen, ungebildeten Massen marschieren. Oder wenn die Herren behaupten, das hätten sie nicht so gemeint, was haben sie dann gemeint? Es kommt noch besser. „Je ruhiger, sachlicher, überlegter sie (die Partei) also in ihrer Kritik der bestehenden Zustande und in ihren Vorschlägen zur Abänderung derselben auftritt, um so weniger kann der jetzt (bei Einführung des Sozialisten]-Gesetzes) gelungene Schachzug wiederholt werden, mit dem die bewusste Reaktion das Bürgertum durch die Furcht vor dem roten Gespenst ins Bockshorn gejagt hat." (S. 88.) Um der Bourgeoisie die letzte Spur von Angst zu benehmen, soll ihr klar und bündig bewiesen werden, dass das rote Gespenst wirklich nur ein Gespenst ist, nicht existiert. Was aber ist das Geheimnis des roten Gespenstes, wenn nicht die Angst der Bourgeoisie vor dem unausbleiblichen Kampf auf Tod und Leben zwischen ihr und dem Proletariat? Die Angst vor der unabwendbaren Entscheidung des modernen Klassenkampfes? Man schaffe den Klassenkampf ab, und die Bourgeoisie und „alle unabhängigen Menschen" werden „sich nicht scheuen, mit den Proletariern Hand in Hand zu gehen"! Und wer dann geprellt, wären eben die Proletarier! Möge also die Partei durch de- und wehmütiges Auftreten beweisen, dass sie die „Ungehörigkeiten und Ausschreitungen" ein für allemal abgelegt hat, die den Anlass zum Sozialistengesetz gaben. Wenn sie freiwillig verspricht, sich nur innerhalb der Schranken des Sozialisten]-Gesetzes bewegen zu wollen, werden Bismarck und die Bourgeois dies dann überflüssige Gesetz aufzuheben doch wohl die Güte haben! „Man verstehe uns wohl", wir wollen nicht „ein Aufgeben unserer Partei und unseres Programms, wir meinen aber, dass wir auf Jahre hinaus genug zu tun haben, wenn wir unsere ganze Kraft, unsere ganze Energie auf Erreichung gewisser naheliegenden Ziele richten, welche unter allen Umständen errungen sein müssen, bevor an eine Realisierung der weitergehenden Bestrebungen gedacht werden kann". Dann werden auch Bourgeois, Kleinbürger und Arbeiter sich massenweise an uns anschliessen, die „jetzt durch die weitgehenden Forderungen . . . abgeschreckt werden". 58
Das Programm soll nicht aufgegeben, sondern nur aufgeschoben werden — bis auf unbestimmte Zeit. Man nimmt es an, aber eigentlich nicht für sich selbst und für seine Lebzeiten, sondern posthum, als Erbstück für Kinder und Kindeskinder. Inzwischen wendet man seine „ganze Kraft und Energie" auf allerhand Kleinkram und Herumflickerei an der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, damit es doch aussieht, als geschehe etwas, und gleichzeitig die Bourgeoisie nicht erschreckt werde. D a lobe ich mir doch den Kommunisten Miquel, 11 der seine unerschütterliche Uberzeugung von dem in einigen Hundert Jahren unvermeidlichen Sturz der kapitalistischen] Gesellschaft dadurch bewährt, dass er tüchtig drauflos schwindelt, sein Redliches zum Krach von 1873 beiträgt und damit für den Zusammenbruch der bestehenden Ordnung wirklich etwas tut. 12 Ein anderes Vergehen gegen den guten Ton waren auch die „übertriebenen Angriffe auf die Gründer", die ja „nur Kinder der Zeit" waren: „das Schimpfen auf Strausberg und derglfeichen] Leute . . . wäre daher besser unterblieben". 13 Leider sind alle Menschen „nur Johannes von Miquel (1828-1901), Oberbürgermeister von Osnabrück und Frankfurt a.M., nationalliberaler Reichstagsabgeordneter 1867-77, 1887-90, preussischer Finanzminister 1890-1901. Er war Mitglied des Kommunistenbundes gewesen und hatte mit Marx bis 1857 in freundschaftlichem Briefwechsel gestanden. Bebel erwähnte Miquels kommunistische Vergangenheit zum erstenmal in der Reichstagssitzung am 3. April 1871 in einer persönlichen Bemerkung gegen Miquel. A. TO. L., II, S. 219. Die bisher bekannten Briefe Miquels an Marx wurden 1914 von E. Bernstein veröffentlicht, Die Neue Zeit, Jahrg. XXXII, 1914, Bd. II, S. 4ff., 65ff. Seine Beziehungen zu Marx sind dargestellt von W. Mommsen, Joh. Miquel (Berlin-Leipzig, 1928), S. 37-84; H. Herzfeld, Joh. von Miquel, Bd. I (Detmold, 1938), S. 12-15. 12 Der der Gründerzeit folgende Börsenkrach des Jahres 1873 leitete eine lange wirtschaftliche Depression ein. Miquels hervorragende Rolle als Gründer in seiner Tätigkeit als Mitglied und seit 1873 als Vorsitzender des Aufsichtsrates der Disconto-Gesellschaft wurde ausführlich behandelt von Rudolf Meyer, Politische Gründer und. die Corruption in Deutschland (Leipzig, 1877), S. 22ff., 30ff., 46ff., 137, 154. Miquels Haltung bei der Beratung des die Gründung von Schwindeluntemehmungen fördernden Aktiengesetzes vom 11. Juni 1870 war Engels vermutlich aus O. Glagau, Der Börsen- und Gründungsschwindel in Deutschland (Leipzig, 1877), S. 7, 533ff. bekannt. In der Reichstagssitzung am 20. Mai 1870 hatte Miquel viel weiter gehende Rechte für Vorstände bzw. Aufsichtsräte der Gesellschaften gefordert, worauf ihm Lasker, ein Führer des linken Flügels der nat.-lib. Partei, erwiderte, sein Vorschlag laufe darauf hinaus, „dass es dem Aufsichtsrat in Vereinigung mit den Aktionären gestattet sein soll, falsche Tatsachen zu verbreiten, die zwar den Aktionären günstig sind, aber dem allgemeinen Publikum zum Schaden gereichen". 18 B. H. Strausberg (1823-1884) baute viele Eisenbahnen in Deutschland, Russland, Rumänien und Frankreich; seine gewagten Spekulationsmethoden in der Kapitalbeschaffung führten 1873 zum Zusammenbruch seiner Unternehmungen. Seine Autobiographie u.d.T. Dr. Strausberg und sein Wirken von ihm selbst ge11
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Kinder der Zeit", und wenn dies hinlänglicher Entschuldigungsgrund, so darf man niemand mehr angreifen, alle Politik, aller Kampf unsererseits hört auf; wir nehmen alle Fusstritte unserer Gegner ruhig hin, weil wir, die Weisen, ja wissen, dass jene „nur Kinder der Zeit" sind und nicht anders handeln können, als sie tun. Statt ihnen die Fusstritte mit Zinsen zurückzuzahlen, sollten wir die Armen vielmehr bedauern. Ebenso hatte die Parteinahme für die Kommune14 immerhin den Nachteil, „dass uns sonst zugeneigte Leute zurückgestossen und überhaupt der Hass der Bourgeoisie gegen uns vergrössert wurde". Und ferner ist die Partei „nicht ganz ohne Schuld an dem Zustandekommen des Oktobergesetzes, denn sie hat den Hass der Bourgeoisie in unnötiger Weise vermehrt". Da haben Sie das Programm der drei Zensoren von Zürich. Es lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Am allerwenigsten für uns, da wir diese sämtlichen Redensarten von 1848 her noch sehr gut kennen. Es sind die Repräsentanten des Kleinbürgertums, die sich anmelden, voll Angst, das Proletariat, durch seine revolutionäre Lage gedrängt, möge „zu weit gehen". Statt entschiedener politischer Opposition allgemeine Vermittlung; statt des Kampfs gegen Regierung und Bourgeoisie der Versuch, sie zu gewinnen und zu überreden; statt trotzigen Widerstandes gegen Misshandlungen von oben, demütige Unterwerfung und das Zugeständnis, man habe die Strafe verdient. Alle historisch notwendigen Konflikte werden umgedeutet in Missverständnisse, und alle Diskussion beendigt mit der Beteuerung: in der Hauptsache sind wir ja alle einig. Die Leute, die 1848 als bürgerliche Demokraten auftraten, können sich jetzt ebensogut Sozialdemokraten nennen. Wie jenen die demokratische Republik, so liegt diesen der Sturz der kapitalistischen Ordnung in unerreichbarer Ferne, hat also absolut keine Bedeutung für die politische Praxis der Gegenwart, man kann vermitteln, kompromisseln, philanthropisieren nach Herzenslust. Ebenso gehts mit dem Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Auf dem Papier erkennt man ihn an, weil man ihn schildert erschien 1876; über ihn K. Zielenziger, Juden in der deutschen Wirtschaft (Berlin, 1930), S. 75ff. 14 Etwa J. Most, Die Pariser Kommune vor den Berliner Gerichten (Braunschweig 1875); Die Pariser Kommune vor der Deputiertenkammer in Versailles. Nach dem amtlichen Bericht ins Deutsche übertragen von Fr. Rohleder (Braunschweig, 1876); Für und wider die Commune. Disputation zwischen den Herren Bebel und Sparig in der „Tonhalle" zu Leipzig Freitag, 10. März 1876 (Leipzig, o. J.) gekürzter Abdruck der Rede Bebels A. m. L., II, S. 348ff.; W . Bios, Zur Geschichte der Kommune von Paris (Braunschweig,1876); H. P. O. Lissagaray, Geschichte der Commune von 1871, deutsche Ausgabe nach dem vom Verfasser vervollständigten Original (Braunschweig, 1877).
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doch nicht mehr wegleugnen kann; in der Praxis aber wird er vertuscht, verwaschen, abgeschwächt. Die soz[ial]-dem[okratische] Partei soll keine Arbeiterpartei sein, sie soll nicht den Hass der Bourgeoisie oder überhaupt irgend jemandes auf sich laden; sie soll vor allem unter der Bourgeoisie energische Propaganda machen; statt auf weitgehende, die Bourgeois abschreckende und doch in unserer Generation unerreichbare Ziele Gewicht zu legen, soll sie lieber ihre ganze Kraft und Energie auf diejenigen kleinbürgerlichen Flickreformen verwenden, die der alten Gesellschaftsordnung neue Stützen verleihen und dadurch die endliche Katastrophe vielleicht in einen allmählichen, stückweisen und möglichst friedfertigen Auflösungsprozess verwandeln könnten. Es sind dieselben Leute, die unter dem Schein rastloser Geschäftigkeit nicht nur selbst nichts tun, sondern auch zu hindern suchen, dass überhaupt etwas geschieht als — schwatzen; dieselben Leute, deren Furcht vor jeder Tat 1848 und 49 die Bewegung bei jedem Schritt hemmte und endlich zu Fall brachte; dieselben Leute, die eine Reaktion sehen, und dann ganz erstaunt sind, sich endlich in einer Sackgasse zu finden, wo weder Widerstand noch Flucht möglich ist; dieselben Leute, die die Geschichte in ihren engen Spiessbürgerhorizont bannen wollen und über die die Geschichte jedesmal zur Tagesordnung übergeht. Was ihren sozialistischen Gehalt angeht, so ist dieser bereits hinreichend kritisiert im Manifest,15 Kapitel: „Der deutsche oder wahre Sozialismus". Wo der Klassenkampf als unliebsame „rohe" Erscheinung auf die Seite geschoben wird, da bleibt als Basis des Sozialismus nichts als „wahre Menschenliebe" und leere Redensarten von „Gerechtigkeit". Es ist eine im Gang der Entwicklung begründete, unvermeidliche Erscheinung, dass auch Leute aus der bisher herrschenden Klasse sich dem kämpfenden Proletariat anschliessen und ihm Bildungselemente zuführen. Das haben wir schon im Manifest klar ausgesprochen. Es ist aber hierbei zweierlei zu bemerken: Erstens müssen diese Leute, um der proletarischen Bewegung zu nutzen, auch wirkliche Bildungselemente mitbringen. Dies ist aber bei der grossen Mehrzahl der deutschen bürgerlichen Konvertiten nicht der Fall. Weder die Zukunft noch Die Neue Gesellschaft16 15 In Abschnitt III 1 c wurden die sozialistischen Strömungen der vierziger Jahre als „schmutzige, entnervende Literatur" bezeichnet; Engels charakterisierte sie in der neuen Ausgabe 1890 in einer Fussnote als „die gesamte schäbige Richtung". 16 Die Neue Gesellschaft. Monatsschrift für Socialwissenschaft, Hrsg. von Dr. F. Wiede. Drei Jahrgänge (Zürich, 1877-80). Zu den Mitarbeitern gehörten P. Brousse, L. Büchner, W. Hasselmann, J. Most, A. Mülberger, S. Politzer, A. Schäffle, S. Vögelin.
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haben irgend etwas gebracht, wodurch die Bewegung um einen Schritt weitergekommen wäre. An wirklichem, tatsächlichem oder theoretischem Bildungsstoff ist da absoluter Mangel. Statt dessen Versuche, die sozialistischen, oberflächlich angeeigneten Gedanken in Einklang zu bringen mit den verschiedensten theoretischen Standpunkten, die die Herren von der Universität oder sonstwoher mitgebracht und von denen einer noch verworrener war als der andere, dank dem Verwesungsprozess, in dem sich die Reste der deutschen Philosophie heute befinden. Statt die neue Wissenschaft vorerst selbst gründlich zu studieren, stutzte sich jeder sie vielmehr nach dem mitgebrachten Standpunkt zurecht, machte sich kurzerhand eine eigene Privatwissenschaft und trat gleich mit der Prätension auf, sie lehren zu wollen. Daher gibt es unter diesen Herren ungefähr so viel Standpunkte wie Köpfe; statt in irgend etwas Klarheit zu bringen, haben sie nur eine arge Konfusion angerichtet — glücklicherweise fast nur unter sich selbst. Solche Bildungselemente, deren erstes Prinzip ist zu lehren, was sie nicht gelernt haben, kann die Partei gut entbehren. Zweitens. Wenn solche Leute aus anderen Klassen sich der proletarischen Bewegung anschliessen, so ist die erste Forderung, dass sie keine Reste von bürgerlichen, kleinbürgerlichen etc. Vorurteilen mitbringen, sondern sich die proletarische Anschauungsweise unumwunden aneignen. Jene Herren aber, wie nachgewiesen, stecken über und über voll bürgerlichen und kleinbürgerlichen Vorstellungen. In einem so kleinbürgerlichen Land wie Deutschland haben diese Vorstellungen sicher ihre Berechtigung. Aber nur ausserhalb der s[ozial]-d[emokratischen] Arbeiterpartei. Wenn die Herren sich als s[ozial]-d[emokratische] Kleinbürgerpartei konstituieren, so sind sie in ihrem vollen Recht; man könnte dann mit ihnen verhandeln, je nach Umständen Kartell schliessen etc. Aber in einer Arbeiterpartei sind sie ein fälschendes Element. Sind Gründe da, sie vorderhand darin zu dulden, sobesteht die Verpflichtung, sie nur zu dulden, ihnen keinen Einfluss auf Parteileitung zu gestatten, sich bewusst zu bleiben, dass der Bruch mit ihnen nur eine Frage der Zeit ist. Diese Zeit scheint übrigens gekommen. Wie die Partei die Verfasser dieses Artikels noch länger in ihrer Mitte dulden kann, erscheint uns unbegreiflich. Gerät aber solchen Leuten gar die Parteileitung mehr oder weniger in die Hand, so wird die Partei einfach entmannt, und mit der proletarischen Schneid ists am End. Was uns betrifft, so steht uns nach unserer ganzen Vergangenheit nur ein Weg offen. Wir haben seit fast vierzig Jahren den Klassenkampf als nächste treibende Macht der Geschichte, und speziell den Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat als den grossen Hebel der modernen sozialen Umwälzung hervorgehoben; wir können 62
also unmöglich mit Leuten zusammengehen, die diesen Klassenkampf aus der Bewegung streichen wollen. Wir haben bei Gründung der Internationalen ausdrücklich den Schlachtruf formuliert: Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.17 Wir können also nicht zusammengehen mit Leuten, die es offen aussprechen, dass die Arbeiter zu ungebildet sind, sich selbst zu befreien und erst von oben herab befreit werden müssen durch philanthropische Gross- und Kleinbürger. Wird das neue Parteiorgan eine Haltung annehmen, die den Gesinnungen jener Herrn entspricht, bürgerlich ist und nicht proletarisch, so bleibt uns nichts übrig, so leid es uns tun würde, als uns öffentlich dagegen zu erklären und die Solidarität zu lösen, mit der wir bisher die deutsche Partei dem Ausland gegenüber vertreten haben. Doch dahin kommts hoffentlich nicht. Dieser Brief ist bestimmt zur Mitteilung an alle fünf Mitglieder] der Kom[mission] in D[eu]tschl[an]d sowie an Bracke . . . Der Mitteilung an die Züricher steht ebenfalls unsererseits nichts im Wege. 17
Der Anfang der Statuten der Int. Arb.-Assoziation.
18. B E B E L A N
Original.
ENGELS
Leipzig, den 23. Oktober 1879. Lieber Engels!
Die beifolgende Antwort 1 auf Ihr und M[arx]' Expose ist um deswillen so formell ausgefallen, weil sie Fritzsche verfasste. In dem Augenblicke, wo ich das Schriftstück absenden wollte, kam mir ein Fragment vom Richter'schen Jahrbuch unter Kreuzband zu, das den vielberufenen Artikel enthält. Ich habe denselben gelesen und begreife Ihre Entrüstung. Abgesehen von den prinzipiellen Schnitzern, ist derselbe eine Schulmeisterarbeit, wie mir noch keine vor Augen gekommen ist. Indem sich die drei Verfasser so recht hübsch über alle stellen und ihr kritisches Licht vom hohen Stuhle herab leuchten lassen, haben sie es mit allen verdorben, ohne einen zu gewinnen oder zu befriedigen. Dabei ist die Arbeit voller Widersprüche. Ich werde selbstverständlich nicht anstehen, meine Meinung nach Zürich zu schreiben. Dasselbe werden auch die anderen hier tun, sobald sie den Artikel zu Gesicht bekommen haben, wofür ich sorgen werde. Indem ich mich also gegen diese Arbeit und ihre gänzlich 1
Brief Nr. 19.
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zwecklose Veröffentlichung aussprechen muss — denn einmal angenommen, dass all die schönen Lehren, womit man die Partei traktiert, richtig wären, sie könnten nicht einmal verwirklicht werden, da es eine arge Utopisterei ist, zu glauben, die Partei käme anders, als nachdem der grosse Auskehrtag vorüber ist, zu freier Tätigkeit —, möchte ich andrerseits vor einer Überschätzung des Einflusses der Verfasser in der Partei warnen. Ich glaube nicht zuviel zu sagen, dass in der Partei keine zwei Dutzend Leute sind, die diese Arbeit auch nur in der Hauptsache billigen, und hat niemand mehr Schaden davon als die Verfasser selbst. Eine ganz irrtümliche Meinung ist die Ihre über den Einfluss der Verfasser in der Partei; ich muss wiederholt und mit allem Nachdruck betonen, dass H[ö]chb[e]rg trotz der wirklich grossartigen Opfer, die er materiell der Partei geleistet, nie den geringsten Versuch gemacht hat, dafür auch entsprechenden Einfluss zu erlangen. Er hat, soviel ich weiss, nie eine Bedingung gestellt, dass dies oder jenes Blatt so oder so redigiert werden müsse, dass dieser oder jener Redakteur weggehen und ein anderer hinkommen müsse. Sooft er um Hilfe von irgendeiner Seite angegangen wurde, und das ist sehr oft geschehen, und er hat ein bedeutendes Vermögen bereits verloren, hat er sich stets entweder an Geib oder an mich, in der Regel an uns beide und noch an andere mit der Frage gewandt: ob er Hilfe gewähren solle, ob das Unternehmen oder die Personen es verdienten, und unser Wort war für ihn bindend. Dieser höchst seltenen Uneigennützigkeit wegen habe ich ihm seine mancherlei Fehler nachgesehen.2 Wenn er in der Zuk[unft] durch seine redaktionelle Tätigkeit einen gewissen Einfluss erlangte, so geschah es, weil tatsächlich Mangel an passenden Kräften vorhanden war.3 Überdies wäre es grobe Selbsttäuschung, wenn wir behaupten wollten, dass eine volle prinzipielle Klarheit in vielen Köpfen in der Partei schon vorhanden gewesen wäre. Das mag ein Fehler und zu bedauern sein, es ist aber nicht zu ändern; es liegt in der Kürze ihres Bestehens und in dem Umstände, dass Tausende sich ihr zunächst aus den verschiedensten Gründen und ohne klare Erkenntnis anschlössen, die dann erst nach und nach in der Partei die nötige Schulung erhielten.
S. Brief Nr. 16, Anm. 2. Mitarbeiter der Zeitschrift waren u.a. L. Bertrand, L. Büchner, J. Guesde, A. Limanowski, B. Malon, J. Most, A. Mülberger, C. de Paepe, C. A. Schramm. Von Bebel erschienen darin: „Der Socialismus und das Landvolk. Antwort an Mülberger", S. 352-60; „Das Reichs-Gesundheitsamt und sein Programm vom socialistischen Standpunkt beleuchtet", S. 369-83; „Der Gewerbebetrieb durch den Staat und die Commune", S. 465-74; „Zur Wahlreform-Frage", S. 507-11. 2
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Um nun noch einmal auf die berührten Personalien zurückzukommen, bemerke ich folgendes: Hirsch brauchte sich gerade so wenig an etwaigen brieflichen Ungenauigkeiten der Züricher zu stossen, wie Vollmar das getan hat. V[ollmar] hat seinen Standpunkt brieflich nach Z[ürich] klargelegt, hier hat er sich seine Instruktionen geholt, und als er nach Zürich kam, ging die Sache glatt und ohne Anstand. Heute beschwert er sich über zu wenig Aufsicht, wenigstens soweit es die Geschäftsleitung anlangt, redaktionell ist ihm noch niemand zu nahe gekommen. Sie sind sehr irre, wenn Sie glauben, dass erst H[öchberg] uns zu einem unabhängigen Blatt verholfen hätte. Sie haben da uns gründlich unterschätzt und ebensosehr die Zür[icher] überschätzt. Wenn nun Hirsch so sehr Gewicht auf die zufriedenstellende Antwort bez. seiner Anfrage wegen der „Fundierung" legt und Sie dies gleichfalls tun und ihm darin vollkommen recht geben, so verstehe ich dieses nicht. Die Partei hat bisher nie an ihre Unternehmungen den Massstab strenger Geschäftsmässigkeit gelegt; denn dann wären die meisten Blätter nicht entstanden. Wir haben seinerzeit das Demokr[atische] Wochenblatt, aus dem der Volksst[aat] und dann der Vorw[ärts] hervorgingen, ohne einen Pfennig Geld gegründet,4 und genau so ist es mit einem Dutzend anderer Zeitungsunternehmungen gegangen. Diese Frage hat uns, ehrlich gestanden, auch diesmal sehr wenig Kopfschmerzen gemacht, weil wir alle der Überzeugung waren und sind, das Blatt wird sich in Kürze nicht nur decken, sondern auch einen Überschuss abwerfen, um die Gründungskosten zu decken. Worauf wir rechneten, war, dass H[ö]chb[erg] allenfalls sich herbeilassen werde, die nötige Vorlage für die Gründung und Einführung zu machen, soweit wir sie nicht aufzubringen vermöchten. Hätte Hirsch sich an mich gewandt, so hätte ich ihm nicht anders antworten können, als ich Ihnen hier schreibe. Es scheint mir aber, dass Hirsch ohne garantierte Tausende Zuschuss kein Vertrauen in das Unternehmen hatte, und weil ihm dieses fehlte, Gespenster sah, wo keine waren. Es fällt mir gar nicht ein, mich weiter über diese Punkte auszuDie Herausgabe des Demokratischen Wochenblattes wurde 1868 mit einem Gründungsfonds von 1000 Talem begonnen. Es wurden Aktien von Vi, 1 und 5 Talern ausgegeben, die von Bebel und Liebknecht gezeichnet waren. Der Volksstaat legte 1870 eine Anleihe von 1000 Talern in Stücken von einem Taler auf. Und als 1882 Der Sozialdemokrat ein selbständiges Unternehmen wurde dadurch, dass er die Schweizerische Vereins- und Volksbuchhandlung übernahm, wurde das Betriebskapital durch unverzinsliche Darlehnsscheine von fünf Franken aufgebracht.
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lassen. Die Sache ist abgetan, das Unternehmen lebt und wird so leben bleiben, dass es auch Ihren und M[arx] Beifall findet. Wenn wir im Ton des Blattes uns eine gewisse Reserve auflegen, so geschieht es, damit bei den gar nicht ausbleibenden Prozessen, die wegen Verbreitung erfolgen, die Gerichte die Angeklagten nicht noch auf schwere Vergehen in bezug auf den Inhalt anklagen können. Wir können diese Verurteilungen, die uns schwere Geldopfer auferlegen, jetzt absolut nicht brauchen. Es hält sehr schwer, die nötigen Geldmittel für die Menge der Ausgewiesenen und deren Familien und sonstiger durch das Sozialistengesetz ausser Brot gekommenen Genossen aufzubringen; jeder neue Anspruch an unseren Beutel ist uns höchst unwillkommen.5 Wäre die Krise nicht, dann würden wir lachen, aber diese drückt von Woche zu Woche furchtbarer. Auf unseren besten Bezirken lastet sie am schwersten. Das sind Umstände, denen wir Rechnung tragen müssen, wir mögen wollen oder nicht.... Noch einige Worte über den Fall Kayser. Ich sage Ihnen geradeheraus, dass ich über die Art und Weise, wie H[irsch] Kfayser] angriff, empört war, sowenig ich selbst mit K[ayser]s Haltung einverstanden bin. In dieser Weise traktiert man Parteigenossen nicht.6 Der Angriff strotzte von persönlicher Gehässigkeit; man sah es dem Schreiber an, dass er die Gelegenheit mit Freuden ergriff, K[ayser] etwas am Zeuge zu flicken. Wie die Partei über Schutzzoll und Freihandel denkt, hat ihre Resolution auf dem Kongress zu Gotha (1877), dem Hirsch beiwohnte, bewiesen.7 Die dort angenommene Resolution, der C[arl] Hirsch und Most zustimmten, war die Richtschnur unseres Handelns. Ob durch einen Schutzzoll Bismarck eine Reihe von Millionen erhielt oder nicht, war für uns gänzlich indifferent, wenn wir zu der Ansicht gekommen wären, dass ein Schutzzoll unter den gegebenen Verhältnissen für die Industrie notwendig gewesen wäre. In dieser Ansicht waren wir geteilt, und zwar in mehr als in einem Fall, und in dieser Frage waren nicht nur wir Abgeordnete geteilt, sondern auch die Partei überhaupt. So war z.B. Auer wütender Schutz' Über die Schwierigkeit, Mittel zur Unterstützung der Ausgewiesenen zu bekommen, s. A. m. L., III, S. 26f. Dort auch Bebels Rundschreiben an alle „geeignet erscheinenden Persönlichkeiten". 6 Es dürfte vor allem der Ton der Kritik Hirschs gewesen sein, der Anstoss erregte. So hiess es in der Laterne, S. 673f.: „Übrigens bemerkt man mit Verwunderung, dass sich Herr Kaiser seit einiger Zeit ein Ypsilon beigelegt hat und seinen Namen ,Kayser' schreibt. Solange er ein ehrsamer Handlungsdiener war, schrieb er sich mit einem einfachen, bescheidenen i. . . . Als ob man nicht wüsste, dass seine Wiege in der Fechtstube stand, wo sie den Stoff zu einer bekannten Redensart geliefert haben mag." S. 674 wurde Kayser „dieses Früchtchen" und „der Breslauer Hanswurst" genannt. 1 S. darüber den folgenden Brief.
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Zöllner, während Geib und Bios ebenso wütende Freihändler waren. Höchberg war für unbedingten Freihandel, Bernstein bedingt für Schutzzoll usw. Was uns im Reichstag blamierte, waren nicht unsere Abstimmungen, sondern die mangelhafte Vertretung durch das Wort. Kaysers unglückliches Debüt in der Eisenzollfrage konnte niemand mehr ärgern als uns, und es hat ihm an Vorwürfen nicht gefehlt. Vahlteich, der die Generalrede halten sollte, kam in der ersten Generaldebatte nicht zum Wort, und als er bei der dritten Lesung zum Wort kam, war er so unglücklich disponiert, dass wir froh sein mussten, dass er keinen Schnitzer gemacht. Das war Pech, und ich war davon nicht erbaut. Was sonst noch unsere diesmalige Vertretung so matt erscheinen liess, war — abgesehen von verschiedenen Wortabschneidungen, mit denen ich allein in der Getreidezollfrage zweimal bedacht wurde — die lange Dauer der Session, die uns fast sämtlich nötigte, längere Zeit nach Hause zu gehen und häufig zu fehlen; dann der Mangel an Mitteln, die auf diese Dauer nicht eingerichtet waren. Sie im Ausland haben gar keinen Begriff von den Schwierigkeiten, mit denen fast jeder einzelne von uns zu kämpfen hat. Ich würde es für kein Unglück ansehen, wenn ich mal durch einen Durchfall bei einer Wahl auf einige Jahre erlöst würde. Auf die Befürchtungen, die Sie betreffs der Haltung des neuen Organs aussprechen, will ich nicht weiter eingehen. Das Blatt ist da, und Sie mögen urteilen. Genügt es Ihnen und M[arx] nach dieser oder jener Richtung nicht, nun, so helfen Sie es besser machen, indem Sie fleissig hineinschreiben. Morgen sende ich das Aktenstück von Ihnen an Br[acke] — der übrigens infolge seiner Krankheit fast von nichts weiss —, und von dort soll es nach Zfürich] gehen. Freundschaftliche Grüsse an Sie und M[arx] von Ihrem A . BEBEL.
1 9 . F R I T Z S C H E UND L I E B K N E C H T AN E N G E L S
Leipzig, den 21. Oktober 1879.
Original. Geehrter Herr!
In Beantwortung Ihrer wertgeschätzten Zuschrift geben wir zunächst unserm Bedauern darüber Ausdruck, dass mehrseitige und verschiedenartige Missverständnisse Sie zu der Annahme führen konnten, die 67
deutsche Sozialdemokratie wolle sich ihres ausgesprochenen proletarischen Charakters entkleiden. Wir glaubten uns stets versichert halten zu dürfen, unsere Gesinnung gerade in diesem Punkte könne nicht missdeutet werden. Das Unangenehmste, was uns treffen konnte, ist darum, dass gerade Sie in dieser Beziehung Zweifel hegen. Damit Sie jedoch nicht länger über uns im unklaren sein mögen, wollen wir Ihnen den Sachverhalt (betr. den Züricher Sozialdemokrat p.p.) vollständig klarlegen. Während der letzten Reichstagssession wurde von den sozialdemokratischen Abgeordneten die Gründung einer im Auslande erscheinenden Zeitung beschlossen. Die Gründe, welche zu diesem Beschlüsse führten, lagen nicht etwa nur darin, dass wir in Deutschland unter dem Sozialistengesetz nicht frei und offen Farbe bekennen dürfen, die Freiheit in London und die Laterne hätten zum grösseren Teile diesem Übel Abhilfe geschafft; der zwingendste Grund war uns folgender. Die Angriffe Mösts in seiner Freiheit und des Genossen Carl Hirsch in seiner Laterne hatten uns gezeigt, dass Personen, welche ausserhalb eines bestimmten Wirkungskreises stehen, nicht in allen Fällen ein richtiges Urteil über das haben können, was innerhalb desselben notwendig geschehen muss, ja dass sie nicht einmal immer das Geschehene richtig zu beurteilen vermögen, selbst wenn sie vollständig objektiv sein wollen. Dazu kam die gewiss zutreffende Voraussicht, dass wir 1 keinerlei Einfluss auf die Haltung der genannten Zeitungen hatten, durch den wir sie hätten veranlassen können, diejenige Taktik zu beobachten, die wir, die doch mitten im Kampfe stehen, für notwendig erachten. Den von den Abgeordneten gefassten Beschluss zur Ausführung zu bringen, wurden die drei Unterzeichneten2 gewählt. Weiter wurde beschlossen, dass diese drei auch als Redaktionskommission für das Organ fungieren sollen, welche die prinzipielle und taktische Haltung desselben zu überwachen habe. Niemandem ist eingefallen, eine Zensurbehörde einzusetzen! Nachdem man sich dahin entschieden, das Blatt in Zürich erscheinen zu lassen, beschloss man, dass dortselbst eine Verwaltungskommission eingesetzt werden solle, die von den dasigen Mitgliedern der Partei zu wählen sei. Schliesslich einigte man sich noch dahin, in erster Linie auf Carl Hirsch, in zweiter dagegen auf Vollmar für die Redaktion des Blattes zu reflektieren. Die Züricher hatten, zumeist wohl weil ihnen die Sache mündlich Im Original: uns. Der Vorstand der Reichstagsfraktion. Bebel unterzeichnete den Brief nicht, sondern sandte den Brief Nr. 18 als Begleitschreiben. 1 2
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von Personen mitgeteilt worden war, die selbst nicht genau unterrichtet waren, die Stellung falsch aufgefasst, welche sie nach unserm Wunsche einnehmen sollten. Dieselben waren der Meinung, dass sie, weil sie am Orte der Herausgabe der Zeitung und des Sitzes der Redaktion seien, nun auch die redaktionelle Oberleitung des Blattes, wir aber die Finanzverwaltung desselben haben sollten. Abgesehen davon, dass es aus vielen (auch politischen) Gründen höchst verfehlt gewesen sein würde, wenn wir die Finanzverwaltung übernommen hätten, so wäre damit ja gerade das Gegenteil von dem geschehen, was wir beabsichtigt; es wäre dadurch die redaktionelle Direktive wieder in die Hände nur solcher Parteigenossen gekommen, die im Auslande leben, wir aber wären ohne jeden bestimmenden Einfluss auf das Organ geblieben. Nachdem die Züricher über das Unrichtige ihrer Auffassung aufgeklärt worden waren, sind sie denn auch, ohne irgend etwas gegen unsre Beschlüsse einzuwenden, denselben nachgekommen. Durch Übereinkommen ist später noch festgesetzt worden, dass das Organ nominell Eigentum der drei Unterzeichneten und der Genossen I. Auer in Hamburg und C. Grillenberger in Nürnberg sein solle. Tatsächlich ist also: 1. Die Redaktionskommission bilden: Bebel, Fritzsche, Liebknecht; 2. Eigentümer sind: Auer,3 Bebel, Fritzsche, Grillenberger4 und Liebknecht; 3. In der Verwaltungskommission ist: Bernstein. Die andern dazu gehörigen Mitglieder sind uns noch nicht namhaft gemacht. Was nun die Fundierung des Blattes betrifft, so sind allerdings bis jetzt noch wenig Beiträge flüssig zu machen gewesen, was bei den sich immer noch steigernden sonstigen Ansprüchen an den Geldbeutel der Parteigenossen nicht eben wunderbar sein kann. Die Erfahrungen aber, die wir gesammelt, lassen es uns als völlig sicher erscheinen, dass sich das Unternehmen in baldigster Zeit aus sich selber deckt. Der in dem von H[öchberg] herausgegebenen Jahrbuche enthaltene Artikel ist uns völlig unbekannt gewesen. Nach dem, was Sie uns 3 Ignaz Auer (1846-1907), Sattler, seit 1870 in der SDAP. tätig, seit 1874 bis zu seinem Tode Parteisekretär und Mitglied des Partei Vorstandes; Mitglied des Reichstages 1877-78, 1880-81, 1884-87, 1890-1907. E r schrieb u.a. Nach zehn Jahren. Material und Glossen zur Geschichte des Sozialistengesetzes, 2 Bde (London, German Cooperative Publishing Co., 1889-90). Über ihn E . Bernstein, Ignaz Auer. Eine Gedenkschrift (Berlin, 1907). 4 Karl Grillenberger (1848-97), Schlosser, 1874 Redakteur des Nürnberg-Fürther Sozialdemokrat, später Leiter der Fränkischen Tagespost, Nürnberg. Als hervorragendster Agitator der Sozialdemokratie in Nordbayern unterstützte er nachdrücklich Vollmars Politik. Den Wahlkreis Nürnberg vertrat er seit 1881 bis zu seinem Tode im Reichstag, seit 1893 auch im bayerischen Landtag.
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daraus mitgeteilt, können wir denselben keineswegs billigen. Er liefert uns aber gleichfalls den Beweis, dass das, was im Namen der deutschen Sozialdemokratie im Auslande veröffentlicht werden soll, nur unter der Leitung und Beaufsichtigung von in Deutschland lebenden Parteigenossen stehen darf. Sollten Sie Gelegenheit nehmen wollen, dem unsern Ansichten widersprechenden Inhalt des fraglichen Artikels entgegenzutreten, so würde Ihnen selbstverständlich der Sozialdemokrat unbeschränkt offenstehen. Wir kommen nun zu dem Falle Kayser. Auf dem Kongress zu Gotha, dem sowohl J. Most als auch C. Hirsch beiwohnten, wurde auf Antrag einer Kommission, deren Referent Most war, und unter ausdrücklicher Billigung des C. Hirsch, in Form einer Resolution der Beschluss gefasst: „Die Frage, ob Schutzzoll oder Freihandel, ist für die Sozialdemokratie keine Prinzipienfrage; der Kongress überlässt es darum den Parteimitgliedern, je nach ihrer subjektiven Anschauung Stellung zu dieser Frage zu nehmen." 5 Mag man nun von diesem Beschluss halten, was man will, so ist er doch vorläufig noch für uns in Geltung. Kayser handelte in Gemässheit dieses Beschlusses, und C. Hirsch musste das wissen. Auch wäre es wohl mehr im Interesse der Partei gewesen, wenn Hirsch, falls er sich dennoch des Beschlusses, an dem er selbst teilgenommen, nicht mehr entsinnen 6 konnte, bei den deutschen Abgeordneten anzufragen, wie es komme, dass Kayser eine solch exzeptionelle Stellung in der Zollfrage einnehme, als auf Kayser loszuhauen, ohne ihn gehört zu haben. Geradezu eine Beleidigung ist es aber, Kayser vorzuwerfen, er habe Bismarck Geld bewilligt. K[ayser] hat erstlich ausdrücklich in seiner verunglückten Rede gesagt, dass er nicht im Namen der Partei resp. Fraktion spreche, sondern nur seiner persönlichen Anschauung Ausdruck gebe. Eine vernünftige Erklärung folgen zu lassen, war ihm dadurch, dass ihm das Wort abgeschnitten, nicht möglich, und bei der Schlussabstimmung hat er, wie auch wir, gegen das ganze Gesetz gestimmt. Hoffentlich ist hiermit diese Sache endlich abgetan. Mit bestem Gruss W.
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LIEBKNECHT.
F. W .
FRITZSCHE.
Der Beschluss wurde auf dem Gothaer Kongress 1876 gefasst, Protokoll, S. 89, und vom Gothaer Kongress 1877 bestätigt, Protokoll, S. 33f. Kayser hatte sich schon in dieser Debatte als Vertreter des Schutzzolles gezeigt und bemerkt, „dass es keinen günstigen Eindruck mache, in einer wirtschaftlichen Frage unsere Abgeordneten in dreierlei Form abstimmen zu sehen". 6 Im Original: entsann.
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2 0 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 14. November 1879.
Konzept. Lieber Bebel!
Besten Dank für Ihre Mitteilungen sowie die von F[ritzsche] und L[iebknecht], die uns endlich gestatten, den Sachverhalt klar zu überschauen. Dass aber die Sache von vornherein keineswegs so einfach lag, beweisen die früheren Leipziger Briefe, sowie die Irrungen und Wirrungen mit Hirsch überhaupt. Letztere waren unmöglich, wenn die Leipziger dem Anspruch der Züricher auf Zensur von vornherein einen Riegel vorschoben. Tat man das und machte Hirsch davon Mitteilung, so war alles in Ordnung.1 Da dies aber nicht geschah, so kann ich bei nochmaliger Vergleichung des Geschehenen und des Unterlassenen, der jetzigen Mitteilungen und der früheren Briefe aller Beteiligten, nur zu dem Schluss kommen, dass H[öch]b[er]g nicht so unrecht hatte, als er mir sagte, die Züricher Zensur sei nur wegen Hirsch eingesetzt gewesen, gegenüber V[ollmar] sei sie überfüssig.2 Was die Fundierung betrifft, so wunderts mich nicht sehr, dass Sie die Sache so leicht nehmen. Sie probieren das Ding eben zum ersten Mal. Hirsch aber hatte gerade an der Laterne die Erfahrung praktisch gemacht, und wir, die wir dergleichen schon öfters gesehen und auch selbst durchgemacht, können ihm nur recht geben, wenn er diesen Punkt ernstlich erwogen sehen wollte. Die Fr[ei]h[ei]t schliesst trotz aller Zuschüsse ihr drittes Quartal mit einem Defizit von 100 Pfund [Sterling] = zweitausend Mark ab. Ich habe noch nie ein im Inland verbotenes deutsches Blatt gekannt, das sich ohne bedeutende Zuschüsse gehalten hätte. Lassen Sie sich nicht durch die ersten Erfolge blenden. Die eigentlichen Schwierigkeiten des Schmuggels zeigen sich erst mit der Zeit und steigen unaufhörlich. Ihre Äusserungen über die Haltung der Abgeordneten und der Parteiführer überhaupt in der Schutzzollfrage bestätigen jedes Wort In Engels' Konzept hier gestrichen: Warum wurde denn dieser so laut und dringend von ihnen erhobne Anspruch nicht sofort von Leipzig aus gelegt? Um Hirsch zu veranlassen nach Zürich zu gehn, brauchte es nur zweierlei: 1. die Mitteilung des wahren Sachverhalts, wie sie uns jetzt geworden, 2. die Anzeige: wir, die Leipziger, haben den Zürichern geschrieben, dass sie sich in die Redaktion amtlich nicht zu mischen haben, und wenn sie es doch tun, so kümmerst Du Dich nicht darum, Du bist uns und nur uns Rechenschaft verantwortlich. 2 E. Bernstein formulierte die Briefe an Hirsch „immer so, dass sie ihm die Ablehnung der Redaktion leicht machen sollten", während Höchberg sie so verbindlich wie möglich abgefasst wissen wollte. Lehrjahre, S. 89f. S. Briefe Nr. 21, 22. 1
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meines Briefes. Schlimm genug wars schon, dass die Partei, die sich rühmt, den Bourgeois ökonomisch so überlegen zu sein, bei dieser ersten ökonomischen Probe ebenso gespalten war, ebensowenig Bescheid wusste wie die Nationalliberalen, die doch wenigstens für ihren kläglichen Zusammenbruch die Entschuldigung hatten, dass hier wirkliche Bourgeoisinteressen in Konflikt kamen. Noch schlimmer, dass man diese Spaltung sichtbar werden liess, dass man unsicher und schwankend auftrat. War einmal keine Einigung zu erzielen, dann war nur ein Weg: Die Frage für eine reine Bourgeoisfrage zu erklären, was sie ja auch ist, und nicht mitzustimmen.3 Am schlimmsten war, dass man Kayser erlaubte, seine Jammerreden zu halten und in erster Lesung für das Gesetz zu stimmen. Erst nach dieser Abstimmung hat Hirsch ihn angegriffen, und wenn K[ayser] dann in dritter Lesung gegen das Gesetz stimmt, so macht das die Sache für ihn nicht besser, sondern eher schlimmer. Der Kongressbeschluss4 ist keine Entschuldiging. Wenn die Partei sich heute noch an alle alten, in gemütlicher Friedenszeit gefassten Kongressbeschlüsse binden will, so legt sie sich selbst in Fesseln. Der Rechtsboden, auf dem eine lebende Partei sich bewegt, muss nicht nur selbstgeschaffen, er muss auch jederzeit abänderbar sein. Indem das Soz[ialisten]-Gesetz alle Kongresse und damit die Abänderung der alten Kongressbeschlüsse unmöglich macht, vernichtet es auch die bindende Kraft jener Beschlüsse. Eine Partei, der man die Möglichkeit abschneidet, bindende Beschlüsse zu fassen, hat ihre Gesetze nur in ihren lebendigen, stets wechselnden Bedürfnissen zu suchen. Will sie diese Bedürfnisse aber früheren Beschlüssen unterordnen, die jetzt starr und tot sind, so gräbt sie ihr eigenes Grab. Dies das Formelle. Der Inhalt jenes Beschlusses aber macht ihn erst recht hinfällig. Erstens steht er im Widerspruch mit dem Programm, indem er die Bewilligung von indirekten Steuern zulässt.5 Zweitens im Widerspruch mit der unabweisbaren Parteitaktik, indem er die Bewilligung von Steuern an den heutigen Staat erlaubt. Drittens aber besagt er, in klares Deutsch übersetzt, folgendes: Der Kongress bekennt, über die Schutzzollfrage nicht hinlänglich unterrichtet zu sein, um einen entscheidenden Beschluss für oder wider In Engels' Konzept hier gestrichen: sich auf den Programmpunkt zu berufen, der alle indirekten Steuern verwirft und auf die Taktik, die alle Steuerbewilligung an diese Regierung verbietet und sich der Abstimmung zu enthalten zur einzigen Richtschnur zu nehmen. 4 S. Brief Nr. 19, Anm. 5. 5 Das Gothaer Programm von 1875 forderte „innerhalb der heutigen Gesellschaft" als Punkt 2: „Eine einzige progressive Einkommensteuer für Staat und Gemeinde, anstatt aller bestehenden, insbesondere der das Volk belastenden indirekten Steuern." Protokoll, S. 55. 3
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fassen zu können. Er erklärt sich also in dieser Frage für inkompetent, indem er des lieben Publikums halber sich darauf beschränkt, einige teils nichtssagende, teils einander oder dem Parteiprogramm widersprechende Gemeinplätze aufzustellen, und ist damit froh, die Sache los zu sein. Und diese Inkompetenzerklärung, mit der man in Friedenszeiten die damals rein akademische Frage auf die lange Bank schob, soll nun in den jetzigen Kriegszeiten, wo die Frage brennend geworden ist, solange für die ganze Partei bindend sein, bis sie durch einen neuen, jetzt unmöglich gemachten Beschluss rechtsgültig aufgehoben ist? Soviel ist sicher: Was auch der Eindruck der H[irsch] sehen Angriffe gegen K[ayser] bei den Abgeordneten] gewesen, diese Angriffe spiegeln den Eindruck wider, den das unverantwortliche Auftreten Kaysers bei den deutschen wie nichtdeutschen Sozial-demfokraten] des Auslands gemacht hat. Und man sollte doch endlich einsehen, dass man nicht nur innerhalb der eigenen vier Pfähle, sondern auch vor Europa und Amerika die Reputation der Partei aufrechtzuhalten hat. Und dies führt mich auf den Rechenschaftsbericht.6 So gut der Anfang, so geschickt unter den Umständen die Behandlung der Schutzzolldebatte, so unangenehme Konzessionen an den deutschen Philister sind im dritten Teil enthalten. Wozu die ganz überflüssige Stelle über den „Bürgerkrieg",7 wozu das Hutabnehmen vor der „öffentlichen] Meinung",8 die in Deutschland stets die des BierDer von Bebel verfasste und von den Fraktionsmitgliedern unterzeichnete „Rechenschaftsbericht der sozialdemokratischen Mitglieder des deutschen Reichstages" erschien in Nr. 2, 3, 4 des Sozialdemokrat vom 12., 19. und 26. Oktober und danach als Broschüre in Zürich (Verlag von A. Herter, Industriehalle, Riesbach, 1879). 7 „Gesetzt den Fall, wir hätten uns für diejenige Taktik entschieden, zu der von gewisser Seite geraten, von gewisser entgegengesetzter Seite herausgefordert worden ist: wir schlugen los, bauten Barrikaden in Berlin, proklamierten die Republik in Sachsen, pflanzten in Hamburg, Breslau — kurz überall, wo wir in genügender Stärke vertreten sind, das Banner der Revolution auf. . . Was wäre geschehen? Wir hätten uns möglicherweise, d.i. wenn die Regierungen sich hier und da hätten überraschen lassen, an einigen Punkten ein paar Wochen lang gehalten, und dann war der letzte Insurgent im Gefängnis, auf der Flucht oder erschossen, unsere Anhänger waren auf Jahrzehnte niedergeschmettert, unsere Feinde im Besitz einer unumschränkten Macht, und die unentschiedene Masse, welche uns weder Freund noch Feind ist, bei ruhiger, d.h. durch uns nicht gewaltsam gestörter, Entwicklung sich aber zu uns schlagen und uns den Sieg bringen wird, schlug sich auf die Seite unserer Feinde und half uns erdrücken . . . " Sozialdemokrat, Nr. 4, 26. Okt.; Brochüre, S. 27. 8 „Der Umschwung der öffentlichen Meinung zu unsern Gunsten ist unstreitig der wichtigste Erfolg, den wir unserer Taktik verdanken. Unter öffentlicher Meinung verstehen wir hier nicht die Meinung beschränkter Kreise, die für mass6
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philisters sein wird; wozu hier die vollständige Verwischung des Klassencharakters der Bewegung? Wozu den Anarchisten diese Freude machen? Und dazu sind alle diese Konzessionen total nutzlos. Der deutsche Philister ist die inkorporierte Feigheit, er respektiert nur den, der ihm Furcht 9 einflösst. Wer sich aber liebes Kind bei ihm machen will, den hält er für seinesgleichen und respektiert ihn nicht mehr als seinesgleichen, nämlich gar nicht. Und jetzt, nachdem der Sturm der Bierphilisterentrüstung, genannt öffentliche Meinung, sich zugegebenermassen wieder gelegt hat, wo der Steuerdruck die Leute ohnehin wieder mürbe gemacht, wozu da noch diese Süssholzraspelei? Wenn Sie wüssten, wie das im Ausland sich anhört! Es ist ganz gut, dass ein Parteiorgan von Leuten redigiert werden muss, die mitten in der Partei und im Kampf stehen. Aber wären Sie nur sechs Monate im Ausland, so würden Sie über diese ganz unnötige Selbsterniedrigung der Parteiabgeordneten vor dem Philister ganz anders denken. Der Sturm, der nach der Kommune über die französischen] Sozialisten hereinbrach, war doch noch ganz was anderes als das Nobilinggezeter10 in Deutschland. Und wie viel stolzer und selbstbewusster haben sich die Franzosen benommen! Wo finden Sie da solche Schwächen, solche Komplimente für den Gegner? Sie schwiegen, wo sie nicht frei [her] aus reden konnten; sie liessen den Spiessbürger sich ausheulen, sie wussten, ihre Zeit werde schon wiederkommen, und jetzt ist sie da. Was Sie über H[öch]b[er]g sagen, will ich gern glauben. Ich habe ja gegen seinen Privatcharakter absolut gar nichts. Ich glaube auch, dass er sich erst durch die Sozialistenhetze darüber klargeworden ist, gebend gelten. Wir verstehen darunter das Denken und Fühlen der Volksmassen im weitesten Sinn des Wortes — der ungeheuren Majorität des Volkes. Dieses Denken und Fühlen, welches ja künstlich — wie nach den Attentaten — in bestimmte Bahnen gelenkt werden kann, ist auf politischem Gebiet ein unentbehrlicher Faktor für jede politische Tätigkeit. Wer diesen Faktor gegen sich hat, ist von vornherein gelähmt, aktionsunfähig. Das sahen wir in den Attentatswochen des vorigen Jahres. Damals hatte die Partei die Feuerprobe zu bestehen. Wenn sie je hätte in Gefahr sein können, wäre sie es damals gewesen. Die schlimmsten Verfolgungen der Behörden sind nichts, verglichen mit jenem Wirbelsturm des Hasses und Schreckens aus dem Volke heraus. Es war eine Existenzfrage für uns, dass dieser Schrecken beschwichtigt und dieser Hass in Sympathie verwandelt wurde. Gelang es, so hatten wir gewonnen. Das war das Hauptmotiv, welches unsere Partei zu ihrer gegenwärtigen Taktik bestimmte." Sozialdemokrat, Nr. 4, 26. Okt.; Broschüre, S. 30. 8 In Engels' Konzept hier gestrichen: Bismarck behandelt ihn, wie er verdient, nämlich mit Fusstritten, und deshalb vergöttert er den Bismarck. 10 Das von Nobiling auf Wilhelm I. verübte Attentat entfesselte eine Hetze gegen die Sozialdemokratie und wurde von Bismarck als Anlass zur Einbringung des Sozialistengesetzes benutzt.
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was er im Grunde seines Herzens will. Dass das bürgerlich ist, was er will, und nicht proletarisch, habe ich ihm — wahrscheinlich vergebens — klarzumachen gesucht. Aber nachdem er sich einmal ein Programm gebildet, müsste ich ihm mehr als deutsche Philisterschwäche zutrauen, wenn ich annähme, dass er es nicht auch zur Anerkennung zu bringen suchte. H[öch]b[er]g vor und H[öch]b[er]g nach jenem Artikel sind eben zwei verschiedene Leute.11 Nun aber finde ich in Nr. 5 des Soz[ial]-Dem[okrat] eine Korrespondenz] von der Niederelbe,12 worin Auer meinen Brief zum Vorwand nimmt, um mich — zwar ohne Namen, aber hinreichend bezeichnet — anzuklagen, „Misstrauen gegen die bewährtesten Genossen zu säen", also sie zu verleumden (denn sonst wäre ich ja berechtigt dazu).13 Damit nicht zufrieden, lügt er mir ebenso alberne wie infame Dinge an, die in meinem Brief gar nicht stehen. Wie es scheint, bildet Auer sich ein, ich wolle von der Partei irgend etwas. Sie wissen aber, dass nicht ich von der Partei, sondern im Gegenteil die Partei von mir etwas will. Sie und Lfiebknecht] wissen: Das einzige, was ich von der Partei überhaupt verlangt habe, ist, dass sie mich in Ruhe lässt, damit ich meine theoretischen Arbeiten abschliessen kann. Sie wissen, dass ich zeit sechzehn Jahren dennoch immer und immer wieder angegangen worden bin, in den Parteiorganen zu schreiben; dass ich dies auch getan, ganze Reihen von Artikeln, ganze Broschüren auf ausdrückliche Bestellung L[iebknecht]s geschrieben habe — so die „Wohnungsfrage" und den „Anti-Dühring". Was ich dafür von der Partei für Liebenswürdigkeiten besehen — z.B. die angenehmen KonIn Engels' Konzept hier gestrichen: wenigstens für die Partei. In der „N. Von der Niederelbe, 23. Okt." datierten Korrespondenz gab Auer eine Übersicht über den Stand der Partei im Nordwesten Deutschlands. Über die innerparteilichen Verhältnisse schrieb er u.a.: „. . . Es soll hier nicht von den teilweise abgeschmackten Revolutionsphrasen geredet werden, mit denen man uns zur „Aktion" auffordert, sondern es soll nur gegen die irrige, gerade durch deutsche Parteifreunde im Ausland vertretene Ansicht protestiert werden, als ob seit Erlass des Sozialistengesetzes die in Deutschland gebliebenen Genossen mattherzig die Hände in den Schoss gelegt hätten . . . " Das Verhalten bei den Wahlen, die Tätigkeit und Opferwilligkeit der Parteimitglieder sollte „diejenigen, welche vom Ausland aus unserer Sache nicht besser dienen zu können glauben, als indem sie ohne Kenntnis der Sache unausgesetzt — nicht kritisieren, sondern nörgeln und gegen die bewährtesten Genossen Misstrauen säen, — zu etwas grösserer Vorsicht mahnen.... Wenn sie aber wirklich der Überzeugung sind, dass das, was in Deutschland geschieht, nur zur ,Verflachung' der Partei führt, dann mögen sie zu uns kommen und zeigen, dass sie es besser können..." Sozialdemokrat, Nr. 5, 2. November. 13 In Engels' Konzept hier gestrichen: Ich denke nicht daran, auf den ebenso albernen wie infamen und provozierten Angriff Auers einzugehen. Ich muss aber doch bemerken, dass Auer sich vorzustellen scheint. 11
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gressverhandlungen wegen des „Dühring" 14 —, darauf will ich nicht näher eingehen. Sie wissen ebenfalls, dass M[arx] und ich die Verteidigung der Partei gegen auswärtige Gegner freiwillig geführt haben, solange die Partei besteht, und dass wir dafür nur das eine von der Partei verlangt haben, dass sie sich nicht selbst untreu werden soll. Wenn aber die Partei von mir verlangt, ich soll an ihrem neuen Organ mitarbeiten, so ist selbstredend, dass sie zum mindesten dafür sorgt, dass ich nicht noch während schwebender Verhandlung und noch dazu von einem der nominellen] Miteigentümer, in diesem selben Organ als Verleumder verleumdet werde. Ich kenne keinen literarischen oder sonstigen Ehrenkodex, mit dem das verträglich wäre; ich glaube, selbst ein Reptil liesse sich das nicht bieten. Ich muss also die Anfrage stellen: 1. welche Satisfaktion können Sie mir anbieten für diesen unprovozierten und gemeinen Insult; 2. welche Garantie haben Sie mir zu bieten, dass sich dergleichen nicht wiederholt? Übrigens will ich zu den Auerschen Unterschiebungen nur noch bemerken, dass wir hier weder die Schwierigkeiten unterschätzen, mit denen die Partei in Deutschland zu kämpfen hat, noch die Bedeutung der trotzdem errungenen Erfolge und die bisher ganz musterhafte Haltung der Parteimassen. Es ist ja selbstredend, dass jeder in Deutschland erfochtene Sieg uns ebensosehr freut wie ein anderswo erfochtener, und noch mehr, weil ja die deutsche Partei von Anfang an in Anlehnung an unsere theoretischen Aufstellungen sich entwickelt hat. Aber eben deswegen muss uns auch besonders daran liegen, dass die praktische Haltung der deutschen Partei und namentlich die öffentlichen Äusserungen der Parteileitung auch mit der allgemeinen Theorie im Einklang bleiben. Unsere Kritik ist gewiss für manchen nicht angenehm; aber mehr als alle unkritischen Komplimente muss es doch für die Partei von Vorteil sein, wenn sie im Ausland ein paar Leute hat, die, unbeeinflusst von den verwirrenden Lokalverhältnissen und Einzelheiten des Kampfes, von Zeit zu Zeit das Geschehene und Gesagte an den für alle moderne proletarische Bewegung geltenden theoretischen Sätzen messen, und ihr den Ein-
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Auf dem Parteikongress in Gotha 1877 hatte Most beantragt, Engels' Artikel gegen Dühring im Vorwärts nicht mehr zu veröffentlichen, da sie für die Mehrheit der Leser ohne Interesse seien. Auf Bebels Antrag wurde beschlossen, die Aufsätze nicht mehr im Hauptblatt, sondern in der Beilage des Vorwärts bzw. in der geplanten wissenschaftlichen Revue erscheinen zu lassen. Protokoll, S. 70ff.
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druck widerspiegeln, den ihr Auftreten ausserhalb Deutschlands macht. Freundschaftlichst der Ihrige F.
21. B E B E L AN
ENGELS.
ENGELS
Leipzig, den 18. November 1879.
Original. Lieber Engels!
Ich schreibe deshalb so rasch auf Ihren Brief, obgleich ich mit Arbeit überhäuft bin, weil ich möglichst bald ein arges Missverständnis Ihrerseits aufklären möchte. Sie betrachten die Korrespondenz in Nr. 5 vom 23. Okt[ober] als gegen Sie gerichtet. Das ist ein Irrtum. An jenem Tage hatte Auer, wie ich Ihnen bestimmt versichern kann, das Schreiben1 noch gar nicht in Händen. Er hat es erst unmittelbar nach jener Zeit bekommen. A[uer] hat offenbar, und anders habe ich die Korrespondenz beim ersten Anblick gar nicht aufgefasst, Hans M[ost] damit gemeint und niemand sonst. Ich würde diesen Glauben selbst dann haben, wenn er Ihren Brief damals schon gehabt hätte, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil von einem „Misstrauensäen gegen bewährte Genossen" bei dem kleinen Kreis der Leser des Briefes unmöglich die Rede sein konnte. A[uer] hätte sehr naiv sein müssen, wenn er solche Auseinandersetzungen, die jedenfalls als durchaus loyal auch von ihm aufgefasst wurden — denn sie waren ja an alle Beteiligten gerichtet — zum Gegenstand einer Korrespondenz machte. Ich hoffe, dass diese Auseinandersetzung Sie überzeugt, dass Ihre Auffassung eine unrichtige ist, und dass damit auch all die Folgerungen hinfällig sind, welche Sie daraus zogen. Hat Höchberg wirklich die Erklärung abgegeben, dass die „Zensur nur wegen H[irsch] eingesetzt gewesen, gegen V[ollmar] aber überflüssig sei", so verstehe ich das einfach nicht. Nach meiner Auffassung der Personen muss Hfirsch] Höchberg sympathischer sein als V[ollmar], welcher in seinem ganzen Wesen etwas Derbes und keineswegs Fügsames besitzt. Auch steht H[irsch] in der damals brennenden Tagesfrage, der Zollfrage, H[ö]chb[er]g weit näher wie V[ollmar], denn H[ö]chb[er]g ist absoluter Freihändler. Sie sagen: wir hätten sofort intervenieren sollen, als man von Z[ürich] den Versuch machte, H[irsch] unter Zensur zu stellen. Darauf habe ich zu erwidern, dass ich davon erst erfuhr, als Hirsch definitiv abgelehnt. Ich kann ferner versichern, dass V[ollmar] wütend war, 1
Von Mitte September, Brief Nr. 17.
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dass man ihn, der sich damals in sehr prekärer Lage befand, mit definitiver Antwort hinhielt, weil man noch fortgesetzt an H[irsch] arbeitete, trotz seiner bereits erfolgten Ablehnung anzunehmen, und H[ö]chb[er]g zu diesem Zweck sogar nach Paris reiste. Doch es ist heute zwecklos, weiter darüber zu streiten. Ihre Ansicht über unsere Haltung in der Zollfrage ist nicht richtig. Gerade weil wir zu unseren Leuten nicht sprechen konnten, mussten wir mehr als sonst auf die Stimmung Rücksicht nehmen, und diese war tatsächlich geteilt. Kayser konnten wir seine „Jammerrede" nicht verbieten, weil wir vorher nicht wissen konnten, dass er eine solche hielt. Er hatte tatsächlich mit grossem Fleiss das Thema einstudiert, aber er kam im rechten Moment nicht zum Wort und wurde durch die Unterbrechungen konfus. Ein Malheur, was auch anderen Leuten schon passiert ist. Hintennach wäre uns auch lieber gewesen, er hätte nicht gesprochen; aber misshandeln, wie es H[irsch] in der Laterne getan hat, durften wir ihn deshalb nicht. Kayser hat auch nicht in der ersten (richtiger zweiten) Lesung — denn in der ersten gibt es, weil sie Generaldebatte ist, keine Abstimmung — für das Gesetz gestimmt, er hat dies nur für den höheren Eisenzoll getan und einige andere Positionen. Für den hohen Eisenzoll hat er auch in der dritten Lesung gestimmt, aber schliesslich gegen das ganze Gesetz. Ich bin überzeugt, dass, venu die Partei 1879 ebenfalls hätte einen Kongress halten können, ihr Beschluss genau so ausfiel wie vor zwei Jahren, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil in dieser rein praktischen Frage verschiedene Strömungen vorhanden sind und die blosse Negation in den Wählerkreisen schwerlich Anklang gefunden hätte. Wir werden, solange wir parlamentarisch mittun, uns in der reinen Negation nicht halten können; die Masse verlangt, dass auch für das Heute gesorgt werde, unbeschadet dessen, was morgen kommt. Ich gebe zu, dass man da leicht zu weit gehen kann, und dass es fortgesetzter sorgfältiger Beratung von Fall zu Fall bedarf, wie weit man gehen darf. In allen diesen Fällen sind Meinungsverschiedenheiten sehr leicht, namentlich wenn man, wie Ihr, ausserhalb der Fühlung mit den Massen steht, auf die man zunächst Rücksicht zu nehmen hat. Lehrreich ist jedenfalls, dass der letzte Marseiller Kongress in der Zollfrage fast wörtlich denselben Beschluss gefasst hat, wie wir vor zwei Jahren. 2 „Considérant q u e dans la société actuelle, le libre-échange et la protection ne sont d'aucun avantage poux les prolétaires, le Congrès ne les prend pas en considération et passe à l'ordre du jour." Séances du Congrès Ouvrier Socialiste de France. Troisième Session (Marseille, 1879), S. 815. Der Beschluss w u r d e nach
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Und nun zu unserem Rechenschaftsbericht.3 Ich gebe Ihnen von vörnherein zu, dass derselbe ungleich schärfer hätte ausfallen können, als er ausgefallen ist; aber Sie dürfen eins nicht vergessen, die Umstände und Zustände, unter denen er geschrieben wurde. Auf Grund unseres Pressgesetzes konnte man uns alsdann in Deutschland fassen, und dass uns daran nichts lag im gegenwärtigen Moment, ist wohl selbstverständlich. Nun hätten wir den ganzen Passus mit der Revolution überhaupt weglassen können, allein den fortgesetzten Anklagen und Verdächtigungen Mösts gegenüber, dem, weil er allein das Wort führte, es gelungen war, eine Menge Köpfe zu verdrehen, war eine solche Erklärung notwendig. Ich glaube auch nicht, dass man aus dem bez. Passus eine Konzession an den Bierphilister lesen kann, so naiv sind wir nicht. Wir haben wohl deutlich genug gesagt, was und wen wir unter der „öffentlichen Meinung" verstehen. Wir meinten dabei allerdings auch den Kleinbürger und Bauern, die in den letzten Jahren in grösserer Zahl sich uns angeschlossen und bei der letzten Wahl in manchem Bezirk die Ehre der Partei geretten haben, weil der Lohnarbeiter unter dem Druck und der Hetze der Fabrikanten auf der einen, der Kirche auf der anderen Seite, vielfach von der Stimmurne fernblieb, ja hier und da, wenn auch mit Wut im Herzen, sich zum Stimmen gegen uns herbeiliess. Ich bin kein Freund vom Ducken, und andere neben mir auch nicht; glaubte ich, dass auch nur einer unserer Gegner aus unserem Rechenschaftsbericht so etwas wie Sentimentalität oder Nachgiebigkeit herauslesen könnte, ich hätte ihn nicht unterschrieben. Ihr könnt Euch eben dort von der Situation hier keine rechte Vorstellung machen, und da legt Ihr eben einen ganz anderen Massstab an und kritisiert, wie innerhalb Deutschlands keinem zu kritisieren einfällt. Unsere Gegner täuschen sich nicht über uns, und wir uns nicht über sie. Dass wir leben und uns nicht totmachen lassen, bringt sie zur Verzweiflung; sie können es gar nicht begreifen, dass man ohne hohe obrigkeitliche Bewilligung am Leben bleiben kann. Da wir aber eben zum Maulhalten in der Öffentlichkeit verurteilt sind, wohingegen unsere Gegner uneingeschränkt das Wort besitzen, so haben wir da, wo wir das Wort ergreifen, uns möglichst vorsichtig zu benehmen, um ihnen möglichst die Gelegenheit zu wirksamen Angriffen zu verleiden. Das ist eine Taktik, womit wir uns, meines Erachtens, absolut nichts vergeben, aber sehr viel nützen. Ich wiederhole, unsere Gegner täuschen sich über unsere Taktik nicht, das zeigt das ruhige Geausgiebiger Debatte, ebd., S. 659-710, gefasst. Der Sozialdemokrat über in Nr. 9, 30. November. 3 S. Brief Nr. 20, Anm. 6-8.
berichtete dar-
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schehenlassen der grössten Willkürlichkeiten gegen uns; aber wir setzen sie ausserstand, weiter zu hetzen, und das ist, wie die Dinge liegen, notwendig und ein Erfolg. Wir werden Eure Kritik stets gern entgegennehmen, und wir wünschen auch, dass Ihr sie im Blatte selbst, nur nicht in verletzender Form, ungeniert übt. Wir erkennen an, dass gerade jetzt der Meinungsaustausch um so nötiger ist, wo Hunderte von Kanälen verstopft sind, durch die sonst das Gefühl der Zusammengehörigkeit und Übereinstimmung drang. Im ganzen glaube ich sagen zu dürfen, das wir weit besser Eure Stellung begreifen, wie Ihr die unsrige, und daraus geht hervor, welche Seite die schwierigere ist. Ich hoffe, dass die ,,Magdeb[urger] Wahl" am 10. Dez[ember] wieder eine kleine Herzerfrischung wird. Wahrscheinlich werden wir an Stelle Brackes, der, wie er behauptet, unfähig ist, weiter mitzutun, auch eine Neuwahl bekommen. Wir wollen sie auf 1880 aufsparen. Hans [Most] hat in meinem Brief an den Comm[unistischen] Arb[eiter-Bildungs-]V[erein], wie ich glaube absichtlich, mehrere sinnstörende Entstellungen vorgenommen.4 Mit den besten Grüssen an Sie und M[arx] Ihr A . BEBEL.
2 2 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 24. November 1879.
Original. Lieber Bebel!
Ich hatte meine guten Gründe, als ich Auers Wink auf mich bezog. Das Datum beweist nichts. Most schliesst er ausdrücklich aus. Also fragen Sie ihn doch selbst, wen er gemeint hat, wir werden dann ja sehen, was er sagt. Ich bin überzeugt, das Missverständnis ist nicht auf meiner Seite. Die betreffende] Erklärung hat H[öch]b[er]g allerdings gegeben. Dass Sie während der Verhandlung mit Hirsch meist abwesend waren, weiss ich, und es fällt mir nicht ein, Sie persönlich für das Geschehene verantwortlich zu machen. In der Freiheit Nr. 36 vom 6. September waren absurde Äusserungen, die ein Interviewer des Scotsman Bebel in den Mund legte, wiedergegeben. Auf eine Anfrage des Comm. Arb.-Bildungsvereins London antwortete Bebel mit einem längeren Schreiben vom 3. Oktober, das die Freiheit in Nr. 4 2 vom 18. Oktober zusammen mit einem Briefe Liebknechts vom 3. Oktober veröffentlichte. Der Sozialdemokrat berichtete darüber in Nr. 2, 12. Oktober. 4
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In Beziehung auf die Zollfrage bestätigt Ihr Brief gerade das, was ich gesagt habe. War die Stimmung geteilt, was ja der Fall war, so musste man, wenn man auf diese geteilte Stimmung Rücksicht nehmen wollte, sich ja gerade enthalten. Sonst nahm man nur auf einen Teil Rücksicht. Warum aber der schutzzöllnerische Teil mehr Rücksicht verdiente als der freihändlerische, ist doch nicht abzusehen. Sie sagen, Sie können sich parlamentarisch nicht in der reinen Negation halten. Aber indem sie alle schliesslich gegen das Gesetz stimmten, hielten sie sich doch in der reinen Negation. Ich sage nur, man hätte von vornherein wissen sollen, wie man sich verhalten wollte; man hätte handeln sollen in Übereinstimmung mit der schliesslichen Abstimmung. Die Fragen, in denen soz[ial]dem[okratische] Abg[eordnete] aus der reinen Negation heraustreten können, sind sehr eng begrenzt. Es sind alles Fragen, in denen das Verhältnis der Arbeiter zum Kapitalisten direkt ins Spiel kommt: Fabrikgesetzgebung, Normalarbeitstag, Haftpflicht, Lohnzahlung in Waren usw. Dann allenfalls noch Verbesserung in rein bürgerlichem Sinn, die einen positiven Fortschritt bilden: Münz- und Gewichtseinheit, Freizügigkeit, Erweiterung der persönlichen] Freiheit etc. Damit wird man Sie wohl vorläufig nicht belästigen. In allen anderen Ökonom [ischen] Fragen wie Schutzzölle, Verstaatlichung der Eisenbahnen, der Assekuranzen usw. werden soz[ial]dem[okratische] Abg[eordnete] immer den entscheidenden Gesichtspunkt behaupten müssen, nichts zu bewilligen, was die Macht der Regierung gegenüber dem Volk verstärkt. Und es ist dies um so leichter, als hier ja regelmässig die Stimmung in der Partei selbst gespalten sein wird und damit Enthaltung, Negation von selbst geboten ist. Was Sie von Kayser sagen, macht die Sache noch schlimmer. Wenn er für Schutzzölle im allgemeinen spricht, warum stimmt er denn dagegen? Wenn er gegen sie stimmen will, warum spricht er für sie? Wenn er aber das Thema mit grossem Fleiss studiert hat, wie kann er für Eisenzölle stimmen? Waren seine Studien einen Pfennig wert, so mussten sie ihn lehren, dass in Deutschland zwei Hüttenwerke sind, Dortmunder Union und Königs- und Laura-Hütte, 1 deren jedes
i m s t a n d e ist, den ganzen
inländischen
Bedarf
zu decken;
daneben
noch die vielen kleineren; dass hier also Schutzzoll reiner Unsinn ist, dass hier nur Eroberung des auswärtigen Marktes helfen kann, also absoluter Freihandel, oder aber Bankrott; dass die Eisenfabrikanten selbst den Schutzzoll nur wünschen können, wenn sie sich zu einem Ring, einer Verschwörung zusammengetan haben, die dem inneren 1 Über die Entstehungsgeschichte der „Dortmunder-Union" und der „Königsund Laurahütte", ihr Geschäftsgebaren und den Einfluss von Hansemann bzw. Bleichröder s. R. Meyer, Politische Gründer usw., S. lOOff.
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Markt Monopolpreise aufzwingt, um dagegen die überschüssigen Produkte auswärts zu Schleuderpreisen loszuschlagen, wie sie dies im Augenblick bereits tatsächlich tun. Im Interesse dieses Rings, dieser Monopolistenverschwörung hat K[ayser] gesprochen und soweit er für Eisenzölle stimmte, auch gestimmt, und Hansemann von der Dortm[under] Union, und Bleichröder von K[önigs]- und Laura-Hütte lachen ins Fäustchen über den dummen Sozialdemokraten], der noch dazu das Thema mit Fleiss studiert hatl Sie müssen sich unter allen Umständen Rudolf Meyers „Politische Gründer in Deutschland"2 verschaffen. Ohne Kenntnis des hierin zusammengestellten Materials über den Schwindel, den Krach und die politische] Korruption der letzten Jahre ist kein Urteil über die jetzigen deutschen Zustände möglich. Wie konnte es zugehen, dass diese Fundgrube nicht ihrerzeit für unsere Presse ausgebeutet wurde? Das Buch ist natürlich verboten. Die Stellen im Rechensch[afts]bericht, die ich vorzüglich] meine, sind 1. die, wo so viel Gewicht darauf gelegt wird, die öffentliche] Meinung zu gewinnen — wer diesen Faktor gegen sich habe, sei gelähmt — es war eine Existenzfrage, dass "dieser Hass in Sympathie ([Am Rande:] Sympathie! von Leuten, die sich soeben während des Schreckens als Hundsfötter erwiesen!) verwandelt wurde" usw. So weit brauchte man nicht zu gehen, namentlich da der Schreck längst vorbei war. — 2. dass die Partei, welche den Krieg in jeder Gestalt verurteilt (also auch den, den sie selbst führen muss, den sie trotzdem führt) und die allgemeine Verbrüderung aller Menschen zum Ziel hat (das hat der Phrase nach jede Partei und der unmittelbaren Wirklichkeit nach keine, denn auch wir wollen uns nicht mit den Bourgeois verbrüdern, solange sie B[our]g[eoi]s bleiben wollen), nicht den Bürgerkrieg anstreben kann (also auch nicht in dem Fall, wo der Bürgerkrieg das einzige Mittel zum Ziel wäre). — Dieser Satz kann auch so gefasst werden: dass eine Partei, die das Blutvergiessen in jeder Gestalt verdonnert, weder Aderlass noch Amputation brandiger 1 Rudolf Meyer (1839-99), konservativer Sozialpolitiker. Er war mit Rodbertus befreundet und gab dessen Briefe und sozialpolitische Aufsätze heraus, 2 Bde (Leipzig, 1882). Sein Werk Politische Gründer und die Corruption in Deutschland (Leipzig, 1877), wurde bei seinem Erscheinen verboten und der Verfasser, da er u.a. die Beziehungen Bismarcks zu dem Bankier Bleichröder mit ausserordentlicher Schärfe behandelt hatte, zu anderthalb Jahren Gefängnis wegen Beleidigung Bismarcks verurteilt. Meyer floh ins Ausland, er war Redakteur des Vaterland in Wien, bewirtschaftete 1885-89 eine Farm in Kanada und lebte danach wieder in Wien. Sein grösstes Werk ist Der Emanzipationskampf des vierten Standes, 2 Bde (1874-5). Er stand mit Marx, Engels und Kautsky in lebhaftem Briefwechsel und lieferte in den Jahren 1892-6 der Neuen Zeit viele Beiträge über Agrarfragen.
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Glieder, noch wissenschaftliche Vivisektion erstreben kann. Warum solche Redensarten machen? Ich verlange nicht, dass Ihr „forsch" reden sollt, ich werfe dem Bericht nicht vor, dass er zu wenig sagt — im Gegenteil zu viel, was besser weggeblieben wäre. Was dann nachher kommt, ist wieder viel besser, und so hat Hans Most die paar Stellen glücklich übersehen, aus denen er Kapital schlagen konnte. Ein Bock aber war's, im S[ozial]-D[emokrat] feierlich anzuzeigen, dass Liebknecht etc. den sächsischen Eid geschworen.3 Das hat Hans sich nicht entgehen lassen,4 und seine anarchistischen Freunde werden's schon weiter verarbeiten. M[arx] und ich finden die Sache selbst gar nicht so gefährlich, wie z.B. Hirsch sie im ersten Eifer genommen hat; Ihr müsst wissen, ob „Paris vaut bien une messe", wie Heinrich IV. sagte, als er katholisch wurde und damit Frankreich einen 30-jähr[igen] Krieg ersparte; ob die Vorteile derart sind, dass man diese Inkonsequenz begeht und einen Eid schwört, der noch dazu der einzige ist, der einem keinen Meineidsprozess zuziehen kann. Aber wenn man schwor, musste man davon schweigen, bis andere Lärm davon schlugen, dann war Zeit genug zur Verteidigung. Ohne den S[ozial]-D[emokrat] hätte Hans kein Wort davon erfahren. Sehr erfreut hat uns Ihre Vermöbelung des notorischen Trunkenbolds und Ludrians.5 Wir werden sorgen, dass dies in Paris weiterverbreitet wird, und sind nur um die französischen Worte verlegen, die obige Kraftausdrücke wiedergeben sollen. Übrigens, dass wir hier, wie man sagt, gut reden haben und Eure Stellung viel schwieriger ist als unsere, verkennen wir keineswegs. Der Zutritt der Kleinbürger und Bauern ist zwar ein Kennzeichen des reissenden Fortschritts der Bewegung, aber auch eine Gefahr für „ . . . und der Abgeordneteneid, in welchem Treue dem Könige und der Verfassung u. dgl. mehr gelobt wird, ist in der Tat nichts als eine Formalität, und zwar eine recht alberne, aber freilich auch gänzlich bedeutungslose . . . Sollte übrigens noch jemand über die Bedeutung solcher Eide im Zweifel sein, so braucht er sich bloss an das Beispiel der Könige und Grossen selbst zu halten, die sich durch Eide noch niemals in ihrem Streben nach Macht haben hindern lassen." Nr. 7, 16. November. 4 Most äusserte sich zu der Eidesleistung in dem Artikel „Beschmutzung der Sozialdemokratie", Freiheit, Nr. 47, 22. November. Wenn die Beteiligung an den Wahlen so grosse agitatorische Wirkung hätte, dann müsse man die Aberkennung des Mandates infolge der Verweigerung des Eides gerade willkommen heissen, weil man dann von neuem für die Wahl agitieren könne. 5 Im Feuilleton des Sozialdemokrat Nr. 8, 23. November hatte Bebel B. Beckers Geschichte und Theorie der Pariser revolutionären Kommune des Jahres 1871 (Leipzig, 1879), ausführlich besprochen als Werk eines „Menschen, der selbst allen, die ihn kennen, als ein Trunkenbold und Ludrian erster Klasse bekannt ist und von dem es keinem Zweifel unterliegt, dass er zeitweilig dem delirium tremens anheimfällt". 3
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sie, sobald man vergisst, dass diese Leute kommen müssen, aber auch nur kommen, weil sie müssen. Ihr Zutritt ist der Beweis, dass das Proletariat in Wirklichkeit die leitende Klasse geworden ist. Da sie aber mit kleinbürg [er]l[ichen] und bäuerlichen] Vorstellungen und Wünschen kommen, so darf man nicht vergessen, dass das Proletariat seine leitende geschichtliche] Rolle verscherzen würde, wenn es diesen Vorstellungen und Wünschen Konzessionen machte. Freundschaftlichst Ihr F.
ENGELS.
[Am Rande:] Hierbei noch ein loses Postskript.6 6
Es ist nicht vorhanden.
2 3 . B E B E L AN
ENGELS
Leipzig, den 11. Dezember 1879.
Original. Lieber Engels!
Auer schreibt mir gestern, dass er in jener Korrespondenz Most und Ehrhart1 gemeint. Sie sehen also, ich hatte recht. Höchberg hat mir beiliegende Zeilen vor einiger Zeit übersandt, Sie wollen von deren Inhalt Notiz nehmen.2 Auf die Schutzzollfrage und was damit zusammenhängt, lasse ich mich nicht weiter ein; ich sehe, dass wir uns brieflich doch nicht verständigen. Ich gehe zu der Eidesleistung über. Hirsch hat darüber kürzlich einen sehr rabiaten Brief geschrieben und L[iebknecht] beschworen, sich nicht von der „faulen Leipziger Umgebung" beeinflussen zu lassen.3 Ich weiss nicht, was H[irsch] damit meint, das aber kann ich Franz Josef Ehrhart (1853-1908), schon 1874 führender Sozialdemokrat in Baden, emigrierte 1878 nach England, dort bis 1882 Sekretär des Comm. Arb.Bildungsvereins London, Anhänger Mösts. Nach der Rückkehr nach Ludwigshafen einer der aktivsten Agitatoren der Rheinpfalz; Mitglied des bayerischen Landtages und seit 1898 des Reichstages, Mitglied der Kontrollkommission der SPD. 2 S. Brief Nr. 24 Abs. 3, und ebd., Anm. 4. 3 C. Hirsch fragte im Brief vom 21. Nov. 1879 bei Liebknecht an, ob die Meldung der Freiheit über die Eidesleistung richtig sei. „ . . . Antworte mir umgehend, denn ich möchte nicht gern gezwungen sein, zu schweigen oder gar mit einzustimmen, wenn gegen meinen alten Freund und einen so bewährten, im Kampf ergrauten Parteiführer wie Du die heftigsten und so mit tatsächlichen Behauptungen unterstützten Angriffe erhoben werden." In einer Bleistift-Notiz Liebknechts für die Antwort heisst es u.a.: „1) Esel. 2} Nicht Eid der Treue dem König, nicht Abschwörung des Republikanismus. . . . 5) Wurde von Hirsch selbst vor zwei Jahren nach meiner ersten Wahl als selbstverständlich hingestellt. 6) 1
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versichern, dass es von seiten der Leipziger bis jetzt noch keines Druckes bedurfte, um L[iebknecht] zu dem zu bringen, was er bisher getan. Speziell in der Eidesfrage stand ich auf einem anderen Standpunkt. Dass der Eid geleistet wurde, war auch meine Ansicht; denn wollte man ihn nicht leisten, so brauchte man überhaupt nicht zu wählen; aber ich wollte, dass vor der Eidesleistung erklärt wurde, dass man den Eid nur als eine Formalie ansehe, die man erfüllen müsse, weil ohne sie kein Eintritt in die Kammer und keine Ausübung des Mandats möglich sei. Der Eid könne uns in unseren sozialistischen republikanischen Ansichten nicht irritieren. L[iebknecht] war gegen diese Auffassung, und ich habe mich aus naheliegenden Gründen nicht weiter auf Streitereien eingelassen. Ebenso meine ich, wenn unsere Leute im Landtag ebenso, wie wir es konsequent im Reichstag gehalten, sich von allem intimen Umgang (Festlichkeiten, Präsidialessen, parlamentarische Kneipereien etc.) ferngehalten, es wäre besser. Sooft jetzt dergleichen vorkommt, gibt es gewissen Blättern Stoff zu hämischen Bemerkungen, und da wir den Mund halten müssen, tragen solche Notizen dazu bei, unangenehme Kontroversen in den Reihen unserer eigenen Leute zu erzeugen. Wo die Sachlage so einfach ist wie hier, sollte man alles vermeiden, was zu Differenzen Anlass gibt. Lfiebknecht] lässt sich eben zu sehr von seinen Gefühlen beherrschen; wer ihm freundlich entgegenkommt, kann alles von ihm erlangen, und im sächs[ischen] Landtag ist die gemütliche Seite sehr ausgebildet. Ich wünschte übrigens, dass Sie ihm über diese Dinge nichts schreiben; Gefahr ist für ihn nicht dabei, er bereitet sich nur allerlei kleine Unannehmlichkeiten, die er leicht vermeiden könnte. Malon 4 hat sich an uns gewandt, ihn zu unterstützen, ich habe kein Bedenken dagegen. Guesde5 hat hierher nichts von sich hören Wenn Paris eine Messe wert war, ist mir das Wohl meiner Partei 100,000 Eide wert." Liebknecht beantwortete den Brief nicht, sondern Hasenolever in einem vom 3. Dezember 1879 datierten Schreiben an den Sozialdemokrat, Nr. 12, 21. Dezember. 4 Benoît Malon (1841-93), französischer Sozialist, Mitglied der Int. Arb.-Assoziation, Kommunard, im Schweizer Exil vorübergehend Mitglied von Bakunins Alliance de la Démocratie Socialiste, in den achtziger Jahren einer der Führer der Possibilisten. Mitarbeiter der Zukunft, Herausgeber von Le Socialisme progressif, Verfasser der Histoire du Socialisme. 1880 gab er in Paris unter Mitarbeit von Lafargue und Guesde die von Höchberg finanzierte Revue Socialiste heraus, die nach kaum einem Jahre einging, aber seit 1885 wieder unter Malons Redaktion erschien. 5 Jules Guesde (1845-1922) wurde wegen literarischer Parteinahme für die Kommune zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, während der Emigration in der Schweiz stand er unter anarchistischem Einfluss. Seit November 1877 gab er die Egalité in Paris heraus, die erste französische Zeitung, die marxistische Anschau-
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lassen. Von Zfürich] aus hat man versucht, G[uesde] von M[alon] loszubringen. Die Magdeb[urger] Wahl6 ist wieder einmal so eine kleine Herzerfrischung und wird unsere Gegner weidlich ärgern. Bei der Stichwahl werden wir zwei- bis dreitausend Stimmen mehr erlangen, einesteils indem wir neues Element in den Kampf reissen, andrenteils indem ein grosser Teil der Arbeiter und Kleinbürger, die für den fortschrittlichen Kandidaten gestimmt haben, nunmehr mit uns geht. Leider werden wir in den ersten Monaten des neuen Jahres wiederum eine Wahl haben. Bracke kann krankheitshalber sein Mandat nicht länger behalten und wird es zu Ende dies[es] Jahres niederlegen. An seiner Stelle soll Auer kandidieren, für den sich die Vertrauensmänner des Bezirks entschieden haben.7 Gruss und Handschlag von Ihrem A . BEBEL.
Hasselmanns8
Wie ich höre, soll das faule Blatt auf dem letzten Loche pfeifen. Der Kerl ist verdammt zähe und wird wohl wieder einen andern Ast finden, auf den er sich setzt. ungen propagierte; durch die Mitarbeit Bebels, Liebknechts, de Paepes u.a. suchte er ihr einen internationalen Charakter zu geben. 1879-80 gehörte er zu den Gründern des Parti ouvrier socialiste, dessen Programm er mit Marx und Lafargue ausgearbeitet hatte. Seit 1885 Redakteur des Socialiste. 6 Bei einer Magdeburger Nachwahl zum Reichstag am 9. Dezember erhielt der sozialdemokratische Kandidat Vierec'k 4.721, in der Stichwahl am 23. Dezember 7.312 Stimmen; die Sozialdemokratie hatte während des Ausnahmegesetzes etwa 1.100 Stimmen gewonnen. 7 Bracke war Abgeordneter des 17. sächsischen Wahlkreises Glauchau-Meerane; 1880 wurde Auer sein Nachfolger. 8 Die Deutsche Zeitung, s. Brief Nr. 14, Anm. 5.
2 4 . E N G E L S AN B E B E L
Original und Konzept.
London, den 16. Dezember 1879.
Lieber Bebel! Es ist mir unbegreiflich, wie Auer jetzt sagen kann, er habe u.a. Most gemeint, da er ihn doch im Artikel möglichst deutlich ausschloss. Doch mag das auf sich beruhen. In Nr. 10 des S[ozial]-D[emokrat] stehen „pressgeschichtliche Rückblicke", die unbedingt von einem der drei Sterne herrühren. Darin heisst es: nur ehrend sei für die S[ozial]-D[emokratie] der Vergleich mit Belletristen wie Gutzkow und Laube, also mit Leuten, 86
die schon längst vor 1848 den letzten Rest von politischem Charakter zu Grabe getragen, wenn sie je einen hatten. Femer: „Die Ereignisse von 1848 mussten kommen, entweder mit allen Segnungen des Friedens, wenn die Regierungen den Forderungen der Zeit genügt hätten, oder — da sie dies nicht taten — blieb leider kein anderer Weg als der der gewaltsamen Revolution."1 In einem Blatt, wo es möglich ist, die Revolution von 1848, die der S[ozial]-D[emokratie] erst Tür und Tor öffnete, förmlich zu bejammern, in einem solchen Blatt ist kein Raum für uns. Es geht aus diesem Artikel und aus H[öch]b[er]gs Brief deutlich hervor, dass das Dreigestirn den Anspruch erhebt, ihre im Jahrbuch zum ersten Mal klar ausgesprochenen kleinbürgerlich-sozialistischen Anschauungen im S[ozial]-D[emokrat] als gleichberechtigt neben den proletarischen zur Geltung zu bringen. Und ich sehe nicht ein, wie Ihr in Leipzig, nachdem der Karren einmal soweit verfahren, ohne förmlichen Bruch dies hindern wollt. Ihr erkennt die Leute nach wie vor als Parteigenossen an. Wir können das nicht. Der Jahrbuchartikel trennt uns scharf und absolut von ihnen. Wir können nicht einmal mit den Leuten verhandeln, solange sie behaupten, sie gehörten mit uns zur selben Partei. Die Punkte, um die es sich handelt, sind Punkte, die innerhalb jeder proletarischen Partei gar nicht mehr diskutiert werden können. Sie innerhalb der Partei zur Diskussion stellen, heisst den ganzen proletarischen Sozialismus in Frage stellen. In der Tat, es ist auch besser, dass unter diesen Umständen wir nicht mitarbeiten. Wir würden in einem fort protestieren und in wenigen Wochen unseren Rücktritt öffentlich erklären müssen, womit der Sache doch auch nicht gedient wäre. Es tut uns sehr leid, Euch in diesem Augenblick der Unterdrückung nicht unbedingt zur Seite stehen zu können. Solange die Partei in Deutschland ihrem proletarischen Charakter treu blieb, haben wir alle anderen Rücksichten beiseite gesetzt. Jetzt aber, wo die kleinbürgerlichen Elemente, die man zugelassen, offen Farbe bekannt haben, hegt die Sache anders. Sobald ihnen erlaubt wird, ihre kleinbürgerlichen Vorstellungen stückweise in das Organ der deutschen Partei einzuschmuggeln, wird uns dadurch dies Organ einfach verschlossen. 1 Der Aufsatz erschien in Nr. 9 und 10, 30. November und 7. Dezember. Er wehrte liberale Angriffe gegen die Sozialdemokratie ab und zeigte, „dass man in jener Zeit (des Jungen Deutschland) von der Bourgeoisie genau so sprach, wie heute von der Sozialdemokratie". Er schloss mit dem Satz: „Das Einzige, was in Eurer Macht steht, ist die Wahl, auf welche Weise die Umwandlung der alten staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung in die neue sich vollziehen soll: ob sie den Charakter einer ruhigen, allmählichen Entwicklung tragen oder ob die soziale Revolution gewaltsam hereinbrechen soll. .."
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Die Eidesgeschichte rührt uns sehr wenig. Man hätte vielleicht, wie Sie wollten, einen anderen Weg finden können, der den unangenehmen Schein etwas beseitigte, aber viel liegt auch nicht daran. Die gewünschte Diskretion werden wir beobachten.2 Die Malonsche Zeitschrift kann gut wirken; denn 1. ist M[alon] nicht der Mann, um viel Unheil anzurichten, und 2. werden seine Mitarbeiter unter den Franzosen dafür sorgen, dass die Sache im rechten Fahrwasser bleibt. Wenn H[öch]b[er]g da einen Boden für seine Kleinbürgereien träumt, wird er finden, dass er sein Geld weggeworfen.3 Die M[a]gd[e]b[urger] Wahl hat uns sehr gefreut. Die Unerschütterlichkeit der Arbeitermassen in Deutschi [ an ]d ist bewundernswert. Die Korrespondenzen] der Arbeiter im S[ozial]-D[emokrat] sind das einzig Gute, was drin steht. H[öch]b[er]gs Brief hierbei zurück. Dem Mann ist nicht zu helfen. Wenn wir nicht in der Gesellschaft der Zukunftsleute4 mitmachen wollten, so ist das persönliche Eitelkeit. Aber ein Drittel der Leute waren und sind uns noch dem Namen nach total unbekannt, und ungefähr ein anderes Drittel waren notorische Kleinbürgersozialisten. Und das nannte sich eine „wissenschaftliche" Zeitschrift! Und H[öch]b[er]g glaubt noch, sie habe „aufklärend" gewirkt. Zeuge sein eigener so merkwürdig klarer Kopf, der bis heute noch, trotz aller meiner Bemühungen, den Unterschied von kleinbürgerlichem und proletarischem Sozialismus nicht fassen kann. Alle Differenzen sind „Missverständnisse". Ganz wie bei den demokratischen Heulern von 1848. Oder aber „übereilte" Folgerungen. Natürlich, denn jede Folgerung ist übereilt, die dem Gerede dieser Herren einen bestimmten Sinn entlehnt. Sie wollen ja nicht nur dies sagen, sondern auch womöglich das Gegenteil. Im übrigen geht die Weltgeschichte ihren Gang, unbekümmert um diese Weisheits- und Mässigungsphilister. In Bussland muss die Sache jetzt in wenig Monaten zum Klappen kommen. Entweder stürzt der Absolutismus, und dann weht sofort, nach dem Sturz der grossen Reserve der Reaktion, ein anderer Wind durch Europa. Oder aber es gibt einen europäischen Krieg, und der begräbt auch die jetzige deutsche Partei unter dem unvermeidlichen Kampf eines jeden Volkes um die nationale Existenz. Solch ein Krieg wäre unser grösstes Unglück, er könnte die Bewegung um zwanzig Jahre zurückwerfen. Aber die neue Partei, die daraus schliesslich doch hervorgehen müsste, 2 3 4
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S. Brief Nr. 23, Abs. 5. S. Brief Nr. 23, Anm. 4. S. Brief Nr. 15, Anm. 3; Brief Nr. 18, Anm. 3.
würde in allen europäischen Ländern frei sein von einer Masse Bedenklichkeiten und Kleinlichkeiten, die jetzt überall die Bewegung hemmen. Freundschaftlichst Ihr F. E. 2 5 . B E B E L AN
ENGELS
Leipzig, den 23. Januar 1880.
Original. Lieber Engels!
Ich sende Ihnen beiliegend ein Schriftstück, das mir Vollmar schon vor einiger Zeit auf Ihren letzten Brief und Denkschrift sandte und von dem er nachdrücklich verlangt, dass ich es Ihnen übermittle, was hiermit geschieht.1 Ich lasse mich mit Ihnen in bezug auf das früher Vorgefallene in keine Polemik mehr ein; ich bin in einer Weise mit Arbeit beladen, dass ich meine keineswegs gute Laune mir nicht noch mehr durch fruchtlose Auseinandersetzungen verderben will. Mir brummt der Kopf wegen anderer Dinge; die lange und heftige Dauer der Krise bringt uns materiell in das härteste Gedränge, und dabei steigen die Anforderungen bei den vielen Ausgewiesenen und der Menge der Existenzen, die, durch das Sozialistengesetz aufs Pflaster geschleudert, nicht wissen, was sie anfangen, wovon sie leben sollen. Ich bin zum Zentralpunkt geworden, an dem all die Klagen und Anliegen zusammenlaufen, und da mögen Sie sich denken, in welche Stimmung man allmählich hineingerät. Hirsch will gegen Hasencl[ever] im S[ozial]d[emokrat] einen Brief veröffentlichen,2 der sehr viel Widerspruch finden wird und der wieder einmal Zeugnis ablegt,3 wie er sich in der Beurteilung innerdeutscher Das Schreiben Vollmars, das sich auf die Briefe Nr. 16 und 23 bezog, liegt nicht vor. Sein Inhalt ergibt sich aus Bebels Nachschrift zu diesem Briefe, die für den Abdruck, A.m.L., III, S. 88f., hinzugefügt wurde. 2 Der Brief war eine Antwort auf Hasenclevers Brief an Hirsch über die Eidesfrage in Nr. 12 des Sozialdemokrat vom 21. Dezember 1879. Der Brief wurde nicht veröffentlicht, da er, wie die Redaktion bemerkte, „die längst entschiedene Eidgeschichte mit den drum und dran hängenden taktischen Fragen noch einmal breit trat und zum Überfluss auch noch eine Reihe von zum Teil ziemlich perfiden Ausfällen gegen mehrere bekannte Genossen enthielt". Da Hirsch unverkürzte oder keine Veröffentlichung verlangte, sandte die Redaktion den Brief zurück. Der Sozialdemokrat, Nr. 12, 21. März 1880. 3 So im Abdruck, A.m.L., III, S. 88f., im Original: . . . ablegt, wie wenig sich manche Vorgänge vom Ausland aus beurteilen lassen. So z.B. seine Behauptung, wir seien in Magdeburg . . .
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Verhältnisse täuscht. Seine Anschauung steht auf der gleichen Höhe wie jene, wir seien in Magdeburg infolge der verkehrten Taktik „geschlagen" worden. Darüber lacht hier alle Welt; diese Behauptung konkurriert noch an „Scharfsinn" mit der früheren in der Laterne anlässlich der Breslauer Wahl, die Verbreitung seiner Lat[erne] habe wesentlich den Sieg herbeigeführt.4 Solche Räsonnements sind kindlich,5 das ist der richtige Ausdruck dafür. Im übrigen macht die Zersetzung der gegnerischen Parteien die besten Fortschritte; alles, was über Spaltungen in der deutschen Soz[ial]demokratie gesagt und geschrieben wird, ist — wenn wir von dem Fall Hasselmann absehen, der uns keine Kopfschmerzen macht — Schwätzerei.® Eine Differenz, die hier oder da mal zwischen zwei Leuten ausbricht und zufällig in die Öffentlichkeit gelangt, wird von der gegnerischen Presse zu einem Spaltungs- und Zersetzungssymptom aufgebauscht, und man jubelt um so lauter, je mehr man das Unbehagen über die fortdauernde Aktivität der Partei zu vertuschen suchen muss. Alles, was Euch also in dieser Richtung in der deutschen Presse aufstösst, das betrachtet mit dem grössten Skeptizismus. Mit den besten Grüssen and Sie und M[arx] Ihr A.
BEBEL.
[Späterer Zusatz Bebels für den Abdruck:] Das im Eingang des vorstehenden Briefes erwähnte Schriftstück war eine scharfe Antwort Vollmars auf die Kritik von Marx und Engels am Sozialdemokrat. Engels beantwortete meinen vorstehenden Brief und das Schreiben Vollmars mit einem Scheck auf zehn Pfund (zweihundert Mark), Geld,7 das wir sehr nötig hatten. „Wer weiss, ob nicht die Exemplare, die unsere wackeren Genossen, die Freiheit und die Tagwacht sowie auch wir nach Breslau einschmuggeln und gratis verbreiten liessen, das Zünglein an der Waagschale zugunsten der Arbeitersache geneigt haben?" Die Laterne, Nr. 16, 20. April 1879, S. 503. 5 Statt „kindlich" im Original: einfach kindisch. 6 J. G. Findel, Redakteur der Leipziger Volkszeitung, hatte in dieser Zeitung und dann in der Broschüre Der innere Zerfall der Sozialdemokratie (Leipzig, 1880) die Sozialdemokratie angegriffen und ihre Führer ehrenrühriger Handlungen geziehen. Die in Leipzig wohnenden sozialdemokratischen Abgeordneten — Bebel, Freytag, Fritzsche, Hasenclever, Liebknecht, Puttrich — erliessen gegen ihn eine vom 24. Dezember 1879 datierte Erklärung. Der Sozialdemokrat, Nr. 2, 11. Januar 1880. Bebel antwortete in der Broschüre Noch einmal Herr Findel und die Sozialdemokratie (Leipzig, 1880), die sofort nach Erscheinen verboten wurde, und Hasenclever in der Broschüre Der Feldzug des Herrn Findel gegen die Sozialdemokratie ... nebst einer Erklärung des Reichstags-Abg. Auer etc. (Leipzig, 1880). 7 Die Worte „Geld, das w i r . . wurden im Abdruck, A.m.L., III, S. 88f., gestrichen. 4
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26. ENGELS AN BEBEL 1
Original.
[London, den 27. März 1880.]2
. . . um auch ohne direktes Verbot die ganze Sache unmöglich zu machen. Herr Hasselmann wird bald unschädlich sein, wenn man wirklich kompromittierende Tatsachen gegen ihn veröffentlicht und ihm im Reichstage den Wind aus den Segeln nimmt, d.h. aufrichtig revolutionär auftritt, was in ganz ruhiger Sprache geschehn kann, wie in Ihrer Rede über die Verfolgungen musterhaft geschehen.3 Wenn man sich aber immer fürchtet, der Philister möge einen für ein bischen extremer halten, als man wirklich ist, wie das oft genug geschieht, und wenn gar inliegender] Ausschnitt der K[ölnischen] Z[eüung] richtig berichtet, dass von sozialistischer] Seite der Antrag gestellt, das Zunftprivilegium des Handels mit selbstverfertigten Waren wiederherzustellen, so haben die Hasselmänner und Mösts leichtes Spiel. Indes viel macht das alles auch nicht aus. Wovon die Partei jetzt lebt, ist die stille spontane Tätigkeit der einzelnen, im Gang und in Organisation gehalten durch den ununterdrückbaren Reiseverkehr. Wir sind in Deutschland glücklich so weit, dass alles, was die Gegner tun, zu unserem Nutzen ausschlägt, dass alle geschichtlichen Mächte uns in die Hände arbeiten, dass nichts, gar nichts geschehen kann, ohne dass uns Vorteil daraus erwächst. Darum können wir ruhig unsere Gegner für uns arbeiten lassen. Bismarck arbeitet wirklich riesig für uns. Jetzt hat er uns Hamburg erobert und wird uns nun auch Altona und dann Bremen schenken.4 Die Nationalliberalen arbeiten für uns, selbst wenn sie nichts tun, als sich Fusstritte geben lassen und Steuern bewilligen. Die Katholiken arbeiten für uns, wenn sie erst gegen und dann für das Sozialisten]-Gesetz stimmen und dafür von Bismarck ebenfalls unter reine Ministerwillkür, also auch ausser1
Der Anfang des Briefes, vier Seiten, fehlt. Die Datierung ergibt sich aus dem folgenden Briefe. 3 Über Bebels Rede in der Reichstagssitzung am 6. März erschien ein ausführlicher Bericht in Nr. 11 des Sozialdemokrat vom 14. März u.d.T. „Polizei-Orgien in Berlin unter dem Belagerungszustand". 4 Bismarcks aggressive Zollpolitik gegen Hamburg bezweckte die sofortige Aufnahme Altonas und der Hamburger Vorstadt St. Pauli in den Zollverein und erreichte ihren Höhepunkt in dem dahingehenden Antrag Preussens beim Bundesrat vom 19. April, obwohl verfassungsmässig die Hansestädte nur auf eigenen Antrag in den Zollverein aufgenommen werden konnten. In die Zeit des Zollanschlusskonflikts fiel die Reichstagswahl im 2. Hamburger Wahlkreis. Nachdem die Sozialdemokratie im August 1878 unterlegen war, siegte am 27. April 1880 trotz Verbots der Agitation ihr Kandidat W. Hartmann mit 13.155 Stimmen über einen Fortschrittler und einen Nationalliberalen. H. Laufenberg, Geschichte, Bd. II, S. 124ff„ 141ff. 2
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halb des Gesetzes gestellt werden.5 Alles, was wir tun können, ist nur ein Windhauch, verglichen mit dem, was die Ereignisse für uns in diesem Augenblick tun. Die fieberhafte Tätigkeit Bismarcks, die alles in Unordnung und aus den Fugen bringt, ohne das geringste Positive schaffen zu können, die die Steuerkraft des Philisters für nichts und wieder nichts aufs äusserste aussaugt, die heute dies und morgen das Gegenteil will und die den Philister, der so gern zu seinen Füssen schwanzwedeln möchte, mit Gewalt der Revolution in die Arme treibt — das ist unser stärkster Bundesgenosse, und dass Sie mir die dabei unvermeidliche Linksschiebung aus eigener Anschauung als tatsächlich bestätigen können, freut mich sehr. Auch in Frankreich gehts gut voran. Unsere kommunistische Ansicht bricht sich dort überall Bahn, und die besten unter denen, die sie predigen, sind lauter ehemalige Anarchisten, die zu uns gekommen sind, ohne dass wir einen Finger gerührt hätten.6 Die Einheit der Anschauungen unter den europäischen Sozialisten ist damit hergestellt; was noch nebenan bummelt, ist nicht der Rede wert, seit die letzte Sekte, die der Anarchisten, sich in sich selbst aufgelöst hat. Auch dort schiebt sich bei Bürger und Bauer alles mehr und mehr links, wie Sie schon bemerkt haben; dies hat aber einen Haken: diese Linksschiebung wirkt zunächst hin auf den Revanchekrieg, und der muss vermieden werden. Der Sieg der hiesigen Liberalen hat wenigstens das Gute, dass dem Bismarck in die Suppe seiner auswärtigen Politik gespuckt worden ist. Den russischen Krieg mag er sich jetzt aus dem Kopf schlagen, er wird also wohl wie gewöhnlich seinen Bundesgenossen — Österreich — an irgend jemand verkaufen. Die Österreicher haben doch schon 1864-1866 dicke erfahren, dass Bismarck nur Bundesgenossen sucht, um sie zu verraten — sie sind aber zu dumm und fallen nochmals herein. Auch in Russland geht alles vortrefflich, trotz der Justizmorde, Verbannungen und der scheinbaren Ruhe. Die blasse Finanznot ist nicht zu bannen. Kein Bankier pumpt ohne Reichsversammlungsgarantie. Daher jetzt der letzte Versuch einer inneren Anleihe. Sie wird auf dem Papier gelingen, in Wirklichkeit total fehlschlagen. Und dann wird man doch endlich irgendeine Versammlung berufen müssen, um
Nachdem in den Sitzungen der Reichstagskommission zur Vorberatung betr. Verlängerung des Soziallistengesetzes, 15.-18. März, mehrere vom Zentrum beantragte Milderungen abgelehnt waren, stimmte das Zentrum in der dritten Lesung am 4. Mai mit grosser Mehrheit gegen die Verlängerung des Gesetzes. 6 Engels denkt wohl vor allem an P. Brousse, J. Guesde und B. Malon. 5
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nur Bares zu erhalten — wenn bis dahin nicht noch andere Dinge passiert sein sollten. Beste Grüsse an Sie und Liebkn[echt] von M[arx] und Ihrem F. E. 27. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Leipzig, den 22. September 1880. Lieber Engels!
Ich habe Sie auf eine Antwort auf Ihren Brief vom 27. März bis heute warten lassen. Ich kann diese lange Pause damit entschuldigen, dass ich von jener Zeit bis Anfang September, mit sehr kurzen Unterbrechungen, fast stets auf der Reise war. Die kurzen Unterbrechungen waren aber wieder so mit anderen Arbeiten in Anspruch genommen, dass ich nicht die Zeit zu einer Antwort fand. Nach dieser langen Pause will ich auch auf verschiedene persönliche Angelegenheiten, 1 die in Ihrem Briefe erwähnt werden, nicht weiter zurückkommen. Es wäre mir angenehm, wenn Sie die von mir gewünschten Photographien, von Ihnen und M[arx], L[ie]bkn[echt] mitgeben könnten. Ebenso bitte ich Sie, diesem vier Pfund Tee, oder wenn ihm dies für seinen Koffer zuviel sein sollte, drei Pfund auf meine Kosten mitzugeben. L[ie]b[knecht] soll die Kosten für mich vorlegen, ich habe vergessen, es ihm mitzuteilen. Wie es mit der neuen Auflage Ihrer Schrift geworden ist, wird Ihnen L[ie]bk[necht] mitteilen; ich bat ihn, die Angelegenheit zu ordnen, weil ich, aus den eingangs erwähnten Gründen, keine Zeit dazu hatte. Irre ich nicht ganz, so betraf der kürzlich in Breslau beschlagnahmte Satz Ihre Schrift.2 Dass Verrat im Spiele war, ist offenbar, wie denn der Verrat überall, neben der Ungeschicklichkeit, eine mehr oder weniger grosse Rolle spielt. So wurde mir vor einer Stunde mitgeteilt, dass man hier Haussuchung bei einem Genossen hielt, der im Verdacht steht, den Sozialdemokrat zu kolportieren. Das 1
Wohl Höchbergs und Hirschs, die vermutlich im fehlenden Teile des vorigen Briefes behandelt wurden. 2 Es handelte sich um Marx' Lohnarbeit und Kapital. „Die Breslauer Polizei aber, durch Verräter davon in Kenntnis gesetzt, dass in der Buchdruckerei von Zimmer u. Co. mit dem Drucke einer aus einem grösseren Werke Marx' entnommenen Broschüre Kapital und Arbeit begonnen wurde, beschlagnahmte das Manuskript." Der Sozialdemokrat, Nr. 39, 26. September 1880. Im Verlag der Schlesischen Volksbuchhandlung, H. Zimmer & Co., Breslau erschien 1881 Marx' obengenannte Schrift.
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konnte nur infolge von Verrat geschehen.3 Mit welchem Erfolg gehaussucht wurde, weiss ich bis diesen Augenblick, abends neun Uhr, nicht. Der Betreffende war noch zufällig heute nachmittag bei mir, und während seiner Abwesenheit fiel ihm die Polizei ins Haus. Sie wollen L[ie]bkn[echt] den Fall mitteilen, er wird ihn interessieren. Verschiedene Anzeichen deuten darauf hin, dass in der nächsten Zeit hier einige Hauptschläge bevorstehen, d.h. wenn man das Material dazu findet. Der Kongress hat riesig verschnupft,4 und die Führerschaft in all dem Unheil wird Leipzig zugeschrieben. Wir haben bisher hier, im Vergleich zu anderen Orten, ein idyllisches Leben geführt; das hat nunmehr aufgehört, und wir werden die Ohren steif halten müssen. Über den Verlauf des Kongresses sind Sie einigermassen aus dem S[ozial]d[emokrat] unterrichtet,5 die wichtigsten Beratungen mussten natürlich verschwiegen werden; mit dem Verlauf desselben bin ich im allgemeinen sehr zufrieden, und er hat auch überall bei den deutschen Genossen sehr gut gewirkt. Wenn Most durch lügnerische Darstellungen und gehässige Kritisierung glaubt grossen Schaden anrichten zu können, irrt er sich. Sein Anhang ist im ganzen sehr gering, und der unverhohlene Ubertritt ins anarchistische Lager, wie er namentlich durch den Leitartikel der letzten Nummer6 und die hinter diesem abgedruckten Bakunistischen Revolutionsregeln zum Ausdruck gelangt ist, wird ihm noch mehr schaden. Ich sollte meinen, dass dadurch aber gerade auch für Sie und M[arx] der Zeitpunkt gekommen wäre, rund und nett zu erklären, dass Sie mit Most keine Beziehungen haben.7 Sie werden vielleicht antworten: das sei nicht nötig, da Sie nie sich für Most erklärt. Diese Auffassung ist nicht richtig. Most hat in zahlreichen Briefen sich mit Ihrer und M[arx]' Zustimmung gebrüstet; der Umstand, dass von 8 Der Sozialdemokrat brachte in Nr. 43, 24. Oktober eine „Leipzig, 13. Oktober" datierte Warnung vor dem ehemaligen Redakteur der Halberstädter Freien Presse August Kruhl. Er war von der Leipziger Genossenschaftsdruckerei zu Aushilfsarbeiten engagiert und berichtete dem Leipziger Tageblatt und dem Redakteur Sparig gegen Bezahlung über die inneren Angelegenheiten des Geschäfts, verkaufte ihm Manuskripte und denunzierte die Partei der Polizei, der Versand von Blättern diene dem Zusammenhalt der Organisation. 4 Der Kongress tagte vom 20. bis 23. August auf Schloss Wyden im Kanton Zürich. 5 Der Bericht erschien in Nr. 35, 29. August, Nr. 36, 5. September, Nr. 37, 12. September und ein zusammenfassender Artikel „Die Ergebnisse des Kongresses der deutschen Sozialdemokratie" in Nr. 38 des Sozialdemokrat vom 19. September. ® Most behandelte den Kongress in seinem Artikel „Ein Vorschlag zur Güte", Freiheit, Nr. 38, 18. September. In derselben Nummer „Bacunin's RevolutionsGrundsätze". 7 Über die Beziehungen s. Brief Nr. 14, Anm. 1.
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Marx einigemal Abonnementsgeld quittiert war, hat nach aussen, wo man den Sachverhalt nicht kennt, den Eindruck gemacht, als werde Most gar materiell unterstützt. Tatsache ist, dass Most mit alle diesem namentlich in Österreich stark für sich Propaganda gemacht hat. Ich verlange nun nicht, dass Ihr Euch für den S[ozial]d[emokrat] erklären sollt, auch nicht, dass Ihr diesem eine Erklärung zusendet. Die Angelegenheit lässt sich in einer für Euch völlig anstandslosen Weise dadurch erledigen, dass Ihr einem von uns einen Brief als Antwort auf eine bez. Anfrage schreibt und der Empfänger — der seinen Namen nicht zu nennen braucht — Euren Brief veröffentlicht. Die Wirkung dürfte für Euch und für uns eine gute sein. Ihre und M[arx]' vollständige Passivität wird häufig nicht günstig beurteilt, und man wünscht allgemein, dass Ihr Euch aktiv beteiligt und sagt, was Ihr über die Zeit denkt. Sie haben ja vollkommen recht, wenn Sie in Ihrem letzten Brief ausführen, wie alle Tätigkeit unserer Gegner schliesslich zu unseren Gunsten ausfalle, und wie namentlich die unruhige Vielgeschäftigkeit und zerstörerische Tätigkeit Bismarcks uns in die Hände arbeite. Aber damit allein kann sich doch niemand von uns zufrieden geben; wir müssen die Löcher, die jener gräbt, weiter schaufeln und die Unzufriedenheit, die seine Tätigkeit wie die fortdauernde allgemeine Misere erzeugt, nach Kräften schüren, und da müsst Ihr so gut wie wir helfen. Recht interessante Überraschungen wird uns die Handelsministerschaft Bismarcks bringen. 8 Hier ist er auf ein Gebiet geraten, auf dem er sich die Zähne sicher ausbeisst und auf dem er obendrein nicht anders als im höchsten Grade Unzufriedenheit säend wirken kann. Bringt er wirklich Gesetze zugunsten der Arbeiter, so hat er erstens die gesamte Bourgeoisie gegen sich, und er wird zweitens die Arbeiter nicht gewinnen, weil er bei dem besten Willen doch nur Halbheiten bieten kann. Von allen Ämtern, die er bisher bekleidete, ist das, was er jetzt angenommen hat, dasjenige, was ihn am gründlichsten ruinieren wird. Ein weiterer Vorteil wird sein, dass durch die heftige Polemik, welche seine Massnahmen notwendig hervorrufen, die indifferenten Massen aufgerüttelt und zur Teilnahme am und zur Parteinahme im öffentlichen Leben gezwungen werden. Das kann wiederum niemand mehr nutzen als uns. So vorteilhaft das alles ist, wir müssen die Situation auch für uns ausbeuten. Wenn Ihr Euch entschliessen könntet, jetzt einmal öffentlich hervorzutreten, indem Ihr die Situation, 8 Bismarck hatte am 16. September 1880 das preussische Handelsministerium übernommen, zu dessen Ressort auch die Sozialpolitik gehörte.
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wenn ich mich so ausdrücken soll, theoretisch beleuchtet, so würde das von mächtiger Wirkung sein, und Euer Urteil würde mehr als einmal von unseren und Bismarcks Gegnern zitiert werden. Wir sind hier mit den laufenden täglichen Arbeiten und hunderterlei, oft kleinen und kleinlichen Geschichten, so in Anspruch genommen, dass die nötige Zeit und Sammlung zu solcher Arbeit fehlt, und zudem versteht Ihr's auch weit gründlicher wie wir. Also gebt das Schmollen auf.9 Ich wäre verwünscht gerne einmal nach dort gekommen, um Euch persönlich kennenzulernen, aber es passte diesmal wieder nicht; gegen Ende nächsten M[ona]ts wäre es gegangen. Die übrige Jahreszeit, die Reichstagssession inbegriffen, bin ich mit dem Geschäft und geschäftlichen Reisen so im Gedränge, dass ich sehr schwer abkommen kann. Indes es muss doch einmal werden. Herzliche Grüsse an Sie und Marx v[on] Ihrem A . BEBEL.
* Engels' erste von ihm gezeichnete Arbeit erschien erst im Mai 1882 im Sozialdemokrat. S. Brief Nr. 40, Anm. 5.
28. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Leipzig, den 4. Dezember 1880. Lieber Engels!
Wieder einmal habe ich auf eine Antwort recht lange warten lassen, dafür ist die Situation mittlerweile um so klarer geworden. V[ollmar] hat seinen Posten am Blatt gekündigt und will den 1. Januar die Stelle aufgeben.1 Wir kamen also in die Lage, eine Neuwahl zu treffen, die am Mittwoch stattfand. Hirsch ist zum Redakteur gewählt worden, jedoch zunächst provisorisch und erst nach Überwindung ziemlich starken Widerstandes. Dieser Widerstand richtete sich nicht — dass muss ich ausdrücklich 1
Vollmar gab als Grund seiner Kündigung vor allem die Erwägung an, dass ihm auf Grund von Denunziationen, s. Brief Nr., 42, Anm. 3, die Militärpension entzogen werden könne. Schwerwiegender waren die Differenzen, die zwischen ihm und der Parteileitung dadurch entstanden, dass er als Leiter der vom Wydener Kongress beschlossenen Auswärtigen Verkehrsstelle sich bemühte, diese zu einem selbständigen Organ auszubauen und durch Aufrufe und Rundschreiben — Der Sozialdemokrat, Nr. 40, 3. Oktober, Nr. 46, 14. November — die Partei in revolutionärem Sinne, wie er die Wydener Beschlüsse auffasste, zu beeinflussen. A.m.L., III, S. 154ff., ausführlich darüber K. Kautsky, Erinnerungen, S. 464ff.
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bemerken — gegen ihn, weil man einen Systemwechsel befürchtete; mit dem Blatt, wie es jetzt ist, ist eigentlich niemand ganz zufrieden, und das Bedürfnis einer Änderung ist allgemein anerkannt — sondern gegen gewisse Taktlosigkeiten, die H[irsch] seinerzeit in der Laterne beging,2 und gegen seinen Charakter, dem man Neigung zu persönlicher Rachsucht und Unverträglichkeit glaubte vorwerfen zu dürfen. Ferner hiess es: H[irsch] sei ein Mensch, der keine Disziplin besitze und gern auf eigene Faust handele, so dass man fürchten müsse, sehr bald mit ihm in Konflikt zu kommen. Dass Hfirsch] noch in den letzten Tagen in einer Korrespondenz in der Züricher Post einzelne in der Partei in der gröbsten Weise angegriffen,3 hatte die Stellung derjenigen nicht verbessert, die für Hfirsch] eintraten, und das waren eigentlich nur zwei. [Späterer Zusatz:] Liebknecht und ich. Es wurde daher zur ersten Bedingung gemacht, dass H[irsch] sich jeden Angriffs gegen innerhalb der Partei stehende Personen enthalten müsse, also speziell auch gegen H[ö]chb[erg], und ich schliesse mich dieser Ansicht an. Ihr seid sehr irre, wenn Ihr glaubt, dass innerhalb der Partei die Meinungen so übereinstimmende seien, das werden Euch schon die Artikel von A. und D. 4 gezeigt haben. Die Mehrzahl der sog. Führer neigt mehr oder weniger nach jener Seite. Allein man fühlt sich auch nicht unfehlbar, und wenn daher eine scharfe, aber objektive Redaktion geführt wird, und wenn es namentlich Hfirsch] gelingt, einen Ton zu treffen, der den Massen zusagt und die Massen begeistert, dann ist gewonnen. Ich will mich hier auf weitere Auseinandersetzungen nicht einlassen; Hfirsch] hat selbst die Redaktion so scharf kritisiert, dass es jetzt an ihm ist, zu zeigen, dass er es besser machen kann. Führt er S. Brief Nr. 17, Anm. 5; Nr. 18, Anm. 6. Nach einer freundlichen Mitteilung von Dr. J. Ragaz, Zürich, findet sich in der Züricher Post im November und Anfang Dezember keine Korrespondenz über die deutsche Sozialdemokratie. In Nr. 284, 30. November wurden Bebel und Hasselmann beiläufig kritisiert; aber dabei handelte es sich um ein Zitat aus der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung, das nicht die Meinung des Züricher Blattes wiedergab. 4 Es dürften die Artikel I. Auers, „Was haben wir zu thun?", in Nr. 42 des Sozialdemokrat vom 17. Oktober und J. Dietzgens, „Die Moster, Hasselmänner, Anarchisten und Nationalisten", in Nr. 47, 21. November gemeint sein. Auers Artikel hatte folgende Tendenz: „. . . Wollen wir eine blosse Sekte sein, dann können wir uns den Luxus der Revolutionsspielerei aus Prinzip gestatten; wollen wir aber die Partei der deutschen Arbeiter bleiben, . . . dann muss im Vordergrund unseres Strebens das Verlangen stehen, auf dem Wege der friedlichen — ich sage nicht, der gesetzlichen — Propaganda auf politischem und wirtschaftlichem Gebiete Reformen und Umwälzungen herbeizuführen, die der arbeitenden Bevölkerung zum Nutzen gereichen . . ." Dietzgen stimmte diesem Artikel ausdrücklich zu. 2 8
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die Redfaktion] des S[ozial]d[emokrat] so, wie er seinerzeit, als wir in der Hochverratsuntersuchung sassen, die Red[aktion] des Volksst[aat] führte, dann hat er meine Zufriedenheit und Zustimmung. Was unsere Stellung zu H[ö]chb[er]g etc. anlangt, so habe ich schon früher, glaube ich, geschrieben, dass H[ö]chb[erg] namhafte Opfer für das Blatt gebracht hat und noch bringt, dass er aber bisher sich in keiner Weise angemasst hat, sich in die Redaktion zu mischen und dort eine Leitung ausüben zu wollen. In Rücksicht auf die bisher geübte Opferwilligkeit und das persönlich höchst anständige Benehmen H[ö]ch[berg]s, erwarten wir also, dass H[irsch] sich jeden feindseligen Aktes gegen H[ö]chb[er]g enthält. Mag H[ö]chb[erg] immerhin kein Sozialist in unserem Sinne sein, so ist er ein durchaus anständiger Mensch, und es lässt sich mit ihm verkehren. Dass H[ö]chb[er]g die Wahl H[ir]schs gern sieht, ist nicht zu erwarten, und ich glaube, die grössere Schuld ist in diesem Falle auf Seite H[ir]schs; er wird aber dagegen auch nicht opponieren, und wenn er opponierte, würde es ihm nichts helfen. Den Jahrbuchartikel und das Jahrbuch 5 überhaupt anlangend, so ist zu bemerken, dass kein Mensch in der Partei dies für eine offizielle Kundgebung angesehen hat, das können nur Leute getan haben, die ausserhalb der Partei stehen. Ich glaube auch nicht, dass in der deutschen Partei nur fünf Exemplare gekauft worden sind. Was H[ö]chb[erg] nicht verschenkte, ist er schwerlich gegen Geld losgeworden. Ferner ist L[ie]bkn[echt] seinerzeit v[on] H[ö]chb[erg] selbst angetragen worden, einen Artikel, von beliebiger Länge, gegen den bekannten Artikel in der zweiten Hälfte d[es] J[ahrbuches] zu veröffentlichen. L[ie]bk[necht] hat auch dazu sich bereit erklärt, er hat ihn aber nicht geschrieben, und so trifft nicht H[ö]chb[erg] die Schuld, wenn der Artikel unerwidert blieb. Diese alte, längst vergessene Geschichte wieder im Blatt aufzurühren, dagegen sind wir. Ich darf wohl annehmen, dass durch die Wahl H[irsch]s Euch zur Genüge gezeigt ist, dass fremder Einfluss bei dem Blatt nicht vorhanden ist. Wenn das Blatt nicht besser war, so lag das mit an der Persönlichkeit des Redakteurs. Andernteils darf nicht verschwiegen werden, dass V[ollmar] anfangs etwas sehr gebundene Marschroute hatte und diese etwas zu ängstlich innehielt, und dass die Unsicherheit der Haltung wesentlich auf die sich widersprechenden Elemente in der Leitung (hier in Deutschland) zurückzuführen war. Wird das Blatt fest und entschieden geleitet, so hat es auch fest die entschiedenen Elemente hinter sich, und zwar in der Leitung wie in der Partei. « S. Briefe Nr. 17, 18, 19.
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Bei guter Redaktion dürfen wir auch hoffen, dass sich der Leserkreis in Kürze so steigert, dass das Blatt sich ohne Hilfe dritter trägt und hält, und das wird wieder ganz wesentlich dadurch gefördert werden, dass Sie und M[arx] schriftstellerisch mit dafür eintreten. Ich darf wohl hoffen, dass Ihr nächster Brief die Zustimmung dazu enthält. Für einstweilen sind wir noch dem Belagerungszustand entgangen, auf wie lange, das wissen die Götter. Einstweilen sind die Herren in den höchsten Regionen wieder einmal untereinander sich aufsässig, und das kann uns nichts schaden. Sehr gespannt bin ich auf die Motive Hamburgs für den Belagerungszustand.8 Der arme Senat wird grosse Mühe haben, die wahren Gründe nicht merken zu lassen. Beilage bitte ich an Hirsch zu geben und mit ihm noch einmal gründlich zu sprechen. Herzliche Grüsse an Sie und M[arx] v[on] Ihrem A. BEBEL.
Briefe an mich bitte unter der Adresse Herrn Alb. Otto, Maschinenfabrikant, Reudnitz-Leipzig, Louisenstr. zu senden. 6 Die Verordnung über den kleinen Belagerungszustand trat am 29. Oktober in Kraft; aber bereits einige Tage vorher waren Ausweisungsbefehle gegen 105 Sozialdemokraten erlassen. Der Antrag war von Preussen und Hamburg gemeinsam im Bundesrat gestellt; der Hamburger Senat erhoffte davon ein Entgegenkommen Preussens im Zollanschlusskonflikt. A.m.L., III, S. 172f. H. Laufenberg, Geschichte, II, S. 203ff. Bebels Rede über den Belagerungszustand in der Reichstagssitzung vom 31. März 1881 in Nr. 16 des Sozialdemokrat vom 17. April 1881.
2 9 . B E B E L AN E N G E L S
Leipzig, den 26. Dezember 1880.
Original. Lieber Engels!
Die Angelegenheit Hirsch ist also in der Weise gelöst, dass Hfirsch] bleibt, wo er ist, und nicht die Redaktion übernimmt. Ganz entgegengesetzt unseren mündlichen Abmachungen trifft am 24. Dez[ember] abends ein Brief von ihm ein, worin er unter Wiederholung der bekannten Anschuldigungen gegen die Zür[icher] erklärte, nicht nach Z[ürich] zu gehen, sondern die Redaktion von London aus leiten zu wollen.1 Dieser Brief, den ich gestern in der Zusammenkunft, der auch Liebknfecht] beiwohnte, vorlas, schlug dem Fass den Boden 1
A.m.L., III, S. 165ff.
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aus. Wir waren nunmehr einstimmig der Ansicht, dass H[irsch] einfach nicht von L[on]don weg will, und da wir andrerseits unmöglich H[irsch] zuliebe und ohne äusseren Zwang die von ihm geplante Umwälzung vornehmen können noch wollen, so wurde sein Schreiben als Ablehnung aufgefasst und heute von mir dementsprechend beantwortet. Damit ich nicht Wiederholungen zu machen habe, bitte ich, dass Ihr Euch von H[irsch] meinen Brief zur Einsicht vorlegen lasst. Das Arrangement soll so getroffen werden, dass L[ie]bkn[echt] die Hauptleitung des Blattes hat, Leitartikel und politische Ubersicht schreibt resp. liefert, Kautsky die Korrespondenz und das Technische der Redaktion zu erledigen hat.2 Wie das Arrangement sich bewährt, muss die Erfahrung lehren, grosse Erwartungen hege ich nicht. Ich bitte Euch (Dich und M[arx]), dass Ihr nach Kräften L[iebknecht] unterstützt, namentlich während der Zeit, wo er im Gefängnis ist und nur mit Uberwindung von allerlei Hindernissen mitarbeiten kann. Der mit Deinem heute eingetroffenen Brief Angefragte soll wohl Bruck,3 nicht Brock heissen. Der Mann war Parteigenosse, hat aber dann, nachdem er eine längere Gefängnishaft verbüsst und seine Unterstützung reglementmässig bezogen, seinen Austritt aus der Partei erklärt. Er ist allem Anschein nach ein Krakeeler und leidet nebenbei an Grössenwahn. Ihr werdet nunmehr wissen, wie Ihr ihn zu behandeln habt. Die Sendung Tee, Whisky etc. ist glücklich eingetroffen und sieht ihrer Verwendung entgegen. Meine Frau lässt herzlich danken, und schliesse ich mich speziell noch diesem Dank an in bezug auf alles, was Ihr in L[on]d[on] für mich getan.4 Mich erwartete hier ein ganzer Berg Arbeit, zu dessen Erledigung mir die Feiertage sehr gelegen kommen. Sonst alles beim alten. L[ie]bkn[echt] hat auf vierundzwanzig Stunden Ferien gehabt, musste aber gestern nachmittag wieder einziehen.5 Sylvester bekommt er wieder vierundzwanzig Stunden frei. Die Leute sind hier noch anständig. S. K. Kautsky, Erinnerungen, S. 467ff. Emil Bruck hatte Engels mehrmals aufgesucht und von ihm auch eine Unterstützung erhalten. Er fand Arbeit in der Londoner Niederlassung der Amstel Lager Beer Brewery. Am 22. Mai 1890 übersandte er Engels seine Broschüre Die erste sozialistische Produktivassoziation für das deutsche Reich. Von einem Sozialdemokraten. Brucks Briefe im Nachlass. 4 Bebel war Anfang Dezember mit Bernstein und Singer etwa eine Woche in London, um durch persönliche Besprechungen ein gutes Einvernehmen zwischen der Parteileitung, dem Sozialdemokrat und den Londonem herzustellen. 5 Liebknecht verbüsste seit Mitte November eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten, die ihm eine Versammlung in Chemnitz eingebracht hatte. 2 3
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Herzliche Grüsse Euch allen, speziell auch der Familie Marx. D[ein] A. BEBEL,
3 0 . B E B E L AN E N G E L S
Leipzig, den 14. Januar 1881.
Original. Lieber Engels!
Ich bitte Dich, beiliegenden Brief, der heute in meine Hände gelangte, als Fr[itzsche] schon abgereist war, an Fritzsche oder Viereck zu übergeben.1 Den Briefschreiber wirst Du wahrscheinlich kennen. Mit der Redaktion in Zfürich] befinden wir uns augenblicklich in einem vollständigen Provisorium, und ist vor Frühjahr auch an kein Definitivum zu denken. Wir sind übrigens alle überzeugt, dass Hirsch künstlich nach Vorwänden gesucht, weil er den wahren Grund, weshalb er nicht von London will, nicht angeben mochte. Er wird unsrerseits nie wieder in die Verlegenheit versetzt werden, etwas abschlagen zu müssen. Sonst hier alles beim alten. Dass die Berliner Arbeiter gegen die Berliner Bourgeoisie Bildung und Kultur vertreten mussten,2 das ist prächtig und liefert uns Wasser auf die Mühle für die Belagerungszustands-Debatte im Reichstag. Herzlichen Gruss Euch allen. Dein A. BEBEL.
Der Wydener Kongress hatte beschlossen, dass Fritzsche und Viereck eine Agitationsreise nach den Vereinigten Staaten unternehmen sollten, um den Finanzen der Partei aufzuhelfen. Die Reise brachte, wie auf dem Kopenhagener Kongress 1883 mitgeteilt wurde, einen Reingewinn von 13.000 Mark. 2 Eine überwiegend von Arbeitern besuchte Versammlung in den „Reichshallen" am 12. Januar sprach sich gegen den um sich greifenden Antisemitismus Stoekkers aus. In einer Resolution wurde zum Ausdruck gebracht: „ . . . Aber einmal berufen, ihre Stimme über die Antisemitenbewegung abzugeben, säumten die Berliner Arbeiter nicht, getreu den sozialdemokratischen Grundsätzen, sich gegen alle Ausnahmegesetze, gegen jede politische und soziale Unterdrückung auszusprechen." Der Sozialdemokrat berichtete darüber in Nr. 4, 23. Januar 1881.
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Herzliche Grüsse Euch allen, speziell auch der Familie Marx. D[ein] A. BEBEL,
3 0 . B E B E L AN E N G E L S
Leipzig, den 14. Januar 1881.
Original. Lieber Engels!
Ich bitte Dich, beiliegenden Brief, der heute in meine Hände gelangte, als Fr[itzsche] schon abgereist war, an Fritzsche oder Viereck zu übergeben.1 Den Briefschreiber wirst Du wahrscheinlich kennen. Mit der Redaktion in Zfürich] befinden wir uns augenblicklich in einem vollständigen Provisorium, und ist vor Frühjahr auch an kein Definitivum zu denken. Wir sind übrigens alle überzeugt, dass Hirsch künstlich nach Vorwänden gesucht, weil er den wahren Grund, weshalb er nicht von London will, nicht angeben mochte. Er wird unsrerseits nie wieder in die Verlegenheit versetzt werden, etwas abschlagen zu müssen. Sonst hier alles beim alten. Dass die Berliner Arbeiter gegen die Berliner Bourgeoisie Bildung und Kultur vertreten mussten,2 das ist prächtig und liefert uns Wasser auf die Mühle für die Belagerungszustands-Debatte im Reichstag. Herzlichen Gruss Euch allen. Dein A. BEBEL.
Der Wydener Kongress hatte beschlossen, dass Fritzsche und Viereck eine Agitationsreise nach den Vereinigten Staaten unternehmen sollten, um den Finanzen der Partei aufzuhelfen. Die Reise brachte, wie auf dem Kopenhagener Kongress 1883 mitgeteilt wurde, einen Reingewinn von 13.000 Mark. 2 Eine überwiegend von Arbeitern besuchte Versammlung in den „Reichshallen" am 12. Januar sprach sich gegen den um sich greifenden Antisemitismus Stoekkers aus. In einer Resolution wurde zum Ausdruck gebracht: „ . . . Aber einmal berufen, ihre Stimme über die Antisemitenbewegung abzugeben, säumten die Berliner Arbeiter nicht, getreu den sozialdemokratischen Grundsätzen, sich gegen alle Ausnahmegesetze, gegen jede politische und soziale Unterdrückung auszusprechen." Der Sozialdemokrat berichtete darüber in Nr. 4, 23. Januar 1881.
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31. BEBEL AN
ENGELS
Leipzig, den 11. Februar 1881.
Original. Lieber Engels!
Es freut mich natürlich sehr, dass Ihr mit der Haltung des S[oziäl]d[emokrat], wie sie sich seit Neujahr gestaltet hat, zufrieden seid. Soweit meine Kenntnis der Stimmung reicht, ist die günstige Meinung überall verbreitet. Ich bin ganz Deiner Ansicht, dass B[ernstein] besser passt als K[autsk]y, welch letzterer allerlei Schrullen hat, die wesentlich auf seine Auffassung und Kenntnis österreichischer Verhältnisse zurückgeführt werden müssen. K[autsky] war neulich hier, und da habe ich längere Auseinandersetzungen mit ihm gehabt und gefunden, dass erhebliche Meinungsdifferenzen zwischen ihm und uns leicht eintreten könnten. Da nun K[autsky] keineswegs auf den Redakteurposten versessen ist, vielmehr ihn nur provisorisch annehmen will, so habe ich heute B[ern]st[ein] geschrieben, ob er, B[ern]st[ein], nicht definitiv in die Redaktion eintreten will. Ich hoffe, dass dies geschieht,1 und wäre dann diese Sorge aus der Welt geschafft. Was Du bezüglich der sächsfischen] Landtagsrede L[iebknecht]s schreibst, habe ich selbst nicht einmal genau verfolgt. L[iebknecht] hatte eine lange Zeit ganz und gar das Steuer verloren. Er hatte sich insbesondere im sächs[ischen] Landtag, — ich glaube, ich habe Dir früher schon einmal darüber geschrieben — veranlasst durch Freytag und Puttrich,2 viel zu sehr in die gemütliche Stimmung versetzen lassen. Dazu kommt sein von jeher viel zu sehr auf das rein Politische gerichteter Blick, der es verschuldet, dass er die ökonomischen Verhältnisse und ihre Entwicklung viel zu wenig beachtete und dadurch notwendig zu falschen Auffassungen getrieben wurde. Es wäre gut, wenn Du L[iebknecht] gelegentlich Deine Meinung über seine damaligen Reden offenbaren wolltest, das könnte nur günstig wirken.3 Auch ist eine solche Einwirkung um so nötiger, da die Mehrzahl der übrigen „Führer" noch einseitiger ist wie L i e b knecht] und dabei von einem bedenklichen Pessimismus befallen ist. Zum Glück ist die Masse, wie immer, besser als die Führer, und sie wird eines Tages über sie hinwegschreiten. Das habe ich schon mehrfach unverhohlen ausgesprochen, wenn ich in dem stattfindenden Meinungsaustausch gegen das Einseitige und Schiefe der Beurteilung 1 2 3
E. Bernstein redigierte den Sozialdemokrat von Nr. 2 des Jahrgangs 1881 ab. Leipziger Rechtsanwälte und sozialdemokratische Landtagsabgeordnete. S. Brief Nr. 36, Abs. 3; der Brief ist nicht bekannt.
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unserer Zustände und den nahezu gänzlichen Mangel an Vertrauen zu den Massen losziehen musste. Mir ist es unbegreiflich, wie man bei unseren Zuständen anders als mit Hoffnung in die Zukunft blicken kann. Dass sie für uns persönlich höchst unangenehme und widerwärtige sind, ist unzweifelhaft; aber sie sind es aus ganz anderen Gründen auch für die ungeheure Mehrzahl, und zwar bis hoch in die herrschenden Klassen hinauf. Ich war kürzlich wieder acht Tage auf der Geschäftsreise, und zwar in Schlesien und der Lausitz, und das Bild, das ich da wieder von unseren ökonomischen Verhältnissen bekommen habe, spottet nahezu jeder Beschreibung. Ein fast vollständiges Darniederhegen aller Geschäfte, Hungerlöhne für die Arbeiter, Massenbankerotte in der Unternehmerklasse, vollständige Verzweiflung in dem Handwerkerstande. Die Mehrzahl der Unternehmer hält sich nur noch mit Mühe über Wasser, Schwindel und Betrug, der abscheulichsten Art, in allen Ecken und keine Aussicht auf Hebung. Was ich Euch schon in London sagte und Ihr mir nicht recht glauben wolltet, wird bei mir täglich festere Uberzeugung, nämlich dass an einen erheblichen und halbwegs andauernden Aufschwung der Geschäfte gar nicht mehr zu denken ist; dass die Krise chronisch ist und sich fortschleppt, bis irgendein Ereignis den Anstoss zum allgemeinen Kladderadatsch gibt. Interessant ist, was man zu hören bekommt, wenn man als Schaf im Wolfspelz4 unter die Kaufleute und Fabrikanten kommt und diese in ihren Herzensergiessungen belauscht. So ist noch nie auf Bismarck und sein System geschimpft worden wie jetzt. Die nächsten Wahlen dürften eine stark oppositionelle Färbung annehmen. Könnten wir jetzt agitieren, wir gewännen die Massen im Sturme und Dutzende von Reichstagssitzen. Wird der Belagerungszustand nicht weiter ausgedehnt, so hoffe ich trotzdem auf gute Erfolge. Die Freiheit habe ich, seit ich von London weg bin, nicht gesehen, ich will Rackow5 veranlassen, dass er sie mir regelmässig sendet. Das über Auer Aufgetischte ist von A. bis Z. erlogen.6 Ich begreife nur nicht, wie das Blatt sich noch halten kann, sein Einfluss resp. seine Verbreitung ist in Deutschland sehr gering. Ich glaube nicht, dass Du in bezug auf Hirsch recht hast. Es war Bebel meint: als Wolf im Schafspelz. Heinrich Rackow, Geschäftsführer der Allgem. Deutschen Assoziations-Buchdruckerei, in der 1875 der Neue Social-Demokrat, seit 1876 die Berliner Freie Presse erschien. Im Oktober 1878 wurde er aus Berlin ausgewiesen und ging nach London. 8 Die Freiheit brachte in Nr. 6, 5. Februar eine Korrespondenz aus Hamburg, in der Auer der Unterschlagung von Unterstützungsgeldem bezichtigt wurde. 4
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Hfirsch] doch mehr um seine materielle Stellung zu tun, was ich ihm gar nicht übelnehme, nur hätte er uns nicht nasführen sollen. Mag sein, dass er die Redaktion gern gehabt hätte, aber unter Bedingungen, wie er sie machte, war sie unmöglich, und das konnte er sich sagen. Er hat es seinerzeit genau so gemacht. Solange er die Stellung in Paris hatte, wusste er nicht, was er alles verlangen sollte, und das Nörgeln hatte kein Ende; als er aber aus Paris hinausgeworfen wurde, da hatte er alle Bedingungen plötzlich vergessen und hätte sofort angenommen. Da war es zu spät. Anführen will ich noch, dass mir B[ern]st[ein] auf der Rückreise von London einen Brief Hirschs an H[ö]chb[erg] oder B[ern]st[ein] selbst — das weiss ich nicht mehr genau — zeigte, in dem Hirsch erklärt, dass er voll und ganz die Gründe, die ich für die Gründung des Blattes in Zürich anführe, billige und meine Ansicht teile im Gegensatz zu der L[ie]b[knecht]s, der für L[on]d[on] oder Brüssel war. Hätte B[ern]st[ein] Euch den Brief gezeigt, so wäre H[irsch] arg blamiert gewesen. Doch ich will Abgetanes nicht mehr aufrühren. Mit der Übersendung informierender Berichte aus Zeitungen an Euch ist es eine schlimme Sache. Die Blätter, die gehalten werden, brauchen die Redakteure, ich selbst habe sehr wenig Zeitungen, bin auch selten zu Hause. Ich würde Euch empfehlen, die Magde[burger] Zeit[ung] gemeinsam zu halten. Sie ist zwar ein gemeines nat[ional]lib[erales] Blatt, aber sie ist sehr gut unterrichtet und liefert namentlich die ausführlichsten Reichstags- und Landtagsberichte. Kein deutsches Blatt bringt z.B. unsere Reden so ausführlich wie sie. In bezug auf Informationen ist sie weit besser als die Kölnische oder die Fr[ank]f[ur]ter Zeitung. Du kannst ja ein Quartal mal probieren, ich glaube, Du wirst mit dem Erfolg zufrieden sein. Beilage bitte ich Dich, Hirsch zu übergeben, der die paar Zeilen an Rfackow] wohl besorgen wird. Könntet Ihr für L[ie]b[knecht] nicht eine leidlich bezahlte Korrespondenz in eine englische Zeitung schaffen, in die er schreiben kann, ohne sich etwas zu vergeben? L[ie]b[knecht] wird, wenn er aus dem Gefängnis kommt, mehr seinen Erwerb in dieser Richtung suchen müssen, da ihm die Bezahlung unserer Blätter allein nicht ausreichend Lebensunterhalt gewährt. Freundschaftliche Grüsse Euch allen. Dein A . BEBEL.
Ich bitte um gelegentliche Mitteilung einiger Deckadressen. Die 104
seinerzeit mitgeteilten habe ich vor[igen] Sonntag in Breslau vernichtet,als ich dort in der Wohnung Hepners von vier Mann Polizei beehrt wurde.7 Wir waren sechs oder sieben Mann beieinander, um verschiedenes zu besprechen, als die heil [ige] Hermandad, in der Hoffnung auf einen Hauptfang, plötzlich eintrat und eine Visitation und Haussuchung vornahm. Der einzige Fund war ein von mir angefangener Brief an Hasenclever, den ich anlässlich des Besuches nicht hatte vollenden können, unid mit diesem Briefe konnte sie nichts anfangen. Die Herren gingen nach zwei Stunden kleinlaut von dannen. Ich bitte Dich, mir in einem nächsten Briefe mitzuteilen, wie die „Great Britain Mutual Life Assurance Society" steht. Ich habe einen guten Bekannten, der Mitglied ist und schon mehrfach hat nachzahlen müssen, und dieser möchte gern wissen, was er weiter zu erwarten hat. Es dürfte sich um die Haussuchung handeln, über die der Sozialdemokrat in Nr. 9, 27. Februar unter dem Titel „Blinder Eifer schadet nur" berichtete.
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32. B E B E L AN
ENGELS
Leipzig, den 28. März 1881.
Original. Lieber Engels!
Brief vom 13. d. Mts., dem Tage der Hinrichtung Alexanders II,.1 empfangen; die einliegenden zehn Pfund sind in zweihundertvier Mark umgewechselt und der bekannten Kasse zugewiesen worden. Ich empfing die Nachricht von der plötzlichen Abreise „Väterchens" zur grossen Armee in Ostrowo in der Provfinz] Posen, wo ich Angehörige meiner Familie von Vaters Seite zum ersten Male besuchte.2 Der allgemeine Eindruck war dort, soweit es sich um die deutsche Bevölkerung handelt, ein sehr deprimierender; man sah im Geiste bereits die Kriegserklärung und die Russen vor der Tür. Ganz den entgegengesetzten Eindruck soll die Tat bei der polnischen Bevölkerung gemacht haben. Bezeichnend für die Umwandlung in der allgemeinen] Stimmung ist, dass nicht ein Blatt in Deutschland ernsthaft den Versuch machte, uns die Tat, wenn auch indirekt, an die Rockschösse zu hängen, obgleich in Berlin die Nachricht in den offiziellen Kreisen furchtbar einschlug und die polizeilichen Überwachungen sich verdoppelten. Zar Alexander II. wurde am 13. März bei einem Attentat getötet. Bebel erfuhr, dass dort drei Geschwister seines Vaters und eine Reihe jüngerer Verwandter lebten. Über die abenteuerliche Reise A.m.L., III, S. 122f.
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Mir scheint, dass in Russland die Dinge einer weiteren Katastrophe entgegentreiben; Beweis, dass man dergleichen fürchtet, das freundschaftliche Verhältnis, in das man sich zu Deutschland zu setzen sucht. Mir scheint ferner: die Stimmung ist in den oberen Regionen allerwärts sehr gedrückt und beängstigt, man fühlt instinktiv, dass sich ein unheimliches Gewitter, vor dem es kein Entrinnen gibt, zusammenzieht, und diese Beängstigung dürfte sich zunächst in der einen oder anderen Weise weiter gegen uns Luft machen. Nous verrons! Ich kann entsprechend meinen früheren Briefen nur wiederholt konstatieren, dass sich die Erkenntnis von der Unhaltbarkeit der Situation und dem Herannahen einer Katastrophe weiter und weiter verbreitet. Wenn die Dinge, wie gar nicht zu zweifeln ist, sich so weiterentwickeln, halte ich für möglich, dass in einem gewissen Moment die herrschenden Klassen sich in einer Art hypnotischen Zustandes befinden und fast widerstandslos alles über sich ergehen lassen. Es ist das ein Gedanke, den ich schon lange habe und auch öfters schon aussprach, der mir in der letzten Zeit aber auch von anderer Seite entgegengebracht wurde. Bedingung ist, dass die Entwicklung sich ausreifen kann und nicht durch unvorhergesehene Zwischenfälle gestört und verfrüht zur Explosion getrieben wird. Ich wünsche mir recht sehnlich, fünfzehn Jahre jünger zu sein; denn was kommt, das erfordert die Kraft und die Energie von Riesen, und selbst diese dürften zerrieben werden. — Ich habe mir natürlich nicht eingebildet, dass Hirsch so übelnehmerisch und einfältig Dir gegenüber sein werde. Ich hoffe, er hat sich mittlerweile besonnen. Für die erteilte Auskunft über Br[itish] M[utual] A[ssurance] besten Dank! Mein Bekannter befindet sich in der unglücklichen Lage, schon tausend Mark auf die hundert Pfund Versicherung bezahlt zu haben, und glaubt nun krampfhaft — da er ein unbemittelter Mann ist —, noch etwas retten zu können. Es wäre mir daher heb, wenn Du mir bestimmt schreiben könntest, dass er auf nichts mehr rechnen kann; sonst begeht er die Verkehrtheit, noch weiter zu zahlen. Macht es Dir nicht zuviel Mühe, so bitte ich Dich, noch einmal Erkundigung einzuziehen. Die M[ost]sche Freih[eit] habe ich in der letzten Zeit ziemlich regelmässig erhalten. H[ans] ist eben alle, B[ernstein] in Z[ürich] versteht besser zu packen. Ist der Artikel in Nr. 13 des S[ozial]d[emokrat] „Allerhand Vorzeichen' 3 von Hirsch? Es scheint mir so. Ich stimme dem Artikel im ® In dem Aufsatz „Allerhand Vorzeichen", in Nr. 13 des Sozialdemokrat vom 27. März, gezeichnet H—e, wurden Parallelen zwischen der Entwicklung am Ende
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wesentlichen zu, obgleich ich glaube, die neue Revolution wird mit der bürgerlichen Gesellschaft viel gründlicher aufräumen, als es die bürgerliche mit der feudalen getan hat; aber ich sehe in England noch gar keine entsprechende geistige Bewegung, die sich doch kundtun müsste. Man räsonniert so viel auf die Dummheit und Langmut der Deutschen; mir deucht, die Engländer sind ihnen noch „über". Gruss und Handschlag Euch allen D[ein] A . BEBEL.
des 18. und 19. Jahrhunderts gezogen; es wurde auf einen ähnlichen revolutionären Verlauf geschlossen.
3 3 . E N G E L S AN B E B E L
London, den 30. März 1881.
Original. Lieber Bebel!
Viereck (von dem inliegend] eine Postkarte) wünscht, ich soll Euch über das Bostoner Meeting berichten; aber wie gewöhnlich bei kombinierten Operationen, kam auch hier eine Störung nach der anderen: 1. schrieb Harney1 eine Woche später, 2. vergass er den Zeitungsbericht beizulegen, den ich erst gestern erhielt. Diesen gebe ich heute an Kautsky, der hier ist, damit er ihn für den S[ozial]-D[emokrat] verarbeitet.2 Das Meeting in Boston war brillant, trotz schlechter Ankündigung fünfzehnhundert Leute, ein Drittel Deutsche. Zuerst sprach Swinton,3 ein amerikanischer] Kommunist, der uns vorigen Sommer hier besuchte und Eigentümer einer grossen N[ew] Y[ orker] Zeitung ist. G. J. Hamey (1817-97), Chartistenführer, Redakteur des Northern Star, des Red Republican, des Friend of the People, später des Jersey Independant; Anfang der sechziger Jahre ging er nach Amerika und erhielt in Boston eine kleine Stelle als Verwaltungsbeamter. Mit Engels stand er seit 1843, mit Marx seit 1847 in Verbindung. 2 Der von Kautsky bearbeitete Bericht erschien u. d. T. „Fritzsche und Viereck in Amerika" im Sozialdemokrat, Nr. 13, 27. März, Nr. 16, 17. April 1881. 3 John Swinton (1830-1901), Chefredakteur der New Yorker Sun, einer der Begründer der sozialistischen Partei der Vereinigten Staaten. In einer Massenversammlung in New York sagte er u.a.: „Unsere Pflicht als Amerikaner ist es heute, für die Verwirklichung amerikanischer Freiheitsideen in Deutschland unsere Stimme zu erheben, dass der Widerhall das Berliner Schloss in seinen Grundfesten erschüttern macht." Der Sozialdemokrat, Nr. 11, 13. März. 1
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Dann Fritzsche. Endlich Wendeil Phillips,4 der grosse Anti-SklavereiMann, der mehr als irgend jemand, John Brown ausgenommen, für die Abschaffung der Sklaverei und die Durchführung des Krieges getan, und der der erste Redner Amerikas, vielleicht der Welt ist. Er trug den Deutschen den Dank ab, den er ihnen schuldete, dass 1861 in allen grossen Städten die deutschen Turner ihn vor dem amerikanischen Mob mit ihren Leibern gedeckt und St. Louis der Union erhalten hatten. Wie er sprach, nur eine Probe: „So weit wie ich vom Kampfplatz ab bin, erlaube ich mir nicht, die Kampfweise zu kritisieren. Ich schaue auf Russland, viertausend Meilen entfernt, und sehe, welch ein Alp auf dem Volk dort lastet. Ich hoffe nur, dass sich jemand findet, der ihn von den Schultern des Volks wegnimmt. Und wenn das nur der Dolch kann, dann sage ich: Willkommen der Dolch! Ist hier ein Amerikaner, der das missbilligt? Wenn das, dann sehe er (auf ein Wandgemälde zeigend) sich Joe Warren an, der bei Bunkers Hill starb." Das war am 7. März, am 13. tat die Bombe, was der Dolch nicht konnte.5 Nach dem heutigen Standard soll Most wegen des Attentatsartikels6 von der englfischen] Regierung verfolgt werden! Wenn die russische Gesandtschaft und Gladstone platterdings den albernen Hans zum grossen Mann machen wollen, dann ist ihnen nicht zu helfen. Es ist dabei noch lange nicht sicher, dass M[ost] verurteilt wird. Die sittliche Entrüstung der grossen Blätter über die Bombe war grossenteils Anstandssache, der der Bourgeois schandenhalber hier sich nie entzieht. Die komischen Blätter, die die Stimmung weit treuer widerspiegeln, haben den Fall ganz anders gefasst, und bis es zur Schlussverhandlung kommt, kann sich dabei noch manches ändern, so dass das erforderliche einstimmige Verdikt von zwölf Geschworenen noch lange nicht sicher ist. Um zu unseren amerikanischen] Freunden zurückzukehren, so ist das Eintreten von Wendeil Phillips (bewirkt durch einen jungen amerikanischen] Journalisten Willard Brown, der voriges Jahr hier Wendell Phillips (1811-1884), amerikanischer radikaler Politiker. 1863 befürwortete er die Gründung einer selbständigen Arbeiterpartei; 1869 unterstützte er die Gründung der Boston Eight Hours League und des Massachusetts Bureau of Labor Statistics; 1870 war er Kandidat der Labor Reform Party, deren Vorsitzender er war, für den Gouverneursposten von Massachusetts. 5 Das Attentat auf Alexander II. 8 Mösts Artikel „Endlich" erschien in der rotumrandeten Nr. 12 der Freiheit vom 19. März. Der Artikel war auf den Ton gestimmt: „Was man allenfalls beklagen kann, das ist die Seltenheit des sogenannten Tyrannenmordes. Würde nur alle Monate ein einziger Kronenschuft abgetan: in kurzer Zeit sollte es keinem mehr behagen, noch fernerhin einen Monarchen zu spielen." Am 22. Juni wurde Most zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt. 4
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viel bei Marx verkehrte und der überhaupt bei der amerikanischen] Presse alles für sie getan und die nötige Reklame für sie gemacht) von der höchsten Bedeutung. Der Erfolg übertrifft überhaupt meine Erwartungen und zeigt, dass auch bei den Deutschen, selbst Bürgern, in Am[erika] die Bismärckerei sehr in Verfall gekommen. [Viereck]s Hoffnungen von einer zweiten Reise mit L[iebknecht] dürften sich aber schwerlich realisieren, so rasch darf man nicht zweimal kommen. Auch dürfte das grosse Petersburger Ereignis und seine unvermeidlichen Folgen eine solche, die doch erst im nächsten Jahr zulässig, überflüssig machen. Alex[ander] III. muss, er mag wollen oder nicht, durch irgendeinen entscheidenden Schritt den Stein ins Rollen bringen; bis dahin kann aber noch eine kurze Zeit schwerer Verfolgung kommen, und die Schweiz wird wohl bald zu Massenausweisungen schreiten. Inzwischen versimpelt der alte Wilhelm immer mehr, wenn er nicht abkratzt; Bismarck wird täglich toller und scheint mit Gewalt den preussischen rasenden Roland spielen zu wollen; die bürgerlichen Parteien gehen täglich mehr aus dem Leim, die Steuerwut der Regierung tut den Rest. Selbst wenn wir alle die Hände in den Schoss legten, die Ereignisse würden uns mit Gewalt in den Vordergrund schieben und den Sieg vorbereiten. Es ist ein wahrer Genuss, so eine lang vorhergesehene revolutionäre Weltlage der allgemeinen Krisis entgegenreifen, die blinden Gegner unsere Arbeit für uns tun, die Gesetzmässigkeit der dem Weltkrach zutreibenden Entwicklung in und durch die allgemeine Verwirrung sich durchsetzen zu sehen. Gruss von M[arx] und Deinem F. E. 34. ENGELS AN
Original.
BEBEL
London, den 28. April 1881. Lieber Bebel!
Auf Deine Anfrage habe ich bei meiner Quelle (einem Börsenmakler) angefragt, ob der Betreffende besser tue, der G[reat] B [ritain] M[utual] & Co. (Büro 101, Cheapside, es ist doch dieselbe? Great Britain Mutual Insurance?) weiterzuzahlen oder die Einzahlungen einzustellen, und die Antwort erhalten: „Wir fürchten, es gibt keinen anderen Ausweg, als fortzufahren und die Einzahlungen zu machen, je nachdem sie eingefordert werden" (we fear there is no alternative but to keep on paying the calls as they are made). Ede hat uns die Stenogramme der Reichstagsverhandl[ungen] über 109
Belagerungszustand und Unfallvers[icherungs]gesetz geschickt.1 Wir machen Dir unser Kompliment über Deine beiden Reden. Die über das Unfallgesetz hat uns ganz besonders gefallen. Das ist der richtige Ton der vornehmen, aber auf wirkliche Kenntnis der Sache gegründeten ironischen Überlegenheit. Die Kritik des Entwurfs war alles, was zu wünschen und zu sagen war. Ich soll Dir das alles auch ausdrücklich in M[arx]' Namen sagen. Es war die beste Rede, die wir noch von Dir gelesen, und die Debatte macht den Eindruck, dass der Drechsler Bebel der einzige gebildete Mann im ganzen Reichstag ist. Was Du vielleicht bei 2. Lesung anbringen könntest: Sie, m[eine] H[erren], werden uns vielleicht fragen, wie wir's übers Gewissen bringen können, dieser Regierung Geld zu bewilligen, wenn auch für Unterstützung verunglückter Arbeiter? Mfeine] H[erren], nach dem, was der prfeussische] Landtag und Sie selbst im Bewilligen geleistet haben, ist die Macht des Reichstags in Geldsachen, die Möglichkeit, Konzessionen von der Regierung zu bekommen dadurch, dass man den Knopf auf dem Beutel hält, völlig dahin. Der Reichstag und Landtag hat sein Budgetrecht vollständig und ohne Gegenleistung geopfert, fortgeworfen, und da kommt es auf ein paar lumpige Millionen gar nicht mehr an. — Dazu waren alle jene Bewilligungen zu Ausbeuterzwecken (Schutzzölle, Kauf der Eisenb[ahnen] zu 30% über dem Wert — die rheinfische] stand unter 120, stieg durch die Kaufofferte der Regierung auf 150, jetzt 160!), und diesmal soll es doch wenigstens für Arbeiter sein! Im übrigen decken Dir die von Dir gestellten Annahmebedingungen vollständig den Rücken. Welch eine aufgeblasene, boshaft dumme Krautjunker- und Bürokratennatur ist aber dieser Bruder von Puttkamer!2 Beste Grüsse von M[arx]. Dein F. E. Ede schreibt, er bleibt vorderhand. 1 Bebels Rede über die „Handhabung des kleinen Belagerungszustandes in Berlin und Hamburg" in der Sitzung vom 31. März erschien nach dem stenographischen Bericht im Sozialdemokrat, Nr. 16, 17. April 1881; seine Rede über den Arbeiter-Unfallversicherungs-Gesetzentwurf in der Sitzung vom 4. April ebenfalls im Wortlaut ebd., Nr. 17-22, 24. April-29. Mai; beide Reden auch als Sonderdrucke der Zeitung. 2 Robert von Puttkamer (1828-1900), Oberpräsident von Schlesien, 1879 preussischer Kultusminister, 1881-88 Minister des Innern, danach bis zu seinem Tode Oberpräsident von Pommern. Bei den alljährlichen Debatten über Verlängerung bzw. Handhabung des Sozialistengesetzes trat Puttkamer besonders hervor, da der preussische Minister des Innern im Reichstag als Kommissar des Bundesrats die Länderregierungen vertrat. Sein Bruder, Bernhard von Puttkamer-Plauth, war Gutsbesitzer und konservativer Reichstagsabgeordneter. Eine mit seinem Namen verbundene Wahlbeeinflussung war der Anlass zum Sturz des Ministers. S. Brief Nr. 118, Anm. 1.
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3 5 . B E B E L AN
ENGELS
Leipzig, den 13. Juni 1881.
Original. Lieber Engels!
Wie gewöhnlich, dauerte es auch diesmal hübsch lange, bis ich zur Beantwortung Deines Briefes vom 28. April komme. Es war mir sehr angenehm zu hören, dass Du und M[arx] so einverstanden seid mit unserem Auftreten im Reichstag, speziell in Sachen des Unfallgesetzes. Mittlerweile haben sich die Dinge etwas weiterentwickelt, und es ist gekommen, wie vorauszusehen war: das Gesetz ist so verhunzt, dass es nicht einmal ausführbar ist. Der Bismarcksche Entwurf war elend, aber er hatte wenigstens ein Prinzip; das Ding, das der Reichstag zur Welt gebracht, ist eine so arge Missgeburt, dass sie schliesslich von Vater und Mutter verleugnet wird.1 Wahrscheinlich wird das Gesetz bis § 13 (Reichszuschuss) in dritter Lesung scheitern und Bismarck mit diesem Resultat in die Wahlagitation eintreten. Dass er viel Gimpel fängt, glaube ich nicht; heute ist ein Unfallgesetz kein Preis mehr, für den sich die Massen begeistern. Wäre Bismarck imstande, Arbeit zu schaffen und eine zehnprozentige Lohnerhöhung, dann wäre er der Mann der Situation. Das kann er aber in alle Ewigkeit nicht, und daran geht er und die Gesellschaft zugrunde. Meine letzte Reise nach Süddeutschland und der Schweiz hat mich in meiner schon früher ausgesprochenen Ansicht nur bestärkt. Die Stimmung wird immer unzufriedener, womit ich aber nicht sagen will, dass diese bei den Wahlen ihren richtigen Ausdruck finden wird. Alles ist in Gärung, und es hat sich noch nichts zur Klarheit durchgearbeitet. Man wird aus Unzufriedenheit oppositionell wählen, ohne dass diese Opposition die richtige Ansicht der Menge vertritt. Man ist der alten Schlagworte satt; man fühlt, dass der ganze Parlamentarismus, wie er sich seit zehn Jahren abgespielt, nichts, absolut nichts genützt hat; man fühlt, dass die ganze Gesetzgebung, die „liberale" wie die reaktionäre, nicht den Kern der Sache trifft, und lechzt förmlich nach einem erlösenden Wort, einer erlösenden Idee. Könnten wir jetzt reden, wir eroberten im Sturm. Ich habe in dieser Richtung merkwürdige Erfahrungen in meinen Versammlungen in Fürth, Esslingen2 und in der Schweiz gemacht. Die Gegner waren in Masse, wie 1 In den. nächsten Jahren wurde der dem Reichstag im Frühjahr 1881 vorgelegte Entwurf des Unfallversicherungsgesetzes wiederholt abgeändert, aber stets abgelehnt. Erst am 6. Juli 1884 kam das Gesetz zustande. 2 Über Bebels Versammlung in Esslingen, wo er am 21. April eine Versammlung der Volkspartei besuchte, in der Leopold Sonnemann referierte, berichtete der
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früher nie, erschienen, und sie horchten mit einer Andacht, die deutlich die Stimmung verriet, in der sie sich befanden. Sie haben den Glauben an ihr eigenes System verloren und sind sehr geneigt, neue Lehren anzunehmen, wenn man es nur versteht, sie ihnen mundgerecht zu machen. Die Bismarckschen Versuche in Staatssozialismus haben die Situation für uns noch günstiger gestaltet. Gleichwohl glaube ich nicht an grosse Erfolge bei den Wahlen, Krise und Auswanderung haben die geistigen und materiellen Kräfte dezimiert, der Druck der Zeit hindert das freie Auftreten, und der Verlust unserer Druckereien macht es uns äusserst schwer, das nötige gedruckte Agitationsmaterial zu erlangen. Dieser letztere Punkt wird von den meisten der Unseren viel zu wenig beachtet, er wird sich aber in den letzten vier Wochen vor der Wahl recht unangenehm fühlbar machen. Trotz alledem rechnet ein gut Teil unserer Gegner auf grosse Erfolge unsrerseits, und die Regierungen fürchten das gleiche. Grund genug, namentlich für die preussische, den Belagerungszustand über Leipzig 3 etc. fortgesetzt zu verlangen. Seit vier bis fünf Wochen finden hier unausgesetzt massenhaft Haussuchungen statt, aber bis jetzt mit sehr wenig Erfolg; man will, scheint es, Material haben und findet keins. Die nächste Woche wird ja wohl die Entscheidung bringen, da mit dieser Woche der Reichstag zu Ende geht. Uber die Ausreisserei von V[ahlteich] und Fr[itzsche] ist man hier und überall in Deutschland sehr wenig erbaut, ernsthafte Gründe hatte keiner.4 Bei V[ahlteich] war es der Widerwille, weiterzukämpfen, bei Frfitzsche] die Neigung zur Bequemlichkeit und einiges nicht ganz Saubere. Frfitzsche] ist davon, ohne seinen Wählern nur ein Wörtchen zu sagen. Darüber herrscht grosse Erbitterung in Berlin. Nun, auch das wird überwunden werden. Sozialdemokrat in Nr. 18, 1. Mai. A.m.L., III, S. 115f. Bebel verlegte in A.m.L., III, S. 114 die Fürther Versammlung — die dazu führte, dass dem Magistrat das Recht der Handhabung des Vereins- und Versammlungsrechts entzogen wurde, weil er es zugelassen hatte, dass Bebel in einer Volksversammlung sprach — in das Jahr 1882. 3 Der Belagerungszustand wurde Ende Juni über Leipzig verhängt. 4 Im Sozialdemokrat hiess es über ihre Abreise in dem wohl von Bebel verfassten Artikel „Ein Gespräch (zwischen einem fortschrittlichen und einem sozialdemokratischen Abgeordneten im Reichstag)" in Nr. 26, 26. Juni: „. . . Schaden wird uns die Abreise — oder nennen Sie es meinetwegen anders — unserer Kollegen nicht; sie werden aber ein peinliches Aufsehen erregen und innerhalb der Partei zur schärfsten Kritik Anlass geben. Ich enthalte mich, meinem Urteil vollen Ausdruck zu verleihen. Genug, dass ich, gleich allen Parteigenossen, die in meinen Augen ein Recht auf diese Bezeichnung haben, den Schritt also lebhaft bedaure und aufs entschiedenste missbillige. . . Der sogenannte „Führer" hat, je grösser sein Einfluss, je hervorragender seine Position, um so höhere, um so gebieterischere Pflichten . .."
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Vor ein paar Tagen habe ich Singer5 gesprochen, der mir erzählte, wie er Euch getroffen. Wie er mir sagte, soll Frau Marx sehr krank sein; das tut mir aufrichtig leid. Gruss und Handschlag Euch allen. Dein A . BEBEL.
Einlage an Viereck bitte zu besorgen; dass er heiratete, war ganz vernünftig; ich glaube, er hat eine gute Wahl getroffen; uns hat seine jetzfige] Frau, als sie vor[iges] Jahr hier war, sehr gut gefallen. Paul Singer (1844-1911), Fabrikant, seit 1878 Sozialdemokrat, von zu seinem Tode Vorsitzender der Stadtverordnetenfraktion in Berlin, 1911 Reichstagsabgeordneter, seit 1887 Vorstandsmitglied seiner Partei dem Vorsitzender aller Parteitage bis auf die von 1904 und 1910. E r engste politische Mitarbeiter Bebels.
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1883 bis 1884 bis und seitwar der
3 6 . E N G E L S AN B E B E L
London, den 25. August 1881.
Original. Lieber Bebel!
Ich hätte auf Deinen Brief vom 13. Mai früher geantwortet. Aber nach dem Leipziger „Kleinen"1 wartete ich, ob Du nicht vielleicht eine andere Deckadresse angeben würdest; da dies nicht geschehen, benutze ich die alte und lege noch einen Brief von Tussy M[arx] an Frau Liebknecht bei, deren Adrfesse] wir ebenfalls nicht haben. Bernstein schreibt noch immer, er wolle fort vom S[ozial]-D[emokrat], und schlägt jetzt Kegel2 als einzuschiessenden und nach der Einschiessung an seine Stelle zu nehmenden Ersatzmann vor. Meiner Ansicht nach wäre jede Änderung von Nachteil. B [ernstein] hat sich so über Erwarten gut gemacht (seine Artikel über die „Intelligenzen"3 1 Bebel, Hasenclever und Liebknecht, die an der Spitze der Liste der Ausgewiesenen standen, erliessen am 30. Juni, dem Tage des Inkrafttretens des Belagerungszustandes, einen Aufruf „im Namen sämtlicher Ausgewiesener", Der Sozialdemokrat, Nr. 28, 7. Juli. Bebel verliess Leipzig am 2. Juli. Am 12. Juli wurde er im Landkreis Leipzig-Ost mit grosser Mehrheit gegen den Einheitskandidaten der anderen Parteien in den sächsischen Landtag gewählt. A.m.L., III, S. 178ff. 2 Max Kegel (1850-1902), seit 1869 Mitglied der SDAP., Redakteur der Dresdener Volkszeitung, der Chemnitzer Freien Presse, der Fränkischen Tagespost; bekannter Arbeiterdichter, Verfasser des Sozialistenmarsches. 3 „Es fehlt uns an Intelligenzen" von Leo im Sozialdemokrat, Nr. 31, 28. Juli, Nr. 33, 11. August.
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z.B. waren, Kleinigkeiten abgerechnet, ganz vortrefflich und hielten ganz die richtige Linie), dass ein Besserer schwerlich zu finden. Kegel ist auf diesem Gebiet mindestens unerprobt und, wie die Sachen stehen, sollten alle Experimente vermieden werden. Ich habe B[ ernstein] dringend aufgefordert, zu bleiben und glaube, Ihr könnt nichts Besseres tun, als ihm ebenfalls zuzureden. Unter seiner Hand wird das Blatt immer besser und er selbst auch. Er hat wirklichen Takt und fasst schnell auf, das gerade Gegenteil von Kautsky, der ein äusserst braver Kerl ist, aber ein geborener Pedant und Haarspalter, unter dessen Händen nicht die verwickelten Fragen einfach, sondern die einfachen verwickelt werden. Ich und wir alle haben ihn persönlich sehr gern, und er wird auch in längeren Revue-Artikeln manchmal recht Gutes leisten; aber gegen seine Natur kann er beim besten Willen nicht, c'est plus fort que lui. Bei einer Zeitung ist ein solcher Doktrinär ein wahres Unglück, sogar Ede hat ihm im letzten S[ozial]D[emokrat] einen kritischen Schwanz an einen seiner Artikel hängen müssen.4 Dagegen hat er ein Bauernflugblatt für Öst[e]r[reich] 5 geschrieben, worin er etwas vom novellistischen Talent seiner Mutter entwickelt; einzelne gelehrte Ausdrücke abgerechnet, ist es recht gut und wird wirken. An L[iebknecht] habe ich wegen der Landtagsreden geschrieben9 und als Antwort erhalten, das sei „Taktik" gewesen (aber diese Taktik hatte ich gerade als das Hindernis offenen Zusammengehens mit ihm hingestellt!), es würde aber bald im Reichstag anders geredet werden. Das hast Du nun allerdings getan — aber was soll man sagen zu L[iebknecht]s unglücklicher und höchst überflüssiger Redensart von der „Ehrlichkeit des Reichskanzlers"?7 Er mag das ironisch gemeint haben, aber dem Bericht sieht man's nicht an, und wie hat die Bourgeoispresse das ausgebeutet! Ich hab ihm nicht weiter geantwortet, es hilft doch nichts. Aber auch Kautsky sagt uns, dass L[iebknecht] in alle Welt hinausschreibt, z.B. nach Österreich, M[arx] und ich seien vollständig mit ihm einverstanden und billigten seine „Taktik", und dass man das glaubt. Das kann doch nicht in Ewigkeit so fortgehen!
Ein Artikel Kautskys ist in der betr. Nummer nicht festzustellen. „Der Vetter aus Amerika, eine Erzählung für Landleute, erbaulich zu lesen." Das Flugblatt wurde im Sozialdemokrat Nr. 37, 8. September angekündigt. « S. Brief Nr. 31, Anm. 3. 7 Engels dürfte die Äusserung Liebknechts in seiner Reichstagsrede am 31. Mai 1881 meinen: „Fürst Bismarck hat selber die wunderbarsten Wandlungen durchgemacht, er hat die Aufrichtigkeit, es einzugestehen: er war eine Zeitlang im Schlepptau des Freihandels, ist dann in das Schlepptau der schutzzöllnerischen Bewegung gekommen — jetzt ist er im Schlepptau des Sozialismus."
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Auch über Hartmanns Rede beim Unfallgesetz8 macht sich die Freihielt] weidlich lustig, und wenn der zitierte Passus echt, so ist sie allerdings sehr bettelhaft. In Frankreich haben die Arbeiterkandidaten zwanzigtausend Stimmen in Paris und vierzigtausend in der Provinz gehabt,9 und wenn die Führer nicht eine Dummheit über die andere gemacht hätten seit Gründung der kollektivistischen] Arbeiterpartei, so wäre es noch besser gegangen. Aber auch dort sind die Massen besser als die meisten Führer. In der Provinz haben z.B. einzelne Pariser Kandidaten Tausende von Stimmen verloren, weil sie die hohle Revolutionsphraseologie (die in Paris nun einmal dazu gehört wie Klappern zum Handwerk) auch dort vorbrachten, wo sie aber ernsthaft genommen wurde und die Leute sagten: womit Revol[ution] machen ohne Waffen und Organisation? Im übrigen geht die französische] Entwicklung ihren regelmässigen normalen und sehr nötigen Verlauf in friedlicher Form, und das ist augenblicklich sehr nützlich, weil ohne das die Provinz nicht ernsthaft in die Bewegung gerissen werden kann. Ich begreife sehr wohl, dass es Euch in den Fingern juckt, wo sich in Deutschland alles so schön für uns entwickelt und Ihr mit Euren gebundenen Händen nicht nachhelfen, die Euch fast in den Schoss fallenden Erfolge nicht einheimsen könnt. Aber das schadet nichts. Man hat in Deutschland von vielen Seiten (Viereck ist nur ein schlagendes Exempel, der ganz ein geschlagener Mann war, weil keine öffentliche] Propaganda möglich) der offenen Propaganda zu viel Wert beigelegt, der wirklichen Triebkraft der geschichtlichen Ereignisse zu wenig. Es kann nur nutzen, hier durch die Erfahrung korrigiert zu werden. Die Erfolge, die wir jetzt nicht einheimsen können, sind uns darum noch lange nicht verloren. Die Aufrüttelung der gleichgültigen, passiven Volksmassen kann nur durch die Ereignisse selbst geschehn, und wenn dann auch der Gemütszustand der Aufgerüttelten unter jetzigen Umständen etwas arg konfus bleibt, so wird seinerzeit das erlösende Wort um so gewaltiger einschlagen, die Wirkung auf Staat und Bourgeoisie um so drastischer sein, wenn die sechshunderttausend Stimmen sich plötzlich verdreifachen, wenn ausser 8 Hartmann erklärte in seiner Reichstagsrede am 15. Juni 1881, es sei ein Grundprinzip der Sozialdemokratie, dass man jemand, der in Not sei, nicht zugrunde gehen lasse. Mit Freuden habe sie daher den Gesetzentwurf begrüsst. Er hatte sich gegen „Leute wie Most und Hasselmann" gewandt, die „in dem sicheren Schutz eines anderen Landes schreiben und dadurch den humanen Bestrebungen schaden." Die Freiheit hatte in Nr. 26, 25. Juni die Rede nach der Frankfurter Zeitung nicht ganz zutreffend zitiert und den Redner entsprechend kritisiert. 9 Bei den Kammerwahlen am 21. August errangen die sozialistischen Kandidaten in Paris 22.000 Stimmen gegenüber 18.000 bei den Gemeinderatswahlen im Januar 1881.
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Sachsen alle grossen Städte und Industriebezirke uns zufallen und auch die Landarbeiter in eine Lage versetzt sind, wo sie erst für uns geistig zugänglich werden. Eine solche Eroberung der Massen im Sturm ist viel wertvoller als die allmähliche durch offene Propaganda, die uns unter jetzigen Umständen ja doch bald wieder gelegt würde. Die Junker, Pfaffen und Bourgeois können uns unter jetzigen Verhältnissen nicht erlauben, ihnen den Boden unter den Füssen wegzuziehen, und daher ist es besser, sie besorgen das selbst. Es wird schon wieder eine Zeit kommen, wo ein anderer Wind weht. Inzwischen habt ihr den Kram in eigener Person durchzumachen, die Infamien der Regierung und Bourgeois selbst zu erdulden, und das ist kein Spass. Vergesst nur keine Euch und allen unseren Leuten getane Niedertracht; die Zeit der Rache kommt und muss redlich ausgenutzt werden. Dein F. E. [Am Rande:] Viereck ist in Kopenhagen, Adresse poste Kopenhagen]. 37. BEBEL AN
Original.
restante,
ENGELS
Dresden, den 20. September 1881. Lieber Engels!
Deinen Brief vom 25. v. Mts. habe ich erhalten. Die Redaktionsangelegenheit ist erledigt, wir haben anlässlich unserer letzten Anwesenheit in Zfürich] Ede erklärt, er müsse bleiben, einen Ersatz gäbe es vorläufig nicht. Sein Drängen, von der Redaktion loszukommen, beruht wesentlich auf seinem Phlegma; ihm passte die Gebundenheit nicht, er hatte sich in der jahrelangen Tätigkeit als H[öchberg]s „Sekretär" so sehr an das Bummelleben gewöhnt, dass ihm geordnete Tätigkeit schwerfiel. K[auts]kys Ungebundenheit hatte diese Sehnsucht nach dem dolce far niente wesentlich gesteigert, und so kostete es einige Mühe, ihn von seinem Vorsatz abzubringen. Ganz abgesehen [davon], dass E[de] seinen Posten sehr gut ausfüllt, ists eine wahre Wohltat für ihn, damit er an geregeltes Leben wieder gewöhnt wird. L[ie]bkn[echt] wird seine Reformschrullen, wie er sie einige Male, sich selbst kompromittierend, zum besten gegeben hat, nunmehr los sein, was er im S[ozial]d[emokrat] schreibt, riecht nicht mehr danach. 1 1
Etwa der Artikel „Zu den Reichstagswahlen" in Nr. 38, 15. September 1881 mit dem Schluss: „Nein — die Sozialdemokratie paktiert nicht mit ihren Feinden. Sie paktiert nicht mit dem Staatssozialismus. Sie paktiert nicht mit den Vertretern
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Was L[ie]b[knecht] nach Österreich geschrieben, weiss ich nicht, es mag sein, dass er sich auf Euch berufen; entsteht nur die Frage, ob er das in bezug auf seine Reden gemeint. Die Hartmannsche Unfallrede war wirklich ein Unfall, und ein recht arger. H[artmann] gehört eben noch ganz und gar der alten Schweitzerschen Schule an, das habe ich in B[erlin] genau kennengelernt. Er hat nichts gelernt und nichts vergessen, aber doch so viel in unserem Umgang begriffen, dass wir weit auseinandergehen, und diese Erkenntnis mag wesentlich dazu beigetragen haben, dass er kein Mandat mehr annimmt. Wenn Ihr eines Tages hört: er habe die Erlaubnis erhalten, wieder nach H[amburg] zu dürfen, braucht Ihr Euch nicht zu wundern. Auch anlässlich der Reichstagswahlen hat er versucht, unsere Leute auf Abwege zu bringen, ist aber gründlich abgefallen.2 Leider habe ich zu wenig Gelegenheit, mich über die ausländischen Parteiverhältnisse zu orientieren. Zeitungen bekommen wir nicht herein. und das zigeunernde Leben, wie ich es von meiner Ausweisung3 bis Anfang dies[es] M[ona]ts getrieben, macht auch jede geregelte Beobachtung unmöglich. Soviel ist sicher: unsere französischen Parteigenossen müssen noch viel lernen und viel mehr arbeiten. Die Masse ist sicher gut — wie überall —, und die Zustände, denen Frankreich in den nächsten Jahren ökonomisch entgegengeht, machen das Feld noch weit fruchtbarer. Wenn nur in England die Erkenntnis ein wenig rascher käme! Was Du über die Entwicklung Deutschlands schreibst, ist vollständig auch meine Ansicht. Hinge wirklich unser schliesslicher Erfolg von der öffentlichen Agitation ab, dann hätten Herr v. Bismarck und die Bourgeoisie recht, als sie uns diese entzogen. Zum Glück ist das nicht der Fall, vielmehr zeigt die mit jedem Tag brutaler gegen uns auftretende Reaktion, dass die Furcht vor uns im Steigen ist; man sieht mit Schrecken, dass man sich gründlich verrechnete, als man glaubte, uns totmachen zu können, und man fühlt instinktiv, dass des heutigen Klassenstaats und der heutigen Ausbeutergesellschaft, gleichviel ob sie ein liberales, fortschrittliches, pseudo-demokratisches, konservatives, klerikales oder sonstiges Mäntelchen anhaben." 2 Gegen Hartmanns Kandidatur hatte aus verschiedenen Gründen starke Missstimmung bestanden, aber vermutlich aus Rücksicht auf die grosse Zahl kleiner Gewerbetreibender seines Wahlkreises wurde sie aufrechterhalten. H. Laufenberg, Geschichte, II, S. 122, 148. Tatsächlich kehrte Hartmann bald darauf nach Hamburg zurück. Er trennte sich bald von der Sozialdemokratie. Später behandelte er seine Parteilaufbahn in der unerfreulichen Publikation Zur Information (Hamburg, o.J.), 4 6 S., worin er unter Beschuldigung vieler Parteifreunde seine unglücklichen Familienverhältnisse ausführlich darlegte. 3 S. Brief Nr. 36, Anm. 1.
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die Stunde kommt, wo die S[oziaI]demokratie als Erbin und Siegerin auf der Bühne erscheint. Eine Versammlung, wie sie vor[ige] Woche in Berlin stattfand 4 — von der auch der S[ozial]d[emokrat] Notiz nimmt — hat unseren Feinden wenigstens soviel Schrecken eingeflösst, als die grossartigen Demonstrationen in vorausnahmegesetzlicher Zeit. Vollkommen recht hast Du auch, dass viele in unseren Reihen diese Situation nicht begreifen, und zwar sind es wesentlich die „Führer", welche diese Kurzsichtigkeit besitzen. Sie haben sich so an die Schablone der Partei, wie sie war, gewöhnt, dass sie meinen, mit Zerstörung dieser Schablone sei alles zerstört, und zum Teil kindlich naiv auf die Zeit warten, wo sie wieder in alter Weise arbeiten können. Dass ich diese Anschauungen bekämpfe, den Sieg unserer Sache in einer verhältnismässig kurzen Spanne Zeit, trotz aller Ausnahmegesetze und eventueller Niederlagen bei den Wahlen als sicher hinstelle, hat mich in den Ruf eines unverbesserlichen Optimisten gebracht, was ich mein Leben nie gewesen bin. Viele unserer Leute stehen dem praktischen Leben zu fern, sie beobachten zu wenig und haben sich zum Teil auch so wohl in ihrer früheren Stellung befunden, dass sie gar nicht begreifen wollen, dass der Gang der Dinge ganz anders geht, als sie sich zurechtgelegt. Ich habe meine aufrichtige Freude daran, wenn ich sehe, wie unsere Todfeinde jetzt für uns arbeiten. Der Oberdemagoge ist Bismarck, der das Geschäft des Aufhetzens so gründlich betreibt, dass, wenn ein gescheiter Kerl auf dem Throne sässe, er ihn binnen vierundzwanzig Stunden entlassen müsste. Aber im Grunde genommen gehört auch diese Demagogie — in der Junker und Pfaffen den Rang sich ablaufen — zu den Notwendigkeiten der heutigen Zeitlage. Unsere Verhältnisse sind so trostlos, die Not ist so gross, dass die herrschenden Klassen gezwungen sind, sich mit der ökonomischen Lage der Massen zu beschäftigen, und sie tun dies, wie sie es allein können, auf demagogische Art. Man darf neugierig sein, welche Wirkung diese in noch nie dagewesener Weise geübte Demagogie auf die indifferenten Massen ausübt; soweit unsere Fühlung reicht, ist sie vollkommen wirkungslos. Carlchen 5 hatte die Naivität, mir von Berlin aus zu schreiben: ich dürfe unter keinen Umständen nach meiner Ausweisung in den LandIn einer Versammlung im 6. Berliner Wahlkreise am 10. September verzichtete der antisemitische Referent Ruppel, der f ü r Bismarcks sozialreformerisehe Pläne Propaganda machte, aufs Wort, und die Versammlung wurde mit sozialdemokratischen Rednern fortgesetzt. Minutenlang wurden Hochrufe auf die Sozialdemokratie, auf Lassalle, Bebel, Liebknecht und Hasenclever ausgebracht. Der Sozialdemokrat, Nr. 38, 15. September 1881. 5 Carl Hirsch.
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tag eintreten und den Eid leisten, alle Berliner seien der gleichen Ansicht. Ich habe diese Ansicht für Unsinn erklärt und habe auch bis heute noch keinen Menschen gehört, der eine ähnliche Ansicht vertreten hätte. Natürlich hatte er erst die Berl[iner] in seinem Sinne bearbeitet. Hast Du aus Amerika für uns Geld bekommen? Es wird von N[ew] Y[ork] behauptet, es sei welches abgegangen; ist das der Fall, so bitte ich, es in Dir geeignet scheinender Weise an meine Frau nach L[ei]pz[ig] zu senden; dabei aber zu bemerken: für die Familien der Ausgewiesenen. Die frühere Deckadresse gilt noch, der 0[tto] ist mein Schwager. Viereck hat sich nach München verzogen, wir waren vor[ige] Woche zusammen. Die besten Grüsse Euch allen. D[ein] A . BEBEL.
3 8 . B E B E L AN M A R X
Original.
Dresden, den 12. Dezember 1881. Lieber Freund Marx!
Mit tiefem Bedauern habe ich die Kunde von dem schweren Verlust vernommen, den Du durch den Tod Deiner treuen Lebensgefährtin erlitten.1 Ich spreche zugleich im Namen meiner Frau Dir und Deinen Kindern unser herzlichstes Beileid aus, hoffend, dass die alles heilende Zeit auch diese Wunde, wie schon so manche andere, vernarben macht. Ich erfuhr die Trauerbotschaft auf der Reise von Mainz nach Basel durch die Frankfurter] Zeit[ung]; ich konnte aber nicht eher schreiben, da ich erst heute auf einige Stunden zu Atem komme. In Basel erfuhr ich durch Ede aus einem Briefe Engels',2 dass Du wieder wohl und munter seiest, was mich sehr gefreut; denn ich hatte wirklich einige Sorge, als mir E[ngels] vor einigen Monaten meldete, Du seiest nicht unbedenklich erkrankt. Du hast sehr recht gehandelt, dass Du Deinen und unsern Feinden nicht den Gefallen getan zu sterben; es wäre der dümmste Streich, den jetzt einer von uns machen könnte. Jenny Marx war am 2. Dezember dem Leberkrebs, an dem sie seit Jahren litt, erlegen. 2 Engels an Bernstein 30. November 1881: „Wenn ein äusseres Ereignis dazu beigetragen hat, Marx wieder einigermassen auf den Strumpf zu bringen, so sind es die Wahlen gewesen." Gemeint sind die Reichstagswahlen vom 27. Oktober, s. Anm. 4.
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In Basel hörte ich von Ede — und das war der Grund unserer Zusammenkunft, — dass H[öchberg] sich finanziell zurückziehen müsse und wolle. Die Engagements gingen weit über seine Kräfte, er habe grosse Verluste erlitten — was wahr ist —; dann aber arbeitet man auch seitens seiner Verwandten mit Hochdruck, und er selbst kommt diesen entgegen, da der Ernst der Situation für seine weiche, unrevolutionäre Natur ganz und gar nicht gemacht ist. Da das Defizit des Soz[ial]demokr[at] ein sehr bedeutendes ist, so müssen wir nach Abschluss der Mainzer Wahl zu Beratungen zusammentreten, um zu sehen, was wir tun. Ede besteht jetzt mehr denn je darauf, dass er von der Redaktion entbunden wird, da er wieder zu seinem alten Beruf (K[au]fm[ann]) zurückzukehren gedenkt; wir werden also auch nach dieser Seite Änderungen treffen müssen. In der nächsten Stunde reise ich mit L[ie]bk[necht] nach Mainz, wo schon Donnerstag der entscheidende Schlag fällt. Das Resultat der ersten Wahl ist nicht günstig, wenn auch nicht so ungünstig, als es auf den ersten Blick bei Betrachtung der Zahlen scheint. Phfillips] hat bereits aus einer Reihe von Orten bei der ersten Wahl bald seine gesamte Stimmenzahl erhalten, wohingegen unsere Leute flau stimmten. Das Zentrum hat das Zünglein der Waage in der Hand, und das dürfte mir weniger günstig gestimmt sein als Lfiebknecht]. Nous verrons. Ich will froh sein, wenn der Vorhang gefallen ist.3 Sonst sind die Wahlen ja sehr gut ausgefallen;4 unsere Leute kommen erst bei den Stichwahlen in die geeignete Stimmung, nachdem sie bei der ersten Wahl gesehen, was zu ermöglichen war. Hätten Glauchau, Schneeberg und der dreizehnte Bez[irk] auch Stichwahlen gehabt, sie wären uns erhalten geblieben beziehungsweise wieder erobert worden. Was die nächste Zukunft bringt, lässt sich schwer sagen; soviel steht fest, das Vertrauen in das Gesetz und in die Wirkung des Belagerungszustandes ist stark erschüttert, die Verfolgungen haben, wenn nicht aussergewöhnliche, uns ungünstige Ereignisse eintreten, ihren Höhepunkt erreicht, und vor allen Dingen ist das Selbstbewusstsein der Partei bedeutend gehoben worden, und letzteres ist das wichtigste dabei. Unsere, d.h. die deutsche ökonomische Lage hat sich sehr Liebknecht war in Offenbach und Mainz gewählt worden. Er entschied sich, das Mandat für Offenbach anzunehmen, obwohl er hier eine sehr grosse, in Mainz dagegen nur eine geringe Mehrheit hatte. Bebel kandidierte in Mainz und unterlag in der Stichwahl mit dem Demokraten Phillips am 15. Dezember. A.m.L., III, S. 197. 4 Die Reichstagswahlen am 27. Oktober brachten der Sozialdemokratie nach drei Jahren Ausnahmegesetz ca. 312.000 Stimmen — gegenüber ca. 436.000 im Jahre 1878 - und 13 Mandate. s
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wenig verbessert, wenigstens ebenso verschlechtert nach der einen Seite, als sie sich nach der andern etwa gehoben hat. Kommt in Frankreich der Börsenkrach und darauf folgend der Industrie- und Handelskrach, und das steht ja alles nahe bevor, folgt darauf der Krach in den Ver[einigten] Staaten, der in zwei bis drei Jahren sicher eintreten dürfte, dann ist Deutschland fertig. Die Eroberungen, welche die liberale Opposition gemacht hat, machte sie nicht durch ihr Programm, sondern weil der Philister unzufrieden ist und Opposition will. Hätten wir freie Bahn, so fiel die Hälfte jener Stimmen uns zu. Nun, was nicht ist, wird noch. Herzlichen Gruss Dir, den Deinen und insbesondere auch an Engels. Dein A . BEBEL.
[Auf einer Besuchskarte:] Frieda Bebel schliesst sich den Teilnahmebezeugungen ihrer Eltern aufrichtig an.
3 9 . E N G E L S AN B E B E L
London, den 16. Mai 1882.
Original. Lieber Bebel!
Ich habe schon lange auf dem Sprung gestanden, Dir zu schreiben. Namentlich, da ich nicht genau weiss, ob Dir M[arx] auf Deinen letzten Brief geantwortet hat. Er hat's mir mehrmals versprochen, aber Du weisst, wie's geht, wenn einer krank ist. Also endlich heute komme ich dazu. M[arx] ging zuerst nach der Insel Wight, hatte aber dort kaltes, nasses Wetter. Dann über Paris nach Algier. Erkältete sich auf der Reise aufs neue, traf in Algier wieder Kälte, Nässe und später raschen Temperaturwechsel. Die Erkältung nahm wieder die Form der Pleuritis (Rippenfellentzündung) an, weniger heftig als die erste hier, aber langwierig. Jetzt ist er gründlich auskuriert und vor der endlich eingetretenen afrikanischen Hitze nach Monte Carlo, dem Spielbanketablissement des Fürsten von Monaco, geflüchtet. Von dort wird er, sobald der Sommer richtig eingesprungen, nach der Normandieküste mit Frau Longuet und ihren Kindern gehen, vor Anfang Juli schwerlich zurück. Es handelt sich jetzt nur noch darum, den alteingewurzelten Husten gründlich loszuwerden, und das wird er wohl erreichen. Er hat sich in Algier photographieren lassen und sieht wieder recht gut aus. 121
Es ist ein grosses Unglück, dass gerade Du bei den sonst so brillant verlaufenen Wahlen unterlegen bist.1 Bei den vielen neuen und stellenweise unsicheren Elementen, die da hineingekommen, wärst Du doppelt notwendig. Es scheinen auch im Anfang einige nicht angenehme Böcke geschossen worden zu sein, jetzt scheint's etwas besser zu gehen. Doppelt erfreulich war mir daher (und M[arx] nicht weniger) die couragierte Haltung des S[ozial]-D[emokrat], der sich nicht genierte, entschieden gegen die Heulerei und den Kleinmut von Breuel & Co.2 aufzutreten, selbst wenn Abgeordnete wie Bios und Geiser3 dafür auftreten. Auch bei uns wurde angeklopft, Viereck schrieb mir einen sehr lamentablen Brief über das Blatt, worauf ich ihm in aller Freundschaft, aber sehr entschieden meine Ansicht mitteilte,4 habe seitdem nichts von ihm gehört. Auch Hepner kam hier durch, „krank am Herzen, arm am Beutel" und wehklagte entsetzlich, hatte ein sehr trübseliges Broschürchen geschrieben,5 woraus ich sah, wie sehr er moralisch heruntergekommen war. Der Hauptjammer bei beiden war, dass der S[ozial]-D[emokrat] sich nicht nach den in Deutschland] bestehenden Gesetzen richte und die deutschen Gerichte die Verbreiter für den Inhalt des verbreiteten Blattes auf Majestätsbeleidigung, Hochverrat etc. fassten. Aber es ist doch aus dem Blatt selbst und den Berichten über die Prozesse gegen unsere Leute sonnenklar, dass diese Schweine von Richtern unter allen Umständen einen Vorwand zum Verdonnern finden, das Blatt mag geschrieben 1 Bebel war bei den Reichstagswahlen am 27. Oktober 1881 in den Wahlkreisen Dresden und Leipzig unterlegen. Im 4. Berliner Wahlkreis kam er in die Stichwahl, aber unterlag mit 51 Stimmen. Über seine Mainzer Kandidatur s. Brief Nr. 38, Anm. 3. 2 Der aus Hamburg ausgewiesene Reichstagskandidat Emst Breuel hatte von Kopenhagen aus zwei offene Briefe an den Sozialdemokrat gerichtet, Nr. 4, 19. Januar, Nr. 9, 23. Februar, in denen er die scharfe Kritik des Blattes an Hasenclever und Bios zurückwies, die bei der Reichstagsdebatte im Dezember über die Handhabung des Sozialistengesetzes entschieden vom Züricher Organ abgerückt waren. Breuel wandte sich besonders gegen die „unzähligen Hinweise auf die demnächst einbrechende grosse Revolution". Die Redaktion beantwortete die Briefe in Nr. 4, 19., Nr. 5, 26. Januar und Nr. 9, 23. Februar. In Nr. 8, 16. Februar erschien die auch von Bebel unterzeichnete Erklärung der Reichstagsfraktion, dass Der Sozialdemokrat das offizielle Organ der Sozialdemokratie sei; damit sei aber nicht gesagt, dass die Fraktion für jeden Artikel oder Jede Äusserung des Blattes die Verantwortung trage. 3 Bruno Geiser (1846-93), Chemiker, 1873 Redakteur in München, 1875 am Volksstaat, 1877 der Neuen Welt. 1881-87 Mitglied des Reichstags. Verfasser mehrerer Broschüren. 4 Der Brief und Engels' Antwort liegen nicht vor. 5 Die Broschüre ist vermutlich nicht erschienen. Im Brief an Bernstein 31. Januar 1882 nannte Engels Hepner „.. . Verfasser einer wohlmeinenden Broschüre über Zwangsvollstreckung, Wechselrecht, Judenfrage und Postreform . . .".
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sein, wie es wolle. Ein Blatt zu schreiben, worin diesen Richtern keine Handhabe gegeben wird — diese Kunst soll noch erfunden werden. Und dabei vergessen die Herren, dass mit einem so schlappen Organ, wie sie es wünschen, sie unsere Leute in hellen Haufen ins Mostsche Lager treiben würden. Übrigens werde ich Bernstein, den wir sonst, soweit es ging, moralisch unterstützt haben, doch raten, den Ton der sittlichen Entrüstung etwas mehr durch Ironie und Spott zu mildern; denn jener Ton wird langweilig oder muss bis ins Extrem gesteigert werden, wo er lächerlich wird. Vorgestern war Singer bei mir, von ihm erfuhr ich, dass die Deckadresse noch gut ist, worüber ich, da wir sie so lange nicht benutzt, nicht ganz sicher war. Er hat ein anderes Bedenken. Er gehört zu denen, die in der Verstaatlichung von irgend etwas eine halb oder doch vorbereitend sozialistische Massregel sehen und daher für Schutzzölle, Tabaksmonopol, Eisenbahnverstaatlichung usw. im geheimen schwärmen. Es sind das Flausen, die aus dem einseitig übertriebenen Kampf gegen das Manchestertum herüber vererbt sind und namentlich bei den zu uns gekommenen bürgerlichen und studierten Elementen viel Anhang haben, weil sie ihnen in der Debatte mit ihrer bürgerlichen und „jebildeten" Umgebung das Spiel erleichtern. Ihr habt den Punkt neulich in Berlin, wie er sagte, debattiert, und er ist glücklicherweise überstimmt worden. Wir dürfen uns wegen solcher kleinen Rücksichten weder politisch noch ökonomisch blamieren. Ich suchte ihm klarzumachen, 1. dass Schutzzölle nach unserer Ansicht in Deutschland total verkehrt sind (in Amerika dagegen nicht), weil unsere Industrie sich unter Freihandel entwickelt hat und exportfähig geworden ist, für diese Exportfähigkeit aber die Konkurrenz des ausländischen Halbfabrikats auf dein inneren Markt absolut bedarf; dass eine Eisenindustrie, die viermal mehr produziert, als das Inland braucht, den Schutzzoll nur gegen das Inland benutzt, dagegen, wie die Tat beweist, im Ausland zu Schleuderpreisen losschlägt. 2. Dass das Tabaksmonopol eine so minime Verstaatlichung ist, dass es uns nicht einmal als Exempel in der Debatte nützen kann; dass im übrigen es mir Wurst ist, ob Bismarck es durchsetzt oder nicht, indem das eine wie das andere schliesslich nur zu unserem Nutzen ausschlagen muss. 3. Dass die Eisenbahnverstaatlichung nur den Aktionären nützt, die ihre Aktien über den Wert verkaufen, uns aber gar nicht, weil wir mit den paar grossen Kompagnien ebenso rasch fertig werden, wie mit dem Staat, falls wir diesen erst haben; dass die Aktiengesellschaften den Beweis bereits geliefert haben, wie sehr der Bourgeois als solcher überflüssig ist, indem die ganze Verwaltung von salarierten Beamten geleistet wird und die Verstaatlichung hierzu keinen neuen Beweisgrund hinzufügt. Er hat sich aber die Sache zu fest in den Kopf
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gesetzt und war nur darüber mit mir einig, dass vom politischen Standpunkt Eure ablehnende Haltung die einzig korrekte sei. Postschluss. Besten Gruss and Dich und Liebknecht. Dein F. E.
4 0 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 21. Juni 1882.
Original. Lieber Bebel!
Deinen Brief muss ich aus dem Gedächtnis beantworten, da ich ihn an Tussy gegeben, um ihn an M[arx] zu schicken, seitdem habe ich ihn nicht wieder gesehn. M[arx] ist seit zirka drei Wochen in Argenteuil bei Paris bei seiner Tochter, soll sehr gut aussehen, braun wie ein richtiger „Mohr" (Du weisst, das ist sein Spitzname), sehr gut aufgelegt sein und leidet nur noch an Bronchialhusten. Um diesen zu vertreiben, hat er Vogt endlich den Gefallen tun müssen, Mitglied der Schwefelbande zu werden.1 Er gebraucht nämlich in dem benachbarten Enghien eine Schwefelkur. Über seine weiteren Irrfahrten werden die Ärzte entscheiden. Darüber, dass es eines Tages zu einer Auseinandersetzung mit den bürgerlich gesinnten Elementen der Partei und zu einer Scheidung zwischen rechtem und linkem Flügel kommen wird, habe ich mir schon längst keine Illusion mehr gemacht und dies schon auch in dem handschriftlichen] Aufsatz über den Jahrbuchs-Artikel2 geradezu als wünschenswert ausgesprochen. Dass Du zu derselben Ansicht gekommen bist, kann uns nur sehr erfreulich sein. Ich erwähnte den Punkt in meinem letzten Brief nicht ausdrücklich, weil es mir mit dieser Spaltung keine Eile zu haben scheint. Wenn die Herren sich freiwillig dazu entschlössen, einen separaten rechten Flügel zu bilden, so wäre alles bald in Ordnung. Aber das tun sie schwerlich; sie wissen, sie würden eine Armee von lauter Offizieren ohne Soldaten vorstellen, wie die „Kolonne Robert Blum", die in der Kampagne 1849 zu uns stiess und nur noch „unter dem Kommando des tapferen Willich kämpfen" wollte. Als wir nun frugen, aus wieviel Streitbaren diese Heldenkolonne bestehe, erfuhren wir — Du kannst Dir die Heiterkeit Carl Vogt bezeichnete die nach 1849 zum Kommunistenbund neigenden Flüchtlinge als „Schwefelbande" und Marx als ihren Führer. C. Vogt, Mein Prozess gegen die Allgemeine Zeitung (Genf, 1859), S. 136; K. Marx, Herr Vogt (London, 1860), S. lff. 2 S. Brief Nr. 17. 1
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denken: Ein Oberst, elf Offiziere, ein Hornist und zwei Mann.3 Dabei gab sich der Oberst alle Mühe, wie ein gesinnungstüchtiger Schinderhannes auszusehen, und hatte ein Pferd, das er nicht reiten konnte. — Die Herren wollen alle Führer sein, aber selbst Führer vorstellen können sie nur innerhalb unserer Partei, und so werden sie sich hüten, eine Trennung hervorzurufen. Andrerseits wissen sie, dass wir unter der Herrschaft des Sozialistengesetzes auch unsere Gründe haben, innere Spaltungen zu vermeiden, die wir nicht öffentlich debattieren können. Wir werden uns also die brieflichen und mündlichen Klüngeleien und Lamentationen der Leute gefallen lassen müssen, bis wir wieder imstande sein werden, die Differenzpunkte sowohl prinzipieller wie taktischer Art im Lande selbst und vor den Arbeitern auseinanderzusetzen — es sei denn, sie treiben es zu arg und zwingen uns dazu. Inzwischen geht das Soz[ialisten]-Ges[etz] so oder so seinem seligen Ende entgegen, und sobald dies beseitigt, muss meiner Ansicht nach rund herausgesagt werden, was die Lage ist; dann wird sich aus dem Verhalten der Herren selbst ergeben, was weiter zu tun ist. Haben sie sich erst als aparter rechter Flügel organisiert, so kann man mit ihnen von Fall zu Fall eine, soweit zulässig, gemeinsame Aktion verabreden, sogar Kartell mit ihnen schliessen usw. Obwohl dies kaum nötig sein wird: die Trennung selbst wird sie in ihrer Ohnmacht blosslegen. Sie haben weder Anhang in den Massen noch Talente, noch Kenntnisse — sie haben nur Prätentionen, die aber: dicke. Indes das findet sich. Jedenfalls wird dadurch Klarheit in die Sachlage gebracht und wir von einem Element befreit, das gar nicht zu uns gehört. Wir brauchen nicht zu befürchten, dann keine präsentablen Reichstagskandidaten mehr zu haben. Das ist reine Einbildung. Wenn ein Arbeiter im Reichstag auch einmal Mir und Mich verwechselt, so brauchen wir nur zu fragen: wie lange ist es her, dass die Hohenzollern Mir und Mich unterscheiden können, von den Feldmarschällen gar nicht zu reden. Fr[iedrich] Wilh[elm] III. und die angebetete Louise machten mehr Schnitzer in Mir und Mich als A. Kapell sogar.4 Und wenn Bismarck sich nicht geniert, in seinen Volkswirtschaftsrat Arbeiter zu ernennen, die ungrammatisch sprechen, aber grammatisch stimEngels schilderte die Episode in anderer Form in der „Reichsverfassungskampagne", Neue Rheinische Zeitung, Polit.-ökon. Revue, Hamburg 1850, H e f t 3, S. 58. Wie im Brief wird dort das Bataillon Langenkandel geschildert, während die „Kolonne Robert Blum", mit einer roten Fahne als ein Korps von ungefähr sechzig Mann, „die wie die Kannibalen aussahen und im Requirieren bedeutende Heldentaten verrichtet hatten", bezeichnet wird. 4 August Kapell (geb. 1844), Mitglied des ADAV., Mitbegründer des Allgem. Deutschen Zimmererbundes, Reichstagsabg. 1877-81. 3
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men, dürfen wir uns da genieren? Aber ich weiss, für manche Leute ist das ein Greuel. Für uns keineswegs. Und es würde auch der total widersinnigen Praxis unserer Abgeordneten ein Ende machen, wonach jeder der Reihe nach sprechen muss, was dann „demokratisch" sein soll, es aber nicht ist. Wie kann eine Partei soviel tüchtige Parlamentsredner haben, und wie soll das werden, wenn unserer erst zweihundert im Reichstag sitzen? Darauf kannst Du sicher rechnen: Wenn es zur Auseinandersetzung mit diesen Herren kommt und der linke Flügel der Partei Farbe bekennt, so gehen wir unter allen Umständen mit Euch, und das aktiv und mit offenem Visier. Wenn ich erst jetzt mit meinem Namen als Mitarbeiter des S[ozial]-D[emokrat] aufgetreten bin,5 so lag das ja bloss an dem Einfluss, den jene Leute auf das Blatt solange ausübten und an den lange mangelnden Garantien, dass sie ihn nicht wieder erhielten. In Paris herrscht, wie Du weisst, Spaltung in der Arbeiterpartei. Die Leute von der Egalité (unsere besten, Guesde, Deville, Lafargue etc.) sind von denen vom Prolétaire (Malon, Brousse etc.) auf dem letzten Kongress des Zentrums von Frankreich ohne weiteres an die Luft gesetzt worden. Der S[ozial]-D[emokrat]i tadelte dies Verfahren mit Recht, und die Egalité übersetzte die Stelle. Daraufhin antwortet der Prolétaire: seine Richtung habe der deutschen Parteileitung die Sache auseinandergesetzt, und sie befänden sich seitdem in vollständiger Einstimmung mit der letzteren. Ist Dir etwas davon bekannt? Die Leute vom Prolétaire lügen ganz schamlos, andrerseits aber sind mir so viele Beispiele erinnerlich, wo im Leipziger Volksst[aat] und Vorw[ärts] die kolossalsten Dummheiten begangen wurden in Beziehung auf französische] Dinge und Personen. Kannst Du mir etwas über das tatsächlich Vorgefallene mitteilen? Ich werde versuchen, Dir Ausschnitt aus dem Prolfétaire] zu schicken. Malon, Brousse u. Co. finden die Arbeit als Arbeiterkandidaten zu langweilig, haben sich also mit einigen radikalen Bourgeois und Literaten assoziiert und laden den Rest dieser Sorte zur Allianz ein: so denken sie rascher 5 Engels' erster Beitrag, „Bruno Bauer und das Urchristentum", erschien in Nr. 19, 4. Mai, Nr. 20, 11. Mai 1882. 8 Vom 14. bis 21. Mai tagte in Paris ein Congrès régional de l'Union fédérative du Centre, zu dem alle Arbeitervereine eingeladen waren. Die mit der Egalité sympathisierenden Vertreter der Minderheit wurden vom Kongress ausgeschlossen. Der Sozialdemokrat verurteilte in Nr. 23 vom 1. Juni diese Vergewaltigung der Minderheit, zu der die „eifrigsten Verfechter des revolutionären wissenschaftlichen Sozialismus" gehörten, um so schärfer, als man anarchistische Strömungen zugelassen habe. Er führte den Konflikt in erster Linie auf persönliche Rivalität zurück.
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gewählt zu werden. Ihre Kampfmittel gegen die Egalité sind ganz die alten infamen der Bakunisten.7 Dein F. E. Über Engels' Beurteilung der französischen Parteiverhältnisse s. E. Bernstein, „Zum Streit der französischen Sozialisten nach 1880", in Die Briefe von Friedrich Engels an Eduard Bernstein (Berlin, 1925), S. 36ff.
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4 1 . E N G E L S AN
Original.
BEBEL
London, den 23. September 1882. Lieber Bebel!
Wir haben Deinetwegen einen schönen Schrecken ausgestanden. Gestern vor acht Tagen, Freitag 16. c., kommen abends zehn Uhr zwei Leute vom Verein1 zu mir: ob es wahr sei, was im Citoyen schon in zwei Nummern (mit Nekrolog) gestanden, dass Du gestorben seist. Ich erklärte es für höchst unwahrscheinlich, konnte aber nichts Bestimmtes sagen. Da ich einen langweiligen Menschen bei mir sitzen hatte, der nicht gehen wollte, obwohl ich kein Wort mehr sprach, konnte ich erst nach elf Uhr zu Tussy Marx laufen, fand sie noch auf. Sie hatte die Bataille ebenfalls mit Nekrolog — ohne alle Quellenangabe für die Nachricht, die aber für zweifellos galt. Also allgemeine Bestürzung. Das grösste Unglück, das der deutschen Partei passieren konnte, wenigstens sehr wahrscheinlich. Dass englische Blätter nichts gebracht, in dem Ägyptenjubel, war nur zu begreiflich. Nun kommt auch Samstag abend mein Soz[ial]-Dem[okrat] nicht an, was wohl passiert; glücklicherweise finde ich am Sonntagmorgen, dass Tussy den ihrigen erhalten und dessen Inhalt die Nachricht höchst unwahrscheinlich macht. Deutsche Blätter in Cafés nachzusehen, war von vornherein aussichtslos, da sie tagtäglich erneuert werden. Und so blieben wir in quälendster Ungewissheit, bis endlich Montag abend die Justice ankam mit offizieller Ableugnung. Marx ging's geradeso. Er war in Vevey am Genfer See und las die Geschichte im reaktionären Journal de Genève, das sie natürlich als zweifellos erzählte. Er schrieb mir noch denselben Tag in höchster Comm. Arb.-Bildungsverein. Nachdem Le Citoyen und La Bataille am 15. September die Nachricht gebracht hatten, dass Bebel am 14. September in Zwickau gestorben sei, brachte L'Égalité in ihrer schwarzumrandeten Nr. 41, 17. September die Nachricht in grosser Aufmachung und in der folgenden Nummer ein Dementi der Redaktion des Sozialdemokrat. 1
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Bestürzung.2 Sein Brief kam gerade denselben Montag abend an, und ich konnte ihm noch mit der Frühpost die frohe Nachricht bringen, dass alles erlogen. Nein, alter Bursche, so jung darfst Du uns nicht abkratzen. Du bist zwanzig Jahr jünger als ich, und nachdem wir noch manchen lustigen Kampf zusammen ausgekämpft, bist Du verpflichtet, im Feuer zu bleiben, auch wenn ich meine letzte Grimasse geschnitten. Und da die Totgesagten am längsten leben sollen, so bist Du, wie Marx, wohl jetzt zu einem recht langen Leben verdonnert. Wer aber in aller Welt hat diesen Blödsinn zutage gefördert — steckt wieder der Lügenbold Mehring dahinter?3 Hast Du meinen letzten Brief — vor etwa zwei bis drei Monaten — erhalten? Den, worin ich antwortete wegen der zahmen Elemente in der Partei? Du wirst inzwischen gesehen haben, dass Deinem Wunsch wegen meiner offenen Mitarbeit am S[ozial]-D[emokrat] mehrfach entsprochen worden.4 Auch habe ich gestern die ersten beiden der drei Dühring-Kapitel, die nach Art der französischen] Ausgabe deutsch erscheinen sollen, stark revidiert und popularisiert, an Bernstfein] geschickt. Der Rest ist fertig, bleibt aber noch hier, solange das den Druck nicht stört, damit ich diesen schwierigsten Teil noch einmal gründlich durchsehen kann. Als Anhang folgt eine lange Anmerkung über das alte deutsche Gemeineigentum am Boden.5 Wenn Du ins Loch gehst, würde ich Dir raten, Dir aus irgendeiner Bibliothek zu verschaffen: Marx an Engels 16. September 1882 nach der Falschmeldung: „Es ist entsetzlich, das grösste Unglück für unsere Partei! Er war eine einzige Erscheinung innerhalb der deutschen (man kann sagen innerhalb der „europäischen") Arbeiterklasse." 3 Franz Mehring (1846-1919), der vielseitige Historiker und Journalist, wurde mit zunehmender Dauer des Ausnahmezustandes aus einem Gegner zu einem Anhänger der Sozialdemokratie. Engels' Charakterisierung dürfte sich darauf beziehen, dass Mehring auf Grund einer Mitteilung C. Hirschs, zwischen den Londonern und dem Sozialdemokrat bestehe eine Gegnerschaft, in der nationalliberalen Weser-Zeitung das Züricher Blatt angegriffen hatte. Aus Engels' Brief an Kautsky 15. November 1882 geht hervor, dass der in Anm. 4 genannte Beitrag veröffentlicht wurde, um diesem Gerücht entgegenzutreten. S.a. Engels an Bernstein 15. Juli 1882. 4 Nach dem Bruno Bauer-Aufsatz vom Mai erschien Engels' Übertragung des alten englischen politischen Volksliedes „Der Vikar von Bray", in Nr. 37, 7. September. 5 Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft erschien nach der französischen und polnischen Ausgabe deutsch Anfang 1883 im Verlag der Volksbuchhandlung Hottingen. Der Sozialdemokrat kündigte sie in Nr. 9, 22. Februar im Leitartikel „Eine neue Propagandabroschüre" an. Der Anhang „Die Mark" erschien in Nr. 12-17, 15. März-19. April 1883. 1
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G. L. v. Maurer, Einleitung in die Geschichte der Marken-, Hof-, Dorf- und Städteverfassung in Deutschland und derselbe: Geschichte der Markenverfassung in Deutschland.6 Es ist sehr nötig, das jemand in Deutschland, der imstande ist, diese Sachen unbefangen und ohne „gebildete" mitgebrachte Vorurteile zu lesen, über diesen Punkt sich einigermassen unterrichtet. Die obigen sind die Hauptschriften, und ihre Kenntnis würde Dir auch in allen Debatten über Grundeigentums- und Agrarfragen eine höchst solide Unterlage geben. Nach einigen Artikeln, die er in dem S[ozkil]-D[eTnokrat] geschrieben (über eine etwaige Abschaffung des Soz[ialisten]-Gesetzes) scheint Vollmar sich sehr herausgemacht zu haben.7 Es sollte mich freuen, wenn dies sich auch sonst bestätigte; wir können tüchtige Leute verdammt gut brauchen. Marx erholt sich langsam von den Folgen seiner drei Brustfellentzündungen. Für einen alteingewurzelten, sehr störenden, schlafhindernden Bronchialhusten hat er in Argenteuil die nahen Schwefelquellen von Enghien gebraucht, aber bei dem schlechten Wetter, aus Rücksicht auf seinen allgemeinen Zustand, nicht den kompletten Erfolg gehabt, der sonst fast sicher war. Nachher ging er auf drei Wochen mit Frau Lafargue nach Vevey, wollte vorgestern von da fort, zuerst nach Genf, dann nach Paris und, wenn das Wetter passabel, im Oktober auf einige Wochen hierher. Den Winter soll er keinesfalls in London zubringen, ob aber im Süden Englands oder anderswo, werden die Ärzte entscheiden müssen. Ich sehe aber seinen Briefen an, dass die Besserung, wenn auch durch den schlechten Sommer zurückgehalten, doch regelmässig vorangeht. Wo seid Ihr Leute denn jetzt eigentlich? Ihr scheint, gerade so sehr wie M[arx] durch seine Krankheit, durch den „Kleinen" in lauter fliegende Holländer verwandelt zu sein.8 Grüsse Liebknecht bestens, wenn Du ihn siehst. Die ganze ägyptische Geschichte war die Rache der Juden (Roth-
Einleitung in die Geschichte der Mark-, Hof-, Dorf- und Stadtverfassung und der öffentlichen Gewalt (München, 1854); die 2. Aufl. mit Vorwort von H. Cunow (Wien, Wiener Volksbuchhandlung, 1896), wurde von Victor Adler veranlasst. — Geschichte der Markenverfassung in Deutschland (Erlangen, 1856). 7 Vollmars Aufsatz „Aufhebung des Sozialistengesetzes?" erschien in Nr. 34, 35 des Sozialdemokrat vom 17., 24. August, danach als Broschüre mit dem Untertitel „Ein Wort zur Taktik der deutschen Sozialdemokratie" unter dem Pseudonym Surtur (Zürich, 1882). 8 Bebel und Liebknecht hatten sich nach der Ausweisung aus Leipzig in Borsdorf bei Leipzig niedergelassen. S. den folgenden Brief. 6
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Schild, Erlanger etc.9) für die alte Austreibung aus Ägypten unter Pharao. Dein F. E. 8 Die bekannten Bankhäuser. Im August 1882 liess England durch englische und indische Truppen unter General Wolseley Port Said besetzen.
42. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Borsdorf bei Leipzig, den 1. Oktober 1882. Lieber Engels!
Deinen vor zwei Monaten geschriebenen Brief — den ich augenblicklich in Leipzig liegen habe und [der] mir also nicht zur Hand ist — wie Deinen Brief vom 23. v. Mts. habe ich erhalten. Es ist für mich sehr schmeichelhaft, dass die Nachricht von meinem angeblichen Tode bei Euch und überhaupt im Kreise der Parteigenossen soviel Bestürzung und Teilnahme hervorgerufen. Da habe ich gesehen, wie wert ich den Freunden und Gesinnungsgenossen bin, und das legt mir ja die Pflicht auf, nun erst recht zu leben und meine Schuldigkeit zu tun. Einstweilen habe ich einen Pakt auf weitere vierzig Jahre mit dem Sensenmann geschlossen; ich denke, diese Zeit reicht nicht nur, um den Zusammenbruch des Alten zu erleben, sondern auch noch ein redlich Stück vom Neuen zu gemessen. Wer eigentlich die Nachricht von meinem Abkratzen in die Welt gesetzt, habe ich bis jetzt nicht ausfindig machen können; ich weiss nicht einmal, wo die Nachricht zuerst aufgetaucht ist. Ich ersah nur aus verschiedenen Zuschriften, die meine Frau während meiner Krankheit in Leipzig empfing, dass man allerlei Nachrichten von gefährlicher Erkrankung in die Presse gebracht. Dass ich auch gestorben sein sollte, erfuhr ich, nachdem ich bereits hierher übergesiedelt war, und zwar infolge eines Telegrammes der Pariser Parteigenossen an meine Frau, worin diese ihr Beileid über meinen Tod aussprachen. Meine arme Frau war über dieses Telegramm nicht wenig erschrocken; sie glaubte im ersten Augenblick, man wisse in Paris mehr über mich wie sie, der man aus Schonung vielleicht die Nachricht verheimlicht habe. Kurz und gut, die Nachricht ist erfunden, und das ist uns ja allen recht. Ich habe mich jetzt wie L[ie]bkn[echt] einige Stunden von Leipzig 130
hier in Borsdorf festgesetzt. Ein elendes Dorf, das einige hundert Einwohner zählt und in einer Ebene flach wie ein Teller liegt. Der Vorteil ist nur, dass es der Zentralpunkt der Linien Leipzig-RiesaDresden und Leipzig-Döbeln-Dresden ist und infolgedessen sehr gute Eisenbahnverbindung mit Leipzig hat, so dass unsere Familien bequeme Fahrt nach hier und wieder zurück haben. L[ie]bkn[echt] und ich wohnen in einem Hause, und hat jeder genügend Raum, so dass auch die Familie mal übernachten kann. Nunmehr hoffe ich auch pünktlicher in meiner Korrespondenz und fleissiger in literarischer Beziehung sein zu können. Ich habe nach beiden Richtungen seit Jahr und Tag fast nichts leisten können. Wie ich höre, hattest Du anfangs die Vermutung, die beiden Artikel1 im S[oziaI]d[emokrat] über das Sozialisten]ges[etz] seien von mir. Wie Du mittlerweile weisst, ist das nicht der Fall. Die Artikel sind gut geschrieben und prinzipiell korrekt, aber taktisch falsch? Wenn wir die Sprache führen, die Vfollmar] empfiehlt, dann sitzen wir binnen vier Wochen auf die §§ 80, 81, 128, 129 etc. unseres Strafgesetzbuches sämtlich im Loch und haben unsere fünf bis zehn Jahre am Halse; und wenn das Blatt in gleichem Stile schreiben wollte, würde dasselbe jedem passieren, der mit der Verbreitung des Blattes abgefasst würde. Diese Sprache ist einfach unmöglich, so prinzipiell richtig sie ist; wir richteten uns aber mit dieser Sprache zugrunde, und daher dürfen wir sie nicht reden. Mir ist diese Sprache V[ollmar]s um so schwerer begreiflich, als Vollmars, s. Brief Nr. 41, Anm. 7. Vollmar bekämpfte die Ansicht gewisser Parteikreise, dass eine durch eine milde Taktik vielleicht zu erreichende Verschärfung der allgemeinen Gesetzgebung dem Ausnahmegesetz vorzuziehen sei. Die Kluft zwischen der Sozialdemokratie und ihren Gegnern, der heutigen Gesellschaft und dem Staat, werde immer tiefer. „Unser Ruf muss daher nicht lauten: ,Nieder mit dem Ausnahmegesetz!', sondern: ,Nieder mit der infamen gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung, welche derartige Ausnahmegesetze möglich maehtl'" Er knüpfte an eine frühere Äusserung Liebknechts an, der Sozialismus sei keine Frage der Theorie mehr, sondern eine Machtfrage, die nur auf der Strasse, auf dem Schlachtfeld gelöst werden könne, und er sah diese Entscheidungsschlacht der feindlichen Fronten in grosser Nähe. Er forderte daher, dass man „offen und steifnackig" den Feinden erkläre: „Jawohl, wir sind ,staatsgefährlich', denn wir wollen euch vernichten! Jawohl, wir sind Revolutionäre und Kommunisten! Jawohl, wir werden der Gewalt mit Gewalt begegnen! Jawohl, wir glauben fest an eine baldige Umwälzung und Befreiung, wir hoffen auf sie und bereiten uns durch geheime Organisation und Agitation auf alles, was eure ,Gesetze' verbieten und uns gut dünkt, auf dieselbe nach Kräften vor! Ihr habt die Machtfrage gestellt, — gut, wir nehmen sie auf. Wir werden uns eines nicht fernen Tages schlagen, und der Sieger wird das Gesetz machen!" . . . 1
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Vollmar selbst, unter voller Würdigung unserer Zustände, regelmässig, sobald eine Reichstagssession ihrem Ende naht, Deutschland verlässt und sich in der Zwischenzeit auf deutschem Boden nicht betreffen lässt. Grund hierfür ist seine frühere Tätigkeit am S[ozial]d[enwkrat], die der deutschen Polizei sehr genau bekannt ist, und bezüglich deren Briefe von V[ollmar] in den Händen der Polizei sind.3 V[ollmar] fürchtet nun, meines Erachtens mit Recht, dass man ihn sofort fassen und prozessieren wird, sobald man seiner ausserhalb der Reichstagssession habhaft werden kann. Und nun rät er uns, die wir mitten unter den Wölfen sitzen, eine Taktik an, die uns unrettbar ans Messer lieferte. Ihr im Ausland könnt Euch eben gar nicht in unsere Lage denken und wisst nicht, wie wir zu lavieren haben, um nicht mit etwelchen Strafgesetzbuchparagraphen, die man schon lange für uns bereit hält, gefasst zu werden. Dass man eines Tages die §§ 128 und 129, handelnd von der geheimen und ungesetzlichen Organisation, gegen uns wird anzuwenden versuchen, ist für mich zweifellos; und kann man uns packen, fliegen wir mit einigen Jahren hinein. Und da sollen wir uns nach V[ollmar]s Rat auf den Markt stellen und uns selbst denunzieren? Ich werde gegen die Artikel in dieser Richtung schreiben.4 Ich bin auch nicht der Meinung, dass die Beseitigung des Ausnahmegesetzes und die Verschärfung der allgemeinen] Gesetze für uns ein Schade sei und eine Verquickung unserer Partei mit der bürgerlichen] Opposition herbeiführe. Würde zu der vorhandenen sehr starken Unzufriedenheit der bür3 Vollmar ging nach Schluss der Sitzungsperioden des Reichstages nach Belgien oder in die Schweiz. Der Berliner Polizeispitzel Heufelder, der den Wydener Kongress besucht hatte, teilte der Polizei mit, dass Vollmar sich im Sozialdemokrat des Decknamens Walther bediene. Die darauf bezüglichen Dokumente bei P. Kampffmeyer, Georg von Vollmar (München, 1930), S. 25ff. 4 Bebel antwortete in dem Aufsatz „Aufhebung des Sozialistengesetzes?" in Nr. 42 des Sozialdemokrat vom 12. Oktober. Eine Taktik, wie Vollmar sie befürworte, bedeute den Ruin der Partei. Trotz des Gesetzes sei die Unzufriedenheit über die Wirtschaftslage bei der ungeheuren Mehrheit des Volkes grösser als vorher; das wüssten die Gegner in allen Lagern, und daher würden sie das Gesetz verlängern. Man werde der Sozialdemokratie keine Möglichkeit der Kritik bieten. „Das arbeitende Volk ist des rein politischen Kampfes und der politischen Schlagworte müde und wartet auf soziale Hilfe und Erlösung." Eine Sprache, wie Vollmar sie empfehle, werde den Belagerungszustand in weiteren Dutzenden von Bezirken bringen. Man müsse sich darüber klar sein, ob die Partei einem solchen Rufe folgen könne; denn er bedeute die Verlegung des Kampfes auf die Strasse. „Wenn die Partei das nicht kann und nicht will, dann werden solche Apostrophierungen zur Phrase. Dass aber die Partei sich bisher nicht hat von der Phrase beherrschen lassen, das ist, was ihr den Respekt bei den Freunden und die Furcht bei den Feinden erworben hat."
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gerl[ichen] Schichten über unsere ökonomischen Verhältnisse auch noch die politische Opposition hinzukommen, so wäre das eine wahre Wohltat für uns; denn beides zusammen beschleunigte die Katastrophe, und tritt diese ein, dann sind die bürgerlichen Worthelden von der Bühne verschwunden, und unser Einfluss und unsere Führung wird die massgebende. Ich habe die Überzeugung, dass die Katastrophe erst dann eintreten wird, wenn ein gut Teil der bürgerlichen Welt zu der Erkenntnis gekommen ist, dass das herrschende System nach allen Seiten fertig ist und nichts mehr leisten kann. Dieser Zeitpunkt ist nach meiner genauen Kenntnis der Stimmung in den bürgerlichen] Kreisen, die ich durch mein Geschäft und meine Geschäftsreisen kennenlerne, nahe, und er wird bedeutend beschleunigt durch eine allgemeine] politische Reaktion. Da diese ohne die bürgerlichen] liberalen Führer nicht möglich ist, so würde ihre Herbeiführung diese Führer selbst diskreditieren und die Masse noch mehr auf unsere Seite drängen. Ich habe die Überzeugung, dass bei der Frage, ob Fortdauer des Ausnahmegesetzes oder Verschärfung der allgemeinen] Gesetze, die Partei in Deutschland in ungeheurer Mehrheit sich für das letztere erklären würde. Meines Erachtens mit Recht; ich werde das im S[ozial]d[emokrat] weiter ausführen. Im übrigen will ich bemerken, dass Vfollmar] mir einer der liebsten von allen unseren sog. Führern ist, weil er gesunden Verstand, ein ziemliches Wissen und Courage hat. L[ie]bkn[echt] und mir ist es sehr angenehm zu sehen, dass Du so fleissig am S[ozial]d[emokrat] mitzuarbeiten gedenkst; namentlich erklären wir uns auch sehr für Deine Artikel betr. den Bismarckschen Sozialismus und die Lassalleschen Schlagworte.5 Die eifrigsten Lassalleaner in der Partei stehen heute so, dass sie sich eine Kritik L[assalle]s gefallen lassen, nur darf diese nicht feindselig gehalten sein, und das wirst Du ja von selbst vermeiden. Also lege nur frisch los; je mehr, je lieber. DaL[ie]bkn[echt] Mitte dies[es] 5 Engels plante auf Anregung Bernsteins eine Reihe von Aufsätzen, die nachher als Broschüre erscheinen könnten. „Erster Teil: Der Bismarcksche Sozialismus, 1. Schutzzölle, 2. Eisenbahnverstaatlichung, S. Tabakmonopol, 4. Arbeiterversicherung." Für wichtiger hielt er den zweiten Teil, in dem „eine Reihe von unklaren, durch Lassalle eingebürgerten, und auch noch hie und da von unseren Leuten nachgeplapperten Vorstellungen kritisiert" werden sollten, wie das eheme Lohngesetz, der volle Arbeitsertrag u. dgl. „ . . . entweder erscheint das Ganze im Sozialdemokrat und nachher als Broschüre oder es erscheint sofort als Broschüre, oder es bleibt überhaupt zunächst ungeschrieben . . ." Das letztere war der Fall, da schon nach einigen Monaten in der Sozialdemokratie keine Neigung mehr für den Bismarckschen Sozialismus vorhanden war. Handschriftliche Notizen dazu im Nachlass. Engels an Bernstein 13. September 1882, 8. Februar 1883.
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M[ona]ts seine Haft antritt, so kommen Deine Artikel doppelt erwünscht;6 denn bei der gegenwärtigen Gefängnisordnung ist die geheime Mitarbeiterschaft — offen konnte sie ja nie sein — sehr erschwert. Da L[ie]b[knecht] zwei verschiedene Strafen hat, die durch ein Nachtragserkenntnis, das erst nach erfolgter Revision bei dem Reichsgericht, die er gleich mir eingelegt hat, gefällt werden kann, so ist er in der Lage, mit Eröffnung des Reichstags das Gefängnis zu verlassen. Ich habe die Absicht, meine Haft den 1. Nov[ember] anzutreten und hoffe, während der Weihnachtsfeiertage aus demselben Grunde wie L[ie]b[knecht] eine Pause eintreten lassen zu können. Bringe ich durch die Revision von meinen acht Verurteilungen mit in Summa fünf Monaten nichts herunter, und das ist schwer anzunehmen, da das Reichsgericht furchtbar reaktionär und in gewisser Richtung in seiner Kompetenz sehr beschränkt ist, so wird das Nachtragserkenntnis mir die fünf M[onate] hoffentlich auf vier reduzieren, und würde ich dann Mitte März mein Pensum erledigt haben.7 Für die Empfehlung der Bücher bin ich Dir dankbar, ich werde sie mir in der einen oder anderen Weise zu verschaffen suchen. Wenn Du an Marx schreibst, grüsse ihn von mir, auch Tussy bitte ich zu grüssen. Schreibst Du mir wieder, so benutze die bekannte Adresse weiter. L[ie]bkn[echt] lässt grüssen. Die sozialen Gesetzentwürfe Bism[arck]s, die Du für Deine Arbeiten brauchst, werden wir Dir verschaffen. Der Mensch operiert mit riesigem Ungeschick; solche faux pas, wie die Prov[inzial]korresp[ondenz] sie gemacht, durften nicht vorkommen.8 Auch dass er den alten Plan der Reichsunfallversicherungsbank — die einzige vernünftige Idee, die er bisher gehabt hat — aufgegeben, weil er sich durch
Liebknecht ging Mitte Oktober ins Gefängnis; er hatte wie Bebel und Hasenclever eine Strafe von zwei Monaten erhalten. 7 Bebel verbüsste die dreimonatige Haft für zwei rechtskräftige Verurteilungen im Leipziger Bezirks-Gefängnis; eine dritte Verurteilung zu zwei Monaten schwebte noch vor dem Reichsgericht. Der Sozialdemokrat, Nr. 45, £. November. 8 Der Sozialdemokrat polemisierte in Nr. 38 und 39, 14. und 21. September gegen die offizielle Provinzialkorrespondenz, die Vermögenssteuern als „einen der gefährlichsten, zum falschen Sozialismus führenden Weg" bezeichnet hatte. „Wollte der S t a a t . . . seinen Bedarf überwiegend dem grossen Kapital entnehmen vermittelst hoher progressiver Vermögenssteuern, Erbschaftssteuer, prozentualer und progressiver Besteuerung der Börsengeschäfte usw., so würde er den grössten materiellen Hebel jeder eigentlichen Zivilisation, nämlich die Kapitalbildung und das zu derselben gehörige Operationsfeld des Kapitals auf seinem Boden zerstören." 8
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Schäffle hat breitschlagen lassen, musst Du ihm gehörig unter die Nase reiben.9 Schäffles Broschüre „Der korporative Hülfskassenzwang", Tübingen 1882, H. Laupp'scher Verlag, habe ich kürzlich gelesen. Sie bezweckt für den neuesten Gesetzentwurf und die Bismarck]sehe „Sozialreform" Propaganda zu machen und befürwortet eine Organisation, die das reine Tohuwabohu schafft. Es schadet nichts, wenn Du Herrn Schäffle ein wenig mit verarbeitest. Gruss und Handschlag v[on] Deinem A . BEBEL.
Bitte Briefe künftig lieber direkt an die Adresse m [einer] Frau (Julie B.), Hauptmannstrasse 2, Leipzig, aber „einschreiben", zu senden. • A. Schäffle über seine Kritik des Unfallversicherungsentwurfs: Aus meinem, Leben, Bd. II (Berlin, 1905), S. 143-84; dort auch seine Korrespondenz mit Bismarck über den Entwurf.
43. BEBEL AN
Original.
ENGELS
[Poststempel: Borsdorf] den 28. Oktober 1882.
Habe heute die fraglichen Gesetzentwürfe an Dich abgeschickt unter + [Kreuz-]band, bekam sie nicht eher. Die pr[eussischen] Wahlen sind recht nett ausgefallen, aber obgleich dies nur möglich war, weil die Wähler der dritten Klasse in Masse sich der Beteiligung enthielten 1 und das Dreiklassensystem damit moralisch vernichteten, wagt n i c h t ein B l a t t v o n d e r Frankfurter]
Z e i t [ u n g ] bis z u r
Natfional]-
Zeit[ung], [sich] für Abschaffung desselben zu erklären. Es sind elende Kerle, diese Liberalen]. Den 1. Novfember] beziehe ich m[ein] St[aats-]Qu[artier]. 2 Mit bestem Gruss D[ein] A. B. 1
Die Wahlen zum preussischen Abgeordnetenhaus ergaben eine Mehrheit für die Konservativen und das Zentrum; sie erhielten 236 von 433 Sitzen. Der Sozialdemokrat bemerkte dazu: „Die Wähler dritter Klasse, soweit sie selbständig denken und einer politischen Partei angehören, sind aber fast ausnahmslos Sozialdemokraten... Sie taten das einzige, was Würde und Prinzip unserer Partei erheischten, sie enthielten sich. Auch nicht ein Sozialdemokrat hat in Berlin oder anderswo sich an der Wahl beteiligt." Nr. 45, 2. November. 2 Bebel verbüsste seine Gefängnisstrafe vom 1. November 1882 bis 9. März 1883 im Leipziger Gefängnis.
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4 4 . ENGELS AN
Original.
BEBEL
London, den 28. Oktober 1882. Lieber Bebel!
Endlich komme ich zum Schreiben — seit ca. drei Wochen ist M[arx] wieder hier, geht übermorgen nach der Insel Wight, und da hab' ich zu nichts Ruhe gehabt. Von den V[ollmar] sehen Artikeln1 gefiel mir namentlich der erste sehr, wegen der wohlverdienten Abweisung der Heulerei der Herren vom „rechten Flügel", die nach Aufhebung des S[ozialisten]-G[esetzes] schreien selbst auf Bedingungen hin, die für die Partei schlimmer wären, als das S[ozialisten]-G[esetz] selbst, vorausgesetzt dass man dadurch wieder zur Gründung von Blättern ä la Gerichtszeitung und damit zu den alten literarischen Fleischtöpfen Ägyptens käme. Diesen Leuten — und nur gegen diese war er gerichtet — gegenüber war es meiner Ansicht nach ganz in der Ordnung, darauf hinzuweisen, dass eine freiwillige Aufhebung des S[ozialisten]-G[esetzes] sehr leicht von Bedingungen begleitet sein kann, die die Lage der Partei verschlimmern; hervorzuheben, dass wir durch Betteln und Ducken das S[ozialisten]-G[esetz] am allerwenigsten loswerden. Sonst ist diese Frage auch für mich eine akademische. Ich glaube, das Gesetz geht kaputt an Ereignissen, die die Revolution einleiten und die nicht lange mehr ausbleiben können. Den zweiten Art[ikel] las ich ziemlich flüchtig, während von zwei bis drei Leuten fortwährend dazwischen gesprochen wurde. Sonst hätte ich an der Art, wie er sich die Revolution vorstellt, den französischen] Einfluss und damit wohl auch meinen V[ollmar] erkannt. Du hast diese Seite ganz richtig gefasst. Es ist die geträumte, endliche Verwirklichung der Phrase von der „einzigen reaktionären Masse". Alle offiziellen Parteien vereinigt in einem Klumpen hier, wir, die Sozialisten, in Kolonne dort-, grosse Entscheidungsschlacht, Sieg auf der ganzen Linie mit einem Schlag. So einfach machen sich die Dinge in der Wirklichkeit nicht. In der Wirklichkeit fängt umgekehrt, wie Du auch bemerkst, die Revolution damit an, dass die grosse Mehrzahl des Volkes und auch der offiziellen Parteien gegen die, dadurch isolierte, Regierung sich scharen und sie stürzen, und erst nachdem diejenigen unter den offiziellen Parteien, die noch möglich geblieben, sich untereinander, aneinander und nacheinander zugrunde gearbeitet haben, erst dann kommt die grosse Scheidung V[ollmar]s zustande und damit die Chance unserer Herrschaft. Wollten wir mit V[ollmar] 1
S. Brief Nr. 4 2 , Anm. 2.
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die Revolution gleich mit ihrem letzten Akt anfangen lassen, so ging' es uns erbärmlich schlecht. Den Schlusspassus, von der neuen Taktik, habe ich damals wenig beachtet — allerdings legt man das Strafg[esetz]-Buch daneben, so ist viel Brummbares darin. Indes es kann nicht viel schaden, wenn hie und da einer nach der Seite hin ein wenig des Guten zuviel tut, auf der anderen Seite wird ja auch genug gesündigt. Wenn ich also diese Stelle zu leicht, so scheinst D u mir sie etwas zu ernst genommen zu haben, und wie der rechte Flügel Deine Antwort sich zunutze zu machen sucht, siehst D u aus Vierecks Frohlocken in der Südd[eutschen] Post. 2 Ich glaube nicht, dass auf Vollmars Artikel hin unsere Leute in Deutschland so ohne weiteres seine Redeweise angenommen hätten. Nur die geforderte Proklamation: „Wir organisieren uns geheim" verdient unbedingt Abweisung. 3 Das Bismarck-Material erwarte ich mit Ungeduld, werde aber jetzt, da Ihr beide brummt, wohl noch etwas warten können. Wenn ich denn aber mich in einer anderen, längeren Arbeit, die auch schon lange wartet, festgebissen habe, kann ich nicht abbrechen, und Bismarck muss warten. In Frankreich ist die längst erwartete Spaltung eingetreten. 4 Das ursprüngliche Zusammengehen von Guesde und Lafargue mit Malon und Brousse war nicht wohl zu vermeiden bei Gründung der Partei, aber Marx und ich haben uns nie Illusionen darüber gemacht, dass das nicht dauern könne. Die Streitfrage ist rein prinzipiell: soll der Kampf als Klassenkampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie geführt werden, oder soll es gestattet sein, auf gut opportunistisch (oder wie das in sozialistischer Übersetzung heisst: possibilistisch) den Klassencharakter der Bewegung und das Programm überall da fallenzulassen, wo man dadurch mehr Stimmen, mehr „Anhänger" bekommen S. Brief Nr. 42, Anm. 4. Die Redaktion des Sozialdemokrat antwortete Viereck in Nr. 44, 26. Oktober: „ D e m .wohlunterrichteten' L[ouis] V[iereck], welcher in der Süddeutschen Post die Behauptung aufstellt, die Flugschrift „ A u f h e b u n g des Sozialistengesetzes?" habe überhaupt nichts mit unserer Partei zu tun, müssen wir jedoch bemerken, dass dieselbe allerdings mit unserer Partei zu tun hat. Sie besteht aus Artikeln, die, wie jemand, der als wohlunterrichtet gelten will, wissen sollte, zuerst im Sozialdemokrat erschienen sind, dem Organ der deutschen Sozialdemokratie. D a s s sie nur die Meinung des Schreibers ausdrücken sollen u n d nicht mehr, geht schon aus der gewählten Form hervor, aber es ist die Meinung eines Parteigenossen, . . . und zwar eines in hervorragender Linie stehenden. Dies m a g sich L . V. zur Informierung dienen lassen." 3 S. Brief 42, Anm. 2. 4 Auf dem Kongress in St. Etienne, dessen Mehrheit possibilistisch war, wurde am 25. September der Ausschluss der Marxisten beantragt. Guesde, L a f a r g u e u n d dreissig andere Delegierte verliessen den Kongress und tagten am 27. September in Rouen. S.a. Engels an Bernstein 28. November 1882. 2
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kann? Für letzteres haben Malon und Brousse sich erklärt, damit den proletarischen Klassencharakter der Bewegung geopfert und die Trennung unvermeidlich gemacht. Auch gut. Die Entwicklung des Proletariats erfolgt überall unter inneren Kämpfen, und Frankreich, das jetzt zum erstenmal eine Arbeiterpartei bildet, macht keine Ausnahme. Wir in Deutschland sind über die erste Phase des inneren Kampfes (mit den Lassall[eanern]) hinaus, andere stehen uns noch bevor. Einigung ist ganz gut, solange sie geht; aber es gibt Dinge, die höher stehen als die Einigung. Und wenn man, wie M[arx] und ich unser ganzes Leben lang mehr die angeblichen Sozialisten bekämpft hat als sonst jemand (denn die Bourgeoisie nahmen wir nur als Klasse und haben uns auf Einzelkämpfe mit Bourgeois fast nie eingelassen), so kann man sich eben nicht sehr darüber grämen, dass der unvermeidliche Kampf ausgebrochen ist. Ich hoffe, dies trifft Dich noch, ehe Du ins Loch gehst. Marx und Tussy grüssen herzlich. M[arx] ist in voller Genesung, und wenn keine neue Brustfellentzündung kommt, wird er nächsten Herbst stärker sein als seit Jahren. Wenn Du Liebkn[echt] im „Käfigturm" (wie sie in Bern sagen) siehst, so grüss ihn von uns allen. Dein F. E.
45. BEBEL AN
Original.
ENGELS
[Leipzig,] den 14. November 1882. Lieber Engels!
Deinen Brief erhielt ich noch unmittelbar vor Torschluss, und da ich noch in letzter Stunde an Ede schrieb, so liess ich diesen wissen, dass ich Dir die Aktenstücke geschickt, Du wirst sie wohl auch erhalten haben. Dein Brief und meine Sendung kreuzten sich wohl. Da ich Gelegenheit habe, einige Zeilen an Dich zu schmuggeln — ich war mittlerweile ins Gefängnis gegangen —, will ich so gut als möglich auf Deinen letzten Brief antworten; denn zu Händen habe ich ihn natürlich nicht. Ob ich den Artikel von V[ollmar] zu ernst genommen habe, lasse ich dahingestellt sein. Der S[ozial]d[emokrat] hat jetzt bei unseren Leuten den allerbedeutendsten Einfluss, weil sie absolut nichts anderes zu lesen bekommen und auch sonst nichts hören. Bleibt eine Meinung wie die V[ollmar]sche unwidersprochen, wird sie als allgemeingültige anerkannt, und die Folge ist, dass dann auch die Leute die Handlungen danach verlangen. Es muss also jetzt mehr denn je zuvor ver138
mieden werden, Ansichten zu verbreiten, denen zu entsprechen nicht möglich ist. Das sind kurz gesagt die Gründe, weshalb ich das Ding ernst nahm. Dass ich bei dieser Gelegenheit ein Lob Vierecks einheimste, war mir weder angenehm, noch hatte V[iereck] Veranlassung dazu; 1 er hat im Eifer, Kapital für sich daraus zu schlagen, entweder nicht verstanden oder missverstehen wollen, was letzteres ja auch bei den Offiziösen geschah, die lächerlicherweise eine Spaltung ankündigten und das so dumm als möglich anfingen. Vollmar schadet der Rüffel gar nichts; er vergisst zu leicht, wenn er in der Schweiz sitzt, wie es bei uns aussieht; ist er in Deutschland, dann ist er viel vernünftiger, das hat seine Monopolrede2 bewiesen. Angenehm wäre mir gewesen, wenn Du Dich weniger mystisch ausgelassen hättest, wieso wir denn etwa und vielleicht ganz unerwartet das Gesetz loswerden könnten.3 Ich kann mir darunter nur zweierlei denken, und ich will versuchen, ob ich Deine Idee errate. Entweder kommt uns in Bälde abermals eine Handels- und Industriekrise über den Hals, die von Nordamerika ausgeht, und der Rückschlag dieser auf Europa treibt dasselbe aus den Fugen, oder es bricht ein europäischer Krieg aus, dessen eine Wirkung alsdann unzweifelhaft die europäische Revolution ist. Ein Drittes vermag ich nicht zu entdecken. Der europäische Krieg erscheint mir deshalb unwahrscheinlich, wenigstens auf absehbare Zeit, weil nach meiner festen Uberzeugung alle europäischen Kabinette genau die Folgen eines grossen Krieges kennen und fürchten. Vergeblich sucht man nicht die ägyptische Frage totzutreten, auf die Gewissheit hin, dass Englands Macht sich dadurch gewaltig befestigt. Bismarck sucht offenbar auch alles zu vermeiden, was äussere Konflikte schaffen könnte; er weiss zu gut, dass Deutschland am allerwenigsten, aus inneren und äusseren Gründen, einen Krieg brauchen kann. Zu erobern gibt es nichts, es kann also nur verlieren; und die Situation in dem Innern ist so, dass, ganz abgesehen von der erbitterten Arbeiterklasse, unser Bürgertum infolge einer Kriegserklärung zu drei Vierteln seinen Bankerott ansagen müsste, d.h. das System wäre fertig. Ich sehe, abgesehen von RussS. Brief Nr. 44, Anm. 2. Am 12. Mai hatte Vollmar im Reichstag sehr wirkungsvoll gegen das Tabakmonopol gesprochen, was die Redaktion des Sozialdemokrat veranlasste, die Rede unverkürzt in Nr. 22, 25. Mai zu veröffentlichen. 3 Engels an Marx 30. November 1882: „Inliegend ein heute erhaltener Brief Bebels. Das ,Mystische', was er auf einmal nicht verstehen kann und das sie vom Sozialistengesetz befreien kann, ist natürlich der Losbruch der Krise in Russland. Sonderbar, dass die Leute sich alle nicht daran gewöhnen können, es solle ein Anstoss von dorther kommen. Und ich hab's ihm doch mehr als einmal auseinandergesetzt." 1
2
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land, dem der beste Wille nicht fehlt, keinen Staat, der jetzt eine europäische Verwicklung wünscht, Russland kann sie aber wegen seiner inneren Schwäche nicht ausnutzen. Ich halte also einen europäischen Krieg in Bälde nicht für wahrscheinlich, womit nicht gesagt sein soll, dass es an Ursachen mangelt. Zündstoff ist überall in Menge, und der Zufall kann eine Explosion herbeiführen. Aber der Zufall ist doch kein Faktor, mit dem man rechnet. Sehr beachtenswert ist, dass unsere Marineverwaltung seit einiger Zeit den Neubau v[on] grossen Schlachtschiffen nahezu ganz eingestellt hat; dafür aber die grössten Anstrengungen für die Defensión, für die Verteidigung der Küsten trifft. Nachdem die Nordseeküsten verrammelt worden sind, geht man mit Macht an die Sicherung der Ostseeküsten. Man begreift, dass man in einem Seekrieg, etwa mit Frankreich, künftig einen ganz anderen Stand haben wird als 1870, und da es ganz unmöglich ist, die Militärlasten noch mehr zu steigern, findet man's für klug, sich auf das Nächstliegende zu beschränken. Der Traum, Deutschland auch zu einer der ersten Kriegsmächte zur See zu machen, hat sein Ende erreicht, wenn man auch öffentlich darüber schweigt. Die andere Alternative für einen grossen Krach: die amerikanische Krise, auf die ich unsere Leute schon seit Jahr und Tag hingewiesen habe, scheint mir dagegen sehr nahe zu sein. Mein zigeunerndes Leben in den letzten Jahren hat mich verhindert, die Entwicklung mehr im einzelnen zu verfolgen; aber das Fazit, das die nordamerikanische Handelsbilanz in den letzten Monaten ergibt, scheint mir sehr für den baldigen Krach zu sprechen, und dann gute Nacht mit der europäischen Exportindustrie. Dann dürfte insbesondere auch für England die Stunde der Umwälzung schlagen. Das ganze bisschen Aufschwung, wenn man's so nennen will, das wir in Deutschland in den letzten anderthalb Jahren bemerkt haben, schuldet seine Existenz ausschliesslich dem steigenden Export. Bekommt der ein Loch, dann bekommen wir einen Krach, ärger als jener von 1874; denn wir haben uns von dem noch nicht erholt. Unsere Eisenindustrie kommt bereits wieder bedenklich ins Schwanken; tatsächlich sind die Notierungen, wie sie der Börsenzettel bringt, Schwindel und wird zu viel niedrigeren Preisen verkauft. Der Kartellvertrag der Eisenproduzenten ist, wie vorauszusehen war, längst in die Brüche gegangen, und ist die Uberproduktion wieder im besten Zuge. In der Textilindustrie sieht's nur wenig besser aus; auch hier ist der Export die Hauptsache, bekommt auch dieser einen Rückschlag, so sind die beiden Hauptindustrien lahmgelegt, und die Lähmung greift weiter. 140
Kurz, die amerikanische Krise hat weit mehr Wahrscheinlichkeit als ein europäischer Krieg, die Sturmglocke für die europäische Revolution zu werden. Es wäre mir lieb, gelegentlich Deine und M[arx]' Meinung über meine Ansichten zu hören. Ich hoffe, auf Weihnachten meine Haft unterbrechen zu können. Schreibst Du mir, so nimm auf das Datum dies[es] Briefes keinen Bezug, es möchte andere in Verlegenheit bringen können. Es freut mich sehr, dass Marx wieder wohl ist. Ich erwidere seine und Tussys Grüsse herzlich. R[udolf] Meyer schreibt im Nachwort zu seiner Veröffentlichung der Briefe und Aufsätze von Rodbertus: „es sei möglich, dass Marx noch die Zeit erlebe, dass mit seinem System ein Versuch gemacht werde."4 Obgleich er das offenbar nur schrieb, um Bismarck zu ärgern, so kann er doch recht haben. Das wäre prächtig. Habt Ihr die Meyerschen Bücher gelesen? Ich habe sie im Gefängnis durchgenommen. M[eyer] lobt Euch beide sehr und fühlt sich über die gute Aufnahme, die Ihr ihm bereitetet, offenbar sehr geschmeichelt; 5 freilich müsst Ihr diesen Ruhm mit fünf Kardinälen teilen, die ihm dieselbe Ehre widerfahren liessen. Da Marx von seinen guten Freunden, den Feinden, schon oft als sozialistischer Papst hingestellt worden ist, so kann er sich die Gesellschaft gefallen lassen. Rodbertus habe ich so recht erst aus diesen Briefen und Aufsätzen kennengelernt. Er steht jedenfalls weit über dem Durchschnitt unserer sog. Nationalökonomen. Der Mann hat Kritik und Ideen, aber als konservativer Sozialist kommt er in den stärksten Widerspruch mit sich selbst. Marx' „Kapital" wollte er ja auch „widerlegen"; sein Nachlass scheint aber nicht veröffentlicht zu werden, in bezug auf letzteren Punkt für ihn selbst am nützlichsten.6 C. Rodbertus-Jagetzow, Briefe und socialpolitische Aufsätze. Herausg. von Dr. Rudolf Meyer, 2 Bde (Berlin, [1882]). „Ich verzweifle fast an der Möglichkeit einer Reform in Europa und glaube, es wird Herr Karl Marx noch erleben, dass mit seinem System ein ernster Versuch gemacht werde." S. 739. 5 R. Meyer war 1879-80 zehn Monate in England. Es war seine Absicht, die Nationalökonomen aufzusuchen, von denen er etwas lernen könne, und unter diesen nannte er Marx und Engels. Schon nach dem Eintreffen der Krise von 1873, die von Marx wie von Rodbertus vorausgesagt war, hatte er „eine grosse Bewunderung für die beiden ausserordentlichen Männer empfunden, die soweit an Scharfblick und Wissen ihre Zeitgenossen übertrafen". S. 736, 741. 8 Aus dem Nachlass waren die Briefe Lassalles an Rodbertus 1878 von Ad. Wagner herausgegeben. „Das Kapital. 4. socialer Brief an von Kirchmann" erschien als Nachlass, Bd. II (Berlin, 1884), und als Bd. III Zur Beleuchtung der socialen Frage, Teil II (Berlin, 1885). Einen weiteren Nachlassband gab Heim. Wagener heraus (Minden, 1886). 4
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Wie Carlchen Hirsch in die Ehe gesprungen ist, weisst Du jedenfalls. Seine Frau ist eine genaue Bekannte von uns. C[arl] H[irsch] war gerade in Dresden zur Werbung, als ich zu Pfingsten [dort verhaftet] 7 wurde. Als er das vernahm, kriegte er [dann Angst und machte,]7 dass er fortkam. Und daran tat er gut; wenige Tage danach wurde seine gewesene Anwesenheit der Polizei bekannt, und die hat für ihn von der Laterne her allerlei auf dem Kerbholz. Mit bestem Gruss und Händedruck Dein A . BEBEL.
Von Maurer habe ich die Geschichte der Markenverfassung aufgetrieben, und zwar antiquarisch, nach dem anderen ist mein Buchhändler noch auf der Suche. Wie der arme alte W[ilhelm] überall herumgeführt wird, um sich bejubeln und beklatschen zu lassen. Ein Schauspiel zum Erbarmen, jedenfalls auch Berechnung. 7
Das Papier ist beschädigt.
4 6 . ENGELS AN B E B E L
London, den 22. Dezember 1882.
Original. Lieber Bebel!
Ich hoffe, Du kommst übermorgen auf vierundzwanzig Stunden los und so ohne Schwierigkeit in Besitz dieser Zeilen. Die Stelle meines letzten Briefes, die Dir mystisch vorkam, besagt weiter nichts, als dass ich eine Aufhebung des Ausnahmegesetzes erwarte von Ereignissen, die entweder selbst revolutionärer Natur sind (ein neuer Schlag oder Einberufung einer Nationalversammlung in Russland z.B., wo die Rückwirkung auf Deutschland sich sofort zeigen würde) oder doch die Bewegung in Gang bringen und die Revolution vorbereiten (Thronwechsel in Berlin, Tod oder Abgang Bismarcks), beides mit fast unvermeidlicher „neuen Ära". Die Krisis in Amerika scheint mir, wie die hiesige und wie der noch nicht überall gehobene Druck auf der deutschen Industrie, keine richtige Krisis, sondern Nachwirk[ung] der Überproduktion von der vorigen Krisis her. Der Krach in Deutschland wurde das vorige Mal durch den Milliardenschwindel verfrüht, hier und in Amerika kam er zur normalen Zeit, 1877. Nie aber sind während einer Prosperitätsperiode die Produktivkräfte so gesteigert worden wie von 1871-1877. Daher, ähnlich wie 1837-42, ein chronischer Druck hier und in 142
Deutschland auf den Hauptindustriezweigen, besonders Baumwolle und Eisen; die Märkte können all die Produkte noch immer nicht verdauen. Da die amerik[anische] Industrie der Hauptsache nach noch immer für den geschützten inneren Markt arbeitet, kann dort eine lokale Zwischenkrise bei der raschen Vermehrung der Produktion sehr leicht entstehen, sie dient aber schliesslich nur dazu, die Zeit abzukürzen, in der Amerika exportfähig wird und als gefährlichster Konkurrent Englands auf dem Weltmarkt erscheint. Ich glaube daher nicht — und M[arx] ist derselben Ansicht, — dass die wirkliche Krisis viel vor der richtigen Verfallzeit kommen wird.1 Einen europäischen Krieg würde ich für ein Unglück halten; diesmal würde er furchtbar ernst werden, überall den Chauvinismus entflammen auf Jahre hinaus, da jedes Volk um die Existenz kämpfen würde. Die ganze Arbeit der Revolutionäre in Russland, die am Vorabend des Sieges stehn, wäre nutzlos, vernichtet; unsere Partei in Deutschland würde momentan von der Flut des Chauvinismus überschwemmt und gesprengt, und ebenso ging's in Frankreich. Das einzig Gute, was dabei herauskommen könnte, die Herstellung eines kleinen Polens, kommt bei der Revolution ebenfalls, und zwar von selbst heraus; eine russische Konstitution infolge eines unglücklichen Krieges hätte eine ganz andere, eher konservative Bedeutung als eine revolutionär erzwungene. Ein solcher Krieg, glaube ich, würde die Revolution um zehn Jahre aufschieben, nachher würde sie freilich um so gründlicher. Übrigens war wieder Krieg in Sicht, Bismarck hat mit der österreichischen] Allianz gerade so demonstriert wie 1867 bei der Luxemburger Affäre mit den süddeutschen Bündnissen.2 Ob es im Frühjahr zu etwas kommt, müssen wir abwarten. Deine Mitteilungen über den Stand der deutschen Industrie waren uns sehr interessant, namentlich die ausdrückliche Bestätigung, dass der Kartellvertrag der Eisenproduzenten gesprengt ist. Das konnte 1 Engels an Marx 30. November 1882: „Seine [Bebels] Hoffnungen auf eine neue grosse Krise halte ich für verfrüht — eine Zwischenkrise wie 1842 kann kommen, und das industriell zurückgebliebenste Land, Deutschland, das sich mit den Abfällen der Weltmarktsnachfrage begnügen muss, würde allerdings am meisten leiden." Marx an Engels 4. Dezember 1882: „Eingeschlossen Bebels Brief, der mich sehr interessiert hat. An so bald eintretende industrielle Krisis glaube ich nicht." 2 Während der Besprechungen mit dem russischen Aussenminister Giers im November 1882 liess Bismarck die Nachricht vom 1879 abgeschlossenen, aber bisher nicht bekannten deutsch-österreichischen Bündnis verbreiten. Ebenso hatte er 1867, als Napoleon III. Luxemburg von Holland zu erwerben suchte, die Öffentlichkeit mit der Bekanntgabe des im Vorjahre abgeschlossenen Schutz- und Trutzbündnisses Preussens mit den süddeutschen Staaten zu gemeinsamem Handeln im Falle eines Krieges überrascht.
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nicht vorhalten, am allerwenigsten bei deutschen Industriellen, die ohne die kleinlichste Beschummelei nicht leben können. Die Meyerschen Sachen haben wir hier bis jetzt nicht gesehen, und so hast Du uns da auch was Neues erzählt. Dass M[arx] neben seinen Kardinälen figurieren würde, war zu erwarten; es machte Meyer immer ein ganz besonderes Vergnügen, wenn er von Kard[inal] Manning direkt zu Marx gehen konnte, das verschwieg er dann nie.3 In seinen „Sozialen Briefen" war Rodbertus nahe daran, dem Mehrwert auf die Spur zu kommen, aber näher kam er nicht. Sonst wäre sein ganzes Dichten und Trachten, wie dem verschuldeten Landjunker zu helfen sei, am Ende gewesen, und das konnte der gute Mann nicht wollen. Aber wie Du sagst, er ist viel mehr wert als die Masse der deutschen Vulgärökonomen inklusive der Kathedersozialisten, die ja nur von unseren Abfällen leben.4 Die Geschichte mit Carlchens Freierei war uns auch neu. Die Hochzeit, haben mir Augenzeugen erzählt, soll sehr trauerklötig gewesen sein, so sehr, dass einer der bei der Ziviltrauung Gegenwärtigen ausrief: c'est l'enterrement de A! Ich habe gestern das letzte M[anu] skript zur Broschüre nach Zürich geschickt, nämlich einen Anhang über die Markverfassung und eine kurze Geschichte der deutschen Bauern überhaupt.5 Da der Maurer sehr schlecht erzählt und viel durcheinanderwirft, kommt man bei erster Lesung den Sachen schwer auf die Spur. Sobald ich also Aushängebogen erhalte, schicke ich Dir die Geschichte, da sie den Maurer nicht einfach auszieht, sondern auch indirekt kritisiert und noch vieles Neue enthält. Es ist die Erstlingsfrucht meiner seit einigen Jahren betriebenen Studien über deutsche Geschichte,6 und es freut mich sehr, dass ich sie nicht zuerst den Schulmeistern und sonstigen „Jebildeten", sondern den Arbeitern vorlegen kann. Jetzt muss ich schliessen, sonst kann ich den Brief für die AbendH. E . Manning (1808-92) war seit 1875 Kardinal. Die in der zeitgenössischen Presse häufig anzutreffenden Meldungen von der Konversion R. Meyers, wahrscheinlich veranlasst durch seinen Umgang mit katholischen Würdenträgern und seine heftigen Angriffe auf Bismarck während des Kulturkampfes, wurden von ihm selbst im Brief an Hermann Schumacher 9. August 1895 als unzutreffend bezeichnet. E r selbst sei niemals Katholik geworden, wohl aber habe er seinen einzigen Sohn katholisch taufen lassen. C. Rodbertus-Jagetzow, Neue Briefe über Grundrente, Rentenprinzip und soziale Frage an Schumacher. Herausg. von R. Michels und E. Ackermann (Karlsruhe, 1926), S. 181. 4 S. darüber Briefe Nr. 67, 68. 5 Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, S. 49-64. 8 Der grösste Teil dieser hinterlassenen Studien, „Zur Geschichte der Urgermanen" und „Fränkische Zeit", wurde erst in dem Sammelwerk Zur deutschen Geschichte (Berlin, 1953), Bd. I, S. 9-134 veröffentlicht.
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post nicht mehr einschreiben lassen. Die Preussen scheinen noch nicht so weit zu sein, auch eingeschriebene Briefe zu bestiebern, bis jetzt kommt alles in normalem Zustand an; lange Übung hat mich gelehrt, das ziemlich sicher zu beurteilen. Deine Frau bitte ich, einliegende Weihnachtskarte und meine beste Empfehlung akzeptieren zu wollen. Dein F. E.
4 7 . B E B E L UND J U L I E B E B E L AN E N G E L S
Borsdorf-Leipzig, den 6. Januar 1883.
Original. Lieber Engels!
Du warst im Irrtum, zu glauben, ich käme den 24. Dezfember] frei — ich hatte ja freilich diesen Glauben selbst erzeugt, und mir war er durch den Staatsanwalt beigebracht worden. Des letzteren Auffassung, bei mehreren Strafen dieselben mit einer Unterbrechung vor voller Beendigung einer derselben abmachen zu können, stellte sich als irrig heraus.1 Das Justizministerium entschied anders. So musste L[ie]b[knecht] bis zum 17. Dez[ember] sitzen und verpasste damit abermals seine Rede zum Belagerungszustand, und ich musste bis zum 1. Jan[uar] in Haft bleiben und ruinierte so meiner Familie Weihnachten und Sylvester. War der Staatsanwalt besser unterrichtet, so ging ich eine Woche früher in Haft, und die Unannehmlichkeit war meiner Familie erspart. Dienstag, den 9. [Januar] trete ich wieder an und werde dann mein noch näher zu fixierendes Pensum bis zu Ende abmachen. Vor den Osterfeiertagen hoffe ich auf alle Fälle wieder in Freiheit zu sein. Es ist wohl richtig, dass wir hier in Deutschland noch gar nicht aus der Krise herausgekommen sind; allein ich glaube, wir kommen auch nicht mehr heraus. Die Konzentration der Produktionsmittel hat sich, mit Ausnahme von Amerika, in keinem Lande der Welt wohl in dem letzten Jahrzehnt so gesteigert wie in Deutschland, und jeder Tag beschleunigt sie mehr. Deutschland hat namentlich in den letzten fünf Jahren sowohl in bezug auf Massenproduktion wie Verbesserung des Geschmacks und Verschönerung der Formen grossartige Fortschritte gemacht; aber alle diese Fortschritte haben die Auflösung unseres Mittelstandes nicht aufgehalten, sondern beschleunigt. Wir kommen aus der Überproduktion nicht mehr heraus. So drängt alles 1
Bebel trat die Haft am 1. November an; die erste Strafe betrug zwei Monate.
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auf den Export; und obgleich man auch nach dieser Richtung von Jahr zu Jahr steigende Fortschritte zu verzeichnen hat, genügen diese Fortschritte nicht, weil die Leistungsfähigkeit rascher wächst als der Absatz. Es soll mir nun sehr gleich sein, ob dier Generalkrach in zwei oder fünf Jahren kommt, die Hauptsache ist, dass er kommt; und sicher ist, dass, je länger er zögert, desto besser die Gärung der Geister sich entwickelt und die schliessliche Umwälzung um so radikaler wird. Noch auf einem anderen hochwichtigen Gebiete, dem des Ackerbaues, scheint man in Deutschland einer grossen Krise vorzuarbeiten. Es besteht gegenwärtig in allen Ländern, wo Grossgrundbesitz vorhanden ist, eine Manie, die Zuckerrübenkultur und Zuckerfabrikation aufs ausgedehnteste zu betreiben. Die Folgen zeigen sich bereits in den Erträgen der Zuckersteuer. Trotz kolossal gestiegener Produktion geht der Ertrag zurück, weil die enorme Ausfuhr bedeutende Exportbonifikationen herbeiführt und infolge des veralteten Massstabs der Steuer auf Rüben der fertige Zucker mehr zurückvergütet erhält, als dafür an Steuer gezahlt wurde. Infolge des grossartig gestiegenen Exports dehnt sich die mit Zuckerrüben bebaute Fläche von Jahr zu Jahr bedeutend aus, und daneben wachsen die Zuckerfabriken wie Pilze aus dem Boden. Im Augenblick sind nicht weniger als sechsundfünfzig Fabriken, eine grösser und besser eingerichtet als die andere, im Bau begriffen. Der hohe Ertrag des Rübenbaues steigert aber auch den Grundwert sehr bedeutend, und infolgedessen kaufen die Grossbesitzer eine Menge ihrer kleineren Nachbarn aus. Dass der Rückschlag nicht ausbleibt — namentlich wenn die Vereinigten] Staaten anfangen, ebenfalls Zucker zu produzieren, wie es neuerdings den Anschein hat —, ist sicher, und das würde also seinerzeit den Krach nur steigern. Dass Bismarck aber Krieg will, glaube ich nicht; das Friedensbedürfnis ist zu stark, und der mögliche Erfolg steht in gar keinem Verhältnis zu den Opfern. Der Russenlärm vor Weihnachten war wohl in der Hauptsache Börsenmanöver, vielleicht wollte man sich auch Österreich etwas gefügiger machen; endlich scheint man neue Kredite für neue Militärorganisationen herauspressen zu wollen. Das alles kann man mit ein bisschen Lärm erreichen. Ich bedauerte im Gefängnis, nicht zweihunderttausend Mark zur Verfügung zu haben; ich hätte vor Weihnachten „Russen" gekauft. Ich kann mir nicht denken, dass wir das Soz[ialisten]ges[etz] auf eine der von Dir angedeuteten Weisen loswerden; das Entscheidende ist und bleibt doch wohl, dass die ganze Bourgeoisie eine solche Aufhebung mit dem grössten Entsetzen sehen würde. Die Konservativen sind von vornherein nicht dafür, das Zentrum stimmt lieber für die
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Verlängerung als dagegen; das einzige, auf das ich mit einiger Sicherheit glaube rechnen zu können, ist die Beseitigung des Belagerungszustandsparagraphen. Doch soll mir's lieber sein, wenn eine Deiner Mutmassungen für das ganze zutrifft. Ich habe auch gefunden, dass man bei Maurer sehr zwischen den Zeilen lesen muss; ein bayerischer Reichsrat kann unmöglich alles offen sagen, ohne die eigene Sippe in Misskredit zu bringen. Er bringt auch viele Wiederholungen und ist in seiner Darstellung recht trocken. Ich habe im Gefängnis auch Büchers Übersetzung von Laveleye gelesen.2 B[ücher] hat viele Zusätze gemacht, namentlich über deutsche Verhältnisse, und hat dabei Maurer stark in Anspruch genommen. Es soll mir sehr angenehm sein, Deine Arbeit bald zu erhalten. Hast Du schon von der Neuen Zeit3 gehört, die als Monatsrevue bei Dietz in Stuttgart erscheint? L[ie]bkn[echt], Kautsky, BraunWien 4 etc. sind beteiligt. Dietz, der vor einigen Tagen hier war, teilte mit, dass die Herausgabe des Probeheftes einen sehr bedeutenden Erfolg gehabt habe. Die erste Auflage von fünf- oder sechstausend ist nahezu vergriffen, und will er eine zweite veranstalten. Hauptsache ist, dass sich das Unternehmen auf der Höhe hält, das wird aber bei dem Mangel an tüchtigen und dem Überfluss an Kräften dritten und vierten Ranges schwer sein. Auch ist bisher bei uns in solchen Dingen viel zu sehr auf die Parteigenossenschaft gesehen worden. Einen solchen zurückzuweisen, auch wenn er offenbar unfähig ist, gilt als eine Art Verbrechen. Frühjahr werden wir wieder eine allgemeine] Parteizusammenkunft veranstalten,5 Ort und Zeit sind noch nicht bestimmt. Gruss und Handschlag v[on] Deinem A . BEBEL.
E . de Laveleye, Das Ureigentum. Herausg. und vervollständigt von K. Bücher (Leipzig, 1879) . 3 Die erste Nummer der Neuen Zeit erschien im Januar 1883. Über die Gründung Kautsky an Engels 23. November 1882; ders., Erinnerungen, S. 523ff. 4 Heinrich Braun (1854-1927), Nationalökonom, in der österreichischen, später in der deutschen Sozialdemokratie tätig, Schwager Victor Adlers, 1903 Reichstagsabgeordneter. E r wurde besonders als Herausgeber wissenschaftlicher Zeitschriften bekannt, seit 1 8 8 8 des Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik, das 1903 von W . Sombart, M. Weber und E . Jaffe erworben wurde; seit 1892 des Sozialpolitischen Centraiblattes, das 1 8 9 5 mit den Blättern für Soziale Praxis unter I. Jastrows Leitung vereinigt wurde; 1911-13 der Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung. Als Monatsschrift des Revisionismus gab er Oktober 1903 und 1905-07 Die neue Gesellschaft heraus. E r galt als der grosse Organisator der sozialpolitischen Publizistik in Deutschland. 5 S. Brief Nr. 4 8 Anm. 2. 2
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Geehrter Herr! Indem ich Ihnen für Ihren freundlichen Neujahrsgruss bestens danke, erwidere ich denselben aufs herzlichste und bitte nur um Entschuldigung, dass es so spät geschehen, da ich auf meinen Mann warten wollte. Mit achtungsvollem Gruss J.
BEBEL.
4 8 . B E B E L AN E N G E L S
Leipzig, den 15. Februar 1883.
Original.
Lieber Engels! Da ich Marx' gegenwärtige Adresse nicht kenne, bitte ich Dich, beiliegenden Brief an ihn gelangen zu lassen.1 Du willst vom Inhalt Kenntnis nehmen, damit ich nicht zweimal dasselbe schreiben muss. Der Tod von Longuets Frau tut mir ungemein leid, sie hatte mir einen sehr sympathischen Eindruck gemacht, und am bedauerlichsten ist ihr Tod für die armen, netten Kinder. Sie ist wohl an einem Schlag oder etwas Ähnlichem gestorben? Wie Du aus der Beilage ersiehst, fliege ich am 9. März aus meinem jetzigen Nest aus. Ich bin einigermassen begierig zu erfahren, wie sich unsere Parteizusammenkunft gestalten wird.2 Vorläufig weiss ich gar nichts darüber, als was der S[ozial]d[emoJcrat] enthält. Gruss und Handschlag v[on] D[einem] A . BEBEL.
1 Marx' Tochter, Jenny Longuet, war am 11. Januar gestorben, Bebels Beileidsschreiben ist nicht erhalten. Engels widmete ihr im Sozialdemokrat, Nr. 4, 18. Januar, einen Nachruf. 2 Der Sozialdemokrat hatte in Nr. 6, 1. Februar mitgeteilt, dass der von der Parteikonferenz in Zürich, 19.-21. August 1882, in Aussicht genommene Kongress im Frühjahr abgehalten werden solle. E r tagte vom 29. März bis 2. April in Kopenhagen.
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4 9 . E N G E L S AN B E B E L
Original.
London, den 7. März 1883. Lieber Bebel!
Ich muss Dir heute aus dem Gedächtnis antworten, ich muss Deinen Brief noch bei Marx liegen haben, will Dir aber doch gleich zu Deiner Loslassung übermorgen gratulieren. Die von Dir geschilderten raschen Fortschritte der Industrie in Deutschland freuen mich enorm. Wir machen jetzt in jeder Weise das zweite bonapartistische Kaiserreich durch: die Börse macht alle noch ganz oder halbmüssig liegenden Kapitalien mobil, indem sie sie anzieht und rasch in wenigen Händen konzentriert; diese so für die Industrie disponibel gemachten Kapitalien leiten den industriellen Aufschwung ein (der keineswegs mit flotter Geschäftslage identisch zu sein braucht), und ist die Sache im Gang, dann geht sie immer rascher. Nur zwei Dinge unterscheiden die Ära Bismarck von der Ära Bonaparte III.: jene florierte durch relativen Freihandel, diese kommt voran trotz der gerade in Deutschland total unangebrachten Schutzzölle. Und zweitens setzt die Ära Bismarck weit mehr Leute ausser Beschäftigung. Dies kommt teilweise daher, dass die Bevölkerungszunahme bei uns weit stärker ist als im zweikindrigen Frankreich; teilweise daher, dass Bonaparte mit seinen Pariser Bauten eine künstliche Nachfrage nach Arbeitskraft hervorrief, während das bei uns mit der Milliardenzeit bald ein Ende hatte; teilweise muss es aber noch andere Ursachen haben, die mir nicht klar sind. Jedenfalls aber fängt das spiessbürgerliche Deutschland endlich an, ein modernes Land zu werden, und das ist absolut nötig, um uns rasch voranzuhelfen. Wenn man die deutschen Bourgeoisblätter und Kammerreden liest, so sollte man meinen, man lebte im England Heinrichs VII. und VIII., dieselbe Klage über Vagabundennot, dasselbe Schreien nach Zwangsunterdrückung des Vagabundentums, Cachot und Prügeln. Das beweist am besten, wie rasch sich die Scheidung des Produzenten von seinem Produktionsmittel, die Verdrängung des Kleinbetriebs durch die Maschine und die Vervollkommnung der Maschine vollzieht. Lächerlich und verächtlich aber sind diese Bürger, die mit Moralpredigten und Strafmitteln die notwendigen Folgen ihres eigenen Tuns aus der Welt schaffen wollen. Es ist ewig schade, dass Du nicht im Beichstag bist, das wäre so ganz ein Thema für Dich. Euer Vorgang im sächs[ischen] Landtag, den Eid ruhig zu schwören,1 hat Nachahmung gefunden. Die Italiener haben einstimmig *
S. Brief Nr. 22, Anm. 3; Nr. 23, Anm. 3.
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erklärt, der Eid dürfe kein Hindernis sein, und Costa hat ohne Murren geschworen. Und das sind doch Leute, die sich für „Anarchisten" erklären, wenn sie auch wählen und sich wählen lassen! Meine Broschüre2 ist in Zürich schändlich verschleppt worden, der Druck sollte aber jetzt fertig sein; ob in dem kleinstädtischen Zürich das Broschieren so lange dauert, weiss ich nicht, jedenfalls warte ich noch immer auf Exemplare, bis jetzt hab ich keins. Der Abschnitt über die Mark wird Dir manches bei Maurer klarer machen, der Mann schreibt entsetzlich bummlig, aber trotzdem sind die Sachen ausgezeichnet, ich habe das Buch fünf- bis sechsmal durchgelesen und lese es nächste Woche noch einmal, nachdem ich seine übrigen sämtlichen Schriften noch einmal im Zusammenhang durchgemacht. Sehr gefreut hat uns die Weise, wie der sittlich-religiöse Puttkamer abgefertigt worden, erst durch Grillenberger im Reichstag selbst, dann noch wiederholt im S[ozial] Dfemokrat]Der wird sich jetzt in acht nehmen! Hepnerchen hat „Unsere Ziele" mit angeblichen Verbesserungen und einem Bildchen, was Dein Porträt vorstellen soll, aber einen echten Yankee vorstellt, in N[ew] Y[ork] neu gedruckt.4 Da ich nur die 1. Ausgabe besitze, kann ich nicht sehen, ob und was er verschlimmbessert hat. Wenn Du seine Ausgabe nicht hast, kann ich sie Dir schicken; Du musst doch sehn, wie Du nach amerikanischen Begriffen aussehen solltest. Jetzt muss ich schliessen, ich muss zu M[arx] gehen, mit dessen Gesundheit es noch immer nicht recht voran will. Wären wir zwei Monate weiter, so würden Wetter und Luft das ihrige tun, aber so
Die Entwicklung des Sozialismus . . . erschien in Hottingen-Zürich, Schweizerische Genossenschaftsdruckerei, 1883. 8 Grillenberger antwortete am 14. Dezember dem Minister in seiner Rede über die Handhabung des Sozialistengesetzes und ging ausführlicher auf dessen Argumente für die Aufrechterhaltung des Belagerungszustandes in verschiedenen Bezirken ein: die Sozialdemokratie untergrabe die Heiligkeit der Ehe und propagiere die freie Liebe. Der Sozialdemokrat, Nr. 1, 2-1., 4. Januar. Das Blatt selbst antwortete in Nr. 2, 4. Januar mit dem Aufsatz „Zum Kapitel von der freien Liebe. Etwas für Herrn v. Puttkamer zum Vorlesen im Reichstag" und teilte unter demselben Titel in Nr. 7, 8. Februar ein Sittenbild aus vornehmen Kreisen mit; ein weiteres unter dem Titel „Von der patentierten Ehre" in Nr. 9, 22. Februar. 4 Bebels Schrift „Unsere Ziele", zuerst im Volksstaat 1870 als Polemik gegen die Demokratische Korrespondenz erschienen und danach wiederholt gedruckt, erschien als Nr. 1 in „Hepners Deutsch-Amerikanische Arbeiter-Library" (New York, 1883). Hepner bemerkte im Vorwort, er habe „nun die Arbeit aus der Polemik herausgeschält, unter Streichung alles dessen, was heute nicht mehr zutreffend oder veraltet ist".
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haben wir Nordostwind, fast Sturm und Schneegestöber, da kuriere einmal eine alteingewurzelte Bronchitis! Grüsse Liebknecht. Dein F. E.
5 0 . B E B E L AN
Original.
ENGELS
Borsdorf-Leipzig, den 17. März 1883. Lieber Engels!
Dein den Tod unseres teuren Marx meldendes Telegramm1 traf mich, wie Du mittlerweile durch L[iebknecht] erfahren haben wirst, in Dresden. So hart der Schlag ist, unerwartet kam er nicht. Dein letzter Brief hatte meine Bedenken aufs neue geweckt, und L[ie]bkn[echt] bestätigte sie. Jetzt drängt sich zunächst aller Welt die Frage auf: was geschieht mit den noch unvollendeten Arbeiten M[arx]' bezüglich des „Kapital"? Bereits kündigen die französischen Blätter an, und die Zeitungen hier drucken's nach, dass Du die Fertigstellung übernähmest. Das erwarten ja alle, und Du allein hast das Zeug dazu; aber hast Du auch die Zeit? Da ich annehme, dass Du mit L[ie]b[knecht] hierüber gesprochen hast, so bin ich sehr gespannt, was dieser berichten wird. Da wir nächstens unsere Parteizusammenkunft haben, werde ich anregen, dass M[arx] ein Denkstein seitens der Gesamtpartei gesetzt wird. Es handelt sich hierbei selbstverständlich nicht um ein glänzendes Denkmal, aber um ein Zeichen der Dankbarkeit und der Solidarität der Arbeiter aller Länder.2 Hiermit möchte ich noch eine andere Frage an Dich richten. Willst Du, nachdem M[arx] tot ist, in England bleiben oder nicht lieber nach Deutschland oder wenigstens nach der Schweiz kommen, damit wir in näheren und häufigeren Konnex mit Dir kommen können? Die Frage kommt mir in dem Moment, wo ich schreibe, und ich werfe sie hin, ohne mir zu verhehlen, dass Du mit manchen Fäden an England gebunden bist und ein totaler Wechsel in der ganzen Existenzweise in Deinen Jahren nicht leichthin zu unternehmen ist. Aber eine KampfDas Telegramm über Marx' Tod am 14. März ist nicht erhalten. Die schwarzumrandete Nr. 12 des Sozialdemokrat vom 15. März brachte einen Nachruf der Redaktion. Engels schilderte das Begräbnis in Nr. 13, 22. März. 2 Der Kopenhagener Kongress beschloss in seiner Schluss-Sitzung am 2. April, „dass die Parteivertretung mit Friedrich Engels und der Familie von Marx sowie den Vertretern der ausländischen sozialistischen Parteien in Verbindung treten solle, um das Andenken des Verstorbenen in einer seiner Bedeutung und seiner Denkweise würdigen Weise zu ehren". Protokoll, S. 32.
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natur wie Deine würde sich meines Erachtens auf dem Festland wohlfühlen können. Die Blätter lassen M[arx] alle in Argenteuil gestorben sein. Als ich das zuerst las, bekam ich keinen geringen Schreck, ich bildete mir im ersten Augenblick ein, M[arx] sei vielleicht in den letzten Tagen nach A[rgenteuil] zurückgegangen und dort plötzlich gestorben, und nun wäre L[iebknecht] nach London gereist, ohne Dich zu treffen. Dein mittlerweile eingetroffener Brief 3 hat mich nach dieser Richtung beruhigt. Ich bitte Dich, beiliegende Karten4 der armen Tussy zu übergeben, das Mädchen tut mir schrecklich leid. Grüsse sie von uns. Mit Gruss und Handschlag Dein A . BEBEL.
Der Brief liegt nicht vor. Zwei Besuchskarten in Eleanor Marx' Nachlass: „August Bebel. Meine herzlichste Teilnahme an dem unersetzlichen Verlust. Leipzig-Borsdorf, den 17. März 1883." — „Frau Julie Bebel sendet ihr innigstes und aufrichtiges Beileid beim Tode Ihres lieben Vaters, den wir auf das schmerzlichste betrauern."
3 4
5 1 . ENGELS AN
BEBEL
London, den 30. April 1883.
Original. Lieber Bebel!
Deine Frage, ob ich nach Deutschland oder der Schweiz oder sonstwohin auf dem Kontinent übersiedeln würde, beantwortet sich einfach dahin, dass ich in kein Land gehe, wo man ausgewiesen werden kann. Davor ist man aber nur sicher in England und Amerika. Nach letzterem Land gehe ich höchstens auf Besuch, wenn ich nicht muss. Also bleibe ich hier. Dazu hat England aber noch einen anderen grossen Vorzug. Seit dem Ende der Internationale ist hier absolut keine Arbeiterbewegung ausser als Schwanz der Bourgeoisie, Radikalen und für kleine Zwecke innerhalb des Kapitalverhältnisses. Also hier allein hat man Ruhe für theoretisches Weiterarbeiten. Überall anderswo hätte man sich an der praktischen Agitation beteiligen müssen und enorm Zeit verloren. In der praktischen Agitation hätte ich nicht mehr geleistet als irgendein anderer; in den theoretischen Arbeiten sehe ich bis jetzt noch nicht, wer mich und M[arx] ersetzen soll. Was die Jüngeren darin versucht haben, ist wenig, meist sogar weniger als nichts wert. Kautsky, der einzige, der fleissig studiert, muss schreiben, um zu leben, und kann 152
schon deshalb nichts leisten. Und jetzt, im 63. Jahr, mit dem Puckel voll eigener Arbeit und der Aussicht auf ein Jahr Arbeit am II. Band des „Kapital" und auf ein zweites Jahr für Marx' Biographie nebst Geschichte der deutschen sozialistischen] Bewegung von [18J43 bis [18]63 und der Internationale] von [18]64 bis [18J72,1 müsste ich verrückt sein, wenn ich mein ruhiges Asyl hier vertauschte mit Orten, wo man an Versammlungen und am Journalkampf sich beteiligen müsste und schon damit den klaren Blick sich notwendig trübte. Ja, wenn es wieder wäre wie [18]48 und [18]49, da stieg ich auch wieder zu Pferd, wenn's sein muss. Aber jetzt — strenge Teilung der Arbeit. Sogar vom Soz[ial]-D[emokrat] muss ich mich möglichst zurückziehen. Denk nur an die ungeheure, früher zwischen M[arx] und mir geteilte Korrespondenz, die ich seit über einem Jahr allein zu führen habe. Denn die vielen Fäden aus allen Ländern, die in M[arx]' Studierzimmer freiwillig zusammenliefen, wollen wir doch ungebrochen erhalten, soweit es in meinen Kräften steht. Wegen Denkmal für M[arx] weiss ich nicht, was geschehen soll. Die Familie ist dagegen. Der einfache Grabstein, der für seine Frau gemacht und nun auch seinen und seines kleinen Enkels Namen trägt, würde entweiht werden in ihren Augen, wenn er durch ein Monument ersetzt würde, das hier in London sich doch kaum unterscheiden lassen würde von den prätentiösen Philisterdenkmalen, die es umgeben. So ein Londoner Kirchhof sieht ganz anders aus als ein deutscher. Da ist Grab an Grab, kein Raum für einen Baum zwischen ihnen, und das Denkmal darf nicht die Breite und Länge des gekauften schmalen Raums überschreiten. Liebknecht sprach von einer Gesamtausgabe der M[arx] sehen Schriften. Alles sehr schön — aber wie mit dem Dietzschen Plan für den II. Band vergessen die Leute, dass der II. Band an Meissner längst verhandelt ist; und dass eine Ausgabe der anderen, kleineren Sachen erst doch Meissner ebenfalls angeboten werden müsste und dann nur im Ausland erscheinen könnte. Schon vor dem Soz[ialisten]-Ges[etz] hiess es ja immer, selbst das Komm[unistische] Manifest könne nicht in Deutschland gedruckt werden! Ausser als bei Eurem Prozess verlesenes Aktenstück.2 Das M[anu]skript des II. Bandes ist vor 1873, wahrscheinlich schon Engels konnte keinen dieser Pläne mehr ausfuhren, weder den der MarxBiographie noch den der Geschichte der deutschen sozialistischen Bewegung noch den der Geschichte der Internationale; aber er gab die Pläne, wie seine Briefe an Kautsky zeigen — besonders 25. März und 21. Mai 1895 —, bis an das Lebensende nicht auf. 2 S. Brief Nr. 6, Anm. 2. 1
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vor 1870 vollendet.3 Es ist mit deutschen Lettern geschrieben, seit 1873 benutzte M[arx] nur noch lateinische. Es ist zu spät zum Einschreiben, also muss dieser Brief so gehen, doch versiegle ich ihn mit meinem Siegel. An L[iebknecht] heut abend Brief nach Berlin. Dein F. E. 3
Uber den wirklichen Zustand des Manuskriptes s. Brief Nr. 55, Abs. 2.
5 2 . B E B E L AN
ENGELS
Borsdorf-Leipzig, den 2. Mai 1883.
Original. Lieber Engels!
Dein Brief traf gerade in dem Moment ein, wo ich an Dich zu schreiben beabsichtigte. Du siehst, er ist ohne „einschreiben" ans Ziel gekommen, was mich einigermassen wundert. Die Antwort will ich aber nicht in gleicher Weise laufen lassen, weil ihr Inhalt dritten nicht gleichgültig ist. Meine Frage, ob Du nicht England verlassen wolltest, war eigentlich mehr dem Gefühl entsprungen, dass Du Dich nach dem Tode M[arx]' sehr vereinsamt fühlen möchtest. Die Gründe, die Du für Dein Bleiben anführst, billige ich vollkommen, und ich wünschte, ich wäre in ähnlicher Lage. Mir drängt sich mehr und mehr das Gefühl auf, dass die ganze agitatorische Tätigkeit und insbesondere die parlamentarische unter den heutigen] Verhältnissen nicht die Kraft und die Zeit lohnt, die man darauf verwendet. Unter dem Eindruck dieses Gefühls hatte ich die Hamburger gebeten, von meiner Kandidatur abzusehen; aber mein Brief kam zu spät, die Proklamierung ist bereits erfolgt.1 Ich tröste mich nun damit, dass die Wahl mir einen neuen Durchfall zu den vielen einbringt; unangenehm ist nur, dass diese ewige Kandidatur nach aussen den Eindruck macht, als wollte ich mit aller Gewalt ins Parlament, und das ist eine grosse Täuschung. Ich weiss nicht, ob Du schon von anderer Seite ein genaueres Bild über den K[openhagener] Kongress bekommen hast. Der S[ozial]d[emokrat] kann natürlich nur unter Zensur berichten.2 Es kam zwischen den beiden Richtungen zu ziemlich lebhaften AuseinanderBei der Ersatzwahl für den verstorbenen fortschrittlichen Abgeordneten Sandtmann wurde Bebel als Kandidat aufgestellt und gewählt. S. Brief Nr. 54, Anm. 1. 2 Der Sozialdemokrat berichtete über den Kongress in Nr. 16, 17, 18, 12., 19., 26. April. 1
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Setzungen, speziell zwischen Geiser und mir. Wohl sind alle im „Prinzip" einig, aber ich brauche Dir nicht zu sagen, dass es denn doch sehr wesentlich ist, wie man sich den Kampf für das Prinzip vorstellt. Und da unterliegt es keinem Zweifel, dass es unter unseren Parlamentlern speziell Leute gibt, die, weil sie an die Höhe der revolutionären Entwicklung nicht glauben, zum Parlamenteln geneigt sind und jedes scharfe Vorgehen sehr ungern sehen. Wer glaubt, dass wir noch mindestens hundert Jahre bis zu einer sozialen Revolution haben^ wird anders auftreten wie jener, der sie in absehbarer Ferne erblickt. Hat doch Geiser — allerdings nicht auf dem Kongress — die Auffassung vom Klassenkampf als eine Marxsche „Erfindung" bezeichnet und bedauert, dass das Blatt (der S o z [ i a l ] d e m o k [ r a t ] ) erscheine. Bios soll sich, wie mir Kautsky und ein anderer zuverlässiger Parteigenosse in Stuttgart kürzlich mitteilte, bei der Totenfeier für M[arx], bei der er die Rede hielt, über letzteren in ziemlich gehässiger Weise ausgelassen haben. 8 Ausserdem steht Bl[os] fest zu G[ei]ser. H[a]sencl[ever] ist entzückt über die Artigkeit, womit die Junker unseren Leuten im Parlament persönlich gegenübertreten, und dass man anerkennt, „dass wir doch von den Fragen etwas verständen und man eigentlich einen von uns in die Kommission hätte wählen sollen." Und da Rittinghausen eine „Ära grosser sozialer Reformen" herankommen sieht, wie er vor[igen] Herbst öffentlich im Reichstag sagte, so hast Du ein kleines Bild von einem Teile der Träger der revolutionären Ideen des Proletariats. Was mich aber am meisten schokiert, ist, dass L[ie]bk[necht] statt, wie sich's für ihn gehörte, hier scharf aufzutreten, alles mögliche aufbietet, die Gegensätze zu verwischen und zu vertuschen. Hinter ihm suchen die Halben Schutz. Sollte es sich bewahrheiten, was Hasencl[ever] mir vor ein paar Tagen sagte, dass einige unserer Parlamentarier, und zwar zunächst Rittinghausen und Kayser für das Krankenkassengesetz stimmen wollten — die letzte Rede K[ayser]s lässt dies zwar als nicht wahrscheinlich erscheinen — dann schlage ich öffentlich los, einerlei was daraus wird. Die Stimmung in der Masse ist — wie ich Dir schon früher schrieb — durchaus gut, und ist von jener Seite nur das beste zu hoffen. Dass Du ferner nicht mehr für d[en] S[ozial]d[emokrat] tätig sein kannst, ist sehr bedauerlich; aber angesichts der anderen und sehr wichtigen Arbeitslast, die auf Dir ruht, natürlich. Es fehlt dem S[ozial]d[emokrat] leider sehr an tüchtigen Mitarbeitern. Ede scheint auch schon matt geworden zu sein. S. auch Kautsky an Engels 14. September 1883. Bios selbst über sein Verhältnis zu Marx in Denkwürdigkeiten, I, S. 163ff., 190; über seine Gedenkrede bei der Stuttgarter Totenfeier ebd., II, S. 63ff.
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Die Nachricht, dass der II. Band des „Kapital" fertig ist, ist mir sehr erfreulich zu hören; L[ie]b[knecht] hat mir keinen kleinen Schrecken eingejagt mit dem Verdacht, dass er möglicherweise durch M[arx] selbst vernichtet sei. Wie ist denn diese Geheimhaltung bei Deinem intimen Umgang mit M[arx] nur möglich gewesen? 4 Deine Schilderung eines englischen Friedhofes erinnert mich an das Bild, das mir kürzlich der Hamburger bot, als ich Yorks und Geibs Grab besuchte; der sieht einem englischen aufs Haar ähnlich. Ein frostiges Bild. Wenn die Familie jedes Denkmal ablehnt und auch der L[iebknecht]sche Vorschlag 5 unmöglich ist — was ich mir auch gesagt habe —, dann ist überhaupt nichts zu machen. Sorgen wir um so eifriger dafür, dass die M[arx] sehen Ideen und Lehren immer weiteren Eingang und Verwirklichung finden. Leider hast Du recht, dass es mit den theoretischen Nachfolgern von Euch schlimm aussieht. Was an Kräften vorhanden ist, ist abgenutzt und verbraucht, und neue Kräfte können augenblicklich unter dem Druck der Verhältnisse nicht emporkommen. Aber sie kommen, sobald Luft wird, darauf kannst Du Dich verlassen. Das predige ich allen denen, die, auf die jetzigen schwachen geistigen Kräfte der Partei hinweisend, an eine siegreiche Zukunft nicht glauben wollen und pessimistisch auf das Bismarcksche Ausnahmegesetz hinweisen, das uns „vernichte", wenigstens nicht aufkommen lasse. Unsere ökonomische Abwirtschaftung schreitet ruhig, aber sicher weiter. Der Eisenmarkt zeigt allgemeine Stagnation; der Kartellvertrag der böhmfischen] Eisenindustriellen ist ganz neuerdings auch in die Brüche gegangen. Im sächs[ischen] Vogtland ist in der Stickereibranche infolge des Ausbleibens amerikanischer Bestellungen eine grosse Krise im Anzug, ebenso in der Spielwarenbranche des Thürfinger] Waldes. Andere Industrien, die vom amerikanischen] Markt abhängen, werden bald in die gleiche Lage kommen. Unsere Bauern jammern über die niedrigen Bodenproduktenpreise — trotz der Schutzzölle. Sie haben durchschnittlich eine volle Ernte gehabt, aber von schlechter, schwer verkäuflicher Qualität. Ferner hat der nasse Herbst und das bis heute sehr kühle Frühjahr die Ackerbestellung zu einem grossen Teil unmöglich gemacht oder die Saaten verdorben; so scheint die nächste Ernte nicht viel erwarten zu lassen. Auch das Baugeschäft — das ich speziell kenne — liegt zum grössten Teil sehr danieder. Ist es wahr, dass Bios vor Jahren Euch einen recht faulen Brief 4 5
S. Brief Nr. 55, Abs. 2. Einer Gesamtausgabe von Marx' Schriften, s. Brief Nr. 51.
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geschrieben,6 worauf ihm M[arx] derb gedient? Könnte ich eine Abschrift des B[los]sehen Briefes erhalten? Vom 4. bis 10. [Mai] bin ich auf der Tour, hernach wieder vom 21. d. Mts. bis Mitte Juli. Dies zur Notiz. Dein A . BEBEL.
Ich lege Dir einen Ausschnitt aus dem Offerib[acher] Tagebl[att] bei, enthaltend einen Bericht, den Liebkn[echt] selber geschrieben hat, also keine Entstellung enthält. Vor fünf Wochen lässt er in London die soziale Revolution leben, jetzt erklärt er mit der parlamentarischen] Regierung sich einverstanden. Da hört wirklich der Spass auf. Man weiss manchmal nicht, was man v[on] L[iebknecht] halten soll. Acht Tage vor Kopenhagen bekämpft er meine Ansicht, dass der Belagerungszustandsparagraph allenfalls fallen könne, indem er behauptet, das ganze Gesetz werde fallen und die allgemeine] Gesetzgebung verschärft werden, was doch heisst, der Bourgeoisie zumuten, sich als Esel zu benehmen. Als ich in Kopenhagen] meine alte Ansicht vertrete, nennt er mich einen Optimisten, am Ausnahmegesetz werde kein Jota geändert. Da mache Dir einen Vers darauf. Vermutlich ist das im folgenden Brief Anm. 3 erwähnte Schreiben an Engels gemeint.
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53. ENGELS AN BEBEL
Original.
London, den 10.[-11.] Mai 1883. Lieber Bebel!
Dass Du lieber nicht im Reichstag sitzest, glaub' ich Dir gern. Aber Du siehst, was Deine Abwesenheit möglich gemacht hat. Vor Jahren schon schrieb mir Bracke: von uns allen ist es doch nur Bebel, der wirklichen parlamentarischen Takt hat. Und das habe ich immer bestätigt gefunden. Es wird also wohl nicht anders gehen, als dass Du bei erster Gelegenheit Deinen Posten wieder einnimmst, und ich würde mich sehr freuen, wenn Du in Hamburg gewählt und damit von Deinen Zweifeln durch die Notwendigkeit erlöst würdest. Agitatorische und parlamentarische Arbeit werden auf die Dauer sicher sehr langweilig. Es ist damit wie mit dem Annoncieren, Reklamemachen und Herumreisen im Geschäft: der Erfolg tritt nur langsam und für manchen gar nicht ein. Aber es geht nun einmal nicht anders, 157
und wer einmal darin ist, muss das Ding bis zu Ende durchmachen, oder all die vorige Mühe ist verloren. Und unter dem Soz[ialisten]Gesetz ist dieser einzige offen gebliebene Weg absolut nicht zu entbehren. Der Bericht über den Kop[enhagener] Kongress war immer so abgefasst, dass ich genügend zwischen den Zeilen lesen und mir danach Liebkn[echt]s wie immer rosig gefärbte Mitteilung berichtigen konnte. Jedenfalls sah ich, dass die Halben eine derbe Niederlage erlitten, 1 und glaubte damit allerdings, dass sie jetzt die Hörner einziehen würden. Das scheint also doch nicht in dem Grad der Fall zu sein. Uber diese Leute haben wir uns nie getäuscht. Hasenclever ebensowenig wie Hasselmann hätten nie zugelassen werden dürfen, aber L[ie]bk[necht]s Überstürzung der Einigung, gegen die wir damals aus Leibeskräften protestierten, hat uns einen Esel und für eine Zeitlang auch einen Schuft aufgeladen. Bios war seinerzeit ein frischer, couragierter Kerl, ist aber seit seiner Verheiratung etc. durch Nahrungssorgen rasch mürbe gemacht. Geiser war immer eine Schlafmütze voller Einbildung und Kayser ein schwadronierender Commis Voyageur. An Rittinghausen war schon 1848 nichts, er ist nur Sozialist pro forma, um mit unserer Hilfe seine direkte Volksregierung durchzusetzen. Da haben wir doch besseres zu tun. Was Du über L[ie]bk[necht] sagst, hast Du wohl schon lange gedacht. Wir kennen ihn seit langen Jahren. Seine Popularität ist ihm Existenzbedingung. Er muss also vermitteln und vertuschen, um die Krisis aufzuschieben. Dabei ist er Optimist von Natur und sieht alles rosenfarben. Das erhält ihn so frisch und ist ein Hauptgrund seiner Popularität, aber es hat auch seine Schattenseite. Solange ich nur mit ihm korrespondierte, berichtete er nicht nur alles nach seiner eignen rosenfarbnen Anschauung, sondern verschwieg uns auch alles, was unangenehm war, und wenn interpelliert, antwortete er so leichtfertig in den Tag hinein, dass man sich immer am meisten darüber ärgerte: hält der Mann uns für so dumm, dass wir uns damit fangen lassen! Dabei eine rastlose Geschäftigkeit, die in der laufenden Agitation gewiss sehr nützlich, die aber uns hier eine Masse nutzloser Schreiberei auflud, eine ewige Projektenmacherei, die darauf hinauslief, andern Arbeit aufzuladen — kurz Du begreifst, dass bei alledem eine wirklich geschäftliche und sachliche Korrespondenz, wie ich sie 1
Bez. der aufzustellenden Kandidaten wurde bestimmt, dass sie nicht nur das Programm anerkennen, sondern sich der Parteidisziplin fügen und an allen beschlossenen Aktionen beteiligen müssten. Einstimmig wandte sich der Kongress gegen jederlei Nachgiebigkeit gegenüber den herrschenden Klassen sowie gegen jede auf die Nachsicht der Behörden spekulierende Rüchsichtnahme. Protokoll, S. 22, 27.
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seit Jahren mit Dir und auch mit Bernstein führe, rein unmöglich war. Daher ewiger Zank und der Ehrentitel, den er mir scherzend hier einmal gab, ich sei der gröbste Kerl in Europa. Meine Briefe an ihn waren allerdings oft grob, aber die Grobheit war bedingt durch den Inhalt der seinigen. Niemand wusste das besser als Marx. Dann ist L[iebknecht] bei seinen vielen wertvollen Eigenschaften ein geborener Schulmeister. Wenn einmal ein Arbeiter im Reichstag Mir statt Mich sagt oder einen lateinischen kurzen Vokal lang ausspricht und die Bourgeois lachen, dann ist er in Verzweiflung. Daher muss er „jebildete" Leute haben, wie den Schlappes Viereck, die uns mit einer Rede im Reichstag ärger blamieren würden als zweitausend falsche „Mir". Und dann kann er nicht warten. Der augenblickliche Erfolg, und wenn damit ein weit grösserer späterer geopfert wird, geht allem vor. Das werdet Ihr in Amerika erfahren, wenn Ihr nach Fritzsche und Viereck kommt. Deren Sendung war ein ebenso grosser Bock, wie die überstürzte Einigung mit den Lassalleanern, die Euch sechs Monate später von selbst zugefallen wären — aber als desorganisierte Bande, ohne die verlumpten Führer. D u siehst, ich spreche, im Vertrauen, ganz offen mit Dir. Ich glaube aber auch, dass D u gut tätest, der überredenden Suada L[ie]b[knecht]s einen entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen. Dann wird er schon nachgeben. Wenn er wirklich vor die Entscheidung gestellt ist, geht er sicher den richtigen Weg. E r täte es aber lieber morgen als heute und lieber über ein Jahr als morgen. Wenn in der Tat einige Abg[eordnete] für Bismarcksche Gesetze stimmten, also den Tritt in den Hintern mit einem Kuss auf den seinigen beantworteten, und wenn die Fraktion die Leute nicht ausstiesse, so wäre ich allerdings ebenfalls in der Lage, mich öffentlich von der Partei loszusagen, die das duldet. Soweit ich weiss, wäre das indes nach der bestehenden Parteidisziplin, wo die Minorität mit der Majorität stimmen muss, unmöglich. 2 Doch das weisst D u besser als ich. Ich würde jede Spaltung, unter dem Sozialisten]-Gesetz, für ein Unglück halten, da jedes Mittel der Verständigung mit den Massen abgeschnitten ist. Aber es kann uns aufgezwungen werden, und dann muss man den Tatsachen ins Gesicht sehen. Wenn also so etwas passiert — wo D u auch sein magst — sei so gut, mich zu unterrichten, Das Krankenkassengesetz wurde am 31. Mai mit 216 gegen 99 Stimmen vom Reichstag beschlossen; die Gewerbeordnungs-Novelle, die vor allem für ambulante Gewerbe Beschränkungen der Gewerbefreiheit brachte, am 2. Juni mit 160 gegen 127 Stimmen. Die sozialdemokratische Fraktion stimmte gegen beide Vorlagen.
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und zwar sofort; denn ich bekomme meine deutschen Zeitungen immer erst sehr spät. Bios hat mir allerdings, als er aus Hamburg ausgewiesen nach Bremen ging, einen sehr jammervollen Brief geschrieben3 und ich ihm sehr entschieden geantwortet. Nun liegen aber meine Briefschaften seit Jahren in der ärgsten Konfusion, und es würde Tagesarbeit kosten, diesen zu finden. Ich muss aber einmal Ordnung schaffen, und wenn es sein muss, schicke ich Dir den Brief im Original. Deine Auffassung der Geschäftsverhältnisse bestätigt sich in England, Frankreich und Amerika. Es ist eine Zwischenkrise wie die von 1841-42, aber auf weit kolossalerer Stufenleiter. Der zehnjährige Kreislauf hat sich überhaupt erst seit 1847 (wegen der kalifornischen und australischen Goldproduktion und damit vollständigen Herstellung des Weltmarkts) klar entwickelt. Jetzt, wo Amerika, Frankreich, Deutschland anfangen, das Weltmarktsmonopol von England zu brechen, und wo daher die Überproduktion wieder, wie vor 1847, anfängt, sich rascher geltend zu machen, jetzt kommen auch die fünfjährigen Zwischenkrisen wieder auf. Beweis der vollständigen Erschöpfung der kapitalistischen] Produktionsweise. Die Periode der Prosperität kommt nicht mehr zu ihrer vollen Entwicklung, schon nach fünf Jahren wird wieder überproduziert, und selbst während dieser fünf Jahre geht es im ganzen schofel ab. Was aber keinesfalls beweist, dass wir nicht 1884-87 wieder eine ganz flotte Geschäftszeit haben, wie 1844-47. Dann aber kommt der Hauptkrach ganz sicher. 11. Mai. Ich wollte Dir noch weiter über die allgemeine Handelslage schreiben, allein es ist Post-Einschreibezeit darüber geworden. Also auf nächstens. Dein F. E. 3
Bios hatte in einem Briefe vom 4. Februar 1881 an Engels den Gedanken entwickelt, unter Vorschiebung anderer Personen die demokratischen Elemente in einer neuen Partei zu sammeln; deren „Programm müsste enthalten die gewöhnlichen politischen Forderungen, den Normalarbeitstag und etwa die Übernahme des Hypothekenwesens durch den Staat".
54. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Borsdorf-Leipzig, den 16. Juli 1883. Lieber Engels!
Unmittelbar nach Empfang Deines letzten Briefes vom 10. Mai musste ich auf die Geschäftsreise und bin von dieser erst vor drei Tagen zurückgekehrt. 160
Mittlerweile ist Dein Wunsch, mich in Hamburg gewählt zu sehen, in Erfüllung gegangen, 1 und was speziell für mich dabei recht angenehm war, die Wahl hat mich keinen Tropfen Schweiss gekostet. Da alle Versammlungen verboten waren, war meine persönliche Anwesenheit überflüssig, und als ich schliesslich, unmittelbar nach erfolgter Wahl, nach H[amburg] sollte und wollte, traf mich der Brief zu spät, so dass die Reise für später vorbehalten bleibt. Die Hamb[urger] Wahl ist wieder einmal ein memento mori für die herrschende Klasse; denn was auch immer für Stimmungen bei einem Teil der Wähler obwalten mochten, das steht fest, dass der politischen Opposition aller rechts von uns stehenden Elemente durch die Wahl eines Fortschrittsmannes Genüge geleistet war. Er waren also schwerwiegende soziale Interessen im Spiel, deren Träger in letzter Instanz lieber einen von uns, als einen oppositionellen Liberalen wählten. Bismarck scheint an den Hamburgern Rache nehmen zu wollen, indem er sie bei Abschluss des spanischen] Handelsvertrags als „Feinde" behandelt, insofern nach Spanien eingeführter Sprit, der des deutschen Ursprungszeugnisses entbehrt, nicht die Vorteile des Vertrages geniesst, wodurch die Masse russischen Sprits, der in Hamburg rektifiziert wird, ausgeschlossen ist. Das wird in H[amburg] neuen Zorn erwecken, und andrerseits sorgt damit B[ismarck] für sich und seine Junker in der bekannten gemein egoistischen Weise. Auch den Bremern scheint er durch Kündigung des Eisenbahnvertrags, wodurch der bremische Staat eine jährliche Einbusse von sechs- bis achthunderttausend Mark erleidet, das selbständige Leben unmöglich machen zu wollen. Haben wir bei der nächsten Wahl für Brfemen] einen ordentlichen Kandidaten, dann ist sehr leicht möglich, dass wir auch dort siegen. Auch die ganze sonstige Geschäftslage nimmt mehr und mehr einen Charakter an, der die Stimmung bis zu den nächstjährigen allgemeinen Wahlen sehr für uns verbessern wird. In der Eisenbranche nimmt die Arbeitslosigkeit und Verdienstlosigkeit in fast allen Branchen zu und greift auch auf andere Gebiete über. Mit Ausnahme sehr weniger Städte liegt die Bautätigkeit, die jetzt einen sehr wesentlichen Faktor in unserem Erwerbsleben bildet, fast ganz danieder, oder die Leute arbeiten infolge starker Konkurrenz zu solchen Preisen, dass sie zurück- statt vorwärtskommen. Nur in der Möbelbranche, einigen Maschinenbranchen und in der Textilindustrie geht es bis zu diesem Augenblick leidlich flott und begünstigt eine Bei der Wahl am 29. Juni siegte Bebel mit 11.711 und einem Vorsprung von 100 Stimmen über den Fortschrittler Rabe. Die Hamburger Wahlkreise wurden jetzt durch zwei Sozialdemokraten und einen Fortschrittler vertreten. 1
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Anzahl Streikunternehmungen, welche die Arbeiter in Szene gesetzt haben. In bezug auf letztere freut mich der selbständige klare Geist, der überall die Leute beseelt und sie mit Geschick vorgehen lässt. Überhaupt finde ich, dass das Klassenbewusstsein der Arbeiter in den letzten Jahren trotz des Soz[ialisten]ges[etzes] mächtig gewachsen ist. Andrerseits wagt die liberale Presse nur ganz ausnahmsweise die Arbeiter wegen ihrer Forderungen anzugreifen. Die Presse fühlt, was für ein mächtiger Faktor die soziale Bewegung geworden ist. Sehr freut mich, aus den letzten Nummern des S[ozial]d[emokrat] zu ersehen, dass endlich auch in England der Sozialismus anfängt, Boden zu fassen. 2 Wir dürfen auch hoffen, dass diese Entwicklung um so raschere Fortschritte macht, da sie einen gut vorbereiteten Boden findet. Das Manifest rührt wohl mit aus Deiner Feder? Marschieren die Engländer erst mit, dann wird die Bewegimg unwiderstehlich. Als ich kürzlich in Stuttgart war, hielt ich dort in vollgefülltem Lokale einen kurzen Vortrag über die Situation, bei welchem auch Geiser, Bios etc. zugegen waren. Obgleich sie schwerlich mit dem Gesagten einverstanden waren, entgegnete doch keiner ein Wort. Die Stimmung der Leute war ausgezeichnet, was sie beinahe überall ist. Ich habe diesmal auf meiner Tour an Orten grössere Kreise von Parteigenossen getroffen, wo früher niemand war. Mehr als alles andere helfen die Zeitverhältnisse arbeiten. Gestern wurde mir eine sehr angenehme Überraschung zuteil. Einige L e i p z i g e r ] Parteifreunde brachten mir ein nahezu lebensgrosses Bild von Marx — Kreidezeichnung — in prächtigem Rahmen, das ausgezeichnet geraten ist. Auch L[iebknecht] findet das Bild schöner als jenes, das die N[eue] W[elt] brachte. Das Bild prangt jetzt über meinem Schreibtisch hier in Borsdorf. Von den Photographien, die D u an Dietz gesandt, habe ich auch zwei erhalten — eine grosse und eine kleine; — D[ie]tz sagt, D u fändest diese Abnahme von M[arx] besonders gut. Ich kann Dir darin nicht beistimmen. Die Positur ist zu herausfordernd, wie sie M[arx] wohl kaum eigentümlich war. Wenigstens war mein persönlicher Eindruck von ihm ein anderer. Eine merkwürdige Entscheidung hat die sog. Reichs-Kommission Post gegeben. Die in bezug auf Vierecks unterdrückte Südd[eutsche]
2 In Nr. 28, 5. Juli war in dem Artikel „Der Sozialismus in England" das Manifest der Democratic Federation, s. den folgenden Brief Anm. 4, abgedruckt. Nr. 29, 12. Juli brachte die Meldung, dass H. W. Rowland in Chelsea mit einem ausgesprochen sozialistischen Programm kandidieren werde.
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Unterdrückung ist aufgehoben.3 Es scheint, dass selbst die Herren da oben sich nicht ganz dem Gefühl entziehen können, manchmal zu weit gegangen zu sein. In bezug auf die Verlängerung des Sozialisten]ges[etzes] soll die Absicht bestehen, die Verlängerung nur auf zwei Jahre zu verlangen, offenbar in Rücksicht auf den mittlerweile wahrscheinlicherweise erfolgenden Tod des Alten und um dem Nachfolger freie Hand zu geben. Unter der Hand wird behauptet, dass die Liberalen, d.h. ausser Fortschrittlern auch die Sezessionisten — Bamberger und Kons[orten] — einstimmig dagegen votieren würden, sogar einige Nat[ional]lib[erale]; dagegen soll fast das gesamte Zentrum dafür gestimmt sein. Das entspräche der Stellung, die in den letzten Monaten die bezüglichen] Parteien um und gegen Bismarck eingenommen haben. Machte das Zentrum diese Schwenkung, so bricht sie ihm in einer Reihe Wahlkreise bei den nächsten Wahlen den Hals, und Herr Windhorst braucht nicht lange mehr zu leben, um das Schicksal seines Landsmannes Bennigsen zu teilen. Jedenfalls gibt es eine gute Gelegenheit, den Herren einmal recht gründlich das Leder zu verarbeiten. Das ist der Genuss, den ich mir von der Hamburger Wahl verspreche. Gruss und Handschlag v[on] Deinem A. BEBEL.
Aus der amerikanischen] Reise wird meinerseits nichts. Da sie wegen der parlamentarischen] Kampagne erst im Frühjahr unternommen werden könnte, kostete sie mich meine beste und nötigste Geschäftsreisezeit; das Opfer kann ich meinem Sozius nach all den Schlägen unmöglich zumuten. L[ie]bk[necht] will wieder nicht ohne mich reisen, wozu ich keinen Grund sehe. Er behauptet allerdings auch, dass ihn seine Frau ohne mich nicht fortlasse; das mag nun richtig sein oder nicht, ich kann eben nicht hinüber. D[er] Ofbige].
Die Regierung von Oberbayem hatte am 2. März das weitere Erscheinen der Süddeutschen Post wegen des in Nr. 24 erschienenen Aufsatzes „Ein Interview bei [dem russischen Revolutionär] Leo Hartmann" u.a. mit der Begründung verboten, er enthalte eine Anpreisung des Fürstenmordes und eine Aufreizung und Anleitung dazu. Die Reichskommission beschränkte das Verbot am 5. Juli auf die inkriminierte Nummer, hob es jedoch im übrigen auf. Die Tätigkeit der ReichsCommission S. 166ff.
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5 5 . E N G E L S AN
Original.
BEBEL
4 Cavendish Place, Eastbourne, den 30. August 1883. Lieber Bebel!
Ich benutze einen Moment Ruhe, um Dir zu schreiben. In London die vielen Arbeiten, hier die vielen Störungen (drei Erwachsene und zwei kleine Kinder in einem Zimmer!) und dazu Korrektur, Revision einer englfischen] Probeübersetzung und einer französischen] Popularisierung des „Kapital",1 da schreib einer Briefe! Von der dritten Aufl[age],2 die starke Zusätze enthält, hab ich bis Bogen einundzwanzig korrigiert, bis Ende d[es] J[ahres] wird das Ding erschienen sein. Sobald ich zurück, geht's ernstlich an den zweiten Band, und das wird eine Heidenarbeit. Neben vollständig ausgearbeiteten Stücken anderes rein skizziert, alles Brouillon, mit Ausnahme etwa von zwei Kapiteln. Die Belegzitate ungeordnet, haufenweise zusammengeworfen, bloss für spätere Auswahl gesammelt. Dabei die platterdings nur mir lesbare — und das mit Mühe — Handschrift. Du fragst, wie es kam, dass gerade mir geheimgehalten wurde, wie weit das Ding fertig war? Sehr einfach: hätte ich das gewusst, ich hätte ihm bei Tag und Nacht keine Ruhe gelassen, bis es ganz fertig und gedruckt war. Und das wusste M[arx] besser als jeder andere; er wusste daneben, dass das M[anu]s[kript] im schlimmsten, jetzt eingetretenen Fall, von mir in seinem Geist herausgegeben werden konnte, was er auch Tussy sagte.3 Was die Photographie angeht, so ist der Kopf ganz vorzüglich. Die Haltung ist gezwungen wie in allen seinen Photographien, er war ein schlechter „Sitzer". Etwas Provozierendes finde ich nicht darin, doch ist mir wegen der Steifheit der Haltung auch das kleine lieber als das grosse. Die Hamburger Wahl hat auch im Ausland grosse Sensation gemacht. Unsere Leute halten sich aber auch mehr als musterhaft. Solche Zähigkeit, Ausdauer, Elastizität, Schlagfertigkeit und solcher siegesgewisse Humor im Kampf mit den kleinen und grossen Miseren der deutschen Gegenwart ist unerhört in der neueren deutschen Geschichte. Besonders prächtig hebt sich das hervor gegenüber der G. Deville, Le Capital de Carl Marx, résumé et accompagné d'un aperçu sur le socialisme scientifique (Paris, 1883). 2 Die 3. Auflag© des I. Bandes des Kapital erschien 1883. Im Vorwort gab Engels Rechenschaft über die Zusätze, die nach der französischen Ausgabe, Paris, Lachâtre, eingefügt wurden. S. auch Engels an Sorge 29. luni 1883. 3 Im II. Bande des Kapital, S. VII, gab Engels eine Übersicht über die Manuskripte, „woraus, nach einer Äusserung von Marx zu seiner Tochter Eleanor kurz vor seinem Tode, ich ,etwas machen' sollte". 1
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Korruption, Schlaffheit und allgemeinen Verkommenheit aller übrigen Klassen der deutschen Gesellschaft. In dem Mass, wie sie ihre Unfähigkeit zur Herrschaft beweisen, im selben Mass tritt der Herrscherberuf des deutschen Proletariats, seine Fähigkeit, den ganzen alten Dreck umzuwälzen, glänzend hervor. Bismarcks „kalte Wasserstrahlen nach Paris" werden selbst den französischen Bourgeois lächerlich. Sogar ein so dummes Blatt wie der Soir hat entdeckt, dass es sich nur um neue Geldbewilligung für Soldaten (diesmal Feldartillerie) im Reichstag handelt. Was seine Allianzen angeht (er ist bis auf Serbien, Rumänien und nun gar Spanien heruntergekommen), so sind das alles Kartenhäuser, die ein Windstoss umbläst. Hat er Glück, so braucht er sie nicht, und hat er Pech, so lassen sie ihn mit dem Hintern im Dreck sitzen. Je grösser ein Schurke, desto mehr glaubt er an die Ehrlichkeit der anderen und geht daran zuletzt zugrunde. Soweit wird's mit Bismarck in der auswärtigen Politik schwerlich kommen; denn die Franzosen tun ihm den Gefallen nicht, anzubinden. Nur der Herr Zar könnte aus Verzweiflung so etwas versuchen und dabei kaputt gehen. Hoffentlich geht er aber schon früher zu Hause kaputt. Das Manifest der demokratischen] Föderation 4 in London ist erlassen von etwa zwanzig bis dreissig kleinen Vereinen, die seit mindestens zwanzig Jahren unter verschiedenen Namen (immer dieselben Leute) sich immer wieder aufs neue mit immer demselben Mangel an Erfolg wichtig zu machen suchen. Wichtig ist nur, dass sie jetzt endlich genötigt sind, unsere Theorie, die ihnen während der Internationale] als von aussen oktroyiert erschien, offen als die ihrige proklamieren [zu] müssen; und dass in der letzten Zeit eine Menge junger Köpfe aus der Bourgeoisie auftauchen, die, zur Schande der engl[ischen] Arbeiter muss es gesagt werden, die Sachen besser begreifen und leidenschaftlicher ergreifen als die Arbeiter. Denn selbst in der demokratischen] Föderation] akzeptieren die Arbeiter das neue Programm meist nur widerwillig und äusserlich. Der Chef der demokratischen] Föderation], Hyndman,5 ist ein Exkonservativer und arg 4 Der Versuch zur Gründung einer demokratischen Partei, der Democratic Federation, im Juni 1881 entsprang der Unzufriedenheit mit Gladstones Politik. Die Programmschrift der Federation war Hyndmans im gleichen Monat erschienenes Buch England for all. Das hier erwähnte Manifest ist die Broschüre Socialism made piain, die in 100.000 Exemplaren erschien und von E. Beifort Bax, H. Burrows, H. M. Hyndman, J. L. Joynes, W. Morris, A. Scheu, Helen Taylor u.a. gezeichnet war. Seit Januar 1884 erschien als Blatt der Federation Justice mit dem Untertitel „Organ of Social Democracy". Auf ihrem 4. Kongress wurde die Federation umbenannt in Social Democratic Federation. 5 H. M. Hyndman (1843-1921), Leiter der in Anm. 4 genannten Organisationen, Begründer und Redakteur der Justice. Engels erinnert an den Bruch mit Hynd-
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chauvinistischer, aber nicht dummer Streber, der sich gegen Marx (bei dem er durch R[udolf] Meyer eingeführt) ziemlich schofel benommen und deswegen von uns persönlich links liegengelassen wurde. Lass Dir um alles in der Welt nicht aufbinden, es sei hier eine wirklich proletarische Bewegung los. Ich weiss, Liebknecht will das sich selbst und aller Welt weismachen, es ist aber nicht der Fall. Die jetzt tätigen Elemente können wichtig werden, seitdem sie unser theoretisches] Programm akzeptiert und damit eine Basis erworben; aber nur dann, wenn hier eine spontane Bewegung unter den Arbeitern ausbricht und es ihnen gelingt, sich ihrer zu bemächtigen. Bis dahin bleiben sie einzelne Köpfe, hinter denen ein Sammelsurium konfuser Sekten, Reste der grossen Bewegung der 40er Jahre, steht und nichts mehr. Und eine wirklich allgemeine Arbeiterbewegung kommt hier — von Unerwartetem ab gesehn — nur zustande, wenn den Arbeitern fühlbar wird, dass Englands Weltmonopol gebrochen. Die Teilnahme an der Beherrschung des Weltmarktes war und ist die ökonomische Grundlage der politischen Nullität der englischen] Arbeiter. Schwanz der Bourgeois in der ökonomfischen] Ausbeutung dieses Monopols, aber immer doch an den Vorteilen derselben beteiligt, sind sie naturgemäss politisch Schwanz der „grossen liberalen Partei", die sie andrerseits im kleinen hofiert, Trades Unions und Streiks als berechtigte Faktoren anerkennt, den Kampf um unbeschränkten Arbeitstag aufgegeben und der Masse der bessergestellten Arbeiter das Stimmrecht gegeben hat. Bricht aber Amerika und die vereinigte Konkurrenz der übrigen Industrieländer erst ein gehöriges Loch in dies Monopol (und in Eisen ist das stark am Kommen, in B[aum] wolle leider nocht nicht), so wirst Du hier etwas erleben. Ich liess Dir durch Lfiebknecht] sagen, falls Du zwischen jetzt und 12. Sept[ember] etwa in die Nähe von Darmstadt kämst, es Schorlemmer,6 der dort ist, wissen zu lassen, damit er Dich irgendwo in der Gegend aufsuchen könne. Jetzt wird's wohl zu spät sein. Grüsse Liebknecht. Dein F. E. man, der dadurch erfolgte, dass Hyndman in Kap. I und II seines England for all bei der Darstellung von „Arbeit" und „Kapital" sich eng an Marx' Werk anlehnte, ohne jedoch dessen Namen zu nennen. S. Marx an Sorge 15. Dezember 1881. In Hyndmans Historical Basis of English Socialism (1883) werden Marx und Engels sowie Rodbertus und R. Meyer wiederholt zitiert, und in seinen Erinnerungen The Record of an Adventurous Life (London, 1911), bekannte er, S. 251ff. und 276ff., dass Marx einen grossen Einfluss auf ihn ausübte. 6 Carl Schorlemmer (1834-92), Sozialist, seit 1858 in England, Professor der Chemie am Owen College in Manchester, mit Marx und Engels eng befreundet. Engels' Nekrolog im Vorwärts, Nr. 153, 3. Juli 1892.
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56. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Borsdorf-Leipzig, den 31. Oktober 1883. Lieber Engels!
Deinen letzten Brief werde ich in den nächsten Tagen beantworten. Heute habe ich ein privates Anliegen. Mein Associe Issleib hat eine Tochter zwischen siebzehn und achtzehn Jahren, die in einer Leipziger höheren Töchterschule ihre Erziehung genossen und sich gegenwärtig, seit ungefähr sechs Monaten, bei einer befreundeten Familie in Amsterdam aufhält. I[ssleib] ist es nun sehr darum zu tun, seine Tochter nach England zu bringen, damit sie dort Gelegenheit zur Ausbildung in der englischen Sprache habe, und ersucht mich, bei Dir vorzusprechen, ob Du dazu Gelegenheit bieten könntest. I[ssleib] wünscht für seine Tochter eine Stellung in einer anständigen englischen Familie, sei es als Stütze der Hausfrau und dergl. Das Mädchen hat für die Häuslichkeit und die Wirtschaft viel Sinn. Ich gehe von der Ansicht aus, dass es Dir unter Assistenz von Tussy und Deiner Nichte möglich ist, Rat zu schaffen, so dass Du nicht nötig hast, Deine kostbare Zeit zu opfern. Sobald Du die Möglichkeit besitzest, Auskunft geben zu können, bitte ich darum. Mit bestem Gruss Dein A . BEBEL.
Am liebsten wäre I[ssleib], wenn seine Tochter einen bestimmten Wirkungskreis erhielte, in dem sie bestimmte Dienste zu leisten hat. Auch würde I[ssleib] bereit sein, eventuell einen Zuschuss zu leisten. I[ssleib] wäre recht baldige Auskunft erwünscht. D[er] 0[bige].
57. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Borsdorf-Leipzig, den 1. November 1883. Lieber Engels!
Meinem gestrigen Brief an Dich muss ich heute gleich den angekündigten folgen lassen. Und zwar muss ich mich zunächst entschuldigen, dass ich Dir Vielbeschäftigtem überhaupt mit einem solchen Anliegen kam. Die Sache lag einfach so. Ifssleib] kam gestern hierher zu Besuch, brachte sein Anliegen vor und bestand darauf, den Brief gleich mitnehmen zu können, da er wünsche, dass seine Tochter baldigst aus 167
Holland fort käme. Da konnte ich nicht gut anders, als den Brief schreiben. Ich weiss aber auch, was ein solches Ansinnen für Dich bedeutet, und deshalb werde ich es Dir nicht übelnehmen, wenn Du eben in der Sache nur das tust, was Du ohne jedes grössere Opfer an Mühe und Zeit tun kannst. Ifssleib], der die Mittel hat, mag seine Tochter eventuell in eine Pension in England stecken. Wenn Du mir in der Angelegenheit schreibst, willst Du auf vorstehende Zeilen keinen Bezug nehmen. Deinen Brief vom 30. Aug[ust] aus Eastbourne habe ich erhalten. Danach sitzest Du gewaltig in der Arbeit und hast alle Hände voll zu tun. Die dritte Auflage werde ich mir anschaffen, sobald sie zu haben ist; es ist auch in Zfürich], wo ich vorige Woche war, bereits ziemliche Nachfrage vorhanden. Sehr gespannt bin ich und sind wir alle auf den zweiten Band; ich glaube, die erste Auflage von diesem wird sehr rasch vergriffen werden. Hier in Deutschland gehen die Dinge im grossen und ganzen sehr nach Wunsch. Die Bewegung ist trotz des Sozialistengesetzes im schönsten Fluss, und nimmt unser Anhang mächtig zu, so dass für die nächstjährigen Reichtagswahlen die schönsten Aussichten bestehen. Ich rechne darauf, dass wir in wesentlich verstärkter Zahl in den nächstjährigen Reichstag eindringen. Wenn nur die Qualität der Quantität entspräche; aber da haperts, und zwar zunächst bei dem Element, was jetzt vorhanden ist und bereits Sitz und Stimme hat. Verschiedene treiben auf eigene Faust Politik, und zwar in einer Weise, dass scharfe Auseinandersetzungen nur eine Frage der Zeit sind. Der Artikel des letzten S[ozial]d[emokrat] gegen die Phrase des „Rechts auf Arbeit",1 die Geiser als „weltbewegenden Gedanken" in die Bewegung zu bringen sucht, wird den Kampf eröffnen, wenn man den Mut hat, darauf zu antworten. Ein zweiter, der viel Unsinn macht und stark die „Sozialreform" poussiert, ist Herr M. Kayser. Mit dem wird ein Hühnchen gerupft, wenn wir in Kürze nach Dresden zum Landtag kommen. Leidlich korrekt hält sich, wider Erwarten, Viereck in seinem Blatt. Im Gegensatz zu der schwachmatischen, inkorrekten Haltung eines Teiles der Führer steht die Masse ausgezeichnet, wovon ich mich wieder auf meiner letzten Reise überzeugte. Wird die Masse wirklich hier und da zeitweilig durch falsche Schlagworte irregeführt, so braucht es nur geringer Mühe, um sie aufzuklären. Entsprechend der Stimmung der Masse geht das Abonnement auf den S[ozial]d[emokrat] in die Höhe, der jetzt an neuntausend Abonnenten hat; ebenso 1 E . Bernsteins Artikel „Das Recht auf Arbeit" erschien in Nr. 4 4 des Sozialdemokrat vom 25. Oktober. S. Engels an Bernstein 8. November 1883.
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entwickelt sich der Schriftenvertrieb rapid, was Du ja am deutlichsten am raschen Vergriff Deiner letzten Broschüre gewahr geworden bist. Die Arbeit steigt in Z[ürich] so, dass wir die Einstellung einer neuen Kraft beschliessen mussten. Einigermassen überraschend ist auch die Haltung der Polizei. Das Krankenversicherungsgesetz gibt uns die Möglichkeit zu einiger Agitation, und da bin ich denn erstaunt über das Mass an Redefreiheit, das ich genossen. Wesentlich schärfer könnte ich auch unter normalen Zuständen in Deutschland nicht sprechen. Mir scheint, dass die aus Hass gegen den Fortschritt in der Berliner Stadtverordnetenwahlagitation seitens der Polizei unseren Leuten gewährte Freiheit die gesamte deutsche Polizei verdutzt gemacht hat; 2 sie hat den Kompass verloren und weiss nicht, was sie machen soll. Der Streit in der Presse über die Verlängerung oder NichtVerlängerung des Sozialisten] gesetzes trägt auch zur Irremachung bei, und was durch alles dies nicht bezweckt wird, bezweckt der Umschlag in der öffentlichen Meinung, die sich nicht mehr für unsere Verfolgung begeistert. Die Erwerbsverhältnisse werden immer trüber, von vielen Seiten kommen Nachrichten von zunehmender Arbeitslosigkeit; kurz, die Krise ist wieder in voller Wirkung und verschlechtert die Stimmung in den weitesten Kreisen. Unter solchen Umständen gewinnen die Verhandlungen des nächsten Reichstages über das Sozialisten]gesetz und die ,,Soz[ial]reform" sehr an Interesse. Für ersteres entscheidet das Zentrum, da ein Teil der Liberalen dagegen stimmt. Das Zentrum wird in der Art operieren, dass ungefähr ein Viertel, die Häupter und diejenigen Abgeordneten, die wesentlich durch Arbeiter gewählt sind, dagegen stimmt, wohingegen das Gros dafür stimmt. Damit ist die Majorität gesichert. Das Zentrum hat zwei Gründe für diese Politik. Einmal sich Bismarck und dem Kaiser gefällig zu zeigen, damit es vor dem 2
Die Stadtverordnetenwahl fand am 18. Oktober statt, die Stichwahl am 13. November sowie Nachwahlen am 11. und 29. Dezember. Es wurden fünf Sozialdemokraten gewählt: P. Singer, Fr. Tutzauer, F. Görcki, F. Ewald, A. Herold. Dass der Sozialdemokratie relative Bewegungsfreiheit zugestanden wurde, weil sie sich gegen die Vorherrschaft der Fortschrittler im Berliner Rathaus richtete, geht aus der mit seiner sonstigen Praxis im Widerspruch stehenden Antwort des Ministers Puttkamer im preussischen Abgeordnetenhause am 12. Dezember an R. von Virchow hervor: „Wer gibt uns denn das Recht, wenn hier bei den Kommimalwahlen sagen wir einmal der vierte Stand sich zusammentut und ganz bestimmte Beschwerden vorzubringen hat, wer gibt uns das Recht, solche Leute unter die Paragraphen 1 und 9 des Sozialistengesetzes zu subsummieren? . . . Ich bin der Meinung, dass wir nicht das Recht hatten, der sogenannten Arbeiterpartei in ihrer legitimen Tätigkeit in bezug auf diese Kommunalwahlen entgegenzutreten; wir würden uns dadurch einer flagranten Gesetzesverletzung schuldig gemacht haben." S. Bernstein, Geschichte, II, S. 116ff.
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Antritt des „liberalen" Kronprinzen noch möglichst viel einheimst; dann das Bewusstsein, dass die Freigabe der sozialistischen Agitation in den nächsten Jahren dem Zentrum sehr gefährlich werden und ihm eine Anzahl Sitze kosten könne. Das Zentrum hat seinen Höhepunkt hinter sich, die katholischen Arbeiter und Handwerker fangen an, zu begreifen, dass sie von ihm düpiert wurden, und werden misstrauisch. Haben wir die Möglichkeit, diese Stimmung gründlich auszunutzen, so gehen dem Zentrum im Rheinland und Westfalen eine Anzahl seiner besten Wahlkreise verloren. Wie die Stimmung im Rheinland zu unseren Gunsten umschlägt, beweist die erhebliche Zunahme des Soz[ial]demokr[at] in rein katholischen Bezirken. Sorgen wir dafür, dass statt der vielen schmutzigen Elemente aus den Zeiten des Allgemeinen] deutsch[en] Arbeiter-Verfeins], die dort die Stimmung sehr verdarben, tüchtige ehrenwerte Elemente an die Spitze kommen, dann haben wir gewonnen. Auch in Obersohlesien sind Symptome vorhanden, dass dort unter anderen politischen Zuständen viel zu erobern ist. Kurz, die Aktien stehen nach Wunsch. Wird das Sozialisten]gesetz, wie ich für unzweifelhaft halte, verlängert; 3 fällt aber, wozu Aussicht vorhanden ist, der Belagerungszustandsparagraph, dann sind wir „schön heraus" und haben gewonnen Spiel. Einem fortgesetzten Ansturm auf grössere Bewegungsfreiheit kann die Polizei auf die Länge nicht widerstehen, wie sie schon gegenwärtig nicht mehr in der Lage ist, die Zügel in der alten Weise anzuziehen. Mit bestem Gruss Dein A . BEBEL.
» S. Brief Nr. 61, Anm. 1.
58. ENGELS AN
Original.
BEBEL
London, den 18. Januar 1884. Lieber Bebel!
Endlich bin ich wieder so weit, dass ich wenigstens auf ein paar Stunden täglich ans Pult mich setzen und damit meinen Korrespondenzpflichten nachkommen kann. Die Geschichte war weder ernstlich noch schmerzlich, aber verdammt langwierig und gênant, und ich werde mich noch längere Zeit sehr in acht zu nehmen haben. 1 1
Engels litt an einem Leistenbruch.
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Meinen mit Bleistift im Bett geschriebenen Brief 2 wegen Frl. Ifssleib] wirst Du erhalten haben. Da ich weiter nichts gehört, vermute ich, dass die Sache aufgegeben. — An Liebkn[echt] diktierte ich einen Brief dem gerade hier anwesenden Kautsky, den er hoffentlich erhalten und, worum ich ihn bat, Dir mitgeteilt hat.3 Du wirst daraus ersehn haben, dass ich mir wegen der amerik[anischen] Geschichte keinerlei Illusionen mache und auch nicht geneigt war, Dir die Sache als absolut nötig darzustellen. Dabei aber bleib' ich: soll die Sache Erfolg haben, so müsst Ihr zwei gehen und niemand anders. Ob Du mitkannst, kann ich absolut nicht beurteilen, das musst Du wissen. Soviel aber ist sicher: keine Summe von amerik [ anischem ] Geld könnte den Schaden aufwiegen, der notwendig entstehen müsste, falls die Abgesandten wieder den Parteistandpunkt so ins Vulgärdemokratische, Biedermännisch-Philisterhafte abschwächten, wie dies durch Fr[itzsche] und V[iereck] geschah. Und gegen so etwas wäre Deine Anwesenheit allerdings die beste Garantie. Sehr gefreut haben mich die guten Nachrichten, die Du mir über den Fortgang der Bewegung gabst. Die Regierung konnte in der Tat kein besseres Mittel finden, um die Bewegung in Gang zu halten und zu steigern, als unsere Leute überall in diesen heftigen Lokalkampf mit der Polizei zu verwickeln; besonders wenn die Polizei aus so schofeln Subjekten besteht wie in Deutschland und unsere Jungen dann den Spiess umkehren und gegen den Feind angriffsweise vorgehen können. Wenn dann noch gar die Polizei durch stets wechselnde Instruktionen von oben konfus gemacht wird, wie neulich in Berlin, so hilft das um so besser. Sollte der Versuch, das „Recht auf Arbeit" in Mode zu bringen, wiederholt werden, so würde ich auch etwas darüber in den Sfozial]D[emokrat] schreiben. Ich habe darüber mit K[autsk]y verhandelt;4 ich möchte gern, dass G[ eiser] und Konsorten sich erst etwas engagierten, etwas Greifbares von sich gäben, damit man eine Handhabe hat; aber Kfautsky] meint, das täten sie nicht. Diese verbummelten Studenten, Kommis etc. sind der Fluch der Bewegung. Sie wissen weniger als nichts und wollen eben deshalb platterdings nichts lernen; ihr sog[enannter] Sozialismus ist reine spiessbürgerhche Phrase. Ob Ihr den Belagerungsparagraphen loswerdet, weiss ich nicht; der D i e Antwort auf Brief Nr. 56 liegt nicht vor. E s handelte sich, wie der weitere Text zeigt, um eine neue Agitationsreise nach den Vereinigten Staaten, die erst im Herbst 1886 unternommen wurde. S. Brief Nr. 89, Anm. 8. 4 Kautsky an Engels 14. September, Engels an Kautsky 18. September, Kautsky an Engels 3. Oktober 1883. Kautsky schrieb dann selbst darüber: „ D a s Recht auf Arbeit", Die Neue Zeit Jahrg. II (1884), S. 299ff. 2
3
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Vorwand wird immer der sein, nur so könne die Person des alten Wilhelm geschützt werden, und vor der Phrase fällt das ganze Philistertum auf den Bauch. Besten Dank für Dein Buch: „Die Frau". 5 Ich habe es mit grossem Interesse gelesen, es sind viele sehr gute Sachen darin. Besonders klar und schön ist das, was Du über die Entwicklung der Industrie in Deutschland sagst. Ich habe diesen Punkt in der letzten Zeit auch wieder etwas studiert und würde, wenn ich Zeit hätte, etwas darüber schreiben. Sonderbar, dass die Philister in den S[ozial]-D[emokrat] nicht einsehen, wie die so bejammerte „Vagabundenplage" das notwendigste Produkt des Aufschwungs der grossen Industrie ist unter den in Deutschland vorgefundenen Bedingungen von Ackerbau und Handwerk; und wie die Entwicklung eben dieser grossen Industrie in Deutschland — weil es überall zuletzt kommt — nur vor sich gehen kann unter fortwährendem Druck schlechter Geschäftslage. Denn die Deutschen können nur Konkurrenz halten durch wohlfeileren, aufs Hungerniveau gedrückten Arbeitslohn und stets grössere Ausbeutung der Hausindustrie im Hintergrund der Fabrikindustrie. Verwandlung des Handwerks in Hausindustrie und allmähliche Verwandlung der Hausindustrie — soweit sich das bezahlt — in Fabrik- und Maschinenindustrie — das ist der Gang in Deutschland. Eine wirklich grosse Industrie haben wir bis jetzt bloss in Eisen, in der Textilindustrie] herrscht der Handwebstuhl noch immer vor — dank den Hungerlöhnen und dem Besitz von Kartoffelgärten bei den Webern. Auch hier hat die Industrie einen anderen Charakter angenommen. Der zehnjährige Zyklus scheint durchbrochen, seit die amerikanische] und deutsche Konkurrenz, seit 1870, dem englischen] Weltmarktsmonopol ein Ende machen. Seit 1868 herrscht in den Hauptzweigen gedrückte Geschäftslage bei langsam wachsender Produktion; und jetzt scheinen wir in Amerika und hier vor einer neuen Krise zu stehen, ohne dass hier in England eine Prosperitätsperiode vorausgegangen. Dies ist das Geheimnis der plötzlich — wenn auch seit drei Jahren langsam vorbereiteten — aber jetzt plötzlich hervorbrechenden sozialistischen Bewegung hier. Die organisierten Arbeiter — Trade Unions — stehen ihr bis jetzt noch ganz fern; die Bewegung geht vor unter „gebildeten", der Bourgeoisie entsprungenen Elementen, die hie und da mit den Massen Fühlung suchen und stellenweise finden. Diese Elemente sind moralisch und intellektuell sehr verschiedenwertig, und es wird einige Zeit dauern, bis sie sich assortieren und Klarheit in die Sache kommt. Aber sie wird schwerlich ganz wieder 5 Die erste Auflage erschien 1879; die zweite Auflage wurde in Dietz' Druckerei in Stuttgart 1883 gedruckt, als Verleger wurde Schabelitz-Zürich angegeben. Engels an Kautsky 9. Januar 1884; Dietz' Erklärung dazu in A.m.L., III, S. 98f.
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einschlafen. Henry George mit seiner Landverstaatlichung wird wohl eine meteorartige Rolle spielen,6 weil dieser Punkt hier eine traditionelle Bedeutung hat und auch eine wirkliche von wegen dem kolossalen Grossgrundbesitz. Aber auf die Dauer zieht das allein nicht im ersten Industrieland der Welt. Dabei ist George echter Bourgeois und sein Plan: alle Staatsausgaben aus der Grundrente zu bestreiten, nur eine Wiederholung des Plans der Ricardoschen Schule, also rein bürgerlich. Wenn Du ein Muster von Staatssozialismus studieren willst, dann Java.'' Hier hat die holländische] Regierung die ganze Produktion auf Grundlage der alten kommunistischen Dorfgemeinden so schön sozialistisch organisiert und den Verkauf aller Produkte so hübsch in die Hand genommen, dass ausser ca. hundert Millionen] Mark Gehälter für Beamte und Armee noch ein Reinertrag von ca. siebzig Millionen] Mark jährlich abfällt zur Zahlung von Zinsen für die unglücklichen holländischen Staatsgläubiger. Dagegen ist Bismarck doch ein pures Kind! Die russische Konstitution wird nun so oder so doch wohl im Lauf dieses Jahres kommen, und dann kann's losgehn. Dein F. E. Der amerikanische Bodenreformer Henry George hatte 1881 mit grossem Erfolg eine Agitationsreise nach England unternommen, die zur Gründung der AntiPoverty Society führte. 7 Engels kannte darüber vor allem P.W.B. Money, Java, or how to manage a colony (London, 1861). S. Engels an Kautsky 16. Februar 1884. 8
5 9 . E N G E L S AN
Original.
BEBEL
London, den 23. Januar 1884. Lieber Bebel!
In meinem Brief vom Samstag vergass ich Dir zu sagen, dass Ihr, Du und Liebk[necht], doch ja kein Ex[emplar] der dritten Aufl[age] des „Kapital" bestellen sollt, da wir Euch jedem eins zuschicken werden, sobald wir welche erhalten. Ein drittes geht ans Parteiarchiv nach Zürich. Wegen Ubersetzung der „Frau" 1 wird Tussy Dir geschrieben haben. An Honorar für Dich wird dabei schwerlich etwas herauszuschlagen sein; doch könnte es versucht werden — höchstens 3 Pence = 0,25 M. pro verkauftes Exemplar; das ist hier die gewöhnliche Form. Das 1
S. Brief Nr. 80, Anm. 6.
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Buch selbst könnte hier nur zu 2—2.50 M. verkauft werden, glaub' ich, wovon 30% für die Sortimenter wenigstens abgehen. Die in dieser Art Bücher arbeitenden Verleger sind noch sehr dünn gesät und pauvre. Wir selbst werden bei der englischen] Ausgabe des „Kapital" 2 wohl an & 200 bar einschiessen und vielleicht auch die Zahlung des Ubersetzers vorschiessen müssen und dann auf halbe Bechnung arbeiten; anders wird's wohl nicht zu machen sein. Besten Gruss an Liebknecht und Dich selbst von Deinem F. E. Capital. A Critical Analysis of Capitalist Production, nach der 3. deutschen Ausgabe übersetzt von S. Moore und E. Aveling, herausg. von Fr. Engels, erschien 1886. S. Brief Nr. 100.
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6 0 . B E B E L AN
ENGELS
Borsdorf-Leipzig, den 18. April 1884.
Original. Lieber Engels!
Deine Briefe vom 18. und 23. Januar sind in meinen Besitz gelangt, und ich komme erst heute dazu, aus den schon oft erwähnten Gründen, Dir zu antworten. Die Situation hat sich mittlerweile hier in Deutschland zugespitzt, und wir stehen vor einer, natürlich parlamentarischen Krise. Die Vereinigung der Fortschrittspartei mit den Sezessionisten1 ist, wie Bismarck genau weiss, ein gegen ihn gerichteter Coup. Alle Welt fängt an, mit dem Thronwechsel zu rechnen, und in Rücksicht auf diesen kam auch die Vereinigung zustande. Man will dem Kronprinzen eine regierungsfähige Partei zur Verfügung stellen. Bismarck ist darüber wütend und sucht nun seinerseits die Karten zu mischen. Seine schroffe, ablehnende Haltung gegen jede Abschwächung des Soz[ialisten]gesetzes, das er mit einer solchen mit erdrückender Majorität präsentiert bekäme, ist darauf berechnet, einen guten Auflösungsgrund zu erhalten. Er hofft, mit der Parole des Sozialisten]gesetzes 1 1880 hatte sich der linke Flügel als Liberale Vereinigung, nach einer Schrift ihres Führers L. Bamberger „Sezessionisten" genannt, von den Nationalliberalen getrennt. Anlass der Spaltung war Bennigsens Zustimmung zum Septennat, das eine Erhöhung der Friedensstärke des Heeres brachte, sowie seine vermittelnde Taktik in der Frage der kirchenpolitischen Novelle, die den Abbau des Kulturkampfes einleitete. Während die Nationalliberalen bei der Reichstagswahl 1881 einen Verlust von mehr als der Hälfte ihrer Mandate erlitten (53 von 98), errangen die Fortschrittspartei 63 und die Sezessionisten 47 Mandate. Anfang 1884 vereinigten sich beide Fraktionen zur Deutschen Freisinnigen Partei.
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und mit dem nötigen Hochdruck im Wahlkampf eine konservativnationalliberale Mehrheit zu erhalten und mit Hilfe derselben noch allerlei bergen zu können, bevor die Spitze wechselt. Nebenbei sucht er den Kronprinzen für sich zu gewinnen; er scheint keinen entscheidenden Schritt zu tun, ohne diesen gehört resp. unterrichtet zu haben. Wieweit ihm dies gelingt, steht dahin. Die Kronprinzessin, die an Energie und Verstand ihren Mann überragt und eine wütende Bismarckfeindin ist — er soll sie verschiedentlich schwer beleidigt haben — arbeitet dem stark entgegen und verkehrt demonstrativ mit der Opposition: Virchow, Forckenbeck etc.2 Wie immer das Intrigenspiel verläuft, viel springt für uns nicht heraus. Gesetzt der Fall, das Soz[ialisten]gesetz fiele, woran ich nicht glaube, so würde gerade die Kronprinzenpartei am eifrigsten für die Verschärfung des gemeinen Rechts eintreten. Denn ist die Gesellschaft einmal am Ruder, dann schwinden alle Bedenken, die sie heute gegen solche Verschärfung hat, weil sie nicht sicher ist, selbst damit traktiert zu werden. Eine ganz schuftige Rolle spielen die Häuptlinge des Zentrums, die eifrig hinter den Kulissen arbeiten, um bei dem Handel möglichst viel für sich herauszuschlagen.3 Stimmt das Zentrum für das Soz[ialisten]gesetz, so bekommen wir in den rheinischen Wahlkreisen ein gutes Agitationsmittel gegen dasselbe. Die nächsten vierzehn Tage bis drei Wochen werden die Entscheidung bringen. Auf dem sozialen Gebiete haben die sozialreformerischen Pläne der Regierung wider Willen den Anstoss zu einer lebhaften Bewegung gegeben. Die Fachvereinsbewegung ist ausgezeichnet im Schuss. Die Gewerkschaftsblätter, deren wir bereits wieder eine ganze Zahl haben,4 nehmen trotz der Reserve, die sie sich in der Schreibweise auferlegen müssen, an Abonnentenzahl zu, und auch die politische Presse prosperiert. Bei letzterer ist allerdings das Bedenkliche, dass ihre Reserve noch eine grössere ist als bei den Gewerkschaftsblättern. Seit Über die Beziehungen des Kronprinzenpaares zu den Freisinnigen, der „Kronprinzenpartei", s. etwa Briefe der Kaiserin Friedrich, herausg. von Sir Fred. Ponsonby, deutsche Ausgabe Berlin 1929; Bismarcks grosses Spiel. 3 S. darüber Bambergers ausführliche aufschlussreiche Darstellung der Fraktionsverhandlungen von Zentrum und Freisinnigen, Bismarcks grosses Spiel, S. 290ff., 522. 4 In Gotha erschien seit 1879 das Schuhmacher-Fachblatt, in H a m b u r g seit 1879 Die neue Tischlerzeitung und Der Schiffbauerbote, in Leipzig seit 1879 Der Gewerkschafter, das Organ der Tabakarbeiter, ebd. seit 1880 Die Deutsche Buchbinderzeitung, in Dresden seit 1881 Die Mappe, Fachorgan der Maler und Lackierer, in Berlin seit 1. Juni 1884 Der Bauhandwerker. Bei Erlass des Sozialistengesetzes 1878 hatten vierzehn Gewerkschaftsblätter bestanden. 2
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dem 1. April erscheint auch ein neues Organ Berliner Volksblatt5 in Berlin, das mit ca. fünftausend Abonnenten begann. Die Haltung der Blätter kann im wesentlichen nur eine kritisch-negierende sein; werden sie positiv, dann können sie nur Vorschläge machen, die mehr oder weniger bedenklich sind, weil jedes offene Vorgehen ihre Unterdrückung herbeiführt. Eine Razzia im grossartigsten Massstab ist jetzt gegen den S oz[ial]demokr[at] im Werk; Grenzbeamte, Bahnverwaltung und Polizei stehen in einer grossen Verschwörung, dem Blatt den Eingang unmöglich zu machen. Man hat allmählich die Expeditionsweise über die Grenze, die dort unten nur in grossen Kisten geschehen kann, wegbekommen. Diese Kisten, über die Grenze gebracht, wurden dann meist auf Nebenstationen landeinwärts aufgegeben, und hier setzt die Verfolgung ein. Die Schmuggelwege sind so sicher, dass man bei der Grenzüberführung uns nicht erwischt. Aber die Aufgabe der schweren Kisten von unbekannten Leuten per Eilgut nach dem Innern erweckt Verdacht; so ist die ganze Beamtenschaft bis weit ins Land hinein instruiert. Man lässt die Kisten laufen, verfolgt sie aber und packt am Ankunftsort Empfänger und Kisten. Wieweit die Sache geht, beweist, dass dieser Tage ein Leipziger] Kaufmann, der eine schwere Kiste aus dem Schwarzwald bekam, polizeilichen Besuch erhielt, weil man verbotene Schriften vermutete. Wir müssen eine neue Methode der Verbreitung ausfindig machen.6 Die amerikanische Reise ist für diesmal definitiv aufgegeben, und die Amerikaner haben sich schliesslich damit einverstanden erklärt. Statt dessen soll in diesen Tagen ein von der Fraktion ausgehender Aufruf zu Sammlungen für die Wahlen abgehen. Wenn letztere, wie wahrscheinlich ist, uns in Bälde auf den Hals kämen, wäre uns das nicht angenehm. Wir brauchen jetzt längere Vorbereitungen als sonst, namentlich in Rücksicht auf die schwierige Beschaffung der Drucksachen. Kein bürgerlicher Drucker wagt, ausgenommen Stimmzettel, etwas für uns zu drucken. Die dritte Auflage des „Kapital" habe ich erhalten, habe aber leider noch keine Zeit gehabt, es eingehender durchzusehen. Besten Dank! Die Probenummer erschien Sonntag, 30. März 1884; seit dem 25. April führte es den Untertitel „Organ für die Interessen der Arbeiter". Verantwortlicher Redakteur war J. F. Guttzeit, seit Juli 1884 R. Cronheim, politischer Redakteur W. Bios. Es wurde in der Druckerei von M. Bading und J. Bamberger hergestellt, welche die Allg. deutsche Associations-Buchdruckerei erworben hatten. Das Defizit des Blattes wurde zu Anfang hauptsächlich von P. Singer gedeckt. • Über die Schwierigkeiten bei Transport und Verbreitung des Sozialdemokrat s. J. Belli, Die rote Feldpost und anderes (Stuttgart, 1912); E. Engelberg, Revolutionäre Politik, S. 190ff„ Mottelers „Bericht", ebd., S. 258ff., 264ff.; K.-A. Hellfair, Die deutsche Sozialdemokratie während des Sozialistengesetzes, S. 161ff. s
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Ich hoffe, dass Du Dich seit Deinem letzten Briefe wesentlich erholt hast und wieder mit ungeschwächten Kräften auf dem Plane bist. Gruss und Handschlag v[on] D[einem] A. BEBEL.
6 1 . B E B E L AN
ENGELS
Borsdorf-Leipzig, den 4. Juni 1884.
Original. Lieber Engels!
Ich bitte Dich, die umstehenden Zeilen an ihre Adresse gelangen zu lassen, da mir dieselbe fehlt. Das Sozialisten]gesetz ist also mitsamt dem Belagerungszustandsparagraphen verlängert, 1 und haben wir die Aussicht, unser Zigeunerleben einige Jahre weiter fortsetzen zu müssen. Obgleich das Gesetz nur auf zwei Jahre verlängert wurde, glaube ich nicht an seine Aufhebung. Es wird stets von neuem verlängert werden, weil das Gefühl von der vollständigen Unhaltbarkeit unserer Zustände immer weiter um sich greift und die Bourgeoisie mit Angst und Schrecken für die Zukunft erfüllt. Nach Annahme des Gesetzes sind in der liberalen Partei Stimmen laut geworden, in denen es hiess: Wenn das Gesetz nicht bestände, müsste man es jetzt schaffen; denn es sei kein Zweifel, dass der Boden für die Soz[ial]demokratie vorhanden sei wie nie. Das ist vollkommen richtig. Was sagst Du zu Bismarcks „Recht auf Arbeit"? 2 Das war eine rechte Eselei. Am 10. Mai beschloss der Reichstag die bedingungslose Verlängerung des Sozialistengesetzes mit 189 gegen 157 Stimmen. 39 Abgeordnete des Zentrums und 27 Freisinnige stimmten für das Gesetz. Bei der dritten Lesung am 12. Mai war die Mehrheit noch grösser, nämlich 178 gegen 115. 2 In seiner Reichstagsrede am 9. Mai 1884 über die Verlängerung des Sozialistengesetzes überraschte Bismarck die Öffentlichkeit mit seiner Forderung des „Rechtes auf Arbeit", die er auf die Bestimmungen des preussischen Landrechtes von 1794 über „Armenanstalten und andere milde Stiftungen" gründete: „Ich will mich nun dahin resümieren: Geben Sie dem Arbeiter das Recht auf Arbeit, solange er gesund ist, geben Sie ihm Arbeit, solange er gesund ist, sichern Sie ihm Pflege, wenn er krank ist, sichern Sie ihm Versorgung, wenn er alt ist — wenn Sie das tun und die Opfer nicht scheuen und nicht über Staatssozialismus schreien, sobald jemand das Wort .Altersversorgung' ausspricht, wenn der Staat etwas mehr christliche Fürsorge für den Arbeiter zeigt, dann glaube ich, dass die Herren vom Wydener Programm ihre Lockpfeife vergebens blasen werden..." Über das „Recht auf Arbeit" in dogmengeschichtlichem Zusammenhang und die in den Jahren 1884-85 erschienene umfangreiche Literatur darüber s. R. Singer, Das Recht auf Arbeit in geschichtlicher Darstellung (Jena, 1895), S. 63ff. 1
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Montag rücke ich wieder von hier aus und werde mit ganz kurzen Unterbrechungen nicht vor Mitte September dauernd hier sein. Gruss und Handschlag v[on] D[einem] A . BEBEL.
6 2 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 6. Juni 1884.
Original. Lieber Bebell
Deinen Brief vom 4.c. erhalten und werde Beilage besorgen. Du sagst nicht, ob Du meinen eingeschriebnen Brief vom 21. April erhalten, womit ich Dir das erbrochene Kuvert Deines Briefs vom 18. desselben] Monats zurückschickte. Sollte er unterschlagen worden sein, so wäre die Briefstieberei doppelt erwiesen.1 Wenn alles nach den Wünschen des konservativen und liberalen und nach den geheimen Gelüsten auch des fortschrittl[ichen] Philisters ginge, so wäre das Soz[ialisten]-Ges[etz] allerdings längst eine ewige Institution in Deutschland] und würde es bleiben. Das kann aber nur sich ereignen, wenn sich sonst in der Welt nichts ereignet und alles bleibt, wie es jetzt ist. Trotz aller dieser Philisterwünsche war das Gesetz drauf und dran durchzufallen, wenn nicht Freund Bismarck seine beiden letzten und stärksten Hebel ansetzte: die direkte Intervention Lehmanns und die Drohung der Auflösung.2 Es gehört also nicht einmal eine sehr starke Erschütterung des jetzt momentan so ruhigen Status quo dazu, um dem ganzen Ding ein Ende zu machen. Und diese kommt meiner Ansicht nach früher, ehe die zwei Jahre vorüber. Zwar hat Bismarck uns zum erstenmal einen wirklich schlimmen Der Brief vom 21. April liegt nicht vor. Briefstieberei: Postüberwachung und Beschlagnahme von Briefen, die der Polizeirat Stieber geschickt handhabte. 2 Lehmann, Spitzname Wilhelm I. Dieser hatte einer ihm am 22. März zu seinem 87. Geburtstag gratulierenden Reichstagsdeputation sein Missfallen über den Verlauf der Sozialistengesetz-Debatte im Reichstag ausgedrückt und erklärt, die Ablehnung der Verlängerung des Gesetzes würde er als gegen sich persönlich gerichtet auffassen. Femer hatte Bismarck in seiner Reichstagsrede am 9. Mai ein Schreiben Wilhelm I. vom März 1881 verlesen, in dem er nach dem Attentat auf Alexander II. auf gemeinsames Handeln der Grossmächte gegen die „über ganz Europa verbreitete Anregung zu Mordversuchen" drängte. Bismarck hatte schliesslich mit der Auflösung des Reichstags gedroht: „Ich will Ihnen das gar nicht verschweigen; der Ablehnung der Verlängerung dieses Gesetzes wird die Auflösung des Reichstags auf dem Fusse folgen. Darüber sind die Regierungen einig, das sind sie sich und dem Land schuldig." 1
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Streich gespielt, indem er den Russen dreihundert Millionen] Mark Geld verschafft hat. 3 Das hilft dem Zar auf ein paar Jahre gegen die akute Finanznot und beseitigt damit für die nächste Zeit die dringendste Gefahr, die: in die Notwendigkeit zu kommen, Stände zur Geldbewilligung zu berufen wie 1789 in Frankreich und 1846 in Preussen. Soll die Revolution in Russland nicht ein paar Jahre verschoben werden, so müssen entweder unvorherzusehende Verwicklungen kommen oder aber ein paar nihilistische Donnerschläge. Bei beiden ist keine Vorausberechnung möglich. Sicher ist nur, dass dies letzte Pumpmanöver nicht wiederholt werden kann. Im Innern dagegen steht uns, wie Du ja selbst sagst, der Thronwechsel bevor,4 und der muss alles ins Wackeln bringen. Es ist wieder ähnlich wie 1840, vor dem Tod des alten F[riedrich] W[ilhelm] III. Die alte eingelebte politische Stagnation hat so viel Interessen an sich gekettet, dass der Gesamtphilister nichts inniger ersehnt, als ihre Verewigung. Aber mit dem alten Monarchen verschwindet der Schlussstein, und das ganze künstliche Gewölbe bricht zusammen; dieselben Interessen, vor eine ganz neue Lage gestellt, finden plötzlich, dass die Welt ganz anders aussieht heute als gestern, und müssen sich nach neuen Stützen umsehen. Der neue Monarch und seine Umgebung haben lang zurückgedrängte Pläne; das ganze regierende und regierungsfähige Personal bekommt Zuwachs und ändert sich; die Beamten werden irre unter den neuen Verhältnissen, die Unsicherheit der Zukunft, die Ungewissheit darüber, wer morgen oder übermorgen ans Ruder kommt, bringt die Aktion der ganzen Regierungsmaschine ins Schwanken. Das aber ist alles, was wir brauchen. Aber wir bekommen mehr. Denn erstens ist es gewiss, dass die neue Regierung anfangs liberalisierende Gelüste haben, dann aber bald Angst vor sich selbst bekommen, hin und her schwanken und endlich hin und her tappen, von der Hand in den Mund lebend, von Fall zu Fall widersprechende Beschlüsse fassen wird. Abgesehen von der allgemeinen Wirkung solcher Wackelei, was wird aus dem Sozialisten]-Ges[etz], wenn es unter diesen Verhältnissen ausgeführt wird? Der geringste Versuch, es „ehrlich" auszuführen, reicht allein hin, es unwirksam zu machen. Entweder muss es gehandhabt werden wie jetzt, nach reiner Polizeiwillkür, oder es wird überall durchbrochen. — Das ist das eine. 3
Der Sozialdemokrat hatte in Nr. 17, 24. April darüber berichtet: Die neue „Eisenbahnanleihe" — „denn unter anderem Titel bekommt Russland seit langem kein Geld mehr" — werde von Bismarcks Bankier Bleichröder und der Preussischen Seehandlung, einem staatlichen Bankinstitut, übernommen und auf diese Weise die russische Anleihe von Staats wegen als solides Anlagepapier empfohlen. 4 Alter und Gesundheitszustand Wilhelm I. liessen bereits seit einigen Jahren den Regierungsantritt des den Freisinnigen nahestehenden Kronprinzen erwarten.
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Das andere aber ist, dass dann endlich wieder Leben in die bürgerliche politische Bude kommt, dass die offiziellen Parteien aufhören, die eine reaktionäre Masse zu sein, die sie jetzt sind (was kein Gewinn für uns, sondern purer Schaden), dass sie wieder anfangen, sich untereinander ernsthaft zu bekämpfen und auch um die politische Herrschaft zu kämpfen. Es ist ein ungeheurer Unterschied für uns, ob nicht nur die Nat[ional]-Lib[eralen], sondern auch die Kronprinzenfreisinnigen die Chance haben, ans Ruder zu kommen, oder ob, wie jetzt, die Regierungsfähigkeit bei den Freikonserv[ativen] aufhört. Wir können nie die Massen den liberalen Parteien abspenstig machen, solange diese nicht die Gelegenheit haben, sich in Praxis zu blamieren, ans Ruder zu kommen und zu zeigen, dass sie nichts können. Wir sind noch immer, wie 1848, die Opposition der Zukunft und müssen also die extremste der jetzigen Parteien am Ruder haben, ehe wir ihr gegenüber gegenwärtige Opposition werden können. Politische Stagnation, d.h. zweck- und zielloser Kampf der offiziellen Parteien, wie jetzt, kann uns auch auf die Dauer nicht dienen. Wohl aber ein progressiver Kampf dieser Parteien mit allmählicher Linksschiebung des Schwerpunkts. Das ist's, was jetzt in Frankreich geschieht, wo der politische Kampf sich wie immer in klassischer Form bewegt. Die einander folgenden Regierungen gehen immer mehr nach links; das Ministerium Clemenceau ist schon in Sicht, es wird nicht das äusserste bürgerliche sein. Mit jeder Verschiebung nach links fallen Konzessionen an die Arbeiter ab (vgl. den letzten Streik in Denain,5 wo zum erstenmal das Militär nicht einschritt), und was wichtiger, wird das Feld mehr und mehr gefegt für den Entscheidungskampf, die Parteistellung klarer und reiner. Ich halte diese langsame, aber unaufhaltsame Entwicklung der französischen] Republik zu ihrer notwendigen Endfolge: Gegensatz von radikalen, sozialistisch tuenden Bourgeois und wirklich revolutionären] Arbeitern — für eins der wichtigsten Ereignisse und hoffe, dass es nicht unterbrochen werde; und ich bin froh, dass unsere Leute noch nicht stark genug in Paris sind (dafür um so stärker in der Provinz), um durch die Macht der revolutionären Phrase zu Putschen verleitet zu werden. — So klassisch rein, wie in Frankreich, geht die Entwicklung im konfusen Deutschland natürlich nicht; dafür sind wir viel zu weit zurück und erleben alles erst, wenn es sich anderswo überlebt hat. Aber trotz aller Lausigkeit unserer offiziellen
An dem Bergarbeiterstreik in den Bergwerken der Compagnie d'Anzin im Bezirk Denain, der am 23. Februar ausbrach und von Basly geleitet wurde, nahmen 11.000 Arbeiter teil. Er dauerte zwei Monate. Darüber Le Socialiste Nr. 31, 27. März. E. Zola schilderte in Germinal mit künstlerischer Freiheit den Verlauf dieses Streiks. 5
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Parteien ist politisches Leben irgendeiner Art uns viel günstiger als der jetzige politische Tod, wo nichts spielt als der Intrigenklüngel der auswärtigen Politik. Rascher als ich dachte, hat Freund Bismarck die Hosen heruntergenommen und dem versammelten Volk den Hintern seines Rechts auf Arbeit gezeigt: das englische Armengesetz des 43. Regierungsjahres der Elisabeth mitsamt Bastillenverbesserung von 1834!8 Welche Freude für Bios, Geiser und Co., die ja seit längerer Zeit auf dem Recht auf Arbeit herumreiten und sich schon einzubilden schienen, sie hätten den B[ismarck] eingefangen! Und da ich einmal auf diesem Thema bin, so kann ich Dir nicht verschweigen, dass mich das Auftreten dieser Herren im Reichstag — soweit die schlechten Zeitungsberichte es beurteilen lassen — und in ihrer eigenen Presse mehr und mehr überzeugt, dass wenigstens ich nicht im entferntesten mit ihnen auf gleichem Boden stehe und nichts mit ihnen gemein habe. Diese angeblich „gebildeten", in Wirklichkeit absolut unwissenden und mit Gewalt nichts lernen wollenden Philanthropen, die man gegen Marx' und meine langjährigen Warnungen nicht nur zugelassen, sondern in Reichstagssitze hineinprotegiert hat, scheinen mir mehr und mehr zu merken, dass sie in der Fraktion die Mehrzahl haben, und dass gerade sie mit ihrer Liebedienerei gegen jeden staatssozialistischen Brocken, den ihnen Bismarck vor die Füsse wirft, am allermeisten dabei interessiert sind, dass das S[ozialisten]-G[esetz] bestehen bleibt und höchstens gegen solche wohlmeinende Leute wie sie mild gehandhabt wird; woran wiederum nur Leute wie Du und ich die Regierung verhindern; denn wären sie uns los, so könnten sie ja leicht nachweisen, dass ihnen gegenüber kein Soz[ialisten]-Gesetz nötig ist. Die Enthaltung und das ganze Auftreten bei dem Dynamitgesetz war auch In der sozialistischen Presse wurde Bismarcks „Recht auf Arbeit" als „Recht aufs Arbeitshaus" bezeichnet. Gegenüber Vorhaltungen Windthorsts in der parlamentarischen Soiree am 10. Mai, dass das „Recht auf Arbeit" zu weit gehe, antwortete Bismarck, er dächte dabei an Notstandsarbeiten. „Auch wenn die Armenpflege zunächst nur dem Arbeitsunfähigen gewährt wird — wenn jemand sagt, er kann und will arbeiten, findet trotzdem aber keine Arbeit, so können wir einen solchen nicht einfach sich selbst überlassen und tun es auch nicht.. . Wenn wir nun da auf öffentliche Kosten zweckmässige Arbeiten ausführen lassen, so ist das doch wohl zu rechtfertigen. Es wird dem Arbeiter dabei auch nur, statt des öffentlichen Almosens, eine etwas reichlichere und würdigere Hilfe gewährt." Diese Äusserung veranlasste Engels zu dem Vergleich. Das englische Armengesetz von 1601 führte eine Armensteuer zur Bekämpfung des Pauperismus ein. Darüber Marx, Kapital, Bd. I, Kap. 24, Abschn. 2, 3. 1834 wurde die Armengesetzgebung abgeändert; es wurden Arbeitshäuser geschaffen, in denen die Arbeitsbedingungen weit unter denen der schlechtestbezahlten Arbeiter lagen. Sie hiessen im Volksmund „Bastille". Bismarcks Äusserung nach v. Poschinger, Fürst Bismarck und die Parlamentarier, Breslau, 1894, Bd. I. S. 262. 6
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bezeichnend. 7 Wie soll das aber gehen bei den nächsten Wahlen, wenn diesen Leuten, wie es scheint, die sichersten Wahlkreise zufallen? Es ist sehr schade, dass Du während der nächsten kritischen Monate so viel weg bist; wo die Wahlen heranrücken, hätten wir uns doch gewiss allerlei von Zeit zu Zeit mitzuteilen. Kannst Du mir nicht eine Adresse angeben, von wo aus Dir meine Briefe zugeschickt werden; auch hoffe ich, Du wirst mir ab und zu auch von der Reise aus Interessantes mitteilen. Abgesehen von dem, wie mir scheint, stetigen Fortschreiten und festeren Zusammenschliessen der bürgerlichen jebildeten Elemente der Partei, ist mir gar nicht bange für den Gang der Dinge. Ich möchte auch noch eine Spaltung, wenn es geht, vermieden sehen, solange wir kein freies Feld haben. Wenn's aber sein muss — und darüber müsst Ihr entscheiden — dann auch so! Von mir erscheint eine Arbeit über den „Ursprung der Familie, des Eigentums und des Staats"; 8 ich schick' sie Dir zu, sobald heraus. Dein alter
F . ENGELS.
Sogleich nach der Verlängerung des Sozialistengesetzes, s. Brief Nr. 61, Arm. 1, behandelte der Reichstag das „Gesetz gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen". Es wurde veranlasst durch das missglückte Niederwald-Attentat vom 27.-28. September 1883, bei dem ein Lockspitzel seine Hand im Spiel hatte, und sah u.a. auch Zuchthausstrafen vor für die „Glorifizierung von Dynamit-Attentaten im Inland und Ausland". Die Stimmenthaltung der sozialdemokratischen Fraktion wurde im Sozialdemokrat, Nr. 21, 22. Mai motiviert: „Die Mehrheit war der Ansicht, dass gegen das Gesetz zu stimmen, unter den obwaltenden Verhältnissen den Parteiinteressen nicht entsprechen würde, und so kam man überein, sich der Abstimmung zu enthalten und dies durch eine kurze Erklärung zu begründen. Die Erklärung wurde von Hasenclever abgegeben, der auf die Unannehmbarkeit eines Gesetzes mit so monströsen Bestimmungen aufmerksam machte und es der Regierung überliess, wie sie mit dem von ihr selbst gezüchteten Anarchismus fertig werde." 1886 beantragte die sozialdemokratische Fraktion die Aufhebung des Gesetzes. S. darüber [L. Viereck,] Zur Kritik des Dynamitgesetzes. Motive zum Antrag Viereck und Genossen (München, im März 1886). 8 Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates erschien 1884 in Hottingen-Zürich. 7
63. B E B E L AN
ENGELS
Borsdorf-Leipzig, den 8. Juni 1884.
Original. Lieber Engels!
Deinen Brief vom 6. d. Mts. habe ich erhalten, und ich benutze noch rasch die Gelegenheit, um Dir zu antworten. Deinen Brief vom 21. 182
April mit dem Kuvert habe ich ebenfalls empfangen. Das Kuvert scheint allerdings verletzt worden zu sein, aber was ist da zu machen? Beweisen lässt sich nichts, namentlich bei Briefen nach dem Ausland. Ich will wünschen, dass Dein Optimismus in bezug auf die Dauer des Soz[ialisten]gesetzes sich rechtfertigt, vorläufig teile ich ihn nicht. Was Du über die wahrscheinlichen Folgen eines Thronwechsels sagst, ist ja wohl in der Hauptsache richtig; sicher ist aber auch, dass man gerade in den dem Thronfolger nahestehenden liberalen Kreisen uns am meisten fürchtet, und so entsteht einfach die Frage, welche Einflüsse die Oberhand behalten. Ich glaube an Modifikationen des Gesetzes, aber nicht an Aufhebung. Doch es ist müssig, darüber zu streiten. Die allgemeine Entwicklung hält das Gesetz nicht auf, es hat nur Unbequemlichkeiten für eine Anzahl Personen. Dein Tadel wegen der Stimmenthaltung bei dem Dynamitgesetz ist vollkommen gerechtfertigt. Ich selbst war bei der Verhandlung in der Fraktion nicht zugegen, und L[ie]bk[necht] und Vollm[ar] drangen mit ihrer Ansicht nicht durch. Es ist eben Angstscheisserei und Furcht vor Angriffen, auf die man jetzt nicht antworten kann, welche Leute kopfscheu macht, die sonst leidlich gut sind. Wir werden in der Fraktion noch manches Mal ähnliche Abstimmungen erleben, bis aus der Mitte der Partei heraus man sich energisch dagegen verwahrt. Das dürfte am meisten helfen. Im übrigen werden die Opportunisten ihre Kuckuckseier nicht anbringen können, dafür ist gesorgt. Wollten es die nächsten Wahlen, dass die Opportunisten massgebend in der Fraktion würden, weil die Entschiedenen im Wahlkampf unterlägen, so würden letztere um so freier und ungehinderter in der Partei auftreten können, und das wäre schliesslich sehr nützlich. G[ei]ser wollte nach der Bismarckschen Rede sofort seinen vorjährigen Antrag mit dem Recht auf Arbeit einbringen. Ich trat dem entschieden entgegen, es kam zu ziemlich heftigen Auseinandersetzungen, namentlich weil ich sagte, die Fraktion hätte sich, falls der Antrag zur Verhandlung gekommen wäre, blamiert, und ich sei froh, dass er nicht die nötige Unterstützung fand. Infolge dieser Opposition wurde der Antrag, so wie er jetzt vorliegt, formuliert,1 in welcher 1 „Der Reichstag wolle beschliessen, den Reichskanzler aufzufordern, er möge unverzüglich einen Gesetzentwurf einbringen, durch welchen das in der Reichstagssitzung [am 9. Mai] proklamierte Recht auf Arbeit zur Verwirklichung gelangt." Der Sozialdemokrat, Nr. 20, 15. Mai, fügte hinzu: „Diese Form des Antrags wurde gewählt und von einer Wiederaufnahme des in der vorletzten Session geplanten positiven Antrags auf Anerkennung und Verwirklichung des Rechts auf Arbeit Abstand genommen, weil das Recht auf Arbeit keine sozialdemokratische Programmforderung ist, und es sich einfach darum handelt, Bismarck und seine Sozialreform ad absurdum zu führen."
183
Fassung er nach meiner Auffassung ein korrekter Trumpf auf die Bismarcksche Phrase ist. Es wird sich nun darum handeln, wie G[ei]ser, dem man den Vortritt liess, den Antrag motiviert. Wie Bios die Angelegenheit auffasst, darüber hat er sich mit wünschenswerter Klarheit im neuesten Heft der N[euen] Z[eit] (politische] Ubersicht) ausgesprochen.2 Kautsky, L[ie]bkn[echt] und ich haben darauf, jeder für sich, an Dietz geschrieben und gegen diese Tendenz, die einzuschmuggeln versucht wird, protestiert.3 Ich habe die Beobachtung gemacht, dass die Opportunisten rasch zurückhupfen, wenn man ihnen scharf entgegentritt; sie fühlen recht wohl, dass sie in den Massen keinen Boden haben. Aus diesem Grunde sind selbst grössere Dummheiten nicht gefährlich. Auch ist der Zug nach links so scharf in der Partei, dass alle Manöver, ihm eine andere Richtung zu geben, scheitern. Ich habe Dietz geschrieben, dass er Dir die Verhandlungen über das Sozialisten]gesetz schicke. Bismarck wusste wohl, was er tat, wenn er den Russen zu Geld verhalf. Er kann weder einen Krieg noch eine Revolution in Europa brauchen; er fühlt, dass, wenn es irgendwo zum Krachen kommt, kein Mensch sagen kann, wo das Krachen aufhört. Und ich habe die Ansicht, es wird Deutschland sein, das das nächste Mal den Reigen eröffnet und die erste Geige spielt. In Frankreich hat sich das Bürgertum klassischer entwickelt; aber bei uns sind die Gegensätze schärfer, das Proletariat ist massenhafter vorhanden als dort, und es ist disziplinierter und geschulter. Täuscht mich nicht alles, so bekommen wir das nächste Mal sogar in ländlichen Kreisen erheblichen Stimmenzuwachs.4 Ich werde in den nächsten Monaten an Dich denken und Dich ab und zu wissen lassen, wo ich stecke. Schlimmstenfalls treffen mich auch Briefe, die hierher oder an meine Frau adressiert sind, indem letztere sie mir schickt. Wenn mein Plan nicht durchkreuzt wird, werde ich Mitte August vierzehn Tage bis drei Wochen in der Gegend von München mit meiner Familie zubringen. Die Wahlen dürften frühestens Ende Oktober stattfinden, was mir sehr angenehm und auch für die Gesamtpartei von Vorteil ist. Gruss und Hand v[on] Deinem A.
BEBEL.
L[ie]b[knecht] lässt grüssen. Bios schrieb für Die Neue Zeit, Jahrg. II (1884) die „Politische Rundschau". E r begrüsste Bismarcks Ankündigung, S. 280f. 3 S. darüber Kautsky an Engels 2. Juni 1884. 4 Es folgen zwei völlig unleserlich gemachte Zeilen. 2
184
6 4 . B E B E L AN
ENGELS
Plauen-Dresden, den 3. Oktober 1884.
Original. Lieber Engelsl
Endlich bin ich in der Lage, Dir wieder direkt ein Lebenszeichen zukommen zu lassen. Diese fortwährenden Verlängerungen des „kleinen" [Belagerungszustandes] haben endlich meine Geduld erschöpft, und ich bin aus Borsdorf ausgerissen, um hier wenigstens wieder ein Familienleben führen zu können. Ich bin nunmehr, und zwar zu unser aller Zufriedenheit, eingerichtet und kann mich mit mehr Müsse den Dingen widmen, die da kommen sollen. In unseren Regierungs- und Polizeikreisen hat meine Ubersiedlung hierher stark verschnupft; denn es ist doch der Gipfel der Lächerlichkeit, wenn man mich in L[ei]pz[i]g wegen Staatsgefährlichkeit ausweist und mich hier in Dresden, wo ich mindestens ebenso „gefährlich" bin, dulden muss. Beiläufig bemerkt liegt mein Wohnort unmittelbar an der Stadt, nach deren Mittelpunkt ich alle zehn Minuten vermittelst der Pferdebahn gelangen kann. Auf Deinen Brief vom 6. Juni habe ich Dir, wenn ich nicht irre, schon geantwortet, einen anderen habe ich seitdem von Dir nicht erhalten, was ich Dir in Anbetracht meines unsicheren Aufenthaltes hier nicht zum Vorwurf mache. Die Wahlagitation ist jetzt in vollem Gange, aber bisher noch nicht so lebhaft, wie sie sonst und namentlich vor drei Jahren so kurz vor dem Wahltermin war. Die Schuld liegt nicht auf unserer Seite; denn an uns fehlt es nicht. Wir sind infolge unserer ausnahmegesetzlichen Gebundenheit auf unsere Gegner angewiesen, und diese tappen noch sehr unsicher. Die Spaltung unter denselben tritt diesmal, besonders auch in Sachsen, wo sie sonst uns gegenüber eine reaktionäre Masse waren, etwas schärfer hervor, und die Folgen werden uns zugute kommen. Die Gegner fürchten die Aufregung der Massen, weil sie fühlen, wie die Stimmung „nach links" gravitiert. Ein Hauptcoup ist uns zu Wasser geworden. Das vom Kopenh[agener] Kongress beschlossene Manifest,1 das L[ie]bkn[echt] entworfen hatte, wir nach meiner Rückkunft von der Reise revidierten, Das Manifest wurde im Sozialdemokrat abgedruckt, Nr. 1-5, 1.-29. Januar 1885; wiederabgedruckt in Die Sozialdemokratie im Deutschen Reichstage (Berlin, 1909), S. 218ff. Der Sozialdemokrat berichtete in Nr. 42, 16. Oktober 1884, dass nur ein Paket abgefangen werden konnte; im übrigen „fand die Verteilung des Wahlmanifestes in mehr als einer Million von Exemplaren in allen Teilen Deutschlands gleichzeitig statt — mit einer Präzision, als handelte es sich um eine Parade...". 1
185
war fertiggestellt und sollte nächsten Sonntag gleichzeitig in ganz Deutschland zur Verteilung gelangen. Da wurde Ende vor[iger] Woche die für L[ei]pz[i]g bestimmte Sendung auf Anweisung der Berliner Polizei, die also durch Redereien irgendwie Wind bekommen hatte, beschlagnahmt und das Blatt verboten. Da damit das Verbot für ganz Deutschland Gültigkeit erlangt, so ist die Verteilung nur auf die Gefahr hin möglich, dass Hunderte dabei abgefasst, in Untersuchungshaft gebracht und schliesslich bis zu sechs Monaten verdonnert werden. Ein Opfer, das in keinem Verhältnis steht. So haben wir eine ungeheure Masse Makulatur und sind um eine erkleckliche Zahl Tausende von Mark ärmer. Trotz alledem sind wir guten Mutes. Finanziell können wir den Schlag viel leichter verwinden als vor drei Jahren, und moralisch macht er bei den Leuten keinen Schaden. Ich werde dafür sorgen, dass Dir ein Exemplar des Blattes zukommt. Dasselbe ist etwas sehr doktrinär gehalten und nicht aggressiv in der Form, damit es in Deutschland gedruckt werden konnte, was bei der in Frage kommenden Masse notwendig war. Dass man darüber ist, gegen uns einen neuen Schlag zu führen, wirst Du gehört haben. Der S[ozial]d[emokrat] referierte bereits darüber.2 Man will uns wegen „geheimer Verbindung" einen Prozess machen und hat das Material dazu aus unserer sechsjährigen sozialistengesetzlichen Ausnahmeperiode zusammengesucht. Ich habe, weil ich zunächst jede Auskunft verweigerte, das „Material" nicht näher kennengelernt, dagegen hat Auer einen Einblick gewonnen. Alles, was man weiss, weiss man aus dem S[ozial]d[emokrat] und aus unseren eigenen öffentlichen Äusserungen und Veröffentlichungen, und daraus konstruiert man die Anklage auf „geheime Verbindung." Die Anklage ist offenbar von Berlin über Dresden inspiriert. Die derselben zugrunde liegende Anschauung ist dieselbe, welche seinerzeit der Reichskommissar in der Kommission des Reichstages, in welcher der Fall Frohme—Vollmar nach dem Kopenhf agener] Kongress zur Verhandlung stand, zum besten gab.3 In den Chemnitzer 2 Der Sozialdemokrat, Nr. 39, 25. September; Nr. 40, 2. Oktober. Das Chemnitzer Landgericht führte ein Untersuchungsverfahren wegen geheimer Verbindung (§§128, 129 StrGB) gegen die auf der Rückkehr vom Kopenhagener Kongress am 2., 3. und 4. Mai 1883 in Kiel und Neumünster verhafteten Delegierten Auer, Bebel, Dietz, Frohme, Heinzel, Müller, Ulrich, Viereck und von Vollmar durch. 3 Gegenüber dem Berichterstatter der Geschäftsordnungskommission des Reichstags, Kammergerichtsrat Schröder-Wittenberg (Sezessionist), der eine Verletzung der Immunität konstatierte, da die Abgeordneten [Frohme und v. Vollmar] nicht „bei Ausübung der Tat oder im Laufe des nächstfolgenden Tages" ergriffen seien, erklärte der Reichskommissar, Unterstaatssekretär Herrfurth, es liege eine Ergreifung auf frischer Tat bzw. im Laufe des folgenden Tages vor: „Die straf-
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Richtern scheint man Leute gefunden zu haben, die man in Preussen nicht fand. Wir werden ja sehen, was dabei herausspringt. Der Prozess ist ein Verlegenheitsakt. Man sieht ein, dass man trotz Sozialistengesetz nicht mit uns fertig wird, und da soll ein grosser Prozess mit obligater Verurteilung den Retter spielen. Wenn er gelingt, hat er dieselbe Wirkung wie der Leipziger] Hochverratsprozess, der eins der besten Agitationsmittel wurde, das die Partei je erhielt. Ein Verlegenheitsakt ist auch die Bismarcksche Kolonialpolitik, wozu jetzt die erste Expedition ausgerüstet werden soll.4 Nun, wenn Kolonien ein Land retten, dann müssten England, Holland, Frankreich, Spanien und Portugal im Fette ersticken. Da alle Register, die seit 1878 gezogen wurden: Soz[ialisten]gesetz, Schutzzollpolitik, Rückwärtsrevidierung der Gewerbeordnung, Agrarpolitik, Sozialreform, die Masse nicht befriedigen, von allen diesen Massregeln die in Aussicht gestellten Früchte ausbleiben, das Missbehagen immer grösser und immer lauter wird, muss ein neues Heilmittel heran, das den Vorteil hat, dass man auf die Früchte ziemlich lange vertrösten kann, aber auch den Nachteil besitzt, ziemlich viel Geld zu kosten. Die Bourgeoisie macht über den Kolonialschwindel viel Lärm, aber bei der Masse findet der Schwindel keinen Boden. Nebenbei hat die Kolonialpolitik für Bismarck noch den persönlichen Vorteil, seinem „Tätigkeitstrieb" ein neues Feld zu eröffnen, da das Anzetteln europäischer Kriege ein äusserst bedenkliches Geschäft geworden ist. Kürzlich sagte mir ein ehrsamer bayerischer Schlosserm[ei]ster in bare Teilnahme an der nach Auffassung der Staatsregierung vorhandenen Verbindung war durch Beendigung der Verhandlungen des Kongresses keineswegs als erloschen anzusehen, musste wenigstens für so lange Zeit noch als fortbestehend betrachtet werden, bis die Delegierten über die Ausführung des Mandates ihren Auftraggebern Rechenschaft abgelegt hatten, was zur Zeit ihrer Durchsuchung noch nicht geschehen sein konnte." Der Bericht der ReichstagsKommission über die Abgeordneten-Verhaftungen ..., von V. Jörg [d.i. G. v. Vollmar] (München, 1883), S. 14. S. Brief Nr. 82, Anm. 5. - Karl Frohme (18501933), Maschinenbauer, 1875 Redakteur in Frankfurt a.M., 1880 in Hamburg. 1881-1918 Mitglied des Reichstags. Schrieb u.a. Monarchie oder Republik? (1904), Arbeit und Kultur (1905), Politische Polizei und Justiz im monarchistischen Deutschland (1926). 4 Nachdem 1883 Lüderitz die Bucht Angra Pequeña erworben und Hamburger und Bremer Firmen sich in Togoland und Kamerun niedergelassen hatten, gewährte Bismarck ihnen Reichsschutz und liess im Juli-August 1884 die deutsche Flagge in diesen Gebieten hissen. Im Herbst 1884 ging Karl Peters im Auftrage der Gesellschaft für deutsche Kolonisation nach Ostafrika, und am 6. Oktober lud Bismarck mit Frankreich „die in Afrika interessierten Mächte" zu einer Konferenz nach Berlin ein, die am 15. November zusammentrat.
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einer kleinen Stadt, den ich geschäftlich besuchte und der nicht zu unserer Partei gehört: „Herr Bebel, Ihre Partei hat unbestreitbar das Verdienst, dass wir bis jetzt noch keinen europäischen Krieg haben; wenn sie nicht existierte, der Krieg wäre längst da." Der Mann hatte recht. Gruss und Handschlag v[on] D[einem] A.
BEBEL.
6 5 . E N G E L S AN B E B E L
London, den 11. Oktober 1884.
Original. Lieber Bebel!
Ich muss mich sehr bei Dir entschuldigen, dass ich erst heute dazu komme, Deine beiden Briefe vom 8. Juni und 3. c. zu beantworten. Aber ich habe seit Anfang Juni nur unter Schmerzen und gegen ärztliches Verbot am Pult sitzen und schreiben können. Seit fast achtzehn Monaten bin ich durch ein sonderbares, den Doktoren ziemlich unklares Leiden in meinen Bewegungen gehemmt, meiner ganzen alten, mit viel Bewegung verbundenen Lebensweise entfremdet und namentlich am Schreiben verhindert worden. Erst seit ca. zehn Tagen bin ich durch mechanische Vorrichtungen wieder einigermassen in den Stand gesetzt, mich freier zu bewegen, und wenn diese Vorrichtungen erst ordentlich angepasst, denke ich bald wieder so ziemlich der alte zu sein; abgesehen von der Unbequemlichkeit, die ich durchmachen musste, hat die Sache sonst nicht viel zu bedeuten und wird sich hoffentlich allmählich ganz verlieren. Indessen, wenn ich nicht schreiben konnte, so konnte ich doch diktieren: ich habe das ganze II. Buch des Kapital aus dem M[anu]sfkript] diktiert und fast ganz druckfertig gemacht, dazu die fertigen ersten drei Achtel der englischen] Ubersetzung revidiert, daneben noch allerhand andere Sachen durchgesehn, so dass ich ein ganz hübsches Häufchen Arbeit hinter mich gebracht. Von meiner neu erschienenen Arbeit1 erhältst Du gleichzeitig hiermit ein Exfemplar]; ich bring's noch fertig, es zu schicken. Die Wahlagitation geht mir den ganzen Tag im Kopf herum. Unsere dreijährige grosse Probe ist ein Ereignis von europäischer Wichtigkeit, wogegen die Angstreisen sämtlicher Kaiser verschwinden. Ich weiss noch zu gut, wie 1875 die Wahlsiege der Unsern in Europa einschlugen und den bakunistischen Anarchismus in Italien, Frankreich, 1
Der Ursprung
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der Familie usw.
der Schweiz und Spanien von der Bühne vertrieben. Und gerade jetzt ist ein solcher Effekt wieder sehr nötig. Die Karikatur-Anarchisten ä la Most, die von Rinaldo Rinaldini bereits auf und unter den Schinderhannes heruntergekommen, würden wenigstens für Europa einen gleichen Keulenschlag bekommen und uns viel Mühe und Arbeit sparen. In Amerika, wo sich alle Sekten verewigen, könnten sie dann ruhig langsam absterben — hielt sich dort ja auch noch Karl Heinzen2 fünfundzwanzig Jahre lebendig, nachdem er in Europa tot und begraben war. Die Provinzialfranzosen, die sich sehr brav entwickeln, würden bedeutend ermutigt, und die Pariser Massen erhielten neuen Anstoss, sich von ihrer Stellung als Schwanz der äussersten Linken zu emanzipieren. Hier in England, wo die Reformbill den Arbeitern neue Macht gibt,3 käme der Anstoss gerade gelegen zur nächsten Wahl 1885 und könnte der — bloss aus Literaten einerseits, alten Sektenresten andrerseits und sentimentalem Publikum dritterseits bestehenden — Social Democratic Federation Gelegenheit bieten, wirklich eine Partei zu werden. In Amerika fehlt nur noch ein solches Ereignis, um den englisch sprechenden Arbeitern endlich klarzumachen, welche Macht in ihren Händen liegt, wenn sie sie nur benutzen wollen. Und in Italien und Spanien wäre es ein neuer Schlag für die doktrinär noch immer fortwuchernde anarchistische Phrase. Mit einem Wort, die Siege, die Ihr erringt, wirken nach von Sibirien bis Kalifornien und von Sizilien bis Schweden. Wie aber wird die neue „Fraktion" ausfallen? Von den aussichtsvollen neuen Kandidaten sind mir manche ganz unbekannt, die meisten „Gebildeten" nicht zu vorteilhaft bekannt. Unter dem So[zialisten] -Gesetz ist es den bürgerlichen und bürgerlich angehauchten Sozialisten nur zu leicht gemacht, die Wähler zu befriedigen und ihrem Trieb der Sichselbstvordrängung nachzukommen. Auch ist es ganz in der Ordnung, dass solche Leute in verhältnismässig unentwickelten Wahlkreisen aufgestellt und gewählt werden. Aber sie drängen sich auch in die alten Wahlkreise, die bessere Vertreter verdienen, und finden dabei Unterstützung von Leuten, die es besser wissen sollten. Wie da die Fraktion ausfallen wird, ist mir nicht klar; noch weniger, was sie machen wird. Die Teilung ins proletarische und 2 Karl Heinzen (1809-80) wurde von der Bonner Universität wegen einer revolutionären Rede relegiert, diente in der holländischen Kolonialarmee in Batavia und wurde ein radikaler republikanischer Publizist. Er war Gegner des Kommunismus und hatte mit Marx und Engels literarische Fehden. 1847 ging er nach Amerika, kehrte nach Ausbruch der Revolution zurück, gab nach der endgültigen Auswanderung 1850 in New York fast bis zu seinem Tode den Pionier heraus. 3 1884 erhielten die englischen Landarbeiter das Wahlrecht und wurden die Wahlkreise neu eingeteilt.
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ins bürgerliche Lager wird immer ausgesprochener, und wenn die Bürgerlichen sich einmal dazu ermannt haben, die Proletarischen zu überstimmen, kann der Bruch provoziert werden. Diese Möglichkeit muss, glaub' ich, im Auge gehalten werden. Provozieren sie den Bruch — wozu sie sich aber noch etwas Courage antrinken müssen — so ist's nicht so schlimm. Ich bin stets der Ansicht, dass, solange das S[ozialisten]-G[esetz] besteht, wir ihn nicht provozieren dürfen; kommt er aber, nun dann drauf los, und dann geh' ich mit Dir ins Geschirr. Dass der Kolonialschwindel nicht zieht, freut mich. Es war die geschickteste Karte, die Bismarck ausgespielt, recht auf den Philister berechnet, überfliessend von illusorischen Hoffnungen und mit nur langsam sich realisierenden, aber auch horrend schweren Unkosten. Bismarck mit Kolonien erinnert mich an den verrückten (wirklich idiotischen) letzten Herzog v[on] Bernburg, der Anfang der vierziger Jahre sagte: Ich will auch eine Eisenbahn haben, und wenn sie mich tausend Taler kostet. Was tausend T[aler] im Vergleich zu den Kosten einer Eisenbahn, das sind die Vorstellungen des Bismarck und seiner Mitphilister von einem Kolonialbudget im Vergleich zu den wirklichen Kosten. Denn in diesem Fall halte ich Bfismarck] für dumm genug, zu glauben, Lüderitz und Woermann 4 würden die Kosten tragen. Apropos Bismarck. Ein Freund von uns traf Bismarcks Associe in der Varziner Papierfabrik (Behrens) auf einer Ingenieurversammlung, und erzählte ihm dieser sehr viel von dem knotenhaften Betragen des Bismarck. Der echte preuss[ische] Junker, der sich höchstens im Salon ausnahmsweise erträgliche Manieren anquälen kann, sonst aber seiner Brutalität freien Lauf lässt. Doch das kennt Ihr ja. Einem Fabrikinspektor, der ihm auf Befragen sagte, sein Gehalt sei tausend T[aler], antwortete er: „Nun, dann sind Sie auf Bestechung angewiesen." Das Interessante aber war, dass Bismarck diesem Behrens gesagt hatte, der einzige Redner im Reichstag, der diesen Namen verdiene, und dem stets alles zuhöre, sei August Bebel. Je öfter Du mir über die Lage in Deutschland schreibst, namentlich auch die industrielle Entwicklung, desto lieber ist's mir. Ich antworte nicht stets ausführlich darauf, da ich hier nur Unterricht nehme, und um so lieber, als Deine Nachrichten die einzigen sind, die ich unbedingt als zuverlässig annehmen kann. Im ganzen bleibt die deutsche Industrie, was sie war: sie macht die Artikel, die den Engländern zu kleinlich, den Franzosen zu ordinär sind, aber endlich auf grossem Massstab; ihre Lebensquellen bleiben 1. das Musterstehlen vom Aus4 Eduard Lüderitz (1834-86), der Bremer Kaufmann, der sich in Südwestafrika niederliess, s. Brief Nr. 64 Anm. 4. — Adolf Wörmann (1847-1911), Hamburger Kaufmann, begründete Niederlassungen in Kamerun.
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land und 2. die Wegschenkung des eigentlichen Mehrwerts an den Käufer, wodurch allein sie konkurrenzfähig wird, und die Herauspressung eines missbräuchlichen Mehrwerts durch Druck auf den Arbeitslohn, wovon allein sie lebt. Dadurch aber wird der Kampf zwischen Arbeiter und Kapitalist zwar an einzelnen Stellen stagnant (wo der abnorme Arbeitslohn schon gewohnheitsmässig), an den meisten aber akuter, weil der Druck sich immer steigert. Jedenfalls aber datiert von 1848 eine industrielle Revolution in Deutschland, an die die Herren Bürger noch denken werden. Nun leb wohl. Dein alter F. E. 6 6 . B E B E L AN
Telegramm.
ENGELS
[Poststempel: Dresden, den 29. Oktober 1884.]
Neun Siege. Dreiundzwanzig engere Wahlen. Massenhaft Stimmen.1 1 Bei den Reichstagswahlen am 28. Oktober erhielten die Sozialdemokraten 549.990 gegenüber 311.961 Stimmen im Jahre 1881; 9 Mandate wurden in der Hauptwahl errungen, 15 in den Stichwahlen, so dass die neue Fraktion 24 statt bisher 13 Mitglieder zählte.
6 7 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 29. Oktober 1884.
Original. Lieber Bebel!
Dein Telegramm kam ein paar Minuten nach sechs hier an und wurde mit Jubel begrüsst. Ich habe den Inhalt sofort per Postkarte hier und in der Provinz verbreitet und ebenfalls nach Paris mitgeteilt, wohin zunächst doch nur konfuse und widersprechende Nachrichten kommen. Dir meinen besten Dank, dass Du meiner mitten im Wahltrubel gedacht hast. Dem Verein1 hier hab' ich's gleichfalls mitgeteilt. Das ist mehr, als ich erwartet. Es ist für mich jetzt von geringerer Bedeutung, wieviel schliessliche Sitze erobert werden; die obligaten fünfzehn2 sind sicher, und die Hauptsache ist der Beweis, dass die Bewegung mit ebenso raschen wie sicheren Schritten voranmarschiert und Wahlkreis nach Wahlkreis davon ergriffen und den übrigen ParComm. Arb.-Bildungsverein. Initiativanträge und Kleine Anfragen im Reichstag bedurften der eigenhändigen Unterschrift von mindestens 15 Abgeordneten. Die sozialdemokratische Fraktion konnte also ohne andere Hilfe selbst solche Anträge und Anfragen stellen. 1 2
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teien unsicher gemacht wird. Es ist aber auch famos, wie unsere Arbeiter die Sache führen; die Zähigkeit, Entschlossenheit und vor allem der Humor, womit sie Posten auf Posten erobern und alle Kniffe, Drohungen, Vergewaltigungen der Regierung und der Bourgeoisie zuschanden machen. Deutschland hatte eine Wiedereinsetzung in die Achtung der Welt verdammt nötig; Bismarck und Moltke konnten es gefürchtet machen; Respekt, wirkliche Achtung, wie sie nur freien, sich selbst disziplinierenden Männern geboten wird — diesen Respekt erzwingen sich nur unsere Proletarier. Die Wirkung auf Europa und Amerika wird enorm sein. In Frankreich verspreche ich mir davon einen neuen Aufschwung unserer Partei. Dort laborieren die Leute noch immer an den Nachwehen der Kommune. So sehr diese auf Europa gewirkt, so sehr hat sie das französische] Proletariat zurückgeworfen. Drei Monate an der Herrschaft gewesen zu sein — und das noch obendrein in Paris — und nicht die Welt aus den Angeln gehoben zu haben, sondern untergegangen zu sein an der eigenen Unfähigkeit (und in dieser einseitigen Weise wird die Sache heute gefasst) — das beweist, dass die Partei nicht lebensfähig ist. Das ist die allgemeine Redensart der Leute, die nicht einsehen, dass die Kommune das Grab des alten, spezifisch französischen Sozialismus war, aber auch zugleich die 'Wiege des neuen internationalen Kommunismus für Frankreich. Und diesem letzteren werden die deutschen Siege gehörig auf die Beine helfen. Auch Frau Lafargue, die hier ist und Dich herzlich grüssen lässt, ist dieser Ansicht. Ebenso wird die Nachricht in Amerika in das englisch sprechende Proletariat einschlagen. Meinen eingeschriebenen Brief wie meine Postkarte von vorgestern wirst Du erhalten haben.3 Das, was mich jetzt am meisten noch beunruhigt, ist, ob Du selbst in Deinen unsicheren Wahlkreisen durchgedrungen.4 Bei den vielen neuen Elementen, die jedenfalls in die Fraktion kommen, bist Du gerade im Anfang dringend nötig, damit Du nicht später fertige Tatsachen vorfindest, bei denen Du nicht mitgewirkt. Ich weiss, mit Deiner Gesundheit steht's auch nicht zum besten, und Du musst Dich unbedingt der Partei für kritischere Zeiten erhalten. Aber das wird sich auch so wohl machen lassen. Ich wollte Dir noch über den Rodbertusschwindel schreiben; aber das geht heut' abend nicht mehr. Schramm wird schon von K[arl]
Beide sind nicht bekannt. Bebel wurde im 1. Hamburger und 1. Dresdener Wahlkreis gewählt; er unterlag in Leipzig und Köln. 3 4
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Kfautsky], was seine Person angeht, genug gedeckelt.5 In der Vorrede zur „Misère" stellte ich R[odbertus'] Stellung uns gegenüber schon soweit klar, dass es, glaub' ich, hinreicht, bis ich ihn in der Vorrede zum „Kapital" II. Buch noch gründlicher verarbeiten kann. Wird es inzwischen nötig, so kann ich nochmals dazwischen fahren. Hierüber dieser Tage mehr. Dein F. E. Im Aufsatz „Das .Kapital' von Rodbertus", Die Neue Zeit, Jahrg. II (1884), S. 337ff., 385ff. Die Antwort Schramms „K. Kautsky und Rodbertus", ebd., S. 481ff. Kautskys „Eine Replik" ebd., S. 494ff. Schramms „Antwort an Herrn K. Kautsky", Jahrg. III (1885), S. 218, und Kautskys „Schlusswort", ebd., S. 2 2 4 mit der Erklärung, die Polemik sei geschlossen. S. Briefe Nr. 85, 86. 5
6 8 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 18. November 1884.
Original. Lieber Bebel!
Ich wollte Dir über den Rodbertusschwindel schreiben, aber nun erscheint meine Vorrede zur „Misère de la Philosophie]" in der Neuen Zeit,1 und da findest Du das Nötigste besser entwickelt, als ich es in einem Brief tun könnte. Das Weitere folgt dann in der Vorrede zum „Kapital" II. Buch. Es ist aber ein anderer Punkt, über den ich Dir sagen möchte, wie ich davon denke, und der mir dringender scheint. Das ganze liberale Philisterium hat einen solchen Respekt vor uns bekommen, dass es einstimmig schreit: Ja, wenn die S[ozial]-D[emokraten] sich auf den gesetzlichen Boden stellen wollen, die Revolution abschwören, dann sind wir dafür, dass das S[ozialisten]-Gesetz sofort aufgehoben wird. Es ist also kein Zweifel, dass man Euch diese Zumutung sofort im Reichstag machen wird. Die Antwort darauf, die Ihr gebt, ist wichtig — nicht sowohl für Deutschland, wo unsere braven Jungens sie in den Wahlen gegeben, als für das Ausland. Eine zahme Antwort würde den kolossalen Eindruck, den die Wahlen gemacht, sofort vernichten.2 Meiner Ansicht nach liegt der Fall so: Der bestehende politische Zustand in ganz Europa ist das Ergebnis von Revolutionen. Der Rechtsboden, das historische Recht, die LegiDie Vorrede erschien u.d.T. „Marx und Rodbertus" in der 'Neuen Zeit, Jahrg. III (1885), S. Iff. Der II. Bd. des Kapital (Hamburg, 1885), s. Vorrede S. VHIff. 2 S. den folgenden Brief. 1
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timität ist überall tausendmal durchlöchert oder ganz umgestossen worden. Es ist aber die Natur aller durch Revolutionen zur Herrschaft gekommenen Parteien resp. Klassen, zu verlangen, dass nun aber auch der neue, durch die Revolution geschaffene Rechtsboden unbedingt anerkannt, heilig gehalten werde. Das Recht zur Revolution hat existiert — sonst wären ja die jetzt Herrschenden unberechtigt —, aber es soll von nun an nicht mehr existieren. In Deutschland beruht der bestehende Zustand auf der Revolution, die mit 1848 anfing und mit 1866 abschloss. 1866 war eine vollständige Revolution. Wie Preussen nur durch Verrat und Krieg gegen das deutsche Reich, im Bunde mit dem Auslande (1740, 1756, 1795)3 zu etwas geworden, so hat es das deutsch-preussische Reich nur zustande gebracht durch gewaltsamen Umsturz des Deutschen Bundes und Bürgerkrieg. Dass es behauptet, die anderen hätten den Bundesvertrag gebrochen, tut nichts zur Sache. Die anderen sagen das Gegenteil. Noch nie hat eine Revolution des Vorwandes der Gesetzlichkeit entbehrt — vide 1830 Frankreich, wo König und Bourgeoisie jeder recht zu haben behauptete. Genug, es provozierte den Bürgerkrieg und damit die Revolution. Nach dem Sieg stürzte es drei Throne „von Gottes Gnaden" um und annektierte die Gebiete nebst dem der exfreien Stadt Frankfurt. Wenn das nicht revolutionär war, so weiss ich nicht, was das Wort bedeutet. Damit nicht genug, konfiszierte es das Privateigentum der verjagten Fürsten. Dass das nicht gesetzlich, also revolutionär, gab es zu, indem es den Akt nachträglich von einer Versammlung gutheissen liess — vom Reichstag —, der ebensowenig Recht hatte, über diese Fonds zu verfügen, wie die Regierung. Das deutsch-preussische Reich, als Vollendung des durch 1866 gewaltsam geschaffenen Norddeutschen] Bundes, ist eine durchaus revolutionäre Schöpfung. Ich beklage mich nicht darüber. Was ich den Leuten vorwerfe, die es gemacht haben, ist, dass sie nur armselige Revolutionäre waren, nicht viel weiter gingen und gleich ganz Deutschland und Preussen annektierten. Aber wer mit Blut und Eisen operiert, Throne umstürzt, ganze Staaten verschluckt und Privateigentum konfisziert, der soll nicht andere Leute als Revolutionäre verdammen. Wenn die Partei nur das Recht behält, nicht mehr und nicht minder revolutionär zu sein, als die Reichsregierung gewesen, so hat sie alles, was sie braucht. Vor kurzem hiess es offiziös: die Reichsverfassung sei kein Vertrag der Fürsten mit dem Volk, sie sei nur einer zwischen den Fürsten und 3 1740 Bündnis Friedrich II. mit Frankreich gegen Österreich, 1756 sein Bündnis mit England gegen Frankreich und Österreich; 1795 Friede von Basel zwischen Preussen und der französischen Republik, womit Preussen die Koalition gegen Frankreich verliess.
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freien Städten, die ihn jederzeit durch einen neuen ersetzen könnten.4 Die Regierungsorgane, die dies lehrten, verlangten also für die Regierungen das Recht, die Reichsverfassung umzustossen. Man hat kein Ausnahmegesetz gegen sie gemacht, sie nicht verfolgt. Nun gut, mehr verlangen wir auch nicht für uns, im alleräussersten Fall, als hier für die Regierungen verlangt wird. Der Herzog von Cumberland ist der legitime unbestrittene Erbe des braunschweigischen Thrones. Der König von Preussen sitzt mit keinem anderen Recht in Berlin, als der C[umberland] in Braunschweig beansprucht. Was man sonst von ihm will, kann man erst beanspruchen, nachdem der Cfumberland] von seinem rechtlichen, legitimen Thron Besitz ergriffen. Die revolutionäre deutsche Reichsregierung aber verhindert ihn mit Gewalt daran. Neuer revolutionärer Akt. Wie steht's mit den Parteien? Die konservative hat den im März 1848 geschaffenen neuen Rechtsboden im Nov[em]ber 1848 ohne Zaudern durchbrochen. Sie erkennt den konstitutionellen Zustand ohnehin nur als provisorisch an und würde jedem absolutistisch-feudalen Staatsstreich zujubeln. Die liberale Partei aller Schattierungen hat an der Revolution von 1848-1866 mitgewirkt und würde sich auch heute nicht das Recht absprechen lassen, einem gewaltsamen Verfassungsumsturz mit Gewalt entgegenzutreten. Das Zentrum erkennt über dem Staat die Kirche als höchste Macht, also eine Macht, die ihm gegebenenfalls die Revolution zur Pflicht machen kann. Und das sind die Parteien, die von uns verlangen, wir sollen, wir allein von allen, erklären, dass wir unter keinen Umständen zur Gewalt greifen, uns jedem Druck, jeder Gewalttat unterwerfen wollen, nicht nur sobald sie nur formell gesetzlich — nach dem Urteil unserer Gegner gesetzlich ist —, sondern auch wenn sie direkt ungesetzlich? Keine Partei hat je das Recht auf bewaffneten Widerstand unter gewissen Umständen verleugnet, ohne zu lügen. Keine hat auf dies äusserste Recht je verzichten können. Kommt es aber erst darauf an, die Umstände zu diskutieren, für die eine Partei sich dies Recht vorbehält, so hat man gewonnen Spiel. Da geht's vom Hundertsten ins Tausendste. Und namentlich eine rechtlos erklärte, also von oben herab auf die Revolution direkt angewiesene Partei. Solche Rechtloserklärung kann sich täglich wiederholen, wie sie schon einmal gekommen. Einer solchen Partei eine " Diese Erwägung spielte eine Rolle bei den späteren Plänen einer Beseitigung des Reichstagswahlrechts. S. Brief 191, Anm. 5.
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solche bedingungslose Erklärung abverlangen, ist rein widersinnig. Übrigens können die Herren ruhig sein. Wie die militärischen Verhältnisse jetzt liegen, schlagen wir nicht los, solange noch eine bewaffnete Macht gegen uns ist. Wir können warten, bis die bewaffnete Macht selbst aufhört, eine Macht gegen uns zu sein. Jede frühere, selbst siegreiche Revolution brächte nicht uns an die Herrschaft, sondern die radikalsten der Bourgeois resp. Kleinbürger. Im übrigen haben die Wahlen gezeigt, dass wir von Nachgiebigkeit nichts zu erwarten haben, d.h. von Konzessionen an unsere Gegner. Nur durch trotzigen Widerstand haben wir uns in Respekt gesetzt und sind eine Macht geworden. Nur die Macht wird respektiert; und nur solange wir eine sind, respektiert uns der Philister. Wer ihm Konzessionen macht, den verachtet er, der ist schon keine Macht mehr. Man kann die eiserne Faust im samtenen Handschuh fühlen lassen, aber fühlen lassen muss man sie. Das deutsche Proletariat ist eine mächtige Partei geworden, mögen seine Repräsentanten seiner würdig sein. (Postschluss.) Dein F. E.
6 9 . B E B E L AN
ENGELS
Plauen-Dresden, den 24. November 1884.
Original. Lieber Engels!
Deinen Brief vom 18. [November] fand ich vor, als ich Sonnabend abend von Berlin zurückkam. Dein Brief macht den Eindruck, als seiest Du in etwas gedrückter Stimmung, und als befürchtetest Du, dass der Erfolg bei den Wahlen unseren Leuten die Köpfe verrückt habe, und sie sich schon als eine Art regierungsfähiger Partei ansehen, die mit Konzessionen sich Schein vorteile zu erkaufen gedenke. Zu diesen Befürchtungen hast Du gar keinen Grund. Eine Erklärung, wie die von Dir angeführte, abzugeben, fällt auch nicht einem von uns ein. Darüber sind wir alle einig, dass wir uns nicht unter das Kaudinische Joch beugen dürfen noch können. Wenn etwas sich in unserer Haltung verändert, so wird es in der Richtung geschehen, dass wir nur noch fester und entschiedener unseren Standpunkt als bisher zu vertreten haben. Die grossen Erfolge sind nicht eine Missbilligung unseres Standpunktes, sie sind eine entschiedene Billigung desselben und bedeuten kurz und gut: Weiter vorwärts und entschieden vorwärts. Ich glaube, der Artikel in der N[ummer] 46 d[es] S[ozial]d[emo196
krat]i hat nicht wenig zu Deiner pessimistischen Stimmung beigetragen. Dieser Artikel wird, meines Erachtens mit grossem Unrecht, in der lib[eralen] Presse als das „Damaskus" der Sozialdemokratie gefeiert. Ede, der ihn wohl geschrieben hat, wird über diese Auffassung selbst am meisten überrascht sein. Entkleidet man den Artikel seines etwas zu lebhaften Kolorits, so sagt er nichts, als was sich von selbst versteht. Wir werden ja nunmehr anders vorgehen müssen als bisher; aber wir werden keinen Buchstaben schreiben, der sich nicht mit unseren Prinzipien und Anschauungen deckt. Nehmen die gegnerischen Parteien den einen oder anderen Antrag an, und im Schrecken über unsere Erfolge und aus Furcht vor der drohenden Revolution, die sie bereits herannahen sehen — und darin stimme ich den Herren bei —, werden sie dies tun, nun gut, so werden wir immer weitergehen müssen. So ist z.B. grosse Aussicht vorhanden, dass der Normalarbeitstag durchgeht. Das Zentrum beantragt ihn bereits in einer Resolution, 2 ohne zu sagen, wie lang er sein soll, und da sind sich die Herren selbst nicht einig darüber. Überhaupt ist das Wettrennen mit den Anträgen sehr spasshaft.8 Wir stehen im Augenblick damit noch im Hintergrund, da wir statt Resolutionen gleich Gesetzentwürfe formulieren wollen. Normal1 In dem Artikel „Was aus unserem Wahlsieg folgt" in Nr. 46, 14. November, war die Reaktion der öffentlichen Meinung auf den sozialdemokratischen Wahlsieg behandelt und eine Äusserung der Kölnischen Zeitung sinngemäss zitiert: „Wir sehen ein, dass eine Partei von solcher Stärke wie die Sozialdemokratie den Anspruch erheben darf, gehört zu werden. Da nun, wie es scheint, die Partei in ihrem Auftreten gemässigter geworden ist als früher, so würden wir, unter der Voraussetzung, dass die Sozialdemokraten versprechen, sich auf den gesetzlichen Boden zu stellen, gewissen Erleichterungen das Wort reden. Man möge ihrer Presse eine gewisse Freiheit gestatten usw. usw." Der Artikel schloss: „Hunderttausende deutscher Arbeiter erwarten von der Sozialdemokratie Wahrung ihrer Interessen, sie sollen sich in dieser Erwartung nicht getäuscht sehen! Der erste Antrag aber, den unsere Abgeordneten einbringen dürften, . . ., lautet: Abschaffung des Sozialistengesetzes." 2 Schon am 9. Januar 1882 hatte Frhr. von Hertling die Interpellation des Zentrums über die Regelung der Arbeitszeit vertreten, wobei er den zehnstündigen Arbeitstag als zunächst anzustrebendes Ziel bezeichnete. Nur Deutsch-konservative und Sozialdemokraten unterstützten sie. Im November 1884 brachte das Zentrum den Antrag ein, die Arbeit an Sonn- und Feiertagen, die Frauen- und Kinderarbeit und die Maximalarbeitszeit zu regeln. Der Antrag kam am 14.-16. Januar 1885 zur Verhandlung. Sie führte zur Vorlegung eines spezifizierten Gesetzentwurfs des Zentrums. Seine Behandlung am 9. Mai 1885 hatte als Ergebnis die Veranstaltung einer Enquete über den Umfang der Arbeit an Sonn- und Feiertagen, deren Ergebnis 1887 vorgelegt wurde. K. Bachem, Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei, Bd. IV (Köln, 1928), S. 104ff. 3 Als das Zentrum seinen Antrag im November einbrachte, folgten sogleich Konservative, Freikonservative und Nationalliberale mit Anträgen darüber.
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arbeitstag, Verbot der Kinderarbeit, der Nachtarbeit f[ür] Frauen, Regelung der Nachtarbeit, wo sie unumgänglich ist, Errichtung von Arbeitsämtern (Fabrikinspektorämtern) mit bedeutend erweiterten Machtbefugnissen, Arbeiterkammern etc., Aufforderung zur Einberufung einer Konferenz für eine Intern [ationale] Arbeiter-Gesetzgebung etc.4 Daneben auch eine Reihe politischer Anträge: Sicherheit der Wahlfreiheit etc. Ob der Antrag auf Aufhebung des Soz[ialisten]gesfetzes] kommt, darüber sind die Meinungen geteilt; offiziell wurde darüber noch nicht verhandelt. Wird er gestellt, dann sicher ohne eine Unterwerfungserklärung, das ist selbstverständlich. Die neueste Thronrede ist übrigens die Banker Otterklärung der Soz[ial]reform. 5 Es sieht überhaupt sehr trübe aus für die Herren da droben. Im Augenblick haben sich Hunderttausende von Kleinbauern und Kleinbürgern durch die konservativen Versprechungen fangen lassen; ich selbst bin einem solchen Gimpelfang in Dresden insofern zum Opfer gefallen, als mir mindestens eineinhalb- bis zweitausend kleinbürgerliche Stimmen durch solche Versprechungen m[eines] Gegners genommen wurden. Das hat nun soweit geholfen, dass die konservativ-] klerikale Mehrheit unbestritten da ist. Jetzt müssen die Herren an die Arbeit gehen, jetzt müssen sie ihre Versprechungen einlösen; sie haben die Macht und eine ihnen wohlwollende Regierung. Leisten sie in den drei Jahren nicht, was sie versprochen haben, sind sie verloren; ihre Stimmen bekommt nicht der Liberalismus oder der bürgerliche Radikalismus, die bekommen wir. Der bürgerliche Radikalismus ist in Deutschland tot, darin täuschst Du Dich über unsere Situation, wenn Du mit diesem rechnest. Die bürgerliche] Demokratie hat nur unter kleinbürgerlichen Zuständen Boden (Bayern, Württemberg, Baden), und selbst dort kann sie nur mit Hilfe unserer Partei sich halten; das haben die Stichwahlen glänzend bewiesen. Von ihren acht Siegen, die sie überhaupt hat, verdankt sie ihre vier in den Stichwahlen uns, von den fünfunddreissig, die die Fortschrittspartei in den Stichwahlen erobert hat, zwei Drittel uns. Was ich hier sage, kann ich zahlenmässig nachweisen. Kurz, der Klassengegensatz ist in Deutschland heute so ausgeprägt als irgendwo, *
S. Brief Nr. 74, Anm. 2. Bebel kritisierte in seiner Rede zum Reichsetat am 28. November im Anschluss an die Thronrede die Steuerpolitik Bismarcks, den Massenverbrauch in steigendem Masse zu besteuern; das Defizit des Etats betrage 50 Mill. Mark, von denen der grössere Teil auf wachsende Militärausgaben entfalle. Wissenswerth.es aus dem neuen Reichstag. [Reden Auers und Bebels vom 26. und 28. November 1884] (Nürnberg, [1884]). 5
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er ist aber mehr als irgendwo in der Welt den Massen zum Bewusstsein gekommen. Daher kann in Deutschland von einem bürgerlichen radikalen Zwischenstadium keine Rede mehr sein. Das mag vom kleinbürgerlichen Frankreich gelten, v[on] Deutschland nicht. Du täuschst Dich über unsere Entwicklung. Obgleich Du sie zugibst im Vergleich zu früher, ist sie doch weit höher, als Du glaubst. Es wäre in der Tat dringend wünschenswert, dass Du einmal eine Tour von vier bis sechs Wochen durch Deutschland machtest, und ich bin überzeugt, Du würdest erstaunt sein über die totale Umgestaltung, die Land und Leute erfahren haben. Ich meinerseits taxiere die Dinge so, dass wir mit Riesenschritten der Revolution entgegengehen, und daher werden wir in einem gewissen Stadium unserer Reichstagstätigkeit uns nicht bloss damit begnügen dürfen, Anträge zu stellen, die sich auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft noch bewegen. Wir müssen vielmehr die Fahne ganz aufhissen und in Form von Resolutionen dem Reichstag und der Gesellschaft sagen, welche grundstürzenden Umwandlungen vorgenommen werden müssen, soll die Gesellschaft befriedigt werden. Wir haben für Kleinbauern und Kleinbürger als solche keine Anträge; unsere Anträge für die Arbeiter schaffen denselben nicht einmal Brot, geschweige mehr, sie können nur einige Erleichterungen bringen, die Massen kampffähiger machen, dazu beitragen, dass durch die durch diese Anträge vorgenommenen Untersuchungen das Elend voll und ganz ans Tageslicht gezogen wird. Daneben können wir durch entsprechende politische Anträge: Schiedsrichterliche Entscheidung in allen Streitigkeiten der Staaten, also Bildung eines internationalen Friedensbundes, Umwandlung der stehenden Armee etc. etc. der Regierungsgewalt ein Bein stellen. Das wird um so leichter gehen, als man durch die jährlich sich steigernden Anforderungen nicht mehr weiss, wo man das Geld herbekommen soll und vor einem klaffenden Reichsdefizit steht. Wir werden also in dem Masse, wie die herrschenden Klassen ihre Ohnmacht und Unfähigkeit beweisen, uns nicht bloss auf die Kritik beschränken dürfen, sondern durch positive, für die herrsch [enden] Klassen aber unannehmbare Anträge der Masse beweisen müssen, was geschehen muss. Kurz, die Masse muss wissen und überzeugt sein, wenn der grosse Krach kommt, wo sie ihre Freunde und ihre Helfer zu finden hat. Ich habe mich in diesem Sinne auch schon, ohne Widerspruch zu finden, in der Fraktion ausgesprochen. Diejenigen, die früher über mich lachten, wenn ich sagte: seid darauf gefasst, der Krempel hält nicht mehr lange, sind seit dem Ausfall der Wahlen sehr bedenklich 199
geworden und geben zu, ich könnte am Ende recht haben. Man muss festhalten, dass für jede Stimme, die wir erlangten, uns eigentlich zwei gebührten, wegen der Unfreiheit der Wahl. Und dann haben wir die grosse Reserve der Leute von zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren, die nicht wählen dürfen. Unsere Stimmenzahl steigt von jetzt ab riesig. Die Alten sterben, die Jungen wachsen heran. Die Anhänger der alten Parteien laufen aus jenem Lager in das unsere. Wenn etwas dafür noch spricht, ist es die Tatsache, dass sich jetzt die Angebote und die Bereitwilligkeit, Mandate anzunehmen, steigern, Leute sich melden, die bisher stets sich weigerten, öffentlich herauszutreten, und auch fremde Elemente sich herandrängen, die wir bisher nicht kannten und natürlich zunächst in aller Reserve halten. Kurz, alle Welt fühlt: da ist eine Partei, die, einem aufsteigenden Gestirn vergleichbar, bald die herrschende sein wird. Alle alten Parteien sind in der Defensive, wir allein in der Offensive; und da wird es nicht schwerhalten, das denen klarzumachen, die etwa die Situation nicht begreifen wollten oder könnten. Auch finanziell zeigt sich die Lebensfähigkeit und Kraft der Partei wie nie. Wir haben heute mehr Geld zur Verfügung, als vor drei Monaten, bevor der Wahlkampf begann, und das nach all den Siegen und Schlachten. Kurz, ich habe ein felsenfestes Vertrauen in die Partei, und die in die Situation, und bin überzeugt, dass der oder die Führer nicht lange mitspielen würden, welche die Situation und den Geist der Partei verkennen. Hat Dir's nicht Spass gemacht, wie glänzend der alte Rittinghausen abgesägt wurde?6 Von allen Siegen freut uns der Solinger am meisten, weil hier die Disziplin der Partei den glänzendsten Triumph feierte. Morgen muss ich wieder nach Berlin. Mit den besten Grüssen D[ein] A.
BEBEL.
6 Da Rittinghausen eine bindende Erklärung darüber, ob er sich nach seiner Wiederwahl auf den Boden des Parteiprogramms stellen und sich den Fraktionsund Kongressbeschlüssen fügen werde, ablehnte, erklärte die Fraktion in einer im Sozialdemokrat, Nr. 20, 15. Mai 1884, veröffentlichten, von allen Abgeordneten unterzeichneten Bekanntmachung, dass Rittinghausen nicht mehr der Parteivertretung angehöre und nicht mehr als Kandidat aufgestellt werden könne. Veranlasst wurde diese Erklärung durch Rittinghausens Weigerung, einen Aufruf der Fraktion an die „Parteigenossen in den Vereinigten Staaten", Der Sozialdemokrat, Nr. 22, 29. Mai, zur materiellen Unterstützung des Wahlkampfes mit zu unterzeichnen. In Solingen siegte bei der Novemberwahl G. Schumacher in der Stichwahl mit 8.734 gegen 5.327 Stimmen. Rittinghausen, der ebenfalls in Solingen kandidierte, erhielt nur 787 Stimmen.
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Deine Arbeiten gegen Rodbertus begrüsse ich sehr.7 Dietz hat mich auf das Erscheinen der M[arx]schen Schrift gegen Pr[oudhon] mit der Vorrede von Dir sehr begierig gemacht; er behauptet, sie passe wie gemacht in die Situation. Auch Deine Schrift über „den Ursprung der Familie" ist ausgezeichnet und kommt wie gerufen. Ich freue mich, dass Du in Deinen alten Tagen so fleissig schaffst und der Partei so grossen Nutzen bringst; denn schliesslich bildet eine gute Literatur doch die Grundlage für alle Parteitätigkeit. S. Brief Nr. 68, Anm. 1.
7
7 0 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 11.-12. Dezember 1884.
Original. Lieber Bebel!
Mit meinem letzten Brief hing das so zusammen: Unter den Neugewählten waren mir verschiedene bekannt, die nach Bildung und Temperament den rechten, bürgerlichen Flügel der Fraktion verstärken würden. Bei den kolossalen Schmeicheleien, die nach unseren Siegen uns von allen anderen Parteien plötzlich gemacht wurden, erschien es mir nicht unmöglich, dass diese Herren sich fangen liessen und bereit wären, eine Erklärung abzugeben, wie z.B. die Kölnische Zeitung sie von uns verlangte als Bedingung der Abschaffung des S[ozialisten]-G[esetzes]1 — eine Erklärung, die nur um ein Haarbreit weiter rechts, in Wegschwätzung des revolutionären Charakters der Partei, zu gehen braucht als z.B. Geisers Rede bei der Soz[ialisten]-Gesetz-Verhandlung, die Grillenberger mit der Deinigen hat abdrucken lassen.2 Die Herren Liberalen sind mürbe, mit wenigem zufrieden, eine kleine Konzession unsererseits hätte ihnen genügt, und diese kleine Konzession fürchtete ich, weil sie uns vor dem Ausland blamiert, grenzenlos blamiert hätte. Dass Du sie nicht machen würdest, wusste ich natürlich. Aber Du, also wir hätten überstimmt werden können. Ja, selbst Anzeichen einer Spaltung — in Reden — hätten enorm geschadet. Deshalb und nur deshalb dachte ich, es sei S. Brief Nr. 69, Anm. 1. Bebels Rede vom 20. März 1884 war auf den Ton gestimmt: „Ja, was die Regierung will, ist klar und einfach: sie verlangt von uns, dass wir ihr unbedingt Heeresfolge in ihrer Sozialreform leisten . . . Meine Herren, wir verkaufen unsere Grundsätze nicht, auch wenn Sie das Gesetz noch zehnmal verlängern . . . " Geiser erklärte dagegen in seiner Rede am 10. Mai, der revolutionäre Charakter der sozialdemokratischen Agitation sei durch das Sozialistengesetz hervorgerufen; werde dieses aufgehoben, dann sei die Bahn der friedlichen Entwicklung geebnet.
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Deine Arbeiten gegen Rodbertus begrüsse ich sehr.7 Dietz hat mich auf das Erscheinen der M[arx]schen Schrift gegen Pr[oudhon] mit der Vorrede von Dir sehr begierig gemacht; er behauptet, sie passe wie gemacht in die Situation. Auch Deine Schrift über „den Ursprung der Familie" ist ausgezeichnet und kommt wie gerufen. Ich freue mich, dass Du in Deinen alten Tagen so fleissig schaffst und der Partei so grossen Nutzen bringst; denn schliesslich bildet eine gute Literatur doch die Grundlage für alle Parteitätigkeit. S. Brief Nr. 68, Anm. 1.
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7 0 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 11.-12. Dezember 1884.
Original. Lieber Bebel!
Mit meinem letzten Brief hing das so zusammen: Unter den Neugewählten waren mir verschiedene bekannt, die nach Bildung und Temperament den rechten, bürgerlichen Flügel der Fraktion verstärken würden. Bei den kolossalen Schmeicheleien, die nach unseren Siegen uns von allen anderen Parteien plötzlich gemacht wurden, erschien es mir nicht unmöglich, dass diese Herren sich fangen liessen und bereit wären, eine Erklärung abzugeben, wie z.B. die Kölnische Zeitung sie von uns verlangte als Bedingung der Abschaffung des S[ozialisten]-G[esetzes]1 — eine Erklärung, die nur um ein Haarbreit weiter rechts, in Wegschwätzung des revolutionären Charakters der Partei, zu gehen braucht als z.B. Geisers Rede bei der Soz[ialisten]-Gesetz-Verhandlung, die Grillenberger mit der Deinigen hat abdrucken lassen.2 Die Herren Liberalen sind mürbe, mit wenigem zufrieden, eine kleine Konzession unsererseits hätte ihnen genügt, und diese kleine Konzession fürchtete ich, weil sie uns vor dem Ausland blamiert, grenzenlos blamiert hätte. Dass Du sie nicht machen würdest, wusste ich natürlich. Aber Du, also wir hätten überstimmt werden können. Ja, selbst Anzeichen einer Spaltung — in Reden — hätten enorm geschadet. Deshalb und nur deshalb dachte ich, es sei S. Brief Nr. 69, Anm. 1. Bebels Rede vom 20. März 1884 war auf den Ton gestimmt: „Ja, was die Regierung will, ist klar und einfach: sie verlangt von uns, dass wir ihr unbedingt Heeresfolge in ihrer Sozialreform leisten . . . Meine Herren, wir verkaufen unsere Grundsätze nicht, auch wenn Sie das Gesetz noch zehnmal verlängern . . . " Geiser erklärte dagegen in seiner Rede am 10. Mai, der revolutionäre Charakter der sozialdemokratischen Agitation sei durch das Sozialistengesetz hervorgerufen; werde dieses aufgehoben, dann sei die Bahn der friedlichen Entwicklung geebnet.
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meine Schuldigkeit, Dich für eine solche Möglichkeit zu unterstützen und Dir einige geschichtliche Argumente an die Hand zu geben, die Dir vielleicht weniger frisch im Gedächtnis wären wie mir. Und damit Du den Brief, wenn Du es für gut hieltest, zeigen könntest, liess ich alle Anspielungen auf die aus, für die er in letzter Instanz beabsichtigt war. Dass meine Befürchtung ins Wasser gefallen, dass die Macht der Bewegung auch die bürgerlichen Elemente der Partei mit sich fortgerissen und die Fraktion sich auf der Höhe ihrer Wähler halten wird, freut niemand mehr als mich. Und in der Tat, ich finde Singer, der Sonntag einen Augenblick bei mir war und nächsten Sonntag wiederkommt, ganz verändert. Er fängt wirklich an zu glauben (wörtlich), dass er noch so etwas erleben könne wie eine soziale Umgestaltung. Ich will hoffen, dass es dauert, und dass unsere „Jebildeten" der Versuchung auf die Dauer widerstehen, den anderen Parteien zu beweisen, dass sie keine Menschenfresser sind. Uber unsere proletarischen Massen habe ich mich nie getäuscht. Dieser sichere, siegesgewisse und eben deshalb heitere und humoristische Fortgang ihrer Bewegung ist musterhaft und unübertrefflich. Kein europäisches Proletariat hätte die Probe des Sozialisten] Gesetzes so glänzend bestanden und nach sechsjähriger Unterdrükkung mit solchem Beweis von Machtzuwachs und Organisationsbefestigung geantwortet; keins diese Organisation so zustande gebracht, wie es geschehen, ohne allen Konspirationshumbug. Und seitdem ich die Wahlmanifeste von Darmstadt und Hannover gesehen,3 ist auch meine Befürchtung geschwunden, es könnten in den neuen Plätzen (Wahlkreisen) Konzessionen nötig geworden sein. Wenn man in diesen beiden Städten so echt revolutionär und proletarisch sprechen konnte, dann ist alles gewonnen. Unser grosser Vorteil ist, dass bei uns die industrielle Revolution erst in vollem Gang ist, während sie in Frankreich und England der Hauptsache nach abgeschlossen. Dort ist die Teilung in Stadt und In Darmstadt hatte der in der Stichwahl unterlegene Bildhauer Ph. Müller sich in einem Flugblatt, dessen Hauptteil im Sozialdemokrat Nr. 46, 14. November veröffentlicht wurde, mannhaft gegen die Vorwürfe der Liberalen verteidigt, er sei Republikaner, Majestätsbeleidiger und Verteidiger der Kommune. — In Hannover, wo H. Meister über den Weifen Brüel in der Stichwahl siegte, wiesen die Sozialdemokraten in einem Flugblatt gegen die Nationalliberalen die Behauptung der Kölnischen Zeitung zurück, Meister sei Anhänger der Bismarckschen Sozialreform. Meister werde nie das Ziel, Beseitigung der Klassenherrschaft, aus dem Auge verlieren. „ D e i n Zuckerbrot verachten wir, deine Peitsche zerbrechen wirl Zwischen den Urhebern des Sozialistengesetzes und der deutschen Sozialdemokratie ist keine Versöhnung möglich." Der Sozialdemokrat, Nr. 47, 21. November.
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Land, Industriegebiet und Ackerbaugebiet soweit abgeschlossen, dass sie sich nur noch langsam verändert. Die Leute wachsen, der grossen Masse nach, in den Verhältnissen auf, in denen sie später zu leben haben, sind daran gewöhnt; selbst die Schwankungen und Krisen sind ihnen etwas fast Selbstverständliches geworden. Dazu die Erinnerung an gescheiterte frühere Bewegungsversuche. Bei uns dagegen ist noch alles in vollem Fluss. Reste der alten, den Selbstbedarf befriedigenden industriellen Bauernproduktion werden verdrängt von kapitalistischer Hausindustrie, während an anderen Orten der kapitalistische Hausbetrieb schon wieder den Maschinen erliegt. Und gerade die Natur unserer, ganz zuletzt nachhinkenden Industrie macht die Revolution um so gründlicher. Da die grossen Massenartikel, sowohl Massenwie Luxusbedarf, bereits von Engländern und Franzosen mit Beschlag belegt, bleibt für unsere Exportindustrie meist nur kleinliches Zeug, was aber doch auch in die Massen geht und zunächst durch Hausbetrieb, erst später, wenn die Produktion massenhaft, durch Maschinen hergestellt wird. Die Hausindustrie (kapitalistische) wird so in viel weitere Gebiete getragen und räumt um so gründlicher auf. Wenn ich Ostelbisch-Preussen, also Ost- und Westprfeussen], Pommern, Posen und den grössten Teil von Brandenburg ausnehme, ferner Altbayern, gibt es wenig Gegenden, wo der Bauer nicht mehr und mehr in die Hausindustrie gerissen wird. Das so revolutionierte Gebiet wird grösser bei uns als irgendwo anders. Ferner. Da der hausindustrielle Arbeiter meist sein bisschen Feldbau betreibt, entsteht die Möglichkeit, auf den Lohn in einer Weise zu drücken wie sonst nirgends. Was früher das Glück des kleinen Mannes war, Verbindung von Ackerbau und Industrie, wird jetzt stärkstes Mittel der kapitalistischen Ausbeutung. Das Kartoffelstück, die Kuh, das bisschen Ackerbau erlaubt, die Arbeitskraft unter dem Preis zu verkaufen; es zwingt dazu, weil es den Arbeiter an die Scholle fesselt, die ihn doch nur zum Teil ernährt. Daher wird bei uns die Industrie exportfähig dadurch, dass sie meist den ganzen Mehrwert dem Käufer schenkt, während der Profit des Kapitalisten aus einem Abzug am normalen Arbeitslohn besteht. Mehr oder weniger ist das der Fall bei aller ländlichen Hausindustrie, nirgends so sehr wie bei uns. Dazu kommt, dass unsere durch die Revolution von 1848 mit ihren bürgerlichen Fortschritten (so schwach sie waren) in Gang gebrachte industrielle Umwälzung enorm beschleunigt wurde 1. durch die Beseitigung der inneren Hindernisse 1866-70 und 2. durch die französischen] Milliarden, die schliesslich kapitalistisch anzulegen waren. So haben wir es denn zu einer industriellen Umwälzung gebracht, die gründlicher und tiefer und räumlich ausgedehnter und umfassender 203
ist als die der anderen Länder, und das mit einem ganz frischen, intakten, nicht durch Niederlagen demoralisierten Proletariat und endlich — dank Marx — mit einer Einsicht in die Ursachen der ökonomischen und politischen Entwicklung und in die Bedingungen der bevorstehenden Revolution, wie sie keine unserer Vorgänger besassen. Dafür aber sind wir auch verpflichtet zu siegen. Was die reine Demokratie und ihre Rolle in der Zukunft angeht, so bin ich nicht Deiner Ansicht. Dass sie in Deutschland eine weit untergeordnetere Rolle spielt als in Ländern älterer industrieller Entwicklung, ist selbstverständlich. Aber das verhindert nicht, dass sie im Moment der Revolution, als äusserste bürgerliche Partei, als welche sie sich ja schon in Frankfurt aufgespielt, als letzter Rettungsanker der ganzen bürgerlichen und selbst feudalen Wirtschaft momentan Bedeutung bekommen kann. In einem solchen Moment tritt die ganze reaktionäre Masse hinter sie und verstärkt sie: alles was reaktionär war, gebärdet sich dann demokratisch. So verstärkte die gesamte feudal-bürokratische Masse 1848, März bis September, die Liberalen, um die revolutionären Massen niederzuhalten und, als dies gelungen, auch die Liberalen, wie natürlich, mit Fusstritten wegzujagen. So herrschte 1848, Mai bis zur Dezemberwahl Bonapartes, in Frankreich die rein-republ[ikanische] Partei des National, die allerschwächste von allen, bloss durch die hinter ihr sich organisierende Gesamtreaktion. So ist es in jeder Revolution gegangen: die zahmste, überhaupt noch regierungsfähige Partei kommt mit ans Ruder, eben weil nur darin die Besiegten die letzte Möglichkeit der Rettung sehen. Nun ist nicht zu erwarten, dass wir im Moment der Krise bereits die Majorität der Wähler, also der Nation, hinter uns haben. Die ganze bürgerliche und der Rest der feudalen besitzenden Klasse, ein grosser Teil des Kleinbürgertums wie der Landbevölkerung schart sich dann um die, sich in der Phrase dann äusserst revolutionär gebärdende, äusserste bürgerliche Partei, und ich halte es für sehr möglich, dass sie in der provisorischen Regierung vertreten sein wird, ja selbst momentan deren Majorität bildet. Wie man dann, als Majorität, nicht zu handeln hat, hat die soz[ial]-dem[okratische] Minorität der Pariser Februarregierung 1848 gezeigt. Indes ist dies letztere vor der Hand noch eine akademische Frage. Nun kann die Sache in Deutschland allerdings anders verlaufen, und zwar aus militärischen Gründen. Anstoss von aussen kann, wie die Sachen jetzt liegen, kaum anders als von Russland kommen. Kommt er nicht, geht der Anstoss von Deutschland aus, so kann die Revolution nur von der Armee ausgehen. Ein unbewaffnetes Volk gegen eine heutige Armee ist militärisch eine rein verschwindende Grösse. In diesem Fall — wo unsere Reserve von 20-25 Jahren, die 204
nicht stimmt, aber exerziert, in Aktion träte, könnte die reine Demokratie übersprungen werden. Diese Frage ist aber gegenwärtig ebenfalls noch akademisch, obgleich ich als sozusagen Repräsentant des grossen Generalstabs der Partei verpflichtet bin, sie ins Auge zu fassen. Jedenfalls ist unser einziger Gegner am Tag der Krise und am Tag nachher — die um die reine Demokratie sich gruppierende Gesamtreaktion, und das, glaube ich, darf nicht aus den Augen verloren werden. Wenn Ihr Anträge im Reichstag stellt, so ist da einer, der nicht vergessen werden sollte. Die Staatsdomänen werden meist an Grosspächter verpachtet, kleinstenteils an Bauern verkauft, deren Parzellen aber so klein, dass die neuen Bauern auf Taglohn-Arbeit bei den grossen Wirtschaften angewiesen sind. Zu verlangen wäre Verpachtung grosser ungeteilter Domänen an Genossenschaften von Ackerbauarbeitern zur gemeinsamen Bewirtschaftung. Das Reich hat keine Domänen, und so wird sich wohl ein Vorwand finden, so etwas als Antrag zu beseitigen. Aber ich glaube, dass dieser Feuerbrand unter die Ackerbautaglöhner geworfen werden muss, was ja bei den vielen staatssozialistischen Debatten geschehen kann. Damit, und damit allein sind die Landarbeiter zu fassen: das ist die beste Methode, sie darauf hinzuweisen, dass sie später bestimmt sind, die grossen Güter der jetzigen gnädigen Herren für gemeinschaftliche Rechnung zu bewirtschaften. Und damit wird Freund Bismarck, der positive Vorschläge von Euch verlangt, auf einige Zeit genug haben. Beste Grüsse Dein F. E. 12. Dezember 1884.
71. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Plauen-Dresden, den 28. Dezember 1884. Lieber Engels!
Ich will, bevor das Jahr zu Ende geht, noch meine Briefschuld abmachen. Singer, den ich vor ein paar Tagen in B[erlin] besuchte — er kam zurück, nachdem der Reichstag bereits in die Ferien gegangen war — brachte mir Grüsse von Dir und zugleich die Nachricht, dass Du sehr wohl seiest. Letzteres freute mich sehr; denn ich hatte nach Deinem vorletzten Briefe einige Sorge wegen Deines Gesundheitszustandes. L[iebknecht] teilte mir ferner mit, dass Du meinst: man müsse die 205
geteilte Abstimmung der Fraktion in der Frage der Dampfersubvention 1 vermeiden; eine prinzipielle Frage sei es nicht. Letztere Auffassung, die L[iebknecht] mir brieflich mitteilte mit dem Ersuchen, weiter davon Kenntnis zu geben, hat bei der Majorität grosse Befriedigung erregt; denn diese war gerade durch meine Auffassung, dass es sich hier um eine prinzipielle Frage handelte, stark beunruhigt, wohingegen L[ie]bk[necht], der sonst mit mir übereinstimmte, die prinzipielle Seite auch verneinte. Ich will hier kurz anführen, dass wir über die D[ampfer]s[ubventions] frage in der Fraktion drei lange und sehr heisse Sitzungen hatten. Vollm[ar] und ich betrachteten die Frage als prinzipielle. L[ie]bk[necht] vermittelte; die grosse Majorität, Auer und Dietz als Führer, betrachteten sie als reine Zweckmässigkeitsfrage und verteidigten sie in der Hauptsache mit denselben Gründen wie die Bourgeoisie. In möglichster Kürze dargelegt, ist meine Auffassung: Die D[ampfer]s[ubvention] ist eine Unterstützung der Bourgeoisie in erster Linie, bei der nur in sehr untergeordnetem Grade f[ür] die Arbeiter etwas abfällt. Diese Subvention zugelassem, gibt es keine Grenze mehr; denn alles, was der Bourgeoisie nützt, nützt bis zu einem gewissen Grade auch den Arbeitern, z.B. Schutzzölle, Getreidezölle f[ür] d[en] Grossgrundbesitzer etc. etc. Die D[ampfer]s[ubvention] ist von der Kolonialpolitik und der auswärtigen] Politik nicht zu trennen; die eine unterstützen, zwingt mit Notwendigkeit zur Unterstützung der anderen. Dass man die Schiffe eventuell als Kreuzer zu benutzen gedenkt, hat einer der Kommissare in der Kommission, ein Seekapitän, ungeschickterweise eingestanden. Ist der Nutzen für die Arbeiter sehr zweifelhaft, so ist unzweifelhaft, dass bei der Form, in welcher die Lasten aufgebracht werden — indirekte Steuern und Zölle — die Arbeiter den Löwenanteil der Subvention tragen. Einen Handel in der Art einzugehen: wir bewilligen die Subvention, bewilligt uns auch für Arbeiterzwecke, scheint mir mehr als bedenklich, führt notwendig zur Korruption der Partei und zerrüttet dieselbe, macht uns zu Mitschuldigen der Bourgeoisie und des Systems. Denn bei dgl. Handelsgeschäften kommt erfahrungsgemäss das Volk stets am schlechtesten weg. Zu alledem kommt, dass die Subvention nach Ansicht der SachNach der Vorlage über die Dampfersubvention gewährte das Reich dem Norddeutschen Lloyd für Postdampferlinien nach Ostasien und Australien auf fünfzehn Jahre eine Subvention von vier Millionen Mark, um die Anknüpfung wirtschaftlicher Beziehungen zu erleichtern. Die Vorlage wurde am 23. März 1885 vom Reichstag angenommen; es war die erste Bewilligung für koloniale Zwecke. S. a. den folgenden Brief.
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verständigen, wenn die Linien leisten sollen, was man verlangt, bei weitem nicht reicht. Man will nur das A haben, um das B zu erhalten. Ferner, hat man diese Linien, so wird man genau mit denselben Gründen andere dort unten in der Südsee verlangen können. Die Kolonialerwerbungen in der Südsee und im Stillen Ozean fangen an, bedenklich zu werden, weil sie abenteuerlich sind. Aus alledem folgt dann die Notwendigkeit v[on] Kohlenstationen, Seebefestigungen, Kriegsschiffstationen etc etc. Wo soll da haltgemacht werden? Unter solchen Umständen war ich froh, dass schliesslich die Mehrheit die Freigabe der Abstimmung votierte, gleichzeitig aber auch beiden Teilen das Reden über die Frage im Reichstag verbot. Letzteres macht sich freilich etwas seltsam, ist aber doch besser, als wenn beide Teile sich offen bekämpften. Die Abstimmung in zwei Lagern wird freilich böses Blut machen, aber das ist sowieso nicht zu verhindern. Wenn man uns, die Minorität, majorisieren will, so werden wir sicher nicht mit abstimmen, und das fällt auch auf und wird gegnerischerseits ausgebeutet. Von den zweiundzwanzig waren sechzehn für, sechs gegen die Subvention, und von letzteren war einer nicht ganz fest. Wahlpolitik und Furcht vor Angriffen der Gegner, die man nicht genügend widerlegen zu können glaubt, spielen bei der Frage eine grosse Rolle in der Fraktion. Wie die beiden Neugewählten denken, weiss ich nicht. Die Wirkung des Soz[ialisten]ges[etzes], dass uns eine Presse fehlt, die scharf und offen eingreift und Klarheit schafft, macht sich sehr geltend. Der S[ozial]d[emokrat] genügt nicht. Gegner sind L[ie]bk[necht], Vollmjar], Stolle, Rödiger, Heim und ich.2 Was Du in Deinem letzten Briefe über die Entwicklung unserer deutschen Verhältnisse sagst, ist unzweifelhaft vielfach richtig. Aber ich glaube doch, dass Du unsere Entwicklung und unsere tatsächliche ökonomische Macht, namentlich Frankreich gegenüber, unterschätzest. Beachte, dass wir fast dreimal soviel Dampfpferdekräfte rein industriell in Tätigkeit haben als Frankreich; und unser Ubergewicht in der Gross- und Massenproduktion ist eklatant. Aber auch auf dem rein kunstgewerblichen Gebiet und in der Entwicklung des Geschmacks überhaupt und zweckmässiger Arbeitsmethoden haben wir in den letzten zehn Jahren kolossale Fortschritte gemacht. Franzosen und Amerikaner sind hauptsächlich die Vorbilder gewesen. Die Annexion von Elsass-Lothringen hat unsere gesamte Baumwollen-
2 H. Rödiger war in Gera, Fr. Harm in Barmen-Elberfeld, W . Stolle in Crimmitschau-Zwickau gewählt worden.
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Industrie, wie ich dies 1871 auf einem Weberkongress voraussagte,3 vollständig revolutioniert, sowohl in der Geschmacksausbildung wie in der Technik. Industriestädte, wo damals kaum ein Dutzend hohe Essen standen, zählen heute deren in die Hunderte, und in demselben Masse ist die Hausindustrie vernichtet worden. Auch im Kunstgewerbe, z.B. in der Bronzewaren-Fabrikation stehen wir, Berlin hinter Paris, nicht mehr zurück. Der Import französischer] Luxusartikel hat sehr bedeutend abgenommen; umgekehrt ist unser Export speziell sogar nach Frankreich in denselben sehr wesentlich gestiegen. Die in England und Frankreich sich stetig steigernde Krise, die dort fast schärfer haust als bei uns, ist wesentlich der Konkurrenz Deutschlands in einer ganzen Reihe von Hauptindustrien geschuldet. Natürlich ist diese Konkurrenz nur möglich bei stetig sich verbessernden Produktionseinrichtungen und Hungerlöhnen. Die Situation wird dabei immer bedenklicher, und diesem Umstand ist die krampfhafte Anstrengung Bismarcks nach Kolonien, um neue Absatzquellen zu erlangen, geschuldet. Interessant war, dass Abgeordneter] Hammacher,4 Vertreter der Bourgeoisie par excellence, mir dies in der Dampf[er]s[ubventions]-Kommission zugab. Ich wisse doch selbst, meinte er, dass unsere Grossindustrie einem überheizten Dampfkessel gleiche, der platze, wenn er nicht Abzug finde. Ich habe das Bild mit Vergnügen akzeptiert, aber den Herrn, der ein Hauptschutzzöllner ist, auch darauf verwiesen, dass sie mit ihren Schutzzöllen diese Uberheizung wesentlich herbeigeführt hätten, und nun solle abermals eine Pferdekur mit Staatshilfe notwendig sein. Du wirst mittlerweile gelesen haben, welche Versuche der linkeste Flügel unserer Bourgeois-Idealisten machte, um sich als demokratische Partei aufzutun.5 Die Bourgeoispresse inklusive] der Frankfurterin, die sich immer mehr nach rechts entwickelt, schrieben der neuen Partei Absagebriefe, und in unseren Reihen lautete auf die halbsozialistischen Forderungen die Antwort: Herein zu uns, wenn's Euch Ernst ist. A.m.L., II, S. 228f. A. Bebel, Wie unsere Weber leben, 2. Aufl. (Leipzig, 1880), S. 4f. 4 Friedrich Hammacher (1824-1904), nationalliberales Mitglied des preussischen Abgeordnetenhauses seit 1863, des Reichstages mit einigen Unterbrechungen seit 1869. Vertreter der rheinisch-westfälischen Montanindustrie. 5 Es dürfte der Versuch gemeint sein, in Berlin eine Demokratische Partei zu gründen, über den Der Sozialdemokrat in Nr. 51, 18. Dezember berichtete. Sie setzte sich das Ziel, diejenigen, denen die Freisinnige Partei nicht radikal genug war, von der Sozialdemokratie fernzuhalten. Eine der treibenden Kräfte bei dieser Gründung war Dr. Phillips, Bebels Gegenkandidat in Mainz 1881, s. Brief Nr. 38, und Chefredakteur der Volks-Zeitung, Berlin. 3
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Aus Österreich lauten die Nachrichten über die Krise ausserordentlich ernst; nur ist dort leider noch keine Partei vorhanden, welche die Situation ausnutzen könnte. Die Korruption, die in Österreich alles durchdringt, sitzt auch unter den Wortführern der Arbeiterklasse. Die fortgesetzten Verhaftungen anarchistischer Klubteilnehmer zeigen, dass die Polizei überall ihre Hand im Spiele hat und von allem weiss.8 Zum Schluss eine Neuigkeit, die mich betrifft. Meine seit Jahren währende Ausweisung und die daraus folgende Isolierung vom Geschäft hatten mein Verhältnis zu meinem Sozius mir höchst drückend gemacht; ich fühlte mich allmählich in die Stellung eines Geschäftspensionärs versetzt, und das wurde mir unerträglich. So habe ich Issl[eib] den Vorschlag gemacht, meinen Austritt aus d[em] Geschäft zu akzeptieren. Darauf ist er eingegangen, und die Auseinandersetzungen sind ziemlich soweit gediehen, dass ich wahrscheinlich mit dem 31. Dez[ember] aufhöre, „Fabrikant" zu sein.7 Die Abfindung fällt so aus (nach Abzug m [einer] Schulden zweiundzwanzigtausend Mark), dass ich durch die Zinsen kaum den dritten Teil dessen habe, was ich brauche. Ich werde nun auf fünf Jahre noch Reisender des Geschäfts bleiben (v[on] April bis September), wodurch ich einen weiteren Teil für m[eine] Existenz erwerbe, gleichzeitig aber doch auch im praktischen Leben stehen bleibe, was ich für sehr wichtig halte. Für den Rest meiner Subsistenzmittel werde ich durch Schriftstellerei sorgen müssen. Das ist sehr gegen meinen Wunsch, lässt sich aber nicht ändern. Jedenfalls bin ich nunmehr ein relativ freier Mann und schulde einem anderen für meine Subsistenz keinen Dank. Bei mir zeigt sich wieder, wie eine hervortretende politische Stellung mit gewöhnlicher geschäftlicher Existenz auf die Dauer unmöglich wird. Geib und Bracke wären daran zugrunde gegangen, wenn sie länger lebten; und auch ich wäre längst kaputt, wenn nicht immer wieder ein glücklicher Zufall mich hielt. — Ein glückliches neues Jahr von mir und meiner Familie Dein A.
6 7
BEBEL.
S. darüber L. Briigel, Geschichte, III, S. 322 ff. S. Brief Nr. 8, Anm. 1.
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7 2 . E N G E L S AN B E B E L
London, den 30. Dezember 1884.
Original. Lieber Bebel!
Ich beantworte Deinen Brief sofort. Freund Sfinger] scheint von meinen Äusserungen nur das aufgefasst zu haben, was mit seinen Ansichten harmonierte — man lernt dies leicht im Geschäft, wo es manchmal von Vorteil ist; aber in der Politik, wie in der Wissenschaft, muss man doch lernen, die Sachen objektiv auffassen. Erstens sagte ich S[inger], dass ich mir den Fall noch keineswegs reiflich überlegt (erst abends vorher hatte mich der S[ozial]-D[emokrat] darauf gelenkt1) und dass das, was ich ihm sage, keineswegs als meine endgültige Meinung zu fassen sei. Dann aber sagte ich: unter Umständen und Bedingungen könne es allerdings zulässig werden, dafür zu stimmen, d.h. wenn die Regierung sich verpflichte, dieselbe Staatshilfe, die sie jetzt den Bourgeois bewilligen wolle, auch den Arbeitern zu bewilligen. Also namentlich Verpachtung von Domänen an Arbeitergenossenschaften etc. Da ich nun weiss, dass die Regierung dies nicht tun wird, so heisst das mit anderen Worten: den Leuten, die dafür stimmen möchten, einen Weg zeigen, wie sie mit Anstand und ohne sich Zwang anzutun, dagegen stimmen können. Auch sagte ich Singer, was ihm neu zu sein schien, dass man im parlamentarischen Leben wohl einmal in den Fall kommen könne, gegen etwas stimmen zu müssen, von dem man im stillen wünsche, dass es doch durchgehe. Nun schrieb ich gestern in anderen Angelegenheiten an Liebknecht und nahm die Gelegenheit wahr, ihm meine jetzt durch längere Uberlegung mehr gereifte Ansicht darüber darzulegen.2 Sie stimmt — lass 1 E r teilte in Nr. 50, 11. Dezember mit, die Reichstagsfraktion habe nach längeren Debatten beschlossen, die Abstimmung über die Dampfersubvention offen zu lassen. Die Mehrheit sei der Ansicht, dass es sich um eine Zweckmässigkeitsund nicht um eine Prinzipienfrage handle. Werde nachgewiesen, dass die Ausführung des Regierungsprojektes dem Handel und der Industrie förderlich sei, und wenn dem Reichstag die Kontrolle übertragen werde, gedenke der grössere Teil der Fraktion für die Dampfersubvention zu stimmen. Dietz und Bebel seien Vertreter der Fraktion in der Reichstagskommission zur Prüfung der Vorlage. 2 Liebknecht zitierte diesen Brief vom 29. Dezember 1884 in seinem Artikel „Zur Dampfersubvention" im Sozialdemokrat, Nr. 2, 8. Januar 1885. Nachdem er festgestellt hatte, dass geteiltes Abstimmen an den „üblen Eindruck" erinnere, „den seinerzeit das geteilte Abstimmen gelegentlich der Schutzzölle hervorbrachte", fuhr er fort: „Und das bringt uns zu einem Vorschlag, welchen einer unserer bewährtesten und kompetentesten Parteigenossen macht, ein Vorschlag,
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Dir gelegentlich die Stelle vorlesen — in vielen Dingen fast wörtlich mit dem, was Du schreibst, obwohl Dein Brief erst heute morgen ankam. Worin ich abweiche, ist kurz dies: 1. Ihr seid vor allem eine ökonomische Partei. Ihr oder manche unter Euch haben mit der ökonomischen Überlegenheit der Partei seinerzeit enorm geflunkert; aber als die erste ökonomische Frage praktisch vor Euch trat, da fielt Ihr — bei den Schutzzöllen — auseinander. Wenn das bei jeder ökonomischen Frage sich wiederholen soll, wozu denn überhaupt die ganze Fraktion? 2. Prinzipiell sollte dagegen gestimmt werden. Das habe ich L i e b knecht] deutlich genug gesagt. Wenn nun aber die Mehrzahl dafür stimmen will? Dann ist das einzige, sie dahin zu bringen, dass sie an ihr Votum solche Bedingungen knüpft, die es soweit entschuldigen, dass wenigstens keine Blamage vor Europa, die sonst unvermeidlich, eintritt. Diese Bedingungen sind aber derart und können nur derart sein, dass die Regierung nicht darauf eingehen kann, also die Majorität der Fraktion, wenn sie an diese Bedingungen ihr Votum knüpft, nicht dafür stimmen kann. An ein bedingungsloses Stimmen für diese Schenkung von Arbeitergroschen an die Bourgeoisie habe ich selbstredend nie denken können. Aber ebensowenig konnte doch auch bei dieser Gelegenheit die Kabinettsfrage — die Sprengung der Fraktion — in Aussicht genommen werden. Bei allen solchen Fragen, wo man auf kleinbürgerliche Vorurteile der Wähler Rücksicht nehmen will, ist meiner Ansicht nach der beste Weg, zu sagen: Prinzipiell sind wir dagegen; aber da Ihr positive Vorschläge von uns verlangt und behauptet, diese Dinge kämen auch den Arbeitern zugute, was wir bestreiten, soweit ein mehr als mikroskopischer Vorteil in Frage kommt — nun gut: stellt Arbeiter und der vielleicht zu einer Verständigung innerhalb der Fraktion führen könnte. .Will', so schreibt unser Genosse, ,will die Fraktion sich nicht einfach ablehnend verhalten, so kann sie nach meiner Meinung zu dieser Staatshilfe für die Bourgeoisie, die möglicherweise (was freilich erst zu beweisen) den Arbeitern indirekt zugute kommen kann, nur dann ihre Einwilligung geben, wenn ebensolche Staatshilfe für die Arbeiter zugesichert wird. Gebt Ihr uns 4-5 Millionen jährlich für Arbeitergenossenschaften (nicht Vorschuss, sondern Schenkung, wie für die Reeder), dann lassen wir mit uns reden. Gebt Ihr uns Garantien, dass in Preussen die Domänen statt an Grosspächter oder an Bauern, die ohne Tagelöhnerarbeit existenzunfähig sind, an Arbeitergenossenschaften ausgepachtet werden sollen, dass öffentliche Arbeiten an Arbeitergenossenschaften statt an Kapitalisten verdungen werden, gut, wir wollen ein übriges tun. Wenn nicht, nicht.' Wenn die Fraktion solche Vorschläge macht, wofür natürlich die richtige Form gefunden werden muss, dann wird niemand den sozialdemokratischen Abgeordneten vorwerfen können ,sie vernachlässigten über der Zukunft die gegenwärtigen Bedürfnisse der Arbeiter . .
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Bourgeoisie auf gleichen Fuss. Für jede Million, die Ihr direkt oder indirekt der Bourgeoisie aus dem Sack der Arbeiter schenkt, schenkt Ihr eine Million den Arbeitern; ebenso bei Staatsvorschuss. Also etwa folgendes (nur beispielsweise, und ohne mich an die Form zu kehren, die das für Deutschland speziell anzunehmen hätte, — dazu kenne ich die bestehende Detailgesetzgebung zu wenig): 1. Bewilligung von Subventionen und Vorschüssen an Arbeitergenossenschaften, nicht um und nicht sosehr um neue Geschäfte zu gründen (was nur der Lassallesche Vorschlag mit allen seinen Mängeln wäre), sondern namentlich a) um Domänen in Pacht zu nehmen und genossenschaftlich zu bewirtschaften (oder auch andere Landgüter), b) um Fabriken etc., deren Eigentümer in Krisenzeit oder auch wegen Fallite den Betrieb einstellen, oder die sonst zum Verkauf kommen, für eigene oder Staatsrechnung anzukaufen und genossenschaftlich zu betreiben und so den allmählichen Übergang der gesamten Produktion in genossenschaftliche einzuleiten. 2. Bevorzugung der Genossenschaften vor den Kapitalisten und deren Assoziationen bei allen öffentlichen Verdingungen, bei gleichen Bedingungen, also überhaupt im Prinzip möglichste Verdingung aller öffentlichen] Arbeiten an Genossenschaften. 3. Hinwegräumung aller gesetzlichen Hindernisse und Erschwerungen, die den freien Genossenschaften noch im Wege stehen, also vor allem Wiedereinsetzung der Arbeiterklasse in das gemeine Recht — so elend dies ist — durch Aufhebung des Soz[ialisten]-Gesetzes, das ja alle Fachvereine und Genossenschaften ruiniert. 4. Volle Freiheit für Fachvereine (Trade Unions) und deren Anerkennung als juristische Personen mit allen deren Rechten. Wenn Ihr das verlangt, so verlangt Ihr nur gleiche Berücksichtigung für die Arbeiter wie für die Bourgeois; und wenn die Schenkungen an Bourgeois die Industrie heben sollen, dann tun die an Arbeiter das doch noch viel mehr. Ohne solche Gegenleistung begreife ich absolut nicht, wie eine soz[ial]-dem[okratische] Fraktion für so etwas stimmen könnte. Wenn Ihr solche Forderungen ins Volk werft, so werden die Drängeleien wegen der Staatshilfe für die Industrie in Form von Schenkungen an Bourgeois auch bei den Wählern bald aufhören. Das sind alles Dinge, die von heute auf morgen eingeleitet und in einem Jahr in Gang gebracht werden können, und denen nur die Bourgeoisie und die Regierung im Wege stehen. Und doch sind es für heute grosse Massregeln, die die Arbeiter ganz anders packen müssen als Dampfersubvention, Schutzzölle etc. Und die Franzosen verlangen im wesentlichen dasselbe. Nun aber kommt noch eins, was sich erst jetzt herausgestellt: es ist 212
sehr möglich, dass die Sozialdemokraten] bei der Abstimmung den Ausschlag geben. Und die unendliche Blamage vor der ganzen Welt, wenn die Sache, Donation an die Bourgeoisie, zustande käme durch Eure Stimmen und ohne Gegenleistung! Ich weiss wahrhaftig nicht, was ich dann den Franzosen und den hiesigen Leuten sagen sollte. Und welcher Triumph bei den Anarchisten, die jubeln würden: da habt ihr's, es sind reine Spiesser! Auf die anderen Sachen gehe ich ein andermal ein. Es liegt mir daran, Dich in dieser Sache keinen Augenblick in Zweifel über meine Ansicht zu lassen. Ich hoffe, dass die Änderung Deiner geschäftlichen] Verhältnisse vor allem Deiner Gesundheit zuträglich ist. Und herzlichen Glückwunsch Dir und Deiner Familie zum neuen Jahr"
Dein F. E.
Dass das Geld nicht reichen wird, ist sonnenklar. Auch das habe ich S[inger] gesagt, dass, wer dafür stimmt, konsequent auch für Kolonien stimmen muss. Was hier den Geldpunkt angeht, sieh meinfen] Brief an Liebkn[echt].3 Vom 29. Dezember 1884.
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7 3 . E N G E L S AN B E B E L
London, den 19. Januar 1885.
Original. Lieber Bebel!
Meinen letzten eingeschriebenen] Brief in Sachen Dampfervorlage (vom 30. oder 31. Dez[ember]) hast Du hoffentlich erhalten. Heute habe ich Dich mit einer Anfrage zu belästigen. Herr Franz Mehring schreibt mir jetzt zum zweiten Mal, ich soll ihm Material für eine Biographie etc. von Marx zur Verfügung stellen, und macht mir unter anderm die unverschämte Zumutung, ihm unersetzliche Schriften von uns, die er sich dort nicht verschaffen kann, „leihweise" nach Berlin zu schicken! Ich werde ihm nicht antworten, aber ihm Bescheid durch Hirsch zukommen lassen. Um aber dafür den richtigen Ton zu treffen, möchte ich etwas Bestimmteres über seine Vergangenheit und Gegenwart und über seine Stellung gegenüber der Partei wissen. Ich weiss nur im allgemeinen, dass er vor 1878 im Volksst[aat] und Vorwärts als von der Partei abgefallen und als Reptil ziemlich hart mitgenommen wurde,1 und sah aus den wenigen Schriften, die mir von ihm in Anlässlich des Feldzuges Mehrings gegen Sonnemann, der Verhandlungen des Gothaer Sozialisten-Kongresses 1 8 7 6 und Mehrings antisozialistischer Schrift. S. Th. Höhle, Franz Mehring, S. 115ff.
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die Hand fielen, dass er seine nähere Bekanntschaft mit der Bewegung, soweit sie reicht, literarisch vernutzt, um dem Philister „Wahrheit und Dichtung" darüber in beliebiger Quantität zu liefern und sich als Autorität in diesen Dingen aufzuspielen. Hat er spezielle Gemeinheiten begangen, die ihn vor dem übrigen Literatengesindel besonders auszeichnen, so wäre mir das sehr nützlich zu wissen. Dann noch eins. Man drängt mich sehr wegen Neuausgabe der „Lage der arbeitenden] Klasse".2 Da kann ich absolut nichts tun, ohne meine rechtliche Stellung zu Wigand, dem alten Verleger, vorher zu kennen. Ich habe bei Liebkn[echt] xmal deshalb angefragt, und er hat wie immer übernommen, mir die Auskunft von Freytag zu verschaffen, aber ich habe nie welche erhalten; und wer sich dann darüber wunderte, dass nichts erledigt war, war natürlich Liebkn[echt]. Da es also Torheit wäre, ihn weiter mit Geschäften zu behelligen, die erledigt werden müssen, so muss ich Dich wiederum belästigen und bitte Dich, mir von Frfeytag] oder sonst einem sächsischen Advokaten die inliegenden] Fragen beantworten zu lassen. Sobald ich diese Antwort habe, kann ich und werde ich vorgehen. Um auf die industrielle Stellung Deutschi [ an ]ds zurückzukommen, so gebe ich den enormen Fortschritt seit 1866 und besonders seit 1871 gern zu. Aber der Vergleich mit anderen Ländern bleibt doch. Die Massenartikel waren von England, die feineren Luxus- und Geschmacksartikel von Frankreich mit Beschlag belegt, und darin hat sich doch nicht so enorm viel geändert. In Eisen allerdings steht Deutschland, neben Amerika, nur noch hinter England zurück; die engl[ische] Massenproduktion ist aber noch lange nicht erreicht, und die Konkurrenz damit nur dann möglich, wenn mit Verlust verkauft wird. In Baumwolle macht Deutschland nur Nebenartikel für den Weltmarkt. Die enormen Massen Garne und Gewebe (Shirtings und andere Massenartikel) für den indischen und chinesischen Markt sind immer noch englisches Monopol; und wer da konkurriert, ist nicht Deutschland, sondern Amerika. Auch in den Wollenwaren beherrscht England noch den Weltmarkt, dito in Leinen (Irland). Metallwaren zum Hausgebrauch etc. haben noch ihr Zentrum in Birmingham, die Messerwaren in Sheffield, und die drohendste Konkurrenz ist wieder die amerikanische, nicht die deutsche. Maschinerie (Lokomotiven ausgenommen) England und Amerika. Was Geschmacksartikel angeht, so hat Frankreich viel verloren. Auch hier hat sich der Geschmack bedeutend entwickelt, und in 2 Die Lage der arbeitenden Klasse in England war 1845 bei O. Wigand in Leipzig erschienen. Die Restauflage wurde ebd. 1848 als „Zweite Ausgabe" herausgegeben. Die „Zweite durchgesehene Auflage" erschien erst 1892 im Verlag J. H. W. Dietz, Stuttgart.
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Deutschland unbedingt auch. Beide Länder aber, und namentlich Deutschland, liefern doch nur, der Hauptsache nach, Artikel zweiten, dritten und vierten Ranges und hängen noch immer vielfach vom Pariser Geschmack ab. Inzwischen ist klar, dass bei den aus fast ausschliesslich Emporkömmlingen bestehenden Käufern die Artikel zweiten und dritten Ranges eine grosse Rolle spielen und diesen Knoten für ersten Rang verkauft werden können. Das aber ist sicher, die grosse Masse der deutschen Ausfuhr setzt sich zusammen aus einer Unzahl von, einzeln genommen, mehr oder weniger unbedeutenden Artikeln, deren Anfertigung zudem, soweit Geschmack ins Spiel kommt, grossenteils auf Diebstahl von Pariser Mustern beruht. Z.B. die Berliner Frauenmäntelkonfektion, wo dies in den Berichten der Köln[ischen] Z[ei]t[un]g offen eingestanden wird. Dabei wird grossenteils auswärtiger Stoff verarbeitet. Ich glaube, der Weltmarkt beurteilt sich von hier aus richtiger als von dort; dabei aber habe ich auch die speziell deutschen Handelsberichte regelmässig verfolgt und sehe also beide Seiten. Ich wollte, ich hätte einmal die Zeit, von diesem Standpunkt aus die Schutzzölle in Deutschland darzustellen. Sie sind der grösste Blödsinn. Die deutsche Industrie war unter einem ausser England in keinem Industrieland so grossen Freihandel gross und exportfähig geworden — und da, wo sie exportfähig wird, zwängt man sie in Schutzzölle einl Dass Exporteurs Schutzzölle verlangen, ist das Bezeichnende für Deutschland: wir müssen sie haben, um im Ausland mit Verlust verkaufen zu können und doch am Jahresschluss noch zu verdienen! Was wir dem Ausland schenken, muss uns das Inland zahlen: ganz wie wir den Mehrwert dem Ausland schenken und uns einen Profit machen durch Abzug am Arbeitslohn! N.B. Der biedere Mehring ist Verfasser der „Leitartikel" der Demokratischen] Blätter,3 er schickt sie mir als Gesinnungsbeleg ein! Dein F. E.
Die von den Fortschrittlern Lenzmann und Phillips in Berlin herausgegebene Wochenschrift Demokratische Blätter erschien 1884-86. In einer dem Sozialdemokrat gesandten „Berichtigung" Mehrings hiess es: „. . . Die Unrichtigkeit auch dieser Behauptung [dass er die Partei anlässlich der Fraktionserklärung, s. Brief 75, Anm. 1, verleumdet habe] dürfte hinlänglich daraus hervorgehen, dass die sozialwissenschaftlichen Aufsätze der Demokratischen Blätter, von welchen Sie selbst erst kürzlich gesagt haben, dass dieselben ,oft recht gut' seien und in sozialdemokratischen Kreisen gern gelesen würden, fast durchweg aus meiner Feder herrühren . . ." Nr. 21, 21. Mai 1885. 3
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7 4 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin, den 7. Februar 1885.
Original. Lieber Engels!
Anbei bekommst Du ein Rechtsgutachten von einem tüchtigen sächsfischen] Juristen. Die Sache steht also so, dass W[igand] Dich in der Tasche hat und eine zweite Auflage von ihm nicht zu erlangen ist. Die einzige Möglichkeit, das Buch herauszugeben, und zwar so, dass es auch unsere Leute kaufen können, wird sein, wenn dasselbe in einem Lande erscheint, mit dem Deutschland keine Konvention hat, also die Vereinigten] Staaten. Freilich ist es dann dem Buchhandel verschlossen, da kein Buchhändler sich zum Vertrieb hergeben kann, wenn W[igand] protestiert. Doch Du wirst nach dem jetzt vorliegenden Gutachten am besten wissen, was Du zu tun hast. Das Verlangen Mehrings ist einfach unverschämt. Der Kerl hat uns seit Jahr und Tag in der Presse, Weserzeitfung] etc. in der unverschämtesten Weise angegriffen und verdächtigt; in der letzten Zeit ist das allerdings etwas anders geworden, und er hat uns sogar hier und da ein wenig in Schutz genommen.1 Er ist aber eine Dreckseele, mit der wir keine Gemeinschaft haben können. Soviel ich weiss, hat auch Hirsch alle Beziehungen mit ihm abgebrochen, da er behauptet, er habe ihn der Berl[iner] Polizei denunziert. Da H[irsch] mit solchen Beschuldigungen etwas rasch bei der Hand ist — ich glaube, er leidet ein wenig an Verfolgungswahn, — will ich auf diese Behauptung nicht des näheren eingehen. Ich an Deiner Stelle würde dem Kerl gar nicht antworten. Was sagst Du dazu, dass die Fraktion mit zwölf gegen acht Stimmen die Feststellung eines Minimallohnes durch die Arbeitskammern in den Arbeiter-Schutzgesetzentwurf aufgenommen hat?2 1 Seit Mitte 1882 war Mehring Gegner des Sozialistengesetzes; die Haltung der Arbeiter gegenüber den Verfolgungen beeinflusste vermutlich seinen Gesinnungswandel. Th. Höhle, a.a. O., S. 155ff. 2 Der Entwurf eines Arbeiterschutzgesetzes, der Abänderungen der Titel I, II, VII, IX, X und der Schlussbestimmungen der Gewerbeordnung vorsah, wurde in der letzten Januarwoche von der Fraktion beraten und sogleich dem Reichstag zugeleitet. Er beschäftigte sich mit der Regelung der Gefängnisarbeit, dem Maximalarbeitstag von zehn Stunden, dem Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit mit Festsetzung der Ausnahmen, dem Verbot der Beschäftigung von Frauen und Jugendlichen in bestimmten Betrieben, der wöchentlichen Lohnzahlung. Der Passus über die Arbeitsämter lautete: „Die Einrichtung von Arbeitsämtern und einem Reichsarheitsamt an der Spitze. . . Die Arbeitskammern werden zur Hälfte aus Vertretern der Arbeitgeber, zur Hälfte aus denen der Arbeiter zusammengesetzt, wobei jede Klasse für sich wählt. Sie üben die Funktion von gewerblichen Schiedsgerichten mit bedeutend erweiterten Vollmachten (Begutachtung der Fa-
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Dafür Hasenclever, Geiser, Bios, Grilienberger etc. Dagegen Liebknecht, Vollmar, Schumacher, ich etc. Vier, darunter Auer, waren nicht anwesend. Drei erklärten tags darauf privatim, dass sie den Antrag als undurchführbar und Unsinn hielten; und nun steht er im Entwurf, und wir sind bei jedem Denkenden blamiert. Hätten unsere Gegner ein wenig mehr Verstand, als sie haben, so würden sie uns gründlich verhauen; so sind sie aber so dumm, dass sie in die Welt schreiben: mit diesem Antrag hätten wir den Boden der bürgerlichen] Wirtschaftsordnung verlassen und kämen mit rein sozialistischen Anträgen. Ob im Reichstag ein gescheiterer Gegner entsteht, muss abgewartet werden;3 jedenfalls werde ich als einer der Verteidiger des Entwurfes (erst Grill [enberger], dann ich) denselben in diesem Punkte preisgeben. Deinen Brief vom 30. Dezemb[er] habe ich erhalten. Die Dampfersubvention ist nunmehr in ein anderes Stadium getreten, und zwar wesentlich durch unsere Schuld. Indem es mir gelang, Dietz für die australische] Linie umzustimmen, fiel dieselbe, und aus Wut Hessen nun die Reg[ierungs]anhänger auch die ostasiatische Linie fallen. Im Plenum wird nun der Kampf um so heftiger entbrennen und ebenfalls in der Fraktion. In letzterer werden sich die Anhänger wahrscheinlich nur auf die ostasiatische Linie beschränken. Ich bekämpfe jede Subvention und hoffe, dass unsere Minorität sich vergrössert. In aller Eile und mit besten Grüssen Dein A.
BEBEL.
brikordiwngen, von gesetzlichen Massregeln etc., Festsetzung von Minimallöhnen, Veranstaltung von gewerblichen Untersuchungen usw.)." 3 Der konservative Abg. Hartmann beschäftigte sich bei der Beratung des Entwurfs kritisch mit der Minimallohn-Forderung. Bebel gab zu, dass es in der Sozialdemokratie verschiedene Meinungen darüber gebe; aber man könne immerhin einen Versuch damit machen. Der Entwurf wurde der Kommission überwiesen. Erste Berathung des von der sozialdemokratischen Reichstags-Fraktion eingebrachten Arbeiterschutz-Gesetzentwurf. (Nach dem amtlichen stenogr. Bericht.) (München, [1885]), S. 30ff„ 39, 43.
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7 5 . ENGELS AN
BEBEL
London, den 4. April 1885.
Original. Lieber Bebel!
Da Du jetzt gerade zu Hause bist, so will ich — indem ich mir auch einige Ferien gemacht— den Moment benutzen, Dir ein Lebenszeichen zu geben. Die Herren von der Fraktionsmajorität wollen sich also doch als „Macht" konstituieren, nach ihrer Erklärung im heutigen Sfozial]Dfemokrat]1 zu urteilen. Der Versuch als solcher ist schwach, es ist im Grund ein selbstausgestelltes Armutszeugnis: wir ärgern uns über die Haltung des Blattes, sie widerspricht der unsrigen, wir sollen verantwortlich sein für das Gegenteil unsrer Meinung, und wir wissen doch nicht, wie dem abzuhelfen — man bedaure uns! — Aber es ist zugleich ihr erster Schritt zur Konstituierung des kleinbürgerlichen Elements als des herrschenden, offiziellen in der Partei und zur Zurückdrängung des proletarischen zu einem nur geduldeten. Wieweit sie auf diesem Wege sich vorwärts riskieren wollen, bleibt abzuwarten. Bemächtigen sie sich des S[ozial]-D[emokrat], so wird es mir unmöglich, fernerhin die Partei im Ausland so unbedingt durch dick und dünn zu verteidigen wie bisher. Und ihre Untersuchungskommission scheint gewisse Gelüste nach Besitz des Organs zu verraten. Übrigens scheint der Hauptärger der zu sein, dass man sie schliesslich doch gezwungen hat, gegen die Dampfervorlage zu stimmen,2 an der sie im Innersten der Seele hingen. Im übrigen geht's in der Welt recht hübsch voran. Das Jahr 1885 lässt sich vortrefflich an. In Frankreich Sturz Ferrys, Zusammenbruch der von Börsenspekulanten geleiteten Kolonialpolitik, Neuwahlen nach neuem Wahlgesetz bevorstehend. Dabei in Paris eine, durch die In Nr. 14, 2. April, erschien die Erklärung der Fraktion vom 20. März, die sich gegen „offene und versteckte Angriffe" gegen die Fraktion, vor allem anlässlich der Dampfersubvention, im Sozialdemokrat wandte. Der Schluss lautete: „Insbesondere ist es Pflicht der Redaktion des Sozialdemokrat, . . . nie zu vergessen, dass das Parteiorgan unter keinen Umständen in Gegnerschaft zur Fraktion treten darf, welche die moralische Verantwortlichkeit für den Inhalt desselben trägt. Nicht das Blatt ist es, welches die Haltung der Fraktion zu bestimmen, sondern die Fraktion ist es, welche die Haltung des Blattes zu kontrollieren hat. Die Fraktion erwartet demgemäss, dass derartige Angriffe in Zukunft unterbleiben, und dass die Redaktion alles vermeidet, was dem Geiste obiger Erklärung zuwiderläuft." Die Erklärung hatte ursprünglich noch die Verantwortung der Parteileitung für den Inhalt des Organs festgestellt. Liebknecht, der nach Zürich gesandt wurde, sah ein, wie gefährlich diese Feststellung strafrechtlich sein würde. E. Bernstein, Die Briefe von Fr. Engels an E. Bernstein, S. 164f. 2 Bei der 2. und 3. Lesung stimmte die Fraktion gegen die Vorlage. 1
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Raubgier und Inkapazität der herrschenden Bourgeoisie provozierte und durch die Infamien der Polizei (der man alles erlaubt, jede Gemeinheit, vorausgesetzt, dass sie nur die Massen im Zaum hält) auf die Spitze getriebene Erregung, die sich hoffentlich nicht bis zu Putschen steigern wird. Verläuft die Sache ruhig, so muss in nicht zu langer Zeit der Radikalismus, d.h. Clémenceau ans Ruder kommen. Kommt er nicht infolge einer Emeute, sondern friedlich zur Macht, so dass er gezwungen ist, seine Versprechungen zu halten und seine radikale Panacee in Praxis zu setzen, so sind die Pariser Arbeiter bald von ihrem Glauben an den Radikalismus kuriert. Nun kommen noch die Neuwahlen nach neuem Wahlgesetz,8 und so kommt doch wieder Bewegung in den Sumpf. In England dito Neuwahlen nach neuem Wahlgesetz und ein vollständig abgelebtes Ministerium. Und in Deutschland der Thronwechsel, der jeden Tag kommen kann und der in einem so dick voll Traditionen steckenden Land wie Preussen-Deutschland immer der Anfang einer neuen Periode der Bewegung ist. Kurz, es kommt überall Leben in die Bude, und zwar auf der ökonomischen Grundlage einer allgemeinen, unheilbaren und sich zu einem akuten Krach allmählich zuspitzenden Überproduktion. Eben kommt Kautsky mit einem langen Brief Edes über seinen Konflikt mit der Fraktion.4 Ich habe K[autsky] gesagt, nach meiner Ansicht habe Ede im Blatt auch die Pflicht, die Masse der Partei zu Wort kommen zu lassen, was die Fraktion kein Recht hat zu verhindern. Stellt er sich auf diesen Standpunkt, so kann ihm die Fraktion nichts anhaben. Zweitens solle er sich nicht von der Fraktion dahin drängen lassen, die Kabinettsfrage zu stellen; die Leute wollen ihn ja gerade los sein, und damit tut er ihnen den grössten Gefallen. Drittens aber soll er nicht die Verantwortlichkeit für anderer Leute Artikel auf sich nehmen, ohne das Recht zu haben, sie zu nennen. Du weisst, wen ich meine und wer die meisten Artfikel] in der Dampfergeschichte geschrieben,5 worüber die Majorität so wütend und die Ede auf sich genommen zu haben scheint. Den Kampf mit der kleinbürgerlichen 1885-89 bestand die Listenwahl in den Départements statt der Einzelwahlkreise (Arrondissements), wie schon 1817, 1848, 1871 jeweils für kurze Zeit. Bei den Kammerwahlen 1885 erhielten die Monarchisten durch die Stichwahlen 209 von 584 Sitzen, Clémenceaus Radikale nur etwa 60. 4 Bernstein an Kautsky 1. April 1885, 16 S. 5 Engels an Bernstein 15. Mai 1885 über seine Unterhaltung mit P. Singer: „Dann sagte ich, nach dem mir sehr wohl bekannten Stil zu urteilen, waren die meisten der missliebigen Artikel von Liebknecht. Singer: Ganz richtig, und wir haben es dem Liebknecht dafür auch in der Fraktion gehörig gegeben. Ich: Dafür aber das Blatt öffentlich zu tadeln, dass es Sachen druckt, die aus der Fraktion selbst kommen, geht nicht an . .
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Sektion hat er ja schon lange führen müssen; dieser hat jetzt nur eine andere Gestalt angenommen, die Sache ist dieselbe. Und ich glaube mit Dir, dass die Herren es nicht zum äussersten treiben werden, so sehr sie die Position ausnutzen wollen, die ihnen das S[ozialisten]Ges[etz] gibt, wo ihre Wähler sich nicht offiziell und authentisch gegen und über sie erklären können. Die Sache würde meiner Ansicht nach glatter verlaufen, wenn der S[ozial]-D[emokrat] aufhörte, den amtlichen Charakter zu tragen, den man ihm angehängt. Das war seinerzeit ganz gut, kann aber jetzt nichts mehr nutzen. Ob das und wie zu machen, weisst Du besser als ich. Vom ,,Kap[ital]" Buch II sind fünfundzwanzig Bogen (von achtunddreissig) gedruckt. Das Buch III ist in Arbeit. Es ist ganz ausgezeichnet, brillant. Diese Umwälzung der alten Ökonomie ist wirklich unerhört. Erst hierdurch erhält unsere Theorie eine unerschütterliche Basis und werden wir befähigt, nach allen Seiten siegreich Front zu machen. Sowie das erscheint, wird auch die Spiessbürgerei in der Partei wieder einen Schlag bekommen, woran sie denken wird. Denn damit treten die ökonomischen Generalfragen wieder in den Vordergrund der Debatte. Postschluss. Schicke ich nicht fort, geht's nicht ab vor Montag und trifft Dich vielleicht nicht mehr zu Hause. Also herzlichen Gruss, halt Dich gesund und schone Dich; wir brauchen nicht nur einen Bebel, sondern auch einen gesunden und starken Bebel. Dein F.
76. B E B E L
AN
ENGELS.
ENGELS
Plauen-Dresden, den 8. April 1885.
Original. Lieber Engels!
Dein Brief kam gerade an, als ich dabei war, einen gepfefferten Protest an die Fraktion abzusenden wegen des Ukases im letzten S[ozial]d[emokrat].1 Ich konnte leider jener Beratung der Fraktion, wo der Ukas beschlossen wurde, nicht zu Ende beiwohnen, weil ich abreisen musste. Ich verliess die Sitzung, nachdem ich meinen Standpunkt dargelegt und erklärt hatte, dagegen zu stimmen. Mein Bleiben hätte auch an dem Resultat nichts geändert, da wenigstens die Majorität um jeden Preis eine solche Erklärung wünschte. Der genaue Wortlaut ist mir erst aus dem S[ozial]d[emokrat] bekanntgeworden. Die Erklärung ist praktisch ein Schlag ins Wasser; bei den denken1
Das Schreiben liegt nicht vor.
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den Parteigenossen macht sie böses Blut, 2 und die Fraktion selbst ist so blamiert, dass sie schwerlich den Mut haben wird, die Konsequenzen ihres Schrittes zu ziehen. Ich habe der Fraktion angekündigt, dass, falls sie den Ukas in die Praxis übersetze und die Meinungsfreiheit der Partei unterdrücke, ich die Konsequenzen eines solchen Schrittes ziehen und an die Partei appellieren würde. Es ist ganz gut, dass die Majorität durch einen solch ungeschickten Streich sich blossgestellt hat. Das ist das beste Mittel, diejenigen, die mehr aus Blindheit als mit Absicht und Bewusstsein diese Wege wandeln, zu Verstand zu bringen. In diesen Tagen hat auch der deutsche Nationalheros Bi^narck sich recht gründlich eine Ohrfeige versetzt. Dass er aus dem gesammelten Gelde, zu dem viele Tausende arme Teufel gezwungen beigetragen haben, sich sein Stammgut schenken liess,3 das hat in den weitesten Kreisen seinem Ansehen einen gewaltigen Stoss versetzt. Die Masse verträgt nicht, dass einer ihrer Götter moralische Flecken habe, und ein moralischer Fleck ist der niedere Egoismus, der Bfismarck] zu
Die Redaktion des Sozialdemokrat erklärte in Nr. 16, 16. April, da es sich um eine Frage der Gesamtpartei handle, habe sie sich bisher jeder Meinungsäusserung über die Erklärung enthalten. In Nr. 17, 18, 19 vom 23., 30. April, 7. Mai brachte sie Zuschriften gegen die Fraktionserklärung aus Paris, Brüssel, London, Darmstadt, Grossenhain, Mannheim sowie einen längeren Aufruf der Frankfurter Organisation, die den revolutionären Charakter der Sozialdemokratie betonte. Während die Sozialdemokraten in Deutschland daran arbeiteten, eine Armee zu schaffen, „um im kommenden Augenblicke die Menschheit mit Gewalt von der Gewalt zu befreien", schienen die Abgeordneten sich mit der heutigen Gesellschaft auszusöhnen. Der Aufruf wandte sich gegen die diktatorische Massregelung seitens der Fraktionsmehrheit und protestierte dagegen, dass die „revolutionäre Bewegung in den Sumpf des Parlamentarismus" geführt werde; Nr. 17. Ebd. wurde eine zwischen Fraktion und Redaktion verabredete Erklärung veröffentlicht. Die Fraktion habe mit ihrer Erklärung nur die Polemik über die Dampfersubvention zum Abschluss bringen wollen. Natürlich müsse sich die Minderheit der Mehrheit unterordnen; aber die beste Sicherung gegen etwaigen Missbrauch der Vertrauensstellung der Fraktion biete die absolute Meinungsfreiheit, die in der Partei anerkannt werde. 3 Das Zentralkomitee für die Bismarckspende teilte dem Reichskanzler mit, dass gemäss Beschluss vom 23. März 1.150.000 Mark zum Ankauf des Rittergutes Schönhausen, II verfügbar seien'. Ferner seien durch Nachtragszeichnungen zur Tilgung der vorhandenen Hypotheken 350.000 Mark sichergestellt, so dass das bezeichnete Rittergut schuldenfrei den Gegenstand der Ehrengabe bilde. „Das Gut ist rund 6000 Morgen gross und vergrössert den Grundbesitz des Kanzlers um etwa 8 Prozent seines bisherigen Umfanges." In Nr. 10, 5. März, hatte der Sozialdemokrat berichtet, dass in manchen Fabriken die Arbeiter aufgeschrieben würden, die nicht spendeten; bei der Maschinenfabrik Vulkan, der Stettiner Maschinenbau A.G. seien Arbeiter deswegen gar entlassen worden. 2
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der Annahme jenes Gutes veranlasste, das er aus seinen Mitteln zehn bis fünfzehn Mal kaufen konnte. Ich habe die Uberzeugung, dass all die vielen Reden, die Bismarck] in den letzten Monaten im Reichstag hielt, darauf berechnet waren, die Begeisterung für seine Person mit Rücksicht auf die Sammlungen zu steigern, und mit Hilfe der Bourgeoispresse aller Schattierungen ist ihm dies weidlich gelungen. Die Hohenzollern müssen ordentlich neidisch auf ihn geworden sein; denn der Ertrag der Sammlungen für ihn übertraf erheblich den jener seinerzeit für Kaiser und Kronprinz veranstalteten Sammlungen. Aber alle künstlich erzeugte Begeisterung ist auf die Länge nicht imstande, das finanzielle Loch zu verdecken, das unsere Politik und unser Wirtschaftssystem in die Geldbeutel der Massen reisst. Die Erkenntnis bricht sich immer mehr Bahn, dass es so lange nicht mehr fortgehen kann, und in Rücksicht auf die täglich rapid weiter fortschreitende Zersetzung aller Verhältnisse kommen mir auch die Kämpfe in der Fraktion unendlich kleinlich und erbärmlich vor. Die Mehrheit hat keine Ahnung von der Zeit, in der sie lebt, und sie hat daher auch keinen Begriff von der Rolle, die sie spielen müsste. Statt dass die Vierundzwanzig als eine festgeschlossene eherne Phalanx den Gegnern kühn die Stirne böten und ihnen bei jeder Gelegenheit die Larve vom Gesicht rissen und ihnen ihr Spiegelbild vorhielt [en], legt man sich aufs Kompromisseln und zieht sich in sich selbst zurück. Ich bin sehr gespannt, wie sich die Dinge in Frankreich und England weiter entwickeln werden, und namentlich, welche Wirkung die neuen Wahlgesetze ausüben. Würde in beiden Ländern der Radikalismus schärfer zum Durchbruch kommen, so müsste dies auch auf Deutschland wirken, wo der bürgerliche Radikalismus eine gar jämmerliche Rolle spielt und am Verenden ist. Was Du über die Fortschritte des „Kapital" schreibst, interessiert mich lebhaft. Da darf man wohl bis zum Herbst auf das Erscheinen des zweiten Buches rechnen. Alsdann habe ich einige freie Zeit und könnte mich darüber setzen und studieren. Von Arbeitern erhielt ich vor wenig [en] Tagen einen Brief, die bei mir anfragten, ob das „Kapital" nicht in Lieferungen erscheinen könnte,4 damit auch sie in den Besitz des Werkes kämen. Soviel ich weiss, hat M[eissner] diezweite Auflage auch lieferungsweise erscheinen lassen. Du könntest vielleicht gelegentlich einmal anfragen, ob er sich bei den neuen Bänden auch darauf einlässt. Gern tun es, glaube ich, die Buchhändler nicht, weil ihnen leicht einzelne Hefte liegenbleiben. Die zweite Auflage des I. Bandes war auch in neun Lieferungen erschienen; der II. Band erschien nicht in Lieferungen.
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Sonntag, den 26. April und die folgenden Tage bin ich in Zürich, ich hoffe, dass die Reise mir körperlich wohl bekommt. Ich bitte Dich, Beilage durch K[autsky] an Rfackow] abgeben zu lassen; es pressiert nicht. Bitte K[autsky] von mir zu grüssen. Herzlichen Gruss von Deinem A.
BEBEL.
7 7 . B E B E L AN E N C E L S
Original.
[Poststempel:] Leipzig-Magdeb[urg], den 10. April 1885. L[ieber] E[ngels]!
Du wirst schon bei Empfang dieser Zeilen wissen, dass wir in Ch[emnitz] heute freigesprochen wurden.1 Erhielt Depesche soeben, nachmittags 5 Uhr. Was mich hauptsächlich zu schreiben veranlasst, ist folgendes. Im Verlag von Ed[uard] Trewendt, Breslau, ist ein Buch von Dr. G[eorg] Adler erschienen, betitelt: „Die Geschichte der ersten sozialpolitischen Arbeiterbewegung in Deutschland mit besonderer Rücksicht auf die einwirkenden Theorien."2 Das Buch befasst sich hauptsächlich mit der Bewegung von 1848 und während der Bewegungsjahre, und handelt ausführlich auch von Dir und M[arx]. Da nun keinem von uns Jüngeren ein Urteil zusteht, inwiefern der Autor die Dinge und die Personen richtig schildert — von Euch abgesehen —, möchte ich Dir sehr empfehlen, das Buch Dir anzuschaffen und eine Besprechung in der N[euen] Z[eit] zu veranlassen. Die Wahlen in Frankreich] sind ganz so ausgefallen, wie man erwarten durfte; die Scheidung nach rechts und links vollzieht sich überall.8 Ich reise morgen mit Frau auf acht Tage nach Frankfurt a/M., um meine Tochter von dort zu holen. Gruss und Handschlag v[on] D[einem] A. B. Aus Versehen blieb die Karte gestern liegen. Von der Anklage wegen Geheimbündelei, s. Brief Nr. 64, Anm. 2. Das Landgericht entschied, dass eine geheime Verbindung im Sinne des Strafgesetzbuches nicht bewiesen sei. 2 Es erschien 1885. Engels gab Kautsky, 2. Dezember 1885, Hinweise für seine Rezension des Buches in der Neuen Zeit Jahrg. IV (1886), S. 91ff. S.a. Brief Nr. 83. 3 S. Brief Nr. 75, Anm. 3.
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7 8 . B E B E L AN
ENGELS
Dresden-Plauen, den 19. Juni 1885.
Original. Lieber Engels!
Du wirst längst auf einen Brief von mir gewartet haben; aber das alte Hindernis — fortgesetzte Reisen und Übermass von Arbeit nach meiner Rückkehr — hinderte mich daran. Du wirst wahrscheinlich schon von Z[ürich] aus in verschiedenster Richtung über die Vorgänge in der Partei unterrichtet sein. Nahezu wäre es zwischen L[ie]b[knecht] und mir auch zu einem Bruch gekommen, und zwar hauptsächlich, weil L[ie]b[knecht], nach meiner Auffassung, [um] des lieben Friedens willen der Majorität der Fraktion im Übermass die Stange hielt und die vorhandenen Gegensätze nach Kräften zu vertuschen suchte. Wir haben uns nun wieder verständigt, und verschiedene Vorgänge der allerletzten Zeit — das Auftreten Frohmes, Geisers und anderer öffentlich oder privat — haben ihm dann doch die Augen geöffnet, 1 und seine Hartnäckigkeit, keine Gegensätze sehen und alles auf kleine persönliche Rankünen und Missverständnisse zurückführen zu wollen, ist wesentlich erschüttert. Äusserlich ist der Riss verkleistert, und ein im Augenblick in der Fraktion zirkulierender Rechenschaftsbericht, 2 den alle unterzeichnen 1 Frohme veröffentlichte im Frankfurter Journal vom 7. Mai, s. Der Sozialdemokrat Nr. 20. 14. Mai, eine Entgegnung auf den Frankfurter „Aufruf", s. Brief Nr. 76, Anm. 2, der „von anarchistischen Phrasen strotze" und sich gegen den Parlamentarismus überhaupt richte. Er behauptete, nur eine kleine Clique stehe dahinter, nicht einige Hundert Sozialdemokraten. Er verurteilte das „demagogische Hervorkehren eines blutdürstigen Radikalismus". Bebel antwortete in Nr. 21, 21. Mai, mit dem Vorwurf, dass Frohme nicht in einem Parteiblatt, sondern in einem Blatt antworte, das als offiziöses Regierungsorgan gelte. Über neunzig Leute hätten der Frankfurter Erklärung zugestimmt. Auch er könne die Erklärung nicht in allen Punkten billigen, aber er weise es zurück, dass die Frankfurter als Anarchisten gebrandmarkt würden. „Das ist bei einem Teil von uns ein Schimpfwort geworden, mit dem man alle jene regaliert, die ein schärferes Wort gegen Personen und Zustände gebrauchen, als das von einzelnen deutschen Arbeiterblättern festgesetzte Normalmass der Kritik zulässt." In Nr. 27, 2. Juli, erschien eine Zuschrift über die Dampfersubvention von Auer, Bios, Geiser, Grillenberger sowie eine Zuschrift von Dietz. 2 Der vierseitige Rechenschaftsbericht „An die Parteigenossen!" wurde in Zürich gedruckt und der ersten oder zweiten Juli-Nummer des Sozialdemokrat beigelegt. Es wurde darin etwa gesagt: Die Erwartungen der Gegner nach dem Wahlsieg von 1884 wurden nicht erfüllt. „Die Fraktion unterliess es, sogenannte revolutionäre, heute undurchführbare Vorschläge zu machen, aber sie liess sich auch nicht von ihrem Programm abdrängen, noch verleugnete sie aus Opportunitätsgründen ihre Vergangenheit." Bei dem Arbeiterschutz-Gesetzentwuri der Fraktion, s. Brief Nr. 74 Anm. 2, war der leitende Gedanke, dass die Befreiung
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sollen, wird auch der Welt gegenüber offiziell die Einheit der Partei verkünden; aber wie lange der Schein vorhält, ist eine andere Frage. Eins ist in den letzten Monaten konstatiert worden, die Partei ist selbständig und lässt sich nicht von Führern leiten, einerlei wer diese seien. Ganz gewiss will man in der Partei keine Spaltung; das eine ist aber auch sicher, dass die grosse Mehrheit kein Parlamentein und Kompromisseln will und entschiedenstes Auftreten ihrer Vertreter verlangt. Es sind mir in den letzten Wochen darüber soviel schriftliche und mündliche Kundgebungen zugegangen, dass ich glaube, es ist nicht ein Wahlkreis vorhanden, in dem die grosse Mehrheit in diesem Punkte nicht einig ist. Darüber gibt sich auch die Fraktionsmehrheit wohl kaum einer Täuschung hin. So war ich beispielsweise kürzlich in Hamburg in meinem Wahlkreis. Dort hatte die Fraktionsmehrheit stark für sich Propaganda zu machen versucht; als ich aber den Leuten die Sachlage auseinandersetzte, fand ich bei ca. hundertundfünfzig Anwesenden, lauter Vertrauensmännern, die allgemeinste Zustimmung. 3 Es wäre auch ein Wunder, wenn es nicht so wäre. Die Proletarier denken und fühlen anders, als die sich als satte Existenzen fühlenden Vertreter, denen das Ehrenamt riesig schmeichelt, und die sich als Halbgötter wähnen, weil sie zu den „Auserwählten der Nation" gehören. Das Korrumpierende des heutfigen] Parlamentarismus hat sich drastisch an unserer Vertretung bewahrheitet; gäb's Diäten, wäre die Wirkung noch viel schlimmer,4 dann gäbe es kein schöneres und der Arbeiterklasse nicht durchgeführt werden könne von einer geistig und körperlich heruntergekommenen Arbeiterbevölkerung. Bei der Dampfersuhvention liess die Mehrheit sich leiten von dem Gedanken der schweren Krise und grossen Arbeitslosigkeit im Schiffsbau, und dass vermehrter Schiffsbau Arbeit gegeben haben würde. Die Minderheit wollte diese Vorlage nur unter dem Gesichtspunkt und als Teil der Bismarckschen Kolonialpolitik sehen, die von der ganzen Fraktion verurteilt wurde. Die Hoffnung der Gegner auf eine Spaltung erfüllte sich nicht. Die Fraktion stehe auf vorgeschobenem Posten, kämpfe auf dem Vereinigungsprogramm von Gotha stehend, und habe Anspruch auf die Unterstützung aller. Es sei zwischen den deutschen Sozialdemokraten zu einer endgültigen Einigung gekommen, und die Hoffnung der Gegner auf ihren Zerfall werde zuschanden werden. 3 Der Sozialdemokrat kündigte in Nr. 20 vom 14. Mai eine längere Erklärung von Hamburg, Altona, Ottensen, Wandsbeck, Harburg, die sich im wesentlichen gegen die Frankfurter Erklärung richte, für die nächste Nummer an. In dieser wurde mitgeteilt, dass die Erklärung mit Zustimmung der Unterzeichner nicht veröffentlicht werde; die Diskussion sei geschlossen. 4 Die immer wiederkehrenden, auch von der sozialdemokratischen Fraktion gestellten Anträge auf Diätenzahlung wurden von Bismarck heftig bekämpft. Da die Ablehnung der Entschädigung den Zweck, oppositionelle proletarische Elemente und Berufsparlamentarier aus dem Reichstag fernzuhalten, nicht erfüllte, gab der Bundesrat endlich im Jahre 1906 seinen Widerstand gegen den Reichstagsbe-
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höheres Leben, als im Sumpfe des Parlamentarismus gemütlich mitzuwaten. Da aber zum Glück die bürgerliche Welt unfähig ist, die Forderungen der Arbeiter auch nur einigermassen zu befriedigen, die Sozialreform sich immer deutlicher als grösster Schwindel beweist — die kaum eingeführte Krankenversicherung gibt bereits zu den allergrössten Klagen nach allen Richtungen Veranlassung und zeigt sich im Sinne des Gesetzes fast als undurchführbar —, die ökonomischen Verhältnisse immer trauriger werden, so gehen die Massen nicht auf den Parlamentsleim, mag ihnen der Sirenengesang noch so verführerisch seitens ihrer bisherigen Vertrauensmänner in die Ohren hallen. Was ich vor drei Jahren einmal in einem Briefe an die Genossen in Amerika 5 schrieb — ein Brief, den die N[ew] Y[orker] Volks-Zeit[ungj abdruckte, dadurch zur Kenntnis der Geiser und Genossen kam — und mir auf dem Kopenhf agener] Kongress so sehr verübelt ward, stellt sich als vollkommen richtig heraus. Damals protestierte jeder, zu den Halben zu gehören, heute ist in der Partei kein Zweifel mehr, dass diese Sorte unter den „Führern" stark vertreten ist; und die nötige ökonomische, richtiger soziale Unabhängigkeit für ein Reichstagsmandat zwingt dazu, aus jenen Kreisen meist die Kandidaten zu nehmen. Wir werden also in das Parlament, wie immer gewählt wird, nie in der Mehrzahl die Leute hineinbringen, die in Wahrheit dort sein sollten, und so ist die einzige Hoffnung, dass die Massen von unten drängen und schieben und ihre Vertreter auf die rechten Wege zwingen. schluss auf, der neunmal erfolgt war. Durch das Diätengesetz vom 21. Mai 1906 wurde die jährliche Aufwandsentschädigung für Reichstagsabgeordnete auf 3000 Mark festgesetzt. 5 Bebels Brief, in dem er die Differenzen in der Partei behandelte und die Rechte als die „Halben" bezeichnete, erschien in der New Yorker Volkszeitung Nr. 46, 11. November 1882. Der Kopenhagener Kongress nahm dazu folgende vermittelnde Haltung ein: „.. . es wurde von verschiedenen Seiten hervorgehoben, dass nicht nur Meinungs-, sondern auch prinzipielle Differenzen bei den Abgeordneten zu konstatieren seien. Diese Ansicht wurde durch einen Brief, der seitens Bebels an die New Yorker Parteigenossen versandt und in der New Yorker Volkszeitung abgedruckt wurde, belegt. Es könnten wohl, wie ausgeführt wurde, alle Abgeordneten auf dem Boden des Programms stehen, im wesentlichen käme es doch auf die Ausführung desselben an. Es sei nicht daran zu denken, dass eine Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse auf friedlichem Wege erfolgen könne, es gebreche den herrschenden Kreisen an Kraft und Willen, eine Sozialreform durchzuführen. Nichtsdestoweniger sei es aber Aufgabe unserer Reichstagsabgeordneten, im Reichstag an der Gesetzgebung teilzunehmen und in energischer Weise die Interessen der Arbeiter zu vertreten." Protokoll über den Kongress der deutschen Sozialdemokratie in Kopenhagen (Hottingen-Zürich, 1883), S. 25f.
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Du wirst mir aber zugeben, dass das keine angenehme Situation für unsereinen ist, und dass die Stellung Ärger und Arbeit ohne Mass mit sich bringt. Da geht auch aller guter Wille, philosophische Kaltblütigkeit zu bewahren, zum Teufel. Angenehm ist mir, dass sich in den letzten Monaten mein Befinden erheblich gebessert hat, so dass man wieder einen Puff vertragen kann. Wie ich höre, liegt Höchberg in seiner Heimat Fr[an]kf[u]rt im Sterben, ist vielleicht schon gestorben.6 Wie er sich in den letzten Jahren gestellt hat, wirst Du durch K[autsky] wissen. Von Amerika erhielten L[ie]bk[necht] und ich dringende Einladung zu einer Agitationsreise in den V[ereinigten] Stfaaten]. Ich habe mit Rücksicht auf die Parteilage in Deutschi [and] abgelehnt, L[ie]b[knecht] wird wohl auch ablehnen.7 Es ist erfreulich zu sehen, wie allüberall sich die Gegensätze zuspitzen und die Situation für die herrschenden Klassen immer unangenehmer wird. Montag verreise ich auf acht Tage, gegen Mitte Juli mache ich dann meine letzte Tour wieder nach Süddeutschl[and] und der Schweiz, von der ich nach Mitte August zurückkehre. Gruss und Handschlag von Deinem A.
BEBEL.
Grüsse an Kautsky und Frau. • Höchberg starb am 21. Juni in Frankfurt/M. Der Sozialdemokrat darüber: s. Brief Nr. 15, Anm. 2. 7 Liebknecht ging allein. S. Brief Nr. 89, Anm. 8.
79. ENGELS AN
BEBEL
London, den 22.[-24.] Juni 1885. 122 Regents Park Road, N.W.
Original. Lieber Bebel!
Ich beantworte Deinen heute morgen erhaltenen Brief vom 19. sofort, damit er Dich noch vor der grösseren Reise trifft. Uber die letzten Vorgänge bin ich im ganzen, wenigstens was die öffentlichen Kundgebungen angeht, auf dem laufenden gehalten worden und habe so die verschiedenen Zudringlichkeiten Geisers und Frohmes wie auch Deine kurzen und schlagenden Antworten gelesen.1 Diesen ganzen Unrat verdanken wir zum allergrössten Teil Lieb1
S. den vorigen Brief.
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knecht mit seiner Vorliebe für gebildete Klugscheisser und Leute in bürgerlichen Stellungen, womit man dem Philister gegenüber dick tun kann. Einem Literatus und einem Kaufmann, die mit dem Sozialismus liebäugeln, kann er nicht widerstehen. Das sind aber gerade in Deutschland die gefährlichsten Leute, und die M[arx] und ich seit 1845 in einem fort bekämpft haben.2 Hat man sie einmal in der Partei zugelassen, wo sie sich überall vordrängen, so muss in einem fort vertuscht werden, weil ihr kleinbürgerlicher Standpunkt jeden Augenblick mit dem der proletarischen Massen in Zwist gerät oder sie diesen verfälschen wollen. Trotzdem bin ich überzeugt, dass Liebknfnecht], wenn es einmal wirklich zur Entscheidung kommt, auf unserer Seite stehen und obendrein behaupten wird, das habe er immer gesagt, und wir hätten ihn daran verhindert, früher loszuschlagen. Gut ist's indes, dass er einen kleinen Denkzettel bekommen hat. Die Spaltung kommt so sicher wie etwas; nur bleibe ich dabei, dass wir sie unter dem S[ozialisten]-Gesetz nicht provozieren dürfen. Kommt sie uns auf den Pelz, nun, dann geht's eben nicht anders. Präparieren muss man sich darauf, und da sind es drei Posten, die wir, glaub' ich, unter allen Umständen halten müssen. 1. Die Züricher Druckerei und Buchhandlung, 2. die Leitung des Soz[ial]-Demokrat, 3. die der Neuen Zeit. Es sind die einzigen Posten, die wir jetzt noch behalten haben, und sie genügen auch unter dem Sozialisten] Gesetz, damit wir mit der Partei verkehren können. Alle anderen Posten in der Presse haben die Herren Spiessbürger, sie wiegen aber jene drei nicht bei weitem auf. Du wirst da manches gegen uns Geplante verhindern können und solltest meiner Meinung nach alles tun, damit uns diese drei Posten so oder so gesichert bleiben. Wie das anzufangen, musst Du besser wissen als ich. Ede und Kautsky fühlen sich in ihren Redaktionsposten begreiflicherweise sehr erschüttert und brauchen Aufmunterung. Dass gegen beide stark intrigiert wird, ist augenscheinlich. Und es sind ein paar sehr brave und brauchbare Leute: Ede ist theoretisch ein sehr offener Kopf, dabei witzig und schlagfertig, es fehlt ihm aber noch das Vertrauen zu sich selbst, was heutzutage wahrhaftig selten ist und gegenüber dem allgemeinen Grössenwahn selbst des kleinsten studierten Esels ein wahres Glück relativ; Kautsky hat auf Universitäten eine furchtbare Masse Blödsinn gelernt, gibt sich aber alle Mühe, ihn wieder zu verlernen; und beide können aufrichtige Kritik vertragen und haben die Hauptsache richtig gefasst und sind zuverlässig. Bei dem schauerlichen Literaten-Nachwuchs, der sich an die Partei hängt, sind so zwei Leute wahre Perlen. In der Deutschen Ideologie (1845), La Misère de la Philosophie (1847), im Kommunistischen Manifest (1848).
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Was Du von unseren parlamentarischen Repräsentanten im allgemeinen sagst und von der Unmöglichkeit, eine wirklich proletarische Repräsentation — in Friedenszeiten wie die jetzigen — zu schaffen, ist ganz meine Ansicht. Die notwendig mehr oder weniger bürgerlichen Parlamentarier sind ein ebenso unvermeidliches Übel wie die aus von der Bourgeoisie in Verruf erklärten, also beschäftigungslosen Arbeitern der Partei aufgeladenen berufsmässigen Agitatoren. Letzteres war schon 1839-48 bei den Chartisten stark im Gang, und habe ich das schon damals beobachten können.3 Gibt's Diäten, so werden diese sich neben die vorwiegend bürgerlichen und kleinbürgerlichen resp. „gebildeten" Abgeordneten stellen. Aber das wird alles überwunden. Auf unser Proletariat hab' ich dasselbe unbedingte Vertrauen wie unbegrenztes Misstrauen gegen die ganze verkommene deutsche Spiessbürgerei. Und wenn die Zeiten etwas lebhafter werden, spitzt sich auch der Kampf in einer Weise zu, dass man ihn con amore führen kann; und der Ärger über die Kleinlichkeit und Philisterei, mit der Du Dich jetzt en détail herumschlagen musst, und die ich auch aus alter Erfahrung kenne, verschwindet in den grossen Dimensionen des Kampfes, und dann bekommen wir auch die richtigen Leute ins Parlament. Aber freilich, ich habe hier gut sprechen, Du hast inzwischen die ganze schmierige Suppe auszuessen, und das ist wahrhaftig kein Spass. Jedenfalls aber bin ich froh, dass Du körperlich wieder auf dem Strumpf bist. Schone Deine Nerven für bessere Zeiten, wir haben sie noch nötig. „Kapital" III. Buch ist der Hauptsache nach aus dem Manuskript in leserliche Handschrift diktiert. In fünf bis sechs Wochen wird diese erste Arbeit ziemlich fertig. Dann kommt die sehr schwere Schlussredaktion, die viel Arbeit erfordern wird.4 Es ist aber brillant, wird einschlagen wie ein Donnerwetter. Von Buch II erwarte ich täglich die ersten Exfemplare]. Du erhältst sofort eins. Dein alter F. E. 23. Juni. Heut zu spät geworden zum Einschreiben, geht daher erst morgen ab. 24. Juni. Berliner] Zeitungen mit Dank erhalten.
3 S. z.B. „Die Lage der arbeitenden Klasse in England", MEGA, I. Abt., Bd. 4, S. 216ff. [Schlüter-Engels:] Die Chartistenhewegung in England. Sozialdemokratische Bibliothek XVI, Hottingen-Zürich, 1887, S. 36. In diesen wohl von Engels stammenden Ausführungen werden vor allem Joseph Hume und Feargus O'Connor als Hauptträger bürgerlichen Einflusses im Chartismus erwähnt. 4 Der III. Band erschien erst 1894.
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80. BEBEL, AN
Original.
ENGELS
P l a u e n - D r e s d e n , d e n 5. J u l i 1 8 8 5 . Lieber Engels!
D e i n e n B r i e f v o m 2 2 . v. M t s . h a b e i c h e r h a l t e n . Ü b e r d i e l e t z t e F r o h m e s c h e V e r s a m m l u n g u n d d i e u n s e r e r L e u t e in F r a n k f u r t w i r s t D u B e richte z u g e s a n d t erhalten.1 D e r Kongress — den die Mehrheit der Fraktion, vierzehn g e g [ e n ] fünf, abermals abgelehnt hat einzuber u f e n , 2 d e r a b e r n ä c h s t e s J a h r e i n b e r u f e n w e r d e n m u s s — w i r d in d i e a n g e n e h m e L a g e k o m m e n , z u entscheiden, o b d a s , w a s F r f o h m e ] als S t e l l u n g u n d T e n d e n z d e r P a r t e i a u s g a b , v o n ihr a n e r k a n n t w i r d . Überdies k o m m t F r o h m e durch seine letzte R e d e auch mit einem A r t i k e l , d e n er in N [ u m m e r ] 3 5 v o m J a h r e 1 8 8 2 u n t e r d e m T i t e l „ S i s y p h u s a r b e i t " v e r ö f f e n t l i c h t e , in s t ä r k s t e n W i d e r s p r u c h . 3 I n d e r F r a k t i o n h a t d e r S t r e i t d i e W i r k u n g g e h a b t , d a s s er d i e K ö p f e d e r M e h r h e i t b e d e u t e n d e r n ü c h t e r t e u n d ihr z e i g t e , w i e d i e S t i m m u n g i n d e r P a r t e i ist. V o n j e n e r S e i t e w i r d m a n a l s o e i n e S p a l t u n g n i c h t provozieren; m a n w i r d sie u m so w e n i g e r provozieren, weil d a n n eine ganze Reihe von Unternehmungen, bei denen die Mehrzahl persönlich u n d m i t i h r e r E x i s t e n z b e t e i l i g t ist, d r o h t e n in d i e B r ü c h e z u g e h e n . 1 In Frankfurt vertrat der Abg. Sabor in einer Versammlung die Entschliessung, dass die Beteiligung an der parlamentarischen Tätigkeit zu billigen und das Streben der Fraktion nach unmittelbaren Verbesserungen, wie durch den Arbeiterschutz-Gesetzentwurf, anzuerkennen sei. Die Erfahrungen der letzten Session des Reichstages hätten jedoch die Hoffnung auf sofortige praktische Erfolge sehr herabgemindert und den „Wunsch nach einer vorzugsweise agitatorischen Wirksamkeit der Arbeitervertreter" verstärkt. Frohmes Auftreten rief wegen seiner Erklärung gegen den Frankfurter Aufruf, s. Brief Nr. 78, Anm. 1, einen Tumult in der Versammlung hervor, so dass sie geschlossen werden musste, ohne dass über die Entschliessung abgestimmt wurde. Der Sozialdemokrat Nr. 27, 2. Juli. 8 Nachdem mehrere Orte beantragt hatten, den Kongress doch im Jahre 1885 abzuhalten, beschloss die Fraktion abermals, ihn nicht abzuhalten. Zur Regelung der Frankfurter Differenzen bedürfe es keines Kongresses. E r koste sehr viel Geld, und das könne besser verwandt werden. Wer etwa Prinzipienfragen auf dem Kongress zu erledigen wünsche, könne sie bis dahin im Parteiorgan zur Sprache bringen. Der Sozialdemokrat Nr. 29, 16. Juli. Der Kongress wurde erst im Herbst 1887 in St. Gallen abgehalten. 5 Der Artikel erschien im Sozialdemokrat Nr. 35, 24. August 1882. E s hiess darin: „Gewalt und Gesetz sind Gegensätze. W o Gewalt herrscht, da gibt es kein Gesetz, da ist das Gesetz ebenfalls Gewalt, es ist nur eine geschriebene Gewalt, welche den Bewaffneten zur Maske und Ergänzung dient. W o die Gewalt einmal herrschendes System ist, da weicht sie nur der Gewalt. Die Gewalt des Volkes muss die Gewalt der Reaktion zu Boden schlagen . . . Der Gewalt gegenüber muss der Satz, dass der .Zweck die Mittel heilige', ganz offen verteidigt werden. Mögen die Kreaturen der Gewalt über Jesuitismus schreien, was liegt daran? . . . "
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Ich fürchte aber auch sonst die Manöver der Mehrheit, die unter sich keineswegs geschlossen ist, nicht, weil die Entwicklung der Dinge, in erster Linie das Verhalten der Behörden und der herrschenden Klassen, fortgesetzt und im ausreichendsten Grade dafür sorgt, den Klassenhass unter den Arbeitern wachzuhalten. Wenn die gesamte Presse z.B. in diesem Augenblick wieder gegen die streikenden Berliner Maurer4 Partei ergreift, wenn die Nordd[eutsche] Allg[emeine]
Zeit[ung]
voran für die Anwendung des S o z i a -
listengesetzes gegen die Leiter des Streiks und für eine fast blödsinnige Auslegung des Strafgesetzes gegen die streikenden Arbeiter plädiert, so erzeugt das mehr Klassenhass und zerstört in einem Tage mehr Illusionen, als zwanzig sog. Arbeiterblätter in einem Jahr mit aller Kunst vertuschen können. Diesen Tatsachen gegenüber muss selbst die inländische Arbeiterpresse Rechnung tragen, und in der Tat lässt sich konstatieren, dass die Vorgänge in der Partei in den letzten Monaten, die Kundgebungen der Masse für entschiedenes Auftreten, diese Blätter zwangen, weit entschiedener aufzutreten. Wir können also dem Gang der Dinge ruhig zusehen; aufgezwungen wird uns von der anderen Seite zunächst eine Spaltung nicht, und wir werden keine provozieren. Im allerschlimmsten Falle bin ich sicher, dass uns der S[ozial]d[emokrat], und was drum und dran hängt, verbleibt. Die Majorität d[er] Fr[aktion] hätte keine Leute, die Posten zu besetzen, und ich wiederhole, die Mehrheit der Fraktion ist nicht die in der Partei. Was Du über B[ernstein] und K[autsky] sagst, ist auch meine Meinung. Nur möchte ich in bezug auf K[autsky] Dich auf einen Punkt aufmerksam machen. Mir scheint, K[autsky] zersplittert sich zu sehr, er liest und studiert alles mögliche und glaubt, zu rasch über das Gelesene schreiben zu können. Das halte ich für einen erheblichen Fehler, und Du bist der einzige Mann, die ihn da beeinflussen kann. Die Artikel der Berl[iner] Zeitfung],5 die ich Dir schickte, sind, wie ich vermute, von Mehring; in Z[ürich] behauptet man zwar, sie 4 Im Sommer 1885 streikten die Berliner Maurer um die Erhöhung des Stundenlohnes auf 45, dann auf 50 Pfennig. Die Verhetzung führte zu zwei Fällen von Totschlag Arbeitswilliger an Streikenden. Teilnahme an der Beerdigung wurde auf Grund des Sozialistengesetzes verboten; eine Leiche wurde heimlich von Polizei wegen beerdigt. Bernstein, Geschichte, II, S. 158f., Der Sozialdemokrat Nr. 30, 31, 23., 30. Juli. 5 Möglicherweise Aufsätze über Rodbertus in den Demokratischen Blättern, Nr. 19, 20, 21, 13., 20., 28. Mai 1885 oder „Der soziale Beruf des Adels" in der Volks-Zeitung, Nr. 155, 156, 7., 8. Juli 1885. S. Th. Höhle, Franz Mehring, S. 187f., 457ff.
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seien von einem anderen Verfasser. Die Kritik ist zum Teil sehr gut und trifft den Nagel auf den Kopf. Ein junger Mediziner Dr. Walther, der sich in diesen Tagen verheiratete, wird mit seiner Frau eine Hochzeitsreise nach England machen und bat mich um Empfehlungen für dort. Ich sandte ihm einen Brief an Frau Marx-Aveling, ausserdem gab ich ihm Deine und Kautskys Adresse. W[alther] und seine Frau sind Gesinnungsgenossen. Sollten sie Dir einen Besuch machen, so weisst Du, woran Du bist; bitte auch Kautsky davon Mitteilung zu machen. Dr. W[alther] ist der Schwager von Frau Dr. Adams-Walther, die meine Schrift übersetzte.6 Ich bin auf das Erscheinen des zweiten und dritten Buches vom „Kapital" ausserordentlich gespannt;7 es ist ein wahres Glück, dass Dir das Manuskript unter die Hände kam, von M[arx] hätten wir es wahrscheinlich nicht erhalten; und wärst Du an Stelle von M[arx] gestorben, war es für alle Zeit verloren. Ich freue mich, dass Du noch so flott zu arbeiten vermagst; Du leistest gerade in Deinen alten Tagen, wo andere aufhören, der Partei und der Sache die unschätzbarsten Dienste. Und nun lebe für einstweilen wohl und sei aufs beste gegrüsst von Deinem A . BEBEL.
Ich werde ungefähr um den 26. d. Mts. in Z[ürich] sein. D[er] 0[bige]. Die Familie Bebel war mit Dr. Walther befreundet; er hatte ein Sanatorium in Nordrach im Schwarzwald. — Woman in the Post, Present and Future, die englische Übersetzung von Bebels Die Frau und der Sozialismus von H. B. AdamsWalther, erschien in London, Modern Press, 1885 {Int. Library of Social Science, vol. 1); eine andere Ausgabe New York, J. W. Lovell Co, 1886. Eine Restauflage der Ausgabe von 1885 brachte William Reeves (London, 1803) (Bellamy Library, no. 15), als 2. Auflage auf den Markt. S. Briefe Nr. 280, 298. 7 Der II. Band des Kapital erschien 1885; Engels' Vorwort ist vom 5. Mai 1885 datiert. 6
8 1 . E N G E L S AN B E B E L
London, den 24. Juli 1885.
Original. Lieber Bebel!
Ich versuche, ob Dich dieser Brief in Zürich am 26. trifft, wie Du mich vermuten lässt. Der Parteikrakeel nimmt, soweit ich hier sehen kann, einen recht 232
erwünschten Verlauf. Frohme reitet seine Kameraden möglichst in die Sauce, was uns nur angenehm sein kann, aber zum Glück ist L i e b knecht] da mit der rettenden Tat; er hat dem Verein hier angezeigt,1 er werde jetzt nach F[rank]furt gehen und alles in Ordnung bringen; wenn das aber nicht gelinge, so müsse Fr[ohme] herausfliegen. L i e b knecht] spielt bei der ganzen Geschichte die erheiternde Rolle der Henne, die junge Enten ausgebrütet hat: er hat „gebildete" Sozialisten züchten wollen, und siehe da, es sind lauter Philister und Spiessbürger aus den Eiern gekrochen; und nun will die brave Henne uns glauben machen, es seien doch Küchlein, die da im bürgerlichen Fahrwasser schwimmen, und keine Enten. Da ist auch nichts zu machen, man muss eben seine Illusionen mit in den Kauf nehmen, aber in Offenbach scheint er's doch etwas zu arg gemacht zu haben,2 wenn man dem Zeitungsbericht glauben darf. Nun, kommen wird von der ganzen Sache bloss das Bewusstsein in der Partei, dass es zwei Strömungen in ihrem Innern gibt, von denen die eine den Massen, die andere der Mehrzahl der s[o]g[enannten] Führer die Richtung gibt, und dass diese Richtungen mehr und mehr auseinandergehen müssen. Das wird die später kommende Spaltung vorbereiten, und das ist ganz gut. Die Herren vom rechten Flügel werden sich aber besinnen, ehe sie wieder einen Ukas erlassen. Bei K[autsky] hast Du ganz die entscheidende Schwäche getroffen. Seine jugendliche Neigung zu raschem Aburteilen ist durch die lausige Methode des Geschichtsunterrichts auf Universitäten — besonders österreichischen — noch mehr bestärkt worden. Man lehrt dort die Studenten systematisch, historische Arbeiten mit einem Material machen, wovon sie wissen, dass es ungenügend ist, was sie aber als genügend behandeln sollen, also Sachen schreiben, die sie selbst als falsch kennen müssen, aber doch für richtig halten sollen. Das hat K[autsky] natürlich erst recht keck gemacht. Dann das Literatenleben — Schreiben fürs Honorar, und Vielschreiben. So dass er absolut keine Vorstellung davon hatte, was wirklich wissenschaftliches Arbeiten heisst. Da hat er sich dann ein paar Mal gründlich die Finger verbrannt, mit seiLiebknechts Brief an den Comm. Arb.-Bildungsverein liegt nicht vor. Liebknecht hatte in einer Versammlung in Offenbach am 14. Juli erklärt, dass es über die Dampfersubvention wohl verschiedene Meinungen, jedoch nicht prinzipieller Art gegeben habe. Der Frankfurter Aufruf enthalte „grosse Dummheiten"; über den Parlamentarismus dächten alle gleich. Auf eine Beschwerde der Frankfurter sagte Liebknecht in einer Erklärung vom 26. Juli, er habe kein Wort gesagt, was die Frankfurter verletzen sollte oder konnte. „Der bekannte .Aufruf enthält meiner Ansicht nach zwar neben manchem Richtigen viel Falsches und Unreifes und ist in einem Ton geschrieben, den ich unter Genossen aufs schärfste missbillige, allein das Recht der freien Meinungsäusserung steht doch jedermann zu." . . . Der Sozialdemokrat, Nr. 32, 6. August. 1
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ner Bevölkerungsgeschiohte und nachher mit den Artikeln über die Ehe in der Urzeit. Ich hatte ihm das in aller Freundschaft auch redlich eingetränkt und erspare ihm nichts in dieser Beziehung und kritisiere alle seine Sachen, nach dieser Seite hin, unbarmherzig.3 Ich kann ihm aber dabei glücklicherweise immer den Trost geben, dass ich es in meiner naseweisen Jugendzeit akkurat so gemacht und erst von Marx gelernt habe, wie man arbeiten muss. Es hilft auch schon ganz bedeutend. Die Art[ikel] der Berlfiner] Z[ei]t[un]g sind sicher von Mehring; wenigstens weiss ich keinen andern in B[erlin], der so gut schreiben kann. Der Kerl hat viel Talent und einen offenen Kopf, ist aber ein berechnender Lump und von Natur Verräter; ich hoffe, man wird das im Gedächtnis halten, wenn er wieder zu uns kommt, was er sicher tut, sobald sich die Zeiten ändern. Walther und Frau waren hier und brachten mir die Zeitungen über den Parteikrakeel. Sie kommen Sonntag wieder. „Kapital" II habe ich Dir, sobald es ankam, nach Drfesden] geschickt. Das Manuskript von III habe ich, soweit es anging, fertig diktiert und werde im Herbst, sobald ich mich etwas ausgeruht und allerhand andere dringende Arbeiten erledigt, an die Schlussredaktion gehen. Ich bin aber jetzt ruhig, das M[anu]s[kript] ist jetzt in einer leserlichen Handschrift vorhanden und kann schlimmstenfalls auch so gedruckt werden, wenn ich auch inzwischen flöten ginge. Solange das nicht geschehen, hatte ich keine Buhe noch Bast. Übrigens ist die Bedaktion von drei sehr wesentlichen Abschnitten, d.h. zwei Dritteln des Ganzen, auch noch eine Heidenarbeit. Aber das findet sich, und ich freue mich schon auf den Hallo, den es anrichten wird, wenn es herauskommt. Im Herbst erleben wir zwei friedliche Bevolutionen: die Wahlen in Frankreich und hier. In Frankreich wird das scrutin de liste,4 erfunden von den reinen Bepublikanern und eingeführt von den Gambettisten zum Zweck, sich durch Zwangswahl von Advokaten und Journalisten, besonders Parisern, die ewige Herrschaft zu sichern, wahrscheinlich die Gambettisten massenweise hinauswerfen und fast sicher Clemenceau und die Badikalen, wo nicht gleich, doch bald zur Herrschaft bringen. Sie sind die letzte mögliche unter den jetzt existierenden bürgerlichen Parteien. Clem[enceau]s Specifikum ist departementale und kommunale Selbstregierung, d.h. Dezentralisation der Verwaltung und Abschaffung der 3
S. die Kritik an „Der Einfluss der Volksvermehrung auf den Fortschritt der Gesellschaft" Engels an Kautsky 1. Februar 1881; „Die Entstehung der Ehe und Familie" Engels an Kautsky 10. Februar, 2. März 1883; „Das .Kapital' von Rodbertus" Engels an Kautsky 26. Juni, 20. September 1884. 4 S. Brief Nr. 75, Anm. 3.
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Bürokratie. Nur der Anfang davon wäre in Frankreich eine grössere Revolution, als seit 1800 vorgekommen. Herrschaft der Radikalen heisst aber in Frankreich vor allem Emanzipation des Proletariats von der alten revolutionären Tradition, direkter Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie, also Herstellung der endlichen klaren Kampflage. Hier wird das neue Stimmrecht die ganze alte Parteilage umwerfen.5 Die Allianz zwischen Whigs und Tories zu einer grossen konservativen Partei, die das gesamte, nicht mehr wie bisher in zwei Lager gespaltene Grundeigentum zur Basis hat und alle konserv[ativen] Elemente der Bourgeoisie umfasst: Bank, hohe Finanz, Handel, einen Teil der Industrien; daneben andrerseits die radikale Bourgeoisie, d.h. die Masse der Grossindustrie, das Kleinbürgertum und zunächst noch als Schwanz das wieder zu politischem Leben erwachende Proletariat — das ist ein revolutionärer Ausgangspunkt, wie England ihn seit 1689 nicht erlebt hat. Und dazu der alte Wilhelm, der auf dem letzten Loch pfeift. Das lässt sich famos an. Du wirst sehen. Dein F. E. 5 S. Brief Nr. 65, Anm. 3. Im Herbst 1885 trat Joseph Chamberlain mit einem sozialliberalen Programm auf, das u.a. progressive Einkommensteuer, Bodenreform, landwirtschaftliche Kleinbetriebe für Landarbeiter, grössere Autonomie der Gemeinden verlangte und für Irland gegenüber Gladstone selbständige Lokalverwaltung, aber Union mit England.
8 2 . B E B E L AN
ENGELS
Dresden-Plauen, den 19. September 1885.
Original. Lieber Engels!
Deinen Brief vom 24. Juli empfing ich in Zürich. Nachdem jetzt die sächs[ischen] Landtagswahlen vorüber sind, habe ich wieder etwas Luft, und so will ich Dir antworten. Über den Ausfall der Wahlen bist Du schon unterrichtet. Liebk[necht] hat arges Pech gehabt, er ist in drei Wahlkreisen durchgefallen. Hier in Dresden fehlten ihm hundertfünfzig Stimmen, in Leipzig-Land, seinem alten Wahlkreis, nur achtzig. Die Stimmenzahl ist bedeutend höher als früher, aber die Gegner arbeiteten mit den bekannten Mitteln noch schärfer; ausserdem sind wir bei dem Zensuswahlsystem noch extra in ungünstigerer Position.1 Abgesehen von dem 1 Das Landtagswahlrecht hatte, wer über 25 Jahre alt war und wenigstens jährlich drei Mark Steuern zahlte; das passive Wahlrecht war an das 30. Lebensjahr, jährliche Steuerzahlung von 30 Mark und dreijährige sächsische Staatsangehörig-
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Durchfall L[iebknecht]s, sind wir mit dem Resultat sehr zufrieden; wir haben erobert, was wir erobern wollten, und unsere Stimmenzahl weist gegen früher erhebliches Wachstum auf. Für L[iebknecht] ist der Durchfall in finanzieller Beziehung unangenehm, die zwölf Mark Diäten p[ro] Tag waren eine annehmbare Beihilfe. Tagen freilich, wie es wieder scheint, Landtag und Reichstag den Herbst zusammen, dann ist die Beihilfe gering; denn in echt kleinbürgerlicher Sparsamkeit erhält der Abgeordnete nur für den Tag Geld, wo er sich im Landtag zeigt. L[ie]bk[necht] wird heute mittag hierherkommen, um sich wieder einmal mit mir zu „verständigen". Er empfindet nämlich von Zeit zu Zeit das Bedürfnis dazu, da sich herausstellt, dass wir fast in allen Fragen differieren, sobald wir brieflich über die inneren Verhältnisse der Partei uns aussprechen. Seine ewige Vertuschungsmanier hatte mich nun schliesslich sehr in die Wolle gebracht, und da habe ich ihm unverhohlen meine Meinung geschrieben. Wie es mit der Einheit der Partei steht, und welche Stellung die Führer einnehmen, wirst Du zur Genüge aus den letzten Nummern des S[ozial]-D[emokrat] ersehen haben. 2 Einer nach dem andern keit gebunden. Alle zwei Jahre schied ein Drittel der Abgeordneten aus, so dass Ergänzungswahlen vorgenommen wurden. 2 Nr. 34 vom 20. August brachte einen scharfen Protest aus München gegen eine Äusserung Vierecks in einer Versammlung, er sei „fest überzeugt, wenn der deutsche Kaiser wüsste, wie schlecht es dem Arbeiter geht, er viel mehr für diesen tun würde, als bis jetzt geschehen. Denn jeder, der ein Herz in der Brust habe, müsste Mitgefühl haben mit der Not der arbeitenden Klassen." Viereck gab in seiner Antwort, Nr. 36 vom 3. September, zu, dass diese Äusserung besser unterblieben wäre; jedoch für seine Stellung zur Regierung sprächen seine Verfolgungen. „Ich habe den Appell an die Menschlichkeit gebraucht und schäme mich dieser .Sentimentalität' . . . keineswegs." — Nr. 37, 10. September brachte einen Bericht über eine Versammlung in Frankfurt, in der Frohme erklärte, „niemand könne eine wahrhafte Liebe zu der Menschheit haben, dem die echte Vaterlandsliebe nicht eigen sei. In dieser Beziehung bezog sich Redner auf Aussprüche Lassalles. Den Worten Fichtes und Lassalles folgend, bezeichnete er dann den Beruf Deutschlands dahin, das Reich der vollendeten Freiheit aufzubauen . . . " Die gegnerische Presse sprach von einer „scharfen Verurteilung der internationalen Sozialdemokratie durch einen Sozialdemokraten". Frohme gab in der Hamburger Bürgerzeitung vom 11. September den Inhalt seines Vortrages wieder. Die Redaktion des Sozialdemokrat antwortete im Leitartikel „National und international" in Nr. 38, 18. September: „ . . . Was ist denn heute an der sozialistischen Bewegung in Deutschland noch „spezifisch deutsch"? Höchstens diejenigen Forderungen, welche auf den sozialistischen Programmen anderer Länder bloss deshalb nicht figurieren, weil sie dort bereits erfüllt sind... Dem deutschen Volk . . . eine besondere nationale Aufgabe zuweisen, heisst den Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat ignorieren. [Zu Lassalles Zeit] . . . gab es eben noch keine besondere Arbeiterbewegung, die Arbeiter kämpften noch mit dem Bürgertum für die beiden gemeinsamen Ziele . . . Es ist keine leere Phrase, es ist die Quint-
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macht Dummheiten und stellt sich in den Augen der Partei bloss. Das hilft allem Personenkultus den Garaus machen und die Leute zur Selbständigkeit erziehen. Ich freue mich, zu sehen und zu hören, wie nüchtern und selbständig die Leute urteilen, und wie sie entschlossen sind, wenig Federlesens zu machen, wenn der eine oder andere ihrer bisherigen Vertrauensmänner sich als unbrauchbar erweist. Unsere wirtschaftlichen Zustände verschlechtern sich trotz aller kolonialpolitischen Unternehmungen zusehends. Vorausgesetzt, dass diese Arznei dem Patienten überhaupt helfen könnte, würde sie erst zu wirken anfangen, wenn der Patient kaputt ist. Am traurigsten sieht's in den Eisenindustriebezirken aus. Nach den von allen Seiten übereinstimmenden Berichten herrscht dort allgemeine Stagnation und von Woche zu Woche zunehmende Arbeitslosigkeit. Aus der Textilindustrie kommen ganz ähnliche Klagen und so aus einer ganzen Anzahl anderer Exportindustrien. Bekommen wir auch noch einen strengen Winter, dann dürften wir böse Dinge erleben. Diese hochgradige Gespanntheit aller Verhältnisse ist auch offenbar Ursache, dass Bismarck in dem so ungeschickt hervorgerufenen spanischen Konflikt3 so äusserst vorsichtig und zurückhaltend verfährt. Es wäre doch auch eine eigene Ironie der Geschichte, wenn der konservativste aller europäischen Staatsmänner wider Willen der Gründer zweier Republiken würde; das könnte ihm der alte Wilhelm nicht verzeihen. Ausserdem betrachte ich die Situation so, dass, wo immer ein Kanonenschuss fällt, er leicht das Signal zu einem europäischen Kriege geben kann; ein europäischer Krieg ist aber gleichbedeutend mit der europäischen Revolution. Darüber dürfte man sich in den leitenden Kreisen kaum einer Täuschung hingeben; Zündstoff ist allerwärts in Masse aufgehäuft. Ich sehe mit grosser Spannung dem Ausfall der Wahlen in Frankreich und England entgegen. Meine Erwartungen sind sehr gering; ich sehe bis jetzt weder in Frankreich noch in England die Elemente, welche die Massen zu gewinnen und die Situation auszunutzen verstehen. Die englischen Gewerkschaften scheinen noch immer ihre wirtschaftlichen Kämpfe in der alten Weise fortführen zu wollen, obgleich ihnen doch allmählich klarwerden müsste, dass es in der essenz wissenschaftlicher Erkenntnis, welche den Schlachtruf des modernen Sozialismus in die Worte zusammenfasse Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!'" Frohme antwortete mit einer langen Erklärung in Nr. 43, 22. Oktober. S. auch seine Schrift Friedliche Entwicklung oder gewaltsamer Umsturz? Ein Mahnwort an alle Gesellschaftsklassen (Nürnberg, 1885). 3 Ende August wollte Deutschland die Karolineninseln, da sie „herrenlos" seien, annektieren. Spanien reklamierte sie als von jeher spanischen Besitz.
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bisherigen Weise nicht mehr geht. Durch die ökonomische Entwicklung der letzten Jahre muss dort der Boden doch so vorbereitet sein, dass es nur entschiedener Anregung bedarf, um eine neue Bewegung in Fluss zu bringen. Mir ist der Konservati[vis]mus der englischen Arbeiter schwerverständlich. Frankreich begreife ich besser, dort ist das Kleinbürgertum noch eine Macht, und die Arbeiter sind in die verschiedensten Schulen zersplittert und noch zu sehr von der Phrase beherrscht. Ich werde mich freuen, wenn der Ausgang der Wahlen mich des Irrtums zeiht. Den zweiten Band des „Kapital" habe ich erhalten. Besten Dank dafür! Zum Lesen bin ich noch nicht gekommen; soviel habe ich aber schon gesehen, dass die Ausführungen höllisch schwer zu verstehen sind, und es heisst den Kopf zusammennehmen, noch mehr wie bei dem ersten Bande. Wie ich höre, ist Kautskys Mutter 4 im Augenblick in Leipz[ig] bei Frau L[ie]bk[necht], es würde mich freuen, sie hier zu sehen; ich würde dann jedenfalls mancherlei über Euch erfahren können, da sie ja längere Zeit in London war. Den 28. [September] beginnt unser Prozess.5 Uber den Ausgang lässt sich natürlich gar nichts sagen; hätte man nicht die gute Absicht, uns hereinzulegen, machte man ihn nicht. Es wird sich schliesslich um juristische Spitzfindigkeiten drehen. Würden wir verdonnert, so wären die Konsequenzen unabsehbare; dann müsste jeder verurteilt werden, der erklärt, er sei Parteigenosse, wirke für die Partei und halte den S[ozial]d[emokrat]. Warten wir ab. Mit den besten Grüssen Dein A. BEBEL.
Gruss an K[autsky]s. Bevor ich den Brief absandte, kam mir der letzte Soz[ial]demokr[at] zu Gesicht. Daraus ersehe ich denn doch, dass die englfischen] Gewerkvereine auf ihrem letzten Kongress endlich angefangen haben, die Situation zu begreifen.6 Nun wird's wohl rascher vorwärtsgehen. Minna Kautsky (1837-1912) verfasste s. Zt. vielgelesene Romane, die seit 1876 in der Neuen Welt erschienen und häufig nachgedruckt wurden. Ihre bekanntesten Werke sind Stephan vom Grillenhof, Proletarierkind und Die Alten und die Neuen. 5 Das von der Reichsanwaltschaft und der Leipziger Staatsanwaltschaft abgelehnte Verfahren wegen Geheimbündelei wurde vom 28.-30. September vom Chemnitzer Landgericht durchgeführt; es endete mit Freispruch. S. Brief Nr. 64, Anm. 2. 6 Ein längerer Bericht über den 18. Jahreskongress der Trade Unions in Southport erschien in Nr. 38, 18. September. Der Kongress stellte u.a. ein Wahlprogramm auf, auf das sich die Kandidaten zu verpflichten hatten. 4
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83. ENGELS AN
Original.
BEBEL
London, den 28. Oktober 1885. Lieber Bebel!
L[iebknecht]s Durchfall in Sachsen tut mir leid für ihn persönlich, aber sonst kann er ihm nicht schaden. Die Popularität ist ihm eine gar zu wichtige Sache, der er mehr Opfer bringt, als gut ist; und da ist es nützlich, dass er einmal merkt, wie alle Konzessionen nach rechts nichts nützen, und erst recht nicht bei einer Zensuswahl, wo sie ihm nicht einmal Kleinbürgerstimmen einbringen. Sehr gefreut haben mich Deine Nachrichten über den unabhängigen Sinn der Massen. Die Herren vom rechten Flügel werden daran freilich erst glauben, wenn an ein paar von ihnen Exempel statuiert werden; sie leben im Umkreis kleiner Cliquen, und was sie da hören, gilt ihnen als Volksstimme. Die Augen werden ihnen schon aufgehen. Der chronische Druck auf allen entscheidenden Industriezweigen herrscht auch hier, in Frankreich, in Amerika, ununterbrochen fort Namentlich in Eisen und Baumwolle. Es ist ein unerhörter Zustand, so sehr er auch die unvermeidliche Konsequenz des kapitalistischen Systems ist: eine so kolossale Überproduktion, dass sie es nicht einmal zu einer Krise bringen kann! An disponiblem, anlagesuchendem Kapital ist so stark überproduziert, dass der Diskont hier tatsächlich von ein bis anderthalb Prozent jährlich schwankt und Geld auf kurze Vorschüsse bei beiderseits täglicher Abzahlung oder Rückforderung (money at call) kaum zu einem halben Prozent jährlich anzubringen ist. Aber dass der Geldkapitalist sein Geld lieber so anlegt, als dass er es in neue industrielle Unternehmungen steckt, dadurch gerade gesteht er ein, wie faul ihm die ganze Wirtschaft erscheint. Und in dieser Scheu vor neuen Anlagen und aller Spekulation, die sich schon in der Krisis 1867 zeigte, liegt der Hauptgrund, warum man es nicht zu einer akuten Krisis bringt. Schliesslich muss sie aber doch wohl kommen, und dann wird sie hier hoffentlich den alten Gewerkschaften ein Ende machen. Diese haben den ihnen von Anfang anklebenden Zunftcharakter ruhig beibehalten, und der wird täglich unerträglicher. Ihr glaubt wohl, bei den Mechanikern, Zimmerleuten, Maurern usw. könne jeder Arbeiter der Branche ohne weiteres eintreten? Davon ist keine Rede. Wer eintreten will, muss an einen der Gewerkschaft angehörigen Arbeiter eine Reihe von Jahren (meist sieben) als Lehrling attachiert gewesen sein. Dies sollte die Zahl der Arbeiter beschränkt halten, war aber sonst ganz zwecklos, ausser dass es dem Lehrmeister Geld eintrug, wofür er tatsächlich nichts leistete. Dies ging noch an bis 1848. Seitdem aber hat der kolossale Aufschwung der Industrie eine Klasse 239
von Arbeitern erzeugt, ebenso zahlreich oder zahlreicher wie die „gelernten" der Trades Unions, die dasselbe oder mehr leisten, aber nie Mitglieder werden können. Diese Leute sind durch die Zunftregeln der Trades Unions förmlich gezüchtet worden. Aber glaubst Du, die Unions dächten daran, diesen alten Blödsinn abzuschaffen? Nicht im mindesten.1 Ich erinnere mich nicht, je einen Vorschlag der Art auf einem Tr[ades] Unions-Kongress gelesen zu haben. Die Narren wollen die Gesellschaft nach sich, nicht aber sich nach der Entwicklung der Gesellschaft reformieren. Sie kleben an ihrem traditionellen Aberglauben, der ihnen selbst nur schadet, statt dass sie den Kram abschaffen und dadurch ihre Zahl und ihre Macht verdoppeln und tatsächlich das wieder werden, was sie jetzt täglich weniger bleiben, nämlich Vereine sämtlicher Arbeiter des Gewerks gegen die Kapitalisten. Das, glaub' ich, wird Dir manches im Betragen dieser privilegierten Arbeiter klarmachen. Was hier nötig, ist vor allem, dass die offiziellen Arbeiterführer massenweise ins Parlament kommen. Dann geht's bald flott; sie werden sich rasch genug enthüllen. Die Wahlen im Nov[ember] werden dazu vieles tun; zehn bis zwölf davon kommen sicher hinein,2 wenn nicht ihre liberalen Freunde ihnen zu guter Letzt noch einen Streich spielen. Die ersten Wahlen mit einem neuen System sind immer eine Art Lotterie und enthüllen nur den geringsten Teil der Revolution, die damit eingeleitet worden. Aber das allgemeine Stimmrecht — und das neue hiesige gibt bei der Abwesenheit einer Bauernklasse und dem industriellen Vorsprung Englands den Arbeitern soviel Macht, wie das deutsche allgemeine — ist heute der beste Hebel einer proletarischen Bewegung, und wird's auch hier werden. Darum ist es so wichtig, so rasch wie möglich die Social Democratic Federation kaputtzumachen,3 deren Leiter lauter politische Streber, Abenteurer und Literaten sind. Hyndman, ihr Chef, hilft da mit Macht; er kann es nicht erwarten, bis dass das Glöcklein zwölfe schlägt, wie's im Volkslied heisst, und blamiert sich aus Hätz nach Erfolgen täglich mehr. Er ist eine elende Karikatur von Lassalle. Die Franzosen beurteilst Du, glaub' ich, nicht ganz gerecht. Die Uber die Organisierung ungelernter Arbeiter s. Brief Nr. 145. Bei den Wahlen, 23. November — 19. Dezember, wurden gewählt 331 Liberale, darunter 11 Arbeiterkandidaten, 247 Konservative, 82 Iren. 3 Ende Dezember 1884 verliessen eine Reihe der bekanntesten Mitglieder die Social Democratic Federation und gründeten die Socialist League: W . Morris}, A. Scheu, W . Crane, E . Beifort Bax, die Avelings. Sie hatte ein kurzes Leben und erlosch bald nach 1890. Engels stand ihr nahe. Ihr Organ war Commomveal, 1885-91. In ihrer besten Zeit hatte sie einige Hundert Mitglieder. Seit Mitte 1887 gewannen die Anarchisten Einfluss in der Organisation, bis sie sie schliesslich beherrschten. 1
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Masse in Paris ist „sozialistisch" im Sinne eines aus Proudhon, Louis Blanc, Pierre Leroux usw. im Lauf der Jahre herausdestillierten ziemlich neutralen Durchschnittssozialismus. Die einzige Erfahrung, die sie mit dem Kommunismus gemacht haben, war die mit d er Cabetschen Utopie, die in einer Musterkolonie in Amerika, d.h. mit der Flucht aus Frankreich und mit Zank und halbem Bankrott in Amerika endete. Was darüber hinaus, kommt ihnen aus Deutschland, und es ist nicht zu verwundern, dass Frankreich, von 1789 bis 1850 das Land, wo nicht nur die politischen Ideen jedesmal zuerst scharf formuliert, sondern auch in die Praxis übersetzt wurden, sich etwas sträubt, seine Abdankung von der theoretischen revolutionären Führerschaft zu unterschreiben; namentlich nach der gloriosen Kommune, und noch dazu gegenüber Deutschland, das die Pariser Arbeiter 1870 faktisch besiegt haben, da die deutsche Armee nicht wagte, Paris zu besetzen; ein Fall, wohl zu merken, der in der bisherigen Kriegsgeschichte noch nicht dagewesen. Nun nimm aber dazu: wie sollen die französischen] Arbeiter zu einer besseren Einsicht kommen? Selbst die franz[ösische] Ausgabe des „Kapital"* ist ihnen ein Buch mit sieben Siegeln; nicht nur ihnen, sondern auch der Masse der Gebildeten. Das einzige, was sie kennen, ist meine „Entwicklung des Sozialismus]", 5 und die hat in der Tat überraschend gewirkt. Keiner von den Führern [ich rechne Vaillant nicht, da er als Blanquist eine ganz andere Taktik hat als wir] kann deutsch. Frau Lafargue übersetzt jetzt endlich das „Manifest" 6 in gutes Französisch. Das Verständnis der Theorie selbst bei den Führern ist noch ziemlich unvollkommen, und wenn Du Paris kenntest, so würdest Du einsehen, wie leicht sich dort lebt und agitiert, aber wie schwer sich dort ernstlich arbeitet. Also woher soll den französischen] Arbeitern die Einsicht kommen? Dazu aber, was die Wahlen angeht, noch eins. Bei uns stimmt sich leicht für einen Soz[ial]-Demokraten], weil wir die einzige wirkliche Oppositionspartei sind und weil der Reichstag doch nichts zu sagen hat, es also schliesslich einerlei ist, ob überhaupt für einen und für welchen man stimmt von den „Hunden, die wir ja doch sind".7 Allenfalls das Zentrum ist noch eine Partei mit selbständiger Politik. Aber Sie war 1872-75, übersetzt von J. Roy und revidiert von Marx, in Lieferungen erschienen. 5 U.d.T. Socialisme utopique et socialisme scientifique, überzetzt von P. Lafargue (Paris, 1880), (Bibl. de la Revue Socialiste, I). • Ohne Nennung der Übersetzerin erschien es in Le Socialiste, Nr. 1-11, 29. August — 7. November 1885. 7 Nach Bebel, A.m.L., II, S. 391, und Mehring, Geschichte, IV, S. 27 gab L. Bamberger 1876 mit diesen Worten seinem Unmut Ausdruck über Bismarcks Politik der Fusstritte gegen die Nationalliberalen. 4
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in Frankreich ist das was anderes. Da ist die Kammer die entscheidende Macht im Land, und da kommt es darauf an, seinen Stimmzettel nicht wegzuwerfen. Und dabei ist zu bedenken, dass dort Gambettisten gegen Monarchisten, Radikale gegen Gambettisten jedesmal einen Fortschritt bedeuten. Und das beweist sich auch praktisch. In Deutschland floriert seit 1870 die junkerliche Reaktion, alles geht zurück. In Frankreich haben sie jetzt die besten Schulen der Welt, einen gehörigen Schulzwang; und während Bismarck mit den Pfaffen nicht fertig wird, sind sie in Frankreich aus den Schulen total verdrängt. Unsere deutsche Armee ist, abgesehen vom Anwachsen der s[ozial]d[emokratischen] Elemente, ein infameres Werkzeug der Reaktion als je. In Frankreich hat die allgemeine] Dienstpflicht die Armee dem Volk enorm genähert, und sie ist es vor allem, die die Monarchie unmöglich macht (vgl. 1878). Und wenn jetzt die Radikalen ans Ruder kommen und genötigt werden, ihr Programm durchzuführen, so heisst das: Dezentralisation der Verwaltung, Selbstregierung der Departements und Gemeinden wie in Amerika und wie in Frankreich 1792-98, Trennung der Kirche vom Staat, jeder zahlt seinen Pfaffen selbst. Weder in Deutschland noch in Frankreich sind wir bis jetzt imstande, die geschichtliche Entwicklung zu dirigieren. Aber diese Entwicklung steht darum nicht still. Nur dass sie im Deutschen Reich momentan rückwärts geht, in Frankreich immerhin vorwärts. Wir kommen aber erst an die Reihe — das ist der langsame, aber sichere Gang der Geschichte — sobald die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien ihre Unfähigkeit zur Leitung des Landes tatsächlich und augenfällig bewiesen haben und wie die Ochsen am Berge stehen. (In Deutschland könnten wir, nach einer französischen] Revolution, etwas anticipando drankommen, aber nur getragen von einer europäischen Sturmflut.) Daher haben die Pariser Arbeiter den, nach der einen Seite hin, richtigen Instinkt, stets die radikalste mögliche Partei zu unterstützen. Sobald die Radikalen am Ruder sind, treibt derselbe Instinkt sie in die Arme der Kommunisten; denn die Radikalen sind auf das alte konfus-sozialistische (nicht kommunistische) Programm vereidigt und müssen damit scheitern. Und dann fällt Instinkt und Vernunft zusammen, die radikalste mögliche Partei ist dann die Partei des Proletariats als solche, und dann geht's rasch. Aber Engländer und Franzosen haben eben ihre vorrevolutionäre Jungfernschaft längst vergessen, während wir Deutschen uns mit diesem manchmal sehr hinderlichen Möbel noch herumschleppen, sintemal wir noch nie eine selbständige Revolution gemacht. Beides hat seine Vorteile und seine Nachteile; aber es wäre sehr ungerecht, die verschiedene Haltung der Arbeiter der drei Länder an demselben einseitigen Massstab zu messen. 242
Das sehr flache und wesentlich auf Stieber8 beruhende Buch von Adler hat mir Kfautsky] gegeben, ich werde ihm bei einer Kritik helfen. Kommst Du nicht wieder mal herüber; wenn Dich Dein Geschäft an den Rhein führt, wär's rasch gemacht. Dein F. E. S. Brief Nr. 76, Anm. 2. Gemeint ist: Wermuth-Stieber, Die CommunistenVerschwörungen des neunzehnten Jahrhunderts. Im amtlichen Auftrage zur Benutzung der Polizeibehörden der sämtlichen deutschen Bundesstaaten, 2 Teile (Berlin, 1853-54). 8
8 4 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 17. November 1885.
Original. Lieber Bebel!
Noch ein paar Worte, ehe Du in den Reichstag gehst. Schumacher habe ich auf einen langen Brief zur Verteidigung seiner Haltung bei der Dampfersubvention1 ebenso ausführlich geantwortet und meinen alten Standpunkt ihm gegenüber festgehalten: Will man, um angebliche Vorurteile gewisser Wähler zu schonen, nicht unbedingt gegen Staatshilfe aus der Tasche der Arbeiter und Bauern für die Bourgeoisie stimmen, so kann man das meiner Ansicht nach nur dann, wenn die gleiche Summe Staatshilfe direkt für Arbeiter, städtische wie ländliche, bewilligt wird — vornehmlich für Landarbeiter-Genossenschaften auf Staatsdomänen. Um Missverständnisse zu vermeiden, habe ich ihn gebeten, falls er von diesem Brief andern Genossen gegenüber Gebrauch macht, stets den ganzen Brief mitzuteilen. L[ie]bkn[echt] kommt ja auf einmal ganz tapfer in den Vordergrund. Die „Sammlung" im Gefängnis,2 die Lektüre des halbvergessenen „Kapital" und die ihm von rechts her klar werdende Aussicht, sich zwischen zwei Stühle zu setzen, scheinen äusserst nützlich geGeorg Schumacher (geb. 1844) hatte als Gerber u.a. in London gearbeitet, 1876-78 Redakteur der Kölner Freien Presse, seit 1879 Lederhändler in Solingen; dort Nachfolger Rittinghausens als Reichstagsabgeordneter 1884-98; in diesem Jahre ging er zu den Liberalen über. Er hatte seine zustimmende Haltung in der Dampfersubventionsfrage in einem Brief an Engels vom 14. August u.a. damit begründet, dass die Subvention auch den Arbeitern durch die Schaffung von Arbeitsgelegenheit zugute komme. 2 Liebknecht hatte seit dem 29. September eine vierwöchige Gefängnisstrafe wegen Beleidigung der Nationalliberalen Sparig, Nebel und Leonhardt in Leipzig verbüsst. 1
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wirkt zu haben. Mich freut das sehr, wenn's nur dauert. Er wird im entscheidenden Moment sicher auf dem rechten Fleck sein; bis es dahin kommt, macht er aber uns andern schauerliche Mühsal mit seiner Vertuschung, die er für Diplomatie hält und worin er allerdings uns allen weit überlegen ist. Der europäische Krieg fängt an, uns ernstlich zu drohen. Diese elenden Trümmerstücke ehemaliger Nationen, Serben, Bulgaren, Griechen und anderes Räubergesindel, für die der liberale Philister im Interesse der Russen schwärmt, gönnen also einander die Luft nicht, die sie einatmen, und müssen sich untereinander die gierigen Hälse abschneiden. Das wäre wunderschön und geschäh dem nationalitätenschwärmenden Philister recht, wenn nicht jeder dieser Zwergstämme über europäischen Krieg oder Frieden disponierte. Der erste Schuss ist bei Dragoman gefallen, aber wo und wann der letzte fallen wird, kann keiner sagen.3 Unsere Bewegung geht so schön voran, überall und überall arbeiten ihr die Verhältnisse so in die Hände, und endlich haben wir auch noch einige Jahre ruhiger Entwicklung und Stärkung so nötig, dass wir einen grossen politischen Krach unmöglich wünschen können. Er würde unsere Bewegung auf Jahre lang in den Hintergrund drängen, und nachher müssten wir wahrscheinlich, wie nach 1850, ganz spät wieder von vorn anfangen. Andrerseits könnte der Krieg eine Revolution in Paris hervorrufen und diese später indirekt die Bewegung im übrigen Europa wieder anfachen, — dann wären die — unter den Umständen sicher arg chauvinistischen — Franzosen die Führer, wozu ihr theoretischer Entwicklungsgrad sie am wenigsten befähigt. Gerade für die seit 1871 sich politisch mit der ihnen eigenen, unbewussten logischen Konsequenz sehr gut fortentwickelnden Franzosen wären ein paar Jahre ruhiger Herrschaft der Radikalen unbezahlbar. Denn diese Radikalen haben alle den landläufigen, aus L[ouis] Blanc, Proudhon etc. zusammengewürfelten Durchschnittssozialismus sich zu eigen gemacht, und es wäre für uns von enormem Wert, wenn sie Gelegenheit erhielten, diese Phrasen durch die Praxis totzumachen. Dagegen wird ein grosser Krieg, wenn er ausbricht, sechs Millionen Soldaten ins Feld führen und eine bisher ganz unerhörte Masse Geld Nach einer Verschwörung am 18. September 1885 hatte die südbulgarische, seit dem Berliner Vertrag unter türkischer Oberhoheit stehende Provinz Ostrumelien ihren Anschluss an das Fürstentum Bulgarien erklärt. Nach dem bulgarischserbischen Krieg, dessen erste Schlacht bei Dragoman am 16. November war, protestierten die Grossmächte gegen die Vereinigung der beiden Teile Bulgariens. Die Türkei führte ein Kompromiss herbei; Fürst Alexander wurde 1886 Gouverneur von Ostrumelien. 3
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kosten. Das gibt ein Blutvergiessen und eine Verwüstung und schliesslich eine Ermattung wie nie vorher. Darum haben auch die Herren alle eine solche Angst davor. Und das kann man vorhersagen, kommt dieser Krieg, so ist er der letzte; er ist der vollständige Zusammenbruch des Klassenstaates, politisch, militärisch, ökonomisch (auch finanziell) und moralisch. Er kann dahin führen, dass die Kriegsmaschine rebellisch wird und sich weigert, wegen der lausigen Balkanvölker fernerhin sich untereinander abzuschlachten. Es ist der Ruf des Klassenstaates: après nous le déluge; aber nach der Sündflut kommen wir und nur wir. Es bleibt also beim alten: was auch passieren möge, es schlägt schliesslich aus in ein Mittel, unsere Partei zur Herrschaft zu bringen und dem ganzen alten Schwindel ein Ende zu machen. Aber ich gestehe, ich wünsche, dass es auch ohne diese Mörderei abgeht; nötig ist sie nicht. Wenns aber sein muss, dann will ich nur hoffen, dass mein alter Leibschaden mich im richtigen Moment nicht hindert, wieder aufs Pferd zu steigen. Dein alter F. E.
85. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Plauen-Dresden, den 7. Dezember 1885. Lieber Engels!
Deine beiden Briefe habe ich erhalten, und gehe ich weiter unten auf dieselben ein. Unter [Kreuz]band empfängst Du die Beilage der Hamb[urger] Bürg[er]-Zeit[ung] mit dem Rodbertus-Artikel aus Vierecks Blatt.1 Unsere Leute werden damit kaptiviert, indem man sie im dunkeln lässt, welcher Art diese Broschüre ist. Ede, dem ich schon vor vierzehn Tagen eine bezügliche] Warnungsnotiz zuschickte, hat dieselbe aus bekannter Guthannsigkeit unterdrückt. Heute habe ich ihm eine zweite, schärfere zugesandt 2 mit der Aufforderung, sie unbedingt 1
Nachdruck eines der in Anm. 2 genannten Aufsätze aus dem Recht auf Arbeit. Die Broschüre erschien u.d.T. Rodbertus, Marx, Lassalle. Sozialwissenschaftliche Studie (München, L. Viereck, [1885]). Ihre Tendenz war, dass die Partei zu Lassalle zurückkehren und sich von Marx' Dogmen abwenden müsse. So bedeutend Rodbertus und Marx auch in wissenschaftlicher Hinsicht seien, sie seien doch Stubengelehrte und würden an Bedeutung für die Arbeiter und die Arbeiterbewegung von Lassalle übertroffen. 2 Die Notiz „Zur Aufklärung" in Nr. 50, 10. Dezember. Es handle sich nicht um eine objektive Beurteilung der drei Persönlichkeiten, sondern um eine Fort-
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abzudrucken, da ich alle Verantwortung allein übernähme. Weiter habe ich ihm schon damals geschrieben, er oder Kautsky solle gegen die Schrift sachlich im S[ozial]-D[emokrat] polemisieren, um unsere Leute gründlich aufzuklären. Ed[e] meint wieder, natürlich dreiviertel wegen Mangel an Mut, das sei nicht nötig, die Artikel täten sich selbst ab. Das ist grundfalsch, und dass die H[amburger] B[ürger]-Z[eitung] darauf hereinfiel, weil sie nicht wusste, dass Diefz den Verlag der Schrift abgelehnt hatte, ist der beste Beweis dafür. Ausserdem muss jetzt oder nie mit der Halbheit aufgeräumt werden. Die Situation ist günstig. Ich habe das E[de] heute nachdrücklich geschrieben. Kann oder will Ede die Artikel nicht schreiben, dann sollte es unter Deiner Assistenz Kautsky tun, und zwar so rasch als möglich.3 Da man aber diese Arbeit nicht umsonst verlangen kann, schrieb ich nach Z[ürich], dass man die Arbeit K[autsky]s als Broschürenarbeit, nachdem sie im S[ozial]d[emokrat] gestanden, honoriere. Ich bitte Dich, mit K[autsky] Rücksprache zu nehmen und Dich auch mit E[de] in Verbindung zu setzen.4 Es muss eine Arbeit werden ähnlich wie Deine gegen Dühring, wenn sie auch nicht so lang zu werden braucht. Aus Deiner Vorrede z[ur] zweiten Auflage „Herr Eugen Dühring" werde ich einige Stellen bei der Debatte über den Belagerungszustand verwenden, die kommen ganz apropos. Also ich bitte Dich, auf Ede zu drücken und den Vernichtungskampf gegen die Rodbertusmythe einzuleiten und zu dirigieren. Im übrigen stehen die Dinge sehr gut. Die Majorität in der Fraktion ist so gut wie gesprengt und unter. Es hat einige Tage heissen Kampf gekostet, und es wird noch weiter einige Tage kosten; aber unsere Fahnen flattern bereits auf den Zinnen, wie Du aus verschiedenen Vorstössen der Fraktion im Reichstag sehen wirst. Der Diätenaufruf, der Coup gegen die Verlängerung der Legislaturperioden, der Antrag bzgl. der Polenausweisungen, der Diätenantrag als Schlag gegen die Deutsch-Freisinnigen, die aus Furcht vor Bissetzung der Polemik in der Neuen Zeit, die einen so aggressiv persönlichen und beleidigenden Charakter annahm, dass sie abgebrochen wurde. Der Verleger Dietz habe den Inhalt ungünstig beurteilt, und da sie zudem voller persönlicher Angriffe sei, habe er den Verlag abgelehnt. Bei Viereck habe Schramm Gehör gefunden. Ein Teil der Arbeit wurde im Recht auf Arbeit, Nr. 78, 79, 80, ver3öffentlicht. Nach seinem „Schlusswort" beschäftigte Kautsky sich nicht mehr mit Schramm, s. Brief 67, Anm. 5. 4 Bernstein unterzog Schramms Broschüre in seinem Aufsatz „Ein moralischer Kritiker und seine kritische Moral", Der Sozialdemokrat, Nr. 4-7, 21. Januar — 12. Februar, einer eingehenden Kritik.
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marck ihn nicht mehr bringen wollten etc., alles das ist auf m[eine] Anregung ohne jeden Widerspruch akzeptiert worden. Natürlich hat hier ganz wesentlich mitgewirkt, dass die Fraktion fühlte, so wie in letzter Session dürfe sie nicht mehr spielen, ohne verloren zu sein. Ferner hat L[ie]b[knecht] eingesehen, dass es in der alten Weise nicht mehr ging. Die Angriffe, die er in der letzten Zeit wegen seiner Artikel bzgl. des ,,N[ormal] arb[eits] t[ages]" 5 empfing, und namentlich dass er in der Fraktion gewahr wurde, dass die Grillenb[erger] und Auer, denen er den ganzen Sommer den Rücken gedeckt, ihn dafür nur hassten und in ihm den Hauptstänkerer sahen, weil er durch seine Zweideutigkeit Verwirrung erzeugte, brachte ihn zur Besinnung. Wie lange sie anhält, ist freilich eine andere Frage; denn ich habe die Bemerkung schon seit langem gemacht, dass sein Gefühl mit dem Alter überhandnimmt und die Überlegung überwuchert. Dazu kommt, dass er beständig Briefe, Leitartikel und Korrespondenzen schmiert, so muss man es bald nennen — in der Fraktion sagt man scherzweise, er leide an Tintentripper —, und daher keine Zeit zur Überlegung hat, sondern sich von jeder Gefühlswelle hinreissen lässt. Wie schon bemerkt, kam es in der Fraktion zu lebhaften Auseinandersetzungen über alle Streitfragen seit jener „berühmten" Erklärung.6 In Sachen Fr[ank]f[u]rt-Frohme erklärte ich ausdrücklich, dass ich die Fraktion als Forum nicht anerkenne, dass hier der Kongress entscheiden müsse. Das liess man ohne Widerspruch zu. Die Verhandlungen hier zu referieren, würde zu weit führen, es genügt zu konstatieren, dass ich von denselben bis jetzt sehr befriedigt bin, und dass die Dummheiten der letzten Session sich schwerlich wiederholen dürften, insbesondere dank der Haltung des übergrossen Teils der Parteigenossen. Selbst aus Hamburg, das die Hasenclever und Gen[ossen] bisher als ihre eigentliche Domäne ansahen, in der ich nur „geduldet" war, kam mir vor[ige] Woche von massgebender Seite ein Brief zu mit der Erklärung, dass, wenn es zu einer Abstimmung komme über mich und Frohme, uns beide nicht als Personen, sondern als Repräsentanten zweier Strömungen betrachtet, neun Zehntel auf meiner Seite, ein Zehntel auf Fr[ohme]s Seite stehen werde. Das gilt für ganz Deutschland. Es hiess noch, dass die Red[aktion] der Bürg[er]-Zeit[ung], die Beamten des Dietz'schen Geschäfts in H[amburg] und der grösste Teil der offiziellen Parteileiter gegen mich sei, die Masse für mich. Die Charakterisierung ist durchaus treffend; alles, was Stellung und Liebknechts Aufsatz „Über den Normalarbeitstag" erschien in Nr. 43-47 des Sozialdemokrat, 22. Oktober — 19. November. 6 S. Brief Nr. 78, Anm. 1. 5
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Amt hat, kurz mit der Parteigruppe in Verbindung steht, ist „gemässigt", die Masse oppositionell und revolutionär. Schum[acher]7 hat sich bis jetzt wenig in Berl[in] sehen lassen, er ist einer von denen, der seine bessere Einsicht seinem Interesse, wie er es versteht, opfert; bei anderen ist die Ansicht Überzeugung, meist unbewusste Interessenvertretung. Mit Deiner Ansicht in der Dampfersubvention8 — die uns übrigens diesmal nicht mehr beschäftigte, — die Kolonialpolitik, und was drum und dran hängt, hat sich so rasch abgewirtschaftet, dass die Eifrigsten kühl wurden —, bin ich nicht ganz einverstanden, und dass L[ie]bk[neoht] sich in der bekannten Weise darauf stützte, hat mir den Kampf sehr schwer gemacht. Zunächst haben wir im Reich mit Domänen nichts zu tun, die sind Landessache. Zweitens halte ich es für verkehrt, wenn man in der Politik eine Art Handels- und Schacherstandpunkt einnimmt; der verrückt und verdunkelt den prinzipiellen Standpunkt und führt unter Umständen auf die schiefe Ebene. Wir können doch nur Forderungen vertreten, von denen wir mit gutem Gewissen sagen können, sie lassen sich realisieren, wenn man will. Mit dieser Art Subventionierung von Ackerbaugenossenschaften — einmal für möglich gehalten, dass die bürgerliche] Gesellschaft darauf einginge — kämen wir aber in die traurigsten Experimente. Diese Genossenschaften gingen gerade so zugrunde wie die Schulze'schen auf Selbsthilfe gegründeten, und dann machtest Du mit diesem Vorschlag eine bedenkliche Konzession an den Lassalleanismus. Ich war prinzipiell gegen die Subvention, weil sie hiesse, die Bourgeoisie subventionieren, und weil wir mit Staatshilfe der bankerotten bürgerlichen] Gesellschaft nicht künstlich das Leben verlängern dürfen. Tut das die Gesellschaft sich selbst, so war eine neue wirksame Waffe für uns vorhanden; man bezahlte und half der Bourgeoisie aus den Taschen der Arbeiter, die bei unserem indirekten Steuersystem Dreiviertel der Reichseinkünfte bringen. Doch dieser Punkt ist glücklicherweise erledigt, er wird höchstens noch auf dem Kongress ein wenig Staub aufwirbeln. Die Ansichten, die Du mir in Deinem ersten Brief über die Lage Frankreichs und Englands auseinandersetztest, haben mich sehr interessiert und teilweise überzeugt. Es würde mir angenehm sein, gelegentlich zu hören von Dir, wie sich die englischen Liberalen zusammensetzen; denn diese Bezeichnung passt nicht mehr. Auch dass in den Städten der konservative Zug (Schutzzoll und Antifreihandel) die Oberhand bekam, ist interessant. Aus Verzweiflung wird " 8
S. Brief Nr. 84, Anm. 1. S. Brief Nr. 72.
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die Bourgeoisie reaktionär, nachdem sie sieht, dass all ihre „Ideale" sie nur dem Abgrund zuführen. Tout comme chez nous. Die letzte Debatte über unsere Anträge im Reichstag hat auch die Tatsache ans Licht gebracht, dass das letzte Bollwerk des bürgerlichen Liberalismus und Manchestertums, die Deutsch-freis[innige] Partei, auf dem Gebiet im Zerbröckeln ist, auf dem sie bisher noch am festesten zusammenhielt, auf dem sozialen; die Minorität erklärt sich für Sozialreform. Mir scheint denn doch, dass jetzt die letzten Register gezogen werden; denn wenn Saul unter die Propheten geht, ist's Matthäi am letzten. In der Tat ist kaum zu glauben, wie trostlos unsere ökonomischen Zustände sind; Klagen, die entsetzlichsten Klagen, wohin man hört. Und zwar nicht bloss bei den Arbeitern, da ist's selbstverständlich, auch nicht bei den kleinen Mittelleuten, die massenhaft vor dem Bankerott stehen, sondern selbst bei den Grossen und Grössten. Nach Neujahr gibts massenhaft Bankerotte, weil die letzte Hoffnung, das Weihnachtsgeschäft, fehlschlug. Ich stimme ganz mit den Ausführungen Deines letzten Briefes überein; wird das Balkanfeuer ein europäischer Brand, dann ist der europäische Krach, d.h. die europäische] Revolution fertig. Es sind überhaupt nur zwei Dinge, die die chronische Krise zur akuten machen können, eine gründliche Missernte in Europa, wenigstens dem grössten Teil desselben, oder ein Krieg. An erstere denkt man oben kaum oder unterschätzt ihre Wirkungen, sonst könnte man nicht so blödsinnig für abermalige Erhöhung der Lebensmittelzölle schwärmen. Dagegen übersieht man die Folgen eines grossen Kriegs genau und hat GROSSE Angst vor ihm. Daher das krampfhafte Bestreben, die Flammen auszutreten. Eine Weile mag's gelingen, schliesslich schlägt aber doch die Flamme empor, und dann am heftigsten, wann und wo man's am wenigsten erwartet. Ich lege mich jeden Tag mit dem Gedanken schlafen, dass das letzte Stündlein der bürgerlichen] Gesellschaft in Bälde schlägt. Nach London möchte ich gerne einmal wieder kommen, aber es geht nicht; einmal sind uns die Reichstagsbillete beschränkt, sie gelten nur vom Wohnort nach Berlin; dann habe ich mit Landtag und Reichstag und Fraktionsskandal so viel zu tun, dass ich Tag für Tag wie ein Pferd arbeiten muss. Gut, dass meine Konstitution bis jetzt ausgehalten hat, und ich hoffe, sie wird mehr Puffe vertragen. Kommt Singer zu Dir, grüsse ihn von mir und sage ihm, er werde, wenn er nach Berl[in] zurückkomme, seine parteigenössische Umgebung unter scharfe Kontrolle nehmen müssen. Dass das Stadtverordn[eten]-Wahlkomitee sich trotz unseres Beschlusses für Wahl-
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enthaltung aussprach,9 habe bei uns allen die Überzeugung hervorgerufen — die ich, wie er weiss, schon lange hatte —, dass in der Bewegung viel faules, vom Antisemitismus beeinflusstes Element stecke. Der Redaktfeux] des Berl[iner] Volksblattes Cronheim hat sich selbst privatim als Antisemit bekannt. Ich bin überzeugt, dass die Polizei das Blatt wie eine gewisse Freiheit in der Agitation nur duldet, weil sie die Hände im Spiele und gewisse Leute am Schnürchen hat. Die Polizei müsste dümmer sein, als sie ist, wenn sie die Umstände nicht auszunutzen verstände. Und mm will ich schliessen. Bitte grüsse K[autsky]s und sei aufs beste gegrüsst v[on] Deinem A . BEBEL.
• Am 4. Dezember hatte eine Versammlung im 8. Berliner Wahlbezirk die Unterstützung des Freisinnigen gegen einen Antisemiten in der Stichwahl trotz Bebels, Hasenclevers und Liebknechts Eintreten dafür abgelehnt und die Stimmenthaltung bei den Kommunalwahlen beschlossen.
8 6 . ENGELS AN B E B E L
Original.
London, den 20.[-23.] Januar 1886. Lieber Bebel!
Der grosse Schreckschuss ist also losgelassen, Schramm hat mir die Ehre angetan, mir ein Ex[emplar] des graussen Werks zukommen zu lassen;1 ich muss aber sagen, es ist gar zu pauvre, und der frühe Hinweis im S[ozial]-D[emokrat] darauf hat ihm viel zuviel Ehre angetan. Ede [Bernstein] wird dem Mann schon heimleuchten,2 auf einige mir aufgefallene Punkte hab' ich ihn schon durch K[autsky] aufmerksam gemacht, und die Hauptsachen findet er selbst. Für K[autsky] ist diese ganze Polemik mit Schr[amm] sehr nützlich gewesen. Schr[amm] ist geschickt genug — da er in der Sache selbst nichts sagen kann —, alle die Formfehler herauszugreifen, die K[autsky] teils aus jugendlichem Eifer, teils aus angelernter Universitätsund literarischer Praxis macht, und das war ihm eine sehr nützliche Lektion.3 In dieser Beziehung ist Ede, weil kein Universitätsmensch, kein Literat von Profession und doch im S[ozial]-D[emokrat] in stetem S. Brief Nr. 85, Anm. 1, 2. S. den Schluss des Briefes und Brief Nr. 85, Anm. 4. * Engels behandelte diese Angriffspunkte im Brief an Kautsky 20. September 1884. 1
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Kampf begriffen, dazu Geschäftsmann und, was nicht das geringste ist, Jude, dem K[autsky] schon jetzt sehr überlegen. Man lernt den Krieg eben nur im Kriege. Deine Nachrichten über die Stimmung in der Fraktion sind sehr erfreulich. Solange die Partei gut bleibt — und da bekommt die Kleinbürgerei sicher nicht das Oberwasser —, können die Böcke der Herren Vertreter nur dazu dienen, ihnen selbst derbe Lektionen zuzuziehen. Wie Du selbst sagst und was auch meine Ansicht ist, bekommen wir in Friedenszeiten nie das ganz richtige Material von Leuten in den Reichstag, und da ist die Hilfe, die uns die Partei durch ihren Druck auf die Herren Vertreter bringt, nicht hoch genug anzuschlagen; das zeigt ihnen, dass sie jeden ernstlichen Konflikt vermeiden müssen, und die Gewissheit, dass dem so ist, kann in einem entscheidenden Moment sehr wichtig werden, weil sie uns die Gewissheit gibt, dass man ohne Schaden resolut auftreten kann. Liebkn[echt] bombardiert mich in der letzten Zeit förmlich mit Briefen über Auskunft wegen allerlei. Ich habe die Gelegenheit benutzt, ihm meine Meinung über sein widerspruchsvolles Auftreten in aller Freundschaft kurz, aber bestimmt zu sagen; und als er das, wie gewöhnlich, auf mir zugekommene Klatschereien schieben wollte, ihm gesagt, der einzige Mensch, der ihm bei mir etwas am Zeuge flicken könne, heisse W. Liebknecht, der immer vergesse, was er in Briefen geschrieben und in Zeitungen habe drucken lassen. Im übrigen müssten wir diese seine Schwächen eben hinnehmen und täten das um so leichter, als wir wüssten, dass im wirklich entscheidenden Moment er doch auf dem rechten Fleck zu finden sein werde. Wobei er sich gegen seine Gewohnheit, immer das letzte Wort zu behalten, denn auch beruhigt hat. D a er die Schl[eswig]-Holst[einische] Kanalgeschichte 4 erwähnte, so benutzte ich die Gelegenheit, ihm zu sagen, dass es töricht sein würde, aus angeblicher Opposition gegen die Benutzung des Kanals durch die Flotte für einen seichten, weniger als acht bis neun Meter tiefen Kanal zu stimmen. Die grossen Handelsdampfer werden immer grösser, fünf- bis sechstausend Tons sind jetzt schon gewöhnlich, und die Häfen werden mehr und mehr für den entsprechenden Tiefgang eingerichtet. Diejenigen, die das nicht können, veralten und verkommen, und das wird auch in der Ostsee der Fall sein. Soll die Ostsee am überseeischen Handel teilnehmen, so müssen dort ent-
Der Kaiser-Wilhelm-Kanal (Nord-Ostsee-Kanal) wurde 1887-95 erbaut, um eine sichere Verbindung für die Nord- und Ostseeflotte zu schaffen.
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sprechend tiefe Häfen eingerichtet werden, und das geschieht dort ebenso sicher wie anderswo. Den Kanal aber so einrichten, dass er in zehn bis zwanzig Jahren ebenso nutzlos und veraltet ist wie der alte Eiderkanal, hiesse Geld zum Fenster hinauswerfen. Was meinen Vorschlag wegen der Produktivgenossen [schaft] auf Domänen anging, so hatte der nur den Zweck, der Majorität, die ja damals für die Dampfersubv[ention] war, einen Ausweg zu zeigen, wie sie mit Anstand dagegen stimmen könne, aus der Sackgasse komme, in der sie festsass. Er war aber meiner Ansicht nach prinzipiell durchaus korrekt. Ganz richtig, wir sollen nur durchführbare Vorschläge machen, wenn wir Positives vorschlagen. Aber durchführbar der Sache nach, einerlei, ob die bestehende Regierung es kann. Ich gehe noch weiter: wenn wir sozialistische, zum Sturz der kapitalistischen] Produktion führende Massregeln vorschlagen (wie diese), dann nur solche, die sachlich praktisch, aber für diese Regierung unmöglich sind. Denn diese Regierung versaut und verdirbt jede solche Massregel, führt sie nur durch, um sie zu ruinieren. Diesen Vorschlag aber führt keine junkerliche oder Bourgeoisregierung durch. Dem Landproletariat der Ostprovinzen den Weg zeigen, es selbst auf den Weg stellen, auf dem es die Junker- und Pächterausbeutung vernichten kann — gerade die Bevölkerung in die Bewegung zu ziehen, deren Verknechtung und Verdummung die Regimenter liefert, auf denen das ganze Preussen beruht; kurz, Preussen von innen, an der Wurzel kaputtmachen, das fällt ihnen nicht ein. E s ist dies eine Massregel, die wir unter allen Umständen poussieren müssen, solange das grosse Grundeigentum dort besteht, und die wir selbst durchführen müssen, sobald wir ans Ruder kommen: die Ubertragung — pachtweise zunächst — der grossen Güter an selbstwirtschaftende Genossenschaften unter Staatsleitung und so, dass der Staat Eigentümer des Bodens bleibt. Die Massregel hat aber den grossen Vorteil, dass sie praktisch durchführbar ist, der Sache nach; aber dass keine Partei ausser uns sie in Angriff nehmen, also auch keine Partei sie verfumfeien kann. Und damit allein ist Preussen kaputt, und je früher wir sie popularisieren, desto besser für uns. Die Sache hat weder mit Sch[ulze]-Delitzsch noch mit Lassalle zu tun. Beide proponierten kleine Genossenschaften, der eine mit, der andere ohne Staatshilfe; aber bei beiden sollten die Genossenschaften nicht in den Besitz schon bestehender Produktionsmittel kommen, sondern neben der bestehenden kapitalistischen] Produktion eine neue genossenschaftliche] herstellen. Mein Vorschlag verlangt Einrücken der Genossenschaften in die bestehende Produktion. Man soll ihnen Land geben, das sonst doch kapitalistisch ausgebeutet würde; wie die Pariser Kommune verlangte, die Arbeiter sollten die von den 252
Fabrikanten stillgesetzten Fabriken genossenschaftlich betreiben.5 Das ist der grosse Unterschied. Und dass wir beim Ubergang in die volle kommunistische Wirtschaft den genossenschaftlichen Betrieb als Mittelstufe in ausgedehntem Mass werden anwenden müssen, daran haben Marx und ich nie gezweifelt.6 Nur muss die Sache so eingerichtet werden, dass die Gesellschaft, also zunächst der Staat, das Eigentum an den Produktionsmitteln behält, und so die Sonderinteressen der Genossenschaft, gegenüber der Gesellschaft im ganzen, sich nicht festsetzen können. Dass das Reich keine Domänen hat, macht nichts aus; man kann die Form finden ganz wie bei der Polendebatte,7 wo die Ausweisungen das Reich auch direkt nichts angingen. Eben weil die Regierung solche Dinge nie akzeptieren kann, eben deshalb war es ungefährlich, die von mir vorgeschlagene Dotation als Gegenstück gegen die Dampferdotation zu verlangen. Hätte die Regierung darauf eingehen können, so hättest Du natürlich recht. Das Zerbröckeln der Deutsch-freisinnigen auf ökonomischem Gebiet entspricht ganz dem, was bei den englischen Radikalen vorgeht.8 Die alten Manchesterleute ä la John Bright sterben ab, und die jüngere Generation macht, ganz wie die Berliner, in sozialer Flickreform. Nur dass hier der Bourgeois nicht sowohl dem Industriearbeiter als dem Landarbeiter helfen will, der ihm soeben bei den Wahlen ausgezeichnete Dienste geleistet, und dass nach englischer Art nicht sowohl der Staat wie die Gemeinde einschreiten soll. Für die Landarbeiter Gärtchen und Kartoffelfeldchen, für die städtischen sanitäre und dgl. Verbesserungen, das ist ihr Programm. Es ist ein vortreffliches Zeichen, dass die Bourgeois schon ihre eigene klassische ökonomische Theorie opfern müssen, teils aus politischen Rücksichten, teils aber, weil sie 5 S. Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich, 3. Aufl. (Berlin, 1891), S. 53f. Dazu etwa H. Koechlin, Die Pariser Commune im Bewusstsein ihrer Anhänger (Basel, 1950), S. 165f. S. auch Engels an Bernstein 1. Januar 1884. 6 S. die Inauguraladresse der IAA., Berlin 1922, S. 27f. über die Genossenschaftsbewegung, namentlich die „genossenschaftlichen Fabriken"; ferner die von Marx verfasste Resolution des Genfer Kongresses der IAA. 1866 über die Genossenschaften. Resolutions of the Congress of Geneva, 1866..., Ausgabe der IAA. (London, o.J.), S. 7ff. 7 Wegen „Polonismus und polnischer Propaganda" wurden 30.000 eingewanderte Polen aus Preussen ausgewiesen. Bismarck hatte, gestützt auf ein Schreiben Wilhelm I., eine Debatte darüber in der Reichstagssitzung vom 1. Dezember mit der Begründung abgelehnt, es gebe keine Reichsregierung, die unter Kontrolle des Reichstags die Aufsicht über die Handhabung der Landeshoheitsrechte zu führen habe; die Ausweisungen seien Sache preussischer Landeshoheit. Trotzdem wurden sie am 15. und 16. Januar vom Reichstag behandelt, weil, wie es im sozialdemokratischen Antrag hiess, die Ausweisungen zu aussenpolitischen und völkerrechtlichen Verwicklungen führen könnten. 8 Über J. Chamberlains sozialliberales Programm s. Brief Nr. 81, Anm. 5.
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selbst, durch die praktischen Konsequenzen dieser Theorie, an ihr irre geworden sind. Dasselbe beweist das Wachsen des Kathedersozialismus, der in dieser oder jener Form die klassische Ökonomie auch hier und in Frankreich von den Lehrstühlen mehr und mehr verdrängt. Die tatsächlichen Widersprüche, die die Produktionsweise erzeugt, sind so grell geworden, dass eben keine Theorie mehr sie vertuschen kann; es sei denn der kathedersozialistische Mischmasch, der aber keine Theorie mehr ist, sondern nur Kohl. Vor sechs Wochen hiess es hier, es zeigten sich Symptome der Besserung im Geschäft. Jetzt ist das alles schon wieder verrauscht, die Not ist grösser als je und. die Aussichtslosigkeit auch, dazu ein ungewohnt strenger Winter. Dies ist nun schon das achte Jahr des Druckes der Uberproduktion auf die Märkte, und statt besser, wird's immer schlimmer. E s ist kein Zweifel mehr, die L a g e hat sich wesentlich gegen früher geändert; seit England bedeutende Nebenbuhler auf dem Weltmarkt bekommen, ist die Periode der Krisen im bisherigen Sinn abgeschlossen. Wenn die Krisen aus akuten zu chronischen werden, aber dabei an Intensität nichts verlieren, wie kann das auslaufen? Eine wenn auch kurze Periode der Prosperität muss doch einmal wiederkommen, nachdem der Schwärm der Waren sich verlaufen hat; aber wie das alles sich machen wird, bin ich begierig zu sehen. Zweierlei ist aber sicher: wir sind in eine Periode eingetreten, die dem Bestand der alten Gesellschaft ungleich gefährlicher ist, als die Periode der zehnjährigen Krisen; und zweitens: England wird von der Prosperität, wenn sie kommt, in viel geringerem Mass betroffen werden als früher, wo es den Rahm vom Weltmarkt allein abschöpfte. An dem Tag, wo das hier klar wird, an dem T a g wird die sozialistische Bewegung hier ernstlich, früher nicht. Uber die Zusammensetzung der englischen] Liberalen ein andermal. Das ist ein weitläufiges Thema, weil Schilderung eines Ubergangszustandes. Die Debatte über den Polenantrag (erster Tag) habe ich heute morgen von Dresden erhalten. Der zweite T a g folgt wohl bald. Diese Sendungen sind mir um so wichtiger, als ich jetzt nur noch die Z[ei]t[un]g sehe, die nur ganz Wochenausgabe der Kölnfischen] kurze Auszüge der Debatten gibt. Wie werden die stenographischen] Berichte verkauft? Ich zahle gern für alle Debatten, in denen unsere Leute ernstlich eingreifen. Die Reise nach Amerika solltest D u unter allen Umständen mitmachen. Einerseits hängt der Erfolg sehr von Deiner Anwesenheit mit ab. Zweitens ist die Partei nur dann vollständig richtig vertreten, wenn D u dabei bist. Gehst D u nicht, so wird der erste beste mit L[iebknecht] geschickt, und wer weiss, was dann passiert. Drittens 254
solltest Du die Gelegenheit nicht versäumen, das progressivste Land der Welt mit eigenen Augen zu sehen. Das Leben in den deutschen Verhältnissen übt auf jeden, auch den besten, einen drückenden und beengenden Einfluss aus; ich weiss das aus eigener Erfahrung, man muss wenigstens von Zeit zu Zeit heraus. Und dann bekommen wir Dich auch einmal wieder her. Könnte ich von meinen Arbeiten abkommen, ich wäre längst einmal hinübergerutscht; ich hoffte immer, es einmal mit M[arx] tun zu können. Du und L[iebknecht] repräsentiert einmal für das Ausland die Partei, und da ist keiner von Euch beiden zu ersetzen. Bleibst Du weg, so macht das einen Ausfall von fünf- bis zehntausend Mark, vielleicht mehr. Die Sache kann aber auch sehr angenehm werden. Nämlich Tussy und Aveling sind in Korrespondenz mit den amerikanischen Freidenkern wegen einer Spekulationsreise dahin und wünschen sie mit der Eurigen zu verbinden.9 Die Antwort wird wohl in drei bis vier Wochen hier sein. Das gäbe dann eine ganz nette Reisegesellschaft zu vieren. Jetzt aber leb wohl für heute. A propos, Ede hat meine Erwartungen in seinem ersten Artikel gegen Schr[amm] übertroffen. Ganz famos. Er hat in der Tat den Krieg nach Strategie und Taktik gelernt. 23. Jan[uar]. Dein F. E. ' Avelings unternahmen die von der Sozialistischen Arbeiterpartei vorbereitete Propagandareise zusammen mit Liebknecht im Herbst 1886.
8 7 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin, den 12. Februar 1886.
Original. Lieber Engels!
Deinen Brief habe ich erhalten; aber von einer Beantwortung muss ich heute absehen. Was mich zum Schreiben veranlasst, sind die Londoner Skandale,1 die in einem Teil der hies[igen] Presse offenbar gewaltig übertrieben und zugunsten der Verlängerung des Sozialistengesetzes ausgeschlachtet werden. Da ich annehme, dass Du gut unterrichtet bist und namentlich die Hyndman, Burns usw. genau kennst, bitte ich Dich, mir umgehend mitzuteilen, was Du über die Stellung dieser Leute und die ganzen Vorgänge weisst. Das Sozialisten]gesetz kommt Mitte nächster Woche 1
S. darüber den folgenden Brief.
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zur Verhandlung, und soll ich namens der Fraktion dazu sprechen. Da könnte ich Deine Mitteilungen sehr gut verwerten. Schreibe hierher Reichstag, aber charge. Mit d[en] best[en] Grüssen Dein A.
88. ENGELS AN
BEBEL.
BEBEL
London, den 15. Februar 1886.
Original. Lieber Bebel!
Dein Brief kommt mir gerade recht, ich wollte Dir ohnehin heute eine andere erfreuliche Mitteilung machen — darüber weiter unten. Also der Krawall vom 8. c. Die Social Democratic Federation, eine trotz aller Reklameberichte äusserst schwache Organisation, die gute Elemente enthält, aber von literarisch-politischen Abenteurern geführt wird, war durch Geniestreiche dieser letzteren bei den Novemberwahlen an den Rand der Auflösung gekommen. Hyndman (gesprochen Heindman), der Chef der Gesellschaft, hatte damals Geld von den Tories (Konservativen) genommen und damit in zwei Londoner Bezirken soz[ial]dem[okratische] Kandidaten aufgestellt. Da sie in diesen beiden Wahlkreisen nicht einmal eine Mitgliedschaft hatten, war die Blamage vorauszusehen (der eine erhielt 27, der andere 32 Stimmen aus je 4-5000!). Kaum aber hatte H[yndman] das Torygeld, so schwoll ihm der Kamm mächtig; und er reiste nun sofort nach Birmingham zu Chamberlain, dem jetzigen Minister, und offerierte ihm seine „Unterstützung" (die in ganz England keine tausend Stimmen ausmachte), falls Chfamberlain] ihm, dem H[yndman], einen Parlamentssitz in Birmingham mit Hilfe der Liberalen sichern und eine Achtstundenbill einbringen wolle. Chfamberlain] ist kein Esel und wies ihm die Tür. Darüber, trotz aller Vertuschungsversuche, grosser Radau in der Föderation und drohende Auflösung derselben. Jetzt musste also etwas geschehn, um die Sache wieder in Gang zu bringen.1 Inzwischen stieg hier die Arbeitslosigkeit immer mehr. Der Zusammenbruch des englischen Weltmarkts-Monopols hat es fertiggebracht, 1 Hyndmans Darstellung der Vorgänge in The Record of an Adventurous Life (London, 1911), S. 400ff. Hyndman und Champion gingen erst zu Chamberlain und dann zu den Konservativen. M. Beer, Geschichte des Sozialismus in England (Stuttgart, 1913), S. 449.
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dass die Krise seit 1878 ununterbrochen anhält und eher schlimmer als besser wird. Die Not namentlich im Ostend der Stadt ist schauderhaft. Der ungewöhnlich strenge Winter, seit Januar, daneben die grenzenlose Gleichgültigkeit der besitzenden Klassen, brachte grössere Bewegung unter die arbeitslosen Massen. Wie immer wurde diese Bewegung von politischen Machern zu ihren Zwecken auszubeuten versucht. Die soeben von der Regierung verdrängten Konservativen schoben die Arbeitslosigkeit auf die fremde Konkurrenz (mit Recht) und die fremden Schutzzölle (grossenteils mit Unrecht) und predigten „fair trade" d.h. Kampfzölle. Es existiert auch eine Arbeiterorganisation, die vorwiegend an Kampfzölle glaubt. Diese berief das Meeting vom 8. ds. nach Trafalgar Square. Inzwischen war dieSoc[ial] Dem[ocratic] Federation auch nicht faul gewesen, hatte schon im kleinen demonstriert und wollte nun dies Meeting benutzen. Es fanden also zwei Meetings statt, das der Kampfzöllner um die Nelsonsäule, während die Leute der Sfocial] Dfemocratic] Federation vom Nordend des Platzes, von der ca. fünfundzwanzig Fuss höheren Strasse gegenüber der National Gallery herab sprachen. Kautsky 2 war dort, ging weg, ehe der Krawall begann, und erzählte mir, die Masse der eigentlichen Arbeiter sei bei den Kampfzöllnern gewesen, während Hyndman und Co. ein gemischtes, Ulk suchendes, teilweise bereits angeheitertes Publikum hatten. Wenn K[autsky] dies sah, der kaum ein Jahr hier ist, so mussten die Herren von der Föderation es noch besser sehen. Trotzdem aber setzten sie, als schon alles sich zu verlaufen schien, eine alte Lieblingsidee Hyndmans ins Werk, nämlich eine Prozession der „Arbeitslosen" durch Pall Mall, die Strasse der grossen politischen, aristokratischen und hochkapitalistischen Klubs, der Zentren der politischen Intrige von England. Die Arbeitslosen, die ihnen folgten, um ein neues Meeting in Hyde Park zu halten, waren meist solche, die überhaupt keine Arbeit wollen, Höker, Bummler, Polizeispione, Spitzbuben. Verhöhnt von den Aristokraten an den Klubfenstern, warfen sie diese letzteren ein, dito Ladenfenster, plünderten Weinhandlungen, um den Konsumverein dafür sofort auf der Strasse zu etablieren, so dass Hyndman und Co. im Hydepark ihre blutrünstigen Redensarten sofort einstecken und abwiegeln mussten. Aber die Sache war im Gang. Während des Zuges, während dieses zweiten kleinen Meetings und nachher wälzten sich die von Hyndman für Arbeitslose gehaltenen Massen des Lumpenproletariats durch einige anstossende feine Strassen, plünderten Juwelier- und andere Läden, benutzten die Brote und Hammelkeulen, die sie geplündert, lediglich zum Fenster2 Kautsky berichtete darüber in der Deutschen Wochenschrift, Wien Nr. 8, 21. Februar, u.d.T. „Arbeiterunruhen in London."
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einwerfen und verliefen sich, ohne Widerstand zu finden. Nur ein Rest wurde in Oxford Street durch vier, sage vier Polizisten zersprengt.3 Die Polizei war sonst nirgends zu sehen und so auffällig abwesend, dass nicht nur wir an Absicht glauben mussten. Die Chefs der Polizei scheinen Konservative zu sein und ein bisschen Krawall in dieser Zeit liberaler Regierung nicht ungern gesehen zu haben. Die Regierung hat aber sofort eine Untersuchungskommission eingesetzt, und es kann mehr als einen der Herren seinen Platz kosten. Daneben ist denn auch eine sehr lahme Verfolgung gegen Hyndman und Co. eingeleitet worden,4 die ganz so aussieht, als wolle man sie im Sand verlaufen lassen, obwohl das englische Gesetz sehr scharfe Mittel bietet, sobald auf aufregende Reden wirkliche Tathandlungen gefolgt sind. Die Herren haben allerdings viel von sozialer Revolution geflunkert, was gegenüber diesem Publikum und in Abwesenheit jedes organisierten Rückhalts in den Massen reiner Blödsinn war; ich kann aber kaum glauben, dass die Regierung so dumm ist, sie zu Märtyrern machen zu wollen. Diese Herren Sozialisten wollen mit Gewalt eine Bewegung über Naoht hervorzaubern, die notwendig hier wie anderswo jahrelange Arbeit erfordert; wenn sie auch, einmal im Gang und den Massen durch die historischen Ereignisse aufgezwungen, hier weit rascher gehen wird als auf dem Kontinent. Aber Leute wie jene können nicht warten und begehen daher solche Kindereien, wie wir sie sonst nur bei den Anarchisten gewohnt sind. Der Schrecken beim Philister dauerte vier Tage und hat sich endlich gelegt. Er hat das Gute gehabt, dass die Not, die von den Liberalen einfach weggeleugnet und von den Konservativen nur zu ihren Zwecken auszubeuten versucht wurde, jetzt anerkannt wird, und man sieht, dass wenigstens zum Schein etwas geschehen muss. Aber der vom Lord Mayor eröffnete Subskriptionsfonds betrug bis Samstag kaum zwanzigtausend Pfd. St[erling] und reicht, für alle Brotlose berechnet, kaum auf zwei Tage! Soviel ist aber wieder bewiesen: die besitzenden Klassen sind gleichgültig gegen alles Massenelend, bis ihnen Angst eingejagt wird, und ich bin noch nicht sicher, dass sie nicht noch etwas mehr Schrecken nötig haben. Nun zu Frankreich. Hier hat sich vorige Woche eine Geschichte zugetragen, die Epoche macht: die Konstituierung einer ArbeiterEine Darstellung der Ereignisse am 8. Februar und eine Richtigstellung der Berichte in der deutschen Presse, nach denen es sich um einen „anarchistischsozialistischen Aufruhr in London" handelte, brachte Der Sozialdemokrat in Nr. 8, 19. Februar; s. ferner den Leitartikel „.Gesindel* und Revolution" in Nr. 9, 26. Februar. 4 S. Briefe Nr. 90, 91.
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partei in der Kammer. Es sind nur drei Mann,5 dazu noch zwei Radikale, aber der Anfang ist da, und die Scheidung ist komplett. Basly (gesprochen Bali), Bergarbeiter und später Wirt (weil gemassregelt) aus Anzin, hat die Massakrierung des infamen Minenverwalters Watrin in Decazeville an Ort und Stelle untersucht.4 Bei seiner Rückkehr erstattete er zuerst einem grossen Meeting am 7. in Paris Bericht, wobei die Radikalen der Kammer schlecht wegkamen. Am Donnerstag interpellierte er das Ministerium in der Kammer in einer ganz famosen Rede. Die ganze äusserste Linke Hess ihn im Stich. Nur die beiden anderen Arbeiter, Boyer (aus Marseille, Ex-Anarchist) und Camelinat (Ex-Proudhonist, Kommuneflüchtling) traten für ihn auf, sonst applaudierten noch Clovis Hugues und Planteau; die anderen äussersten Radikalen waren wie vom Donner gelähmt bei diesem ersten kühnen, selbständigen Auftreten des französischen] Proletariats in der Kammer. (Unter uns steht Basly ganz unter dem Einfluss unserer Leute, Lafargue, Guesde etc., deren theoretischen Rat er sehr bedarf und gern akzeptiert.) Ich schicke Dir den Cri du Peuple mit dem ausführlichen Bericht dieser historischen Sitzung und bitte Dich, ihn zu studieren.7 Es ist der Mühe wert. Die Gegenkontrolle über die Wichtigkeit dieses Bruches erhielt ich durch Longuet, der gerade herkam und als Freund und Mitredakteur von Clemenceau sich ziemlich missliebig über dies unparlamentarische Betragen der Arbeiter aussprach. Jetzt haben wir also auch in Paris Leute im Parlament, und ich Emile Basly (1854-1928), 1885 republikanischer, 1891 sozialistischer Abgeordneter, Vorsitzender des Bergarbeiter-Verbandes, seit 1910 Bürgermeister von Lens. — Antide Boyer (1850-1918), Mitglied der Kommune von Marseille, bis 1910 sozialistischer Abgeordneter. — Zephirin Camelinat (1840-1932), Mitglied der IAA. und der Kommune, 1885 republikanischer Abgeordneter, Sekretär des Parti Socialiste de France. — Die beiden Radikalen waren Clovis Hugues (18511907) und Edouard Planteau (geb. 1838); beide wurden Anhänger Boulangers und zogen sich 1889 aus dem politischen Leben zurück. 6 Der Streik in den Kohlengruben der Compagnie d'Aubin in Decazeville brach am 27. Januar aus, und zwar wegen gröblicher Vernachlässigung der Sicherheitsvorrichtungen in den Gruben und scharfer Lohnkürzungen. Am 26. Januar war der Unterdirektor Watrin, in dem die Arbeiter den Hauptverantwortlichen für diese Massnahmen sahen, bei einem Zusammenstoss getötet, worauf Polizei nach Decazeville beordert wurde. Während der vielen Wochen der Streikdauer berichtete der Cri du Peuple von Nr. 825, 31. Januar an ausführlich darüber. 7 Das Blatt brachte die Interpellation in Nr. 837, 12. Februar, s.a. Le Socialiste, Nr. 25, 13. Februar, und die Parlamentsverhandlung darüber in Nr. 838, 13. Februar. Der Sozialdemokrat berichtete darüber in Nr. 10, 5. März. Basly hatte den Streik in Denainville geleitet, s. Brief Nr. 62, Anm. 6; über Basly Le Socialiste, Nr. 30-32, 20., 27. März, 3. April 1886.
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freue mich nicht nur wegen der Franzosen, denen dies enorm rasch voranhelfen wird, sondern auch wegen unserer Fraktion, die in der Kühnheit des Auftretens stellenweise noch manches von jenen lernen kann; jetzt hat man doch auch auswärtige Beispiele, die man den Angstmeiern und Schwachmatischen vorhalten kann. Das Schönste ist, die Leute waren von den Radikalen vorgeschlagen in der Hoffnung, man werde sie einseifen, und jetzt haben sie das Nachsehen. Auch ich war wegen Camelinat sehr in Zweifel als altem Proudhonisten, aber für ihn sprach, dass er als Flüchtling hier sich sofort in Birmingham Arbeit suchte (er ist einer der besten Ziseleure) und alle Flüchtlingspolitik laufen liess. Postschluss. Dein F. E.
8 9 . B E B E L AN
ENGELS
Plauen-Dresden, den 9. März 1886. Lieber Engels! Endlich komme ich wieder einmal dazu, Dir etwas ausführlicher zu schreiben. Ich will zunächst mit Schramm beginnen, weil Du diesen in Deinem ersten Brief zunächst erwähntest. Die Warnung im S[ozial]d[emokratj1 wurde gegen seine Schrift erlassen nicht, weil man sie überschätzte, sondern weil in den deutschen Arbeiterblättern in tendenziöser Weise Reklame dafür gemacht wurde und die Parteigenossen darauf hereinfallen mussten. Ede hat ihn übrigens gut zugedeckt und Schr[amm] in der Partei moralisch vernichtet. Den Rest hat er sich selbst gegeben dadurch, dass er die Indiskretionen in seiner letzten Erklärung2 beging, die jetzt von der gesamten gegnerischen Presse gegen die Partei weidlich ausgeschlachtet werden. Die Herren Korrespondenten sind darüber sehr betreten, und sie werden dafür auf S. Brief Nr. 85, Anm. 1, 2. In einer Zuschrift an die Redaktion des Sozialdemokrat, Nr. 9 vom 26. Februar erklärte Schramm u.a., „ . . . dass sich neben Herrn Viereck noch ein anderer Abgeordneter bereit erklärt hat, den Verlag zu übernehmen, wenn ich nur die Vorrede fortlassen wollte, und dass ein dritter Abgeordneter meine Schrift sogar eine Tat genannt, für welche ich Dank verdient habe." Gegen seinen Vorwurf, die „auf dem Boden des einseitigen Marxismus stehende Klicke" glaube „verblendeterweise das Ziel der Bewegung durch eine gewaltsame Revolution erreichen zu können" und vertröste „daher die Arbeiter auf eine solche", wandte sich Bernstein in seiner Antwort in derselben Nummer. 1
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dem nächsten Kongress wohl die Nase geputzt bekommen. Schr[amm] ist übrigens doch ein gemeiner Kerl. Die beiden Berichte über die Sozialistendebatte wirst Du empfangen haben. Du hast also die beste Gelegenheit, Dir ein Bild von der Fraktion zu machen. Der Druck von aussen spiegelt sich in der Debatte wider. Mit dem Gesetz wird's kommen, wie ich vorausgesagt habe. In der Kommission werden die Windhorstschen Anträge in der Regel mit zwölf gegen neun Stimmen angenommen, weil die Deutschfreisinnigen dafür stimmen, bei der Schlussabstimmung aber werden diese die „Radikalen" herausbeissen und gegen das ganze stimmen, weil sie kein amendiertes, sondern gar kein Gesetz wollen, und dann wird das Verhältnis umgekehrt. Im Plenum wird sich dann dasselbe Spiel wiederholen, und da auf diese Art keine Mehrheit für das amendierte Gesetz zu haben ist, ist das Zentrum genötigt, die nötige Zahl für das unveränderte Gesetz zu liefern. So wird dieses mit kleiner Mehrheit durchgehen, und zwar wahrscheinlich auf drei Jahre. Zentrumsmitglieder erklärten mir zwar in den letzten Tagen, dass ihre Partei für das unveränderte Gesetz nicht stimmen werde; allein ich glaube nicht daran. In zirka vierzehn Tagen dürfte die zweite Beratung stattfinden, der dann unmittelbar die dritte folgt. 3 Dass des Kronprinzen Zustimmung für das Gesetz vorhanden ist, betrachte ich als unzweifelhaft; ich hatte also mit meiner Auffassung recht. Ein ganz grimmiger Gegner von uns ist sein ältester Sohn, der überkünftige Thronerbe, der bereits seinen Soldaten gegenüber dem Hasse gegen uns Ausdruck gegeben hat. Von ihrem Standpunkte aus haben die Herrschaften recht; sie können und dürfen uns nicht freie Bahn geben, weil die Verhältnisse uns so schön in nie geahnter Weise in die Hände arbeiten. Der Ausfall der letzten Wahl war wieder so ein Menetekel. Man hat uns zwar diesmal keine direkten Hindernisse für die Agitation in den Weg gelegt, aber um so mehr indirekte. Die Wirte wurden vielfach genötigt, uns die Säle zu Versammlungen zu verweigern, und ausserdem arbeitete der ganze behördliche und wirtschaftliche Einfluss unserer Gegner mit Hochdruck; sonst hätten wir noch einige tausend Stimmen mehr gehabt. Was mich am meisten freut, ist, dass der neue Gewählte zu unseren entschiedensten Leuten gehört.4 Im gegenwärtigen Stadium unserer Entwicklung ist dieser Sieg von 3
S. Brief Nr. 91, Anm. 1. Anfang März wurde bei einer Ersatzwahl der 19. sächsische Reichstagswahlkreis (Schneeberg-Stollberg) zurückerobert. Mit 8.420 gegen 7.476 Stimmen siegte Friedrich Geyer (1853-1937); er war Zigarrenfabrikant, 1890 Redakteur des Wähler, Leipzig, seit 1895 des Tabakarbeiter, ebd., Mitglied des sächsischen Landtags seit 1885, des Reichstags 1886-87 und seit 1890. 4
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grossem moralischen Vorteil, und er wird bei der demnächstigen Beratung des Sozialisten] gesetzes nach beiden Seiten hin verwertet werden. Mir scheint, dass Kautsky in der W[iener] Wochensch[rift] sich etwas zu sehr gegen Hyndman engagiert hat. 5 Jedenfalls hat H[yndman] grossen Mut bewiesen und sich auch vor Gericht durchaus korrekt gehalten. Auch hat er wider Willen vielleicht der Partei insofern einen grossen Dienst geleistet, als er die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Sozialismus lenkte und die englische Bourgeoisie zwang, sich mit demselben zu beschäftigen. Täuscht mich nicht mein Gefühl, so beginnt jetzt für England die sozialistische Bewegung Ernst zu werden; sicher verschwindet sie nicht wieder von der Tagesordnung. Dass es nicht die saubersten Hände sind, welche die Bewegung in der Hand haben, soll mich nicht zu sehr genieren. Wie sah es vor zwanzig Jahren nach Lassalles Tode in Deutschland aus, nichts als Schmutz und wieder Schmutz; aber er wurde überwunden. So wird's auch in England gehen. Die Zeiten sind ja ausserordentlich günstig. Ich fasse die Zustände und ihre Weiterentwicklung in einer für die herrschende Gesellschaft sehr pessimistischen Weise auf. Ich glaube an keine Prosperitätsperiode von irgendwelcher Dauer mehr; wir kommen aus der Überproduktion nicht mehr heraus. Tritt eine Wiederbelebungsperiode ein, so währt sie keine sechs Monate, und die Verhältnisse sind schlimmer als zuvor. Das wird so lange dauern, bis entweder eine Missernte eintritt und die Lebensmittelpreise für die ausgehungerten, proletarisierten Massen zu unerschwinglicher Höhe treibt, oder bis ein grosser Krieg das Signal zum allgemeinen Bankerott gibt; dann haben wir die Katastrophe auf dem Hals. Zahlreiche Andeutungen, die ich hier und da gehört und gesehen habe, geben mir die Gewissheit, dass man a w h „Oben" sich nicht über die Situation täuscht. Man sieht mit grosser Sorge der Zukunft entgegen und weiss nicht, wie man dem Verhängnis entrinnen soll. Das Treiben Bismarcks in der Polenfrage 8 treibt uns weiter Wasser auf die Mühle; seine Getreuesten fangen an, irre zu werden und fragen, wo das hinaus soll. Die Branntweinmonopolfrage kommt uns 5
Kautsky hatte in der Brief Nr. 88 Anm. 2 erwähnten Korrespondenz über die Londoner Unruhen in demselben Sinne berichtet wie Engels im vorigen Brief. 6 S. Brief Nr. 86, Anm. 7. Auch Waldersee meinte „nach gründlicher Prüfung", dass „im einzelnen Fall unglaubliche Härten verübt sind .. . Mit eine Ursache der Fehler ist die Art Bismarcks, keinen Widerspruch zu dulden; man hat nicht gewagt, ihm zu sagen, die Angelegenheit dürfe so nicht weitergeführt werden. Es beweist dies übrigens auch, wie er die Menschen zu charakterlosen Figuren macht, was recht zu bedauern ist. .." Denkwürdigkeiten, I, S. 273.
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ebenfalls zustatten; ich hätte nur gewünscht, dass Schumacher, der in unserem Namen sprach, unseren Standpunkt kräftiger vertrat, sonst sprach er korrekt.7 Ich werde Dir die Verhandlungen über das Sozialistengesetz zugehen lassen. Nach Amerika gehe ich nicht. Mir hat die Agitation im 19. Wahlkreis erst wieder gezeigt, dass ich meinen Spraohorganen keine allzu grossen Zumutungen mehr machen darf. Fünf oder sechs Versammlungen halte ich aus, aber alsdann bin ich fertig. Nun soll ich aber in Amerika mehrere Wochen lang fast Tag für Tag öffentlich reden, dazu kommen die Reisestrapazen, die Anforderungen, welche die zahlreichen Bekannten allerorten an private Auskunft und Unterhaltung stellen, jede Nacht kommt man ungewöhnlich spät zu Bett. Das ist des Guten zuviel. Endlich habe ich bei meiner Frau und Tochter heftigen Widerspruch gefunden; sie bilden sich ein, ich ginge auf der Reise zugrunde, und dass einige gute Freunde sich ähnlich äusserten, hat ihren Widerstand nur bestärkt. Könnte ich die Reise ohne die Strapazen der Agitation machen, würde ich sie unternehmen; denn darin stimme ich Dir bei, dass man sehr vieles drüben lernen kann, was nirgends sonst zu sehen und zu lernen ist. Liebknfecht] will nunmehr allein gehen,8 und er macht die Reise auch schon wesentlich deshalb, um zu versuchen, ob er nicht für seine Kinder drüben für später ein Unterkommen findet. Gehe ich nun nicht nach Amerika, so will ich sehen, ob ich nicht den Herbst nach London kommen kann; ich hoffe, dass mir dies möglich sein wird. Den Cri du Peuple habe ich mit Deinem Brief erhalten und gelesen. B[asly] hat sich sehr gut gehalten. Eine solche Sprache ist bei uns in Deutschland rein unmöglich, weil das Niveau der Schreib- und Redefreiheit in Frankreich ein unendlich höheres ist als bei uns. Das haben all die Umwälzungen seit hundert Jahren in Frankreich, wo bald diese, bald jene Partei Amboss war, herbeigeführt. Sobald bei uns im Reichstag oder Landtag ein entschiedenes Wort fällt, geht die Hetze in der gesamten Presse los; so empfindlich wie jetzt war die Bourgeoisie nie. Ich sehe in dieser leicht erregten Empfindlichkeit für unsere VerhältDer Reichstag behandelte das Branntweinmonopol am 4., 5. und 6. März. Schumacher polemisierte in der Sitzung am 5. März gegen Eugen Richter, der das Monopol als eine „sozialdemokratische Einrichtung" bezeichnet hatte. Die Sozialdemokratie sei gegen das Branntweinmonopol, aber nicht grundsätzlich gegen Verstaatlichungen; so werde sie Massnahmen zur Verstaatlichung gemeinnütziger Einrichtungen wie etwa Apotheken und Eisenbahnen unterstützen. 8 Liebknecht trat seine Reise am 4. September in Liverpool an, traf am 13. September in New York ein und kehrte am 15. Dezember zurück. Das finanzielle Ergebnis der Reise waren 16.000 Mark für den Wahlfonds.
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nisse einen grossen Fortschritt, sie ist ein Gradmesser für die Besorgnis, welche die massgebenden Kreise beherrscht. Heute erhalte ich einen Brief aus Paris, der davon spricht, dass die Gruben von Decazeville verloren seien, weil alles in Flammen stehe. Ich bin überrascht, weil davon unsere Presse bis heute kein Wort meldet. Die Vorgänge in England etc. sind die Sturmvögel, die das kommende Unwetter anzeigen. Nebenstehend ein Zirkular, das wir für L[ie]b[knecht] versandten. Durch eine Indiskretion der Fr[an]kf[u]rt[er] Zeit[ung] wurde der Plan in ungeschickter Weise in die Öffentlichkeit gebracht und gab L[ie]b[knecht] Veranlassung zu einer geharnischten Erklärung;9 wir werden uns aber an dieselbe nicht kehren. Die Sammlung wird nicht in der Gesamtpartei, sondern nur im engeren Kreise veranstaltet. Gruss und Handschlag v[on] Deinem A . BEBEL.
Berlin, Ende Februar 1886. Geehrter Herr! Am 29. März d. J. begeht unser Parteigenosse, der Abgeordnete W. Liebknecht seinen 60. Geburtstag. Liebknecht ist einer der ältesten und verdienstvollsten Kämpfer unserer Partei, er steht seit nahezu vierzig Jahren im politischen Vorkampf, und was er bisher zum Lohne davontrug, waren Verfolgungen, Entbehrungen und Schädigungen ohne Ende. Als Schriftsteller einer armen, heftig verfolgten Partei konnte er sich keine Schätze sammeln; er musste froh sein, wenn er das Notwendigste errang, seine zahlreiche Familie zu ernähren. Liebknecht ist Vater von fünf Söhnen im Alter von sechzehn bis sechs Jahren, deren Erziehung ihm schwere Sorge macht. Dies brachte uns, die Unterzeichneten, auf den Gedanken, die Gründung eines „Erziehungsfonds" anzuregen, der ihm an seinem 60. Geburtstag als Zeichen unserer Anerkennung überreicht werden soll. Wir bitten Sie, als ein Freund des Jubilars, für diesen Zweck einen Auf eine Mitteilung der Frankfurter Zeitung über die Bildung eines „Erziehungsfonds" für seine Kinder antwortete Liebknecht in dem Blatte, „dass ihm von einer solchen Sammlung nichts bekannt sei, und dass seine Begriffe von Ehre und politischer Unabhängigkeit ihm auch nicht erlauben würden, uniter der einen oder der anderen Firma den Bettelsack für sich schwingen zu lassen." Der Sozialdemokrat, Nr. 11, 11. März. 9
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Beitrag beisteuern zu wollen und diesen, einerlei wie hoch oder gering er ist, an A. Bebel, Plauen-Dresden bis spätestens den 20. März a.c. einsenden zu wollen. Um keinen Irrtum entstehen zu lassen, bitten wir, bei der Sendung den Zweck ausdrücklich zu bezeichnen. Hochachtungsvoll Im Auftrage der sozialdemokratischen Fraktion des Reichstages I . A U E R . A . B E B E L . K . G R I L L E N B E B G E B . W . H A S E N C L E V E B . P . SINGEB.
90. E N G E L S AN
BEBEL
London, den 18. März 1886.
Original. Lieber Bebel!
Ich sitze tief in der Revision der englischen] Übersetzung des „Kapital" I. B[an]d, die jetzt endlich herauskommen wird; aber da die Geschichte mit dem Liebkfnecht]-Fonds Eile hat, muss ich mir doch ein Stündchen abzwacken, um Deinen Brief rasch zu beantworten. Inliegend] also meinen Beitrag in einem Scheck auf die Union Bank of London zum Betrag van zehn £.. Besten Dank für die S[ozialisten]-Gesetz- und SchnapsmonopolDebatten und B[ür]g[e]r-Z[ei]tung. Die Rückspiegelung der Stimmung bei den Herren der Fraktionsmajorität in der S[ozialisten]-G[esetz]-Debatte ist allerdings frappant. Sie möchten wohl, aber es geht nicht; und so müssen sie, so schwer es ihnen wird, sich relativ korrekt aussprechen, und der Effekt der Debatte im ganzen ist recht gut, namentlich da Singer durch den Fall Ihring genötigt war, scharf aufzutreten.1 Überhaupt sind diese Leute, so z.B. auch Frohme, immer ganz gut, wenn sie in eigener Angelegenheit oder der ihrer Wähler gegen die Polizei vorgehen müssen, da bleibt der Biedermeier hübsch im Sack. Denn eine ihrer schlimmsten 1 Der Berliner Kriminalbeamte Ihring war Ende 1885 als „Metalldrücker Mahlow" Mitglied des sozialdemokratischen Bezirksvereins des Ostens geworden und betätigte sich dort als Lockspitzel. Er hielt „revolutionäre" Reden, organisierte einen Klub, in dem er Vorträge über die Herstellung von Dynamit hielt, und brachte sogar zu den Vereinssitzungen wiederholt Dynamit mit. Er wurde im Februar 1886 als Provokateur entlarvt. Singer behandelte diesen Fall einer amtlichen Provokation in der Debatte über die Verlängerung des Sozialistengesetzes am 18. Februar. Als Puttkamer antwortete, ihn werde doch niemand eines solchen Verbrechens, wie es dieser Fall bedeute, für fähig halten, erscholl von der Linken und aus der Mitte des Reichtags ein lebhaftes „Na, Na." S. darüber E. Ernst, Poüzeispitzeleien und Ausnahmegesetze 1878-1910, (Berlin, 1911), S. 61ff.
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Eigenschaften ist eben die Biedermeierei, die den Gegner überreden will, statt ihn zu bekämpfen, weil „unsere Sache doch so edel und gerecht ist", dass jeder andere Biedermeier sich uns anschliessen muss, sobald er sie nur richtig versteht. Dieser Appell ans BiedermeierGemüt, der die dies Gemüt unbewusst treibenden Interessen gar nicht sieht und sehen will — das ist eben eins der Hauptkennzeichen des spezifisch-deutschen Philisteriums und ist hier oder in Frankreich parlamentarisch und literarisch unmöglich. So etwas entsetzlich Langweiliges wie die Schnapsdebatte ist mir lange nicht vorgekommen; selbst Bambergers schlechte Witze blieben herzlich schlecht, mehr als gewöhnlich. Da macht es wenig aus, wenn auch Schumacher langweilig sprach. Bei dem guckt das „Verstaatlichungs'-Qhi redlich durch. Richter sprach noch am besten mit den statistfischen] Tatsachen.2 Über Liebkn[echt]s Rede3 erlaube ich mir nach dem Bericht der B[ür]g[e]r-Z[ei]tung kein Urteil. Es kommt da alles auf die Nuancierung an, auf die Art, wie etwas gesagt wird, und die geht im kurzen Bericht verloren. Den Bericht Kautskys, von dem Du sprichst, kenne ich nicht. Was aber Hyndman angeht, so hat sein Auftreten in Trafalgar Square und Hyde Park am 8. Febr[uar] unendlich mehr geschadet als genützt. Revolutionsgebrüll, das in Frankreich als abgenutztes Zeug ohne Schaden mit durchläuft, ist hier bei den ganz unpräparierten Massen reiner Blödsinn und wirkt aufs Proletariat abschreckend; aufmunternd nur auf die verlumpten Elemente, und kann hier platterdings nicht anders aufgefasst werden denn als Aufruf zur Plünderung, die auch erfolgte und uns hier für lange Zeit auch bei den Arbeitern diskreditiert hat. Was aber das betrifft, dass dadurch die öffentliche] Aufmerksamkeit auf den Sozialismus] geleitet sei, so kennt Ihr drüben In der Sitzung am 4. März führte Richter aus, dass in Schlesien 237 Brennereien im Besitz von Königen, Prinzen, Herzögen, Fürsten, Grafen und „einfachen Adligen" und 153 im Besitz von „Bürgerlichen" seien. Da nach der Monopolvorlage den Brennereien der Schnaps für 35 Mark pro Hektoliter abgekauft werden solle, während der Preis bisher 20 Mark betrage, erhielten die Besitzer aus dem Monopol eine höhere Zuwendung, als ihre Steuern betrügen. 3 Liebknecht sprach am 8. März im Arbeiter-Bezirksverein für den Westen Berlins über politische Tagesfragen. Nach dem Berliner Volksblatt, Nr. 58, 10. März, führte er aus, die Partei habe ihre Taktik nicht geändert, sie sei nur „im Laufe der Zeit parlamentarisch geschulter geworden". Bei Fortbestehen des gleichen Wahlrechts könne man damit rechnen, dass die Partei dereinst im Reichstag zur Macht gelange. „Wenn wir zurückblicken, wie die Arbeiterbewegung in den letzten zwanzig Jahren angeschwollen ist, dann dürfen wir darauf rechnen, dass . . . für die Arbeiter Deutschlands in ferneren zwanzig Jahren die Zeit gekommen ist, dass sie die Ketten abschütteln." 8
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nicht den durch hundertjährige Presse- und Versammlungsfreiheit und die damit zusammenhängende Reklame total abgestumpften Zustand des Publikums gegen solche Mittel. Der erste Schreck der Bürger war allerdings sehr heiter und brachte ca. vierzigtausend £. Subskription für die Arbeitslosen zusammen — in allem ca. siebzigtausend £.; aber das ist bereits vermöbelt, und keiner zahlt mehr, und die Not ist die alte. Was erreicht ist — beim bürgerlichen] Publikum — ist, den Sozialismus] mit der Plünderung zu identifizieren, und wenn das die Sache auch nicht viel schlimmer macht, so ist es doch sicher für uns kein Gewinn. Wenn Du glaubst, Hfyndman] habe grossen Mut bewiesen, so scheint das so. Aber H[yndman] ist, wie ich von Morris und and[eren] weiss, feig und hat sich bei entscheidenden Gelegenheiten so benommen. Das hindert nicht, dass, wenn er sich einmal in eine gefährliche Situation festgeritten, er seine Feigheit durch sein eigenes Geschrei übertäubt und das blutrünstigste Zeug in die Welt kreischt. Das macht ihn aber um so gefährlicher für seine Mithelfer — sie und er wissen nie vorher, was er machen wird. Glücklicherweise ist die ganze Geschichte hier schon halb vergessen. Ich bin ganz Deiner Ansicht, dass es mit den Prosperitätsperioden von mehr als sechs Monaten am Ende ist. Die einzige Aussicht auf Geschäftsbelebung — wenigstens für Eisen direkt und anderes indirekt — bietet noch die mögliche Eröffnung Chinas für den Eisenbahnbau und damit die Vernichtung der letzten, abgeschlossen für sich bestehenden, auf Vereinigung von Ackerbau und Handwerk basierten Zivilisation. Aber sechs Monate reichen hin, um das zu diskontieren und uns dann vielleicht wieder einmal eine akute Krise erleben zu lassen. Ausser der Zerstörung des englischen Weltmarktmonopols haben noch die neuen Kommunikationen das ihrige beigetragen, die zehnjährigen Industriezyklen zu durchbrechen: der elektrische] Telegraph, die Eisenbahnen, der Suezkanal und die Verdrängung der Segelschiffe durch Dampfschiffe. Wird nun noch China erschlossen, so ist nicht nur das letzte Sicherheitsventil der Überproduktion verschlissen, sondern es erfolgt auch eine so kolossale chinesische Auswanderung, dass das allein eine Revolution in den Produktionsbedingungen von ganz Amerika, Australien, Indien hervorrufen und vielleicht auch selbst Europa berühren wird — wenn's hier solange noch dauert. Die Verrücktheit Bismarcks wird in der Tat akut. Aber eins geht überall durch: mehr Geld! Seine tollsten Geschichten laufen immer und unfehlbar auf Geldbewilligung hinaus, und die Herren Nationalliberalen scheinen eine wahre Wut zu haben, ihm noch mehr Geld zu liefern. In Frankreich neuer Sieg. Die Interpellation Camelinats wegen 267
Decazeville4 hat dreitägige Debatte provoziert, sieben motivierte Tagesordnungen wurden am Samstag verworfen, bis endlich die Herren Radikalen und die Regierung sich über eine Resolution verständigten, die in der franz[ösischen] parlament[arisohen] Geschichte unerhört ist und die Montag angenommen wurde: Die Kammer, im Vertrauen, dass die Regierung alle nötigen Verbesserungen in der Minengesetzgebung vorschlagen und in ihrer Haltung in Decazeville die Rechte des Staates und die Interessen der Arbeit zur Richtschnur nehmen wird, geht zur Tagesordnung über. Die Rechte der Arbeit — das ist noch nie dagewesen. Dabei der ganze Beschluss gegen die Gesellschaft, die von einer Staatskonzession lebt und die die Bedingungen dieser Konzession jetzt gegen sich gekehrt sieht. Natürlich steht das alles bloss auf dem Papier, aber das ist als erster Schritt genug. Die ganze politische Situation in Frankreich hat sich umgewälzt infolge des Auftretens der drei Arbeiter. Die Radikalen, die sich auch Sozialisten nennen und in der Tat die Vertreter des nationalfranz[ösischen] Sozialismus sind, der noch übrigen Reste von Proudhon und Louis Blanc, die aber als Ministerkandidaten sich auch in der republikanischen] Bourgeoisie einen Halt sichern müssen, sind nun gezwungen, Farbe zu bekennen. Ihre kühle, fast feindliche Haltung, gleich anfangs, gegen die Arbeiterdeputierten hat das Eis bei der Masse der Arbeiter gebrochen; diese sieht jetzt plötzlich tvirkliche Arbeitersozialisten neben den „jebildeten" Radikalen und jubelt jenen zu. Entweder müssen die Radikalen inklusive] Clemenceau auf ihre Ministeraussichten zunächst verzichten und im Schlepptau von Basly und Camelinat mitmachen, oder mit ihrer Wiederwahl steht's schlimm. Die Frage von Kapital und Arbeit steht plötzlich auf der Tagesordnung, wenn auch noch in sehr elementarer Form (Lohnhöhe, Recht des Streikens, event[uell] Kooperations-Betrieb der Bergwerke), aber sie ist da und kann nicht wieder abgesetzt werden. Da aber die Arbeiter in Frankreich durch ihre Geschichte und durch die ganz ausgezeichnete Haltung unserer Leute in den letzten zwei Jahren vortrefflich präpariert waren, brauchte es bloss ein solches Ereignis wie den Decazeville-Streik und die Dummheit der Radikalen, drei Arbeiter auf ihre Wahlliste zu setzen, um die Explosion herbeizuführen. Jetzt geht's rasch in Frankreich; welche Angst die Radik[alen] haben, hast Du aus den Beschlüssen der Stadträte von
Camélinat hatte in seiner Erschliessung gefordert, dass die Regierung der Compagnie d'Aubin die Konzession entziehe und wegen der Ausbeutung des Schachtes in staatlicher Regie mit den Arbeitern Fühlung nehme. Der Cri du Peuple berichtete ausführlich über Camélinats Rede und die Parlamentsverhandlung in Nr. 866, 13. März.
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Paris, Lyon etc. gesehen, den Decazev[iiier] Streikenden Geld zu bewilligen. Ebenfalls unerhört. Wenn es mit Deiner Stimme so aussieht, dann geh ja nicht nach Amerika. Die Anforderungen, die die dort landläufige Praxis an die Stimmorgane stellt, übertreffen weit alle Eure Vorstellung. Dafür aber freuen wir uns drauf, Dich im Herbst hier zu sehn. Postschluss. Zu spät zum Einschreiben. Bitte zeig mir per Postkarte den Empfang des Schecks an. Dein F. E.
9 1 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 12. April 1886.
Original. Lieber Bebel!
Dank für die Sozialisten]-G[esetz]-Debatte — sie hat mich sehr gefreut. Das ist doch wieder etwas, das auf der Höhe der Bewegung steht und diesen Eindruck von Anfang bis zu Ende macht. Auch Liebknecht ist wieder ganz der alte, die französische Konkurrenz scheint gut zu wirken. Das Schauspiel, wie die ganze Bande — Meute wollte ich sagen — sich um Dich drängt und Dich anbellt und anheult, um mit Peitschenhieben zurückgeworfen zu werden, ist sehr hübsch.1 Welch ein Glück, dass ausser Euch nur Vollmar ein paar Worte sprach und Singer, persönlich kommun angegriffen, heftig antworten musste, während die Masse der Zahmen den Mund hielt. Die Angst der Herren vor dem Fürstenmord ist zu lächerlich. Sie oder ihre Väter haben doch alle gesungen: Hatte je ein Mensch so'n Pech Wie der Bürgermeister Tschech,2 Dass er diesen dicken Mann Auf zwei Schritt nicht treffen kann. Die zweite Lesung der Vorlage der Verlängerung des Sozialistengesetzes am 30.-31. März. Für die zweijährige Verlängerung ergab sich eine Mehrheit von 27 Stimmen; bei der dritten Lesung am 2. April war die Mehrheit 32 Stimmen. Bebel hatte erklärt, wenn die Regierung der Proletarisierung der Massen Einhalt tun könne, dann sei das Gesetz gar nicht notwendig; könne sie das aber nicht, dann würden alle Sozialistengesetze sie nicht vor der Sozialdemokratie retten. Wenn die Monarchie dem Beispiel des Zaren folge, werde sie — mit einer Anspielung auf die Ermordung Alexander II. — ebenso leiden wie der Zarismus. 2 H. L. Tschech, Bürgermeister der Stadt Storkow, hatte — nicht aus politischen Gründen — am 26. Juli 1844 einige Schüsse auf Friedrich Wilhelm IV. abgegeben, ohne ihn zu treffen. 1
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Damals hatte die deutsche Bourgeoisie allerdings noch Lebenskraft, und der Unterschied zeigt sich auch darin, dass 1844 das Lied von Freifrau von Droste-Vischering3 entstand, während jetzt der Kulturkampf mit den langweiligsten Waffen von den mattesten Armen geführt wird. Die Sozialisten hier sind freigesprochen. Ich schicke Dir den heutigen hochkonservativen Standard (darin ein Cri du Peuple) mit Bericht der letzten Verhandlung. Da kannst Du sehen, wie ein Richter in England (allerdings nicht in Irland!) auftritt.4 Aus der juristischen Sprache übersetzt, heisst die Rede: Das Gesetz über aufrührerische Reden trifft die Angeklagten, aber das Gesetz ist veraltet und praktisch ungültig, sonst müsst ihr alle radikalen Wortführer und Minister verurteilen, ihr müsst also nur fragen: Haben die Angeklagten die Plünderungen des 8. Febr[uar] gewollt oder nicht? Und Cave ist einer der sechzehn höchsten Richter von England. Das Urteil ist eine schöne Reklame für Hyndman, aber sie kommt zu spät. Er hat es verstanden, seine Organisation rettungslos zu ruinieren, sie schläft in London ein, während in den Provinzen die einzelnen Organisationen sich gegenüber den hiesigen Spaltungen abwartend und neutral verhalten. Summa summarum haben beide Organisationen — Federation und League — zusammen keine zweitausend zahlende Mitglieder und ihre Blätter zusammen keine fünftausend Leser — darunter die Mehrzahl sympathische Bourgeois, Pfaffen, Literaten etc. Es ist, wie die Dinge hier stehen, ein wahres Glück, dass es diesen unreifen Elementen nicht gelingt, in die Massen zu dringen. Sie müssen erst in sich selbst ausgären, dann kann's gut werden. Übrigens geht's jetzt wieder, wie zur Zeit der Internationalen. Heut morgen allein kam ein ganzer Stoss deutsche, französische], spanische, belgische Zeitungen an, und das nimmt mir eine Zeit weg, die der englischen] Übersetzung] des „Kapital" gewidmet werden sollte. Wenn der Kram nur noch solange zusammenhält, dass ich den dritten Band fertigmachen kann — dann nachher kann's losgehn, soweit es mich betrifft. Decazeville marschiert prächtig. Aus dem Dir heute geschickten Bericht (Cri du P[euple]) über das Meeting von vorigem Sonntag In dem Lied wird berichtet, dass die Nichte des Erzbischofs van Köln, Clemens August von Droste-Vischering, die an Krücken ging, wieder laufen konnte, als sie zum „Heiligen Rock" von Trier wallfahrtete. 4 Der Prozess gegen Hyndman, Burns, Champion und Williams begann am 5. April vor dem Geschworenengericht und endete am 10. April mit dem Freispruch der Angeklagten nach einer grossen von Hyndman und Champion verfassten und von Burns vorgetragenen Verteidigungsrede.
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(gestern vor acht Tagen) wirst Du sehen, wie geschickt diese als revolutionäre Maulhelden verschrienen Pariser Ruhe und Gesetzlichkeit im Streik predigen können, ohne der revolutionären Haltung etwas zu vergeben.5 Es beweist eben, wieviel die Franzosen weiter sind vermöge des revolutionären Bodens, auf dem sie stehen, dass eine ganze Masse Spitzfindigkeiten und Bedenklichkeiten dort gar nicht existieren, die in Deutschland noch in so vielen Köpfen Verwirrung stiften. Dass man je nach Umständen gesetzlich oder auch ungesetzlich vorgeht, versteht sich da ganz von selbst, und niemand sieht einen Widerspruch darin. Für Paris ist bezeichnend, dass der Cri du Peuple für Decazeville bis gestern fünfunddreissigtausend Frfancs] aufgebracht, Rocheforts Intransigeant aber noch nicht elftausend. Dem Bismarck, der sehr wütend gewesen zu sein scheint, aber offenbar an die Adresse des Kronprinzen sprach, werden wohl Laura und Tussy auf seine lächerliche Verdächtigung von Marx antworten.6 Von den übrigen Reden ist die Hänelsche7 juristisch die beste, er setzt die absurde Forderung ins Licht, die Staatsbürger sollen sich nicht nur äusserlich dem Gezetz fügen, sondern auch innerlich —; dass so etwas verlangt, dass die blosse Absicht und deren offene Aussprache für strafbar erklärt werden kann durch Stellung ausserhalb des Gesetzes — das beweist, wie sehr alle Rechtsvorstellungen des Bürgertums untergegangen sind in Deutschland — sie haben dort freilich nur gegolten bei der oppositionellen Bourgeoisie; in Wirklichkeit galt stets die Rechtlosigkeit des Polizeistaates, die in anderen Ländern doch S. darüber Cri du Peuple, Nr. 888, 4. April und folgende Nummern. Während der Debatte über die Verlängerung des Sozialistengesetzes am 31. März hatte Bismarck, zu Bebel gewendet, geäussert: „Er hat sich auch auf Marx berufen. Nun, ob Marx nicht in der Tat Mörder züchtete, das weiss ich nicht; denn soviel ich gehört habe, war der Mann, von dessen Schüssen ich die Narben noch an mir trage, Blind, doch ein Zögling von Marx." Darauf antworteten Laura Lafargue und Eleanor Marx-Aveling mit einer vom 14. April 1886 datierten Erklärung im Sozialdemokrat, Nr. 16, 15. April. Ferdinand Blind habe seit seinem 12. oder 13. Jahre Marx nicht mehr gesehen oder gesprochen. Sie schlössen mit der Feststellung: „ . . . 4. beweist die Schauerroman-Vorstellung, als ob ein Mann wie Marx sich damit abgeben könne, „Mörder zu züchten", aufs neue, wie sehr Marx recht hatte, wenn er in Herrn von Bismarck nur einen, bei aller Verschlagenheit höchst bornierten preussischen Junker sah, total unfähig, irgend welche grosse geschichtliche Bewegung zu begreifen." 7 Albert Hänel (1833-1918), Professor des Staatsrechts in Kiel. Als einer der Führer der Fortschrittspartei und Gegner Eugen Richters förderte er den Zusammenschluss mit den Sezessionisten. Nach der Spaltung der Freisinnigen Partei 1893 gehörte er der Freisinnigen Vereinigung an. Mitglied des Reichstags 186793, 1898-1903, zeitweise Vizepräsident. Bei der ersten Beratung des Sozialistengesetzes hatte er am 17. September 1878 erklärt, dieser Gesetzentwurf sei einer der grössten politischen Fehler, die jemals gemacht wurden. 5 6
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nur verschämt und als Gewaltstreich sich durchsetzen kann (Irland immer ausgenommen). Schluss wegen Zeitbestimmung zum Einschreiben (fünf Uhr). Dein F. E. 92. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Plauen-Dresden, den 23. April 1886. Lieber Engels!
Es ist mir lieb zu hören, dass Du von der Sozialisten] gesetz-Debatte befriedigt bist. Einige unserer Gemässigten haben bedenklich mit dem Kopf geschüttelt, und Viereck hat deren Bedenken Ausdruck gegeben in einem seiner Blätter, in dem er meine Rede im echten Heulmeierton kritisiert. Ich habe ihm darauf im S[ozial]d[emokrat] geantwortet, 1 ich hoffe wenigstens, dass Ede meine Antwort und meinen Angriff abgedruckt hat. Viereck, der eine sehr industrielle Ader hat, hat es fertiggebracht, den vier bei ihm erscheinenden Blättern 2 in ganz Deutschland Eingang zu verschaffen. Unsere Leute, die ein grosses Lesebedürfnis haben, die aber den S[ozial]-D[emokrat] meist sehr spät erhalten, brauchen ein Blatt, das ihnen wenigstens wöchentlich einmal einen allgemeinen Überblick über die Bewegung gestattet. Das hat Viereck mit unleugbarem Geschick auszunutzen verstanden, und so sitzt er heute mit seinen Blättern in ganz Deutschland, wo die Bewegung nur irgendwelche Anhänger zählt. Er hat es sich ein Stück Geld kosten lassen, jetzt ist er aber schön heraus; denn die Blätter werfen ihm eine erhebliche Rente ab. Zur Verstärkung seiner Position hat er Auer als Mitarbeiter gegen ein Lumpengeld gewonnen*, und ist dieser nach München übergesiedelt. 3 1 Vermutlich die Zuschriften aus Köln, Königsberg und anderen Orten in Nr. 17, 22. April mit der Mitteilung, Bebels und Liebknechts kräftige Sprache habe überall freudigsten Widerhall gefunden. 2 Im Bericht über den Königsberger Prozess gegen Schoenlank u.a. wegen Verbreitung der Politischen Wochenschrift als Fortsetzung des Königsberger Volksblattes in Nr. 17, 22. April wurden ausser jener Wochenschrift die Rheinische Wochenschrift und Deutsche Wochenschrift genannt, die neben dem Recht auf Arbeit von Viereck in München herausgegeben wurden. Dieser selbst erklärte als Zeuge, es sei seine Absicht, ein ganzes Netz von Kopfblättern über Deutschland zu verbreiten; die Herausgabe der Wochenschrift sei schon vor dem Verbot des Königsberger Blattes geplant gewesen. Die Angeklagten wurden freigesprochen. 3 Auer war seit Anfang 1886 in der Miinchener Redaktion tätig; daneben war er Korrespondent des Berliner Volksblattes.
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Auf diese Position pochend, glaubte Viereck sich etwas herausnehmen zu dürfen; er irrt sich aber. Soviel ich gehört, hat er von einer ganzen Reihe Orte sofort sehr entschiedene Zuschriften erhalten, mit der Erklärung, man werde ohne weiteres seine Blätter abbestellen, wenn er noch einmal so losgehe. Ich benutze nun den Angriff, um die Stellung der Partei zu diesen Unternehmungen, die die Partei im Privatinteresse ausschlachten, überhaupt zur Sprache zu bringen, und damit versetze ich diesen einen Hauptschlag. Viereck irrt sehr, wenn er glaubt, einen sonderlichen Einfluss zu haben; die Partei hält die Blätter, lässt sich aber durch sie nicht irremachen, es herrscht wirklich eine sehr erfreuliche Selbständigkeit. Das übersandte hübsche Verschen auf Tschech werde ich mir zu gelegentlicher Benutzung beiseitelegen; es wird die Gelegenheit kommen, wo man es benutzen kann. Ich werde zwar, wenn nicht unvorhergesehene Ereignisse mich dazu zwingen — die allerdings möglich sind, wie die Situation beschaffen ist — diese Session nicht mehr nach Berlin gehen, sondern die übernommenen Geschäftsreisen nächste Woche weiter fortsetzen. Wie Puttkämerchen losgeht, nachdem er das Sozialisten]gesetz glücklich in der Tasche hat, wirst Du aus dem übersandten Bericht ersehen haben.4 Wir wollen gleich bei dem Wiederzusammentritt des Reichstags darüber interpellieren, vorausgesetzt, dass wir die noch fehlenden Unterschriften — noch fünf — bei den anderen Parteien finden, was wohl möglich sein wird. Puttk[amer] dürfte aber jede Auskunft verweigern mit dem Hinweis, dass er als preuss[ischer] Minister gehandelt und dies das Reich nichts angehe. Solch elende Ausreden sind möglich. Pfuttkamer] sieht es offenbar auf Krawalle ab; diese zu provozieren, wird ihm aber nicht gelingen. Übrigens ist es ganz merkwürdig, wie trotz der schlechten Geschäftsverhältnisse das Streikfieber grassiert, namentlich bei den Bauhandwerkern,5 für die allerdings insofern Puttkamers „Streikerlass" vom 11. April 1886 führte häufig zur polizeilichen Unterdrückung von Lohnkämpfen. Da „hinter jedem Streik die Hydra der Revolution" lauere, sei es notwendig, „wo durch Tatsachen jene den Umsturzbestrebungen dienende Tendenz bei einer Arbeitseinstellung zutage tritt", gegen die mit ihr zusammenhängenden Kundgebungen auf dem Gebiet der Presse, des Vereins- und Versammlungswesens die Vorschriften des Sozialistengesetzes „mit aller Strenge anzuwenden". Über die Auswirkungen des Erlasses s. Bernstein, Geschichte, II, S. 190ff.; F. Paeplow, Zur Geschichte der deutschen Bauarbeiterbewegung. Werden des Deutschen Baugewerksbundes, (Berlin, o.J.), S. 359ff. 5 Im Frühjahr 1886 wurden von den Maurern und Zimmerern Lohnforderungen gestellt in Magdeburg, Berlin, Rostock, Braunschweig, Stettin, Leipzig, Wilhelmshaven, Lübeck, Gera, Hannover. Als der Berliner Streik trotz Puttkamers Erlass einen grösseren Umfang annahm, wurde der Fachverein der Maurer am 22. Mai 4
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einigermassen der Weizen blüht, als die Bautätigkeit fast allerwärts eine sehr rege ist. Tatsache aber ist, dass die Unternehmer meist mit sehr schlechten Preisen arbeiten und kaum etwas übrig haben. Ich kann dies durch meine genauere Kenntnis der Branche sehr wohl beurteilen. Sehr flau ist der Geschäftsgang in der gesamten Eisenindustrie, nächstdem in der Textilindustrie. Die Bankerotte häufen sich, darunter viele von bedeutender Grösse; und sollte es das Glück wollen, dass gar im Orient das Feuer ausbricht und, wie dann wahrscheinlich, nicht lokalisiert bleibt, dann haben wir Tausende von Bankerotten mit einem Schlag. Zehntausende von Unternehmern warten auf den Augenblick, wo sie unter einem schicklichen Vorwand die Bude zumachen können. Was dann folgt, entzieht sich aller Berechnung. Tatsache ist, dass unser gesamtes Kleingewerbe und unser gesamter Bauernstand ausserordentlich schlecht stehen und nicht mehr jahrelang die gegenwärtige Situation auszuhalten vermögen. Oben weiss man das auch. So brachte kürzlich die KreuzZeit [ung] einen Artikel „In zwölfter Stunde", der eine wahre Jeremiade über die Zustände in der Landbevölkerung anstimmte und damit schloss: wenn nicht rasche und ausgiebige Hilfe gebracht werde, sei die Rettung unmöglich, die Katastrophe unausbleiblich. Mit den hundert Millionen für die „Germanisierung" Posens soll offenbar mehr den vor dem Bankerott stehenden deutschen Grossgrundbesitzern geholfen werden, als dass man den polnischen Besitzern damit wehe zu tun gedenkt. Die jüdischen Hypothe[ke]nbesitzer sind bereits flott am Geschäft, ihr Schäfchen auf Staatskosten zu scheren. Die Erklärung von Eleonore und Laura M[arx] ist famos; wer sie fabrizierte, ist klar. 8 Der grösste Teil der deutschen Presse nimmt davon Notiz, hütet sich selbstverständlich, sie abzudrucken. Otto wird wütend sein, für dergleichen Angriffe ist er sehr empfindlich. Die Franzosen halten sich über Erwarten gut. Decazeville imponiert mir. Unsere Leute in Frankreich haben entschiedene Fortschritte gemacht, das ist sehr viel wert. Auch in Amerika geht die Bewegung sehr hoch. Wir befinden uns offenbar vor einer grossen internationalen Umwälzung, die rascher kommt, als ich erwartet hatte. Wie bin ich seit Jahren von dem grössten Teil meiner Partei-Kollegen im Reichstag verspottet worden, wenn ich ihnen ankündigte, dass wir einer Katastrophe entgegengingen, die aller Wahrscheinlichkeit nach noch in diesem Jahrzehnt aufgelöst und die Führer ausgewiesen. Das Ergebnis dieser Lohnkämpfe war die Sicherung des zehnstündigen Arbeitstages. Ausführlich darüber Paeplow, a.a.O., S. 344ff. 6 Nämlich Engels.
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zum Ausbruch käme. Allmählich dämmert's ihnen, ich könnte doch wohl recht behalten. Schade, dass Marx tot ist; er müsste seine Freude haben, wie rasch die alte Welt abwirtschaftet und der Same für die neue aufgeht. Ich reise nächste Woche, wie schon bemerkt, wieder ab. Mitte Mai — den 15. oder 16. — treffe ich in Zürich ein. Gruss und Handschlag von Deinem A . BEBEL.
Der Kulturkampf-Friede wird in der konservativen und konserv[ativ]klerikalen Presse allgemein als das Bündnis von Kaiser und Papst gegen die kommende Revolution gefeiert. „Das deutsche Kaisertum im Bunde mit dem Papsttum sind stark genug, der europäischen Revolution den Kopf zu zertreten", ruft der klerikale Westfälische] Merkur. Bismarck sah anlässlich der neulichen Antwort Boulangers gegen Basly bereits die französische Armee mit dem roten Banner marschieren.7 Es ist ganz merkwürdig, wie von der kommenden Revolution als von etwas ganz Selbstverständlichem gesprochen wird, ganz wie vor 1789 in Frankreich. Nur in der eigenen Partei ahnen die Führer nicht, was bevorsteht, schwatzt man noch von gesetzlicher Lösung der sozialen Frage.
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In der Reichstagssitzung am 26. März erinnerte Bismarck daran, dass 1792 die Ideen ein „mächtiger geistiger Hebel der Siege der Franzosen" waren, und er fuhr fort: „Wer steht Ihnen dafür, dass, falls wir wiederum einen Krieg mit demselben Lande haben sollten, . . . wir nicht an den Fahnen der feindlichen Armee, an ihren roten Fahnen die sozialistischen Ideen angebracht sehen würden? Heutzutage steht die französische Armee den Arbeiterbewegungen in Decazeville gegenüber. Wir wissen nicht, ob wir den Tatsachen mehr Rechnung tragen sollen, dass sie sie im Schach hält, oder den Andeutungen von ministerieller Seite her, dass der Soldat von heute Arbeiter von gestern, und der Arbeiter von heute der Soldat von gestern ist; wir wissen nicht, wer in Frankreich bei der Bewegung schliesslich den Sieg davontragen wird."
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9 3 . E N G E L S AN B E B E L
Eastbourne, den 18. August 1886. 4 Cavendish Place
Original. Lieber Bebel!
Es ist lange her, seit ich Dir Nachricht von mir gegeben; aber einerseits kamen keine besonderen Ereignisse vor, über die ein Meinungsaustausch nötig schien, und andrerseits hatte ich mit dem M[anu]sfkript] der „KapitaT'-Übersetzung so heftig zu schanzen, dass ich seit zehn Wochen alle Korrespondenz, die nicht sofortige Erledigung heischte, buchstäblich und prinzipiell habe unterdrücken müssen. Jetzt ist das auch besorgt, und so verfolgen mich nur noch die sehr mühsamen Korrekturen bis hier an die See, und ich kann endlich das Versäumte nachholen, namentlich da auch einiges passiert ist, worüber zu schreiben der Mühe wert. Vor allem das Freiberger Urteil.1 Der deutsche Richter, voran der sächsische, scheint sich selbst noch immer nicht hundsföttisch genug vorzukommen. Es geht ihm wie zur Zeit der Internationalen dem Eccarius,2 von dem Pfänder einmal sagte: Ihr kennt den E[ccarius] noch gar nicht, der will noch viel schlechter werden, als er schon ist. Und die Sachsen bilden keine Ausnahme. Korrumpiert ist alles Offizielle in Deutschland, aber ein Kleinstaat bildet eine aparte Sorte Korruption heraus. Da ist die ganz oder halb erbliche Beamtenschicht so wenig zahlreich und zugleich so eifersüchtig auf ihr Kastenprivilegium, dass da Justiz, Polizei, Verwaltung, Armee, lauter Brüder und Vettern, einander unter die Arme greifen und in die Hände arbeiten derart, dass alle in grossen Ländern unumgängliche Rechtsnorm dabei abhanden kommt und die kolossalsten Unmöglichkeiten möglich werden. Was da möglich ist, habe ich auch ausser Deutschland in Luxem1 Nachdem die Reichsanwaltschaft und die Leipziger Staatsanwaltschaft es abgelehnt hatten, Anklage zu erheben, sprach das Chemnitzer Landgericht die neun auf Grund der Teilnahme am Kopenhagener Kongress wegen Geheimbündelei Angeklagten frei. S. Brief Nr. 82, Anm. 5. Das Freiberger Landgericht verurteilte sie dagegen am 4. August 1886, und zwar Auer, Bebel, Frohme, Ulrich, Viereck und Vollmar zu neun, Dietz, Heinzel und Müller zu sechs Monaten Gefängnis. Das Urteil leitete eine grosse Serie von Geheimbundsprozessen ein; bis zum Ablauf des Sozialistengesetzes wurden mehr als fünfzig durchgeführt. 2 J. George Eccarius (1818-89), Mitglied des Kommunistenbundes, Generalsekretär der IAA. Schon vor dem Haager Kongress hatte er sich den Bakunisten angeschlossen. Redakteur des Commonwealth und Berichterstatter der Times. E r entfernte sich später von der Arbeiterbewegung, jedoch entspricht die oft geäusserte Verdächtigung, er sei österreichischer Polizeispitzel gewesen, nicht den Tatsachen. S. L. Brügel, „Georg Eccarius in den Polizeiakten", Der Kampf, 18. Bd. (Wien, 1925) S. 64ff.
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bürg, ganz neuerdings in Jersey und zur bonapartistischen Schwindelzeit in der Schweiz gesehen. Und ich bin überzeugt, in jedem anderen deutschen Kleinstaat hätte Bismarck dasselbe erreicht von dem Augenblick an, wo der Hof, der Chef der Räuberbande, ihm keinen Widerstand mehr leistet. Im grössten Kleinstaat, in Preussen selbst, bildet der Offiziers- und Beamtenadel diese Gevatterschaft, die jeder Gemeinheit in wirklichem oder vermeintem Kasteninteresse fähig ist. In diesem Augenblick hat die regierende Clique alle Hände voll zu tun. Mit dem Tod des alten Wilhelm tritt eine Periode der Unsicherheit und des Schwankens für sie ein, und da muss eine — nach ihrer Ansicht — möglichst feste Lage vorher geschaffen werden. Daher die plötzliche Verfolgungswut, die noch verschärft wird durch die Wut über die totale Erfolglosigkeit der ganzen bisherigen Arbeit gegen uns, und die Hoffnung auf kleine Krawalle und dadurch ermöglichte neue Gesetzverschärfung. Und deswegen müsst Ihr neun Monate brummen. Ich hoffe, Du bringst es fertig, Dich durch Deine Sommerreisen so weit zu stärken, dass die neun Monate Dir keinen Schaden an der Gesundheit tun. Für die Partei wird diese Deine erzwungene Zurückgezogenheit ein grosser Schaden sein; die Zahmen werden freilich endlich einsehen müssen, dass all ihre Sanftmut sie nicht vor dem Kaschott schützt, aber ihre Natur wird's schwerlich ändern; und alles, was unseren Massen die Organisation, also auch den organisierten Ausdruck ihrer Willensmeinung erschwert, erleichtert ihnen das Manöver, sich als die echten Vertreter der Partei zu gerieren. Und wenn sie Dich erst hinter Schloss und Riegel wissen, schwillt ihnen der Kamm erst recht. Viel wird da von Liebkn[echt] abhängen — aber wovon wird der abhängen? Er kommt in vierzehn Tagen her und wird mir jedenfalls enorm viel Parteiklatsch erzählen, d.h. soviel er davon für gut hält, mir zu erzählen. Auf eins kannst Du Dich verlassen: meine Ansicht über die deutsche Bewegung im ganzen und über die zu befolgende Taktik, sowie über die einzelnen Personen darin inkl. L[iebknecht] selbst, wird nachher wie vorher unverändert dieselbe sein. Im übrigen freue ich mich sehr, ihn wiederzusehen, obwohl ich aus Erfahrung weiss, dass all mein Argumentieren mit ihm verlorene Mühe ist — höchstens wird er auf meine Meinung in Amerika Rücksicht nehmen, wo ihm Tussy Aveling auch von Zeit zu Zeit einen Ruck geben wird, um ihn in der richtigen Fährte zu halten. Was den Gelderfolg der Reise betrifft, so habe ich einige Zweifel. Seitdem die amerikanische Bewegung Wirklichkeit gewonnen,3 muss sie mehr und In diesem Jahre wurden viele Streiks in den Vereinigten Staaten durchgeführt, und die Knights of Labor erreichten mit 700.000 Mitgliedern ihre grösste Stärke.
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mehr aufhören, Geldquelle für Deutschland zu sein. Das konnte sie nur, solange sie rein akademisch war. Jetzt aber, wo die angloamerik[anischen] Arbeiter aus der Lethargie aufgerüttelt sind, handelt es sich darum, sie durch Rede und Presse in ihren ersten noch taumelnden Schritten zu unterstützen, einen wirklich sozialistischen] Kern unter ihnen zu bilden, und das kostet Geld. Dennoch wird diesmal immer noch etwas abfallen. Dieser Eintritt der Amerikaner in die Bewegung und die Neubelebung der französischen] Bewegung durch die drei Arbeiterdeputierten und Decazeville — das sind die zwei weltgeschichtlichen Ereignisse dieses Jahres. In Amerika geschehen allerlei Dummheiten — die Anarchisten hier, die Knights of Labour dort — aber das ist Wurst, die Sache ist im Gang und wird sich rasch entwickeln. Es wird noch manche Enttäuschung geben — die Drahtzieher der alten politischen] Parteien bereiten sich schon vor, die aufsprossende Arbeiterpartei unter ihre geheime Direktion zu bekommen — und ganz kolossale Böcke werden gemacht werden, aber trotzdem wird's dort rascher gehen als anderswo. In Frankreich haben die 108 000 Stimmen für Roche bewiesen, dass der radikale Zauber gebrochen ist und die Pariser Arbeiter anfangen, sich von den Radikalen loszusagen, und zwar massenhaft.4 Um diesen Erfolg, diese neugewonnene Position zu sichern, haben unsere Leute fertiggebracht, dass die temporäre Organisation zur Wahl Roches in eine permanente verwandelt wurde, und so sind sie die theoretischen Lehrer der sich von den Radikalen abwendenden Arbeiter geworden.5 Diese Leute nennen sich alle Sozialisten, aber lernen jetzt erst durch bittere Erfahrung, dass ihr verblasster Lumpenkram von Proudhon und Lfouis] Blanc reiner Bourgeois- und Kleinbürgerdreck ist, und Von der Agitation für George und der Aufstellung von Arbeiterkandidaten in vielen Staaten zu den Kongresswahlen erwartete Engels eine Zurückdrängung der politischen Neutralität und die Politisierung der Knights of Labor. Engels an Sorge 29. April, 29. November 1886. S. femer darüber Engels' Vorwort zur englischen Ausgabe der Lage der arbeitenden Klasse, The Labour Movement in America, Sonderausgabe London, W. Reeves, 1887; deutsche Ausgabe New York, Louis Weiss, 1887. 4 Ernest Roche, Redakteur von Rocheforts Intransigeant, erhielt bei der durch Rocheforts Rücktritt erforderlich gewordenen Ersatzwahl am 2. Mai in Paris 100.795 Stimmen gegenüber 50.216 für Gambon bei der Wahl am 4. Oktober 1885. Roche und Albert Duc-Quercy, Redakteur des Cri du Peuple, hatten als Beobachter den Streikverlauf in Decazeville verfolgt und wurden deshalb zu fünfzehn Monaten Gefängnis verurteilt. 5 Am 9. Mai beschloss das Komitee, das sich zur Unterstützung der Wahl Roches gebildet hatte, einstimmig, die Zusammenarbeit fortzusetzen. Einem zu diesem Zweck gebildeten Ausschuss gehörten Boullé und Lafargue als Vertreter der Agglomération Parisienne der Arbeiterpartei an.
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sind daher der Marxschen Theorie zugänglich genug. Das ist die Folge davon, dass die Radikalen halb am Ruder sind; kommen sie ganz dran, so fällt die ganze Arbeiterschaft ab, und ich behaupte: der Sieg des Radikalismus, d.h. des verblassten alten franzfösischen] Sozialismus in der Kammer bedeutet den Sieg des Marxismus zunächst im Pariser Stadtrat. O, wenn Marx dies noch hätte erleben können, wie sich sein Satz in Frankreich und Amerika bewährt, dass die demokratische Republik heute weiter nichts ist als der Kampfplatz, worauf die entscheidende Schlacht zwischen Bourgeoisie und Proletariat geschlagen wird.6 Hier ist trotz alledem und alledem noch so gut wie gar nichts los. Man kann nicht einmal sagen, dass wie zu Owens Zeit eine sozialistische Sekte besteht. Soviel Köpfe, soviel Sekten. Die S[ocial] D[emocratic] Federation hat wenigstens ein Programm und eine gewisse Disziplin, aber absolut nichts hinter sich in den Massen. Die Chefs sind politische Abenteurer der streberhaftesten Art und ihr Blatt Justice eine einzige kolossale Lüge über die welthistorische Macht und Bedeutung der Federation. Das vergisst selbst der gute Ede zuweilen und zitiert das Blatt zur unrechten Zeit, wodurch er der wirklichen Bewegung hier mehr Schaden tut, als er gutmachen kann; er kann dort kaum verstehen, in welcher Weise die Justice das hier ausnutzt. Die League ist in einer Krisis. Morris,7 der reine Gefühlsdusler, der inkorporierte gute Wille, der sich so gut vorkommt, dass er der böse Wille wird, absolut nichts zu lernen, ist auf die Phrase Revolution hineingefallen und Opfer der Anarchisten geworden. Bax 8 ist sehr talentvoll und versteht etwas — aber hat sich nach Philosophenmanier einen aparten Sozialismus, den er für die wahre Marxsche Theorie hält, zusammengebraut und richtet damit viel Unheil an. Indes ist das bei ihm eine Kinderkrankheit und wird sich schon verlieren; schade ist nur, dass dieser Prozess vor dem Publikum durchgemacht wird. Aveling9 hat mit seinen Arbeiten für die liebe Existenz S. Die Klassenkämpfe in Frankreich und Der Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, hier insbesondere den Schluss des Kap. I und Kap. III. 7 William Monis (1834-96), Sozialist, Dichter und Kunsthandwerker; Mitbegründer der Social Democratic Federation, dann der Socialist League. Von seinen sozialistischen Schriften ist am bekanntesten News from Nowhere (London, 1890). 8 E. Beifort Bax (1854-1926), Sozialist und Philosoph, Kantianer; gehörte zu den Gründern der Social Democratic Federation und der Socialist League, Redakteur von Justice und To Day; Verfasser von The Religion of Socialism (1887), The Ethics of Socialism (1889). • Edward Aveling (1851-98) Sozialist, Arzt und Dramatiker, seit 1884 in der Social Democratic Federation tätig, Mitbegründer der Socialist League; mit seiner Gattin Eleanor Marx eifriger Propagandist der Gas Workers and General Labourer's Union. 8
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soviel zu tun, dass er auch nicht viel lernen kann, er ist der einzige, den ich regelmässig zu sehen bekomme. Das Erscheinen des „Kapital" in englischer] Sprache wird aber hier ganz enorm klärend wirken. Hiermit muss ich aber schliessen, wenn ich fertig werden will. Es ist 6.45, und gleich wird der Tee angefahren, und um acht geht die letzte Post. Also halte Dich wohl und lass mich mein langes Schweigen nicht entgelten, und vor allem sei überzeugt, dass aller Klatsch, der Dich etwa betreffen könnte, wirkungslos an mir abprallt. Dein alter F. E. Ich bleibe bis 28. c. sicher hier, später schreibst Du am besten nach London.
9 4 . B E B E L AN
ENGELS
Plauen-Dresden, den 7. September 1886.
Original. Lieber Engels!
Ich finde es ganz in der Ordnung, wenn Du unter den angegebenen Umständen auf längere Zeit alle Korrespondenz einstelltest; was Du mittlerweile geleistet, war für unsere Sache wichtiger; ausserdem hätte ich unter den bekannten Verhältnissen, in denen mich der Sommer regelmässig findet, Dir kaum zu antworten vermocht. Mit dem Freib[erger] Urteil habe ich mich abgefunden; es ist bei den deutschen Zuständen selbstverständlich, dass man alle paar Jahre wenigstens einmal mit einer längeren Freiheitsberaubung bedacht wird. Oben sollte man zwar längst begriffen haben, dass das alles nichts nützt dem herrschenden System, höchstens den betroffenen Personen schadet, der von ihnen vertretenen Sache aber nur von Nutzen ist; doch man prozessiert immer von neuem, man tut damit seine „Pflicht". Das Urteil hat in der Presse sehr viel Staub aufgewirbelt,1 und es war ein schwerer moralischer Schlag für das System; doch was tut's, man wirtschaftet weiter, solange es geht. Wir können mit dem Gang der Dinge sehr zufrieden sein. Es geht überall vorwärts, hier mehr, dort weniger, aber vorwärts geht's, und ich glaube viel rascher, als die meisten unter uns sich einbilden. Die Ideen stecken bereits in Kreisen und in Hunderttausenden von Köpfen, die scheinbar gleichgültig sind und uns gegenüberstehen; aber es Bebel hatte im Sozialdemokrat, Nr. 33, 11. August, um Zusendung aller Kritiken in- und ausländischer Blätter über das Freiberger Urteil gebeten. Eine Sammlung Pressestimmen über das am 4. August 1886 vom Landgericht in Freiberg gefällte Urteil erschien im Verlag Wörlein & Co. (Nürnberg, 1886), 125 S.
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scheint nur so. Der Druck der Verhältnisse zwingt sie, eine Maske vorzunehmen; wird dieser Druck durch kommende Ereignisse beseitigt, wir werden überrascht sein über den Anhang, den wir hinter uns haben. In Deutschland hat das Missbehagen in den weitesten Schichten einen kaum glaublichen Grad erreicht. Kein Handels-, kein Gewerbekammerbericht, der nicht die Geschäftslage in den schwärzesten Farben malt; und nirgends auch nur der Schein einer Besserung, sondern die sichere Aussicht, dass die Verhältnisse immer unerträglicher werden. Der kommende Winter dürfte ungeheuer viel Not und Elend bringen. Die Einsicht in diese Verhältnisse ist's, die auch Bismarck zu der äusserst blamablen Haltung gegen Russland bestimmte. 2 Der Mann hat eine wahre Angst vor einem Kriege mit Russland und Frankreich, obgleich doch wohl kaum ein Zweifel besteht, dass Deutschland im Bündnis mit Österreich und der Türkei eventuell stark genug wäre, um Widerstand zu leisten. Aber die Sorge ist: was soll aus der Lage im Innern werden, wenn die Küsten blockiert sind, die Ein- und Ausfuhr stockt und allgemeine Arbeitslosigkeit der Massen sich einstellt. Das ist das Gespenst, das Bfismarck] Tag und Nacht nicht schlafen lässt und das ihn Russland gegenüber zu einer Nachgiebigkeit verleitete, die den verbohrtesten deutschen Philister in Aufregung versetzt und ihn an seinem Abgott irre werden lässt. Von der Aufregung, welche die Vorgänge in Bulgarien 3 in Deutschland hervorgerufen haben, könnt Ihr Euch schwer einen Begriff machen. Nie war, seit der Konfliktszeit, die öffentliche Meinung so allgemein und einstimmig gegen Bismarck als in dieser Affäre. Die konservativsten Kreise haben sich aufgebäumt gegen die Rolle, die B[ismarck] Russland gegenüber spielt. Bisher hatte sich der deutsche Philister daran gewöhnt, Deutschland als den Schiedsrichter Europas anzusehen, sowie Bismarck als ein Genie bewundert, vor dem sich alles beuge; und alle diese lange Jahre sorgfältig gehegten und gepflegten Vorstellungen waren plötzlich, dem simpelsten Verstände sichtbar, zerronnen. Das war bitter. Bismarck wird Mühe haben, die Schläge, welche die letzten Wochen seinem Ansehen zugefügt, wieder auszumerzen. Wenn jetzt der Tod Durch den nach Russland entsandten Prinzen Wilhelm liess er dem Kaiser Alexander versichern, dass man ihm in Bulgarien keine Schwierigkeiten bereiten wolle. 3 Obwohl die Unabhängigkeit Bulgariens im Berliner Vertrag garantiert war, wurde am 22. August Fürst Alexander von Bulgarien von russischen Offizieren nach Russisch-Bessarabien entführt und mit vorgehaltener Pistole zur Abdankung gezwungen. Eine Woche später durfte er nach Bulgarien zurückkehren und erklärte am 4. September seine Abdankung. 2
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des alten Wilhelm einträte — der übrigens einer wunderbar guten Gesundheit sich erfreut und es sich nicht nehmen liess, trotz der afrikanischen Hitze der letzten Woche, stundenlang den Paraden bei Berlin beizuwohnen — so wäre die Verwirrung auf der Spitze. Es scheint, dass der Krakeel zwischen Bismarck und der Kronprinzessin4 wieder recht akut ist, wie aus gewissen Zeitungsplänkeleien hervorgeht. Ich glaube, wenn Bismarck] könnte, würde er den Kronprinzen beiseiteschieben und seinen Sohn nehmen, der die Hoffnung der Militärpartei bildet. Aber das geht nicht, und so wünscht man, dass der alte Wilhelm so lange als möglich leben möge. Ich stimme Dir bei, dass der Regierungsantritt des Kronprinzen wenigstens die geplante Gesetzverschärfung verhindern wird, und das ist unter den gegebenen Verhältnissen schon etwas wert. Dass mein Fehlen in der nächsten Reichstagssession grossen Schaden anrichten wird, glaube ich nicht. Das Urteil hat die gewünschte Wirkung auf die Partei ausgeübt, und sollten die Vertreter das mit erneuerter Leisetreterei beantworten wollen, dann dürfte die Antwort von unten nicht fehlen. Einige unserer Gemässigten sind auch durch das Urteil in die gewünschte Stimmung gebracht worden, so Auer und Grillenberger, an denen noch nicht Hopfen und Malz verloren ist. Sollte es nun gar einem Staatsanwalt einfallen, das Freib[ erger] Urteil auszunutzen und auch gegen die anderen Fraktionsmitglieder Anklage zu erheben, so möchte das zwar bei einer Anzahl die Feigheit potenzieren, bei anderen aber und bei der Masse die gegenteilige Wirkung erzeugen. Mit einiger Besorgnis sehe ich den nächsten Wahlen entgegen; die Stimmung ist uns sehr günstig, und wenn die Wahl unter normalen Verhältnissen, d.h. unter keinen schlechteren, als sie heute sind, stattfindet, werden wir auf erhebliche Fortschritte rechnen dürfen; aber die Gefahr liegt in dem Mangel brauchbarer Leute. Die erste Frage, die heute an einen Kandidaten herantritt, ist: kann der Mann das Opfer eines Mandats bringen; die Gesinnung und die Fähigkeiten kommen erst in zweiter Reihe. Diese Umstände schaffen uns ein Element auf den Hals, das nicht der Ausdruck der Parteistimmung ist. Hier liegt die Achillesferse der Wahlen, und darum schrieb ich Dir schon früher: alle Hoffnungen auf grössere Erfolge bei den Wahlen unter den heut [igen] Verhältnissen sind mit sehr gemischten Gefühlen aufzunehmen.5 Das beste wäre, wenn die Möglichkeit bestände, den Stimmenzuwachs zu konstatieren, ohne die Mehrgewählten ohne Über die Spannungen zwischen Bismarck und der Kronprinzessin s. Bismarck, Gedanken, II. Bd., 33. Kap. und, durchgehend, Briefe der Kaiserin Friedrich; Bismarcks grosses Spiel, S. 341ff., 407ff. S. Brief Nr. 60, Anm. 2. 5 Ähnlich im Brief Nr. 78.
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weiteres mit in den Kauf nehmen zu müssen. Aber das geht nicht, und so müssen wir sehen, wie wir zurechtkommen. L[ie]b[knecht] hat einen dummen Streich gemacht, dass er den Amerikanern nicht genau die Zeit vorschrieb, innerhalb deren er drüben bleiben wollte; jetzt schreibt er: ich möchte ihm helfen, dass er wenigstens Ende November loskäme. Wenn er das Programm, das ihm die A[merikaner] zugedacht, durcharbeiten soll, darf er sich gratulieren, wenn seine Sprachwerkzeuge aushalten. Auf grossen materiellen Erfolg seiner Reise rechnet keiner von uns, und er wohl selbst nicht; bei dem Kampf, den gegenwärtig unsere Leute drüben zu führen haben, brauchen sie auch selbst ihre Mittel. Glücklicherweise sind wir so gestellt, dass wir trotz der Riesenopfer, die uns dieser Winter infolge der Verurteilungen allerwärts kosten wird, noch einen Fonds aus eigenen Mitteln für die Wahlen zur Verfügung haben. Die Partei ist eben unruinierbar. Wäre meine Verurteilung nicht dazwischengekommen, hätten wir uns diesen Herbst gesehen. Mein Plan war, etwa im Oktober eine Reise über Gent nach London und von dort nach Paris zu machen, das ich noch nicht gesehen habe. Nun ist mir der Spass verdorben; statt der Reise werde ich im Oktober die Haft antreten, und da nächsten Herbst die Wahlen sind — vorausgesetzt, dass Bismarck und die Ereignisse nicht einen anderen Termin diktieren — so wird es auch nächstes Jahr nichts werden. Hauptsache ist, dass Du Dich tapfer hältst, dann werden wir schon noch zusammenkommen; mich sollen die neun Monate nicht unterbringen. Gruss und Handschlag v[on] Deinem A . BEBEL.
9 5 . E N G E L S AN B E B E L
London, den 13.[-14.] September 1886.
Original. Lieber Bebel!
Was mich bei der ganzen bulgarischen und orientalischen Geschichte wundert, ist, dass die Russen erst jetzt dahintergekommen sind, dass sie, wie Marx schon 1870 der Internationalen mitteilte, durch die Annexion von Elsass etc. zum Schiedsrichter Europas geworden.1 Die 1 Marx sagte darüber in der „Zweiten Adresse des Generalrats über den deutschfranzösischen Krieg" vom 9. September 1870: „Ganz wie Louis Napoleon sich schmeichelte, dass der Krieg von 1866 durch gegenseitige Erschöpfung Österreichs und Preussens ihn zum obersten Schiedsrichter über Deutschland machen werde, ebenso schmeichelte sich Alexander, der Krieg von 1870 werde ihn durch gegen-
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einzig mögliche Erklärung liegt darin, dass seit dem Krieg das preuss[ische] Landwehrsystem überall (in Russland 1874) neu eingeführt worden und dies zehn bis zwölf Jahre braucht, um eine entsprechend starke Armee zu züchten.2 Diese ist jetzt auch in Russland und Frankreich vorhanden, also kann's jetzt losgehen. Und eben deshalb drückt die russische] Armee, die den Kern des Panslavismus stellt, auch jetzt so heftig auf die Regierung, dass der Zar seine Abneigung gegen die französische] Republik überwinden und entweder Allianz mit ihr oder Einwilligung Bismarcks in die russische] Orientpolitik als die beiden einzig möglichen Fälle hinstellen muss. Für Bismarck und Wilhelm war die Alternative die: entweder Widerstand gegen Russland und dann die Aussicht auf russ[isch]-franz[ösische] Allianz und Weltkrieg oder Gewissheit einer russischen] Revolution durch Allianz von Panslavisten und Nihilisten; oder aber Nachgeben gegen Russland, d.h. Verrat an Österreich. Dass Bismfarck] und Wilhelm nicht anders handeln konnten, als sie gehandelt haben — scheint mir von ihrem Standpunkt aus klar, und der grosse Fortschritt ist eben der, dass die Unverträglichkeit der Hohenzoller[n]schen Interessen mit denen Deutschlands jetzt klar und überwältigend zutage tritt. Das deutsche Reich wird in Lebensgefahr gebracht durch seine preussische Grundlage. Vor der Hand wird die Geschichte wohl noch über den Winter hinüber überkleistert werden; aber den Panslavisten kommt der Appetit mit dem Essen, und eine so günstige Gelegenheit wie jetzt kommt ihnen nie wieder. Gelingt es den Russen, Bulgarien zu besetzen, dann gehen sie auch auf Konstantinopel los, falls nicht überwiegende Hindernisse — etwa eine deutsch-öster[reichisch]-engl[ische] Allianz — Halt gebieten. Daher Bismarcks Notschrei nach aktiver antiruss[ischer] Politik Englands, den er jetzt im Standard fast täglich erschallen lässt, damit England den Weltkrieg verhüte. Jedenfalls spitzt sich der Gegensatz Österreichs und Russlands auf seitige Erschöpfung Deutschlands und Frankreichs zum obersten Schiedsrichter des europäischen Westens erheben. Ganz wie das Zweite Kaiserreich den Norddeutschen Bund unvereinbar mit seiner Existenz hielt, ganz so muss das autokratische Russland sich gefährdet glauben durch ein Deutsches Reich mit preussischer Führerschaft." Im Schreiben an den Ausschuss der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei vom Ende August 1870 hatte Marx darauf hingewiesen, dass die Annexion Elsass-Lothringens Frankreich unvermeidlich an die Seite Russlands treiben und schliesslich zu einem französisch-russischen Krieg gegen Deutschland führen werde. 2 Die 1813 aufgerufene preussische Landwehr, die 1815 in der Landwehr-Ordnung ihre Organisation erhielt, umfasste die Mannschaften vom 26. bis zum 39. Jahre, und zwar das erste Aufgebot diejenigen bis zum 32., das zweite Aufgebot die der übrigen Jahre.
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der Balkanhalbinsel so sehr zu, dass ein Krieg wahrscheinlicher wird als Erhaltung des Friedens. Und d a hört das Lokalisieren des Krieges auf. Was aber dabei herauskommt — wer Sieger bleibt, ist nicht zu sagen. Die deutsche Armee ist unbedingt die beste und bestgeführte, aber nur eine unter vielen. Die Österreicher sind unberechenbar auch militärisch, sowohl der Zahl wie besonders der Führung nach, und haben immer verstanden, die besten Soldaten schlagen zu lassen. Die Russen täuschen sich wie immer über ihre auf dem Papier kolossalen Kräfte, sind in der Offensive äusserst schwach, in der Verteidigung des eigenen Landes stark. Ihr schwächster Punkt ist ausser der Oberleitung der Mangel an brauchbaren Offizieren für die enormen Massen, das L a n d erzeugt diese Zahl von gebildeten Leuten nicht. Die Türken sind die besten Soldaten, aber die Oberleitung ist immer miserabel, wo nicht verkauft. Die Franzosen endlich haben — da sie zu sehr politisch entwickelt sind, um eine Einrichtung wie die Einjähr [ig]-Freiwilligen ertragen zu können, und da der französische] Bourgeois absolut unkriegerisch ist (persönlich) — auch Mangel an Offizieren. Bei allen ausser den Deutschen endlich ist die neue Organisation noch nie auf die Probe gestellt. Diese Grössen sind also — der Zahl wie der Qualität nach — sehr schwer zu berechnen. Von den Italienern ist sicher, dass sie bei gleicher Zahl von jeder anderen Armee geschlagen werden. Wie aber sich diese verschiedenen Grössen im Weltkrieg zu- resp[ektive] gegeneinander gruppieren werden-, ist ebenfalls unberechenbar. Das Gewicht Englands, sowohl seiner Flotte wie seiner enormen Hilfsquellen, wird wachsen mit der Dauer des Krieges, und wenn es seine Soldaten anfangs zurückhält, so kann schliesslich ein englisches Korps von 60 000 Mann den Ausschlag geben. Alles das setzt voraus, dass im Innern der verschiedenen Länder nichts geschieht. Nun kann aber in Frankreich ein Krieg die revolutionären Elemente ans Ruder bringen, in Deutschland eine Niederlage oder der T o d des Alten einen heftigen Systemweohsel hervorrufen; das kann wieder andere Gruppierungen der Kriegführenden geben. Kurz, es gibt ein Chaos mit nur einem sicheren Resultat: Massenmetzelei auf bisher unerhörter Stufe, Erschöpfung von ganz Europa in bisher unerhörtem Grad, schliesslich Zusammenbruch des ganzen alten Systems. Ein direkter Erfolg für uns könnte nur durch eine Revolution in Frankreich herauskommen, die den Franzosen die Rolle der Befreier des europäischen] Proletariats gäbe. Ich weiss nicht, ob dies das für letzteres günstigste wäre; es würde den idealen französischen] Chauvinismus bis aufs masslose steigern. Ein Umschwung in Deutschland nach einer Niederlage würde nur helfen, wenn er zum Frieden mit 285
Frankreich führte. Am günstigsten wäre eine russische] Revolution, die aber nur nach sehr schweren Niederlagen der russischen] Armee zu erwarten. Soviel ist sicher, der Krieg würde unsere Bewegung zunächst in ganz Europa zurückdrängen, in vielen Ländern total sprengen, den Chauvinismus und Nationalhass schüren und uns sicher unter den vielen unsicheren Möglichkeiten nur das bieten, dass nach dem Krieg wir wieder von vorn anzufangen hätten, aber auf einem unendlich günstigeren Boden als selbst heute. Ob's aber Krieg gibt oder nicht, soviel ist gewonnen, dass der deutsche Philister aus seinem Dusel aufgeschreckt ist und endlich wieder gezwungen wird, aktiv in die Politik einzugreifen. Da zwischen der sozialistischen Republik, die unsere erste Stufe sein wird, und dem heutigen preussfischen] Bonapartismus auf halbfeudaler Grundlage noch viele Mittelstufen durchzujagen sind, kann es uns nur dienen, dass der deutsche Bürger endlich einmal wieder gezwungen wird, politisch seine Schuldigkeit zu tun und dem jetzigen System Opposition zu machen, damit es doch wieder in etwas vorangeht. Und deswegen bin ich ungeheuer begierig auf die neue Reichstagssession. Da ich kein deutsches Blatt augenblicklich beziehe, würdest Du mir einen grossen Gefallen tun durch Zusendung deutscher Blätter, v[on] Zeit zu Zeit, mit Berichten über wichtige Sitzungen, namentlich über auswärtige Politik. Liebk[necht] erzählte auch viel von der Entrüstung in Deutschl a n d ] über Bismarcks Kniefall vor den Russen. Er war mehrere Tage bei mir in Eastbourne an der See, sehr wohlgemut, und wie immer „ging alles famos"; da die Herren vom rechten Flügel keine Stänkereien von Bedeutung mehr machen und haben klein beigeben müssen, so konnte L[iebknecht] auch wieder ganz revolutionär sprechen und sich womöglich als den Allerentschiedensten aufspielen wollen. Ich habe ihn hinreichend merken lassen, dass ich über diese Geschichten mehr weiss, als er vielleicht wünscht; und da er ganz in dem rechten Gleise war, so war absolut kein Anlass, anders als äusserst herzlich zu verkehren. Was er Dir über das zwischen ihm und mir Besprochene geschrieben, weiss ich nicht und bin also auch nicht dafür verantwortlich. 14. September. Wieder unterbrochen, muss ich machen, dass ich bis zur Abendpost fertig werde, damit Du den Brief Donnerstag morgen spätestens erhältst. Auch der ungarische Landtag tritt dieser Tage zusammen, da wird's an Verhandlungen über den Bulgarenkram nicht fehlen. Das günstigste für uns wäre ein friedliches oder kriegerisches Zurückdrängen Russlands, dann wäre die Revolution dort fertig. Die Panslavisten würden dabei mitmachen, aber am nächsten Morgen 286
über den Löffel barbiert sein. Es war dies ein Punkt, über den Marx sich immer mit der grössten Sicherheit aussprach — und ich kenne niemand, der Russland so gut verstand wie er, nach innen wie nach aussen; dass, sowie in Russland das alte System gebrochen, einerlei durch wen, und eine Repräsentatiwersammlung zusammen, einerlei welche, es am Ende sei mit der russischen] Eroberungspolitik, dass dann die inneren Fragen alles beherrschen würden.3 Und der Rückschlag auf Europa, wenn diese letzte Burg der Reaktion gebrochen, würde enorm sein; wir in Deutschland würden es zuerst merken. Liebk[necht]s Schiff ist gestern morgen drei Uhr in N[ew] York angekommen, Avelings ihres schon einige Tage früher. Wenn es dort so heiss ist wie hier — ich habe vier Uhr nachm[ittags] 25 Grad Celsius im Zimmer — so wird ihnen das Paukenhalten einigen Schweiss kosten. In Frankreich wird gut fortgearbeitet. Das in Decazeville erprobte Agitationsschema wird jetzt in Vierzon bei dem dortigen Streik 4 wiederholt. Vaillant,5 der dort zu Hause, tritt dort in den Vordergrund. In Paris arbeiten die Radikalen für uns wie Bismarck in Deutschland. Sie sitzen tief in der Sauce mit Börsenschwindel-Gesellschaften, und Clemenceau, der selbst das nicht nötig hat, hat sich doch zu tief eingelassen mit dieser Sorte, als dass er sich ganz davon zurückhalten könnte. So wird der Riss zwischen ihm und den bisher radikalen Arbeitern immer tiefer, und was er verliert, gewinnen wir. Unsere Leute benehmen sich mit grossem Geschick; ich bin erstaunt über die Disziplin, die die Franzosen an den Tag legen. Gerade das fehlte ihnen, und das lernen sie jetzt, aber auf dem Hintergrund einer durchaus revolutionären Uberlieferung, die sich dort von selbst versteht und von all den spiessbürgerlichen Bedenken nichts weiss, in den[en] unsere Geisers und Vierecks festsitzen. Selbst mit der Listenabstimmung werden wir das nächste Mal bedeutende Erfolge in 3 Obwohl Marx sich wiederholt über die russische soziale Revolution äusserte, deren Elemente nur eines Anstosses von aussen zu ihrer Entwicklung bedürften, hegte er wirkliche Erwartungen von der russischen revolutionären Bewegung erst seit dem Ende der siebziger Jahre, seit diese zum unmittelbaren politischen Kampf gegen das terroristische Regime überging. S. darüber B. Nikolajewski, „Marx und das russische Problem", Die Gesellschaft, Jahrg. I (Berlin, 1924), Bd. I, S. 363; ferner H. Krause, Marx und Engels und das zeitgenössische Russland (Giessen, 1958). 4 Der Streik in der Maschinenfabrik in Vierzon, Dep. Cher, dauerte von Ende August an über vier Monate. Die Hauptforderungen der Arbeiter waren Wiedereinstellung aller Arbeiter, Arbeitszeitverkürzung infolge technischer Verbesserungen, Anerkennung der Gewerkschaften. 5 Edouard Vaillant (1840-1915), Anhänger Blanquis, Mitglied der Kommune, 1871-80 Emigrant in London, Führer der blanquistischen Sozialrevolutionären Partei, 1888 Redakteur von L'homme Libre, Mitbegründer des Parti Socialiste de France.
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Frankreich haben. Und eben weil alles so brillant geht, dort wie in Deutschland, und ein paar Jahre ungestörter innerer Entwicklung mit Hilfe der dabei unvermeidlichen Ereignisse uns so enorm voranhelfen müssen, eben deshalb kann ich einen Weltkrieg nicht gerade wünschen — aber was fragt die Geschichte danach? Sie geht ihren Gang, und wir müssen sie nehmen, wie sie kommt. Eins könnt Ihr von den Franzosen lernen. Seit fünfzig Jahren gilt dort die Regel bei allen Revolutionären, dass der Angeklagte dem Untersuchungsrichter alle und jede Auskunft verweigert. Jener hat das Recht zu fragen, der Angeklagte das Recht nicht zu antworten, sich und seine Genossen nicht selbst zu inkriminieren. Das — einmal allgemein angenommen, so sehr, dass jede Abweichung als halber Verrat gilt — ist von enormem Vorteil in allen Prozessen. Was man dann bei der öffentlichen] Verhandlung sagen will, steht immer frei. Aber in der Voruntersuchung werden alle Protokolle so abgefasst, dass sie die Aussagen des Angeklagten fälschen und man ihn durch allerlei Manöver zur Unterschrift breitschlägt. Überlegt Euch das einmal.6 Dein F. E. 6
S. Brief Nr. 97, Anm. 5. 9 6 . E N G E L S AN
Original.
BEBEL
London, den 8. Oktober 1886. Lieber Bebel!
Der Grund, warum ich Dir heute schreibe, liegt in meinen Unterhaltungen mit dem alten Joh[ann] Philfipp] Becker, der mich hier auf zehn Tage besucht hat und jetzt wohl wieder über Paris (wo er seine Tochter unerwartet gestorben fand!) nach Genf zurückgekehrt sein wird. Es hat mir grosse Freude gemacht, den alten Hünen, wenn auch körperlich gealtert, doch immer noch lustig und kampflustig noch einmal wiederzusehen. Es ist eine Gestalt aus unserer rhein[isch]fränkischen Heldensage, wie sie im Nibelungenlied verkörpert — Volker der Fiedeler, wie er leibt und lebt. Ich hatte ihn schon seit Jahren aufgefordert, seine Erinnerungen und Erlebnisse niederzuschreiben, und nun sagte er mir, auch von Dir und anderen dazu ermuntert worden zu sein; er selbst habe grosse Lust dazu, auch schon manchmal angefangen, [sei] aber bei fragmentarischer Veröffentlichung auf wenig wirkliche Aufmunterung gestossen (so bei der Neuen Welt,1 der er vor Jahren einige ganz präch1 Die Erinnerungen „Abgerissene Bilder aus meinem Leben" erschienen in Die Neue Welt, 1876, S. 150f„ 163f„ 171f., 182, 209f„ 220, 239, 251, 259ff.
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tige Sachen geschickt, die aber nicht „novellistisch" genug gefunden wurden, wie ihm Liebknfecht] durch Motteier schreiben liess). Was ihn aber mehr daran hinderte, war die Notwendigkeit, für seinen Unterhalt zu arbeiten und mit einer Wiener Korrespondenz2 fünfundzwanzig Fr[ancs] die Woche zu verdienen. Dazu muss er eine Masse Zeitungen und Zeitschriften lesen, und da er seit seiner Pariser Erfinder-Explosion3 schwache Augen hat, ist dies allein mehr, als er leisten kann. Ich habe ihm nun versprochen, in dieser Sache zunächst an Dich und Ede zu schreiben. Mir scheint, dass die Partei verpflichtet ist, sobald ihre Mittel es erlauben — und das tun sie jetzt, nach dem, was mir Liebkn[echt] gesagt und was ich von Zürich höre —, diesen alten Veteranen wenigstens teilweise auf ihren Pensionsfonds zu übernehmen und nicht zuzugeben, dass er sich wegen fünfundzwanzig Fr[ancs] wöchentlich die Augen blind arbeitet. Nun erhält Becker von van Kol 4 fünfundzwanzig Frfancs] monatlich, von einem Baseler Freund ebensoviel, und ich habe mich verpflichtet, ihm vierteljährlich fünf Pf[un]d = hundertfünfundzwanzig Frfancs] zu schicken, macht zusammen jährlich elfhundert Fr [an es]. Ich kann mich in den Zahlen der beiden irren, vielleicht sind es nur zwanzig Frfancs], dann würde die Gesamtsumme neunhundertachtzig Fr[ancs] sein. Der noch nötige Zuschuss der Partei würde also nicht sehr bedeutend sein und würde auch wohl leicht durch eine Privatsubskription aufzubringen sein, so dass die Parteikasse nur Vermittlerin der Zahlung bliebe. Wieviel der Zuschuss nooh betragen müsste, könnte Ede mit dem Alten selbst am besten feststellen. Wäre dies abgemacht, so hätte er Zeit, seine für die Geschichte der revolutionären Bewegung in Deutschland, also für die Vorgeschichte unserer Partei und teilweise seit 1860 auch für die Parteigeschichte selbst, höchst wichtigen Denkwürdigkeiten aufzuschreiben resp[ektive] zu diktieren und so der Volksbuchh[an]dl[ung] einen höchst wertvollen Verlags- und Vertriebsartikel zu liefern. Ich halte diese Arbeit für sehr nötig, da mit dem alten Becker sonst eine ganze Masse des wertvollsten geschichtlichen Materials in die Grube fährt, oder im besten Fall diese Dinge nur von unseren ganzen und halben Gegnern, Für die Schneebergersche Korrespondenz in Wien, s. Engels an Bernstein 9. Oktober 1886. 3 Becker über diese Explosion, die zu vorübergehender Erblindung führte, in Neue Stunden der Andacht (Zürich, 1875), S. 4 f. 4 Henri Hubert van Kol (1852-1925), schon als Student Mitglied der IAA., 1894 einer der Gründer der holländischen SDAP.; 1897-1909 und 1913-24 Abgeordneter; auf Grund eines längeren Aufenthaltes in den holländischen Kolonien Spezialist für Kolonialfragen; schrieb u.a. unter dem Pseudonym Rienzi Christentum, und Sozialismus (1882) und viele Werke vorwiegend über Kolonialfragen. 2
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Vulgärdemokraten usw. aufbewahrt und dargestellt werden. Dabei hat der Alte eine ganz bedeutende politische und militärische Rolle gespielt. In der Kampagne 1849 war er der einzige wirklich aus dem Volk herausgewachsene Führer und hat mit seiner in der Schweizer Armee gelernten hausbackenen und hanebüchenen Strategie und Taktik mehr geleistet, als alle die badischen und preussischen Offiziere dort, und dabei politisch ganz den richtigen Weg eingehalten. Er ist übrigens ein geborener Volksheerführer, von merkwürdiger Geistesgegenwart und mit einem seltenen Geschick, junge Truppen zu behandeln. 5 Ich wollte eigentlich erst an Ede wegen der buchhändlerischen Seite der Sache schreiben, weil ich nach Empfang seiner Antwort über manches positiver hätte sprechen können; aber das verdammte Freiberger Urteil kann jeden Augenblick einen Strich durch die Rechnung machen, und so wende ich mich gleich an Dich. Interessierst Du Dich für die Sache, so sage mir, an wen ich mich während Deiner Pensionierung zu halten habe, um die Sache weiterzuführen — gegen Liebkn[echt] hat der Alte einiges Misstrauen, und ich halte ihn auch nicht für den rechten Mann, wenn ich auch bei seiner Rückkehr mit ihm darüber sprechen werde; aber schon weil er fort, müsste ein anderer die Geschichte jetzt schon in die Hand nehmen. Jetzt muss ich schliessen, wenn der Brief noch fort soll. Dass das Urteil mich um Deinen Besuch und Dich um eine Reise nach Paris gebracht, verzeihe ich den Richtern nicht. Indes kommst Du vielleicht nächsten Sommer vor den Wahlen her, gehst mit an die See, Dich für die Kampagne zu stärken. Kann man so oder so mit Dir im Gefängnis in einiger Verbindung bleiben? Liebkn[echt] und Avelings sind von der englisch-amerikan[ischen] Presse ziemlich, ja unerwartet anständig aufgenommen worden. Beste Grüsse Dein F. E.
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Engels hat in seinem Nachruf, Der Sozialdemokrat, Nr. 51, 17. Dezember 1886, die militärischen Leistungen Beckers ausführlich gewürdigt: er war „der einzige deutsche Revolutionsgeneral, den wir hatten".
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9 7 . B E B E L AN
Original.
ENGELS
Plauen-Dresden, den 12. Oktober 1886. Lieber Engels!
Deine beiden Briefe habe ich erhalten. In Sachen des alten Johfann] Phil[ipp] [Becker] muss ich Dir mitteilen, dass dieser schon seit zwei Jahren, auf meine Veranlassung, einen Beitrag von zweihundert Fr[ancs] per Jahr erhält, den Zürich ihm quartaliter auszahlt. Ich erwähne das, weil Dir offenbar diese Tatsache unbekannt war. Ich habe nun gestern nach Zfürich] an Ede und Mottfeier] geschrieben, ihnen Deinen Plan und Deine Abrede mitgeteilt und erklärt, dass ich vollständig damit einverstanden sei und sie sich mit dem Alten ins Vernehmen setzen möchten. Das wird ja wohl geschehen, und ist nicht nötig, dass sich von Deutschland aus weiter noch jemand in die Sache mischt. Singer, der jetzt hier wohnt und während meiner Haft meine Stellung in dem ,,Fr[aktions]vorst[and]" einnehmen wird, erklärte sich auch mit Deinem Vorschlag einverstanden. Singer lässt Dich grüssen. Gestern hat das Reichsgericht, wie Du schon wissen wirst, unsere Revision verworfen, worüber wir gar nicht in Zweifel waren; denn das Freib[erger] Urteil basierte vollständig auf der Interpretation des Reichsgerichts.1 Damit ist die Sache rechtskräftig, und kann nunmehr der letzte Akt, die Haft, beginnen. Ich werde den Versuch machen, diese in Dresden absitzen zu können, statt in Zwickau; es wird mir aber nichts helfen. Ich nehme an, dass ich bis zum 1. November anzutreten habe.2 Das nunmehr rechtskräftig gewordene Urteil hat aber für die Partei und speziell für die Fraktion allerlei Konsequenzen, die wir berücksichtigen müssen. L[ie]bk[necht] und verschiedene andere: Singer, Auer, wollten das zwar nicht Wort haben oder behaupteten, dass wir uns davor nicht schützen könnten. Ich bin gegenteiliger Meinung, und mein Vorschlag, mit Bezugnahme auf das Freiberger und Reichsgerichtsurteil eine öffentliche Erklärung zu erlassen, wodurch wir formell von jeder Verbindung mit dem S[ozial]d[emokrat] zurücktreten, wurde angenommen.3 Vor wenig Tagen hatte ich auch die S. Der Chemnitz-Freiberger Sozialistenprozess vor dem Reichsgericht (München, 1886); Der Sozialdemokrat, Nr. 42, 14. Oktober; Nr. 48, 26. November 1886. 2 Der Sozialdemokrat berichtete in Nr. 48, 26. November, sämtliche Verurteilten hätten ihre Strafhaft angetreten: Dietz, Heinzel und Müller in Chemnitz, Auer und Bebel in Zwickau, Frohme in Frankfurt, Viereck und Vollmar in München. 3 Die Fraktion erklärte in der „Deutschland, Mitte Oktober 1886" datierten Erklärung, sie habe beschlossen, „1) den Charakter des Sozialdemokrat als offizielles Organ der sozialdemokratischen Partei aufzuheben; 2) die Vollmachten, die 1
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Genugtuung, dass mir Rechtsanwalt Otto Freytag erklärte, dass ein Schritt wie der von mir vorgeschlagene absolut nötig sei, weil sonst jedes beliebige Gericht sofort wieder einen Prozess anhängig machen könne. Die Erklärung wird uns nur für die Zukunft, aber nicht für die Vergangenheit decken; und wir sind keineswegs sicher, dass nunmehr gegen die übrigen Teilnehmer am Kongress [nicht] auch vorgegangen wird. Ich betrachte auch unseren Schritt nicht als absolute Deckung, sondern als relativ möglichste, der aber notwendig ist, sollen wir nicht vollständig lahmgelegt werden. Seitens der Züricher wird hinter unserer Erklärung eine andere folgen,4 die den Machthabern beweisen wird, dass sie keinen Sieg errungen haben und der Schlag pariert wird. Aus einem anderen Grunde — den ich natürlich nicht öffentlich gesagt habe — betrachte ich diese offizielle Unverantwortlichkeit der Fraktion als einen grossen Fortschritt. Das Blatt kann jetzt rücksichtsloser als je zuvor losschlagen, ohne dass man uns, wie es bisher stets geschah, die moralische Verantwortung aufhalsen und diese gegen uns ausnutzen kann, und wir sind nicht mehr der Gefahr ausgesetzt, dass einer unserer Schwächlinge im Reichstag desavouiert, wo er nicht desavouieren durfte. Die Erklärung wird nächste Woche im S[ozial]d[emokrat] erscheinen, und wäre mir angenehm, wenn Du mir den Eindruck, den sie Dir macht, mitteilen wolltest. Was Du mir in Deinem ersten Briefe über die notwendige Taktik bei Anklagen vor Gericht schriebst, nämlich in der Voruntersuchung die Aussagen zu verweigern, ist unseren Leuten in allen möglichen Formen, in Artikeln, Broschüren und mündlich gepredigt worden,5 seinerzeit die Eigentümer des Blattes der jeweiligen sozialdemokratischen Fraktion des Reichstages einräumten, in deren Hände zurückzugeben." Der Sozialdemokrat, Nr. 43, 21. Oktober. 4 Der Fraktionserklärung liess die Schweizerische Genossenschaftsdruckerei als Verlag des Sozialdemokrat eine von C. Conzett gezeichnete Erklärung folgen, in der es hiess: „ . . . Wir werden die nunmehrige volle Unabhängigkeit unseres Blattes in dem Sinne benutzen, nur noch entschiedener als bisher dem in Deutschland herrschenden Gewaltsystem die heuchlerische Larve abzureissen und es in seiner ganzen Erbärmlichkeit an den Pranger zu stellen. . . " Von Nr. 45, 5. November ab trug das Blatt den Untertitel „Organ der Sozialdemokratie deutscher Zunge". 6 Bebels Artikel „Wie verhalten wir uns vor Polizei und Gericht?" waren im Sozialdemokrat, Nr. 45 ,46, 47 vom 2., 9., 16. November 1882 erschienen. S. A.m.L., III, S. 68f. Der Kopenhagener Kongress beschloss 1883 die Herausgabe einer Broschüre, die auf Grund der Erfahrungen Ratschläge für das Verhalten gegenüber der Polizei und den Behörden enthalten solle. Protokoll, S. 19. Die Broschüre Winke für die Agitation und für das Verhalten vor den Behörden, Druck und Verlag von Conzett & Ebner, erschien in Chur [1884], 79 S. Neue, teilweise geänderte Ausgabe u.d.T. Rathschläge für die socialistische Agitation (Hottingen, L. Hübscher [vermutlich 1888]), 87 S.
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aber für viele doch immer ohne Erfolg. Die Franzosen hatten es leichter, sie waren weit geringer an Zahl und verteilten sich auf wenige Zentren. Bei uns hat die Bewegung heute ganz Deutschland umfasst, die Verständigung ist nicht leicht; und die Hauptsache ist, wir haben eine Unzahl junger Kräfte in der Partei, die erst unter dem Sozialistengesetz aktiv wurden und die heute fast überall im Vordergrunde stehen. Ich bin allmählich so eine Art Fatalist geworden, ich sehe, wir kommen ohne Schläge nicht fort, und bin froh, wenn sie nicht gar zu ungeschickt und zu massenhaft von unseren Leuten provoziert werden. Neun Zehntel der Verfolgungen sind nicht der Pfiffigkeit der Polizei, sondern deren Glück und der Ungeschicklichkeit oder Vertrauensseligkeit unserer Leute zu danken. Meine Ansichten über die orientalische Frage findest Du in der nächsten N[umme]r der N[euen] Zeit. 9 Ich bin der Ansicht, dass Bismarck sich mit Russland tiefer einliess, als er mit Rücksicht auf Frankreich notwendig hatte. Das ist in Deutschland und namentlich in Österreich das allgemeine Gefühl. Wenn er aus der Patsche mit heiler Haut kommt, hat er es sich nicht selbst, sondern glücklichen Umständen zu verdanken. Mir scheint, Russland operiert so, dass es mit Österreich allein anbinden kann. Zwingt es Österreich zum Losschlagen, so hat Bismarck nicht die Verpflichtung, Österreich zu helfen. Bei der Erregung der öffentlichen Meinung in Deutschland gegen Russland hat letzteres alle Ursache, den Vorsichtigen zu spielen. Meines Erachtens spart Russland sich das französische] Bündnis für den Fall auf, wo es mit Deutschland wegen der Ostseeprovinzen abrechnen will; einstweilen hätte es viel gewonnen, wenn es mit Österreich fertig werden und auf der Balkanhalbinsel reinen Tisch machen könnte. Ob die Pläne sich alle so hübsch verwirklichen lassen, ist freilich eine andere Frage; schliesslich kommen Komplikationen, an die niemand dachte. Käme es zu einem europäischen Krieg, so halte ich den Ausbruch einer europäischen Revolution für sicher. Ich kann nicht glauben, dass die ungeheuren Erschütterungen, die ein Krieg in bezug auf Kredit, Handel und Verkehr hervorruft, von einem sehr grossen Teil der Geschäftswelt ohne vollständigen Bankerott ertragen werden könnten, und die weiter daraus folgende Massenarbeitslosigkeit provozierte die Katastrophe. Ich bin ferner der Ansicht, dass gerade dieser Umstand in Verbindung mit der Tatsache, dass heute Deutschland der Hauptmarkt für die russischen] Staatsschulden ist und ein Krieg mit Russland unzählige Familien in der Mittelklasse ruinieren würde, weit mehr als die Furcht, Russland und In dem Aufsatz „Deutschland, Russland und die orientalische F r a g e " , Neue Zeit, Jahrg. IV (1886), S. 502ff.
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Frankreich nicht gewachsen zu sein, Bismarck abhält, den Kampf aufzunehmen. Ich halte Deutschland, Österreich und die Türkei für ausreichend stark genug, um es mit Russland und Frankreich aufzunehmen; und träte Italien auf Frankreichs Seite, so würde England auf der anderen Seite es voll kompensieren. Unsere sozialen Zustände haben eine sehr hohe Spannung erreicht, und darüber ist man in Berlin sehr genau unterrichtet. Möglich, dass auch die Rücksicht auf den alten Wilhelm Bismarck zwingt zu seiner skandalösen Nachgiebigkeit gegen Russland. Der Alte will den Krieg um jeden Preis vermeiden. Er dürfte übrigens bald zum „ewigen Frieden" eingehen. Er verhält sich in Baden-Baden ganz ungewöhnlich still. Die täglichen telegraphischen Meldungen über seine „Arbeiten", die sonst jeden Morgen an der Spitze der Blätter erschienen, fehlen seit mehr als acht Tagen fast gänzlich. Man hört weder von den üblichen Ausfahrten noch von Besuchen, und das will bei dem Alten, der ohne Aufregung nicht leben kann, etwas heissen. Er scheint im letzten Stadium der Altersschwäche sich zu befinden, und wir werden eines Morgens die Nachricht empfangen, dass er während der verflossenen Nacht für immer entschlafen ist. Bismarck, der seinen Sohn zum Vizekanzler avancieren liess,7 dürfte alsdann die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben; denn so gutmütig „unser Fritz" sein soll, einen Strohkopf wie den Herbert B i s marck] wird er sich nicht zum Kanzler oktroyieren lassen, und wie lange der alte B[ismarck] Kanzler bleibt, ist doch wohl zweifelhaft. In den letzten Wochen sind in der Köln[ischen] Zeit[ung] Angriffe auf die Kronprinzessin aufgetaucht, die beweisen, dass der alte Kampf zwischen ihr und Bismfarck] fortbesteht. Wir werden nicht viel davon profitieren. Das einzige, worauf ich glaube, dass wir rechnen können, ist, dass der Belagerungszustand nicht mehr verhängt wird und eine etwas mildere Praxis einreisst. Das Sozialisten]gesetz bleibt, man kann es nicht entbehren. Deine Hoffnung auf grössere Selbständigkeit des deutschen Bürgertums infolge der Haltung B[ismarck]s in der orientalischen Frage teile ich nicht. Der deutsche Bürger ist der grösste Feigling und Schwächling auf der weiten Erde, die Furcht vor uns liegt ihm in allen Gliedern. Wir haben in ganz Deutschland nur noch ein einziges bürgerliches Blatt, das mit einiger Mannhaftigkeit selbst für uns kämpft, das ist die Berliner Volkszeit[ung]. Die ganze übrige Presse, die Fr[ank]furt[er] Zeit[ung] mit einbegriffen, ist erbärmlich und 7
Im Oktober 1886 erfolgte die Ernennung von Bismarcks Sohn Herbert zum Staatssekretär des Auswärtigen und Vizekanzler; seit April 1888 war er auch preussischer Staatsminister.
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verschlechtert sich mit jedem Jahr. An der Volkszeit[ung] ist gegenwärtig Hauptmacher der edle — Mehring.8 Bei den nächsten Wahlen dürfte die Deutsch-freisinnige Opposition total in die Brüche gehen und nur noch von unserer und des Zentrums Gnaden existieren. Das Zentrum ist fertig, nicht bei seinen Wählern, die es noch eine Weile wird nasführen können, aber als Oppositionspartei. Es ist eine vollständige Verkennung der Verhältnisse, wenn Liebkn[echt] in Amerika behauptete, der Kulturkampf sei nicht zu Ende, und Windhorst werde Bismarck noch Nüsse zu knacken geben. Es ist mir unbegreiflich, wie L[ie]b[knecht] so die Situation verkennen kann.9 Er hat sie allerdings auch noch nach anderen Seiten verkannt, wie seine Reden zeigen, über die ich zwar nicht enttäuscht bin; denn die Gedanken sind alte Bekannte, die ich schon oft gehört, über die man aber, wie ich fürchte, drüben enttäuscht war. Kurz, mit der bürgerlichen Opposition ist es in Deutschland für immer aus; das hat auch Herr Berger-Witten,10 jedenfalls einer dei gescheitesten Liberalen, erkannt, als er vor ein paar Monaten im preuss[ischen] Abgeordnetenhaus ausrief: wir müssen auf die Verwirklichung der liberalen Grundsätze für immer verzichten, wenn wir mit einem gemässigt konservativen Regiment regieren können. Ganz meine Meinung. Kommt der Thronwechsel, so kommt dieses gemässigt konservative Regiment, das aber von „Liberalen" gebildet wird, und dann ist es auch mit der Opposition des grossm[äuligen] Eugen und seines Anhanges für immer vorbei. Die grosse regierungsfähige Mischmaschpartei ist fertig. In dem neuen Regiment sitzen aber unsere grimmigsten Feinde, die ehemals liberalen Bourgeois, die Mehring war seit Frühjahr 1884 ständiger Mitarbeiter des Blattes. Nach dem Tode des Chefredakteurs Dr. Phillips lehnte er die ihm angebotene Nachfolge ab; er übernahm die Redaktion des Leitartikels und galt als der eigentliche Leiter des Blattes. Seine Haltung wurde entschiedener und der Ton seiner Aufsätze schärfer. S. Th. Höhle, Franz Mehring S. 200ff. Über Mehrings Kampf gegen das Sozialistengesetz ebd., S. 211ff. 9 Berichte über Liebknechts Agitationsreise erschienen im Sozialdemokrat, Nr. 39, 22. September; Nr. 41 und 44, 7. und 28. Oktober; Nr. 49 und 52, 3. und 25. Dezember. Er selbst schilderte seine Reiseerlebnisse in Ein Blick in die Neue Welt (Stuttgart, 1887). 10 Bebel denkt an die Äusserung des nationalliberalen Abgeordneten BergerWitten am 20. Mai 1886 im preussischen Abgeordnetenhaus bei der Beratung der westfälischen Kreisordnung, nachdem von freisinniger Seite geäussert war, eine spätere liberale Regierung in Preussen werde ein besseres Gesetz vorlegen: „Ich warte und hoffe auf eine liberale Regierung nach meinem und meiner Freunde Geschmack nicht mehr. Bei der gegenwärtigen Konstellation der politischen Verhältnisse in Europa und mit Rücksicht auf unsere sozialen Verhältnisse müssen wir zufrieden sein, wenn wir im äussersten Falle ein gemässigt konservatives Regiment bekommen." Der Sozialdemokrat, Nr. 22, 27. Mai 1886. 8
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uns mehr hassen als die Junker und feiger sind als letztere. Diese Bande legt dann auch möglicherweise Hand ans allgemeine Stimmrecht, das ihnen in tiefster Seele zuwider ist. Kurz, ich sehe für uns nur noch Druck und Verfolgung, die mir aber eine Gewähr sind, dass unsere Kraft und Gefährlichkeit im Verhältnis wachsen. Eins ist sicher. Kommt das nackte Geldsackregiment ans Ruder, so fallen uns die Kleinbürger und Bauern in Scharen zu; ihre Hoffnung auf konservative Reformen ist dann für immer vorbei, und die Verzweiflung treibt sie zu uns. Ich hoffe, vor meinem Haftantritt noch ein paar Zeilen von Dir zu erhalten, und da wäre es mir auch lieb, zu hören, was Du über die L[ie]b[knecht]sche Agitation denkst. Die Stimmung der Masse ist offenbar ausgezeichnet, aber richtig behandelt werden sie meines Erachtens nicht. Das sind keine propagandistischen Reden, die L[ie]b[knecht] hielt. Meine Berichte lauten nur über N[ew] Y[ork]. Auch scheint die N[ew] Y[orker] V[olkszeitung] die Geschichte theatralischer zu behandeln, als selbst bei einem amerikanischen Publikum gerechtfertigt ist. Noch will ich bemerken, dass mir L[ie]b[knecht] über seine Unterhaltungen mit Dir gar nichts mitteilte; die paar Briefe, die ich bis jetzt erhielt, waren sehr kurz und sehr inhaltlos. Dein Wunsch, nach der Haft Dich zu besuchen, wird sich schwerlich erfüllen lassen, doch darüber nach neun Monaten. Hast Du während meiner Haft etwas mitzuteilen, so bitte ich, an meine Frau zu schreiben, sie wird zwar nicht gleich, aber doch in irgendeiner Weise mir Mitteilung zukommen lassen können. Mit den besten Grüssen Dein A.
98. ENGELS AN
Original.
BEBEL.
BEBEL
London, Samstag, den 23. [und 25.] Oktober 1886. Lieber Bebel!
Soeben abends halb zehn erhalte ich den S[ozial]-D[emokrat] mit Eurer Erklärung und schreibe Dir gleich, obgleich der Brief erst Montag 5.30 abgehen kann, wenn ich ihn einschreiben lasse. Aber Montag habe ich vielleicht wieder einen Haufen Korrekturbogen, die rasch besorgt werden müssen. 296
Eure Erklärung1 ist so abgefasst, dass absolut nichts daran ausgesetzt werden kann — die Notwendigkeit dieses Schrittes einmal zugegeben. Uber letztere kann ich nicht unbedingt urteilen, aber auch ohne Freytags Ansicht scheint sie mir erwiesen. Für die Sache überhaupt und für das Blatt selbst halte ich es für ein wahres Glück, dass Ihr den Schritt infolge des Urteils mit Anstand tun konntet. Es war meiner Ansicht nach ein grosser Fehler, dem Blatt überhaupt einen offiziellen Charakter zu geben, wie sich das auch im Reichstag gezeigt hat; aber einmal gemacht, war er schwer aufzuheben, ohne dass es als Desavouierung des Blattes und als Rückzug aussah. Das Urteil gab Euch die Gelegenheit, ihn aufzuheben, ohne diesen Schein zu erzeugen, und das habt Ihr mit Recht benutzt. Von Rückzug, wie Liebkn[echt] die Sache ansah, ist da keine Rede; und das Blatt kann jetzt die Ansicht der Parteimassen weit freier aussprechen und mit weit weniger Bedenken von wegen der Herren vom rechten Flügel. Die N[eue] Z[eit] ist noch nicht hier. Dass Bismarck sich weit tiefer mit den Russen eingelassen, als er wegen Frankreich braucht, ist auch meine Ansicht, und zwar ist der Hauptgrund dafür — ausser den von Dir angegebenen und sie entschieden beherrschend — der, dass die Russen ihm gesagt, und dass er weiss, dass es wahr ist: „Wir brauchen entweder entschiedene grosse Erfolge in der Richtung auf Konstantinopel, oder aber — wir bekommen Revolution." Alex[ander] III. und selbst die russische] Diplomatie können nicht den heraufbeschworenen panslavistischen und chauvinistischen Geist beschwören ohne Opfer; sonst wird Alex[ander] III. von den Generalen abgemurkst, und dann gibt's Nationalversammlung, sie mögen wollen oder nicht. Und eine russische] Revolution fürchtet Bismarck mehr als alles. Mit dem russischen] Zarismus fällt auch die preussische Bismarcksche Wirtschaft.2 Und deshalb muss alles geschehen, den Krach aufzuhalten, trotz Österreich, trotz der Bürgerentrüstung in Deutschland, trotzdem dass Bismarck] weiss, dass er auch so sein System schliesslich untergräbt, das ja auf der deutschen Hegemonie über Europa beruht; und dass am Tage, wo der alte Wilhelm stirbt, Russland wie Frankreich noch ganz anders die Zähne zeigen werden. Das schlimmste ist, dass bei der Schuftigkeit Personen beim Krieg niemand sagen kann, wie gruppieren, wer mit wem und wer gegen wen schliesslich die Revolution herauskommt, ist klar,
der herrschenden die Kämpfer sich geht. Dass dabei aber mit welchen
S. Brief Nr. 97, Anm. 3, 4. Engels entwickelte die im folgenden geäusserten Gedanken im Aufsatz „Situation politique de l'Europe", Le Socialiste, Nr. 63, 6. November. Ein Auszug erschien im Sozialdemokrat, Nr. 46, 12. November. 1
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Opfern! mit welcher allgemeinen Abspannung — und nach welchen vielen Wendungen! Inzwischen haben wir Zeit bis zum Frühjahr, und da kann noch manches passieren. Es kann auch so in Russland losgehn, der alte Wilhelm kann abfahren und eine andere Politik in Deutschland aufkommen — die Türken (die jetzt, nachdem Österreich ihnen Bosnien und England Ägypten weggenommen, in diesen ihren alten Bundesgenossen natürlich reine Verräter sehen) können aus dem russischen] Fahrwasser wieder hinauskommen usw. Von der deutschen Bourgeoisie kannst Du keine schlechtere Ansicht haben als ich. Aber es fragt sich nur, ob sie nicht wider Willen gezwungen wird, durch die geschichtlichen Umstände wieder aktiv einzugreifen, gerade wie die französische. Diese macht es auch miserabel genug; die unsere würde sie darin noch übertreffen, aber sie müsste dennoch wieder mit an ihrer eigenen Geschichte arbeiten. Den Bergerschen Ausspruch las ich auch seinerzeit mit Vergnügen, aber er gilt in der Tat nur für Bismarcks Lebzeiten. Dass sie vorhaben, ihre eigenen „liberalen" Phrasen ganz fallenzulassen, das bezweifle ich keinen Augenblick. Es fragt sich nur, ob sie's können, wenn einmal kein Bismarck mehr da ist, der für sie regiert, und wenn ihnen nur noch versimpelte Krautjunker und vernagelte Bürokraten — Menschen ihres eigenen moralischen Kalibers — gegenüberstehen. Denn Krieg oder Frieden, seit den letzten Monaten ist die deutsche Hegemonie kaputt, und man ist wieder der gehorsame Diener Russlands. Und nur diese chauvinistische Satisfaktion, der Schiedsrichter Europas zu sein, hielt den ganzen Kram zusammen. Die Furcht vor dem Proletariat tut sicher das ihrige. Und wenn die Herren zur Regierung zugelassen werden, so treten sie anfangs sicher ganz so auf, wie Du es beschreibst, aber sie werden bald gezwungen sein, anders zu sprechen. Ich gehe noch weiter: selbst wenn, nachdem der Bann durch den Tod des Alten gebrochen, dieselben Leute am Ruder bleiben wie jetzt, sie würden entweder zum Abtreten gezwungen durch neue — nicht nur hofmässige — Kollisionen, oder aber im Bourgeoissinn handeln müssen. Natürlich nicht gleich, aber lange würde es nicht dauern. Eine Stagnation, wie sie jetzt im politischen Deutschland herrscht — das echte zweite Kaiserreich — kann nur ein vorübergehender Ausnahmszustand sein; die grosse Industrie lässt sich ihre Gesetze nicht von der Feigheit der Industriellen diktieren; die ökonomische Entwicklung bringt die Kollisionen immer wieder hervor, treibt sie auf die Spitze und leidet nicht, dass die halbfeudalen Junker mit feudalen Gelüsten über sie auf die Dauer herrschen. Übrigens ist auch möglich, dass im Frühjahr sie alle zum Krieg rüsten, bis an die Zähne bewaffnet einander gegenüberstehen, und 298
jeder Angst hat anzufangen — bis dann einer einen Lösungsplan mit gegenseitigen Kompromissen und Verschluckung der Kleinstaaten vorbringt und sie alle zugreifen. Dass Bismarck schon jetzt an einem solchen Rettungsmittel arbeitet, ist wahrscheinlich genug. 25. Oktober. Was Du von Liebkn[echt]s Reden sagst, bezieht sich wohl meistens auf seine Äusserungen zum Korresp[ondenten] der N[etv] Y[orker] Volksz[ei]tung (dem kleinen Cuno3); die kann man nicht so genau nehmen, die Interviewer stellen alles verdreht dar. Was er sonst über den Kulturkampf sagte, erschien auch mir ganz verkehrt; aber Du weisst, Lfiebknecht] hängt sehr von Stimmungen ab, spekuliert gern auf sein Publikum (und nicht immer richtig) und hat immer nur zwei Farben, schwarz und weiss, auf seiner Palette. Im übrigen wird das wenig Schaden tun, das ist in Amerika schon längst der Vergessenheit verfallen. Also leb wohl, halt Dich gesund und lass mal aus der Gefangenschaft von Dir hören. Ich glaube schwerlich, dass Du die ganze Zeit wirst absitzen müssen, in neun Monaten kann sich alles ändern. Dein F. E. Theodor Cuno (1847-1934), Ingenieur, in Mailand in der Sektion der IAA. tätig, ausgewiesen, Emigrant in Belgien, Delegierter auf dem Haager Kongress 1872. Emigrierte nach Amerika, Mitarbeiter der Neu> Yorker Volkszeitung. 3
9 9 . B E B E L AN
ENGELS
Plauen-Dresden, den 2. November 1886.
Original. Lieber Engels!
Ich hoffte nicht, dass ich noch in der Freiheit Dir Deinen Brief vom 23. v. Mts., wenn auch nur kurz, beantworten könnte. Die Ordre auf Haftantritt1 lässt unerwartet lange auf sich warten und steht mit der Eile, die das Reichsgericht für die Revision hatte, in einigem Kontrast. Ich rechne indes sicher, dass sie diese Woche eintrifft; wenn nicht, melde ich mich freiwillig, weil ich nicht gar zu spät ins nächste Jahr hinein sitzen möchte. Der August kommt so schon bis zur Freilassung heran. Deine Anspielungen auf eine mögliche Amnestie treffen nicht zu; einmal hat sich der Alte zur allgemeinen Überraschung wieder erholt und ist gesund wie ein Fisch im Wasser, dann hat der Kaiser mit der Amnestie nichts zu tun. Diese kann er nur als König v[on] Preuss[en] für dies[en] Staat erlassen. Auch ist dergleichen in Deutschland für politische „Verbrecher" nicht 1
S. Brief Nr. 97, Anm. 2.
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mehr üblich, höchstens für gemeine. Der alte König von Sachsen starb auch, während wir auf der Festung waren; begnadigt wurden Militärsträflinge und gemeine Verbrecher, die politischen Gefangenen gingen leer aus. Ebenso wartet man in diesem Augenblick in Bayern auf eine Amnestie vergeblich, wo eine Menge liberaler und ultramontaner Redakteure wegen der letzten Königsaffäre2 verurteilt wurden. Die deutsche Bourgeoisie und das deutsche Fürstentum haben nicht die noblen Regungen z.B. der Franzosen. Sehr angenehm ist mir Deine Beurteilung unserer Erklärung im S[ozial]d[emokrat], wenn L[ieb]k[necht] auf der Rückreise zu Dir kommt, sage ihm dieselbe nur. Die erwartete Ausschlachtung der Erklärung in der deutschen Presse ist fast ganz ausgeblieben. Die freisinnigeren Blätter fanden sie ganz in der Ordnung und ihren Zweck erfüllend; nur einige konservative nörgelten, wussten aber auch nichts dagegen zu sagen; ein Beweis, dass der Zug ein geschickter und der Sachlage entsprechender war. Du hast meine Äusserungen bezüglich] L[ie]b[knecht]s wohl etwas falsch verstanden; dass er mit gewissen Ausführungen direkt schaden würde, wollte ich nicht sagen, er selbst ist ja von seinen Erfolgen sehr zufrieden und unsere Presse dort auch, da bescheide ich mich. Grosse Wichtigkeit lege ich der Kandidatur Georges für den N[ew] Y[orker] Mayorposten3 bei. G[eorge] ist wohl über seine ersten Absichten hinaus durch die Masse gedrängt worden, sich als reinen Arbeiterkandidaten zu proklamieren und dem Sozialismus ein Kompliment zu machen. Was er nicht zugestehen will, werden die Gegner mit ihren Angriffen besorgen. Er ist ja ganz wie wir im Wahlkampf angegriffen worden, und so wird er, selbst wider Willen, auf unsere Seite gedrängt. Wie immer der Wahlkampf heute dort ausgefallen ist, von heute ab datiert für die amerikanische] Bewegung eine wichtige Etappe. Und dass gerade die eigentlichen Amerikaner in die Bewegung gerissen wurden, ist der grösste Erfolg. Auch glaube ich sicher, dass G[eorge] bei der nächsten Präsidentenwahl der Kandidat der Arbeiter sein wird, und das ist ebenfalls hochwichtig. Die Bewegung drüben kann auf das Mutterland vom besten Erfolg begleitet sein. Kurz, es geht überall mächtig vorwärts, und unsere Gegner haben alle Ursache, sich eine Gänsehaut über den Rücken laufen zu lassen. In Bulgarien scheint's allmählich zum Krach zu kommen. Die Dem Ende des geisteskranken Ludwig II. Bei der New Yorker Bürgermeisterwahl am 2. November erhielt der als Arbeiterkandidat aufgestellte Henry George überraschend 67.699 Stimmen; der Demokrat Hewitt wurde mit 90.296 Stimmen gewählt, und der Republikaner Roosevelt erhielt 60.392 Stimmen. 2 3
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Russen nutzen die Situation aus. Das war vorauszusehen. In Berlin sieht man mit dem grössten Unbehagen die Verhältnisse sich entwikkeln, und man vermutet, dass man wider Willen in den Strudel gerissen wird. Das kann gut werden. Im Innern verschlechtern sich die sozialen Zustände zusehends. Von allen Seiten werden Arbeiterentlassungen gemeldet; wir bekommen einen Winter so traurig, wie noch keiner war. Auch in den Einnahmen der indirekten Steuern zeigt sich ein unvorhergesehener Ausfall, das bedenklichste Zeichen für die traurige Lage der Masse. Die Steuern sind hinter den Voranschlägen sehr wesentlich zurückgeblieben, und angesichts dieser Situation kommt man mit erheblichen Mehrforderungen. Bis jetzt wird sorgfältig verheimlicht, was der Kriegsminister mehr braucht, es wird aber ein hübscher Mehrposten sein.4 Dass unter solchen Umständen unsere Bourgeoisie sich ermannt und im Innern anders regiert, wenn sie einmal mehr Einfluss als heute hat, daran kann ich nicht glauben. Die Stagnation kann freilich nicht bleiben, aber sie kann sehr geraume Weile dauern, und die Friedhofsruhe, die das Sozialistengesetz auf der Oberfläche des politischen Lebens erzwingt, täuscht unsere Bourgeoisie. Sie hält die scheinbare Ruhe für Zufriedenheit, und bei ihrem eigenen hochgradigen Ruhebedürfnis wacht sie mit fanatischem Eifer, dass nichts ihre Ruhe stört. Doch wir werden sehen, was das nächste Jahr bringt. Ich glaube, wir haben weit mehr Aussicht, nach unserer Haft in Sicherheitsgewahrsam auf eine unserer Festungen zu wandern, als dass diese Haft aus irgendeinem Grunde abgebrochen wird. Wie es kommt, so nehmen wir's. Lebe wohl und halte Dich tapfer! Gruss und Hand v[on] Deinem A . BEBEL.
Auch die Belgier marschieren famos.5
Die Ausgaben für das Reichsheer betrugen im Etatjahr 1887-88 ca. 20 Millionen, für die Marine ca. 12 Millionen Mark mehr (364,3 bzw. 38,3 Mill. Mark). 5 An einer Demonstration für das allgemeine Wahlrecht in Charleroi am 31. Oktober nahmen 50.000 Arbeiter teil. Bei einer Nachwahl in Brüssel erhielt E . Anseele 1.014 Stimmen gegenüber 4.062 Stimmen des Liberalen Guillery, obwohl die Zahl der Wahlberechtigten in der sozialistischen Partei Brüssels infolge des hohen Zensus für die Kammerwahlen von 42 Frs. direkter Steuern ausserordentlich gering war. 4
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100. E N G E L S AN J U L I E
BEBEL
122 Regents Park Road N.W. London, den 12. März 1887.
Original. Liebe Frau Bebell
Wenn ich mir die Freiheit nehme, heute an Sie zu schreiben, so geschieht es in der Hoffnung, durch Sie zu erfahren, wie es meinem Freund Bebel in der Zwickauer Versorgungs-Anstalt geht. Ich habe nun, seit Singer im Dez[em]ber hier war, gar nichts mehr über B[ebel] gehört. Dass die Haft auf seine geistige Energie ohne jede Einwirkung bleiben wird, das weiss ich freilich auch so; ich würde mich aber sehr freuen, auch zu erfahren, dass sie seine körperliche Gesundheit nicht ungünstig berührt. Es muss sehr hart für ihn gewesen sein, während des Wahlkampfes untätig hinter Schloss und Riegel zu sitzen; aber um so mehr muss ihn das Resultat gefreut haben, das so buchstäblich mit seiner schon vor Monaten mir gemachten Voraussage stimmte: Grosser Stimmenzuwachs, aber Verlust von Mandaten.1 Letztere sind nicht nur leicht zu verschmerzen — ist doch nur Liebknechts Abwesenheit ein wirklicher Verlust —, sondern in vieler Beziehung ein Vorteil. Das wird ja jetzt auch von Leuten zugegeben, bei denen es kaum zu erwarten war; Leute, die selbst am Parlamentarismus ein stilles Vergnügen fanden, erklären jetzt laut und überall, wie gut es sei, dass die Partei und besonders die Fraktion der Gefahr entrückt sei, dem Parlamentarismus zu verfallen! Es ist ganz gut, wenn die Trauben manchmal sauer sind. Dagegen die 225.000 neuen Stimmen, die wir trotz des härtesten Drucks erobert haben, die sind ein Schritt vorwärts, der seine Wirkung in ganz Europa und Amerika gehabt hat, und der auch den Herren Regenten ihren momentanen Triumph sehr verbittert. Gerade dieser Mangel an Überstürzung, dieser gemessene, aber sichere unaufhaltsame Fortschritt hat etwas gewaltig Imponierendes, das den Regenten dasselbe beklemmende Gefühl erregen muss wie den Gefangenen der Staatsinquisition in Venedig jenes Zimmer, dessen Wände täglich einen Zoll näher zusammenrückten, so dass sie allmählich den Tag berechnen konnten, wo die Zerquetschung zwischen den Wänden eintreten musste. Während des ganzen Herbstes und Winters hat die russische und preussische Diplomatie daran gearbeitet, einen lokalisierten Krieg 1 Bei den sogen. Faschingswahlen am 21. Februar 1887 erhielt die Sozialdemokratie 763.128 Stimmen, 213.038 mehr als 1884. Sie erhielt jedoch nur elf Mandate gegenüber fünfundzwanzig. Das von Konservativen und Nationalliberalen gegen die Opposition gebildete Wahlkartell erwies sich besonders bei den Stichwahlen als sehr wirksam.
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zustande zu bringen und einen europäischen zu vermeiden. Die Russen hätten gern Österreich allein, die Preussen gern Frankreich allein zermalmt, während die anderen zusehen sollten. Leider kreuzten diese wohlwollenden Bestrebungen sich gegenseitig in der Art, dass derjenige, der zuerst losschlug, den allgemeinen Weltkrieg provoziert hätte. Dass die Zeit der lokalisierten Kriege vorüber, wusste natürlich, ausser den gescheiten Leuten, die Europa regieren, jedes Kind; aber die grossen Staatsmänner finden das erst jetzt aus, und vor einem Weltbrand haben sie doch einige Angst; denn der ist unberechenbar und wächst selbst der preussischen und russischen Armee über den Kopf. Und darin liegt für mich noch die einzige Garantie für den Frieden, die wir haben.2 Wollen Sie gütigst Bebel sagen, wenn Sie ihn sehen, dass die erste Auflage der englischen Übersetzung des „Kapital"3 nach zwei Monaten bereits verkauft und die zweite in der Presse ist. Und das, noch ehe irgendein grösseres Blatt dem Buch einen Artikel gewidmet hatte! Mit der Bitte, mir recht bald von Bebels Befinden Nachricht geben zu wollen, Ihr hochachtungsvoll ergebener F . ENGELS. Über die Kriegsgefahr äusserte sich Engels in einem Brief, der auf einer Kundgebung der in Paris wohnenden deutschen, russischen, polnischen, schwedischen und dänischen Sozialisten verlesen wurde, die am 19. Februar in der Salle du Siècle stattfand und gegen den Krieg im allgemeinen, ganz besonders gegen einen Krieg zwischen Frankreich und Deutschland gerichtet war. Der Brief, datiert vom 13. Februar 1887, erschien in Le Socialiste Nr. 79, 26. Februar, deutsch im Sozialdemokrat Nr. 11, 11. März 1887. Engels forderte die Abschaffung des preussischen Heeressystems und seine Ersetzung durch ein wirkliches Volksheer nach Schweizer Muster. » S. Brief Nr. 59, Anm. 2. 2
1 0 1 . J U L I E B E B E L AN E N G E L S
Original.
Plauen-Dresden, den 3. April 1887. Verehrter Herr Engels!
Leider war es mir nicht eher möglich, Ihren freundlichen Brief zu beantworten. Wir hatten Besuch im Hause, und da ich dasselbe ohne Hilfe zu versehen habe, kam ich nicht dazu. Meiner Tochter Studiengenossin ist mit ihrer Familie nach der Schweiz übergesiedelt, um sich für ihr Maturitätsexamen vorzubereiten, und war sie bei uns. Das 303
wird auch Frau von Schack 1 interessieren, da sie die Familie Eysoldt kennt. Haben Sie besten Dank für Ihre gütige Nachfrage nach meinem Mann; er hat sich sehr darüber gefreut und lässt Sie vielmals grüssen. Sie haben ganz recht in der Annahme, dass die Haft geistig nicht gerade nachteilig auf i hn einwirkt; doch glaube ich bemerkt zu haben, dass er nicht mehr mit derselben Geduld darin ausharrt. Es mag freilich sein, dass es während der Wahlperiode so schwer für ihn war, zur Untätigkeit verdammt zu sein; denn er hat seinem Herzen Luft gemacht in seinen Briefen an mich, die seine Ansichten und Glaubensbekenntnisse enthielten, dass ich mich oft gewundert habe, dass sie die Zensur passierten. So war er ganz Ihrer Meinung bezüglich des Wahlergebnisses. (Er schrieb, dass er ganz zufrieden damit sei; denn mit Ausnahme von Herrn Liebknecht sei an den andern Verlusten an Mandaten kein Schade geschehen; denn seien dieselben auf dreissig gestiegen, so wären mit der Zeit mindestens zwanzig kleine Staatsmänner daraus hervorgegangen, und dem sei ein Riegel vorgeschoben, und das sei gut.)2 Der Stimmenzuwachs ist die Hauptsache. In bezug auf die Kriegsgefahr ist er allerdings anderer Meinung und behauptet, dass derselbe dennoch bald käme, die Zustände seien unhaltbare; und macht er mir damit ein wenig den Kopf warm und veranlasst mich zu Dispositionen, die gewiss für dieses Jahr nicht nötig sind. Auch das bekundet mir seine Unruhe. Indes ist das bei einem solchen Geist nicht gut anders möglich, und bin ich schon daran gewöhnt. Dass er den Fourier 3 bearbeitet, haben Sie vielleicht schon gehört; eine schwere Aufgabe hat er sich damit auferlegt; denn mit seinem bisschen Französisch sich in den Geist des etwas schwerverständlichen Autors hineinzuarbeiten, war gewiss nicht leicht, indes macht es ihm Vergnügen. (Nebenbei arbeitet er noch anderes, für Zeitungen usw.) 4 Eine grosse Erleichterung der Haft ist, dass die vier 1
Gertrud Guilleaume Schack (gest. 1903), Tochter eines schlesischen Grafen Schack, Frau des Schweizer Malers, des Bruders James Guilleaumes, wurde in Paris auf die Reglementierung der Prostitution hingewiesen, die sie fortan bekämpfte. 1880 gründete sie zu diesem Zweck den „Deutschen Kulturbund", für den sie auf Vortragsreisen warb. 1883 legte sie dem Reichstag eine Petition vor. 1885 trat sie der Sozialdemokratie bei; sie gründete den „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen" und gab die Zeitschrift Die Staatsbürgerin heraus, die bis Juni 1886 erschien. Sie wurde als lästige Ausländerin ausgewiesen und ging nach London, wo sie eine Zeitlang in Engels' Haus verkehrte. 2 Der eingeklammerte Satz wurde später von Bebel durchgestrichen. Die Stelle stammt aus Bebels Brief an Julie Bebel, Zwickau 28. Februar 1887. S. Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 2. Jahrg. (1960), Nr. 1, S. 148ff. 3 Bebels Buch Charles Fourier. Sein Leben und seine Theorien, die Frucht seiner Fourier-Studien, erschien 1888 im Verlag J. H. W. Dietz, Stuttgart. 4 Von Bebel später durchgestrichen.
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Herren5 morgens und nachmittags eine Stunde im Gefängnishof zusammen Spazierengehen können, da können sie Ideenaustausch halten, und das ist viel wert; denn neun Monate ist doch sehr lang, jetzt ist gerade die Hälfte herum. Gesundheitlich geht es meinem Mann ganz gut, wie er fortgesetzt versichert in seinen Briefen; Essen und Trinken können sie sich besorgen lassen, was sie wünschen, da sie Selbstbeköstigung haben, auch werden sie höchst anständig behandelt. Wir haben ihn einmal besucht, und er sah nur etwas bleich und wüst aus, sonst aber ganz kräftig, und so hoffe ich, dass er ungebrochen an Körper und Geist auch diesmal zu uns zurückkehren wird. Der andere Inhalt Ihres werten Briefes hat mich sehr interessiert, und haben Sie wohl die ganz richtige Ansicht bezüglich eines Krieges; doch kann man bei den heutigen Zuständen nicht wissen, was alles zusammenwirken wird, um denselben dennoch herbeizuführen; nur denke ich, dass es dies Jahr noch bleiben wird, wie es ist. Leider kann ich von dem meinem Manne keine Mitteilung machen; aber bezüglich des erfreulichen Resultats des „Kapital" habe ich ihm geschrieben. Indem ich Ihnen für Ihren werten Brief noch bestens danke, bitte ich gleichzeitig um gütige Nachsicht, dass die Antwort spät erfolgt, und grüsse Sie hochachtungsvoll und ergeben JULIE BEBEL. Nach dem Sozialdemokrat, Nr. 23, 3. Juni, verbüssten Auer, Bebel, Ulrich und Viereck die Haft in Zwickau. 5
1 0 2 . ENGELS AN B E B E L
Original.
4 Cavendish Place Eastbourne, den 13. August 1887.
Lieber Bebel! Morgen oder übermorgen kommst Du aus der Haft, und ich hoffentlich dazu, einen Plan zu verwirklichen, den ich mit mir herumgetragen habe, seitdem Du in das Logis des Königs von Sachsen eingezogen bist. Nämlich Dich einzuladen, auf meine Kosten eine Spritztour nach London zur Erholung von den Strapazen des Martyriums zu unternehmen.1 Du musst mir aber den Gefallen tun, meinen ganzen VorBebel verliess das Zwickauer Gefängnis am 14. August. Er unternahm die Londoner Reise zusammen mit E. Bernstein im November.
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schlag zu akzeptieren, speziell das: auf meine Kosten; denn ich könnte es mit meinem Gewissen nicht vereinigen, Dir dadurch irgendein, auch noch so geringes, Opfer aufzuerlegen. Eine solche Erholung scheint mir für Deine Gesundheit durchaus nötig, damit Du endlich einmal wieder freie Luft atmest, und hier ist die Luft so frei, wie sie in der kapitalistischen Gesellschaft überhaupt sein kann. Aus dem engen Gefängnis Zwickau so ohne weiteres in das grosse Gefängnis Deutschland überzutreten, wäre doch gar zu hart. Deine Gesundheit ist aber jetzt das wichtigste Parteiinteresse, das ich kenne, und so bitte ich Dich, mir zu erlauben, meinen Parteibeitrag in der mir am geeignetsten scheinenden Weise zu leisten. Ich bin hier noch auf vierzehn Tage, also am 27. ds. wieder in London. Ich vermute, dass Du noch ungefähr dieselbe Zeit nötig hast, um verschiedenes in Ordnung zu bringen, und kann selbst nicht früher nach London zurück, da mein Haus durch und durch renoviert wird und alles drüber und drunter liegt. Kannst Du aber früher kommen und noch einige Tage hier bei uns an der See zubringen, um so besser; dann sobald wie möglich. Du fährst mit dem Nachtboot von Vlissingen nach Victoria Station, London; vom selben Bahnhof gehen die Züge nach Eastbourne ab und sind in zwei bis zweieinhalb Stunden hier. Kautsky, der Montag von Ventnor nach London zurückkehrt (Adrfesse] 35 Lady Somerset Road Highgate, N.W., London), wird Dich mit Vergnügen in London lotsen. Liebk[necht] war voriges Jahr auch hier bei uns und schwärmte für die Lokalität. Ich sehe also mit Verlangen Deiner Antwort entgegen und werde Dir, sobald diese zustimmend lautet und Du nicht gleich kommst, eine Remise als Anzahlung schicken, um Dich so um so fester zu halten. Über alles andere können wir uns dann mündlich besser verständigen; es ist so manches vorgefallen, worüber ich von niemandem besser als von Dir Aufklärung erhalten kann. Im ganzen bin ich mit dem Lauf, den die Welt seit Deiner Isolierung genomen hat, zufrieden, es geht überall vorwärts. Jetzt muss ich schliessen, die Post geht hier 1.15 mittags ab, und verpasse ich die, so geht der Brief erst Montag morgen von London. Der Sicherheit halber adressiere ich an Deine Frau, die ich sowie Deine Tochter herzlich zu grüssen bitte. Dein alter F. E. Solltest Du Kautsky in London aufzusuchen haben, so hier noch Näheres über seine Adr[esse]: 35 Lady Somerset Road, Highgate, near Kentish Town Station, Kentish Town Road. Auf Briefen ist das nicht nötig. 306
1 0 3 . B E B E L AN
Original.
ENGELS
Dresden-Plauen, den 19. August 1887. Lieber Engels!
Dein Brief vom 13. [August] ist in unsere Hände gelangt. Für die freundliche Einladung sage ich Dir herzlichen Dank; ich akzeptiere sie, und zwar voll und ganz, weil, ehrlich gestanden, mir die Reise aus eigenen Mitteln nicht möglich ist; sonst wäre ich schon vor Jahr und Tag mal gekommen. Nur mit der Zeit meines Kommens musst Du einige Geduld haben, vor Anfang Oktober werde ich kaum eintreffen können. Einmal habe ich noch allerlei Arbeiten, die ich im Gefängnis nicht ganz zu Ende führen konnte, fertigzustellen, hier fand ich auch meinen Teil vor; dann haben wir nächsten Monat Landtagswahl,1 ferner muss ich auf dringende Einladung meiner Wähler auf acht Tage mit Familie nach Hamburg, was ich natürlich sehr gern tue; endlich wird auch ein allgemeiner Parteitag im Ausland stattfinden, auf dem ich nicht fehlen kann.2 Letzteren hat man so lange hinausgeschoben, bis wir wieder frei waren, worüber ich doch gelacht habe; denn laut Beschluss der vorjährigen Reichstagsfraktion sollte er allerspätestens bis Pfingsten dfieses] Jfahres] stattfinden. Wir werden unsere Gegner durch das denkbar offenste Vorgehen verblüffen, mein diesbezüglicher Plan wurde in einer bei mir stattgehabten Zusammenkunft ohne weiteres akzeptiert. Das Gefängnis habe ich im besten Wohlsein Sonntag früh fünf Uhr verlassen und wurde gleich von einer grossen Korona von Genossen aus dem Erzgebirge und Vogtlande empfangen, die mich begrüssen wollten. Die Leute waren teilweise vier und fünf Stunden weit die Nacht durch marschiert — auch Frauen dabei — und hatten keine Minute geschlafen, andere waren mit den Frühzügen angekommen und kamen noch an, als ich bereits fort musste, um meine Familie nicht warten zu lassen. Auch hier wurde ich in der sympathischsten Weise empfangen. Der vierte, fünfte und sechste Wahlkreis hatten mein Zimmer in eine vollständige Orangerie umgewandelt und alles mit Girlanden eingefasst, was einfassbar war. Telegramme und Briefe von aussen regnete es. Unter den Geschenken befand sich ein Bild, 1 Am 18. Oktober wurden die Landtagswahlen in einem Drittel der sächsischen Wahlkreise abgehalten. Gewählt wurde nur Bebel im Wahlkreise Landkreis Leipzig; aber die Sozialdemokratie erhielt 13.683 Stimmen in den betreffenden Kreisen gegenüber 4.500 Stimmen bei der vorigen Wahl. 2 Er fand in Brüggen bei St. Gallen am 2.-6. Oktober statt und war von achtzig Delegierten besucht. Der Sozialdemokrat veröffentlichte die Einladung in Nr. 37, 9. September und berichtete darüber in Nr. 40-43, 30. September, 7., 14., 21. Oktober.
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auf dem Du, Marx, Joh[ann] Philipp [Becker] und Lassalle in prachtvollen Rahmen eingefasst sich befanden mit der Umschrift „Unsere Vorkämpfer". Ich kann Dir überhaupt sagen, dass Du durch Deine literarischen Arbeiten der letzten Jahre Dir in der Partei und weit über die Partei hinaus einen sehr guten Namen gemacht hast. Als Beweis für letzteres eine kleine Anekdote, die mir ein junger Student am Dienstag erzählte, der sein erstes Semester soeben in Heidelberg absolviert hatte. Er hörte dort Vorlesungen über Staatswissenschaften bei einem Proffessor] Schulze. Als er diesem einen Abschiedsbesuch machte, kam die Rede auch auf Deine Schrift „Der Ursprung der Familie", die der junge Mann mit grosser Begeisterung gelesen hatte und dies dem Professor mitteilte. „So, die haben Sie gelesen", antwortete dieser, „ja, die Schrift ist sehr gut, ganz mein Standpunkt. Ich möchte wissen, wo der Mann das her hat, bei mir hat er kein Kolleg gehört." Du kannst Dir vorstellen, wie Singer — der mit zuhörte — und ich gelacht haben. Das ist doch der deutsche Professor, wie er im Buche steht. Über Politik und Parteisachen will ich Dir heute nicht weiter schreiben; ich habe meine fünf Sinne noch nicht recht beieinander, da ich die ganzen Tage nach den verschiedensten Richtungen in einer Weise in Anspruch genommen war, dass jede Sammlung unmöglich war. Auch wird sich das alles mündlich weit besser erledigen lassen, und darauf freue ich mich sehr. Ich werde Dir gegen Ende September noch genau mitteilen, an welchem Tage ich in London einzutreffen gedenke. Bis dahin lebe wohl und sei herzlich gegrüsst von mir und meiner Familie. Dein A . BEBEL.
1 0 4 . ENGELS AN B E B E L
Original.
Eastbourne, den 30. August 1887. Lieber Bebel!
Es freut mich ungeheuer, dass Du so bereitwillig auf mein Plänchen eingegangen bist; ich erwarte Dich in London in den ersten Tagen des Oktober und bedaure nur, dass Du nicht schon gleich kommen und eine Woche hier in der frischen Seeluft zubringen kannst. Mein Haus ist noch drüber und drunter, und so habe ich eine Woche zusetzen müssen; wir gehen aber am Freitag, 2. Sept[ember] wieder zurück. Alles andere lasse ich auf mündliche Verhandlung, nur, da Du 308
nach Hamburg gehst, noch ein Wort. Ich habe mit Wedde 1 wegen eines dort ausgesonnenen Planes in Briefwechsel gestanden, konnte aber leider auf seine Wünsche nicht eingehen, da der Plan in gänzlicher Unkenntnis des hier geltenden Rechts und namentlich der Prozedur in Zivilsachen ausgearbeitet war — soweit ich wenigstens aus W[edde]s Mitteilungen urteilen konnte. Ich möchte Dich nun bitten, Dir von Wfedde], wenn Du in Hamburg bist, den ganzen Plan nochmals genau auseinandersetzen zu lassen, damit wir ihn hier durch und durch diskutieren können; denn wenn sich die Sache machen lässt, so tue ich gern mein möglichstes sowohl im Interesse der Sache als auch Wfedde] zu Gefallen. Schlimmstenfalls hoffe ich, Dich, wenn nichts zu machen ist, davon zu überzeugen, dass es wirklich nicht angeht, und das wäre mir auch schon viel wert. Ich erwarte also in ca. drei bis vier Wochen Nachrichten wegen Deiner Herkunft, inzwischen empfiehl mich Deiner Frau und Tochter bestens und sei herzlich gegrüsst von Deinem
F. E.
Johannes Wedde (1843-90) studierte Geschichte und Nationalökonomie, Herausgeber der Bürgerzeitung, seinerzeit bekannter Dichter („Grüsse des Werdenden" 1886). 1886-87 stand er mit Engels im Briefwechsel und bemühte sich u.a. um eine Stellung für P. Martignetti bei einem ihm befreundeten Hamburger Kaufmann. Bei dem hier erwähnten Plane handelte es sich um die Anlage der Ersparnisse des „Freundschafts-Clubs der Zigarren-Sortierer" in Höhe von 10.000 Mark im Ausland, um sie bei einem Verbot dem Zugriff der Polizei zu entziehen. Wedde hatte Engels gebeten, das Geld unter seinem Namen bei der Bank von England zu belegen. Wedde an Engels 9. Juni, 9. Juli 1887.
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1 0 5 . B E B E L AN
ENGELS
Plauen-Dresden, den 24. September 1887.
Original. Lieber Engels!
Deinen letzten Brief erhielt ich in Hamburg, wohin er mir nachgesandt wurde. Mein dortiger Aufenthalt wurde mir dadurch ein wenig verleidet, dass ich von einem heftigen Katarrh befallen wurde, der mich zwei Tage ans Bett fesselte und die übrigen nur halber Mensch sein liess. Frau und Tochter waren mit. Wann ich nach London komme, kann ich Dir heute noch immer nicht schreiben. Montag reise ich über Stuttgart, wo ich einen Tag zu tun habe, nach der Schweiz, bleibe einige Tage in Zürich, gehe dann zum Parteitag, und so werden vierzehn Tage vergehen, ehe ich wieder nach Hause komme. Alsdann kann ich Dir definitiv schreiben, 309
möglicherweise kommt auch Singer mit, der gleich seine Geschäftsreise dann abmachen will. Heute vormittag war Frau Kautsky, die zum Schriftstellertag hierherkam, bei uns. Sie erzählte, ihr Sohn habe geschrieben, Frau und Tochter brächte ich mit. Das ist ein Irrtum, und bitte ich das gelegentlich K[autsky]s, — die ich von uns zu grüssen bitte, — mitzuteilen. Ferner bitte ich Dich, beiliegende Zeilen sofort an Rackow gelangen zu lassen. Adresse Harrington-Street, Hampstead Road N.W. In Hamburg hat uns Puttkamer die Bürg[er]-Zeit[ung] mit ihrem Sonntagsblatt kaputtgemacht; 1 sie hatte fünfzehntausend Ab[onnenten], das S[onntags]bl[att] neuntausend. L[ie]bk[necht] etc. sind dadurch schwer geschädigt, auch ich verliere eine kleine Beihilfe. Die äussere Veranlassung musste L[ie]b[knechts] Leitartikel in der letzten Sonntagnummer „Force is no remedy" abgeben. 2 Es ist kaum glaublich. Aber man wollte dem Blatt zu Leibe und, indem man einen Leiter L[iebknecht]s als Vorwand nahm, an ihm persönlich Rache üben. Die eingelegte Beschwerde bei der Reichskommission hat natürlich keinen Erfolg. 3 Also später Gewisseres. H e r z l i c h e n ] Gruss von uns allen Dein A . BEBEL.
Die Zeitung war am 20. September von der Hamburger Polizeibehörde verboten. Der Sozialdemokrat, Nr. 40, 30. September. Laufenberg, Geschichte, II, S. 557ff. 2 Der Artikel erschien in Nr. 219, 18. September. Die anstössige Stelle lautete: „Nein, die Gewalt ist kein Heilmittel. Die Gewalt ist nur die Mutter der Gewalt. Sie gleicht der „bösen Tat", die „fortzeugend Böses muss gebären". Sie säet die Drachensaat der Wut und des Mordes, sie verschlimmert das Übel, zu dessen Heilung sie von traurigen Pfuschern verwandt wird. Leider sind die Pfuscher noch „nicht alle". Auch in England sind sie jetzt wieder an der Arbeit; Blut ist schon geflossen in Irland, und mehr Blut wird fliessen. Wie lange soll es so fortgehen? Wie lange wird es dauern, bis die Völker in ihrer unwiderstehlichen Mehrheit zu der Erkenntnis gelangt sind: Gewalt ist kein Heilmittel?" Ausser diesem Aufsatz wurde ein Artikel „Über die Ermittlung der Selbstmorde in Preussen" in derselben Nummer als Begründung für das Verbot angegeben. 5 Die Beschwerde vom 23. September wurde von der Reichskommission am 25. Oktober als unbegründet zurückgewiesen. In der Entscheidung wurde ausgeführt, dass „ . . . dieses Blatt nach direkten Äusserungen und der tatsächlichen Haltung konsequent und unentwegt auf dem Standpunkt der extremen deutschen Sozialdemokratie steht und deren Zwecke vor allem dadurch zu fördern sucht, dass es die Unzufriedenheit der arbeitenden Klasse mit den bestehenden Zuständen in wohldurchdachter, systematischer Weise unter Anknüpfung an die heterogensten Ereignisse rege zu halten und zu steigern sucht. Gleichgültig ist dabei, ob im übrigen das Blatt belehrend und unterhaltend gewirkt h a t . . . " Die Tätigkeit der Reichskommission, S. 260ff. Der Sozialdemokrat berichtete darüber in Nr. 47, 18. November. 1
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Julie Bebel
1 0 6 . B E B E L AN
ENGELS
Plauen-Dresden, den 25. September 1887.
Original. Lieber Engelsl
So geht's, wenn man vergesslich ist, nun muss ich nochmals schreiben. Der junge Weiss,1 Student der Medizin, der jetzt in L[on]d[o]n ist, ging mich um eine Empfehlung an. Ich vergass gestern, darüber zu schreiben. W[eiss] hat sich bisher sehr eifrig gezeigt, und irgendwie Nachteiliges ist mir nicht über ihn bekannt. Nur was ihn von K[ö]nigsb[erg] trieb, weiss ich nicht; darüber wollte er mir erst Auskunft geben, wenn er dies auf ganz sichere Weise tun könne. Ich hatte ihm Vorwürfe gemacht, dass er nach den schlimmen Erfahrungen, die sein Bruder als Student in München gemacht, wo man ihn wegen „soz[ial]-demokr[atischer] Umtriebe" relegierte, sich nicht mehr zurückgehalten habe, da der Partei nichts daran liegen könne, solche Opfer auf dem Halse zu haben. Er verwahrte sich gegen die von mir erhobenen Vorwürfe. Du wirst ja selbst hören, was er Dir mitzuteilen hat. Herzlichen] Gruss D[ein] A. B. Johannes Weiss, Student der Medizin ans Königsberg, stand von September 1887 bis Dezember 1890 mit Engels im Briefwechsel. Er ging schon im Oktober 1887 von London nach der Schweiz, wo er unter grossen Schwierigkeiten mit Unterstützung seines Bruders und auch Bebels sein Stadium beendete und 1890 promovierte. Dann plante er die Auswanderung nach Südamerika. Er stand auch mit Bernstein, Kautsky und Vollmar in Verbindung. 1
107. B E B E L AN
ENGELS
Plauen-Dresden, den 14. Oktober 1887.
Original. Lieber Engels!
Dein Brief mit dem Scheck ist eingetroffen. Herzlichen Dank! Ich werde wahrscheinlich in den letzten Tagen dies[es] M[onats] eintreffen, ich muss erst den Ausgang der sächsfischen] Landtagswahlen abwarten, ehe ich genaueres bestimmen kann; ich melde später noch Tag und Stunde meiner Ankunft. Möglich, dass neben Singer auch Ede mit mir eintrifft, dem ich sehr zugeredet habe; Entscheidung steht noch aus. Wir wollen auf der Rückreise eine Konferenz mit den Belgiern veranstalten, wenigstens ist das meine Idee.1 Auch müssen wir versuchen, drüben mit den 1
Bebel und Bernstein besuchten auf der Rückreise von London Den Haag und
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Engländern nähere Fühlung zu bekommen. Es handelt sich um den nächstjährigen Internationalen] Kongress, dessen Einberufung der Parteitag beschloss. 2 Wir sprechen darüber mündlich mehr. Mit dem Ausgang des Parteitages bin ich sehr zufrieden. Ich habe auch nicht einen Tadel, alles ist nach Wunsch gegangen. Die Stimmung der Leute war ausgezeichnet. Unsere inländische Presse ist über das Resultat ganz verblüfft, das hatte sie nicht erwartet; und dabei hat die Polizei, obgleich wir uns wie die Diebe von Hause wegschleichen mussten, nicht eher erfahren, wo der Parteitag war, als bis wir selbst darüber Veröffentlichungen machten. Das Protokoll, das wir infolge der bekannten Beschlüsse nicht mehr zuerst im S [ o z i a l ] d[emokrat] veröffentlichen können, also als besondere Broschüre erscheint, wird ein sehr getreues Bild der Verhandlungen gewähren. 3 Jedenfalls wird der Parteitag auch bei den Verhandlungen über das Sozialistengesetz, das diesen Herbst zur Beratung steht, eine grosse Rolle spielen. Details über den Parteitag ebenfalls mündlich. Wiederum bitte ich Dich, beiliegenden Brief an folgende Adresse befördern zu wollen: Jens L. Christensen, 4 33 Harrington Str[eet] Hampstead Road N.W. Mit den besten Grüssen Dein A.
BEBEL.
Brüssel, wo sie sich mit F. Domela Nieuwenhuis und der Belgischen Arbeiterpartei verständigten. Bernstein, Lehrjahre S. 185. 2 Der Trades Union-Kongress von Swansea 1887 beschloss, einen internationalen Gewerkschaftskongress nach London einzuberufen. Gleichzeitig hatte der St. Galler Parteitag die Einladung zu einem internationalen Arbeiterkongress für 1888 beschlossen. Die deutsche Sozialdemokratie war bereit, von diesem Kongress abzusehen, falls sie auf dem Londoner Kongress zugelassen würde. S. Briefe Nr. 109, 110, 111, 112. Bebel und Bernstein konferierten in London mit der Social Democratic Federation und der Socialist League. Mit Hyndman wurden sie „nur im Prinzip einig"; er konnte sich „zu nichts verpflichten, da seine Pariser Freunde, die sogenannten Possibilisten, ihre eigenen Pläne hatten". Morris wollte auch die Anarchisten eingeladen haben und lehnte die Einberufung eines Kongresses nicht ab. Den Leiter des Parlamentarischen Komitees, Henry Broadhurst, konnten sie nicht erreichen. Bernstein, Lehrjahre, S. 183f. 3 Die Verhandlungen des Parteitags der deutschen Sozialdemokratie in St. Gallen erschienen in Hottingen-Zürich (1888), 50 S. 4 Jens Lauris Christensen, Lehrer und Journalist, hatte mit dem Tischler Franz Berndt den Polizeispitzel Ihring-Mahlow entlarvt. Beide wurden wegen Beleidigung des Spitzels am 28. Juni 1886 zu je sechs Monaten Gefängnis verurteilt, in der Berufimgsverhandlung am 12. Okt. aber freigesprochen, da das Gericht der Uberzeugung war, „dass die Mitteilungen, welche die beiden Angeklagten dem Reichstagsabgeordneten Singer gemacht, auf Wahrheit beruhen". 1886 und 1887 war Christensen Reichstagskandidat in Berlin und Meiningen. Aus mehreren Orten ausgewiesen, ging er nach England. Er schrieb eine Broschüre Gegen unsere Kolonialpolitik (Zürich, Verlags-Magazin, o.J.). 312
1 0 8 . B E B E L AN
ENGELS
Plauen-Dresden, den 12. November 1887.
Original. Lieber Engels!
Endlich komme ich dazu, Dir zu schreiben. Vielleicht hast Du schon Nachricht von E[de], und der wird Dir mitgeteilt haben, wie wir herübergekommen sind. Der Sturm machte sich bereits auf dem Kanal sehr bemerklich, und so musste ich den gewohnten Tribut zollen. E[de] kam mit der blossen Übelkeit davon. Der Glückspilz. Unsere Konferenzen mit den Belgiern waren für mich insofern von Vorteil, als ich vieles über die Landes- und Parteiverhältnisse erfuhr, was mir bis dahin fremd war. Bezüglich des Kongresses und der Stellung zu Broadhurst und Konsorten war man sehr zur Rücksichtnahme auf letztere bereit. Man habe zwischen ihnen (den Engländern) und den Franzosen seinerzeit die Vermittlung übernommen, und da wolle man die Leute nicht vor den Kopf stossen. Andrerseits war man bereit, den ganzen Einfluss aufzubieten, dass Br[oadhurst] und Konsorten die Einladung so abfassten, dass Deutsche und Österreicher vertreten sein könnten.1 Das Neueste, was ich Dir von hier zu melden habe, ist, dass Hasenclever geisteskrank wurde2 und heute in eine Heilanstalt nach Berlin gebracht worden ist. Für die Familie ein harter Schlag, namentlich da kürzlich konstatiert wurde, dass seine älteste Tochter — er hat vorläufig nur zwei Kinder — auf dem einen Auge gänzlich blind geworden ist, und zwar unkurierbar. In der Partei wird seine Lücke auszufüllen sein. Welcher Art die Krankheit ist, weiss ich bis zu diesem Augenblick nicht. Wir sprachen schon auf dem Parteitag davon, dass seine ganze Verfassung einen Gehirnschlag oder Gehirnerweichung befürchten lasse. Der Vorfall mit seiner Tochter und die auf dem Parteitag gewonnene Erkenntnis, dass sein Einfluss vorbei sei, mochten die Katastrophe beschleunigt haben. Ich erhielt die Nachricht heute nachmittag per Depesche. Im Augenblick sind P[aul] S[inger] und L[ie]bk[necht] in Breslau, 1 Das Parlamentarische Komitee, die Führung der englischen Gewerkschaften, wollte zum Kongress nur Delegierte mit gewerkschaftlichem Mandat zulassen. Dadurch wäre den Deutschen und Österreichern die Teilnahme unmöglich gewesen. Die Verhandlungen über diesen Kongress wurden später, veranlasst durch eine Äusserung P. Lenschs (Die Sozialdemokratie, ihr Ende und ihr Glück, Leipzig, 1916, S. 5), von K. Kautsky geschildert im Aufsatz „Wie englische Arbeiter deutsche Sozialdemokraten von einem internationalen Kongress ausschlössen", Die Neue Zeit, XXXIV. Jahrg. (1916), Bd. II, S. 618ff. 2 Er starb am 3. Juli 1889.
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wo sich der Prozess, zur Verzweiflung beider, unendlich in die Länge zieht. 3 S[inger] habe ich noch gar nicht zu sehen bekommen; er war schon fort, als ich hier eintraf. In Chicago ist also die Hinrichtung verübt worden. 4 Scheusslich. Dieser Mord wird für die Bewegung von den besten Folgen sein. Einerseits wird er die Anarchisten zur Vernunft bringen, andrerseits wieder den Arbeitern den Klassenstaat in seiner Nacktheit enthüllen und Illusionen zerstören. Solche Exzesse müssen eintreten, soll es rascher vorwärtsgehen. W i e es mit Kaiser und Kronprinz steht, wirst Du wissen. Die Geschichte verursacht sehr viel Aufregung in Deutschland. 5 Merkwürdig ist, wie sehr wenig Stimmung für den Dritten vorhanden ist. Mr. Rosher 6 hat sich, scheint's, in Dresden sehr gut amüsiert, nachdem er schon in der Nacht von Samstag auf Sonntag in Leipzig seine Studien gemacht. E r muss das Vergnügen auf dem Kontinent sehr billig geschätzt haben; denn bevor er abreiste, musste er bei S[inger] einen Pump von dreihundert M[ark] anlegen. Aber dies streng entre nous! Dass er meine Frau und Tochter besuchte, wirst Du erfahren haben; letztere soll sich auf englisch gut mit ihm verständigt haben. Über seinen geschäftlichen Erfolg habe ich nichts erfahren. Der Prozess gegen 38 Angeklagte wegen Geheimbündelei wurde vom 7. bis 17. November durchgeführt. Nach einer Untersuchungshaft bis zu neun Monaten wurden die Angeklagten zu insgesamt acht Jahren Gefängnis verurteilt. Unter den Zeugen waren Grillenberger, Liebknecht und Singer. Der Sozialdemokrat berichtete darüber u.d.T. „Ein Bubenstück" in Nr. 48, 25. November; Nr. 49 und 50, 2. und 9. Dezember. 4 Bei einem Streik für den Achtstund3ntag kam es am 1. Mai 1886 in Chicago zu Zusammenstössen mit der Polizei. Bei einem Protestmeeting am 4. Mai auf dem Haymarket wurde von einem Provokateur eine Bombe geworfen; sie tötete einen Polizisten und war für die Polizei Anlass zu wüsten Ausschreitungen. Das Schwurgericht verurteilte fünf anarchistische Führer zum Tode. Trotz entrüsteter Proteste der Arbeiterorganisationen aus aller Welt wurden vier Verurteilte — Engel, Fischer Parsons, Spiess — am 11. November 1887 hingerichtet. Lingg hatte sich durch Freitod der Vollstreckung des Bluturteils entzogen. Zwei Tage vorher hatte die sozialdemokratische Partei durch Bebel, Grillenberger, Liebknecht und Singer an den Gouverneur von Illinois die Bitte gerichtet, das Leben der Verurteilten zu schonen. Der Sozialdemokrat verfolgte alle Stadien des Verfahrens und brachte die mutige Rede des Angeklagten August Spiess ausführlich in Nr. 45, 5. November 1886. 5 Anfang November berichtete die Presse, der Kronprinz habe den Charakter seiner Krankheit als Krebs erkannt; aber da er zur Regierung zu kommen wünsche, wolle er nicht für unheilbar gelten. Am 12. November wurde ein Bulletin veröffentlicht, dass „die Krankheit auf die Existenz eines bösartigen neuen Gewächses von krebsartigem Charakter zurückzuführen" sei. Briefe der Kaiserin Friedrich, S. 264, 271. 8 Vermutlich Charles H. Rosher, der Schwiegervater von Engels' Nichte Mary Ellen Burns. 3
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Mr. Weiss habe ich geantwortet, dass ich nicht wisse, wie ich für ihn Geld schaffen solle, die Mittel seien erschöpft. Er mag sich an seinen afrikanischen Bruder halten. Und nun will ich für heute schliessen. Die besten Grüsse Euch allen, insbesondere auch Miss Lenchen.7 Dein A . BEBEL. 7
Helene Demuth (1823-90) war nach Marx' Tod Engels' Haushälterin.
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Plauen-Dresden, den 30. Dezember 1887.
Original. Lieber Engels!
Ich will das Jahr nicht zu Ende gehen lassen, ohne meine Briefschuld an Dich abzutragen. Ungeschickterweise habe ich Deinen letzten Brief verlegt, so dass ich nicht auf dessen Einzelheiten einzugehen vermag. Die Vorgänge in England habe ich in der letzten Zeit mit Interesse verfolgt; es scheint doch endlich gute Aussicht vorhanden, dass die Bewegung drüben in das rechte Fahrwasser kommt. Die Zeiten, so wenig Erfreuliches sie dem einzelnen bringen, arbeiten unserer Sache kräftig in die Hände. Der Zersetzungsprozess schreitet riesig rasch vor, und eigentümlich, alle Welt, unsere ausgesprochensten Gegner erklären, es laste ein unheimlicher Druck auf der Menschheit, als stände etwas Furchtbares bevor. Das musste sogar Herr v. Bennigsen neulich im Reichstag bei Beratung der neuen Militärvorlage zugeben.1 Wie man im Deutschen Reich im Ernstfall die fünf Millionen Mann, die man mit dem Landsturm glaubt auf die Beine bringen zu können und nach der Motivierung der bezüglichen Vorlage sogar sofort im Kriegsfall einberufen will, zu erhalten gedenkt, ist mir ein Rätsel. Man rechnet, mit den Massen den Gegner erdrücken zu können und Am 16. Dezember 1887. Deutlicher noch im Brief an seinen Schwager von Müller am 10. Januar 1888: „ . . . Dass das Jahr 1888 friedlich verläuft, halte ich nicht für wahrscheinlich . . . In acht Tagen muss ich wieder in Berlin sein, wo, wenn wir nicht durch das Kriegsgetümmel frühzeitig auseinandergetrieben werden, die zweite Hälfte der Session voraussichtlich nicht immer so erfreulich verlaufen wird als der Anfang." H. Oncken, Rudolf von Bennigsen (Stuttgart-Leipzig, 1910), II. Bd., S. 538f. 1
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damit dem Kriege ein rasches Ende zu bereiten. Ich betrachte es als ein va banque Spielen.2 Augenblicklich wird wieder sehr viel in russischer Kriegshetzerei gemacht; die Kurse stürzen, dass es eine wahre Freude ist, und damit schreitet die Aufräumung in der Mittelklasse mächtig vor. Offen gestanden, ich kann an dieser ganzen Kriegshetzerei, abgesehen von Börsenmanövern, keinen rechten Grund sehen. Russland kann meines Erachtens keinen grossen Krieg führen, und ihn in einem Augenblick provozieren, wo in Frankreich alles ziemlich in Unordnung ist, grenzte an Verrücktheit. An die Möglichkeit einer russischen Revolution glaube ich aber nicht, trotz aller inneren Studentenunruhen. Der Abstand zwischen den russischen Volksmassen und der russischen Intelligenz ist zu gross. Das russische Volk vermag keine Revolution wie etwa die deutsche von 1848 zu machen, und diese verlief jämmerlich genug. Der russische Bauer geht gegen alles, nur nicht gegen den Kaiser. Bismarck hat auch kein Interesse an einem Krieg, das Spiel von 1866 und 1870 ist nicht mehr möglich, und die Verhältnisse im Innern sind zu gespannte und prekäre. Kurz, ich weiss nicht, was der ganze Lärm bedeuten soll, es sei denn, dass Verrückte ihn machen. Welch schöne Pläne man mit dem Sozialisten]gesetz vorhat, wirst Du gelesen haben. Dass überhaupt solche Pläne möglich sind, zeigt, wohin wir steuern. Ich glaube zwar nicht, dass sie durchgehen, am allerwenigsten glaube ich für jetzt an die Expatriierung; aber das Gesetz in alter Fassung und mit fünfjähriger Dauer geht mit Glanz durch.3 Möglicher-, ja wahrscheinlicherweise auch die Bestimmung über die Bestrafung des Besuches auswärtiger Kongresse.4 Das ist die Rache für St. Gallen. Auch kann sonst noch diese und jene Verschärfung mit unterlaufen. Am Ende macht man uns das Leben im Inland so sauer, dass wir die Expatriierung als eine Erleichterung und Bismarck selbst am 3. Februar 1884: „Er komme sich vor, wie einer, der mm schon seit 22 Jahren mit hohen Karten für fremdes Geld Hasard gespielt habe." Bismarcks vertrauliche Gespräche... von seinem Anwalt Justizrat Ferdinand Philipp aufgezeichnet. . . (Dresden, 1927), S. 48. 3 Es wurde nur um zwei statt um fünf Jahre verlängert. S. Brief Nr. 112, Anm. 2. Bismarck gab den Gedanken an die Expatriierung niemals auf. Noch am 30. November 1893 meinte er zu seinem Anwalt, s. Anm. 2, man brauche wohl nicht die eineinhalb Millionen, die sozialdemokratisch gewählt hätten, zu vertreiben; „es genügten vielleicht hundertundfünfzig für ganz Deutschland, die Parteiführer und ihre Redakteure und Journalisten; damit könne man die ganze Agitation im wesentlichen beseitigen." A.a.O., S. 183. 4 Nach dem neuen § 25a sollte der Besuch einer Versammlung ausserhalb des Bundesgebietes mit Gefängnis und evtl. Entziehung der Staatsangehörigkeit bestraft werden. 1
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als eine Annehmlichkeit ansehen. Ich habe solche Ansichten schon ganz ernsthaft aussprechen hören. Sehr gelegen kommen uns die Züricher Enthüllungen,5 die man übrigens recht ungeschickt behandelt hat. Trat man einmal damit in die Öffentlichkeit, so mussten die Hiebe anders fallen. Der Hauptschlag wird indes im Reichstag geführt werden, Herrn v. Pfuttkamer] soll der Kampf nicht leicht werden. Möglicherweise gehen ich nächste Woche nach Z[ürich], um dort persönlich von allem Einsicht zu nehmen. Material liegt dort in Menge. Wenn nur das Wetter besser wäre; wir haben seit Tagen starken Schneefall und zeitweilig Stürme, so dass die Verbindung mit der Stadt sehr unbequem gemacht ist, auch habe ich eine leichte Erkältung, die ich nicht gerne stärker möchte werden lassen. — P[aul] S[inger] geht auf alle Fälle nach Z[ürich]. Dass P[aul] Sfinger] aus dem Geschäft ausgetreten ist, wirst Du wissen.6 Ich habe ihm lange abgeraten, aber die fortgesetzten Angriffe und Hetzereien in Berlin, die sich direkt mit gegen die Firma richteten, haben ihn mürbe gemacht. Er hat im Gegensatz zu anderen wenigstens zu leben, obgleich er grosse Sprünge nicht machen kann. Vermutlich seid Ihr am Silvesterabend alle bei Dir versammelt. Ich bitte, alsdann Kautsky zu fragen, ob er die von Berlin ihm gesandte Kopie des Schreibens an Broadhurst nebst Brief von mir empfangen habe.7 Der Sozialdemokrat teilte in Nr. 52, 24. Dezember, mit, dass vom Berliner Polizeipräsidium als Agenten beschäftigt würden: Schriftsteller Sachs-London, Th. Reuss-London, Gastwirt Heinrich-Zürich, Tischler und Versicherungsagent Schröder-Zürich, Chr. Haupt-Genf, M. Trautner-Paris, H. Oberwinder-Paris, H. Nonne-Paris, L. Schwenxihagen-Magdeburg, A. Wichmann-Altona, NeumannMagdeburg, H. Nebel-Leipzig. Das Blatt konnte sogar die Besoldung mehrerer Agenten angeben. Der wichtigste von ihnen war Schröder, der schon 1881 im Dienste der Polizei stand. 1883 war er Vorsitzender einer Konferenz ausländischer Anarchisten, an der u.a. die Österreicher Stellmacher und Kammerer teilnahmen und auf der Raubmorde beschlossen wurden; er hatte eine Kiste Dynamit im Besitz, liess die Freiheit illegal drucken u. dgl. Diese Angaben waren von der Schweizer Polizei amtlich beglaubigt worden. S. a. E. Ernst, Polizeispitzeleien und Ausnahmegesetze, S. 18ff. Der Sozialdemokrat brachte die im Reichstag verlesenen Aktenstücke in Nr. 6, 4. Februar 1888. 8 Er hatte Ende der sechziger Jahre als Fünfundzwanzigjähriger mit seinem Bruder Heinrich eine eigene Firma gegründet, die durch ihre besondere Solidität in der Berliner Konfektionsindustrie zu Ansehen kam. Gegen wenige Sozialdemokraten wurde eine schärfere Hetze getrieben. Es wurden antisemitische Flugblätter gegen ihn herausgegeben, s. Singers „Erklärung", Berliner Volks-Tribüne, Nr. 17, 26. November 1887; ferner ebd., Nr. 21, 24. Dezember 1887, Mehrings Nekrolog in der Neuen Zeit, Jahrg. XXIX (1911) Bd. I, S. 649ff. 7 Am 12. Dezember 1887 richtete Bebel an das Parlamentarische Komitee ein Schreiben, in dem er erklärte, die Sozialdemokratie werde von dem in St. Gallen beschlossenen Kongress absehen, wenn das Komitee folgende Vorschläge annehme: 5
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Die ganze intern[ationale] Kongressgeschichte steht zwar, soweit wir in Betracht kommen, stark in der Luft; es muss aber doch geschehen, was geschehen kann. Und nun wünsche ich Dir und dem ganzen bei Dir versammelten Freundeskreis einen vergnügten Antritt des neuen Jahres. Möge das neue Jahr gnädiger ausfallen, wie es jetzt aussieht; aber wie es auch kommen möge, wir bleiben die alten. Frau und Tochter schliessen sich meinen Wünschen an. Gruss Euch allenl Dein A.
BEBEL.
1) die Einladung nicht nur in englischer und französischer, sondern auch in deutscher Sprache ergehen zu lassen; 2) die Einladung so abzufassen, dass es deutschen und österreichischen Arbeitern möglich sei, trotz der in ihren Ländern bestehenden hemmenden Gesetzgebung, sich vertreten zu lassen; 3) die parlamentarischen Vertreter einer Arbeiterpartei eo ipso als Delegierte ihrer Partei auf dem Kongress zuzulassen. Weitere Auskünfte über die Verhältnisse in Deutschland und Österreich könnten Kautsky und Adam Weiler, ein in den englischen Gewerkschaften tätiger deutscher Sozialdemokrat, geben. Nach Kautskys Darstellung, s. Brief Nr. 108, Anm. 1.
110. B E B E L AN
ENGELS
[Ohne Ort], den 9. Januar 1888.
Original. Lieber Engels!
Ich bitte Dich dringend, mir sofort die Briefe Miquels1 abschreiben zu lassen, um sie eventuell in der Sozialisten]gesetz-Debatte verwenden zu können. Die Berl[iner] Volkszeitung bringt nämlich in einem ihrer Leitartikel die Bemerkung, die Idee der „Internierung" an Stelle der Expatriierung sei dem Kopfe Miquels entsprungen.2 Dieser infame Gedanke, der noch am ehesten Aussicht hat durchzugehen, und auf den die ganze konservative Presse mit Jubel eingeht, sieht ganz so aus, als sei er einem Kopfe wie dem Mfiquel] sehen entDie Existenz von Miquels Briefen an Marx war schon im Sozialdemokrat, Nr. 10, 1. März 1883, angedeutet: „Herr Miquel war zu Anfang der 50er Jahre neben Marx und Engels Mitglied des Kommunistenbundes, und sind noch recht interessante Briefe von ihm aus jener Zeit in London vorhanden . . S . Briefe Nr. 17, 281-3, 289. 2 Die Nationalliberale Korrespondenz fand es auffallend, dass „das Auskunftsmittel der Internierung" nicht erwogen sei. Berliner Volks-Tribüne, Nr. 1, 7. Januar 1888. Das Blatt erinnerte dabei an Hiddensee auf Rügen, wo während des Kulturkampfes katholische Geistliche interniert waren. 1
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Sprüngen. Die Internierung bedeutet die indirekte Expatriierung; man zwingt uns, uns freiwillig zu expatriieren. Sende mir die Abschrift „einschreiben". Sfinger] und ich waren vor [ige] Woche in Zürich, das gefundene Material3 übertrifft weit unsere Erwartungen; so sind Bismarck-Puttkamer noch nicht hereingefallen wie diesmal, und alles amtlich beglaubigt. Diesmal soll's krachen. P[aul] S[inger] schiesst zuerst los, ich haue hinterdrein.4 Entschuldige, dass ich nicht mehr schreibe, aber ich habe sehr viel zu tun. Mit den besten Grüssen Dein A.B. S. Brief Nr. 109, Anm. 5. Singers Rede, nach dem amtlichen Stenogramm, im Sozialdemokrat, Nr. 7, 11. Februar 1888. Bebels Rede s. Brief Nr. 112, Anm. 2.
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1 1 1 . B E B E L AN
Original.
ENGELS
[Poststempel:] Dresden-Altst[adt], den 16. Januar 1888.
Brief erhalten.1 Besten Dankl Nach dem neuesten Stand der Dinge scheint es, dass ich von dem Gebrauch des Mittels2 absehen kann. Dass ich nur im äussersten Fall und nur an der angegebenen Stelle davon Gebrauch machen werde, versteht sich von selbst. Broadhurst und Kons [orten] sind also vorgegangen, ohne unsere Wünsche zu berücksichtigen.3 Der Kongress soll sich den Bestimmungen fügen, die sie, die Gewerkvereinler, diktieren. Gegen uns will man in Rücksicht auf die Verhältnisse möglichst tolerant sein und, die bona fide kommen, als Delegaten annehmen. Ich lasse Kfautsky] bitten, mir das an ihn geschickte Schreiben (Konzept des Briefes an Der Brief liegt nicht vor. Der Briefe Miquels. 3 Broadhurst hatte am 28. Dezember auf Bebels Brief vom 12. Dezember geantwortet, dass die Einladung auch in deutscher Sprache ergehen solle; dagegen sei es schwer, die Zulassungsbedingungen nach dem Wunsche der Deutschen zu ändern, da der Kongress dann kein Gewerkschaftskongress, sondern nur noch eine offene Konferenz sei. Auf erneuerte Vorstellungen Weilers blieb Broadhurst im Briefe vom 25. Januar 1888 auf seinem Standpunkt. Die Reichstagsfraktion erliess darauf am 1. März eine Erklärung, in der sie die Gründe des Scheiterns der Verständigung darlegte und aufforderte, keine Delegierten nach London zu entsenden „und dafür einen für das Jahr 1889 einzuberufenden allgemeinen internationalen Arbeiterkongress um so zahlreicher zu besuchen". Kautsky, a.a.O. Broadhursts Briefe an Bebel und Weiler im Sozialdemokrat, Nr. 18, 28. April 1888. 1
2
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Br[oadhurst]) „einschreiben" zurückzuschicken; ich werde ihm die Portoausgaben vergüten. Briefe bitte ich stets hierher zu richten. Dein A. B. 1 1 2 . B E B E L AN
Original.
ENGELS
Plauen-Dresden, den 8. März 1888. Lieber Engels!
Deinen zweiten Brief 1 habe ich heute ebenfalls erhalten. Es ist möglich, dass ich ganz vergass im Drange der Arbeit, Dir die Rede2 schicken zu lassen; ich habe heute sofort an Singer geschrieben, sie Dir sofort zu senden. Wir stehen in Deutschland in diesem Augenblick vor einer Wendung der Dinge, deren Tragweite niemand absehen kann. Vielleicht ist in dem Augenblick, da Du diese Zeilen erhältst, der Kaiser schon tot; 3 und der Kronprinz soll in einem Zustand sein, dass ihm die Ärzte nur noch wenige Wochen geben. Tragischer kann kein Dichter einen Vorgang erfinden, als er sich jetzt vor unseren Augen abspielt. Der Alte geht zum Tod in dem Bewusstsein, dass der einzige Sohn ihm in Bälde folgt, und letzterer sieht das längst erträumte Ziel erreicht, wo es ihm nichts mehr nützen kann. Von dem Zustand des Kronprinzen wird es nun abhängen, ob während seiner kurzen Regierung eine Art Interregnum eintritt, oder ob er alles beim alten lässt, seinem Sohne, der, wie es heute heisst, vom Kaiser zum Stellvertreter ernannt ist, und zwar nach einem Dekret, das er schon im November unterzeichnete, überlassend, was er tun will.4 Der Liberale Rickert,5 den ich gestern im Reichstag sprach und frug, Er liegt nicht vor. Wohl Bebels Rede bei der zweiten Lesung der Verlängerung des Sozialistengesetzes am 13. Februar. Bericht nach dem stenographischen Protokoll im Sozialdemokrat, Nr. 8, 9, 18., 25. Februar. Der Reichstag beschloss mit 164 gegen 80 Stimmen die Verlängerung um zwei statt, wie die Regierung gefordert hatte, um fünf Jahre; auch alle geforderten Verschärfungen wurden abgelehnt. 3 Wilhelm I. starb am 9 März. 4 Bismarck bezeichnete es als Legende, Gedanken, Bd. II, S. 348f., dass Friedrich III. als Kronprinz 1887 eine Urkunde unterzeichnet habe, in der er für den Fall, dass er seinen Vater überlebe, zugunsten des Prinzen Wilhelm auf die Regierung verachte. 5 Heinrich Rickert (1833-1902), Besitzer der Danziger Zeitung, 1876 Landesdirektor der Provinz Preussen in Königsberg, nationalliberales Mitglied des Abgeordnetenhauses seit 1870, des Reichstags seit 1874; 1880 Sezessionist, dann Deutsch-Freisinniger, bei der Spaltung dieser Partei 1893 Führer der Freisinnigen Vereinigung. 1
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wie er den Kronprinzen und seinen Sohn beurteile, gab mir zur Antwort: Der Kronprinz sei nicht so gut, wie man ihn rühme, und der Prinz nicht so schlecht, als man ihn mache. Nun, wir werden ja sehen, was die neue Ära bringt. In der Hauptsache wird alles beim alten bleiben. Bismarck ist bei dem Prinzen persona gratissima; Bismarck] hat den Prinzen vollständig in der Tasche, und so wird sein Einfluss zunächst der massgebende sein.6 Eine wesentliche Änderung wird erst eintreten, wenn auch der alte Bismarck zurücktritt oder stirbt, oder wenn der Prinz Selbständigkeitsgelüste bekommt und seinen eigenen Weg gehen will. An einen Krieg glaube ich in nächster Zeit nicht, obgleich er durch die ungeheuren Rüstungen auf allen Seiten unumgänglich wird. Auf die Länge hält das kein Staat aus. Kommt es zum Kriege, so wird England, nach meiner Meinung, auf keinen Fall feindlich gegen Deutschland auftreten, und damit hat Deutschland wesentlich gewonnen. Militärisch wird es mit Frankreich und Russland fertig; würde ihm aber die See und damit alle Aus- und Einfuhr verschlossen, so würde es ökonomisch ruiniert. England kann das verhüten, und das gebietet Englands Interesse. Immerhin ist sehr die Frage, wie Deutschland seine ungeheure Rüstung etwa auch nur ein Jahr lang in einem Kriege tragen will. Und kommt ein Krieg, so wird er ein langwieriger, der die Völker bis zur Erschöpfung in Anspruch nimmt. Nachher blüht unser Weizen, während des Krieges nicht. Ein ganz überraschendes Zeichen des Umschlages der Stimmung in Deutschland ist der Ausfall der Nachwahl in einem der stockkonservativsten pommerschen Wahlkreise, wo der Deutschfreisinnige an Stelle des Konservativen gewählt wurde. 7 Diese Wahl hat blitzartig eingeschlagen und die Regierung wie die Rechte vollständig konsterniert. Wenn das am grünen Holz unter der tollsten Landratswirtschaft möglich ist, was soll da am dürren der Städte und Industriebezirke geschehen? Es fängt den Herren oben an, unheimlich zu werden. Wir können allerdings mit dem Ausgang der Soz[ialisten]gesetzDebatte sehr zufrieden sein; aber, verlass Dich drauf, man wird uns die Suppe einbrocken, sobald man kann, und zwar gründlich. Die Wut Puttkamers kennt keine Grenzen, und das Urteil der Berliner
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S. darüber Bismarck, Gedanken, Bd. III, Kap. 1: „Prinz Wilhelm". Dieser war zu jener Zeit eng mit Bismarcks Sohn Herbert befreundet. Im Wahlkreis Greifenberg-Kammin, der seit 1867 eine konservative Vertretung hatte, wurden am 21. Februar für zwei Konservative 3.845 und 1.196, für den freisinnigen Kandidaten 3.596 Stimmen abgegeben. In der Stichwahl am 1. März wurde der letztere mit einer Mehrheit von 200 Stimmen gewählt. 7
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Strafkammer in Angelegenheiten unserer Parteigenossen dort hat dem Fass den Boden ausgeschlagen.8 Wie P[uttkamer] sich zu rächen gedenkt, davon ein Beispiel, aber entre nous. Pfuttkamer] hat Ordre gegeben, sobald eine Mobilmachung eintrete, alle Brücken und Bahnübergänge in Berlin doppelt und dreifach mit Polizeipatrouillen zu besetzen, damit die Soz[ial]demokraten keine Sprengungsversuche vornehmen könnten.9 Man will also mitten in der allgemeinen Aufregung die stärkste Erbitterung gegen uns wachrufen, um sich alles gegen uns erlauben zu können. Das Manöver, hoffe ich, durchkreuzen wir, wenn wir auch nicht verhüten können, dass wir im Falle eines Kriegsausbruches allesamt gefasst und auf die Festung geschickt werden. Von diesem Standpunkt aus war der Leitartikel in der [Nummer] zehn des Soz[ial]demokr[at] sehr ungeschickt.10 Heute wird Liebk[necht] hierherkommen, er will in Kürze nach der Schweiz, um dort eine Agitationsreise zu machen. Es ist ganz gut, dass er hingeht, unsere Züricher Leute haben ein wenig den Kopf verloren. Ich füge hundert M[ark] für Frau Pfänder bei. L[ie]bk[necht] wollte einen vierteljährigen Zuschuss, die Fraktion hat dies abgelehnt, so dass ich froh war, die einmalige Unterstützung zu retten. Mehr zu geben, weigert man sich in Rücksicht auf die Konsequenzen und die
Am 15. Juli 1887 waren neun Arbeiter verhaftet worden, die nach der Behauptung der Polizei das sozialdemokratische Zentralkomitee für Berlin sein sollten. Sie wurden bis zum 12. November in Untersuchungshaft gehalten. In dem Prozess fällte die Berliner Strafkammer am 2. März 1888 das Urteil; sechs Angeklagte wurden zu je drei und zwei zu je zwei Monaten Gefängnis verurteilt; allen wurden zwei Monate Untersuchungshaft angerechnet. Einer der Verhafteten war gestorben. Über die Zeugnisse von Spitzeln hiess es in dem Urteil: „Der Gerichtshof hat die Bekundungen der vernommenen Polizeibeamten, soweit sie über ihnen von Vertrauensmännern gewordene Mitteilungen berichteten, nicht für beweiskräftig erachtet, da der Gerichtshof nicht in der Lage war, die Glaubwürdigkeit dieser Vertrauensmänner zu prüfen." Bernstein, Geschichte, Bd. II, S. 216ff.; Der Sozialdemokrat Nr. 10, 11, 3., 10. März 1888. • Diese Massnahmen wurden in Nr. 24 des Sozialdemokrat vom 9. Juni als Befehl Puttkamers an das Berliner Polizeipräsidium mitgeteilt. 10 Der Leitartikel „Revolutionäre wider Willen" in Nr. 10, 3. März, nach der Annahme des neuen Wehrgesetzes, das mit einer Anleihe von 280 Millionen Mark für die Ausrüstung der zweiten Landwehr verbunden war. Es wurde die „Zuschrift eines Landwehrmannes" wiedergegeben, in der es u.a. hiess: „ . . . Jede Heeresvermehrung ist eine Vermehrung der Revolutionsarmee... Eine Einrichtung, sehr gut gegen den äusseren Feind; gegen den inneren aber lebensgefährlich für den Cäsarismus. Wer bürgt dafür, dass kein Umstürzler die Führung der Kompagnie erhält? . . . " 8
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Hilfesuchenden im eigenen Lande. Dazu kommt, dass der Mann der Frau fast keinem im Gedächtnis ist.11 Mit den besten Grüssen von uns allen an Dich und alle D[ein] A.
BEBEL.
Karl Pfänder (gest. 1876) war Mitglied des Kommunistenbundes gewesen, er gehörte zu den Gründern des Comm. Arb.-Bildungsvereins und war Mitglied des Generalrats der IAA. gewesen.
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113. ENGELS AN
BEBEL
London, den 12. April 1888.
Original. Lieber Bebel!
Seit Deinem Brief vom 8. März habe ich mir den Verlauf etwas ansehen wollen; die Dinge scheinen sich jetzt soweit zu klären, dass man allmählich ein Urteil fällen kann. Eure Politik, zu sagen: es bleibt alles beim alten, ist taktisch, für die Massenverwendung, ganz richtig; aber meiner Ansicht nach erschöpft sie die geschichtliche Lage keineswegs. Fritz' Proklamationen1 kennzeichnen ihn als eine äusserste Mittelmässigkeit an Verstand. Wer nach soviel Jahren Kronprinzentum nichts anderes vorzuschlagen hat als kleine individuelle Steuerausgleiohungen und militärisch die Abschaffung des dritten Gliedes, das ganz bedeutungslos, weil in der Gefechtsordnung längst abgeschafft, der wird die Welt nicht aus den Angeln heben. Die Klage über die böse Halbbildung ist bekanntlich Monopol gerade der Halbgebildeten selbst — wie Figura zeigt. Soviel über den Verstand. Den Charakter muss man — des Gesundheitsstandes wegen — äusserst nachsichtig beurteilen. Wenn man jeden Augenblick riskiert, von den Ärzten zur Halsabschneidung verurteilt zu werden, ist man dispensiert von irgendwelchem Aufwand an Energie; nur im Fall der Besserung wäre so etwas am Platz. Es ist daher begreiflich, dass Bismarck und Puttkamer freiere Hand im Innern haben als je vorher. Darum ist aber doch nicht alles beim alten. Mit Wilhelm ist der Schlussstein des Gebäudes ausgebrochen, und die Wackelei macht sich stark fühlbar. Die innere Politik zeigt ein krampfhaftes Anklammern Bismarck und Co's an ihre Stellung. Die Eure ist nicht dieselbe 1 Am 12. März richtete er eine von dem ihm nahestehenden Prof. Geffcken verfasste Ansprache „An mein Volk" sowie ein Schreiben an Bismarck, in dem er der Hoffnung auf weitere Zusammenarbeit Ausdruck gab.
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geblieben, sie ist verschlimmert, gerade weil Bism[arck] beweisen will, dass alles beim alten. Der demonstrative Ausschluss der Sozialdemokraten] von der Amnestie,2 die massenhaften Haussuchungen und Verfolgungen, die krampfhaften Anstrengungen, den Soz[ial]D[emokrat] in der Schweiz totzumachen,3 — alles das beweist, dass B[ismarck] und Co. den Boden wanken fühlen, ebensosehr wie die Anstrengungen der Karteller,4 dem Fritz beizubringen, was ein Monarch ist. Echt monarchisch: in allen politischen Fragen wird klein beigegeben, aber eine Hofintrige bringt den Konflikt an den Tag. Die Sache ist rein lächerlich: nach Bismarck hat der Zar das Recht, dem Battenberg das Heiraten zu verbieten,5 und nach Fritz und Victoria sollen in diesem Spezialfall auf einmal alle die unergründlichen tiefen Staatsmaximen abgeschafft sein, nach denen sie ihr Leben lang sich gerichtet! Bei dem hilflosen Zustand des Fritz wird er wohl auch hier nachgeben müssen — es sei denn, dass er sich bessert und wirklich eine Ministerkrisis durchmachen kann. Es ist gar nicht in unserem Interesse, dass Bismarck grollend abzieht, um nach vier Wochen im Triumph und vergöttert vom Kartellphilister wieder einzuziehen. Wir können uns schon damit begnügen, dass der Kartellphilister an der Beständigkeit des Bismarckschen Regimes überhaupt irre wird. Und diese Beständigkeit wird nicht wiederhergestellt, solange Fritz lebt. Da über die Natur der Krankheit absolut nichts mehr veröffentlicht wird, auch Waldeyers Bericht nicht, der, wenn günstig, doch sofort veröffentlicht wäre, so ist wohl kein Zweifel mehr daran, dass Krebs vorliegt.6 Und da beweisen wieder unsere Fortschrittsmänner, was für Friedrich III. hatte die Absicht, auch die Sozialdemokraten in die Amnestie einzubeziehen; aber er stiess dabei auf den stärksten Widerstand Bismarcks. 3 Die Presse hatte sich seit langem dagegen gewandt, dass dem Sozialdemokrat in der Schweiz Asylrecht gewährt werde. Schon im Frühjahr 1887 hatte Bernstein dazu Stellung nehmen müssen in einer Denkschrift an die Polizeidirektion Zürich. Der Sozialdemokrat, Nr. 18, 28. April 1888. Bernstein, Lehrjahre, S. 186ff. 4 Das 1887 zwischen Deutsch-Konservativen, Freikonservativen und Nationalliberalen geschlossene Wahlkartell bestand bis zum Jahre 1890. 5 Die Heirat des Fürsten von Bulgarien, Alexander von Battenberg, mit der Prinzessin Victoria von Preussen wurde von ihren Eltern und der Grossmutter, Victoria von England, gefördert. Bismarck sah darin eine Provokation Russlands, da Bulgarien russisches Einflussgebiet sei. Die geplante Verlobung war seit 1884 ein Streitpunkt zwischen Bismarck und dem Kronprinzenpaar. E. C. Corti, Alexander von Battenberg (Wien, 1920), S. 181ff., 313ff. 6 Die Krankheit, an der Friedrich III. seit Januar 1887 litt, war Kehlkopfkrebs, wie eine Erklärung der behandelnden deutschen und englischen Ärzte im November 1887 feststellte. Prof. Waldeyer untersuchte ihn Anfang März 1888 in San Remo. Sein Gutachten in Die Krankheit Kaiser Friedrich des Dritten dar2
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Kerle sie sind. Virchow,7 der gerade als Mediziner — und schon früher konsultierter — jetzt am Platz sein müsste, gräbt Altertümer in Ägypten! Er will wohl offiziell gerufen sein! Es gibt kein empire ohne empereur, keinen Bonapartismus ohne Bonaparte. Das System ist auf den Mann zugeschnitten, steht und fällt mit ihm. Unser Bonaparte8 hatte drei Köpfe wie der alte slavischpommersche Götze Triglav; der mittelste Kopf ist fort, von den anderen beiden ist Moltke auch überreif, und Bismarck wackelt. Mit der Victoria wird er nicht fertig, die hat von' ihrer Mutter gelernt, wie man Minister, auch allmächtige, behandelt. Die alte Sicherheit ist hin. Die Unsicherheit des Bodens wird sich auch in der Politik zeigen; nach aussen Böcke, nach innen ruckweise Gewaltstreiche. Und sie wird sich zeigen in dem Irrewerden des Philisters an seinen eigenen Götzen, an der erschlaffenden Schneid und Diensteifrigkeit der Beamten, die an die Möglichkeit einer Änderung und an ihre dann veränderte Zukunft denken. Alles das, wenn, wie wahrscheinlich, B[ismarck] bleibt. Wird Fritz aber besser, und B[ismarck]s Stellung gerät ernstlich in Gefahr, dann, behauptet Lenchen, wird auf Fritz geschossen werden.9 Das könnte sogar schon kommen, wenn nur Puttk[amer] und seine Ihring-Naporras10 in Gefahr kämen. Jedenfalls also ein Interregnum, mit sehnsüchtiger Hoffnung des B[ismarck] auf Fritzens Abfahrt und des neuen Wilhelms Einfahrt. Dann aber ist's erst recht nicht mehr beim alten. Dann wird's toll. Unser Bonapartismus ist jetzt etwa bei seiner mexikanischen Periode angekommen.11 Wenn der kommt, so kommt unser 1866 und bald 1870; d.h. von innen, ein inneres Sedan. Meinetwegen! In Frankreich ganz logische Fortentwicklung: die Rechtsrepublikaner gedrängt zur Allianz mit den Monarchisten, woran sie kaputt gehen; die möglichen Ministerien müssen immer weiter links gebildet gestellt nach amtlichen Quellen und den im Hausministerium niedergelegten Berichten der Ärzte. . . (Berlin, Kaiserliche Reichsdruckerei, 1888), S. 76ff. 7 Rudolf von Virchow (1821-1902), der berühmte Anthropologe und Mediziner, war 1880-93 fortschrittlicher Reichstagsabgeordneter. 8 Wilhelm I. 9 Anspielung auf Nobilings Attentat. 10 Am 11. Mai 1887 waren vom Landgericht Berlin I zwei Sozialdemokraten verurteilt worden auf Grund der Zeugenaussage eines Stellmachers Naporra aus Kulm, der sich, wie Ihring-Mahlow, als Provokateur in eine sozialdemokratische Versammlung eingeschlichen hatte. 11 Die Verwicklung der Vereinigten Staaten in den Bürgerkrieg benutzte Napoleon III. zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten Mexikos. Eine französische Armee brachte den Erzherzog Maximilian, einen Bruder Franz-Josefs, nach dort und liess ihn zum Kaiser wählen. Nach der Beendigung des Bürgerkriegs wurde Napoleon zur Rückberufung der Armee gezwungen. Maximilian wurde 1867 von den wieder zur Herrschaft gelangten Republikanern erschossen.
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werden. Boulanger ist politisch offenbar kopflos, wird sich in der Kammer wohl bald ruinieren. Der französische] Provinzialphilister hat nur einen Glaubensartikel: Die Republik ist unentbehrlich, die Monarchie, das ist der Bürgerkrieg und der äussere Krieg. Den Schein über die hundert M[ark] von Frau Pf [ander] mit meinem nächsten [Brief]; ich vergass, ihn mir geben zu lassen. Einstweilen besten Dank für die Gabe; ich will das meinige tun, die Frau oben zu halten, werde mir aber erlauben, nochmals bei Euch vorzusprechen. Beste Grösse an Deine Frau und Tochter und Singer Dein F. E.
1 1 4 . B E B E L AN
Original.
ENGELS
Pl[auen-] Drfesden], den 2. Mai 1888. Lieber Engels!
Vielleicht hast Du schon von Kautsky erfahren, dass ich vor einigen Tagen von Z[ürich] aus an ihn schrieb und dabei erwähnte, dass ich Deinen Brief vom 12. [April] erhalten hätte, d.h. er war eingetroffen, während ich mich auf der üblichen Geschäftsreise befand. Letztere musste ich in Rücksicht auf die Vorgänge in Z[ürich] 1 unterbrechen und will sie morgen wieder aufnehmen. Doch währt sie nur noch einige Tage, dann tritt wahrscheinlich eine Pause bis Ende nächsten Monats ein. Ich will hier gleich mit anfügen, dass ich wahrscheinlich diesen Sommer die Geschäftsreisen aufgebe und mir eine andere Lebensstellung suche. Wahrscheinlich assoziiere ich mich mit Dietz, aber das bleibt streng unter uns. Es passt mir nicht ferner, den Commis voyageur zu spielen und oft dann gerade behindert zu sein, wenn mein Eingreifen am notwendigsten wäre. Bismarck hat also seinen Willen in Bern durchgesetzt; die Züricher sind die ersten, welche den Sieg im Reichstag büssen müssen. Eine genaue Erwägung der Situation an Ort und Stelle hat ergeben, dass die Position auf die Dauer unhaltbar wird, wenigstens bezüglich der Personen, und ohne unsere eingeweihten Leute ist die Stellung bei der Sorgfalt und Umsicht, mit welcher operiert werden muss, nicht zu
Der Bundesrat wies Bernstein als Redakteur des Sozialdemokrat, Schlüter als Leiter der Volksbuchhandlung, Motteier als Expedienten und Tauscher als Faktor der Druckerei aus. Der Ausweisungsbeschluss im Sozialdemokrat, Nr. 18, 28. April. S. Bernstein, Lehrjahre, S. 186ff. 1
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halten. Formell wird das Blatt weiter in Z[ürich] erscheinen, auch nachdem tatsächlich die Stellung geräumt ist.2 Ihr werdet also das Vergnügen haben, den Generalstab des S [ o z i a l ] d[emokrat] in Kürze in London zu begrüssen. Hierbei möchte ich die Bitte an Dich aussprechen, Dich speziell unseres „roten Postmeisters", des Motteier anzunehmen und ihm, da Ede bei K[autsky]s Unterkommen hat, bei Dir Quartier einzuräumen. M[otteler], der seine sehr guten Seiten hat und mit Leib und Leben bis zum letzten Atemzug für die Sache eintritt, hat aber auch die sehr schlechte, sich schwer in fremde Verhältnisse zu fügen. Unkundig der Sprache und im Essen und Trinken eine eigenartige Natur, würde er in fremder Umgebung bis zur Ankunft seiner Frau halb kaputtgehen. M[otteler] trinkt keinerlei alkoholartige Getränke, er trinkt nur Tee und Kaffee und diese nicht zu stark, ebenso vermag er keinen Fisch zu essen oder sonst eine dem Wasser oder Meere entnommene Kost; auch soll Hammelfleisch ihm antipathisch sein, Salat dagegen isst er täglich zweimal, nur ohne Zwiebel und nicht sauer. Du wirst über diese Speisevorschriften lachen oder den Kopf schütteln, aber ich schreibe sie, weil es auch zu den Eigentümlichkeiten M[otteler]s gehört, aus Rücksicht auf seinen Wirt sich jeden Wunsches zu enthalten. Ich denke, Lenchen, die in ihrem langen Leben schon soviel sonderbare Käuze hat kennengelernt und mit ihnen fertig geworden ist, wird auch mit diesem fertig werden. Die Familien sollen so rasch als möglich nachfolgen, d.h. sobald Logis gemietet ist und in Z[ürich] die Abwicklung der Geschäfte erfolgte, wobei M[otteler]s Frau mit tätig ist. Im übrigen wird M i t teler] gerade genug zu tun haben, als dass er Dich viel Zeit kosten sollte. In der deutschen Presse wird viel davon geflunkert, dass anlässlich der jüngsten Anwesenheit der englischen Königin Bismarck auch Abmachungen bezüglich der Duldung der „Anarchisten" mit ihr getroffen habe. Wahrscheinlich ist der Wunsch unserer Offiziösen der Vater des Gedankens. Taktlos hat sich die Justice benommen, die, wie ich in Z[ürich] las, anknüpfend an einen Brief von K[autsky] über die Vorgänge in der Schweiz, eine ungünstige Besprechung des englischen Asylrechtes brachte.3 Hätte K[autsky] das geahnt, so hätte er wahrscheinlich seinen Brief nicht geschrieben. Als Erscheinungsort wurde vorläufig noch Zürich, erst seit 1. Oktober 1888 London angegeben. 3 In einem Brief an die Redaktion der Justice, veröffentlicht u.d.T. „A Reactionary Republic" in Nr. 224, 28. April 1888, hatte Kautsky die Ausweisungen aus der Schweiz behandelt und die Vermutung ausgesprochen, dass Bismarck versuchen würde, auch England zu einem Vorgehen gegen die deutschen Sozial-
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Es wird überhaupt Eure vornehmste Aufgabe sein, sobald die Ausgewiesenen dort eintrafen, mit ihnen zu besprechen, in welcher Weise am sichersten operiert werden kann. Ich habe seit Jahren den Rat gegeben, in der Schwfeiz] Bürger zu werden, aber der Rat wurde unter allerlei nichtigen Vorwänden abgelehnt, jetzt haben wir den Schaden. In künftigen Briefen nach Deutschland empfehle ich Dir, nur mit der allergrössten Vorsicht auf diese Blatt-Angelegenheiten zu sprechen zu kommen, namentlich soweit es den S[ozial]d[emokrat] anbetrifft. Bei den Zuständen hierüben sind wir keinen Tag sicher, dass versucht wird, uns wieder irgendeinen Prozess zu machen und dann die Briefsperre über uns zu verhängen. Namentlich müssen wir jeden Schein des Zusammenhanges und der Verbindung mit dem S[ozial]d[emokrat] vermeiden. 4
Der Thronwechsel hatte, wie Du ganz richtig bemerkst, den Vorteil, dass er hierüben die Dinge ins „Wackeln" brachte, leider wird's nur beim Wackeln bleiben. Der Kaiser leidet unzweifelhaft an Krebs, und die scheinbare Besserung, die eben vorhanden ist, kann und wird höchstwahrscheinlich nur von sehr kurzer Dauer sein und mit der Katastrophe enden. Lehrreich war aber diese Zwischenperiode auf alle Fälle. Was in diesen Wochen des Interregnums an Intrigen und Schamlosigkeiten geleistet worden ist, spottet aller Beschreibung. Man hat es verstanden, in weiten Kreisen gegen die englischen Ärzte eine solche Erbitterung hervorzurufen, dass ich ehrsame Philister im Hotel davon sprechen hörte, man solle sie lynchen, wenn sie Deutschland verliessen.5 Dazu kommen die Bismarck-Intrigen, die Knüppel, die man dem Kaiser allüberall in den Weg wirft, wo er nach eigener Meinung zu verfahren versucht. Schliesslich wird dieser Zwischenzustand auch wieder damit endigen, dass das Bismarcksche Hausmeiertum mit neuen Ehren und mit neuer Kraft daraus hervorgeht. Dem Ministerportefeuille des Sohnes sollte der Herzogstitel für den Alten 0 vorausdemokraten zu bewegen. Das Blatt erinnerte daran, dass bereits vor sechs Jahren eine liberale Regierung einen Vorstoss gegen das Asylrecht in England unternommen habe und dass die Social Democratic Federation als einzige Organisation dagegen protestierte. 4 Seitdem die Fraktion die offizielle Verbindung mit dem Sozialdemokrat gelöst hatte. S. Brief Nr. 97. 5 In der Brief Nr. 113, Anm. 6, erwähnten Schrift wurden schwere Anklagen gegen die englischen Ärzte erhoben. Sir Morell Mackenzie antwortete darauf in seiner Schrift Friedrich der Edle und seine Ärzte. Antwort auf die Berliner Broschüre Die Krankheit Kaiser Friedrich III. (Styrum-Leipzig, 1888). • Bismarck wurde erst durch die Order Wilhelm II. vom 20. März 1890, in der dieser das Bismarck brüsk abverlangte Abschiedsgesuch „mit tiefer Bewegung"
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gehen; der Alte aber, als praktischer Mann, denkt, was nützt mir der Titel, wenn er nicht vergoldet ist. Wurde ein zweites Friedrichsruh hinzugefügt, so hätte er sicher angenommen. Ein Wink für den Nachfolger, den dieser zu beachten nicht versäumen wird. Kommt dieser an die Reihe, dann wird's schön im Deutschen Reich, dann kommt die Ära der Puttkamer-Stöcker; die seit zwanzig Jahren in borniertem germanischem Chauvinismus grossgezogene Generation wird das den Ton angebende Element; dann kommt die Knüppelherrschaft so dick wie nie. Dann wird Bismarck nicht mehr zu schieben, dann wird er nur noch zu hemmen haben; und stirbt er oder muss er gehen — was bei dem Charakter des Jungen, trotz seiner Anbetung für B[ismarck], gar nicht unmöglich ist — dann wird's erst recht bunt werden. Ich betrachte Wilhelm II. als den Zugrunderichter der Hohenzollernherrlichkeit. Es scheint, dass ein dunkles Gefühl hiervon weite Kreise beschleicht, ich habe bis jetzt nicht einen Menschen getroffen, der seinem Regierungsantritt freudig entgegensähe, wohl aber äussern alle unbestimmte Befürchtungen, als stände Böses bevor.7 Für uns kommt eine Zeit des Fegefeuers, aber sie muss durchgemacht werden. Herr Boulanger scheint, wie ich von Anfang an annahm, in Frankreich rasch ausgespielt zu haben. Aber was nun? Wer immer ans Ruder kommt, wirtschaftet ab, eine Majorität hat keine Richtung und bekommt keine. So schwankt der Staatskarren auf und ab, alle Parteien verwirtschaften sich; nur sehe ich gar keine Möglichkeit, dass dort endlich die Einsicht sich Bahn bricht, dass keine der politischen Parteien mehr helfen kann, der Interessengegensatz alle beständig gegeneinander hetzt und sie zur gegenseitigen Aufreibung zwingt und nur eine neue soziale Organisation Rettung verschaffen kann. Wenn bei uns erst mal die alten Autoritäten verschwunden sind, wird's ähnlich kommen, doch hoffe ich, mit besserem Erfolg als in Frankreich. Die besten Grüsse von mir und den Meinen. Dein A.
BEBEL.
und „betrübten Herzens" entgegennahm, zum Herzog von Lauenburg ernannt. 7 Vgl. Bismarck, Gedanken, Bd. III, Kap. 10: „Kaiser Wilhelm II."; etwa Waldersees Eintragung vom 16. Mai 1888 über seinen Plan, „die Franzosen zu reizen, um sie zum Losschlagen zu bewegen", wobei natürlich erst das Ende des Kaisers Friedrich abgewartet werden müsse. Denkwürdigkeiten, Bd. I, S. 399. Auch Waldersee sah, ebd., Bd. II, S. 240, nach einem für Deutschland gefährlichen Zweifrontenkrieg „das Haus Hohenzollem ins Exil gehen".
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115. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Pl[auen-] Dr[esden], den 12. Mai 1888. Lieber Engels 1
Hätte ich eine Ahnung gehabt von den Molesten, welche Dir jetzt die Aufnahme eines Besuches wie Mfotteler] bereitete, hätte ich Dir selbstverständlich nicht die Zumutung gemacht. Ich kam auf den Vorschlag, weil Du E[de] eingeladen hattest, und da dieser auch v[on] K[autsky] eingeladen war und für dort, schon in Rücksicht auf Dich, akzeptierte, kam ich auf den Plan, für Mfotteler] bei Dir ein Wort einzulegen. Ich muss hier einige Bemerkungen einfliessen lassen, warum ich dazu kam, und damit Du dabei M[otteler] etwas näher kennenlernst. Ich kam auf den Quartiergedanken, weil ich M[otteler]s Schwerfälligkeit oder richtiger gesagt Schwierigkeit, bei seinem physischen Zustand sich in fremde Verhältnisse zu finden, kenne und weil ich bei der verbitterten Stimmung, die gerade ihn infolge der Ausweisung erfasste, ihn in eine befreundete Umgebung bringen wollte. Mfotteler] ist von L[ie]bk[necht] und mir einer unserer ältesten Freunde in der Bewegung. Er steht mit mir seit sechsundzwanzig Jahren Seite an Seite, hat mit seltener Kameradschaftlichkeit ausgehalten und besitzt eine grossartige Opferwilligkeit und unbestechliche Ehrlichkeit. Letztere ist in seiner jetzigen Stellung von unschätzbarem Wert. Die Summen, die jährlich durch seine Hände gehen, sind erhebliche; eine Kontrolle ist bei den Verhältnissen unmöglich; da ist ein Mann notwendig, dem man eine Million anvertrauen kann, sicher, dass kein Pfennig verlorengeht, und der das Geld wie sein eigenes verwaltet. Diese absolute Zuverlässigkeit macht ihn sehr schwer ersetzbar, trotz mancher Schrullen und Eigentümlichkeiten und trotz des nicht günstigen Einflusses, den seine Frau auf ihn ausübt. Letztere hat neben sehr guten Seiten ihre sehr schlimmen, so dass derjenige sehr schwer mit ihr auskommt, der sie nicht näher kennt oder sie nicht zu nehmen weiss. Du wirst darüber mancherlei von Kautskys gehört haben; und damit Du keine einseitige Meinung erhältst, worauf ich grosses Gewicht lege bei der Stellung, die Du künftig wohl oder übel zwischen den Leutchen einnimmst, schreibe ich Dir das. Mfotteler] hat, wie ich ferner noch hinzusetzen muss, in den sechziger und zu Anfang der siebziger Jahre nach und nach sein ganzes Vermögen der Sache geopfert. Das belief sich auf eine Anzahl tausend Taler, gross genug, um sich eine Existenz selbständig zu schaffen. Mfotteler] hat ferner die Eigenschaft, die in seiner Stellung 330
heute absolut notwendig ist, er hat eine verdammt feine Nase für alles Verdächtige, er ist von grösstem Misstrauen gegen jeden Fremden beseelt, der sich ihm naht, und wird so leicht nicht das Opfer einer Mystifikation. Er mag manchmal in seinem Verdacht zu weit gehen, aber ich glaube ohne Schaden für die anderen sagen zu dürfen, wenn die Spitzel trotz aller Mühe nie das Geringste aus der Expedition des S[ozial]d[emokrat] erfuhren, diese für die Bande geradezu unnahbar war, dies M[otteler] einzig und allein zu danken ist Von M[otteler] hast Du auch nicht zu fürchten, dass er nach T. R.1 geht, Ede geht vielleicht hin, Schl[üter]2 geht trotz aller Abmahnungen sicher hin; er muss sehen, was dort los ist; ähnlich wird es anderen gehen, die mit hinüberkommen. Ich möchte Dich ferner dringend bitten, wenn über J[ulius] M i t teler] räsoniert wird, über M[otteler] nicht eher zu urteilen, bis Du ihn gehört hast. Kleine Krakeelereien werden nicht ausbleiben. Es besteht nicht bloss zwischen Schl[üter] und M[otteler] eine gewisse Animosität, sie besteht zwischen allen. Auf Schljuter] hättest Du um deswillen weniger Rücksicht zu nehmen gebraucht, weil Schl[üter] der beweglichere ist und mit der Sprache gut fortkommt. Wie nun einmal die Sachen bei Dir liegen, wünsche ich auch nicht, dass M[otteler] bei Dir logiert. Quartiert ihn und Schl[üter] und auch Tauscher in das Haus in der Nähe von M[arx]' früherer Wohnung ein, das wird das beste sein. Hat er eine deutsche Wirtin, so ist's gut, vielleicht kocht diese ihnen auch gleich zu Mittag. Nun will ich diese persönlichen Auseinandersetzungen schliessen, hoffend, dass sie nicht weiter nötig sein werden. Ich weiss bis zu diesem Augenblick auch nicht, wann die Ausgewiesenen dort ankommen. Der 15. Mai war der letzte Termin, an dem sie ausrücken mussten. Pflege Dich gut, damit Du Deine Augen behältst und Du uns noch lange erhalten bleibst. Mit den best[en] Grüssen Dein A. BEBEL.
Dass m[ein] letzter Brief später abging, als er datiert war, lag an mir. D[er] 0[bige]. 1 49 Tottenham Street, Tottenham court road war der Sitz des Comm. Arb.Bildungsvereins. 2 Hermann Schlüter (1851-1919), Expedient der Dresdener Volkszeitung, Leiter der mit dem Sozialdemokrat verbundenen Volksbuchhandlung, emigrierte 1889 nach Amerika, dort Redakteur der New Yorker Volkszeitung; er schrieb u.a. Die Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung in Amerika (Stuttgart, 1907); Lincoln, labor and slavery (New York, 1913); Die Chartisten-Bewegung (New York, 1916).
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1 1 6 . B E B E L AN E N G E L S
Original.
Pl[auen-] Dr[esden], den 22. Mai 1888. Lieber Engels!
Ich weiss nicht, ob Dir in den letzten Tagen L[ie]bk[necht] geschrieben und mitgeteilt hat, dass in Kürze P[aul] Singer nach dort zu einem Besuch kommen wollte. Du willst dies, wenn es noch nicht geschah, den Freunden mitteilen. P[aul] S[inger] hat den 2. Juni in Berlin Prozessverhandlung (er tritt als Kläger auf)1 und dürfte wahrscheinlich am 4. [Juni] in London sein. Er bleibt dann nach Bedarf zehn bis vierzehn Tage drüben. Der Kaiser hat sich mal wieder vorübergehend herausgerappelt, und man darf wohl gespannt sein, wie lange dies Intervall dauert. In Berlin operieren unsere Leute sehr ungeschickt; es sind meist junge Leute ohne Erfahrung und Einsicht an der Spitze, und da kommen denn allerlei Eseleien vor.2 Die Berliner Polizei weist keinen mehr aus; jetzt dient der Belagerungszustand nur dazu, vernünftige Elemente, die Einfluss gewinnen könnten, fernzuhalten. Sonst vor Paris nichts Neues. Gruss an Dich und alle Freunde. Dein A . BEBEL.
Am 2. Juni wurden die Antisemiten Bachler und Dopp wegen Verleumdung Singers verurteilt; in der Berufungsverhandlung wurde Dopp freigesprochen, da er durch Angriffe Singers gereizt worden sei. 2 Bebel meint das Flugblatt, das Anfang Mai in Berlin verteilt werden sollte, aber noch während des Druckes beschlagnahmt wurde. Es war eine „Häufung von Kraftausdrücken" und veranlasste den Sozialdemokrat zu der Feststellung, Schimpfen sei kein Radikalismus, und nicht die Phrase mache den Revolutionär. Die Vermutung, dass es das Werk eines Lockspitzels sei, traf nicht zu; Verfasser war vielmehr ein sehr junger Sozialdemokrat Hugo Emst. Sechs Sozialdemokraten wurden zu insgesamt 94 Monaten Gefängnis verurteilt. Der Sozialdemokrat Nr. 21-23, 19., 26. Mai, 2. Juni. Bernstein:, Geschichte, Bd. II, S. 251ff.
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1 1 7 . B E B E L AN E N G E L S
Original.
Pl[auen-] Dr[esden], den 30. Mai 1888. Lieber Engelsl
Deinen Brief erhalten.1 Dass L[ie]b[knecht] nicht so geschrieben, wie Schlüter] angeblich auf M[otteler]s Äusserung und Mitteilung mir angab, habe ich bereits gehört. L[iebknecht] schrieb ganz korrekt; es 1
Der Brief liegt nicht vor.
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scheint aber, dass M[otteler] ein Interesse hatte, anders zu berichten. Weil ich voraussah, dass es so kommen würde, wie es gekommen ist, regte ich P[aul] S[inger]s Reise an. Der wird nun durchgreifen müssen, und zwar ohne Rücksicht auf die Privatwünsche M[otteler]s. 2 Du beurteilst letzteren vollkommen richtig, und es wäre sehr nützlich, wenn Du ihm gelegentlich klarmachtest, dass offenes gegenseitiges Aussprechen und Verständigen die erste Bedingung für ein Zusammenwirken sei. Die Frage wegen der Maschine ist keine Frage. Ist sie notwendig und zweckmässig, so wird sie angeschafft. Ich weiss nicht mehr, wer es war, ich glaube Dietz, welcher behauptete, in E[ngland] werde man mit der blossen Setzerei am besten auskommen. In bezug auf die Logisfrage stehen die Dinge so: erste Bedingung ist ein allen Ansprüchen des Geschäfts genügendes Haus. Ist darin Platz für ein Privatlogis, gut, so mag M[otteler] hineinziehen; gibt's kein Logis, so muss er anderswohin ziehen. Hauptsache ist, dass die Leute sich beeilen, dass alles in Schuss kommt. Bei uns wird's immer netter. Die neueste Passverordnung gegen Frankreich 3 ist eine ganz blödsinnige Massregel, mit der sich Bismarck selbst ins Fleisch schneidet. Auf sein Betreiben ist sie durchgesetzt worden und hat im Reichsland bei Freund und Feind die grösste Erbitterung hervorgerufen. So geht's, wenn man die Bedürfnisse eines Kulturlandes nach den Bedürfnissen von Hinterpommern bemisst. Gestern plädierte die Norddeutsche] Allg[emeine] Zeitfung] sogar dafür, Frankreich möge mit gleicher Münze dienen, damit der Verkehr möglichst aufhöre. Dergleichen ist in der ganzen Welt nicht denkbar ausser bei uns. Sehr heiter entwickeln sich auch die Dinge in Berlin. Zwischen der Kaiser- und der Kronprinzenfamilie besteht ein förmliches Wettrennen in Popularitätshascherei, namentlich drängt sich die letztere vor. Die Antisemiten kommen dabei in der ungeschicktesten Weise dem Kronprinzen zu Hilfe, indem sie in massenhaft verbreiteten Flugblättern ihm in der unverschämtesten Weise schmeicheln,4 offen ihre Hoffnung auf ihn „als die Zukunft Deutschlands" setzen. So was war noch nicht da. Diese Diskreditierung des Königtums durch die loyalsten 2
Es handelte sich um die Einrichtung des Betriebes des Sozialdemokrat. Durch eine Verfügung vom 22. Mai wurde der Visumzwang für alle von Frankreich in das Elsass einreisenden Ausländer eingeführt. Das Visum musste von der deutschen Botschaft in Paris ausgestellt werden. 4 S. darüber W. Frank, Hofprediger Adolf Stoecker und die christlichsoziale Bewegung (Berlin, 1928), S. 230f. Über den Inhalt eines von Theodor Fritsch verfassten Flugblattes „Warum wird der Kronprinz Wilhelm verleumdet?" s. Bismarcks grosses Spiel, S. 536.
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Stützen ist einzig. Der grösste Teil der Presse ist perplex und schweigt. O, wenn doch ein Wunder passierte und der jetzige Kaiser auf ein paar Jahre gesund würde; besseres könnte uns nicht passieren. Das würde ein prächtiges Durcheinander. Da der Mann doch alle die grossen und kleinen Nadelstiche zu empfinden bekommt und dabei seine Ohnmacht fühlt, nichts Durchgreifendes tun zu können, ist's erstaunlich, dass sein körperlicher Zustand vergleichsweise so günstig ist. Rein menschlich betrachtet, müsste der Mann vor Wut platzen. Wir sind jetzt sehr gespannt, ob der Leipziger] „kleine" [Belagerungszustand], der Ende Juni drankommt, wieder verlängert wird, nachdem man in Spremberg darauf verzichtete. Dummerweise haben unsere Leipziger] Leute im März ein ungeschickt abgefasstes Flugblatt verbreitet,5 auf das jetzt siebenundzwanzig Mann zu zwei bis sechs Monaten verdonnert wurden. Eine bessere Motivierung für die Verlängerung konnte sich die Regierung nicht wünschen. P[aul] S[inger] kann möglicherweise erst am 3. [Juni] abends abreisen; es ist nicht ausgeschlossen, dass der Prozess mehr als einen Tag dauert. Gestern und vorgestern war L[ie]b[knecht] hier. Mit den besten Grüssen von uns allen D[ein] A. BEBEL.
Wegen Verbreitung eines Flugblattes — „An das Volk. Ein Gedenkblatt zum 18. März" — wurden in Leipzig 27 Verteiler zu 110 Monaten Gefängnis verurteilt. Es hiess darin: „Das Volk muss frei werden, es muss selbst bestimmen können über sein Geschick! Es müssen neue Märztage kommen, grösser als die vor vierzig Jahren, die gründlich aufräumen mit Unterdrückung, Ausbeutung und Elend des Volkes in jeder Form!" Der Sozialdemokrat druckte das Blatt nach in Nr. 24, 9. Juni 1888. 5
1 1 8 . B E B E L AN E N G E L S
Pl[auen-] Drfesden], den 9. Juni 1888.
Original. Lieber Engels!
Ich bitte Dich, die Beilagen auf möglichst raschem Weg an ihre Adressen gelangen zu lassen. Die neueste Nachricht also ist, die Du natürlich schon weisst, dass Puttkämerlein geht.1 Das hat der Fritz nun doch durchgesetzt. Die Puttkamer erbat am 8. Juni seine Entlassung, die sofort gewährt wurde. Am 26. Mai hatte das preussische Abgeordnetenhaus zwei durch amtliche Wahlbeeinflussung zustande gekommene Mandate für ungültig erklärt, darunter das des Abg. von Puttkamer-Plauth. In dieser Zeit plante Friedrich III. den Erlass eines Manifestes über Wahlfreiheit. Als Puttkamer sich zu rechtfertigen suchte, erfolgte 1
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Nachricht hat grosse Überraschung bereitet, da sie nach der Genehmigung des Gesetzes über die preuss[ische] Legislaturperiode,2 die als ein grosser Sieg Bismarcks angesehen wurde, nicht mehr erwartet werden konnte. Unsere Freisinnigen sind ganz aus dem Häuschen und sehen den Himmel voller Geigen. Über den Nachfolger3 verlautet nichts, man darf aber doch wohl annehmen, dass er ein vergleichsweise anständiger Kerl ist, und damit ist für uns viel gewonnen. Tritt nun auch noch, wie es jetzt den Anschein hat, beim Kaiser allmähliche Genesung ein, dann [kann es] ganz hübsch werden, dann dürfte eintreten, was Du voraussagtest: es kommt alles ins Wackeln. Der Kronprinz hält sich in demselben Masse mehr zurück, als die Nachrichten über das Befinden seines Vaters günstiger lauten. Er und seine Frau trieben bereits die Popularitätshascherei in einer unanständigen und für die Alten beleidigenden Weise. Auf einer Reise nach Hamburg war ich gestern auch einige Stunden in Berlin. Da fiel mir eins auf. In allen Bilderläden war das Kronprinzenpaar ostentativ ausgestellt. Die „Engländerin" fehlte ganz, ihr Mann trat gegen das junge Paar sehr in den Hintergrund. Darin zeigt sich die Stimmung unserer Bourgeoisie und massgebenden Kreise ganz deutlich, es wird ihnen vor dem „Liberalismus" des Kaisers bange. Seine Frau, die als „Freigeist" gilt, ist geradezu verhasst, und dieser Hass überträgt sich auf die englischen Ärzte. Gelingt es nun Mackenzie, den Kaiser zu retten, so hat er einen grossartigen Triumph gefeiert, und die deutschen Ärzte, namentlich Bergmann, sind blamiert vor der ganzen Welt.4 Ich glaube, was ich übrigens immer glaubte, dass, wenn der Kaiser bis zum Herbst noch lebt, der Belagerungszustand über Berlin nicht mehr erneuert wird. Dann dürfte er auch für die anderen Orte fallen.
auf den Rat des Freisinnigen Ludwig Bamberger seine Verabschiedung. S. darüber Albert von Puttkamer, Staatsminister von Puttkamer (Leipzig, 1928), S. 181ff.; Bismarcks grosses Spiel bes. S. 55ff., 382ff. Bamberger hier: „Denn dass er [Puttkamer] bestreitet, die massloseste Wahlmache getrieben zu haben, kann nur als Spott angesehen werden. Er hat sich dieser Wahlmache wiederholt mit grösster Dreistigkeit im Parlament gerühmt." 2 Die Verlängerung der dreijährigen Legislaturperiode des Reichstags war vom Reichstag und Bundesrat beschlossen und wurde am 20. März veröffentlicht. Nur widerstrebend gab Friedrich III. am 7. Juni seine Zustimmung zur Einführung derselben Wahlperiode für das preussische Abgeordnetenhaus. 3 Am 2. Juli wurde Unterstaatssekretär Herrfurth zum Minister des Innern ernannt; "er blieb es bis August 1892. 4 Friedrich III. starb am 15. Juni.
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Der Alte behauptet zwar im heut [igen] S[ozial]d[emokrat] das Gegenteil,5 er macht mich aber nicht irre. Ich werde in Kürze wieder auf ein paar Monate auf die Geschäftsreise gehen. Halte Dich munter! Mit den besten Grüssen Dein A . BEBEL.
Liebknecht im Leitartikel der Nr. 24, 9. Juni: „ . . . Genug, wir behalten den Puttkamer und wir behalten den .kleinen*. Überhaupt bleibt alles beim alten — nur dass die Praxis sich immer mehr zuspitzt.. 5
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Original.
Pl[auen-] Dr[esden], den 15. Oktober 1888. Lieber Engels!
Meinen Glückwunsch über die glückliche Rückkehr von der Reise über den grossen Bach.1 Du wirst mir wohl gelegentlich schreiben, wie es Dir gefallen hat. Schönsten Dank auch für die Photographie vom Niagara. Hierüben haben sich mittlerweile allerlei interessante Dinge ereignet, die uns recht zustatten kommen. Du wirst verschiedenes darüber gelesen haben. Augenblicklich beherrscht noch immer der Prozess Geffcken die Situation, auf dessen Ausgang alle Welt gespannt ist.2 Geht es nicht nach Bismarcks Wunsch, dann hat sich letzterer unmöglich gemacht. Diesmal spannte er die Saiten zu straff. Der Kaiser findet für nötig, durch seinen Intimus Douglas für sich Reklame machen zu lassen und Stöcker und die Antisemiten sich von den Rockschössen abzuschütteln.3 Er hat eingesehen, dass er mit der Bourgeoisie nicht Vom 17. August bis 29. September unternahm Engels mit Schorlemmer und den Avelings eine Reise nach den Vereinigten Staaten und Kanada. 2 Prof. Geffcken hatte im Oktober-Heft 1888 der Deutschen Rundschau Teile des Kriegstagebuch® Friedrich III., die sich mit der Reichsgriindung beschäftigten, veröffentlicht. Obwohl Bismarck das Tagebuch für echt hielt, bewirkte er ein Strafverfahren gegen Geffcken wegen strafbarer Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen. Geffcken wurde verhaftet, aber am 4. Januar 1889 vom Reichsgericht freigesprochen. Darüber A. von Brauer, Im Dienste Bismarcks (Berlin, 1936), S. 261ff. 3 Hugo Sholto Graf von Douglas (1837-1912), Offizier und Montanindustrieller, Freund und Günstling Wilhelm II., seit 1890 Mitglied des Staatsrats. Douglas hatte in einer Rede ausgeführt, die Beziehungen Wilhelm II. zu Stoecker seien „nur sehr vorübergehende" gewesen und hätten sich auf die Armenfürsorge beschränkt. „Darüber hinaus hat keine Verbindung mit dem Hofprediger Stoecker bestanden, und am wenigsten huldigt der Kaiser den extremen politischen und 1
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auf Kriegsfuss leben kann, und dass schliesslich herzlich wenig dazugehört, diese zufriedenzustellen. Miquel hat den Roten Adlerorden II. Klfasse] erhalten. Auch gut. Die Reisen, die er gegenwärtig macht, werden benutzt, um den Glauben zu schüren, als lauerten aller Enden und Ecken Attentäter auf ihn; aber das Manöver ist misslungen. Von allen Seiten wird bestätigt, dass nur auf Betreiben der preuss[ischen] politischen] Polizei, die ihn in Scharen begleitet, diese ins Lächerliche gehenden Vorsichtsmassregeln getroffen worden sind. Im Reichstag wird sich schon die Gelegenheit bieten, auf dieses Kapitel zu sprechen zu kommen, und da soll's am richtigen Ton nicht fehlen. Schlüter hat Dir mitgeteilt, dass ich für Dietz eine Arbeit über Weitling4 machen will, bei welcher Gelegenheit ich die soziale Bewegung der vierziger Jahre 5 mit in den Kreis der Darstellung und Besprechung zu ziehen gedachte. Wie mir Schl[üter] mitteilt, bist Du der Ansicht, dass diese Arbeit geteilt werden müsse und eine besondere Bearbeitung von Weitling und dem Arbeiterkommunismus der Besprechung des Hess-Grün'schen Sozialismus und einer solchen der Bestrebungen des Kommfunisten-]Bundes vorauszugehen habe.6 Ich würde Dir sehr dankbar sein, wenn Du mir Deine Idee über das Ganze mitteilen und mich auch durch Überlassung des Dir zur Verfügung stehenden Materials unterstützen wolltest. Du hast unzweifelhaft aus jener Zeit vieles, was nicht nur unumgänglich nötig für die Arbeit ist, sondern was man auch anderwärts kaum erlangen kann. Du darfst sicher sein, dass ich Dir das Material gut aufhebe und seinerzeit gewissenhaft zurücksende. Brauche ich im Verlaufe der Arbeit diese und jene Auskunft, so darf ich wohl auf Deine Unterstützung rechnen. Eine Befürchtung, dass das Material konfisziert und verboten würde, brauchst Du nicht zu haben. Diese alten Sachen lässt man in Ruhe. Was sagst Du denn zu den Vorkommnissen zwischen den beiden Kautskys? Ich war wie aus den Wolken gefallen. Nach dem letzten Briefe von Karl macht es mir fast den Eindruck, als sei er auf dem konfessionellen Parteianschauungen, welche man an den Namen dieses Abgeordneten zu knüpfen pflegt." S. darüber W. Frank, a.a.O., S. 240f., 410ff. 4 Seit dem 1. Oktober, der Aufgabe der geschäftlichen Reisetätigkeit, war Bebel regelmässiger Mitarbeiter der 'Neuen Zeit; er schrieb monatlich einen Aufsatz. Ausserdem wollte er für die „Internationale Bibliothek" in den nächsten zwei bis drei Jahren Arbeiten über Weitling und Lassalle liefern. Kautsky an Engels 28. Juni 1888. 5 Bebel hat sich in den nächsten Jahren wiederholt mit der Sammlung von Material für diese Geschichte beschäftigt. In seinem Nachlass befinden sich ca. 300 S. Literaturangaben und Exzerpte aus der Literatur der vierziger Jahre. • S. darüber den folgenden Brief.
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Wege zur Besinnung. Jedenfalls wird die projektierte Scheidung nicht forciert.7 Möglich, dass er bei seiner neuen Angebeteten nicht die erwartete Aufnahme fand. Lass bald was von Dir hören. Mit den besten Grüssen Dein A . BEBEL.
Gruss an die neuen Kolonisten; das hat lange gedauert, bis diese sich einrichteten. Schlüter könnte mir gleich Deine Sachen und Materialien mit dem, was er mir vom Archiv aus zukommen lassen kann, senden. 7
Sie erfolgte E n d e 1889.
120. E N G E L S AN B E B E L
London, den 25. Oktober 1888
Original. Lieber Bebel!
Ich habe Dir per Schlüter geschickt „Der Hilferuf der deutschen Jugend" nebst Fortsetzung: „Die junge Generation" — Weitlings Zeitschrift aus den vierziger Jahren. Das andere hatte Schlüter und hat es Dir geschickt; die „Garantien", das „Evangelium des armen Sünders" usw.1 Nach meiner Ansicht ist es besser, die drei Richtungen der deutschen Bewegung der vierziger Jahre auseinanderzuhalten. Sie durchkreuzen sich nur wenig, namentlich blieb der W[eitling]sche Kommunismus separat, bis er ausstarb oder die Leute zu uns übergingen — eine Phase, die in der Literatur nicht vertreten ist; für die Geschichte des „wahren Sozialismus" (Hess zum Teil, Grün und eine Anzahl anderer Belletristen) ist das Material des Archivs lange nicht vollständig genug und wären ausserdem die alten M[anu]s[kripte] von Marx und mir zu benutzen; diese aber kann ich unter keinen Umständen aus der Hand geben.2 Auch ist da manches unumgänglich, was hinter den Kulissen vorgegangen, namentlich die Entfremdung zwischen Hess und uns,3 und was sich nicht so ohne weiteres in ein paar Zeilen mitteilen lässt — ich müsste dazu den ganzen alten Kram selbst wieder durchsehen. — Was endlich die dritte Richtung Die Zeitschriften erschienen 1841 bzw. 1842-3, Garantien der Harmonie und Freiheit, 1842, Das Evangelium eines armen Sünders, 1843. 8 Insbesondere die Kapitel der Deutschen Ideologie: „ D i e .Rheinischen Jahrbücher' oder die Philosophie des wahren Sozialismus", „Karl Grün: ,Die soziale B e w e g u n g . . . ' " MEGA, I. Abt., Bd. 5, S. 435ff. 3 Hess an Marx 6., 20., 29. Mai, 5. Juni 1846. M. Hess, Briefwechsel (Den Haag, 1959). 1
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— die unserige — anlangt, so ist der Entwicklungsgang auch nur in den alten M[anu]s[kripten] zu studieren, und die äussere Geschichte habe ich in der Einleitung zum „Komm[unisten-]Prozess" gegeben.4 Dagegen ist der W[eitling]sche Kommunismus eine für sich abgeschlossene und gedruckt vorliegende Sache. Es fällt mir dabei ein, dass Du vielleicht auch das Kuhlmannsche Buch haben musst — die Prophetenreligion, die auf Weitling in der Schweiz folgte und viele seiner Anhänger hinüberzog.5 Ich habe es ganz vergessen, S[chlüter] zu geben. Ich lege Dir einen Brief Weitlings an Hess6 (aus dem Archiv) bei. Es war die Sitzung des kleinen Vereins engerer Genossen, worin es zum Bruch zwischen W[eitling] und uns kam. (Dieselbe Sitzung ist auch beschrieben von dem anwesenden Russen Annenkoff, abgedruckt in der Neuen Zeit vor einigen Jahren).7 Der Kasus war dieser: Hess war in Westfalen (Bielefeld etc.) gewesen, die Leute dort — Lüning, Rempel und andere — wollten die Mittel schaffen zur Herausgabe unserer Schriften, sagte er.8 Jetzt kam W[eitling] und wollte seine utopistischen Systemausarbeitungen und sonstigen grossen Werke (darunter eine neue Grammatik, worin der Dativ als Erfindung der Aristokraten abgeschafft war) sofort dort unterbringen — Sachen, die wir gerade in dem Augenblick kritisieren und bekämpfen mussten, wenn der Plan sich realisierte. Wie unsere Argumente sich im Kopf von W[eitling] verdreht widerspiegelten, zeigt der Brief. Er sah überall nur Brotneid, nur den Versuch, sein Genie zu unterdrücken, ihn „von den Geldquellen zu trennen". Aber in No. 5 und 6 seines Resüm6s tritt der prinzipielle Gegensatz zwischen ihm und uns doch klar genug hervor, und das ist die Hauptsache. Auf S[eite] 3 Z[eile] 10-12: Dies bezieht sich darauf, dass wir die grossen Utopisten in Ubersetzungen und mit kritischen Einleitungen Zur Geschichte des „Bundes der Kommunisten" Neuer Abdruck (HottingenZürich, 1885), S. 3-17. Engels stellte wohl die in Marx' Nachlass darüber vorhandenen Materialien zu einem Dossier zusammen; aber er konnte seinen Plan, die Geschichte des Bundes zu schreiben, nicht verwirklichen. 5 G. Kuhlmami, Die Neue Welt oder das Reich des Geistes auf Erden. Verkündigung (Genf, 1845). Es wurde im Abschnitt V. der Deutschen Ideologie kritisiert: „Der Dr. Georg Kuhlmann aus Holstein oder die Prophetie des wahren Sozialismus", MEGA, a.a.O., S. 519ff. ® Vom 31. März 1846, jetzt vollständig in M. Hess, Briefwechsel, S. 150ff. 7 Seine Schilderung erschien deutsch im Jahrg. I (1883) der Neuen Zeit, S. 236ff.; wieder abgedruckt in Der historische Materialismus. Die Frühschriften (Leipzig, 1932), S. 532ff. 8 S. Hess an Julius Meyer 17. Mai, Hess an Marx 20. Mai, Hess an Engels und Marx 17. Juli, Engels und Marx an Hess 27. Juli, Hess an Marx 28. Juli 1846. M. Hess, Briefwechsel. Dort auch die das Verhältnis zu den Druckern anders als Hess darstellenden Zitate aus Briefen J. Weydemeyers. 4
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und Noten deutsch herausgeben wollten — gegenüber den faselnden Berichten von Lorenz Stein, Grün u.a.9 Der unglückliche W[eitling] sieht darin nur ungerechte Konkurrenz gegen sein System. S[eite] 3 unten — E. ist Ewerbeck in Paris. Notabene: schliesslich stellte sich heraus, dass Moses [Hess] uns die Hauptsache verschwiegen, nämlich dass die Westfalen sich nur erboten hatten, für etwaige Verluste an unseren Sachen bei dritten Verlegern Garantie zu leisten; Moses hatte uns vorgemacht, sie, die Westfalen, wollten selbst den Verlag übernehmen. Sobald wir erfuhren, wie es stand, brachen wir natürlich sofort alles ab; westfälisch garantierte Schriftsteller zu sein, fiel uns nicht ein.10 Die Geschichte mit Kautskys hat uns alle in Erstaunen gesetzt. Louise hat sich in der ganzen Sache mit seltenem Heroismus benommen. K[autsky] war in einem vollständigen Rausch, ist aber bitter ernüchtert worden, als sein neuer Schatz innerhalb fünf Tagen ihn sitzen liess und sich mit seinem Bruder Hans verlobte.11 Jetzt wollen sie beide abwarten, was daraus wird; das sonderbarste aber ist, dass jetzt Louise sich darüber beklagt, wir alle seien gegen Karl ungerecht! Ich habe K[autsky] geschrieben, es sei der dümmste Streich seines Lebens gewesen; und wenn Louise das zu hart findet, so muss ich allerdings den Degen einstecken. Ich bin jetzt am III. Band „Kapital". Meine Augen soll ich noch sehr schonen, nicht mehr als zwei Stunden täglich schreiben und nur bei Tageslicht. Da wird meine Korrespondenz wohl sehr beschnitten werden müssen. Gruss an Singer Dein F. E. ® Die Ausgaben kamen nicht zustande. Gemeint sind L. Stein, Der Socialismus und Kommunismus des heutigen Frankreichs. Ein Beitrag zur Zeitgeschichte (Leipzig, 1842); K. Grün, Die soziale Bewegung in Frankreich und Belgien (Darmstadt, 1845). Weitlings Ansicht in dem Anm. 6 genannten Brief. 10 S. Anm. 8. 11 Es dürfte sich um ein Gerücht gehandelt haben.
1 2 1 . B E B E L AN
Original.
ENGELS
Plfauen-] Dr[esden], den 31. Oktober 1888. Lieber Engels!
Besten Dank für Deine Mitteilungen und den W[eitling] sehen Brief! Das rückständige Buch über die „Prophetenreligion" wirst Du wohl Schl[üter] noch einhändigen? Ich will Dir nicht zumuten, in Deinen alten Vorräten nach passendem Material herumzustöbern, da ich mir 340
sehr wohl vorstellen kann, wie sehr Du in Anspruch genommen bist; aber könntest Du dieses Geschäft nicht Schlüter übertragen, der zum Schnüffeln eine sehr gute Nase hat und der dabei manches ausgräbt, was Dir selbst zu diesem und jenem ganz gelegen kommt. Man wundert sich ja oft selbst, was man für gute Dinge noch vergraben hat, und wie nützlich sie sich verwenden lassen. Also überlege Dir die Sache. Mit Kautskys scheint alles wieder in Ordnung zu kommen, natürlich nachdem Karl pater peccavi gesagt, wie sich's gehört. Die kleine Frau nimmt ihn natürlich gegen Euch in Schutz; denn wenn er so schlecht wäre, wie Ihr und ich ihn gemacht haben, dann könnte sie ihn doch nicht wieder in Gnaden aufnehmen. In der Diplomatie sind uns die Weiber doch über, das merkst Du wohl auch jetzt. Karlchen hat sich übrigens hübsch blamiert in dieser Affäre. Meine Tochter sitzt noch immer bei Walthers auf der Brandeck,1 wo ihr der Aufenthalt sehr gut bekommt. Sie wird uns zu Weihnachten besuchen. An Gewicht hat sie sechzehn Pf[und] zugenommen, was bei vierundneunzig Pfund, die sie wog, sehr respektabel ist. Es ist sehr hübsch, dass Du an den dritten Band des „Kapital" gehst und so die Welt noch Aussicht hat, ihn zu erhalten. Ich wurde schon mehrseitig gefragt, wie es damit stände und werde, konnte aber keine Antwort geben. Erst in München Zeuge, muss ich nächste Woche schon wieder in gleicher Angelegenheit nach Düsseldorf.2 Die Geschichte wird mir etwas viel; denn sie kostet viel Zeit. Ich hoffe, dass diese ununterbrochenen Geheimbundprozesse den einen Vorteil haben, den Leutchen oben die Augen zu öffnen, wie sie sich blamieren, und dass es so nicht fortgehen kann. Für den nächsten Reichstag ist wieder hübsches Material zum Losschiessen vorhanden. Ich werde Dich auch in den nächsten Monaten nicht mit zuviel Briefen inkommodieren, ich weiss vor Arbeit und Inanspruchnahme nicht, wo anfangen. Herzlfichen] Gruss v[on] mir und Frau. D[ein] A . BEBEL.
Dr. Walthers Sanatorium im Schwarzwald. Im Miinchener Sozialistenprozess, 26.-27. Oktober, wurden Auer und zwölf andere Sozialdemokraten freigesprochen; Bebel und Singer traten als Entlastungszeugen auf. Darüber Der erste Nichtgentleman auf dem Zeugenstand (München, 1888). — Der Düsseldorfer Geheimbundsprozess begann am 8. Oktober; in ihm wurden elf Sozialdemokraten zu Gefängnisstrafen von sechs Monaten bis zu einer Woche verurteilt. 1
2
341
1 2 2 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 5. Januar 1889.
Original. Lieber Bebel!
Vorab herzliche Erwiderung Eurer freundlichen Neujahrswünsche! Wenn der Nebel erlaubt, soll ich Dir heute auf Aufforderung über zwei delikate Punkte schreiben. Beidemal wird befürchtet, dass L[iebknecht] auf seiner angemeldeten Reise nach hier und Paris die Partei in einer nicht wünschenswerten Richtung engagieren möchte, (wenn er nämlich allein kommt), und bei seiner Abhängigkeit von momentanen Stimmungen, (die wieder oft auf Selbsttäuschung beruht), kann ich den Leuten nicht ganz unrecht geben.1 In Paris handelt es sich um den Kongress oder die beiden Kongresse — den possibilistischen und den der Unseren, auf dem Gewerkschaftskongress von Bordeaux im Nov[ember] und jetzt wieder auf dem sozialistischen Kongress von Troyes beschlossenen internat[ionalen] Kongress.2 Lafargue befürchtet, Lfiebknecht] habe sich mit den Possibilisten eingelassen, und möglicherweise könntet Ihr deren Kongress beschicken. Ich habe L[afargue] geschrieben, dass dies meiner Ansicht nach für Euch rein unmöglich ist.3 Die Poss[ibilisten] haben die Unseren, die s[o]g[enannten] Marxisten, auf den Tod bekämpft, sich als alleinseligmachende Kirche aufgeworfen, die allen Verkehr, alles Zusammenwirken mit den anderen — Marxisten wie Blanquisten — absolut verbietet und mit der hiesigen alleinseligmachenden Kirche (der Socfial] Dem[ocratic] Fédération) eine Al1 Von französischer Seite war darauf angedrungen, dass die deutsche Sozialdemokratie sich für den Pariser Kongress, und zwar zugunsten der marxistischen Partei entscheide. Ch. Bonnier an Liebknecht 12., 14., 20. November 1888. Im Brief vom 14. November: „. . . C'est, je vous le répète, une question de vie ou de mort tranchée par le parti allemand... Je résume ma lettre de la façon suivante: Notre avis est que vous abandonniez votre idée de Congrès en Suisse, et que vous alliez à celui de Paris, après avoir demandé (et votre demande aura un poids énorme) qu'il n'y ait qu'un seul Congrès . . . " Die Reichstagsfraktion beschloss, den in St. Gallen beschlossenen Kongress zugunsten des internationalen Kongresses in Paris 1889 nicht abzuhalten. Es läge nun an den französischen Sozialisten, die Einladungen ergehen zu lassen; ihnen seien alle Adressen zur Verfügung gestellt. Liebknechts Reise sollte der Gewinnung der französischen und englischen Sozialisten für diesen Kongress dienen. Der Sozialdemokrat, Nr. 1, 5. Januar 1889. 2 Der dritte Kongress der Fédération Nationale des Syndicats trat am 28. Oktober 1888 in Bordeaux-Le Brouscat zusammen. Er beschloss, im nächsten Jahre zu einem internationalen Kongress in Paris einzuladen. L. Blum, Les Congrès Ouvriers et Socialistes Français, Bd. II (Paris, 1901), S. HOf. Der Kongress der Fédération des travailleurs socialistes, Troyes 23.-30. Dezember 1888, war ein Kongress der Anhänger Guesdes. Ebd., S. 109. 3 Engels an L. Lafargue 2. Januar 1889.
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lianz abgeschlossen, deren nicht geringster Zweck ist, der deutschen Partei solange überall entgegenzuwirken, als sie sich nicht dem sauberen Bund anschliesst und alle Gemeinschaft mit den anderen Franzosen und Engländern abschwört.4 Dazu sind die Poss[ibilisten] an die jetzige Regierung verkauft, ihre Reisegelder, Kongresskosten, Journale werden aus den geheimen Fonds gedeckt, alles unter dem Vorwand, den Boulanger zu bekämpfen und die Republik zu verteidigen, also auch die opportunistischen Ausbeuter Frankreichs, die Ferrys, ihre jetzigen Alliierten. Und sie verteidigen die jetzige radikale Regierung, die, um am Amt zu bleiben, den Opportunisten alle schmutzigen Dienste tun muss, die bei Eudes Begräbnis aufs Volk einhauen liess und in Bordeaux und Troyes, ganz wie in Paris, gegen die rote Fahne wütender auftritt als irgendeine Regierung vor ihr. Mit dieser Bande zusammenzugehen, wäre Verleugnung Eurer ganzen bisherigen auswärtigen Politik. Diese Gesellschaft hat vor zwei Jahren in Paris mit den verkauften englischen] Trades Unions gemeinsame Sache gegen die sozialistischen] Forderungen gemacht, und wenn sie hier im Nov[ember] anders auftraten, so war es, weil es nicht anders ging. Dazu sind sie nur in Paris stark, in der Provinz sind sie Null. Beweis: In Paris können sie keinen Kongress halten, weil die Provinzialen entweder wegblieben oder feindlich sein würden. In der Provinz können sie auch keinen halten. Vor zwei Jahren gingen sie in ein verborgenes Nest der Ardennen; dies Jahr glaubten sie in Troyes unterzukommen, wo einige Arbeiter-Stadträte nach der Wahl ihre Klasse verraten hatten und sich an sie anschlössen. Aber diese wurden nicht wiedergewählt, und das Komitee — ihr eigenes Komitee — lud alle französischen] Sozialisten ein. Darob Entsetzen im Pariser Lager; Versuch, dies rückgängig zu machen, umsonst. Und so gingen sie nicht zu ihrem eigenen Kongress, von dem unsere Marxisten Besitz nahmen und ihn mit Glanz durchführten. Was die Gewerkschaften Das zeigte sich wieder, als Der Sozialdemokrat in Nr. 3, 19. Januar das Verhalten der Possibilisten kritisiert hatte, die nicht den sozialistischen, sondern den republikanischen Sammelkandidaten unterstützten. Ihr Organ Le Prolétariat wies am 27. Januar die Kritik in einer Erklärung zurück, in der es hiess: „Wir lenken die Aufmerksamkeit aller sozialistischen Parteien der Welt auf dieses Gebaren der deutschen Sozialdemokratie, sich in die Angelegenheiten der sozialistischen Parteien anderer Länder zu mischen. Was uns anbetrifft, so haben wir zu wiederholten Malen geschrieben, dass wir ebensowenig für sozialistischen Pangermanismus wie für den Bourgeois-Pangermanismus sind. Und man kann in der Umgebung der früheren autoritären Führer der Internationale darauf rechnen, die französische Arbeiterpartei lässt sich nicht leithammeln." Der Sozialdemokrat, Nr. 5, 3. Februar; hier auch die Feststellung, dass keine sozialistische Partei und kein sozialistisches Blatt in irgendeinem Lande die Haltung der Possibilisten gebilligt habe.
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der Provinz von ihnen halten, beweist inliegender] Beschluss des Bordeauxer Gewerkschaftskongresses vom Nov[ember], — Sie haben in Paris neun Mann im Stadtrat, deren Hauptzweck ist, Vaillants sozialistischer Tätigkeit unter allerhand Vorwänden entgegenzuwirken, die Arbeiter zu verraten und dafür für sich und Anhang Geldbewilligungen und Alleinherrschaft über die Arbeitsbörse zu erhalten. Die Marxisten, die die Provinz beherrschen, sind die einzige antichauvinistische Partei in Frankreich, haben sich durch ihr Auftreten für die deutsche Arbeiterbewegung in Paris unpopulär gemacht, und einen ihnen feindlichen Kongress in Paris zu beschicken, wäre ein Faustschlag, den Ihr Euch selbst ins Gesicht gäbt. Sie haben auch die richtige Methode, den Boulanger zu bekämpfen, der die allgemeine Unzufriedenheit in Frankreich repräsentiert. Als B[oulanger] in Montl[ugon] ein Bankett halten wollte, nahmen unsere Leute 300 Karten, um ihn durch Dormoy — ein sehr tüchtiges Kerlchen — vor sehr kategorische Fragen über seine Stellung zur Arbeiterbewegung etc. zu stellen. Als der brave General dies erfuhr, liess er das ganze Bankett absagen!5 Nebel verbietet Weiteres für heute. Bis über ein paar Tage. Dein 5
F. E.
S. a. P. Lafargue an Engels 3. Januar 1889.
1 2 3 . B E B E L AN
Original.
ENGELS
Dr[esden-] Pl[auen], den 8. Januar 1889.1 Lieber Engels!
Deinen Brief erhalten. L[ieb]k[necht] war gestern gerade hier, als ich ihn empfing, um wegen des Kongresses Rücksprache mit mir zu nehmen. Dein Brief kam also ganz ä propos. Nach Deinen Schilderungen wie nach den Mitteilungen anderer sind die Verhältnisse der Franzosen durch und durch faul. Nachdem aber der Beschluss auf dem Londoner Kongress gefasst wurde, dies Jahr in Paris zu tagen, muss dieser Beschluss respektiert werden. Wir müssen also versuchen, die Streitenden für die Zwecke des Kongresses zusammenzubringen. Den einen dem anderen vorziehen, geht nicht, weil wir nicht bloss den Zurückgesetzten verletzen, sondern auch alle diejenigen, welche dem Streit fernstehen und um jeden Preis eine 1 Im Original: 1888. Engels teilte P. Lafargue die Hauptpunkte dieses Briefes mit, 14. Januar 1889.
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Gesamtvertretung wollen. Z.B. verlangt Nieuwenhuis, dass auf alle Fälle die Possibilisten herangezogen würden, und betrachtet dies als Bedingung ihres, der Holländer Erscheinens. Wie ich die Belgier kenne, werden sie das gleiche verlangen. Um zu versuchen, was möglich ist, und den Leuten zu zeigen, wer die Schuld trägt, wenn die Franzosen sich nicht einigen, ist eine Konferenz, die in Nancy stattfinden soll,2 entscheidend. Dort sollen beide oder die drei streitenden Parteien, ferner die Belgier, die Holländer, die Schweizer und wir vertreten sein. Dort mögen sich die Franzosen aussprechen, und die übrigen mögen eine Art Schiedsrichteramt bilden und die Bedingungen formulieren, unter welchen allein der Kongress stattfinden kann. Wer darauf nicht eingeht, ist für alle sichtbar der Störenfried. Du musst bedenken, dass aus dem Umstände, dass die Führer der Possibilisten Lumpen sind, nicht geschlossen werden kann, dass es auch ihr Gefolge ist. Man kann die Masse nicht mit den Führern in einen Topf werfen. Die Masse würde aber verletzt, wenn man ihre Führer ohne weiteres zurückstiesse; damit gewinnen wir erstere nicht. Meines Erachtens muss proponiert werden, dass auf dem Kongress innere französische Parteiangelegenheiten nicht erörtert werden dürfen, und dass dem, der damit beginnt, sofort das Wort zu entziehen ist usw. Ein Modus lässt sich schon finden. Gelingt es dann, die Leute von beiden Seiten auf einige Tage nebeneinander zu bringen, ohne dass sie hintereinander geraten können, so kann gerade das sehr nützlich für die ganze Bewegung werden. Bei allen diesen Streitereien ist immer das Schlimme, dass sich die Leute in der Regel nur aus der Entfernung kennenlernten, und zwar nach dem Bilde, das man ihnen vom anderen entworfen hat. Es darf niemand sagen, ich gehe nicht zum Kongress, weil jener hinkommt. Es ist kein französischer Kongress. Kannst Du Ede nicht ein wenig die Ohren steifen, dass er sich nicht J[ulius] M[otteler] gegenüber so waschlappig benimmt? Dass J[ulius] M[otteler] so einen nach dem anderen hinausbeisst, macht böses Blut. Wenn's ihm mal einfällt, davongehen zu wollen, halte ich ihn nicht. Es hat alles seine Grenze. Mit den besten Grüssen D[ein] A. B. Liebknechts Plan, eine Vorkonferenz in Nancy abzuhalten, an der drei Ausländer und je ein Vertreter der drei französischen Gruppen — Blanquisten, Possibilisten, Marxisten — teilnehmen sollten, wurde nicht ausgeführt. Engels an P. Lafargue 14. Januar, L. Lafargue an Engels 15. Januar 1889. 2
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124. B E B E L AN
Original.
ENGELS
Dr[esden-] Pl[auen], den 17. Februar 1889. Lieber Engels!
Du wirst wohl wissen, dass den 28. Februar im Haag eine Konferenz wegen des Kongresses sein soll.1 Die Possibilisten sehen wohl ein, dass sie nachgeben müssen. Vermutlich hat ihnen die Wahl vom 27. Januar die Augen geöffnet. Werden die französischen und speziell die Pariser Arbeiter jetzt noch nicht klug, dann ist ihnen nicht zu helfen. Du hast vollkommen recht, dass man deutsche und französische Verhältnisse nicht miteinander vergleichen kann, es darf aber auch nicht vergessen oder übersehen werden, dass das französische Proletariat, trotz seiner grossen Erfahrungen und all der Niederlagen, die es erlitt, es bis jetzt noch nicht zu einer geschlossenen proletarischen Partei, die sich in Gegensatz zu allen übrigen Parteien stellt, gebracht hat. An Mut hat es den französischen] Arbeitern nie gefehlt, aber an theoretischer Einsicht und an richtigem Klassenbewusstsein; sonst wäre das Schauspiel unmöglich, das sich jetzt seit soundso viel Jahren vor unseren Augen abspielt. Es war mir interessant, in dem Bericht Kautskys über die Pariser Wahl in der Gleichheit zu lesen, Paris sei wesentlich eine kleinbürger1 An der auf Anregung von F . Domela Nieuwenhuis und der Belgischen Arbeiterpartei — E . Anseele an Liebknecht 17., 19., 26. Januar 1889 — von der deutschen Sozialdemokratie einberufenen, in Nieuwenhuis' Hause in Den H a a g tagenden Konferenz nahmen je zwei Vertreter der belgischen, deutschen, holländischen und schweizerischen Sozialdemokratie sowie P. Lafargue teil. Die Possibilisten hatten den Besuch abgelehnt. Allgemein war der Wunsch, dass internationale Kongresse in Zukunft nur nach vorheriger Vereinbarung der Arbeiterparteien und nicht von den Vertretern einer Nation einberufen würden. „ U m aber für diesmal eine Verständigung anzubahnen und der Welt das Schauspiel zweier gleichzeitig tagender internationaler Arbeiterkongresse oder eines neuen Rumpfkongresses zu ersparen, ward beschlossen, den Possibilisten insoweit entgegenzukommen, ihr Londoner Mandat in bezug auf die Vorbereitungen etc. des Kongresses anzuerkennen, von ihnen aber zu verlangen, dass sie die Festsetzung der Tagesordnung, die Einladungen zum Kongresse etc. in Gemeinsamkeit mit den übrigen Arbeiterparteien vornehmen. Gehen sie darauf nicht ein, so werden sie, nach der Stimmung, die in der Konferenz herrschte, zu schliessen, ihren Kongress unter sich abhalten können." Der Sozialdemokrat, Nr. 10, 9. März. S. a. F . Domela Nieuwenhuis, Von Christen tot Anarchist (Amsterdam, o.J.), S. 270ff. Die von der Konferenz beschlossene Resolution im Sozialdemokrat Nr. 14, 6. April. Darin: „ D i e Einberufung soll erklären: 1. dass der Pariser internationale Kongress vom 14. bis zum 21. Juli 1889 tagen wird; 2. dass er allen Arbeitern und Sozialisten der verschiedenen Länder offen steht unter Zulassbedingungen, die den politischen Gesetzen, unter denen sie leben, angepasst sind; 3. dass der Kongress in bezug auf die Mandatsprüfung und die Festsetzung der Tagesordnung souverän ist." S. a. P. Lafargue an Engels 5. März 1889.
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liehe Stadt.2 So habe ich Paris und ganz Frankreich immer aufgefasst, und daher der kleinbürgerliche Radikalismus und das Embryonenhafte der sozialistischen Bewegung.3 In Frankreich geht der Arbeiter noch mit dem radikalen Kleinbürger zusammen. Bei uns hat das infolge der Zuspitzung der Klassengegensätze vollständig oder nahezu vollständig aufgehört. Wir haben ein Massenproletariat, wie es die Franzosen nicht besitzen, darum sind wir so viel weiter als jene, wozu noch die höhere theoretische Bildung der deutschen Arbeiter kommt. Bei uns geht die Sache wirklich famos, überall marschiert's vorwärts; ich bin wirklich neugierig, welche Stimmenzahl uns die nächste Wahl in den Schoss wirft. Wenn wir nur dann nicht wieder hinter Schloss und Riegel sitzen, sondern fest eingreifen können, wenn's zur Wahl kommt. Im Haag wird's ja doch wahrscheinlich auch zu einer Erörterung der französischen Parteiverhältnisse kommen, und da wird man ihnen wohl sagen müssen, was man von unseren Leuten in Frankreich erwartet. Absolute Trennung von jeder wie immer sich nennenden bürgerlichen Partei und einmütiges und geschlossenes Vorgehen; der ganze Schulstreit ist müssig. Die Leute müssen sich ein gemeinsames Programm geben und müssen eine gemeinsame Leitung haben. In unseren oberen Regionen kracht's. Bismarck wird der Intrigen und der Gegner, die auf seinen Sturz arbeiten, nicht mehr Herr. Nun ist's zwar wahrscheinlich, dass er nicht so leicht geht; denn seine Autorität gilt noch viel, und der Kaiser, der am liebsten selber die Politik leiten möchte, riskiert nicht, ohne oder gar gegen ihn zu handeln. Aber er (Bismfmarck]) ist denn doch in einem Alter, wo die alte Energie nicht mehr da ist. Er muss jetzt erleben, dass seine Intimsten, die Natfional] liberalen, bereits öffentlich mit der Möglichkeit seines Rücktritts oder seines Todes rechnen. Das ärgert begreiflicherweise ihn sehr, und doch kann er die Tatsache nicht aus der Welt schaffen. Geht oder stirbt Bismarck, dann geht das Durcheinander erst recht los. Des Kaisers Neigungen gehören der „Junkerei und der Muckerei", beide tragen auch die Köpfe sehr hoch und fühlen I m Artikel „Boulangers Wahl", Gleichheit, Wien, Nr. 5, 1. Februar. Boulanger hatte a m 27. Januar fast eine Viertelmillion, die vereinigten Republikaner 162.000 und die unabhängigen Sozialisten 17.000 Stimmen erhalten. 8 Engels an L . L a f a r g u e 4. Februar 1889: „ . . . And when Bebel says in the Vienna Gleichheit: ,die Pariser Arbeiter haben sich in ihrer Mehrheit einfach erbärmlich benommen — mit ihrer sozialistischen und klassenbewussten Gesinnung muss es sehr traurig stehen, wenn nur 17.000 Stimmen auf einen sozialistischen Kandidaten fallen und ein Hanswurst und D e m a g o g wie Boulanger 244.000 Stimmen erhält' — nobody can say that h e is w r o n g . . 2
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sich. Wer dann gewinnt, sind wir. Wir werden eine grosse Menge neuen Anhanges bekommen, aber natürlich auch teilweise zweifelhafter Natur. Die bürgerliche Opposition geht in die Brüche, sie hat nicht mehr den Mut zu kämpfen, und die Bourgeoisie lässt sie im Stich. Wie die Dinge dann weitergehen, lässt sich schwer sagen. Wahrscheinlich werden wir dann bald zum Kriege kommen, und der junge Herr brennt darauf, sich Lorbeeren zu erwerben, und hat schwerlich eine klare Vorstellung, was sonst auf dem Spiele steht. Von dem ökonomischen Krach, der mit der Kriegserklärung beginnt, und von den Folgen, die es haben wird, wenn einige Millionen Kleinmeister und Kleinbauern ins Feld rücken und damit ihr Geschäft liquidieren müssen, macht er sich kaum eine rechte Vorstellung. Aber auch die grossen Unternehmungen fallen wie die Fliegen. Es ist in den letzten Jahren, ohne viel Geräusch, in Deutschland immens gegründert worden. Vor allen Dingen in Berlin, wo ein ganz unglaublicher Reichtum sich konzentriert hat und die Grund- und Bodenwerte, infolge dieser Konzentration, einen für unmöglich gehaltenen Wert erreichten. Aber das alles ist hohl, das gestand mir ganz kürzlich einer der Direktoren der Deutschen Bank, die bei einer Menge grosser Unternehmen — auch kolonialpolitisch in Samoa und Westafrika — engagiert ist. Vielleicht kommt aber auch der Anstoss zur Katastrophe von Frankreich. Gelänge es Boulanger, an die Spitze zu kommen, so ist für mich sicher, dass dann selbst Bismarck — der im übrigen die Situation klar überschaut und nach Kräften von einem Krieg zurückhält — diesen Moment für den geeigneten hält, mit Frankreich sich auseinanderzusetzen. In Frankreich täte man gut, sich darüber nicht zu täuschen. Frau Bahlmann4 hat's bei Euch sehr gut gefallen. Mit den besten Grüssen an Euch alle
D[ein] A . BEBEL.
Veranlasse doch, dass Ede nach dem Haag kommt.
Die Frau Ignatius Bahlmanns, des Teilhabers einer grossen holländischen Textilfirma. Obwohl katholisch, stand Bahlmann mit vielen sozialistischen Führern in Verbindung. E r hatte eine Vorliebe für die deutsche Partei und suchte in ihrem Sinne zu wirken; u.a. unterstützte er Zeitungen. 4
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125. B E B E L AN
Original.
ENGELS
Dr[esden-] Pl[auen], den 26. Februar 1889. Lieber Engels!
Da Liebknecht die Korrespondenz ausschliesslich mit den Possibilisten führt und eine Antwort von ihm an mich frühestens morgen abend da sein könnte, kann ich dieselbe nicht abwarten, sondern muss sofort schreiben. Es ist nicht wahr, dass die Possib[ilisten] zuletzt eingeladen wurden. L[ie]bk[necht] hat mit ihnen eine sehr umfängliche Korrespondenz1 geführt — mehrere Briefe habe ich gelesen —, sie sind auch ebenso früh wie die anderen in den Haag eingeladen worden, sie lehnten aber ab, zu kommen. Ob Liebknecht nach der Konferenz im Haag noch Fragen hat gestellt bekommen seitens der Possib[ilisten], glaube ich nicht, er hätte mir sicher etwas gesagt. Ich weiss nur, dass wir beide ungeduldig waren, von den Belgiern, welche im Auftrag der Haager Konferenz die Verhandlungen mit den Possibfilisten] pflogen, keine Antwort zu erhalten.2 Die Belgier hatten Auftrag, die Vorschläge der Konferenz den Possibilisten zu unterbreiten, womöglich selbst nach Paris zu reisen und ihnen zu erklären, dass, wenn sie [die] Bedingungen nicht akzeptierten, wir, die wir im Haag vertreten waren, mit der Einberufung eines Kongresses für Septembfer] vorgehen würden. Käme die Einigung zustande, sollte der Kongr[ess] am 14. Juli, wie ihn die Possib[ilisten] einberufen, stattfinden. Durch die Dir bekannten Vorgänge wurden die Haager Abmachungen über den Haufen geworfen.3 Ob die Possibilisten noch von anderen Leuten als von L[ie]b[knecht] Briefe haben, weiss ich nicht; das könnte nur von Schippel
Im Original: Konferenz. Engels an P. Lafargue 10. April 1889: „ . . . Bebel paraît dégoûté de tant de difficultés, et prêt à abandonner tout à Liebknecht. Et les Belges ne leur répondent pas, ni à Bebel ni à Liebknecht. Heureusement nous avons le secret des Belges. Anseele qui est honnête l'a écrit à Bernstein; ils vont soumettre les résolutions de La Haye à leur congrès national à Jolimont, 22 avril, et leur conseil national n'agira qu'après autorisation par le congrès. Voilà comment ces bons Bruxellois entendent l'action internationale." 3 Der Sozialdemokrat berichtete in Nr. 11, 16. März, die Possibilisten hätten die Vorschläge der Haager Konferenz abgelehnt; sie wollten sich die Macht sichern, ihnen unbequeme französische Delegierte vom Kongress auszuschliessen.
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oder Vollmar sein.4 Deren Briefe kennenzulernen, würde uns allen Vergnügen machen. Dass L[ie]bk[necht] geschrieben, der Kongress werde dieses oder nächstes Jahr stattfinden, ist sehr wahrscheinlich, das war unser aller Meinung. Was die Possib[ilisten] mit all diesen kleinlichen Einwürfen wollen, verstehe ich nicht. Wir kümmern uns um das ganze Geschreibsel nicht und ebensowenig wohl auch die anderen. Wir werden nach Paris ziemlich zahlreich kommen, bis jetzt sind fünf Personen bekannt, und ich hoffe, es werden wenigstens zwanzig.5 Schweizer und Österreicher gehen unbedingt mit uns, das gleiche behauptet L[ie]bk[necht] von den Dänen, durch die er auch die Skandinavier auffordern liess. Die Holländer und von den Belgiern die Genter wollen auch mit uns gehen, der andere Teil der Belgier tritt für die Vereinigung ein. Gelingt es nun, ein paar Engländer noch auf unsere Seite zu bringen, dann haben wir einen Kongress, der sich sehen lassen kann. Die Vereinigung ist nur auf dem Boden voller Gleichberechtigung möglich, anders nicht. Den Possib[ilisten] nachzulaufen, fällt keinem von uns ein. Du kannst von obigem veröffentlichen, was Dir gut dünkt, auch Dich dabei auf mich berufen. Herzlichen] Gruss v[on] D[einem] A. B. Solche Briefe liegen nicht vor. Es erschienen schliesslich einundachtzig Vertreter deutscher Organisationen auf dem Kongress.
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1 2 6 . B E B E L AN
ENGELS
Pl[auen-] Dr[esden], den 28. März 1889.
Original. Lieber Engels!
Uns kann unmöglich der Vorwurf gemacht werden, dass seit der Haager Konferenz noch nichts geschehen sei. Du weisst doch so gut wie ich, dass in dieser ganzen Zeit die Verhandlungen kein Ende genommen haben und dass erst seit einigen Tagen feststeht, wie einige der Hauptbeteiligten sich zu der Angelegenheit stellen. Ich habe mehrfach an die Belgier geschrieben gehabt, bis endlich eine Antwort kam. Den Belgiern entsprechend verfahren die Holländer, die ebenfalls beide Kongresse besuchen wollen, also auch sich in 350
Widerspruch mit den Beschlüssen der Haager Konferenz gesetzt haben.1 Damit wäre eigentlich der zweite Kongress überhaupt ins Wasser gefallen, weil die Beschlüsse im Haag vollständig durchkreuzt wurden durch einen Teil derjenigen, die sie beschliessen halfen. Nun wirst Du weiter wissen, dass Auer im Volksbl[att] und Schippel in der Volk[s-] Tr[ibüne] dafür eintreten, den possibilist[ischen] Kongress zu besuchen.2 Davon kann nun ganz und gar keine Rede sein. Es wird sich also darum handeln, ob der zweite Kongress dennoch stattfinden soll; und da müssen wir bei den vorhandenen Meinungsverschiedenheiten und der Eigenartigkeit der Situation erst mündlich darüber verhandeln, und das kann vor Wiedereröffnung des Reichstages nicht geschehen. Dass es an und für sich lächerlich ist, wenn zwei internationale Kongresse mit ein und derselben Tagesordnung innerhalb sechs Wochen hintereinander tagen, das wirst Du mir denn doch zugeben müssen. Der „Sieg" der Possibilisten macht mir nicht eine Stunde Kopfschmerzen, nicht eine Sekunde; durch eine Erklärung unsererseits, der Schweizer und der Österreicher wäre der Kongress ein elender Rumpfkongress, der beschliessen mag, was er will. Er wäre noch fauler als der Londoner Kongress.3 Entscheiden wir uns nun für den zweiten Kongress, so wäre ich dafür, dass er Ende August stattfände, das würde uns für den Fall der Wahlen auch besser passen. Morgen kommt L[ie]b[knecht] her, und da werde ich Rücksprache mit ihm nehmen und die Einteilung der Korrespondenz verabreden. Nachdem er einmal die Sache übernommen hat, kann ich mich ohne Verständigung mit ihm nicht hineinmischen, sonst verletzte ich ihn, und es gibt Konfusion. An Euch wäre es, zu sorgen, dass wir eventuell auch ein paar Unterschriften einflussreicher Engländer haben. 1 Holland und Belgien entsandten Delegierte zu beiden Kongressen mit dem Auftrag, für die Einheit einzutreten. F. Domela Nieuwenhuis, a.a.O. Über den Kongress der belgischen Sozialisten am 22. April in Jolimont, der diesen Beschluss fasste, s. Der Sozialdemokrat, Nr. 18, 4. Mai. 2 Gegen die Aufsätze der Berliner Volks-Tribüne, „Der Internationale Arbeiterkongress der französischen Possibilisten", Nr. 15, 13. April, „Zum Pariser Arbeiterkongress", Nr. 17, 27. April, und gegen Auers in der Osternummer des Volksblatt geäusserte Ansicht, wenn die Deutschen durch Teilnahme am Possibilisten-Kongress Bereitschaft zur Verständigung zeigten, würden diese vernünftigen Vorstellungen zugänglich sein, polemisierte Der Sozialdemokrat in Nr. 18, 4. Mai. 3 Der Londoner Kongress, 6.-10. November 1888, war von 78 englischen, 18 französischen, 13 holländischen, 10 belgischen, 2 dänischen und einem italienischen Delegierten besucht.
351
Ich werde Dir sobald als möglich schreiben, wie wir uns die Erledigung der Angelegenheit denken. Lee 4 hat in den letzten Tagen auch noch an mich geschrieben und plädiert für Besuchung des Kongresses der Poss[ibilisten], Ich habe ihm nicht geantwortet. Mit best[em] Gruss D[ein] A . BEBEL.
H. W. Lee, seit 1885 leitender Sekretär der Social Democratic Federation, seit 1907 ihrer Nachfolgeorganisation, der Social Democratic Party. Bebel hatte ihn bei seinem Besuch in London im November 1887 kennengelernt.
4
127. B E B E L AN
Original.
ENGELS
P[lauen-] Dr[esden], den 31. März 1889. Lieber Engels!
Bezüglich Deiner Kongressbriefe 1 kann ich Dir leider noch keine bestimmte Antwort geben, weil wir in der Fraktion, infolge der Abwesenheit L[ie]bk[necht]s, noch nicht Stellung nehmen konnten. Das wird erst in den nächsten Tagen geschehen. Gross ist der Eifer für einen intern [ationalen] Kongress nicht, und zwar infolge der Streitigkeiten und Spaltungen, die es zu keinem ordentlichen Kongress kommen lassen werden. Die Belgier haben auf meine Anfrage noch nicht geantwortet, auch Engels' Briefe liegen nicht vor. Ihr Inhalt ist Engels' Briefen an P. Lafargue, 23. und 27. März, zu entnehmen. 23. März: „. . . D e l'autre côté j'ai écrit à Bebel qu'il n'a p a s le droit de vous poser un ultimatum, et de dire: si les Belges trahissent la parole donnée, nous sommes libres et nous ne viendrons pas au congrès; qu'eux aussi les Allemands sont engagés trop loin pour se retirer d e la sorte, et que la retraite des Belges, si elle se faisait, ce que nous ne savons pas, ne délierait pas les autres de leurs obligations mutuelles. Bebel est un homme d e gTand sens commun et j'ai tout lieu de croire qu'il se ravisera, à moins que vous ne fassiez d e ces nouvelles difficultés, et tâchiez de revenir sur les résolutions une fois prises à L a Haye." Bebel hatte, in Beantwortung eines Briefes P. Lafargues an Liebknecht, am 15. März Ch. Bonnier mitgeteilt, Lafargues Vorschlag, einen Kongress gegen die Possibilisten ebenfalls zum 14. Juli nach Paris einzuberufen, stände im Widerspruch zu den Haager Beschlüssen. E s müsse alles vermieden werden, was sie durchkreuzen könne. Sei der Kongress auf dieser Grundlage nicht möglich, dann seien alle Beteiligten frei; die Deutschen würden dann wahrscheinlich in dem Jahre einen Kongress nicht besuchen. Engels an P. L a f a r g u e 27. März: „ . . . E t j'ai exposé conscientieusement votre argumentation à Bebel en le priant de la prendre en considération sérieuse; mais j'ai dû ajouter que dans mon opinion la réunion du congrès, n'importe à quelle date, devait rester assurée, et que toute démarche qui mettait en danger cette réunion serait un faux p a s . "
1
352
L[ie]bk[necht] hatte vor zwei Tagen noch keine Antwort. Die scheinen sich aussohweigen zu wollen. L[ie]bk[necht] behauptet, an zwei Personen nach England geschrieben zu haben. Das spasshafte ist, dass er die Fruchtlosigkeit meiner Versuche vor eineinhalb Jahren, die Engländer zu gewinnen, auf meine gänzliche Unbekanntschaft mit ihnen bezog; er, der mit Shipton2 etc. genau bekannt sei, wäre mit ihnen zurechtgekommen. Nun ist die Angelegenheit durch ihn in England um kein Haar breiter gefördert worden. Kommt der Kongress noch zustande, so vor Anfang September kaum; es soll doch Kollektiveinladung erfolgen. Vielleicht machen sie uns auch durch das neugeplante Ausnahmegesetz bzw. das verschärfte Strafgesetz den Besuch unmöglich; darauf abgesehen ist es. Dass zwei Kongresse gleichzeitig tagen, ist einfach Unsinn; was die Leute, die für beide Mandate haben, eigentlich machen wollten, wüsste ich nicht. Auch gewänne ein solches gleichzeitiges Nebeneinandertagen das Aussehen eines Wettrennens, und dazu meine Unterschrift zu geben, schämte ich mich ein wenig. Dass zwei Kongresse in einem Jahre tagen, sieht schon sehr lächerlich aus und gibt den Gegnern hinreichende Gelegenheit zu Spott. Die Unreife der Führer der Bewegung, die sich in einer die Arbeiterklasse der ganzen Welt angehenden hochwichtigen Frage nicht einigen konnten, tritt damit hell ans Licht. Das betonte ich auch scharf und nachdrücklich im Haag. Hätten die Leute ein wenig Ehr- und Schamgefühl, so musste der Eindruck der Spaltung vermieden werden; aber die kleinen persönlichen und nationalen Interessen überwiegen die allgemf einen] Interessen bei einem Teil der Führer. Das wird namentlich bei uns, wo man die Sache ernst nimmt und nicht als Spielerei und zur Befriedigung der Eitelkeit einzelner veranstaltet auffasst, unangenehm empfunden. Käme der zweite Kongress aus irgendwelchen Gründen nicht zustande, so sähe ich darin in gar keiner Weise ein Zeichen unserer Schwäche und Ohnmacht. Eine Veröffentlichung der Gründe müsste alsdann erfolgen, und die würden uns rechtfertigen. Blieben Deutsche, Österreicher und Schweizer dem Kongress fem, so wäre dieser gerichtet. Es ist wahrscheinlich, wenn auch nicht absolut sicher, dass wir im Herbst ebenfalls Wahlen haben; das würde unsere Beteiligung ganz bedeutend einschränken. Ein anderes Ereignis droht uns ebenfalls einen Strich durch die Rechnung zu machen. Du wirst von dem
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George Shipton, englischer Gewerkschafter, Redakteur des Labour
Standard.
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Prozess gelesen haben, der im Wuppertal stattfinden soll.3 Hundertachtundzwanzig Angeklagte, vierhundertunddrei Zeugen. Unter ersteren Grillenberger, Schumacher und Harm. Nun erklärt der Staatsanwalt, er wolle nach Schluss der Reichstagssession erwägen, ob nicht die gesamte Fraktion und namentlich „die Einberufer des St. Galler Kongresses" ebenfalls mit unter Anklage als Gründer und Leiter der „geheimen" Verbindung über Deutschland anzuklagen seien.4 Erfolgt das, und die Ankündigung der Absicht ist so gut wie ihre Ausführung, so haben wir mitten im Sommer auf mindestens sechs bis acht Wochen alle nach Elberfeld zu rücken. Ich halte zwar die Anklage für absurd, aber was hat da unsere Ansicht für einen Wert. Würden wir nun auch nicht verdonnert, wie ich glaube, so würde uns doch der Prozess nicht allein eine Menge Zeit, sondern auch enorme Kosten verursachen. Ich schlage dieselben, ohne die späteren Unterstützungen für die Familien eines Teiles der verurteilten Angeklagten — ein grösserer Teil der jetzt Angeklagten wird höchstwahrscheinlich verurteilt — auf ca. fünfzigtausend M[ark] an. Das ist ein gewaltiger Aderlass, der unseren Genossen appliziert wird und mit in Berücksichtigung gezogen werden muss. Ich bitte, nichts von vorstehendem zu veröffentlichen. E[de], M i t teler] etc. darfst Du aber den ganz nachdrücklichen Rat geben, sich in ihren Korrespondenzen nach Deutschland und in ihrem Verkehr mit Personen in London aufs äusserste in acht zu nehmen. Die Elberfelder Anklage hat die allbekannte Basis,5 und kämen wir hinein, so haben wir die zweite vermehrte und verschärfte Auflage des Freiberger Prozesses. Sage E[de] speziell, er soll sich vor Gilles6 gründlich hüten, der wurde mir jetzt selbst von einem fortschrittlichen Reichst[ags]abg[eordneten] als durchaus faul und zweifelhaft bezeichnet. E[de] ist schon verschieden hereingefallen mit seiner Guthannsigkeit, und
'
Der Elberfelder Geheimbundprozess, s. Brief Nr. 138. Eine offensichtlich von Bebel stammende, im Leitartikel „Gesetzlichkeit" — Der Sozialdemokrat Nr. 17, 27. April — verarbeitete Zuschrift befasste sich mit der zuerst vom Hamburger Korrespondent gebrachten Nachricht, dass gegen die ganze Fraktion als Leiterin des in Elberfeld aufgedeckten „Geheimbundes" Anklage erhoben werden solle. Es wurde darin festgestellt, dass der Wortlaut dieser Meldung mit einem Passus der Anklageschrift übereinstimme, die Amtsgeheimnis sei. 5 S. darüber Brief Nr. 138, Anm. 3. • Ferdinand Gilles, demokratischer, später sozialdemokratischer Literat, schrieb mehrere Broschüren, u.a. Bureaukratische Missgriffe. Eine Denkschrift in Sachen der Massregelung demokratischer Blätter auf Grund des Sozialistengesetzes, sowie über des Verfassers Stellung zur Sozialdemokratie (Leipzig, 1886). Er kam wahr4
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Gfilles] ist ein aalglatter Bursche. Auf allgemeines kann ich wegen Mangel an Zeit nicht eingehen. Mit d[en] best[en] Grüssen Dein A. B. scheinlich 1886 nach London, war dort im Comm. Arb.-Bildungsverein tätig, Mitarbeiter der Londoner Arbeiter-Zeitung. Machte jahrelang durch seine Quertreibereien in der Emigration von sich reden; 1891 als Spitzel entlarvt. S. etwa Der Sozialdemokrat, 1887, Nr. 33, 34, 36, 38, 39; 1888, Nr. 1, 1. Januar „Urteil des Schiedsgerichts in Sachen Gilles", Nr. 2 u.ö.
1 2 8 . B E B E L AN
ENGELS
Dresden-Plauen, den 14. April 1889.
Original.
Lieber Engels! Deine beiden Briefe erhielt ich.1 Den ersten, auf den ich direkt antworten sollte, übersah meine Frau, mir nach B[erlin] zu senden; so erhielt ich ihn erst gestern abend, als ich zugleich in den Besitz des zweiten eben gekommen war. Da weiter Lee sich direkt an mich gewandt hatte Anfang dieser Woche und ich ihm geantwortet hatte, so war der gewünschte Brief überflüssig. An L[ie]bk[necht] hat er auch geschrieben. Ich habe, ohne Deinen Brief zu kennen, genau in dem Sinne Lee geschrieben, wie Du vorschlugst. Die Haager Stipulationen müssten erfüllt werden, sonst sei ein Zusammengehen unmöglich, auch müsste die Entscheidung bald getroffen werden. Ich glaube nur, dass auch die [Social Democratic] Federation nichts wird machen können, und zwar infolge der Angriffe auf die Possibilisten in dem Flugblfatt] und im Soz[ial]demokr[at].2
Die Possibi-
listen werden sich sagen, dass nach diesen Angriffen dort sie auch Die Briefe Hegen nicht vor. Im Leitartikel „Internationalität" in Nr. 13, 30. März wurde der Artikel der Justice „The German .official' Socialdemocrats and the International Congress in Paris", Nr. 270 vom 16. März, beantwortet. Justice verbat sich jede Einmischung in die inneren und nationalen Angelegenheiten der sozialistischen Parteien Frankreichs und Englands; Der Sozialdemokrat betonte demgegenüber die internationale Solidarität. Bernstein entgegnete auf den Angriff der Justice in der Flugschrift „The International Working Men's Congress of 1889. A Reply to Justice". O.D. 15 S. Deutsch: Der Sozialdemokrat Nr. 13, 14, 30. März, 6. April. Einen weiteren Angriff der Justice beantwortete Bernstein in der Flugschrift „A Reply to the Manifesto of the Social Democratic Federation" [in Justice, Nr. 280, 25. Mai], Datiert 1. Juni 1889. 16 S. An beiden Broschüren hat Engels wahrscheinlich mitgearbeitet. 1 8
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ähnliche Angriffe auf dem Kongress erwarten dürfen, wenigstens liegt dieser Schluss sehr nahe. Ich gehe noch weiter. Sind die Angriffe, die der neueste S[ozial]d[emokrat]s auf die Possibilisten bringt, gerechtfertigt, und das bezweifle ich nicht, so entsteht die Frage, ob man als anständiget Mensch noch mit den Leuten gehen kann. Diese Angriffe müssen die Possibilisten überall diskreditieren, auch bei den Leitern der [Social Democratic] Federation, die danach dieselben nicht mehr öffentlich in Schutz nehmen können. Mit diesen Angriffen bekommt die Sachlage ein ganz anderes Gesicht. Wenn jetzt selbst die P[ossibilisten] klein beigeben, können wir eigentlich anständigerweise uns nicht mehr mit ihnen einlassen. Wir können doch nicht, wie es die Haager Beschlüsse fordern, unsere Namen mit denen von Lumpen — denn dazu sind sie durch die Angriffe gestempelt, solange sie nicht die Unwahrheit derselben nachweisen — auf eine Liste setzen. Das eine ist ja unzweifelhaft durch Euer Vorgehen erreicht worden, in England sind den Leuten die Augen geöffnet worden, wer Brousse und Konsorten sind; aber zugleich ist damit ein gemeinsamer Kongress mit den Possib[ilisten] und eine gemeinsame Einladung unmöglich geworden. Wollte man sich selbst auf letzteres einlassen, — obgleich ich mich nunmehr sehr dafür bedanken würde —, so wäre es ein Akt der Notwendigkeit, auf dem Kongress in erster Linie die Frage aufzuwerfen: „Seid Ihr Possibfilisten] das, wes man Euch mit dem grössten Schein von Wahrheit zeiht?" Dass diese Erörterung einen Heidenskandal verursachte, ist sicher, und [dass sie] schliesslich entweder mit einer Spaltung oder mit einem Hinauswurf der Possibilisten] endete. Darüber werden die letzteren auch nicht im Zweifel sein, und so wird es wahrscheinlich so kommen, dass die Possibfilisten] moralisch totgeschlagen werden und aufhören, eine Rolle zu spielen, dass aber auch der Pariser Kongress zunächst ins Wasser fällt. Letzteres schon aus dem Grunde, weil die französische Regierung ihn nicht dulden wird, sobald diejenigen ausgeschlossen sind, die als ihre Stützen gelten; oder man sucht den Kongress durch die Possibfilisten-] Knüppelgarde zu sprengen. Zunächst wollen wir die Intervention der Hyndman und Genossen abwarten und sehen, wie sie ausfällt. Du erwähnst in keinem Deiner Briefe den Empfang des meinen, 8
In Bernsteins Leitartikel „Die Situation in Frankreich und die Haltung der französischen Sozialisten", in Nr. 15, 13. April.
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den ich Dir vor ca. drei Wochen „einschreiben" sandte.4 Hast Du ihn erhalten? Wir haben jetzt Ferien, und zwar bis zum 7. Mai. Dann geht's von neuem los, und dann kommen erst die interessanten Verhandlungen, vorausgesetzt, dass die Regierungen noch mit der neuen Straf- und Pressgesetznovelle kommen. Der Sommer wird einem aber mit all diesen Geschäften recht gründlich verhauen. Aber was hilft's, man muss mittun. Mit den besten Grüssen an Euch alle Dein A . BEBEL. 4
Vermutlich Brief Nr. 125.
1 2 9 . B E B E L AN E N G E L S
Original.
Dr[esden-] Pl[auen], den 30. April 1889. Lieber Engels!
L[ie]b[knecht] und ich haben uns verständigt, Lafargue und Genossen aufzufordern, ihrerseits mit der Einladung zum Kongress auf den 14. Juli ebenfalls vorzugehen.1 Wir rechnen darauf, dass, wenn erst die beiden Kongresse auf einen Tag versammelt sind, ihr Nebeneinandertagen ein Ding der Unmöglichkeit wird und sie sich über die Köpfe der Possibilisten hinweg verständigen und vereinigen. Ich denke, Ihr seid nunmehr auch zufrieden. Wir werden, sobald die Einladung der Franzosen vorliegt, eine öffentliche Aufforderung an die deutschen Arbeiter richten, den Kongress zu beschicken, und ihnen die Formen angeben, in welcher Weise sie das am besten können.2 Im gleichen Sinne habe ich an die Österreicher geschrieben,3 die Schweizer und Dänen sollen ebenfalls benachrichtigt werden, und 1 Engels teilte die beiden ersten Absätze des Schreibens P. Lafargue im Brief vom 2. Mai mit. 2 Das Exekutivkomitee der nicht-possibilistischen französischen Arbeiterorganisationen richtete „An die Arbeiter und Sozialisten Europas und Amerikas" eine mit dem Beschluss der Haager Konferenz übereinstimmende Einladung zum Kongress, die Der Sozialdemokrat in Nr. 19, 11. Mai brachte. Darauf erliess die sozialdemokratische Reichstagsfraktion einen vom 18. Mai datierten Aufruf an die deutschen Arbeiter, den Kongress zahlreich zu beschicken, und gab Anweisungen über den Wahlmodus der Delegierten. Ebd., Nr. 21, 25. Mai. 3 Der Brief ist nicht bekannt. Victor Adler erschien mit neun weiteren österreichischen Delegierten auf dem Kongress; er erstattete dort einen mit begeistertem Beifall aufgenommenen Bericht. Protokoll (Nürnberg, 1890), S. 42f.
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so, denke ich, sind wir imstande, die Possibilisten zu expropriieren. Jedenfalls ist ihr Plan gründlich durchkreuzt. Sorgt Ihr nun dafür, dass auch einige andere Engländer als gerade die Hyndman und Konsorten nach Paris kommen. Ich denke, Du sattelst auch noch mal und kommst nach Paris. Dieser Tage habe ich zwei interessante Reden von Dir aus dem Jahre 1845 ausgegraben. Es handelt sich um den Bericht in den „Rheinischen Jahrbüchern zur gesellschaftlichen Reform" v[on] Püttmann, Jahrgang 1845, über die Vorträge, die Du, M[oses] Hess und Köttgen in Elberfeld hieltet.4 Die erste Rede wirst Du auch heute noch mit einigen kleinen Abänderungen vollkommen akzeptieren, die zweite dagegen wird Deinen Anschauungen nicht mehr entsprechen; deshalb ist sie aber gerade besonders interessant, weil sie die Entwicklung der Anschauungen zeigt. Ich habe D[ietz] den Vorschlag gemacht, den Bericht, mit einer kleinen Einleitung versehen, als Broschüre herauszugeben. Ich muss Dir mein Kompliment machen, Du warst damals schon in Deinen Anschauungen merkwürdig weit entwickelt. Die besten Grüsse Euch allen Dein A . BEBEL.
1 3 0 . B E B E L AN E N G E L S
Dr[esden-] Plfauen], den 7. Mai 1889.
Original. Lieber Engels!
Da es keinen Zweck mehr hat, über das Vergangene zu streiten, will ich mich auf diese Dinge nicht weiter einlassen. Du musst nur das eine festhalten, wir sind ebenfalls an unsere Mandatare gebunden, und wir werden uns auf einen kleinen Sturm in der Fraktion gefasst machen müssen, den wir morgen zu bestehen bekommen, dass wir auf eigene Faust ein Definitivum schaffen halfen. Allein ich bin auch der Ansicht, dass, wenn die Umstände zwingen, die Formfragen in den Hintergrund treten müssen. Die Franzosen sollten das jetzt auch ein wenig beachten. Dass diese jetzt noch grosse Umfragen und Auseinandersetzungen halten und dann noch soundso viel Komiteesitzungen brauchen werden, passt ganz und gar nicht. Die Leute brauchen doch Der Bericht über die im Februar 1845 in Elberfeld abgehaltenen Kommunistenversammlungen erschien im I. Jahrgang der Jahrbücher (1845), S. 35-97; Engels' Vorträge S. 45-62, 71-81. Sie wurden von Dietz nicht herausgegeben. Wiederabgedruckt in MEGA, I. Abt., Bd. 4, S. 369ff. 4
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überall auch Zeit, um Geld zusammenzubringen. Wüsste ich, dass Lafargue und Genossen noch lange zögerten, so ginge ich, der Fraktion den Vorschlag zu machen, mit einem provisorischen Aufruf hervorzutreten. Wenn die Franzosen nur insoweit praktische Leute sind, dass sie den Leuten, die zum Kongress kommen, passable Logis und annehmbare Speiseorte verschaffen.1 Es wird sich zeigen, dass es eine Dummheit war, den Juli zu wählen, wo voraussichtlich der Hauptfremdenstrom in Paris ist und man weder Logis bekommen noch die Preise bezahlen kann. Und was die Hauptsache, die Verhandlungen werden durch den Trubel ganz ausserordentlich gestört werden. Doch es ist nichts zu ändern, wir mussten die Zwangslage akzeptieren. Die Wohlgemuth-Affäre2 in der Schweiz ist Wasser auf unsere Mühle, die kam gerade recht zu den bevorstehenden Verhandlungen. Vielleicht trägt diese Affäre dazu bei, dass man die Verhandlungen über die Strafgesetzverschärfungen etc. bis zum Herbst verschiebt. Ich hätte dagegen nichts einzuwenden, ich wünsche sehr, dass wir in Berlin Feiertage bekommen. Bitte Beilage an J[ulius] M[otteler] gelangen zu lassen. Herzlichen] Gruss v[on] D[einem] A . BEBEL.
Engels gab Bebels Wunsch im Brief vom 11. Mai an P. Lafargue weiter. Der Polizeiinspektor Wohlgemuth in Mülhausen warb den Schneidermeister Lutz in Basel gegen 200 Frs. monatlich und besondere Gratifikationen als Lockspitzel an. Lutz, ein Sozialdemokrat, ging zum Schein auf das Angebot ein. Wohlgemuth wurde in der Schweiz verhaftet und ausgewiesen. Bismarck richtete eine drohende Note an das Land und dachte sogar an Krieg. S. Brief Nr. 132 Anm. 4. Eine Darstellung des Falles im Sozialdemokrat Nr. 18, 4. Mai. Wohlgemuths Briefe an Lutz in Nr. 20, 18. Mai. In einem der Briefe hiess es: „Halten Sie mich beständig auf dem laufenden und wühlen Sie nur lustig drauf los . . . " 1
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1 3 1 . B E B E L AN
ENGELS
Pl[auen-] Dr[esden], den 4. Juni 1889
Original. Lieber Engels!
Du wirst entschuldigen, dass ich Dir auf Deine letzten Briefe nicht antwortete.1 Ich hatte zuviel zu tun. Glücklicherweise bin ich jetzt Die Briefe liegen nicht vor. Über den Inhalt eines Briefes s. Engels' Brief an L. Lafargue, 14. Mai: „ . . . I have written to Bebel to write to Danes and Austrians to hurry on with their signatures, and through the Danes, work on the Swedes and Norwegians, and also I have consoled him about his fear of not 1
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meine Geschäftsreisen los, so dass ich in meine Tätigkeit mehr Gleichartigkeit zu bringen vermag. L[ie]bk[necht] behauptet, die Dänen kämen zu uns.2 Ob's wahr ist, wird der Erfolg zeigen. Die Hauptsache ist, dass diejenigen, die vom Ausland zu den Possib[ilisten] gesandt werden, diese zwingen, auf eine Vereinigung einzugehen. Passiert dies nicht, so ist der Schade nicht auf unserer Seite; schon der Umstand, dass den Possib[ilisten] die Deutschen, Schweizer und Österreicher fehlen, d.h. Länder mit wirklicher Bewegung, gibt ihrem Kongress den geringeren Wert. Unsere Leute sollen ja nicht glauben, es den Possib[ilisten] darin nachmachen zu müssen, dass sie Festlichkeiten aller Art arrangieren. Danach geizt keiner unter uns; ich habe das auch schon Laf[argue] geschrieben, und es wäre gut, Du schriebest ihm das noch einmal. Ich hoffe auch, dass wir nicht die sieben angesetzten Tage brauchen. Die Forderungen, die auf Grund der Tagesordnung erhoben werden, rufen kaum Meinungsverschiedenheiten hervor, und so werden die Debatten keine ewige Dauer beanspruchen. Andrerseits wird freilich nötig werden, die Sitzungen nicht über fünf bis sechs Stunden im Tage auszudehnen, einesteils der Hitze wegen, andernteils der Ausstellung3 wegen und was drum und dran hängt. Der Besuch aus Deutschland wird sicher gut. Abgesehen von mir und L[ie]b[knecht], werden allein aus Sachsen sechs oder sieben Mann kommen. Die gegnerische Presse verhält sich merkwürdig ruhig und anständig. Es sind überhaupt in den letzten Monaten eigentümliche Wandlungen in der Gegnerschaft vorgegangen. Diese Riesen- und Massenstreiks4 machen Bourgeoisie und Regierungen perplex. Im getting lodgings and meals in Paris at the impending festive time. Bebel never having seen anything bigger than Berlin (for here he was only a few days and under good protection) is a little kleinstädtisch in these matters . . . " 2 Der Sozialdemokrat ging in Nr. 24, 15. Juni ausführlich berichtigend auf ein vom 31. Mai datiertes Rundschreiben der dänischen Soz.-Dem. Arbeiterpartei ein, die Partei habe beschlossen, keinen der beiden Kongresse zu beschicken, da die Abhaltung von zwei Kongressen ein Unglück für die Arbeiterbewegung und nachteilig und entmutigend für den Geist der Solidarität sei. P. Knudsen sandte dem Blatt im Auftrage des Parteivorstandes eine ausführliche Entgegnung, Nr. 27, 6. Juli. 8 Die grosses Aufsehen erregende Internationale Kunst- und Industrieausstellung wurde am 6. Mai in Paris eröffnet. 4 Der erste grosse Massenstreik der Bergarbeiter im Ruhrgebiet erfasste etwa 90.000 Arbeiter und dauerte den Mai über. Femer streikten in Schlesien, Sachsen und im Saarbezirk 50.000 Bergarbeiter, und ausserdem befanden sich etwa 50.000 Bauarbeiter im Ausstand. Über die Streikbewegung O. Hue, Die Bergarbeiter, II, S. 354ff. ; M. Koch, Die Bergarbeiterbewegung im Ruhrgebiet zur Zeit Wil-
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grossen und ganzen hat sich dabei die gegnerische Presse einer bisher nicht gekannten Objektivität befleissigt; und dass die Regierungen ganz neuerdings ihre Beamten anweisen, dass dieselben darüber wachen, dass die Unternehmer die bewilligten Forderungen auch erfüllen, ist noch nie dagewesen.5 Die ganze Gegnerschaft wird gezwungen, die bisher nur mehr demagogisch gezeigte Arbeiterfreundlichkeit auch durch die Tat einigermassen zu beweisen, und das Motiv: die Furcht, dass sonst die unzufriedenen Arbeiter in Scharen in unser Lager laufen. Dieser Gang der Dinge macht mich immer neugieriger, wie die nächsten Wahlen ausfallen werden. Herzlichen] Gruss v[on] D[einem] A. B. heim II. (Düsseldorf, 1954), S. 33ff.; H. G. Kirchhoff, Die staatliche Sozialpolitik im Ruhrbergbau 1871-1914 (Köln-Opladen, 1958), S. 48ff; E. Engelberg, Revolutionäre Politik S. 217ff. 5 S. etwa Flugblatt der Regierung in Düsseldorf vom 25. Mai 1889; Erlass des preussischen Innenministers und des Ministers der öffentlichen Arbeiten an das Oberbergamt Dortmund vom 25. Mai 1889; Erlass des preussischen Ministers der öffentlichen Arbeiten an das Oberbergamt Dortmund vom 14. Juni 1889 in Akten zur staatlichen Sozialpolitik in Deutschland 1890-1914, hrsg. von P. Rassow und K. E. Born (Wiesbaden, 1959), S. 32ff; H. G. Kirchhoff, a.a.O., S. 96ff; M. Koch, a.a.O., S. 42f; Fr. Hellwig, Carl Ferd. Frhr. von Stumm-Halberg (HeidelbergSaarbrücken, 1936), S. 385ff.
132. B E B E L AN
Original.
ENGELS
Dr[esden-] Pl[auen], den 16. Juni 1889. Lieber Engels!
Ich kann Dir auf Deine verschiedenen Briefe1 nur sehr kurz schreiben, ich habe zuviel Korrespondenz zu erledigen und muss zugleich für vier Wochen Bummel Vorarbeit leisten. Den Herbst muss ein Sekretär heran, die Arbeit ist nicht mehr zu bewältigen. Dass Dich das Vergnügen über das Gelingen des Kongresses so durchwärmt wie eine Flasche [18]35 Rüdesheimer, freut mich; aber Die Briefe sind nicht bekannt. Der Inhalt eines Schreibens ergibt sich aus Engels' Brief an P. Lafargue, 15. Juni: „J'ai écrit à Bebel que vos cotisations rentrent assez lentement, que vous êtes gênés pour les fonds nécessaires pour le congrès etc., je lui en ai expliqué la cause (votre faiblesse numérique à Paris, la nécessité pour les provinciaux de gratter leurs fonds pour les délégations, la lenteur habituelle des Français à payer des cotisations e t c . . . . ) et je lui ai suggéré l'opportunité d'une subvention de la part du parti allemand, as a good international investment..
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wenn D u von dieser Sorte noch eine im Keller hast, hebe sie sorgsam auf, bis ich mal wieder hinüberkomme; wir stechen sie dann zusammen aus. Ich hoffe, dass auch in Paris alles nach Wunsch geht. Der Poss[ibilisten-]Kongress hat mir bis jetzt nicht eine Sekunde Kopfschmerzen gemacht. Mehr Sorge habe ich, dass bei uns alles klappt in bezug auf Versammlungslokal, Quartiere, kurz die äusseren Arrangements, die so sehr wichtig zum Gelingen einer solchen Sache sind. Den Parisern hatten wir schon durch L[ie]b[knecht] dreihundert Frfancs] anbieten lassen, wir werden vierhundert M[ark] schicken. Ich bin doch erstaunt zu sehen, was unsere Deutschen im Vergleich zu den Genossen anderer Länder zusammenbringen, trotz aller Hudeleien, Verfolgungen und Unterdrückungen. Mir sind jetzt von einem einzigen Bezirk, (sechshunderttausend Einwfohner] umfassend), zwanzigtausend M[ark] für die Wahlen und weitere fünftausend M[ark] für Prozesskosten offeriert worden, und zum Kongress kommen wir auch in einer Anzahl, dass die anderen Mund und Nase aufsperren werden. Aus Berlin, Hamburg und Sachsen rücken allein mindestens zwanzig Mann an. Eine Statistik über die Organisationen der deutschen Arbeiter kann ich Dir schwer geben. Die Organisationen sind fast alle lokaler Natur, da Verbände verboten sind, und diese bestehen unter den erschwerendsten Umständen. Die freien Hilfskassen, die man liebt als sozialdemokratische Kassen hinzustellen, zählen über siebenhunderttausend Mitglieder. 2 Auf fast allen Kongressen, und diese haben dieses Jahr fast alle Branchen, stehen unsere Leute an der Spitze. Ich bin ganz ungeheuer gespannt, welches Resultat die nächsten Wahlen ergeben, obgleich diese zweifellos unter einem gewaltigen Kriegsrummel losbrechen, nur dass er diesmal ernst werden dürfte. Ich traue dem europäischen Frieden nicht über das nächste Frühjahr hinaus. Die L u f t ist mit Elektrizität überladen, länger hält die Spannung nicht aus. E s freut mich, dass Dir die Korrespondenzen der Gl[eichheit]3 so gefallen; was sagst D u zu der Auffassung des Konflikts mit der
Die freien Hilfskassen zählten im Jahre 1889: 792.933 Mitglieder gegenüber 60.000 im Jahre 1880. Vgl. M. Schippel, Sozialdemokratisches Reichstagshandbuch (Berlin, 1901), S. 842. 3 Bebel war regelmässiger Mitarbeiter der Gleichheit, Wien. Bis auf die Nummern 6, 14, 18 enthielten alle Nummern 1, 5. Januar bis 24, 14. Juni einen seiner Briefe „Aus Norddeutschland".
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Schweiz?4 Ich bin felsenfest überzeugt, dass sie richtig ist, und werde weiter darauf zurückkommen. Als ich vor zwei Monaten bereits einem Schweizer Blatt in diesem Sinne schrieb, wagte dieses nicht den Abdruck; jetzt ist man dort auch klar, wo alles hinaus soll. Ich will von Paris über Basel nach Zürich, um meine Tochter in Z[ürich] zu besuchen. Von dort reise ich nach Stuttg[art], bleibe dort einige Tage und werde gegen Mitte August wieder zu Hause sein. Lass Dir die Sommerkur gut bekommenl Mit d[en] best[en] Grüssen Dein A . BEBEL.
Es war Bebels Ansicht, Gleichheit, Nr. 24, 14.Juni, die deutsche Regierung wolle durch das systematische Unterhalten von Spitzeln in der Schweiz zeigen, dass diese eine Gefahr für die europäischen Monarchien sei; es sei die Vorbereitung einer Politik, die in einem kommenden Kriege in der Schweiz unter diesem Vorwand das Kompensationsobjekt zwischen Deutschland und Italien sehe. Savoyen und die Südschweiz würden dann an Italien fallen, die übrige Schweiz an Deutschland. In Bern scheine man das jetzt zu begreifen; man werde dort jetzt verstehen, warum seit zehn Jahren deutsche Spitzel dort so eifrig gegen Deutschland, Österreich und Russland an der Arbeit waren. — Dass man in deutschen Regierungskreisen selbst an einen Krieg gegen die Schweiz und an deren Teilung dachte, vermerkte Waldersee, Denkwürdigkeiten, Bd. II, S. 51, 62f.
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1 3 3 . B E B E L AN E N G E L S
Dr[esden-] Pl[auen], den 2. Juli 1889.
Original. L. E.l
In aller Eile nur wenige Zeilen. Von geheimen Sitzungen kann gar keine Rede sein. In Paris gibt es in diesen Tagen deutsche Spitzel in Menge, und dass die Pressmeute nicht gegen uns losgelassen wurde, geschah nur, weil man auf Dummheiten von uns hofft und damit rechnet.1 Ebensowenig kann von einer Wiederherstellung der Internationale die Rede sein. Auf mehr als ein Bureau zum Meinungsaustausch kann und darf es nicht abgesehen sein.2 1 Engels teilte den Anfang des Briefes am 5. Juli P. Lafargue mit und fügte hinzu, „que la publicité, pour les Allemands, est la seule garantie contre de nouvelles accusations de sociétés secrètes. Devant cet argument, les considérations mineures à l'égard du public parisien et de sa possible abstention devront probablement céder.. ." 2 Im Hinblick auf die deutschen Vereinsgesetze. S. a. Brief Nr. 4.
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Wird ein Antrag auf Vereinigung gestellt, und er kommt, Nieuwenhuis hat ihn schon angekündigt,3 können wir ganz unmöglich dagegen sein. Das würden unsere eigenen Leute nicht verstehen, die von all den Differenzen und Streitereien nichts wissen und nichts wissen wollen. Den Possibilisten blühen auch bei der Vereinigung keine Rosen, falls sie erfolgt, darauf verlass Dich. Uber den Löffel lassen wir uns nicht barbieren, auch wenn L[ie]b[knecht], wie ja gar kein Zweifel darüber besteht, in etwas sehr überhasteter Weise den Possibilisten die Hand reichen will.4 Er mag sich mit Lafargue und Vaillant herumbeissen, die ihn schon zurechtsetzen werden. L[ie]bk[necht] und ich logieren bei Vaillant; ich glaube, wir kommen volle sechzig Mann nach Paris. Schrecklich. Bitte umstehendes an J[ulius] M[otteler] abgeben zu wollen. Mit d[en] best[en] Grüssen D[ein] A. BEBEL.
Er stellte einen Antrag auf Vereinigung beider Kongresse, Protokoll, S. 20; aber angenommen wurde ein dahingehender Antrag Liebknechts, ebd., S. 16. 4 Diese Furcht drückte P. Lafargue im Brief an Engels vom 16. Juni aus. Dieser schrieb darauf am 28. Juni an L. Lafargue: „. . . In that case I reckon upon you especially, upon Tussy and D. Nieuwenhuis to open Bebel's eyes and to prevent the success of Liebknecht's Vereinigungswut... I shall also write to Bebel tomorrow on the same subject."
3
134. B E B E L
Original.
AN
ENGELS
[Poststempel: Dresden-Altst[adt] ], den 9. Juli 1889. L. E.!
Brief erhalten.1 Sei unbesorgt, es wird standgehalten. Aber die freundliche] Einladung nach dort kann ich diesmal nicht annehmen. Ich will von P[aris] nach Z[ürich], meine Tochter besuchen, und da würde mir der Abstecher nach L[on]d[on] zuviel Zeit kosten. Mit d[en] best[en] Grüssen Dein A. B. 1
Der Brief ist nicht vorhanden. S. Brief Nr. 133, Anm. 4.
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1 3 5 . B E B E L AN E N G E L S
Original.
Dr[esden-] Pl[auen], den 27. September 1889. Lieber Engels!
Im Augenblick steht der Antrag zur Abstimmung, ob wir für die französischen] Wahlen noch Geld geben sollen oder nicht.1 Dass, falls die Bewilligung gemacht wird, das Geld ausdrücklich für G[uesde]s Wahl bestimmt werden soll, ist auch meine Meinung. Ich habe das ausdrücklich vorgeschlagen. Unsere Leute haben bis jetzt zweitausendvierhundert Frfancs] für die Franzosen hergegeben. Fünfhundert Fr[ancs] für den Kongress, tausend Fr[ancs] für St. Etienne und neunhundert für den Kongressbericht, d.h. für letzteren mehr, als er uns selbst gekostet haben würde. Man ist aber bei uns sehr ärgerlich über den absoluten Mangel an Organisation und Mangel an Opferwilligkeit und ist der Meinung, dass die Leute endlich einmal anfangen müssen, für sich selbst zu sorgen. Wie wir für die Kongressgeschichte einspringen mussten, so müssen wir eintreten, wenn das bisschen Verbindung, das geschaffen wurde, aufrechterhalten werden soll. Für das Schweizer Komitee2 sind vorläufig zweitausend M[ark] bestimmt — tausend bereits abgeschickt —, und bis fünftausend M[ark] herzugeben, sind wir bereit. Das geschieht angesichts der bevorstehenden Reichstagswahlen. Ich meine, angesichts dieser Opferfähigkeit sollten sich die Franzosen ein wenig ein Beispiel nehmen. Dabei müssen wir uns gefallen lassen, dass Liebkn[echt] in seinen mehr als oberflächlichen Korrespondenzen aus dem „Ausland" Engländer und Franzosen auf Kosten der Deutschen in einer Weise lobt, dass die Schiefheit der Urteile der Dümmste einsieht. Der Inhalt eines hier fehlenden Engels-Briefes ergibt sich aus dem Schreiben Engels' an P. Lafargue, 3. Oktober: „. . . J'ai écrit à Bebel pour qu'on envoie quelque argent pour l'élection de Guesde, dont j'apprécie parfaitement l'importance. J'espère que cela sera voté, mais il faut considérer que les Allemands ont déjà donné fr. 5 0 0 pour le Congrès, 1.000 pour Saint-Étienne, 9 0 0 pour le rapport du Congrès (dont la première livraison ne fait pas trop d'honneur à ceux qui l'ont faite, et qui, dirait-on, se sont donné une peine excessive pour estropier les noms), 2 . 5 0 0 pour le journal suisse pour lequel ils réservent, en outre, plus de 3 . 5 0 0 fr. Cela fait 8 . 4 0 0 fr. votés pour des objets internationaux, et cela la veille de leur propre élection générale! E t après tous ces sacrifices M. Jaclard les insulte gratuitement . . . " — Bebel sandte für die Wahl Guesdes 5 0 0 und für die Lafargues 6 1 0 Frs. im Auftrage des Parteivorstandes. P. Lafargue an Engels 7. Oktober. 2 Der internationale Kongress beschloss die Einsetzung einer fünfköpfigen Exekutivkommission mit dem Sitz in der Schweiz, die der Bemer Konferenz die vom Kongress aufgestellten Grundsätze über die internationale Arbeiterschutz-Gesetzgebung mitteilen solle. Protokoll, S. 121, 123. 1
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Wird diesmal das Geld bewilligt, so geschieht es das letzte Mal; was wir ausnahmegesetzlich geschundenen Deutschen fertigbringen, müssen die Franzosen wenigstens einigermassen nachmachen können. Auf dem Kongress hat sich von allen Tussy am besten gehalten, sie war unermüdlich und von einer Ausdauer, die wir alle bewunderten. Überhaupt waren die Frauen in Paris die ausdauerndsten.3 Die besten Grüsse von uns allen an Euch alle D[ein] A . BEBEL.
Eleanor Marx-Aveling war, mit William Morris, Übersetzerin aus dem Französischen ins Englische. Delegierte waren u.a. Emma Ihrer, Maria Jankowska und Clara Zetkin.
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1 3 6 . B E B E L AN E N G E L S
Original.
Dr[esden-] Plfauen], den 17. Oktober 1889. Lieber Engels!
Deinen Brief vom 9. Oktober erhielt ich,1 und war mir der Inhalt desselben sehr interessant. Meine Bemerkungen über die L i e b knecht] sehe Schriftstellerei waren nicht die entscheidenden Gründe für unsere Meinung gegenüber unseren französischen Freunden, sondern der Gedanke, dass, wenn wir fortführen zu unterstützen, wie es in der letzten Zeit geschah, diese vollends jede Initiative für die Organisation einbüssten. Ich habe vor unseren Leuten in Frankreich, den Guesde, Lafargue, Deville, Vaillant etc. den grössten Respekt; aber zu organisieren verstehen sie nicht, und es macht mir überhaupt den Eindruck, als fehle die Fähigkeit, agitatorisch systematisch zu arbeiten.2 Ich habe während des kurzen Aufenthalts in Paris in überraschender Weise verschiedentlich wahrgenommen und gehört, dass für nichts ein rechter Sinn vorhanden ist, was nicht auf die Öffentlichkeit wirkt und einen gewissen Engels' Brief vom 9. Oktober liegt nicht vor. Er dürfte auf den Ton gestimmt gewesen sein wie sein Brief an L. Lafargue vom 8. Oktober: „What a melancholy set our French friends are! Because Paul and Guesde have not succeeded, they seem to despair of everything and Paul thinks the less said about these elections, the better! Why, I consider the result of the elections not a déroute but a relative success worth registering both in England and Germany . . . Thus I do not despair at all, in the contrary; I see a distinct advance in the result of the elections, eine sehr bestimmte Klärung der L a g e . . . " i S. darüber den folgenden Brief.
1
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Effekt verspricht. Auf äusseren Effekt ist alles berechnet. Das ist keine Übertreibung. Ein zweites, was ich glaube bemerkt zu haben, ist, dass die eigentlichen Arbeiter fehlen oder im Hintergrunde stehen. Die Wortführer sind ohne Ausnahme nahezu Leute aus den anderen Klassen, und geht ihnen das Fühlen und Denken der Arbeiter ab, und sie verstehen nicht, sie zu fassen. Uns in Deutschland erscheint es vollkommen unbegreiflich, wie ein Mann wie Guesde in einer Arbeiterstadt wie Marseille — die sich etwa mit unserem Hamburg vergleichen lässt — so wenig Stimmen erhielt.3 Hier muss alle Organisation, aber auch das Klassenbewusstsein fehlen. Ich lasse gelten, dass der Kampf gegen Monarchie und Boulangismus im Vordergrund stand; aber besser konnten beide gar nicht bekämpft werden, als dass unsere Leute gewählt wurden. Ich will wünschen, dass Deine Hoffnung auf die Entwicklung des Sozialismus in Frankreich sich erfüllt. Wir sind dabei aufs allerlebhafteste interessiert, aber mein Glaube ist vorerst noch gering. Der Ausfall der sächsischen Landtagswahlen wird Dir bekannt sein. Derselbe ist ein gutes Vorzeichen für die Reichstagswahl. Wir haben in den zur Wahl gestandenen Wahlkreisen unsere Stimmenzahl gegen vor sechs Jahren genau verdoppelt und statt einen drei Sitze erobert. 4 Ein vierter ging uns an der Nase vorbei. Hätten unsere Leute in einigen Wahlkreisen die Wahlen nicht gar zu leicht auf die Achsel genommen, weil gar keine Aussicht für den Wahlsieg vorhanden war, das Stimmenverhältnis wurde noch günstiger. Das Hauptinteresse für die nächsten Reichstagswahlen konzentriert sich auf Rheinland-Westfalen. Täuscht nicht alles, so werden wir das nächste Mal dort eine gehörige Stimmenzahl herausholen. Der Bergarbeiter streik 6 hat gewirkt, und das brutale und tölpelhafte Vorgehen der Zechenbesitzer und ihrer Beamten treibt uns die Leute mit Gewalt in die Arme. ® Guesde erhielt im ersten Wahlgang 1.445 Stimmen, im zweiten unterlag er mit 2.311 gegen 2.880 Stimmen. 4 Am 15. Oktober wurde in einem Drittel der sächsischen Wahlkreise gewählt. Die Stimmenzahl verdoppelte sich, und die Sozialdemokratie hatte jetzt sieben statt bisher fünf Landtagsabgeordnete. Der Sozialdemokrat, Nr. 43, 26. Oktober gab eine Übersicht über die Wahlergebnisse und zog einen Vergleich mit denen des Jahres 1883. 5 Der Streik im Ruhrgebiet, in Schlesien und im Saarbezirk im Mai d. J. Im August erfolgte die Gründung des „Alten Verbandes", des „Verbandes zur Wahrung und Förderung der bergmännischen Interessen im Rheinland und Westfalen", dessen Mitgliederzahl rasch wuchs und in dem der sozialdemokratische Einfluss sehr stark war.
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Dass nächsten Monat der grosse Sozialistenprozess in Elberfeld sich abspielt — einundneunzig Angeklagte und gegen vierhundert Zeugen, — der nach meiner Überzeugung insofern mit einem gründlichen Fiasko endigen wird, als die Verurteilungen und die Strafen im ärgsten Missverhältnis zu dem aufgewandten Apparat stehen, wird unserer Sache dort nur nützen. Sehr zu meinem Ärger bin ich nachträglich auch noch in denselben verwickelt worden, obgleich ich eine Verurteilung für ganz unmöglich halte. Was gegen mich vorliegt, sind offenkundige Dinge, die ich ohne jeden Vorbehalt einräume und unter das Gesetz nicht fallen. Da der Prozess vier bis fünf Wochen dauert und in die Verhandlungen des Reichstages fällt, ist uns die Sache äusserst unangenehm. Der Gerichtspräsident erklärt zwar unterderhand, uns in jeder Weise entgegenkommen zu wollen und uns Urlaub zu geben soviel als möglich, aber Stückwerk bleibt die Geschichte doch. Wir könnten das Verfahren einstellen lassen, aber das könnte den übrigen Angeklagten und uns schaden. Würden diese auf mangelhafte Verteidigung hin verurteilt, so möchten wir später, wenn wir separat verhandelt werden, den glänzendsten Gegenbeweis führen, das Gericht wird sich nicht selbst desavouieren und vor der ganzen Welt blamieren, indem es uns freispricht. Wir sind vier angeklagte Abgeordnete: Grillenb[erger],6 Schumacher, Harm und ich. Von den ganzen vierhundert Zeugen geht mich nicht einer an. Die Verhandlungen über das Soz[ialisten]gesetz werden diesmal ausnehmend interessant. Eine Notiz, dass man erst die Vorlage fertigstellen wolle, nachdem man erst die Parteiführer gehört, wie sie dieselbe akzeptierten, hat alles für sich. Dann kann die Bande nicht mehr sagen, die Regierungen hätten nicht anders gewollt. Dass es endlich zu einem Definitivum kommt, hat auch seinen Vorteil; man weiss endlich, woran man ist, und richtet sich ein. Bis jetzt lebte man stets in Unsicherheit und wusste nicht, wie man dieses und jenes endgültig ordnen solle. Dass die Bude in Berlin7 aufgemacht wird, darüber ist niemand froher als Paul [Singer], der sehnsüchtig wartet, nach Berlin hereinzudürfen. Bitte Beilage an Jul[ius Motteier] zu geben. Auer ist schwer nervenkrank8 und muss in eine Kaltwasserheilanstalt, wahrscheinlich BadenZürich. Die Sache ist scheusslich. Auer ist einer unserer besten Leute. 6 Grillenbergers Erwiderung auf die Anklageschrift, „Erinnerungen des Reichstagsabgeordneten und Redakteurs Carl Grillenberger in Nürnberg. . . " , erschien, als Manuskript gedruckt, Nürnberg [1889], 16 S. 7 Der Reichstag. 8 Der Sozialdemokrat teilte in Nr. 42, 19. Oktober, mit, nach dem Aufenthalt in der Heilanstalt werde er auf einige Zeit nach dem Süden übersiedeln. E r ging in
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Es ist doch arg, was wir in den letzten Jahren an Kräften einbüssten. An Masse nehmen wir zu, aber nicht an Qualität der Kräfte. Da hapert's. Die besten Grüsse Euch allen. D[ein] A . BEBEL.
Sage Ede: er mache seine Sache im [Berliner] V[olksblatt]9
gut.
die Schweiz, wo er an der Dokumentensammlung über die Zeit des Sozialistengesetzes „Nach zehn Jahren" arbeitete. • Bernstein war Londoner Korrespondent des Berliner Volksblatt.
1 3 7 . E N G E L S AN B E B E L
Original.
London, den 15. November 1889. Lieber Bebel!
Ich erhielt Deinen Brief vom 17. Okt[ober] inmitten der dicksten Arbeit für die vierte Auflage des „Kapital",1 die nicht gering war, weil alle von Tussy für die englische Ausgabe kontrollierten Zitate wieder verglichen und die vielen Schreib- und Druckfehler berichtigt werden mussten. Kaum fertig damit, musste ich wieder an den III. Band, der jetzt rasch erscheinen muss; denn die Schrift vom kleinen Schmidt in Berlin über die Durchschnittsprofitrate2 zeigt, dass der Junge schon mehr herausgetüftelt hat, als gut ist — es gereicht ihm zur höchsten Ehre. Du siehst, ich habe schon damit alle Hände voll zu tun; dazu kommt noch die Notwendigkeit, die internationalen Parteizeitungen zu verfolgen und die auf den III. Band bezügliche Ökonom [ische] Literatur nachzusehen und stellenweise wieder ganz durchzulesen — Du siehst, ich sitze ziemlich fest, und entschuldigst daher, dass ich mich nicht so oft mit Dir unterhalte, wie ich wohl möchte. Was die Franzosen angeht, so würdest Du, bei längerem Aufenthalt unter ihnen und näherer Bekanntschaft mit der Art der Wirkung ihrer eigentümlichen Handlungsweisen, doch wohl milder urteilen. Die Partei dort war in einer für Frankreich unerhörten, in der Tat aber schliesslich günstigen Lage: sie war in der Provinz stark, in Paris Die 4. Auflage des Kapital, I. Bd., erschien 1890. In der vom 25. Juni datierten Vorrede gab Engels die aus der französischen Ausgabe übernommenen grösseren Zusätze an. 2 Conrad Schmidt, Die Durchschnittsprofitrate auf Grundlage des Manschen Werthgesetzes (Stuttgart, 1889). 1
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schwach. Es handelte sich also um einen Sieg der soliden Provinz über das übermütige, herrschaftsgewohnte, hochnäsige und teilweise korrumpierte Paris. (Korruption beweist 1) die dortige Herrschaft der korrumpierten Führer der Possibilisten, 2) der Umstand, dass dagegen in Paris nur in Form des Boulangismus Opposition erfolgreich sein konnte.) Nun kam dazu, dass in der Provinz zwei Leitungen waren: für die Trades Unions eine in Bordeaux, für die sozialistischen] Gruppen, die als solche organisiert, in Troyes. Es mangelte also nicht nur die altgewohnte Pariser Leitung (und die Möglichkeit einer solchen), sondern auch eine einheitliche provinziale Leitung resp. die geistige Befähigung und allgemeine Anerkennung einer solchen. Dass Euch in diesem Interregnum die Sachlage höchst verworren und unbefriedigend vorkam, begreife ich. Aber das ist nur temporär. Dass allerdings die Franzosen in dieser Desorganisation ihrer eigenen Partei, und nachdem sie Fehler über Fehler gemacht, dennoch einen Kongress nach Paris beriefen, wo das alles sich vor Europa zeigen musste, war echt französisch. Sie dachten mit Recht, dass diese Blamage weit aufgewogen würde durch die Tatsache, dass auf ihrem Kongress Europa vertreten war und auf dem der Possibilisten nur ein paar Sekten. Dass die Rücksicht auf den momentanen Effekt in der Öffentlichkeit dort mehr Gewicht hat als bei Dir und mir und bei der Masse der deutschen Partei, ist kein bloss französischer Fehler. Hier und in Amerika ist es gerade so. Das ist Folge des freieren und länger gewohnten politischen Lebens. Nicht nur tut Liebkfnecht] in Deutschland genau dasselbe (einer der Hauptgründe unseres steten Krakeels), sondern schaff morgen das Sozialistengesetz ab, und Du wirst sehen, wie rasch diese faule Rücksicht sich vordrängt. Auch täuschest Du Dich, glaube ich, wenn Du nach Deinen Pariser Kongresserfahrungen schliessest, dass die Arbeiter von den, sagen wir, Literaten in den Hintergrund gedrängt werden. Das ist vielleicht auf einem Pariser Kongress scheinbar der Fall, und um so mehr, als dort die Unmöglichkeit der Verständigung in fremden Sprachen die Arbeiter in den Hintergrund drängt. In Wirklichkeit halten die französischen] Arbeiter weit mehr auf volle und gerade formelle Gleichheit mit Literaten und Bourgeois, als die irgendeiner anderen Nation, und hättest Du die Berichte gelesen, die ich über die Agitation von Guesde, Lafargue etc. während der letzten Wahlen erhalten, würdest Du wohl anders urteilen. Dass Guesde in Marseille nicht gewählt, war nur dem Protot3 » Eugène Protot (1839-1921), Advokat, Anhänger Blanquis, als Mitglied der Kommune in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Er verdächtigte Guesde, dass er
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gedankt (s. inliegende] Proklamation). Es ist allgemeine Regel in Frankreich (weil in der Stichwahl die Kandidatenzahl nicht beschränkt, dafür aber die relative Majorität entscheidend ist), dass bei zwei Kandidaturen derselben Partei derjenige zurücktritt, der beim ersten Wahlgang in der Minorität war. Protot war in der Lage, aber er blieb Kandidat und verbreitete die infamsten Verleumdungen über Guesde. Beide waren in Marseille lokalfremd, aber P[rotot] war altes Kommunemitglied und von den Anhängern des Grossmauls Pyat4 — des vorigen Deputierten von Marseille — gehalten. Dass er da in der Stichwahl die neunhundert Stimmen erhielt, die Guesde in die Kammer gebracht, ist begreiflich. Den besten Distrikt von Marseille hatte sich Boyer5 ausgesucht, der auch früher dort gewählt, und der ging durch. Jetzt also haben wir sieben Mann, keineswegs die bestmöglichen. Diese haben Guesde zu ihrem Sekretär und Redefabrikanten gewählt. Im Stadtrat bilden Vaillant, Longuet und andere ebenfalls eine separate Gruppe. Beide Gruppen werden Lafargue, Deville etc. zuziehen und dann ein Zentralkomitee der vereinigten (oder föderierten) Blanquisten und Marxisten bilden. So kommt eine Organisation allmählich zustande.6 Ausser diesen sind drei Sozialisten als Boulangisten und zwei als Possibilisten gewählt; diese aber bleiben natürlich ausgeschlossen und können sehen, wie sie fertig werden. Dass Auer so schlimm, tut mir auch leid — doch kommen wieder bessere Nachrichten her. Die relative Schwäche des jungen Nachwuchses ist auch mir sehr fatal, auch auf theoretischem Gebiet. Da kommt uns nun der kleine Schmidt, der ein Jahr hier war und dem ich es nicht angesehen hätte, was in ihm steckt. Wenn er so bescheiden bleibt wie bisher, — der Grössenwahn ist ja heute die fatalste und allgemeinste Krankheit, — kann er Vorzügliches leisten. Hier geht's sehr gut. Aber auch nicht auf dem einfachen geraden deutscher Agent sei. 1878 habe die Égalité, deren Chefredakteur Guesde war> 4.000 Frs. von Höchberg erhalten; Höchberg aber sei — Chef der deutschen Polizei gewesen. Ein Prozess am 30. November in Marseille, in dem als Guesdes Vertreter Millerand auftrat, führte zur Verurteilung Protots. G. Deville an Liebknecht 12., 22. November 1889. 4 Félix Pyat (1810-89), republikanischer Publizist, nach der Teilnahme an der Revolution 1849 Emigrant in der Schweiz; begründete 1869 den Combat, Mitglied der Kommune, kehrte nach der Amnestie nach Frankreich zurück. 5 Antide Boyer (1850-1918), Mitglied der Kommune von Marseille, 1885 republikanischer, 1889-1910 sozialistischer Abgeordneter dieser Stadt. 8 Die Vereinigung der Guesdisten und Blanquisten zum Parti Socialiste de France vollzog sich erst 1901-1903 und kam auf dem Kongress von Reims zum Abschluss.
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Weg der Deutschen. Dazu gehört eben ein so theoretisch angelegtes Volk. Hier wird's noch Böcke genug geben. Aber einerlei, die Massen sind jetzt in Bewegung, und jeder neue Bock wird seine Lektion mit sich führen. Also man tau, wie der Niedersachse sagt. Was macht Deine Frau und die zukünftige Doktorin der Medizin?7 Dein 7
F. E.
Bebels Tochter Frieda wollte sich mit Dr. Ferdinand Simon verloben.
1 3 8 . B E B E L AN E N G E L S
Dresden-Plauen, den 2. Januar 1890.
Original. Lieber Engels!
Deine Glückwünsche und Grüsse erwidern wir herzlichst. Den Londoner Strassennebel tauschte ich herzlich gern ein gegen die Gehirnnebel, die wir in Deutschland haben. Beinahe wären wir wieder einem solchen zum Opfer gefallen. Das Gericht hat sich in der Verurteilung der einzelnen sehr anständig gehalten1 — das muss ihm der grösste Feind lassen —, dagegen sind die Entscheidungsgründe bezüglich unserer Freisprechung — nach dem Bericht der Zeitungen — verdammt kitzlig. Danach wären wir nur um ein Haar der Verurteilung entronnen. Nun ist's freilich mit den Gründen wie mit der Lotterie: ob man eine oder zehntausend Nummern von der Nummer des grosses Loses entfernt ist, man hat eine Niete; und ob man nahe oder fern in den Gründen von der Verurteilung war, die Hauptsache ist, dass man nicht verurteilt wurde. 1 Nachdem bereits nach dem Wydener Kongress eine Untersuchung wegen Teilnahme an einer geheimen Verbindung in Elberfeld-Barmen eingeleitet, aber niedergeschlagen war, wurde am 3. April 1888 bei 330 Familien Haussuchung gehalten; fünfzehn Männer wurden verhaftet und blieben drei Monate in Untersuchungshaft. Die Voruntersuchung zog sich bis zum Herbst 1889 hin. Während ursprünglich gegen 128 Angeklagte die Anklage erhoben war, richtete sie sich schliesslich gegen 87 Angeklagte. Der Prozess wurde vom 18. November bis 30. Dezember vor der II. Strafkammer des Landgerichts zu Elberfeld verhandelt. Vor allem dank Bebels Verteidigung wurden 43 Angeklagte freigesprochen, 44 wurden zu Gefängnisstrafen von zwei Wochen bis sechs Monaten verurteilt. Die Freie Presse, Elberfeld-Barmen berichtete ausführlich über den Prozess in ihren Nummern 269-304, 17. November-31. Dezember; das Urteil in Nr. 1, 1. Januar 1890.
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Ich hoffe, der Soz[Ud]demokr[at] wird in der Besprechung des Falles uns nicht abermals einen Nackenschlag geben. Den Prozess anlangend, so darf ich wohl sagen, dass ich in meinem Leben keiner aufregenderen Verhandlung beiwohnte und einer solchen, in welcher versucht wurde, einem mit allen, aber auch mit allen Mitteln den Genickstoss zu geben. Dazu kam noch das Hinzerren des Prozesses in und über die Feiertage. Am Weihnachtsabend traf ich nach durchfahrener Nacht mittags hier ein. Am zweiten Feiertag abends musste ich wieder fort. Vormittags halb acht Uhr in E [Iberfeld] angekommen, begann ich um zehn Uhr meine zweieinhalbstündige Verteidigungsrede, der ich später noch eine Replik gegen den Staatsanwalt musste folgen lassen. Nächsten Vormittag reiste ich wieder ab. Nun wollte das Malheur, dass ich meine Frau bei meiner ersten Ankunft krank an der Influenza antraf, dass ich sie noch unwohl verlassen musste, dabei das Damoklesschwert der fünfzehn Monate über dem Haupte und die Tochter zum ersten Mal fern von der Heimat in der Schweiz. Es ist jetzt das achte Mal, dass mir in den dreiundzwanzig Jahren unserer Ehe die Weihnachten so verhauen wurden. Doch nunmehr ist die Sache überwunden, und ich hoffe, derselben noch im Reichstag ein Nachspiel zu geben, in dem die Rollen umgekehrt sind.2 Im übrigen werden wir, sobald das Urteil im Wortlaut vorliegt, sehen müssen, wie wir weiteren Schlägen gegen uns vorbeugen. Es ist ganz unglaublich, was man auch diesmal wieder alles als Merkzeichen einer allgemeinen] geheimen Verbindung in Betracht zog.3 Gut, dass das Soz[ialisten]gesetz noch auf der Tagesordnung steht.
Bei der letzten Debatte über die Verlängerung des Sozialistengesetzes, die am 25. Januar 1890 zur Ablehnung des Gesetzes mit 169 gegen 98 Stimmen führte, sprachen Grillenberger, Dietz, Singer, Liebknecht und Bebel; dieser behandelte auch den Elberfelder Prozess. 3 In der Urteilsbegründung S. 7 hiess es: „In der Sache selbst hat der Gerichtshof als erwiesen angenommen, dass eine allgemeine ihre Tätigkeit über das ganze Deutsche Reich erstreckende Verbindung einer grossen Anzahl von Personen mit der Redaktion und Expedition des Sozialdemokrat zur Verbreitung dieses Blattes und anderer in dem Verlage des Sozialdemokrat herausgegebener meistenteils verbotener Druckschriften besteht." Das Gericht fand, ebd., S. 8, in der Vereinigung alle in der Entscheidung des Reichsgerichts vom 21.-23. Dezember 1885 aufgestellten Kriterien: Zusammenwirken zu gemeinsamem Zweck, Unterordnung des einzelnen unter einen Gesamtwillen, Berechnung auf längere Dauer, beabsichtigte Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten; danach gehöre es zu den Aufgaben, Massregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen zu ver-
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Die besten Grüsse von meiner Frau und mir an Dich und alle Freunde männlichen und weiblichen Geschlechts. Dein A . BEBEL.
hindern oder zu entkräften, und da der Sozialdemokrat verboten sei, würden zur Erreichung des Zweckes „ungesetzliche Mittel" angewendet.
1 3 9 . E N G E L S AN B E B E L
London, den 23. Januar 1890.
Original. Lieber Bebel!
Gratuliere zur Elberfelder Freisprechung und nicht minder zu Deiner brillanten Führung des Prozesses, die durch die schlechten Berichte hindurch deutlich genug zu erkennen war. Es war keine Kleinigkeit, mit einem Gefolge von neunzig Angeklagten, darunter ein Röllinghoff 1 und wohl noch einige andere schofle Elemente, sich so durchzusteuern; aber ich glaube nicht, dass Herr Pinoff 2 Dich je wieder sich gegenüber auf der Angeklagtenbank zu sehen wünscht. Dieser Kerl ist denn doch das höchste, was preussisch-deutsche Staatsanwalterei geleistet hat. Er interpretiert das Gesetz ganz wie Bismarck die Verfassung, nämlich wie der Korpsbursche auf der Kneipe den Bierkomment interpretiert: je toller, desto besser. Französischen Juristen — von englischen gar nicht zu reden — würden dabei die Haare zu Berge stehen. Heute wird wohl schon das S[ozialisten]-Gesetz wieder in Berlin verhandelt. Ich glaube, Du (in der Arb[eiter]-Z[ei]tung) hast recht,3 was Bismarck nicht von diesem Reichstag kriegt, kriegt er vom nächsten; die steigende Flut unserer Stimmen bricht aller und jeder bürEwald Röllinghoff, einer der Angeklagten, machte bereitwillig umfassende Aussagen, von denen manche von Mitangeklagten als denunziatorisch bezeichnet wurden; er erhielt trotzdem fünf Monate Gefängnis. 2 Staatsanwalt, Vertreter der Anklage im Elberfelder Prozess. Nach Bebels grosser Rede am 27. Dezember kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen ihm, dem Staatsanwalt und der Verteidigung. Freie Presse, Nr. 302, 303, 28., 29. Dezember. 3 Bebel erwartete in seiner Vorschau auf die Reichstagswahlen, Arbeiter-Zeitung, Wien Nr. 3, 17. Januar, einen grossen Stimmenzuwachs der Sozialdemokratie. Dadurch werde das Bürgertum ängstlich und ihr „Oppositionsgelüst" gegen Bismarck schwächer werden; dieser werde also im neuen Reichstag auf Entgegenkommen der bürgerlichen Parteien rechnen können. 1
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gerl[ichen] Opposition das Rückgrat. Darüber bin ich mit Ede nicht einerlei Meinung. Er und Kautsky — sie haben beide ein bisschen Anlage für „hohe Politik" — meinen, bei den nächsten Wahlen müsse eine regierungsfeindliche Majorität erstrebt werden. Als ob es etwas Derartiges unter den bürgerlichen] Parteien noch in Deutschland gäbe! Die Fortschrittler verschwinden, wenn das Sozialisten]-Gesetz] aufhört; die bürgerlichen darunter gehen zu den N[ational]L[iberalen], die Kleinbürger und Arbeiter zu uns. Darum werden sie jedesmal abkommandieren, sobald das S[ozialisten]-G[esetz] zu fallen droht. Und auch im übrigen wird Bismarck immer eine Majorität erhalten; wird auch im ersten Jahr noch ein bisschen sich geziert und gesträubt, im zweiten Jahr kriegt er sie herum, sie sitzen ja sicher vor ihren Wählern auf fünf Jahre! Geht aber B[ismarck] um die Ecke oder wird sonst untauglich, so ist es ziemlich Wurst, welche Leute im Reichstag sitzen (ich meine die Bürger, nicht die Junker); sie sind alle gleich kapabel, ihre Götter von gestern anzuspucken, wenn der Wind umschlägt. Ich sehe also gar keinen Grund, diesmal den Fortschrittlern nicht ihr infames Betragen von [18] 87 zurückzuzahlen und ihnen klarzumachen, dass sie nur von unseren Gnaden bestehen. Es war Parnells Entschluss 1886, die Irländer in England überall gegen die Liberalen und für die Tories stimmen zu lassen, also zum erstenmal seit 1800 nicht mehr als liberales Stimmvieh zu agieren, der innerhalb sechs Wochen Gladstone und die liberalen Chefs zu Homerulern machte. Und wenn je noch etwas aus den Fortschrittlern zu machen ist, dann nur dadurch, dass wir ihnen ihre Abhängigkeit von uns — in den Stichwahlen — ad oculos demonstrieren. Auf die Wahlen selbst freue ich mich ungeheuer. Da werden unsere deutschen Arbeiter der Welt wieder einmal zeigen, aus welchem famos gehärteten Stahl sie geschmiedet sind. Möglich, dass Ihr ein neues Element in den Reichstag bekommt: Arbeitervertreter, die noch keine Sozialisten sind. An der Bewegung unter den Bergleuten habt Ihr ein Exempel davon, wie hier die Bewegung vor sich geht: eine bisher indifferente, der Agitation grossenteils unzugängliche Schicht der Arbeiterklasse wird durch den Kampf um ihre nächsten Interessen aus der Lethargie aufgeschüttelt, wird von den Bourgeois und der Regierung direkt in die Bewegung hineingejagt, und das heisst, wie die Sachen heutzutage liegen, und wenn wir nicht die Sache mit Gewalt überstürzen wollen, uns in die Arme gejagt. Hier ist's geradeso: nur dass hier statt einer mächtigen sozialistischen] Partei nur kleine, in sich zerfallene, grossenteils von literarischen Strebern oder poetischen Duselköpfen dirigierte Cliquen als Stütze hinter ihnen stehen. Aber auch hier ist die Sache jetzt unaufhaltsam, und gerade diese uns zuströmenden Massen sind es, die bald genug unter den Cliquen auf375
räumen und die nötige Einheit schaffen werden. — Bei uns macht dies neue Element die Wahlen doppelt interessant. Soeben erhalte ich Deine Hamburger Rede,4 kann sie aber erst nach dem Essen lesen. Die Franzosen sammeln für Eure Wahlen, ob viel dabei herauskommt, zweifle ich, die internationale] Demonstration ist die Hauptsache. Wenn kein unvorhergesehener Zwischenfall kommt, scheint der Friede für dies Jahr gesichert — dank dem riesigen Fortschritt der Technik, der jedes neue Gewehr, jede neue Pulversorte etc. bereits wieder ausser Kurs setzt, ehe sie auch nur bei einer Armee haben eingeführt werden können; und dank der allgemeinen Angst vor diesen jetzt zu entfesselnden, enormen Menschenmassen und Zerstörungskräften, von denen kein Mensch sagen kann, wie sie in der Praxis wirken werden. Dank auch den Franzosen, die den von Russland bezahlten Boulanger (15 Millionen] Franken hatten sie ihm zur Verfügung gestellt) so haben durchfallen lassen und damit die letzte Aussicht auf Restauration der Monarchie (denn nur dazu sollte B[oulanger] dienen) beseitigt haben. Der Zar und die russische] Diplomatie fangen aber nicht gern an, bis sie ihrer Sache sicher sind; eine Allianz mit der Republik ist ihnen zu unsicher, dazu sind die Orléans besser.5 Auch zieht die hier von Gladstone ins Werk gesetzte antitürkische Kampagne zugunsten seiner russischen] Freunde gar nicht, und da Gladstone noch nicht im Amt, die Toryregierung aber entschieden deutsch-österreich-freundlich und antirussisch ist, muss Väterchen sich noch gedulden. Aber freilich, wir leben auf einer geladenen Mine, und ein Funke kann sie sprengen. Das Pariser Tagblatt unserer Leute,6 das L[iebknecht] bereits in deutschen Blättern angezeigt, ist noch nicht geboren, die Geburtswehen dauern noch. In vierzehn Tagen-drei Wochen wird sich's wohl entscheiden. Jedenfalls, seit wir eine Fraktion in der Kammer haben, stehen die Sachen weit günstiger und werden mit der Zeit auch wohl Bebels Versammlung im Hamburger Wahlkreis, im Sagebielschen Etablissement am 21. Januar, war von> 20.000 Hörern besucht. Es wurde ihm einmütig das Vertrauen ausgesprochen, und er wurde wieder als Kandidat nominiert. Die Rede im Hamburger Echo, Nr. 18, 22. Januar. 5 Nachdem am 22. August 1891 ein politisches Bündnis zwischen Russland und Frankreich in Paris geschlossen war, kam es am 17. August 1892 in St. Petersburg zum Abschluss eines Militärvertrages, nach dem die Streitkräfte der beiden Mächte angreifen würden, falls eine Macht des Dreibundes mobilisiere. 6 In dem Bericht „Aus Frankreich" im Sozialdemokrat, Nr. 1, 4. Januar. Gemeint ist Le Combat, der seit dem 18. März unter der Leitung A. Boyers erchien; der Redaktion gehörten u.a. Guesde und Vaillant an. In dieser Form bestand das Blatt nur drei Monate.
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wieder in Paris die Possibilisten und Boulangisten [ge] schlagen. In der Provinz haben wir von allen Sozialisten das Reich ganz allein. Von Amerika bekommt Ihr auch schwerlich viel Geld. Das ist au fond gut. Eine wirkliche amerikanische] Partei ist Euch und der Welt viel mehr nütz als die paar Groschen, die Ihr erhieltet, eben weil die dortige s[o]g[enannte] Partei keine Partei, sondern eine Sekte, und noch dazu eine rein deutsche Sekte, ein Ableger, auf fremdem Boden, der deutschen Partei, und zwar speziell ihrer spezifisch Lassalleschen veralteten Elemente war. Jetzt ist aber die Clique Rosenberg 7 gestürzt und damit das grösste Hindernis der Entwicklung und des Aufgehens in einer wirklich amerik[anischen] Partei beseitigt. Herzlfiche] Grüsse Dir und Deiner Frau. Dein F. E. 7
W. L. Rosenberg, Mitglied des Exekutivkomitees der Socialist Labor Party of the U.S. und Herausgeber ihres Wochenblattes Der Socialist; er stand dem Marxismus kritisch gegenüber und schrieb unter dem Pseudonym Van der Marek. Über die Spaltung der Partei s. Engels an Sorge 26. September 1889.
140. ENGELS AN
Original.
BEBEL
London, den 17. Februar 1890. Lieber Bebel!
K[arl] K[autsky] sagt, Ihr hättet vor, am 20. abends die Euch bekannten Resultate 1 an mich zu telegraphieren, und da wollte ich Dir noch einige Mitteilungen machen wegen der hiesigen Nachtablieferungseinrichtungen, damit nicht aus deren Unkenntnis ein Versehen geschieht und wir das Telegramm am Ende erst nächsten Morgen erhalten. Ede, Fischer und K[autsky] sind alle der Ansicht, es sei am besten, an mich zu telegraphieren; sie werden Donnerstag abend alle hier sein, hoffentlich auch Julius. Näheres unten, da ich noch Auskunft erwarte. Im übrigen kann ich Euch nur eine Gratulation über die andere schicken. Dir zuerst wegen der feinen Nase, womit Du in Deinem vorletzten Wiener Brief die Erlasse Jung-Wilhelms gewittert hast, ehe sie erschienen; 2 Euch allen wegen der brillanten Situation, die unsere 1
Der Reichstagswahlen. In seiner Korrespondenz in der Arbeiter-Zeitung, Nr. 6, 7. Februar, hatte Bebel Bismarcks Rücktritt vom preussischen Handelsministerium als eine Niederlage seiner bisherigen Arbeiterschutzpolitik bezeichnet. Die beiden am 4. Februar veröffentlichten kaiserlichen Erlasse betrafen 1) die Einladung an die europäischen 2
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Gegner Euch gemacht haben — so günstig lag's noch nie an einem Wahlvorabend — und zu der neuen Situation, die sich in Deutschland anzubahnen scheint. Noch besser als der „edle" Friedrich (von dem ich übrigens hier eine Photographie gesehen, wo er ganz die erblichen, falschen Hohenzollern-Augen hatte wie sein halber Onkel Willich,3 der ein Sohn des Prinzen August, Bruders F[riedrich] W[ilhelm] III. war) schien mir von vornherein Jung-Wilhelm geeignet, durch seinen Tatendrang als gut kehrender neuer Besen und auch seinen, mit Bismarck notwendig bald kollidierenden Herrscherwillen das scheinbar stabile System in Deutschland zu erschüttern, den Glauben des Philisters an Regierung und Stabilität irrezumachen und überhaupt alles in Verwirrung und Unsicherheit zu bringen. Das aber konnte ich nicht erwarten, dass er das so rasch und brillant besorgen würde, wie geschehen. Der Mann ist uns zweimal sein Gewicht in Gold wert, der braucht sich vor Attentaten nicht zu fürchten; den zu erschiessen, wäre nicht nur ein Verbrechen, sondern eine riesige Dummheit. Im Notfall sollten wir ihm eine Garde stellen gegen anarchistische Eseleien. Mir scheint die Sache so zu liegen: Die Christlich-KonservativSozialen haben bei Wilhelmchen Oberwasser bekommen, und Bismarck, da er's nicht abwenden kann, lässt dem Jungen die Zügel schiessen, damit er sich mal gründlich festrennt und dann er, Bismarck, als Retter in der Not einspringen und nachher vor Wiederholungsfällen sicher sein kann. Daher wünscht Bfismarck] einen möglichst schlechten Reichstag, der bald auflösungsreif wird, und wo er dann wieder an die Furcht der Philister vor der drohenden Arbeiterbewegung appellieren kann. Dabei vergisst Bfismarck] nur eins: Dass von dem Augenblick an, wo der Philister Uneinigkeit zwischen dem alten Bfismarck] und dem jungen Wfilhelm] sieht, derselbe Philister für ihn unberechenbar wird. Angst wird der Philister immer haben, noch grössere als jetzt, eben Staaten zu einer internationalen Arbeiterschutz-Konferenz in Berlin, die im März tagte und Beschlüsse fasste, die im wesentlichen die Regelung der Arbeit in Bergwerken, die Sonntagsarbeit, die Arbeit von Kindern, Jugendlichen und Frauen betrafen; der zweite Erlass befahl die Verbesserung der Gewerbeordnung, um den Klagen der Arbeiter abzuhelfen. Die Hauptpunkte waren die Regelung der Arbeitszeit, die Vertretungen der Arbeiter zur Wahrnehmung ihrer Interessen gegenüber Arbeitgebern und der Regierung; Entwicklung der staatlichen Bergwerke zu Musteranstalten der Arbeiterfürsorge und Beaufsichtigung des privaten Bergbaues in der Art der Beaufsichtigung der Fabriken durch die Fabrikinspektion. 3 August Willich (1810-78), Offizier, Mitglied des Kommunistenbundes, einer der militärischen Führer des badischen Aufstandes 1849; Führer der Fraktion Willich-Schapper im Kommunistenbund; als Emigrant in Amerika Journalist und im Bürgerkrieg Brigadegeneral im ersten deutschen Regiment.
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weil er nicht weiss, an wen sich halten. Die feige Herde wird nicht mehr zusammen-, sondern auseinandergetrieben von ihrer eigenen Angst. Das Vertrauen ist hin, und kommt so wie bisher nicht wieder. Alle Notbehelfe B[ismarck]s müssen von nun an mehr und mehr den Dienst versagen. Er will sich an den N[ational]-Lib[eralen] rächen wegen der verweigerten Ausweisung. Er zerbricht sich damit die letzte schwache Stütze. Er will das Zentrum auf seine Seite ziehen und löst damit das Zentrum auf. Die katholischen] Junker brennen vor Begierde, sich mit den preuss[ischen] Junkern zu verbinden; aber am Tag dieser Allianz versagen die katholischen] Bauern und Arbeiter (am Rhein ist die Bourgeoisie meist protestantisch) den Dienst. Diese Sprengung des Zentrums kommt niemand mehr zugute als uns, sie ist im kleinen für Deutschland dasselbe, wie in grösserem Massstab in Österreich der Nationalitätenausgleich: die Beseitigung der letzten, nicht auf rein ökonomischer Basis beruhenden Parteibildung; also ein wesentliches Moment der Klärung, eine Freisetzung bisher ideologisch befangener Arbeiterelemente. Der Philister kann nicht mehr an Wilhelmchen glauben, weil er Dinge tut, die der Philister für dumme Streiche halten muss; er kann nicht mehr an Bismarck glauben, weil er sieht, dass dessen Allmacht zum Teufel ist. Was aus der Konfusion wird, ist bei der Feigheit unserer Bourgeoisie nicht zu sagen. Jedenfalls ist das Alte auf ewig kaputt, nicht wieder herzustellen, ebensowenig wie eine ausgestorbene Tierspezies. Es kommt wieder Leben in die Bude, das ist alles, was wir brauchen. Zunächst werdet Ihr es besser haben, ob aber nicht schliesslich Puttkamer mit dem grossen Belagerungszustand 4 recht behält, ist fraglich. Auch das wäre ein Fortschritt: das letzte, allerletzte Rettungsmittel — sehr fatal für Euch —, während er dauert, aber der entschiedene Vorabend unseres Sieges. Bis dahin fliesst aber noch allerlei Wasser den Rhein hinab. Bei so ganz unhoffbar günstigen Wahlbedingungen fürchte ich nur, wir bekommen zuviel Sitze. Jede andere Partei darf im Reichstag soviel Esel haben und soviel Dummheiten durch sie begehen lassen, wie sie bezahlen kann, und kein Hahn kräht danach. Wir sollen lauter Genies und Helden haben, sonst gelten wir für blamiert. Aber wir Vermutlich Rückkehr Bismarcks und Puttkamers nach einem Versagen der kaiserlichen Politik, verbunden mit gewaltsamer Niederwerfung der Sozialdemokratie. Den Gedanken daran hat Bismarck niemals aufgegeben. Nach Waldersee, Denkwürdigkeiten, Bd. II, S. 97, war Wilhelm II. schon im Januar 1890 darüber empört, dass Bismarck mit ruhigem Blut die Armee missbrauchen wolle, um auf die Arbeiter zu schiessen.
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werden nun einmal eine grosse Partei und müssen die Folgen davon auf uns nehmen. In Paris haben die Boulangisten abermals gesiegt. Das ist gut. Paris ist durch die Luxuswirtschaft der vielen Genussfremden und durch den auf der grossen Vergangenheit der Stadt beruhenden Chauvinismus (nicht nur den allgemein französischen, sondern speziell pariserischen) sehr verdorben, die Arbeiter sind entweder Possibilisten oder Boulangisten oder Badikale — je mehr die Provinz sich hebt, und das tut sie gegenüber Paris, desto besser für die Entwicklung. Die Provinz hat manche Bewegung verdorben, die Paris ins Werk gesetzt; Paris wird nie eine Bewegung verderben, die von der Provinz ausgegangen. Also wegen Telegraphieren:5 Ich schreibe an das hiesige Zentralbüro, dass mir diese Woche alle Telegramme zu jeder Nachtstunde ans Haus gebracht werden. Damit aber Eure Tel[egramme] noch Zweck haben, müssen sie vor ein Uhr nachts hier eintreffen. Wenn Ihr also am Donnerstagabend bis 11 Uhr 30 telegraphiert, so gibt das mit der Zeitdifferenz ca. zweieinviertel Stunden für Übersendung; später aber wäre wenig Nutzen dabei. Also 11,30 Donnerstag abends spätestens. Von Berlin, Hamburg, Elberfeld will Ede direkt hierher telegraphieren lassen. Habt Ihr aber bis 11,30 Donnerstag keine Resultate zu telegraphieren, dann lieber am Freitag gegen 12 oder 1 mittags, wo Ihr schon was wissen müsst, und vielleicht nochmals Freitag abends gegen 10 oder 11; letzteres in jedem Fall erwünscht. Ferner: Nur die Namen der Städte, wo wir Siege resp. Stichwahlen haben. Wo mehrere Wahlkreise in einer Stadt, am besten wie folgt: Hamburg, heisst Hbg, alle drei Sitze; Hamburg eins zwei, heisst Hamburg I. und II. Wahlkreis. Dann: zuerst alle Siege, dann alle Stichwahlen, worin wir sind; also z.B. Sieg Berlin vier, fünf, sechs, Hamburg, Breslau eins, Chemnitz, Leipzig-Land usw.; Stichwahl Berlin drei, Breslau zwei, Dresden eins, Leipzig-Stadt usw. Ist das zu lang, dann: fünfzehn Siege, siebzehn Stichwahlen usw. Und im zweiten Telegramm: Zusammen soundsoviel Siege und so etc. Stichwahlen. Dies wird Geld und Zeitverschwendung sparen. Herzliche Grüsse und 1 200 000 Stimmen Dein gez. F. E.
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Die Telegramme liegen nicht vor.
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1 4 1 . B E B E L AN
Original.
ENGELS
[Poststempel: Dresden-Altstadt], den 21. Februar 1890. L. E.!
Das Gesamtresultat bis jetzt ist folgendes: neunzehn Mandate, und zwar in Sachsen sechs: Leipzig Land, Mittweida, Chemnitz, Glauchau, Zwickau, Stollberg. Im ganzen etwa fünfundvierzig Stichwahlen: Darunter neben den Berlinern und Breslauern die beiden Frankfurt, Königsberg i/Pr., Stettin, Randow-Greifenhagen, Niederbarnim, Cottbus-Spremberg, Reichenbach-Neurode, Plauen i/V., Leipzig Stadt, Reichenbach i/V., Gera, Gotha, Halle a/S., Aschersleben, Neuhaidensleben, Dortmund, Lennepp-Mettmann, Köln, Düsseldorf, Mainz, Kassel, Darmstadt, Mannheim, Ludwigshafen, Stuttgart, München I, Würzburg, Fürth, Sonneberg, Altenburg, Elmshorn, Bremen, Lübeck, Schwerin, Flensburg etc., Offenbach, Hanau etc. Die Stimmenzahl ist enorm, Sachsen stieg von 149 270 auf 236143, also um mehr als 86 000. Die Mienen der Gegner könnt Ihr Euch denken.1 Herzlichen] Gruss Dein A. B. Die Sozialdemokratie erhielt insgesamt 1.427.298 Stimmen gegenüber 763.128 im Jahre 1887, oder 19,75 gegenüber 10,12 Prozent der abgegebenen Stimmen. Im ersten Wahlgang wurden 20 Abgeordnete gewählt. In 57 Wahlkreisen kam die Sozialdemokratie in die Stichwahl. Davon gewann sie 15, so dass die Fraktion aus 35 Mitgliedern gegenüber 11 im Jahre 1887 bestand. Durch die Gewinnung des 22. sächsischen Wahlkreises Auerbach in einer Nachwahl erhöhte sich 1892 die Zahl auf 36. A. Neumann-Hofer, Die Entwicklung der Sozialdemokratie bei den Wahlen zum Deutschen Reichstage. Statistisch dargestellt (Berlin, 1898).
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1 4 2 . B E B E L AN
ENGELS
Dr[esden-] Pl[auen], den 7. März 1890.
Original. Lieber Engels!
Endlich ist der Wahlrummel vorbei, und man kann mal wieder verschnaufen. Einstweilen laborieren Singer und ich an einem starken Katarrh, den wir uns auf unserer letzten Agitationsreise geholt. Gut, dass er nicht früher kam und uns das Handwerk legte. Die Stichwahlen sind schlechter ausgefallen, als wir erwarteten. Ich rechnete auf zwanzig bis fünfundzwanzig Mandate. Statt dessen haben wir nur fünfzehn. Das sechzehnte wurde uns durch allerlei niederträchtige Kniffe herausgezählt. Möglich ist, dass wir es uns 381
wiederholen; aber eher gibt der Teufel eine arme Seele heraus, als die Reichstagsmajorität an uns ein Mandat. Der Grund, dass wir bei den Stichwahlen so schlechte Geschäfte machten, liegt an dem furchtbaren Schrecken, den der Ausfall der Wahlen am 20. Februar auf das Philistertum aller Parteischattierungen ausübte. Haben doch sogar die Weifen für ihren Todfeind von Bennigsen gestimmt,1 und zwar Mann für Mann, nur um unserem Kandidaten keinen Sieg zu verschaffen. Und so ist es ähnlich überall gegangen. Die Erfahrung lehrt, dass, was wir auf den ersten Wurf nicht erobern, wir nachher schwer bekommen, weil dann alle zu gemeinsamem Widerstand sich vereinigen. Der rote Schrecken dürfte auch im Parlament weiterwirken; alles wird sich gegen uns vereinigen, wenn wir mit unseren Anträgen kommen. Um so besser. Freisinn und Zentrum werden sich an Servilismus nach oben überbieten. Die Freisinnige Partei beginnt schon jetzt, sich darauf einzuüben. Schade, dass die Freisinnigen nicht mindestens doppelt so stark in den Reichstag kamen, um die Probe ihrer Regierungskunst bestehen zu können. Jedenfalls werden wir unser mögliches tun, um sie aufs Eis zu führen. Eins haben wir durch unseren gloriosen Wahlsieg erreicht, das Sozialistengesetz ist geflogen.2 Ich halte für ausgeschlossen, dass man es noch einmal bringt, und so kann es wohl kommen, dass es ruhig abläuft und wir vom ersten Oktober ab wieder in den normalen Stand eintreten. Höchstwahrscheinlich werden wir, was ich schon im Elb [erfeider] Prozess andeutete, dieses Jahr den ersten Parteitag wieder in Deutschland haben.8 Sobald die neue Fraktion zusammentritt, ist dieses einer der ersten Anträge, die ich stellen werde. Ich rechne auf den Fall des Sozialistengesetzes nunmehr um so sicherer, da allem Anschein nach der Kaiser zeigen will, dass er ohne ein solches mit uns fertigwerden kann. Seine letzten Reden sind
1 Die konservativen Weifen sahen damals noch in dem nationalliberalen Hannoveraner Bennigsen wegen seiner Tätigkeit als Vorsitzender des Nationalvereins und seiner Haltung im Jahre 1866 einen „Verräter". Er war seit Ende 1888 Oberpräsident von Hannover. Trotz der Entscheidung der Weifen für den nationalliberalen Kandidaten konnte der sozialdemokratische Abgeordnete H. Meister seinen Wahlkreis in der Stichwahl behaupten. 2 Es lief am 30. September 1890 ab. 3 Der Parteitag von Halle tagte vom 12. bis 18. Oktober.
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wieder wunderbare Blüten der Grossmannssucht, an welcher er offenbar leidet. Er hat den Ehrgeiz, ein grosser Sozialreformer zu werden. 4 Uns schadet dieser Ehrgeiz nicht, er kommt uns vielmehr sehr bedeutend zustatten, weil er ihn mit der Bourgeoisie auf gespannten Fuss setzt und unseren Bestrebungen in den Massen riesig Vorschub leistet. Ich lege Dir einige der letzten Redeproben 5 vor, falls sie Dir von anderer Seite nicht zu Gesicht kommen sollten. Dass in solcher Weise sich alles um uns dreht, ist natürlich schon ein riesiger Gewinn. Mit Bismarck scheint er ganz und gar übers Kreuz zu sein, und ist dessen Abgang nur noch eine Frage der Zeit. Die beiden sind in allen wichtigen inneren Fragen durchaus uneinig. Wfilhelm II.] soll dem B[ismarck] um den Bart gehen, wie man das einem guten Grossvater gegenüber zu tun pflegt, aber hineinreden lässt er sich in nichts und abbringen von dem, was er sich vorgenommen, noch viel weniger. Er ist „sein eigener Kanzler", wie Bismarck] selbst gesagt hat.® Die Wahrscheinlichkeit besteht, dass wir in der nächsten Zeit allerlei wunderbare Sachen erleben, die aus dem eigenartigen Temperamente W[ilhelm]s hervorgehen. In den Kreisen der deutschen Regierungen und der Bourgeoisie sieht man der Entwicklung der Dinge mit äusserstem Unbehagen entgegen. Die Unberechenbarkeit W[ilhelm]s und seine Hartnäckigkeit ist's, die dort grosse Sorge macht. Dazu kommt der heranrückende industrielle Krach, der bereits seine Schatten vorauswirft. Der Sturz der Kohlenaktien und einer Reihe von Industriepapieren sowie die Tatsache, dass die Einnahmen der preuss[ischen] Eisenbahnen im Januar einen ganz unerwarteten und sehr bedeutenden Rückgang aufzeigen, sind bedenkliche Symptome. Krise und Sozialreform vertragen sich aber schlecht, namentlich 4
Wilhelm II. Ideal war zu dieser Zeit, wie Bismarck es treffend ausdrückt — Gedanken, Bd. III, S. 59 — ein populärer Absolutismus. Wie seine Vorfahren Bauern und Bürger emanzipiert hätten — Bestrebungen, die in der Regulierung der Bauern und in der Städteordnung ihren Ausdruck fanden —, so war es sein Wunsch, den Anstoss zu einer analogen Emanzipation der Arbeiter zu geben. S. Brief Nr. 140, Anm. 2. 5 Wilhelm II. schloss den Staatsrat am 28. Februar, der seine sozialpolitischen Erlasse behandelte, mit den Worten: „Was die Bekämpfung der Sozialdemokratie anlangt, so ist das meine eigene Sache." 6 Nach Bismarck, Gedanken, Bd. III, S. 37, hatte er „nicht das Bedürfnis, Mitarbeiter mit eigenen Ansichten zu haben, welche ihm in dem betreffenden Fache mit der Autorität der Sachkunde und Erfahrung entgegentreten könnten". S. a. etwa Waldersee, Denkwürdigkeiten, Bd. II, S. 95f.
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wenn auch noch die materiellen Lasten des Invaliditäts- und Altersgesetzes im nächsten Jahre hinzutreten. Dadurch dürften insbesondere Kleinbauern und Kleinbürger rebellisch gemacht werden, die Lasten bekommen, die sie schwer tragen können. Kurz, von welcher Seite immer man die Dinge ansieht, wir haben alle Ursache, mit ihnen zufrieden zu sein. Wenn alles sich so gestaltet, wie ich jetzt voraussetze, werde ich im Laufe des Hochsommers mal nach London kommen müssen. Ostern will ich mit meiner Frau zum Besuch nach Zürich. Wenn nur das Wetter ein wenig besser würde. Gehab Dich wohl, und seid alle herzlichst gegrüsst von Deinem A . BEBEL.
1 4 3 . B E B E L AN ENGELS
Drfesden-] Pl[auen], den 31. März 1890.
Original. Lieber Engels!
Im Begriffe, morgen mit meiner Frau auf zehn bis zwölf Tage nach Zürich zu reisen, will ich vor allen Dingen noch Deinen Brief vom 19. März1 beantworten. Ich stimme ganz mit Dir überein, dass wir in Deutschland uns in einer Lage befinden, welche die grösste Umsicht und Geschicklichkeit unsrerseits erfordert. Aus diesem Grunde haben wir auch alle Ursache, bei der Demonstration am 1. Mai2 die Massen in Schranken zu halten, damit es zu keinen Konflikten kommt. Liessen wir jetzt den Leuten die Zügel schiessen, solche Konflikte wären unausbleiblich; denn die Wahlen haben den weniger geschulten Massen die Köpfe verdreht, und sie glauben, bloss wollen zu müssen, um alles durchsetzen zu können. Klagen doch sogar Leute, die wahrhaftig nicht im Geruch der Ängstlichkeit und Übervorsicht stehen, dass sie die Massen kaum noch zügeln könnten. Da nun der Geschäftsgang im grossen und ganzen noch ein solcher ist, der Nachfrage nach Arbeitern erzeugt, ist das Streikfieber allgemein, und eine möglichst lärmende Demonstration am 1. Mai wäre gerade recht, um Arbeitseinstellungen in ungeahnten Dimensionen herbeizuführen. 1 2
Der Brief liegt nicht vor. Der zum erstenmal begangenen Maifeier.
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Der Konflikt mit den Berlinern 8 kam daher ganz recht, um etwas ö l auf die hochgehenden Wogen zu giessen. Ernstere Folgen hat dieser Konflikt nicht, da auch die Berliner einsehen, dass sie etwas zu weit gingen. Die gestrige Volkszeit[ung] hatte ganz recht, als sie schrieb, dass der 20. Februar eine Demonstration der deutschen Arbeiter gewesen sei, wie sie grossartiger nicht gedacht werden könnte.4 Dennoch werden wir unsere Schuldigkeit am 1. Mai zu tun suchen. Die Fraktion wird, wenn der Reichstag nicht in Bälde einberufen wird, am 13. April zusammenkommen und Beschluss fassen. 5 Auf das, was die nächste Zeit bringt, darf man sehr gespannt sein. Sicher ist, die Ausnahmegesetzgebung fällt, man wird auch ein wenig in Arbeiterschutz machen; aber auf der anderen Seite wird das System erst recht zu seiner höchsten Blüte steigen, indem es auf militärischem und verwandtem Gebiete Forderungen stellt, die früheres noch überbieten. Ende März veröffentlichte eine Reihe bekannter Berliner Sozialdemokraten einen Aufruf „ W a s soll am 1. Mai geschehen?" In allen Industriestädten müsse der T a g ein Feiertag sein. Vormittags sollten öffentliche Versammlungen mit der Tagesordnung „ D i e Achtstundenbewegung" abgehalten werden; der Nachmittag solle den Feiern im Freien dienen. Zu den Unterzeichnern gehörten die Abgeordneten M. Schippel und A. Schmidt. S. darüber H. Müller, Der Klassenkampf, S. 71ff. Am 25. März brachte das Berliner Volksblatt eine Erklärung aus Fraktionskreisen, dass die Fraktion sich damit beschäftigen werde. D a s Vorgehen der Berliner wirke „bis zu einem gewissen Grade störend" und habe „in weiteren Parteikreisen unangenehm berührt". E s wurde empfohlen, nicht eher Schritte zu tun, bis die Fraktion gesprochen habe. Am 25. März folgte ein Brief Schippeis an das Berliner Volksblatt, da die Fraktion nicht daran gedacht habe, Kundgebungen, die nach dem Pariser Beschluss „grossartig" sein sollten, vorzubereiten, sei der Berliner Aufruf berechtigt gewesen. Nach der Fraktionserklärung, s. Anm. 5, erwarte er vom 1. Mai überhaupt nichts mehr. 4 Mehring warnte darin die Arbeiter vor Unbesonnenheiten; er sprach in diesem Zusammenhang von „Schippeleien und Narretheien" und rühmte Bebels Klugheit und Mässigung. S. a. Th. Höhle, Franz Mehring, S. 259ff. 5 Die Fraktion beschloss am 13. April einen längeren, von allen Mitgliedern gezeichneten Aufruf, der sich auf wirtschaftliche und politische Bedenken stützte; es würde möglicherweise zu unabsehbaren Konflikten kommen. „Unter solchen Umständen können wir es mit unserem Gewissen nicht vereinbaren, den deutschen Arbeitern zu empfehlen, dass sie den 1. Mai zu einem T a g allgemeiner Arbeitsruhe machen . . . D i e deutsche Sozialdemokratie hat nicht nötig, Heerschau zu halten nach dem grossen Aufmarsch und Sieg des 20. F e b r u a r . . . [Der Zweck des 1. Mai] wird voll und ganz erreicht durch Abhaltung von Arbeiterversammlungen, Arbeiterfesten und ähnlichen Kundgebungen, auf denen Massenbeschlüsse im Sinne des Pariser Kongresses gefasst werden. W o immer man eine Arbeitsruhe am 1. Mai ohne Konflikte erwirken kann, da möge es geschehen." Der Sozialdemokrat, Nr. 16, 19. April. Nur Liebknecht verlangte einen entschiedeneren Aufruf. H. Müller, a.a.O., S. 74. 3
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Wir unsrerseits sind gezwungen, dem nicht nur entgegenzutreten, sondern durch Formulierung von Anträgen die entgegengesetzen Forderungen zu stellen. Damit wird die Situation bald klarwerden und der Moment kommen, in dem man auf jener Seite begreift, dass es auch auf dem neuen Wege nicht geht. Dann könnte das eintreten, was Du andeutest.4 Damit das aber nicht möglich ist, müssen wir so operieren, dass alles, was wir auf politischem Gebiete fordern, der Sympathie der bürgerlichen Kreise sicher ist. Auf dieser Seite werden wir um so mehr gewinnen, als anzunehmen ist, dass unsere Freisinnigen sich lebhaft bemühen werden, regierungsfähig zu erscheinen, und dann den Erwartungen ihrer Wähler in keiner Weise entsprechen. Kurz, die Dinge liegen so, dass wir jeden Schritt genau zu überlegen haben und dass wir, ohne in schwächlichen Opportunismus zu fallen oder den Schein, als dächten wir zu paktieren, auf uns zu laden, mässig in der Form, aber fest in der Sache, doch geraden Weges auf unser Ziel lossteuern. Die Hauptsache wird sein, dass wir unsere Leute im Reichstag bestimmen, in diesem Sinne zu reden und zu handeln, und ich hoffe, dass dies ohne grosse Mühe gelingen wird. Später gelegentlich mehr. Mit den besten Grüssen Dein A . BEBEL. •
Der „grosse Belagerungszustand." S. Brief Nr. 140, Anm. 4.
1 4 4 . B E B E L AN ENGELS
Original.
Zürich, den 9. April 1890. Lieber Engels!
Dein Brief kam eben noch recht, um ihn beantworten zu können; denn morgen fahren wir bereits nach Stuttgart und von dort Sonnabend nach Hause. Was Du über den Geisteszustand W[ilhelm]s schreibst, ist seit langem auch meine Meinung. Mediziner, mit denen ich vor Jahr und Tag in Berlin sprach, äusserten, dass sein Geisteszustand, infolge seines Ohrenleidens, kein normaler sei und eine Katastrophe früher oder später nicht ausgeschlossen sei. Der Mann ist von einer ewigen Unruhe gepeinigt, so dass man fast nicht begreift, wie er alles fertig1
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Der Brief liegt nicht vor.
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bringt; er ist der „Überall und nirgends" und der Schrecken seiner Umgebung. Dazu kommt ein massloses Selbstgefühl und der Ehrgeiz, etwas Ausserordentliches sein zu wollen. Cäsarenwahnsinn.2 Solange sich derselbe so äussert, wie in der letzten Zeit, können wir ihn uns gefallen lassen; wir haben sogar das lebhafte Interesse, dass er ein paar Jahre in dieser Richtung verbleibe. Er löst mit seinen Eingriffen in alles und jedes die alten Zustände vollständig auf und bringt alles in Aufruhr in den höheren Regionen. Genaueres über die Stimmung am Hofe und die Ansichten in Berlin weiss ich nicht. Unsere Bourgeoisie ist ganz aus dem Häuschen und sieht in ihm einen „sozialdemokratischen Kaiser". Brieflich kann man sich über diese Dinge nicht unterhalten, und seit Schluss des Reichstags habe ich mit niemand von dort nähere persönliche Beziehungen gehabt. Ich bin um so neugieriger, Näheres zu hören, wenn ich nach dort komme. Bei diesen eigentümlichen Verhältnissen müssen wir sorgfältig das Provozieren verhüten und müssen eine mehr abwartende Stellung einnehmen, bis wir den 30. September hinter uns haben. Ist einmal das Soz[ialisten]gesetz definitiv gefallen, dann hält es schon schwer, einen neuen Ausnahmezustand wieder zu schaffen. Unsere sächsische Regierung sieht dem gegenwärtigen Zustande der Dinge in sehr unbehaglicher Stimmung entgegen; ihr passt die Aussicht auf den Wegfall des Soz[ialisten]gesetzes gar nicht, und sie wendet es auch sicher an, solange sie kann. Nächsten Sonntag haben wir Fraktionskonferenz, um Stellung zum 1. Mai zu nehmen. Dem Streit mit den Berlinern ist nicht die geringste Bedeutung beizumessen. Schippel 3 ist zwar ein Intrigant — der geDarauf deutete man bereits damals auch in Hofkreisen hin, also vor dem 1894 erschienenen genialen Pamphlet Ludwig Quiddes Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn. S. etwa Waldersee am 29. April 1894: „ G a n z entsetzt bin ich über die Broschüre ,Caligula'. Dass ein Professor unter seinem Namen so etwas erscheinen lässt, ist auch ein Zeichen der Zeit, denn niemand kann an der Beziehung auf den Kaiser zweifeln. Ich wurde bei der Durchsicht daran erinnert, dass General Wittich schon vor vier Jahren auf Anlagen zum Cäsarenwahnsinn hinwies . . . " Denkwürdigkeiten, Bd. II, S. 313. Allerdings wurde Q u i d d e dafür 1896 wegen Majestätsbeleidigung zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. 3 Max Schippel (1859-1928} begründete 1887 die Berliner Volks-Tribüne, Herausgeber der „Berliner Arbeiterbibliothek", Mitglied des Reichstags seit 1890, 189495 Redakteur des Wochenblattes Der Sozialdemokrat. 1890 einer der Führer der „Jungen", später einer der Theoretiker des Revisionismus; seit 1907 ständiger Mitarbeiter der Sozialistischen Monatshefte. 1919 Leiter der sächsischen Landesstelle für Gemeinwirtschaft, 1925 Professor a.d. Technischen Hochschule Dresden. Hauptschriften: Grundzüge der Handelspolitik (1902); Sozialdemokratisches Reichstagshandbuch (1902); Die Praxis der Handelspolitik (1917). 2
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waschene Hasselmann, wie ihn Auer ganz treffend nannte, — aber ihm fehlt einesteils der Mut, andernteils der Takt. Er wagt keinen Kampf, zu dem ihm auch vollkommen die Gründe fehlen. Das Benehmen von Bios Dir und Deiner Arbeit gegenüber ist fast unbegreiflich.4 Ich hatte mich schon beim Lesen des Artikels über mancherlei im Inhalt desselben gewundert, namentlich fehlte demselben die sonst an Deinen Arbeiten gewohnte logische Schärfe; nun wird mir die Sache klar. Bl[os] ist ein Schwachmatiker und ein Waschlappen, der aber eine sehr hohe Meinung von seinen historischen Kenntnissen hat. D[ie]tz kommt ihm viel zu sehr entgegen, das habe ich ihm schon oft gesagt. Der Vorgang mit Dir wird ihm gezeigt haben, dass er ihn nicht so selbständig wirtschaften lassen darf. Es ist ein sehr grosser Ubelstand, dass Kautsky als Redakteur in L[ondon] sitzt. D[ie]tz hat sich schon oft darüber beschwert, und er hat vollkommen recht. Die Sache geht auch auf die Dauer unmöglich, namentlich wenn D[ie]tz' schon lange gehegter Plan, die N[eue] Z[eit] halbmonatlich oder wöchentlich erscheinen zu lassen, verwirklicht werden soll.5 Frau und Tochter lassen Dich schön grüssen. Von der letzteren habe ich Dir ihre Verlobung mit einem Dr. Ferd[inand] Simon,4 prakt. Arzt, den sie hier kennenlernte, anzuzeigen. Es wird eine echt sozialdemokratische Ehe werden. Der junge Mann, der seinerzeit in den Breslauer Geheimbundprozess verwickelt war, hat infolgedessen seine Reichsangehörigkeit aufgegeben und kann unter zweieinhalb Jahren, bis wohin die Verjährung eintritt, nicht nach Deutschland. Da er aber mit seinen Studien zu Ende ist und sich nur noch praktisch üben will, wird er auf vier Monate nach Paris gehen, dann auf ca. drei Wochen nach London kommen, wo Du ihn wohl kennenlernen wirst, und dann auf einen Monat zur Erlernung der Massage nach Stockholm sich begeben. Alsdann will er sich eine Existenz schaffen, zu welchem Zweck er wahrscheinlich nach den Vereinigten] Staaten, und zwar in die Nähe von Boston, Easthampton, übersiedeln wird. Das passt uns natürlich nicht, aber was wollen wir machen. So mischt sich das Kürzungen und Änderungen in Engels' Aufsatz „Die auswärtige Politik des russischen Zarentums", Die Neue Zeit, VIII. Jahrg. (1890), S. 145ff., 193ff.; gleichzeitig russisch im Sozialdemokrat, London, Februar-Ausg., S. 176ff., AugustAusg., S. 142ff. S. Engels' Brief an Kautsky 1. April 1890, in dem er mit dem Abbruch seiner Mitarbeit drohte, und Kautskys Antwort vom 3. April. 5 Mit dem IX. Jahrgang, 1. Oktober 1890, erschien sie als Wochenblatt. Kautsky siedelte nach Berlin über. 6 Ferdinand Simon (1863-1912) war Arzt in Zürich; er schrieb für die Intern. Bibliothek Die Gesundheitspflege des Weibes (Stuttgart, 1894). Er starb an einer Infektion durch den Biss einer mit Streptokokkengift geimpften Maus. 4
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verdammte Soz[ialisten]gesetz in die privatesten Beziehungen ein. Herzlichen] Gruss von Deinem A . BEBEL.
Frieda soll ebenfalls auf drei Monate nach Paris gehen.
145. ENGELS AN
Original.
BEBEL
London, den 9. Mai 1890. Lieber Bebel!
Dank für Deine Züricher Mitteilungen — es freut mich, dass wir auch über diesen Punkt zur gleichen Ansicht gekommen sind. Mir war Deine Bestätigung besonders wichtig; unsereins ist in derartigen Sachen so sehr auf Schlüsse mit ungenügender Grundlage angewiesen, dass man nicht gern wieder solche unsicheren Schlüsse als Grundlage für weitere Folgerungen und gar Handlungen sich dienen lässt ohne Bestätigung von kompetenter Seite. Zur Verlobung Deiner Tochter meinen herzlichen Glückwunsch Dir und Deiner Frau. Dass sie später zu einer Übersiedlung nach Amerika führt, ist Euch sicher sehr fatal, könnte aber doch die eine, für mich angenehme Folge haben, dass wir zwei einmal zusammen nach Amerika hinüberdampften. Was meinst Du? Ich bin fest überzeugt, nach zwei bis drei Tagen wäre Deine Seekrankheit verschwunden und wahrscheinlich so ziemlich für immer. Und zur Erholung von Strapazen ist eine solche Seereise unbezahlbar — ich spüre die Nachwirkung meiner Spritztour vor nun fast zwei Jahren noch immer. Zudem behauptet Zadek ja, ein sicheres Mittel gegen Seekrankheit zu haben (Antipyrin soll sehr gut sein), und nach ärztlichen Angaben sollen nur zwei bis drei Prozent der Menschheit unfähig sein, sich in zwei bis drei Tagen an die Bewegung zu gewöhnen. Also überlege Dir die Sache. Wenn Du an meinem Artikel Mangel an Logik verspürst,1 so ist das wohl mehr meine eigene Schuld als die von Bios. Eine so lange und komplizierte Historie auf weniger als zwei Druckbogen zusammenzufassen, ist ein schweres Kunststück; und ich bin mir bewusst, dass es Stellen genug darin gibt, wo der Zusammenhang unklar und die Motivierung ungenügend ist. Für eine spätere etwas ausführlichere Bearbeitung des Gegenstandes — der für uns von der höchsten 1
S. Brief Nr. 144, Anm. 4, und Nr. 146.
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Wichtigkeit — wären mir Deine kritischen Noten äusserst erwünscht —, nur kurze Andeutungen, wo und wie Du den Faden unterbrochen oder verwickelt findest. Die Bourgeoisie der ganzen Welt hat nun wohl Zeit gehabt, ihre vor dem 1. Mai ausgestandene Angst auszuschwitzen und ihre bei der Gelegenheit verunreinigte Wäsche wieder zu reinigen. Der Daily News-Korresp [ondent] in Berlin, der einer der stärksten Heulmeier war, beklagte sich am 1. Mai darüber, dass die Arbeiter die ganze Welt in den April geschickt hätten, und besann sich erst nach vier Tagen dahin, dass allerdings die Arbeiter schon vorher immer und immer erklärt hätten, sie wollten nur eine friedliche Demonstration machen, man habe ihnen aber nicht geglaubt! Ihr hattet ganz recht, die Sache so einzurichten, dass Kollisionen unmöglich waren. Die deutschen Arbeiter haben nach dem 20. Februar nicht mehr nötig, blossen Lärm zu schlagen. Unter den Umständen musste Deutschland am 1. Mai bescheidener auftreten als die anderen,2 und das hat Euch auch niemand verdacht, weder hier noch in Frankreich. Aber aus der Schippelei3 könnt Ihr, glaub' ich, eine Lehre ziehen: das nächste Mal dafür zu sorgen, dass der Fraktionsvorstand während des Interregnums zwischen Neuwahl und Zusammentritt des Reichstags entweder fortzufungieren beauftragt ist oder von den Neugewählten ausdrücklich für das Interregnum in seinem Amt bestätigt wird. Dann kann er mit Sicherheit einschreiten und handeln, wo nötig, und wird den Herren in Berlin, die gern nach Pariser Art sich als natürliche Parteileiter gerieren wollen, keine Gelegenheit geben, sich vorlaut wichtigzumachen. Vorausgesetzt, dass nach dem 1. Oktfober] die Organisation so bleibt wie jetzt. Hier war die Demonstration] am 4. Mai geradezu überwältigend, und selbst die gesamte Bourgeoispresse muss dies zugestehen. Ich war auf Plattform vier (einem grossen Güterwagen) und konnte nur einen Teil — ein Fünftel bis ein Achtel — der Masse übersehen, aber es war Kopf an Kopf, soweit das Auge reichte. Zweihundertfünfzig bis dreihunderttausend Menschen, davon über drei Viertel demonstrierende Arbeiter. Aveling, Lafargue und Stepniak sprachen von meiner Plattform — ich war bloss Zuschauer. Laf[argue] erregte einen wahren Sturm des Beifalls mit seinem scharf französisch akzentuierten, aber sehr guten Englisch und seiner südlichen Lebhaftigkeit. Auch Stepniak — ebenso hatte Ede auf der Tribüne, wo Tussy war, einen brillanten Empfang. Die sieben Plattformen waren je hundert2
Eine ausführliche Übersicht über den Verlauf der Maifeier in den wichtigsten Städten im Sozialdemokrat, Nr. 19, 10. Mai. 3 S. Brief Nr. 143, Anm. 3.
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fünfzig Meter voneinander, die letzten hundertfünfzig Meter vom Ende des Parks — also über zwölfhundert Meter lang und reichlich vier- bis fünfhundert Meter breit war unser Meeting (das für den internationalen gesetzlich einzuführenden Achtst[unden-] Arbeitstag) und alles gedrängt voll, und jenseits waren die sechs Plattformen des Trade Council und die zwei der Soc[ial] Dem[ocratic] Federation, aber kaum halb so stark besetzt von Publikum wie die unseren. Alles zusammen die riesigste Versammlung, die je hier gehalten. Dabei ein brillanter Sieg speziell für uns. Die Details wirst D u aus Edes Korrespondenz] im Volksblfatt]4 gesehen haben. Trades Council und S[ocial Democratic] Fed[eration] hatten uns, wie sie glaubten, den Park weggestohlen für den Tag, aber sie wurden geprellt. Aveling brachte den Minister der öffentlichen Arbeiten dahin, uns auch sieben Plattformen im Park zu bewilligen, was eigentlich gegen die Vorschrift. Aber glücklicherweise waren die Tones am Ruder, und es gelang, sie einzuschüchtern: unsere Leute hätten sonst die Plattformen der anderen gestürmt, hiess es. Und unser Meeting war das grösste, das am besten organisierte, das begeistertste. Die grosse Masse ist hier jetzt schon für Achtstundengesete. Aveling und besonders Tussy haben die ganze Sache gemacht und seitdem eine ganz andere Stellung hier in der Bewegung als vorher. Die „Union der Gasarbeiter und Arbeiter überhaupt" 5 — bei weitem die beste der neuen Fachvereine — hat sie redlich unterstützt, und ohne sie wäre die Sache unmöglich gewesen. Jetzt gilt es, das Komitee, das unser Meeting organisiert — Delegierte von Tr[ades] Unions, radikalen und sozialist [ischen] Klubs — zusammenzuhalten und zum Kern der Bewegung hier zu machen. Dies wird wohl heute abend eingeleitet werden. Soviel ist sicher, die Arbeiter, die Bourgeois, die Chefs der alten faulen Trades Unions und der vielen politischen] und sozialen Sekten und Sektchen und die Streber und Stellenjäger und Literaten, die die Bewegung ausbeuten wollen, wissen genau, dass die wirkliche sozialistische Massenbewegung mit dem 4. Mai begonnen hat." Jetzt „ D i e Achtstundendemonstration in London", in Nr. 104, 7. Mai. — Engels: „ D e r 4. Mai in London", Arbeiter-Zeitung, Wien, Nr. 21, 23. Mai, auch im Berliner Volksblatt, Nr. 123, 31. Mai; wiederabgedruckt in Victor Adlers Aufsätze, Reden und Briefe, Bd. I (Wien, 1922), S. 8ff. 5 Die G a s Workers and General Labourers Union wurde am 1. April 1889 gegründet und zählte ein Jahr später bereits fast 100.000 Mitglieder. 6 Engels darüber ausführlich in seinem Anm. 4 erwähnten Aufsatz. Für wesentlich hielt er die Bildung von Fachvereinen unter den ungelernten Arbeitern gegenüber den zünftlerischen Trades Unions. Jene nahmen mit sozialistischen Vereinen und Clubs die Initiative zur Maifeier und brachen damit das Monopol der Trades Unions auf Arbeiterdemonstrationen. 4
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endlich sind die Massen im Gang und werden nach einigen Kämpfen und etwas Hin- und Herschwanken den persönlichen Ambitionen, den Ausbeutungsgelüsten der Streber, den Rivalitäten der Sekten ebenso ein Ende bereiten, wie seinerzeit in Deutschland geschah, und jedem seine richtige Stelle anweisen. Und da der internationale Sinn sich sehr stark dabei entwickelt, werdet Ihr bald merken, welche neuen Bundesgenossen Ihr habt. Die Engländer stehen in ihrer ganzen Art des Handelns, Agitierens und Organisierens uns viel näher als die Franzosen; und ist hier erst alles im richtigen Gleise und die unvermeidlichen ersten inneren Friktionen überwunden, so werdet Ihr ganz famos mit diesen Leuten zusammen marschieren. Was gäb ich drum, wenn Marx dies Erwachen noch erlebt hätte, er, der so genau auf das kleinste Symptom achtete, gerade hier in England! Von dem Pläsier, das ich diese letzten vierzehn Tage erlebt, habt Ihr keine Vorstellung. Es kommt aber auch dick. Erst Deutschland im Februar, dann der 1. Mai drüben und in Amerika, und nun dieser Sonntag, wo seit vierzig Jahren zum erstenmal wieder die Stimme des englischen Proletariats ertönt. Ich trug den Kopf zwei Zoll höher, als ich von dem alten Güterwagen herabstieg. Grüsse an Deine Frau und Singer
1 4 6 . B E B E L AN
Original.
Dein
F. E.
ENGELS
Dr[esden-] Pl[auen], den 2. Juni 1890. Lieber Engels!
Für Deine Glückwünsche zur Verlobung unserer Kleinen herzlichen Dank von meiner Frau und mir! Die Aussicht, mal mit Dir die Reise nach den Vereinigten] Staaten zu machen, ist sehr verlockend. So wäre ich schwerlich hinübergekommen, aber wenn die Tochter und der Schwiegersohn drüben sind, muss man schon den Respekt vor der Seereise überwinden. Auch ist ja des Landes selbst wegen eine Reise von grossem Wert. Dein Russenartikel1 hat mir sehr gut gefallen, ich habe auch nichts an ihm auszusetzen; in der zweiten Wiedergabe machte er einen ganz anderen Eindruck als in der ersten. Das eine, was ich dagegen einzuwenden hätte, wäre, Du wirst etwas zu offen. Ich meine, in bezug auf die Perspektive für uns. Ich habe mir nun vorgenommen, wenn Der erste Teil des Aufsatzes, S. 145-54, wurde nochmals ungekürzt zusammen mit der Fortsetzung abgedruckt. S. Brief Nr. 144, Anm. 4.
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Zeit und Gesundheit es ermöglichen, anknüpfend an Deinen Artikel in der N[euen] Z[eit] eine Arbeit zu veröffentlichen, die die gegenwärtige Stellung Deutschlands und Russlands vom Standpunkt seiner (sie!) Interessen aus behandelt und mit Rücksicht auf unsere Politik gegen Frankreich.2 Die Frage ist gegenwärtig, wo die Rüstungen und die Aussichten auf eine totale Umgestaltung und kolossale Mehrbelastung der Militärorganisation die öffentliche Meinung erregen, aktuell. L[ie]bk[necht] hat in der Militärdebatte dieser Seite der Frage zu wenig Bedeutung beigemessen;3 er hat überhaupt, indem er von vornherein verzichtete, gegen die Militärtechniker Einwendungen vorzubringen, weil sie von ihrem Standpunkt stets recht hätten, die Frage etwas verschoben. Ich verzichtete bei der weit vorgeschrittenen Zeit, und weil ich mich nicht wohl fühlte, aufs Wort und will wünschen, dass ich bei der zweiten oder dritten Lesung sprechen kann. Ich werde Dir eine Broschüre4 schicken, sobald ich in Berlin bin, die, offenbar von einem hohen Militär geschrieben, die Situation anders als durch die Bismarcksche Brille ansieht. Allerdings ist sie wieder in anderer Art borniert. Aber sie hat eine Menge Urteile über unsere Militärverhältnisse, Frankreich und Russland, die sehr interessant sind und von uns ausgenutzt werden können. Ich will sie mit zum Gegenstand meiner Besprechung machen. Unsere Bourgeoisie hat sich allmählich wieder von ihrem unglaublichen Schrecken vor dem 1. Mai erholt. So dicht hinter dem Ausfall der Wahlen vom 20. Febr[uar] erschien ihr der 1. Mai als der Beginn der wirklichen Revolution. Jetzt gesteht die Bourgeoispresse selbst ein, dass die Ereignisse einen solchen Druck auf die Börse und das ganze Geschäftsleben ausübten, dass grosse Stockungen entstanden. Auch die kaiserlichen Erlasse brachten ihren Veröffentlicher in den Verdacht, es mit der Sozialdemokratie halten zu wollen,5 und bestärkten sie in ihrer Sorge. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass man in unseren BourBebel behandelte das Thema erst im September 1891, s. Brief Nr. 163, Anm. 4. Liebknecht hatte bei der ersten Lesung des Militäretats am 16. Mai nur die allgemeine politische Lage behandelt. 4 Bebel meint die anonyme Broschüre Videant consules; er ging auf sie edn in seiner Rede über die Friedenspräsenzstärke in der Reichstagssitzung am 25. Juni. Verfasser der Broschüre war der damalige Major Fr. von Bemhardi, s. seine Denkwürdigkeiten aus meinem Leben (Berlin, 1927), S. 118ff. Ebd. Wiedergabe des Inhalts: Bernhardi sah in der Friedenspolitik die Wurzel alles Übels. Er forderte einen Präventivkrieg gegen Frankreich und Russland, solange ein deutscher Sieg noch wahrscheinlich sei, und daher verstärkte Rüstungen. 5 Die kaiserlichen Erlasse, s. Brief Nr. 140, Anm. 2, wurden am 4. Februar ohne Gegenzeichnung Bismarcks im Reichs- und Staatsanzeiger veröffentlicht. 2
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geoiskreisen so vernagelt und angstscheisserisch wäre, als es sich nach Zeitungs- und Privatmitteilungen tatsächlich herausgestellt hat. Ich muss heute wieder nach Berlin, um morgen an den Arbeiten der Arb[eiter-]Schutzges[etz-]Kommission6 teilzunehmen. Dieser Gang nach Berl[in] passt mir gar nicht. Ich habe mich zwar von meinem Darmkatarrh erholt, befinde mich aber alle Augenblicke im Zustand grosser Ermüdung und nervöser Erregung, und ich garantiere auch nicht, dass ich bis zu Ende in Berlin aushalten kann. Die letzten acht Monate: Reichstag, Elberf[elder] Prozess, Sächsfischer] Landtag, Wahlagitation, wieder Reichstag boten des Guten ein wenig zuviel, und das wirkt nach. Könnte man nur die Dinge leicht nehmen, dann wäre es besser. Du wirst mittlerweile gehört haben, welche Veränderungen bevorstehen bei uns. Die Angelegenheiten werden in Kürze in der Fraktion zum Abschluss gebracht werden. Mit Ausnahme von Julius [Motteier] ist uns wegen des Unterbringens der anderen nicht bange, aber mit J[ulius] ist absolut nichts anzufangen. Nach der ganzen Situation muss künftig Berlin der Sitz der Leitung werden und soll das Volksbl[att] offizielles Parteiorgan sein.7 Aus diesem Grunde habe ich mich, wenn auch sehr ungern, zur Ubersiedlung nach Berlin entschlossen und werde dies bis zum 1. Oktfober] auszuführen suchen. Nun erhebt aber Liebkn[echt] Schwierigkeiten, er und namentlich seine Frau möchten von Leipzig nicht weg,8 namentlich macht die letztere eine Menge Einwendungen wegen ihrer Familienverhältnisse. Diese sind aber entweder sehr übertrieben oder gar nicht vorhanden und werden durch andere Vorteile aufgewogen. Dass es ausserdem für L[ie]bk[necht] heisst, sich beiseitesetzen und eine Nebenrolle spielen, wenn er in L[ei]pz[ig] bleibt, scheint er selbst nicht einsehen zu wollen. Es würde ganz guttun, wenn Du ihm gelegentlich klarmachtest, dass er mittun muss, will er nicht als Invalide betrachtet werden, wozu für ihn gar kein Grund vorliegt. Finanziell steht er sich in B[erlin] weit besser, und seiner unsinnigen Kräftezersplitterung, indem er für alle möglichen Blätter schreibt, wird auch ein Ende Der Entwurf des Gesetzes über den Arbeiterschutz wurde dem Reichstag am 6. Mai vom Bundesrat vorgelegt. Die Arbeiterschutz-Kommission des Reichstages hielt im Juni fünfzehn Sitzungen ab, über die das Berliner Volksblatt in den Nummern vom 3., 4., &., 7., 9., 10., 11., 12., 14., 16., 17., 18., 19., 21., 23. Juni berichtete. 7 Der Vorwärts wurde mit dem Untertitel Berliner Volksblatt das offizielle Parteiorgan. Bebel zog Mitte September nach Berlin. 8 Es kostete grosse Mühe, Liebknecht zum Weggang von Leipzig, wo er sehr verwurzelt war, zu bewegen. S. Bebel, Erinnerungen an Liebknecht (Stuttgart, 1900), Beilage zum Wahren Jacob, Nr. 368. 6
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gemacht, und das sollte ihm doch nur willkommen sein. Seine Frau hat aber einen gewaltigen Einfluss auf ihn, und die hängt mit allen Fasern jetzt an Leipzig. Mit den besten Grüssen von mir und meiner Frau Dein A . BEBEL.
1 4 7 . B E B E L AN E N G E L S
Dr[esden-] Pl[auen], den 27. August 1890.
Original. Lieber Engels!
Du hast in Deinem Brief vom 12. August1 die Situation der Partei in Deutschland vollkommen richtig beurteilt. Ich habe deshalb Deinen Brief auch an Auer, Grillenberger und Singer gesandt, damit diese sich das eine und das andere daraus merken. In diesem Augenblick ist der Krakeel so gut wie vorüber; was noch hier und da sich bemerklich macht, ist das Grollen eines abziehenden Gewitters. Die vorgestrige Berliner Versammlung2 dürfte den Schlussstein in diesen Krakeelereien gebildet haben. In Berlin haben wir die ungeheure Mehrheit auf unserer Seite, das hat nicht nur die Versammlung gezeigt, das haben auch die Massen (Zehntausende) gezeigt, die vor dem Versammlungslokal weit und breit alle Strassen und Plätze füllten. Als man mich auf dem Gang nach dem Versammlungslokal entdeckte, erhob sich ein Bravogeschrei, dass ich für mein Trommelfell fürchtete und mir fast die Kleider vom Leibe gerissen wurden. Man wollte mich um jeden Preis nach dem Versammlungslokal tragen. Der Fehler der Opposition ist, dass ihr eigentliche Handhabe fehlen. Der angebliche Fehler vom 1. Mai hat sich nachträglich als ein sehr kluger und die Situation richtig erfassender Akt erwiesen, und Unzufriedenheit, die über diese und jene Person bestehen mag, weil Der Brief liegt nicht vor. Die Versammlung am 25. August in der Brauerei Friedrichshain; ausführlicher Bericht u.d.T. „Über Parteifragen" im Sozialdemokrat, Nr. 36, 6. September. S. Bernstein, Geschichte, Bd. II, S. 322ff. Nach dem Bericht wurde mit ca. 4.000 gegen einige hundert Stimmen Bebels Resolution angenommen: „Die Versammlung erklärt, die von verschiedenen Seiten aufgestellte Behauptung, die sozialdemokratische Reichstagsfraktion sei korrumpiert, sie beabsichtige, die Partei zu vergewaltigen und sei bestrebt, die freie Meinungsäusserung in der Parteipresse zu unterdrücken, für eine durch nichts bewiesene schwere Beleidigung der Fraktion, beziehentlich der Parteileitung. Die Versammlung erklärt ferner die gegen die bisherige parlamentarische Tätigkeit der Fraktion gerichteten Angriffe für ungerechtfertigt. . . " 1 8
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sie nicht leistet, was man erwartet, ist kein Hebel für eine nachhaltige Opposition. Dazu kommt ferner, dass die Wortführer der Opposition teilweise Leute sind, bei denen es nicht ganz sauber um das Nierenstück ist. Die Opposition gegen den Organisationsentwurf3 wäre gar nicht in der Weise entstanden, wäre nicht vorher schon durch die Angriffe eine gewisse Erregung erzeugt worden. Einige ungeschickte Fassungen in dem Entwurf gaben dann die willkommene Gelegenheit, dagegen Sturm zu laufen. Der Entwurf ist eben ein Kompromisswerk, der wesentlich beeinflusst wurde durch die Gefahren, die er den bestehenden Gesetzen gegenüber läuft. Wir können in Deutschland keine Idealverfassung haben wie in Ländern mit freien Gesetzen. Der neueste Erlass Herrfurths zeigt, was wir in bezug auf Vereins- und Versammlungsgesetz zu erwarten haben.4 Mit einigen Änderungen in bezug auf die Kontrolle, in bezug auf die mein Entwurf so lautete, wie allgemein gewünscht wird, wie bezüglich der Vertretung wird den Hauptbedenken Rechnung getragen. Im übrigen muss die Fassung so lax wie möglich sein, um in jedem Lande so operieren zu können, wie es die lokale Handhabung der Gesetze verlangt. Ob nicht trotz alledem und alledem unsere neue Organisation der Auflösung verfällt, ist nicht sicher; äussersten Falles kommen wir auch ohne eine solche aus. Was wir unter dem Sozialisten] gesetz fertiggebracht, bringen wir künftig erst recht fertig. Der Trödel der letzten Wochen hat für mich persönlich die Wirkung gehabt, dass er mir unendliche Arbeit, Ärger und Aufregung brachte, so dass niemand froher ist als ich, wenn die neue Ordnung der Dinge sich einstellt. In London wirst Du mich vor Oktober nicht sehen, vielleicht gar erst nach Neujahr. Mitte September habe ich Umzug und Einzug, das kostet Wochen. Dann kommt der Parteitag und die Neuorganisation, dieses kostet 3 Der Entwurf wurde veröffentlicht im Berliner Volksblatt, Nr. 182, 8. August, in der Berliner Volks-Tribüne, Nr. 32, 9. August. Über die Angriffe s. „Die bisherigen Angriffe gegen den Organisationsentwurf", Berliner Volks-Tribüne, Nr. 33, 16. August; „Noch einmal die Debatte über den Organisationsentwurf", ebd., Nr. 34, 23. August. Ferner im Protokoll des Haller Parteitages Auers Bericht über die Organisation der Partei, S. 115ff., die Diskussion darüber S. 131ff., und die Spezialdiskussion über den Organisationsentwurf, S. 242ff. 4 Er wies in einem Zirkular vom 18. Juli die Behörden an, nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes alle Möglichkeiten, die das gemeine Recht biete, zur Bekämpfung der Sozialdemokratie anzuwenden. „Wir haben die Wetterschläge des Sozialistengesetzes ausgehalten, die neue Polizeitaktik des Herrn Herrfurth wird uns gleichfalls gewappnet finden", erklärte das Berliner Volksblatt, Nr. 185, 12. August dazu.
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wieder Wochen. Den 4. November aber sollen schon wieder die Sitzungen der Arbeiter-Schutzges[etz-] Kommission beginnen. Ob mir der Berliner Aufenthalt das sein wird, was ich erwartete, darüber bin ich neuerdings sehr im Zweifel; ich fürchte eine noch grössere persönliche Inanspruchnahme, als sie bisher vorhanden war. Ich werde froh sein, wenn der Tag kommt, der uns Ersatzmänner bringt, die unsere Stellung in der Agitation und Organisation einnehmen können. Leider ist bis jetzt sehr wenig davon zu merken. Du scheinst anzunehmen, dass Frieda noch in Paris ist. Das ist ein Irrtum. Meine Tochter ist bereits drei Wochen hier und ihr Bräutigam ebenfalls seit vierzehn Tagen. Letzterer wird in Kürze nach Berlin gehen, um dort als Volontär in eine Nervenklinik einzutreten. Das Frühjahr will er kurze Zeit nach Stockholm (Massage lernen), um alsdann zu heiraten und sich wahrscheinlich in der Schweiz niederzulassen. Ich vermute, Dich hat die Sehnsucht, unseren Wilhelm kennenzulernen, nach Norwegen getrieben.5 So eine Tour würde auch ich für gar nicht „ohne" halten, könnte ich sie haben. Herzlichen] Gruss v[on] D[einem] A . BEBEL.
Im Juli 1890 hatte Engels mit Schorlemmer Norwegen bis zum Nordkap bereist. Engels an Liebknecht 22. Juli: „Da der junge Wilhelm gleichzeitig Norwegen beglückte, hielt ich meinen Reiseplan so geheim wie möglich, um Polizeischikanen zu vermeiden."
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1 4 8 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., Gross-Görschenstr. 22a, den 23. September 1890.
Original. Lieber Engels!
Wir sind glücklich in der Reichshauptstadt angelangt und bereits eingerichtet. Liebknecht ist am Sonnabend hier eingetroffen, doch habe ich ihn noch nicht gesehen, ebensowenig Auer. Wir haben hier Donnerstag die erste Konferenz. Es war sehr gut, dass Du den Krakeelern eins auf den Kopf gegeben hattest,1 der Hieb hat gesessen. Engels' vom 7. September datierte Zuschrift „Eine Antwort" richtete sich gegen die Äusserung der ausscheidenden Redaktion der Sächsischen ArbeiterZeitung in Nr. 105, 31. August: „ . . . Und so hofft die scheidende Redaktion der Sächsischen Arbeiter-Zeitung mit Friedrich Engels, dass, wie der naive Staats-
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Wegen des intern [ationalen] Kongresses hatten schon vor einigen Monaten sich die Belgier an mich gewandt, neuerdings auch an Liebknecht. Letzterer war bis vor kurzem für die Schweiz, ich war geneigt, mich von vornherein für Belgien zu erklären in Rücksicht auf die agitatorische Wirkung und zur Unterstützung der in Belgien im Gange befindlichen Agitation für das allgemeine] Stimmrecht etc.2 Nachdem der engl[ische] Gewerkschaftskongress sich ebenfalls für Belgien erklärte, müssen wir uns ebenfalls dafür aussprechen, soll nicht eine abermalige Spaltung eintreten, die uns lächerlich machte. Ich bin daher der Ansicht, dass wir auf dem Parteitag in Halle einen solchen Beschluss fassen und zugleich eine Resolution annehmen, wonach als selbstverständlich angenommen wird, dass der Kongress in Sachen seiner Tagesordnung, der Mandatprüfung und der Geschäftsordnung souverän ist. Eine Art Konferenz in H[alle] zu veranstalten, wäre gut und leicht; denn neben den Franzosen und Nieuwenh[uis] werden auch die Österreicher mit drei oder vier Mann vertreten sein.3 Aus der Schweiz ist zunächst niemand gemeldet, ausser einigen Vertretern unserer eigenen Leute, der Deutschen; man könnte aber eine Einladung an Wullschleger richten, dass er nach H[alle] kommt. Sobald Du von den Franzosen Antwort hast, willst Du sie einsenden; wenn Tussy käme, so wäre das auch sehr gut. Es ist noch sehr zweifelhaft, ob ich im Oktober nach London kommen kann. Ich muss Anfang Oktober bereits fort von hier und komme, eingerechnet die Zeit des Parteitags, kaum vor dem 18. [Oktober] wieder hierher zurück. Dann gilt es aber zunächst, die neue Sozialismus Lassalles dereinst überwunden wurde, so auch die erfolgssüchtige parlamentarische Richtung in der gegenwärtigen Sozialdemokratie von dem gesunden Sinn der deutschen Arbeiterschaft bald überwunden werden wird." Engels bezeichnete die Opposition als „Literaten- und Studentenrevolte" und ihre Politik als „Gymnasiastenpolitik" einer kleinen Sekte; er rückte von ihrem Antiparlamentarismus mit Marx' Wort ab: „Tout ce que je sais, c'est que moi, je ne suis pas marxiste." Dass die antiparlamentarische Stimmung weitverbreitet war, betont Bernstein, Geschichte, Bd. II, S. 325. Engels' Artikel im Sozialdemokrat, Nr. 37, 13. September, Berliner Volksblatt, Nr. 214, 14. September. S.a. Bebels Aufsatz „Die Sächsische Arbeiter-Zeitung und tutti quanti", im Berliner Volksblatt Nr. 181, 7. August sowie C. Schmidts Antwort „Zum Kongress" in der Berliner Volks-Tribüne, Nr. 32, 9. August. 2 Auf Antrag Bebels beschloss der Parteitag, der Einladung des Generalrates der Belgischen Arbeiterpartei, den nächstjährigen internationalen Arbeiterkongress in Brüssel abzuhalten, Folge zu leisten. Protokoll, S. 266, 275. 3 Der Parteitag war von folgenden Vertretern ausländischer Parteien besucht: Anseele (Belgien), Mundberg (Dänemark), El. Marx-Aveling (England), DucQuercy, Ferroul, Guesde, Ladour (Frankreich), Frl. Cohen, Domela Nieuwenhuis (Holland), V. Adler, Hanser, Pokorny (Österreich), Wobsky (Polen), Branting (Schweden), Beck, Scherrer, Wullschleger (Schweiz).
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Ordnung der Dinge einzurichten. Du siehst, es wird also sicher November werden. Das ist ja schliesslich auch nicht zu spät. Hier sagt man, der Kaiser müsse die Seereisen seines Ohrenleidens wegen machen, das ihn in beständiger nervöser Aufregung erhalte. Merkwürdig ist, dass er keine acht Tage ruhig in Berlin aushalten kann. Ede hat sich im Sozialdemokrat sehr gut gehalten, sein Eingreifen war namentlich durchaus taktvoll.4 Mit d[en] besten Grüssen von uns allen D[ein] A. BEBEL.
Gemeint ist wohl sein Aufsatz „Was uns gross gemacht hat", in Nr. 38, 20. September, in dem er die Situation der Partei und die inneren Differenzen von höherer Warte behandelte. 4
149. B E B E L
AN
ENGELS
Berlin W., den 29. September 1890.
Original. Lieber Engels!
In Sachen der intern [ationalen] Konferenz berieten wir heute. Wir konnten uns nicht entschliessen, weitere Einladungen ergehen zu lassen, schon um nicht den Schein zu erwecken, als wollten wir mit der internationalen] Vertretung unserem Parteitag eine besondere Gloriole geben.1 Auch ist die Zeit entschieden sehr vorgeschritten. Ausser Österreichern, Franzosen und Holländern werden also noch ein Belgier und ein Schweizer Komiteemitglied erscheinen. Letzteres hatte schon vor[ige] Woche beschlossen, sich für Belgien zu erklären, um keinen Bruch herbeizuführen. Ich denke, mit dieser Vertretung wird es wohl möglich sein, eine Verständigung über alle Fragen in unserem Sinne herbeizuführen. Ich halte für ausgeschlossen, dass ähnliche Dinge wie voriges Jahr in Paris passieren. Die Situation ist doch ein wenig anders. Ob man nach Köpfen oder nach Nationen stimmen will, halte ich für ziemlich unwesentlich, bald hat die eine, bald die andere Abstimmung ihre Vorteile. 1 Ein hier fehlender Brief Engels' ist aus seinem Schreiben an P. Lafargue, 25. September, zu ergänzen: „Bebel m'a écrit qu'il est d'accord avec nous pour Belgique. Maintenant je l'ai engagé à envoyer des invitations pour une Conférence préliminaire „afin de discuter les moyens d'éviter, pour 1891, la répétition de ce qui s'est passé en 1889, c'est-à-dire de deux congrès ouvriers indépendants et rivaux"; à inviter tout le monde, Belges, Suisses, les deux partis danois, Suédois, Italiens (avez-vous des adresses?) Espagnols et Anglais . . . "
399
Es ist allerdings wunderbar, dass der Berl[iner] Stadtrat eine Strasse nach einer Schlacht nennt, in der die Herren Preussen Klapse bekamen. 2 Seltsam. Seitdem ich aus Preussen weg bin, d.h. seit meinem achtzehnten Jahr habe ich mit Militär und Kaserne nichts mehr zu tun gehabt; kaum komme ich wieder nach Preussen, gerate ich auch in die unmittelbare Nachbarschaft einer Kaserne. Zum Glück ist sie nur provisorisch. Dem armen Ede ist in der letzten N[umme]r d[es] Sozialdemokr[at] ganz wehmütig geworden, 3 was ich ihm wahrlich nicht verdenke. Er hat das Blatt wacker redigiert und aus ihm gemacht, was gemacht werden konnte. Morgen nacht zwölf Uhr bei Anbruch des 1. Oktober habe ich eine Rede zu halten. 4 Ist mir auch noch nicht passiert, dass um diese Stunde eine Versammlung eigentlich beginnt. Übermorgen verreise ich auf acht bis zehn Tage. Mit den besten Grüssen Euch allen Dein A . BEBEL.
Sieh zu, dass Tussy nach Halle kommt! 2 In der Schlacht bei Gross-Görschen errang Napoleon einen seiner letzten Siege in Deutschland. s Sein Leitartikel in der letzten Nummer, 39, 27. September, in dem er, anknüpfend an den Abschied der Neuen Rheinischen Zeitung, die Aufgabe des Blattes unter anderen Verhältnissen schilderte. Er machte kein Hehl daraus, dass ihn der Abschied wie viele Leser, deren Zuschriften er in der Nummer brachte, mit Wehmut erfülle. 4 Zum Ablauf des Sozialistengesetzes veranstaltete die Berliner Sozialdemokratie in sieben der grössten Säle Arbeiterfeste zur Feier der Heimkehr der Ausgewiesenen. Die Feiern bestanden aus Konzert, Deklamation, Massengesang und Festrede. Sämtliche Veranstaltungen waren überfüllt. Bebel sprach in der Bockbrauerei am Tempelhofer Berg für die Berliner Wahlkreise I und II. Bericht im Berliner Volksblatt, Nr. 228, 1. Oktober.
150. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Berlin W., den 24. Oktober 1890. Lieber Engels!
Deinen Brief nebst den Zeitungsausschnitten habe ich erhalten. 1 Der Gil Blas hat von A bis Z erfunden, ich habe mit niemand in Halle 1
Er ist nicht vorhanden.
400
Es ist allerdings wunderbar, dass der Berl[iner] Stadtrat eine Strasse nach einer Schlacht nennt, in der die Herren Preussen Klapse bekamen. 2 Seltsam. Seitdem ich aus Preussen weg bin, d.h. seit meinem achtzehnten Jahr habe ich mit Militär und Kaserne nichts mehr zu tun gehabt; kaum komme ich wieder nach Preussen, gerate ich auch in die unmittelbare Nachbarschaft einer Kaserne. Zum Glück ist sie nur provisorisch. Dem armen Ede ist in der letzten N[umme]r d[es] Sozialdemokr[at] ganz wehmütig geworden, 3 was ich ihm wahrlich nicht verdenke. Er hat das Blatt wacker redigiert und aus ihm gemacht, was gemacht werden konnte. Morgen nacht zwölf Uhr bei Anbruch des 1. Oktober habe ich eine Rede zu halten. 4 Ist mir auch noch nicht passiert, dass um diese Stunde eine Versammlung eigentlich beginnt. Übermorgen verreise ich auf acht bis zehn Tage. Mit den besten Grüssen Euch allen Dein A . BEBEL.
Sieh zu, dass Tussy nach Halle kommt! 2 In der Schlacht bei Gross-Görschen errang Napoleon einen seiner letzten Siege in Deutschland. s Sein Leitartikel in der letzten Nummer, 39, 27. September, in dem er, anknüpfend an den Abschied der Neuen Rheinischen Zeitung, die Aufgabe des Blattes unter anderen Verhältnissen schilderte. Er machte kein Hehl daraus, dass ihn der Abschied wie viele Leser, deren Zuschriften er in der Nummer brachte, mit Wehmut erfülle. 4 Zum Ablauf des Sozialistengesetzes veranstaltete die Berliner Sozialdemokratie in sieben der grössten Säle Arbeiterfeste zur Feier der Heimkehr der Ausgewiesenen. Die Feiern bestanden aus Konzert, Deklamation, Massengesang und Festrede. Sämtliche Veranstaltungen waren überfüllt. Bebel sprach in der Bockbrauerei am Tempelhofer Berg für die Berliner Wahlkreise I und II. Bericht im Berliner Volksblatt, Nr. 228, 1. Oktober.
150. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Berlin W., den 24. Oktober 1890. Lieber Engels!
Deinen Brief nebst den Zeitungsausschnitten habe ich erhalten. 1 Der Gil Blas hat von A bis Z erfunden, ich habe mit niemand in Halle 1
Er ist nicht vorhanden.
400
ein Interview gehabt und konnte am allerwenigsten den mir in den Mund gelegten Blödsinn sagen. Deinem Rate gemäss habe ich Laura heute geschrieben und ihr einen Brief an den Chefredakteur mit einem kategorischen Dementi beigelegt. 2 Nimmt der G[ü] Bl[as], wie ich vermute, davon keine Notiz, so soll Lafargue für Veröffentlichung sorgen. Es ist unglaublich, was das journalistische Federvieh lügt. Es freut mich, dass Du so sehr von dem Verlauf in Halle befriedigt bist. Wir haben auch alle Ursache, zufrieden zu sein, obgleich ich es nicht anders erwartete. Die Opposition war von dem Augenblicke an tot, wo sie zeigte, dass sie selbst nicht wusste, was sie wollte. Das war es aber gerade wieder, was mich so ärgerte, und dass sie für nichts und wieder nichts den Eindruck schwächte, den der Fall des Sozialistengesetzes in der ganzen Welt verursachte. Schliesslich hat aber auch das wieder sein Gutes; denn nun haben die Gegner gesehen, auf welchen Sand sie bauten, als sie glaubten, hinter der Opposition stecke wirklich etwas. Deiner freundlichen Einladung kann ich vorerst noch nicht Folge leisten, ich habe noch zu viel zu tun, das erst fertig werden muss. Im November komme ich, wenn nicht ganz Unvorhergesehenes dazwischenkommt, ganz sicher. Vorerst haben wir mit der Neuorganisation alle Hände voll, Fischer muss so rasch als möglich herüberkommen. 3 Dann aber habe ich auch persönlich Arbeiten zu erledigen, die keinen Aufschub dulden. Es ist wahr, ich war in H[alle] sehr herunter; aber ich erhole mich auch wieder rasch, und acht Tage vernünftige Lebensweise wirken bei mir Wunder. Der Ausfall des Wortes „Arbeiter" im Parteinamen 4 hat von keiner Seite diejenige Bedeutung erhalten, die Du ihm beilegst. Der Name wurde gewählt, weil er der Bezeichnung entspricht, die bei uns Sprachgebrauch geworden ist. Man spricht in der ganzen Presse und in der ganzen Gegnerschaft nicht anders von uns als von der Sozial2 Bebels Schreiben über d a s vom Gil Blas am 17. Oktober veröffentlichte angebliche Interview im Brief P. L a f a r g u e s an Engels 26. Oktober: „Monsieur, L e Gil Blas du 17 octobre publie sous forme de correspondance une „Interview avec M. Bebel". l e me permets d e vous faire observer que vous avez été victime d'une duperie et qu'il n'y a p a s un mot de vrai dans l'interview en ce qui concerne m a personne. L e s discours q u e m e prête votre correspondant sont de son invention." S. a. Engels an L . L a f a r g u e 19. Oktober. 3 Richard Fischer, London war auf dem Parteitag als Schriftführer in den Parteivorstand gewählt. 4 D i e sogen. Eisenacher Partei hiess Sozialdemokratische Arbeiter-Partei, die in Gotha vereinigte Partei Sozialistische Arbeiter-Partei und die seit Halle wieder legale Partei Sozialdemokratische Partei Deutschlands.
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demokratie und den Sozialdemokraten. Wir selbst sprechen von uns nicht anders als von der deutschen Sozialdemokratie; da war es ganz natürlich, dass wir diesen Namen, der der kürzeste und prägnanteste ist, akzeptierten. Ich selbst war unter den Anregern dieses Titels. Der Name mag heissen, wie er will, wir könnten mit dem blossen Namen gewisser Elemente uns nicht erwehren. Das hat die Erfahrung bewiesen. Hauptsache ist, dass der echte, rechte Geist in der Partei vorhanden ist, der anrüchigen Elementen, seien sie nun „Arbeiter" wie Herr Werner,5 oder katilinarisohe Existenzen wie die Wille6 und Konsorten, keinen Spielraum gewährt. Und ich denke, dafür werden unsere Leute sorgen. Einen guten Boden für uns bereitet wieder die Krise, die mit aller Macht hereinbricht und uns einen bösen Winter in Aussicht stellt. Kaum hat unsere Bourgeoisie aufgeatmet, so liegt sie auch wieder auf der Nase, und diesmal schlimmer als je zuvor. Es freute mich, von Tussy zu hören, dass Du Dich so wohl befindest; zehn Jahre musst Du noch mindestens mitmachen, dann, denke ich, haben wir's an allen vier Zipfeln. Herzlichen Gruss von uns allen D[ein] A. B E B E L . Wilhelm Werner, Buchdrucker, einer der Führer der „Jungen", seit Juli 1890 mit Maurer und Dimmick Verleger und Drucker der Berliner Volks-Tribüne. 6 Bruno Wille (1860-1928), Literat und Dichter aus dem Friedrichshagener Kreis, dessen Mittelpunkt Gerhart Hauptmann war. Sprecher der Berliner Freireligiösen Gemeinde; 1890 gründete er die Freie Volksbühne und veröffentlichte den Gedichtband „Einsiedler und Genosse". Sehr bekannt wurden seine späteren Romane Offenbarungen des Wacholderbaumes, Die Abendburg und Der Glasberg. 5
150a. B E B E L
Original.
AN
ENGELS
Berlin, [den 5. oder 6. November 1890]. Lieber Engels!
Dein Telegramm, das uns den Tod Nimms1 anzeigte, kam gestern abend gegen zehn Uhr an. Wir waren alle sehr bestürzt und sprechen Dir unsere lebhafteste Teilnahme aus über den schweren Verlust, der Dich damit betroffen. Du hast an ihr eine zweite Frau verloren, die vielleicht besser als manche Ehefrau Deinen Wünschen und Helene Demuth, Nimmy oder Nimm genannt, war am 4. November 1890 gestorben.
1
402
Bedürfnissen Rechnung zu tragen wusste und eine treue Genossin Dir war. Als Du mir neulich schriebst, sie sei unwohl, beschlich mich die Befürchtung, der ich auch gegenüber meinen Angehörigen Ausdruck gab, sie möchte sterben. Da war es Frieda, die auf Grund ihrer Bekanntschaft mit ihr diesen Sommer in Paris glaubte annehmen zu dürfen, dass so ihr Zustand schwerlich sei. Frieda hatte sie in Paris sehr wohl und munter aussehend gefunden, und der gleichen Ansicht war ihr Bräutigam, der sie jünger aussehend fand, als sie war. Nun, die treue Seele ist hin, und es wird Dir unmöglich sein, auch nur einen annähernden Ersatz für sie zu finden. Wie Du siehst, sind wir im Augenblick wieder im Reichstag beschäftigt. Die Arbeiter-Schutzgesetzkommission ist heute wieder in Tätigkeit getreten und nimmt uns täglich sechs bis sieben Stunden Zeit weg. Wenn die Zeitopfer nur noch durch den Erfolg ausgeglichen würden; so redet man aber ziemlich für die Katze. Ich hoffe, dass, wenn wir in der zweiten Hälfte dieses Monats hinüberkommen2 — L[ie]bkn[echt] und Singer kommen mit —, wir Dich wohl und munter antreffen. Überwinde den Schlag, weil er überwunden werden muss. Herzlichen Gruss von uns allen Dein 2
A.
BEBEL.
Zu Engels' siebzigstem Geburtstag am 28. November.
151. J U L I E UND F R I E D A B E B E L
AN
ENGELS
Berlin, den 26. November 1890.
Original. Verehrter Herr Engels!
Empfangen Sie meine herzlichste Gratulation zu Ihrem 70. Geburtstage mit dem aufrichtigen Wunsche, dass Ihr Leben in dauernder Gesundheit noch lange erhalten bleiben möge Ihren Freunden und zum Wohle der wissensbedürftigen Menschheit. Es grüsst Sie mit besonderer Hochachtung JULIE
BEBEL.
Gestatten Sie auch mir, verehrter Herr Engels, Ihnen meine innigsten Glückwünsche zu Ihrem Geburtstag zu senden. Möchte sich das neue Lebensjahr recht freundlich für Sie gestalten und Sie vor allem immer bei bester Gesundheit erhalten. Mit hochachtungsvollem Gruss FRIEDA
BEBEL.
403
1 5 2 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 26. Dezember 1890.
Original. Lieber Engels!
Die Nachricht, dass wir mit heiler Haut von unserer englischen Reise zurückkehrten,1 wirst Du von anderer Seite genügend erfahren haben. Ich hoffe, dass Dir ebenfalls die nicht geringen Strapazen gut bekommen und wieder überwunden sind. Du hast, wenn möglich, noch in meiner Hochachtung gewonnen wegen Deiner physischen Leistungsfähigkeit; denn Deine geistige stand ausser Zweifel. Ich war in den letzten Tagen bei Bucher wegen der Herausgabe des Lassalle. Er sollte uns das Verlagsrecht der kleinen Schriften übertragen.2 Da hörte ich, dass er dieses schon vor Jahr und Tag, als an den Fall des Sozialisten]gesetzes noch nicht gedacht wurde, an Duncker u. Humblot übertragen habe, die ja, wie Dir bekannt, eine Gesamtausgabe der kleinen Schriften nebst Briefwechsel etc. veranstalten wollen.8 Wir müssen nun mit Duncker u. Humblot zu unterhandeln suchen, ob sie uns das Recht der Einzelausgabe, das ihnen keine Konkurrenz macht, gewähren. Ich bin beauftragt, ihnen zu schreiben, und dachte als Köder zu verwenden, dass ich ihnen verspräche, wir wollten dafür unseren Einfluss aufbieten, dass ihnen die in der Partei vorhandenen Briefe Lassalles — es sind solche, glaube ich, auch noch im Archiv, an J. Ph. Becker gerichtet — zur Verfügung gestellt würden. Ich denke natürlich dabei auch an die Briefe L[assalle]s an Dich und M[arx] und bitte Dich, uns keinen Querstrich zu machen und Dfuncker] u. H[umblot] die versprochenen Abschriften zunächst nicht zu senden.4 Wie einmal die Dinge sich gestaltet haben, können wir an eine Gesamtherausgabe mit Briefen etc. nicht mehr denken, und so haben
Bebel war mit Liebknecht und Singer zur Feier von Engels' 70. Geburtstag in London. 2 „Sämtliche Briefschaften und Papiere" erbte die Gräfin Sophie Hatzfeldt. Sie sollte „die gelehrten und schriftstellerischen Aufsätze und Notizen" an Lothar Bucher geben, der auch Erbe der „sämtlichen schriftstellerischen und gelehrten Werke" Lassalles war. Über des Testament s. G. Mayer, Ferdinand Lassalle, Nachgelassene Briefe und Schriften, I. Bd. (Stuttgart-Berlin, 1921), S. lff. 3 Die Ausgabe kam nicht zustande. Der Verlag Duncker u. Humblot verzichtete auf eine Ausgabe, als er Kenntnis von dem Plan der Partei-Ausgabe erhalten hatte. R. Fischer an Engels 25. Juni 1891. Bernsteins Ausgabe der Reden und Schriften erschien in drei Bänden 1892-93. 4 Lassalles Briefe an Marx und Engels erschienen zuerst in Mehrings MarxEngels-Nachlass-Ausgabe, Bd. IV (Stuttgart, 1902.) 1
404
wir ein Interesse [dar] an, das Unternehmen von D[uncker] u. H[umblot] zu unterstützen. Bucher — den Du ja wohl früher persönlich kennenlerntest — war sehr gesprächig und teilte mir allerhand von den Vorgängen nach L[ assalle] s Tode bezüglich der Hinterlassenschaft mit,5 Vorgänge, die öffentlich noch nicht bekannt wurden, ich Dir brieflich aber, wegen Mangel an Zeit, nicht mitteilen kann. Ich muss morgen früh nach Bochum und Gelsenkirchen zur Nachwahl. Wir dürfen gespannt sein, wie dort diesmal das Votum ausfällt.6 Ich selbst komme zum erstenmal agitatorisch in jene Gegend. Nächste Woche verteilen wir die erste Nummer unseres polnischen Blattes.7 Die Polen und die Landagitation8 liegen unseren Gegnern schwer im Magen, namentlich veranlasst sie die letztere, überall Gegenmassregelungen zu treffen. Die Kreuz-Z[eitung] erörtert kaltblütig den Zeitpunkt, wo man mit ultima ratio der Könige gegen uns gehen müsse; mit dieser Alternative müsse man sich vertraut machen, ehe es zu spät werde! Wie mir Louise schreibt, hat sie sich entschieden, bei Dir zu bleiben.9 Dazu können wir uns alle gratulieren; denn sie ist jedenfalls die beste Stütze, die Du für Dich bekommen konntest, und ihr Entschluss ist um so anerkennenswerter, als es ihr sicher nicht leicht wurde, die Mutter und den eben erst ergriffenen Beruf aufzugeben. Halte Dich munter und trete das neue Jahr vergnügt an; grüsse, was am Silvester sich bei Dir zusammenfindet. Herzlichen Gruss von mir und den Meinigen. Dein A . BEBEL.
Noch eine wichtige Sache. Auf der Rückreise von London erfuhr ich, Du habest Deine Bibliothek dem British Museum für den Fall Deines Ablebens vermacht.10 Nun wünschen wir selbstverständlich den AugenÜber den Streit um Lassalles Nachlass und Testament und Buchers Rolle s. G. Mayer, a.a.O., S. 4ff. 6 In der Ersatzwahl für den Zentrumsabg. Frhr. von Schorlemer-Alst am 29. Dezember erhielten der nationalliberale und Zentrumskandidat je etwa 18.000, der sozialdemokratische fast 10.000 Stimmen. 7 Der für die polnischen Landesteile Preussens und die polnischen Arbeiter im Ruhrgebiet herausgegebenen Gazeta robotnicza. S. Bebels Bericht der Parteileitung auf dem Haller Parteitag, Protokoll, S. 40, und den Geschäftsbericht des Vorstandes auf dem Erfurter Parteitag, Protokoll, S. 48. 8 Ebd., S. 39f. bzw. 41f., hierzu Auers Ausführungen S. 89ff. 9 Louise Kautsky blieb bei Engels als Haushälterin und Sekretärin. 1894 heiratete sie den Wiener Arzt Dr. Ludwig Freyberger. 10 Es ist nicht bekannt, ob Engels je diese Absicht hatte. Im Testament vom 29. Juli 1893 hiess es darüber: „ . . . Ich vermache alle Bücher, die zur Zeit meines 6
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blick, wo Deine Bibliothek herrenlos wird, noch recht, recht lange hinausgeschoben; aber als vernünftiger Mensch denkt man doch an solche Eventualitäten, wie Du es ja auch getan hast, und da möchte ich denn doch fragen: Willst Du diese Entscheidung nicht rückgängig machen und die Bibliothek der deutschen Bewegung zukommen lassen? Letzteres könnte natürlich nur geschehen, indem Du eine oder mehrere Personen als Erben ernennst mit der ausdrücklichen Bestimmung, sie für den Fall ihres Ablebens in gleicher Weise abzu j treten. Deine Bibliothek ist ein Unikum, in Deutschland würde sie grossen Nutzen schaffen, im British Museum käme sie nur ganz exklusiven Kreisen zustatten. Nimm mir nicht übel, wenn ich hinzusetze, die deutschen Genossen würden einen Heimfall Deiner Bibliothek an das Britfish] Museum ausserordentlich bedauern. Überlege Dir meinen Vorschlag. Todes in meinem Besitz sind oder meiner Verfügung unterstehen, an die erwähnten August Bebel und Paul Singer . . . " E. Bernstein, „Friedrich Engels' Testament", Vorwärts, Ausg. Der Abend, 18. September 1929. Engels an L. Lafargue 14. November 1894. S. a. Brief Nr. 307.
153. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Berlin W., den 21. Januar 1891. Lieber Engels!
In aller Eile nur wenige Zeilen. Du erzählst mir in Deinem Brief 1 über das Gothaer Programm und die Einwendungen v[on] M[arx] 2 Dinge, von denen ich bis heute kein Wort weiss. Mich interessieren diese Mitteilungen um so mehr, als ich, der ich bis zum 1. April 1875 im Gefängnis sass — der Goth[aer] Einigungskongress war wohl Ende Mai oder Juni — aus dem Gefängnis an L[ie]bk[necht] lange Briefe schrieb, worin ich ihm auseinandersetzte, dass das Programm unhaltbar sei, und Abänderungsvorschläge machte. 3 L[ie]b[knecht] antwortete damals nicht, wie er sagte, der Kontrolle der Korrespondenz wegen nicht, sagte mir aber auch von jenen EinEngels' Brief liegt nicht vor. S. Brief Nr. 12, Anm. 3, und Liebknecht in der Vorbemerkung zum Abdruck der Marx-Kritik im Vorwärts, S. den folgenden Brief Anm. 1. 3 Bebel gibt, A.m.L., II, S. 316f., den Inhalt seines „mehrere Bogen langen, sehr gereizten Briefes" an Liebknecht wieder. Er hatte einen eigenen Entwurf mitgesandt, der sich „zu sehr in Detailmalerei verlor und deshalb auch von Bracke abgelehnt wurde". Ebenso wie dieser und Liebknecht lehnte der Hamburger Parteiausschuss Bebels Vorschläge ab. Ebd. 1 !
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Wendungen von M[arx] nichts. An wen gingen sie denn? An L[ie]bk[necht], Geib oder Bracke? Ich habe von keinem etwas gehört. L[ie]bk[necht] sagte nur, ich müsse schweigen, weil ich sonst alles in Frage stellte; sie hätten Mühe gehabt, von den Lassalleanern zu erreichen, was erreicht wurde. Ich bin nunmehr um so mehr gespannt auf das, was M[arx] damals schrieb. Da Louise und Tussy so angelegentlich nach Frieda fragen und ich's mit den beiden nicht verderben will, so bitte ich Dich, ihnen zu sagen, dass Fr[ieda] mit uns Ende d. Mts. nach Zürich reisen wird, um dort zu heiraten. Da mein künftiger Schwiegersohn vorläufig „heimatlos" ist — er gab die deutsche Staatsangehörigkeit auf, ohne eine andere zu erwerben, — machte die Beschaffung der Heiratserlaubnis etc. viel Scherereien und Arbeit. Doch haben sich die Schweizer Behörden sehr anständig benommen. Die Trauung soll in Hottingen stattfinden, und dann geht's ins neue Heim nach St. Gallen, das wir uns bei dieser Gelegenheit mit ansehen wollen. Es scheint, dass die Aussichten dort ganz gute sind; und da es Simon gelang, sich ein Fläschchen Koch'scher Lymphe hier zu verschaffen, — der soz[ial]demokr[atische] Schwiegervater war eine ganz gute Empfehlung —, so darf er wohl ziemlich sicher sofort auf Bekanntwerden und Praxis rechnen. Mir kommt die Sache zwar höchst ungelegen, aber was will ich machen. Ich bin nur froh, dass ich nur eine Tochter zu verheiraten habe. Herzlichen Gruss Euch allen von uns allen. Dein A . BEBEL.
1 5 4 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 30. März 1891.
Original. Lieber Engels!
Du hast etwas lange auf einen Brief warten müssen. Ich wollte unmittelbar nach der Veröffentlichung des M[arx] sehen Briefes1 Dir nicht gleich schreiben, weil ich über die Form, in der die VeröffentMarx' Brief über den Entwurf des Gothaer Programms von 1875 wurde von Engels u.d.T. „Zur Kritik des sozialdemokratischen Parteiprogramms. Aus dem Nachlass von Karl Marx", Die Neue Zeit, IX. Jahrg. (1891) Bd. I, S. 561ff., veröffentlicht. Nachdruck im Vorwärts, Nr. 27, 28, 1., 3. Februar 1891. Vgl. dazu die Briefe Nr. 9 bis 13. 1
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lichung erfolgte, sehr ärgerlich war, und später kam die Parlamentsarbeit mir wieder über den Kopf. Hätte ich den Inhalt des M[arx] sehen Briefes geahnt, als damals Du mir zuerst Mitteilung machtest, so hätte ich K[autsky] noch telegraphisch ersucht, von der Veröffentlichung Abstand zu nehmen.2 Ich bemerke ausdrücklich, dass gegen die Veröffentlichung an sich niemand Einspruch erhoben hätte; was aber geschehen musste, war, dass das persönlich Verletzende und das persönlich Kompromittierende, das beides mit der Kritik nichts zu tun hatte, aus der Veröffentlichung blieb.3 In erster Linie hätte der Begleitbrief4 nicht veröffentlicht werden sollen; denn er traf nicht das Programm, er traf uns — und mich obendrein vollständig unschuldig —, da ich den Brief nicht kannte und also in seinem Sinne auch nicht wirken konnte. Auf der anderen Seite standen wir als Dummköpfe oder Betrüger da, und in eine solche Rolle lässt man sich durch seine besten Freunde denn doch nicht bringen. Wären unsere Gegner nicht solche Esel, als sie tatsächlich sind, sie hätten die Veröffentlichung in ganz anderer Weise ausgenutzt, als es tatsächlich geschah. Denn wie immer man in Rücksicht auf die Lassalleaner damals zu Konzessionen bereit war, — und dass solche gemacht werden mussten, darüber war auch bei mir kein Zweifel, — nach der von Marx privatim geübten Kritik konnten eine Reihe der kritisierten Sätze geändert werden, ohne dass die Lassalleaner dagegen das geringste eingewendet hätten. Dass das nicht geschah, ist mir, nachdem ich den M[arx] sehen Brief kennengelernt, ein Rätsel. Warum es nicht geschah, darüber wollte ich mich mit L[ie]b[knecht], aus dem bei solchen Gelegenheiten doch nicht die Wahrheit herauszubringen ist, nicht einlassen. Hier an diesem Punkte, dass man ohne Not unrichtige Programmsätze aufnahm, hätten unsere Gegner am meisten und am wirksamsten gegen uns persönlich einsetzen können, wenn sie eben klüger wären, als sie sind. Ferner hätte ich die heftigen Ausfälle auf Lassalle nicht zugelassen, und zwar aus zwei Gründen. Einmal weil solche Angriffe nicht geLiebknecht im Leitartikel, Vorwärts, Nr. 37, 13. Februar: „Als Antwort auf gewisse Unterstellungen erklären wir noch, dass die Veröffentlichung des Marxschen Briefes ohne Vorwissen der Fraktion und der Parteileitung, welche die Veröffentlichung in der vorliegenden Form nicht gebilligt haben würden, durch die Redaktion der Neuen Zeit erfolgt ist." 3 Einige verletzende Stellen ersetzte Engels auf Kautskys Rat durch . . . Kautsky an Engels 8. Januar, 13. Januar, Engels an Kautsky 15. Januar. 4 Marx' Brief an Bracke 5. Mai 1875. Die Neue Zeit, a.a.O., S. 562.
2
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macht werden dürfen, ohne dass gleichzeitig die Beweise beigebracht werden — und Du musst bedenken, dass wir es in der Partei heute mit Hunderttausenden junger, unter dem Sozialistengesetz in ziemlich[er] Unerfahrenheit grossgewordener Leute zu tun haben und andererseits mit Tausenden der opferwilligsten Genossen, die eine solche rücksichtslose und harte Kritik empörte —, dann in Rücksicht auf Marx selbst, der dadurch den Schein persönlicher Ägriertheit auf Lassalle auf sich lud. In der Tat hat ein erheblicher Teil der deutschen Presse und, wie ich kürzlich sah, auch der Chicagoer Vorbote die gegen Lassalle gerichtete Kritik als persönlicher Gehässigkeit und Eifersucht entsprungen dargestellt, und auch in der Fraktion wurde geäussert, dass gerade damit Marx kein Gefallen geschehen sein könnte. Wenn hier Modifizierungen vorgenommen worden wären, hätte dieses den Eindruck der Kritik wesentlich verbessert, und es wären den Gegnern nicht die Waffen geliefert worden, die ihnen geliefert worden sind. Es ist wahrlich keine Annehmlichkeit, den Anspielungen und Anzapfungen im Reichstag gegenüber mit faulen Redensarten antworten zu müssen. Alle Angriffe unserer Gegner haben mich noch nicht in die Verlegenheit gesetzt, in die mich und uns überhaupt die Veröffentlichung des M[arx] sehen Briefes brachte. Ich werde froh sein, wenn allmählich Gras über die Angelegenheit wächst. Mottfeier] scheint sich mit dem Gedanken zu befreunden, nach der Schweiz zurückzukehren, wenn auch der Termin noch nicht feststeht. Er hat die Absicht, sich in ein geschäftliches Unternehmen mit Scheu einzulassen. Unsere jungen Leute schreiben nach wie vor aus St. Gallen die zufriedenstellendsten Briefe. Simon hat allmählich eine kleine Praxis erhalten und hat gute Hoffnung, weiteren Boden zu gewinnen. Die Katzbalgereien in unseren höheren Regionen, namentlich die famosen Enthüllungen aus dem Weifenfonds5 werden Dir bekannt sein. Die Geschichte macht böses Aufsehen und hilft das Ansehen Bismarcks gründlich zerstören. Wir sind dabei sehr lebhaft interessiert; denn ich bin bisher die Befürchtung nicht losgeworden, dass bei einem plötzlichen Wechsel, sei es in der Stimmung oder in der Person — und beides ist möglich — der Kerl8 abermals ans Ruder käme, und dann ging es uns schlecht. Die Bourgeoisie kann den Fall des Sozialistengesetzes nicht vergessen, und die Erkenntnis, dass unsere Macht Es handelte sich um 360.000 Mark, die der Staatssekretär von Bötticher zur Bezahlung der Schulden seines Schwiegervaters von Bismarck aus dem Weifenfonds erhielt. S. „Die Rechnungslegung über den Weifenfonds", Vorwärts, Nr. 70, 24. März; „Der Weifenfonds", Nr. 71, 25. März; „Zur Geschichte des Weifenfonds", Nr. 74, 29. März. 6 Bismarck.
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immer grösser wird und es keinen Weg der Verständigung gibt, lassen ihr Gewaltkuren als die besten erscheinen, und dazu wäre Bismarck vollkommen geneigt, kriegte er wieder das Heft in die Hand. Man kann sich schwer vorstellen, was würde, falls der jetzige Kaiser — der es mit allen verdirbt und in seiner ganzen Umgebung mit dem grössten Unbehagen betrachtet wird — so oder so vom Throne käme. Unser Interesse erfordert, dass der jetzige „Kurs" noch eine Reihe von Jahren beibehalten wird. — Morgen will ich zur sächsfischen] Landesversammlung nach Chemnitz, und werde ich dort mein Landtagsmandat niederlegen.7 L[ie]bk[necht] will dasselbe noch behalten, wie er's aber betätigen will, das ist mir ein Rätsel. Was ich nicht halbwegs ordentlich versehen kann, will ich lieber nicht haben. Herzlichen Gruss an Dich und Lfouise] Dein A . BEBEL. In der Versammlung am 31. März teilte Bebel mit, dass er infolge endgültiger Übersiedlung nach Berlin sein Mandat für Leipzig-Land niederlegen müsse. Liebknecht behielt seinen Wohnsitz in Sachsen bei und fasste aus Familienrücksichten die Rückkehr nach Sachsen als möglich ins Auge. Vorwärts, Nr. 76, 2. April. 7
1 5 5 . E N G E L S AN
BEBEL
[London, Anfang April 1891].
Konzept. Lfieber] B[ebel]!
Heute komme ich nicht, Dir auf Deinen Brief vom 30. zu antworten — das kommt nächstens, sobald die Arbeitsmasse es irgend erlaubt —, sondern Dir und Deiner Frau von ganzem Herzen zu Eurer silbernen Hochzeit Glück zu wünschen. Ich hoffe, Ihr werdet auch noch beide am 6. April 1916 die goldene Hochzeit feiern und ein Glas dabei aufs Andenken dieses jetzt schreibenden alten Knaben leeren, der dann längst in Rauch und Asche aufgegangen sein wird. Das kann ich Dir sagen: es leben nicht Viel Leute, denen ich so aufrichtig und so herzlich zu einem solchen Fest meine Glückwünsche darbringen kann, wie Dir. Seit wir zusammen korrespondiert und uns dann persönlich nähergetreten, habe ich fortwährend eine Übereinstimmung der Denkrichtung und Denkweise zwischen uns bemerkt, wie sie zwischen Leuten von so verschiedenem Entwicklungsgang förmlich wunderbar ist. Das schliesst — glücklicherweise — nicht aus, dass man auch über manche Punkte nicht übereinstimmt. Aber das 410
sind dann wieder Punkte, wo entweder mit der Zeit infolge von Diskussionen und neuen Ereignissen die Einstimmung sich von selbst einstellt, oder wo sie überhaupt auf die Dauer von keiner Bedeutung ist. Und ich hoffe, so bleibt es. (Ich glaube nicht, dass je wieder ein Fall vorkommen wird, wo einer von uns beiden einen den anderen direkt berührenden Schritt tun müsste, ohne sich vorher mit diesem anderen beraten zu haben.) 1 Und ich wenigstens segne nooh heute den Tag, wo Du mit mir in regelmässigen Briefverkehr tratest. 1
Der eingeklammerte Satz korrigiert aus: Ich glaube nicht, dass ich je wieder in den Fall kommen werde, einen die deutsche Partei direkt berührenden Schritt zu tun, ohne mich vorher mit Dir beraten zu haben. — S. den vorigen Brief.
156. BEBEL AN ENGELS
Original.
Berlin W., den 25. April 1891. Lieber Engels!
Für Deine Glückwünsche zu unserer silbernen Hochzeit sage ich Dir, zugleich im Namen meiner Frau, herzlichsten Dank. Dank auch für das vortreffliche Bild, das Du uns sandtest. Singer hatte Euch zwar ein wenig irregeführt, die Hochzeit war am 9. statt am 6., aber das macht nichts. Wir kamen so in die angenehme Lage, sie doppelt, ja sogar dreifach zu feiern. Erstens am 6., zweitens am 9. und drittens am 11., an dem wir einen grösseren Bekanntenkreis zu uns geladen hatten, wobei es bis zum Morgen urfidel zuging. Meine „Alte" hat getanzt und gesungen, als sei es nicht die silberne, sondern die grüne Hochzeit, die wir begingen. Wenn wir beide so fortmachen, hoffe ich, dass wir die uns von allen Seiten gewünschte goldene noch feiern. Es dürfen nur nicht jedes Jahr Arbeiterschutzgesetze, von der Art des jetzt endlich in zweiter Lesung verabschiedeten, gemacht werden; denn diese sind ganz geeignet, einem die Laune gründlich zu verleiden, und nötigen einen zu Kraftausgaben, die in keinem Verhältnis zu dem Erfolg stehen. Für die dritte Lesung kommen uns die Ausstände im rheinischwestfälischen Kohlenrevier sehr ungelegen. 1 Die Leute haben alle 1 Auf einer Bergarbeiter-Konferenz am 26. April in Bochum, auf der 274 Delegierte 160 Gruben vertraten, wurde ein Bergarbeiterstreik beschlossen. Er begann am 27. April und dauerte, da sich kaum zwanzig Prozent der Arbeiter daran beteiligten, nur wenige Tage, bis zum 5. Mai. Bericht über die Konferenz im Vorwärts Nr. 97, 28. April. O. Hue, Die Bergarbeiter, II. Bd., S. 430f. M. Koch, Die Bergarbeiterbewegung im Ruhrgebiet zur Zeit Wilhelm II. (Düsseldorf, 1954), S. 55 .
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Ursache, auf die Unternehmer erbittert zu sein. Leider ist aber gar keine Aussicht, dass sie Erfolg haben. Den Kohlenbaronen kommt der Streik gerade recht. Die künstlich hochgehaltenen Kohlenpreise waren nahe daran, zu sinken; und so ist der Streik das geeignete Mittel, der Preistreiberei Vorschub zu leisten. Wir haben alles mögliche aufgeboten, die Leute zurückzuhalten. Die Führer waren auch ganz mit uns einverstanden. Aber der Unwille der Massen über die ihnen widerfahrene Behandlung ist so gross, dass sie sich nicht zügeln lassen und in den Ausstand eintreten, obgleich sie auf keinen Sieg rechnen. An entscheidender Stelle scheint man zum Dreinhauen Neigimg zu haben, bereits sind Militärzusammenziehungen angekündigt. Die sozialreformerische Laune ist verflogen, seitdem man erkannt hat, dass die Massen für ein Linsengericht nicht zu haben sind. Man brennt seitdem an gewisser Stelle auf einen Konflikt, um der Bewegung, der man anders nicht mehr Herr zu werden fürchtet, mit Gewalt einen Damm entgegenzustellen. Ich will heute im Vorstand den Antrag stellen, einen Vertrauensmann nach dem Bergarbeiterrevier zu senden, der uns auf dem laufenden erhält, und damit wir im Reichstag für alle Fälle gesattelt sind. Die Verlegung der Maifeier auf den Sonntag2 wird diesmal zeigen, dass wir Massen auf die Beine bringen, wie sie sonst nicht annähernd zu haben wären. Leider ist für Berlin ein öffentlicher Aufzug unmöglich, er ist für die Hauptstadt und ihren* mehrmeiligen Umkreis durch Gesetz verboten. Die Polizei kommt also nicht erst in Verlegenheit, ihn zu verbieten. Die Hamburger rechnen auf mindestens hunderttausend Teilnehmer am Umzug. Die Beilage bitte ioh an Louise abzugeben. Herzlichen Gruss von mir und meiner Frau Dein A . BEBEL.
Falls Du mit Schorlemmer zusammenkommst, bitte ich Dich, ihm in meinem Namen für seinen Glückwunsch herzlich zu danken und ihn bestens von mir zu grüssen.
Nach einer Besprechung mit dem Parteivorstand erliess die Reichstagsfraktion am 4. Februar einen Aufruf, in dem im Hinblick auf die Wirtschaftslage empfohlen wurde, am Abend des 1. Mai Volks- oder Arbeiterversammlungen abzuhalten, dagegen die eigentliche Maifeier am ersten Sonntag im Mai, den 3. Mai zu begehen. 2
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1 5 7 . E N G E L S UND L O U I S E K A U T S K Y AN
BEBEL
London, den 1.-2. Mai 1891.
Original. Lieber Bebel!
Ich antworte heute auf Deine beiden Briefe vom 30. März und 25. April. Mit Freuden habe ich gelesen, dass Eure silberne Hochzeit so schön verlaufen ist und Euch Lust auf die künftige goldene gemacht hat. Dass Ihr beide sie erlebt, wünsche ich von Herzen. Wir brauchen Dich noch lange, nachdem mich — um mit dem alten Dessauer zu reden — der Teufel geholt hat. Ich muss, hoffentlich zum letztenmal, auf die Marxsche Programmkritik zurückkommen. Dass „gegen die Veröffentlichung an sich niemand Einspruch erhoben hätte", muss ich bestreiten. L[ieb]kn[echt] hätte sie nie gutwillig zugegeben und alles aufgeboten, sie zu hindern. Diese Kritik hegt ihm seit 1875 so im Magen, dass er an sie denkt, sobald von „Programm" die Rede ist. Seine ganze Hallenser Rede1 dreht sich um sie. Sein pausbackiger VoriuärfPartikel2 ist nur Ausdruck seines bösen Gewissens wegen ebenderselben Kritik. Und in der Tat ist sie in erster Instanz gegen ihn gerichtet. Wir sahen und ich sehe ihn noch als den Vater des Einigungsprogramms — nach seiner faulen Seite hin — an. Und das war der Punkt, der mein einseitiges Vorgehen entschied. Hätte ich mit Dir allein die Sache durchberaten und dann sofort an K[arl] K[autsky] zum Abdruck schicken können, wir wären in zwei Stunden einig geworden. Aber so hielt ich Dich für — persönlich und parteilich — verpflichtet, auch L[ie]bk[necht] zu Rate zu ziehen. Und dann wusste ich, was kam. Entweder Unterdrückung oder offener Krakeel wenigstens für eine Zeitlang, auch mit Dir, wenn ich doch vorging. Dass ich nicht unrecht hatte, beweist mir folgendes: Da Du am 1. April aus dem Loch kamst und das Aktenstück erst 5. Mai datiert, ist es klar — bis auf anderweitige Aufklärung —, dass Dir das Ding absichtlich unterschlagen wurde, und zwar kann das nur von L[ie]bk[necht] geschehen sein. Du gibst aber um des lieben Friedens willen zu, dass er die Lüge in die Welt schickt, Du habest Brummens halber das Ding nicht zu sehen bekommen. Und so hättest Du wohl 1 Bereits der St. Gallener Parteitag hatte 1887 eine aus Auer, Bebel, Liebknecht bestehende Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines neuen Programms bestimmt. Liebknecht berichtete in seiner Programmrede auf dem Haller Parteitag, Protokoll, S. 157-81, nicht über die Ausführung dieses Auftrags, sondern er zeigte die Reformbedürftigkeit des Gothaer Programms auf. Seine Resolution, dem nächsten Parteitag den Entwurf eines revidierten Programms vorzulegen und mindestens drei Monate vor dem Parteitag zu veröffentlichen, fand Zustimmung. 2 „Der Marxsche Programmbrief", in Nr. 37, 13. Februar; Nachdruck in der Neuen Zeit, IX. Jahrg. (1891), Bd. I, S. 683ff.
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auch vor dem Druck Rücksicht auf ihn genommen, um Skandal in dem Vorstand zu vermeiden. Ich finde das auch erklärlich, aber hoffentlich Du dann auch dies, dass ich darauf Rücksicht nahm, dass aller Wahrscheinlichkeit nach so gehandelt worden wäre. Ich habe soeben das Ding nochmals durchgesehen. Möglich, dass noch einiges hätte weggelassen werden können, ohne dem Ganzen zu schaden. Aber viel sicher nicht. Was war die Lage? Wir wussten ebensogut wie Ihr und wie z.B. die F[rank]furter Zeitung vom 9. März 1875, die ich gefunden, dass mit der Annahme des Entwurfs durch Eure Bevollmächtigten die Sache entschieden war. Daher schrieb M[arx] das Ding nur, um sein Gewissen zu salvieren, dixi et salvavi animam meam steht zum Zeugnis darunter, und ohne irgendwelche Hoffnung auf Erfolg. Und Liebk[necht]s Dicktun mit dem „kategorischen Nein"3 ist daher nichts als blosse Renommage, und er weiss das auch. Wenn Ihr nun in der Wahl Eurer Vertreter einen Bock gemacht und nun, um nicht die ganze Einigung zuschanden werden zu lassen, das Programm hinunterschlucken musstet, so könnt Ihr doch wahrhaftig nichts dagegen haben, dass man jetzt, nach fünfzehn Jahren, die Euch vor der letzten Entscheidung zugegangene Warnung veröffentlicht. Das stempelt Euch weder als Dummköpfe noch als Betrüger, es sei denn, Ihr nehmt für Eure amtlichen Handlungen Unfehlbarkeit in Anspruch. Allerdings hast Du die Warnung nicht gelesen. Das ist ja aber auch veröffentlicht, und so stehst Du ausnahmsweise günstig da gegenüber den anderen, die sie gelesen und sich doch in den Entwurf gefügt. Den Begleitbrief halte ich für sehr wichtig.4 Denn darin wird die einzig richtige Politik dargelegt. Parallele Aktion für eine Probezeit, In dem Anm. 2 erwähnten Artikel: „Die Tatsache, dass Marx das Programm der deutschen Sozialdemokratie ein ,verwerfliches und korrumpierendes' genannt, und dass er über Lassalle ein Urteil gefällt hat, das die Gefühle hunderttausender von deutschen Arbeitern zu verletzen geeignet ist, kam unseren Feinden sehr gelegen und wurde von ihnen mit Jubel begrüsst. Allein der Jubel wurde sofort gedämpft durch den Gedanken, dass die Empfänger des Briefes selbst den Ratschlägen einer wissenschaftlichen Autorität wie Karl Marx ein kategorisches Neinl entgegengesetzt, und durch ihr Festhalten an dem Programmentwurf die Einigimg der deutschen Sozialdemokratie erwirkt haben. Und unsere Feinde . . . wissen femer, dass durch die Veröffentlichung des Marxschen Briefes das ihnen so bequeme Märchen: die deutsche Sozialdemokratie sei nur eine Puppe in der Hand von Marx gewesen, für immer zerstört ist." 4 Im Begleitbrief an Bracke vom 5. Mai 1875: „ . . . Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme. Konnte man also nicht — und die Zeitumstände Hessen das nicht zu — über das Ejsenacher Programm hinausgehen, so hätte man einfach eine Übereinkunft für Aktion gegen den gemeinsamen Feind abschliessen sollen . . 3
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das war das einzige, was Euch vor dem Prinzipienschacher retten konnte. Aber L[ie]bk[necht] wollte sich den Ruhm, die Einigung gemacht zu haben, um keinen Preis entgehen lassen, und da ist es nooh ein Wunder, dass er in seinen Konzessionen nicht noch weiter ging. Er hat eine wahre Einigungswut von jeher aus der bürgerlichen Demokratie mit herübergenommen und behalten. Dass die Lass[alleaner] kamen, weil sie mussten, weil ihre ganze Partei in Stücke ging, weil ihre Führer Lumpen und Esel waren, denen die Massen nicht mehr folgen wollten, das kann in der gewählten milden Form heute gesagt werden. Ihre „stramme Organisation" endigte naturgemäss in vollständiger Auflösung. Also lächerlich, wenn L[ie]bk[necht] die en bloc-Annahme der Lass[alleschen] Glaubensartikel damit entschuldigt, dass die Lass[alleaner] ihre stramme Organisation geopfert — da war nichts mehr zu opfern! D u wunderst Dich, woher die unklaren und verworrenen Phrasen im Programm stammen? Aber die sind ja alle gerade der leibhaftige L[ie]bk[necht], wegen deren wir uns mit ihm jahrelang herumgestritten, und für die er schwärmt. Er ist theoretisch stets unklar gewesen, und unsere scharfe Formulierung ist ihm noch heute ein Greuel. Dagegen tönende Phrasen, wobei man sich alles mögliche oder auch nichts denken kann, liebt er als alter Volksparteiler noch heute. Wenn damals unklar Franzosen, Engländer, Amerikaner von „Befreiung der Arbeit" statt der Arb[eiter]fcZosse sprachen, weil sie's nicht besser wussten, und wenn selbst in den Aktenstücken der Intern a t i o n a l e ] stellenweise die Sprache der Leute geredet werden musste, zu denen man sprach, so war dies Grund genug für L[ie]bkn[echt], die Ausdrucksweise der deutschen Partei gewaltsam auf denselben überwundenen Standpunkt zurückzuschrauben. Und man kann keineswegs sagen, „wider besseres Wissen"; denn er wusste es wirklich nicht besser, und ich bin nicht sicher, ob das nicht auch heute noch gilt. Jedenfalls fällt er noch heute alle fingerlang in die alte verschwommene Ausdrucksweise zurück — sie ist allerdings rhetorisch leichter zu verwenden. Und da ihm an den demokratischen Grundforderungen, die er zu verstehen glaubte, sicher mindestens ebensoviel lag als an den ökonomischen Sätzen, die er nicht klar verstand, so war er sicher ehrlich, wenn er bei Einhandlung der demokratischen Stapelartikel gegen die Lassalleschen Dogmen ein brillantes Geschäft gemacht zu haben glaubte. Was die Angriffe auf Lassalle angeht, so waren mir diese mit das wichtigste, wie ich auch gesagt. Durch Annahme aller wesentlichen Lass[ alleschen] ökonomischen Phrasen und Forderungen waren die Eisenacher tatsächlich Lassalleaner geworden, wenigstens dem Programm nach. Die Lass[alleaner] hatten nichts, aber auch gar nichts
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geopfert, was sie hätten halten können. Um den Sieg der letzteren zu vervollständigen, habt Ihr die gereimte moralisierende Prosa, worin Herr Audorf den Lassalle feiert,5 zu Eurem Parteilied übernommen. Und während der dreizehn Jahre Soz[ialisten]gesetz war selbstredend keine Möglichkeit, innerhalb der Partei gegen den Lassalle-Kultus aufzutreten. Dem musste ein Ende gemacht werden, und das hab ich angestiftet. Ich werde nicht mehr erlauben, dass der falsche Ruhm Lassalles auf Kosten von Marx aufrechterhalten und neu gepredigt wird. Die Leute, die noch Lassalle persönlich gekannt und angebetet, sind dünn gesäet, bei all den anderen ist der Lass[alle]-Kultus rein gemacht, gemacht durch unsere stillschweigende Duldung wider besseres Wissen, hat also nicht einmal die Berechtigung persönlicher Anhänglichkeit.6 Auf die Unerfahrenen und Neuzugekommenen war hinreichend Rücksicht genommen dadurch, dass das Ding in der Nfeuen] Z[eit] veröffentlicht war. Aber ich kann überhaupt nicht zugeben, dass in solchen Dingen die historische Wahrheit zurücktreten muss — nach fünfzehn Jahren lammfrommer Geduld — vor der Konvenienz und der Möglichkeit des Anstosses innerhalb der Partei. Dass dabei jedesmal brave Leute verletzt werden, ist nicht zu vermeiden. Und dass sie dann knurren, auch nicht. Und wenn sie dann sagen, M[arx] sei neidisch auf L[assalle] gewesen, und deutsche Blätter und sogar (!!) der Chicagoer Vorbote (der für mehr spezifische Lassalleaner — in Chicago — schreibt, als in ganz Deutschland existieren) dann mit einstimmen, so rührt mich das weniger als ein Flohstich. Wir haben ganz andere Dinge an den Kopf geworfen bekommen und sind doch zur Tagesordnung übergegangen. Das Beispiel ist gegeben, dass Marx den heiligen Ferdinand Lassalle rauh angefasst hat, und das ist vor der Hand genug. Und nun noch eins: Seit Ihr versucht, die Veröffentlichung des Artikels mit Gewalt zu verhindern, und der N[euen] Z[eit] habt Warnungen zukommen lassen,7 sie würde im Wiederholungsfall vielJakob Audorfs „Lied der deutschen Arbeiter" (1864): „Wohlan, wer Recht und Wahrheit achtet, zu unsrer Fahne steht zu Häuf!" mit dem Refrain: „Nicht zählen wir den Feind, nicht die Gefahren all': der kühnen Bahn nur folgen wir, die uns geführt Lassalle!" 6 S. Briefe Nr. 14 bis 16. 7 S. Engels an Kautsky 3. Februar, Kautsky an Engels 6., 9. Februar, Engels an Kautsky 11. Februar, Kautsky an Engels 18. Februar, Engels an Kautsky 23. Februar, Kautsky an Engels 9. März 1891. Kautsky versah die Rüge der Fraktion, s. Brief Nr. 154 Anm. 2, im Abdruck in der Neuen Zeit mit der Bemerkung: „Welcher Art diese Unterstellungen sind, wissen wir nicht. Tatsache ist, dass wir uns allerdings nicht verpflichtet gefühlt haben, den Marxschen Brief der Parteileitung oder der Fraktion zur Begutachtung vorzulegen, und dass dieselben davon erst nach dem Erscheinen von Heft 18 Kenntnis erhielten, dass wir aber auch 5
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leicht auch parteilich verstaatlicht und unter Zensur gestellt, muss mir die Besitzergreifung Eurer ganzen Presse durch die Partei doch unter einem eigentümlichen Licht erscheinen. Wodurch unterschiedet Ihr Euch von Puttkamer, wenn Ihr in Euren eigenen Reihen ein Sozialistengesetz einführt? Mir persönlich kann das ja ziemlich einerlei sein, keine Partei in irgendeinem Lande kann mich zum Schweigen verurteilen, wenn ich zu reden entschlossen bin. Aber ich möchte doch zu bedenken geben, ob Ihr nicht besser tätet, etwas weniger empfindlich und im Handeln etwas weniger — preussisch zu sein. Ihr — die Partei — braucht die sozialistische] Wissenschaft, und diese kann nicht leben ohne Freiheit der Bewegung. Da muss man die Unannehmlichkeiten in den Kauf nehmen, und man tut's am besten mit Anstand, ohne zu zucken. Eine, auch nur lockere, Spannung, geschweige ein Riss zwischen der deutschen Partei und der deutschen sozialistischen] Wissenschaft wäre doch ein Pech und eine Blamage sondergleichen. Dass der Vorstand resp. Du persönlich einen bedeutenden moralischen Einfluss auf die ~N[eue] Z[eit] und auf alles auch sonst Erscheinende behält und behalten muss, ist selbstredend. Aber das muss Euch auch genügen und kann es. Im Vorwärts wird immer geprahlt mit der unantastbaren Freiheit der Diskussion, aber zu merken ist davon nicht viel. Ihr wisst gar nicht, wie eigentümlich solche Neigung zu Gewaltmassregeln hier im Ausland einen anmutet, wo man gewohnt ist, die ältesten Parteichefs innerhalb der eigenen Partei gehörig zur Rechenschaft gezogen zu sehen (z.B. die ToryRegierung durch den Lord Randolph Churchill).8 Und dann dürft ihr doch nicht vergessen, dass die Disziplin in einer grossen Partei keineswegs so straff sein kann als in einer kleinen Sekte, und dass das Sozialistengesetz, das Lassfalleaner] und Eisenacher in eins geschmiedet (nach L[ie]bk[necht] hat das allerdings sein Pracht-Programm getan!) und solchen engen Zusammenhalt nötig machte, nicht mehr existiert.
aus unserer Absicht, ihn zu veröffentlichen, kein Hehl gemacht haben. Die Verantwortung für die Veröffentlichung tragen bloss wir." 8 Einer der bedeutendsten konservativen Parteiführer. Er scheute sich nicht, durch freimütige Äusserungen den Unwillen seiner Parteifreunde zu erregen. So meinte er während des Wahlkampfes 1892: „Die Arbeiter sind jetzt bestrebt, das für sich zu tun, was Grundadel und Kapital früher taten: die politische Macht zu erhalten und Gesetze für die Arbeiter zu schaffen . . . Aber in dieser Bewegung haben die Arbeiter gegen sich die Vorurteile der besitzenden Klasse, die Hilfsmittel des Kapitals und die übrigen zahlreichen Kräfte: . . . , die durch die Vorurteile der besitzenden Klasse und durch die Einflüsse des Kapitals mobil gemacht werden können." Zitiert nach M. Beer, Geschichte des Sozialismus in England (Stuttgart, 1913), S. 469.
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Uf! So, dieser alte Kram wäre abgeschüttelt, und jetzt von was anderem. In den höheren Regionen scheint's bei Euch heiter herzugehen. Ist aber schon gut so. Wir können diese Herstellung der allgemeinen Unordnung in der Staatsmaschine brauchen. Wenn nur Friede bleibt, dank der allgemeinen Angst vor dem Ausgang eines Krieges! Denn jetzt nach Moltkes T o d ist das letzte Hindernis weggefallen, das der Desorganisation der Armee durch launenhafte Besetzung der Kommandoposten noch im W e g stand, und jedes Jahr muss jetzt dazu beitragen, dass der Sieg ungewisser und die Niederlage wahrscheinlicher wird. Und so wenig ich neue Sedans wünsche, ebensowenig lechze ich nach Siegen der Russen und ihrer Bundesgenossen, selbst wenn sie Republikaner sind und sonst Ursache haben, sich über den F[rank]furter Frieden 9 zu beschweren. Die Mühe, die Ihr auf die Gewerbeordnungs-Revision 1 0 verwandt, ist nicht vergebens gewesen. Eine bessere Propaganda ist nicht zu denken, gedacht zu werden. Wir haben die Sache hier mit grossem Interesse verfolgt und unsere Freude gehabt an den einschlagenden Reden. Mir kamen dabei die Worte des alten Fritz in den Sinn: „im übrigen ist es das Genie von unseren Soldaten zu attackieren, es ist solches auch schon ganz recht". Und welche Partei kann auf [die] gleiche Zahl Abgeordnete soviel sattelfeste und hiebgewandte Redner stellen? Bravo Jungens! Der Kohlenstreik an der Ruhr ist Euch sicher fatal, aber was ist zu machen? Der unüberlegte Leidenschaftsstreik ist nun einmal der gewöhnliche Weg, der neue grosse Arbeiterschichten zu uns führt. Diese Tatsache scheint mir bei der Behandlung im Vorwärts nicht genug beachtet. 11 L[ie]bk[necht] kennt keine Mitteltöne, er ist entweder ganz schwarz oder ganz weiss; und wenn er sich verpflichtet glaubt, der Welt zu beweisen, dass unsere Partei zu diesem Streik nicht gehetzt und sogar abgewiegelt hat, so gnade Gott den armen Streikern; auf sie wird weniger Rücksicht genommen, als wünschenswert ist, damit sie bald zu uns kommen. Indes kommen tun sie doch. Übrigens, was ist los mit dem Vorwärts, ich vermisse seit zwei Tagen meinen L[ie]bk[necht] gänzlich, er wird wohl verreist sein. — Am 2. Mai — er ist heute wieder lebhaft aufgetaucht. • Gemeint sind die Franzosen. Der Frankfurter Friede beendete den deutschfranzösischen Krieg. 10 Bei der zweiten Beratung der Abänderung der Gewerbeordnung im Reichstag im Februar und April. Bebel behandelte sie in seinem Aufsatz „ D i e Gewerbeordnungsnovelle", Die Neue Zeit, IX. Jahrg. (1891), Bd. II, S. 324ff., 364ff., 406ff. 11 Der Vorwärts wandte sich gegen Versuche des Verbandes, Stimmung für den Streik zu machen, indem er grundlos Massenstreiks der französischen und belgischen Bergarbeiter ankündigte. „ D e r Streik der Bergarbeiter", in Nr. 97, 28. April.
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2. Mai. Übrigens wird der Kohlenstreik ja wohl bald einschlafen,18 er scheint nur sehr partiell zu sein und entspricht keineswegs den Aussagen und Zusagen auf der Delegiertenversammlung. Um so besser. Dass zum Hauen und Schiessen gewaltige Lust, daran zweifle ich keinen Augenblick. Der Erste [Mai] ist recht gut vorübergegangen, Wien hat wieder den ersten Rang. Paris war mehr oder weniger matt dank den noch lange nicht überwundenen Zänkereien. Fehler sind auf allen Seiten dort begangen worden. Unsere Leute hatten sich in Lille und Calais an eine bestimmte Form der Demonstration] gebunden: Delegiertensendung an die Kammer. Die Blanquisten waren nicht gefragt. Die Allemanisten kamen später hinzu zum Demonstr[ations]-Komitee. Diesen beiden, Bl[anquisten] und All[emanisten], war das nicht genehm; die Bl[anquisten] hatten in der Kammer Abgefallene, die unter Boulangers Schutz gewählt waren, die Allem [anisten] hatten dort einen broussist[ischen] Gegner, und beide wollten vor diesen nicht als Petenten erscheinen. Dasselbe galt von der von [den] Unseren vorgeschlagenen Delegiertensendung an die zwanzig Pariser Mairien, wohin man auch die Stadträte des Bezirks zitieren wollte, um dort „den Willen des Volkes" zu hören. So kam es zur Spaltung und zum Rücktritt der Unseren resp. zur Spaltung der Demonstration in drei bis vier Teildemonstrationen. Von Laf[argue] habe ich Nachricht von gestern nachmittag; er ist soweit zufrieden mit dem, was unter den Umständen geschehen, sagt aber doch, Paris werde gegen die Provinzen schlecht abstechen.13 Soviel scheint sicher, die Länder, die den 3. [Mai] gewählt — Deutschland und England — werden, wenn das Wetter nicht gar zu schlecht, die imposantesten Massen aufbringen. Heute ist's hier miserabel, heftige durchnässende Schauer bei starkem Wind und abwechselnden kurzen Sonnenblicken. Fischer wird das Nötige für „Lohnarbeit und Kapital"14 erhalten haben. „Entwicklung"15 folgt in ein paar Tagen. Dann müssen die Anforderungen aber aufhören. Ich habe Neuaufl[age] von „Ursprung" S. Brief Nr. 156, Anm. 1. Darüber P. Lafargue an Engels 1., 7. Mai. Es kam an vielen Orten zu Zusammenstössen zwischen demonstrierenden Arbeitern und Militär, in Marseille, Lyon, St-Quentin, Charleville. Besondere Unruhe verursachten die Ausschreitungen des Militärs in Fourmies; hier fielen zahlreiche Opfer, Frauen und elfjährige Kinder, unter ihnen Marie Blondeau, die mit Maigrün in der Hand erschossen wurde. Darüber Le Socialiste, Nr. 33, 6. Mai. Über die Vorgänge und die Kammerdebatte darüber s.a. A. Zévaès, La fusillade de Fourmies (Paris, o.J.); C. Willard, La fusillade de Fourmies (Paris, 1957). S. Brief Nr. 178. 14 Es erschien im Verlag der Buchhandlung des Vorwärts 1891 mit einer vom 30. April datierten Einleitung. 15 Die 4. vervollständigte Auflage erschien 1891 mit einem Vorwort vom 12. 12
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seit einem Jahre versprochen, das muss fort; und dann übernehme ich absolut nichts Neues, bis der dritte Band „Kapital" im M[anu]s[kript] fertig. Das muss erledigt werden. Wenn also dort neue Ansprüche an meine Zeit laut werden sollten, so bitte steh mir bei. Ich werde auch meine ganze Korrespondenz auf ein Minimum reduzieren und nur eine Ausnahme machen, nämlich mit Dir. Durch Dich bleibe ich am einfachsten in Fühlung mit der d[eutschen] Partei und dann, aufrichtig gesagt, ist mir diese Korrespondenz auch bei weitem die liebste. Ist der dritte Band im Druck, dann kann's wieder losgehen, zuerst Neuarbeitung des „Bauernkriegs".16 Und wenn ich ganz frei bin, werde ich mit dem dritten Band doch wohl dies Jahr fertig. Also grüss Deine Frau, Paul, Fischer, Liebk[necht] und tutti quanti bestens von Deinem F. E. Lieber August, herzlichen Dank für Deinen lieben Brief; beantworten werde ich ihn sobald als möglich und Dir die gewünschte Auskunft geben. Weisst Du, dass wir, d.h. die vereinigten internationalen Sozialdemokraten als: Tussy (vertritt Frankreich, England), Ede [Aveling] (Irland), Ede [Bernstein] (Berliner), Gine [Bernstein]17 (Posen) und ich (Österreich und Italien) Dir ein Misstrauensvotum geben wollten, als Dich die Daily News so ungeheuer lobte. Schäme Dich, August, das hätte ich von Dir am allerwenigsten erwartet. Herzlichen Gruss Dir und Deiner Frau Eure Mumma. Bald mehr. Mai; die 4. Auflage des Ursprung der Familie ebenfalls 1891 mit einem Vorwort vom 16. Juni. 16 „Der deutsche Bauernkrieg" erschien im letzten Heft der Neuen Rheinischen Zeitung, Polit.-ökon.-Revue, 1850, der 2. und 3. Abdruck Leipzig 1870 bzw. 1875. Die nächste Ausgabe, fälschlich als „Dritter Abdruck" bezeichnet, erschien erst, hrsg. von F. Mehring, Berlin 1908. Engels hatte bis zu seinem Tode die Absicht, die Schrift neu zu bearbeiten, Engels an Bernstein 23. Mai 1884, an Sorge 31. Dezember 1884, an Mehring 13. Juli 1893, an Kautsky 21. Mai 1895. Er trieb dazu umfangreiche Vorarbeiten, und der Bauernkrieg wurde ihm immer deutlicher der „Angelpunkt der ganzen deutschen Geschichte". 17 Bernsteins Frau Regina.
1 5 8 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 18. Juni 1891.
Original. Lieber Engels!
Du erhältst unter Kreuzband von mir den Programmentwurf Nr. 1, wie ihn L[ie]bk[necht] zuerst entworfen hatte, ferner ein Exemplar des Gegenentwurfs, mit 2 bezeichnet, der von mir mit den von mir 420
handschriftlich vorgenommenen Verbesserungen herrührt, dann unter 3 den Entwurf, den L[ie]bk[necht] wieder auf Grund des meinen entwarf, dann vom Bureau aus den eigentlichen Entwurf, wie wir ihn schliesslich festgestellt haben. 1 Nur über den letzteren bitte ich Dich, Deine Kritik an das Bureau zu senden. 2 D a das Programm zugleich zur Agitation dient und dienen soll, müssen wir die Einzelforderungen aufnehmen, die übrigens zu neun Zehnteln keine der bürgerlichen Parteien mehr vertritt in Deutschland. Unsere Bourgeoisie ist feiger wie die jedes anderen Landes. Der Entwurf ist auch an die Fraktionsmitglieder gesandt und soll in der Form, die er schliesslich erhält, Anfang Juli veröffentlicht werden. 3 Der Parteitag soll Anfang Oktober stattfinden, wahrscheinlich in Mitteldeutschland wieder (Erfurt). Wir wollen Sonnabend Entscheidung darüber treffen. 4 Die täglich zunehmende Krise mit ihren Folgen und die allgemeine Lebensmittelteuerung 5 hat eine sehr aufgeregte Stimmung erzeugt, die uns riesig zustatten kommt. Dass man in der Regierung an den Getreidezöllen festhält, ist der dümmste Streich, der gemacht werden konnte. Aber nachdem Wilhelm II. unmittelbar vor der Entscheidung im Ministerium in Pröckelwitz unter den Hauptagrariern tagelang bei der J a g d geweilt, war die Entscheidung gar nicht anders zu erwarten. Die Haupt- und Staatsaktionen fallen immer danach aus, wer zuletzt das Ohr des Vielreisenden besessen hat. Ihm zu widersprechen, wagt niemand. Herr Miquel ist viel zu klug, um die Fehler der Regierung nicht einzusehen; aber was kann er machen, wenn andere momentan einflussreicher sind als er. Schliesslich ist's auch bedenklich, den Mentor spielen zu wollen; wird das erst gemerkt, so ist's mit der schönen Dieser Entwurf des Parteivorstandes wurde im Protokoll des Erfurter Parteitages S. 13ff. abgedruckt. 2 Die von Engels eingesandte kritische Betrachtung des Entwurfes wurde mit Engels' Brief an Kautsky vom 29. Juni 1891 in der Neuen Zeit, X X . Jahrg. (1902), Bd. I, S. 5ff. veröffentlicht. Kautsky brachte die Absätze des Vorstandsentwurfs in Fussnoten, um zu zeigen, worin man den Vorschlägen von Engels, die wenige T a g e vorher eintrafen, folgte. 8 Bebel hehandelte den Entwurf zuerst ausführlich am 16. Juli in einer Versammlung für den 1. Berliner Wahlkreis im „Feenpalast". Bericht im Vorwärts, Nr. 165, 18. Juli. Die Diskussion darüber wurde ebenda in der Versammlung a m 22. Juli geführt. Bericht in Nr. 170, 24. Juli. 4 Der Erfurter Parteitag tagte vom 14.-20. Oktober. 5 Die Sozialdemokratie protestierte in einer grossen Versammlungswelle gegen die Verteuerung der Lebensmittel durch Kornzölle, die trotz der Missernte aufrechterhalten wurden. E n d e 1891 wurden in dem Handelsvertrag mit Österreich, dem solche mit Italien, der Schweiz und Belgien folgten, die Getreidezölle von 5 auf 3,50 Mark für den Doppelzentner herabgesetzt.
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Ministerherrlichkeit bald vorbei.6 Ich glaube, M[iquel] hat sich manchmal wieder auf seinen Frankfurter Oberbürgermeisterposten zurück gewünscht, da war er ein freierer Mann als jetzt. Wie ich schon Louise schrieb, werden wir in der zweiten Hälfte des Juli, um den 17. oder 18. nach St. Gallen reisen, von dort gehe ich dann direkt nach Brüssel.7 Hast Du nicht Lust, einen Abstecher nach B[rüssel] zu machen? Ich hoffe, wir werden rascher fertig als in Paris. Herzlichen] Gruss von Deinem A . BEBEL.
• 7
Miquel wurde am 24. Juni 1890 preussischer Finanzminister. Der Internationale Arbeiter-Kongress tagte dort vom 16.-22. August.
1 5 9 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 22. Juni 1891.
Original. Lieber Engels!
Ich vergass ganz und gar in meinem letzten Brief, Dir von einer längeren Unterhaltung Mitteilung zu machen, die ich mit einem Prof. J. G. Vogt hatte und der, wie ich weiss, betreffs des Gegenstandes unserer Unterhaltung bereits an Dich geschrieben hat.1 V[ogt] ist L[ie]bk[necht] bereits länger bekannt, ich lernte ihn erst jetzt kennen. Ebenso waren mir bisher seine wissenschaftlichen Arbeiten unbekannt, die mir erst jetzt zu Gesicht kommen und die zu studieren, ich natürlich keine Zeit bis jetzt hatte. Da auch Dir die Werke zugegangen sind, so hast Du die beste Gelegenheit, Dich zu informieren; es kann sich also nur darum handeln, Dir kurz mitzuteilen den Eindruck, den er persönlich auf mich machte. Dieser war nun ein sehr günstiger. Der Mann sprach mit wahrer Begeisterung von M[arx] und wird, falls er überhaupt an die Arbeit gehen kann, sicher mit grösster Gewissenhaftigkeit sich ihr unterziehen. Ich sprach ihm meine Bedenken aus, ob es überhaupt möglich sei, die Arbeit herauszugeben, ohne dem Hauptwerk zu schaden. Er meinte, das gerade 1 E r machte Engels am 20. Juni 1891 den Vorschlag, eine „volksverständliche" Ausgabe des Kapital zu veranstalten, die den vollständigen Text bringen sollte, keine verkürzte Darstellung wie Kautskys Marx' ökonomische Lehren. „Es handelt sich nicht wie bei den landläufigen Popularisierungen um eine blosse Verdeutschung der Gelehrtensprache, sondern um eine völlige Umsetzung der Begriffsformulierungen und ihre Anpassung an das Fassungsvermögen des gewöhnlichen Mannes."
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Gegenteil werde eintreten, seine Arbeit werde den Werken von Marx nur neue Käufer und Verehrer zuführen. Ich wage nicht zu entscheiden, ob dies richtig ist, das wirst Du besser beurteilen können. Der Vorgang ist eigenartig und wohl kaum in der deutschen Literatur dagewesen. V[ogt] hat nun an L[iebknecht] auch noch einen speziellen Plan über die Ausführung gesandt; 2 da dieser erst recht Dich angeht, sende ich ihn Dir mit. Deine Meinung wirst Du V[ogt] direkt zukommen lassen.8 Mit herzlichem] Gruss D[ein] A. BEBEL.
Gruss an L[ouise].
Der Plan sah 2 Bde, 68 Bogen und als Titel „Das Kapital von Karl Marx unter strenger Anlehnung an das Original volksverständlich dargestellt" vor. 3 Engels' Antwort liegt nicht vor. In der Antwort auf diesen Brief vom 8. Juli bedauerte Vogt am 13. Juli, dass die Angelegenheit aussichtslos sei, und er verzichtete darauf. 2
160. B E B E L AN
Original.
ENGELS
Berlin W., den 12. Juli 1891. Lieber Engels!
Der Programmentwurf war bereits fertig, als Dein letzter Brief an mich ankam.1 Es konnte also nichts mehr geändert werden, und ich glaube, ein dringendes Bedürfnis war auch nicht mehr dazu vorhanden. Im einzelnen mag man ja noch ändern können, im ganzen ist das Programm gut und lässt keinen Zweifel, wohin die Partei marschiert. Wie Du siehst, haben wir Deinen Entwurf 2 zur Grundlage des ersten Teiles genommen und ihn nur in einigen Punkten modifiziert. Für den Kautskyschen konnten wir uns nicht erwärmen, er war uns zu breit und nicht packend genug.3 Der Brief liegt nicht vor. „ . . . der sich an unseren anlehnte und mehrere Absätze ganz akzeptierte.. ." Bebel an V. Adler 7. Juli 1891. 5 Der als „Entwurf der Redaktion der Neuen Zeit" im Protokoll des Erfurter Parteitages S. 16ff. abgedruckte Entwurf, der mit einigen Ergänzungen und Änderungen das neue Programm wurde. Kautsky hatte nach einer ausführlichen Besprechung des Entwurfs des Parteivorstandes in der Neuen Zeit, IX. Jahrg. (1891), Bd. n , S. 723ff., 749ff„ 780ff„ 814ff. - in diesem Aufsatz wurden die aktuellen 1
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Du hattest Deinem Entwurf eine lange Auseinandersetzung beigegeben. Ausführlich auf sie zu antworten, ist mir schon deswegen nicht möglich, weil sie mir nicht vorliegt. Ich habe sie nur vorlesen hören. Die Republik als Ziel aufzunehmen, ist bei unseren deutschen Verhältnissen nicht möglich.4 Bei der praktischen Agitation wären unsere Leute in die Enge getrieben worden, indem man ihnen immer vorhielt: ihr steuert auf die Gewalt. Die angstscheisserische Bourgeoisie hetzte in der gleichen Richtung, und so wären wir fortgesetzt in Diskussionen verwickelt worden, die zu provozieren wir augenblicklich keinen Grund haben. Dass die Forderungen des Programms nicht mit dem Königtum verwirklicht werden, darüber täuscht sich niemand. Andererseits dürfen die Forderungen nicht so aufgefasst werden, als müssten sie bis auf den letzten Punkt verwirklicht sein, ehe das eigentliche Ziel in Betracht gezogen werden könnte. Wie ich unsere Zustände ansehe und ihre rasche Entwicklung zu schliessen erlaubt, kann leichter das Ganze erreicht werden, ehe nur ein Teil verwirklicht wird.5 Die Forderungen sollen nur die Richtung andeuten, in der sich die praktische Agitation bewegen muss. Über die Frage, ob Zentralismus oder Föderalismus, eine Frage, Forderungen von Bernstein behandelt — seine eigenen Vorschläge ebd., S. 825ff., veröffentlicht. 4 Unter „politische Forderungen" wollte Engels die demokratische Republik aufgenommen wissen, unter welcher Form die Partei und die Arbeiterklasse nur zur Herrschaft kommen könne und die sogar die „spezifische Form für die Diktatur des Proletariats" sei. Er verhehlte sich nicht, dass es in Deutschland gesetzlich nicht angehe, die Forderung der Republik ins Programm aufzunehmen. „Aber das Faktum, dass man nicht einmal ein offen republikanisches Parteiprogramm in Deutschland aufstellen darf, beweist, wie kolossal die Illusion ist, als könne man dort auf gemütlich friedlichem Wege die Republik einrichten, und nicht nur die Republik, sondern die kommunistische Gesellschaft." Die Neue Zeit, XX. Jahrg. (1902), Bd. I, S. 11. 5 Volhnar auf dem Erfurter Parteitag, Protokoll, S. 181: „Da finden wir bei der ersten Gelegenheit die hundertfach und tausendfach, und nicht nur von den Jungen' vorgebrachte Äusserung, dass ja doch unter den heutigen Umständen irgend etwas Nennenswertes gar nicht zu erzielen sei. Was gegeben werden könne, sei von ephemerer Bedeutung, der zweite Teil des Programms sei nur eine Dekoration, und das alles gipfelt in der bekannten Äusserung, wir werden vielleicht eher die ganze Zukunftsgesellschaft erreichen, als eine einzige Forderung des zweiten Teiles unseres Programms." Bebel hatte in der Versammlung am 16. Juli (s. Brief Nr. 158, Anm. 3} gemeint: „.. . Ob wir unsere Forderungen alle verwirklichen werden, weiss ich nicht. Leicht ist es auch möglich, dass wir die ganze soziale Gesellschaft verwirklicht haben, ehe eine von diesen Forderungen erfüllt ist. Die ökonomische Entwicklung kann der politischen voraneilen und diese mit sich fortreissen."
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über die Du sehr ausführlich schreibst, diskutiert in der ganzen Partei niemand mehr. Diese Frage ist entschieden. Gegen die Kleinstaaterei aufzutreten, haben wir keinen Grund;4 wir müssten dann preussische Politik machen, und diese hätte weder Zweck noch Erfolg. Die nat[ional-] liberale Partei, die einst so einheitsstaatlich gesinnt war, hat ihre Agitation aufgegeben, weil sie sich sagte, dass das Ziel nur durch gewaltsame Agitation und Annexion zu erreichen sei und dies Erschütterungen hervorrufe, die nur uns nützten. In der Partei betrachtet man diese Frage als vollkommen gleichgültig und abgetan. Die Kleinstaaten existieren wie Dutzend andere Einrichtungen, die ebenso überflüssig sind wie sie, deren Existenz aber ganz von selbst aufhört, wie der Boden wankt, auf dem sie stehen. Sei versichert, in unseren massgebenden Kreisen täuscht man sich nicht über uns und das harmlose Gesicht, das wir zeitweilig machen. Die Rede Caprivis in der Unteroffizier-Prämienfrage7 hat die Situation klar beleuchtet. Wir wären aber grosse Dummköpfe, sähen wir das nicht und richteten wir uns nicht danach. Vollkommen recht hast Du mit Deiner Kritik des Vorwärts. Wir haben darüber schon öfter mit L[ie]bk[necht] sehr lebhafte Auseinandersetzungen gehabt. Es fehlt uns leider an einem tüchtigen, taktfesten Manne neben L[ie]bk[necht]. Finden wir ihn, dann ist nur zu befürchten, dass L[ie]b[knecht] so eifersüchtig auf seine Chefredakteurstelle ist, dass dieser auch nicht die Macht hat, die er haben müsste. Wir sind in einer schlimmen Lage. Alles Reden hat uns bis Engels hatte in seiner kritischen Betrachtung des Entwurfs die Beseitigung der Kleinstaaterei gefordert. „ . . . Man revolutioniere doch die Gesellschaft, solange es bayerisch-württembergische Reservatrechte gibt und die Karte von Thüringen zum Beispiel das gegenwärtige Jammerbild bietet. Andrerseits muss Preussen aufhören zu existieren, muss in selbstverwaltende Provinzen aufgelöst werden, damit das spezifische Preussentum aufhört, auf Deutschland zu lasten . . Er schlug die „eine und unteilbare Republik" vor. Die Neue Zeit, a.a.O., S. 11. 7 Reichskanzler von Caprivi begann in der Reichstagssitzung am 28. Februar 1891 seine Ausführungen mit den Worten: „Dem Herrn Abg. Richter gegenüber habe ich zunächst in bezug auf die Sozialdemokratie und die sozialdemokratische Frage zu bemerken, dass ich mich durch seine freundlichen Ratschläge, diese Frage lieber zu vermeiden, nicht abhalten lassen werde, bei jeder Gelegenheit darauf zurückzukommen; denn ich habe nun einmal die Überzeugung, dass das die Frage ist, die für das Ende dieses Jahrhunderts, vielleicht für Jahrzehnte des nächsten Jahrhunderts die herrschende sein wird. Ich habe den aufrichtigen Wunsch, dass sie auf friedlichem Wege gelöst werden möge; ob der Wunsch aber erfüllbar sein wird, das vermag ich nicht vorherzusagen, und ich würde glauben, dass die verbündeten Regierungen, wenn sie nicht den Fall ins Auge fassten, dass die friedliche organische Lösung unmöglich wird, ihrer Pflicht nicht genügen würden . . . "
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jetzt um keinen Schritt vorwärtsgebracht. Das beste wäre, wenn auf dem Parteitag mitten aus den Genossen heraus mal eine Kritik käme; die würde mehr helfen als alle unsere Auseinandersetzungen. Nun zu etwas anderem. Wie ich Dir schon vor Jahren einmal schrieb oder Dir Schlüter mitteilte, beabsichtigte ich, eine Geschichte der sozialen Bewegung der vierziger Jahre in Deutschland und der Schweiz zu schreiben.8 Nachdem ich verschiedentlich angefangen und immer wieder davon abgebracht wurde, bin ich nunmehr so energisch an die Arbeit gegangen, als dies möglich ist, wenn einem drei Viertel oder vier Fünftel seiner Zeit mit allen möglichen anderen Dingen genommen werden. Ich will jetzt meinen Aufenthalt in der Schweiz benutzen, um mir noch fehlendes Material zu schaffen, und andererseits möchte ich Dich bitten, mich dabei zu unterstützen. In der Broschüre „Enthüllungen über den Communistenbund"9 machst Du in der Einleitung „Zur Geschichte des Communistenbundes" die Bemerkung, dass Du selbst, wenn Du Zeit hättest, diese Geschichte schreiben würdest. Nun wirst Du aber schwerlich dazu kommen, andererseits würde es sich seltsam ausnehmen, veröffentlichte ich eine Geschichte jener Zeit und wäre im wesentlichen nur auf das Material angewiesen, was in der Hauptsache auch Adler in seiner Geschichte der sozialen Bewegungen veröffentlicht hat. Ich habe gedacht, dass Louise vielleicht gern geneigt wäre, die Briefe und Aktenstücke, die Du nicht gern aus der Hand gibst, zu kopieren; dagegen würde ich bitten, was Du an Drucksachen aus jener Zeit zur Verfügung hast, mir vorübergehend zu leihen. Was das Archiv hat, habe ich alles; anderes werde ich in der Reichstagsbibliothek und antiquarisch auftreiben, im Besitz der Neuen Rhein[ischen] Zeit[ung] bin ich auch. In der Hauptsache wird sich's darum handeln, das zu erhalten, was damals weiteren Kreisen nicht zugängig war. Bekäme ich ein Verzeichnis dessen, was Du an Broschüren etc. aus jener Zeit hast, so könnte ich dies mit meinem Besitz vergleichen und bequem Auswahl treffen. Ich werde mich auf die Theorien, wie sie die Grün, die Hess etc. in jener Zeit vertraten, nicht einlassen oder sie nur nebenbei erwähnen; Hauptsache ist mir, die Bewegung insoweit zu schildern, als sie wirklich Bewegung war, d.h. aktiv ins Leben trat. Selbstverständlich Der Plan wurde nicht ausgeführt, auch nicht die am Schluss des Briefes geäusserte Absicht, eine Geschichte der Sozialdemokratie zu schreiben. S. a. Briefe Nr. 119, 120, 121, 239. * Marx' „Enthüllungen über den Kommunisten-Prozess zu Köln" erschienen Hottingen-Zürich, 1885, ( Sozialdemokratische Bibliothek, Heft IV). Adlers Buch s. Brief Nr. 77.
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Louise Kautsky
würde ich aber die Weitlingschen Theorien ausführlicher behandeln.10 Für das Ganze würde ich den historischen Hintergrund skizzieren, auf dem sie sich abspielten und der sie erst verständlich macht. Du würdest mir einen grossen Gefallen tun, wolltest Du mir in der angedeuteten Weise an die Hand gehen. Von Louise setze ich voraus, dass sie gern bereit sein wird, mir zu helfen. Ende dieser Woche will ich nach der Schweiz. Das war ein verdammt anstrengendes Jahr, und ich werde aufatmen, kann ich endlich ein paar Wochen Luft schnappen. Herzlichen Gruss an Euch beide Dein A . BEBEL.
Später will ich auch die Geschichte der Partei schreiben. 10
S. Brief Nr. 119 Anm. 4.
1 6 1 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin, den 7. September 1891.
Original. L[ieber] G[eneral]!
Eure Briefe erhielt ich.1 Hältst Du der Mühe wert, den Artikel d[er] N[euen] Z[eit]2 zur Veröffentlichung zu bringen, so ist mir's recht. Eine gewisse „Müdigkeit" soll er zeigen? Was fällt Dir ein, Alter; besass keine Spur davon. Die Mitteilung bezüglich des G[i]ll[e]s kannst Du weiter verwenden. Ich habe an J[ohn] B[urns] 3 geschrieben und ihn vor G[i]ll[e]s gewarnt. J[ohn] B[urns] schrieb mir, ist über Av[eling] etwas ärgerlich, sende Dir nächstens den Brief, da ich ihn Dir zu zeigen vergass. Sage aber vorläufig Av[eling] nichts davon, das gilt auch für Louise. L[ie]bk[necht] hat das Interview gestern entschieden dementiert.4 Die Briefe sind nicht bekannt. Bebels Aufsatz „Der internationale Arbeiterkongress zu Brüssel" in der Neuen Zeit, Jahrg. IX (1891), Bd. II, S. 713ff. 3 John Burns (1858-1943), englischer Gewerkschafter, Führer des Dockerstreiks 1889, Abgeordneter 1892; 1905 Mitglied des liberalen Kabinetts Campbell-Bannerman, 1914 Handelsminister. 4 Der Vorwärts brachte in Nr. 206, 4. September die Erklärung, dass Liebknecht, „mit dem Korrespondenten der Daily News und des Weekly Dispatch jüngst in Paris Interviews gehabt haben wollen, bei seiner letzten Anwesenheit in Paris mit keinem Korrespondenten eines englischen Blattes zusammengekommen ist, also auch kein Interview gegeben haben kann." S. a. L. Lafargue an Engels 3. September 1891. 1
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Mir ist der Vorgang unbegreiflich. War mit L[ie]b[knechtJ zusammen gestern in der Sitzung, vor lauter Arbeit kamen wir aber zu keiner Erörterung dieser Angelegenheit, werde es sobald wie möglich nachholen und Dir weitere Mitteilung machen. Vor ein paar Tagen war auch C[arl] H[irsch] aus P[aris] hier, hat Sehnsucht nach Germany. Ich glaube, dem Manne kann geholfen werden. Gehe morgen vormittag nach Nürnb[erg], wo abends Versamml[ung] ist, treffe dort m[eine] Frau. Schreibe Euch ausführlich vielleicht Ende der Woche. Für Louise die Mitteilung, dass J. sich bis heute nicht sehen liess. Herzlfichen] Gruss Euch beiden. Euer A. 5
Der Artikel im S o c [ i a l i s t e ] „Socialistes, Veillons" sehr gut. Das ist der richtige Ton. Der Vforwärts] sollte darauf antworten. Für L[ouise]! Soeben traf J. ein, lud ihn zu Tische bei P[aul] S[inger], wohin ich geladen bin, nachmittags grosser Bummel. 5
Ein solcher Artikel ist im Socialiste nicht festzustellen. Vielleicht ist P. Lafargues Artikel „L'Alliance Franco-Russe" in Nr. 48, 19. August gemeint, der mit den Worten schloss: „La rupture de l'alliance des trois empereurs a été une des conditions de la paix européenne, l'alliance franco-russe est au contraire une menace de guerre."
162. BEBEL AN
ENGELS
Berlin W., den 12. September 1891.
Original.
Lieber General! Du wirst die Karte, die ich als vorläufige Antwort auf Eure Briefe 1 Dir sandte, erhalten haben. Dass Ihr am 8. nach Edinburgh reistet, erfuhr ich durch Tussy. Ich nehme an, Ihr seid bei Eintreffen dieses Briefes wieder zu Hause oder nahe daran, nach Hause zu kommen. Du meintest, ich hätte in dem N[eue] Z[eit7-Artikel2 über den Kongress auch des Ausschlusses der Anarchisten erwähnen sollen. Offen gestanden, das habe ich absichtlich nicht getan; mir schien dies 1 Die Briefe liegen nicht vor. Zu dem folgenden Absatz Engels' Brief an P. Lafargue 2. September: „On a bien fait de voter l'exclusion des anarchistes: par là avait fini la vieille Internationale, par là recommence la nouvelle. C'est la confirmation pure et simple, dix-neuf ans après, des résolutions de La Haye." 2 S. Brief 161, Anm. 2.
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eine viel zu nebensächliche Sache, als dass ich den Herren die Ehre antun wollte. Hätte ich nicht die feste Überzeugung gehabt, die Kerls hätten uns mindestens zwei Tage Debatte gekostet ohne jeden Nutzen für die Sache, ich wäre sogar gegen ihren Ausschluss gewesen, damit sie nicht glaubten, wir fürchteten uns. Ich schrieb Dir ferner von einem Briefe Burns'. Derselbe folgte als Antwort auf ein Telegramm, das ich und L[ie]bk[necht] von Brüssel aus an ihn richteten, nach Brüssel zu kommen. Es hat mir leid getan, und es war ein Mangel der englischen Vertreter, dass Burns und Cunningham Graham3 fehlten. Der letztere blieb ja wohl aus privaten Ursachen weg, Burns aus Ärger über die Haltung von Tussy und Aveling.4 Ich will in dieser Sache nicht urteilen; ich habe Burns geschrieben, dass ich bedauerte, dass er nicht gekommen sei, er hätte kommen müssen auch dann, wenn seine Klagen gegen T[ussy] und Afveling] vollkommen berechtigt wären, der Sache wegen. Ich bitte Dich nun dringend, Tfussy] und A[veling] von diesem Brief nichts zu sagen, und das gleiche gilt auch von Louise, dass sie den beiden nichts sagt; dagegen empfiehlt es sich, wenn Ihr mit den beiden in schonender Form gelegentlich auf die Sache zu sprechen kommt und ihnen möglichst geschicldes Operieren anempfehlt. Für mich steht fest, dass Gilles jede Blosse, sei sie noch so unbedeutend, ausnutzt und hetzt. Den Brief von Burns erbitte ich mir gelegentlich zurück. Den Gilles habe ich im Echo angenagelt,5 und zwar in der heutigen Nummer, ich erwarte sie jeden Augenblick. Und da Ihr dieselbe auch 6 bekommt, mögt Ihr urteilen, ob der Hieb sitzt. L[ie]bk[necht] Erklärung Av[eling]s zwar aufzunehmen, aber den Namen des Schufts zu verschweigen, weil man ihm mit der Nennung seines Namens eine Ehre antäte. Ich habe bisher immer geglaubt, die erste Strafe für einen Schuft bestehe darin, dass man ihn als Schuft nenne. Nächsten Tages hat er dann das Versäumte nachzuholen versucht,7 nachdem R.-B. Cunningham Graham (1852-1936), schottischer Schriftsteller, 1886-1892 sozialistischer Abgeordneter. Mit Burns Führer der Arbeitslosen-Demonstrationen auf dem Trafalgar Square; am „blutigen Sonntag", 13. November 1887, wurde er verwundet und mit Bums zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt. Als Delegierter hatte er den Pariser Kongress 1889 besucht. Whistler porträtierte ihn als „Herrn mit der roten Krawatte". 4 Viele englische Sozialisten mieden Engels' Haus aus Abneigung gegen Aveling. G. Mayer, Friedrich Engels, Bd. II, S. 471. 5 Eine lange, vom 10. September datierte Erklärung Bebels gegen Gilles erschien in Nr. 214 des Hamburger Echo vom 12. September. 9 Zwei Zeilen sind durchgestrichen und nicht zu entziffern. 7 Gilles Angriffe gegen Aveling in der deutschen Presse, u.a. in der RheinischWestfälischen Zeitung und in der Kölnischen Zeitung betrafen dessen frühere 3
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8 ich mit ihm deshalb in der Vorstandssitzung ein Renkontre hatte Aber siehe da, wäre ich ein Frommer, sagte ich: wenn die Not am höchsten, ist Gott am nächsten, wir sind plötzlich im reinen. Wie ich Dir wohl schon auf der Karte schrieb: Carl Hirsch und Frau waren von Paris hier. Er besuchte uns, wir unterhielten uns und fanden, dass er für die jetzige Situation unser Mann sei. Israel hat uns wieder einmal gerettet. H[irsch] und seine Frau hatten grosse Sehnsucht nach Deutschland, und wir entdeckten, dass wir sie auch nach ihm hatten; so haben wir ihm die Offerte nach Paris geschickt, am 1. Januar anzutreten, und er wird's wohl tun. Der Alte ist auch damit zufrieden; es ist also eine Lösung, die alle befriedigt. H[irsch] wird, von uns unterstützt, der eigentliche Chefredakteur, und L[ie]b[knecht] wird das Altenteil und das Ministerium des Auswärtigen beziehen, ohne dass er es ahnt, womit er uns nicht viel schaden kann. Aber, Fritz, jetzt eins. Ich habe in diesem und auch im vor[igen] Brief und wohl auch schon in früheren vieles über Liebkn[echt] geschrieben, von dem ich wünschte, dass es nie das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Nicht weil ich mich des Geschriebenen zu schämen hätte, sondern in Rücksicht auf L[iebknecht] selbst. Du hast die Gepflogenheit, die Briefe aufzuheben; etwas, was uns nur ganz ausnahmsweise passiert. Ich möchte Dich bitten, diese Briefe zu vernichten. Die Welt verliert nichts daran, zum mindesten die betreffenden Stellen so anzuschwärzen — das kann Louise ausgezeichnet —, dass keine sterbliche Seele ein Wort mehr entziffern kann. L[ie]bk[necht] hat mir wiederholt erklärt, dass er mit der Crawford nirgends zusammengekommen sei, die ganze Geschichte also erfunden ist. Es fiel mir auch gleich beim Lesen des Interviews auf, kam mir aber erst später zum vollen Bewusstsein, dass L[ie]b[knecht] z.B. über den Kaiser Dinge in den Mund gelegt wurden, die vor zwei Jahren noch am Platze sein konnten, aber gegenwärtig nicht mehr. Und so vermute ich, dass die Crawf[ord] einfach ihre Reminiszenzen ausgegraben und dem verschwiegenen Busen der Daily News als Neugeburten anvertraut hat. Du meinst, in bezug auf Russland irrte ich. Ich glaub's nicht. Je mehr ich die Situation betrachte, desto mehr macht es mir den Eindruck, dass die russische Hungersnot nicht so arg ist, wie sie gemacht wird. Die rasche Art, wie Russland das Ausfuhrverbot erliess, war
Ehe und den Vorwurf, dass er mit Eleanor Marx in freier Ehe lebe. Avelings Erklärung im Vorwärts, Nr. 211, 10. September; die Namensnennung in der Erklärung in Nr. 212, 11. September, Aveling habe Gilles körperlich gezüchtigt. 8 Fünf Zeilen sind durchgestrichen und unlesbar.
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schon verdächtig. Die ostentative Hungeranleihe bei der verrückt gewordenen französischen Bourgeoisie ist noch verdächtiger, es ist nach meiner Überzeugung keine Hunger-, sondern eine Kriegsanleihe. Russland kann keine zwei Jahre mehr warten, gerade in Rücksicht auf die immerhin ungünstigen inneren Verhältnisse und die grossen Kosten seiner Armee im Westen. Dass Russland nach neueren Nachrichten auch schon im Schwarzen Meere fertig ist, um sich auf Konstantinopel zu stürzen, steht fest und verschärft die Lage. Auch die vorgerückte Jahreszeit kommt ihm gerade am Bosporus zustatten. Es scheint, dass Russland diesmal sowohl die Türkei wie Deutschland und Österreich hypnotisiert hat. Hätte man bei uns ein wenig Verstand, so müsste man das Ausfuhrverbot mit der Aufhebung der Lebensmittelzölle beantwortet haben und die Verproviantierung Deutschlands von Reichs wegen vermehren. Aber man ist ja bei uns blind, und so wird's wohl zunächst einen derben Puffer für uns abgeben. Ich bin der Meinung, dass, wenn's losgeht, haben wir im Reichstag die allgemeine] Volksbewaffnung für alle Männer von siebzehn bis sechzig Jahren kategorisch zu verlangen. Gegen Russland muss der Vernichtungskrieg proklamiert werden; das Zarentum mit seinem Anhang zu stürzen durch die Niederlage von aussen und zu vernichten, muss der ausgesprochene Zweck des Krieges werden. Gleichzeitig hätten wir eine Proklamation an das französische Volk zu erlassen, worin wir ihm abraten, gemeinsame Sache mit Russland zu machen, und auf die unheilvollen Folgen eines Sieges Russlands für ganz Europa hinweisen. Wir müssten weiter erklären, dass, wenn Frankreich dennoch mit Russland gemeinsame Sache machte, wir auch gezwungen seien, gegen Frankreich zu kämpfen, das durch diesen seinen Bund mit Russland der Barbarei und der Unterdrückung Handlangerdienste leiste. Wir hatten stets den Frieden und die Aussöhnung mit Frankreich gesucht und befürwortet; aber der Krieg sei nicht das geeignete Mittel dafür, der aufgenötigte Kampf sei ein Kampf um unsere Existenz usw. Der letztere Gesichtspunkt wird von E d e in seinem Artikel 9 vollständig perhorresziert, der dadurch einen sehr unbefriedigten Eindruck macht. So, wie er schildert, stehen die Dinge in Deutschland nicht; wenn die Sonne aufgeht, geht sie von hier auf. Trotz alledem und alledem. E d e hat, beiläufig bemerkt, uns einen bösen Streich gespielt; er hat in das II. Heft über Lassalle Seite 65 eine Note hineinkorrigiert,10 „Briefe aus E n g l a n d " , datiert vom 29. August, über das russisch-französische Bündnis, in dem Bernstein sich skeptisch über den Dreibund äusserte u n d u.a. feststellte, dass der deutsche N a m e im Ausland noch immer einen schlechten Klang habe. Die Neue Zeit, IX. Jahrg. (1891) Bd. II, S. 759ff. 10 „ L a s s a l l e litt im Jahre 1860 wieder stark an Anfällen jener chronischen Krank-
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ohne dass wir es bemerkten, über die wir empört sind. Ede hat mit dieser Note seine ganze Arbeit als eine einseitige, aus gehässigem Vorurteil gegen Lassalle eingegebene stigmatisiert. Eine solche Note würde ich mich schämen, meinem grimmigsten Feind auszustellen. Und nun noch gar „wahrscheinlich". Ede muss von Sinnen gewesen sein. Ich will ihm nicht schreiben, mein Brief möchte zu hart ausfallen; aber lies ihm vor, was ich hier geschrieben. Die Gegner fallen denn auch schon über die Schrift als eine Lassalle tendenziös feindlich gehaltene her. Wie Du gesehen haben wirst, sind wir mit dem Parteitag im Schuss. Vollmar bläst mit vollen Backen in der Münch[ener] Post die Retraite. Er scheint einzusehen, dass er sich zu weit vorgewagt hat und isoliert steht. Trotzdem werde ich ihm in Erfurt nichts schenken. Man muss gegen Rückfälle Vorsorge treffen. Auch mit den „Jungen" werden wir ins Gericht gehen und endgültig abrechnen. Meine Frau ist seit Donnerstag abend zu Hause, sie lässt Euch schön grüssen. Herzlichen] Gruss von Deinem AUGUST.
Den Gruss von Pumps11 erwidere ich freundlichst. heit, von der er bereits in der Düsseldorfer Assisenrede spricht, und die ihn periodisch immer wieder heimsuchte." In einer Anmerkung dazu hatte Bernstein bemerkt: „Wahrscheinlich Syphilis." Bernstein in der Einleitung „Ferdinand Lassalle und seine Bedeutung in der Geschichte der Sozialdemokratie" zu seiner dreibändigen, erst in Lieferungen erschienenen Ausgabe Ferdinand Lassalles Reden und Schriften I. Bd. (Berlin, 1892), S. 63. 11 Engels' Nichte, Mary Ellen Burns.
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Berlin W., den 29. September 1891.
Original.
Lieber General! Es trifft sich heute gerade, dass ich Zeit zur Beantwortung Deines Briefes1 habe, die mir die nächsten Tage fehlt. In erster Linie hätte ich Dir eigentlich ein grosses Anerkennungsschreiben zu senden für den Brief an Lafargue,2 den der S o c i a l i s t e Der Brief liegt nicht vor. Engels' Brief an P. Lafargue, 2. September 1891, über den Brüsseler Kongress und die Situation Europas. E r wurde in Le Socialiste, Nr. 51, 12. September, und deutsch im Vorwärts, Nr. 216, 16. September, veröffentlicht. Nach der Feststellung, die Bismarcksche Periode sei endgültig zu Ende, lautet der Deutschland be1 2
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veröffentlichte und unsere Presse in Übersetzung brachte. Du weisst gar nicht, was Du mir für einen Dienst damit erwiesen hast. Seitdem mein Wort im Jahre 1879, das ich der Majorität des Reichstags entgegenrief: „In zehn Jahren, Ihr Herren, kommen wir an die Reihe", nicht buchstäblich eintraf, haben die guten Freunde und Kollegen, die vom ersten bis zum letzten des felsenfesten Glaubens sind, wir haben noch fünfzig bis hundert Jahre zu warten und „uns hält's noch aus", mich Xmal weidlich zu foppen versucht. Das hielt mich freilich nicht ab, ihnen zu sagen: Wartet nur, Euch geht's wie den törichten Jungfrauen in der Bibel. Wenn der Bräutigam kommt, haben sie kein Öl auf der Lampe. Und war's nicht 1889, kann's 1895 sein; aber es kommt, ehe Ihr Euch es verseht. Nun sind sie freilich in der letzten Zeit etwas bedenklich geworden; der Blödeste kann doch nicht mehr leugnen, dass die Sintflut naht. Da kam gerade Dein Brief mit dem „gegen 98" recht. Der machte die Wirkung wie ein Flintenschuss unter Spatzen. Nun freut mich ganz besonders, dass wir beiden Alten eigentlich die Jungen sind und jene die Alten. In meinem nächstwöchentlichen Artikel in der N[euen] Z [ e i t ] 3 über den Erfurter Parteitag habe ich ihnen wieder das Liedlein gesungen. Hilft's bei den Führern nicht, hilft's um so mehr bei der Masse. Nun zu Deinem Brief. Über die Russen zunächst nichts, da ich in der Sonnt[ags]nummer des Vorw[ärts]4 mich noch genügend ausgesprochen habe und überdies nächsten Montag in einer grossen Volksversammlung auspacken werde. Auer — dem ich, beiläufig bemerkt, Deinen Brief gab, der ihn sehr freuen wird — kündigte mir einen Gegenartikel an, worin er treffende Schluss: „ . . . il y aura lutte entre la noblesse foncière et la bourgeoisie et entre la bourgeoisie industrielle qui est protectionniste et les commerçants et une fraction de la bourgeoisie industrielle qui sont libre-échangistes; la stabilité ministérielle et de la politique intérieure sera brisée, enfin il y aura mouvement, lutte, vie et notre parti en récoltera tous les fruits: et si les événements prennent cette allure, notre parti pourra arriver au pouvoir vers 1898." S. a. Briefe Nr. 166, 172, 175, 176. 3 In seinem Aufsatz „Zum Erfurter Parteitag", X. Jahrg. (1892), Bd. I, S. 33ff., meinte er im Hinblick auf den kommenden Weltkrieg: „Angesichts dieser nahenden Entwicklung, die Situationen schafft, von welchen die grosse Mehrzahl sich nichts träumen lässt, die aber das Angesicht der Dinge von Grund aus verändern, ist es die dringendste und vornehmste Aufgabe der Partei, ihre Einheit und ihre Geschlossenheit zu bewahren und keine Störung ihrer Zirkel weder von rechts noch von links zu dulden." 4 Der Leitartikel „Die russische Anleihe" in Nr. 226, 27. September. Am 5. Oktober sprach Bebel in einer Versammlung für den 4. Berliner Wahlkreis über „Die europäische Lage und der Sozialismus", Bericht im Vorwärts, Nr. 235, 8. Oktober.
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die Überlassung Konstantinopels und der Dardanellen an Russland als Notwendigkeit begründen will. Ich denke, er lässt's bleiben, ihn zu schreiben; denn eine scharfe Antwort bleibt nicht aus, überdies steht er mit dieser Schrulle allein. Lieb war mir, dass Du Ede gesagt, die Note sei eine Taktlosigkeit. Auf E[de] hat das freilich keine Wirkung gehabt — wie Opposition ihn immer nur obstinater macht. In einem langen Brief setzt er mir auseinander,5 dass nur „alte Weiber" daran Anstoss nehmen könnten. Ich habe ihm geantwortet und ihm zwei Fragen gestellt, die, wenn er sie mit „Ja" beantwortete, mich an seine vollständige Vorurteilslosigkeit glauben liessen. Er wird sich aber hüten, das „Ja" zu geben. Des weiteren sagte ich ihm auf den Kopf, dass bei ihm und Lassalle ein alter Erfahrungssatz sich einmal wieder bestätige. Wenn nämlich zwei Juden sich hassen, hassen sie sich, wie keine zwei anderen Menschen hassen können. Mit der Philippika über unsere „Schwäche" gegenüber den Urteilen der Bourgeoisiepresse schiesst Du mir gegenüber neben die Scheibe. Du bist doch dabeigewesen, als ich Edes Arbeit kritisierte, und dass es sich nicht darum handelte, Lassalle überhaupt nicht zu kritisieren, sondern nur die ausfallende Art der Kritik zu verhindern, die E[de] eingeschlagen hatte. Du selbst hast damals meine Einwände gebilligt. Mehr verlangte ich aber nicht von Ede; in dieser Beziehung stand ich mehr auf seiner Seite als auf der Seite meiner Vorstandskollegen, denen die ganze Kritik viel zu weit geht. Ich habe mich auch von der gegnerischen Presse nicht beeinflussen lassen; denn ich habe keine einzige gegnerische Kritik gelesen, und Ede irrt, wenn er glaubt, die ihm gemachten persönlichen Zusendungen rührten von mir. In bezug auf unsere Gegner habe ich stets den Standpunkt gehabt und versucht, ihn auch in der Partei zur Geltung zu bringen: Lobt Dich der Gegner, dann ist das bedenklich; schimpft er, dann bist Du in der Regel auf dem rechten Weg. Betreffs des Vorw[ärts] werden wir mit L[ie]b[knecht] in einen kleinen Konflikt kommen. Wir wollen reinen Tisch mit der faulen Mitarbeiterschaft machen (Geiser, Bios), er will sie nach Möglichkeit erhalten. L[ie]b[knecht] lässt sich in Parteisachen in einer Weise von Familienrücksichten leiten, die den entschiedensten Widerspruch herausfordert. Wir sind übereingekommen, dass Auer und ich wöchentlich einen Leitartikel leisten, ein dritter von Kessler 6 kommt, auf den Bernsteins Brief ist nicht vorhanden. • Gustav Kessler (1832-1904), Regierungsbaumeister a.D., bis 1883 Fortschrittler, dann eifrig f ü r die Sozialdemokratie tätig; gewerkschaftlicher Organisator, besonders der Bauarbeiter. 1884-86 Redakteur des Bauhandwerker; aus Berlin und vielen anderen Orten ausgewiesen. Gewerkschaftlicher Mitarbeiter der Berliner 5
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L[ie]b [knecht] wütend ist, zwei Schoenlank7 schreibt und den sechsten der Alte. Hirsch hat bezüglich der Redaktion sehr vernünftige Ansichten entwickelt, in deren Durchführung wir ihn entschieden unterstützen werden. Da er willig und unter unserem gemeinsamen Einfluss steht, wird es sich machen. Hätten wir einen besseren, wir hätten ihn genommen. Ich gehe um keinen Preis der Welt in die Redaktion, wie mir angetragen wurde. Auer will auch nicht; obendrein sähe L[ie]b [knecht] den Eintritt eines von uns als eine Art Expropriation oder Beiseiteschiebung an. Hfirsch] lässt er sich aber gern gefallen, weil er glaubt, er könne ihn lenken. Dass er sich da täuscht, dafür is gesorgt. Wie die Wahlen zum Parteitag hier ausfielen, wirst Du gelesen haben.8 Wie mir heute Auer telephoniert, ist gestern nach langer Debatte im fünften Wahlkreis ein Oppositioneller und einer von uns gewählt Worden. Stadthagen hat uns die Suppe verdorben. Ich war in einer Schneider- und Schneiderinnenversammlung — ca. dreitausend Personen, — -die glänzend verlief, und war nicht in jener Versammlung. Oppositionelle hat Magdeburg und der eine Berliner Landkreis gewählt, trotzdem ist die Mehrheit der Genossen in beiden Kreisen auf unserer Seite. Es lag am Arrangement, dass die Gegner siegten; es ist aber auch gut, dass sie nach E[rfurt] kommen, damit wenigstens einige das Wort führen können. Die Kopfwäscherei in E[rfurt] wird eine sehr gründliche werden. Vollmar hat den Katzenjammer und sucht nach einem anständigen Rückzug. Für das österreichische Arbeiterinnenblatt9 wird sich in Deutschland nicht viel tun lassen. Die Ihrer ist Redakteurin eines solchen, das in Hamburg erscheint; 10 treten wir nun für das Wiener ein, so erhalten wir Vorwürfe von jener Seite. Es ist übrigens merkwürdig, mit welchem Volks-Tribüne, Redakteur des Volksblatt für Teltow-Beeskow-Storkow und seit 1897 des Gewerkschaftsorgans Einigkeit. 7 Dr. Bruno Schoenlank (1859-1901), Nationalökonom, hervorragender sozialdemokratischer Journalist; Redakteur u.a. an Vierecks Blättern in München, des Vorwärts und 1894-1901 Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung; Reichstagsabg. seit 1893. 8 Der Vorwärts berichtete laufend über die Wahl der Delegierten der einzelnen Wahlkreise zum Parteitag. • Die Arbeiterinnen-Zeitung erschien seit dem 15. Oktober 1891 zweimal monatlich als Beilage der Wiener Arbeiter-Zeitung sowie als selbständiges Blatt. Nachschrift Louise Kautskys zu Engels' Brief an L. Lafargue 2. Oktober 1891. 10 Emma Ihrer (1857-1911) war mit G. Guillaume-Schack im Verein zur Vertretung der Interesssen der Arbeiterinnen tätig. Berliner Delegierte zum Pariser Kongress 1889. Bekannte gewerkschaftliche Agitatorin; 1891 gab sie die in Hamburg erscheinende Zeitschrift Die Arbeiterin heraus. S. Brief Nr. 173, Anm. 3.
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Eifer die Frauen sich jetzt an der Bewegung beteiligen. Vor vierzehn Tagen sprach ich in Rathenow vor etwa fünfzehnhundert Personen, darunter ein sehr erheblicher Teil Frauen. Gestern waren ihrer ein Drittel in der Versammlung. In der nächsten Revolution spielen die Frauen eine riesige Rolle; wir bekommen da einen Faktor, der in ungeahnter Weise wirken wird. Von den Frauen komme ich natürlich auf Louise. Also sie will nicht bloss meine Briefe, sie will auch mich anschwärzen. Es ist doch schändlich, eine solche Verhöhnung aller Autorität. Grüsse sie herzlich von mir und Julie und sage ihr: brieflich würde sie von mir die richtige Antwort für diesen Frevel erhalten. Ich habe ihr auch vieles mitzuteilen, was sie interessiert; aber ich bin grausam genug, ihr nicht eher zu schreiben, bis sie mir geschrieben hat. Leid tut mir, dass das Echo ihre Erklärung in der G[illes-] Affäre aufnahm.11 Es war mit der Av[eling]schen Erklärung genug, L[ouise] hätte er die Erklärung ersparen sollen. Der Vorw[ärts] hat, wie Du von Louise wirst erfahren haben, die ganze Erklärung unterdrückt, weil er der Ansicht war, mit G[illes] seien wir fertig, und der rein persönliche Kampf habe für uns in Deutschland kein Interesse mehr. Dass G[ille]s den Kampf auf persönlichem Boden fortzusetzen gedenkt, wirst Du wissen. G[illes] hat ein bezügliches] Zirkular an die Presse und an uns persönlich verschickt, in dem er ankündigt, Avfeling] als „Hochstapler" zu brandmarken und zu zeigen, welcher Art von Genosse er sei. Rachsüchtig und schmutzig, wie G[illes] ist, wird A[veling] guttun, sich zu satteln. Er muss, wenn das Pamphlet erscheint, gleich gehörig darauf antworten. Ich habe den Kautskyschen Programmentwurf in einigen Punkten etwas geändert und lasse ihn als Vorschlag für den Parteitag mit abdrucken.12 Der erste Teil ist besser geraten als der zweite. K[autsky] kommt mit nach Erfurt. Herzlfichen] Gruss von Julie und Deinem A. B. Vorige Woche hatte ich eine hübsche Überraschung. Schewitsch13 11 Avelings und Louise Kautskys Erklärungen über Gilles' Züchtigung durch Aveling waren „London, 22. September 1891" datiert. Daraufhin richtete Gilles in längeren Flugblättern weitere Angriffe gegen Aveling: Ende September „Dr. Aveling. Have I slandered him?"; 10. November „Is he the son-in-law of Karl Marx?"; 25. Januar 1892 „ Sozialdemokratische' Ketzerrichterei im Communistischen Arbeiter-Bildungs-Verein". 12 Im Vorwärts Nr. 233, 6. Oktober. 13 Serge von Schewitsch, russischer Emigrant, spielte als Redner und Journalist eine Rolle in der amerikanischen Sozialistischen Partei; Redakteur der New
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besuchte mich. Er ist mit seiner Frau hier, die sich bei Olshausen einer schweren Operation unterziehen muss, von der er aber einen glücklichen Ausgang erwartet, und muss deshalb einige Monate hier bleiben. Sch[ewitsch] hat mir keinen sehr sympathischen Eindruck gemacht. Anlage für Ede, bitte sie an ihn abzugeben. Yorker Volkszeitung; witza-Dönniges.
Gatte der aus Lassalles Leben bekannten Helene v. Raco-
164. ENGELS AN
Original.
BEBEL
London, den 29. September [1. Oktober] 1891. Lieber August!
Dein Russenartikel im V[or]w[ärts]1 hat uns allen sehr gefallen, er wird sehr gute Wirkung tun. Über den Punkt, dass Kriegsgefahr droht, und zwar speziell von Russland her, und dass, wenn sie sich verwirklicht, mit aller Macht auf Niederwerfung Russlands gerade von uns in unserem eigenen Interesse hinzuwirken ist, darüber sind wir einig. Der Differenzpunkt ist, dass Du glaubst, die Russen wollen Krieg, und ich, sie wollen nur drohen, ohne die positive Absicht des Losschlagens, aber in gleichzeitiger Erkenntnis, dass es doch auch zum Losschlagen kommen kann. Ich habe die Methoden und Gewohnheiten der russischen] Diplomatie in der gleichzeitigen und vergangenen Geschichte jahrelang studiert und weiss, dass ein Krieg für sie stets eine diplomatische Niederlage bedeutet insofern, als er stets etwas von ihr nicht Gewolltes ist. Denn erstens sind diplomatische Einschüchterungserfolge billiger und sicherer, und zweitens beweist jeder neue Krieg nur, wie relativ schwach zu Eroberungszwecken die russische Armee ist. Die Militärs schneiden in Russland mit ihrer Kriegsbereitschaft so enorm auf, dass selbst nach Abzug von dreissig Prozent Diskonto die Diplomatie noch immer die Leistungsfähigkeit der Armee zu hoch anschlägt. Von allen Faktoren, die sie in Rechnung zu ziehen hat, ist die eigene Armee der allerunberechenbarste. Nur wo andere Leute ihre Schlachten zu schlagen haben (1813-14), da geht die russische] Diplomatie willig in den Krieg. Kommt Gladstone hier ans Ruder, so hat die russische] Diplomatie die günstigste Lage, die sie auf Jahrzehnte hinaus erwarten darf. 1
„Die russische Anleihe" in Nr. 226, 27. September.
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Frankreich als aktiven Verbündeten, England wohlwollend neutral — das ist schon sehr viel. Dass dann die Russen die Bogen straff anspannen werden, davon bin ich sicher. Aber wenn es wirklich losgeht, geschieht's gegen ihre Absicht. Dass die Anleihe eine eventuelle Kriegsanleihe, das ist absolut sicher. Das ist aber nur ein Zeichen, dass die Herren sich auf alle Eventualitäten vorbereiten. Alle anderen Zeichen, die Du anführst, — Roggenausfuhrverbot, Landungsexperimente im Schwarzen Meer etc. beweisen für mich nur dasselbe. Die Berechnung ist, dass Europa, speziell der Dreibund, im entscheidenden Moment einen Krieg mehr fürchten wird, als das unangreifbare Russland dies nötig hat; dass Russland dann einen Vorteil im Orient einsackt und die französischen Chauvins die Geprellten sind. Du meinst, wegen innerer Schwierigkeiten müsse Russland losschlagen. Das glaube ich nicht — wenigstens nicht in dem Sinne, wie Du es wahrscheinlich verstehst. In Russland leiden drei Klassen: der grundbesitzende Adel, der Bauer, das entstehende Proletariat. Letzteres ist noch, ersterer ist schon zu schwach zu einer Revolution, und der Bauer bringt's nur zu unfruchtbaren Lokalaufständen, solange nicht der siegreiche Aufstand der städtischen Zentren diesen Aufständen den fehlenden Zusammenhang und Halt gibt. Dagegen floriert die junge Bourgeoisie wie nirgendwo anders; sie rückt allmählich dem Punkt entgegen, wo sie mit der Bureaukratie in Konflikt kommen muss, aber das kann noch Jahre dauern. Die russische] Bourgeoisie ist entstanden aus Schnapspächtern und staatsplündernden Armeelieferanten, ist, was sie ist, durch den Staat — Schutzzölle, Subventionen, Staatsberaubimg, Erlaubnis und Staatssohutz zur drückendsten Arbeiterausbeutung. Da muss es hart kommen, bis diese die unserige an Niedertracht noch weit übertreffende Bourgeoisie am Zarentum rüttelt. Wenn Rücksicht auf diese Bourgeoisie einen Krieg begünstigt, so nur, weil sie den Panslavismus ins Materialistische übersetzt oder vielmehr seine materielle Grundlage entdeckt hat: Vergrösserung des inneren Marktes durch Annexionen. Daher der slavophile Fanatismus, daher der wilde Deutschenhass — bis vor zwanzig Jahren war ja Handel und Industrie Russlands fast ausschliesslich in deutschen Händen! —, daher die Judenhetze. Diese hundsgemeine und unwissende, nicht über ihre Nase hinaussehende Bourgeoisie allerdings wünscht den Krieg und hetzt dazu in der Presse. Aber aus Furcht vor einer Revolution im Innern braucht heute kein Zar Krieg anzufangen. Das galt in den siebziger Jahren, wo der verkommende Adel in den Zemstvos zur Erkenntnis seiner überall gleichen Lage und Verstimmung kam. Jetzt ist dieser Adel zu sehr herunter, wird von den Bourgeois aus seinem Grundbesitz ausgekauft, ist schon der Geldmacht 438
der Bourgeoisie zu sehr verfallen, und diese letztere bildet den neuen Schutzwall des Zarismus gerade in den Hauptstädten, wo allein Gefahr drohen könnte. Und eine Palastrevolution oder ein geglücktes Attentat könnte heute nur die Bourgeoisie an die Herrschaft bringen, einerlei von wem der Streich gemacht. Diese Bourgeoisie allerdings wäre imstande, sich noch eher in den Krieg zu stürzen als selbst der Zar. Doch das ist Nebensache. Die Kriegsgefahr sehen wir beide, und trotz der Hungersnot in Russland, die Du entschieden unterschätzest, kann den Regierenden der Zügel entgleiten, und auf diesen Fall müssen auch wir vorbereitet sein. Ich werde sehen, was in Frankreich zu machen ist, die Leute müssen auf verschiedenes aufmerksam gemacht werden; das muss aber von Franzosen selbst geschehen. Die Leute müssen einsehen, dass ein Krieg gegen Deutschland im Bund mit Russland vor allem auch ein Krieg gegen die stärkste und schlagfertigste sozialistische] Partei in Europa ist, und dass uns nichts übrig bleibt, als mit aller Macht auf jeden Angreifer, der Russland hilft, loszuschlagen. Denn entweder unterliegen wir, und dann ist die sozialistische] Bewegung in Europa auf zwanzig Jahre kaputt, oder wir kommen selbst ans Ruder, und dann gilt von den Franzosen, was die Marseillaise sagt: Quoi, ces cohortes étrangères feraient la loi dans nos foyers? Das jetzige System in Deutschland überlebt den Krieg keinesfalls, dazu braucht die Verteidigung zu gewaltige Anstrengungen, zu revolutionäre Mittel. Du hast recht, kommt's zum Krieg, so müssen wir allgemeine Volksbewaffnung fordern. Aber im Anschluss an die bereits bestehende resp. für den Kriegsfall vorbereitete Organisation. Also Einreihung der bisher Ungeübten in Ersatzreserve und Landsturm, und vor allem sofortige notdürftige Einübung neben der Bewaffnung und Einreihung in feste Kadres. Die Proklamation an die Franzosen2 wird in der Form etwas anders ausfallen müssen. So dumm sind die russischen] Diplomaten nicht, dass sie den Krieg vor ganz Europa provozieren werden. Im Gegenteil, es wird so operiert werden, dass entweder Frankreich der provozierende Teil scheint oder aber — ein Dreibundsland. Dergleichen Casus belli haben die Russen immer dutzendweise in der Mappe; was darauf speziell zu antworten, hängt von dem vorgebrachten Kriegsvorwand ab. Jedenfalls müssen wir erklären, dass wir seit 1871 stets bereit waren zu friedlicher Verständigung mit Frankreich, dass, sobald unsere Partei zur Herrschaft kommt, sie diese Herrschaft nicht ausS. Bebels Gedanken an eine Proklamation an das französische Volk im Kriegsfall, Brief Nr. 162.
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üben kann, ohne dass Elsass-Lothringen frei über seine Zukunft entscheidet; dass wir aber, wenn uns Krieg aufgezwungen wird, und zwar Krieg im Bund mit Russland, darin einen Angriff auf unsere Existenz sehen und uns mit allen Mitteln verteidigen müssen, alle Positionen benutzen, die uns zu Gebote stehen, also auch Metz und Strassburg. Was die Kriegführung selbst angeht, so sind zwei Gesichtspunkte zunächst entscheidend: Russland ist schwach im Angriff, aber enorm stark in der Verteidigung, Stoss ins Herz ist unmöglich. Frankreich ist stark im Angriff, aber nach ein paar Niederlagen zum Angriff unfähig gemacht, ungefährlich. Da ich auf Österreicher als Feldherren und Italiener als Soldaten nicht viel gebe, wird unsere Armee den Hauptstoss zu führen und auszuhalten haben. Zurückhaltung der Russen, aber Niederwerfung der Franzosen, damit wird der Krieg anzufangen haben. Ist die französische] Offensive unschädlich gemacht, kann's an die Eroberung Polens bis an Dwina und Dnjepr gehen, eher schwerlich. Diese muss mit revolutionären Mitteln und, wenn nötig, unter Aufgabe eines Stücks Preuss[isch-] Polens und ganz Galiziens an das herzustellende Polen durchgeführt werden. Geht das gut, so wird in Frankreich wohl ein Umschlag erfolgen. Wir müssen gleichzeitig darauf dringen, dass den Franzosen mindestens Metz und Lothringen als Friedensgabe offeriert wird. Wahrscheinlich aber geht's nicht so gut. Die Franzosen werden sich nicht so einfach niederwerfen lassen, ihre Armee ist sehr gut und besser bewaffnet als die unsere, und was bei uns an Feldherrntum geleistet wird, sieht mir auch nicht aus, als würde dabei viel herauskommen. Dass die Franzosen das Mobilmachen gelernt haben, hat sich diesen Sommer gezeigt. Dass sie Offiziere genug haben für die erste Feldarmee — die stärker ist als die unsrige — ebenfalls. Erst bei den später in Linie rückenden Truppen wird sich unsere Überlegenheit an Offizieren bewähren. Dabei ist der direkte Weg zwischen Berlin und Paris beiderseitig stark durch Festungen verteidigt. Kurz, im günstigsten Fall wird's wahrscheinlich zu einem wechselvollen Kampf kommen, der unter Herbeiziehung stets neuer Verstärkungen von beiden Seiten geführt wird, bis zur Erschöpfung eines Teils oder — zur aktiven Einmischung Englands, das den Teil, gegen den es sich entscheidet, Deutschland oder Frankreich, unter den dann gegebenen Bedingungen aushungern und zum Frieden zwingen kann durch einfache Verhinderung der Kornzufuhr. Was unterdes an der russischen] Grenze geschieht, hängt grossenteils von der Kriegführung der Österreicher ab, ist also unberechenbar. Soviel scheint mir sicher: Werden wir geschlagen, so ist dem Chauvinismus und Revanchekrieg in Europa Tür und Tor geöffnet auf 440
Jahre hinaus. Siegen wir, so kommt unsere Partei ans Ruder. Der Sieg Deutschlands ist also der Sieg der Revolution, und wir müssen ihn, kommt's zum Krieg, nicht nur wünschen, sondern mit allen Mitteln befördern. Edes Artikel3 sollte eine Antwort an Vollmar sein und wäre als solche ganz am Platz gewesen. Statt dessen zappelt der gute Ede so lange, bis er als Antwort auf die Kronstadter Verbrüderung kommt, wo er natürlich absolut unpassend ist und ganz andere Gesichtspunkte hervorzuheben waren. Dass, wenn Frankreich formell die Revolution gegenüber Deutschland vertritt, Deutschland durch seine Arbeiterpartei materiell an der Spitze der Revolution] steht, und dass dies beim Krieg ans Tageslicht kommen muss — indem wir und mit uns die Revolution entweder erdrückt werden oder ans Ruder kommen —, das musste unbedingt gesagt werden. Apropos. Ich höre, Du willst auf dem Parteitag K[arl] K[autsky]s Prinzipienerklärung4 als Programm befürworten. Auch ich halte sie in der jetzigen Fassung (Neue Zeit Nr. 51) für weit besser als unseren Entwurf. Nur in dem auf S. 788 abgedruckten Stück habe ich ihm einige Stellen zur Änderung empfohlen. Er hat offenbar viel und mit Erfolg darüber nachgedacht. Edes Artikel über die Einzelforderungen 5 habe ich noch nicht lesen können. Wegen Leibfried-Cuno in meinem Nächsten — bald. Gruss von Louise und Deinem F. E. 1. Oktober. Das Vorstehende sollte heute abgehen, da kommt Dein Brief vom 29. [September]. Den Brief, der im Soc[ialiste] von mir erschien, hast Du hoffentlich im Original gelesen, die Vbriüärts-Übers [etzung] ist schauerlich und stellenweise reiner Blödsinn. Wo zum Henker findet L[ie]bk[necht] solche grauenvolle Ubersetzer? — Dass die Zeit herannaht, wo wir die Majorität in Deutschland sind, oder doch die einzige Partei, die stark genug, das Ruder zu führen — falls Friede bleibt, — das ist doch handgreiflich. Und eben deswegen wünsche ich nicht, dass dieser stetige Entwicklungsprozess unterbrochen werde durch eine Krise, die ihn allerdings um zwei bis drei Jahre abkürzen, aber auch ebenso gut um zehn bis zwanzig Jahre verlängern kann.
S. Brief Nr. 162, Anm. 9. Kautskys Prinzipienerklärung s. Brief Nr. 160, Anm. 3. Engels' Änderungsvorschläge s. Engels an Kautsky 28. September, 14. Oktober 1891. 5 Bernsteins Aufsatz in der Neuen Zeit, IX. Jahrg., (1891) Bd II, S. 814ff. 8 4
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Was meine Bemerkungen über Eure allzugrosse Rücksichtnahme auf das Urteil der Gegner angeht, so bist Du allein schuld daran; in Deinem Brief heisst es von wegen Edes Note: „Die Gegner fallen denn auch schon über die Schrift als eine Lassalle tendenziös feindlich gehaltene her.9 Wenn man bei Euch dies Argument mit den Gegnern bei jeder Gelegenheit regelmässig wieder hören muss, findet man sich endlich zu der Glosse veranlasst, die Gegner können uns auf den Kopf blasen. Im übrigen haben M[arx] und ich schon 1848 gesagt: was haben wir für eine Dummheit begangen, dass die Gegner uns loben? Also ganz wie Du. Den Geiser müsst Ihr unter allen Umständen vom Vorw[ärts] fernhalten. Der Mann hat ja in St. Gallen ein solennes Misstrauensvotum7 bekommen, der darf doch nicht redigieren! Auch Bios ist ein Angstmeier und dazu langweilig. — Was den sechsten Leitartikel durch L[ie]bk[necht] angeht, so wird Euch der wenig Kummer machen; ich wette, nach drei Wochen geht ihm der Leitartikel-Wind aus, und er wird wieder sagen wie 1866 in Leipzig: man müsse kein Verständnis für die Zeit haben, wenn man meine, jetzt sei die Zeit, Leitartikel zu schreiben. Das Wiener Arbeiterinnen-Blatt wird wahrscheinlich bei Euren Frauenblattsfrauen viel Ärgernis erregen. Diese sind alle noch stark angeschackt8 und wollen etwas besonderes Frauenbeweglerisches, nicht die eine, weibliche Seite der Arbeiterbewegung allein. Dieser letztere Standpunkt wird aber im Wiener Blatt mit der grössten Energie vertreten, und wenn die Frauen bei uns sich so gut anlassen, wie Du sagst, wird die aparte Frauenrechtlerei — eine reine Bourgeoisspielerei — bald in den Hintergrund gedrängt werden. Wenn dann die jetzigen Wortführerinnen von ihrem eigenen Geschlecht beiseite geschoben werden, ist's kein Schade; aber dem Wiener Blatt verbleibt der Ruhm, von allen Frauenblättern diesen Standpunkt zuerst eingenommen und verteidigt zu haben. Mit Eurer Nichtaufnahme von Avelings Erklärung gegen Gilles habt Ihr wieder einmal bewiesen, dass in jedem Deutschen der Bureaukrat steckt, der hervortritt, sowie er irgendein Ämtchen bekleidet. Aveling findet es mit seiner Ehre unvereinbar, dass Gilles' Behauptung, ihn, S. Brief Nr. 162, Anm. 10. Der Parteitag von St. Gallen hatte 1887 denen, die ohne triftige Gründe die Unterzeichnung der Einberufung des Parteitages verweigert hatten, seine Missbilligung ausgesprochen und der Erwartung Ausdruck gegeben, dass ihnen eine Vertrauensstellung in der Partei nicht mehr übertragen werde. In bezug auf Geiser wurde der Beschluss einstimmig, in bezug auf Viereck gegen eine Stimme gefasst. Protokoll, S. 47f. 8 Von Gertrud Guillaume-Schack beeinflusst.
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A., ebenfalls körperlich gezüchtigt zu haben, unwidersprochen durch die deutsche Presse geht. Er lässt sich den Tatbestand durch Louise bescheinigen, und beide unterzeichnen die Sache mit ihrem Namen. In jedem anderen Land der Welt wird man sagen: dies ist eine Sache, in der die Betreffenden selbst wissen müssen, was sie zu tun haben; ich, der Redakteur, kann ihre Handlungsweise missbilligen, aber muss ihr Recht anerkennen, ihre eigene Sache nach Gutdünken zu vertreten. Bei Euch dagegen setzt die Red[aktion] sich als Zensor ein, weiss das ein für allemal besser und verbietet ihnen, ihren eigenen Prozess zu führen. Die Red[aktion] hat das Recht zu glauben, sie sei mit Gilles fertig, und ihrerseits ihn nicht weiter zu nennen; aber wenn A[veling] und L[ouise] in ihrem eigenen Namen auftreten, so darf sie diesen Gesichtspunkt nicht anwenden, um dem Freund das Wort abzuschneiden. Beiläufig teile ich Eure sonstigen Bedenken keineswegs, ich habe sogar Louisens Erklärung aufgesetzt. Der Gilles hat sodann wieder inliegenden] Zettel erlassen. A[veling]s Antwort erhältst Du in ein paar Tagen. Die Geschichte wegen Bradlaugh9 war eine kolossale Dummheit von A[veling], aber in der Sache ist er unschuldig. Aveling war damals ein in Geldsachen und in politischen Verhandlungen absolut naiver, grüner, unglaublich dummer junger Poet. Bradlaugh wusste dies und beutete ihn aufs scheusslichste aus; sie gründeten eine naturwissenschaftliche Schule mit Laboratorium, wobei Br[adlaugh] das Geschäftliche übernahm und Aveling nicht nur alle Arbeit, sondern schliesslich auch alle GeldCharles Bradlaugh (1833-91), Advokat und Literat, spielte eine führende Rolle unter den Freidenkern und Bodenreformern, Herausgeber des Wochenblattes The national Reformer, Abgeordneter von Northampton. 10 Hyndman hatte in seinem Aufsatz „The Marxist Clique" in Justice, Nr. 372,28. Februar 1891, die Londoner Marxisten als Intriganten bezeichnet. Ihr Haupt sei Engels, den er „the Grand Llama of the Regent's Park Road" nannte, Nr. 373, 7. März; zu ihm gehörten Champion, die Avelings, Maltman Barry, John Burns, Tom Mann, Keir Hardie, Parnell, Margaret Harkness, Cunningham Graham. In Nr. 371, 21. Februar hatte er unter dem Titel „Dr. Aveling?" einen scharfen Angriff gegen diesen gerichtet und ihm Fragen wegen finanzieller Dinge gestellt; dabei hatte er auch Gerüchte über Avelings luxuriöse Ansprüche auf seiner Propagandareise nach Amerika im Jahre 1887 wiederholt, auf die Aveling geantwortet hatte in der Chicagoer Arbeiter-Zeitung, Nr. 240, 17. Februar 1887. Die Angelegenheit war ferner in zwei gedruckten Zirkularen des National-ExekutivKomitees der S.L.P. an die Sektionen, datiert New York 7. Januar und 30. März 1887, sowie in zwei ebenfalls gedruckten Antworten Avelings, undatiert und London, 27. Mai 1887 datiert, behandelt worden. In Nr. 371 der Justice erschien Avelings Antwort „Dr. Aveling's Candidature at Northampton" auf eine Bemerkung darüber in Nr. 370, 15. Februar. Am 20. Februar brachte Gilles die von Hyndman gestellten Fragen im Comm. Arbeiter-Bildungsverein vor mit dem Erfolg, dass eine Gedenkfeier für die vorjährigen Reichstagswahlen, bei der auch Aveling reden sollte, nicht abgehalten wurde. Justice, Nr. 372, 28. Februar.
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Verantwortlichkeit auflud. Als Aveling Sozialist wurde und Tussy heiratete, verlästerte ihn Bradlaugh, als habe er zweideutige Geldmanöver gemacht — Aveling war kolossal hereingefallen, aber total unschuldig, nur unbegreiflich dumm. Und als Br[adlaugh] dann dies Zirkular erliess, war Aveling dumm genug, nicht zu antworten und sogar dem Bradlaugh, der ihn obendrein bestohlen, noch an zweihundert Pfund allmählich abzuzahlen! Die Sache ist jetzt alt und Bradlaugh tot, und, da Br[adlaugh] sich gehütet hat, bestimmte Anklagen zu formulieren, nichts zu machen, als dass A[veling] den Hergang öffentlich erzählt, wo sich Gelegenheit findet. Das wird sich finden, sobald Herr Hyndman, der ursprüngliche Aufwärmer dieses Kohls, A[veling]s Herausforderung annimmt, ihm öffentlich entgegenzutreten. — Auch die Geschichte mit dem Ghicagoer Telegramm ist von A bis Z erfunden, rührt aber auch von Hyndman her. Unser Zweck ist nun, diesen zu fassen; denn Gilles ist nur sein Mundstück. Viele Grüsse von Louise und mir an Deine Frau und Dich selbst Dein F. E.
1 6 5 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 6. Oktober 1891.
Original. Lieber August!
Hierbei das Nötige über den Fall Cuno-Leibfried.1 Jetzt glaube ich aber, Ihr tätet gut, den armen Ede nicht mehr mit Briefen wegen des Lassalle zu bombardieren; er wird kolossal aufgeregt dadurch und so irre an dem, was einerseits Ihr verlangt und andrerseits er für seine Schuldigkeit hält, dass dergleichen nur die Sache schlimmer machen kann und er zuletzt nur noch widerspruchsvolles Zeug zutage fördert. Dass die Note darin steht, daran seid Ihr ebensoviel schuld als Ede, und wegen dieser einen lausigen Note seine ganze sehr gute Arbeit verdammen, ist doch nicht recht. Ich habe ihm gesagt, er soll sich in der Sache nicht irremachen lassen, aber den 1 Bei diesem „Fall" handelte es sich um eine Erbschaft der verstorbenen Frau Emily Cuno geb. Mansfield. Die Testamentsvollstrecker stiessen auf einen Notar Leibfried in Luxemburg, der ein Gläubiger des verstorbenen Mannes der Frau Cuno war. Die Erbschaft sollte Leibfried nicht ausgezahlt werden, da die Erblasserin nicht Bürge der Darlehn ihres Mannes gewesen sei. Crawley Arnold & Co. an Alphonse Cuno 5. Januar, dies, an W. Leibfried 15. Januar 1889. Leibfried hatte auf dem Brüsseler Kongress Bebel kennengelernt und unterstützte gelegentlich Parteiunternehmen. S. den folgenden Brief und Nr. 184; auch Bebel an Victor Adler 6., 13. Dezember 1894.
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samtenen Handschuh über der eisernen Faust anbehalten, und dann würdet Ihr ihm am Ende dankbar dafür sein, dass er den Lassalle so kritisiert hat. Denn das ist mir klar, wenn Ihr jetzt die Lassalleschen Sachen wieder lest, so werdet Ihr Euch selbst wundern über das, was darin steht, und über den Glauben an den falschen Heros, den Ihr Euch während des Sozialistengesetzes im Umgang mit den Lassalleanern aus Höflichkeit angequält habt. Ich bin überzeugt, Ihr und auch eine ganze Menge von Leuten, die noch an der Lassalleschen Tradition hängen, wisst gar nicht mehr, was der Mann gesagt und geschrieben hat (und zwar grossenteils wider besseres Wissen gesagt und geschrieben); und so wird die neue Lassalle-Ausgabe auch bei Euch eine recht nützliche Wirkung haben, wenn Ihr nur den Propheten ebenso fleissig lest wie den Propheten-Kritiker. Lafargue ist noch nicht aus dem Gefängnis, aber wenn die Regierung ihn nicht freilässt während der Wahlzeit, so wird er in Lille wahrscheinlich gewählt.2 Die Aussichten sind gut, schon bei der letzten Wahl wäre Delory gewählt worden, wenn nicht der jetzt zersprengte Boulangismus eine Masse Arbeiterstimmen gekapert hätte. In Paris kann's leicht Ministerkrisis geben, Rouvier ist anrüchig mehr als erlaubt, Constans ist nicht mehr nötig, seit Boulanger kaputt, und ist dem Carnot verhasst, weil er dessen Nachfolger werden will; Freycinet und Co.3 wollen ebenfalls den Rouvier und Constans loswerden, und so kann's leicht zum Bruch kommen, wenn am 15. die Kammer zusammentritt. Dass Dietz Euch mein Honorar gezahlt, habe ich mit Vergnügen gesehen. Louise lässt Dir sagen, dass die Photographien] angekommen, wir alle danken herzlich. Sie hat eins von den beiden gleichen genommen, ich das Profil. Herzliche Grüsse an Deine Frau und Dich von Louise und Deinem F. E.
Lafargue wurde in der Stichwahl gewählt, s. Brief Nr. 175, 178. Rouvier, 1889-92 Finanzminister, wurde durch die Panama-Affäre belastet; Constans war 1889-92 Innenminister. Boulanger hatte am 30. September 1891 Selbstmord verübt. Carnot war seit Dezember 1887 Präsident der Republik, Freycinet 1890-92 Ministerpräsident.
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1 6 6 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 9. Oktober 1891.
Original. Lieber General!
Heute von Leipzig zurückgekommen, finde ich mit Deinem neuesten Briefe eine Geldsendung Leibfrieds vor,1 die er mir zur Disposition stellt und bei dieser Gelegenheit anfragt, was aus der Sache Cuno geworden sei. Dein Brief kam also ä propos, und ich habe ihm denselben auch sofort gesandt mit der Bitte, seinerseits zu tun, was er für zweckmässig halte. Bei dieser Gelegenheit habe ich, das bitte ich Dich Louise mitzuteilen — in Sachen des österreichischen Tageblatts 2 bei L[ei]bfr[ied] leise angeklopft und ihn gefragt, ob sein Herz bzw. sein Geldbeutel für diesen Zweck offen sei. Sei er geneigt herauszurücken, dann dürfte er auf einen liebenswürdigen Bittbrief meiner liebenswürdigen Freundin L[ouise] K[autsky] rechnen, die er in B[rüssel] kennenlernte. Aber ich müsse erst sagen, wie es bei ihm stehe, da L[ouise] nicht gewohnt sei, sich Körbe zu holen. Nun bin ich neugierig, was er antwortet, und werde dann Louise schreiben. Die Lassalle-Affäre ist nunmehr in der Tat abgetan, ich habe E[de] doch schon vor zehn bis zwölf Tagen geschrieben, er solle sich weiter nicht mehr ärgern.3 Dass seine Arbeit im ganzen sehr gut ist, habe ich zuletzt geleugnet, ich habe ihm sogar gleich nach dem ersten Heft meine Anerkennung darüber geschrieben. Es hat sich bei dem ganzen Streit nicht um die Kritik an sich, sondern um das äussere Gewand dieser Kritik gehandelt. Wollten wir eine kritiklose Ausgabe haben, brauchten wir überhaupt keinen Kommentar; wollten wir L[assalle] aber gar gelobt sehen, dann wäre der einfache, kommentarlose Abdruck seiner Schriften das beste Mittel gewesen, ihn in den Augen kritikloser Leser auf das Piedestal zu erheben. Also eine Kritik sollte sein, aber sie sollte in keine Verunglimpfung ausarten. Und ich kann nur wiederholen, die Tatsache, dass Du meiner Auffassung Ede gegenüber in London und jetzt in bezug auf die Note 4 zustimmtest, beweist am besten, dass eine materielle Differenz zwischen uns nicht existiert. Damit ist diese Angelegenheit für mich begraben. In der Av[eling]-G[i]ll[e]s-Affäre hat die deutsche Presse kein Wort weiter gebracht; sie sieht ein, dass die G[illes]schen Albern1 2 8 4
S. Brief Nr. 165, Anm. 1. Die Wiener Arbeiter-Zeitung erschien erst seit Januar 1895 als Tageszeitung. Der Brief ist nicht vorhanden. S. darüber Briefe Nr. 163, 164.
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heiten denn doch auch für sie zu dumm sind. Hätten wir die Erklärung A[veling]s und L[ouises] aufgenommen, dann ging der Lärm von neuem los. Das Echo kann sich das eher erlauben, das erscheint für die gegnerische Presse mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit. Anders der Vorw[ärts], der mit weit kritischeren Augen vom Reichskanzler an bis zum letzten Scherenredakteur gelesen wird, als oft uns lieb ist. Ich gehöre wahrhaftig nicht zu den friedlich Gesinnten, aber persönliche Streitereien mache ich gern so rasch als möglich tot. Überdies konnte Afveling] sich allein helfen, er brauchte keine Eidhelferin. Das sieht aus, als glaubte man ihm nicht. Doch genug. In der Photographienwahl hat Louise das bessere Teil erwählet. In solchen Sachen, General, haben die Frauen bessere Augen, und D u hättest gutgetan, ihr zu folgen, wie ich im stillen auch vermutete. E s würde mich riesig freuen, falls Lafargue gewählt würde; es wäre ein grosser Erfolg und ein derber Schlag für die Regierung. Ich will auch wünschen, dass D u mit Deinem Urteil der französischen Verhältnisse recht hast; ich stehe denselben zu fern und kenne vor allen Dingen viel zuwenig die Stellung der leitenden Persönlichkeiten, um ein einigermassen sicheres Urteil zu haben. Ich fürchte nur, dass wer immer in der nächsten Zeit ans Ruder kommt, auf dem Boden der Allianz mit Russland steht, und damit ist an der europäischen L a g e nichts geändert. Unsere Partei in Frankreich hat leider noch einen viel zu geringen Einfluss, als dass sie irgendwie auf den Gang der auswärtigen Politik einwirken könnte. Käme Lafargue in die Kammer, so wäre wenigstens ein Mann vorhanden, der den richtigen Standpunkt einzunehmen verstände. Was jetzt in der französischen Kammer sitzt, sind Sterne dritter und vierter Grösse. In der Beurteilung der russischen Angelegenheiten stimmen wir also insofern vollkommen überein, als wir beide die gleichen Anschauungen haben über das, was im Falle eines Krieges unsererseits geschehen müsste, ferner über das, wie Russland gegenüber aufzutreten wäre. Die Grenzen, die D u als notwendige für ein neues Polen markiertest, stimmen fast aufs Haar mit jenen überein, die ich 1887 aus dem Gefängnis heraus Grillenberger entwickelte, 5 als der Kriegsrummel drohte und die Septennatsfrage auf der Tagesordnung stand. Gr[illenberger] hat auch damals in ganz leidlicher Weise unseren Standpunkt vertreten. Mittlerweile wirst D u aus meinem Vortrage am Montag hier in 5 Engels' Ansicht im Brief Nr. 164; Bebels Brief an Grillenberger ist nicht bekannt.
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Berlin, den im Resumé der heut[ige] Vorw[ärts]6 brachte, gesehen haben, wie ich die Angelegenheit behandelte. Nebensächliches beiseite gelassen, dürften wir vollständig übereinstimmen. Ich hatte noch bemerkt, dass Ihr, Marx und Du, dieselben Anschauungen über Russland stets vertreten hättet. Die Bemerkung ist aus dem Bericht fortgeblieben, was mich ärgert. Differenzen bestehen zwischen uns über die Zeit, wann der Krieg kommen dürfte, und über die Frage, ob Russland ihn provozieren wird. All Deine Beobachtungen über die russische Diplomatie als richtig zugegeben, bin ich doch der Ansicht, dass in den letzten Jahren eine Wandlung in ihren Anschauungen und ihrer Taktik eingetreten ist. Von dem Augenblicke an, wo sie erkannt, dass Bismarck Russland im Stiche liess, — weil er nicht die Macht hatte, Russland zu helfen, was er so gern wollte —, hat das ganze offizielle Russland die Überzeugung, dass es ohne Krieg mit Österreich und Deutschland nie auf die Verwirklichung seiner Pläne im Orient rechnen kann. Und unsere Stellung zu Frankreich weist ihm ganz von selbst die Wege. Alles, was Russland seitdem an militärischer Ausrüstung ausgeführt hat, scheint mir ebensosehr auf einen Angriffswie einen Verteidigungskrieg gerichtet zu sein. Dass man aber den ersteren in unseren offiziellen Kreisen eines Tages erwartet, darüber lassen die Aufklärungen, die unter dem Siegel der Verschwiegenheit in der Militärkommission des Reichstages gegeben wurden, gar keinen Zweifel. 7 Auch bei uns ist der Osten in einer Weise mit Truppen gespickt, von der man draussen nichts ahnt. Man weiss eben sehr geschickt zu schweigen. Auch in bezug auf die Stärke der Feldarmee, die weit stärker ist, als offiziell bekannt ist und zugegeben wird, trifft dies zu. Nun will ich gern zugeben, dass über den Zeitpunkt, wann Russland losschlägt, Meinungsverschiedenheiten obwalten können. Ich halte Deine Beurteilung der L a g e und Stellung der verschiedenen in Frage kommenden Volksklassen in Russland für richtig, und so mag in dieser kein zwingender Anlass zum Losschlagen sein. Andererseits liegt aber auch kein Hindernis darin, wohl aber kann gerade der Notstand insofern dazu zwingen, als die Unterhaltung der an der Grenze angehäuften Truppenmassen kolossal kostspielig wird und die Hinausschiebung des Losschlagens auf ein weiteres Jahr unmöglich ist. Würde R[ussland] noch ein weiteres Jahr warten, so ist damit für es
• Bebels Vortrag über „ D i e europäische L a g e und der Sozialismus" a m 5. Oktober in einer Versammlung für den 4. Berliner Reichstagswahlkreis. Bericht im Vorwärts, Nr. 235, 8. Oktober. 7 S. etwa auch Waldersees Eintragungen seit dem 20. Juli 1891. Denkwürdigkeiten, Bd. II, S. 212ff.
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nichts gewonnen. Doch es kommen hier so viel Wenn und Aber in Betracht und müssen so viel unvorhergesehene Möglichkeiten ausser Betracht bleiben, dass der Streit über diese Frage ein rein akademischer ist. Für mich steht fest, dass R[ussland] losschlägt, sobald es kann, und zwar bin ich überzeugt, dass Rfussland] die Initiative ergreift und Frankreich folgt. Die in militärischen Dingen gut unterrichtete Kreuz-Zeit[ung] brachte kürzlich Korrespondenzen aus Petersburg, die in allem Detail nachwiesen, wie alles zum Frühjahr auf den Losbruch deute. Wie es mit der geplanten Anleiheauflegung gegangen ist, wirst Du gelesen haben. Das wird freilich nicht verhindern, dass die russische Anleihe im Ausland ein paarmal überzeichnet wird. Auf den Rummel verstehen sich ja die Macher, und dass man so lange mit der Auflegung wartet, scheint auch dafür zu sprechen, dass die Maschinerie gut präpariert wird. Auf die Österreicher setze ich diesmal mehr Vertrauen als sonst; wenn sie nur mittelmässiges leisten, so genügt das vollauf. Deinen Brief im Soc[ialiste]8 habe ich allerdings im Original gelesen. Du hast nicht allein Ursache, Dich über die Übersetzungen zu beklagen, das geht den anderen, die französisch schreiben, genau so. L[ie]b[knecht] lässt diese Übersetzungen durch seine Söhne machen. In der Programmberatung werden wir so verfahren, dass nach Schluss der Generaldebatte eine Kommission ernannt wird, in welcher die verschiedenen Antragsteller in erster Linie einen Sitz erhalten, welche die Feststellung vornimmt. Wir hoffen, dass alsdann in der Schlussberatung, ähnlich wie vorfiges] Jahr bei der Organisation, en bloc-Annahme stattfindet. Karl hat noch eine Reihe kleiner Abänderungsvorschläge eingesandt, die aber für die Kommissionsberatung zurückgestellt werden mussten. Auf die österr[eichische] Arbeiterinnenzeitung9 bin ich recht neugierig geworden, will doch sehen, was unter Deiner Inspiration zusammengebraut worden ist. Ob Victor und seine Frau nach Erf[urt] bzw. hierher kommen, weiss ich bis zu diesem Augenblick noch nicht, auf meine letztwöchentliche Einladung erhielt ich noch keine Antwort. Was eigentlich E[de] mit seinem Artikel in der N[euen] Z[eit]10 bezweckte, war mir nicht ganz klar, er machte auf mich einen vertrackt ungünstigen Eindruck. So recht ein Schuss neben die Scheibe.
8 9 10
S. Brief Nr. 163, Anm. 2. S. Brief Nr. 163, Anm. 9. Der im Brief Nr. 162, Anm. 9, erwähnte Aufsatz.
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Nach Deinen Mitteilungen weiss ich endlich, was er wollte. Nach Erfurt Weiteres. Herzlichen Gruss an Dich und Louise von meiner Frau und Deinem A. B.
1 6 7 . E N G E L S AN
Original.
BEBEL
London, den 13. Oktober 1891. Lieber August!
Heute hab ich nur Zeit, Dir wegen der Russen zu antworten, und das ist in der Tat das einzig Wichtige, der andere Kram ist abgetan. Was den möglichen Kriegsausbruch im Frühjahr betrifft, so sind da in Russland drei Strömungen von Wichtigkeit. Die erste ist die Diplomatie. Von dieser behaupte ich nach wie vor, dass sie Erfolge ohne Kriegskosten und Kriegsrisikos sucht; aber eben deswegen, um die enorm günstige Verteidigungsstellung Russlands bis aufs äusserste ausnutzen zu können, alles zum Krieg vorbereitet. Das geschieht jedesmal; man kann dann schnöde Forderungen stellen, sie aufrechthalten bis zum letzten Moment und dann aus der Kriegsangst des Gegners, der mehr riskiert, den grössten Profit herausschlagen, ohne dass es zum Klappen kommt. Neben der Diplomatie aber geht die Armee, die in Russland trotz dem vielen erlittenen Schlachtenpech sehr siegesgewiss und grossprahlerisch ist, mehr als irgendwo anders. Die will losschlagen. Und drittens die junge Bourgeoisie, der die Marktausdehnung ähnlich wie in den vierziger Jahren der amerikanischen Bourgeoisie als manifest destiny, als geschichtlicher Beruf Russlands zur Slaven- und Grieohenbefreiung und zur Herrschaft über den östlichen Kontinent erscheint. Alle drei kommen in Rechnung; bisher hat unter Alexfander] III. die Diplomatie stets gesiegt. Nun kommt dazu die Hungersnot.1 Diese ist sehr gross im Osten und Südosten. Alles, was östlich von einer Linie liegt von Odessa nach Nischnij-Nowgorod und Wjatka, hat akute Hungersnot; von dieser Linie nach Westen wird die Ernte allmählich besser, ganz im Westen S. Engels' Ausführungen über die Hungersnot in Russland im Anhang zur deutschen Veröffentlichung des Aufsatzes „Le socialisme en Allemagne" in der Neuen Zeit, Jahrg. X (1892), Bd. I, S. 580ff. S. Brief Nr. 188. 1
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ist die Weizenernte stellenweise passabel gewesen, Roggenernte überall schlecht. Kartoffeln sind in Russland kein Volksnahrungsmittel. Die kolossal akute Form der Hungersnot im Wolgatal beweist, wie jammervoll noch immer die Verkehrswege in Russland. Danach scheint mir klar, dass Du Dich unnötig exponieren würdest, wolltest Du den Versicherungen unserer Militärgeldforderer Glauben schenken, wenn sie mit Bestimmtheit auf Krieg im Frühjahr rechnen. Ebensogut wie es im Beruf der russischen Diplomatie liegt, den Krieg um so emsiger vorzubereiten, je weniger sie auf ihn lossteuern, ebensosehr ist es Schuldigkeit der Generalstäbler, Euch im Reichstag vorzureden, der Krieg im April 1892 sei sicher. Du tust sehr recht, alle diese Mitteilungen genau zu beachten, und ich werde Dir für authentische Nachrichten in dieser Beziehung sehr dankbar sein, aber die Leute haben dabei auch ihre Nebenzwecke. Dieser Punkt ist nicht so akademisch, wie er aussieht. Denn er ist von grosser Wichtigkeit, sobald die Geldforderungen der Regierung im Reichstag vorgelegt werden. Sind wir überzeugt, dass es im Frühjahr losgeht, so können wir schwerlich diesen Geldforderungen im Prinzip entgegen sein. Und das wäre für uns eine ziemlich fatale Lage. Da würden die sämtlichen Arschkriecher-Parteien jubeln, dass sie recht gehabt und wir unsere zwanzigjährige Politik jetzt mit Füssen treten müssten. Und eine so unvorbereitete Schwenkung würde auch im Innern der Partei kolossale Reibung setzen. Und auch international. Andrerseits kann ja der Krieg doch im Frühjahr kommen. Wie stellen wir uns da zu den Geldforderungen? Meiner Ansicht nach gibt's da nur eine Stellung: 1) Für Umänderung der Bewaffnung ist keine Zeit mehr. Bleibt's Friede, bis wir neue Kanonen und ein neues noch kleinkalibrigeres Gewehr eingeführt, dann wird's auch wohl überhaupt Friede bleiben. Das sind also faule Vorwände. 2) Für neue Kadres der stehenden Armee gilt dasselbe, und in noch grösserem Mass; ich meine für die Forderung neuer Regimenter. Diese paar Neubildungen, die man heute fordern kann, zählen nicht bei den heutigen Riesenarmeen; und wenn sie als ScTmZkadres dienen sollen, um mehr Leute einstellen und ausbilden zu können, so können sie das nur während langer Friedensjahre leisten, sind also für den Frühjahrskrieg überflüssig. — Dagegen aber 3) alle Forderungen zum Zweck der Annäherung der heutigen Armee an die allgemeine Volksbewaffnung, zur ausschliesslichen Stärkung der Defensive, zur Ausbildung und Bewaffnung der bisher nicht ausgehobenen Mannschaften jedes Alters von siebzehn bis sechzig [Jahren], zu ihrer Einrangierung in feste Kadres ohne Vermehrung der Kontrollschika451
nen, dazu können wir Gelder bewilligen. Wir können nicht verlangen, dass die bestehende Heeresorganisation bei währender Kriegsgefahr umgewälzt werde; aber wenn man die grosse Masse dienstfähiger, aber nicht ausgebildeter Leute jetzt so gut wie möglich ausbilden und in Kadres ordnen will — zum wirklichen Kampf, nicht zur Parade und Schikane, — so ist das eine Annäherung an unsere Volkswehr, 'die wir nur akzeptieren können. Wird die Kriegsgefahr grösser, dann können wir der Regierung sagen, wir wären bereit, wenn man es uns möglich mache durch anständige Behandlung, sie zu unterstützen gegen den auswärtigen Feind, vorausgesetzt, dass sie den Krieg mit allen, auch revolutionären Mitteln und rücksichtslos führe. Wird Deutschland von Ost und West angegriffen, so ist jedes Mittel der Verteidigung gut. Es geht um die nationale Existenz und auch für uns um die Behauptung der Position und der Zukunftschancen, die wir uns erkämpft. Je revolutionärer der Krieg geführt wird, desto mehr in unserem Sinn wird er geführt. Und es kann kommen, dass gegenüber der Feigheit der Bourgeois und Junker, die ihr Eigentum retten wollen, wir die einzige wirkliche energische Kriegspartei sind. Natürlich kann auch kommen, dass wir ans Ruder treten müssen und 1793 spielen, um die Russen und ihre Alliierten herauszuwerfen. Ich muss schliessen wegen Einschreibens dieses Briefes (wird nach fünf Uhr nicht mehr getan). Dass die erste Feldarmee im stillen bedeutend verstärkt, habe ich nach den früheren Erfahrungen sicher erwartet; es ist uns aber lieb, es authentisch bestätigt zu wissen. Was die Österreicher angeht, so sind die Leute ganz vortrefflich, die niederen Offiziere brav, aber von sehr ungleicher Vorbildung zum Gefecht, und die höheren absolut unberechenbar. Da kann einer an die Spitze kommen, der dem Franz Joseph Kupplerdienste geleistet. Ich mache den Franzosen etwas zurecht über den Kriegsfall;2 es ist aber verdammt schwer, da nicht mehr Schaden zu tun als Nutzen, die Leute sind so empfindlich. Constans tut alles, um Lafargues Kandidatur zu befördern, durch echt preussische Schikanen. Das geht in Frankreich nicht. Wie wird's aber gehen mit dieser Kriegspolitik und L[ie]bk[necht] im Auswärtigen Amt? Seine auswärtige Politik — Parnell, Garibaldifest in Nizza etc. — ist unter der Kanone. Bei seiner Anbetung der „Republik" als solcher kann's da bald schönen Krawall setzen. Meiner Ansicht nach sollte der Kriegsfall, wenn Du so sicher an
2
Der Anm. 1 erwähnte Aufzatz, s. Engels an L. Lafargue 13., 22. Oktober 1891.
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den Ausbruch im Frühjahr glaubst, auf dem Parteitag wenigstens hinter den Kulissen verhandelt werden.3 Gruss von Louise und Deinem F. E. Engels hielt diese Angelegenheit für sehr wichtig; an P. Lafargue 13. Oktober: „Je dois écrire aujourd'hui une longue lettre à Bebel pour le Congrès d'Erfurt, il y a plusieurs questions importantes à discuter.. ."
3
1 6 8 . B E B E L AN
Original.
ENGELS
Erf[urt], den 14. [Oktober] abends 8 Uhr. L[ieber] Gfeneral]!
Es wird Euch, Dir und Lfouise], angenehm sein, wenigstens in aller Kürze zu hören, was wir hier treiben. Die Aktenstücke des Parteitags habe ich Euch vorhin zugesandt. Bis jetzt sind zweihundertsechzig Delegierte anwesend, mehr, als wir gerechnet hatten, wir rechneten nicht über zweihundert. Als Präsidenten wurden Paul und Kloss, Stuttgart gewählt. Von Ausländern ist bis jetzt nur Van der Goes,1 Amsterdam eingetroffen. Die Österreicher sind noch nicht da, drei Mann sind angemeldet. Soeben geht die Geschäftsordnungsdebatte los über die Tagesordnung und die Behandlung der einzelnen Punkte. Nachdem ich ihnen entsprechend geantwortet, erklärten sie sich mit den Ausführungen einverstanden und zogen ihre Anträge zurück. Die weitere Tagesordnung verläuft glatt. Der Tanz wird morgen gleich beim ersten Punkt losgehen. Karl ist mit Dietz gekommen. Sonst nichts Neues vor Paris. Später mehr. Entschuldige die Kleckse, die neue Feder will noch nicht parieren. Herzlfichen] Gruss Dir und L[ouise] Euer A. 1 Frank van der Goes (1859-1939) kam aus der Versicherungsbranche, hervorragender Schriftsteller; seit Ende der achtziger Jahre Sozialist, bekämpfte er Domela Nieuwenhuis; er wird als der „geistige Vater der Sozialdemokratie" in Holland betrachtet, übersetzte den ersten Band des Kapital ins Holländische, Redakteur der Nieuwe Tijd. — Der Zentralrat der Sozialdemokratie in den Niederlanden teilte dem Erfurter Parteitag mit, dass van der Goes nicht im Namen der Partei, sondern als Privatperson den Parteitag besuche. Protokoll, S. 251. Der Besuch beeinflusste ihn sehr.
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169. B E B E L AN
ENGELS
Erffurt], den 16. Oktober 1891.
Original. L[ieber] G[eneral]I
Deine Briefe erhielt ich, ebenso die geschwärzte Mitteilung] von L[ouise], sie soll nur das Anschwärzungshandwerk nicht gar zu arg treiben. Die Debatte über den Vorstandsbericht dauerte bis heute nachmittag 2 Uhr und schloss mit einer echt staatsanwaltlichen Rede Auers, welcher noch einmal recht gründlich und sehr wirksam das ganze Anklagematerial zusammenfasste.1 Ich sende Euch Berichte, wie sie für die bürgerliche Presse gemacht werden und den Bericht des V[orwärts] ergänzen. Victor ist bis nachmittag 4 Uhr nicht anwesend und wird wohl auch nicht mehr kommen. Tut uns sehr leid, dass er nicht kommt, war aber nach seinem letzten Brief an mich zu erwarten.2 Die Abstimmung ergibt Dechargeerteilung an den Kassierer, die einstimmig angenommen wird. Darauf wird mit grosser Majorität — gegen fünf Stimmen — ein Vertrauensvotum für den Vorstand der Partei angenommen. Ebenso wird mein Antrag auf Kommissionswahl für Prüfung der Anklagen mit sehr grosser Mehrheit angenommen. Dann kommt die parlamentarische Berichterstattung und das Referat über die Taktik an die Reihe. Herzlichen] Gruss Dir und L[ouise] Euer AUGUST.
170. BEBEL
AN
ENGELS
Erfurt, den 16. Oktober 1891.
Original. L[ieber] G[eneral]!
Wie ich Euch schon gestern schrieb, der heutige Tag werde Hauptkampftag werden, so ist es geworden. Aber es war kein Ehrentag 1 S. den Schluss des von ihm erstatteten Geschäftsberichtes des Vorstandes, Protokoll, S. 94f., dazu die dem Parteitag vorgelegte Materialsammlung „Die Anschuldigungen der Berliner Opposition", ebd., S. 53-80. Auch die „Jungen" sahen in Auer den „Staatsanwalt der Partei", s. H. Müller, Der Klassenkampf, S. 112. 2 S. Protokoll, S. 179; Bebel an Adler 10., 21. Oktober 1891. ® Bebels Antrag, eine neunköpfige Kommission einzusetzen, welche die Anklagen der Opposition gegen Parteileitung und Reichstagsfraktion prüfen und dem Parteitag Bericht erstatten sollte. Protokoll, S. 120, 152.
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für die Opposition. Ich hatte keine hohe Meinung von ihrer Befähigung und ihren Gründen, aber so kläglich und erbärmlich, wie sie sich schliesslich benommen hat, hätte ich sie nicht erwartet. Ich habe den Antrag gestellt, dass eine neungliederige Kommission ernannt wird, die alle Anklagen genau zu prüfen hat und auf Grund ihrer Prüfung mit speziellen Anträgen an uns, den Parteitag herantreten soll. Widerruft die Opposition, wie sie eigentlich widerrufen muss, dann wird Gnade vor Recht ergehen; widerruft sie nicht, dann müssen die Häupter „fliegen". L[ie]bk[necht] hat sachlich sehr gut gesprochen.1 Namentlich hat F[ischer] mit echt bayerischer Urwüchsigkeit den Herren den Standpunkt klargemacht.2 Morgen kommt die Taktik heran, und da wird's von neuem losgehen. Wir sind mit der Debatte nicht fertig geworden, der ganze Kongress will reden, aber der Opposition geht's jämmerlich. Herzlfichen] Gruss an Dich und L[oui]se Euer AUGUST. 1
2
S. 128ff. Ebd., S. 122ff.
Protokoll,
1 7 1 . B E B E L AN E N G E L S
Original.
[Poststempel: Erfurt,] den 18. Oktober 1891. L[ieber] G[eneral]!
Wir sind mit der Taktik, wie Du mittlerweile erfahren haben wirst, nicht fertig geworden. V[ollmar] sprach von seinem Standpunkt sehr geschickt.1 Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass man ein Tor ist, wenn man einen Gegner glimpflich behandelt. Morgen soll ihm heimgezahlt werden. Seine Niederlage ist gewiss, er droht mit den Folgen, wir lassen uns aber nicht abschrecken. Karl [Kautsky] habe ich mit in die Programmkommission gebracht. Wir hatten noch vor der Generaldebatte Sitzung, damit wir vorwärtskommen. Der Entwurf der Neuen Zeit ist zur Unterlage genommen worden, sehr zum Verdruss von L[ie]bk[necht], der an unserm Entwurf festhing.2 Wir sind heute ein gut Stück vorwärtsgekommen. Der Protokoll, S. 179ff. Ebd., S. 13ff. Über die Kommissionsberatung s. Kautsky an Engels 30. Oktober 1891. 1 2
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Dir so unangenehme Satz von der „reaktionären Masse" wurde gestrichen und eine Änderung in den zweitvorhergehenden Satz aufgenommen. Auch soll der dritte und vierte Satz unseres Entwurfes in passender Form in den Entwurf der N[euen] Z [ e i t ] aufgenommen werden.3 Ich denke, mit noch einer vier- bis fünfstündigen Sitzung werden wir fertig in der Kommission. Im Parteitag werden wir vor Dienstag abend nicht fertig, das haben die Berliner „Jungen" zustande gebracht, ohne diese wurden wir bequem heute fertig. Gestern sandte ich ein Kreuzband, das Ihr werdet erhalten haben. Ein weiteres folgt. Brief von Dir und L[ouise] erhielt ich. Herzlichen] Gruss Euch beiden D[ein] A. 3
Der dritte und vierte Absatz des endgültigen Programms.
1 7 2 . B E B E L AN
ENGELS
Erfurt, den 19. Oktober 1891.
Original. L[ieber] G[eneral]!
Die Schlacht ist geschlagen und gewonnen. Die „Jungen" verliessen bereits heute mittag die Sitzung und erklärten fünf Mann hoch ihren Austritt.1 Zwischen V[ollmar] und mir fand das Duell heute nachmittag statt.2 V[ollmar] sprach etwa eine Stunde, ich gegen zwei, aber gründlich. In seiner heutigen Rede wechselte er vollständig den Standpunkt und erklärte sich rückhaltlos f[ür] die bisherige Taktik. Trotzdem wollte ich ihn nicht loslassen und verlangte die Abstimmung über den Antrag Oertel.3 In der Mitte unserer Leute war man nachsichtiger und brachte eine motivierte Tagesordnung, die einem kaudiAuerbach, Baetge, Schultze, Werner und Wildberger lehnten es ab, in der Neunerkommission zur Prüfung der Anklagen der Opposition mitzuarbeiten, und erklärten ihren Austritt aus der Partei; in einer Erklärung begründeten sie ihn mit der undemokratischen Kampfesweise Auers, Bebels und Fischers. Protokoll, S. 252f., 318. 2 Vollmars Rede über die parlamentarische Tätigkeit und die Taktik der Partei, Protokoll, S. 254ff„ Bebels Rede ebd., S. 265ff. 3 Der Ergänzungsantrag Oertel, in dem ausdrücklich erklärt wurde, dass der Parteitag den Standpunkt Vollmars nicht billige, sondern für verhängnisvoll für die Partei halte, — Protokoll, S. 216 — zu Bebels Resolution über die Taktik, ebd., S. 157, 287.
1
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nischen Joch so ähnlich sah wie ein Ei dem andern.4 Dafür stimmte der ganze Parteitag bis auf zwei Mann. Die Sitzung war sehr dramatisch. Die Programmfrage hoffen wir morgen zu erledigen; vielleicht kommen wir auch mit Hilfe einer Abendsitzung, die bis Mitternacht dauert, zum Schluss. Anbei erhaltet Ihr wieder ein Bild zum Amüsement. L[ouise] darf sich dieselben zur Tapezierung ihres Schlafzimmers aneignen, damit sie morgens beim Erwachen etwas zu lachen hat. Die Angriffe V[ollmar]s auf Dich 5 wies ich zurück; ich teilte mit, dass wir beiden die einzigen Jungen in der Partei seien, was sehr belacht wurde. Herzlichen Gruss Dir und L[ouise] D[ein]
A.
Der Antrag Ehrhart, ebd., S. 287, besagte, dass der Antrag Oertel erledigt sei, nachdem Vollmar sich für die Beibehaltung der bisherigen Taktik ausgesprochen habe. 5 Vollmar spöttelte über die Vorhersage eines Weltkrieges, mit dem der Grosse Kladderadatsch eintreten werde. „Der Zeitpunkt, wann das geschehen soll, ist — da das Prophetentum in der Partei jetzt Mode wird — (Heiterkeit), zuerst von London aus auf das Jahr 1898 festgesetzt worden, Tag und Monat weiss ich nicht. Aber ich weiss Leute in der Partei, denen dieser Zeitpunkt viel zu entfernt ist und die meinen, es könne 1893, vielleicht schon 1892 werden. (Heiterkeit)." Protokoll, S. 185. Bebels Antwort, unter Hinweis auf Engels' Brief im Socialiste, S. 282f. S. Brief Nr. 176.
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1 7 3 . B E B E L AN
ENGELS
Erf[urt], den 21. Oktober 1891.
Original. L[ieber] G[eneral]!
Heute mittag \ 1 Uhr wurde endlich der Parteitag geschlossen. Programm wurde nach dem Vorschlag der Kommission angenommen. Entwurf des letzteren sende ich Dir, derselbe ist mit einigen ganz kleinen Abänderungen nunmehr Programm.1 Die Berichte über meine Rede sind ausserordentlich mangelhaft und vielfach falsch? Die Raschheit, mit der ich spreche, und die Länge der Reden machen es den Berichterstattern unmöglich zu folgen, so kommt denn der grösste Blödsinn zu Tage. Du musst Dich Es handelte sich in der Hauptsache um redaktionelle Änderungen, wodurch das Programm straffer und etwas kürzer wurde. 2 S. Brief Nr. 176, Anm. 7.
1
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also schon auf das offizielle Protokoll vertrösten, das erst ein volles Bild der Verhandlungen gibt. Heute nachmittag wollen wir einen Ausflug in den Thür[inger] Wald machen, und kommen wir erst in der Nacht von Donnerstag auf Freitag nach Hause. Sobald ich ein wenig mehr Ruhe habe, schreibe ich Euch beiden ausführlich. Die Arbeiterin3 habe ich noch einmal bestellt; es ist möglich, dass Dietz das Blatt übernimmt. Sende heute noch einiges unter Streifband. Herzlichen] Grass Euch beiden. Euer A. Die im Brief 163 Anm. 10 erwähnte Zeitschrift. Sie erschien seit 1892 im Verlag J. H. W. Dietz, Stuttgart als Gleichheit unter der Redaktion von Clara Zetkin.
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ENGELS
Berlin W., den 24. Oktober 1891.
Original. Lieber General!
Endlich bin ich wieder in meinen vier Pfählen angelangt und will Dir nunmehr etwas ausführlicher schreiben. Die Berl[iner] Opposition versucht, wie Du gelesen haben wirst, eine neue Organisation1 zu gründen. (Wie ich nachträglich sehe, hat der Vorw[ärts] unbegreiflicherweise kein Wort über die Versammlung der Opposition gebracht. Die geistige Unselbständigkeit der Redaktion ist himmelschreiend.) Dass sie den Konfusionsrat Wille mit als ihr geistiges Oberhaupt betrachtet, zeigt, wenn man darüber noch im Zweifel sein könnte, wes Geistes Kind sie ist. Werner hat die richtige Witterung über den Wert seines Ausschlusses aus der Partei. Er ist sofort aus der Kompagnieschaft seines Geschäftes ausgetreten, weil er sich sagte, dass anderenfalls dem Geschäft die Druckaufträge — die sehr bedeutend sind — entzogen würden, wodurch er bankerott Zu einer von Werner und Wildberger einberufenen Versammlung am 20. Oktober erschienen sechs- bis siebenhundert Besucher. Nachdem Zubeil eine Erklärung verlesen hatte, dass die Berliner Delegierten gegen die Berichterstattung über den Parteitag vor dessen Abschluss protestierten, folgte seiner Aufforderung, den Saal zu verlassen, ein grosser Teil der Besucher. Vorwärts Nr. 246, 21. Oktober. — Am 8. November konstituierte sich die Berliner Opposition als „Verein unabhängiger Sozialisten". Auf der Gründungsversammlung waren etwa fünfhundert Besucher anwesend. Bericht im Vorwärts Nr. 263, 10. November. 1
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wäre. Er bleibt natürlich stiller Kompagnon, und ist die Behauptung, er werde wieder Setzer, einfach Schwindel. Hätten die Leutchen anlässlich ihrer letzten Versammlung nicht ein kleines Lokal genommen, sie wären genau wie die Magdeb[urger] Opposition in Magdeburg gehörig verdroschen worden. 2 In das kleine Lokal hatte man möglichst frühzeitig den eigenen Anhang gesteckt, und so sicherte man sich eine künstliche Majorität. Die Berichterstattung der nächsten Tage über Erf[urt] dürfte zu lebhaften Erörterungen führen. Wir haben einstweilen das Vergnügen, uns noch eine Weile mit der Gesellschaft herumschlagen zu müssen, bis sie fertig ist. Vollmar ging sehr gedrückt von Erfurt weg. Die angenommene Resolution war ihrem Wortlaut nach eine ärgere Ohrfeige, wie die etwaige Annahme des Antrags Oertel, und sie benahm ihm die Möglichkeit, mit Eklat auszutreten, was uns nicht geniert hätte, aber bei einem Teil der Kongress-Delegierten, namentlich den Süddeutschen einen sehr unangenehmen Eindruck gemacht hätte. Dort glaubte man, wir wollten V[ollmar] mit aller Gewalt aus der Partei drängen. Ich denke, er wird's bleiben lassen, ein zweites Pronunziamento zu versuchen, alsdann wäre er geliefert. Du wirst gefunden haben, dass Fischer namhaft Stimmen weniger als Sekretär erhielt, wie die übrigen Vorstandsmitglieder.8 Ffischer] hat sich durch sein exzentrisches und ausfallendes Auftreten viele Gegner geschaffen, die er zum Teil schon durch die Art seiner Korrespondenz mit den Leuten sich schuf. Die Leute lassen sich nicht von oben herunter behandeln, und so werden wir ihn jetzt an die Leine nehmen müssen, sonst geht es ihm nächstes Jahr schlecht. Ausserdem wird er sich die Abstimmung zur Lehre dienen lassen. Dem Gesamteindruck des Parteitags hat die vier bis fünf Tage dauernde Zänkerei mit der Berliner Opposition, die ganz naturgemäss ins Kleine und Kleinliche ausarten musste, sehr geschadet. Ich war zeitweilig selbst sehr degoutiert. Ein andermal darf diese Art schmutziger Wäsche nicht vor der grossen Öffentlichkeit gewaschen werden, und müssen wir dafür sorgen, dass die Debatten einen grösseren Stil erlangen. Andererseits zeigte sich, wie verhängnisvoll die vollständige Kurslosigkeit des Vorwärts gewirkt hat. Es müsste ein ganz anderer Geist, 2
S. Anm. 6. Fischer erhielt in Erfurt nur 165 von 223 abgegebenen Stimmen gegenüber 219 bis 221 der übrigen Vorstandsmitglieder, Protokoll S. 358. Auf dem Haller Parteitag hatte er wie seine Vorstandskollegen die übliche volle Anzahl der Stimmen erhalten, Protokoll, S. 263. 3
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mehr Takt, mehr Klarheit und mehr Begeisterung vorhanden sein, als vorhanden war. Wenn die Haltung des Blattes so fortdauert, wird uns die Partei geistig kastriert. Ich habe mich schon in diesem Sinne sehr energisch ausgesprochen und werde weiter bohren. Was mir an kritischen Abhandlungen der Gegner über den Parteitag vor Augen kommt, werde ich euch senden. Der Versuch, Geiser zu rehabilitieren, missglückte kläglich.4 Ich habe keinen Finger dafür gerührt; denn was gegen G[eiser] vorliegt — St. Gallen ist nur eine kleine Portion — sollte ihn eigentlich zur Partei herausbringen. Aber er ist halt L[iebknecht]s Schwiegersohn, und da werden auch in unserer Partei grössere Rücksichten genommen, als billig ist; und L[iebknecht] selbst begreift nicht, dass er doppelt Ursache haben sollte, G[eiser]s Partei nicht zu ergreifen. Dennoch tut er (Lfiebknecht]) mir leid. Denn die Niederlage, die G[eiser] traf, trifft ihn indirekt auch. Schliesslich wäre es ein Skandal gewesen, in dem Augenblick, wo man die Wortführer der Jungen hinauswirft, Vollmar mit genauer Not der moralischen Nötigung zum Austritt entging, man einen Geis [er] feierlich rehabilitierte. Der Vorstand hat auf meinen Antrag beschlossen, für Lafargues Wahl vierhundert M[ark] zu gewähren, die ich heute absende. L[ie]b[knecht] wollte, man solle das Geld lieber den streikenden Glasarbeitern zukommen lassen. Allein das würde uns nur immer neue Gesuche der Streikenden auf den Hals laden, die wir der Konsequenz halber in Deutschland mit keinem Pfennig unterstützen. Gilles versuchte, durch Sendung seiner bekannten Pamphlete seinen Streit mit Av[eling] auch in den Parteitag zu tragen.5 Es misslang ihm aber gründlich. Die Ausdauer ist anerkennenswert, mit welcher der Lump sein Ziel verfolgt. Die Niederlage der Magdeb[urger] Opposition stellt sich nach den eingetroffenen Berichten als weit grösser dar, als es anfangs schien.9 Damit wird die Blattverwaltung und die halbe Redaktion in Magdeburg] genötigt zurückzutreten. Morgen dürfte es im sechsten Wahlkreis zu lärmenden Auseinandersetzungen kommen, da nach der Form der Einladung „Volksversammlung" man der Opposition den Eintritt nicht verwehren kann. Im Laufe der Woche findet die weitere Berichterstattung statt, und sind Fr. Kunerts durch zahlreiche Unterschriften unterstützter Antrag auf dem Erfurter Parteitag, den St. Galler Beschluss, soweit er sich auf Geiser beziehe, ausser Kraft zu setzen, wurde mit grosser Mehrheit abgelehnt. Protokoll, S. 317. S. Brief Nr. 164, Anm. 7. 5 Die Sendung war unter den Zuschriften an den Parteitag nicht erwähnt. • Über die Magdeburger Versammlung und ihre Folgen s. die Berichte des Vorwärts, Nr. 249, 24. Oktober, Nr. 251, 27. Oktober. 4
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wir übereingekommen, uns die verschiedenen Versammlungen zu verteilen. Die Politik habe ich während des Parteitags ganz und gar vernachlässigt, so dass ich hierüber mir Auseinandersetzungen für später vorbehalten muss. Mit herzlichem] Gruss D[ein] A . BEBEL.
1 7 5 . E N G E L S AN B E B E L
London, den 24.[-26.] Oktober 1891.
Original. Lieber Bebel!
Vielen Dank für die Postkarten und Sendungen, ohne die wir doch nur schlecht hätten den Gang der Dinge in E[rfurt] verfolgen können. Es ist ja ganz vortrefflich gegangen, Du, Auer, Singer, Fischer, Ihr habt Euch mit Ruhm bedeckt, und die Jämmerlichkeit der Opposition war das einzige, worüber Ihr Euch beklagen konntet; mit solchen Insekten sich herumschlagen, ist kein Pläsier. Jedenfalls werden die Herren jetzt ausserhalb der Partei zeigen, was sie machen können, da sind sie unschädlich, und den besseren Elementen unter den jugendlichen Krakeelern wird jetzt Zeit zur Besinnung gegeben. Dass Herr von Vollmar sich bequemt hat, dem neuen Kurs in Caprivis Arme abzusagen, wenn auch ohne „persönliche Spitze", ist vielleicht für den Augenblick besser;1 mit dem seid Ihr aber noch lange nicht im reinen, und je gespannter die Lage, desto genauer muss ihm auf die Finger gesehen werden. Indessen jede grosse Partei hat einen Hauptklüngler, und würdet Ihr diesen los, so käme ein anderer. Gefreut hat uns die viele Heiterkeit, die auf Eurer Seite herrschte, wir haben viel gelacht — bei der traurigen Opposition und dem würdevollen Vollmar schläft man ja fast ein. Das Programm macht bei erster Lesung einen sehr guten Eindruck bis auf einige matte Stellen, auf die ich K[arl] K[autsky] schon vorher aufmerksam gemacht.2 Es war eine bittere Pille für den Liebk[necht], dass er den Bericht über das neue Programm machen musste,3 worin der letzte Rest nicht nur von Lassalleanismus, sondern auch von 1 Vollmar stimmte der Entschliessung Bebels über die Taktik der Partei zu, da sie keine persönliche Spitze gegen ihn enthalte. Protokoll, S. 287. 2 In den Briefen vom 28. September und 14. Oktober 1891. 3 Liebknecht hatte sich anfänglich geweigert, das Referat über „ein so miserables Programm" zu halten; Kautskys Darstellung im Brief an Engels 30. Oktober 1891.
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seinen vielgeliebten volksparteilichen Phrasen ausgemerzt war. Die Rede — wenn dem Vorwärtsbericht zu trauen, den er doch wohl selbst aufgesetzt — trägt auch schmerzliche Spuren davon. Und dann hatte er noch das Pech mit dem Kunertschen Antrag wegen seinem Schwiegersohn. Ich hoffe, es findet sich eine sanfte schiefe Ebene, worauf L[iebknecht] sich allmählich in die Pensionierung hineingleiten lässt — er ist merkwürdig veraltet in der Partei. Montag, den 26. Oktober. — Inzwischen ist heute morgen Dein Brief eingesprungen. Dass Fischer sich Feinde gemacht, glaub ich gern, ich kenne das aus Erfahrung an mir selber; ich war in jüngeren Jahren genauso gern frech am unrechten Ort und zur unrechten Zeit wie er, wie ich denn überhaupt bei den Jüngeren selten irgendeinen Fehler entdecke, den ich nicht mehr oder weniger selbst gehabt. Das schleift sich allmählich ab, wenn man so von Zeit zu Zeit einen auf die Schnauze kriegt, von dem man sich sagen muss, dass er verdient war. Ich weiss nicht, ob Ihr in Zukunft daran vorbeikommen werdet, derlei Sachen öffentlich zu erledigen. Ich halte es so für besser, trotz der kleinen Nachteile und grossen persönlichen Unannehmlichkeiten. Aber das ist sicher, wenn Euer Zentralorgan nicht anders wird, so tätet Ihr besser, es ganz der Berliner Partei zu übergeben und Euch einen Wochen-Staatsanzeiger zu schaffen, der aber dann auch ordentlich redigiert sein könnte und müsste. Sehr vernünftig, die vierhundert M[ark] für Lafargues Wahl zu verwenden. Sie werden zur Stichwahl sehr erwünscht kommen. Da Genossenschaften und Partei bei Euch getrennt, ist es ganz in der Ordnung, wenn franz[ösische] etc. Streiks direkt von den Genossenschaften in Deutschland unterstützt werden und die Parteigelder für politische Zwecke frei bleiben. Allerdings sollte dann auch gesorgt werden, dass die Genossenschaften etwas für die Glasleute tun. Von hier ist relativ viel für sie geschehen. Lafargue steht gut. Er hatte 5005 St[immen], der Opportunist Depasse, Regierungskandidat, 2928, der zweite Opportunist Bere (lies Beer oder Bär) 1246 und der Radikale Roche 2272. Dieser tritt zurück zugunsten Lafargues. So dass Depasse, der eigentliche Konkurrent bei der Stichwahl, nur durchkommen kann, wenn entweder alle Stimmen Roches sich enthalten und noch ca. 1000 Stimmen aus der monarchischen Enthaltungsreserve dazukommen, oder wenn über 3000 monarchfische] Enthaltungsstimmen die 5005 2272 mehr als aufwiegen. Ich weiss nicht, wieviel eingeschriebene Wähler da sind, kann also nicht urteilen, jedenfalls steht's besser, als wir zu hoffen wagten. Gilles hat's billig. Der Kerl muss flott leben auf Rechnung der Polizei. Er hat sich die Majorität im komm[unistischen] Verein ge462
kauft durch Pump, den er ihnen gemacht hat, sie dürfen ihn nicht hinauswerfen. Da der Kerl hier behauptet, als Mitglied dieses Vereins sei er ohne weiteres Mitglied der deutschen Partei, fragt sich, ob Ihr Euch diesen „Genossen" wollt gefallen lassen. Die Gelder, die ihm zur Verfügung stehen für seine Pumpereien und seine Zirkulare — das Zeug kostet hier was —, kann er nur von der Gesandtschaft haben.4 Uber die Magdeburger Versammlung habe ich bis jetzt weder im Vorwärts noch Echo etwas gefunden. Dass der V[or]w[ärts] die Berliner Versammlung der Opposition unterdrücken würde, erwartete ich nach der bisherigen Praxis des Blattes. Ist aber elend dumm. Ich schicke Dir einen Artikel des grossen Paul Brousse, wo Du sehen wirst, wie dieser Erzkrakeeier, Erzstänkerer und Erzautoritär jetzt, nachdem er total geschlagen und reine Null geworden, den Frieden und die Föderation Euch predigt, nachdem er jahrelang in Euch seine Hauptfeinde auf dem Kontinent bekämpft. Inliegend] einige Ausschnitte über die russische] Hungersnot, die noch weiter nach Westen greift, als ich glaubte. Solche Sachen finden sich in der hiesigen Presse täglich. Es steht in der Tat schlimm, und man schickt noch mehr Truppen nach Westen, nur um sie ernähren zu können, wie mir Mendelson gestern bestätigte. Die Russen müssten verrückt sein, Krieg anzufangen, aber die Militärpartei ist überall verrückt, und die russische] Bourgeoisie ist borniert-dumm, unwissend, chauvinistisch und habgierig aufs äusserste. Muss Krieg sein, dann ist's besser bald; denn dann werden die Russen dran glauben müssen. Da ich es für nötig hielt, den Franzosen reinen Wein einzuschenken über unsere Lage, wenn s zum Krieg kommt, — allerdings eine verdammt schwierige Aufgabe —, habe ich einen französischen] Artikel geschrieben und an Laura geschickt.5 Sie schreibt mir heute, dass sowohl sie wie Paul ganz entzückt von dem Artikel sind, das sei ganz das, was für die Franzosen nötig sei usw. Wenn Guesde auch der Ansicht ist — er ist noch in Lille, wo er Lafargue bei den Wählern vertritt —, soll der Artfikel] veröffentlicht werden. Er war ursprünglich für den französischen] sozialistischen] Kalender geschrieben, ist aber möglicher- (für mich wahrscheinlicher-) weise zu stark für Viele Berichte des Auswärtigen Amtes sowie direkte Berichte des Botschafters Fürst Hatzfeldt machen es wahrscheinlich, dass Gilles der Berichterstatter war, wenigstens in den Jahren 1886 bis 1889. Europa Generalia No. 82. No. 4. Geheime Acten betreffend: Die Sozialdemokratie in England. Es liegen auch Anweisungen vor, dem Berichterstatter Beträge auszuzahlen, „which you will reckon upon in the Legations treasury in the usual manner". 5 Engels' Aufsatz „Le socialisme en Allemagne", s. Brief Nr. 188. Engels an L. Lafargue 13., 22. Oktober, P. Lafargue an Engels 24. Oktober 1891.
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die dabei beteiligten Mischmaschleute; dann kommt er wohl in den Socialiste, den Du hoffentlich siehst. Ich sage den Leuten: wir hätten die fast absolute Sicherheit, innerhalb zehn Jahren ans Ruder zu kommen; wir könnten nicht das Ruder ergreifen, noch dranbleiben, ohne die Sünden unserer Vorgänger gegen andere Nationalitäten wiedergutzumachen, also 1) die Wiederherstellung Polens offen anzubahnen, 2) die Nordschleswiger und Elsass-Lothringer in die Lage zu versetzen, frei über ihre Zugehörigkeit zu entscheiden. Eine elsasslothr[ingische] Frage existiere überhaupt nicht zwischen einem sozialistischen Frankreich und einem dito Deutschland. Also liege überhaupt kein Grund vor zu einem Krieg wegen Elsass-Lothr[ingen]. Wenn aber dennoch die franzfösischen] Bourgeois einen solchen anfangen und sich zu diesem Zweck in den Dienst des russischen] Zars stellen, der der Feind auch der Bourgeois von ganz Westeuropa ist, so ist das die Verleugnung der revolutionären Mission Frankreichs. Dagegen haben wir deutschen Sozialisten, die wir, bei bewahrtem Frieden, in zehn Jahren zur Herrschaft kommen, die Pflicht, diese von uns eroberte Position in der Avantgarde der Arbeiterbewegung zu behaupten, nicht nur gegen den inneren, auch gegen den äusseren Feind. Siegt Russland, so werden wir erdrückt. Also druf, wenn Russland Krieg anfängt, druf auf die Russen und ihre Bundesgenossen, wer sie auch seien. Dann haben wir dafür zu sorgen, dass der Krieg mit allen revolutionären Mitteln geführt und jede Regierung unmöglich gemacht wird, die sich weigert, diese Mittel anzuwenden; respektive im gegebenen Moment selbst an die Spitze zu treten. Wir haben das glorreiche Beispiel der Franzosen von 1793 noch nicht vergessen, und wenn man uns dazu zwingt, kann es kommen, dass wir das hundertjährige Jubiläum von 1793 feiern, indem wir zeigen, dass die deutschen Arbeiter von 1893 der Sansculotten von damals nicht unwürdig sind, und wenn dann französische] Soldaten über unsere Grenze kommen, so werden sie empfangen mit dem Ruf: Quoi ces cohortes étrangères Feraient la loi dans nos foyers? (Marseillaise). Dies der allgemeine Gedankengang. Sobald der Text endgültig festgestellt (ich erwarte natürlich einzelne kleine Änderungsvorschläge) und der Abdruck in Angriff genommen, übersetze ich den Artikel ins Deutsche, und wir werden dann sehen, was damit zu machen. Ich bin nicht sicher, ob Eure Pressverhältnisse den Abdruck in Deutschland zulässig machen; vielleicht wenn Ihr einige Vorbehalte macht, geht's doch. Das wird sich finden. Meine Artikel binden ja ohnehin die Partei nicht — ein grosses Glück für beide, obwohl Liebk[necht] sich einbildet, ich sähe darin ein Pech für mich, was mir gar nicht einfällt. Die Berichte lassen Dich sagen, ich hätte den Zusammenbruch der 464
bürgerlichen Gesellschaft auf 1898 geweissagt. 6 D a ist ein kleiner Irrtum irgendwo. Ich habe nur gesagt, bis [18]98 könnten wir möglicherweise ans Ruder kommen. Die alte bürgerliche Gesellschaft könnte, falls dies nicht geschähe, noch einige Zeit fortvegetieren, solange nicht ein äusserer Anstoss den morschen Kasten zusammenkrachen macht. So eine faule alte Kiste kann ein paar Jahrzehnte vorhalten nach ihrem wesentlichen inneren Tod, wenn die L u f t ruhig bleibt. So etwas vorherzusagen, würde ich mich also sehr in acht nehmen. Dagegen unsere Ankunft bei der Möglichkeit der Herrschaft, das ist eine pure Wahrscheinlichkeitsrechnung nach mathematischen Gesetzen. Ich hoffe bei alledem, es bleibt Friede. Wir stehen so, dass wir nicht vabanque zu spielen brauchen — und dazu zwingt uns der Krieg. Und dann in zehn Jahren sind wir ganz anders präpariert. Voici pourquoi! Um die Produktionsmittel in Besitz und Betrieb zu nehmen, brauchen wir Leute, die technisch vorgebildet sind, und zwar in Massen. Diese haben wir nicht, wir sind sogar bis jetzt ziemlich froh gewesen, dass wir von dem „gebildeten" Volk grossenteils verschont blieben. Jetzt ist das anders. Jetzt sind wir stark genug, jedes Quantum gebildeten Quarks vertragen und verdauen zu können; und ich sehe voraus, dass wir in den nächsten acht bis zehn Jahren hinreichend junge Techniker, Mediziner, Juristen und Schulmeister anwerben werden, um die Fabriken und grossen Güter durch Parteigenossen für die Nation verwalten zu lassen. Dann ist also unser Eintritt in die Macht ganz naturgemäss und wickelt sich glatt ab — relativ. Kommen wir dagegen durch einen Krieg vorzeitig ans Ruder, so sind die Techniker unsere prinzipiellen Gegner, betrügen und verraten uns, wo sie können; wir müssen den Schrecken gegen sie anwenden und werden doch beschissen. E s ist, was den französischen] Revolutionären im kleinen stets passierte: sie mussten, selbst in der gewöhnlichen Verwaltung, die wirklich arbeitenden Unterposten mit alten Reaktionären besetzt lassen, und diese hemmten und lähmten alles. Daher hoffe und wünsche ich, unsere famose, sichere, mit der Ruhe und Unausweglichkeit eines Naturprozesses fortschreitende Entwicklung bleibt in ihrem naturgemässen Geleise. Herzlichen Gruss an Deine Frau und Dich Dein F. E.
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S. Brief Nr. 163, Anm. 2; 172, Anm. 5; 176 Anm. 7.
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1 7 6 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 29. Oktober 1891.
Original. Lieber General!
Meine an Euch nachträglich eingesandten Pressurteile werdet Ihr erhalten haben, heute lasse ich noch einen Bericht der Frankfurt[er Zeitung] folgen. Es sind mir sehr wenig Artikel zu Gesicht gekommen; Mangel an Zeit verhinderte mich, das Reichstagslesezimmer aufzusuchen. Dass Vollmars geschraubt gehaltene Resolution in München nicht durchging, wirst Du aus der Münch[ener] Post, die ich Dir zusenden Hess, ersehen haben.1 Es ist gut, dass wir jetzt dort einen zuverlässigen Mann — Adolf Braun,2 den Louise persönlich kennt — am Blatte haben. Damit wird der Einfluss Vollmars gründlich paralysiert. Wichtig ist, dass gerade aus den Arbeiterkreisen gegen die vorher nicht bekanntgewordene Resolution V[ollmar]s Stellung genommen wurde und er sich genötigt sah, sie darauf zurückzuziehen. Das ist überhaupt das Gute allen solchen Sezessionsversuchen gegenüber in unserer Partei, die Massen bringt keiner von der Rechten unter uns auf seine Seite. An dem Tage, wo er sich demaskiert, ist er auch gerichtet. In Erfurt mochte man gegen V[ollmar] noch Rücksicht gelten lassen, in einer ParteiVersammlung nicht. Heute abend ist hier die Berichterstattung über den Erf[urter] Kongress. Wir haben uns in die verschiedenen Wahlkreise verteilt. Ich gehe nach dem fünften [Wahlkreis], in dem der Hauptsitz der Opposition mit ist.3 Mir scheint, die Opposition klatscht rascher zusammen, als man erwarten konnte. Es bestätigt sich einmal wieder die alte Erfahrung: als ausserhalb der Partei stehend erklärt zu werden oder sich ausserhalb derselben zu stellen, heisst bei der Masse unserer Über die Münchener Versammlung am 26. Oktober berichtete der Vorwärts in Nr. 253, 29. Oktober. Sie nahm eine Entschliessung an, in der sie sich mit den Beschlüssen des Parteitages einverstanden erklärte und wünschte, dass alle Mitglieder sie zur Richtschnur nähmen und danach handelten. Vollmars Ausführungen und Resolution in Nr. 254, 30. Oktober. 2 Adolf Braun (1862-1929), Bruder Heinrich Brauns und Schwager Victor Adlers, war Redakteur der Wiener Gleichheit seit ihrer Gründung, des Berliner Vorwärts und der Fränkischen Tagespost, Nürnberg, 1906-12 der Wiener Arbeiter-Zeitung und des Kampf; in Berlin gehörte er dem Parteivorstand der SPD an, er war Mitglied der Nationalversammlung und bis zum Jahre 1928 des Reichstages; schriftstellerisch war er besonders auf gewerkschaftlichem Gebiet tätig; sein bekanntestes Buch ist Die Gewerkschaften, ihre Entstehung und ihre Kämpfe (Nürnberg, 1914), spätere Auflage u.d.T. Die Gewerkschaften vor dem Kriege. 9 Bebel berichtete in einer Versammlung für den 5. Berliner Wahlkreis in der 1
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Leute politischer Tod. Wer so gestellt wird oder sich so stellt, ist fertig, er mag sein, wer er will. Wie L[ie]bk[necht]s guter Freund Eugen Richter L[ie]b[knecht] beurteilt, magst Du aus beiliegenden Notizen ersehen, die in den zwei sich folgenden Nummern der Freisfinnigen] Zeit[ung] standen.4 Es ist eine seltsame Anschauung, wenn Gilles behauptet, als Mitglied des Comm[unistischen] Ar[beiter-] B [ildungs-]V [ereins] eo ipso Mitglied der deutschen Partei zu sein. Dagegen möchten wir denn doch Verwahrung einlegen. Wir haben keinen Einfluss auf die Grundsätze, nach denen der C[ommunistische] A[rbeiter]-B [ildungs-] V[erein] seine Mitglieder aufnimmt oder ausschliesst; folglich können wir uns auch nicht mit ihm solidarisch erklären.5 Lafargues Sieg scheint sicher zu sein. Das ist famos und als Zeichen der Stimmung doppelt beachtenswert. Der Vorwfärts] brachte die Depesche sechsunddreissig Stunden später als die anderen hiesigen Blätter. Da jetzt Auer täglich abends auf einige Stunden in die Redaktion geht, werden künftig ähnliche Böcke vermieden werden. Eine sehr charakteristische Wahl und für den gewaltigen Umschlag der Stimmung bezeichnend ist diejenige im hinterpommerschen Wahlkreis Stolp-Straussberg,8 dem bisherigen Wahlkreise Puttkamers. Der freisinnige Kandidat ist mit bedeutendem Mehr gewählt in einem Kreis, der seit 1867 stets konservativ wählte. Das wird oben gewaltig verschnupfen. Die Verlängerung der Legislaturperioden von drei auf fünf Jahre stellt sich immer mehr als ein mächtiger Schaden für uns heraus. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge haben wir erst Februar 1895 Wahl, statt 1893, und die Regierung hütet sich natürlich, den Reichstag aufzulösen; denn einen ähnlichen bekommt sie nicht mehr zusammen. Hätten wir nächstes Jahr Wahl, würde es so kommen, dass die Freisinnigen in einer ganzen Reihe ländlicher Wahlkreise siegen, wir dagegen ihnen eine ganze Reihe städtischer und industrieller Wahlkreise abnehmen. Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als einen Antrag auf Verkürzung der Legislaturperioden einzubringen, um die Frage anzuschneiden. Bötzowschen Brauerei, Bericht im Vorwärts Nr. 255, 31. Oktober. 4 S. den Anhang des Briefes. 5 Mitglieder einer sozialistischen Organisation waren nicht eo ipso Mitglieder des Comm. Arbeiter-Bildungsvereins und umgekehrt. Nach § 4b der Statuten waren eintretende Mitglieder, die nachwiesen, dass sie bis vor drei Monaten einer sozialdemokratischen Verbindung angehörten, lediglich von der Entrichtung der Einschreibegebühr befreit; die Aufnahme von Mitgliedern erfolgte jedoch nach § 3 auf Vorschlag eines Mitgliedes durch Beschluss der Verednsversammlung. 6 Im Wahlkreis Stolp-Lauenburg siegte bei der Wahl am 28. Oktober der freisinnige Kandidat Dau-Hohenstein mit 11.861 Stimmen gegen den konservativen Kandidaten v. d. Osten-Gross-Jannewitz mit 7.868 Stimmen.
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Ich schrieb Dir schon einmal, die Berichte über meine grösseren Reden darfst Du nicht massgebend sein lassen. Die Bemerkung bezüglich 1898 ist so nicht gefallen, wie sie im Bericht steht.7 Indes habe ich die felsenfeste Uberzeugung, diejenigen, die da meinten, über unsere „Prophezeiungen" spotten zu können, werden sich gewaltig täuschen; die Tatsachen dürften uns recht und jenen unrecht geben. Wie die Revolutionierung der Geister aber in Fluss ist, schreitet sie progressiv weiter vor. Ich habe auch gar keine Sorge, dass es uns im gegebenen Augenblick an der nötigen Intelligenz fehlen wird. Sobald die herrschende Gewalt am Boden liegt, schwinden auch mit einem Schlag alle die tausend Rücksichten und der Druck, wodurch heute eine sehr grosse Zahl tüchtiger Kräfte, die mit uns voll sympathisieren, sich von jeder Berührung mit uns fernhalten muss. In allen Fächern ohne Ausnahme: Gelehrten, Beamten, Lehrern, Kaufleuten, Technikern etc. wird von sehr vielen der Druck gefühlt und hat sich ein grosses Mass von Unzufriedenheit angesammelt. Ich habe nie soviel Briefe und mündliche Erklärungen aus jenen Kreisen erhalten, worin sie Ratschläge geben, Vorschläge machen, selbst Mittel einsenden oder auch ihre Person anbieten, wie seit einiger Zeit. Im letzteren Falle ist nur das Schlimme, dass die theoretische Bildung selten dem guten Willen entspricht und man diejenige materielle Stellung nicht bieten kann, auf die man der sozialen Stellung entsprechend glaubt Anspruch erheben zu müssen. Fallen erst alle Rücksichten, ergreift die Begeisterung die Massen und erhebt sie über sich selbst, dann werden wir staunen, wieviel Kräfte uns zur Verfügung stehen, die heute alle latent sind und äusserlich als Gegner erscheinen. Selbst in den Offizierskreisen steht nicht alles so, wie es äusserlich scheint, dafür sind Anhaltspunkte vorhanden. Ich kann auch nicht anerkennen, dass uns ein Krieg schaden könne. Nach meiner Ansicht beschleunigt er den Auflösungsprozess kolossal und bringt den ökonomischen Zusammenbruch so akut zutage, wie keine andere Krise. Ausserdem ist man im Krieg auf uns angewiesen, 7 Im Bericht des Vorwärts lautete die Stelle: „. . . Als Engels den Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft für 1898 voraussagte, schrieb ich ihm: ,Du und ich, wir sind doch die einzigen Jungen in der Partei.' (Stürmische Heiterkeit)." Nr. 246, 21. Oktober. Im Protokoll, S. 282f., lautet die Stelle: „. . . Ich mache kein Hehl daraus, ich habe mich riesig gefreut, als kürzlich mein Freund Friedrich Engels in seinem bekannten Brief im Socialiste, den auch unsere Presse veröffentlichte, einen Umschwung der Dinge von Grund aus gegen das Jahr 1898 in Aussicht stellte. Vollmar glaubte darüber spötteln zu können, ich dagegen schrieb Engels: Alter, Du und ich, wir sind die einzigen Jungen' in unserer Partei! (Grosse Heiterkeit)."
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der nächste Krieg bringt uns die Volkswehr in der vollendetsten Form; da ist keiner, der nicht den Schiessprügel in die Hand bekommt. Ich sehe mich auch schon im Geiste mit einem solchen hantieren. Dann präsentiere ich vor Louise das Gewehr. Die russische Hungersnot scheint allerdings schrecklich zu sein und noch schrecklicher zu werden, wenn der Winter kommt, der diesmal recht früh sich einstellen will. Entweder wird Russland auf Jahre hinaus lahmgelegt und werden alle seine Vorbereitungen zunichte gemacht, oder es greift aus Verzweiflung zum Kampf. Ich glaube auch, das letztere wäre das Bessere. Deinen Artikel willst Du auf alle Fälle zur Veröffentlichung dem Vorw[ärts] senden; sind absolut Vorbehalte nötig, dann kann man sie ja machen. Es würde sich empfehlen, L[ie]b[knecht] zu raten, sich mit uns darüber zu besprechen. In einem der Artikel der Frankfurt[er] Zeitfung] wird auch meine Frau erwähnt; sie kommt aber dabei, wie ich bestätigen muss, ein wenig schlecht weg. Danach müsste man sie ja für eine Xantippe halten, was sie wahrhaftig nicht ist. Frau Julie wollte anfangs gar nicht, dass ich Euch den Artikel schickte; und sie willigte nur ein, als ich ihr versprach, Dir dafür auch ihre Photographie zu schicken, damit Du eine bessere Meinung von ihr bekämst. Dieselbe ist zwar schon drei Jahre alt, aber sie entspricht noch dem Originale; zugleich lässt sie Dich herzlich grüssen, dem sich anschliesst Dein A.
BEBEL.
Ich schicke Dir eine grosse neue Photographie von J[ulie] von diesem Jahr. [Beilagen:] Liebknecht beabsichtigt nach der Münchener Allgemeinen Zeitung zu Neujahr von der Redaktion des Vorwärts zurückzutreten. In die Redaktion wird am 1. Januar Carl Hirsch aus Paris, derzeitiger Korrespondent der Frankfurter Zeitung eintreten. — Wir haben Liebknecht immer für unfähig gehalten, eine Berliner Zeitung zu redigieren. Abg. Liebknecht bleibt nach dem Vorwärts in seiner jetzigen Stellung bei dem Vorwärts, welche ihm der Parteitag übertragen habe. Mit dem 1. Januar werde aber Carl Hirsch in die Redaktion eintreten, welche bis jetzt noch nicht aureichend besetzt werden konnte. — Danach scheint man also auch auf sozialdemokratischer Seite von der Unzulänglichkeit des Herrn Liebknecht überzeugt zu sein, demselben aber eine Stelle beim Vorwärts als Versorgungsposten belassen zu wollen. 469
177. B E B E L AN
Original.
ENGELS
[Poststempel:] Berlin W., den 30. Oktober 1891. L. G.!
Die Opposition ist gestern abend auf der ganzen Linie vollständig unterlegen und befindet sich in gänzlicher Deroute. Im zweiten [Wahlkreis] erhielt die Ihr[er] 1 — wie ich schon L[ouise] andeutete — ein grosses Missbilligungsvotum, im dritten war keine Opposition, im vierten machten sich zehn bis fünfzehn Stimmen geltend, desgleichen im fünften. In Rixdorf, dem Hauptsitze des Wernerschen Anhangs, wurde er mit sechshundert bis siebenhundert Stimmen gegen dreissig, die für ihn sich erklärten, geschlagen. Damit ist das Schicksal der Gegner besiegelt. Unsere Leute hielten sich brillant; was ich in meinem Briefe aussprach, trifft vollkommen zu. Von Leibfried erhielt ich heute ausführlich Antwort, ich konnte sie aber noch nicht lesen und sende sie Dir später zu. Herzlichen] Gruss Dir und Lfouise] Euer A. B. 1
Emma Ihrer. Der Vorwärts berichtete über diese Versammlungen in Nr. 255, 31. Oktober.
178. ENGELS AN
Original.
BEBEL
London, den 9. [-10.] November 1891. Lieber August!
Dank für Brief vom 29. Oktober und die vielen Sendungen nebst Postkarte 30. Oktober. Lafargue hat also gesiegt.1 Das ist ein Ereignis, erstens wegen der Wirkung auf Frankreich direkt, die sehr gross sein wird, zweitens weil hier wirklich alle sozialistischen] Fraktionen, auch die Possibilisten, wenn auch stellenweise sauersüss, zusammengegangen sind, und drittens weil es die eines Bismarck würdige Dummschlauheit und Brutalität des Herrn Constans fertiggebracht hat, aus einer simplen Nachwahl eine Ministerien erschütternde Haupt- und Staatsaktion zu machen. 1
Am 8. November wurde Lafargue in Lille mit 6.470 Stimmen gegen den Regierungskandidaten Depasse, der 5.175 Stimmen erhielt, gewählt.
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Das Ministerium hatte zwei Hauptstützpunkte: 1) den Sieg über Boulanger, die gemeinsame Gefahr, 2) die äusserlich demonstrative Schaustellung eines intimen Verhältnisses mit Russland. Dazu als 3) die wenigstens für den Pöbel gelungene Schaustellung der neu hergestellten militärischen Macht Frankreichs in den grossen Manövern des September. Vermittelst dieser drei Punkte hatte es die äusserste Linke gezwungen, es zu stützen: alle „Republikaner" bildeten eine Majorität gegen alle Monarchisten, Boulangisten und mehr oder weniger auch Sozialisten. Nun lässt Constans, entgegen der Praxis seit 1869, Lafargue nicht frei, um seine Kandidatur zu vertreten. Da konnten die Radikalen nicht mitmachen. Daher bei Roches Interpellation die grosse Debatte am 31. Okt[ober] und ein Pyrrhussieg des Ministeriums — 240 fürs Ministerium, 160 dagegen, aber — 170 monarchistische Enthaltungen. Also wirkliche Majorität gegen's Ministerium — 90. Abfall der Radikalen also = Sturz des Kabinetts, sobald die Monarchisten wollen und mit den Radikalen stimmen. Natürlich war nach der Abstimmung der Schreck bei den Radikalen ebenso gross wie beim Ministerium, besonders da dies mit Auflösung drohte und den Radikalen andeutete, sie würden die Wähler weit ministerieller finden als die jetzige Kammer, was sehr wahrscheinlich ist. Genug, das Verhalten von Constans hat der „einen republikanischen" Masse gezeigt, dass, nachdem der eine Gegner verschwunden, der sie geeint hat, es innere Fragen gibt, die sie rettungslos trennen; der Riss ist da, ist nicht zu verkleistern, und jetzt, wo Constans durch sein fortgesetztes Festhalten Lafargues in S[aint] Pelagie2 jeden republikanischen Anstand mit Füssen tritt, wird's noch schöner werden. Nicht, dass ich einen Sturz des Ministeriums so bald erwarte infolge des Abfalls der Radikalen, im Gegenteil; diese werden noch mehrmals nach erfochtenen unfreiwilligen Siegen zu Kreuz kriechen und die Regierung um Verzeihung bitten — aber im Ministerium selbst herrscht offener Krieg zwischen Freycinet und Ribot hier, Constans und Rouvier dort, und ein wiederholtes zweifelhaftes Votum kann diesen Krieg zur Krisis bringen, eine Spaltung hervorrufen, damit einen Ministerwechsel, erneuerte Unstetigkeit der Ministerien, d.h. Erkaltung der russischen Liebeswerbungen, da der Zar eine feste Regierung in Frankreich braucht; und endlich — Neuwahl unter veränderten Umständen und mit veränderten Resultaten. Während Liebkfnecht] im Vorwärts Triumphlieder singt über die Nichtexistenz des Chauvinismus in Frankreich, hat mich die Pariser Presse, die ich während der Wahlzeit genau verfolgen konnte, und
Das Gefängnis, in dem er eine Haftstrafe verbüsste.
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speziell die Justice von Clémenceau,3 die L[ie]bk[necht], glaube ich, auch täglich liest, überzeugt, dass der Pakt der „Republikaner" gegen Boulanger (Opportunisten, Radikale, Possibilisten) zur geheimen Grundlage hatte: dass die Regierung den Boulanger an Patriotismus übertrumpfe, die russische Allianz herstelle, die Armee als schlagfertig der Welt vorführe, mit dem Säbel rassele, und wenn dadurch der Revanchekrieg herbeigeführt werde, ihn frisch und fröhlich führe — d.h. dass so direkt wie möglich der Revanchekrieg, der Herzenswunsch aller französischen] Bourgeois, angestrebt werde. Wie die Republik 1849 und 1871 die Form war, die die Monarchisten am leichtesten einte, so der Revanchekrieg der Punkt, worin alle Republikaner, d.h. alle bürgerlichen — die Arbeiter zählen ja nur als Stimmvieh — am sichersten unter einen Hut zu bringen sind —, in der Tat der einzige Punkt, nach errungener und konsolidierter Republik, der das fertigbringt. Die Revanche war das Geheimnis des boulangistisohen Erfolges — proklamieren wir die Revanche! Die Wiedererlangung Elsass-Lothringens! Wenn Du die Justice der vorboulangisüschen und boulangistischen Zeit mit der jetzigen vergleichst, so wirst Du schwerlich zu einem anderen Resultat kommen. Aber das ist gegen Liebk[necht]s Prinzip. In Frankreich darf keine starke chauvinistische Strömung existieren, das ist gegen die ewigen Prinzipien, und daher wird's geleugnet. Gehen die Ereignisse weiter, so kann Euch diese Voriüärts-Politik teuer zu stehen kommen, und es wird sich rächen, dass Euer auswärtiger politischer Dirigent farbenblind ist. Ich weiss nicht, wie Hirsch jetzt in diesem Punkte denkt, er hat früher auch in Beziehung auf Frankreich manchmal sonderbare Ansichten gehabt, indes wird er wohl mit sich sprechen lassen. 10. Nov[ember]. Also Lafargue ist frei — für die Sitzungsperiode, und selbst Meyer Oppert von Biowitz4 bezweifelt, dass er wieder nach Pélagie muss, wenn diese geschlossen. Das war wieder eine Niederlage von Constans. Der und seine Opportunisten wollten L[afargue] anfangs im Gefängnis lassen — aber die Gewissheit, dass dann Radikale und Monarchisten ihn durch Majorität gegen die Regierung freisprechen würden, zwang die Herren, klein beizugeben. Also zweimal ist die äusserste Linke gezwungen worden, sich von der Regierung zu trennen. Übrigens ist die ganze französische] Kammerpolitik total unverständlich für jeden, der nicht fortwährend im Auge behält, dass Georges Clemenceau (1841-1929) war seit 1876 radikaler Abgeordneter und Leiter der seit 1880 erscheinenden Tageszeitung La Justice; er unterstützte anfanglich Boulanger, aber trennte sich dann von ihm. 4 Heinrich Oppert aus Biowitz in Mähren — er nannte sich „Henry Stephan Oppert Chevalier de Biowitz" - (1825-1903), Journalist, seit 1871 Pariser Korrespondent der Times.
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Regierung und Opportunisten ihre Herrschaft in schamloser Weise zur persönlichen Bereicherung ausbeuten und dass die Masse der Radikalen dabei mitkompromittiert und interessiert ist — und nur auf die Zeit wartet, wo sie stark genug sind, das Ruder selbst zu ergreifen und den Rahm abzuschöpfen, den jetzt die Opportunisten einsacken. Wie dumm-wütend die franzfösische] Regierung: wenige Tage vor der Liller Stichwahl wurden in Fourmies die Rekruten ausgehoben und dabei dreissig junge Leute in das in Maubeuge garnisonierende Bataillon des 145. Reg[imen]ts gesteckt, das am 1. Mai in Fourmies auf dieselben Leute geschossen hatte — und unter den dreissig war auch ein Bruder der am 1. Mai von demselben Bataillon erschossenen Marie Blondeaul5 Man meint, man wäre in Preussen. Der Vorwärts weiss von alledem nichts! Eure Siege in Berlin und Vollmars sehr eklatante und für ihn eklige Niederlage in München haben uns viel Freude gemacht.6 Ich denke, Ihr habt auf einige Zeit Ruhe vor neuen Sezessionen resp. Hinauswerfungen, und inzwischen wächst die Partei so an, dass diese Methode der Opposition überhaupt eingehen dürfte. Ob es Euch angenehmer sein wird, wenn sich das Klüngelpack innerhalb der gesetzlichen Grenzen hält, ist allerdings fraglich. Die Züricher Geschichte7 beweist Euch abermals, welche Last für Euch die Vereine im Ausland sind; könnt Ihr nicht die Gelegenheit benutzen, Euch ein für allemal mit der Bande ins reine zu setzen? Der Vorwärts hat Hans Müller vortrefflich abgefertigt,8 aber damit seid Ihr die Prätention der auswärtigen Narren, Euch ein Tadelsvotum zu erteilen, nicht losgeworden. So auch hier mit dem Verein und Gilles. Wenn Ihr nicht öffentlich erklärt, gegenüber der Gillesschen Erklärung, wie der hiesige Verein zur Partei steht, so nützt alles Protestieren in Privatbriefen nichts. Hier werdet Ihr für den Blödsinn dieser Bande ohne weiteres verantwortlich gemacht, — die
S. darüber Brief Nr. 157, Anm. 13. S. Brief 176, Anm. 1. 7 Eine in Zürich von etwa 150 deutschen Sozialisten besuchte Versammlung nahm am 31. Oktober mit 77 Stimmen eine Entschliessung H. Müllers an, in der der Missbilligung des Ausschlusses der Opposition und der Hoffnung Ausdruck gegeben wurde, dass der nächste Parteitag den Ausschluss rückgängig machen würde. Eine Entschliessung O. Längs, die ebenfalls gegen den Ausschluss protestierte, erhielt 50 Stimmen, eine Entschliessung K. Manz', die den Beschluss billigte ,nur zwei Stimmen. Der Vowärts berichtete darüber in Nr. 259, 5. Nov. 8 Ebd. wurde gesagt, Müller habe Deutschland verlassen, um den Folgen von ein paar Pressprozessen zu entgehen; in Erfurt seien kompetentere Beurteiler der Parteiverhältnisse anwesend gewesen. 5
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geschichtliche Vergangenheit des Vereins9 rechtfertigt das auch, solange Ihr schweigt. Stolp-Lauenburg und Dein Artikel im Vorwärts10 darüber, der ganz meine Ansicht ausspricht, haben uns sehr erfreut. Die Masse der ostelbischen Landtaglöhner ist wirklich noch zu sehr tatsächlich leibeigen (wie die englischen auch), als dass unsere direkte Propaganda da viel wirken könnte, ehe sie die Vorschule des Fortschritts durchgemacht. Da hat der Fortschritt den Beruf, den Boden für uns vorzubereiten, und das wird er erfolgreich tun. Wenn er also in Berlin uns gegenüber und bei seiner Schlappheit zur reaktionären Masse zählen könnte, so tritt er auf dem Lande aus dieser Stellung entschieden, einstweilen noch, heraus. Lange wird's freilich nicht dauern. Die Reichstagsverlängerung auf fünf Jahre wird doch wahrscheinlich unterbrochen. Wenn der Druck fortdauert, fällt die Majorität auseinander, und die Regierung muss auflösen, weil sie sich sonst nicht helfen kann. Kommt Krieg, dann erst recht. Ihr könnt schon diesen Winter possierliche Dinge erleben. Ich bin froh, zu erfahren, dass schon jetzt in den technisch gebildeten Kreisen soviel Hinneigung zu uns herrscht. Ich habe aber bei den französischen] Republikanern, die doch selbst Bourgeois waren, 1848 und 1870/71 zu schöne Erfahrungen gemacht, wie weit man mit solchen, in Zeiten der Gefahr, stillen Anhängern und Sympathisierern kommt, und wie greulich man sich da blamieren kann, um nicht zu wünschen, dass wir bei einem so wichtigen Geschäft wie die Vergesellschaftung der grossen Industrie und des grossen Ackerbaues ein paar Jahre Zeit haben, uns die Herren nach Kapazität und Charakter vorher genauer anzusehen. Das erspart nicht nur Reibungen, das kann auch in einem kritischen Moment eine sonst unvermeidliche, entscheidende Niederlage abwenden. Es werden ohnehin kolossale Böcke in Masse geschehen, das ist ja unvermeidlich. Du selbst sagst ja, dass unter den Offerten genug sind von Leuten, die mehr Ansprüche haben als Talent und Kenntnisse, und ich vergesse nicht, was Singer mir gelegentlich des Nonne11 sagte von den StudenEngels meint die Tatsache, dass jahrzehntelang deutsche Sozialisten sich im Verein betätigten. S. den Schluss des folgenden Briefes. 10 „Die Reichstagswahl in Stolp-Lauenburg" in Nr. 256, 1. November. 11 Über ihn brachte der Züricher Sozialdemokrat in Nr. 43, 23. Oktober die Mitteilung, die von der Generalversammlung der deutschen Sozialisten in Paris eingesetzte Kommission habe folgendes Urteil gefällt: „ . . . Der sog. Heinrich (al. Friedrich) Nonne, alias Winter, al. etc. aus Hannover, ehemaliger Lehramtskandidat in Berlin, wohnhaft zuletzt in Paris, hat . . . den Verdacht, in preussischen Polizeidiensten zu sein, nicht nur hervorgerufen, sondern auch bekräftigt, und ist demnach aus der deutschen sozialistischen Partei auszuschließen." Er ging wieder nach Berlin. 1882 bis 1884 stand er in Paris mit P. Lafargue und
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ten, die die Furcht vor dem Examen in die Sozfial]-Demokratie treibt. Jedoch ist die Tatsache, dass sie kommen, Anzeichen von dem, was herannaht. Die Hungersnot in Russland wird scheusslich. In Simbirsk werden die rebellischen Hungerleider mit fünfhundert Hieben zu Tode gepeitscht. Das Winterkorn im Süden hat entweder wegen Dürre nicht gesät werden können oder ist durch frühen Frost getötet. Also neue Not fürs nächste Jahr. Mir scheint, dass die Russen stark abwiegeln (Giers' Reise nach Mailand) und auch den zu rasch voraneilenden Franzosen ein Zäumchen angelegt haben, und dass gerade deswegen der Zar sich glaubte erlauben zu können, dem jungen Wilhelm besuchslos durch's Land zu reisen, was doch eine derbe Majestätsbeleidigung ist. Wenn nun erst das franz[ösische] Ministerium wakkelt, dann sollst Du sehen, wie friedfertig der Zar wird — natürlich ohne den Ubergriffen im Orient und Zentralasien Einhalt zu tun. Salisbury hat gestern abend den City-Eseln und Schwindlern erklärt, kein Wölkchen trübe den Friedenshorizont. Das wäre ein schlimmes Vorzeichen; 1870 hatte Granville, ausw[ artiger] Minister, vierzehn Tage vor dem Krieg dasselbe gesagt. Die französischen] Manöver vom September mit vier Armeekorps waren arger Schwindel. Sir Chfarles] Dilke, der Ehebruchskollege von Parnell — obwohl auf verschiedener Grundlage — hat sie franzosenbegeistert beschrieben, aber sein Artikel beweist, dass vieles sehr faul und manches noch wie Anno 70 war. Namentlich Untüchtigkeit der Offiziere. Wenn die Leute erst im grossen mobilisieren, wird's da noch mehr hapern. Gruss von Louise Dein F . E N G E L S . [Am Rande:] Die russische] Anleihe liegt den Pariser Bankiers schwer im Magen. Ist vier Prozent unter Emissionspreis gefallen, und die Leute lassen hier massenweise andere Fonds und Aktien losschlagen, um in Paris am 20 c. neu an die Russen einzahlen zu können.
anderen bekannten Sozialisten in Verbindung. Auch mit Engels korrespondierte er und suchte ihm die Notwendigkeit enger Zusammenarbeit der Parteiführer der einzelnen Länder und der Ausarbeitung gemeinsamer internationaler Pläne zu suggerieren, wobei er die vermittelnde Stelle sein wollte. Engels war ihm gegenüber vorsichtig. S.a. Brief Nr. 109, Anm. 5.
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1 7 9 . B E B E L UND J U L I E B E B E L A N
ENGELS
Berlin W., den 15. November 1891.
Original. Lieber General!
Brief vom 9. [November] erhalten, ebenso Frau Julie.1 Letztere hat sich sehr über Deinen Brief gefreut und wird Dir wohl selbst schreiben. Aber höre mal, lieber alter Junger, wenn Du fortfährst, ihr so liebenswürdige Briefe zu schreiben, werde ich eifersüchtig, und dann ist nicht mit mir zu spassen. Lafargues Wahl hat uns riesig gefreut; ich hoffe, dass sie auf die Entwicklung unserer Partei in Frankreich] von den allerbesten Folgen sein wird. Seine Freilassung kommt uns ä propos, sie gibt uns eine gute Waffe in die Hand gegenüber der Behandlung, die in Deutschland Volksvertretern zuteil wird. Es ist zwar nach meinem Geschmack etwas zuviel Kultus, den man in Frankreich dem Träger eines Mandats entgegenbringt; aber es ist doch ein erfreulicher Gegensatz zu der Missachtung, die man in Deutschland von offizieller Seite handhabt. Wir werden nächstens im Reichstag über das Kapitel zu reden haben, und da soll uns das „wilde" Frankreich als Trumpf dienen. Suprema lex regis voluntas. Das hübsche Wort soll auch seine Nutzanwendung finden. Hast Du kürzlich im Echo den Vorfall mit W[ilhelm] II. auf der Wache in Potsdam gelesen?2 Jener Vorgang, mit allen anderen in Vergleich gestellt, belehrt uns, dass es im Oberstübchen eines gewissen Mannes nicht richtig ist. Ich besuchte heute eine grosse, neu angelegte Privatklinik eines hies[igen] Professors. Bei dieser Gelegenheit kamen wir auch auf Wfilhelm] zu reden; der Leiter jener Anstalt bestätigte meine Auffassung, und er ist nicht nur Spezialist für Nervenkranke, er verkehrt auch als konservativer Mann in Kreisen, die sehr wohl orientiert sein können. Mir scheint sogar, dass der Wahnsinn in raschem Tempo wächst, und da entstünde ein neuer Faktor, mit dem wir bei der Gestaltung unserer inneren Verhältnisse rechnen müssten. Die Folgen wären zunächst unabsehbare; es wäre nicht ausgeschlossen, dass man in einem solchen Falle aus purer Angst und Verzweiflung auf den Friedrichsruher3 zurückgriff. Das trieb dann erst recht die Blase zum Platzen. Die Stimmung hier ist die denkbar unbehaglichste. Die Vorgänge der allerletzten Zeit fehlten noch, um auch denen das Gefährliche der 1 2 s
Der Brief an Julie Bebel ist nicht vorhanden. S. Brief Nr. 184. Bismarck.
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Situation zu Gemüte zu führen, die bisher noch nicht recht daran glauben wollten. Unter den Skandalbankrotten4 hat namentlich der verehrungswürdige Adel, die Militär- und Beamtenaristokratie heillos gelitten. Die Beamten- und Offizierswelt Potsdams soll allein drei Millionen Mark eingebüsst haben. Das will etwas heissen. Dazu kommen die vielen faulen Papiere, die unsere Bankiers in den letzten Jahren den deutschen Kapitalisten aufgeschwätzt haben, weil diese an den drei- und dreieinhalbprozentigen Staatsrenten nicht genug besassen. Es sind ganz kolossale Verluste eingetreten. Nehmen wir hierzu die furchtbare Teuerung aller Lebensmittel, die industrielle Stagnation mit ihren Folgen, und man kann sich ein Bild machen, wie es aussieht. Uber die französischen Verhältnisse, das ersehe ich wieder aus Deinem letzten Brief, sind wir elend unterrichtet. Weiss der Kuckuck, dass auch Guesde nichts Ordentliches schreibt. Was schuld ist, weiss ich nicht. L[ie]bk[necht] weiss weder mit seinen inländischen noch mit seinen ausländischen Mitarbeitern zurechtzukommen. Wir sind in einer gelinden Verzweiflung. Dass Hirsch beim Vorw[ärts] ablehnte, weisst Du aus dem Blatt.® Mich würde der Vorgang nicht geärgert haben, hätte H[irsch] anfangs gezögert und hätte er gleich Bedenken ausgesprochen. Aber er spielt uns jetzt denselben Streich wie vor elf Jahren beim S[ozial]d[emokratJ,6 und ich bin nur froh, dass er jetzt ablehnte und nicht zurücktrat, nachdem er kaum hier war. Der Vorfall zeigt wieder, wie gar kein Verlass auf ihn ist, und da ist's gut, dass es so kam. Aber wir sind jetzt um den Ersatz verlegen. Wir wollten Sohoenlank7 nehmen; aber der hatte sich eben nach anderer Seite engagiert bei einem Unternehmen, das zu Neujahr ins Leben treten soll. Es handelt sich um die Gründung einer Zeitschrift, die wöchentlich erscheint und das sozialstatistische Gebiet ausführlich und gründlich bearbeiten und Material zur Beurteilung der Verhältnisse herbeischaffen soll. Der Zweck ist ein guter, und füllt das Unternehmen eine fühlbare Lücke aus, die jeder empfindet, dem die Zeit fehlt, Fachstudien zu machen. Hinter
Der Vorwärts berichtete Anfang November über die Bankerotte der Bankhäuser Hirschfeld u. Wolff, Warschauer u. Mendelssohn, Ritter u. Blumenfeld, den Doppelselbstmord der Hofbankiers Gebr. Sommerfeld, die Verhaftung des Bankiers Leipziger u.a. Fälle. 5 Auf den Volks-Zeitungs-Bencht, Hirsch habe abgelehnt, da Liebknecht ihm eine koordinierte Stellung nicht zugestehen wolle, antwortete der Vorwärts, Familienrücksichten und ein altes, verschlimmertes Halsleiden hätten ihn zur Ablehnung bestimmt. Nr. 264, 11. November. 6 S. Briefe Nr. 14 bis 17. 7 Schoenlank war kurze Zeit an Brauns Socialpolitischem Centralblatt tätig. 4
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dem Unternehmen steckt ein Schwiegersohn des einen Bleichröder, ein Dr. Arons.8 Der Mann ist Physiker, Privatdozent an der hies[igen] Universität und hat mir vor acht Tagen seinen ersten Monatsbeitrag als Mitglied der Partei gesandt. Gestern war er mit in der Versammlung, um einen Vortrag von mir zu hören, der mir aber erspart wurde, weil andere Geschäftssachen die Zeit in Anspruch nahmen. Ich habe mich aber sehr gefreut, als A[rons] neben mir stehend, am Schlüsse der Versammlung beim Hoch auf die intern[ationale] Arb[beiter]Bewegung den Hut schwang und so kräftig mit einstimmte, wie der begeistertste Proletarier. Ich kenne ihn schon länger, und er ist mir sehr sympathisch. Montag abend werde ich ihn mit einigen Gästen bei mir sehen; er bat darum, bei uns eingeführt zu werden. Es sind überhaupt seltsame Gäste, die sich jetzt bei uns sehen lassen. So war neben einem Börsenmann, der schon längst zur Partei gehört — Ede kennt ihn, P. —, ein als fünffacher Millionär bekannter Bankier in der Versammlung mit; von dessen Bruder wurde mir gesagt, dass er stark mit uns sympathisiere. Merkwürdigerweise oder auch nicht merkwürdigerweise sind's alle Juden, die sich uns so nahen. Ich habe schon oft gesagt: will man in anständiger Gesellschaft hier sein, kann man nur unter die Juden gehen. Wie zahlreich wir immer bei unserer Sonnabendskneiperei sind, die Kinder Israels bilden immer die Mehrheit, was dann viel Stoff zu Witzen gibt. Die Opposition macht uns gar keine Sorge. Wir haben sie unter, und da ihnen alle und jede Führerschaft fehlt, namentlich aber jedes Programm, mit dem sie wirken könnten, werden sie wohl als kleine Sekte noch eine Weile fortvegetieren, dann aber sich verkrümeln. Die gegnerische Presse sieht das auch ein, und sie hütet sich allmählich, die Opposition noch ernst zu nehmen. In der Versammlung des sechsten Wahlkreises gestern abend mussten die Vertrauensmänner, die zur Opposition gehören, Rechenschaft ablegen, und diese endete mit einem fast an Einstimmigkeit grenzenden Misstrauensvotum, obgleich sie ihren ganzen Anhang aufgeboten. Der letztere stimmte nicht einmal für seine Führer. Bei der kläglichen Rolle, welche die Opposition im Lande spielt, kann uns ihre Haltung sehr gleichgültig sein. Wären 8
Leo Arons betätigte sich in der Partei, kandidierte für sie und unterstützte sozialdemokratische Zeitungen und Zeitschriften. 1899 wurde deswegen ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet und ihm die venia legendi entzogen. Da es der erste Fall dieser Art war, bekam der „Fall Arons" prinzipielle Bedeutung. S. Die Actenstücke des Disziplinarverfahrens gegen den Privatdozenten Dr. Arons (Berlin, 1900). Von ministerieller Seite A. Sachse, Friedrich Althoff und sein Werk (Berlin, 1928), S. 213ff. Hier auch Angaben über das Eingreifen Wilhelm II. und Arons' Verteidigung durch die bekanntesten Vertreter der Berliner philosophischen Fakultät.
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unsere Leute in Zürfich] auf dem Platze gewesen und hätten sie sich nicht überrumpeln lassen,9 so wäre es anders gekommen. Werden uns die Vereine im Auslande mal ernsthaft unbequem, dann schütteln wir sie in sehr unzweideutiger Weise ab. Mit Dienstag geht der Reichstag wieder an; ich glaube, es wird zu stürmischen Verhandlungen kommen. Stoff ist genug vorhanden. Möglicherweise reise ich den 21. [November] nach Brünn und alsdann von dort auch auf ein paar Tage nach Wien. Herzlfichen] Gruss von D[einem] A. B. Lieber Herr Engels! Haben Sie herzlichen Dank für Ihre so freundlichen Worte, die mich stolz machen könnten, wenn ich dazu angelegt wäre. Demnach dürfte ich eigentlich nicht zu Ihnen kommen, damit Sie das hübsche Bild in Ihrem Gedächtnis behalten. Nicht minder herzlich danke ich Ihnen für Ihre gütige Einladung, die ich von Herzen gern annehmen würde, wenn es sich einmal möglich machen lässt. Doch war ich einigermassen überrascht; denn ich hatte die Ansicht meinem Manne gegenüber nicht so ernst gemeint. Im Vertrauen will ich Ihnen aber sagen, dass ich hauptsächlich als Kontrolle für August mitgehen wollte. Er ist mir zu „jung" geworden, und das ist gefährlich; ich wollte ihn deshalb bemuttern, dass er mir nicht noch zu guter Letzt aus der Art schlägt. Doch Scherz beiseite, ich hege schon lange den stillen Wunsch, Sie kennenzulernen und dabei auch London und wohl auch noch einige Freunde; ich habe mich aber nie bei dem Gedanken lange aufgehalten, weil er unausführbar war. Jetzt, wo sich die Verhältnisse geändert haben, kann ich ihn wiederaufnehmen und ausspinnen, bis er Gestalt annimmt. Dass es mir grosse Freude machen würde, brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu versichern; indes kann man bei dieser bewegten Zeit nichts vorausbestimmen, wer weiss, was das nächste Jahr bringt; aber hoffen werde ich deshalb doch. Wissen Sie auch, was mir den strengen Gesichtsausdruck verursacht hat; das war die Frechheit der „Lausbuben", mit der sie eine Partei, die unter so unendlichen Mühen und Opfern, mit denen die besten Jahre dahingegangen sind, gross und stark geworden ist, herabwürdigen wollten. Da bekam man unwillkürlich das Gefühl, dass ihnen ein paar um die Ohren gehörten, sonst nichts. Mit herzlichem Grusse Ihre JULIE
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BEBEL.
S. Brief Nr. 178, Anm. 7.
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[Nachschrift A. Bebels:] Da lese ich eben, dass meine Julie rein aus „Misstrauen" nach London kommen will. Siehst Du, so geht's einem, wenn man zu den Jungen gehört.
1 8 0 . E N G E L S AN
Original.
BEBEL
London, den 25. November 1891. Lieber Bebel!
Ich suchte mir zwischen der Arbeit am III. Band, die hübsch flott vorangeht, die Zeit, Dir auf den Deinigen vom 15. zu antworten, da kommt eine Nachricht, die mich zwingt, sofort zu schreiben. Lafargue soll in einer Versammlung in Bordeaux am 22. gesagt haben,1 er habe 1870 servi le pays à sa manière en communiquant à M. Rane des plans qui, si l'on en avait tenu compte, pouvaient complètement changer la face des choses. Ces plans lui étaient communiqués par des frères de l'Internationale en Allemagne, parmi lesquels se trouvaient plusieurs officiers de Tarmée allemande. Nun kann L[afargue] das nicht gesagt haben, aber ich kann mir auch absolut nicht denken, was er gesagt. Die Sache ist aber so entschieden blödsinnig und die Anklage so greulich, dass Ihr wohl werdet antworten müssen, ehe Ihr Nachricht bekommt, was L[afargue] gesagt hat. Ich habe sogleich gestern und heute nochmal an Laura und ihn selbst geschrieben, um den Tatbestand zu erfahren, ihm auch gesagt, dass Ihr werdet wahrscheinlich sofort dagegen vorgehen müssen, und er dabei sich gefallen lassen muss, wenn Ihr auf ihn absolut keine Rücksicht nehmt. Das verdient er auch eigentlich nicht, ich möchte Euch aber doch bitten, nicht im Zorn zu handeln, wo man, wie ich selbst so oft, immer Dummheiten macht, sondern möglichst Rücksicht auf die Erhaltung der gemeinsamen oder doch parallelen Aktion mit den französischen] Arbeitern zu nehmen. Natürlich werdet Ihr alle und jede Anwendung jener abgeschmackten Behauptung auf Euch zurückweisen, das versteht sich ganz von selbst. Weder habt Ihr selbst militärische Nachrichten direkt oder indirekt an die franzfösische] Regierung in Bordeaux geschickt, noch Pläne deutscher Offiziere, da Ihr, soviel ich weiss, damals absolut keine Verbindungen mit Offizieren hattet. Also je energischer Ihr diese rein verrückte Anklage zurückweist, desto besser, nur möchte ich zu bedenken geben, dass es immer geraten bleibt und 1 S. darüber L. Lafargue an Engels 25. November, P. Lafargue an Engels 26. November, Engels an L. Lafargue 27. November, 1. Dezember 1891. — Arthur Ranc war zu der Zeit Leiter der Sûreté générale in Bordeaux.
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spätere Weiterungen vermeidet, wenn nur der Bericht als solcher zurückgewiesen wird, ohne dass Laf [argue] einstweilen noch für diesen verantwortlich gemacht wird. Eine weitere Erklärung, sobald der Wortlaut bekannt, den ich, sobald erhalten, Euch mitteile, ist ja nicht ausgeschlossen. Was L[afargue] gesagt haben kann und was er im Kopf gehabt, ist mir total unerfindlich. Denn auch von hier aus, vom Generalrat der Int [ernationale], hatten wir absolut keine Verbindung mit deutschen Offizieren und waren also nicht einmal in der Lage, ihm derartige „Pläne" solcher Herren zukommen zu lassen.2 Und wenn er sonst in Frankreich Verbindungen auftrieb, nachdem er, ich glaube 1868 nach seiner Hochzeit (oder 1869 — ich weiss augenblicklich nicht genau) nach Frankreich zurückging ,so hat er sie vor uns hier so sorgfältig geheimgehalten, dass bis zu seiner Rückreise nach Frankreich 1880 nichts davon an den Tag kam und auch seitdem nicht. Jedenfalls hat er eine ganz unverzeihliche Dummheit begangen — entweder gelogen oder aus der Schule geschwatzt, das mag er selbst entscheiden — und Euch eine Lage bereitet, die wohl imstande wäre, Euch die Lust am internationalen] Verkehr zu vertreiben. Ich sehe voraus, was für eine Flut sich über Euch ergiessen wird, und sehe noch nicht, wie dem zu stemmen ist. Ich kann mir nur denken, dass das Achtel oder Sechzehntel Negerblut, das in Laf[argue] ist und das von Zeit zu Zeit bei ihm die Oberhand bekommt, ihn zu dieser ganz unerklärlichen Tollheit verleitet hat — es ist eine ganz unbegreifliche Dummheit, gelind gesprochen. Bei der grossen Zahl ehemaliger deutscher Offiziere, die 1848/49 und seitdem sich im Ausland niedergelassen, ist es immer möglich, dass ihm derartiges zugekommen, aber dies den frères d'Allemagne in die Schuhe zu schieben, geht doch über's Bohnenlied. Wenn Ihr es wünscht, bin ich jeden Augenblick bereit, zu bezeugen, dass der Generalrat der Internationale] nie und niemals in Auf einer in Engels' Nachlass vorhandenen „Liste der von Friedrich Engels hinterlassenen Manuskripte und Briefe" figuriert als Nr. 38 „Memoire sur la Situation militaire en France 1871 (Enveloppe)." Ferner liegt eine Aktennotiz bei: „Paket No. 38 haben heute auf gemeinsamen Beschluss vernichtet. London, 24 July 1896. A. Bebel, Ed. Bernstein." Über diese Militärangelegenheit ist näheres nicht bekannt. Wichtig ist Bernsteins mündliche Äusserung gegenüber G. Mayer, dass es sich nicht um ausgearbeitete Aufzeichnungen gehandelt habe. Von G. Mayer in Frankreich veranlasste Untersuchungen ergaben sachlich nichts Neues. Friedrich Engels, Bd. II, S. 197, 544ff. Der Ton des Briefes lässt vermuten, dass Engels ohne Wissen oder Zutun deutscher Sozialdemokraten einen „Feldzugsplan" nach Frankreich sandte. Über Marx' und Engels' Ansichten zu jener Zeit s. E. Bernstein, „Karl Marx und Friedrich Engels in der zweiten Phase des Krieges von 1870/71", Die Neue Zeit, Jahrg. XXXIII (1915), Bd. I, S. 76ff.
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die Lage kam, Mitteilungen irgendwelcher Art Eurerseits — ausser was in Euren eigenen Blättern stand — während des Krieges nach Frankreich zu übermitteln, überhaupt jede Erklärung zu machen, die Euch von irgendwelchem Schein der Mitverantwortlichkeit für solchen Blödsinn zu befreien helfen kann. Denn ist derartiges passiert, so seid Ihr ja so unschuldig daran wie das ungeborene Kind. Auf diesen verfluchten Ärger gestern abend doch noch die Freude des Haller Wahlsieges im Evening Standard.3 Das beweist doch, dass wir, trotz aller Dummheiten einzelner, als Masse im Avancieren bleiben. A propos. Was auf der Postkarte stand — ich dachte, irgendeiner dort würde es lesen können —, war russisch: da zdravstvujet Berlin! es lebe Berlin! Jetzt ist's aber glücklich Postzeit zum Einschreiben, das ist doch sicherer — also über den Inhalt des Deinigen nächstens. Die Russen scheinen die Hörner einzuziehen, die Anleihe in Paris ist den Bankiers hängengeblieben, ein volles Drittel hat die russische] Regierung als nicht plaziert zurücknehmen müssen, die Vaterlandslosigkeit des Kapitals zeigt diesmal auch ihre gute Seite. Auch Deiner Frau zu schreiben, ist ein Vergnügen, das ich mir aufsparen muss, sie wird Louises Brief erhalten haben. Dein F. E. Es dürfte die Gemeinderatswahl in Gera gemeint sein, bei der die Sozialdemokratie acht von fünfzehn zu wählenden Ratsmitgliedern durchbrachte. 3
181. B E B E L AN
Original.
ENGELS
Berlin, den 26. November 1891. Lieber General!
Zu Deinem Geburtstage senden Julie — die mich ausdrücklich beauftragte — und ich Dir unsere herzlichsten Grüsse und Glückwünsche. Unser Hauptwunsch ist, dass Dir auch in Deinem neu beginnenden Lebensjahr die volle Kraft und Gesundheit erhalten bleibe, deren Du Dich zu unser aller Genugtuung bisher erfreutest. Bei den vielen faulen Köpfen unter den Jungen musst Du, unser Ältester, mit Deinem Feuer und Deiner Tatkraft uns noch recht lange jung erhalten bleiben. Frau Louise wird ja wohl auch herzlich gern, soviel an ihr liegt, dafür eintreten und sorgen, dass unser Wunsch erfüllt wird. Sie leistet damit nicht nur Dir, sondern auch der Partei den grössten Dienst. 482
Wir werden Sonnabend Deiner gedenken und ein Glas auf Dein Wohl trinken; wenn wir's vertragen, soll's auch auf eine Flasche nicht ankommen. Morgen beginnt die Generaldebatte für den Etat,1 an der L[ie]bk[necht] und ich namens der Fraktion uns beteiligen sollen. Zuerst werde ich, dann L[iebknecht] sprechen. Vermutlich wird's lebhaft werden, obgleich bisher der Reichstag geradezu skandalös schwach besucht war. Die Stimmung ist bei den Herren Gegnern eine äusserst gedrückte, und sie haben allen Grund dazu; um so besser ist unsere Stimmung. Allmählich fangen auch unsere grössten Pessimisten an, einzusehen, dass die Dinge denn doch etwas rascher marschieren, als sie sich träumen liessen. Herzlichen Gruss an Dich und an alle Freunde, die Dich Sonnabend besuchen werden. Dein A. B E B E L und Frau. Bebel sprach in der Reichstagssitzung am 28. November bei der ersten Beratung des Etats für 1892/93, des Anleihegesetzes und des zweiten Nachtrages zum Etat 1891/92.
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182. B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 27. November 1891.
Original. Lieber General!
Wenn man unmittelbar vor der Entbindung von einer Etatrede steht, ist nicht gut schreiben. Auf Deinen heute erhaltenen Brief1 folgendes. Ich werde mit L[ie]bk[necht] und den anderen sprechen. Meine Meinung ist, vorläufig nichts zu tun, sondern abzuwarten, ob unsere Presse die Sachen aufgreift. Wir würden sonst den Schein eines bösen Gewissens erwecken und brächten L[afargue] ohne Not in Verlegenheit. Für uns spricht, dass L[ie]bk[necht] und ich von Mitte Dezfember] 1870 bis Ende März 1871 wegen Hochverrat in Untersuchung sassen, dass unsere ganzen Papiere bei den Braunschweigern gefasst wurden, sich aber keine Spur für Landesverrat ergab. Die Braunschweiger wurden sogar schon im September festgesetzt, sie sind erst recht unbeteiligt. Wir werden sehr ruhig und L[afargue] schonend antworten, wenn wir antworten müssen. 1
S. Brief Nr. 180.
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Noch eins, was ich gestern vergass. Ich beauftragte Louise, zu Deinem Geburtstag Dir in unserem Namen eine sehr schöne und vor allem würdevolle Rede zu halten, woran ich die Bedingung knüpfte, sie müsste sie halten, ohne einen schlechten Witz dabei zu machen. Ich möchte nun wissen, ob sie diese für sie sehr schwere Bedingung erfüllt hat. Du berichtest mir wohl gelegentlich streng wahrheitsgemäss. Herzlichen] Gruss Euch beiden D[ein] A. B. 183. ENGELS
AN
BEBEL
London, den 1. Dezember 1891.
Original. Lieber August!
Endlich nach dreitägiger Ausgelassenheit wird die Geburtstagsstimmung doch wohl soweit verdampft sein, dass ich wieder mal einen etwas vernünftigen Brief schreiben kann. Also erstens, die Geschichte wegen L[afargue] ist in Ordnung. Laura schreibt mir heute1 — L[afargue] ist nach Lyon und nur Samstag wegen seiner Wahlprüfung auf ein paar Stunden in Paris gewesen: „Paul bevollmächtigt mich zu sagen, 1) dass er seinen Brief an Dich bestätigt (s. unten); 2) dass die Versammlung in Bordeaux, wo er sprach, privat" — geschlossene Mitgliederversammlung der Arbeiterpartei — „war; dass keine Reporter zugelassen waren und kein amtlicher Verhandlungsbericht existiert; 3) die inkriminierten Ausdrücke sind die Erfindung eines Reporters brodant sur le texte dun article publié par Ranc" (der den Inhalt eines Artikels von Ranc weiter ausgeschmückt hat); „4) die von Paul gebrauchten Worte waren diese: ,Ich bestand auf Fortführung des Krieges, weil nach den Nachrichten, über die ich verfügte, Deutschland nicht in der Lage war, noch längere Zeit auszuhalten'". Sie fügt hinzu: „Von Plänen, die von oder durch Vermittlung von Deutschen besorgt worden, war keine Rede; überhaupt erklärt Paul, dass er während der Dauer des Krieges keine Mitteilungen irgendwelcher Art aus Deutschland erhielt. Und ferner sagt Paul, dass er Deine Forderungen unterschreibt und sie nicht nur unterschreibt, sondern auch jeden Widerspruch gegen seine obige Aussage herausfordert." (Le Perreux, 28. Nov[em]ber, erst heute erhalten.) L. Lafargues Brief vom 28. November ist nicht erhalten, s. Engels' Brief an sie 1. Dezember; ferner P. Lafargue an Engels 26. November, Engels an L. Lafargue 27. November, Engels an P. Lafargue 3. Dezember 1891. 1
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In dem Brief an mich (Lyon, 26. Novfember]) sagt L[afargue], der Inhalt seiner Rede sei der und der gewesen, die Internationale in allen Ländern habe es für ihre Pflicht gehalten, 1870 die Erdrückung der französischen] Republik durch Bismarcks Truppen zu hindern; während die übrigen Internationalen unter Garibaldi gekämpft, hätten die Deutschen gegen die Fortführung des Krieges und den Raub Elsass-Lothringens protestiert. Meine Forderungen, die er unterschreibt, waren die einer unbedingten und rückhaltlosen Zurückweisung der ihm zugeschriebenen Ausdrücke und ihres Inhalts. Die habt Ihr jetzt also zu beliebigem, Gebrauch. So, der Stein wäre glücklich abgewälzt. Dank der kolossalen Dummheit unserer Gegner ist diese Skandalchance verlaufen und jetzt versandet. Wenn jetzt noch etwas kommen sollte, so seid Ihr gerüstet, und die Angreifer sind elend blamiert. Aber wir alle haben hier redlich geschwitzt, das kann ich Dir sagen, solange diese Ungewissheit herrschte: ob nicht irgendein Reptil auf die Sache anbisse, ehe wir wussten, was zu antworten und wie der Beweis der Unwahrheit zu führen war. Aber welche Esel! Tussy sagte noch am Sonntag: wenn uns so eine Nachricht über die Gegner zukäme, wie wäre die verarbeitet worden! Den Vorfall mit W[ilhelm] II. in Potsdam habe ich übersehen, was war's?2 Die Sache scheint sich allerdings mit wachsender Geschwindigkeit zu entwickeln, und da ist jedes Symptom interessant. In den hiesigen Blättern heisst es, Euer Kaiser wolle wegen der unhöflichen Durchreise Alexanders seine sämtlichen Ehrenkommandos in der russischen] Armee niederlegen. Mir scheint, die Russen wollen ihn zu übereilten Streichen verleiten, wo er dann als der Friedensstörer erscheint, und wo sie dann, die bei ihrer relativen Unangreifbarkeit das Spiel bis auf die äusserste Spitze treiben können, sich den Frieden durch vermehrte Konzessionen abkaufen lassen. Dass sie es wirklich auf Krieg absehen, halte ich für unmöglich. Die franz[ösische] Anleihe gescheitert, statt zwanzig Millionen] kaum zwölf; die Hungersnot sich in ungeahnter Weise, Ausdehnung und Heftigkeit entwikkelnd; durch Saatmangel und Ungunst des Wetters die Wintersaat fast vernichtet; in den fruchtbarsten Provinzen Vieh und Pferde aus Futtermangel massenweise krepierend oder geschlachtet, und dadurch die Ackerbestellung auf Jahre hinaus gelähmt; alles das sind Dinge, die in einem halbbarbarischen Land wie Russland der Armee jede Aussicht auf erfolgreiche Aktion abschneiden. Aber das alles hindert nicht, dass die Russen dennoch politisch agieren, als ob sie auf Krieg 2
S. Brief Nr. 184.
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lossteuerten; ihre strategische Lage und ihre Geläufigkeit im Verraten ihrer Freunde erlauben ihnen das. Natürlich kann das Plänchen schiefgehen, und daher die massenhaften Rüstungen und Truppenkonzentrationen, die ja auch, wenn's friedlich abgeht, als diplomatisches Druckwerkzeug wirken. Gottvoll. Dem auf „den Besitzstand von heute" gegründeten Dreibund stellt Russland und Frankreich einen Zweibund entgegen, der ein „weit erhabeneres Prinzip hat: die Aufrechterhaltung der Verträge!" So sagen die Blätter. Also Frankreich, das den Frankfurter Vertrag brechen will, erklärt, ihn stützen zu wollen mit Hilfe Russlands; und Russland, das alle Verträge gewohnheitsmässig bricht, verbündet sich mit eben diesem Frankreich zu ihrer unverbrüchlichen Haltung. Für wie dumm müssen die Leute das Publikum halten, an das sie sich wenden. Deine Budgetrede war brillant — nach dem Vorwärts zu urteilen, schick uns doch den stenographischen [Bericht]. Die Hinweisung auf unsere Soldaten war ganz angebracht. 3 Wozu das Maul halten von Dingen, die unsere Gegner so gut wissen wie wir? Dass Carl H[irsch] nicht kommt, halte ich für kein Unglück. Ich mochte nichts sagen, als die Sache einmal arrangiert, aber ich habe hier gleich gesagt, das würde nicht gut gehen. H[irsch] ist nicht nur eigensinnig, sondern auch grundlos verbittert, weil er glaubt, die Red[aktion] des S[ozial]-D[eTnokrat] sei ihm ungebührlich entzogen worden, und zwar hat er da mehr Grimm, glaube ich, auf Marx und mich als auf Euch. Denn Du erinnerst Dich, er wollte, wir sollten ihn drängen, zu akzeptieren, und das fiel uns nicht ein. Jedenfalls zog er sich da gleich zurück von der Aktivität und hat seitdem sicher einen schönen Haufen Groll und Schrullen aufgesammelt; und schon deshalb glaube ich, es wäre besser, wenn er sich dieser Leibesverstopfung erst anderswo entledigte, wo er dann allmählich wieder in normale Gedankenstimmung kommt und dann auch wieder was leisten wird. Sicher aber glaube ich, dass L[iebknecht] und er es nicht sechs Wochen ohne Bruch zusammen ausgehalten. Auch Schoenlank hat seine Mucken; soweit ich urteilen kann, ist er viel zu schlappig, um 5
In seiner Rede am 28. November sprach Bebel über den Militäretat und führte, anknüpfend an Äusserungen über mögliche innere Unruhen, aus: „.. . Wo haben wir versucht, in die Armee zu dringen? Das tun wir schon aus Klugheit nicht. Wir raten vielmehr allen Parteigenossen, die eingezogen werden: Solange Du in Königs Rock steckst, halte den Mund und verrate nicht, dass Du Sozialdemokrat bist. (Heiterkeit). Die Dinge entwickeln sich zu unseren Gunsten ganz von selbst, und wenn Sie die Millionen aufbieten müssen, bis zum Landsturm zweiten Aufgebotes, sind selbstverständlich Hunderttausende von Sozialdemokraten darunter." .. . Vorwärts, Nr. 280, 29. November.
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den nötigen Widerstand zu leisten, und würde bald soviel Bummelsünden auf dem Kerbholz haben, dass er in seinem Vorredakteur einen wirklichen Vorgesetzten erhielte. Nun, wie's gehen wird, ist abzuwarten; schlimmer kann's kaum werden. Ihr vergleicht immer die Lage in Deutschland mit der von 1787-88 — sie gleicht noch weit mehr der von 1847 in Frankreich, den Skandälern, die Louis Philipp zu Fall brachten: Teste der bestochene Minister, Herzog Praslin der Mörder seiner Frau, ein Adjutant des Königs, der in den Tuilerien beim Kartenspiel mogelnd ertappt wurde; Fould, der, um die Ehrenlegion zu erhalten, hoch bestochen hatte usw. usw. Das Komische ist, dass man bei Euch von einer Bankkrise fabelt; die paar lumpigen Firmen, die da herumgezogen, sind ja ganz ausserhalb des eigentlichen Weltmarktsgeschäftes, Bankvermittler für Beamte, Offiziere, Grundadel, Kleinbürger, kurz für alles, nur nicht für den Grosshandel. Wenn Anhalt und Wagener, DiscontoKommandit, Deutsche Bank usw. mal um die Ecke fliegen, dann könnte von einer Bankkrise die Rede sein. Aber es ist auch so sohon recht nett, und wenn der Mantel fällt, wird der Herzog bald nachfolgen. Was Du mir von der Sorte neuer „Genossen" schreibst, die sich jetzt meldet, ist sehr interessant und bezeichnend für die Lage. Man merkt, dass wir ein „Faktor" im Staat werden, um mich reptilistisch auszudrücken, und da die Juden mehr Verstand haben als die übrigen Bourgeois, merken sie's zuerst — besonders unter dem Druck des Antisemitismus — und kommen uns zuerst. Kann uns nur angenehm sein, aber weil die Leute gescheuter sind und durch den jahrhundertelangen Druck aufs Strebertum sozusagen angewiesen und dressiert, muss man auch mehr aufpassen. Bitte, statte doch in meinem Namen der Fraktion meinen besten Dank ab für ihr freundliches Telegramm am 28.4 Sobald ich die Photogrfaphien] erhalte, werde ich mich für alle erwiesenen Freundschaftsbezeugungen zu revanchieren suchen. Ede sagt mir, Du hättest ihn aufgefordert, mehr in den Verein zu gehen. Ich bin der festen Uberzeugung, dass jede Minute, die er dort zubringt, nicht nur rein verloren, sondern eine Blamage für die Partei wäre. Er müsste dort ja mit Gilles verkehren, und das ist doch rein unmöglich. Aber unter die Engländer sollte er gehen, die Leute persönlich kennenlernen und mündlich über deutsche Dinge aufklären — so sitzt er zu Hause und beurteilt die hiesigen Dinge nach den BeDas Geburtstagstelegramm vom 26. November lautete: „Ihrem unentwegten und unvermeidlichen [soll heissen: unermüdlichen] Vorkämpfer sendet die herzlichsten Glückwünsche zum heutigen Geburtstage. Die sozialdemokratische Fraktion des Deutschen Reichstags." 4
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richten von einer, höchstens zwei Zeitungen; denn Cafés oder Lesekabinetts gibt's in seiner Nähe nicht. Schliesslich noch die Versicherung — auf Dein ausdrückliches Verlangen —, dass Louise sich ihres Auftrages mit einer Würde entledigt hat, die mindestens der eines Reichstagspräsidenten entsprach; schlechte Witze zu machen, hatte sie keine Gelegenheit, da ich ihr stets vorzeitig mit dergleichen selbst in die Parade fuhr. Sonst waren wir diese Tage über allerdings ungeheuer heiter, namentlich auch über Deinen Schein-Bewunderer, der sich auf der letzten Seite als ein „Junger" entpuppt und Dich aufs Altenteil setzen will.5 Der Kerl ist unbezahlbar mit seinem höheren Hochdeutsch. Herzliche Grüsse an Frau Julie und Dich selbst von Louise und 5
S. Brief Nr. 184, Anm. 4.
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ENGELS
Berlin W., den 7. Dezember 1891.
Original. Lieber General!
Anbei sende ich Dir das Gutachten Leibfrieds in der Geldangelegenheit,1 das ich ganz vergass. Ich füge die zwanzig M[ark] bei für eine eventuelle rechtsanwaltliche Konsultation. Die Briefe, die L[eibfried] weiter beifügte, behalte ich hier, es sei denn, du hältst sie für nötig; es sind Briefe meist aus dem Jahre 1869 und dem [Jahre] 1875. Nun tue, was Dir gut dünkt. Es freut mich, zu hören, dass Du so fleissig am dritten Band des „Kapital" sitzest, es ist also Aussicht vorhanden, dass er in nicht ferner Zeit erscheint. Wenn ich doch nur auch mal Zeit hätte, an meine Arbeit zu gehen. Es ist schrecklich: Du glaubst gar nicht, was alles für Anliegen an einen herantreten. Wenn die Leutchen im lieben Deutschland gar nicht mehr wissen, wo aus und wo ein, dann kommen sie an unsereinen, dann sollen wir helfen. Briefliche und mündliche Anliegen der verschiedensten Art kosten mich jeden Tag einen bedeutenden Teil der Zeit; dazu die Kassengeschäfte, die parlamentarischen Arbeiten, Sitzungen und Versammlungen. Kann ich's machen, dann gebe ich auf dem nächsten Parteitag mein Vorstandsamt ab. Die Berichte, die ich sandte, werdet Ihr erhalten haben. Die Rekrutenreden Wilhelms2 werfen einen gewaltigen Staub; sie S. Brief Nr. 165, Anm. 1. Bei einer Rekrutenvereidigung in Berlin am 25. November 1891 hatte er geäussert , dass vielleicht „ernste innere Kämpfe bevorstehen". 1
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beunruhigen gerade in den bürgerlichen Kreisen am meisten, und nicht minder sollen sie in den höheren bureaukratischen Kreisen verschnupfen. In den bürgerlichen Kreisen herrscht vielfach sogar Erbitterung über diese ewigen Reden und das vollständig Unberechenbare in der inneren Politik. Die gähnende Leere des Reichstags ist wesentlich auf diese Unzufriedenheit zurückzuführen. Die Herren machen die Faust im Sack, riskieren aber nicht, etwas zu sagen. Eine ganze Anzahl der Hauptwortführer der früher massgebenden Parteien haben sich bis jetzt noch nicht im Reichstag blicken lassen. Die Potsdamer Affäre war kurz folgende. Der Kaiser erscheint früh halb sechs zu Pferde vor einer der Kavalleriekasernen. Dort lässt er durch den Posten heimlich die Wache herausrufen und schickt diese mit Ausnahme des Trompeters ins Schloss. Alsdann lässt er Alarm blasen und freut sich kaiserlich, als der wachthabende Offizier herausstürzt und sein Wachtpersonal nicht findet. Das sind sicher sonderbare Spässchen, die man ihm in militärischen Kreisen zuallerletzt verzeiht. Die Offiziere sind namentlich gegen ihn aufgebracht. Durch seine häufigen Alarmierungen zwingt er die zahlreichen Verheirateten, sich in der nächsten Nähe ihrer Kasernen Wohnungen zu nehmen, und das sind meist Viertel, die den Ansprüchen und Gewohnheiten der Herren Offiziere und ihrer Frauen durchaus nicht zusagen. In den letzten Jahren soll auf diesem Gebiet in Berlin eine förmliche Revolution herbeigeführt worden sein. Die ewige Unruhe hängt auch mit seinem Zustand zusammen, die Nächte schläft er wenig und ist ewig auf Reisen, und alles geht par force. Ein bayerischer Hauptmann a. D. schreibt mir sein volles Einverständnis mit meiner Budgetrede und schliesst seinen Brief also: „Alle Führer des Sozialismus können heute schlafen; denn das Geschäft für sie besorgt besser, prompter und umfangreicher die Kfaiserliche] Regierung und die vertumpte Gesellschaft" und unterzeichnet als „Gesinnungsgenosse" mit vollem Namen. Der Inhalt des Briefes zeigt, dass der Mann weiss, wie es steht. Im Vorw[ärts] sitzen wir vollständig auf dem Pfropfen. Schoenlank hat auch abgelehnt, weil ihm kurz zuvor bei einem neuen, zu Neujahr ins Leben tretenden literarischen Unternehmen eine gute Stelle angeboten wurde. Nun ist guter Rat teuer. Dabei ist L[ieb]kn[ecbt] einen guten Teil seiner Zeit in Dresden. Unter ähnlichen Verhältnissen wie der Vorwärts ist noch nie ein Blatt dieser Art fertiggestellt worden. Im Augenblick haben wir nicht eine Seele, auf die wir reflektieren könnten. Im sächs[ischen] Landtag gehen die Gegner mit dem Plane um, Liebknecht zu exkludieren, weil er nicht mehr in Sachsen wohne. Er 489
hat sich allerdings pro forma einen Wohnsitz gesichert und zahlt auch den Zensus; aber sie wollen trotzdem ihm an den Kragen. Ich glaube kaum, dass sie es in Form Rechtens können, und vielleicht hüten sie sich auch des Skandals halber; auf der anderen Seite ist auch L[ie]b[knecht] in keiner angenehmen Position. L[ie]b[knecht] will mit der laufenden Periode, die in zwei Jahren zu Ende ist, sein Mandat niederlegen. Das Vernünftigste, was er tun kann. Dass wir mit Vorliebe auf die [Ähnlichkeit der] Lage Deutschlands heute mit der Frankreichs vor 1789 hinweisen, geschieht einmal, weil jene Geschichtsperiode der grossen Masse, auch den Gegnern, ganz anders im Gedächtnis erscheint als jene vor 1848; dann weil auch die durch 1789 herbeigeführten Veränderungen viel gründlicher waren, als jene van 1848. Unser deutsches 1848, an das bei Hinweisen zuerst gedacht wird, ist auch nicht danach angetan, sonderlich zu imponieren.3 Es ist richtig, dass die bisher vorgekommenen Bankbrüche keine Bankkrise bedeuten. Die letztere wird auch so leicht nicht eintreten, weil unsere Banken es meisterhaft verstanden haben, sich alle faulen Werte möglichst frühzeitig vom Halse zu schaffen. Gegründet haben sie in den letzten Jahren schmählich, aber gewitzigt durch 1874, haben sie ihre Kassen nach Möglichkeit mit den faulen Werten geräumt. Die besitzt das Publikum, und das hat den Schaden davon. Tatsächlich ist der Notstand diesmal ganz besonders empfindlich in den höheren Kreisen bemerkbar. Die Ermässigung des Zinsfusses der Staatsanleihen hat das Publikum verleitet, Argentinier, Portugiesen, Serbier etc. anzuschaffen in der Hoffnung auf höheren Zinsertrag, und das sitzt nun da. Es ist sehr schön von Louise, dass sie dem erteilten Auftrag so „würdevoll" gerecht wurde; aber dass sie bis zu „falschen Vorspiegelungen" sich verstieg, ging wider die Abrede, sie kennt eben keine Disziplin. Frau Julie sieht aber ein, dass sie die in ihrem Namen eingegangenen Verpflichtungen einlösen muss, und verspricht durch mich, bei passender Gelegenheit diesem nachzukommen. Sie hat aber auch geschworen, künftig Louise nicht wieder als ihren Stellvertreter anzuerkennen; sie fürchtet, diese möchte sie schliesslich zu Verpflichtungen engagieren, denen sie nicht mehr gerecht werden könnte. Dieses Misstrauensvotum muss sich Louise schon gefallen lassen, ich 3
S. Waldersees Eintragung vom 23. Februar 1892, Denkwürdigkeiten, Bd. II, S. 233: „. . . Geradezu unfasslich ist es mir, dass von verantwortlicher Seite, z.B. Boetticher, behauptet werden kann, die sozialistische Bewegung hätte sich ausgebrannt und dergleichen mehr; das Gegenteil ist richtig, wir steuern mit offenen Augen ins Verderben. Die Führer der Bewegung verhalten sich so ruhig, weil sie sehen, mit welcher Sicherheit wir bergab gehen."
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vermochte es von ihrem Haupte nicht abzuwenden. Im übrigen hat sich Julie sehr über Eure Briefe gefreut und lässt Euch beide herzlich grüssen. Der Verfasser des „Arb.-Bismarck"4 gehört gar keiner Partei an; der Kerl hat ein gutes Geschäft machen wollen, und das ist ihm gelungen, da unendlich viele, Freund und Feind, auf das Ding hereingefallen sind. Jeder Schund findet heute Abnahme, wenn er über oder gegen die Sozialdemokratie handelt. Wie gefällt Dir denn Eugen Richters Broschürchen?5 Das geistige Niveau unserer Bourgeoisie in der Beurteilung von uns lässt sich danach bemessen, dass sämtliche gegnerische Parteien es verbreiten und es über das Bohnenlied in ihrer Presse loben. Hat doch sogar Herr v. Huene im Reichstag ihm seine Anerkennung gezollt.6 Ein Arbeiter meinte neulich in Brandenburg zu mir, das Ding sei so dumm, dass der einfältigste Arbeiter sich sage: das will die Sozialdemokratie nicht. Vielleicht gibt's noch Gelegenheit, im Reichstag darauf zurückzukommen. Mit herzlichem Gruss Dein A. B. Bitte, Beilage an Louise zu geben. Gemeint ist die Schrift Bebel, der Arbeiter-Bismarck. Von einem Sozialisten. (Berlin, C. Küchenmeister, 1892). 5 Sozialdemokratische Zukunftsbilder. Frei nach Bebel (Berlin, 1891). 8 In der Reichstagssitzung vom 30. November 1891: „ . . . Herr Richter hat sich ein grosses Verdienst erworben dadurch, dass er geschildert hat, zu welchen wunderlichen Folgen die sozialdemokratische Theorie führt." 4
1 8 5 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 28. Dezember 1891.
Original. Lieber General!
Meine herzlichsten Glückwünsche zum neuen Jahr; möge es Dir und dem „Kapital" in demselben aufs beste ergehen. Die Weihnachtsfeiertage haben uns die Buchdrucker kräftigst versalzen.1 Wir hatten ihretwegen in der verflossenen Woche nicht weni1 Nach Forderungen der Buchdrucker, vor allem einer Lohnerhöhung von 12'i% und der neunstündigen Arbeitszeit, wurden am 24. Oktober etwa 12.000 Buchdrucker gekündigt. Mehr als 10.000 traten in den Ausstand. Trotz grosser Opfer ging der Kampf nach zehnwöchiger Dauer verloren. Am 18. Januar erfolgte die Wiederaufnahme der Arbeit zu den tariflichen Bedingungen von 1890. Der Arbeitskampf hatte den Verband ca. zweieinhalb Millionen Mark gekostet. S. Verband der deutschen Buchdrucker 2. Aufl. (Leipzig, 1925)), S. 37f.
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ger als drei Sitzungen zu halten, sind aber standhaft geblieben und haben alle ihre Gesuche abgelehnt. Die Erfahrungen, die wir bisher gemacht haben, müssen uns bestimmen, den Gewerkschaften gegenüber den Daumen auf den Beutel zu halten. Schliesslich werden die Streiks noch in der Hoffnung auf die Parteikasse unternommen bzw. daraufhin verlängert; und kommen uns dann Ereignisse über den Hals, welche die Partei treffen, sitzen wir da und haben keine Mittel. Die Buchdrucker sind eben etwas leichtsinnig ins Zeug gegangen. Die geschäftliche Situation ist so ungünstig wie nie, die Bankerotte haben schon jetzt eine bisher unerhörte Höhe erlangt und werden sich im nächsten Jahre in entsprechender Weise fortsetzen. Daneben Arbeitslosigkeit überall. Die Buchdrucker haben sich nicht träumen lassen, dass sie eines Tages die sozialdemokratische Kasse in Anspruch nehmen müssten. Die jetzt gemachten Erfahrungen werden ihnen eine Lehre sein; sie haben aufgehört, eine Aristokratie zu sein. Wenn Dir etwas dran liegt, schicke ich Dir die Reichstagsverhandlungen über die Handelsverträge, soweit sie sich auf die Generaldebatte beziehen. Der gute W[ilhelm], der in jugendlicher Begeisterung und Ignoranz von diesen einen neuen Abschnitt der europäischen Geschichte datiert, wird sich über die Wirkung oder richtiger Wirkungslosigkeit derselben sehr wundern. So leicht wird die soziale Frage nicht gelöst.2 Um gegebenenfalls ganz sicher zu sein, hat W[ilhelm] im alten Berliner] Schloss — das er im Gegensatz zu seinen Vorgängern bewohnt — überall Schiessscharten anbringen lassen. So, wie ich mich kürzlich selbst überzeugte, in den grossen eisernen Toren, wo eiserne Schieber die Öffnungen verdecken. Auch ist dem Publikum die früher absolut freie Passage nunmehr verboten. Bismarck scheint die Erziehung d[es] jungen Mannes in der Richtung haben beeinflussen lassen, dass er ihn auf die Soz[ial]demokratie dressieren liess. Diese schwebt ihm Tag und Nacht vor Augen; mit ihr beschäftigt er sich mehr als mit dem äusseren Feind, und daher alle die Reden.3 Mit dem alten W[ilhelm] machte es B[ismarck] genau so. Jede 2
Bei der Einweihung des Teltower Kreishauses am 18. Dezember hatte er die Handelsverträge als „eine rettende Tat und ihren Abschluss als eins der bedeutendsten geschichtlichen Ereignisse" bezeichnet. S. Waldersee, Denkwürdigkeiten, Bd. II, S. 227. 3 S. Waldersees Eintragung 26. Februar 1892, Denkwürdigkeiten, Bd. II, S. 233: „Der Kaiser will in seiner Besorgnis vor Anarchisten in der Nähe des Schlosses einen womöglich gepanzerten Turm bauen lassen, der die Spree und ihre Brücken beherrscht."
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Niederträchtigkeit, jede Schundbroschüre, die gegen uns erschien, wurde dem Alten auf den Schreibtisch gelegt, und die Zeitungen wurden mit der gleichen Tendenz ausgeschnitten. Schönen Dank für Deinen „Ursprung". Du hast das Buch wieder wesentlich erweitert.4 Zum Studium bin ich noch nicht gekommen; überhaupt bestanden meine Feiertage darin, aufzuarbeiten, was während des Reichstags nicht erledigt werden konnte. Ich hoffe und wünsche, dass wir bis Ostern im Reichstag fertig sind. Den 2. Januar will ich nach Stuttgart, St. Gallen und Mülhausen i/Els., werde aber bis zum 9. wieder hier sein. In M[ülhausen] will ich eine Versammlung halten.5 Im Vorwärts sitzen wir immer noch auf dem alten Fleck; wir brauchen zwei Mann, wollen aber nicht eher engagieren, bis wir wirklich passende Personen finden. Schlimmstenfalls müssen wir dem einen oder anderen Lokalblatt einen Redakteur ausspannen. Vergnügten Silvester, wir werden Eurer gedenken. Herzlichen] Gruss von D[einem] AUGUST.
Vorhin war Conrad Schmidt bei mir, der besuchsweise hier ist und, wie er mir mitteilte, hier heiratete. Ob er die stramme Märkerin heiratete, die, dem Züricher on dit zufolge, ihn so stramm unter dem Pantoffel hatte, weiss ich nicht; ich wagte nicht, zu fragen. Er geht wieder nach Zfürich], wo er sich als Privatdozent habilitiert hat und, wie er mitteilte, meist Russen als Hörer hat. 4 Die 3. Auflage erschien Stuttgart, J. H. W. Dietz, 1890; VI, 146 S. Die 4. Auflage ebd. (Intern. Bibliothek, Nr. 11), 1892; XXIV, 188 S. 5 Die Versammlung fand am 6. Januar 1892 statt. Obwohl der Saal lange vor ihrem Beginn überfüllt war, strömten immer neue Massen herbei, so dass auch die benachbarten Strassen mit Zuhörern gefüllt waren. Der Vortrag durfte nur wirtschaftlicher Natur sein; politische Ausführungen wurden nicht zugelassen. Der Vorwärts darüber in Nr. 7, 9. Januar.
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ENGELS
Berlin, den 28. Dezember 1891.
Original. Lieber Herr Engels!
Ihr reizendes Kärtchen mit seinen lieben Worten und Wünschen hat mich herzlich erfreut, und danke ich Ihnen ebenso dafür. Mit dem Nebel der Stadt sind wir glücklicherweise verschont ge493
blieben; dafür hat er sich aber um unsere Häupter gelagert, verursacht durch den Mangel an Schlaf und durch den alkoholischen Dunst, den man in diesen Tagen gezwungen wird, in sich aufzunehmen. Es wird Zeit, zur normalen Temperatur zurückzukommen, die August so notwendig braucht, um arbeiten zu können. Heute will ich Ihnen meine Wünsche für das kommende Jahr senden, die ebenso herzlich gemeint sind. Möchten Sie in demselben gesund bleiben, damit Sie in ebensolcher geistigen Frische wie bisher weiter schaffen können an dem grossen Werke, das dem Wohle der Menschheit gewidmet ist. Es ist der letzte Tag im Jahre wieder ein solcher, an den gewöhnlich sentimentale Betrachtungen geknüpft werden; aber Sie haben sehr recht, dies nicht zu tun, sondern darüber mit philosophischer Würde zur Tagesordnung überzugehen, wenn sie uns auch an das Vergängliche erinnern. Des Lebens Frühling blüht nur einmal, aber jung kann man bleiben bis an seines Lebens Ende, wenn man Herz und Augen offenhält für alles Schöne und Gute. Für Ihren letzten liebenswürdigen Brief danke ich erst heute, und wollen Sie dies meiner Bescheidenheit zugute rechnen, indem ich Ihre kostbare Zeit nicht zu oft in Anspruch nehmen möchte. Ihre freundlichst gesandten Grüsse an unsere Kinder wird mein Mann mit Vergnügen in den nächsten Tagen ihnen persönlich übermitteln. Die jungen Leutchen schwelgen eben noch in dem Frühling ihres Lebens und besitzen das Glück einer geistigen Harmonie; möchte diese ihnen erhalten bleiben. Und nun „Glückauf zum neuen Jahre!" Mit herzlichem Grusse Ihnen und Frau Louise von Ihrer JULIE BEBEL.
187. B E B E L AN
Original.
ENGELS
Berlin, den 27. Januar 1892. Lieber General!
Den Artikel1 sandte ich sofort an K[autsky], um ihn absetzen zu lassen, weil ich egoistisch genug war, mir zu sagen, im Druck lese er sich besser. Und so geschah es. Ich habe Montag den Bürstenabzug gelesen und finde, dass der Artikel ausgezeichnet ist. Ich habe nur Der Aufsatz „Le Socialisme en Allemagne" erschien im Almanach du parti ouvrier français pour 1892, S. 93ff; deutsch in der Neuen Zeit, X. Jahrg. (1891), Bd. I, S. 580ff. mit Zusätzen über die Hungersnot in Russland.
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eine Kleinigkeit geändert, ich habe L[iebknechts] und meinen Namen, wo er zum zweiten Male vorkam, gestrichen, es war an der einen Erwähnung genug. In einer Demokratie werden die Glieder leicht eifersüchtig, und warum das provozieren? Ich denke, der Artikel wird grosses Aufsehen machen und durch seine Ausführungen unseren eigenen Leuten genugsam zu denken geben. Auch mit dem, was Du über die innere Lage und die finanzielle Gebarung Russlands sagst, stimme ich überein; erkläre mir aber nur eins: Wie geht es zu, dass trotz all dem inneren Elend Russland offenbar mit unerschütterlicher Konsequenz den Aufmarsch seiner Armee im Westen und Südwesten vollzieht? Das geschieht wenigstens nach den Nachrichten, die unsere Zeitungen von Zeit zu Zeit, und zwar erst wieder in den letzten Tagen bringen. Danach scheint es, dass Russland seine Aktionspolitik fortzusetzen gedenkt; um so sicherer ist, dass wir, im Falle keine Missernte eintrat, im Frühjahr so gewiss den Krieg hatten, wie zwei mal zwei vier ist. In Frankreich muss man sich augenblicklich viel mit einer Verständigung mit Deutschland über Elsass-Lothringen zu schaffen machen. Letzte Woche bekam ich nicht weniger als drei Zuschriften von verschiedenen Seiten — darunter die Redaktion des Figaro —, welche Ratschläge bzw. meine Meinung haben wollten, auf welcher Basis eine Verständigung mit Frankreich möglich sei. Ich habe allen dreien ungefähr das gleiche geantwortet. Wie ich bzw. unsere Partei über die Annexion denke, wisse man; dass wir zu einer Versöhnung mit Frankreich geneigt seien und auch eine solche für möglich hielten, wisse man wohl auch; aber unsere Partei habe noch nicht die entscheidende Gewalt in der Hand, und über unsere Partei hinaus möge es wohl einzelne Personen, aber keine von Einfluss geben, die ebenfalls eine Versöhnung wollten; und so sei also jede aktive Tätigkeit, die Erfolg verspreche, ausgeschlossen. Ob und was von diesen Antworten in die Presse dringt, weiss ich nicht; vielleicht erfährst Du etwas und unterrichtest mich.2 Die Mülhäuser Versammlung3 war ausgezeichnet und hat, wie ich an der Haltung unseres Blattes sehe, das seitdem eine viel lebhaftere Haltung einnimmt, tüchtig nachgewirkt. Die Menschen haben mir sehr gut gefallen. Im allgemeinen herrscht noch viel Unklarheit; aber die Massen fühlen, dass sie zu uns gehören, und es war ein günstiges S. den folgenden Brief. D i e im Brief Nr. 185 Anm. 5 erwähnte Versammlung. Le Temps berichtete darüber am 8. Januar. „Bebel has sent m e some Alsatian papers with reports of his speech in Mülhausen; one in French; I want to send it to you . . . to show you what horrid French these .patriots' of the Industriel Alsacien do perpetrate." Engels an L . L a f a r g u e 3. Februar 1892. 2
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Zeichen, dass meine Angriffe auf die Pfaffen, die dort noch einen gewaltigen Einfluss haben, den stärksten Beifall fanden. In der Versammlung war alles vertreten, namentlich auch das Beamtentum, Richter etc. Schade, dass der Saal nicht wenigstens doppelt so gross war. Zunächst ist uns die Agitation noch ausserordentlich erschwert. Man hat, echt preussisch, nach der Annexion die Diktatur eingeführt, aber zugleich all die schuftigen Gesetze der Restauration und des dritten Napoleon über die Presse und die Vereine und die Versammlungen beibehalten,4 die sich jetzt als das grösste Hindernis für uns erweisen. Jede Kolportage ist unmöglich, Versammlungen müssen von sieben Bürgern angemeldet werden; politische Versammlungen werden ganz verboten etc. etc. Interessant war eine Begegnung mit dem Unterstaatssekretär für das Innere von Eis[ass-]-Lothringen] Herrn v. Koller vor[ige] Woche im Reichstag.5 Ich ging durch das Foyer, als Koller, der mit einigen ultramontanen Abgeordneten in der Unterhaltung war, mich erblickte, auf mich zukam und meinte: jetzt habe er sich doch wohl meinen Dank verdient; denn ihm hätte ich es zu danken, dass ich in Mülhausen] überhaupt reden durfte. Ich stellte mich sehr erstaunt und antwortete, es seien doch ganz miserable Zustände im Elsfass]. Wir kamen in eine längere Unterhaltung, in welcher ich die Meinung vertrat, sie, die Regierung, solle uns doch gewähren lassen, das liege doch in ihrem eigenen Interesse; indem wir die Arbeiter der Bourgeoisie und der Pfaffenschaft entrissen, schwächten wir doch die Gegner der Regierung, und das sei für letztere also ein Vorteil. Also nicht unserer schönen Augen wegen, sondern in ihrem eigenen Interesse sollte sie uns jetzt dort gewähren lassen. Koller gab das alles als vollkommen richtig zu und behauptete, man verfahre auch so; aber die Gesetze könne man nicht beseitigen, das gäbe der Landesausschuss6 — der aus sog. Notabein besteht — nicht zu. Das letztere ist natürlich Ausflucht. Die preussfische] Regierung gibt zuallerletzt freiwillig eine Macht auf, die sie besitzt und milde oder strenge, ganz wie es ihr passt, handhaben kann. Ich sagte: sollten die Els[ass-] Lothringer] Deutsche sein, dann sollten sie es auch ganz sein und nicht 4 Über die inneren Zustände EIsass-Lothringens s. etwa A. von Puttkamer, Die Ära Manteuffel (Stuttgart-Leipzig, o. J.); Denkunirdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, II. Bd. (Stuttgart-Leipzig, 1907), S. 370ff. Manteuffel und Hohenlohe waren die beiden ersten Statthalter von Elsass-Lothringen, 1879-1885 bzw. 1885-1894. 5 Ernst Matthias von Koller (1841-1928) war 1894-95 preussischer Minister des Innern, bis 1901 Oberpräsident von Schleswig-Holstein, bis 1908 Staatssekretär für Elsass-Lothringen. • Der Landesausschuss wurde 1874 berufen und erhielt 1877 grössere gesetzgeberische Befugnisse, hinter denen die des Reichstages zurücktraten.
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Deutsche zweiter Klasse; es sei der grösste Fehler, den die Regierung mache, dass sie die alte verrottete französische Gesetzgebung, die in Frankreich längst über Bord geworfen und dort nie so gehandhabt wurde wie von uns, aufrechterhalte. K[öller] meinte, das sei notwendig, weil sonst die Franzosenfreunde Oberwasser erhielten. Meine Erklärung, dass die Elsfass-] L o t h r i n g e r ] Zustände bei erster Gelegenheit im Reichstag erörtert werden sollten, war ihm sehr unangenehm, das möchte er vermieden sehen. Meine Beschwerden über die Handhabung des Kolportage-Paragraphen suchte er damit zu dämpfen, dass er versprach, Remedur zu schaffen, falls Beschwerden an ihn kämen. Die soll er haben, aber das andere wird ihm auch nicht geschenkt. Wir haben jetzt die Els[ässische] Druckerei in Mülhausen in unseren Besitz gebracht, da der bisherige Besitzer verkrachte. Das Blatt kostet uns bis jetzt viel Geld, aber es wird um jeden Preis gehalten; überhaupt saugt jetzt die Provinzialpresse ganz gehörig an unserer Kasse. Leibfr[ied] werde ich Deine Mitteilungen zukommen lassen, und mag er tun, was ihm gut dünkt. Es ist sehr gut, dass M[o]tt[eler] den Kampf gegen Gfilles] aufgenommen hat, 7 und es wäre zu wünschen, dass E d e ihn unterstützen könnte. E s macht immerhin Eindruck, wenn es heisst: G[illes] wurde aus dem Verein herausgeworfen, namentlich wird ihm das bei seinen englischen Freunden schaden. D a M[otteler] jetzt Zeit hat, kann er ausserdem öfter im Verein verkehren, was zugleich ein probates Mittel gegen seine Misanthropie ist. Er wird auch noch fertigbringen, ab und zu einen Vortrag zu halten. Aber wirkst D u in dieser Richtung auf ihn, dann empfehle ihm auch, dass er ihn nicht über anderthalb Stunden ausdehnt. Als er noch hier in Deutschland war, tat er es nie unter drei bis vier Stunden. Das ist zuviel des Guten. Sag mal, wie steht es denn mit einer Wiederausgabe der „ L a g e der arbeitenden Klassen' 8 hier in Deutschland? Diese ist absolut notwendig. Wie ich von Dietz hörte, ist früher schon einmal durch L[ie]b[knecht] mit Dir darüber korrespondiert worden; aber woran der Plan scheiterte, das weiss ich nicht und konnte ich nicht recht erfahren. Wenn D u Dietz Vollmacht gibst, mit Wigand zu verhandeln, bin ich fest überzeugt, dass er ein befriedigendes Resultat zustande bringt und dann der Neuauflage nichts im Wege steht. Also überlege Dir die Sache und entscheide Dich bald. Ich habe bei Gilles wurde am 25. Januar mit 47 gegen 21 Stimmen aus dem Comm. Arbeiter-Bildungsverein ausgeschlossen. S. Vorwärts, Nr. 25, 30. Januar. 8 Die „2. durchgesehene Auflage" erschien 1892 im Verlag J. H. W. Dietz, Stuttgart. Das Vorwort ist vom 21. Juli 1892 datiert. 7
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meinen Arbeiten verschiedene Kritiken in den Zeitschriften der vierziger Jahre entdeckt, die sich alle sehr günstig darüber aussprechen. So in U[nsere]
Z[ukunft]
b e i Brockhaus. 9
Mehring habe ich gestern Deinen Dank ausgerichtet, er freute sich sehr. Das Schriftchen 10 hat den einen Fehler, dass es für die Masse unserer Leute zu hoch gegeben ist. Auch legt er sich eine gewisse Reserve auf, die sich aus seiner eigentümlichen Stellung erklärt. Der Buchdruckerstreik 11 ist furchtbar ins Wasser gefallen; es sind an viertausend Arbeitslose vorhanden, und ein grosser Teil hat mit viel schlechteren Stellen, als er vordem innehatte, vorliebnehmen müssen. Wenn wir auch selbst aus naheliegenden Gründen nur wenig geben, so ist um so mehr die Partei im allgemeinen in Mitleidenschaft gezogen, indem unsere Leute überall für die Ausgesperrten sammeln. L[ie]b[knecht] Vorschriften im Briefschreiben zu machen, ist einfach unmöglich, respektiert er doch nicht einmal wichtigere Abmachungen, zu deren Respektierung er verpflichtet ist. So hat er uns wieder seinen Schwiegersohn 12 als Mitarbeiter in den Vorw[ärts] geschmuggelt, obgleich in seiner Gegenwart Anfang November beschlossen worden war, dass er nicht mitarbeiten dürfe. Darüber wird es nächstens zu einer Auseinandersetzung kommen. Wir lassen uns das nicht gefallen. Der arme Paul muss überall als Prügelknabe herhalten; seine Millionen, die man ihm andichtet, müssen überall herhalten, um zu beweisen, was für ein schlechter Kerl er ist. Nun haben er und Höchberg das miteinander gemein, dass sie beide ihr Vermögen und oft dort, wo es nicht zu billigen war, verpulverten. Er hat nur noch ein sehr mässiges Vermögen, das dabei immer kleiner wird, und ist schliesslich auf die Hilfe seines Bruders angewiesen. Adler scheint der Dritte in diesem Bunde zu sein; auch er hat mehr ausgegeben für allgemeine Zwecke, als er seiner Familie gegenüber verantworten kann. 13 Entweder sind die Semiten Knicker, oder sie sind gutherzig bis zu sträflichem Leichtsinn. Das ist ja famos, dass die sozialistische Literatur in England so • Bebel meint die Erwähnung Engels' und seines Buches in K. Biedermanns Aufsatz „Sozialistische Bestrebungen in Deutschland" in Unsre Gegenwart und Zukunft I. Bd. 3. Aufl. (Leipzig, Gustav Mayer, 1846), S. 194ff. Bebel exzerpierte diesen Aufsatz. S. Brief Nr. 119, Anm. 5. 10 Herrn Eugen Richters Bilder aus der Gegenwart. Eine Entgegnung (Nürnberg, 1892). 11 S. Brief Nr. 185 Anm. 1. 12 Geiser. 13 Höchberg und Singer gaben den grösseren Teil erheblicher Vermögen für sozialdemokratische Unternehmen, Adler selbst über die Grenze seiner Leistungsfähigkeit hinaus.
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an Boden gewinnt. Es geht eben überall vorwärts und besonders rasch auch bei uns; es vergeht keine Woche, wo nicht Beweise dafür aus bisher gegnerisch gesinnten Kreisen uns vor Augen kommen. Insbesondere sind es die jüngeren Gelehrten, von denen einer nach dem andern, natürlich heimlich, sich zum Sozialismus bekehrt. Nächsten Monat wird Schoenlank an den Vorw[ärts] kommen. Er war bei Braun im Sozial-politischen Centraiblatt. Aber da beide sehr nervöse Menschen sind, haben sie sich schon veruneinigt. Wie lange Sch[oenlank] am Vforwärts] aushält, ist auch fraglich; mit L[ie]bk[necht] ist schlecht zusammenarbeiten, und dazu kommt, dass er auf Sch[oenlank] schon schlecht zu sprechen ist und von vornherein Neigung hat, ihn hinauszubeissen. Zu meiner Frau meinte er: Schfoenlank] werde wohl nicht über den 1. April in Stellung am V[orwärts] bleiben. Da haben wir's. C. Hirsch hat sich an die Frankfurter] Zeit[ung]14 als zweiter Feuilletonredakteur engagieren lassen, er tritt wohl am 1. April in Stellung. Ich bin froh, dass er abschrieb. Es freut uns, zu hören, dass Du so wohl auf den Strümpfen bist, Louise muss doch eine gute Hausfrau sein. Ich würde vorschlagen, sie unter die Heiligen zu versetzen, wäre ich nicht von ihrer Unheiligkeit überzeugt. Honny soit qui mal y pense. Julie lässt herzlich grüssen, sie wird Dir nächstens wieder einmal schreiben. Herzlichen Gruss an Dich und Louise Dein A. B. Er war bereits in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre Pariser Korrespondent des Blattes gewesen und blieb Feuilletonredakteur bis Anfang 1894. 14
1 8 8 . E N G E L S AN
Original.
BEBEL
London, den 2. Februar 1892. Lieber August!
Freut mich, dass Dir der Art[ikel] gefallen hat. Die Weglassung der beiden Namen, das zweite Mal, hat meine volle Zustimmung. Für Frankreich war die Wiederholung nötig, für Deutschland könnte sie schaden, ist jedenfalls überflüssig. Warum die Russen dennoch kriegerisch tun und Truppen im Westen konzentrieren? Sehr einfach. Gleich im ersten Brief,1 worin ich behauptete, die Hungersnot lege die russische] Kriegslust lahm, sagte 1
S. Brief Nr. 167.
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ich Dir, die Säbelrasselei werde darum keineswegs aufhören, eher verstärkt werden. So machen sie es immer. Das ist aber bloss für das inländische und ausländische Publikum, von der Diplomatie des Auslandes verlangt man nicht, dass sie es glaubt, sondern nur, dass sie es ruhig geschehen lässt. Der Rückzug Russlands soll vor der Öffentlichkeit aussehen wie ein Rückzug der anderen vor Russland. Diesmal aber kommt ein zweites dazu: der Südosten und Osten ist verhungert und kann keine Truppen ernähren. Das Misswachsgebiet wird ungefähr begrenzt durch die Linien: Odessa-Moskau-Wjatka-Perm zum Uralgebirge; entlang dem Ural zur Nordspitze des Kaspischen, von da zur Ostspitze des Asowschen Meeres, zurück nach Odessa. Dies beweist, dass nur östlich von Odessa-Moskau Truppenmassen zu ernähren sind; was nördlich liegt, braucht selbst fortwährend Kornzufuhr. Ausserdem verbreiten die Russen jetzt direkt falsche Nachrichten über Truppenverschiebungen nach Westen. Mit Deinen Angaben über Deine Korrespondenz mit Franzosen wegen Elsass-Lfothringen] stimmt absolut nicht eine Notiz im Sonnta.gs-Vorwärts.2 Scheint gemacht zu sein, ohne Dich zu konsultieren. Mit dem Figaro tust Du indes am besten, auf Deiner Hut zu sein, es ist ein grundgemeines Rlatt. Sehr amüsiert hat uns Deine Unterhaltung mit Koller. Der Mann ist der echte Preuss. Schon Herkner3 hatte die Leute mit der Nase darauf gestossen, wie borniert es sei, die französierten und rabiat französischen Notabein zu kajolieren, und die Arbeiter, die nicht einmal Französisch verstehen und nach Sprache und Charakter noch vollständige Deutsche sind, abzustossen und den Franzosenfreunden in die Arme zu treiben. Da war die schönste Gelegenheit, mit kolossalem Erfolg Demagogie von oben zu treiben. Mit Oktroyierung nur der deutschen Fabrikgesetze, Koalitionsgesetze etc. und mit tolerantem Verfahren gegen die Arbeiter konnte man sie in zehn Jahren Nr. 25, 30. Januar: „Über den Rückkauf EIsass-Lothringens durch Frankreich . . ." Bebel solle auf den Vorschlag eines französischen Journalisten Waldteufel geantwortet haben: „Die deutsche Sozialdemokratie würde jedem Arrangement zwischen Frankreich und Deutschland über Elsass-Lothringen zustimmen-, sie besitze aber noch nicht die nötige Macht, um solches herbeizuführen. Er müsse daher den Vorschlag als undurchführbar ablehnen." An dieser Antwort sei kein Wort wahr. Bebel sei ein solcher Vorschlag von einem Franzosen zugesandt worden; er habe ihn in eine „Mappe der Verrückten" gelegt. 3 Der Nationalökonom Heinrich Herkner hatte 1885-87 in Strassburg als Schüler Brentanos und Knapps das Elsass kennengelernt und die dortigen sozialen Verhältnisse in seinem Werk Die oberelsässische Baumwollindustrie und ihre Arbeiter (Strassburg, 1887), einer eingehenden Kritik unterzogen. S. auch Bebels Besprechung des Buches in der Neuen Zeit, V. Jahrg. (1887) S. 337ff., 385ff. Herkner war 1887 von Kautsky bei Engels in London eingeführt worden, 2
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haben und hatte dann mit den Protestanten, den Wein- und Tabakbauern mehr als ein Gegengewicht gegen die französierten Bourgeois, Spiesser und Adligen. Aber wie ging das an für dieselben Leute, die in Deutschland das Soz[ialisten]-Gesetz einführten und die Arbeiter in jeder Weise bekämpften? Du siehst, die deutschen Bourgeois kommen immer zu spät, und selbst die preuss[ische] Regierung, die jenen gegenüber doch noch soviel Bewegungsfreiheit hat, durfte diese Art bonapartistischer Politik nicht riskieren. Und, wie Du sagst, es geht dem preuss[ischen] Bureaukraten, Militär und Junker gegen die Natur, irgendeine selbst nutzlose oder gar ihm selbst schadenbringende Machtposition freiwillig aufzugeben — die kleinliche Schinderpolitik, die ihr ein für alles ist, litte ja darunter! Dass G[illes] endlich mit Glanz an die Luft gesetzt, weisst Du. Es ist aber albern vom Vorwärts, bei dieser Nachricht den Namen zu unterdrücken. Man verkleinert doch nicht seine eigenen Erfolge, indem man ihnen im Bericht die Spitze abschneidet. Und der Verein und die Leute, die ihn soweit gebracht, verdienten doch auch, dass ihre Aktion für die Partei im amtlichen Parteiorgan wenigstens wahrheitsgetreu berichtet werde. Indes ich weiss, da könnt Ihr vorderhand nichts machen, aber es scheint mir fast, als ob jemand es darauf anlegte, einen Konflikt zu provozieren. Mein Rat an Julius wegen Redekürzung würde genau dieselbe Wirkung haben wie der Eurige an L[ie]bk[necht], keine indiskreten Briefe zu schreiben. Ich mische mich in Julius' Angelegenheiten sicher nicht, wenn ich nicht absolut muss. Bei der absichtlichen Isolierung der beiden Leute von uns allen bleibt mir nichts anderes übrig. Die Tante4 verlangt Besuch gegen Besuch, formelle Spiesseretiquette, und derlei ist unter uns kommunistischen bohémiens erstens absolut nicht Mode und zweitens absolut unmöglich. Dieser Spiesserfuss, was man hier social treadmill heisst, die soziale Tretmühle, ist nur für Leute zulässig, die an Zeitüberfluss leiden, und wer arbeiten will, kann sich nicht auf derlei einlassen und tut es auch nicht. Ich habe es selbst unter den Bourgeois in Manchester nicht mitgemacht und kann es auch jetzt erst recht nicht. Wer was beim anderen zu suchen hat, der geht hin, und damit basta. Dass dem aber so ist, das ist die Grundsuppe alles Kummers in Hugo Road.5 Dass Geiser wieder am V[or]w[ärts], hatte ich vermutet an der unübertrefflichen, nur ihm zuzuschreibenden öden Langweiligkeit und Inhaltsleere gewisser Artikel. Sonst ist der V[or]w[ärts] während
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Mottelers Frau. Wo Mottelers wohnten.
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der Dresdener Landtagssession 6 manchmal merklich besser. Ja, die „ L a g e der arbeitenden] Klasse"! Der gute Dietz lässt mich nun schon zum xten Mal anzapfen und bekommt immer dieselbe Antwort, die ich ihm schon selbst geschrieben: sobald der III. Band „Kapital" fertig ist, mit Vergnügen, bis dahin kann ich absolut nichts übernehmen. Dein Vorschlag, ihn zu beauftragen, mit Wigand zu verhandeln, hat allerhand Haken, ich habe bisher stets gefunden, dass bei solchen Sachen nutzlose und oft nicht wiedergutzumachende Fehler gemacht wurden. Vor allen Dingen muss ich doch wissen, was meine rechtliche Stellung gegenüber Wigand ist. Ich gebe Dir auf inliegendem] Zettel den Sachverhalt, kannst D u mir wie früher einmal ein juristisches Gutachten darüber verschaffen, so können wir weiter verhandeln. Dein früheres Gutachten 7 klärte mich vollständig darüber auf, dass ich kraft der sauberen, Verleger schützenden und Verfasser opfernden, sächsischen Gesetzgebung noch sehr in Wigands Händen stecke; aber nicht über den, damals nicht, aber jetzt gestellten Fall, wenn Wigand die Neuauflage zu den alten Bedingungen ablehnt. Bin ich dann ebenfalls noch in seinen Krallen, dann müssen wir allerdings sehen, was geschehen kann. Den Buchdruckern geschieht, was sie sich selbst eingebrockt haben. Wenn sie jetzt in die Partei getrieben werden, ist's schon gut. Vor Freude beinahe auf den Tisch gesprungen bin ich gestern beim Lesen des Koipsbefehls von Prinz Georg von Sachsen. 8 Das wird da oben eine Wut erregen! Dass so etwas in die gottlose sfozial-] demokratische] Presse kommt — haben die Kerle wirklich schon solche Verbindungen in „Meinem herrlichen Kriegsheer"? Die Daily News bringt heute schon ein spaltenlanges Telegramm darüber — es wird in aller Welt einen Heidenlärm setzen. Und mit solcher Behandlung glaubt man, die Soldaten dahin zu bringen, dass sie „alles über den Haufen schiessen", besonders Eltern, Brüder usw.? Sont-ils bêtes, ces Prussiens! Dass Louise eine sehr gute Hausfrau ist, bin ich bereit, trotz etwaiger gegenteiliger Behauptungen envers et contre tous zu verD.h. in Liebknechts Abwesenheit. S. Briefe Nr. 73, 189. 8 Der Vorwärts brachte in Nr. 26, 31. Januar unter dem Titel „Zu den bevorstehenden Reichstags-Verhandlungen über den Militär-Etat" einen von Georg Herzog zu Sachsen gezeichneten und „General-Kommando, Dresden, 8. Juni 1891" datierten langen Befehl, in dem viele Fälle sich häufender Soldatenmisshandlungen besprochen wurden; es war darin von „fortgesetzten Misshandlungen und gewohnheitsmässigen Quälereien" die Rede. „Es will zuweilen scheinen, als ob seitens der Vorgesetzten von Haus aus für den Angeklagten und gegen den, welcher misshandelt worden zu sein vorgibt, Partei genommen werde."
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treten, und auch, dass sie eine ausgezeichnete Köchin ist. Ich bin aber nicht ganz sicher, ob diese Hausfräulichkeit nicht mit darauf beruht, dass wir zwei nicht verheiratet sind, und sollte dies sich bestätigen, so wäre dies ein Glück für mich von wegen des Umstandes, dass bei unserem Altersunterschied Eheliches und Aussereheliches gleichmässig ausgeschlossen ist und daher nichts übrigbleibt als eben die Hausfräulichkeit. Herzliche Grüsse an Deine Frau und Dich von Louise und Deinem F. E. Postscriptum. Louise ist entrüstet darüber, dass Du die Briefe, die sie Dir schreibt, an mich sechs Seiten lang beantwortet. Ich sagte, das solle sie Dir selbst schreiben, aber sie antwortet, dazu sei sie viel zu entrüstet. Das Inliegende9 ist des Gilles letztes Meisterstück, hier im Verein wird es absichtlich zu Hunderten verbreitet, als worin er sich selbst den Hals bricht. 9
Die Beilage ist nicht vorhanden.
1 8 9 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 12. Februar 1892.
Original. Lieber Generali
In erster Linie möchte ich Dir auf Deine Anfragen wegen der „Lage" antworten. Hier liegen nun die Verhältnisse also: Das Gesetz über das Urheberrecht an Schriftwerken etc. vom 11. Juni 1870 ist heute für ganz Deutschland die einzige gesetzliche Basis. Alle früheren gesetzlichen Bestimmungen sind mit diesem Gesetz aufgehoben worden, und sind alle aus früherer Zeit resultierenden Verträge und Abmachungen nach diesem Gesetz zu beurteilen. Danach unterliegt es nun keinem Zweifel, dass Dein Vertrag mit O. Wigand gegenwärtig noch gilt, und dass O. W[igand], wenn Du eine neue Auflage herausgeben willst, verlangen kann, dass Du sie bei ihm erscheinen lässt, und zwar unter den in Deinem Vertrag vom Jahre 1845 stipulierten Bedingungen. Diese sind ja bei dem Lumpenhonorar, das festgesetzt ist, sehr günstig für ihn, und da er sich wohl sagt, dass eine Neuauflage einen guten Erfolg haben wird, so sitzest Du in der Klemme. Die einzige Möglichkeit, daraus zu kommen, ist — unter der Voraussetzung, dass Du mit O. W[igand] nichts zu tun haben willst —, dass 503
treten, und auch, dass sie eine ausgezeichnete Köchin ist. Ich bin aber nicht ganz sicher, ob diese Hausfräulichkeit nicht mit darauf beruht, dass wir zwei nicht verheiratet sind, und sollte dies sich bestätigen, so wäre dies ein Glück für mich von wegen des Umstandes, dass bei unserem Altersunterschied Eheliches und Aussereheliches gleichmässig ausgeschlossen ist und daher nichts übrigbleibt als eben die Hausfräulichkeit. Herzliche Grüsse an Deine Frau und Dich von Louise und Deinem F. E. Postscriptum. Louise ist entrüstet darüber, dass Du die Briefe, die sie Dir schreibt, an mich sechs Seiten lang beantwortet. Ich sagte, das solle sie Dir selbst schreiben, aber sie antwortet, dazu sei sie viel zu entrüstet. Das Inliegende9 ist des Gilles letztes Meisterstück, hier im Verein wird es absichtlich zu Hunderten verbreitet, als worin er sich selbst den Hals bricht. 9
Die Beilage ist nicht vorhanden.
1 8 9 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 12. Februar 1892.
Original. Lieber Generali
In erster Linie möchte ich Dir auf Deine Anfragen wegen der „Lage" antworten. Hier liegen nun die Verhältnisse also: Das Gesetz über das Urheberrecht an Schriftwerken etc. vom 11. Juni 1870 ist heute für ganz Deutschland die einzige gesetzliche Basis. Alle früheren gesetzlichen Bestimmungen sind mit diesem Gesetz aufgehoben worden, und sind alle aus früherer Zeit resultierenden Verträge und Abmachungen nach diesem Gesetz zu beurteilen. Danach unterliegt es nun keinem Zweifel, dass Dein Vertrag mit O. Wigand gegenwärtig noch gilt, und dass O. W[igand], wenn Du eine neue Auflage herausgeben willst, verlangen kann, dass Du sie bei ihm erscheinen lässt, und zwar unter den in Deinem Vertrag vom Jahre 1845 stipulierten Bedingungen. Diese sind ja bei dem Lumpenhonorar, das festgesetzt ist, sehr günstig für ihn, und da er sich wohl sagt, dass eine Neuauflage einen guten Erfolg haben wird, so sitzest Du in der Klemme. Die einzige Möglichkeit, daraus zu kommen, ist — unter der Voraussetzung, dass Du mit O. W[igand] nichts zu tun haben willst —, dass 503
eine Verständigung mit ihm gesucht wird, damit er auf das Verlagsrecht verzichtet. Würdest Du z.B. Dietz beauftragen, mitO. W[igand] bzw. dem jetzigen Firmeninhaber zu verhandeln über Abtretung des Verlagsrechtes, so bin ich überzeugt, dass niemand bessere Bedingungen erzielte wie Dietz. Du kannst dabei vollständig aus dem Spiele bleiben, Dietz braucht bloss erklären zu können, dass es Dir genehm wäre, wenn O. W[igand] das Verlagsrecht an ihn abtrete. Nun entscheide, die Sache liegt verdammt einfach. 0 . W[igand] wird wahrscheinlich nicht so ganz leicht auf sein Recht verzichten; denn so viel Witterung hat er auch, dass gerade jetzt mit dieser Literatur etwas zu machen ist; das beweist die Neuherausgabe von Stirners „Der Einzige und sein Eigentum" und der Werke von L. Feuerbach, 1 die er beide im Verlag hat. Der Verleger wäre sicher auch schon an Dich herangekommen, wenn er nicht aus irgendwelchen Gründen auf Dein Herankommen wartete. Du hättest allerdings die Möglichkeit, die Verlagsbedingungen günstiger zu gestalten, als der Vertrag lautet. Der Erlass des sächsischen Prinzen 2 hat kolossalen Eindruck gemacht und hat auf einmal die ganze Sachlage bez. der Militärstrafprozessordnung geändert. Nächste Woche beginnt die Debatte über den Militäretat, und da wird die Frage sofort auf die Tagesordnung gesetzt. Das Aktenstück kam mir vor zwei Monaten zu. Es waren alle Vorbereitungen zum Abdruck getroffen, als L[ie]b[knecht] Späne machte. Er entdeckte plötzlich als „Philologe", dass das Schriftstück unmöglich echt sein könne, da es allerlei Sprachschnitzer enthalte. Wir wurden über diese Einwendungen so ärgerlich, dass wir erklärten, falls er es jetzt nicht sofort drucken lasse, wandere es nach Hamburg. Nun entdeckte er plötzlich seine zweifellose Echtheit und ging an die Veröffentlichung. Jetzt ist er natürlich sehr stolz auf seine Tat. Dass uns das Aktenstück in die Hände fiel, beunruhigt an gewissen Stellen sehr. Wovor ist man denn da noch sicher, wenn selbst in der Armee das Geheimnis nicht mehr bewahrt werden kann! Und man hat allerdings Ursache, sich zu beunruhigen; denn es gibt keine Staatsverwaltung mehr, in der nicht Anhänger von uns sässen, und das wird mit jedem Jahre schlimmer. In der Briefangelegenheit mit den Franzosen hat den ersten Bock Auer 3 geschossen, dem alles Internationale zuwider ist und der sich 1 Stimers Werk erschien Leipzig 1893 (Reclams Universal-Bibliothek, Nr. 305760); eine neue Ausgabe von Feuerbachs Heidelberger Vorlesungen über das Wesen der Religion (Leipzig, O. Wigand, 1892). 2 S. Brief Nr. 188, Anm. 8. 3 S. Brief Nr. 188, Anm. 2.
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nicht darum schert, was für einen Eindruck solch dumme Notizen im Ausland machen. Wie ich hörte, hat die französische] Presse sich über diese Antwort des Vorw[ärts] bös mokiert, und ich bekam eine direkte Aufforderung, den V[orwärts] zu desavouieren. Das ging ja nun nicht, und nun kam zum Überfluss auch noch L[ie]b[knecht], der sich plötzlich in Dresden erinnerte, dass er Redakteur des V[oricärts] sei, und machte eine zweite Dummheit.4 Meine Briefe waren sehr reserviert und bezüglich der direkten Aufforderungen ablehnend. Die Natur des Figaro war mir sehr wohl bekannt, und sein Redakteur war klug genug, den Brief nicht zu veröffentlichen. Gilles'sche Machwerke braucht Ihr uns nicht zu schicken. Der Kerl sorgt schon selbst dafür, dass wir in reichlichen Besitz derselben gelangen; er muss viel Geld haben; denn er überschwemmt die Leute mit dem Zeug. Eindruck macht er nicht; das sollte er doch endlich auch merken. Haben doch nicht einmal unsere „Unabhängigen" davon Notiz genommen. Die letzteren fühlen sich sehr unbehaglich, sie entdecken, dass ihre Bedeutung Null ist; und so war es ganz natürlich, dass ein Teil von ihnen ins anarchistische Fahrwasser geriet;5 ebenso natürlich war aber auch, dass die Polizei alles erfuhr, weil sie ihre Drahtzieher unter ihnen hat. Der Artikel der Kreuz-Z[eitung], den neulich der Vorw[ärts] brachte,® enthielt viel Richtiges, vor allen Dingen wurde auch die Taktik der Polizei ungeschickt genug darin ausgeplaudert. Es tut mir sehr leid, dass Louise so schrecklich über mich entrüstet ist. Sie ist ja eine — (der Strich soll „sehr" bedeuten, aber das riskierte ich nicht zu schreiben; ich möchte sie nicht gern eitel machen) hübsche und liebenswürdige Frau, und diesen gegenüber bin ich immer gern galant; aber es geht manchmal beim besten Willen nicht, und so muss ich sie noch ein paar Tage auf die gewünschte und erhoffte Antwort vertrösten. Ich werde mir ihre Absolution, die ich bei meiner bekannten Unwiderstehlichkeit als selbstverständlich voraussetze, zu In Nr. 33, 9. Februar. Eugen Richter habe eine Anfrage des Figaro erhalten wie ein Dutzend andere Abgeordnete. Herr Waldteufel habe sich auch an Bebel gewandt. „Von diesem will Waldteufel auch eine Antwort erhalten haben. Wir stellten das seinerzeit in Abrede, und hatten damals auch recht. Inzwischen hat Bebel aber aus Höflichkeit doch ein paar rein formelle Zeilen an Herrn Waldteufel geschrieben, so dass derselbe also, ohne unwahr zu sein, sagen kann, Bebel habe ihm geantwortet.. ." 5 Allgemein bezeichneten sie sich als Unabhängige Sozialisten und erst später als Anarcho-Sozialisten. 6 In Nr. 30, 5. Februar wurde über den Artikel der Kreuz-Zeitung „Zu den jüngsten Verhaftungen von Sozialdemokraten in Berlin" berichtet; darin wurden Erwägungen der Behörden „beim Eingreifen und Gewährenlassen der anarchistischen Propaganda" wiedergegeben. 4
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Ostern persönlich holen; denn, um das gleich zu sagen, es ist mein Plan, Euch zu Ostern zu besuchen, vorausgesetzt, dass es Dir passt und Du um diese Zeit Dein Haus nicht mit anderen Besuchern besetzt hast. Ich denke, wir werden gegen Ostern schliessen, und da würde ich dann diese Gelegenheit sofort benutzen und könnte, wenn sonst kein Hindernis dazwischenkommt, in den ersten Tagen der Woche vor Ostern, etwa um den 10. oder 11. April nach London kommen. Also bitte, äussere Dich gelegentlich, ob Dir dieser Zeitpunkt passt. Es ist möglich, dass auch Paul mitkommt, wenigstens sprach er vor einiger Zeit davon. Herzlichen Gruss an Dich und unsere entrüstete Louise. Dein
A. B.
L[ouise] droht in ihrem neuesten Briefe, mir die Hummermayonnaise zu entziehen, wenn ich nicht artiger würde. Die Drohung hat so tiefen Eindruck auf mein Gemüt gemacht, dass ich die letzte Nacht träumte, sie sei, als ich bei Euch in L[ondon] am Tische sass, verwirklicht worden, was mir schreckliche Qualen verursachte. Ich werde also rasch artig werden. Unter uns gesagt, General, L[ouise] ist wirklich und wahrhaftig eine Hexe. Wir hatten gestern, wie Du mittlerweile aus dem Vorw[ärts] ersehen haben wirst, eine reguläre Sozialistengesetzdebatte.7 Es rumort in den oberen Kreisen, der Kaiser soll sich kürzlich ganz wütend über uns ausgesprochen haben; habe mit dem grossen Belagerungszustand, mit Erschiessen und dergleichen gedroht. Der Stummsche Vorstoss sollte Material liefern, ist aber kläglich missglückt.8 Bericht werde ich Euch senden, sobald er fertig ist. In der Sitzung am 11. Februar bei der Debatte über die Anträge der Abg. Rintelen (Ztr.) und Träger (Freis.) auf Änderung der Strafprozessordnung in bezug auf die Wiederaufnahme des Verfahrens sowie die Entschädigung für unschuldig erlittene Strafen. Für die Sozialdemokratie sprachen die Abg. Frohme und Stadthagen. 8 Bei der Beratung des Eisenbahn-Etats in der Reichstagssitzung am 12. Februar verliess Frhr. von Stumm-Halberg das Thema und hielt unvermittelt eine ausserordentlich scharfe Rede gegen die Sozialdemokratie: sie verteidige den Meineid, propagiere freie Liebe und Sturz der Monarchie, verhöhne jede sittliche Ordnung, mache die Menschen zu Bestien u. dgl. Bebel antwortete, sich auf Zitate Bismarcks und Wilhelm II. stützend, in längerer Rede und charakterisierte Stumms Ausführungen als Vorbereitung eines neuen Sozialistengesetzes; sie sollten eine Stimmung schaffen, wie sie im Herbst 1878 gegen die Sozialisten bestand. Dabei erinnerte er an Stumms Beziehungen zu Wilhelm II. Vorwärts Nr. 37, 13. Februar. Über Stumms Haltung gegenüber der Sozialdemokratie in dieser Zeit, in der sein Einfluss auf den Kaiser schnell zunahm, s. F. Hellwig, Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg 1836-1901 (Heidelberg-Saarbrücken, 1936), S. 492ff. 7
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1 9 0 . J U L I E BEBEL A N ENGELS
Original.
Berlin, den 13. Februar 1892. Lieber Herr Engels!
Dass Sie bei Ihren vielen Arbeiten auch noch Zeit fanden, meiner in so freundlichen Worten zu gedenken, nehme ich mir als besonderes Wohlwollen Ihrerseits an, und mache ich mir heute das Vergnügen, mich Ihnen in gleichen Empfindungen zu äussern. Dass Sie so vergnügt ins neue Jahr übersprangen, ist ein erfreuliches Zeichen Ihrer Körper- und Geistesfrische. Wenn es Ihnen mein Mann nachmacht, so soll mich das seinetwegen, hauptsächlich aber im Interesse der Partei herzlich freuen. Von dieser Fröhlichkeit hat er in seinen jungen Jahren nichts besessen, sondern sich ganz dem Ernste der Situation hingegeben. Um so mehr freue ich mich, dass er sich jetzt, wo der Erfolg in so günstiger Weise fortschreitet, auch ein wenig den sogenannten Genüssen des Lebens widmet. Das muss auch sein, um nicht einseitig zu werden und sich Herz und Gemüt frisch zu erhalten. Ich glaube, das ist in England schwer zu haben. Obgleich es mir in seiner geistigen Freiheit sowie seines häuslichen und gesellschaftlichen Lebens wegen sehr imponiert, um so weniger imponieren mir seine Plumpuddings und seine Kamine. Die letzteren halte ich im Gegenteil für eine recht rückständige Einrichtung. Mittlerweile haben sich, wie ich mit Vergnügen höre, die Gesundheitszustände in Ihrer Umgebung glücklich gelöst, und Sie arbeiten mit Ihrem treuen Assistenten in erneuter Kraft weiter an der grossen Lebensaufgabe. Was Sie schreiben in bezug auf die Fähigkeit der Frauen, Schmerz und Leid leichter zu ertragen als das sogenannte stärkere Geschlecht, da stimme ich Ihnen vollkommen bei. Sie haben auch recht mit dem, was Sie über meinen Mann sagen. Wenn sich nun gar Ihre Prophezeiung erfüllen sollte, dass er mit jedem Jahrzehnt kräftiger wird, so könnte sich sein Wunsch, hundert Jahre alt zu werden, verwirklichen. Ich wünsche ihm das, damit er die Früchte des Gesäten noch reifen sieht. Früher war ich oft sehr unzufrieden, dass ich so gar nichts für meine geistige Ausbildung tun konnte; aber mich hat doch das Bewusstsein glücklich gemacht, für meinen Mann die häusliche Behaglichkeit schaffen zu können, die ihm zu seiner geistigen Entfaltung und Arbeit so nötig war. Aber dadurch, dass ich seine Parteigeschäfte fortführen musste, soweit ich es konnte, wenn er so oft vom Hause weg war, bin ich in den Geist der Bewegung eingedrungen und heute mit ganzer Seele dabei, und so muss ich mich mit dem begnügen, was ich daraus gelernt habe.
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Ich hatte den kühnen Gedanken, in ein paar Monaten Englisch lernen zu wollen, damit ich mit zu Ihnen reisen könnte, was ich gar zu gern getan hätte; aber meine Tochter hatte Mitleid mit meinem Hirn und schrieb, dass das ganz unmöglich sei, ich sollte doch lieber ihren Herzenswunsch erfüllen und zu ihnen kommen. Also — „was tun?". Da ich nun hörte, dass Sie uns das grosse Vergnügen bereiten wollen, nach Deutschland und damit auch zu uns zu kommen, so kann ich ja meine Reise nach London bis zum nächsten Male aufschieben, und inzwischen lerne ich fleissig oder auch nicht und bleibe dann so lange bei Ihnen, bis ich es wie ein Kind erlerne, ohne Grammatik; das ist besser, weniger anstrengend. Ich löse denn auch alle Versprechen ein mit grossem Vergnügen, wenn Sie zu uns kommen. Doch August sagt, dass ich nur ein Blatt zur Verfügung hätte, deshalb die kleine Schrift. Nun, herzlichen Dank für Ihren lieben Brief und herzlichen Gruss Ihnen und Frau Louise von Ihrer J U L I E B E B E L .
191. ENGELS AN
Original.
BEBEL
London, den 19. Februar 1892. Lieber August!
Vor allen Dingen herzlichen Glückwunsch zu Deinem Geburtstag und many happy returns of the day, wie man hier sagt, desgleichen zu Deinem fünfundzwanzigjährigen Parlamentsjubiläum resp. silbernen Hochzeit mit dem Parlamentarismus, die ja auch dieser Tage sich ereignen soll. Nun, Du hast den Kerlen gerade in diesen Tagen gezeigt, was sie an Dir haben, und wir hier haben viel Freude daran erlebt.1 Die Dinge spitzen sich in der Tat in Deutschland zu. Es muss weit gekommen sein, wenn sich bei den Nationalliberalen wiederholt oppositionelle Gelüste zeigen und Richter von einer deutschen „grossen liberalen Partei" träumen kann.2 Die kapitalistische Gesellschaft, S. den folgenden Brief. Nachdem Bennigsen in der Reichstagssitzimg am 22. Januar bei der Beratung des Handelsvertrages mit der Schweiz über die Weiterentwicklung der liberalen Parteien gesprochen hatte und davon, dass vielleicht Zeiten kommen könnten, wo sich jetzt bekämpfende Parteien wieder zusammengehen könnten, ging Richter in der Sitzung am 23. Januar darauf ein: „Ich gehe noch weiter als Herr von Bennigsen: Das Bürgertum hat in Deutschland lange nicht den Einfluss, der ihm gebührt; wenn Herr von Bennigsen in seinen Kreisen darauf hinwirken will, diesen Einfluss zu verstärken, so werden wir ihm dafür sehr dankbar sein". Der Vorwärts sprach darauf in Nr. 20, 24. Januar von Richters Gedanken an eine „grosse liberale Partei". 1 2
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die sich den Staat noch nicht formell unterworfen hat, die die wirkliche Regierung einer monarchisch-bureaukratisch-junkerlichen erblichen Kaste überlassen und sich damit begnügen muss, dass im ganzen und grossen doch ihre eigenen Interessen schliesslich entscheiden, diese Gesellschaft, wie sie in Deutschland situiert ist, wackelt zwischen zwei Strömungen; einerseits der Allianz aller offiziellen und besitzenden Gesellschaftsschichten gegenüber dem Proletariat: diese Strömung führt schliesslich zur „einen reaktionären Masse" und behält, bei ruhiger Entwicklung, schliesslich die Oberhand. Andererseits besteht eine Strömung, die den alten, aus Feigheit unausgekämpften Konflikt immer wieder auf die Tagesordnung setzt, den Konflikt zwischen der Monarchie mit ihren absolutistischen Reminiszenzen, dem Grundadel und der Bureaukratie, die sich über alle Parteien erhaben dünkt; und, ihnen allen gegenüber, der industriellen Bourgeoisie, die täglich und stündlich in ihren materiellen Interessen durch diese überlebten Elemente geschädigt wird. Welche von diesen beiden Strömungen momentan die Oberhand behält, wird durch persönliche, lokale etc. Zufälligkeiten bestimmt. In diesem Augenblick scheint die zweite in Deutschland zur Herrschaft kommen zu wollen, wobei dann natürlich die Industriekönige ä la Stumm und die Aktionäre der industriellen] Gesellschaften grossenteils auf Seiten der abgelebten Reaktion stehen.3 Sehr ernsthaft kann ja dieser nun zum xten Mal wieder aufgewärmte Abklatsch des alten Konflikts von 1848 nur dann werden, wenn die Regierung und der Grundadel, auf ihre bisherigen Erfolge pochend, ganz tolle Dinge machen. Das halte ich aber nicht für unmöglich, da die kuriosen persönlichen Gelüste da oben Unterstützung finden in der steigenden Überzeugung der Junker, dass die Industrie die Rohstoff- und Lebensmittelzölle auf die Dauer nicht tragen kann. Wie weit dieser Konflikt getrieben wird, hängt, wie gesagt, von persönlichen Zufälligkeiten ab. Charakteristisch dabei ist, dass nach der alten Praxis gehandelt wird: man schlägt den Sack und meint den Esel (oder vielmehr alle beide). Man schlägt auf die Sozialdemokratie, trifft aber nebenbei die Bourgeoisie tüchtig mit, zunächst politisch, in ihren seit sechzig Jahren 3
Die „Ära Stumm" wird gewöhnlich datiert vom Regierungsantritt des Reichskanzlers Hohenlohe im Herbst 1894 und als ihr wesentliches Merkmal der Rückschritt in der Sozialpolitik nach dem Abgang des preussischen Handelsministers Frhr. von Berlepsch bezeichnet. Stumms Bedeutung aber ging weit darüber hinaus. Lange vor dieser Zeit hatte er Wilhelm II. für eine auf die Unterdrückung der Sozialdemokratie gerichtete Politik gewonnen, deren Hauptbefürworter er war. S. etwa Kardorff an Bismarck 19. Juli 1893, S. von Kardorff, Wilhelm von Kardorff. Ein nationaler Parlamentarier im Zeitalter Bismarcks und Wilhelm II. 1828-1907 (Berlin, 1936), S. 285; F. Hellwig, a.a.O., Kap. XII, XIII S. 377ff.
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prunkend zur Schau getragenen liberalen Prinzipien und in dem bisschen Anteil, das sie direkt an der Staatsmacht besitzt, dann aber später, wenn's gut geht, auch ökonomisch und opfert ihre Interessen denen des Grundbesitzes. Eine starke Schwenkung nach rechts scheint also im Zug, und zum Vorwand nimmt sie die Notwendigkeit, unseren Aufschwung zu brechen. Was kann sie uns anhaben? 1) Sozialistengesetz? Haben wir überwunden und würden es jetzt, wo wir moralisch hundert Prozent und materiell mindestens fünfzig Prozent stärker als 1. Okt. 1890, spielend überwinden. Wird auch so leicht keine Majorität finden. 2) Reaktionäre Verbesserung des Strafrechts gegen Presse, Vereine und Versammlungen? Kann das Zentrum nicht zugeben und ist ohne das Zentrum nicht zu machen. Dreiundneunzig Konservative] beider Fraktionen und zweiundvierzig Nat[ional]-Lib[erale] brauchen Sechsundsechzig Zentrumsmänner zur Majorität. Kämen die, dann wäre das Zentrum aufgelöst, und das wäre auch was wert. Das und die kolossale Wut, die solche Rückschrittsmassregeln im Volk hervorriefen, würde uns vollauf für den angetanen Zwang entschädigen. 3) Wahlrechts- und Geheimabstimmungs-Beschränkung? Kann das Zentrum absolut nicht mitmachen; so dumm sind die Pfaffen nicht, sich selbst die Gurgel abzuschneiden. Und ohne Zentrum fehlen wieder sechzig bis siebzig Stimmen. 4) Staatsstreichelei? Scheitert an den Fürsten. Jede Verfassungsverletzung bedroht das Reich mit Auflösung, entbindet die Einzelfürsten aller Pflichten gegen das Reich. Ja, hätte man sie alle gewonnen für so etwas (was nie geschieht), so müssten noch ihre Thronfolger — meist unmündig! — zustimmen, wenn der Bestand des Reiches gesichert bleiben soll. Also ausgeschlossen. 5) Bleibt das einzige Wahrscheinliche: schärfere Verwaltungs-, Polizei- und Gerichtspraxis, wie sie sich in dem unerhörten PeusUrteil ankündigt.4 Das halten wir auch schon aus und lernen uns bald darauf einrichten. Möglicherweise kann man das noch durch den ordinären Belagerungszustand verschönern, aber der ist nur für die ersten Wochen gefährlich, nachher schläft er von selbst ein und kann doch nur für einzelne Reichsteile erklärt werden; zudem wird die Bourgeoisie den auch satt und kann dadurch noch mehr in die Opposition getrieben werden.5 Der Sozialdemokrat W. Peus war am 15. Februar wegen Majestätsbeleidigung zu zwei Jahren zwei Monaten Gefängnis und fünf Jahren Ehrverlust verurteilt worden. 5 Alle von Engels erwähnten Möglichkeiten spielten eine Rolle bei den seit Bismarcks Zeit bis Ende der 90er Jahre durchgehend erörterten Plänen, das Reichs4
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Also wenn die Herren Preussen nicht noch ganz andere neue geniale Erfindungen machen, sozusagen intellektuelle und moralische Mitrailleusen und Maximgeschütze, dann werden sie uns schikanieren können, aber uns stets mehr nützen als schaden. Ein bisschen unverfälschte Junkerherrschaft könnte gar nicht schaden. Aber ich fürchte nur, die Leute sind nicht stramm genug dafür; Gelüste genug, aber keine hinreichende Kraft; der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Das ist ja das Pech, dass bei uns beide Seiten, Junker wie Bourgeois, so elend schlapp sind. Deine Rede gegen Stumm 8 von Freitag, 12. Februar h a b e ich gestern abend mit wahrem Entzücken gelesen, diese Improvisation war famos, und man sieht, wie sie einschlug. Auf die heute angekommene Militärrede freue ich mich ebenfalls enorm. 7 Sehr erfreut hat uns Deine Anzeige, dass Du gegen 10. oder 11. April hier sein wirst — es ist alles in Ordnung für Dich, und wenn Schorlemmer kommen sollte, so können wir den auch unterbringen, das ist besorgt. Die Hummermayonnaise wird Dir nach Deinem heutigen Brief an Louise wohl auch wieder gesichert sein, ich hatte sonst schon ein kleines Plänchen ausgearbeitet für den Fall; das wird aber wohl nicht nötig sein. Auch für die Austern übernehme ich die Verantwortlichkeit und dito für die Auswahl der Getränke dazu. Glücklicherweise schwärmt Louise nicht weniger für diese beiden Genüsse als D u und ich, und auf dieser Basis ist immer eine Verständigung möglich. Dass sie eine Hexe ist, das weiss sie selbst und ist nicht wenig stolz darauf; denn sie sagt, in Wien seien alle Hexen liebenswürdig. Und unter uns gesagt, glaub ich, D u und ich würden uns nicht so gut mit ihr vertragen, wenn sie keine Hexe wäre. Was nun aber den Otto Wigand angeht, so kann ich nur wiederholen, dass bis zur Erledigung des III. Bandes „Kapital" ich mich auf nichts einlassen kann, das mir Arbeit kostet. Die mir täglich aus aller Herren Länder zuströmenden Briefe und sonstigen laufenden Geschäfte halten mich ohnehin genug auf; also lasst mich doch endlich mal diesen Alp von der Brust abwälzen, damit ich wieder Bewegungstagswahlrecht zu beseitigen. Eine Übersicht bei E . Zechlin, Staatsstreichpläne Bismarcks und Wilhelm II. 1890-1894 (Stuttgart-Berlin, 1929). Dazu jetzt W. Pols, Sozialistenfrage und Reoolutionsfurcht in ihrem Zusammenhang mit den angeblichen Staatsstreichplänen Bismarcks, (Lübeck-Hamburg, 1960); J. Ziekursch, Politische Geschichte des neuen deutschen Kaiserreiches, Bd. III (Frankfurt a.M., 1930), S. 78ff.; F. Hellwig, a.a.O., S. 507ff. « S. Brief Nr. 189, Anm. 8. 7 Bei der Besprechung des Kapitels „Militär-Justizverwaltung" des Militäretats in der Reichstagssitzung am 15. Februar antwortete Bebel dem Reichskanzler von Caprivi. Ausführlicher Bericht im Vorwärts Nr. 39, 16. Februar.
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freiheit kriege. Und ich bin gerade an einem Abschnitt, wo ich ein paar Monate ganz ungestört frei haben muss, um damit fertig zu werden. Wenn Dietz sich persönlich mit Wigand über die Sache besprechen will, ohne mich irgendwie zu binden, so mag er das tun, wenn er glaubt, ein Resultat zu erzielen. Er kann sagen, er habe Grund, anzunehmen, dass ich glaube, er, Dietz, habe bessere Vertriebsmittel für eine Neuauflage als Wigand, und sei geneigt, ihm, Dietz, den Verlag zu überlassen, falls er sich mit W[igand] einige. Nur kann ich 1) nicht durch Dietz' Auslassungen gegenüber Wigand mich im voraus gebunden erklären und 2) nicht ihn als meinen Vertreter zu W[igand] schicken. Offiziös, aber nicht offiziell! Er soll ihn ausforschen, und wenn die Bedingungen ihm passen (so dass sie für mich, d.h. für Parteizwecke, ein den Umständen angemessenes Honorar übriglassen), nur zugreifen, dann werde ich ihn sicher nicht im Stich lassen. Nur möchte ich nicht zwischen zwei Stühle gesetzt werden, d.h. dass Wigand nicht will und Dietz nicht darf. Es ist ein wahres Pläsier, dass jetzt wieder Leben in die Bude kommt. Wer weiss, ob bei der regierenden Leidenschaftlichkeit nicht Euer Reichstag und die französische Kammer doch beide aufgelöst werden. Was Besseres könnte uns nicht passieren. Was ich aber nicht begreife, dass jetzt, wo im Reichstag wirklich entscheidende Schlachten geschlagen werden, Liebknecht im Dresdener Froschteich sitzt. Ich gäbe doch zehn sächsische Mandate für das Recht, jetzt im Reichstag ein Wort mitzusprechen. Wer weiss übrigens, ob man nicht auch aus Parteikreisen schüchterner Art uns beide anklagt, unzeitig aus der Schule geschwatzt und drohende Reaktionsmassregeln provoziert zu haben! Mein Artikel in der N[euen] Z[eit] hat gesessen, das beweist das hartnäckige Schweigen der Bourgeois- und Regierungspresse, die sonst ja gleich bei der Hand sind, über so was herzufallen. Er ist inzwischen italienisch, polnisch und rumänisch erschienen und hat mich in Italien in eine Polemik mit dem alten wohlwollenden Esel Bovio verwickelt.8 Frau Julie kann ich leider nicht gleich heute auf ihren liebenswürdigen Brief antworten, da ich den ganzen Morgen eine Konferenz mit Aveling wegen Vergleichung seiner Übersetzung der „Entwicklung des Sozialismus]" 9 hatte und dieser Brief, um Dich Montag zu treffen, heute Samstag abgehen muss. Ich werde aber bei nächster Gelegenheit dies nachholen, und einstweilen kann ich nur wieder8
„Frederico Engels a Giovanni Bovio", Crìtica Sociale, II. lahrg. (1892), Nr. 4, 16. Februar. 9 Socialism Utopian and Scientific (London, 1892), mit besonderer, vom 20. April 1892 datierter Einleitung von Engels.
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holen, wie leid es uns tut, dass wir sie nicht auch hier sehen werden. Nun, das kommt auch noch! Herzlfiche] Grüsse Dein
1 9 2 . B E B E L AN
Original.
F. E.
ENGELS
Berlin W., den 27. Februar 1892. Lieber General!
Für die übersandten Glückwünsche herzlichen Dank und besonderen Dank auch für den Inhalt der mir von der Fraktion überreichten Adresse, der, wie mir versichert wurde, Dein Werk gewesen sein soll.1 Wie der Tag verlief, das schreibe ich Frau Louise, die Dir das wiedererzählen mag, wenn es Dich interessiert. Von den Krawallen2 hier hast Du mittlerweile Kenntnis erhalten. Der ganze Vorgang zeigt, wie gespannt die Situation ist. Der Vorw[ärts] vermochte sich nicht gleich in die Situation zu finden, L i e b knecht] dampfte an demselben Tage abends nach Dresden, und auf der Redaktion stritt man sich, wie die Dinge aufzufassen seien. Daher setzte gestern die Fraktion auf meinen Antrag ein Komitee von fünf Personen ein, das in Permanenz bleiben und Schritte nach seinem Ermessen tun sollte. Die erste Folge war die Aufforderung an die Berliner Arbeiter, die Du heute an der Spitze des Vorwärts findest.8 Mittlerweile hat sich die Situation wesentlich geklärt. Den ersten Tag liess sich ein sehr kleiner Teil unserer eigenen Leute zu Dummheiten hinreissen; sie kamen aber rasch zu Verstand, und gestern war in der Tat nichts als der Janhagel auf den Beinen. Singer, Auer und ich begaben uns gegen Abend Unter die Linden, 1 Die Adresse liegt nicht vor. Der Vorwärts brachte in Nr. 46, 24. Februar einen Glückwunsch, da Bebel an diesem Tage im Jahre 1867 in den konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes eingetreten war. Am 22. Februar war für Bebel eine Festlichkeit veranstaltet, an der die Fraktion, Vertrauensleute der Berliner Partei, das Personal des Vorwärts und persönliche Freunde teilnahmen. 2 Nach einer Versammlung der arbeitslosen Bauhandwerker am 25. Februar kam es zu Ausschreitungen, die sich am nächsten Tage wiederholten. Der Vorwärts bezeichnete sie als Ausschreitungen des Janhagels und Lumpenproletariats. 3 „An die Arbeiter Berlins!", in Nr. 49, 27. Februar. Die Arbeiter wurden aufgefordert, den Strassentumulten fernzubleiben. Exzesse und Krawalle könnten den berechtigten Bestrebungen der Arbeiterklasse nur zum Nachteil gereichen. In dieser Nummer auch eine Übersicht über die Ereignisse.
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woselbst aber nur das gewohnte Treiben herrschte. Heute dürfte der Ulk sein Ende erreicht haben, und „Berlin ist ruhig". Soweit wir hörten, war man in den massgebenden Kreisen vernünftig genug, die Sache als das aufzufassen, was sie ist; dagegen hetzt die Kreuz-Zfeitung], die das Ganze auf anarchistische Umtriebe zurückführt und frech behauptet, es seien achttausend Autonomien4 verbreitet worden. Im allgemeinen ist keine Stimmung zur Hätz vorhanden, und so wird die ganze Sache in einigen Tagen vergessen sein. Das Bürgertum hat jetzt andere Sorgen, die Reden W[ilhem]s machen ihm den Kopf warm; 5 diese verraten starken Grössenwahn, der aber gerade dadurch, dass er so sichtbar aller Welt vor die Augen kommt, sehr an Gefahr verliert. Gestern meinte Prinz SchönaichCarolath6 zu mir: was wir denn zu diesen Reden sagten. Ich sagte: uns amüsieren sie, sie sind Wasser auf unsere Mühle; was ich von vornherein gesagt, dieser wird der Zugrunderichter, trifft immer mehr ein. Er gab mir vollkommen recht; er habe schon zu Delbrück gesagt: ihr werdet eines Tages den Kaiser Friedrich mit den Nägeln aus dem Grabe holen, wenn ihr ihn holen könntet; das habe ihm jetzt D[elbrück] 7 bestätigt. Ich hütete mich natürlich zu sagen, was dessen Regierung für uns zu bedeuten gehabt hätte. Sch[önaich-]Carolath war es auch, der tags nach meiner letzten Militärrede zu mir kam und meinte: Wir hätten einen furchtbaren Schlag da geführt, und er bedaure, dass die bürgerlichen Parteien sich diese Gelegenheit hätten entgehen lassen; aber er sähe ja ein, dass 4 Autonomie. Anarchistisch-communistisches Organ; es erschien in London vom November 1886 bis April 1893, 211 Nummern. 5 Am 24. Februar hatte er beim Diner des Brandenburgischen Provinzdallandtages u.a. gesagt: „ . . . Brandenburger, zu Grossem sind wir noch bestimmt und herrlichen Tagen führe ich Euch noch entgegen . . . Mit Schlagworten allein ist es nicht getan, und den ewigen missvergnüglichen Anspielungen über den neuen Kurs und seine Männer erwidere ich ruhig und bestimmt: „Mein Kurs ist der richtige und er wird weiter gesteuert" . . . " S. a. Anm. 7, und das scharfe Urteil Waldersees, Denkwürdigkeiten, Bd. II, S. 233f. ® Prinz Heinrich zu Schoenaich-Carolath (1852-1920), schlesischer Magnat, Reichstagsabgeordneter; er brach mit den Konservativen und Freikonservativen und erstrebte den Zusammenschluss des Liberalismus. Die Konservativen nannten ihn den „Roten Prinzen". 7 W. von Kardorff an seine Gattin 4. März 1892: Gegen die Kölnische Zeitung, Frankfurter Zeitung und [Berliner] Neueste Nachrichten seien Anklagen wegen Majestätsbeleidigung auf Grund ihrer Kommentierung der letzten Kaiserrede erhoben. „Weit schärfer als die Zeitungen haben die Preussischen Jahrbücher (Delbrück) sich geäussert. Stimmung allerseits sehr unbehaglich." S. von Kardorff, a.a.O., S. 255.
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diese in einer Stellung seien, wo sie dergleichen nicht mehr riskieren könnten. Dann erzählte er allerlei von seiner eigenen Stellung bei Hofe, die es auch ihm unmöglich machte, seine Meinung zu vertreten.8 Der Prinz gehört zu den liberalisierenden Frondeurs. Ich fasse die Situation so auf, dass wir im Augenblick nichts zu fürchten haben, solange Bourgeoisie und Regierung sich in den Haaren liegen. Die Bourgeoisie ist aus den verschiedensten Gründen geärgert, und ihren Ärger konzentriert sie jetzt auf den Schulgesetzentwurf9 und was damit zusammenhängt. Was sie beunruhigt, ist die Unsicherheit im Kurs; und dass W[ilhelm] gerade diesen Kurs für den richtigen hält und ihn weiter zu steuern verspricht, ist für uns ein unbezahlbarer Wert. Auch W[ilhelm]s Ärger richtet sich im Augenblick mehr gegen die frondierende Bourgeoisie als gegen uns. Für uns ist die Hauptsache, dass wir nicht zu sehr provozieren und nicht Dummheiten passieren, wie sie in den letzten Tagen hier anfingen. Und da ist ein Glück, das wir gutes Wetter haben, das wieder das Arbeiten im Freien ermöglicht und einigermassen die Not mildert. Der nächste Winter kann gefährlicher werden als der jetzige, wenn die Krise, wie zu erwarten ist, den Sommer über andauert und die Mittel- und unteren Schichten immer widerstandsunfähiger werden. L[ie]bk[necht] wird sein Mandat verlieren, der Antrag ist gestellt, und eine Majorität ist dafür sicher.10 Was ihm aber am unangenehmsten sein dürfte und weshalb er so häufig in Dr[esden] war, ist, man wird wahrscheinlicherweise die Rückzahlung der Diäten verlangen. Der Antrag lautet, dass mit dem 22. September 1890 sein Mandat erloschen war, mit anderen Worten, er sass bisher unberechtigt im Landtag und bezog unberechtigt Diäten. Konnte man einen solchen Ausgang ahnen, dann hätte er gleich mir sein Mandat niederlegen müssen. Du hast mein Anliegen wegen Wigand unrichtig aufgefasst. Ich war nicht der Meinung, dass Du Dich sofort über eine Neubearbeitung S. darüber L. Maenner, Prinz Heinrich zu Schoenaich-Carolath. Ein parlamentarisches Leben der wilhelminischen Zeit (Stuttgart-Berlin, 1931), S. 92f. • Der Kultusminister hatte dem preussischen Landtag am 14. Januar 1892 ein Schulgesetz zugeleitet, das ausschliesslich konfessionelle Volksschulen in Preussen vorsah. Es wurde lediglich vom Zentrum und dem rechten Flügel der Konservativen gewünscht, von einem grossen Teil der Konservativen und den Liberalen dagegen erbittert bekämpft. Im Kronrat am 17. März hatte Wilhelm II. deshalb den Kultusminister scharf angefahren: er habe ihm „einen netten Salat" angerichtet und lasse ihn über die Stimmung im Lande im unklaren. S. Brief Nr. 196. 10 Die Gesetzgebungsdeputation legte der zweiten Kammer den Antrag vor, zu erklären, dass Liebknecht seit dem 22. September 1890 kein Mitglied der Kammer mehr sei, da er seinen Wohnsitz nicht mehr in Sachsen habe. 8
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hermachtest, sondern ich wollte nur, dass die Regelung der Angelegenheit mit W[igand] in Fluss käme. Dietz wird nunmehr gelegentlich bei W[igand] anbohren und sehen, was er erlangt. Du bleibst dabei aus dem Spiele, und auf keinen Fall werden Dir irgendwelche Ungelegenheiten daraus erwachsen. Deine Erklärungen betreffs der Hummermayonnaise und der Austern haben sehr beruhigend auf mich gewirkt; das übrige wollen wir nunmehr der Hexe überlassen, die für Quantität und Qualität verantwortlich ist. Dein Artikel in der N[euen] Z[eit] ist, soweit ich gesehen, nur von der Magdebfurger] Zeitfung] kritisiert worden, die darüber schimpfte. Ferner erwähnte ihn bei der Debatte über die Militärmisshandlungen Herr v. Kardorff. Ich hätte ihm gern geantwortet, aber man fand es für besser, mir das Wort abzuschneiden. Ein absprechendes Wort in Parteikreisen habe ich nicht gehört, wohl aber das Gegenteil. Du hast sogar Frau v. Vollmar11 gewonnen, die ganz begeistert war und erklärte, der Artikel sei „ausgeseichnet". Als Schwedin kann sie das Z. nicht aussprechen. Beiläufig bemerkt: die Vollmar ist eine reizende Frau und von vollendeter Liebenswürdigkeit, was man von ihm nicht sagen kann. Also ich werde mich zur angegebenen Zeit bei Euch einfinden. An Louise schreibe ich direkt, da der Brief doch Doppelbrief wird. Frau Jfulie], die auf dem Fest wie eine Zwanzigjährige tanzte, lässt Dich herzlich grüssen, dem sich anschliesst Dein AUGUST.
Julia von Vollmar geb. Kjellberg; sie war die Tochter eines schwedischen Industriellen und mit Ellen Key und Sonja Kowalewsky eng befreundet. 11
193. ENGELS AN
BEBEL
London, den 8. März 1892.
Original. Lieber August!
Wir haben uns alle sehr gefreut, dass Dein Parlaments-Jubiläum so heiter verlaufen ist. Was die Adresse angeht, so habe ich allerdings auf Wunsch einen Entwurf hingeschickt, der mir selber — da ich auf die mir unbekannten Spezialwünsche einer mir persönlich ebenfalls grossenteils unbekannten fünfunddreissigköpfigen Fraktion Rücksicht 516
zu nehmen hatte — recht matt vorkam und von dem und dessen Schicksalen ich bis dahin kein Wort gehört hatte. Die Franzosen haben Dir eine, im heutigen S ocialiste abgedruckte, gemacht, die freier von der Leber weg sprechen konnte. 1 Also L[ie]bk[necht] ist aus dem Dresdener Froschteich herausgeworfen. Bei der Kleinlichkeit dieser Philister war kaum anderes zu erwarten, Vorwände finden sich immer, die Rachsucht der Esel hat eine kleine persönliche Befriedigung erhalten, Vorteile haben sie ja absolut keine davon. Übrigens hat sich der V[or]w[ärts] in der letzten Zeit entschieden gebessert. Ich bin froh, dass die Berliner Krawalle vorüber sind, und dass unsere Leute sich so stramm davon zurückgehalten haben. Ein bisschen Schiesserei konnte immer sich ereignen, und das hätte genügt, uns allerlei Unannehmlichkeiten zu bereiten. War in Berlin geschossen worden, so waren die Nat[ional-]Lib[eralen] imstande, das Volksschulgesetz mit Begeisterung zu votieren und die wechselnden Zornesströmungen gewisser Leute definitiv auf uns zu richten. Die sich allmählich immer mehr vorbereitende eine reaktionäre Masse können wir jetzt noch nicht gut gebrauchen; unser Interesse ist, solange wir nicht selbst aktiv Geschichte machen können, dass die geschichtliche Entwicklung nicht stillsteht, und dazu brauchen wir den Krakeel der bürgerlichen] Parteien untereinander. Und dazu ist das jetzige Regime unbezahlbar, das besorgt uns diese Lage. Wird aber zu früh geschossen, d.h. ehe die alten Parteien sich fester ineinander verbissen haben, so werden sie zur gegenseitigen Versöhnung und zur einmütigen Front gegen uns getrieben. Das kommt so sicher, wie zwei mal zwei gleich vier; und wenn s kommt, wenn wir etwa doppelt so stark sind wie jetzt, kann's auch nicht mehr schaden. Obwohl, wenn's auch jetzt schon käme, das persönliche Regiment schon wieder für Krawall unter den Gegnern sorgen würde. Aber besser ist besser. E s geht jetzt so famos, dass wir nur ungestörten Fortgang wünschen können. Die Geschichte mit den Arbeitslosen kann allerdings nächstes Jahr schlimmer werden. Das Schutzzollsystem hat eben genau dieselben Resultate gehabt wie der Freihandel: Überführung der einzelnen nationalen Märkte, und zwar fast überall — nur hier noch nicht so arg wie bei Euch. Aber auch hier, wo wir seit 1867 zwei bis drei kleine schleichende Krisen überstanden, scheint sich endlich wieder eine akute Krisis vorzubereiten. Die kolossalen Baumwollernten der 1 „À Auguste Bebel" in Nr. 76, 6. März; sie war auf den Ton gestimmt: „. . . Un tel homme est un honneur non seulement pour le parti auquel il appartient, mais pour le socialisme tout entier . . . "
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letzten zwei bis drei Jahre (bis über neun Millionen Ballen pro Jahr) haben die Preise so gedrückt wie zur ärgsten Zeit der Krise von 1846 und drücken dabei kolossal auf die Produktion, so dass die hiesigen Fabrikanten überproduzieren müssen, weil die amerikanischen] Pflanzer überproduziert haben! Dabei verlieren sie in einem fort Geld, weil bei den fallenden Rohstoffpreisen ihr aus teurer Baumwolle gesponnenes Produkt immer schon entwertet ist, wenn es an den Markt kommt. Das ist auch die Ursache des Notschreies der deutschen und elsässer Spinner, davon aber schweigen sie im Reichstag. Auch in anderen Industriezweigen geht's hier nicht besonders mehr, die Eisenbahn-Einnahmen und Ausfuhren von Industrieprodukten nehmen seit fünfzehn Monaten entschieden ab, so dass es auch hier nächsten Winter wieder eklig werden kann. Eine Besserung in den kontinentalen Schutzzollstaaten ist kaum zu erwarten, die Handelsverträge können einige momentane Abhilfe bringen, aber das gleicht sich in Jahresfrist schon wieder aus. Und wenn nächsten Winter derselbe Krawall in Paris, Berlin, Wien, Rom, Madrid auf grösserem Fuss wieder beginnt und von London und New York dasselbe Echo zurückklingt, kann's ernstlicher werden. Dann aber ist das Gute, dass wenigstens in Paris und London Stadträte sitzen, die ihre Abhängigkeit von ihren Arbeiterwählern nur zu gut kennen und die den schon heute durchführbaren Forderungen: Beschäftigung bei öffentlichen] Arbeiten, kurze Arbeitszeit, Lohn nach Forderung der Fachvereine etc. etc. um so weniger ernsten Widerstand entgegensetzen, als sie darin das einzige und beste Mittel sehen, die Massen vor schlimmeren sozialistischen — wirklich sozialistischen — Ketzereien zu bewahren. Wir werden dann sehen, ob die nach Klassen- und Zensuswahlrecht gewählten Berliner und Wiener Stadträte nicht nolentes volentes nachzappeln müssen. Im gestrigen Standard steht ein Telegramm aus Petersburg: Wilhelm sei nach der Brandenburger Landtagsrede von einem Herrn aufmerksam gemacht worden, dass dem vorhergesagten „Ruhm" doch auch Russland entgegenstehe. Darauf habe W[ilhelm] geantwortet: I shall pulverize Russia — wahrscheinlich: ich werde Russland zermalmen. Schuwalow habe dies gehört, und nachdem er sich von der Authentizität des Berichts überzeugt, es an seinen Kaiser berichtet. Alexander habe darauf bei erster Gelegenheit den Schweinitz vorgenommen und ihm den Auftrag gegeben: Sagen Sie Ihrem Kaiser, wenn er wieder Lust haben sollte, Russland zu zermalmen, würde ich ihm mit Vergnügen eine halbe Million Soldaten über die Grenze schicken.2 Über die Haltung des Zaren in dieser Zeit s. Briefwechsel des Botschafters General von Schweinitz (Berlin, 1928), S. 287f.
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Samstag hat Russland hier in London einen Sieg erfochten, der ihm aber jetzt nichts mehr nützt. Bei den Grafschaftswahlen (in London heisst Grafschaftsrat, was sonst Stadtrat heisst) hier haben die Liberalen einen ganz eklatanten Sieg erfochten; und es ist kein Zweifel mehr, wenn überhaupt noch einer war, dass Gladstone nach der Parlaments-Neuwahl ans Ruder kommt. Gladstone aber ist fanatischer Russenfreund und Antitürk und AntiÖsterreicher, und sein Regierungsantritt wäre ein neues Kriegsmotiv für Alexander gewesen, da er die wohlwollende Neutralität Englands und daneben Englands Druck auf Italien, um dies ebenfalls neutral zu halten, bedeutet hätte. Die Hungersnot und die hoffentlich daraus sich ergebenden inneren Konflikte in Russland schneiden alledem den Stachel aus, wenn nicht eben — Tollheiten passieren, die diesseits und jenseits der r u s s i s c h e n ] Grenze immer nicht ganz unmöglich sind. Im übrigen ist f ü r s Inland hier der Sieg der Liberalen ganz gut. Die Konservativen sind nur etwas wert, wenn sie einen Kerl wie Disraeli an der Spitze haben, der die ganze Partei an der Nase herumführt und sie das Gegenteil tun lässt von dem, was sie eigentlich will. Die jetzigen Führer sind reine Esel und Gigerl, die sich von den Lokalführern der Partei, d.h. den Dümmsten der Dummen, das Programm machen lassen. Zudem verschlissen und matt durch sechs Jahre Regierung. D a muss Abwechslung sind, und das ist auch am E n d e alles, was die ganze Farce bedeutet. E d e erzählt mir, Mehring habe ihm geschrieben, weder N[eue] Z[eit] noch V[or]w[är]ts nähme von seinem Anti-Richter 3 die geringste Notiz, auch die andere Parteipresse nicht; und das sei unverzeihlich, er habe Lust, sich von der ganzen Politik zurückzuziehen usw. Ich begreife, dass diese s[ozial-] demokratischen] Gepflogenheiten einem in der literarischen Mache eingelebten Autor — es soll dies kein Tadel sein, so was ist ja in der Bourgeoispresse, auch der bloss literarischen, nicht nur Regel, sondern Existenzbedingung —, also einem Mann, der in der nichtsoz[ial-]dem[okratischen] Presse gross geworden ist, sehr fatal sein müssen. Aber da müssten wir alle ja auch einen Klageruf erheben, es geht Dir, mir, allen anderen ebenso. Und trotzdem, so unangenehm dies auch manchmal dem einzelnen sein mag, halte ich diese vornehme Gleichgültigkeit unserer Presse doch für einen ihrer grössten Vorzüge. Mehrings Sachen werden auch gekauft und gelesen, ohne dass der V[or]w[ärts] sie poussiert, und es ist besser, für gar nichts Reklame zu machen, als für den vielen Parteischund, der leider Gottes auch in die Welt geschickt wird. Und wird eins hervorgehoben, so würde nach bekanntem demokratischen An,Herrn Eugen Richters Bilder aus der Gegenwart".
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stand auch für alles andere „gleiches Recht für alle" verlangt. Da will ich doch lieber die Gleichberechtigung des Nichterwähntwerdens über mich ergehen lassen. Aber was Eure Leute tun könnten: mit M[ehring]s Verleger ein billiges Abkommen wegen häufigem und regelmässigem Annoncieren treffen. Das ist aber wieder die grenzenlose geschäftliche Unbeholfenheit, die unseren Zeitungsleuten nun einmal in den Knochen steckt. Dieser Tage fiel mir übrigens Mehrings „Deutsche Soz[ial]-Demokratie", dritte Auflage,4 in die Hand, und ich habe den historischen Teil durchgesehen. Er hat sich in „Kapital und Presse"5 allerdings etwas leichtlich über diesen Zwischenfall hinweggeholfen. Aber uns kann's recht sein, toir brauchen ihm nichts nachzutragen, ob er sich selbst was nachzutragen hat, ist seine Sache, das geht uns nichts an. Ich würde an seiner Stelle die Wendung ganz offen anerkannt haben; darin liegt absolut nichts Blamables, und man erspart sich viel Krakeel, Ärger und Zeit. Es wäre übrigens Unsinn, wenn er wirklich an Rückzug aus der Politik denken sollte, er täte damit nur den Machthabern und Bourgeois einen Gefallen; seine Leitartikel in der N[euen] Z[eit]6 sind in der Tat ganz famos, und wir lauern jedesmal mit Begierde darauf. Solche Schneid soll man nicht einrosten lassen oder an lausige Belletristen verschwenden. Siegel7 hat uns allen sehr gut gefallen. Das ist doch mal wieder ein deutscher Arbeiter, mit dem man sich vor allen anderen Nationen sehen lassen kann. Dass er fortgegangen, um den ganz ausnahmsweise scharfen und systematischen Verfolgungen zu entgehen, kann man ihm nicht verdenken. Die Bergleute, eben weil sie erst in die Bewegung eintreten, werden extra scharf verfolgt, und die Opfer können Die Deutsche Socialdemokratie. Ihre Geschichte und ihre Lehre. Eine historisch-kritische Darstellung, 3. durchgesehene und vermehrte Auflage (Bremen, 1879). Das Buch war vom gegnerischen Standpunkt aus geschrieben. 5 Kapital und Presse. Ein Nachspiel zum Fall Lindau (Berlin, 1891). Mehring besprach darin S. 60ff. den ihm vorgeworfenen „Gesinnungswechsel". S. über dasselbe Thema Mehring gegen E. Richter im Vorwärts, Nr. 305, 31. Dezember 1891. 6 Mehring war von Nr. 37 des II. Bd., Jahrg. IX. (1891) ab ständiger Leitartikler der Neuen Zeit. 7 August Siegel (1856-1936) war Vertrauensmann der Bergarbeiter im Ruhrgebiet gewesen; er war einer der drei „Kaiserdelegierten", die Wilhelm II. während des Streiks am 14. Mai 1889 als Vertreter der Bergarbeiter empfing. 1890 war er Delegierter auf dem ersten internationalen Bergarbeiter-Kongress in Jolimont; 1891 Vertreter des Ruhrgebiets im Vorstand des Verbandes deutscher Bergleute. Er verliess Deutschland, um einer Reihe von Anklagen zu entgehen, und fand Arbeit in Muirkirk in Schottland; im Mai 1892 verschaffte er sechs Freunden aus Westfalen ebenfalls dort Arbeit. 1892 bis 1894 stand er mit Engels in brieflicher Verbindung. 4
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sich keineswegs noch auf die Unterstützung der Berufsgenossen verlassen — aus demselben Grund, die Solidarität ist noch nicht durchweg anerkannt. Cunningham Graham und Keir Hardie haben ihm in Schottland Arbeit verschafft, seine Familie kommt nach; die Gesellschaft, bei der er arbeitet, schiesst ihm das Geld vor und zieht's vom Lohn ab. Nun aber wird ihm das doch schwer werden abzuarbeiten. Ich habe ihm fünf Pfund für Reise nach Schottland und erste Einrichtung gegeben, kann aber schwerlich mehr tun. Wäre es nicht angemessen, wenn Ihr ihm einen Zuschuss, sage hundert bis hundertfünfzig Mark, bewilligtet? Ich habe Schröders Briefe an ihn gelesen, von da hat er schwerlich etwas zu erwarten.9 Überlegt Euch die Sache. Aus dem beiliegenden Hexenküchenzettel wirst Du ersehen, dass Deine Hummermayonnaise, um mich mit Arnold Rüge auszudrücken, mit „der Kraft des wahren Verlaufs" ihrer Zeit in die Erscheinung und alsdann in das ihr folgende Moment der Verschwindung treten wird. Hoffentlich wird dieser dialektische Prozess dann auch durch eine ungestört verlaufende Negation der Negation gekrönt werden. Herzlichen Gruss Dein _, r . iL,
Am 10. April ist Palmsonntag. Am 8. spätestens kannst Du abreisen und bist dann am 9. abends Samstag spätestens hier. Das wäre das beste und bequemste. Zur Thronrede braucht man Dich nicht. Also am 9. erwarten wir Dich hier. Am 20. März 1892 teilte er Engels mit, der Vorstand des Verbandes deutscher Bergarbeiter habe seiner Frau 120 Mark Reisegeld gegeben, und von den englischen Bergarbeitern habe er 16 £, erhalten. 8
1 9 4 . E N G E L S AN J U L I E
BEBEL
London, den 8. März 1892.
Original. Liebe Frau Bebel!
Leider komme ich erst heute dazu, Ihnen für Ihren lieben Brief vom 18. Februar zu danken, wobei ich aber gleichzeitig in dem unangenehmen Fall bin, zu konstatieren, dass Sie definitiv beschlossen haben, Ihre Tochter in St. Gallen, statt uns hier, mit Ihrem Besuch zu erfreuen. Nun, wir können es Ihnen nicht verdenken, dass Sie lieber zu Frau Simon gehen, und trösten uns mit der Hoffnung und festen Erwartung, dass wir Sie um so sicherer im Frühjahr 1893 (oder Sommer?) bei uns sehen werden. Dann, im Sommer, sind die Kamine zugedeckt und die Plumpuddings strengstens verboten, auch die Nebel sind nur sehr selten, und so sehen Sie England von seiner vor521
teilhaftesten Seite, wenn auch ein maliziöser Franzose einmal gesagt hat, der ganze englische Sommer bestehe aus drei sehr heissen Tagen und einem Gewitter, und damit sei's alle. Dass dies aber eine böswillige Übertreibung, dies zu beweisen geben Sie uns hoffentlich nächstes Jahr Gelegenheit. Auch werden Sie sich dabei überzeugen können, dass man hier auch ohne Englisch ganz gut fortkommt. Ob ich aber nach Deutschland komme, wie Sie meinen, das hängt doch bei den jetzigen wechselvollen Zeitläuften von allerlei Dingen ab, die nicht unter meiner Kontrolle stehen; die schöne Zeit der ersten Liebe des neuen Kurses zu allen denen, die Bismarcks Zorn erregt, ist längst verduftet, und man kann nicht wissen, was von jetzt an bis zum Sommer noch alles passiert. Ich überlasse das alles also einstweilen dem Zufall und warte einstweilen ab, ob mich das Schicksal diesen Sommer nach Deutschland, nach Norwegen, nach den Kanarischen Inseln, wohin man mich auch haben will, oder sonstwohin verschlägt. Leid würde mir nur tun, wenn ich nicht mit guten Aussichten auf eine angenehme Sommerreise nach Deutschland kommen könnte, dass ich wieder die Gelegenheit verpasste, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen. Ich habe ein ordentliches Verlangen, wieder einmal eine echte und rechte deutsche Proletarierfrau zu sehen, und als solche sind Sie mir immer geschildert worden. Auch meine Frau war echtes irisches Proletarierblut, und das leidenschaftliche Gefühl für ihre Klasse, das ihr angeboren war, war mir unendlich mehr wert und hat mir in allen kritischen Momenten stärker beigestanden, als alle Schöngeisterei und Klugtuerei der „jebildeten" und „jefühlvollen" Bourgeoistöchter gekonnt hätten. Meine Frau ist aber nun seit über zwölf Jahren tot,1 und August hat das Glück, Sie noch immer an seiner Seite zu haben, das ist der Unterschied. Louise hat eben wieder einen recht tollen Brief an August geschrieben; Sie haben gar keine Vorstellung davon, was das Frauchen wieder für einen Übermut entwickelt, seitdem sie wieder auf eigenen Füssen steht. Sie sollten einmal dabei sein, wenn wir unseren Frühschoppen Pilsener Bier vertilgen, was da für Unsinn und Gelächter getrieben wird. Ich freue mich, dass ich diese jugendlichen Torheiten noch so mitmachen kann, man wird doch schliesslich an so vielen Ecken und Enden alt, dass man wahrhaftig froh sein kann, wenn einem das Lachen noch nicht abhanden gekommen ist. Und ich kann Louise gar nicht genug dafür danken, dass sie alles tut, um meine alte rheinische Heiterkeit nicht einrosten zu lassen. Und nochmals herzliche Grüsse und die besten Wünsche für Ihr Wohlsein von Ihrem aufrichtigen F. 1
Engels' Frau, Lizzy Burns, starb am 12. September 1878.
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ENGELS.
1 9 5 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 16. März 1892.
Original. Lieber August!
Heute eine Bitte, um Zusendung des Stenogramms der Sitzung, wo unsere Leute über Elsass-L[othringen] gesprochen und Singer eine bezügliche Erklärung namens der Fraktion abgegeben haben soll.1 Ich bin sicher, deswegen interpelliert zu werden, und möchte daher im Besitz der exakten Tatsachen sein. Hier ist betreffs des 1. Mai wieder der alte Kampf, 2 aber die Sache liegt soweit günstig. Was ich Dir jetzt schreibe, darf nicht in den V[or]w[är]ts, den Gilles in seiner Weise für Hyndman liest und verarbeitet 3 — d.h. zu Lob und Preis der Unabhängigen und zur Verlästerung der Fraktion; und da der Kampf noch nicht entschieden, wäre jede Veröffentlichung gegen uns zu verwerten. Also das von Aveling präsidierte ursprüngliche „legal eight 'hours Committee" 4 und der Trades Council 5 unter Shipton (der augenblicklich mit Hyndman und der S[ocial] D[emocratic] Federation allüert) nahmen die Sache fast gleichzeitig in Angriff. Das eight h[ours] C[ommittee] lud den Trades C[ouncil] ein zu gemeinsamem Wirken wie voriges Jahr, wurde aber schnöde abgewiesen. Es wandte sich gleichzeitig an die Metropolitan Radical Federation 8 (über fünfzig In der Reichstagssitzung am 3. März wies Singer bei der Beratung des Gesetzentwurfs über den Belagerungszustand in Elsass-Lothringen die Behauptung des deutsch-konservativen Abg. Hartmann zurück, in der elsass-lothringischen Frage bestehe ein Gegensatz zwischen Liebknecht und Vollmar. Dabei erklärte er: „ . . . Ich weise zunächst darauf hin, dass vor gar nicht langer Zeit Bebel dem Kriegsminister gegenüber auf das entschiedenste bestritten hat, seinerseits die ihm damals unterstellte Behauptung, er wäre für die Rückgabe Elsass-Lothringens an Frankreich eingetreten, jemals getan zu haben. Was unsere Stellung zu dieser Frage anlangt, so kann ich im Einverständnis mit meinen sämtlichen Freunden erklären, dass für uns eine elsass-lothringische Frage gar nicht existiert." Er verlangte von Hartmann, dass er nachweise, wann und wo Liebknecht die Rückgabe an Frankreich gefordert habe. Hartmann erwiderte, er glaube diesen Nachweis aus den stenographischen Berichten des Reichstags liefern zu können. Vorwärts, Nr. 54, 4. März. 2 S. Brief Nr. 145. 3 Gilles war Mitarbeiter der Justice; sein Artikel „The Independent Socialists in Germany" erschien in Nr. 415, 26. Dezember 1891 und Nr. 416, 2. Januar 1892. 4 Aveling suchte den Gedanken einer selbständigen Arbeiterpartei durch die von ihm ins Leben gerufene „Legal Eight Hours League" zu propagieren; ihr gehörten auch radikale Vereinigungen an. H. Pelling, The Origins of the Labour Party 1880-1900 (London, 1954), S. 108, 156. 5 Die Spitze der englischen Gewerkschaften. ® Sie war 1886 gegründet, ihr gehörten meist radikale Vereinigungen an. Sie war 1
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radikal-arbeiterliche, teilweise sozialistische Klubs umfassend), und nun wandte sich der Trades Council auch an diese. Inzwischen spielte Aveling dem Tr[ades] Cfouncil] den Streich, den dieser ihm vor zwei Jahren gespielt, und sicherte sich das erste Anrecht auf den Park. Auch wandte sich das eight h[ours] C[ommittee], nach dieser Sicherung des Parks, nochmals an den T[rades] Cfouncil], wurde aber nochmals schnöde abgewiesen. Aber gleich darauf beschloss die M[etropolitan] Rad[ical] Föderation], die auch vom T[rades] Cfouncil] schon mehrmals hochmütig behandelt worden (der Tfrades] Cfouncil] liess auf den ihm zugeteilten Tribünen voriges Jahr nur Tfrades] Unionsleute, keine Klubredner zu), unter allen Umständen mit dem eight hfours] Cfommittee] zusammenzugehen, aber noch einen Sühneversuch beim Tfrades] Cfouncil] zu machen. Am Sonntag hatte das eight hfours] Cfommittee] Sitzung und verständigte sich mit der Mfetropolitan] Rfadical] Ffederation] dahin, dass dieser von der Mfetropolitan] Rfadical] Ffederation] gemacht werden solle und dann weiteres beschlossen. So liegt die Sache. Das eight hfours] Cfommittee] hat soweit die weitaus beste Stellung. Es hat den Park, die Gas Workers,7 eine ganze Masse kleiner East End Unions und die Radikalen Klubs — kurz eine Masse, die mindestens doppelt so gross als die hinter dem Tfrades] Cfouncil] und der Hyndmanschen Federation. Diese hält sich einstweilen mäuschenstill und lässt den Tfrades] Cfouncil] für sich arbeiten. Wenn keine Dummheiten und Indiskretionen passieren, wird der Tfrades] Cfouncil] entweder klein beigeben oder wie vor zwei Jahren bei der Demonstration zweite Geige und noch dazu verstimmt spielen müssen. Ich habe jetzt auch Mehrings „Lessing-Legende" in der N[euen] Z [ e i t ] 8 gelesen und sehr viel Freude daran gehabt. Die Arbeit ist wirklich ausgezeichnet. Ich würde manches anders motivieren und nuancieren, aber im ganzen und grossen hat er den Nagel mitten auf den Kopf getroffen. Es ist doch eine Freude, wenn man sieht, wie die materialistische Geschichtsauffassung, nachdem sie — in der Regel — seit zwanzig Jahren in den Arbeiten der jüngeren Parteileute als grossmäulige Phrase hat herhalten müssen, endlich anfängt, als das benutzt zu werden, was sie eigentlich war: ein Leitfaden beim Studium der Geschichte. Kautsky und Ede haben in dieser Beziehung recht nette Sachen geliefert, aber Mehring hat sein spezielles Thema: die auf den Kongressen der liberalen Partei vertreten und suchte diese in bezug auf eine fortschrittliche Sozialgesetzgebung zu beeinflussen. H. Pelling, a.a.O., S. 77, 237. 7 S. Brief Nr. 145, Anm. 5. 8 Mehrings „Lessing-Legende" erschien in Fortsetzungen im Jahrg. X (1892) der Neuen Zeit.
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preussische Ecke der deutschen Geschichte, viel genauer studiert und hat auch überhaupt einen freieren Blick und vor allem eine festere, bestimmtere Ausdrucksweise. Ich hoffe, die Arbeit erscheint selbständig, sobald sie in der N[euen] Z[eit] fertig ist. Es ist die beste regelrechte Belagerung der Zitadelle der preussischen Legende, die ich kenne: den Lessing sagt man, den alten Fritz meint man. Und die Zerstörung der preussischen Legende ist absolut nötig, ehe Preussen in Deutschland verschwinden kann. Über die Vorbedingungen des ostelbischen Preussens sowohl in der deutschen wie europäischen und Weltgeschichte würde ich mich manchmal anders ausdrücken; aber das sind Dinge, die Mfehring] auch bloss gestreift hat. Jetzt aber geht's zum Essen, damit die Hexe zu ihrem Hexenlatein kommt. Was die Geschichte mit dem East End angeht,9 so lass Dich das nicht zu sehr angreifen, ich glaube, es wird nichts Gefährliches geplant. Herzliche Grüsse an Frau Julie und Dich selbst Dein F . E N G E L S . 9
Bebel sollte dort in einer Versammlung reden.
196. B E B E L
AN
ENGELS
Berlin W., den 20.[-21.] März 1892.
Original. Lieber General!
Was für ein Gesicht die Dinge hier unerwartet angenommen haben, hast Du mittlerweile aus den Telegrammen und Berichten ersehen.1 Dass ein Umschlag mal wieder kommen würde, wurde schon eine Reihe von Tagen hindurch gemunkelt, aber nicht geglaubt. Die Liberalen tragen auf einmal den Kopf gewaltig hoch, als hätten sie wer weiss welchen Sieg erfochten. Was für einen Ausgang die Krise nimmt, weiss kein Mensch, und niemand ist sicher, dass ein paar Tage später nicht eine neue ausbricht. Es ist eben alles unberechenbar. Das heiterste aber ist, dass der Kaiser, nachdem er die Krise hervorgerufen, nach der Schorfheide verduftet — unter Mitnahme seines Leibarztes — und erklären lässt, sein Gesundheitszustand erlaube ihm nicht, sich um so aufregende Dinge wie Besetzung erledigter Ministerposten zu kümmern. Die Sache sieht für Sr. M[a]j[e]st[ät] Gesundheit etwas bedenklich aus, Nach dem Kronrat am 17. März trat der preussische Kultusminister Graf Zedlitz-Trützschler wegen des Schulentwurfes zurück. Sein Nachfolger wurde der Staatssekretär des Reichsjustizamts R. Bosse.
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um so bedenklicher, wenn es wahr ist, dass er erst vor kurzem sich entschieden für Festhalten am Schulgesetzentwurf ausgesprochen hat.2 Herr Miquel sieht sich als Sieger an,3 aber auf wie lange. Caprivis Abgang mit Zedlitz ist eigentlich selbstverständlich; um so blamabler, wenn er bleibt.4 Ich freue mich am meisten auf den baldigen Schluss des Reichstags, der bis Ende dieses Monats eintreten soll. Vielleicht ist er schon zu Ende, wenn ich aus der Pfalz zurückkehre, wohin ich Donnerstag reisen will, um in Ludwigshafen, Frankenthal und St. Ingbert Versammlungen zu halten. Nachher lasse ich mich zu Versammlungen nicht mehr so rasch herbei; dass mir Tussy und die Hexe allerlei für Lond[on] einbrauen wollen, ist mir gar nicht lieb.5 Na, ich will sehen, wie ich mit den Frauensleuten fertig werde. Ungefähr am selben Tage, wo Du mir über Siegel schriebst, war Bunte8 hier und erzählte mir von seiner Flucht. Weder B[unte] noch wir sind mit derselben einverstanden. B[unte] sagte, und aus einem Schreiben Schröders, das ich von diesem erhielt, ersah ich dasselbe, dass Schr[öder] hauptsächlich S[iegel]s Flucht auf dem Gewissen hat, und zwar um ihn als Konkurrent loszuwerden. Bei dem Mangel an tüchtigen Leuten unter den Bergarbeitern und bei dem bösen Eindruck, den die Flucht eines Führers auf die Massen macht, durfte S[iegel] nicht weggehen. Die neun Monate brachten ihn nicht um, für seine Familie wurde auch gesorgt, und kam er dann wieder, dann war er erst recht Hahn im Korb. Ich hatte mit B[unte] verabredet, an Sfiegel] zu schreiben und ihn zur Rückkehr aufzufordern; es war mir daher recht fatal, als ich von Dir hörte, dass er schon seine Familie nachkommen liesse. Wir können unter solchen Umständen nichts für ihn tun. Will Sch[röder] auch nichts für ihn tun, so beweist das, dass er nichts tun kann, weil die Leute im Vorstand über S[iegel] ärgerlich sind. Dieselbe Beurteilung Wilhelm II. bei Waldersee, Denkwürdigkeiten, Bd. II, S. 236. 3 Er hatte dem Gesetzentwurf offen widersprochen. 4 Der Reichskanzler von Caprivi hatte den Kampf um das Schulgesetz im Abgeordnetenhaus als „Kampf zwischen Christentum und Gottlosigkeit" bezeichnet. Er gab das preussische Ministerpräsidium an den Grafen Botho von Eulenburg ab, der seit 1878 Puttkamers Vorgänger als Minister des Innern gewesen war. s S. Brief Nr. 195, Anm. 9. • Fritz Bunte und Ludwig Schröder waren wie Siegel „Kaiserdelegierte" gewesen. Bunte war Mitglied des Zentral-Streikkomitees während des Streikes 1889 gewesen. Er und Schröder waren ebenfalls zum ersten internationalen BergarbeiterKongress delegiert; Schröder (1849-1914) wurde von der ersten Generalversammlung des Verbandes deutscher Bergleute am 19. Juli 1891 in Bochum zum 1. Verbandsvorsitzenden gewählt. S. Brief Nr. 193.
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Hier in Deutschland hätte S[iegel] der Bewegung viel nützen können, drüben sitzt er beiseitegesetzt, und durch seine Flucht hat er weiter herbeigeführt, dass die Gerichte künftig jeden gleich in Untersuchungshaft nehmen, der angeklagt wird. B[unte], von den Bergarbeitern auf seiner Agitationstour in Schlesien interpelliert, ob S[iegel] wirklich davongegangen sei, erklärte: er sei der Agitation wegen ins Ausland und komme wieder. Mehrings Arbeiten sind allerdings ausgezeichnet, aber trotz alledem lässt sich kein intimeres Verhältnis mit ihm herstellen; man befürchtet immer wieder, er bekäme einen Rückfall; und ausserdem muss man sich fürchten, mit ihm sich vertraulicher einzulassen, weil der Verdacht besteht, er notierte alles, was er hört. Das sind fatale Eigenschaften, die seine Person nicht zur Geltung kommen lassen. Ausserdem gerät M[ehring] leicht in persönliche Differenzen, wie das z.B. mit Schoenlank und H. Braun der Fall war, mit denen er aufs intimste stand. Auch mit Singer ist er überworfen, in diesem Falle trägt allerdings mehr letzterer die Schuld. Es ist aber klar, dass Mfehring] hiernach diejenige Stellung nicht einnimmt und nicht einnehmen kann, die ihm seinen Fähigkeiten gemäss gebührte. Was Du über seine unrichtige Auffassung wegen der Besprechung seiner Schriften sagst, ist vollkommen richtig. Dietz wird das Mfehring] auch gelegentlich sagen. Es wird jetzt auch so mancher Schund in der Partei verlegt, dass bei dem Verhältnis, in dem die Verleger zueinander stehen, eine absprechende Kritik schwer ist. Da ist besser, es kommt gar keine, und man überlässt dem Lesepublikum, was es nehmen will. Aus demselben Grunde kann auch keine Konzession mit unentgeltlichem Annoncieren gemacht werden, wobei noch zu beachten ist, dass man auf die Privatverleger schon an sich schlecht zu sprechen ist und denen nichts schenken will. Was ich bei Mfehring] am meisten fürchte, ist, dass er auf die Dauer bei dieser Art Schriftstellerei nicht sein Auskommen findet. Dietz bezahlt zwar sehr anständig, aber allein kann er davon nicht leben. Gegen die Separatherausgabe der Lessing-Artikel macht Dietz geltend, dass nach seinen Erfahrungen solche Abdrücke wenig Absatz finden.7 Ausserdem müsse er mit Preisen arbeiten, bei denen ein Absatz von einigen hundert Exemplaren sich nicht lohne. Es kommt Honorar etc. in Betracht, auf keinen Fall dürfe ein solcher Abdruck Die Ausgabe erschien, ergänzt und stark erweitert, mit einem „Anhang über den historischen Materialismus" 1893 im Verlag J. H. W. Dietz, Stuttgart.
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unmittelbar nach der Veröffentlichung in Artikeln erfolgen. Im Vortv[ärts] ist jetzt Schoenlank angestellt, von dem ein gut Teil im Blatt herrührt. In der Krawallaffäre hat der Vorw[ärts] nicht den richtigen Ton zu treffen vermocht, und es zeugt von der festen Gesinnung unserer Leute, dass ihm die Dummheiten nicht mehr nachgetragen wurden. Wer die Elemente waren, die krawallierten, zeigt die im heutigen Vorw[ärts] enthaltene Gerichtsverhandlung. Die Strafen sind infam hoch.8 Der Vorsitzende des Gerichts ist als harter Verurteiler mehr als bekannt. Wann ich zu Euch komme, vermag ich auf den Tag noch nicht zu sagen, spätestens am 11. [April]! Ich schreibe noch Genaueres. Den Bericht über die Verhandlung betr. Eis [ass]-Lothringen wirst Du gelesen haben. Der gute Paul hat eine gewaltige Dummheit gemacht. Ich kam erst nach jener Verhandlung in die Sitzung und las die Verhandlung erst in der Zeitung, auf deren Bericht ich kein Gewicht legte, weil ich weiss, wie ungenau diese oft sind. Den offiziellen Bericht vergass ich zu lesen, las ihn also erst vorgestern, und da habe ich P[aul] sofort gesagt, dass er einen gehörigen Bock geschossen und sein Gegner Hartmann ihn tüchtig aufs Eis setzen könne.9 Das schönste ist, dass P[aul] so wenig unsere Stellung begreift, dass er über meine Auseinandersetzungen ganz verwundert war. Unglaublich, aber wahr. Nun will Liebkn[echt] bei der dritten Etatlesung sprechen und antworten,10 und da wollen wir hoffen, dass er seiner Gewohnheit gemäss nun nicht nach der anderen Seite über die Schnur haut. Doch warten wir ab. Ich werde bei der Etatberatung nicht mehr zugegen sein, da sie frühestens Donnerstag drankommt und die dritte Lesung nur wenige Tage dauert. Mündlich mehr. An Louise schreibe ich direkt, da der Brief zu schwer wird. Frau Julie lässt herzlich grüssen und herzlichen] Gruss auch von Deinem A . BEBEL.
21. März. Gestern abend hörte ich, dass der Kaiser in der Schorfheide einer Operation unterzogen werden soll. Ist das wahr, dann kann's bös werden; denn die ist sehr gefährlich. Meine Reise trete ich nicht an, ich bin seit einer Reihe von Tagen Zweiundzwanzig Angeklagte wurden am 19. März vom Berliner Landgericht zu Gefängnisstrafen von zwei Monaten bis zwei Jahren verurteilt. Es waren meist unbestrafte junge Leute zwischen 16 und 22 Jahren. Die meisten waren in eine Menschenansammlung hineingeraten und hatten mitgeschrien, ohne zu wissen, um was es sich handelte. 9 S. Brief Nr. 195, Anm. 1. 10 S. Brief Nr. 235, Anm. 1.
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furchtbar müde und abgespannt; ich habe heute telegraphisch die Versammlungen verschieben lassen. [Bemerkung Louise Kautskys:] öffnete den Brief, fand aber nichts für mich, kommt wahrscheinlich später. Hier ist es schauerlich. Mit bestem Gruss LOUISE.
197. B E B E L
Original.
AN
ENGELS
Berlin W., den 31. März 1892. Lieber General!
Es freut mich, dass Ihr so vorsorglich alles für mein Kommen eingerichtet habt; nur die Hexe irrt sich, wenn sie glaubt, auf meine Patienteneigenschaft hin mir die besten Bissen vorenthalten zu können. Die möchte mich wohl als Trappisten behandeln. Meine achttägige Kur ist mir gut bekommen, und da ich entschlossen bin, an Stelle der ganzen Faulenzerei zunächst die halbe zu setzen, hoffe ich, in Bälde wieder ganz auf dem Platze zu sein. Es ist eine schöne Sache, fern von Madrid den Reichstagsverhandlungen zuzusehen. Ich hätt's um keinen Preis mehr in Berlin ausgehalten, so war mir das Treiben und Leben zuwider. Unsere innere Politik macht sich sehr nett, der Kurs ist gar kein Kurs, und was schliesslich herauskommt, das wissen die Götter. Das richtigste wäre, Reichstag und Abgeordnetenhaus würden aufgelöst; der jetzige Zustand ist unhaltbar. Eine Wahlagitation im Herbst oder Frühjahr wäre eine wahre Wohltat. Die fünfjährige Periode ist eine Ewigkeit. Wir haben nach stürmischem und rauhem Wetter am 29. und 30. [März] heute das schönste Frühjahrswetter. Es wird mir lieb sein, wenn Herr Blasius mir auf der Fahrt zu Euch durch den Kanal keinen Possen spielt. Vor der Seekrankheit habe ich Respekt. Paul kommt nicht mit, ihm ist die Jahreszeit zu früh. Wann ich komme, darüber schreibe ich Euch nächste Woche rechtzeitig. Alles Weitere mündlich. Mit herzlichem Gruss Dein AUGUST.
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198. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Berlin W., den 9. April 1892. Lieber General!
Depesche werdet Ihr erhalten haben. Ärgerte mich furchtbar, dass ich sie senden musste; aber es ging nicht anders. Schreibe diese Zeilen im Bett. Es wurde jeden Tag schlechter. Arzt konstatierte akuten Magen- und Darmkatarrh. Das ist der dritte in diesem Jahr, und das ist des Guten ein wenig zuviel. Der Arzt verlangt eine Karlsbader Kur, ich will dieselbe aber in St. Gallen machen. Dort habe ich gute Luft, ordentliche Pflege, absolute Ruhe und ärztliche Behandlung, also das, was ich jetzt absolut brauche. Unter solchen Umständen zu Euch zu kommen, wäre Verrücktheit; sobald ich in St. Gallen hergestellt bin, komme ich. Ich denke bis Anfang Mai dort zu bleiben, dann nach hier auf einige Tage zurückzukehren und alsdann zu Euch zu kommen. Arzt hat mir auch alles öffentliche Reden für die nächsten Monate verboten, und das Verbot werde ich mit Vergnügen beachten. Den Hamburgern werde ich infolgedessen zum ersten Mai abschreiben. Ich sollte den 1. Mai vor den Massen unter freiem Himmel, am 2. Mai in einem Saal für zwölftausend Personen reden. Das letztere hebe ich mir für den Herbst auf. Ich dachte heute morgen daran, dass ich im Gefängnis nie Magenoder Darmkatarrh gehabt; daran war die ideale Ordnung schuld, die dort herrscht. Schade, dass man diese in der Freiheit nicht haben kann. Ich werde Dir noch einmal schreiben müssen, ehe ich abreise, da es sich um eine wichtige Sache handelt, wegen deren meine Anwesenheit in L[on]d[on] gerade jetzt notwendig wäre. Ich gedenke Dienstag nach St. Gallen zu reisen, meine Adresse ist Dr. med. F. Simon, St. Gallen. Wenn ich im Mai zu Euch komme, wird wohl P[aulu]s mitkommen, nun hat er doch erreicht, was er wollte. Er wollte, dass ich bis zum Mai warte, dann käme er mit; er und die St. Galler sind schliesslich ganz vergnügt, dass es so gekommen ist. Mit herzlichem] Gruss an Dich und Louise Dein AUGUST.
Hoffentlich hatte Louise die Hummermayonnaise noch nicht angerichtet; die musstet Ihr dann allein essen, und das wäre doch schade darum, ihr eigentlicher Zweck wäre verfehlt. 530
1 9 9 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 11. April 1892.
Original. Lieber General!
Mein Zustand hat sich so weit gebessert, dass ich Dienstag oder Mittwoch nach St. G[ allen] reisen kann, das soll morgen der Arzt entscheiden. Es ist viel besser, ich bringe mich erst in St. G [allen] tüchtig auf den Damm, anstatt dass ich als halber Mensch nach London käme und möglicherweise nochmals krank würde. Bis zum 15. Mai sind wir sicher in London. Du wirst mittlerweile einen Brief für mich aus Paris erhalten haben, vielleicht ist auch persönliche Nachfrage von jener (russischer) Seite dagewesen. Ist ein Brief für mich aus Frankreich da [, öffne ihn] und sieh, was er enthält. Die Russen wollen Geld für eine Aktion1 und verlangten von uns zehntausend Francs. Wir sind übereingekommen, sie aus unseren Mitteln nicht zu bewilligen; dagegen empfehlen wir Mott[eler], die zehntausend Francs aus dem ihm zur Verfügung stehenden Fonds zu bewilligen.2 Der Brief sollte enthalten erstens, ob das Geld wirklich gebraucht werde, und wenn ja, an wen es zu senden sei. Zweitens, wer in den Plan eingeweiht sei. Es müssen mehrere uns als durchaus vertrauenswert bekannte Personen sein, sonst wird das Geld nicht gegeben. Ist Dir der Sinn des Briefes zweifelhaft, dann sende ihn mir sofort nach St. Gallen, anderenfalls treffe mit Jul[ius], für den ich ein paar Zeilen mit der Bitte, sie ihm zu übermitteln, beifüge, die nötigen Verabredungen. Ist ein Vertrauensmann der Russen dort, dann um so besser; dann werdet Ihr erst recht Euch Klarheit für Euer Handeln verschaffen können. Louise grollt mir doch nicht, dass ich ihr so jäh all ihre schönen Küchen- und sonstigen Pläne über den Haufen warf? Schliesslich bin ich ja der Geschädigte, der jetzt von all den ihm zugedachten Herrlichkeiten nichts hat. Aber wenn sie es verlangt, will ich vor ihr Busse 1 Es handelte sich um die geplante Vereinigung der alten Narodniki und der Gruppe der Befreiung der Arbeit. Bei einer Besprechung darüber sollte Rusanov jene und Plechanov diese vertreten. Die Besprechung sollte bei Engels abgehalten werden, und Bebel sollte daran teilnehmen; aber sie kam nicht zustande. N. R. Rusanov, V emigracii, (Moskau, 1929); das Rusanovs Besuch bei Engels schildernde Kapitel deutsch in der Wiener Arbeiter-Zeitung, Nr. 51, 20. Februar 1931. 2 Er verwaltete einen Fonds aus der Zeit des Sozialdemokrat.
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tun, wobei ich mich allerdings auf ihr gutes Herz verlasse, das es gnädig mit mir machen wird. Herzlichen Gruss Euch beiden Dein AUGUST.
2 0 0 . ENGELS AN B E B E L
London, den 16. April 1892.
Original. Lieber August!
Das war allerdings eine verdammte Enttäuschung, als Deine Depesche1 eintraf. Nun, gegen Krankheit ist nichts zu machen, ich hoffe, Du hast Dich soweit erholt, dass Du die Reise gut überstanden hast und jetzt den Nutzen von der Alpenluft geniessest. Dagegen aber hast Du jetzt auch die Verpflichtung, im Mai Frau Julie mitzubringen, und tue ich das meinige dazu in beiliegenden Zeilen, die kräftigst zu unterstützen ich Dich bitte. Was die Pariser angeht, so waren zwei Leute hier, ehe Dein Brief kam. Ich bestellte sie auf den nächsten Tag, Mittwoch, da dann sicher ein Brief von Dir da sei. Als dieser kam, ging ich zu Julius und Louise zu einem der Leute — am anderen Ende der Welt —, fand aber keinen, liess schriftlich Bescheid zurück. Endlich Donnerstag abend kam einer (der andere war schon Mittwoch morgen fort), sagte mir, die Sache sei Umstände halber verschoben, und hofften sie, ohne Euren Beistand fertig werden zu können, würden auch nur im äussersten Notfall auf Euch rekurrieren. Das Weitere mündlich, wenn Du kommst, es hat keine Elie. Warum Du von St. Gallen erst wieder nach der Reichsstreusandbüchse 2 zurück willst, sehen wir nicht ein, Du kommst da wieder in die Schanzerei, dabei wird ein Tag nach dem anderen verschleppt, Deine Gesundheit leidet wieder, und dann kommt der Doktor und schickt Dich am Ende Knall und Fall nach Karlsbad. Ich schwärme sehr für Karlsbad — d.h. für andere Leute, nicht für mich —, weil ich gesehen, wie es dem Marx wieder auf die Beine geholfen;3 hätte er es acht Jahre früher benutzen können, er lebte wahrscheinlich noch. In allen Magen- und Leberleiden ist es von wunderbarer Wirkung, Sie liegt nicht vor. Berlin. 3 E r war im August-September 1874 und in der gleichen Zeit 1876 in Karlsbad zur Kur. 1
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und ich wäre sehr dafür, dass Du im Juni dieses Kapitalwasser (Kapital, weil es physiologischen Mehrwert für Dich und ökonomischen für die Wirte von Karlsbad realisiert) vier bis sechs Wochen lang trinkst, wo dann der Dr. Fleckles,4 Marx' und Tussys Freund — sie wird Dir von ihm erzählen — für die übrige Unterhaltung sorgen wird, er ist einer der witzigsten Menschen von Europa. Ich hätte Dir schon früher geschrieben. Aber ich habe, um aller üblen Nachrede zu entgehen, eine sehr üble Vorrede schreiben müssen. Es ist eine echt englische Geschichte. Aveling übersetzt meine „Entwicklung des Sozialismus"5 für eine Social Series, wovon jeder Band 2,50 M[ark] kostet. Ich sage, das ist Schwindel, das kleine Ding zu dem Preis zu verkaufen. Nein, sagt Aveling, das weiss der Mann schon — der Verleger. Das eine Bändchen ist zu dick, das andere zu dünn, das gibt immer einen Durchschnitt (namentlich für den, der zufällig nur in den dünnen Bändchen was Interessantes findet). Zudem hat der Verleger das deutsche Original gesehen, weiss Bescheid. Gut. Die Sache wird gemacht. Mit Hilfe riesig gesperrter Schrift schlägt man ca. hundertsiebzehn Seiten heraus. Jetzt findet der Verleger — er heisst Sonnenschein, scheint aber im hellsten Sonnenschein manchmal nicht zu sehen —, dass das doch nicht geht und bittet mich, eine recht lange Vorrede zu machen. Nun ist das nicht so einfach. Ich soll mich sozusagen zum erstenmal vor einem jebildeten britischen Publikum produzieren, da muss man sich besinnen. Und als Resultat ist herausgekommen eine lange Abhandlung über dies und jenes, alles und nichts, deren einheitlicher roter Faden eine arge Verhöhnung der englischen Bourgeoisie ist— ich bin begierig, was der britische Philister dazu sagen wird. Ich werde sie in der N[euen] Z[eit] deutsch geben,6 ich hoffe, es amüsiert Euch. Also, um Postschluss nicht zu versäumen, bitten Louise und ich Dich, Frieda und Simon zu grüssen — sie kommen doch wohl auch mal nach London? — und verbleiben mit bekannten resp. unbekannten Gefühlen Dein F. E.
Ferdinand Fleckles war Marx' Karlsbader Arzt, er stand mit ihm im Briefwechsel. 5 S. Brief Nr. 191, Anm. 9. • Die Vorrede erschien, um die ersten Absätze gekürzt, in der Neuen Zeit u.d.T. „Über historischen Materialismus", Jahrg. XI (1893), Bd. I, S. 15ff., 42ff. 4
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2 0 1 . B E B E L AN
ENGELS
St. Gallen, den 19. April 1892.
Original. Lieber General!
Wie es mir hier geht, wirst Du mittlerweile aus dem Briefe erfahren haben, den ich an Louise schrieb. Ich fühle mich eben wieder vollständig wohl, habe nur in bezug auf Essen und Trinken noch Vorsicht zu beobachten, und für diese erweist sich mein Herr Schwiegersohn als echter Tyrann. Eine Karlsbader Kur halten wir beide für überflüssig, da der Magen sich auch so wieder in Ordnung bringen lässt. Eine Hauptsache wäre, dass ich jetzt tüchtig marschieren und Berge steigen könnte; das verhindert aber das schlechte Wetter. Der Schneesturm, mit dem Ihr bedacht worden seid, hat sich auch hier eingestellt, und zwar gründlich. Am ersten Feiertag morgens hatten wir bis Mittag heftiges Schneewetter. Dann wurde es wunderschön, so dass wir eine Partie nach dem Bodensee machen konnten. Gestern mittag begann aber der Schnee von neuem, und es schneit bis heute mittag ununterbrochen, so dass man nicht vor die Türe kann. Da heisst's aushalten. Hoffentlich habt Ihr im Mai in England besseres Wetter, ich werde gegen Mitte Mai bei Euch eintreffen. Frau Julie wird aber nicht mitkommen. Das geht jetzt wirklich nicht. Wir können nicht monatelang von Berlin fernbleiben und anderen Leuten die Arbeit überlassen, Wenn jetzt Julie nicht mitgeht, habe ich einen guten Vorwand, nächstes Jahr noch einmal nach London zu kommen, weil ich ihr dann London und England zeigen muss. Man muss beizeiten für gute Vorwände sorgen. Nach Berlin muss ich auf einige Tage wieder zurück, um meine Kasse in Ordnung zu bringen1 und die Revision derselben vornehmen lassen zu können. Auch gibt es sonst allerlei zu ordnen. Dass die Russengeschichte nicht drängt, ist mir lieb. Wenn ich bei Euch bin, müsst Ihr mir Gelegenheit geben, die Mendelsons2 einmal zu sehen, ich habe etwelche Aufträge an sie auszurichten. Auf Deine Vorrede, von der mir schon Louise schrieb, bin ich gespannt, sie wird den Engländern schon das gehörige Licht aufstecken und auch für uns von Vorteil sein. Bebel gehörte als Kassierer dem Parteivorstand an; zum Vorsitzenden, neben Paul Singer, wurde er auf dem Parteitag zu Berlin 1892 gewählt. * Stanislaus Mendelson (1858-1913), polnischer Theoretiker und Journalist, war schon auf dem Gymnasium Sozialist; seit 1878 Emigrant, gab er 1879 in Genf die erste polnische sozialistische Zeitung, Röwnosc, 1881 die Zeitung Przedswit
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Es war anfangs meine Absicht, mich hier ganz still zu verhalten und keinen Bekannten zu besuchen; aber sieh da, bereits wird meine Anwesenheit in einem ultramontanen Blatt gemeldet, und mit dem Inkognito ist's vorüber. Aber eine Rede wird nicht gehalten, die werde ich mir auch in London verkneifen, auch wenn meine Verehrerinnen mich noch so schön bitten. Louise wird zwar, wenn sie das liest, ein wenig ihr Näslein rümpfen, aber es bleibt dabei. Frau Julie wird ein paar Zeilen beifügen. Herzlichen Gruss an Dich und Louise. Die Kinder lassen Euch ebenfalls herzlich griissen. Euer AUGUST.
und später die Zeitschrift Walka Klass heraus. Seine Gattin Maria Jankowska (1850-1909) war eine ebenfalls aktive Sozialistin und Freundin Sonja Kowalewskys und ihres Vetters Maxim Kowalewsky. Die Mendelsons waren 1882 wegen agitatorischer Tätigkeit in der damals preussischen Provinz Posen zu Gefängnis verurteilt worden. 1890 wurden sie nach der Erschiessung des Generals Seliverstov, des Leiters der russischen Geheimpolizei in Paris, durch ihren Parteifreund Padlewski aus Frankreich ausgewiesen und lebten seitdem in London, wo sie viel bei Engels verkehrten. Ein paar Jahre später trennten sie sich von der Arbeiterbewegung.
2 0 2 . J U L I E B E B E L AN E N G E L S
[St. Gallen, den 19. April 1892.]
Original. Lieber Herr Engels!
Herzlichen Dank für Ihren lieben Brief, der mich um so mehr erfreut hat, als ich daraus ersehe, dass Sie mein langes Schweigen auf Ihren so liebenswürdigen letzten Brief nicht übel deuten und den Grund billigen. Ich mache mir deshalb heute das Vergnügen und beantworte sie beide. Wie herzlich gern würde ich Sie mit August besuchen kommen, aber es geht leider jetzt noch weniger wie vorher. Abgesehen davon, dass es sehr unbescheiden wäre, wollte ich diesen Wunsch nur äussern, nachdem mir mein guter Mann die Reise hierher bewerkstelligt hat, würden wir auch in eine schiefe Stellung geraten. Sie müssen nämlich wissen, mein verehrtester Herr Engels, dass wir nicht uns gehören, sondern der Allgemeinheit, der wir Rechnung tragen müssen, und zwar in Berlin mehr denn je anderswo, und muss ich mir für diesmal das Vergnügen versagen und auf ein andermal verschieben. Ich hege dafür die stille Hoffnung, dass Sie den Sommer zu uns 535
kommen und wir die Freude haben werden, Sie als Gast bei uns bewirten zu können. loh glaube, Sie werden eine bessere Meinung von den deutschen Verhältnissen mitnehmen, als Sie vielleicht jetzt haben. Es tut mir leid, dass Sie sowohl wie August um die erhoffte Freude eines Wiedersehens kommen; aber ich glaube, wir können zufrieden sein, dass er jetzt wieder ganz gesund wird und später das Wetter ein schöneres Wiedersehen gestattet. Wir sind allesamt glücklich, uns gegenseitig einmal wieder nach Herzenslust geniessen zu können, und ist wohl hier der geeignetste Ort, wo seine Nerven und Magen wieder in Ordnung zu bringen sind. Der Winter mit seinem Reichstag und Versammlungen hatte ihn wieder tüchtig mitgenommen; aber glücklicherweise erholt er sich auch schnell wieder, so dass er im Sommer seine Jugendkraft auch wieder erlangt. Ihre liebenswürdige Einladung ist so verlockend, dass ich mich nur schwer von dem Gedanken losreissen kann, dass ich entsagen muss. Aber unser lieber Freund Paul wird meine Stelle vertreten und meinen Mann in seinen Schutz nehmen; er ist treu wie Gold. Freilich würde ich mich trotz alledem lieber der angenehmen Pflicht unterziehen. Ich bin aber insofern beruhigt, als ich weiss, dass auch Sie über ihn wachen werden, dass er nicht zu Schaden kommt. Nun, hoffen wir das Beste. Bitte grüssen Sie Frau Louise herzlich von mir sowie die lieben anderen Frauen, die sich für mich opfern wollten; ich danke ihnen und werde sicher noch die Gelegenheit bekommen, ihren Opfermut in Anspruch zu nehmen. Als ich diese Nacht mehrere Stunden nicht schlafen konnte, hatte ich mir einen so schönen Brief an Sie zurechtgedacht; jetzt ist alles verschwunden und wartet August auf seine Fertigstellung, so dass ich mich beeilen muss. Ich freue mich, dass Sie so vergnügt sein können, woran Ihre gute Gesundheit und Ihre lustige Partnerin gemeinsam beteiligt sind. Ich nehme auch gern daran teil, denn ich bin sehr gern lustig; aber leider ist mir mein guter Humor in den wechselvollen Stürmen des Lebens abhanden gekommen. Aber in fideler Gesellschaft bin ich gern, und habe ich zu Herrn Liebknechts Geburtstag mit den Letzten, und zwar bis morgens vier Uhr ausgehalten, und waren wir so vergnügt und sangen mit den Jungen um die Wette. Wäre August dabeigewesen, wären wir längst nach Hause gegangen; er kann das gar nicht vertragen. Doch jetzt muss ich aber Schluss machen. Leben Sie recht wohl und seien Sie noch viele, viele Male recht herzlich bedankt für Ihre liebe Einladung und ebenso gegrüsst von Ihrer JULIE BEBEL.
Auch die Kinder lassen Sie und Frau Louise herzlich grüssen. 536
2 0 3 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 5. Mai 1892.
Original. Lieber General!
Ich habe St. G[allen] den Rücken gekehrt und bin gestern mittag hier wieder eingetroffen. Meine Frau kommt heute abend, sie blieb in Leipzig auf Besuch bei ihren Verwandten. Ich fühle mich wieder wohl und kann, wenn's verlangt wird, etliche Eichbäume ausreissen. Mit Paul habe ich Rücksprache genommen, und sind wir übereingekommen, Freitag, den 13. [Mai] zu Euch zu reisen. Wir würden also Samstag, den 14. [Mai] eintreffen. Ob ich P[aul] über Ostende statt über Calais bringe, weiss ich noch nicht, ich werde es versuchen und ihn an der Ehre packen. Er hat ja die kühne Idee, eventuell nächsten Sommer als Deputationsmitglied der Stadt Berlin sich nach Chicago schicken zu lassen; da mag er sich einstweilen auf dem Kanal trainieren. Eure Maifeier war grossartig; in Deutschland, Österreich und der Schweiz hat uns das Wetter einen schlimmen Streich gespielt, nur Hamburg war mit gutem Wetter versehen. Der gute Frohme hätte sein Abwiegeln lassen können, was geht uns denn die Anarchisterei an. Die sollte man physiologisch und psychologisch zu erklären suchen. Die Daily Graphic hat Euch insgesamt je recht allerliebst abgemalt.1 Die meisten von Euch sind sehr leicht zu erkennen, Du, die Hexe, Tussy, Aveling, dagegen ist Ede schlecht getroffen. Die andern kenne ich nicht persönlich. Werde die Menagerie morgen im Vorstand zeigen, damit der was zu lachen hat. Uber alles andere sprechen wir bald persönlich. Lass mich mit einer Zeile wissen, bitte, ob Dir unser Kommen jetzt recht ist. Herzlichen Gruss Euch allen Dein A. B.
1 Daily Graphic brachte am 2. Mai eine Zeichnung „Labour Day in London: Yesterday's Demonstration in Hyde Park. Platform no. 14." Ausser den Genannten sind noch Mrs. Cunningham Graham, Bonnier, Stepniak und Wolchowsky zu erkennen. Der wahre Jacob brachte die Zeichnung in Nr. 153, S. 1255.
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2 0 4 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 7. Mai 1892.
Original. Lieber August!
Also Samstag, heute über acht Tage erwarten wir Dich hier; hoffentlich bringst Du Paulus soviel Vertrauen aufs Wasser bei, dass er die Fahrt über Ostende als Probefahrt für die nach Chicago unternimmt; wenn er dann soviel Courage hat, kann er gleich ganz zu Wasser nach Chicago fahren, von Liverpool nach Montreal am Sankt Lorenz und von da durch die grossen Seen, dann ist er gefeit für immer; denn auf den grossen Binnenseen werden selbst die ausgepichtesten Ozeansseeleute seekrank, und wir vier1 waren das Wunder der ganzen Gesellschaft, als wir den Sturm auf dem Eriesee ohne solchen Anfall überstanden. Wenn Du aber glaubst, ich würde Dir jetzt noch auf Deine drei Briefe ausführlich und schriftlich antworten, so bist Du im Irrtum. Louise ist eben aus der Stadt zurückgekommen und hat einen grossen Durst mitgebracht, so dass wir einen zweiten Frühschoppen riskiert haben und in sehr erfreulicher Stimmung sind. Es ist nämlich sehr warm draussen, und da muss, um mich preussisch auszudrücken, Wandel geschaffen werden. Den Mendelson und seine Gattin sollst Du sehen, sie waren Sonntag wieder hier bei uns, Du kannst sie auch bei sich zu Hause sprechen. Dass wir gutes Maiwetter hatten und Ihr nicht, geschieht Euch recht; wärst Du hier gewesen, hättest Du mal gesehen, wie sechshunderttausend Menschen auf einem Fleck aussehen, es war wirklich kolossal; und nach diesem Eindruck wird es einem schwer, selbst die notwendige Kritik gegenüber den vorhergegangenen elenden Klüngeleien und Katzbalgereien festzuhalten, und doch ist man dazu verpflichtet. Wenn Du herkommst, bist Du durch Dein ärztliches Verbot vor allen öffentlichen Pauken gesichert, vorausgesetzt, dass Du selbst dies Verbot einhältst. Du weisst, wie es ist, wer sich in einem Fall breitschlagen lässt, ist in allen verloren. Laura Lafargue schreibt, dass unsere Leute in den französischen] Munizipalwahlen bis jetzt in einer Reihe Orte Erfolge errungen,2 aber erst nächste Woche, wegen Stichwahlen, die wahre Entscheidung Engels, Schorlemmer und die Avelings, s. Brief Nr. 119. L. Lafargue an Engels 6. Mai 1892. Engels an P. Lafargue 19. Mai: „. . . Après tout, 22 conseils et 600 sièges conquis, c'est boni . . ." 1
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bringen wird. Bis jetzt habe ich in der Presse nicht viel davon gesehen. Nun also, bring recht starke schwielige Fäuste mit, wir haben bereits an die Board of Works geschrieben, uns in den Londoner Parks die nötigen alten Bäume zur Verfügung zu stellen, damit Du wenigstens einen täglich zum Frühstück ausreissen kannst. Herzliche Grüsse von Louise Dein F. E.
2 0 5 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 10. Mai 1892.
Original. Lieber General!
Also endlich ist alles in Ordnung. P[aul] Sfinger] will Freitag mittag mitfahren, und kämen wir, wenn kein Hindernis eintritt, Samstag 11 Uhr 33 auf Charing Cross an. Das Reisehindernis für pünktliche Ankunft könnte darin bestehen, dass P[aul] S[inger] behauptet, die Frühschiffe von Ostende wären kleine Dinger, und wenn also der Zufall eine unruhige See brächte, könnte es kommen, dass er erst mit dem elf Uhr von Ostende abgehenden Schiffe fahren will. Dann müsste ich mich in Anbetracht der anderen Bedenken, die ich bei ihm überwand, wohl oder übel fügen, und wir kämen dann wohl erst nach sieben Uhr an. Also betet für gutes Wetter, falls Ihr Sündenlümmels noch beten könnt. Wenns keine Eichen zum Ausreissen gibt, begnüge ich mich auch mit Ulmen. In der Not frisst der Teufel Fliegen. Der Hexe wartet aber auch eine Aufgabe. Ich habe die Entdeckung gemacht, dass ich seit letzten Herbst erheblich an Gewicht abnahm; sie muss also ihre ganze Kunst und Küchenweisheit zu Rate ziehen, um mir auf einen ordentlichen Standard zu helfen. Bringt sie das fertig, dann soll sie einer guten Belohnung sicher sein. Also! Regt Euch nicht zu sehr auf, bis wir kommen. Natürlich habe ich hier vorzugsweise Louise im Auge, von der ich als selbstverständlich annehme, dass sie schon jetzt nicht mehr schlafen kann. Herzlichen Gruss Euch beiden. Dein AUGUST.
Ich bringe einen gesegneten Appetit mit. 539
2 0 6 . J U L I E B E B E L AN E N G E L S UND L O U I S E
KAUTSKY
Berlin, den 10. Mai 1892.
Original. Lieber Herr Engels!
Dass Sie auch meines lieben „Sächsisch" mächtig sind, bringt mich Ihnen immer näher, und kann ich nur wiederholt bedauern, dass es nicht in Wirklichkeit geschehen kann. Es wäre eben zu schön gewesen, drum hat's nicht sollen sein. Ich darf nicht zu üppig werden, sonst bekommen Sie in mir keine richtige Proletarierfrau mehr zu sehen, wie Sie es doch wünschen. Man macht uns so schon den Vorwurf, wir wollten aus dem neuzugründenden Frauen-Bildungs-Verein1 einen Frauen-Bourgeois-Verein machen. Drum habe ich auch gar keine Lust, da mitzutun, und setze mich am liebsten mitten unter die Proletarierfrauen, als mich zum Aushängeschild besonderer Eitelkeitsgelüste benutzen zu lassen. Doch zur Hauptsache zurück: Ich hoffe also, dass uns das nächste Jahr noch ebenso frisch finden wird, und wenn ich dann komme, sollen Sie mich zu allen Schandtaten bereit finden. Schade, dass ich erst so spät zu der Erkenntnis komme; hätte es in meiner Jugend geschehen können, so wäre vielleicht noch was Ordentliches aus mir geworden. Aber zu dieser Zeit wurde alle Jugendlust im Keime erstickt. Schade, dass ich nicht jetzt schon Ihnen manche gewiss interessante Episode daraus erzählen kann; dann würden Sie das begreifen. Grüssen Sie bitte die gute Tussy von mir; ich danke ihr herzlich für ihren guten Willen, mir in einer Woche so viel Englisch zu lernen, als August jetzt schon kann; sie soll mich aber im nächsten Jahre noch ebenso gelehrig finden. Ich muss nunmehr meine ganze Sorgfalt für August Ihnen und Frau Louise übertragen, damit sein Magen und Herz in Ordnung bleiben und er mir nicht krank an beiden zurückkehrt. Er ist jetzt wieder ganz wohl, und ich hoffe, dass die Reise eine bessere Wirkung für ihn haben wird als vor vier Wochen. Aber an Gewicht hat er noch viel nachzuholen, der parlamentarische Winter hat ihn schmählich heruntergebracht, aber der Sommer bringt ihn auch wieder auf. Die Maifeier muss allerdings grossartig und erhebend zugleich bei Der Frauen-Bildungsverein wurde am 24. Oktober 1892 gegründet. In der Gründungsversammlung sprach Bebel über das Thema „Die Frau in Staat und Gesellschaft", Bericht darüber im Vorwärts, Nr. 252, 27. Oktober. Im März 1893 beschloss der Allgemeine Arbeiterinnenverein seine Vereinigung mit dem FrauenBildungsverein.
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Ihnen in London gewesen sein, und haben wir alles Diesbezügliche mit grossem Interesse verfolgt. Annähernd muss es noch in Hamburg gewesen sein, und es hat mir schrecklich leid getan, dass mein Mann nicht dort sein konnte, ich hatte mich so darauf im stillen gefreut; denn ich hatte mir vorgenommen, mit hinzugehen, aber so konnten wir nur vom Fenster aus in St. Gallen die Begeisterung der dortigen Genossen bewundern, die bei dem denkbar schlechtesten Wetter ihren Umzug hielten, und zwar zweimal, abends sogar mit Fackeln. Nun also, leben Sie wohl und haben Sie herzlichen Dank für Ihre lieben Zeilen. Ich wünsche Ihnen allesamt viel Vergnügen und sende Ihnen meine besten Grüsse Ihre JULIE B E B E L . Liebe Frau Louise! Es ist gleich elf Uhr, und der Brief soll noch fort; ich werde deshalb nicht viel mehr schreiben können, zumal Sie aus beifolgendem alles ersehen, was ich sonst nur wiederholen könnte. Es tut auch mir leid, dass ich nicht bei Ihren lustigen Gelagen sein kann, ich würde sehr gern mittun; dass sie aber sogar Tanzgelüste hatten, wundert mich, da man das doch in England nicht zu tun pflegt. Nun, dafür wird mein Mann alle seine Liebenswürdigkeit entfalten, und werden Sie sich zusammen recht gut amüsieren. Pflegen Sie ihn nur recht gut, damit er die Strapazen der vielen Vergnügen, die ihn erwarten, bestehen kann. Vor allem, bewahren Sie ihn vor Süssigkeiten, die sind ihm am gefährlichsten, und schwere Getränke soll er auch nicht haben, auch nicht starken Kaffee und Tee. Im übrigen muss ich ihn seinem Schicksal überlassen. Nun, da er Ihnen ja bald mündlich Rede und Antwort steht, kann ich es ja unterlassen. Dummerweise wusste ich nicht, dass mein Mann nur so wenig schrieb, sonst konnte ich einen neuen Bogen nehmen; aber ich war so ins Schreiben geraten, dass es in einem hinging. Leider fehlt mir die Zeit, noch einmal zu schreiben, und entschuldigen Sie mich wohl deshalb; auch Herrn Engels bitte ich darum. Mit herzlichem Grusse Ihre JULIE B E B E L .
2 0 7 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 4. Juni 1892.
Original. Lieber junger Alter!
Wir sind durch das Verhalten des Billetknipsers so rasch beim Aschied auseinandergekommen, dass ich Dir nicht einmal mehr für die mir 541
gewährte Gastfreundschaft herzlich danken konnte, was hiermit geschehen sein soll. Wie wir heimkamen, hast Du aus den Karten ersehen, und etwaige Ergänzungen enthält mein Brief an unsere liebe Hexe. Hier gab's natürlich Arbeit in Menge, doch hat mir Julie durch ihre musterhafte Buchführung dieselbe sehr erleichtert. Ich werde sie von jetzt ab als Buchhalterin ohne Gehalt, aber mit guter Behandlung anstellen und hoffe, dabei gut zu fahren. Was sagt Ihr denn zu der Veröffentlichung des 1. Mai-Bildes im Wahr[en] Jacob?1 Das war jedenfalls der beste Witz, den der W[ahre] J[acob] machte. Das Gesicht von K. hätte ich sehen mögen. So geschlagen zu werden, ist bitter. 2 Dietz schreibt mir, dass er die fünfhundert Mark an V[ictor] geschickt habe, vielleicht hat er Dir auch Meldung gemacht. 3 Schoenlanks Zustand ist weniger gefährlich, als ich annahm; 4 nur die Art der Kur, die ein sog. Nervenspezialist anordnete, scheint mir so verrückt als möglich zu sein. Nach einigen Wochen wird er wieder zurückkehren können, vorausgesetzt, dass er sich in der Fremde vor Exzessen in acht nimmt. Dass auch ich verrückt geworden bin, wirst Du aus dem neuesten Vorw[ärts] ersehen; 5 na, ich hoffe, noch etwelche Jährchen den Gegnern das Leben sauer zu machen. Im übrigen ist die Hitze hier wirklich zum Verrücktwerden. Um die Politik habe ich mich noch nicht gekümmert, und zum Glück ist sie ja auch recht langweilig. Dass der Kleine so willig auf die Kieler Entrevue einging,6 geschah wohl nur, weil ihm vor dem
1 Das Blatt brachte in Nr. 150, S. 1232, eine Zeichnung mit der Unterschrift: „Die .sieben Schwaben' leben immer noch." Auf ihrem „Innungs-Schild" war ein Krebs zu sehen. 2 Karl Kautsky hatte auf der Zeichnung unter dem Arm ein Buch, auf dem „Professor" zu lesen war. 3 Engels liess die ihm zustehenden Honorare an Victor Adler überweisen; in diesem Falle ermöglichte es ihm die Sendung, seine kranke Frau in eine Heilanstalt zu bringen und selbst einige Wochen auszuruhen. V. Adler an Engels 26. Mai 1892. 4 Schoenlank war in einer Heilanstalt; er litt an einem stets wiederkehrenden Nervenleiden. 5 Nr. 129, 4. Juni: Uber Bebel, der am 2. Juni munter von London zurückgekehrt sei, wo er sich ca. drei Wochen für literarische Studien aufgehalten habe, melde das Leipziger Tageblatt, dass er „seit längerer Zeit nervenleidend und nunmehr als Gemütskranker" bei seinem Schwiegersohn in Zürich unter ärztlicher Behandlung stehe. „In eine Heilanstalt habe man Bebel nicht schaffen wollen, weil dann sein Geisteszustand weiteren Kreisen bekanntgeworden sein würde . . ." • Am 7. Juni war eine Zusammenkunft Wilhelm II. mit dem Zaren in Kiel.
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Besuch in Berlin selber graute. Der Empfang wäre mehr als frostig gewesen. Unsere Anarchisten suchen nach einem Drucker, um ein kleines Winkelblättchen herauszugeben; sie finden aber niemand, der den Druck übernehmen will. Erscheint das Blättchen dennoch, so dürfte der Sozialist das Zeitliche segnen;7 seine letzten Nummern enthalten nur noch Schimpfereien gegen uns, und das ist ein schlechtes Zeichen für seine Gesundheit. Liebkn[echt] habe ich noch nicht gesehen, wahrscheinlich treffe ich ihn morgen. Wie hast Du Schorlfemmer] getroffen, und wie steht's mit ihm? Ich will Dich mit dieser Frage nicht zum Schreiben verleiten. Nach den Strapazen, die wir Dir verursacht, und nach dem Leid, das Dir das Ende eines Freundes zufügt, musst Du Dir ein wenig Erholung gönnen, um mit frischen Kräften Deine Arbeit am „Kapital" wiederaufnehmen zu können. Ich rechne bestimmt darauf, dass wir uns zum besprochenen Termin in Stuttgart sehen, und zwar lieber ein paar Tage früher als einen später. Das Schreiben wird einstweilen mit Vergnügen Louise übernehmen, die sich unter Deiner Leitung wirklich ganz prächtig entwickelt hat. Julie sieht Eurem Kommen mit grossem Vergnügen entgegen und wird suchen, sich als gute Gastgeberin und Hauswirtin zu bewähren. Mit herzlichem Gruss von uns beiden Dein AUGUST. 8
Beiles ist nach Deutschland zurückgekehrt, hat sich dem Elberfelder Gericht gestellt und ist daselbst buchstäblich Hals über Kopf 2x1 ganz ungewöhnlicher Gerichtsstunde nach kurzer Verhandlung freigesprochen worden. Der Vorgang ist etwas sonderbar, — obgleich ich an seine Verurteilung nie glaubte, der Kerl ist aus Feigheit ausgerissen; doch werden wir ihn mit dem Mantel der christlichen] Liebe bedecken und schweigen. 7
Der Sozialist erschien seit 1891 als Wochenblatt. Der Untertitel war von Nr. 1, 15. November ab „Organ der unabhängigen Sozialisten", von Jahrg. III Nr. 30, 22. Juli 1893 ab „Organ aller Revolutionäre", von Jahrg. V (Neue Folge, Nr. 1), 17. August 1895 ab „Organ für Anarchismus-Sozialismus". Seit Mai 1899 erschien das Blatt monatlich in kleinem Format mit dem Untertitel „Anarchistische Monatsschrift". 8 Vermutlich handelt es sich um den in den Elberfelder Geheimbundprozess verwickelten Rechtsanwalt Beiles I in Düsseldorf, s. „Beschluss der Strafkammer I des Königl. Landgerichts zu Elberfeld in der Strafsache c/a Ams und Genossen" vom 27. Mai 1889, S. 30f. Es wurde festgestellt, dass er ein rühriges und angesehenes Mitglied der sozialdemokratischen Partei sei, aber dass ihm strafbare Handlungen nicht nachzuweisen seien; er wurde daher ausser Verfolgung gesetzt.
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2 0 8 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 11. Juni 1892.
Original. Lieber General!
Anbei einige Euch interessierende Notizen und Artikel. Sei so gut und sende mir die Ahlwardtsche Broschüre „Judenflinten"1 zurück. Dieselbe ist konfisziert und kein Stück mehr zu haben, ich brauche sie aber für den nächsten Reichstag. Der österreichische Parteitag ist famos verlaufen. Die „Opposition" ist beseitigt.2 Nach meinem Geschmack hätte Auer seine Angriffe auf die Opposition in seinen Berichten im Vorw[ärts] unterlassen sollen.3 Die Österreicher waren taktvoll genug, sich nicht in unsere Streitigkeiten zu mischen; dasselbe hätte von unserer Seite geschehen sollen. Auer wird morgen oder übermorgen zurückkehren, er hat noch einen Abstecher nach seiner bayerischen Heimat gemacht. Nichts Neues von Belang. Herzlichen] Gruss von Deinem AUGUST. Eins der bekanntesten literarischen Erzeugnisse des Antisemitismus, dessen fruchtbarster und vulgärster Propagandist zu jener Zeit der Abgeordnete Ahlwardt war. Das Thema dieser Broschüre waren von der Firma Loewe gelieferte und angeblich imbrauchbare Militärgewehre. 2 Der dritte Parteitag der österreichischen Sozialdemokratie, 5.-9. Juni in Wien. S. V. Adler an Engels 26. Mai. Man erwartete eine Spaltung der Partei; aber einstimmig beschloss der Parteitag, Hanser und Heimann, die Wortführer der Opposition, auszuschliessen. S. L. Briigel, Geschichte, Bd. IV, S. 168ff. s In seinen Berichten über den Parteitag in Nr. 131, 8. Juni und Nr. 133, 10. Juni richtete Auer des längeren scharfe Angriffe gegen die österreichischen „Unabhängigen". 1
2 0 9 . E N G E L S AN B E B E L
London, den 20. Juni 1892.
Original. Lieber August!
Hierbei die „Judenflinten", unter Briefverschluss, da sie sonst als Streifbandsendung wohl konfisziert werden könnten. Mit Schorlfemmer] steht's noch immer so. Ich fand ihn matt, teilnahmlos, Bewusstsein leise getrübt, sonst schmerzlos. Gumpert schreibt, die Geschwulst in der Lunge nehme langsam, aber stetig zu, im selben Verhältnis auch die (durch Druck auf die grossen Venen, die das Blut der oberen Körperhälfte wieder dem Herzen zuführen sollen, verursachte) Störung der Gehirntätigkeit, Gedächtnisschwäche 544
und Teilnahmlosigkeit. Doch nehme er immer noch hinreichend Nahrung zu sich. So kann's, wenn kein Zwischenfall eintritt, noch einige Zeit so vorangehen.1 Dass der Warken2 im Saargebiet sich noch hält, darf Dich nicht wundern, wenn im Ruhrgebiet Schröder sich halten kann. Ich hatte an Siegel ein paar Zeilen geschrieben und ihm mitgeteilt, was Bunte Dir wegen seiner Flucht gesagt. Diesen Brief schickte Siegel mit einem ganz vertrauensseligen eigenen Brief an Schröder, daraufhin, dass Bunte bei Geldunterschleifen abgefasst sei, und Schröder gab mir beide zu lesen, Siegels und meinen. Ob das mit Bunte wahr ist, weiss ich nicht. Jedenfalls siehst Du hieraus, dass Schr[öder] noch sehr fest im Sattel sitzt. Bei einer so jungen Bewegung, wie die der Bergleute, muss man sich immer zweimal überlegen, ob es nicht besser ist, solche unsichere Burschen wie S[chröder] und Wfarken] sich eine Zeitlang selbst abwirtschaften zu lassen, wenigstens solange, bis man positive handgreifliche Tatsachen gegen sie in der Hand hat. Und dann ist's ja eine alte Geschichte, dass da, wo die Bewegung neu entsteht, die ersten sich vordrängenden Führer oft genug Streber und Lumpen sind. Bax ist jetzt Redakteur von Justice,3 bis Ende Juli, und das Blatt ist jetzt anständig; gestern wird von Avelings Reden in Aberdeen in anständiger Weise gesprochen und gegen die persönlichen Zänkereien (also indirekt und gegen Hyndman) losgelegt. Bax war gestern auch sofort hier, sich seine Anerkennung zu holen, was die Hexe mit ihrer feinen Nase bereits prophezeit hatte, sobald sie das Blatt in die Hand bekam. Worauf Hyndman damit eigentlich lossteuert, ist mir noch nicht ganz klar. Am wahrscheinlichsten ist, dass er sieht, wie seine bisherige Politik ihn festgeritten hat, und er eine Schwenkung machen muss. Sein Blatt hat Defizit, seine S[ocial] D[emocratic] Föderation] bekommt lange nicht den Anteil am allgemeinen Zuwachs der Bewegung hier, der ihr das Recht gäbe, die Leitung zu übernehmen; sein
Karl Schorlemmer starb am 27. Juni. Nikolaus Warken war der Vorsitzende des von dem Abgeordneten Kaplan Dasbach gegründeten Rechtsschutzvereins der Saar-Bergleute, der von 1889 bis 1893 bestand und dessen Mitgliederzahl im ersten Jahre auf 18.000 stieg. Sozialdemokraten gehörten dem Vorstand nicht an; Warken war 1890 auch Reichstagskandidat des Zentrums. Erst als der Verein sich mehr der Sozialdemokratie näherte, wurde im Saargebiet eine Filiale des Volksvereins für das katholische Deutschland gegründet und arbeiteten die Zentrumsführer gegen den Rechtsschutzverein. S. K. A. Gabel, Kämpfe und Werden der Hüttenarbeiter-Organisationen an der Saar (Saarbrücken, 1921), S. 80ff; O. Hue, Die Bergarbeiter, II, S. 441, 443ff. 8 E. Beifort Bax war zwei Monate Redakteur der Justice; s. Anm. 5. 1
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Konkurrenzkampf mit den Fabians 4 verläuft auch nicht mit Erfolg — im Gegenteil, seine auswärtigen Alliierten, Brousse und Gilles, haben ihn in den Dreck gesetzt und drin sitzen lassen. Kurz, es wäre sehr möglich, dass er andere Saiten aufzuziehen für gut findet und sich uns nähern möchte. Das wäre keineswegs angenehm; denn ich habe es jedem gesagt, der es hören wollte, dass mir H[yndman] als Feind (wo er ziemlich machtlos) viel lieber ist denn als Freund (wo man ihm mit viel Zeitverlust fortwährend auf die Finger sehen müsste). Was ihn auch in diese Bahn gedrängt haben kann, ist sein Verlust aller Wahlaussicht in Chelsea, wo er den Sir Ch. Dilke ersetzen wollte, wo aber bei der County Council-Wahl der von H[yndman] vorgeschobene Zählkandidat Queich 5 nur hundertdreiundfünfzig Stimmen erhielt, und wo er seitdem alle Hoffnung hat fahren lassen. Jedenfalls wird H[yndman] es schwierig finden, im August in demselben Blatt den von Bax so offen desavouierten alten Ton wieder anzuschlagen, und wenn er den Fabians erfolgreiche Konkurrenz machen will, kann und darf er's auch nicht. Nun, wir werden sehen. Wir sitzen hier schon mitten in der Wählerei, und die Tories und liberalen Unionisten bieten Geld die Hülle und Fülle, um Arbeiterkandidaten mit Geld auszurüsten, damit sie den Liberalen Stimmen entziehen. Champion,6 der einer der Hauptagenten der Tories in dieser Beziehung ist, hat Aveling die Mittel angeboten, in Northampton gegen Labouchere aufzutreten, aber A[veling] hat natürlich abgelehnt. Unter den Arbeiterführern herrscht infolge dieser Geldköder gewaltige Aufregung, und die braven Leute, die glauben, was erhaschen zu können, arbeiten sich ab mit ihrem Gewissen, um es diesem klarzumachen, dass es etwa doch noch einen honetten Weg gäbe, auf dem man das Torygeld ohne Erröten nehmen könne — das Erröten besteht freilich bei den meisten in der Furcht, sich schliesslich selbst mehr dadurch zu schaden als zu nutzen. Wenn man weiss, bis zu welcher Tiefe die parlamentarische Korruption hier alles politische Leben durchdrungen hat, so wundert man sich nur darüber, dass die Leute noch dies Minimum von Schamgefühl haben.
Die 1883-84 gegründete Fabian Society, deren bekannteste Vertreter G. B. Shaw, Sidney und Beatrice Webb und Graham Wallas waren. 5 Harry Queich (1858-1913), Vorstandsmitglied der Social Democratic Federation, seit August 1892 Redakteur der Justice. Sir Charles Dilke hatte 1886 nach einem Ehescheidungsprozess auf seinen Parlamentssitz verzichten müssen. • Heniy-Hyde Champion (1857-1928), ursprünglich Marineoffizier, 1888-1894 Herausgeber des Labour Elector-, 1887 schloss die Social Democratic Federation ihn aus, weil er von den Konservativen Wahlhilfe akzeptiert habe. Er war dann Redakteur des Nineteenth Century und emigrierte 1894 nach Australien. 4
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Die Horlacherliesl7 hat allerdings viel Verwandtschaft mit der Hexe, die Hexe ist mir aber doch noch lieber. So sehr auch der Anzengruber seine österreichischen Bauern stellenweise idealisiert, und so ungemein beschränkt auch der Hintergrund ist, auf dem sich seine ausgezeichneten Schilderungen abspielen, so schmerzlich empfindet man doch dabei die Trennung dieses prachtvollen Volksstammes vom übrigen Deutschland und die Notwendigkeit der Wiedervereinigung, die allerdings nur wir zustande bringen werden. Nun hätte ich noch gern ein paar Zeilen an die Buchhalterin ohne Gehalt Frau Julie geschrieben, um mich für ihre letzten Briefe zu bedanken, die leider noch unbeantwortet sind, aber ich sitze tief, tief in der Arbeit. Ich habe noch zwei lange und etwas kitzlige Briefe zu schreiben, und dann soll ich endlich mal wieder an den dritten Band. Da muss ich alle solche Korrespondenz, die mir bloss Vergnügen macht, beiseiteschieben und nur Geschäftssachen abmachen. Also sei mein Vertreter bei Deiner Frau, dass sie mir nicht zu sehr zürnt. Ich will's wieder gutmachen, womöglich ehe ich nach Berlin komme, sonst aber da; ich freue mich so sehr darauf, ihre Bekanntschaft zu machen, ich weiss im voraus, wir werden sehr gut zusammen auskommen. Also herzliche Grüsse an sie und an Dich von uns beiden Dein alter GENERAL.
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Eine Gestalt aus Ludwig Anzengrubers (1874).
G'tvissenswurm
Bauernkomödie mit Gesang
Der
2 1 0 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 24. Juni 1892.
Original. Lieber General!
„Judenflinten" und Brief erhalten; ich glaube, Du hättest die ersteren ohne Gefahr unter Kreuzband senden können. Nach Deiner Darstellung scheint der arme Schorlemmer noch eine längere Leidenszeit vor sich zu haben. Später wird man vielleicht mal so vernünftig und hilft einem Menschen, der unrettbar verloren ist, durch geeignete Mittel den Todeskampf abkürzen, statt dass man wie heute es umgekehrt macht. Der Siegel ist ein Esel, so lang er ist. Es hängt eben eins an dem anderen; der Mann, der sich so leicht aus Deutschland hinausbugsieren liess, weil ihm zweifellos vor der Gefängnishaft bange war, 547
muss einen Charakter haben, wie er sich zeigt. Da ist auch sein Verlust kein Schade. Die Schrödfer] 1 und Warkfen] müssen wir uns freilich gefallen lassen, weil wir keine besseren haben. Es gibt zwar einzelne sehr tüchtige Leute unter den Bergarbeitern im Rheinland und] Westf a l e n ] , aber sie sind ihrer Anlage nach zu keiner leitenden Rolle geeignet. Das Saarrevier könnten wir uns im Augenblick vielleicht kaufen. Der Verband hat in Bildstock einen grossen Saalbau aufgeführt, der ein unsinniges Geld schon kostet im Vergleich zu dem Geleisteten — sechzigtausend Mark, was für vierzigtausend Mark zu haben sein sollte, — und ist infolgedessen in der Geldklemme, da sollen wir zehntausend Mark auf Hypothek herausrücken.2 Einstweilen halten wir die Sache in der Schwebe. Fischer, der eben am Mittelrhein ist, soll hinüber und sich die Sachen näher ansehen. Wfarken] soll ein sehr intelligenter Mensch sein, aber ein Heuchler und Achselträger schlimmster Art; aus reiner Berechnung hält er es bis jetzt noch mit den Pfaffen, die natürlich Zähne und Nagel daran setzen, die Bergarbeiter in ihren Klauen zu behalten. Aber allmählich kommt das Eis zum Brechen, und bis zu den nächsten Wahlen haben wir, hoffe ich, festen Fuss gefasst. Im Saarrevier liegt sich Stumm mit den Ultramontanen in den Haaren, und das ist für uns nur vorteilhaft. Das Wahlprogramm des alten Gladstone3 ist — und hier stimme ich mit L[ie]b[knecht] nicht überein — sehr geschickt auf die Arbeiter berechnet. Er hat es famos verstanden, durch Redensarten und Versprechungen, die ihn nicht binden, den Wünschen derselben entgegenzukommen. Er wird damit den Tories — wenn diese ihn in letzter Stunde nicht übertrumpfen — eine Menge Wind aus den Segeln S. Brief Nr. 196, Anm. 6. Schröder war ein angesehener Funktionär seines Verbandes. Im Jahre 1895 wurde er aus nichtigem Anlass wegen Meineides zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt; mehrere andere Angeklagte erhielten noch höhere Strafen. Es war ein Fehlurteil. Erst im Wiederaufnahmeprozess wurden sie 1911 freigesprochen, nachdem sie längst ihre „Strafen" unschuldig verbüsst hatten. S. Der Essener Meineidsprozess gegen Schröder und Genossen im Wiederaufnahmeverfahren (Dortmund, 1911). 2 Der Rechtsschutzverein hatte in Bildstock ein Verbandshaus mit Druckereigebäude errichtet; die Gesamtkosten beliefen sich auf 120.000 Mark. Als der Verein bei seiner Auflösung 1893 eine Schuldenlast von 14.000 Mark hinterliess, wurde das Gebäude versteigert und vom Fiskus erworben. Vierzig Jahre Bergbau und Bergarbeiter-Verband (Bochum, 1929), S. 65f. 3 Der Vorwärts brachte in Nr. 146, 25. Juni eine Meldung darüber. Gladstone betrachte als vordringlich die Lösung der irischen Frage, die Verbesserung der Lage der Arbeiter, u.a. durch eine Umgestaltung des bei der Einschreibung in die Wählerlisten befolgten Systems und durch Verminderung der Arbeitsstunden, sowie die Verbesserung der Lage der Bergarbeiter. Liebknecht machte darüber abfällige Bemerkungen; das Programm sei „Schwindel" u.dgl. 1
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nehmen und es den Gewerkschaftshammeln schwer machen, sich für die Tories und die liberalen Unionisten in die Schanze zu schlagen. Wenn wir nur erst auch mal wieder eine Wahl vor der Türe hätten; die Sache fängt an, langweilig zu werden; unsere Leute gieren nach Beschäftigung. In der Schweiz, und zwar im Vorbereitungskomitee für den internationalen] Arb[eiter-]Kongress ist grosser Sturm gegen Seidel. 4 Die Mehrheit — zehn von sechzehn — verlangt seinen Rücktritt. Es wird ihm sehr verübelt, dass er sich mit Gilles so eingelassen, und an sonstigen Gründen des Zerwürfnisses fehlt es auch nicht. Wir mussten dieser Tage noch mit tausend Mark das Defizit des eingegangenen Achtstundentags5 decken, für das wir die Garantie übernommen hatten. Man ist nicht ungestraft Kapitalist; das merken wir auch an anderen Ansprüchen, die von allen Seiten an uns kommen. Über den grossen Antisemitenrummel im Vorw[ärts] und in der hiesfigen] Stadtverordnetenversammlung 6 wirst Du gelesen haben. Endlich sagt heute der Vorw[ärts], worum es sich handelt, das konnte der auswärtige] Leser bis jetzt nicht wissen. Die Gesellschaft ist hundsgemein, das ist wahr; aber die Entrüstung ist übertrieben. Für mich ist die Bewegung, die ganz entschieden in unseren kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Kreisen immer mehr Boden findet, ein Symptom für den raschen Untergang dieser Schichten. Sie fühlen sich bedrückt durch die Kapitalmacht, und da als Träger derselben in ausgeprägtem Grade das Judentum auftritt, wendet sich der Hass ganz D a s Komitee, dessen Aufgabe die Vorbereitung des Züricher Internationalen Arbeiter-Kongresses 1893 war, bestand aus je fünf Vertretern der Sozialdemokratischen Partei, des Grütlivereins und des Gewerkschaftsbundes. Präsident war K. Bürkli, Stellvertreter H. Greulich, Sekretär R. Seidel. Protokoll, S. IVff. 5 D a s Blatt Der achtstündige Arbeitstag erschien auf Grund eines Beschlusses des leitenden Komitees des Internationalen Arbeiter-Kongresses 1889 vom 7. Dezember 1889 bis E n d e Februar 1891. Redakteur war E . Wullschleger. 6 Ein Dringlichkeitsantrag Dr. Friedemann war von 5 2 Stadtverordneten unterzeichnet: Der Magistrat möge mit dem Polizeipräsidium in Verbindung treten, „um der Belästigung des Publikums durch Verbreitung schamverletzender Schriften auf den Strassen" zu steuern. Vorwärts, Nr. 144, 23. Juni. Der Antrag wurde von der Stadtverordnetenversammlung am 23. Juni angenommen, ebd., Nr. 145, 24. Juni. In derselben Nummer teilte das Blatt mit, in der Friedrichstrasse müsse man spiessrutenlaufen durch Ausrufer, die „unflätige und grotesk-ekelhafte" Photographien und Broschüren anbieten, „jede Broschüre und jedes Bild eine unflätige, ekelhafte Beschimpfung der J u d e n . . .". Gefährlich sei dieser Unfug, weil er ein Monopol der Antisemiten sei. „. . . Nicht nach der Polizei rufen wir wie das fortschrittliche Philistertum, wir verlangen nur gleichen Wind und gleiche Sonne — gleiches Recht für alle. Haben wir gleiches Recht, dann soll eine lustige Hetzjagd auf die Judenhetzer beginnen, so lustig und kräftig, dass die Hetzer bald überall hinausgehetzt sind und Deutschland sauber ist von dieser abscheulichen Plage."
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speziell gegen dieses, was für die Hetzer um so leichter zu bewerkstelligen ist, als religiöse und Rassenabneigung dabei mit eine Rolle spielt. Wenn man sieht, wie die Juden hier in Scharen aus den Ostprovinzen einwandern und allmählich sich mit ihrer Zähigkeit und Emsigkeit des ganzen Handels bemächtigen, wie in Mitteldeutschland: Hessen, Baden, Franken etc. der ganze Vieh- und sonstige Handel mit Agrarprodukten ganz ausschliesslich in jüdischen Händen ist, begreift sich, dass das Agitatorentum einen so ergiebigen Boden findet. Die Bewegung zersetzt die gegnerischen Parteien, und das ist der Vorteil für uns. Also die Hexe gefällt Dir besser als die Horlacherlies. Ja, General, die Wahl treffe ich auch, aber darum handelte es sich ja nicht; ich bin schon zufrieden, dass A[nzengruber] eine Figur zeichnete, die unserer Hexe gleicht. Bisher glaubte ich, es existierte nur ein solches Exemplar. Frau Julie erlässt Dir in Gnaden Deinen Brief, da sie vollkommen anerkennt, dass Du im Ubermass zu tun hast; sie wird um so eifriger dafür sorgen, dass es Dir bei ihr hier gefällt. Auch ich will Dich keineswegs zum Briefschreiben verleiten und bitte Dich, Dir keinen Zwang aufzuerlegen. Ich hoffe, wir sehen uns zur abgesprochenen Zeit in Stuttgfart]; vielleicht bringen wir es fertig, den Onkel Georg7 auf acht Tage mitzuschleppen. Der Mensch sitzt wie der Dachs in seiner Höhle und will nicht heraus, obgleich ihm dies so notwendig ist wie irgendeinem Menschen. Von den beifolgenden Broschürchen gehört, wie Du Dir wohl denken kannst, eins der Hexe, ebenso einer der Kalender. Herzlichen Grass von Julie und Deinem ,
AUGUST.
Der Artikel Vollmars ist in der Revue bleue8 vom 16. Juni erschienen, lass ihn Dir kommen. Vfollmar] will sich möglichst objektiv aufspielen, der Schluss ist faul.
Es ist nicht bekannt, wer gemeint ist. S. Brief Nr. 218. In Beantwortung der Rundfrage eines französischen Literaten, der ein — nicht zustande gekommenes — Buch „Staatssozialismus unter Bismarck und Wilhelm II." plante. Vollmars Antwort erschien in der Revue Politique et Littéraire, Nr. 25, 18. Juni. Vollmar, „In eigener Sache", Münchener Post, Nr. 161, 19. Juli. S. Brief Nr. 217. 7
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2 1 1 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 29. Juni 1892.
Original. Lieber General!
Also Schorl[emmer] ist tot; wohl ihm, nachdem einmal eine Abwendung dieses letzten Schrittes, den wir alle einmal, hoffentlich möglichst spät, machen müssen, nicht möglich war. Da eben L[ie]b[knecht]s ältester Sohn1 bei mir ist, der behufs seines juristischen Examens, in dem er eben steckt, meine Reichstags ]akten durchochst, habe ich ihm Deinen Auftrag für seinen Vater übertragen. Du wirst nächstens um ein Interview von seiten des Figaro angegangen werden. Trotz meiner Abneigung gegen dergleichen liess ich mich doch einmal wieder breitschlagen.2 Das Interview betraf recht kniffelige Fragen, meist Zukunftsmusik, und wird von diesen guten Leuten und schlechten Musikanten, die sich gar nicht in unseren Ideengang hineinzufinden vermögen, wohl etwas seltsam wiedergegeben werden, obgleich ich mir alle Mühe gab, ihnen meine Antworten recht mundgerecht zu machen und ihn sein Niedergeschriebenes vollständig umschreiben liess. Der Interviewer, ein Mr. Jules Huret,3 wird in ca. drei Wochen sich bei Dir einstellen; mittlerweile wird er ja mein von mir gegebenes veröffentlicht haben, und Du hast danach einen Massstab, wie Du ihn behandeln willst. Zwischen Gladstone und Salisbury ist ja die reine steeple-chase im Gange. Einer überbietet den andern. Na, das kann gut werden; und ich bin wirklich neugierig, wie die Schlacht ausgeht, die sich freilich nach dem famosen englischen Wahlgesetz wochenlang hinzieht. Wenn die englischen Arbeiter die Situation begriffen, könnten sie dieselbe tüchtig ausnutzen. Wahrscheinlich werden sie aber der Welt das Bild vollständiger Zerfahrenheit und politischer Grundsatzlosigkeit bieten. Theodor Liebknecht; er hatte später eine Rechtsanwaltspraxis zusammen mit seinem jüngeren Bruder Karl in Berlin. 2 Das ausführliche Interview erschien in J. Hurets Serie „Théoriciens et Chefs de Sectes" in Le Figaro, Nr. 286, 12. Oktober 1892. Bebel erklärte, er halte die soziale Umgestaltung vor Ende des Jahrhunderts für möglich; aber seine Freunde hielten ihn für einen Optimisten. Auf Hurets Frage, ob er auf Guesde schiessen würde, wenn er ihm im Kriege gegenüberstände, antwortete Bebel, er hoffe, dass das nicht geschehe; sie seien beide zu alt. Auf Hurets Andringen meinte er: Ja, er würde schiessen, aber — nochmals — er würde dazu gezwungen sein. 3 Bekannter französischer Journalist (1864-1915); er veranstaltete 1892 für den Figaro eine Enquête über die soziale Frage in verschiedenen Ländern. Grosse Reportagen u.d.T. „En Allemagne" erschienen, auch deutsch, in mehreren Bänden. 1
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Dem Kampf zwischen Gl[adstone] und Sfalisbury] dort reiht sich der Kampf zwischen Bismarck und Caprivi würdig an.4 Ich weiss nicht, wieweit die englischen] Zeitungen über denselben berichten; der Vorw[ärts] begnügt sich ja prinzipiell mit den L[iebknecht] sehen Räsonnements, aus denen der Leser sehen mag, wie er klug wird. Ich habe erst Sonntag wieder mit L[iebknecht] eine Unterhaltung gehabt und ihn auf die vollständige Informationslosigkeit des Vorw[ärts] hingewiesen, aber das ist alles zwecklos. Er hält den Vorw[ärts] für das beste Blatt der Welt. Ich sende Dir die heutige Voss[ische] Zeitung mit dem Artikel der Nordd[eutschen] Allg[emeinen] Zeit[ung], aus dem Du ersehen wirst, wieweit die beiden hintereinander geraten sind. Gewiss ist, dass, wenn Caprivi die Rolle Bism[arcks] gegen ihn, C[aprivi], spielte, eine neue Auflage des Arnim-Prozesses5 unzweifelhaft wäre. Es gibt gutes Material für die Debatten im nächsten Reichstag, es soll mir Bismarck zuliebe auf einen Ordnungsruf nicht ankommen. Die Vossfische] Zeit[ung], erst ein gegnerisches Blatt von B i s marck], ist seit einiger Zeit wie umgewandelt. Der ausnahmegesetzliche Bism[arck] imponiert dem fortschrittlichen Blatte. Freitag hat die Parteileitung — alle zwölf Apostel und Christus Liebk[necht] als dreizehnter — Konferenz, um die Tagesordnung für den nächsten Parteitag festzusetzen. Damit die Geister bei dieser Hitze nicht zu sehr aufeinanderplatzen, haben wir gestern beschlossen, statt geistiger Getränke Kaffee mit Kuchen auf Parteikosten zu verabreichen. Schade, dass die Hexe nicht mit dabei ist, die könnte die Honneurs machen, worauf ich mich doch auch nicht so verstehe wie sie. Auch geht mir die nötige Liebenswürdigkeit ab, die sie so reichlich besitzt. Wir wollen unter anderem auf die Tagesordnung auch setzen: „Die Ein vom Reichskanzler von Caprivi gezeichneter und an alle Gesandtschaften gerichteter Erlass vom 23. Mai 1890 besagte, dass den gegenwärtigen Anschauungen Bismarcks ein aktueller Wert nicht beizulegen sei. Caprivis Erlass vom 9. Juni 1892 war eine Anweisung an den Wiener Botschafter Prinzen Reuss, eine Einladung zur Hochzeit von Bismarcks Sohn Herbert mit der Gräfin Hoyos in Wien nicht anzunehmen und der österreichischen Regierung mitzuteilen, der deutsche Kaiser nehme keine Notiz von der Hochzeit; dadurch sollte eine Audienz Bismarcks bei Kaiser Franz Joseph verhindert werden. 5 Harry Graf von Arnim (1824-1881) war seit Januar 1872 deutscher Botschafter in Paris; Meinungsverschiedenheiten mit Bismarck führten 1874 zu seiner Pensionierung. Da er sich in Paris wichtige Dokumente angeeignet hatte, wurde er wegen Beiseiteschaffung amtlicher Urkunden zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Er floh ins Ausland und griff in seinem Buche Pro nihilo (Zürich, 1876), auf Grund seiner Kenntnis dienstlicher Vorgänge Bismarck scharf an. Wegen Landesverrats zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, erhielt er 1880 freies Geleit, um das Wiederaufnahmeverfahren zu betreiben. 4
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wirtschaftlichen Krisen und der Notstand" und „Antisemitismus und Sozialismus".6 Während mich Auer als Referent für den ersten Punkt haben will, will Singer mich für den zweiten haben. Ich muss nun abwarten, wie ich verteilt werde. Dr. Adolf Braun hat seinen Jungen Fritz Karl August registrieren lassen; die böse Welt rät auf Engels, Marx, Bebel als Paten. Nächstens muss ich auch Shaw7 schreiben. Ede will das absolut haben. Dieser Brief, Gen[eral], soll Dich zu keiner Antwort provozieren. Halte Dich munter. Julie lässt Dich und die Hexe herzlich grüssen, dem sich anschliesst Euer AUGUST.
® Bebels Referat „Antisemitismus und Sozialdemokratie" stand auf der Tagesordnung des Berliner Parteitages 1892, wurde aber auf seinen Antrag von der Tagesordnung abgesetzt, Protokoll, S. 248; er sprach darüber auf dem Kölner Parteitag 1893, Protokoll, S. 223ff. 7 G. B. Shaw. Bernsteins Brief ist nicht vorhanden. E r kannte Shaw seit den Vorträgen über den Sozialismus im Herbst 1888, die als „Fabian Essays in Socialism" bekannt wurden. Bernstein, Aus den Jahren meines Exils (Berlin, 1918), S. 242ff.
2 1 2 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 1. Juli 1892.
Original. Lieber
General!
Ich bitte Dich, beiliegenden Brief an Mendelson1 gelangen zu lassen, dessen Adresse ich, wie ich soeben entdecke, verlegte und nicht finde. Bitte teilt sie mir gelegentlich mit. Herzlichen] Gruss an Dich und Louise. Euer AUGUST.
Die Notiz in meinen Zeilen2 betreffs Oberschles[ien] bezieht sich auf die Agitation eines russ[isch-]poln[ischen] Studenten. Wir wollen es uns etwas kosten lassen, die polnischen Arbeiter dem Zentrum zu entreissen. Gr. musste zwei Tage hungern, weil ihm das Geld ausgegangen Mendelson war im Juni in Berlin gewesen; an Engels 13. Juni 1892. Am 4. Juli dankte er Engels für die Übersendung des Briefes von Bebel. 2 An Mendelson; der Name des Studenten Gr. liess sich nicht feststellen.
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war und er das den Arbeitern nicht sagen wollte; er erzählte mir aber das mit so vergnügtem Gesicht, dass ich furchtbar lachen musste. Er fühlt sich als Eroberer.
2 1 3 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 5. Juli 1892.
Original. Lieber August!
Du verbietest mir das Schreiben an Dich, d.h. die einzige Korrespondenz, die ich stets mit Freuden besorge, soll ich lassen und dafür die ableiern, die mich langweilt. Das tue ich Dir aber nicht zu Gefallen. Und selbst wäre ich so gehorsam, so würde ich auffahren infolge der kolossalen Dummheiten des V[or]w[är]ts über die hiesigen Wahlen.1 Dazu schweigen wäre gar zu blamabel. Hat der V[or]w[ärts] es jetzt doch fertiggebracht, Süd-Paddington in einen Landdistrikt von London zu verwandeln, Süd-Paddington, das mitten in der Stadt etwas nördlich von Hyde Park und westlich von Regents Park liegt und worin die einzigen ländlichen Distrikte die paar grünen Squares sind — so ländlich wie der Dönhoffplatz! Das England des Vorw[är]ts existiert nur in der Phantasie des Schreibers. Die Meinung, dass die Tories heute den Arbeitern günstiger seien als die Liberalen, ist das Gegenteil der Wirklichkeit. Im Gegenteil, alle manchesterlichen Vorurteile der Liberalen von 1850 sind heute Glaubensartikel nur noch bei den Tories, während die Liberalen sehr gut wissen, dass es sich für sie um Arbeiterstimmenfang handelt, wenn sie als Partei fortbestehen wollen. Die Tories können, weil sie Esel sind, von Zeit zu Zeit durch einen überlegenen Mann wie Disraeli zu kühnen Streichen veranlasst werden, wozu die Liberalen unfähig; aber fehlt der überlegene Mann, so herrschen bei ihnen eben die Esel, wie gerade jetzt. Die Tories sind nicht mehr der blosse Schwanz der grossen Grundbesitzer wie bis 1850; die Söhne der Cobdens, Brights und der grossen Bourgeois und Anticornlawleute sind zwischen 1855 bis 1870 alle ins Torylager übergegangen, und die Liberalen haben ihre Stärke jetzt im nichtstaatskirchlichen Klein- und Mittelbürgertum. Und seit Gladstones Homerulebill von 1886 sind auch die letzten Reste der Whigs und alten Liberalen (Bourgeois und Studierte) ins torystische Lager (als dissentient oder Unionist Liberais) übergegangen. In Nr. 152, 2. Juli; Nr. 154, 5. Juli. In South Paddington wurde Lord Randolph Churchill ohne Gegenkandidaten gewählt. 1
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Daher die Notwendigkeit der Liberalen, den Arbeitern Schein- oder wirkliche Konzessionen zu machen — vornehmlich ersteres. Und trotzdem sind sie zu dumm, um zu wissen, wo anzusetzen, und viele sind doch noch zu sehr durch Antezedentien gebunden. Die Wahlen verlaufen soweit ganz, als hätten wir sie bestellt. Die Liberalen bekommen eine gelinde Majorität, sie verlieren sogar in vielen Orten Stimmen gegen letzte Wahl, so dass die gewaltige liberale Sturmflut, die England wegschwemmen sollte, bis jetzt nicht zu spüren ist. Heute ist ein sehr wichtiger Tag, dessen Resultate wohl entscheiden werden; siegen die Liberalen heute eklatant, so wird der schwankende Philister — ein sehr zahlreiches Vieh — auf ihre Seite gejagt, und dann sind sie obendrauf. Was wir brauchen, ist eine mässige liberale Majorität (inklusive der Irländer), so dass hier Gladstone von den Irländern abhängig ist — sonst, kann er ohne sie existieren, bescheisst er sie sicher. Famos aber ist, dass in West Ham im Ostend von London der Arbeiterkandidat Keir Hardie2 — einer der Wenigen, die kein liberales Geld genommen und sich den Liberalen nicht verpflichtet — bis jetzt der einzige ist, der eine konservative Majorität der letzten Wahl von über dreihundert in eine antikonservative von zwölfhundert umgewandelt hat. Und sehr gut ist auch, dass anderswo — Aberdeen etc. — die Arbeiterkandidaten, die gegen Liberale und Konservative aufgetreten sind, bis an tausend Stimmen hatten. Die unabhängige Arbeiterpartei3 wirft ihren Schatten voraus. Es gibt hier dreierlei Arbeiterkandidaten: 1) die von den Tories bezahlt werden, um den Liberalen Stimmen zu entziehen. Diese fallen fast alle durch und wissen es; 2) die liberales Geld nehmen und den Liberalen Heeresfolge leisten müssen. Diese werden meist an Stellen gesetzt, wo keine Aussicht ist, durchzukommen. Hierzu gehören auch Leute, die, wie die Bergarbeiterkandidaten, von Natur Liberale sind; 3) die wirklichen Arbeiterkandidaten, die auf eigene Faust agieren und sich nicht fragen, ob sie gegen Lib[erale] oder Tories auftreten. Von diesen akzeptieren die Lib[eralen] solche, die sie müssen (Keir J. Keir Hardie (1856-1915) arbeitete schon als Achtjähriger im Bergwerk, seit 1879 Organisator des Bergarbeiterverbandes; gründete 1891 den Labour Leader, seit 1892 Abgeordneter. Nachdem er schon 1888 die Errichtung einer unabhängigen Arbeiterpartei propagiert hatte, wurde er bei der Gründung der Independent Labour Party im Januar 1893 deren Vorsitzender. H. Pelling, The Origins of the Labour Party (London, 1954), S. 109ff. 3 Die National Independent Labour Party wurde auf der Konferenz von Bradford, 13.-14. Januar 1893, gegründet. H. Pelling, a.a.O., S. 121ff. G. B. Shaw in Workman's Times, 28. Januar 1893. S. Brief Nr. 252. 2
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Hardie und Burns), und arbeiten gegen die anderen. In Schottland gibt's dieser Kandidaten viele. Welche Chancen sie haben, ist schwer zu sagen. Leb wohl. Grüsse Deine Frau herzlich Dein alter F. E.
2 1 4 . E N G E L S UND L O U I S E K A U T S K Y AN
BEBEL
London, den 6. Juli 1892.
Original. Lieber August!
Mir sein schon wieder da, wie Du siehst. Ich hatte dem Nekrolog über Schorl[emmer] für den Vorwärts1 einen Zettel mit der Bitte beigelegt, mir zwölf Ex[emplare] des Abdrucks — nur das Blatt, worin das Ding steht, nicht all das sonstige Beilagenzeug — zu schicken. Diese brauche ich für Leute in Manchester und für Chemiker ersten Ranges hier, die wissen sollen, wes Geistes Kind Schorl[emmer] ausserhalb der Chemie war. Natürlich erhalte ich kein Stück. Willst Du den Leuten — der Zettel ist vielleicht ganz übersehen worden — sagen, dass es ein grosses Parteiinteresse gilt? Und dass sie mir das Verlangte schicken, ehe es zu spät ist und das hiesige Publikum andere Sachen in den Kopf kriegt? Die Wahlen hier haben heute den Liberalen eine Enttäuschung bereitet. Bis jetzt haben sie neun Stimmen gewonnen, d.h. die Regierungsmajorität ist von 68 auf 50 (68 — 9 = 59 Tories; 0 + 9 Liberale = 9; 59 — 9 = 50 bei der Abstimmung) reduziert. Die gestrigen Wahlen haben ihnen nicht einen einzigen Gewinn gebracht, aber mit 25 Stimmen Zuwachs sind die 50 — 25 durch die + 25 neutralisiert, und das wäre das allerfamoseste, wenn eine wirkliche Majorität weder für rechts noch für links zustande käme. Aber eine kleine Majorität werden die Liberalen doch wohl bekommen, und das ist auch schon ganz nett. Euer Bismarck-Krakeel wird täglich schöner, der Kerl muss rein verrückt sein;2 nach den heutigen Telegrammen zu urteilen, will er dem Caprivi platterdings auf den Pelz rücken. Nun, das kann gut werden. Wenn nur unsere Blätter nicht immer darauf hinwiesen, dass sich da eigentlich der Strafrichter hingehöre! Müssen wir denn mit Gewalt ebenso bureaukratisch, polizistisch, staatsanwaltlich auftreten Er erschien in Nr. 153, 3. Juli. Die Wiener Neue Freie Presse hatte am 24. Juni ein Interview mit Bismarck gebracht, in dem dieser sich scharf gegen den neuen Kurs wandte, weil er den „Draht nach Russland abgerissen" habe. 1
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wie unsere Gegner? Können nicht einmal wir dem alten krackbrüchigen Esel Bismarck erlauben, dass er sich nach Herzenslust selbst blamiert? Und würden nicht drei Tage Gefängnis hinreichen, ihn zum Märtyrer zu machen? Man sollte nicht glauben, wie tief den Leuten der Preuss' in den Knochen steckt. Der Vorwärts ist rein toll geworden. Heute sagt er: England, Wales, Schottland, Irland, die Kolonien und Indien — alles das heisst Grossbritannien! In diesem Namen aber sind nur England, Wales und Schottland einbegriffen, nicht einmal Irland (der offizielle Titel ist the United Kingdom of Great Britain and Ireland), geschweige sonst etwas! Müssen denn die Leute sich und uns platterdings vor aller Welt lächerlich machen?3 Die Hexe betrachtet unten ein Baby, das von unserem früheren Hausmädchen, und ist seit zwei Stunden so tief in dieser Anbetung versunken, dass ich sie nicht herauskriegen kann, Dich zu grüssen. So muss ich also ganz allein Dir und Frau Julie meine herzlichsten Grüsse schicken, wenn sie nicht doch noch zu guter Letzt vor Postschluss einspringt. Dein alter F. E. [Louise Kautsky:] General gibt sich nur selbst ein Armutszeugnis, wenn er behauptet, die Babyanbetung dauerte zwei Stunden, da muss er volle zwei Stunden an dem Brief geschrieben haben; schmeichelhafter für mich wäre die Lesart, dass ihm, trotzdem er an Dich schrieb, die Zeit so lange vorgekommen ist. Wie dem auch sei, das Kind ist fort, wie Du siehst, und kann Frau Julie, die unter Euch drei sicher am besten versteht, welche Anziehungskraft Kinder besitzen, meinen herzlichen Gruss selbst senden. Das gleiche Dir die
HEXE.
[Engels:] Was ist das für eine Einbildung von der Hexe (wie sie sich schreibt), dass ich zwei Stunden an diesem Brief geschrieben. Ich habe eine sehr schwierige juristische Arbeit über Schorlemmers Nachlass für seine Testamentsvollstrecker gemacht, während sie dem Baby ihren Finger zu saugen gab. Da hat sie denn das Zeug herausgesaugt! [Louise:] Das ist das Neueste, dass das Baby aus meinem Finger die Weisheit gesaugt hat, welche dem General ermöglichte, die juristische Arbeit zu schreiben. Wer's glaubt, wird selig. [Engels:] Das letzte Wort muss sie doch haben. [Louise:] Das geschriebene Wort. [Engels:] Nitschewo! 8
Im Bericht „Die englischen Wahlen", Nr. 154, 5. Juli.
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2 1 5 . E N G E L S AN
Original.
BEBEL
London, den 7. Juli 1892, Lieber August!
Das kommt davon, wenn Du mir die Korrespondenz verbietest. Schon wieder ein Brief. Heute morgen sind die Nekrologs-Voriüärfse hier eingesprungen, so dass nach dieser Seite hin alles in Ordnung ist. Die Wahlen verlaufen vortrefflich. 1) Die Erfolge der Liberalen sind so gering, so sehr durch Gegenerfolge oder doch durch andere schlagende Symptome (verminderte Majoritäten, oft fast verschwindende etc.) aufgewogen, dass das nächste Parlament höchstens eine geringe Majorität für Gladstone zeigen wird, vielleicht gar keine weder für ihn noch für die Tories (d.h. praktisch gar keine). D.h. baldige Wiederauflösung und Neuwahl, aber auch Präparation dafür vermittelst Gesetze, die den Liberalen Zufuhr von Stimmen versprechen, und das können nur neue Arbeiterstimmen sein. Ja, selbst wenn die Tories am Ruder blieben — was kaum möglich — müssten sie sich durch neuen Stimmenzuwachs zu stärken suchen, und den könnten auch sie nur bei Arbeitern suchen. Also in Aussicht: 1) Beseitigung der Schikanen, die heute den Arbeitern im einzelnen die Geltendmachung des ihnen im allgemeinen bewilligten Stimmrechtes erschweren, 2) soziale Massregeln zugunsten der Arbeiter. Die Liberalen haben 16 Sitze den Gegnern abgewonnen: letzte ministerielle Majorität war 68. Gehen ab erst die verlorenen 16, dann die von den Gegnern gewonnenen selben 16, macht 32. Bleibt noch Torymajorität von 36. Also noch 18 Sitze gewonnen, und die Parteien stehen gleich. Ich glaube, es werden noch einige mehr gewonnen; die sogen. Grafschaftsbezirke sind die, wo die Opposition gegen den ländlichen Feudaldruck der grossen Grundbesitzer am stärksten ist und daher das Kleinbürgertum nicht wie hier in London und auch in anderen grossen Städten aus Gegensatz gegen die mitstimmenden Arbeiter und aus Philistermode konservativ stimmt. Eine Majorität von 20 kann Gladstone schon bekommen, natürlich mit Einschluss der Irländer, und damit kann er nicht regieren. Die Irländer müssen Homerule fordern, und mit 20 Majorität kann er das nicht gegen das Oberhaus durchsetzen. Dann ist der Krawall da. 2) Die einzigen eklatanten Siege sind die der neuen Arbeiterpartei. Keir Hardie hat eine Torymajorität von über 300 bei der letzten Wahl in eine Majorität von 1200 für sich verwandelt. John Bums — sein liberaler Vorgänger hatte 186 Majorität — hat eine von 1560. Und in 558
Middlesborough (Eisengrubenbezirk von Yorkshire) hat Wilson,1 Sekretär der Union der Matrosen und Kohlentrimmer, ein Streber, aber dem neuen Unionismus bis über die Ohren verpfändet, gesiegt mit 4691 Stfimmen] über den Liberalen (4062) und den Tory (3333 St[immen]). Die lausigen liberalen Majoritäten stechen dagegen jammervoll ab. 3) In drei Orten, wo eine Arbeiterkandidatur etc. am Platz und auch ordentlich präpariert war, sind zwar die Arbeiterkandidaten unterlegen, aber haben auch den Liberalen zum Fall gebracht. In Salford hatte der Arbeiter Hall 553 Stfimmen], aber der Liberale unterlag mit nur 37 Minorität. In Glasgow (Camlachie) unterlag Cunningham Graham (906 Stimmen), aber auch der Liberale, dem 371 Stimmen an der Majorität fehlten. In Glasgow (Tradeston) hatte der Arbeiterkandidat Burleigh (ein sonst nichtsnutziger Kerl) 783 Stimmen, aber der Liberale 169 weniger als der Tory. Ferner in vielen anderen Orten (Aberdeen, Glasgow (College), Bradford) haben die Liberalen zwar gesiegt, aber doch von 990 bis 2749 Stimmen an einen beiden Parteien opponierenden Arbeiterkandidaten eingebüsst, sind also für's nächste Mal direkt von Arbeitern bedroht. Kurz, die Arbeiterpartei hat sich deutlich und unverkennbar angekündigt, und das bedeutet, dass beide alten Parteien ihr für's nächste Mal Allianz antragen werden. Die Tories kommen nicht in Betracht, solange sie von den jetzigen Eseln geleitet werden. Die Liberalen müssen aber kommen. Und ebenso die Irländer. Als Parnell wegen der lächerlichen Ehebruchsgeschichte in Acht und Bann getan ward, wurde er plötzlich arbeiterfreundlich, und die Herren Irländer im Parlament, wenn sie sehen, dass nur die Arbeiter ihnen Homerule verschaffen können, werden dasselbe tun. Dann gibt's Kompromisselei, dann werden sich auch die Fabians, die bei dieser Wahl ganz durch Abwesenheit geglänzt haben, wieder vordrängen, aber derlei ist hier nun einmal nicht zu vermeiden. Voran geht's aber, wie Du siehst, und das ist die Hauptsache. Herrliche Ironie der Weltgeschichte: Jede der beiden alten Parteien muss an die Arbeiter appellieren, den Arbeitern Konzessionen machen, um am Buder zu bleiben oder dran zu kommen, und jede fühlt dabei, dass sie doch eben dadurch ihre eigenen Nachfolger in den Sattel hebt. Und doch können sie's nicht lassen! Was ist unser
1 J. Havelock Wilson (geb. 1858) war 1891 Leiter eines grossen Streiks in Cardiff, seit 1892 Abgeordneter.
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bisschen Witz gegen den kolossalen Witz, der in der geschichtlichen Entwicklung durchbricht! Viele Grüsse von Louise und mir an Frau Julie und Dich Dein F. E. Wenn Du an Shaw schreibst, kannst Du ihm den Artikel von Conrad Schmidt in der N[euen] Z[eit]2 als Widerlegung ihrer „Austrian Theory of Value" empfehlen.3 „Die psychologische Richtung in der neueren Nationalökonomie", Jahrg. X (1892), Bd. II, S. 421ff„ 459ff. 3 In der Theorie der Fabier trat an die Stelle der Marxschen Werttheorie diejenige St. Jevons, die von Österreichern, K. Menger, Fr. von Wieser, E. von Böhm-Bawerk, weitergebildet wurde. G. B. Shaw in Fabian Essays in Socialism (London, 1889), S. 12ff. Idem, „On the History of Fabian Economics" in E. R. Pease, The History of the Fabian Society, 2. Aufl. (London, 1925), S. 273ff. E. Bernstein, „Aus den Debatten englischer Sozialisten über die Werttheorie", in Dokumente des Sozialismus, Bd. II (1902), S. 78ff; dort auch Shaws Aufsatz „Bluffing the Value Theory" aus To-Day, Mai 1889. 2
2 1 6 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 8. Juli 1892.
Original. Mein lieber junger Alter!
Ich habe sofort Ordre gegeben, dass Du die Blätter erhältst, und hoffe, dass Du sie bis Montag hast. Ich will versuchen, ob ich diese Zeilen noch bis morgen in Eure Hände bringe, wenn sie mit der Mittagpost fortkommen. Ich schreibe Dir morgen ausführlich, bin sehr beschäftigt und muss in einer Viertelstunde in den Vorstand. Die engl[ische] Politik des Vorw[ärts] darf Dich nicht mehr alterieren; der Macher derselben fühlt sich so unfehlbar darin, dass ihm niemand ein Wort sagen darf. Von den englischen Wahlen habe ich denselben Eindruck, den Du schilderst, da wird es bald wieder zur Auflösung kommen. Die Art der Wahl ist aber ganz danach angetan, die beiden Parteien in gelinde Verzweiflung zu bringen. Das heisst man, dem Hund den Schwanz stückweise abschneiden. Dass die Hexe so auf die Babies versessen ist, hätte ich nicht geglaubt; wenn man ihr nur zu einem verhelfen könnte. Ich gehe zum 24. [Juli] ins rhein[isch-]westf[älische] Kohlenrevier. 560
Einmal um den Jeupschen Machinationen1 den Garaus zu machen, dann um zu bohren, dass auf der Generalversammlung des Bergarb[eiter-]Verbands den 31. d. Mts. die rechten Leute an die Spitze kommen.2 Über die sogen. Unterschlagung Buntes schreibe ich Dir morgen. Wenn ich einmal dort bin, hole ich die Hexe in Köln ab und nehme sie mit hierher. J[ulie] hat sie eingeladen. Letztere lässt Dich herzlich grüssen, sie freut sich immer über Dein korrektes Sächsisch. Herzlichen] Gruss von Deinem AUGUST. Jeup war ein „unabhängiger" Druckereibesitzer und Zeitungsverleger in Gelsenkirchen, dessen Blätter von vielen Arbeitern gelesen wurden. Die Sozialdemokraten Gelsenkirchens planten für den 1. August die Herausgabe eines eigenen Organs; bis dahin empfahlen sie den Bezug des Dortmunder Volkswille für die Wahlkreise Bochum und Essen als offizielles Organ der Sozialdemokratie. Vorwärts, Nr. 153, 3. Juli; Nr. 154, 5. Juli. 2 Die Mitgliederzahl des Bergarbeiter-Verbandes ging von 37.000 im Jahre 1892 auf 11.000 im Jahre 1893 und 5.144 im Jahre 1894 zurück. Die Ursache des Rückganges waren vor allem verlorene Streiks in den Jahren 1891 und 1893, denen Massenverhaftungen und -Verurteilungen folgten. Bei dem Konkurs des Konsumvereins Glückauf in Gelsenkirchen verlor der Verband ferner seine Beteiligung von 16.000 Mark und viele Mitglieder. 1
2 1 7 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 9. Juli 1892.
Original. Lieber General!
Es ist ein wahres Pech, dass eben Ede von London fern ist und wir so gar nichts Genaueres über die Wahlen erfahren, d.h. gerade das nicht, was uns am meisten interessiert, die verschiedenen Stimmenzahlen, die auf die Arbeiterkandidaten fielen. Die deutsche Presse behandelt den Ausgang der Wahlen sehr summarisch und schweigt so gut wie ganz von dem Erfolg der Arbeiterkandidaten. Möglich, dass die Frankf[urter] Zeitung bessere Berichte bringt, aber diese halte ich eben nicht, und statt dass der Vorw[ärts] sich befleissigt, die Nachrichten gewissenhaft zu sammeln, begnügt er sich mit den dürftigsten Nachrichten und oberflächlichen Räsonnements. Nach den heutigen Nachrichten haben die Gladstonianer weitere drei Sitze gewonnen und scheint es, dass sie die von Dir vorausgesetzte Stimmenzahl erhalten werden. Dass ich auch eine baldige Auflösung des neuen Parlaments für wahrscheinlich halte, schrieb ich Dir schon gestern. Stehen alsdann die Arbeiter fest, dann erzwingen sie von den herrschenden Parteien eine ganze Reihe von Konzessionen. 561
Nach den hier eingetroffenen Nachrichten ist Cunningham durchgefallen, ich setze voraus, dass er nur in einem Wahlkreis kandidiert. Wie ich aber sehe, meldest Du auch dessen Niederlage. Das ist sehr schade, ich traue ihm mehr Rückgrat zu als ßurns, und letzterer wird vermutlich wieder Keir Hardie stark beeinflussen. Die Bismarckskandale machen oben einen heillosen Lärm. Die Veröffentlichung der Noten Caprivis gegen Bismarck1 ist ein starkes Stück, das ich dem neuen Kurs nicht zugetraut. Vermutlich hat Wilh[elm] direkten Befehl dazu gegeben. Nach dem bis jetzt Vorgefallenen muss Bismarck im nächsten Reichstag erscheinen, oder er ist für immer blamiert. Kommt er nicht, so müssen wir bei jeder Gelegenheit sein Kommen zu provozieren suchen. Vollmar verwahrt sich dagegen, dass der Vorw[ärts] ihn auf eine Auslassung annagelt, die er nicht gemacht. Er sendet mir die Originalabschrift seines Artikels ein, die seine Frau gemacht, und darin ist die betreffende Stelle allerdings anders wiedergegeben.2 Statt dass er sich direkt an den Vorw[ärts] wendet, kommt er an mich, und ich habe zu tun, dass ich nicht weiss, wo mir der Kopf steht. Der Parteitag wird vom 16. bis 23. Okt[ober] hier stattfinden. Mir hat man das Referat über den Antisemitismus gegeben, L[ie]bk[necht] hat das über die Krisen. Ich sehe, dass der neueste Socialiste einen Artikel von Dir über den Antisemitismus3 veröffentlicht, der mir gerade recht kommt. Caprivis Erlasse (s. Brief Nr. 211, Anm. 4) wurden im Reichsanzeiger, Nr. 158, 7. Juli, veröffentlicht. S. etwa darüber O. Hamann, Der neue Kurs (Berlin, 1918), S. 33ff. 2 Der Vorwärts wandte sich in Nr. 155, 6. Juli gegen Vollmars Äusserung in der Revue Politique et Littéraire (s. Brief Nr. 2 1 0 Anm. 8), die Sozialdemokratie habe „eine ganze Reihe Bestimmungen" im Programm, die . . . man wohl als eine Annäherung an den Staatssozialismus betrachten könne. „Auch bei der neuen Redaktion unseres Programms 1891 zu Erfurt haben wir uns geweigert, einen Artikel aufzunehmen, wie man uns vorgeschlagen hatte, der sich gegen den Staatssozialismus richtet." In Nr. 160, 12. Juli druckte er eine Antwort der Münchener Post an die Münchener Neuesten Nachrichten ab, versah die Antwort mit einer entschiedenen Abwehr und kündigte Auseinandersetzungen darüber auf dem Parteitag an. In Nr. 168, 21. Juli brachte er Vollmars Antwort hierauf „In eigener Sache" aus der Münchener Post, Nr. 161, 19. Juli; dann die ausführlichen Artikel „Staatssozialismus" Nr. 174, 28. Juli, und „Die Sozialdemokratie und der Staatssozialdsmus" Nr. 176-178, 30., 31. Juli, 2. August. S.a. Brief Nr. 2 1 9 Anm. 1. Eine gute Charakterisierung der Politik v. Vollmars bei G. A. Ritter, Die Arbeiterbewegung, S. 87ff. 3 „L'antisémitisme démasqué", Nr. 93, 3. Juli, die Übersetzung eines u.d.T. „Friedrich Engels über den Antisemitismus" in der Wiener Arbeiter-Zeitung, Nr. 19, 9. Mai 1890 erschienenen Briefes, den Engels am 19. April 1890 an Isidor Ehrenfreund in Wien richtete. Wieder abgedruckt in Victor Adlers Aufsätze, Reden und Briefe, I. Bd. (Wien, 1922), S. 6ff. 1
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Wie ich schon schrieb, gehe ich den 23. [Juli] ins rheinfisch-] westfälische] Kohlenrevier. Den 31. ist die Generalversammlung des Verbandes, und auf dieser stehen wichtige Entscheidungen bevor, da gilt es vorarbeiten. Fischer berichtet aus dem Saarrevier, dass dort allmählich die Leute zur Erkenntnis kommen und sich von den Ultramontanen lossagen; aber es herrsche noch ausserordentlich viel Unklarheit. Buntes Unterschlagung besteht darin, dass er für grössere Druckaufträge für den Verband vom Drucker eine Provision von hundert Mark angenommen hatte. Er hat dann, als das bekannt wurde, die hundert Mark verrechnet. Die Handlung ist ja ein Unrecht, aber die Leute werden so erbärmlich bezahlt, und sie haben sich so jämmerlich durchzuschlagen, dass solche Vorkommnisse ganz natürlich sind. Es bleibt doch dabei, dass wir uns den 24. August in Stuttgart treffen? Ich gehe den 4. August von hier weg und bin den 13. oder 14. in St. Gallen. Herzlichen Gruss von Julie und Deinem AUGUST.
Es war gut, dass Du im Namen des Vorstandes auf Sch[orlemmer]s Grab einen Kranz legtest; wir haben wahrlich nicht daran gedacht, und ausserdem kannten wir seine Stellung zu wenig. Ausserdem würden wir hier bei einem Professor dergleichen nicht riskieren können. Vollm[ar] ist so in Aufregung, dass er mir telegraphiert, was in seiner Sache geschehen sei; L[ie]bk[necht] soll ihn auch in einer Versammlung in Rixdorf angegriffen haben, was ich nicht weiss. Ich habe ihm geantwortet, er solle selbst seine Sache führen.
2 1 8 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 23. Juli 1892.
Original. Lieber August!
Mit Deinem gewöhnlichen Scharfblick hast Du richtig erraten, dass ich Dir mein Gegenwärtiges durch die Hexe zukommen lasse. Also vorerst meinen Dank für das kfaiserlich] k[önigliche] Reichskursbuch und meine Versicherung, dass ich mich bestreben werde, meinen „neuen Kurs" nach Allerhöchstdemselbigen einzurichten. Einige der mysteriösen Zeichen und Wunder, die darin vorkommen, habe ich schon ergründet und hoffe, in den nächsten vierzehn Tagen damit vollständig auf den Grund zu geraten, und infolgedessen nirgends festsitzen zu bleiben. 563
Also meine Pläne sind wie folgt. Nächste Woche gehe ich zu Pumps nach Ryde, wohin mir alle Briefe nachgeschickt werden. Bleibe dort bis gegen 10.-15. August je nach Umständen. Ich erwarte nämlich noch einen Brief von Barmen, wonach sich der Tag meiner Abreise richten wird. Nach Barmen gehe ich nicht, da hab ich so viel Neffen und Nichten, dass ich mit den Anstandsvisiten allein in vierzehn Tagen nicht fertig würde. Aber nach Engelskirchen, wo meine Brüder abwechselnd sommerfrischen, will ich auf ein paar Tage. Von da gegen 18. oder 19. [August] nach Zürich, wo ich meiner Cousine, Frau Beust1 und Familie, einen Besuch, der seit Jahren zugesagt war, machen muss. Ich teile Dir meine Ankunft gleich mit und komme dann am 24. oder 25. [August] nach St. Gallen; wenn Du mich abholst, um so besser. Dann packen wir auf nach Stuckert am Neckarstrande, holen Onkel Georg mit, und fort nach München und — womöglich durch die Alpen — nach Wien usw. Das andere kann sie Dir mündlich erzählen (nämlich nicht Frau Beust, die das grammatische Subjekt, sondern die Hexe, die ja ohnehin ein sehr ungrammatisches Subjekt ist). Wie Tussy sagt, haben die Wahlen hier im Ostend einen rasenden Enthusiasmus hervorgerufen. Die Arbeiter haben endlich gesehen, dass sie was können, sobald sie nur wollen. Der liberale Zauber ist gebrochen, und auch in der Workman's Times2 wird von allen Ecken und Enden die Indépendant Labour Party als das einzig Nötige proklamiert.3 Dem hartköpfigen John Bull imponiert eben nichts als Tatsachen, diese tun's aber auch sicher. Die Vollmariade beweist wieder, dass der Mann alle Fühlung mit der Partei verloren hat. Es wird wohl in diesem oder dem nächsten Jahr zum Bruch mit ihm kommen müssen; er scheint die staatssozialistischen Schnurren der Partei mit Gewalt aufdrängen zu wollen. Da er aber ein abgefeimter Intrigant ist, und da ich in Kämpfen mit dieser Art Leuten allerlei Erfahrung habe — M[arx] und ich haben gegenüber dieser Sorte oft Böcke in der Taktik gemacht und entsprechendes Lehrgeld zahlen müssen —, so bin ich so frei, Dir hier einige Winke zu unterbreiten. 1 Engels' Cousine Anna war mit Friedrich Beust (1817-1899) verheiratet, einem früheren preussischen Offizier, der an der Revolution 1848 teilgenommen hatte und Redakteur der Neuen Kölnischen Zeitung gewesen war; er war in die Schweiz emigriert und hatte in Zürich eine bekannte Privatschule errichtet. 2 Etwa „The Independent Labour Party in Bradford", Nr. 112, 9. Juli; „The General Election and the Labour Question", „The Independence of Labour and the Elections", The Liberal Labour Candidates. Awful Disasters", Nr. 113, 16. Juli. 3 S. Briefe Nr. 213 und 215.
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Vor allen Dingen gehen diese Leute darauf hinaus, uns formell ins Unrecht zu setzen, und das muss man vermeiden. Sonst reiten sie auf diesem Nebenpunkt herum, um den Hauptpunkt, dessen Schwäche sie fühlen, zu verdunkeln. Also Vorsicht in den Ausdrücken, öffentlich wie privatim. Du siehst, wie geschickt der Kerl Deine Äusserung über L[ie]bk[necht] benutzt, um zwischen ihm (L[iebknecht]) und Dir Krakeel zu erzeugen — er kennt ja doch ganz gut Eure gegenseitige Stellung! — und so Dich zwischen zwei Stühle zu setzen. Zweitens, da es für sie darauf ankommt, die Hauptfrage zu verdunkeln, muss man jeden Anlass dazu vermeiden; alle Nebenpunkte, die sie aufrühren, so kurz und so schlagend wie möglich erledigen, damit sie ein für allemal aus der Welt kommen, selbst muss man aber jeden sich etwa bietenden Seitenweg oder Nebenpunkt soweit irgend möglich vermeiden, trotz aller Versuchung. Sonst wird das Feld der Debatte immer ausgedehnter, und der ursprüngliche Streitpunkt verschwindet immer mehr aus dem Gesichtsfeld. Und dann ist auch kein entscheidender Sieg mehr möglich, und das ist für den Klüngler schon ein hinreichender Erfolg und für uns wenigstens eine moralische Schlappe. Drittens folgt aus 1) und 2), dass gegen solche Leute die reine Defensive so lange die beste Taktik ist, bis sie sich selbst gehörig hineingeritten — dann kurzes erdrückendes Artilleriefeuer und entscheidender Bajonettangriff. Hier wie nirgends sonst heisst es, seine Munition und seine Reserven sparen bis auf den letzten Moment. Jedesmal, wo wir uns von diesen Regeln im Kampf mit den Bakunisten, Proudhonisten, deutschen Professoren und sonstigem derartigen Gelichter entfernt, haben wir dafür büssen müssen, und deshalb stelle ich sie Dir hiermit nochmals zur Verfügung. Also herzlichen Gruss auch an Frau Julie von Deinem
GENERAL.
Auf Wunsch von Siegel lege ich seinen letzten Brief bei.
219. BEBEL
AN
ENGELS
Berlin W., den 29. Juli 1892.
Original. Lieber General!
Unsere Hexe hat mir Deinen Brief übergeben, sie ist gestern abend 5 Uhr 30 nach Tetschen abgereist, und haben Julie und ich sie zur Bahn begleitet. Wie es ihr bei uns gefallen hat, wird sie Dir selbst schreiben. Samstag abend ist sie in Wien. 565
Mit Deinen Arrangements bin ich einverstanden, ich werde mit Julie nach Zürich kommen, um Dich nach St. Gallen abzuholen. Unser Reiseplan hat sich insofern geändert, als wir durch eingetretene physische Abspannung der Frieda, die durch allerlei Besuch mehrere aufregende Wochen hatte, nicht die Tour nach dem Salzkammergut machen, sondern uns in der Nähe von St. Gallen in Sommerfrische begeben werden. Fr[ieda] bedarf vor allem der Ruhe, und ich für meine Person bin auch nicht böse, wenn ich auf einige Wochen zum Ruhigsitzen gezwungen werde. Da ich noch nicht weiss, wohin wir uns wenden, werde ich Dir meine Adresse noch mitteilen, damit ich die Meldung von Deiner Ankunft in Zürich rechtzeitig erhalte. Da Edes, wie ich höre, schon um den 20. Aug[ust] abreisen, werde ich sie möglicherweise in Zfürich] gar nicht zu sehen bekommen; denn ich möchte nicht zweimal nach Zfürich] reisen. Doch wir wollen sehen, wie sich's machen lässt. Die Ausnutzung meines Briefes durch Vollm[ar] gegen L[ie]b[knecht] war eine ganz niederträchtige Perfidie, die V[ollmar], wie ich überzeugt bin, heute bitter bereut.1 Ich habe ihm sofort geschrieben, ihm seine Niederträchtigkeit vorgerückt und damit geschlossen, dass ich von jetzt ab jeden politischen Briefwechsel mit ihm abbräche. Seine Antwort war kläglich. Umgekehrt war L[ie]bk[necht], dem ich eine Abschrift meines Briefes an V[ollmar] sandte, davon ganz entzückt; 2 ich glaube, er wär mir um den Hals gefallen, wenn er hier war. Er ist eben in den Ferien, geht Sonntag von Gotha aus mit seiner Frau nach der Schweiz und kehrt um den 13. oder 14. August von dort zurück. Gegen Vollmfar] nimmt mit Ausnahme von Grillenb[ erger] die ganze Parteipresse Stellung. Diese ewigen Zänkereien, die er über die
In seinem Artikel „In eigener Sache", s. Brief Nr. 217 Anm. 2, hatte Vollmar eine Stelle aus einem Brief Bebels wiedergegeben: „Ein Mitglied des Parteivorstandes, mit welchem ich über die Angelegenheit Briefe gewechselt, teilte mir unter dem 9. d. mit, dass er den Chefredakteur des Vorwärts ,seit fast vierzehn Tagen nicht gesehen und gesprochen' habe, wie derselbe .überhaupt in die Vorstandssitzungen so gut wie nicht komme'." Bebel bemerkte in seiner „Erklärung", er habe damit sagen wollen, dass er nicht in ständiger Verbindung mit der Redaktion des Vorwärts sei. Er wies das Verfahren, einen Privatbrief in tendenziöser Weise zu benutzen, zurück. Das habe er auch Vollmar mitgeteilt. „Vollmar klagt den Vorwärts an, dass er ihm gegenüber illoyal verfahren sei, er hatte alsdann um so mehr Ursache, sich nicht einer Kampfesweise zu bedienen, welche dieselbe Anklage gegen ihn rechtfertigte." Vorwärts, Nr. 168, 21. Juli. 2 Der Vorwärts brachte in Nr. 169, 22. Juli eine persönlich gehaltene „Erklärung Liebknechts", in der er sein häufiges Fehlen in den Vorstandssitzungen mit Arbeitsüberlastung rechtfertigte. 1
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Taktik und die Grundauffassungen der Partei verursacht, erregen böses Blut überall. Wir reisen Dienstag oder Mittwoch abend von hier fort, und zwar direkt nach St. Gallen, von wo wir um den 6. Aug[ust] ausrücken werden. Lass Dir die Ruhe bekommen; Julie freut sich sehr, Dich bald persönlich kennenzulernen, und ebenso werden sich unsere Kinder freuen, hören sie, dass Du nach St. Gallen kommst. Frieda wird auf alle Fälle in St. Gallen sein, auch wenn sie einige Tage ihre Kur unterbrechen müsste. Bezüglich Deiner Reise wollte ich noch bemerken, dass, wenn Du 7 Uhr 46 früh in Elberfeld abreist, Du gleich von Deutz auch auf dem rechten Rheinufer über Frankfurt nach der Schweiz reisen kannst. Die beiden Schnellzüge von Deutz rechtsrheinisch] und von Köln linksrheinisch treffen in Darmstadt zusammen. Herzliche Grüsse von Julie und Deinem AUGUST.
Bitte grüsse auch Roshers von mir.
220. ENGELS AN
Original.
BEBEL
Ryde, England, den 8. Aug. 1892. The Firs, Brading Road. Lieber August!
Deine Karte heute morgen erhalten. Lieber Junge, es ist alles zu Wasser geworden; wer nicht kommen kann, das bin ich! Die alte Geschichte, die mich zwingt, eine komplizierte Bandage zu tragen und die ich Dir des näheren beschrieben, ist nach fünfjähriger Ruhe wieder in Tätigkeit getreten und legt mich plötzlich komplett lahm.1 Ich merkte schon so etwas davon um die Zeit Deiner Anwesenheit; es war aber so unbedeutend, dass ich nicht darauf achtete und dachte, es würde sich, wie schon oft, von selbst und schliesslich hier in der Seeluft wieder legen. Am Samstag ging ich ca. eindreiviertel Kilometer, ruhte etwa eine halbe Stunde und ging dann zurück — in allem nur dreieinhalb Kilometer — und fand bis Abend aus, dass die Krisis eingetreten war und ich, statt nach Deutschland zu reisen, mich hier vier Wochen lang durch Ruhe und Enthaltung von Alkohol wieder auf den Damm bringen muss. Wenn ich jetzt nur eintausend Schritt
Engels litt wieder an einem Leistenbruch.
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ginge, wäre ich für acht bis zehn Tage ans Sofa gebannt. So also werden die schönsten Pläne zu Wasser! Ich kann keine andere Ursache ausfinden als die, dass ich seit vorigem Herbst dem Alkohol mit grösserer Freiheit zugesprochen habe als seit längeren Jahren, und dass die Häufung der Wirkung davon endlich dies Resultat zustande gebracht. Wenigstens kann ich mir die Sache nicht anders erklären, zumal da Enthaltung vom Alkohol während der Zeit, wo entzündliche lokale Symptome bemerklich, Bedingung der Kur ist. Wird sich Dein Schwiegersohn freuenl 2 Aber die Folgerungen, die er vielleicht zieht, mache ich nicht mit. Jedenfalls bin ich total unfähig, die geplante Reise in diesem Zustand zu machen. Ich käme höchstens bis Engelskirchen zu meinen Brüdern, sicher aber nicht bis Zürich, und da kann ich mir nur bei all dem Pech gratulieren, dass ich nicht erst auf der Reise davon befallen und in der Fremde krumm- und lahmgelegt worden bin. So kann ich mich hier wenigstens bei Pumps pflegen und denke, in vier Wochen wieder ziemlich mobil zu sein. Die Geschichte hat ausser ihrer Langweiligkeit weiter nichts auf sich, ich habe sie schon drei bis viermal durchgemacht und kenne die Behandlung um so besser, als ich sie selbst durch Erfahrung herausgefunden habe, da die Herren Ärzte über den Fall, mit einer Ausnahme, und der ist tot, alle arg im dunkeln waren. Ich habe gestern gleich an Louise geschrieben und ihr gesagt, sie solle sich in ihren Plänen absolut nicht stören lassen und ihre Abwesenheit um keinen Preis auch nur um einen Tag verkürzen. Es ist aber sehr möglich, dass Du wie sie jetzt andere Arrangements vorzieht, und darüber müsst Ihr dann weiter korrespondieren. Deiner Frau und Tochter sage, dass es mir doppelt leid tut, auf diese Weise um die Freude gebracht zu sein, sie persönlich kennenzulernen wie auch Deinen Schwiegersohn. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und die bittere Erfahrung dieses Jahres wird mich klüger machen nächstes Jahr, wo ich hoffentlich noch lebe und wieder flott auf den Beinen bin. Und dann führen wir dieselbe oder eine noch bessere Reise aus. Bis Ende August Adresse wie am Kopf des Briefes. Roshers Name nicht nötig; ohne die Adr. The Firs, Br[ading] Road, erleidet der Brief Verzögerung. Also herzliche Grüsse an Euch alle, und trinkt ein Glas auf meine Besserung. Da ich jetzt an seiner Statt Enthaltung treibe, wird sich Dr. Simon wohl auch einen Schluck einmal erlauben dürfen! Dein alter F. 2
Er war Abstinent.
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ENGELS.
221. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Arbon a/Bodensee, den 14. August 1892. Lieber General!
Dein heute eingetroffener Brief war eine Dusche schlimmster Art. So sind also alle unsere schönen Pläne zu Wasser geworden, und die Freude, die bereits überall herrschte, Dich zu sehen, war vergebens. Ich kann mich noch gar nicht in den Gedanken finden, dass der schöne Plan zu Ende sein soll, wenigstens soweit er Deine Mitreise betrifft, und möchte Dir vorschlagen, Dir doch einmal zu überlegen, dass, wenn Du bis Anfang September wieder auf dem Damm bist, Du die Reise nach Engelskirchen und Berlin noch antrittst. Du machst in Engelskirchen ein paar Tage Pause und bist von Barmen in neun Stunden in Berlin. Das ist wahrhaftig keine Hexerei, und die muss ein so junger, rüstiger Kerl wie Du doch aushalten können. Ich gehe nach Wien, hole dort unsere Louise, bringe sie nach Berlin, und von dort nimmst Du sie wieder mit nach London. Uberlege Dir den Plan; ich glaube, er ist sehr vernünftig. In Berlin garantiere ich Dir die beste Pflege und Ruhe — Julie und Louise als Pflegerinnen — was willst Du mehr? Also entschliesse Dich in diesem Sinne. In Berlin können wir, was Du sehen willst, zu Wagen machen, und vor gesellschaftlichen Ansprüchen stellen wir Dich sicher. Du würdest uns und speziell mir eine riesige Freude machen, wenn Du annähmest; ich glaube auch, dass Louise mit einem solchen Arrangement sehr zufrieden sein würde. Die Ärmste wird ganz niedergedonnert gewesen sein, als sie die Nachricht von Dir erhielt. Ich habe ihr heute geschrieben, dass ich nach Wien käme — lautet doch auch mein Rundreisebillet über Wien — und dass ich sie dann mit nach Berlin nähme in der Voraussetzung, dass Du dorthin kämest. Tust Du das nicht, dann wird sie wohl oder übel direkt von Wien nach London reisen müssen; aber es sollte uns sehr leid sein. Du solltest aber doch nun endlich dem Alkohol Valet sagen; das bist Du nicht nur Dir, das bist Du uns allen, speziell der Partei schuldig. Wir können Dich absolut nicht entbehren, und Du weisst ja am besten, dass Du noch eine grosse Aufgabe zu erfüllen hast. Also sei vernünftig und nimm Dich in acht. Louise muss Dich künftig unter strengste Vormundschaft nehmen und darf nicht dulden, dass Du wieder solche Fehler begehst. Ich habe mich stark gewundert, als ich bei meiner letzten Anwesenheit sah, in welchem Masse Du dem Alkohol zusprachst, und hatte heimlich meine Bedenken. Jetzt haben wir die Bescherung und müssen froh sein, wenn alles glücklich vorübergeht. 569
Frieda und Simon tut es ausserordentlich leid, dass sie auf die Freude verzichten müssen, Dich zu sehen und kennenzulernen, es waren bereits alle Vorbereitungen für Deine Unterkunft getroffen; um so sicherer aber rechnet Julie darauf, Dich in Berlin zu sehen. Wir bleiben bis zum 20. d. Mts. hier in Arbon, dann gehen wir nach St. Gallen. Den 23. [August] reise ich nach Stuttgart und den 25. oder 26. von dort nach Wien. Wir wünschen Dir allesamt baldigste und vollkommene Gesundung. Mit herzlichem Gruss von uns allen Dein AUGUST.
222. ENGELS AN
Original.
BEBEL
Ryde, den 14. August 1892. The Firs, Brading Road. Lieber August!
Dein Wunsch, ich möge Anfang Sept[em]ber wieder soweit auf dem Damm sein, um wenigstens noch nach Berlin kommen zu können, ist auch der meinige. Bin ich soweit, so rutsche ich unbedingt nach Berlin, und zwar in einer Tour, da bis dahin die Engelskircher nach allen Windrichtungen verflogen sein werden. Die Frage ist nur: wird's gehen? Und darüber kann ich Dir heute noch absolut keine Auskunft geben. Aus Erfahrung weiss ich, dass in solchen Fällen drei bis vier Wochen Ruhe unbedingt nötig sind zur Herstellung der Mobilität, und dass der geringste verfrühte Versuch oder das geringste Ubermass von Bewegung hinreicht, mich um acht bis vierzehn Tage zurückzuwerfen. Ob aber der Versuch verfrüht oder das Mass der Bewegung zu gross, das merkt man leider erst, wenn's zu spät ist. Dazu kommt, dass ich doch auch fünf bis sechs Jahre älter bin seit dem letzten Anfall, und dass ich allerdings in diesem letzten Jahr mehr Alkohol durch mein Inneres habe passieren lassen als sonst in drei. Ich darf mich also auf eine etwas langsamere Kur schon gefasst machen, selbst wenn die entzündlichen Erscheinungen keine organischen Veränderungen in Gestalt von Vertötungen oder Ablösungen oder Verdickungen hinterlassen haben. Jedenfalls werde ich erst in den allerletzten Tagen an mir selber erfahren, wie es steht. Du musst mich also gut unterrichtet halten in bezug auf Adressen, wo meine Briefe und im Notfall Telegramme Dich treffen, speziell in Wien und wie lange Du dableibst, damit nicht 570
Louise nach London fährt zur selben Zeit, wo ich nach Berlin. Ich war vorigen Montag und Dienstag in London und sah Avelings und brachte mein Haus in Ordnung. Die Kur wurde so bis Mittwoch unterbrochen. Jetzt liege ich total still und spüre natürlich die entsprechende Besserung. In acht Tagen hoffe ich, mir wenigstens einige Bewegung ungestraft erlauben zu können. Bulletins sollst Du erhalten, sobald etwas zu berichten. Natürlich muss ich jetzt wieder „Mässigkeit und Mässigung" treiben in Beziehung auf Alkohol. Ich habe mich auch gewundert, dass ich das Zeug noch so gut vertrug, und das machte mich üppig. Nun, wir wollen hoffen, dass die Folgen nicht zu lange anhalten. Ich muss wieder auf mein voriges Prinzip kommen, von Zeit zu Zeit vierzehn Tage bis vier Wochen Abstinenz. Übrigens kostet mich die Abstinenz vom Trinken ebensowenig wie die vom Rauchen ein grosses Opfer, sobald ich einen Grund dazu habe, sie zu betreiben. Von Louise habe ich, seit ich ihr heute vor acht Tagen schrieb, noch keine Antwort. Die Postwirtschaft hier am Sonntag ist miserabel. Eine gute Nachricht. Des Herrn Seidel Intrigen, die verfluchten Marxisten vom Einfluss auf die Vorbereitung des Züricher Kongresses auszuschliessen, scheinen definitiv gescheitert. Greulich hat im Namen des Zür [icher] Komitees an Tussy geschrieben mit der Aufforderung, ihnen ein Einladungsschreiben an den englischen] Trades Union Kongress aufzusetzen und auch ihre englischen] Übersetzungen zu besorgen. Der Brief kam an, gerade wie Avelings nach Norwegen abreisten, und Tussy hat die Einladung natürlich sofort aufgesetzt und sich dem Komitee überhaupt zur Verfügung gestellt; mir schickte sie G[reulich]s Brief schon vom Dampfschiff aus.1 Eine zweite. Die schlechte Geschäftszeit und die Drohung der Fabrikanten mit einer zehnprozentigen Lohnherabsetzung hat die Lancashire Baumwollarbeiter urplötzlich von der Schwärmerei für die zehn Stunden kuriert und ihnen die Annehmlichkeiten des Achtstundentages plausibel gemacht. Sogar die Führer sollen schon umgesattelt haben. Das ist der Sieg des Achtstundentages in England.2 1 Über Greulichs Schreiben vom 1. September 1892 an den Gewerkschaftskongress in Glasgow, die Negierung des Schreibens und den Auftrag des Kongresses an das Parlamentarische Komitee, bald einen internationalen Kongress für den Achtstundentag in London einzuberufen, s. Brief Nr. 228; Protokoll des Züricher Kongresses, S. V; Bebel, „Ein internationaler Kongress für den Achtstundentag", Die Neue Zeit, XI. Jahrg. (1893), Bd. I, S. 38ff., sowie Avelings Anm. 3 genannten Aufsatz. 2 Engels äusserte sich darüber im Vorwort zur 2. durchgesehenen Auflage der Lage der arbeitenden Klasse in England (Stuttgart, 1892), S. XXIIIff.; Engels an Sorge 23. August 1892.
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Der Widerstand der für zehn Stunden geschützten Fabrikarbeiter war das grosse Schlachtross der Bourgeois. Das wird mit dem Kongress im Sept[ember] fallen. Die beiliegenden Stellen in Avelings Art[ikel] in der N[euen] Z[eü]3 hat K[arl] K[autsky] nicht genommen. Er schreibt mir, es habe aus technischen Gründen geschehen müssen; das mag sein, aber es mag auch etwas von Edes komischem Respekt vor den Fabians und von Bax' (der in Zürich ist) Interesse an der Soc[ial] Dem[ocratic] Federation mit dabei sein. Jedenfalls werden Dich die Stellen interessieren, sie gehören notwendig zum Gesamtbild. Folgende Fragen könntest Du in den Vorwärts setzen lassen: 1. Ist es wahr, dass die Londoner „Unabhängigen", d.h. die aus dem Commfunistischen] Arb[eiter-] Bild[un]gs-Verein Herausgeworfenen einen Klub gegründet und dazu die Grafton Hall, ein grosses Gebäude bei Fitzroy Square gemietet haben? 2. Dass für die Aufbringung der dazu nötigen bedeutenden Geldsummen Herr Baginski, der höchstens drei Pfund die Woche verdient, fünfhundert Pfund = zehntausend Mark gezahlt hat? 3. Dass Herr Hochgürtel, ebenfalls Arbeiter, fernere fünfhundert Pfund gezahlt hat; dass er, auf die Frage, woher er das Geld habe, die wunderbare Antwort gegeben: er sei von seiner Frau geschieden und habe somit ihr Geld erhalten? 4. Dass der Brauer, der dem Klub das Bier liefert, fernere zwölfhundert Pfund vorgeschossen hat? 5. Wenn dies alles wahr, woher stammt dies Geld und wer hat dem Brauer die Sicherheit gestellt, ohne die niemand so dumm ist, eine solche Summe vorzuschiessen? Herzliche Grüsse an Deine Frau und Kinder. Dein F. E. Roshers grüssen bestens.
Sie liegen nicht bei. Wie aus Engels' Briefen an Kautsky 12. August, 4. September und Kautskys Brief an Engels 31. August hervorgeht, handelte es sich um eine Nachschrift Avelings über die Social Democratic Federation und die Fabians zu seinem und El. Marx' Aufsatz „Die Wahlen in Grossbritannien" in der Neuen Zeit, X. Jahrg. (1892), Bd. II, S. 596ff. Kautsky antwortete, er habe die Stellen aus technischen Gründen fortlassen müssen; im übrigen habe er grössere Sympathien für die Fabians als für die SDF., die er beide während seines Londoner Aufenthaltes kennenlernte. s
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2 2 3 . B E B E L AN
ENGELS
Arbon a/Bodensee, den 17. August 1892.
Original. Lieber Generali
Also wir dürfen Hoffnung haben, Dich in Berlin zu sehen. Das ist doch ein Wort. Du glaubst nicht, wie ich mich ärgerte, dass der schöne Plan ins Wasser fiel. Für St. Gallen war bereits der Plan fertig. Es war ausgemacht, dass Du die Nacht bei Simons logiertest; Frieda hatte eine vorzügliche Quelle für echtes Pilsener Bier an der Hand, ausserdem hatte sie eine Partie Schweizer Walderdbeeren konserviert, um eine gute Bowle präparieren zu können. Um das bist Du nun alles gekommen. Du bist aber doch ein sehr leichtsinniger Bursche. Da schreibst Du mit aller Kaltblütigkeit, dass Du letztes Jahr mehr Alkohol genossen als sonst in drei Jahren, obgleich Du Dir doch sagen musstest, dass dieser fortgesetzte Genuss in Deinem Alter, auch ohne Dein Leiden notwendig Dich zu allem möglichen disponierte. Und so lebst Du, obgleich Du wieder ganz kaltblütig schreibst: Du könntest den Alkohol auch entbehren, wenn es notwendig sei. Wenn ich mit Louise zusammenkomme, hat sie zunächst eine Standrede zu erwarten über den Leichtsinn, mit dem sie Dir den Alkohol verabreichte, und dann muss sie eine Reihe von Anweisungen in Empfang nehmen, wie sie Dich künftig zu behandeln hat. Sie muss Dich unter Vormundschaft nehmen und hat uns Garantie für Dich zu leisten. Die Hexe lässt auch mich auf Briefe warten. Ich rechnete ganz sicher heute auf einen solchen und nehme an, dass die Korrespondenz mit ihr nicht postsicher ist. Erhalte ich bis Abend keinen Brief von ihr, werde ich unter der Deckadresse ihrer Mutter „einschreiben" senden. Sonntag hatte sie in Wien grosse Volksversammlung unter freiem Himmel,1 vom Montag bis Samstag vor[iger] Woche war sie in Linz. Dass Tussy von Greul[ich] die betreffende Einladung erhielt, ist in erster Linie Schuld der Hexe, in zweiter mir geschuldet. Louise erzählte mir in Berlin von dem Schreiben, das Ede von Seidel erhalten, und dass er schwach genug war, dem Wunsche S[eidel]s nachzugeben. Sie machte mich ferner darauf aufmerksam, dass, wenn die Engländer nicht zu ihren Herbstkongressen Einladungen erhielten, 1 In der Volksversammlung am Sonntag, 14. August, der ersten seit zehn Jahren, sprachen Ellenbogen und Reumann über die Tätigkeit des österreichischen Parlaments. Im Bericht darüber — Arbeiter-Zeitung, Nr. 34, 35, 19., 26. August — wird Louise Kautsky nicht genannt.
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spätere Einladungen den Zweck verfehlten. Darauf setzte ich mich hin und schrieb nach Z[ürich] über das Treiben S[eidel]s, verlangte, dass man von allen Schritten in bezug auf England Dich unterrichte und machte auf die Notwendigkeit frühzeitiger Einladung aufmerksam. Den Erfolg siehst Du in dem Schreiben an T[ussy]. Mein Reiseplan ist folgender. Samstag, den 20. d. Mts. gehen wir wieder nach St. Gallen, den 22. gehe ich nach Zürich, komme aber abends zurück, den 24. reise ich nach Stuttgart, wo ich bis zum 27. bleibe. Den 28. werde ich in Salzburg bleiben, den 29. treffe ich in Wien ein. Meine nächsten Adressen sind St. Gallen bis 24., vom 25.-27. Stuttgart J. H. W. Dietz, vom 29. Wien, wo Du der Adresse von Louise bzw. ihrer Mutter Dich bedienen willst. In Berlin könntest Du um den 8. September eintreffen. Wir kommen den 6. oder 7. zurück. Wenn Du die Nacht nicht durchfahren willst, kannst Du morgens 10 Uhr in London abreisen, bist 11 Uhr 15 abends in Köln, wohnst dort in der Nähe der Bahn im Hotel du Nord oder Hotel Ernst und fährst morgens 7 Uhr 40 von Köln ab, worauf Du abends 5 Uhr 53 in Berlin ankommst. Bei dieser Unterbrechung der Fahrt lässt Du das als Passagiergut aufgegebene Gepäck ruhig nach Berlin gehen und behältst nur Dein Handgepäck. Willst Du dagegen direkt fahren, so brauchst Du erst 5 Uhr 35 abends von London abzufahren, bist morgens 7 Uhr 17 in Köln und fährst 7 Uhr 40 weiter, bist dann wie oben 5 Uhr 53 in Berlin. Auf dem Zug 7 Uhr 40 von Köln hast Du Restauration, kannst Dich waschen, kurz hast alle Bequemlichkeit; es ist der bequemste Zug, der in Deutschland verkehrt. Meine Anwesenheit in Wien ist sehr notwendig geworden, da Adlers Verhältnisse die denkbar schlechtesten geworden sind. Er steht buchstäblich vor dem Nichts.2 Es gilt also zu versuchen, ob ihm in Wien eine Existenz zu schaffen möglich ist; andernfalls muss er, so schlimm das für die österrfeichische] Bewegung wäre, nach Deutschland. Ich habe Louise von der Sachlage unterrichtet, und diese sprach bereits mit einigen der vertrautesten Genossen, die ganz niedergedonnert waren, als sie hörten, wie es mit Adl[er] steht. Ich habe Louise geschrieben, dass sie auf alle Fälle mit nach Berl[in] geht, es sei denn, dass Dein Zustand ihre Anwesenheit in Lfondon] erfordere. Ich hoffe aber, Du holst sie in Berlin ab. Sonntag trafen wir im benachbarten Rorschach Liebk[necht] und Frau Nathalie, die nach Hause reisten. L[ie]bk[necht] waren in 2 Nachdem Adler sein Vermögen der Partei geopfert hatte, ging es ihm lange Zeit, auch infolge andauernder Krankheit seiner Frau, ausserordentlich schlecht. Seine Freunde dachten daran, ihm eine Existenz in Deutschland zu schaffen. Kautsky an Adler 19. September; Bebel an Adler 4. Oktober 1892.
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Lausanne beim Zuschlagen der Coupetür drei Finger der linken Hand tüchtig gequetscht worden. Die Heilung war gut vor sich gegangen. Die Krise wird auch noch andere Leute zur Besinnung bringen als die Baumwollarbeiter von Lancashire. Es ist aber ein grosser Erfolg, dass diese zunächst zur Besinnung kommen; andere werden folgen. Mit den Fragen bezüglich der London [er] Unabhängigen möchte ich doch noch warten. Mir kommt es ganz ungeheuerlich vor, dass solche Summen sollen zur Verfügung stehen. Die Hilfen aus dem Weifenfonds haben aufgehört, und die sonstigen zur Verfügung stehenden geheimen Fonds sind nicht so gross, dass man für ein paar unbedeutende Leute in L[ondon] solche Summen springen lassen kann. Solche Sachen können doch nur von dem Auswärtigen Amt bzw. der von diesem abhängigen politisch [en] Polizei ausgehen; es ist aber niemand in jener Stelle vorhanden, der solche Extravaganzen zu unterstützen geneigt wäre. Wäre Bism[arck] noch am Ruder, dann hielt ich's für möglich, gegenwärtig erscheint es mir undenkbar. Jetzt halte Dich einmal ein paar Wochen mäuschenstill und leb nüchtern wie ein Kartäuser, damit wir die Sicherheit haben, Dich in Berlin zu sehen. Herzlichen Gruss von uns allen, auch an R[osher]s. Dein AUGUST.
Es ist doch wirklich lächerlich, dass Ede so auf die Fabians hält; 3 ich werde in Stuttg[art] hören, ob K[autsky] sich von ihm beeinflussen liess. K[autsky] war kürzlich auch mit seiner Frau in St. G[allen].
2 2 4 . E N G E L S AN
BEBEL
Ryde, den 20. August 1892.
Original. Lieber August!
Deinen Brief vom 17. [August] heute morgen erhalten. Ich schreibe Dir gleich, weil sonst der morgige engl[ische] Sonntag es unsicher macht, ob diese Zeilen Dich noch in St. Gallen treffen. Ich möchte 3 Bernstein äusserte sich später über sein Verhältnis zu ihnen im Kap. X „Von Englands sozialistischen Intellektuellen" seines Buches Aus den Jahren meines Exils, S. 239ff. Er bestritt, dass die Fabier den Anstoss zu seinen revisionistischen Ansichten gegeben hätten. Entwicklungsgang eines Sozialisten (Leipzig, 1930), S. 23, Sonderausgabe aus Die Volkswirtschaftslehre der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Bd. I, (ebd,1924).Uber Kautskys Einstellung zu dieser Zeit s. Brief Nr. 222, Anm. 3,
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Dich nämlich bitten, bei K[arl] Kfautsky] wegen Ede vorsichtig zu sein. Ede ist jetzt entschieden auf der Besserung, wie sein Artikel in der N[euen] Z[eit] beweist,1 und das dürfen wir nicht stören. K[arl] Kfautsky] ist in seiner Freundschaft für Ede kein Muster von Diskretion, und wenn Ede durch Briefe von ihm auf die Idee kommen sollte, wir machinierten im stillen, um seiner Fabianschwärmerei entgegenzuwirken, so könnte das ihn wieder arg zurückwerfen. Neurastheniker sind argwöhnisch, und ich bin der Ansicht, dass der LassalleÄrger 2 nicht nur das erste Symptom seiner Krankheit, sondern entschieden auch der Anlass zu ihrem Ausbruch war. Wir müssen also eine zweite Auflage verhindern. Auch die Überschätzung der Fabians halte ich für seiner Krankheit geschuldet und vermute, dass sie sich legen wird, wenn man nicht auf dem Thema herumreitet. Gestern endlich ein Brief von der Hexe, sie ist traurig darüber, dass ich nicht gekommen bin; ja, was kann ich dafür? Und was würde sie sagen, wenn ich in Engelskirchen oder Zürich krummgelegt worden wäre, was bombenfest stand, wäre ich abgereist, und zwar krummgelegt ganz anders wie hier, wo ich die Sache noch rechtzeitig gefasst. Sie schreibt auch, dass sie jedenfalls mit Dir nach Berlin geht. Es ist mir sehr lieb, dass die Reise meinerseits, wenn sie zustande kommt, nicht vor dem 7. Septfember] angetreten zu werden braucht. Das gibt mir volle vier Wochen Ruhe, und da kann ich hoffen, wieder reisefähig zu sein. Seit gestern spüre ich endlich Symptome von Besserung, noch sehr schwach, aber dennoch vorhanden. Das Weitere muss man abwarten. Apropos: haben wir in Köln noch Advokaten, die Parteigenossen sind? Ich traue meinen Preussen noch immer nicht ganz, und wenn ich da die Adresse eines solchen hätte, da wäre ich auf alle Fälle gerüstet. Was Du über Victor schreibst, hat mir sehr leid getan. Hoffentlich gelingt es Dir, einen Ausweg zu finden. Die Gesundheit seiner Frau hängt ebenfalls davon ab — die Sorgen um die Zukunft sollen grossen Teil an ihrer Krankheit haben. Dass es so schlimm stand, hätte ich nicht geahnt. Aber die Österreicher sind wie die Franzosen und Irländer: Gelder regelmässig einzuziehen bei ihnen, ist eine Unmöglichkeit. Das keltische Blut der Noriker, die zuerst romanisiert und dann germanisiert worden und ihre Vorfahren sind, macht sich da geltend. 1 Gemeint ist wohl seine Besprechung von F. Domela Nieuwenhuis' Schrift Die verschiedenen Strömungen in der deutschen Sozialdemokratie. Aus dem Französischen übersetzt von A. Auerbach (Berlin, 1892), in dem Aufsatz „Nieuwenhuis über die deutsche Sozialdemokratie", Die Neue Zeit, X. Jahrg. (1892) Bd. II, S. 673ff. 2 S. Briefe Nr. 162, 164.
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Wenn Du eine Vorstellung davon haben willst, wie es dem Generalrat der Internat [ionale] mit den Franzosen und ihren Geldbeiträgen ging, so lies die beiden Briefe des Paulus an die Korinther,3 ewige Klage darüber, dass les cotisations ne rentrent pas; besonders der zweite Brief. — Könnt Ihr nicht der österreichischen] Partei eine ständige Unterstützung votieren unter der Bedingung, dass Victor sie erhält? In Deutschland würde er doch bald ausgewiesen, da er nicht wie K[arl] K[autsky] an einer wissenschaftlichen Revue, sondern an einem Agitationsblatt arbeiten müsste. Die Abstimmungen der Lanc[ashire] Baumwollarbeiter zugunsten des Achtstundentages (achtundvierzig per Woche) überstürzen sich förmlich. Heute ist Delegiertenversammlung in Manchester. Gestern in Preston dreitausendsechshundert für, sechshundert gegen. Lancashire aber entscheidet in dieser Frage für England, weil hier noch voriges Jahr der geschlossene Widerstand. Die Geschichten wegen des Londoner Unabhängigen] Klubs hat Frau Croesel (die noch besser ist als ihr Mann) der Tussy erzählt. Es kann aber nicht schaden, wenn die Sache aufgespart wird, bis wir alle wieder in London sind. Was die Quelle der Gelder angeht, so können immer noch einige Reste von Welfenfonds-Zinsen vorhanden sein, und die Dummheit der Polizei ist unermesslich. Gilles hat jedenfalls viel Geld zu seiner Verfügung gehabt und vielleicht noch.* Die anderen Leute sind von ihm vorgeschoben. Heute die erfreuliche Nachricht, dass Wilhelm von der zweijährigen Dienstzeit nichts wissen will. Da man aber diesen Köder einmal vor den Augen der Philister hat tanzen lassen, wird es selbst den National-] Lib[eralen] schwerfallen, darauf zu verzichten.5 Und da steigen die Möglichkeiten einer Auflösung des Reichstages. Welche Jammermenschen sind doch diese deutschen Bourgeois! Bei dem jährlich steigenden Geldbedürfnis der Regierung haben sie die beste Gelegenheit, sich für jede Bewilligung eine politische Machtkonzession zu kaufen, wie die Engländer dies von jeher im kleinen getan. Aber sie wollen nicht, sie lassen der Regierung alle Macht und markten nur um ein paar Pfennige.
3 Bes. 2. Kor. VIII und IX werden die Korinther eindringlich ermahnt, ihre Gemeindepflichten grosszügig zu erfüllen. 4 S. Brief Nr. 175, Anm. 4. 5 Um den Widerstand gegen die neue Militärvorlage zu überwinden, dachte man an eine Herabsetzung der Dienstpflicht auf zwei Jahre für die Fusstruppen. Sie wurde in einen Kompromissantrag aufgenommen, der am 6. Mai 1893 abgelehnt und erst nach der Neuwahl des Reichstages angenommen wurde.
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Herzliche Grüsse an Frau Julie und Frau Frieda nebst Gemahl, este Grüsse von Roshers. Dein alter j, ^ Ich bleibe hier bis nach dem 31. [August] jedenfalls.
225. BEBEL
Original
AN
ENGELS
St. Gallen, den 23. August 1892. Lieber General!
Ich habe nach Köln geschrieben, dass man Dir die Adresse eines Rechtsanwalts, der uns nahesteht, mitteilt. Ich kenne augenblicklich keinen solchen, da die früheren Rechtsanwälte, die zu uns gehörten, gestorben und verdorben sind. Ich will aber noch einmal betonen, dass nach meiner vollsten Überzeugung man Dir nicht das geringste machen kann. Wären Deine Presserzeugnisse strafbar, so wären sie so gepackt worden; dazu braucht man den Autor nicht, man packt den Verleger und die Verbreiter. Sonstiges kann gegen Dich nicht in Frage kommen; als Nichtdeutscher oder Nichtreichsangehöriger1 könnte man Dich höchstens als „lästig" ausweisen. Dazu gehört aber, dass Du agitatorisch tätig wärest, und ausserdem begeht man einen solchen blödsinnigen Akt zuletzt in Berlin. Ich halte also Deine Befürchtungen für gänzlich hinfällig und unbegründet. Ich war gestern in Zür[ich], traf aber Ede nicht, wie ich gehofft; er ist ins Hochgebirge mit Blaschko und kommt erst nächster Tage zurück. Morgen reise ich nach Stuttgart. Victor treffe ich Samstag in Salzburg, er will mich an der „Landesgrenze" begriissen, und dann gehen wir nach Linz, wohin auch die Hexe kommt. Zum ersten September werden wir in Wien einrücken. Der Kleine hat sich mit seiner schönen Rede gegen die zweijährige Dienstzeit selbst in die Suppe gespuckt. Dass es deshalb zu einer Auflösung des Reichstages kommt, glaube ich nicht, dafür findet er keinen Minister; die Wahlparole wäre die denkbar günstigste für die Opposition. Pflege Dich gut, damit Du bald wieder auf dem Damm bist und wir Dich sicher am 8. [September] in Berlin haben. Herzliche Grüsse von uns allen. Dein AUGUST.
Engels hatte die deutsche Staatsangehörigkeit; er war „Nichtreichsangehöriger". 1
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2 2 6 . E N G E L S AN
BEBEL
Ryde, den 25. August 1892.
Original. Lieber August!
Deinen Brief vom 23. [August] St. Gallen heute morgen erhalten. Ich weiss sehr gut, dass die Preussen mir nichts Ernstliches machen können, aber besser ist besser, vor Schikanen ist man bei den Herren nie sicher. Es könnte immer einem diensteifrigen Polizeigenie einfallen, mir unter falschen Vorwänden Schwierigkeiten zu machen, etwa um bei der Gelegenheit die bewussten Briefe M[iquel]s an Marx herauszubekommen.1 Und Du weisst, dass es Regel bei den Preussen, jeden Beamten, der eine Dummheit gemacht, vor dem Publikum nicht zu blamieren, sondern höchstens, nachdem seine Handlungsweise öffentlich gerechtfertigt, im stillen zu rüffeln. Übrigens ist mein Reiseplan wieder sehr wackelig. Ich bin in den letzten Tagen ein paarmal zum nächsten Postbüro geschlendert, etwa dreihundert Schritt vom Haus, und die Folge dieser Kraftprobe ist wieder vollständige augenblickliche Unfähigkeit, mehr als ein paar Schritte zu gehen, kolossale Empfindlichkeit gegen den Druck der Bandage in den Weichen etc. — so dass ich wieder krumm liege. Heute geht's infolge der Ruhe wieder etwas besser, aber ob in den dreizehn Tagen, die ich bis zum 7. [September] noch habe, die Geschichte so weit in Ordnung kommt, dass ich die Tour unternehmen kann, ist doch sehr fraglich. Nun, wir werden ja sehen. Von Louise keine weitere Nachricht. Dagegen schreibt mir Dietz, dass er die zweite Rate Honorar für die „Lage" mit 500 M[ark] auf Deinen Wunsch an Victor ausgezahlt hat,8 was mir sehr lieb ist. Anfang Sept[em]ber erscheint auch wieder was in der N[euen] Z[eit] 3 von mir, wofür das Honorar an V[ictor] gezahlt wird, wie denn D[ietz] von mir Auftrag hat, alle meine bei ihm erwachsenden Guthaben an V[ictor] zu zahlen. Diesen Winter muss ich mit dem dritten Band „Kapital" fertig werden, und dann kann ich auch wieder mehr Honorar herausschlagen, nachdem ich diesen Alp einmal vom Halse. Darin hast Du entschieden recht, dass eine Reichstagsauflösung wegen Militärforderung bei Verweigerung der zweijährigen DienstEngels dachte also, dass man ihn verhaften und die Miquel-Briefe von ihm verlangen könne. S. den folgenden Brief, Abs. 1. 2 S. Adler an Engels 25. August 1892. 3 Die gekürzte Einleitung zur englischen Ausgabe der Entwicklung des Sozialismus, u.d.T. „Über historischen Materialismus", XI. Jahrg. (1893), Bd. I, S. 14ff., 42ff. 1
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zeit die reinste Verrücktheit von seiten der Regierung wäre. Trotzdem ist nicht ausgeschlossen, dass so etwas zustande kommt — in Ansehung der jetzt „massgebenden" Faktoren im D[eutschen] Reich. Dass Russland in Europa kriegsunfähig ist, beweist es durch sein Vorgehen am anderen Ende der Zwickmühle — Hochasien.4 Es ist dies sehr dumm von ihm. Das wird die Engländer nicht einschüchtern, sondern sie zornig und es Herrn Gladstone unmöglich machen, seine Russenfreundschaft wirken zu lassen. Konstantinopel könnte G[ladstone] schon opfern, aber Indien bedrohen lassen, das geht nicht. Die Insel Wight wird mir unendlich langweilig, wenn ich daran denke, wie Du jetzt allein die Reise machst, die ich hätte mitmachen sollen. Und da bildet sich Louise am Ende noch ein, ich stellte mich nur krank! Statt den Brief nach Linz zu schicken, kam ich tausendmal lieber selbst. Heute ist der fünfzehnte Tag, dass ich hier auf das kleine Häuschen und Gärtchen als mein Gefängnis angewiesen bin und nur dreimal in vier Tagen dreihundert Schritt weit die Strasse hinabgegangen bin — mit dem Resultat, dass ich aufs neue strengsten Haus- und Gartenarrest habe. Heute ist Blumenausstellung auf dem Pier, morgen Regatta, die Pumpses5 gehen alle hin, ich kann zu Hause hocken — ist das ein Vergnügen. Das einzige, was mich wirklich freut, ist, dass ich die Geschichte nicht auf der Reise gekriegt habe, das wäre eine heitere Bescherung geworden. Nun also grüss Victor und seine Frau und Kinder, nicht minder die Hexe, die mir inzwischen doch wohl geschrieben haben wird, und sage ihnen allen, wie sehr leid es mir tut, nicht bei Euch sein zu können. Aber nächstes Jahr, wenn ich lebe, komme ich sicher. Dein F. E. Durch den Bau der transkaspischen Bahn wurde die Stellung Russlands in Zentralasien sehr verstärkt. Da es sich der nordwestindischen Grenze, Afghanistan und der Nordostgrenze Persiens näherte, erwartete man allgemein einen Zusammenstoss zwischen Russland und England. Dazu kam es nicht; im Pamir-Abkommen vom 11. März 1 8 9 5 wurden die Interessensphären abgegrenzt. 5 Mary Ellen Bums' Familie.
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2 2 7 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 7. September 1892.
Original. Lieber General!
Dass Du nicht nach hier kommen würdest bzw. nicht kommen konntest, war mir schon seit längerem klar. Dein Gesundheitszustand und die Gesund [heits] Verhältnisse bei uns sind Gründe genug dafür; ich 580
habe Dich deshalb auch in der letzten Zeit nicht mehr gedrängt. Nur hättest Du in Deinem letzten Brief nicht auf die M[iquel]sehen Briefe verweisen sollen, die man möglicherweise Dir abzudrücken versuchen möchte. Mir ist ganz unfassbar, wie Du einen solchen Gedanken denken konntest. Gegen solche Streiche sprechen nicht nur zehn, sondern tausend Gründe, die sowohl in der Sache selbst wie in den Personen liegen. Ich verliere kein Wort mehr darüber; denn so weit sind wir doch, das dergleichen sogar undenkbar ist, gedacht zu werden. Sehr schade, dass Du nicht kommen konntest; so dauert es abermals ein Jahr, bis Deine Vorurteile gegen das gegenwärtige Deutschland den nötigen Rippenstoss erhalten. In Wien hat es mir sehr gut gefallen. Von den Verhältnissen habe ich sehr wenig gespürt, wenn ich von der vergleichsweise teuren Lebensweise absehe, die aber gut ist; dagegen haben mir die Menschen, und hierunter meine ich natürlich in erster Linie unsere Genossen, ausnehmend gefallen. Ich habe mich pflichtschuldigst auch nach den Menschinnen umgesehen — wie das vom Verfasser der „Frau" nicht anders zu erwarten ist —, aber da muss ich Dir im tiefsten Vertrauen erklären, es kommt keine über unsere Hexe. Ich habe mich in Wien noch mehr in sie verliebt, als ich es vorher schon war, und am liebsten liesse ich sie gar nicht mehr fort. Es ist nur die Freundschaft und der Respekt vor Dir, wenn ich sie wieder nach London lasse; dafür musst Du aber auch ein Einsehen haben und darfst nicht brummen, wenn ich sie vierundzwanzig Stunden länger hier behalte, als sie nach ihrem gestrigen Briefe an Dich hier bleiben zu wollen erklärte. Du hast sie nachher wieder so lange, dass ich ordentlich eifersüchtig auf Dich bin. Du bist wirklich ein Glückspilz, dass Du in Deinen alten Tagen so ein Prachtweibchen um Dich hast. Nimm sie mir nur recht hübsch in acht und sieh darauf, dass sie sich nicht überarbeitet, nicht zu spät ins Bett geht — es würde auch Dir nichts schaden, wenn Du spätestens zwölf Uhr nachts Dich drücktest —. mit einem Wort, mehr als bisher ihrer Gesundheit lebt. Ein ganz besonderes Vergnügen hat es mir bereitet, sie in der Versammlung sprechen zu hören; 1 beachtet man, dass sie ganz ohne Vorbereitung das Wort zu nehmen gezwungen wurde, so war ihre Geistesgegenwart geradezu überraschend zu nennen. Am liebsten wäre ich ihr am Schlüsse vor versammeltem Kriegsvolk um den Hals gefallen und hätte sie abgeküsst. Ich hab's aber später nicht daran fehlen lassen. Dies wieder entre nous. 1 Bebel sprach am 3. September in einer Volksversammlung im Bezirk Hernais vor fünftausend Besuchern. Die Arbeiter-Zeitung berichtete darüber ausführlich in Nr. 37, 38, 9., 16. September. Louise Kautsky wird in diesem Bericht nicht erwähnt, jedoch in dem des Vorwärts, Nr. 213, 11. September.
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Von der Politik schreibe ich Dir heute kein Wort, einstweilen dauern meine Ferien noch so lange, als Louise hier ist; nachher stürze ich mich wieder in die Arbeit, an der es nicht fehlt. Herzlichen Gruss von uns allen. Dein AUGUST.
2 2 8 . E N G E L S AN B E B E L
London, den 11. September 1892.
Original. Lieber August!
Also einen Tag länger willst Du die Hexe dabehalten. Offenbar um sie noch recht zu instruieren, wie sie soll den General führen von wegen Trinken und anderen Sünden, während Du hinwieder mich anstachelst, ich soll ihr auf die Finger passen — glaube nur ja nicht, Du würdest nicht durchschaut. Du willst uns gegeneinander verhetzen, der Himmel weiss, aus welchen hinterlistigen Motiven, aber warte, Bürschchen, so einfach geht das nicht. Aus Rache werde ich Dir mehr Arbeit auf den Hals bringen, als Dir lieb ist, und ich fange gleich damit an. Der Trades Kongress in Glasgow hat uns Kontinentalen den Krieg erklärt.1 Von Seiten der Führer der Alten Malice, von Seiten der Neuen Dummheit, Mangel an Vertrauen in sich selbst und ineinander, also auch an Organisation als Partei auf dem Kongress, wo die Alten seit Jahrzehnten festgeschlossen waren. Wenn die Leute merken, was sie getan, wird's den meisten leid tun. Also: Das Züricher Komitee hatte einen an den Kongress adressierten Einladungsbrief nach Zürich 1893 ans Parlamentarische Komitee geschickt; Tussy hatte ihn aufgesetzt. Dieser Brief wurde vom Parlamentarischen] Kfomitee] zu unterschlagen versucht. Vergebens drang Will Thorne auf Nachricht darüber und auf Verlesung. Stets abgewiesen: der Kongress müsse dem P[arlamientarischen] K[omitee] überlassen, welche Papiere es vorlegen wolle!! Endlich bringt Matkin (Liverpool) den Antrag ein: Der Tr[ade] U[nion] Kongress solle auf 1. Mai 1893 einen internatfionalen] Kongress berufen zur Beschlussfassung und Vorbereitung eines internatfionalen] gesetzlichen Acht1 S. Engels' Briefe über diese Vorgänge an L. Lafargue 22. August, 11. September, an P. Lafargue 17. September. Report of the 25th Annual Trades Union Congress, S. 50, 55ff., der Einladungsbrief K. Bürklis S. 57f. Bebel behandelte die Angelegenheit in seinem Aufsatz „Ein internationaler Kongress für den Achtstundentag", Die Neue Zeit, Jahrg. X I (1893), Bd. I, S. 38ff.
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stundentages. — Parnell, der in Paris war, dagegen: man solle den Züricher Kongress beschicken und dort die Sache erledigen. Darüber grosse Debatte, worin die „Alten" frugen, was man in Zürich wolle, ob man sich mit den tollen (wild) Plänen der kontinentalen Sozialisten identifizieren wolle etc. — Wieder verlangt, der Züricher Brief solle verlesen werden und Vorlesung endlich beschlossen. Und so wird dann vor der Abstimmung die Züricher Einladung schandenhalber verlesen und gleich darauf der Matkinsche Kongressvorschlag (aber immediately, statt 1. Mai 1893, zu halten) mit 189 gegen 97 angenommen und damit die Züricher Einladung nur so nebenbei — nicht abgelehnt, sondern unter den Tisch geworfen; dafür aber dem „schlecht organisierten" kontinentalen Proletariat gnädigst erlaubt, [sich] auf einem Kongress in England von den wahren Leitern der Achtst[unden-] Bewegung — denen, die sie gestern noch tödlich bekämpft — belehren, einpauken und organisieren zu lassen. Aus dem ausführlichen Bericht eines schottischen Blattes, das ich Dir schicke, sobald ich's erhalte, wirst Du sehen, dass die Alten uns recht nach Herzenslust insultiert haben und die Jungen wie die Schuljungen sich dabei benommen. Einstweilen der einzige Bericht, den ich zur Hand habe, inliegend]. Die Sache ist nun nicht tragisch zu nehmen. Die Neuen sind so entzückt über den Übertritt der Alten zu den gesetzlichen] acht Stunden, dass sie sich bei diesem Punkt haben fangen lassen. Die meisten bereuen es sicher schon und alle, sobald sie merken, was sie getan haben. Ihnen dies klarzumachen, ist nach meiner Ansicht Aufgabe der Kontinentalen, und kann, wenn diese einig vorgehen, die Sache eklig werden für die „Alten". 1. müssen Frankreich und Deutschland einig vorgehen. Dann folgt alles nach. Ich schlage daher heute per Laura den Franzosen vor,2 sich mit Euch in Verbindung zu setzen, damit auf diesen Beschluss bei Euren Kongressen in Marseille und Berlin3 ein womöglich auch wörtlich gleichlautender Beschluss gefasst wird. Soweit ich bis jetzt urteilen kann (ich habe Aveling, der in Glasgow dabei war, noch nicht gesehen und mit niemand beraten), wäre es am besten, Ihr lehntet in fester, aber ruhiger und nicht feindseliger Sprache den neugebackenen Achtstundenkongress absolut ab, fordertet aber von neuem die einzelnen Tfrade] Ufnions] auf, den Züricher Kongress zu beschikken. (Dies müsste das Züricher Komitee auch tun, und zwar in ZirkuEngels an L. Lafargue 11. September 1892. Der Marseiller Kongress des Parti Ouvrier Français 24.-28. September, s. Brief Nr. 231 Anm. 6. Der Berliner Parteitag beschloss im November, einen evtl. nach England einberufenen Kongress der Gewerkschaften nicht zu besuchen, sondern den internationalen Arbeiter-Kongress 1893 in Zürich. Protokoll, S. 215ff. 2
3
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laren. Tussy wird ihm darüber schon schreiben, aber ein Schubs von Euch wäre auch nützlich). 2. sollte man aber noch weiter gehen wollen und glühende Kohlen sammeln aufs Haupt der Unmündigen, die nicht wissen, was sie tun, dann hätte4 von den Franz[osen] und Deutschen je ein Mann hinzugehen und die Sachlage klarzulegen und Protest gegen den Glasgower Beschluss zu deponieren. Dieser müsste von dem Zentralgewerkschaftskomitee delegiert und ein bona fide Arbeiter sein oder gewesen sein, sonst wird er nicht zugelassen. Sind Marseille und Berlin einig, so folgen Österreich, Spanien und Italien. Die Schweiz ist sicher, sie erhielt den direktesten Tritt; Belgien folgt wahrscheinlich, dito die Skandinavier. Dann kann Herr Nieuwenhuis, die Possibilisten und Blanquisten zu den Tr[ade] Unions gehen, und dann stehen sie erst recht ausserhalb der grossen europäischen] Bewegung. Dies vorläufig meine Meinung für heute. Sobald ich Weiteres höre, schreibe ich wieder. Inzwischen könnt Ihr Euch die Sache überlegen. Jedenfalls ist Euch durch die Arroganz der „Alten" und die Schlappheit der Neuen eine prachtvolle Gelegenheit gegeben, den Engländern den Standpunkt klarzumachen und ihnen zu zeigen, dass das klassenbewusste kontinentale Proletariat nicht daran denkt, sich unter die Leitung von Leuten zu begeben, denen das Lohnsystem für eine ewige und unerschütterliche Welteinrichtung gilt. Ein wahres Glück, dass die borniert-einseitige, ausschliessliche Gewerkschaftsbewegung ihren jetzt reaktionären Charakter so eklatant an die Sonne stellt. Ein anderes Bild: auf der letzten Konferenz der S[ocial] D[emocratic] Föderation] ist Herr Hyndman durch formellen Beschluss aufgefordert worden (einstimmig, wird behauptet), sich mehr zurückzuhalten und nicht länger in der Leitung der S[ocial] D[emocratic] Föderation] tätig zu sein.5 Die Hauptsache ist für uns alle, dass Marseille und Berlin einig und geschlossen vorgehen; alles andere ist Nebensache. Fasst man dort identische Beschlüsse, so werden sie von ganz Europa adoptiert, und so was geht hier durch die ganze Presse. Auch Eure Gewerkschaftskongresse sollten protestieren. Die schottfische] Zeitung mit Bericht geht mit dieser Post an Dich ab. Herzliche Grüsse an Frau Julie, die Hexe und Dich und alle Freunde Dein F. E. 4 5
Im Original: wäre. S. dazu Brief Nr. 231.
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2 2 9 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 14. September 1892.
Original. Mein lieber General!
Dass ich nicht die schwarzen Pläne habe, die Du mir zutraust, wirst Du mittlerweile daraus ersehen haben, dass ich unsere liebe Hexe noch Montag abreisen liess, und zwar einzig und allein in Rücksicht auf Dich. Es ist mir nicht leicht geworden, sie gehen zu lassen, das kann ich Dich versichern. Hoffentlich bist Du nun wieder in ihrem Besitz und ist sie wohl und munter eingetroffen. Die veränderte Tages-, richtiger Nachtordnung solltest Du aber doch in ihrem Interesse einzuführen versuchen; ich denke, sie wird auch Dir nicht schaden. L[ouise]s Erholung bestand darin, dass sie sich nicht erholt hat; sie wurde zuviel in Anspruch genommen von allen Seiten. Das Frauchen muss mehr schlafen, es genügt nicht, wenn sie von nachts ein oder halb zwei Uhr bis morgens acht Uhr im Bette liegen kann. Ich schreibe Dir das wider ihren Willen, sie hat mir kein Wort darüber freiwillig gesagt; ich habe sie scharf examiniert, und da musste sie beichten. Also tue, was Dir möglich ist. Dass man gegen den Achtstundenkongress Front macht, ist ganz meine Meinung, ich habe dies auch schon Louise gegenüber geäussert. Ich bin auch damit einverstanden, dass die beiden Parteitage, der französische und der deutsche, sich in gleicher Richtung äussern; da wir aber möglicherweise unseren Parteitag verschieben müssen, halte ich eine Äusserung in der Presse für notwendig. Ich habe gestern K[autsky] geschrieben, ob er einen Artikel gegen den Beschluss für die N[eue] Z[eit] will.1 Lehnt er ihn ab, schreibe ich ihn für den
Vorw[ärts],
Ede schreibt heute wieder in seiner schwachmatischen Weise, die nicht Fisch noch Fleisch ist, im Vorw[ärts].2 Es wird gar nichts schaden, wenn Ihr ihn ein wenig ins Gebet nehmt und ihm die Ohren steif macht. Er soll namentlich auch seine Korrespondenzen ändern und sich mehr auf die rasche Meldung von Tatsachen werfen, die er mit ein paar kurzen kritischen Bemerkungen begleiten mag, als auf „Ein internationaler Kongress für den Achtstundentag", s. Brief Nr. 228 Anm. 1. Nachdruck in der Wiener Arbeiter-Zeitung, 14. Oktober 1892. S. V. Adler an Engels 10. Oktober 1892. 2 In seinem Bericht „Der englische Gewerkschaftskongress" in Nr. 215, 14. September sagte er, über den Beschluss des Achtstunden-Kongresses enthalte er sich vorläufig eines Urteils, da nicht gesagt sei, ob dieser den Züricher Kongress aufheben solle. 1
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die Einsendung langer Artikel, die immer nachgehinkt kommen. Frankfurt[er]
Zeitfung]
u n d Voss[ische]
Zeit[ung]
sind w e i t r a s c h e r
und exakter bedient wie der Vorw[ärts]; wir müssen uns diesen Blättern gegenüber ordentlich schämen. Die ganze ausländische Berichterstattung des Vorw[ärts] liegt im argen; darüber haben wir erst am Montag wieder in einer Konferenz auf der Redaktion des Vorur[ärts] des langen und breiten Erörterungen gehabt. Leider nützen alle diese Verhandlungen nichts, weil L[iebknecht] absolut das Verständnis fehlt und er keine Redaktion organisieren und leiten kann. Es wird geschwatzt und geschwatzt und auch alles mögliche versprochen; dann aber folgt ein passiver Widerstand, der unüberwindlich ist. Ich liess mir nicht den zehnten Teil dessen sagen, was L[iebknecht] schon zu hören bekommen hat; aber er hört's ruhig, und alles bleibt beim alten. In England geht's verflucht langsam vorwärts; denen sollte man eine Extrakrise auf den Hals wünschen, damit ihre Gedankenentwicklung etwas beschleunigt wird. Ende nächster Woche gehe ich nach der Pfalz, habe eine Bergarbeiterversammlung auf dem Bildstock,3 werde dann wahrscheinlich noch in Ludwigshafen und Frankenthal Versammlungen abhalten. Sonstiges wird Dir Louise erzählen, sie kommt ja mit Neuigkeiten und Nachrichten schwer geladen zu Euch. Wie geht's mit Deiner Gesundheit, hoffentlich gut; L[ouise] wird Sorge tragen, dass Du bald wieder auf den Damm kommst. Herzlichen] Gruss von Julie und Deinem AUGUST.
Herzlichen Gruss von uns an Lfouise]. P[aul] Sfinger] wird gestern gekommen sein, ich habe ihn aber noch nicht zu sehen bekommen. Wegen der französischen] Mitarbeiterschaft,4 um die mich schon Lfouise] ersuchte, schreibe ich Dir im nächsten Brief.
9 In dieser Zeit näherte sich der Rechtsschutzverein der Sozialdemokratie, obwohl ihr von seinen führenden Leuten niemand angehörte. Versammlungen Bebels, Liebknechts, Fischers u.a. auf dem Bildstock wurden dem Verein von den Zentrumsführern vorgeworfen. S. O. Hue, Die Bergarbeiter, II, S. 441f. 4 An Le Socialiste, der in eine Tageszeitung umgewandelt werden sollte. Darüber zuerst Engels an P. Lafargue 27. Mai 1892.
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230.
BEBEL
AN
ENGELS
Berlin W., den 17. September 1892.
Original. Lieber General!
Ich schreibe Dir diese Zeilen, während Kugelmann1 hinter meinem Rücken sitzt und die M[iquel]sehen Briefe liest; dabei unterbricht er mich aber in einem fort. Es ist ja ganz interessant, was er in einem fort plaudert; aber er ist schrecklich breit und etwas indiskret. Das letztere würde ja mir gegenüber nichts schaden, aber er schwatzt dasselbe anderen Leuten vor — wie ich vorgestern in einer Gesellschaft merkte —, die es nicht zu hören brauchen. K[ugelmann] lässt Dich schön grüssen, ebenso sein Schwager M. Oppenheim, den ich vorgestern abend zu meiner Rechten hatte, während K[ugelmann] mir von der Linken die Ohren voll plauderte. K[ugelmann] erzählte mir von einem H. Meyer,2 der zuletzt in St. Louis lebte — Dir ja wohl bekannt —, der eine gut geordnete Sammlung von Schriften und Aktenstücken der vierziger und fünfziger Jahre besitze. Kfugelmann] will an den Neffen M[eyer]s schreiben, dass er die hinterlassenen Sachen M[eyer]s herausgebe. Hoffentlich mit Erfolg. Weiter hat K[ugelmann] noch mehrere Exemplare des „Herr Vogt"; er will sie aber nur herausrücken, wenn Du ihn autorisierst. Bitte, schreibe mir also gelegentlich eine solche Vollmacht, die Du gleich daraufhin erweiterst, dass K[ugelmann] mich Einsicht nehmen lässt in die in seinem Besitz befindlichen Briefe von Marx.3 Der Korrespondent des Vorw[ärts], dessen Nachrichten Dir so auffielen, ist ein von L[ie]bk[necht] engagierter Student namens Arndt.4 Kein Mensch kennt denselben, ich weiss auch nicht, wie er ihn aufgegabelt. Vermutlich ist der junge Mann nach Paris gegangen, und L[iebknecht] hat ihn mit den nötigen Empfehlungen ausgestattet und ihn beauftragt zu schreiben, vielleicht sogar, um ihn zu unterstützen. Ich konnte mit L[iebknecht] selbst nicht sprechen, da er seit Montag bzw. Dienstag nach Breslau ist und wohl erst gestern abend zurückkam. 1 Ludwig Kugelmann (1830-1902), Arzt in Hannover, stand 1862-1874 mit Marx in Briefwechsel. 2 Hermann Meyer (1821-1875), ein Freund Weydemeyers, emigrierte nach der 1848er Revolution nach Amerika; er war in St. Louis Leiter einer deutschen Sektion der IAA. Vermutlich wird er hier mit Julius Meyer verwechselt, dem westfälischen Sozialisten der vierziger Jahre. 3 Sie wurden zuerst von Kautsky in der Neuen Zeit, XX. Jahrg. (1902), Bd. II, in zwölf Fortsetzungen herausgegeben. 4 S. den folgenden Brief; L. Lafargue an Engels 13. Oktober 1892.
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Wie mir eben K[ugelmann] mitteilt, soll Pieper, durch dessen Hand die M[iquel] sehen Briefe gingen, noch heute in Hannover leben, aber ganz versoffen sein.5 Wie Du gelesen haben wirst, haben wir den Parteitag vertagt. P[aul] war für Vertagung zum Frühjahr und Verschmelzung des diesund nächstjährigen Parteitages, er scheint etwas choleraängstlich zu sein. Ich habe mich entschieden dagegen erklärt. Können wir den Parteitag nicht bis Mitte November halten, so zwischen Weihnachten und Neujahr; und finden wir keine Lokalität hier, verlegen wir den Parteitag nach aussen (Halle etc.). Ich glaube aber, wir können ihn hier abhalten.6 Abgehalten muss er werden, schon um den Schein zu vermeiden, als gingen wir gewissen Diskussionen aus dem Wege. Ausserdem erheischt auch die allgemeine] Situation und die Situation der Partei eine offene Aussprache. Ich lese eben Deine „Lage der arbeitenden Klasse" mit grossem Vergnügen wieder. Die Vorrede ist ausgezeichnet. Bist überhaupt ein famoser Kerl, Alter. Ich bewundere den Blick und das Verständnis, das Du schon damals für alle Erscheinungen gehabt, und wie richtig Du sie beurteiltest. Ich behaupte, M[arx] wäre ohne Dich nicht das geworden, was er wurde; damit ist M[arx] kein Lorbeerblatt genommen. Jetzt füge Dich nur hübsch Louisens Anordnungen, damit wir Dich noch recht lange behalten. K[autsky] schreibt mir, dass Avel[ing] einen Artikel über den Gewerkschafts-Kongr[ess] angekündigt; will aber auch meinen Artikel.7 Ich werde ihn schreiben, und mag er dann sehen, was er damit macht. Kugelm[ann] lässt Dich bitten, ihm ein Exemplar „Der Ritter vom edelmüthigen Bewusstsein"8 und die Palmerston-Pamphlete9 von M[arx] zu senden, falls Du noch solche Exemplare übrig hast. Mit herzlichem] Gruss D[ein] A. B. Wilhelm Pieper (geb. 1826), Mitglied des Kommunistenbimdes, Freund von Marx und Engels, während der Emigration in London u.a. Hauslehrer bei Rothschild. Er ging später nach Deutschland zurück und lebte als Gymnasiallehrer in Bremen und Hannover. Er war zeitweise Verbindungsmann zwischen Marx und Miquel. 6 Der Parteitag tagte vom 14.-21. November 1892 in Berlin. 7 „Der Kongress der britischen Trades Unions", Die Neue Zeit, XI, Jahrg. (1893), Bd. I, S. 20ff. 8 Marx' gegen Willich gerichtete Streitschrift, datiert 28. November 1853, o. O. u.J., 16 S. 9 „Palmerston and Russia", „Palmerston, what has he done" in Tuckers Political Fly sheets (London, 1853 bzw. 1854). 5
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Der zweite Berichterstatter in der heut[igen] N[ummer] des Vorw[ärts]10 ist Bonnier, der aber selten schreibt. 10
Über die Vorgänge in Carmaux, datiert „Carmaux, 18. September".
2 3 1 . E N G E L S AN B E B E L
London, den 26. September 1892.
Original. Lieber August!
Wegen Kugelmann hat Louise Dir schon einiges gesagt. Er war anfangs mit M[arx] während der sechziger Jahre sehr befreundet, tat sehr viel, um die Totschweigungs-Versohwörung der Presse gegen das „Kapital" I. Band zu brechen, bewog auch M[arx], nach Karlsbad zu gehen, was diesem sehr gut bekam; aber sowie sie dort einige Zeit zusammen waren, kamen sie total auseinander; nach M[arx]' Tod hat er öfter an mich geschrieben, ich habe mich kühl zu stellen gesucht, da ich von seiner Verlässlichkeit nicht überzeugt bin. Jedenfalls hat er mehr als einen Fuss in mehr als einem Lager. Wegen der Ex[emplare] „Herr Vogt" habe ich an ihn geschrieben, er soll mir erst sagen, wieviel er hat. Da gibt's allerlei Reflektanten. Ich glaube sogar, weder Tussy noch Laura haben ein Ex[emplar]. Du sollst auch berücksichtigt werden nach aller Möglichkeit. Der Arndt ist ein Studiosus, der in Genf war, dann nach Spanien ging und mit unseren Leuten in Madrid verkehrte, dann hierher kam. Hier nahm ihn Julius unter seine Fittiche; zuweilen kam er auch zu uns und ging dann plötzlich nach Paris. Von seiner Absicht, für den Vorwärts zu korrespondieren, sagte er kein Wort zu uns, vermutlich hat Jfulius] das vermittelt. Ich gab ihm eine Karte an Laura mit, habe aber nie gehört, dass er sich dort hat sehen lassen, werde fragen. L[aura] wird ihn auch an Vaillant gewiesen haben, und da dieser in Paris ist und Laf[argue] fast stets auf Reisen war, erklärt sich die vorwiegende Berücksichtigung der Blanquisten und ihrer Bundesgenossen, der Allemanisten. Kannst Du mir Arndts Adresse verschaffen? Nach dem Kongress, besonders wenn das Tagblatt erscheint, wird Laf[argue] mehr in Paris sein, und der Mann muss direkt an ihn und Guesde gewiesen werden. Des Meyers in St. Louis glaube ich mich zu erinnern, es gibt aber der Leute des Namens so viele. Ich will hoffen, K[ugelmann] bekommt was heraus, er tut gern dick mit seinen Verbindungen. Pieper war s.Zt. Hauslehrer bei Rothschild hier, ist jetzt Gymnasial589
lehrer in Hannover, wo M[arx] ihn einmal — ich glaube 1867 — als aufgedunsenen Philister auf der Strasse traf. Ganz Deiner Ansicht, dass der jährliche Parteitag festzuhalten ist. Schon aus konstitutionellen Gründen müsst Ihr als Vorstand ihn einhalten, das gäbe schönen Vorwand sonst für die Schreier. Und auch sonst ist's wichtig, dass die Partei selbst alle Jahre einmal en masse sich ausspricht; dies gilt allgemein, augenblicklich aber doppelt — sowohl den „Unabhängigen]" wie Vollmar gegenüber. Es ist sehr schade, dass Ihr meine Mitteilung wegen Hyndman so mir nichts dir nichts in die Presse gebracht.1 Ich bemerke daher für künftige Fälle ausdrücklich und ein für allemal, dass meine Mitteilungen in Privatbriefen Euch zur Information dienen sollen und nötigenfalls, unter Beobachtung der üblichen Reserve, zur Richtigstellung oder Verhinderung von falschen Berichten oder Auffassungen im Vorwärts-, zur direkten Veröffentlichung aber nur, wenn dies ausdrücklich bemerkt ist. Sonst müsste ich über alles den Mund halten, was ich nicht direkt beweisen kann, oder aber riskieren, in den meisten Fällen die Quelle verraten zu müssen und damit für die Zukunft verstopfen. Die Nachricht selbst ist der Sache nach entschieden richtig, wie jede N[umme]r von Justice beweist; die Angriffe auf hiesige und kontinentale Persönlichkeiten sind weg, und der ganze Hyndmansche Geist ist verschwunden. Sehr möglich aber ist, dass formelle Unrichtigkeiten in der Nachricht waren, dass Hfyndman] abdankte vor der blossen Drohung eines Beschlusses etc. Fatal ist nur erstens, dass diese Geschichte uns diese und andere Quellen über Vorgänge in der S[ocial] D[emocratic] Föderation] verschliesst, dass sie ferner Hyndmans Stellung verbessert, und drittens wir nichts weiter dagegen tun können, ohne diese noch mehr zu verbessern. H[yndman] hat in Justice etwas losgelassen, worin er erwartet, Ihr würdet seinen Brief nicht abdrucken, ist also soweit blamiert.2 Ich werde versuchen, ein Ex[emplar] für Dich zu bekommen. An Kug[elmann] habe ich geschrieben, soweit meine Kompetenz reiche, seiest Du autorisiert, die Briefe von Marx an ihn zu lesen. Auch soll er den „Ritter vom edelmütigen" erhalten. Heute schickt mir K[arl] K[autsky] Abzug Deines Artikels3 und fragt an wegen zwei Stellen. In der Zuschrift „Aus England" im Vorwärts, Nr. 216, 15. September. S. Brief Nr. 228. 2 Hyndmans vom 16. September datierter berichtigender Brief im Vorwärts, Nr. 220, 20. September; seine Zuschrift „The English Correspondence of the .Vorwaerts'" in Justice, Nr. 454, 24. September. 3 „Ein internationaler Kongress für den Achtstundentag." S. Kautsky an Engels 24. September 1892. 1
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I. Von dem Beschluss in Glasgow, doch noch Zürich zu beschicken, hat weder die D[aily] News etwas, noch hat Aveling so etwas gehört, sonst hätte er's gesagt. Er wollte heute kommen, ist aber nicht erschienen. L[ouise] sagt, sie habe auf der Herreise ähnliches im Daily Telegraph gelesen. Unter diesen Umständen riet ich K[arl] K[autsky] einzuschieben: „wenn die betreffende Zeitungsnachricht wahr ist". Das deckt Dich vollständig. II. „unabhängige Arbeiterpartei im Entstehen — deren Anhänger zum erstenmal nach Schluss des Gl[asgower] Kongresses zusammentraten, um sich zu konstituieren —" etc. etc. Ich habe K[arl] K[autsky] geraten, die Worte zwischen den Gedankenstrichen: — „deren . . . zu konstituieren —" unter allen Umständen zu streichen. Die unabhängige Arbeiterpartei, die hier im Entstehen ist, ist noch weit davon, sich zu konstituieren, und gar nicht zu wünschen, dass sie dies jetzt schon versucht. Dazu ist sie noch nicht reif. Die Independent Labour Party, deren Leute sich unter Keir Hardies Vorsitz in Glasgow mehr oder weniger konstituierten, ist die von Autolycus (Joseph Burgess) von der Workman's Times gestiftete Sekte, die bis jetzt zweitausend Mann zählt und der Sfocial] D[emocratic] F[ederation] Konkurrenz macht in der Anwerbung sozialistisch angehauchter Arbeiter.4 Sie ist einstweilen nicht mehr die unabhängige Arbeiterpartei, als die S[ocial] D[emocratic] Föderation] dies ist, und ist nicht besser und nicht schlechter als diese. Was daraus wird, ist abzuwarten, aber keinesfalls dürfen wir sie so ohne weiteres als die unabhängige] Arbeiterpartei, die wahre und einzige proklamieren, da könnten wir uns schön die Finger verbrennen. Keir Hardie hat sich seit seiner Wahl in einer teils lächerlichen, teils blamablen Weise vorgedrängt und wichtig gemacht; der Erfolg ist ihm in die Krone gestiegen, und er wird sich die Hörner etwas ablaufen müssen. Er will, scheint es, gewaltsam den Bums in den Hintergrund drängen, der sich sehr ruhig und zurückhaltend benimmt (er hat mir seinen Besuch ansagen lassen, um mich über die einzunehmende Haltung zu Rat zu ziehen). Ich denke, das wird sich alles ausgleichen, K[eir] H[ardie] ist besser, als er sich jetzt stellt, aber davon, dass er sich bei einer Sache beteiligt, dürft Ihr keineswegs den Schluss ziehen, dass diese Sache so ohne weiteres gutzuheissen ist. Sonst bin ich mit Deinem Art[ikel] ganz einverstanden: ruhig, würdig, entschieden. Joseph Burgess (Autolycus) (geb. 1853), Textilarbeiter, Herausgeber der Workrrmn's Times (1891-1894). Er propagierte seit Jahren den Gedanken einer selbständigen Arbeiterpartei. Hier ist gemeint die „National Independent Labour Party (London District)", die am 13. Juni 1892 gegründet wurde. S. H. Pelling, The Origins of the Labour Party, S. 104ff., 116ff. 4
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In Marseille hat der dortige Tr[ade] Unions-Kongress (Congrès des syndicats) auf meine Anregung bei Lafargue den Beschluss gefasst, an dem von den Tr[ade] Unions berufenen internat[ionalen] Kongress nicht teilzunehmen, sondern sie einzuladen, dem Züricher Kongress beizuwohnen.5 Dies ist nicht der Wortlaut, den soll ich erst erhalten; L[ie]bk[necht] wird ihn Euch wohl schicken, er kam gerade an, als Lafargue schrieb. Der Kongress der Arb[eiter]partei wird ähnlichen Beschluss fassen.6 Ich machte Laf[argue] darauf aufmerksam, dass die Tr[ade] Unions die Kongresse und Beschlüsse der Arbeiterparteien nicht für voll ansehen, dagegen die der Gewerkschaften ganz anders respektieren werden. Könnt Ihr in Deutschland Gewerkschaftsbeschlüsse in gleichem Sinne erwirken,7 so wird das hier seinen Effekt machen, dies sollte durchaus nicht vernachlässigt werden. Von Deinem Artfikel] könntest Du uns etwa zwölf Ex[emplare] zur Verteilung an hiesige Blätter schicken. Die Leute können nämlich sehr selten fremde Sprachen, und da ist's eine reine Lotterie, ob sie es nur ansehen. Um hier was in die Presse zu bringen, müssen andere Mittel versucht werden. Wenn Aveling z.B. mit dem fertigen Artikel zur Pall Mall [Gazette] geht, bringt er ihn wahrscheinlich hinein; denselben Abend würden wir die Ex[emplare] an die anderen Blätter schicken, so dass sie alle zu gleicher Zeit bedient würden und immer noch die Möglichkeit wäre, dass dies oder jenes andere Blatt etwas darüber sagte. Hat aber ein Blatt einmal von so etwas gesprochen, dann nimmt kein anderes Blatt etwas darüber auf, das ist einmal Regel hier. Deshalb müssen wir hier am Ort den Moment der Aussendung bestimmen können. Dagegen nach Frankreich könntest Du allerdings Ex[emplare] an die Presse schicken, speziell als von Dir gesandt bezeichnet, das zieht dort möglicherweise, weil wir eben kein einziges Tagblatt dort haben, wohinein wir etwas bringen könnten. Du könntest schicken an L'Eclair (das Blatt bringt noch am ersten Der Ve Congrès national des syndicats et groupes corporatifs tagte vom 19.-23. September in Marseille; das Protokoll wurde erst 1908 in Le Mouvement Socialiste, Paris veröffentlicht, S. 99ff., 198ff., 363ff., 426ff. Im Beschluss, S. 372f., wurde zum Ausdruck gebracht, dass der Generalstreik auf die Tagesordnung des Züricher Kongresses gesetzt werden müsse. E r war auch als Punkt 9 vorgesehen, aber kam nicht mehr zur Behandlung. Engels an L. Lafargue 14. Oktober: „ . . . The Socialiste does not contain, in its report, the resolution of the Congrès syndical of Marseille with regard to the Glasgow affair, nor any allusion to it. How is it that this business is enveloped in such mystery?" • Der X e Congrès national du Parti Ouvrier Français, Marseille 24.-28. September, erklärte, dass die Partei den Londoner Kongress nicht besuchen würde und forderte die Trades Unions auf, „à rallier le mouvement ouvrier international et à se faire représenter au Congrès de Zurich." Le Socialiste, Nr. 106, 4. Oktober. 7 S. darüber den folgenden Brief. 5
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was), Le Figaro, Le Temps, Le Matin, La Justice, L'lntransigeant, Le Parti Ouvrier (possibilistisch), Le Parti Socialiste (49 rue de Rivoli, blanquistisch-wöchentlich). Bitte mir zu sagen, ob die Workmans Times Dir noch von der Redaktion zugesandt wird oder nicht. Es heisst hier, alle Freiexemplare] ins Ausland seien abbestellt. Wenn's wahr, schick ich sie Dir statt Fischer, der sie bei Dir lesen kann oder nach Dir. Nun hätte ich noch gern Deiner Frau ein paar Worte geschrieben, aber es ist schon neun Uhr abends, und ich habe gegen Arztbefehl schon zu lange bei Licht geschrieben. Den ganzen Tag an Victor und K[arl] K[autsky] auch noch schreiben müssen — so bitte sie, dass sie mich entschuldigt. Aber sie bekommt einen Brief extra von mir. Bis dann grüsse sie herzlich. Dein GENERAL. Ich höre eben von L[ouise], dass Du die W[orkman's] T[imes] schon länger nicht mehr amtlich zugesandt erhältst. Die Sache ist also erledigt.
2 3 2 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 29. September 1892.
Original. Lieber General!
Es ist mir sehr angenehm zu hören, dass Du mit meinem Artikel bis auf die kleinen Abänderungen einverstanden bist. Mit letzteren bin ich einverstanden, eine hatte ich schon bei der Korrektur vorgenommen; ich hatte das Wort konstituieren in „verständigen" umgewandelt. Den Beschluss, die Einladung nach Zür[ich] anzunehmen, las ich in einem Bericht der Frankfurt[er] Zeit[ung], Die zwölf Exemplare wirst Du erhalten. Liebknecht hat es fertiggebracht, tüchtig Lärm zu machen;1 um mit den Franzosen umzugehen, haben wir keinen besseren als ihn; die gründlich einzuseifen, das versteht er. Mit meiner Agitation in der Pfalz bin ich sehr zufrieden; nur die Versammlung auf dem Bildstock, auf die ich am meisten gerechnet, war nicht nach Wunsch. Dass alle Kanzeln gegen mich in Bewegung gesetzt wurden, schadete nichts; aber die eigenen Leute machten die Dummheit, statt eine Volksversammlung eine sozialdemokratische ParteiVersammlung anzusetzen, und deren Besuch schreckte in einem bisher rein ultramontanen Bezirk ab. Trotzdem war die Versammlung 1
Auf dem Marseiller Kongress; s. den folgenden Brief, Anm. 5, 7.
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insofern wertvoll, als die weite Umgegend vertreten war; aus den grossen Industrieorten Lothringens bis nach Metz waren Leute anwesend, und die Stimmung war ausgezeichnet. Dort geht's vorwärts, und ich denke, bis 1895 sitzen wir dort gründlich fest. Der Euch bekannte Bachmann 2 machte mir eine sehr konfuse Opposition. Der Mensch ist dumm und masslos eitel; ich antwortete ihm gar nicht, sondern liess ihn von Ehrhart, Ludwigshafen und einigen Leuten aus dem Rechtsschutzverein verhauen. Zwischen ihm und Warken besteht tödliche Feindschaft, und alle beide wieder wirtschaften bei den Bergleuten ab. Es sind undelikate Burschen, die ihre Stellung missbrauchen; leider ist kein passender Ersatz bis jetzt gefunden, sonst wären beide schon geflogen. Es ist mit den Bergleuten überall in Deutschland der gleiche Übelstand; es fehlt ihnen an tüchtigen, brauchbaren Elementen, und bei der eigentümlichen Entwicklung ihres Berufes haben wieder nur Bergleute Einfluss auf ihre Genossen. In Sachsen hat sich das allmählich gebessert, und ich denke, es wird sich in Rheinl[and]-Westfalen auch allmählich ähnlich gestalten. Im Saargebiet z.B. hat unser Agitator Emmel 3 sich bereits eine ganz hübsche Vertrauensstellung erworben, und ich denke, er wird das nächste Mal dort Reichstagskandidat. Was Du mir über Keir Hardie schreibst, bestätigt das Urteil, das ich von ihm hatte; er wird sich noch sehr entwickeln müssen, ehe voller Verlass auf ihn ist. Bums macht, scheint mir, den Fehler, dass er sich zu sehr im Hintergrunde hält, er scheint gar nicht in Glasgow gewesen zu sein; auch dass er vor[iges] Jahr in Brüssel fehlte, war ein Fehler. Du solltest ihm gelegentlich klarmachen, dass dieses Schmollen die allerverkehrteste Taktik für einen Führer ist. Wer sich freiwillig in den Hintergrund stellt, wird übersehen und verliert an Einfluss. Der Irrtum mit Hyndm[an] war unangenehm, aber schliesslich ist er immer noch zu ertragen. Du kannst Dich nicht beschweren, dass ich bisher Deine brieflichen Mitteilungen missbrauchte; mir schien manchmal, dass ich eher den entgegengesetzten Vorwurf verdiente, sie nicht genügend benutzt zu haben. Nachdem wir aber einmal die englfische] Korrespondenz hier schmiedeten, schien uns diese Nachricht auch hineinzugehören, deren Richtigkeit um so weniger zu beMathias Bachmann war einer der Leiter des Bergarbeiterstreiks im Mai 1889 im Saargebiet gewesen; er hatte als Delegierter den internationalen BergarbeiterKongress 1892 in London besucht. 3 Leopold Emmel (geb. 1863) arbeitete bis 1890 als Schlosser in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien; 1890-1894 im Saarrevier tätig; später Kaufmann in Mülhausen i.E., dort seit 1902 Gemeinderat, bis 1906 Mitglied des Landesausschusses, seit 1907 des Reichstages.
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zweifeln war, da Du zweimal nachdrücklich in Deinen Briefen darauf zu sprechen kamst. Wenn uns kein grösseres Malheur passiert, als Herrn H[yndman] einmal Unrecht zu tun, das ertrage ich. Die Pariser scheinen auf meine Mitarbeiterschaft bzw. Korrespondenztätigkeit zu verzichten. Damit bin ich sehr einverstanden. Einmal spare ich die Arbeit, dann vermeide ich ein Zerwürfnis mit L[ie]b[knecht] — der gerade hier am sterblichsten ist —, und drittens sparen die Franzosen die Übersetzung, da L[ie]b[knecht] französisch schreibt. Die Zetkin4 ist zur Mitarbeiterschaft eingeladen worden; sie hat nur den Fehler der meisten Frauen: sie besitzt für Tatsachen zu wenig Sinn und schreibt leicht Bandwürmer. Lieb wäre mir aber, wenn Du veranlassen wolltest, dass man mir regelmässig ein Freiexemplar sendet — meinetwegen alle zwei Tage eine Sendung —; ich werde mich revanchieren dadurch, dass ich wichtige Nachrichten für den Vorw[ärts] benutze. Ich habe in der letzten Zeit verschiedentlich Nachrichten des Socialiste für den Vorw[ärts] verwendet, da man auf der Redaktion keine Augen dafür hat. Hätten wir nur französische Pressfreiheit. Soviel ich weiss, werden diesen Herbst keine Gewerkschaftskongresse in Deutschland mehr abgehalten; diese tagen in der Regel im Frühjahr, selten später als Pfingsten. Kommt von England eine Einladung, dann wird nochmals Lärm geschlagen, und wie ich nicht bezweifle, mit ausgiebigstem Erfolg. Bei der Art, wie jetzt die Cholera nachlässt, hoffe ich, dass wir Mitte November den Parteitag abhalten können. Der Ausgang der Stadtverordnetenwahlen5 wird Euch zeigen, dass es mit den „Unabhängigen" hier nichts ist; es ist einzig die musterhafte Ungeschicklichkeit des Vorw[ärts], die draussen den Glauben aufkommen lässt, als seien sie stark genug, uns zu terrorisieren. In den Provinzen ist man über die Haltung des Vorw[ärts] sehr ungehalten, und es dürfte auf dem Parteitag darüber zu Auseinandersetzungen kommen.6 Wer den lahmen Artikel gegen die Unabhängigen verfasste, werde ich in der nächsten Vorstandssitzung erfahren.7 Clara Zetkin (1857-1933), Lehrerin, Frau des frühverstorbenen russischen Emigranten Ossip Zetkin; sie lebte in Leipzig, Zürich, Paris, nach dem Fall des Sozialistengesetzes in Stuttgart; sie war Delegierte zum Pariser Kongress 1889 und redigierte die seit 1892 in Stuttgart erscheinende Frauenzeitschrift Gleichheit. 5 Bei der Ersatzwahl der Stadtverordneten für den 15., 25. und 26. Berliner Bezirk wurden die sozialdemokratischen Kandidaten Metzner, Wernau und Bruns gewählt. 6 Aus Stuttgart, Bielefeld, Frankfurt, Berlin, Solingen, Wiesbaden, Charlottenburg lagen Anträge über die Redaktionsführung des Vorwärts vor. Protokoll Berlin, S. 15ff., 91ff. 7 In dem Bericht „Die Achtung der freien Meinungsäusserung" in Nr. 222, 22.
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Die Adresse des Arndt schreibe ich Dir später, ich bin noch nicht auf den Vorw[ärts] gekommen. Unter den Zeitungen, die ich Dir sende, findest Du einen Artikel der Voss[ischen Zeitung] gegen Miquel. Herr M[iquel] raucht sich gut, jetzt wo er im Amte ist, treibt er's noch toller als die anderen. Der Artikel im Pariser Socialiste über den englischen] Gewerkvereinskongress8 — vermutlich Bonnier — ist sehr mau. Für die Ubersendung der W[orkman's] T[imes] besten Dank, ich werde mich mit F[ischer] verständigen. J[ulie] lässt Dich herzlich grüssen und bitten, Dir mit dem Briefe an sie Zeit zu nehmen. Wie steht's denn mit Deiner Gesundheit, Ihr schreibt beide kein Wort davon. Hoffentlich steht's gut! Herzlichen] Gruss von Deinem AUGUST.
September wurde über die Störung von Kommunalwähler-Versammlungen durch „Unabhängige" Klage geführt. 8 „Le Congrès de Trades-Unions à Glasgow", gezeichnet B., in Nr. 103, 11. September.
2 3 3 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 7. Oktober 1892.
Original. Lieber August!
Zuerst das Geschäft. Lafargue schickt in der France inliegende] Anzeige einer Interpellation Millcvoyes,1 eines Boulangisten. Er will die Gelegenheit benutzen, der Kammer alles vorzuhalten, was die deutsche Sozialdemokratie] in und seit 1871 zur Erhaltung resp. Herstellung eines guten Vernehmens zwischen Frankreich und Deutschland getan und was [sie] dafür gelitten hat; er wünscht: les dates des protestations des soc[ialistes] allemands, les paroles prononcées au Reichstag et ailleurs, et les Condamnations subies. Da ich nun diese Sachen teils nur unvollständig habe, teils nur mit unsäglicher Arbeit aus meinen, in vielen Kisten vergrabenen Journalsammlungen heraussuchen könnte, auch dabei das Wichtigste leicht übersehen könnte, so würdest Du mich und die Franzosen sehr verSeine Interpellation lautete: „Le gouvernement de la République entend-il tolérer à l'avenir que des étrangers viennent en France, suivant l'exemple de M. Liebknecht, exciter à la haine et au mépris de la patrie française?", Le Socialiste, Nr. 108, 16. Oktober 1892. 1
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pflichten, wenn Du mir die schlagendsten Punkte herausheben und mit Datum und Anführung (aus dem amtlichen Stenogramm) der Hauptstellen übersenden wolltest.2 Also 1) die Äusserungen, welche die Einsperrung des Braunschw[eiger] Vorstandes 1870 in Lotzen hervorriefen nebst Datum und Dauer der Haft; 3 2) Eure Proteste im Reichstag gegen die Annexion und etwa noch einige schlagende Stellen aus dem Volksstaat gegen den Krieg und die Annexion; 4 3) einige Kraftstellen aus späteren Reichstagsreden von Dir und Liebkfnecht] nebst Datum und Angabe des Gegenstandes der Debatte, in der sie fielen; 4) was Dir sonst noch wichtig erscheint. Sehr viel braucht's nicht zu sein, Du weisst ungefähr, wieviel man in einer Rede verwenden kann; wenn dann noch ein bis zwei Reservezitate da sind, genügt's. Es wäre mir lieb, wenn Du auch Äusserungen von Dir selbst anführtest, damit die Franzosen nicht meinen, L[iebknecht] habe alles allein gemacht, oder gar sagen, L[iebknecht] sei eine Ausnahme, die anderen dächten anders. Gestern schickten wir Dir in der Workm[an's] Times zwei französische] Blätter über Liebk[necht]s Reden; darunter ein Stück Guesde, das Dir gefallen haben wird. 5 Laf[argue] wird in Carmaux 6 und anderen Städten des Südens Alle im folgenden erwähnten Äusserungen wurden veröffentlicht in der Broschüre La Démocratie Socialiste Allemande devant l'Histoire, mit Vor- und Nachwort herausgegeben vom Conseil national du Parti ouvrier: J. Guesde, P. Laforgue (Lille, 1893), 31 S. S. Brief Nr. 238. 8 Erschliessung gegen den Krieg, auf Antrag Bebels und Liebknechts angenommen in Volksversammlungen in Chemnitz 17. Juli 1870, sowie in Barmai, Berlin, Nürnberg, Augsburg, Leipzig, München u.a. Orten. Das Manifest des Braunschweiger Ausschusses vom 5. September 1870. 4 Bebels Erklärung bei der Ablehnung der Kriegskredite in der Reichstagssitzung am 21. Juli 1870; Liebknechts Erklärung aus demselben Anlass vom 26. November 1870 und seine Interpellation vom 3. Dezember 1870, in der er einen Frieden ohne Annexionen forderte. 5 Liebknecht war am 26. September aus Frankreich ausgewiesen worden. Le Socialiste stellte in Nr. 107, 10. Oktober die Frage, ob das auf Antrag der deutschen oder der russischen Botschaft geschehen sei. In Nr. 108, 16. Oktober behandelte Guesde die Angelegenheit in seinem Aufsatz „Vive L'Internationale". Die Nachricht von der Ausweisung war vom Kongress mit lebhaftem „Vive Liebknecht!" aufgenommen. 6 Der zum Bürgermeister von Carmaux gewählte Bergmann Calvignac war von der Bergwerksgesellschaft entlassen worden, nachdem die Kandidaten der Gesellschaft durchgefallen waren. Die Bergarbeiter traten am 15. August in den Streik, der sehr grosses Aufsehen erregte und erst am 4. November nach der Kapitulation der Bergwerksgesellschaft endete. 2
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pauken und bis 16., 17. d. Mts. zurück sein, um diese Zeit tritt die Kammer zusammen, und würde er das Material dann gleich haben müssen. Er schreibt, die patriotische Presse, die ganz von Russland bezahlt, (besonders La France) habe L[ie]bk[necht] wütend angegriffen. Die russische] Gesandtschaft bezahle die Blätter jetzt in Stücklohn: soviel für Aufnahme jedes einzelnen Artikels. Auch dies ist ein Zeichen, dass den Russen das Geld knapp wird. Sicher ist, dass L[ie]bk[necht] Furore gemacht hat.7 Ich gönne dem Alten diese Popularität und will nur zweierlei hoffen, 1) dass sie ihn in Beziehung auf die Red[aktion] des Vorwärts nicht noch eigensinniger macht, 2) dass er nicht im Reichstag, durch bösartige Anzapfungen der deutschen Patrioten und Anklagen des Hochverrats etc. gestachelt, plötzlich das Gegenteil erklärt und dadurch nicht bloss sich, sondern auch uns hineinreitet. Ein Reporter des Gaulois lässt ihn sagen: wenn Deutschland einen Angriffskrieg gegen Frankreich erkläre, so würden die deutschen Sozialdemokraten] ihrer eigenen Regierung den Krieg erklären, et moimême je prendrais un fusil pour défendre l'intégrité du territoire français. Es ist nicht unmöglich, dass er, bei Richtigstellung dieses offenbar übertriebenen Berichtes, ins entgegengesetzte Extrem verfällt, wenn die Junker und Bourgeois im Reichstag ihn gehörig in die Hitze hetzen. Laf[argue] sagt, Loubet und der Min[ister] der öffentlichen Arbeiten, Viette, würden in Carmaux sich für eine annehmbare Beilegung des Streikes ins Zeug legen und die Gesellschaft zur Nachgiebigkeit zwingen, aber Freycinet wolle nicht. Dieser spekuliere auf die Präsidentschaft der Republik] und wolle daher sich die Stimmen der Rechten und des Zentrums warmhalten. Im übrigen ist L[afargue] mit dem Kongress sehr zufrieden. Die zwölf Ex[emplare] N[eue] Z[eit] sind hier angekommen und an Tussy abgegangen, die Leute hätten sie ihr statt mir schicken sollen, dadurch geht ein Tag verloren. Leider hat die Pall Mall Gazette dieser Tage den Eigentümer gewechselt, und da wissen wir noch nicht, was mit dem Blatt jetzt zu machen ist. Deine Schilderung der Bewegung unter den Bergleuten stimmt mit den hiesigen Erfahrungen; auch hier bleiben die Leute sehr abgeschlossen gegen andere Arbeitszweige und kommen langsamer voran als die anderen. Aber die Tatsache, dass bei uns eine starke Arbeiterpartei fertig hinter ihnen steht, hilft uns schliesslich über alles weg, 7 Er sprach auf dem Kongress von Marseille unter stürmischem Beifall über die Haltung der Sozialdemokratie in der elsass-lothringischen Frage; er erinnerte an die wiederholte Ablehnung der Annexion und betonte die Notwendigkeit einer deutsch-französischen Verständigung. Le Socialiste, Nr. 106, 4. Oktober,
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die Leute müssen zu uns, sowie die Bewegung sie einmal ergriffen hat. Andrerseits hier wie dort schlechte und unzuverlässige Führer und Unmöglichkeit, ihnen Vertrauen in Arbeiter anderer Zweige beizubringen. Und hier noch dazu die Eifersüchteleien der verschiedenen Kohlenbecken angehörigen Leute gegeneinander, die bis jetzt sogar einen einheitlichen Fachverein aller Bergleute verhindert haben. Ich werde mein möglichstes tun, zu verhindern, dass die Franzosen auf Deine Mitarbeiterschaft verzichten. Es ist zu wichtig, dass wenigstens von Zeit zu Zeit wahrheitsgetreue Berichte über die deutsche Bewegung in Paris erscheinen, und namentlich, dass den Leuten die allgemeine politische Situation klargemacht wird, in der Ihr zu kämpfen habt. Das kannst nur Du, und dabei brauchst Du auch gar nicht mit L[iebknecht] in Konflikt zu kommen, wenn er nicht die Mitarbeit am französischen] Blatt für sein Monopol ansieht, was doch nicht angeht. Davor, dass Burns sich zu sehr zurückhält, brauchst Du keine Angst zu haben. Der Mann ist von einer Eitelkeit, die sich mit der von Lassalle messen kann. Aber er hatte entschieden recht gegenüber der Voreiligkeit, womit K[eir] H[ardie] sich vordrängte, um durch kleine Kniffe sich die erste Stellung zu sichern, eine reservierte Stellung einzunehmen. Ich lese jetzt gerade den Hans Müller,8 bin noch nicht durch. Das sind ja alles alte Geschichten, die wir längst wussten. Die paar faulen Reden, die er anführte, sind nicht einmal geschickt ausgewählt; wollte ich der Partei resp. Fraktion Kleinbürgerei anhängen, ich könnte noch ganz anderes Material liefern. Die Dampfersubvention allein liefert das Achtfache und in besserer Qualität, als was er hat. Von L[ie]bkfnecht] nimmt er eine Rede von 1881 9 aus der Zeit der allgemeinen Zerfahrenheit nach Erlass des Soz[ialisten]gesetzes, statt späterer, wo die politische Lage die friedfertigen und spiesserigen Anklänge weit unentschuldbarer erscheinen lässt, und versteigt sich zu der Behauptung, die Gewalt sei unter allen Umständen revolutionär und nie reaktionär; der Esel merkt nicht, dass, wenn keine reaktionäre Gewalt da ist, die man umwerfen muss, von einer revolutionären Gewalt gar nicht die Rede sein kann; man kann doch keine Revolution machen gegen etwas, das man nicht einmal umzublasen braucht. Es ist die ohnmächtige Wut der Gerngross-Studenten, Literaten und literarisch werden wollenden Ex-Arbeiter darüber, dass unsere Partei ihren Siegeslauf ruhig vorangeht, ohne der Hilfe dieser Herrchen im geringsten zu bedürfen. Was Fehlerhaftes geschehen, ist die Partei 8
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Der Klassenkampf in der deutschen Sozialdemokratie (Zürich, 1892). Aus Liebknechts Reichstagsrede vom 31. Mai 1881 zitierte er S. 48ff.
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stark genug, selbst zu beseitigen. So die unleugbare zahme Spiesserei der Fraktionsmehrheit zur Zeit der Dampfersubvention, so die traditionell sich nach dem Einschlafen des Soz[ialisten]gesetzes noch eine kurze Zeit fortsetzende Gewohnheit des Parteivorstandes, diktatorisch einzugreifen (die obendrein ihr Gegenstück fand an derselben Tendenz der Vorstände der Berliner Organisation von früher) usw. usw. Unsere Partei ist jetzt so stark, dass sie ohne Gefahr der Degeneration nicht nur eine gute Anzahl Spiesser, sondern auch Jebildete und sogar die Herren Unabhängigen verdauen könnte, wenn diese sich nicht selbst an die Luft gesetzt. Postschluss. Gruss an Deine Frau und Dich von Louise und Deinem F. E.
2 3 4 . B E B E L AN
ENGELS
[Berlin W.,] den 11. Oktober 1892.
Original. Lieber General!
In aller Eile heute nur wenige Zeilen, da ich Dir zunächst dasjenige Material senden will, was ich bis jetzt auszog.1 Es fehlen nur noch Äusserungen aus den letztjährigen Reden, die aber länger ausfallen, weil sie nicht so prägnant sind. An L[ie]bk[necht] hat sich Laf[argue] gewandt, und der macht sich's leicht, indem er den Volksstaat schicken will. Du oder Laura, Ihr werdet nun mein Geschreibsel übersetzen müssen. Konstatieren willst Du noch, dass bisher, das heisst seit der sechsundzwanzigjährigen Dauer des Norddeutschen und Deutschen Reichstages die Sozialdemokratie stets einmütig das gesamte Budget verweigerte, jedenfalls der stärkste Protest, der parlamentarisch gegen eine Regierung ausgesprochen werden kann. Mit dieser einen Tatsache ist denjenigen das Maul gestopft, die uns heute zu Vertretern von Regierungsanschauungen machen möchten. Nebenbei kann ja auch noch auf die zwölf Jahre Sozialistengesetz, unsere unter diesem erfolgten Ausweisungen und die Gefängnisstrafen hingewiesen werden. Es besteht allerdings die Gefahr, dass Laf [argue] im Feuereifer so Ausser dem genannten der Glückwunsch der französischen Republik durch den Konsul in Wien an Bebel und Liebknecht; der Wahlaufruf vom 14. Januar 1887, der gegenüber der Heeresvermehrung den Friedenswillen des Volkes betonte, und Bebels Rede vom 30. November 1887, in der er die Annexion Elsass-Lothringens als „einen Fehler, ein Verbrechen" bezeichnete.
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stark genug, selbst zu beseitigen. So die unleugbare zahme Spiesserei der Fraktionsmehrheit zur Zeit der Dampfersubvention, so die traditionell sich nach dem Einschlafen des Soz[ialisten]gesetzes noch eine kurze Zeit fortsetzende Gewohnheit des Parteivorstandes, diktatorisch einzugreifen (die obendrein ihr Gegenstück fand an derselben Tendenz der Vorstände der Berliner Organisation von früher) usw. usw. Unsere Partei ist jetzt so stark, dass sie ohne Gefahr der Degeneration nicht nur eine gute Anzahl Spiesser, sondern auch Jebildete und sogar die Herren Unabhängigen verdauen könnte, wenn diese sich nicht selbst an die Luft gesetzt. Postschluss. Gruss an Deine Frau und Dich von Louise und Deinem F. E.
2 3 4 . B E B E L AN
ENGELS
[Berlin W.,] den 11. Oktober 1892.
Original. Lieber General!
In aller Eile heute nur wenige Zeilen, da ich Dir zunächst dasjenige Material senden will, was ich bis jetzt auszog.1 Es fehlen nur noch Äusserungen aus den letztjährigen Reden, die aber länger ausfallen, weil sie nicht so prägnant sind. An L[ie]bk[necht] hat sich Laf[argue] gewandt, und der macht sich's leicht, indem er den Volksstaat schicken will. Du oder Laura, Ihr werdet nun mein Geschreibsel übersetzen müssen. Konstatieren willst Du noch, dass bisher, das heisst seit der sechsundzwanzigjährigen Dauer des Norddeutschen und Deutschen Reichstages die Sozialdemokratie stets einmütig das gesamte Budget verweigerte, jedenfalls der stärkste Protest, der parlamentarisch gegen eine Regierung ausgesprochen werden kann. Mit dieser einen Tatsache ist denjenigen das Maul gestopft, die uns heute zu Vertretern von Regierungsanschauungen machen möchten. Nebenbei kann ja auch noch auf die zwölf Jahre Sozialistengesetz, unsere unter diesem erfolgten Ausweisungen und die Gefängnisstrafen hingewiesen werden. Es besteht allerdings die Gefahr, dass Laf [argue] im Feuereifer so Ausser dem genannten der Glückwunsch der französischen Republik durch den Konsul in Wien an Bebel und Liebknecht; der Wahlaufruf vom 14. Januar 1887, der gegenüber der Heeresvermehrung den Friedenswillen des Volkes betonte, und Bebels Rede vom 30. November 1887, in der er die Annexion Elsass-Lothringens als „einen Fehler, ein Verbrechen" bezeichnete.
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weit geht, uns französischer als die Franzosen zu machen. L[ie]bk[necht], mit dem ich heute sprach, ist auf dem besten Wege, sich in dasselbe Extrem zu stürzen. Ich habe ihn nachdrücklich gewarnt. Beiläufig bemerkt, halte ich den Standpunkt L[ie]b[knecht]s in Marseille in Sachen Els[ass-]Lothr[ingen] nicht für ganz korrekt.2 Auf die Lösung der Frage hinzuweisen, wenn Frankreich] und Deutschland] sozialistisch sind, ist etwas weit hinausgeschoben und verrückt unseren Standpunkt. Wir können unsere ablehnende Haltung gegen alle Rüstungsfragen nur aufrechterhalten, indem wir daran festhalten: Ihr habt durch die Annexion die gegenwärtige Komplikation in Europa geschaffen; wir haben Euch gewarnt, wir sind unschuldig daran; wollt Ihr aus der Patsche, verständigt Euch mit Frankreich. Diesen Standpunkt habe ich in den letztjährigen Reden stets innegehalten; er schliesst natürlich nicht aus, dass wir im Angriffsfall von zwei Seiten uns unserer Haut wehren, wie ich das vorigen November in der hiesfigen] Volksversammlung ausführlich dargelegt.3 Morgen weiteres. Herzlfichen] Gruss an Dich und unsere liebe Louise, auch von Julie Dein
A. B.
Es wäre mir sehr lieb, wenn ich das übersandte Material wieder zurück haben könnte, es erspart mir viel Arbeit für den Reichstag; ausserdem überlege ich, ob man diese ganze Frage im Zusammenhang mit der Militärforderung nicht mal in der N[euen] Z[eit] behandeln sollte.4 Es würde sich vielleicht empfehlen für unsere Freunde, die ganzen Ausführungen, ins Französische übersetzt, drucken zu lassen und den Kammermitgliedern einzuhändigen. Der Redner braucht dann nur Bezug darauf zu nehmen.
Er hatte gesagt: „. . . Faites la République démocratique et sociale en France, laissez-nous la faire en Allemagne, et la question de l'Alsace-Lorraine sera résolue; elle ne peut l'être que par le triomphe du socialisme des deux côtés des Vosgues." ® In dem Vortrag „Über das sozialdemokratische Programm und die Taktik der Partei", den Bebel am 29. November 1891 in der Massenversammlung im Berliner „Eiskeller" hielt. 4 Das ist nicht geschehen. 2
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2 3 5 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 12. Oktober 1892.
Original. Lieber General!
Anbei der Rest der Reden. Die Äusserung L[ie]bkn[echt]s in der Sitzung vom 26. März dies[es] Jahres ist noch sehr wichtig.1 Ich habe eine Reihe abschwächender Bemerkungen, die er diesem Ausspruch folgen liess, weggelassen. Er äussert sich ähnlich wie 1890 und ähnlich allerdings wie in Marseille, dass die Frage erst gelöst werden könne, wenn hüben und drüben der Sozialismus herrsche etc. Eine unangenehme Rede, im Standpunkt dem unsern ganz entgegengesetzt, hat letzten Herbst Singer gehalten2 —Du erinnerst Dich ihrer —; ich denke, über diese wie über eine ähnliche Äusserung Auers schweigen wir. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass die ungeheure Mehrheit der Partei in dieser Frage auf unserm Standpunkt steht. Wie ich Dir schon schrieb, ist im Augenblick die grössere Gefahr, dass L[ie]b[knecht] sich französischer macht als die Franzosen, und daher wirst Du Laf[argue] an die Kandare nehmen müssen, dass er uns nicht kompromittiert. Der Reichstag soll also auf den 22. Nov[ember] einberufen werden. Ich gab mich schon der Hoffnung hin, wir würden erst nach Neujahr zusammentreten, da der preuss[ische] Landtag schon den 15. No[vember] zusammentreten soll und die beiden Mühlen doch schlecht miteinander mahlen. Indes wenn's im Rate der Götter beschlossen ist, müssen wir Sterblichen uns fügen und sehen, was zu machen ist. Wahrscheinlich werden wir morgen beschliessen, den 13. oder den 14. Nov[ember] den Parteitag einzuberufen; auf alle Fälle stelle ich in diesem Sinne den Antrag, da kein Grund vorliegt, ihn weiter hinaus zu verschieben. Schoenlank haben wir auf einige Monate von der Redaktion suspendiert, damit er in eine Heilanstalt geht; er muss mal eine ordentliche Kur durchmachen. Ich habe den Müller3 jetzt auch durchgelesen. Das einzige Verdienst an der Broschüre ist, dass sie einem ein ganz hübsches Material, Bei der dritten Beratung des Etats in der Reichstagssitzung am 26. März: „ . . . Ich halte die Annexion von Elsass-Lothringen noch heute nicht nur für ein Verbrechen, sondern für einen der grössten politischen Fehler, die je gemacht worden sind. Eine elsass-lothringische Frage gibt es, und ihre Lösung wird erst dann möglich sein, wenn in Deutschland und Frankreich Regierungen vorhanden sind, welche das Selbstbestimmungsrecht der Völker achten . . ." 2 Bebel meint die Erklärung Singers vom 3. März, s. Brief Nr. 195, Anm. 1. » S. Brief Nr. 233, Anm. 8. 1
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das man sich sonst erst mühsam zusammensuchen müsste, an die Hand gibt. In bezug auf meine Person lügt er dabei nach Noten, was ich ihm aber des Ärgers halber, den ich ihm bereitete, nicht übelnehmen will. Ich kann nur das eine sagen, ich habe mir die Opposition etwas unbequemer vorgestellt und mir eingebildet, eine ganz andere Arbeit durch sie zu bekommen, als sie uns verursacht hat. An und für sich ist es ganz gut, dass so ein paar Wadenkneifer da sind, die einen daran erinnern, aufzupassen, dass man nicht stolpert. Hätten wir diese Opposition nicht, wir müssten uns eine machen. Schimpft man auf dem nächsten Parteitag auf sie, dann singe ich ihr Lob. Die Burnssche Eitelkeit ist mir sehr wohl bekannt, er ist aber trotz alledem noch von allen der Beste; ich schwöre aber nicht, dass er es bleibt. Wir wollen sehen, wie ihm die Parlamentsluft bekommt, die ist für eitle Leute ganz besonders gefährlich. Was mich an ihm stutzig machte, ist, dass er sowohl vorfiges] Jahr Brüssel wie diesmal Glasgow fernblieb, und das zeigt, dass er die Situation nicht genau beachtet und sich der rechten Stellung nicht bewusst ist. In entscheidenden Momenten muss der Führer am Platz sein, oder er macht sich selbst überflüssig. Ich fürchte, er ist auch nicht der Mann, der den verfahrenen englischen Karren ins richtige Geleise bringt. Ist denn das französische Tageblatt 4 erschienen? Ich habe noch nichts davon gesehen noch gehört. Ich komme heute abend mit L[ie]bk[necht] zusammen, der den „Referendar" seines Ältesten bei einem Fass Bier feiern will, und will hören, was der weiss. Von dort wandere ich zur Mitternachtsversammlung der Omnibuskutscher. Dass Du mit dem dritten Band beginnst, ist ein Ereignis, das wir auch feiern müssen. Herzlichen Gruss an Dich und die braunäugige Hexe. Auch Julie lässt herzlfich] grüssen. Dein AUGUST.
Lass doch mal hören, wie es Dir geht. Der Auszug aus meiner 1889er Rede 5 ist etwas lang, aber Du wirst Das Erscheinen des Socialiste als Tageszeitung wurde in Nr. 105, 15. September für den Oktober angekündigt; aber es kam nicht dazu. 5 Bebel bezeichnete in dieser Reichstagsrede vom 30. Oktober 1889 die Annexion Elsass-Lothringens als Ursache der zunehmenden Rüstungen, die Europa beunruhigten, und er forderte, dass man eine dauerhafte Verständigung mit Frankreich suche. In der Broschüre La Démocratie Socialiste Allemande etc. wird die Rede irrtümlich als aus dem Jahre 1887 stammend bezeichnet. 4
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beim Lesen finden, dass ich nicht kürzer sein konnte, und am Ende wäre die gedruckte Wiedergabe gerade für Frankreich wichtig.
2 3 6 . B E B E L AN
ENGELS
[Poststempel:] Berlin W., den 16. Oktober 1892.
Original L. G.!
Brief erhalten. Ich bitte, die Abschriften nicht zu senden; es hat Zeit, hole sie mir gelegentlich. Später mehr. Herzlichen] Gruss Euch beiden. Gestern vergass ich in dem Briefe an u[nsere] L[ouise], Dich grüssen zu lassen; es soll heute nachgeholt sein. Dein
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A.
ENGELS
Berlin W., den 18. Oktober 1892.
Original. Lieber General!
Es freut mich, dass es mit Deinem Befinden besser geht; dass es langsam marschiert, liegt schon an der Jahreszeit. Ich hoffe auch, Dich und unsere liebe Louise dieses Jahr noch zu sehen. Über das „Wann" kann ich heute noch nichts sagen; muss sehen, wie im Reichstag die Dinge laufen. Vielleicht komme ich nach der Generaldebatte des Etats, in der möglicherweise diesmal L[ie]bk[necht] das Wort nehmen will, was ich ihm alsdann selbstverständlich abtrete. Was L[ie]bk[necht] nach Paris gesandt hat, weiss ich nicht; wir trafen uns gestern wider die Verabredung nicht. Die Schuld lag an mir. Hans M[üller] wollen wir keine übermässige Bedeutung beilegen; am allerwenigsten aber dürften wir jetzt in der Polemik mit ihm in der Weise an die Vergangenheit erinnern, wie Du ausführst.1 Da bekämen wir in den eigenen Reihen den Krakeel. Hin ist hin, und vorbei ist vorbei. Komme ich nach Neujahr nach St. Gallen — ich habe bis Stuttgart Freibillet während des Reichstags —, dann werde ioh in Zü[rich] öffentlich reden, und wenn er mir dann vor die Klinge 1
S. den letzten Absatz des Briefes Nr. 233, und Brief Nr. 238.
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kommt, soll's ihm noch schlechter gehen als in Magdeburg, worüber er in seiner Broschüre eine ganz falsche Schilderung gibt.2 Ich denke auch, dass wir die Spiessbürgerei, die ja hier und da unzweifelhaft vorhanden ist, nicht zu fürchten brauchen. Die ungeheure Mehrheit der Partei sind Arbeiter, und die lassen sich nicht verspiessern. Du wirst wohl mittlerweile durch Jul[ius] wissen, wie es mit dem Grafton Hall Club steht. Mir scheint, dass danach die Sachlage sich sehr einfach erklärt, mag es auch immerhin noch nicht ganz klar sein, wie die beiden Darleiher zu dem Gelde gekommen sind. Ich glaube nicht, dass heute zu dergleichen von hier aus Fonds gegeben werden. Die Mittel sind nicht danach. Und ausserdem sind die leitenden Personen nicht dafür eingenommen. Unter Eulenburg3 ist noch eher was zu machen als unter Herrfurth, aber London gehört ins auswärtige Departement. Gestern abend hatten wir ausserordentliche Sitzung wegen der Tribüne,4 die vor einem Defizit steht, und das wollen die Berliner, denen das Blatt gehört, nicht mehr tragen. Ich plädierte entschieden für Eingehen und Gründung eines gut redigierten, agitatorisch gehaltenen Zentral-Wochenblattes unter dem Namen Soz[ial]demokrat. Im Vorstand hatte man anfangs gar keine Neigung dafür — namentlich nachdem der Erfurter Parteitag einen bezüglichen] Antrag abgelehnt hat; ich war durch die Programmkommission abgehalten, damals mich an der Debatte zu beteiligen — schliesslich aber gelang es mir, Stimmung zu machen, und ich denke, wir setzen diesmal den Antrag sicher durch. Sicher lege ich mich ganz energisch für ihn ins Zeug. Ein gut redigiertes, aktuelles Wochenblatt ist notwendig; das Blatt muss einen allgemeinen Überblick über die Parteibewegung geben, was der Vorwärts nicht gibt, und soll namentlich im Ausland wirken, wo man ein tägliches Blatt weder lesen noch halten kann. Bitte sage Louise, dass Julie ihr vorgestern beim besten Willen nicht schreiben konnte; ein Besuch gab dem anderen die Tür in die Hand, und manchmal hatte ich zwei und drei Besuche zugleich. Es ist toll, Bebels Versammlung in Magdeburg am 13. August 1890, mit der sich H. Müller, Der Klassenkampf, S. 85ff. beschäftigt. 3 Botho Graf zu Eulenburg (1831-1912), 23. März 1892 bis 26. Oktober 1894 preussischer Ministerpräsident. L. Herrfurth (1830-1900), 2. Juli 1888-9. August 1892 preussischer Minister des Innern. 4 Die Berliner Volks-Tribüne erschien 1887-1892. Das Erscheinen des Wochenblattes wurde erst auf dem Kölner Parteitag 1893 beschlossen. Es erschien u.d.T. Der Sozialdemokrat. Wochenblatt der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands unter der Redaktion M. Schippeis vom 3. Februar 1894 bis Dezember 1895. 2
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auch gestern war es ähnlich. Gestern morgen reiste J[ulie] nach Leipzig, von wo sie morgen abend zurückkommt; sie wird dann allerdings auch diese Woche nicht mehr schreiben können, weil sie von Donnerstag bis Sonnabend, soviel ich weiss, die Schneiderin hat. Ich will mich bei J[ulie] erkundigen und Louise schreiben, was sie zu wissen wünscht. Lebt beide wohl und seid herzlich gegrüsst von Eurem AUGUST.
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London, den 6. November 1892.
Original. Lieber Augustl
Ich habe die ganze Zeit redlich am III. Band geschanzt und glücklicherweise nicht ohne Erfolg. Ich kann schon heute sagen, dass die Hauptschwierigkeit — Kreditwesen1 — so ziemlich überwunden ist, und hier nur noch technische Redaktionsarbeit — allerdings verzwickte und zeitraubende — vorliegt. Die Arbeit hat mir viel Freude gemacht, einerseits weil so viele brillante neue Gesichtspunkte dabei sind — frage Louise, der ich viel davon vorgelesen; dann aber auch, weil sie mir den Beweis geliefert, dass der alte Hirnschädel doch noch arbeitsfähig ist, selbst für relativ schwierige Sachen. Der Hauptschaden, den mir die Jahre getan haben, ist, dass die verschiedenen Gedächtnisfächer nicht mehr so leicht aufzufinden und zu öffnen sind und daher alles langsamer geht. Das lässt sich aber schon ertragen. Bin ich aber auch über den Berg, so bin ich noch lange nicht fertig: ausser diesem Abschnitt sind noch die beiden letzten (etwas unter ein Drittel des Ganzen), die noch gar nicht angesehen, und dann die technische Schlussredaktion des Ganzen, die zwar nicht schwierig, aber desto langweiliger und langstieliger ist. Den Winter wird's mir wohl wegnehmen — und dann die Druckbogen — gleichzeitig auch die der zweiten Aufl[age] Band II. Ich habe mir die Zeit dazu erkämpft durch gewaltsame Unterdrückung aller Korrespondenz, soweit sie nicht absolut dringlich. Die mit Dir unterdrücke ich aber nicht, wenn ich auch nicht immer so prompt und ausführlich sein kann, wie ich wohl möchte. Nun, Du wirst auch nichts dagegen haben, wenn statt meiner die Hexe um so öfter zur Feder greift. Lafargue hat noch zu lernen, dass unter Bourgeoispolitikern das 1
Im 5. Abschnitt des III. Bandes des Kapital.
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gegebene Wort nur dazu da ist, gebrochen zu werden. Übrigens hätte die Geschäftsordnung, die bei solchen Fragen Debatte ausschliesst, ihm ohnehin einen Strich durch die Rechnung gemacht.2 Er ist noch viel zu sehr Neuling auf dem Boden der Kammer, doch hat er versprochen, jetzt mehr hinzugehen. Sie wollen die Dokumente jetzt als Broschüre drucken.3 Ich habe mich wegen Hans Müller schlecht ausgedrückt. Ich meinte nicht, Ihr als Parteivorstand solltet von dem Machwerk Notiz nehmen und noch weniger in der von mir angedeuteten Weise. Sondern wenn überhaupt unter Eurem Einfluss Polemik gegen den erzürnten Jüngling eröffnet würde, dann so etc. Mir scheint, dass es absolut nötig ist, dass die Partei ihre eigene Vergangenheit bei solchen Gelegenheiten kritisiert und dadurch das Bessermachen lernt. Die Dummheiten aus der Zeit der Dampfersubvention etc. sind zwar hin und vorbei, aber dieselben Leute sind noch da und wenigstens zum Teil kapabel, ähnliches zu wiederholen. Wenn alle von der Fraktion und einzelnen ihrer Mitglieder begangenen Böcke mit dem Mantel der Liebe bedeckt werden sollen, so heisst das nach meiner Auffassung Unabhängige züchten. Die Herren Frohme, Bios etc. sollen sich ein dickeres Fell anschaffen. Habe ich unrecht, wenn ich einige nach „Unabhängigkeit" duftende Solinger Anträge zum Parteitag4 auf den Gegensatz gegen Schumachers Verbürgerung und Verphilisterung schiebe? Ein bisschen retrospektive Wahrheitsliebe in der N[euen] Z[eit] könnte gar nicht schaden, und Du wärst der rechte Mann, das mit Sachkenntnis und Takt zu besorgen — aber freilich, ob Deine Vorstandsstellung dies nicht unratsam macht, ist eine andere Frage. Kommen aber sollte diese Kritik einmal, so oder so. Euren Vorstandsbericht6 habe ich gestern abend mit Vergnügen gelesen. Sehr gut. Ruhig, sachlich, nur die Tatsachen gebend, sie für sich selber sprechen lassend, und nur am Schluss die paar nötigen kurzen Worte stolzen Selbstgefühls. Wollen sehen, ob Aveling ihn nicht auszugsweise in die Blätter bringen kann. Aber Ihr werdet hier förmlich geboykottet — aus reinem englischen Chauvinismus. Dass eine Arbeiterbewegung in Deutschland existiert, die so ganz anders 2 Der Abg. Millevoye hatte Lafargue versprochen, er werde mit seiner Interpellation über Liebknecht bis zu seiner Rückkehr aus Carmaux warten; er tat es nicht. P. Lafargue an Engels 1. November 1892. 3 S. Brief Nr. 233, Anm. 2. 4 Aus dem Wahlkreis Solingen lag ein Antrag vor, den Abg. Schumacher aus der Partei auszuschliessen. Eine Siebenerkommission prüfte die Vorwürfe gegen Schumacher; auf ihren Rat lehnte der Parteitag den Ausschluss ab mit dem Wunsche, dass bald geordnete Verhältnisse im Wahlkreise Solingen einträten.
Protokoll, S. lief., 289ff.
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Vorwärts, Nr. 259, 4. November; Protokoll, S. 25ff.
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wie die englische verfährt, alle die hier als Evangelium geltenden Trade Union- und politisch-parlamentarischen Regeln missachtet und doch von Sieg zu Sieg schreitet, das ärgert die Leute hier sehr. Von den Bourgeois spreche ich nicht. Die alten Tr[ade] Unions sehen in jedem Eurer Erfolge eine Niederlage für sich selbst und ihre Verfahrungsweise. Die Fabians ärgern sich, dass Ihr vorangeht, trotzdem Ihr allen bürgerlichen] Radikalen den Krieg macht. Die Leiter der S[ocial] D[emocratic] Föderation] hassen Euch, weil Ihr nicht mit ihnen habt klüngeln und die gegenseitige Lobhudelungs-Allianz eingehen wollen, die Euch Justice jahrelang bald durch Zuckerbrot, bald durch Peitsche hat annehmbar machen wollen. Und bei der grossen Unwissenheit der englischen Massen über ausländische Dinge und dem angeerbten Dünkel, kraft dessen der Ausländer für einen Menschen zweiter Klasse gilt, und alle ausländischen Ereignisse für ziemlich gleichgültig, ist das Totschweigen leicht. Chronicle ist, was Arbeiterdinge angeht, in den Händen der Fabians, Justice ist durch Hyndman für Lause-Gilles engagiert; Workman's Times6 glaubt auch, dass ohne die Grundlage einer grossen Tr[ade] Union-Organisation im englischen Sinne nichts los ist — wo ist da was unterzubringen? Nur in Bourgeoisblättern, als allgemein interessante Nachricht. Hätten wir nur ein Jahr lang ein Blatt, das uns für blosse Berichte über die deutsche Bewegung offenstände, die Sache hätte ein Ende; denn es ist im stillen internationaler Sinn genug vorhanden, der nur Nahrung braucht, um den dummen britischen Dünkel unterzukriegen, wenigstens bei einer grossen Zahl. Aber so! Die Workman's Times droht mit Eingehen — da steckt was dahinter, dem wir auf die Spur zu kommen suchen. Hier geschieht nichts derart ohne Mogelei. Nun ad vocem Vollmar. Meiner Ansicht nach ist der Mann sehr ungeschickt angegriffen worden. Man ist hineingefallen auf das Wort „Staatssozialismus".7 Das Wort drückt gar keinen klaren Begriff aus, sondern ist, wie „soziale Frage" und dergl., ein blosser JournalistenAusdruck, eine reine Phrase, wobei man sich alles und auch nichts denken kann. Um den wahren Sinn eines solchen Wortes zu streiten, • Daily Chronicle, die liberale Tageszeitung; H. W . Massingham, Mitglied der Exekutive der Fabier, wurde 1892 assistant editor der Zeitung, nachdem er in derselben Eigenschaft am Star gewesen war, dessen Musikkritiker G. B. Shaw war. Workman's Times, das von J. Burgess (Autolycus) herausgegebene Arbeiterblatt. 7 E r bildete den Punkt 6 der Tagesordnung des Berliner Parteitages: „Staatssozialismus und revolutionäre Sozialdemokratie". Dazu lag eine Resolution Liebknecht-Vollmar vor; beide sprachen dazu, ferner Bebel u.a. Protokoll, S. 173-215. S. a. den folgenden Brief, Anm. 8, 9.
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ist für die Katz; sein wahrer Sinn besteht eben darin, keinen zu haben. In der N[euen] Z[eit] war die Untersuchung dieses angeblichen Begriffs nicht gut zu umgehen und das, was K[arl] K[autsky] darüber sagt, ist auch recht gut (bloss dass auch er meint, es müsse platterdings ein wahrer Sinn dahinterstecken).8 Aber in der politischen Debatte tut man Vollmar einen riesigen und ganz überflüssigen Gefallen, wenn man sich mit ihm herumzankt, was Staatssoz[ialismus] ist und was nicht; das ist eine Schraube ohne Ende und eine Kannegiesserei ohne Zweck. Meiner Ansicht nach müsste man auf dem Parteitag sagen: Lieber V[ollmar], was Du Dir unter St[aats]soz[ialismus] vorstellst, ist uns Wurst; aber in Deinen Äusserungen hast Du das und das von der Regierung und unserer Haltung ihr gegenüber gesagt, und da halten wir Dich fest, das ist ebensosehr gegen die Taktik der Partei wie die Redensarten der Unabhängigen, und hier steh uns Rede. Diese seine direkten Arschkriechereien vor Wilhelm und Caprivi sind allein fassbar, aber auch sehr, und auf diesen Punkt wollte ich Dich vor dem Parteitag noch eben aufmerksam machen. Beilage von der Hexe. Herzliche Grüsse Deiner Frau und Dir. Wir freuen uns, dass Du uns Aussicht auf einen baldigen Besuch machst. Kann politisch hier sehr nützlich werden-, wir werden das Nötige schon einleiten. Wegen des Wochenblatts ganz Deiner Ansicht. Es wird im Ausland enorm wirken, da fehlt der Soz[ial]dem[okrat] noch immer sehr fühlbar; eine gute Wochenübersicht der Parteiereignisse ist fürs Ausland unentbehrlich. Im Aufsatz „Vollmar und der Staatssozialismus", X. Jahrg. (1892), Bd. II, S. 705ff.
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2 3 9 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 10. November 1892.
Original. Lieber General!
Es freut mich ganz ausserordentlich, dass Du wieder so leidlich auf dem Damm bist und die Krankheit überwunden hast. Ich hatte manchmal meine Sorge; nicht dass ich dachte, sie werde Dir das Leben kosten, wohl aber, dass sie Dir so zusetze, dass Du arbeitsunfähig werdest. Nun, diese Gefahr scheint glücklich überwunden zu sein. Dass Deine Gedächtnisfächer nicht mehr so leicht aufzufinden und zu öffnen sind, darüber lass Dir keine grauen Haare wachsen. Du bist von der Natur in dieser Beziehung so ausserordentlich gut bedacht 609
worden, dass ein kleines Manko daran Dich immer noch über die grosse Mehrzahl der Menschen erhebt. Ich habe Dich immer um Dein Gedächtnis beneidet, ich bin darin keiner von den Glücklichen. Du hast auch ganz recht, dass Du Dir die Korrespondenz vom Leibe hältst; was diese einen in der Arbeit hindert, sehe ich an mir. Ich werde sehr vergnügt sein, wenn ich das Kassiereramt loswerde; damit fällt auch ein erheblicher Teil der Korrespondenz, die direkt und indirekt damit zusammenhängt. Soeben meldet sich der Vertreter (Smith) vom Reuterschen Bureau telephonisch an; bin neugierig, was er will. Für Interviews bin ich nicht mehr zu haben, lass mir aber auch vom Parteitag keine Vorschriften machen; darüber werde ich ihn gegebenenfalls nicht im Zweifel lassen. Man wird es Dir grossen Dank wissen, wenn Du den dritten Band fertig hast; ich werde alle Augenblicke danach gefragt, und allgemein fürchtet man, er erscheine überhaupt nicht. Diese Befürchtung ist ja nunmehr grundlos; ich glaube aber, es wäre gar nicht schlecht, autorisiertest Du mich zu einer bezüglichen Notiz im Vorw[ärts], wenn Du weiter mit demselben vorgerückt bist und ungefähr übersehen kannst, wann Du zu Ende kommst. Überlege Dir das. Lafargue und Genossen sind eben hereingefallen, doch lauten ihre Erklärungen zufriedenstellend; sie mussten eben irgendeine politische Frage oder eine Etatforderung benutzen, um das Thema weiterzuspinnen. Die neuesten Verhandlungen in der Deputiertenkammer anlässlich des Bombenattentats waren allem Anschein nach sehr aufregende.1 Ich kann mir vorstellen, mit welcher Wut L[afargue] auf seinen Gegner losstürzte. Dagegen hat Ferfroul] 2 sich offenbar sehr lahm gehalten. Der Vorgang wird nicht ohne Wirkung bleiben, ein Gesetz gegen die Redefreiheit dürfte bei der rasend gewordenen Bourgeoisie auf guten Boden fallen. Ich kann mich nicht überzeugen, lieber Alter, dass die retrospektiven Betrachtungen über die Fraktion 3 eben besonders erspriesslich wären. Der einzige Platz, wo sie angebracht werden könnten und angebracht werden müssten, wäre in einer Geschichte der Partei. E s handelte sich u m Streitigkeiten zwischen französischen und belgischen Arbeitern in Lens. L a f a r g u e behandelte unter andauerndem Lärm und Unterbrechungen durch die Rechte am 28. Oktober die Vorgänge in der Kammer; er begründete den Antrag, den Bergwerksbesitzern zu untersagen, billigere ausländische Arbeitskräfte zu beschäftigen, um die Löhne zu drücken. Seine Rede in Le Socialiste, Nr. 110, 31. Oktober. 2 E m e s t Ferroul (geb. 1853), Arzt in Narbonne, 1888 als radikaler, 1889 als sozialistischer Abgeordneter gewählt. 3 D.h. anlässlich des Buches H. Müllers. 1
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Diese zu schreiben, hatte ich mir ja vorgenommen; aber wann und ob sie geschrieben wird, das wissen die Götter. Diese grossen Arbeiten vertragen sich nicht mit aktiver politischer Tätigkeit; es geht über menschliche Kräfte, beiden zugleich gerecht zu werden. Und doch muss ich jetzt alles daransetzen, um wenigstens bis zu Ende nächsten Jahres das Buch über die vierziger Jahre fertigzubekommen. 4 Streiche wie zur Zeit der Dampfersubvention kommen jetzt kaum vor. Die Opposition der Jungen ist da sehr gut, auch lässt sich ein grosser Teil der Parteigenossen dergleichen nicht bieten. Sobald heute dergleichen Dinge vorkommen, sind auch die Parteigenossen durch die Presse und die Versammlungen dahinter. Schum[acher] hat endlich die verdiente Nemesis erreicht, er war der Faulste unter den Faulen; er hat den famosen Wahlkreis mit einem ausgezeichneten Arbeiterelement geradezu versaut. Der Kreis hat seit vierzehn Jahren so gut wie nichts geleistet, obgleich er einer der leistungsfähigsten war, und das ist nur Schumacher] geschuldet. Ich hab's ihm oft genug gesagt; nun hat er die Opposition, wie sie schlimmer nicht sein kann; schade nur, dass die Wortführer nichts taugen. Auf dem Parteitag wird's wohl zu einem Schiedsgericht kommen; 5 denn wir können den Schmutz doch nicht coram populo verhandeln. Weitere lebhafte Debatten werden die Pressunterstützungen 6 hervorrufen, und mit Recht. Es schadet gar nichts, wenn dieses Kapitel der Verwaltungsschweinereien, denn darauf laufen die Defizite meist hinaus, einmal gründlich erörtert wird. Ich habe für jeden verlangten Posten gestimmt, weil ich sah, wir mussten ihn bewilligen; aber ein Skandal ist's, dass das viele Geld dafür ausgegeben werden musste. Vollmar wird dabei auch sein Teil abbekommen, der sich als vollkommen unfähig zeigte, in München geschäftlich Ordnung zu schaffen. Was Du über den Staatssozialismus schreibst, unterschreibe ich Wort für Wort. Allerdings hat der Vorwfärts] mit höchstem Ungeschick die Sache angepackt; 7 das schönste aber ist, dass jetzt plötzlich Liebkn[echt] äusserst friedlich gesinnt ist und die Sache für abgetan hält, was mit seinen sommerlichen Erklärungen im stärksten Widerspruch steht. Die Frage ist von vornherein falsch gestellt worden, und
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S. Brief Nr. 119, Anm. 5. S. Brief Nr. 238 Anm. 4. • S. „Ausgaben für die Parteipresse", Protokoll, Berlin, S. 38f.; Fischers Bericht über die Tätigkeit des Parteivorstandes ebd., S. 84ff., 88 und Bebels Ausführungen, S. 91ff. 7 S. Briefe Nr. 210, 217, 219; über Liebknechts ungeschicktes Vorgehen auch V. Adler an Engels 25. August 1892. 5
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in seiner Broschüre hat sie V[ollmar] weiter falsch geschoben,8 weil das sein Vorteil war. Kommt die Angelegenheit zur Sprache, werde ich das auch nachweisen und folgende Resolution beantragen: „Die Soz[ial]demokratie hat mit dem sog. Staatssozialismus nichts gemein. Der Staatssozialismus ist ein System von Halbheiten, das seine Entstehung der Furcht vor der Soz[ial]demokratie verdankt. Sein Zweck ist, durch kleine Konzessionen und Gewährung von Palliativmitteln die Arbeiterklasse der Sozialdemokratie zu entfremden und die letztere dadurch lahmzulegen. Die Sozialdemokratie hat nie verschmäht, staatliche Massregeln gutzuheissen, die eine Hebung der Lage der Arbeiterklasse unter dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem herbeiführen können; sie betrachtet diese aber nur als kleine Abschlagszahlungen, die ihr Streben nach Umgestaltung von Staat und Gesellschaft von Grund aus in keiner Weise beirren." 9 Ich denke, damit ist unser Standpunkt gekennzeichnet. Die Berliner haben beschlossen, die Tribfüne] mit dem 1. Jan[uar] eingehen zu lassen; damit ist der Boden für das neue Wochenblatt geebnet. Im Vorstand sagt man zwar prinzipiell „ja", fürchtet sich aber vor der Ausführung und möchte diese am liebsten vertagen. Ich hoffe aber, der Parteitag beschliesst die Gründung,10 auch wenn sie noch ein oder zwei Wochenblättern das Leben kostet. Aber so geht's, wenn einmal Eigentum existiert, ist auch die Sozialdemokratie ängstlich bedacht, Eigentum nicht zu zerstören, sei es auch noch so faul fundiert. Victfor] hat sich für Montag mittag angemeldet, er ist von dem Bericht sehr befriedigt und meint, „die Grandezza macht Euch doch keiner nach!!" 11 Na, wir haben auch geschwitzt, bis diese „Grandezza" zuwege kam. Über Staatssocialismus (Nürnberg, 1892), 4 8 S. Diese Resolution stimmt im wesentlichen mit den Absätzen 1, 3 und 4 der gemeinsamen Resolution Liebknecht-Vollmar überein, Protokoll, S. 173; jedoch bringt diese in den Absätzen 2 und 5 die Ablehnung des Staatssozialismus noch schärfer zum Ausdruck. 10 S. Brief Nr. 237, Anm. 4. 11 Zur Ablösung eines Darlehns, das die Wiener Arbeiter-Zeitung zu Wucherzinsen hatte aufnehmen müssen, wurden dem Blatte 10.000 Mark gegeben. S. I. Auer an V. Adler 26. September, Bebel an V. Adler 4. Oktober 1892. Im Protokoll Köln 1893 hiess es darüber: „Wie im Vorjahre gegen die belgischen, so musste die deutsche Partei in diesem Jahre gegen die österreichischen Genossen das Gefühl der internationalen Solidarität betätigen. Die Wiener Genossen erhielten 10.000 Mark, um drückende geschäftliche Verbindlichkeiten, die auf ihrem Blatte ruhten und die Aktionsfähigkeit der Partei hemmten, abzulösen", S. 57. 8 9
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Dass hinter dem Parteitag gleich der Reichstag kommt, ist ein wenig viel; ich hoffe aber, dass wir eine Reihe Tage Atem holen können, ehe die Paukerei losgeht. Da die Militärvorlage gleichzeitig mit dem Etat an den Reichstag kommt und die Debatte wahrscheinlich für beide Vorlagen verschmolzen wird — das halte ich wenigstens für das vernünftigste —, werde ich vor Weihnachten nicht zu Euch kommen können. Ausserdem will ich mich in die Militärkommission wählen lassen, und da diese ihre Sitzungen unmittelbar nach der Generaldebatte beginnt, kann ich dort unmöglich fehlen. Ich habe mit Julie folgenden Plan verabredet. Wir reisen zu Weihnachten nach St. Gallen, zwischen Weihnachten und Neujahr spreche ich in Zürich, den 2. Janfuar] reise ich auf den Schwarzwald, spreche den 3. in Offenburg, den 4. in Stuttgart und reise von dort den 5. zu Euch, wo ich im Laufe des 6. einträfe. Da ich aber nicht lange bleiben kann, werdet Ihr mich wohl mit politischen Geschäften wie Konferenzen und dergl. möglichst verschonen, auch möchte ich mich möglichst von Besuchen emanzipieren. Ihr müsst mir da helfen. Vict[or] ist mit unserem Beschluss zur Maifeier nicht einverstanden, und ich begreifs. 12 Die Resolution lautet auf Feier am 1. Mai, aber in Rücksicht auf die schlechte ökonomische Lage, die ungezählte Massregelungen zur Folge hätte, auf den Abend. Wir hatten eine sehr lebhafte Debatte, ich wollte wenigstens den Nachmittag retten, vergebens. Für uns kommt noch in Betracht die neue Bestimmung über Kontraktbruch,13 der vorhanden ist, sobald der Arbeiter gegen den Willen des Unternehmers die Arbeit verlässt. Das wird in Zürfich] zu neuen Reklamationen führen, und schliesslich wird das einzig Vernünftige sein, es den Engländern nachzumachen und den ersten Sonntag zu nehmen. Die Engländer] sind sonst nicht meine Muster, hier aber haben sie recht; die Grösse der Opfer steht im grössten Missverhältnis zum praktischen Erfolg. Eine Partei soll sich nicht einer Demonstration wegen verbluten. Unseren Leuten hat die diesjährige Feier am Sonntag so gefallen, dass sie schwer davon abzubringen sind. Nous verrons. Herzlichen] Gruss von Julie und Deinem AUGUST.
S. Brief Nr. 243. Die als Arbeiterschutzgesetz bekannte Abänderung der Gewerbeordnung vom 1. luni 1891 brachte in den 119a, b, 124b, 125, 134 Abs. 2 neue Bestimmungen über den Kontraktbruch. S. Die Tätigkeit des Deutschen Reichstages von 18901893 (Berlin, 1893), S. 85ff. 12
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Smith will über den Parteitag referieren und holte sich zu diesem Zweck Informationen, das Bureau (Reuter) hat ihn direkt aufgefordert. Louise sende ich den Brief der14 später. Hier folgt eine undeutliche Abkürzung, etwa: Voss.
240. ENGELS
UND L O U I S E K A U T S K Y AN
BEBEL
London, den 15. November 1892.
Original. Lieber August!
Da sieh, wie ich im Arbeiten gestört werde! Die dummen Tribünenartikel1 zwingen mich zum Einschreiten. Ich bitte Dich — diese Woche ist's ohnehin zu spät — zu sorgen, dass der Artikel in der nächstfolgenden N [ummer] der Tribüne abgedruckt wird. Kannst Du mir noch ein Exemplar dieser sämtlichen BakuninArtikel schicken?2 Mein Ex[emplar] geht regelmässig an Sorge, und so habe ich sie nicht mehr hier; es könnte aber nötig werden, darauf zu rekurrieren. Statt zu arbeiten, habe ich den alten Kram zusammensuchen müssen, aber es ging nicht, diesem Lügengewebe länger freien Lauf zu lassen. Kannst Du erfahren, wer der Verfasser? Grüsse Victor. Louise schickt heute Bericht über Trafalgar Sq[uare] nach Wien. Herzliche Grüsse auch an Frau Julie Dein F. E. Herzliche Grüsse an Julie, Victor, Popp und den treffenden Jäger vor dem Herrn; Sozialist erhalten, danke bestens. Glückauf zur Arbeit! Herzlich
LOUISE.
Engels' berichtigender Artikel „Die Juraföderation und Michael Bakunin" erschien in der Berliner Volks-Tribüne, Nr. 47, 19. November. 2 Die Aufsätze „Die Jura-Föderation und Michael Bakunin" erschienen in den Nummern 32-34, 36, 38, 40, 41, 43, 45-47, 50, 52 vom 6. August bis 24. Dezember. Der erst im letzten Aufsatz genannte Verfasser war Louis Héritier, Engels' Urteil darüber im Brief an Kautsky 25. März 1895, 1
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2 4 1 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 16. November 1892.
Original. Lieber General!
Du hast bereits Deinen Artikel im Vforwärts]1 gelesen. Der Artikel ist sehr gut. Die liberale Presse hat zwar mit Jubel den Sieg der Demokratie in den Ver[einigten] Staaten2 begrüsst; aber die Bedeutung für Deutschland, insoweit die Konkurrenzverhältnisse rückwirkend sich äussern, hat man übersehen. Deutschland ist nun freilich gar nicht in der Lage, auf die Lebensmittelzölle verzichten zu können. Getreidezölle, Vieh-, Fleischzölle ergeben über hundertzwanzig Millionen Mark; die kann das Reich nicht entbehren schon jetzt, geschweige künftig. Miquel macht ja auch merkwürdige Mätzchen, auf der einen Seite Vermögenssteuer, auf der anderen grosse Geschenke an die Gemeinde, d.h. die Grundbesitzer durch Ubergabe der Grund- und Gebäudesteuer an dieselben.3 Ich hoffe, dass Herr Miquel Kommissar in dem Reichstag4 wird, da wird's zu interessanten Auseinandersetzungen kommen. Der Reichstag wird wahrscheinlich das ganze Pensum von Gesetzentwürfen für die Militärvorlage sofort erhalten, und dann werden wir sehen, was man verlangt. Die Parteitag-Verhandlungen waren bisher sehr unerquicklicher Art. Die meisten Redner sahen nur die hohen Gehälter der Vorw[ärts-JRedakteure und sonst nichts. Die proletarische Lebenslage der Leute lässt sie eben nicht begreifen, dass man fünf- und siebentausend Mark zum Leben notwendig haben soll. Und Liebknecht, dem man nach Schluss der Debatte noch extra das Wort gab, hat das 1 „Die amerikanische Präsidentenwahl" Nr. 269, 16. November. Engels führte darin aus, die Wahl vom 8. November habe in Amerika „die Bahn zum Freihandel eröffnet"; die Absage an McKinleys Schutzzollpolitik bedeute den schliesslichen Sieg des Sozialismus in England. Er warf die Frage auf, ob die deutsche Bourgeoisie den Mut habe, dem amerikanischen Beispiel zu folgen, oder ob sie warte, bis die übermächtig gewordene amerikanische Industrie das Schutzzoll-Kartell zwischen Junker und Gross-Fabrikant gewaltsam sprenge. s Der Demokrat Grover Cleveland (1837-1908), 1885-1889 Präsident, war zum zweiten Male zum Präsidenten gewählt worden. ' Von ihm stammt das Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 1891 mit der Selbsteinschätzungspflicht und einem progressiven Steuersatz von 0,622 für ein jährliches Einkommen von 900-1050 Mark bis zu 4% für Einkommen von 100.000 Mark und mehr jährlich. Das sogen. Ergänzungssteuergesetz vom Jahre 1892 führte eine Vermögenssteuer von Vi% ein. Durch das im Frühjahr 1893 verabschiedete Kommunalsteuergesetz wies der Staat den Gemeinden die Ertragssteuern auf Grund und Boden, Gebäude, Gewerbe und Bergwerke zu. 4 D.h. Bevollmächtigter des Bundesrates.
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in der Weise, wie er sprach, den Leuten nicht begreiflich gemacht, obgleich ein kleiner Teil seinen Ausführungen lebhaft applaudierte. Bemerken will ich, dass auch der Vorw[ärts] mich bezüglich der Verteidigung der Gehälter ganz Unrichtiges sagen lässt.5 Ich habe die Gehälter nicht bescheiden genannt, sondern als die niedrigsten, die im Vergleich zur bürgerlichen Presse gezahlt würden. Ich bin gespannt, wie die verschiedenen Anträge behandelt werden, die ich Euch mit übersende. Dass der Hase Euch geschmeckt, freut mich; aber auf den Rehbock wirst Du warten müssen. Rehböcke kann ich jetzt nicht schiessen, dagegen schwöre ich nicht, dass ich — wenn auch wider Willen — andere Böcke schiessen werde. Die sind aber für Euch nicht geniessbar. Die Hexe muss sich also schon nach anderen Küchenartikeln umsehen. Herzlichen] Gruss von Deinem AUGUST. Nr. 269, 16. November: „ . . . Man habe vielfach Aussetzungen an Liebknechts Gehalt gemacht. Wenn man aber vergleiche, wie grosse bürgerliche Blätter ihre Chefredakteure bezahlten, dann werde man zu der Ansicht kommen, dass Liebknechts Gehalt ein sehr bescheidenes s e i . . . Ein konservatives Blatt zahle seinem Chefredakteur 24.000, liberale Blätter 18. — 15.000, jedenfalls werde nirgends unter 10.000 Mark gezahlt. Der einfache Arbeiter könne sich keinen Begriff machen, dass 7.200 Mark durchaus nicht zuviel seien . . . " Der erste und letzte Satz des Zitats fehlen in dieser Form im Protokoll, S. 92ff. 5
2 4 2 . E N G E L S UND L O U I S E K A U T S K Y AN B E B E L
London, den 19. November 1892.
Original. Lieber August!
Euer Parteitag ist diesmal nicht so brillant verlaufen als früher. Die Debatte über die Gehaltsfrage nahm sich sehr unerquicklich aus, obwohl ich der Meinung bin, dass Franzosen und Engländer in diesem Punkte es nicht besser gemacht hätten, was mir Louise freilich nicht zugeben will. Ich habe mich längst überzeugt, dass man hier auf eine der Schranken stösst, die die bisherigen Lebensverhältnisse der Arbeiter ihrem Gesichtskreis ziehen. Dieselben Leute, die es ganz natürlich finden, wenn ihr Abgott Lassalle als vollständiger Sybarit aus seinen eigenen Mitteln lebt, klagen Liebknecht an, wenn er als von ihnen bezahlter Redakteur kaum den dritten Teil des Geldes braucht, obwohl ihnen das Blatt das Fünf- und Sechsfache abwirft. Abhängig zu sein, selbst von einer Arbeiterpartei, ist ein hartes Los. 616
Und auch abgesehen von der Geldfrage, ist es eine unfruchtbare Stellung für jeden, der Initiative hat, Redakteur eines der Partei gehörigen Blattes zu sein. Darüber waren Marx und ich von jeher einig, dass wir nie eine solche Stellung annehmen, nur ein auch von der Partei selbst pekuniär unabhängiges Blatt haben könnten. Eure „Verstaatlichung" der Presse hat ihre grossen Übelstände, wenn sie zu weit geht. Ihr müsst absolut eine Presse in der Partei haben, die vom Vorstand und selbst Parteitag nicht direkt abhängig ist, d.h. die in der Lage ist, innerhalb des Programms und der angenommenen Taktik gegen einzelne Parteischritte ungeniert Opposition zu machen und innerhalb der Grenzen des Parteianstandes auch Programm und Taktik frei der Kritik zu unterwerfen. Eine solche Presse solltet Ihr als Parteivorstand begünstigen, ja hervorrufen; dann habt Ihr immer noch mehr moralischen Einfluss auf sie, als wenn sie halb gegen Euren Willen entsteht. Die Partei wächst aus der bisherigen strammen Disziplin heraus, mit zwei bis drei Millionen und dem Zustrom „jebildeter" Elemente ist mehr Spielraum nötig, als was bisher nicht nur genügte, sondern sogar nützliche Beschränkung war. Je eher Ihr selbst Euch und die Partei für diese veränderte Lage einrichtet, desto besser. Und das erste ist eine formell unabhängige Parteipresse. Kommen tut sie sicher, es ist aber besser, wenn Ihr sie so kommen lasst, dass sie von vornherein unter Eurem moralischen Einfluss bleibt und nicht in gegensätzlicher Weise gegen Euch entsteht.1 In der Maifeierfrage habt Ihr einen grossen Fehler begangen, aber nicht in Berlin, sondern in Brüssel.2 Ihr musstet damals wissen, was 1 Engels' Annahme, dass die Zeitungen durch die Gewährung finanzieller Unterstützung auch politisch völlig abhängig vom Vorstand würden, bestritt Bebel im folgenden Briefe. 2 In Brüssel war in einer Konferenz der deutschen Delegierten beschlossen, „ d e n Antrag zu stellen, die Maifeier auf den ersten Sonntag im Mai zu verlegen; sollte hierfür nicht die allgemeine Zustimmung gefunden werden, so soll Verständigung gesucht werden auf Grundlage der Auffassung, dass der Gedanke der allgemeinen Arbeitsruhe nicht obligatorisch mit der Maifeier verbunden sei." Verhandlungen und Beschlüsse des Internationalen Arbeiter-Kongresses zu Brüssel (Berlin, 1893), S. 22. Engländer und Deutsche forderten die Feier am ersten Sonntag im Mai; Franzosen und Österreicher beharrten auf der Feier am 1. Mai und forderten die allgemeine Arbeitsruhe. „Schliesslich einigte man sich einstimmig auf nachfolgende Resolution, die keine Nation zu unüberlegten Schritten zwinge, sondern jeder die Möglichkeit lasse, die Hindemisse und Schwierigkeiten, die in einzelnen Ländern sich ergeben, zu b e r ü c k s i c h t i g e n . . . : U m dem ersten Mai seinen bestimmten ökonomischen Charakter: der Forderung des Achtstundentages und der Bekundung des Klassenkampfes zu wahren, beschliesst der Kongress: Der erste Mai ist ein gemeinsamer Festtag der Arbeiter aller Länder, an dem die Arbeiter die Gemeinsamkeit ihrer Forderungen und ihre Solidarität bekunden sollen. Dieser Festtag soll ein Ruhetag sein, soweit dies durch die Zustände in den einzelnen
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Ihr versprechen und halten konntet, und habt dennoch mehr versprochen, als Ihr jetzt halten könnt. Ich finde Deine Rede hierüber ebenso gut wie die von Victor3 und glaube Dir gern, dass die Arbeitsruhe in Deutschland Opfer kosten würde ausser allem Verhältnis zum Erfolg und Gewinn. Aber es macht einen sehr bösen Eindruck überall, wenn die stärkste Partei der Welt plötzlich so zum Rückzug bläst. Noblesse oblige. Ihr seid der Schlachthaufen, das corps de bataille der modernen Arbeiterbewegung, und wenn Ihr das in Rrüssel versprochen, so wart Ihr moralisch verpflichtet, es auch zu tun. Nun ist es allerdings besser, nach der ersten Dummheit nicht auch noch die zweite viel grössere zu tun. Die Nichtunterbrechung des Siegeslaufes der deutschen Partei ist in der Tat jetzt die Hauptsache — aber bedenkt doch, welchen Eindruck dieser Berliner Beschluss in der weiten Welt machen wird. Auch in Frankreich hat die Sache, wie es scheint, Ärgernis gegeben, und Ihr werdet wohl von dort etwas zu hören bekommen. Einen solchen moralischen Schaden dürft Ihr Euch nicht zum zweitenmal zufügen, — also habt in Zürich den Mut Eurer Meinung und sagt offen, dass Ihr Euch nicht an die Arbeitsruhe binden könnt 4 —, dann kann man sich über Euch ärgern, kann Euch aber nicht Wortbruch und Rückzug vorwerfen. Es ist Unsinn, die Bewegung in allen Ländern einförmig gestalten zu wollen. Die Österreicher, die die Mai-Arbeitsruhe nötig haben und die deshalb dafür dieselben Opfer zu bringen bereit sind, die Ihr mit Recht unter Euren Umständen ablehnt, haben ebenso recht in ihrer Handlungsweise wie Ihr in der Euren; jetzt aber können sie Euch Vorwürfe machen, auf die Ihr nichts erwidern könnt. Denn gerade ihr Vorgehen Ländern nicht unmöglich gemacht wird." Ebd., S. 33. „Die Maifeier 1893" war der Punkt 5 der Tagesordnung des Berliner Parteitages, Protokoll, S. 151ff. 3 Adlers Reden, Protokoll, Berlin, S. 156ff., 166f. Er forderte völlige Arbeitsruhe am 1. Mai und lehnte eine Abendveranstaltung ab, die auch an jedem anderen Abend sein könne. Bebel, Protokoll, S. 163ff., erklärte, Arbeitsruhe sei mit Rücksicht auf die Wirtschaftslage nicht möglich; er trat für eine Feier am Abend des 1. Mai ein. * Das geschah; Bebel erklärte zu dem Antrag, den Wortlaut der Brüsseler Resolution über die Maifeier zu verschärfen, jedes Land müsse sich das Recht vorbehalten, zu entscheiden, ob die Arbeitsruhe durchzuführen sei oder nicht. Protokoll, S. 34. Nach der Abstimmimg erklärte Singer, ebd., S. 36, auch die Deutschen stimmten der Arbeitsruhe ebenso aufrichtig zu wie die anderen Nationen, „aber wir können uns nicht von irgendeinem einzelnen Vorschriften in dieser Richtung machen lassen". Der Zusatz zur Brüsseler Resolution besagte, dass in jedem Land die Sozialdemokratie die Pflicht habe, die Arbeitsruhe am 1. Mai anzustreben und jeden Versuch dazu an einzelnen Orten oder von einzelnen Organisationen zu unterstützen. Schliesslich wurde betont, die Feier solle der Ausdruck des Willens der Arbeiterklasse sein, durch die soziale Umgestaltung (ursprünglich: die soziale Revolution) die Klassenunterschiede zu beseitigen.
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beweist, dass der in Brüssel vorgesehene Fall der Unmöglichkeit nicht vorliegt. Die Staatssozialismus-Debatte haben wir noch nicht hier. Gratulieren muss ich Dir zu Deinen Resolutionen.5 Sie sind ganz ausgezeichnet; ich kenne nur einen, der es besser konnte, und das war Marx. Sowohl die über Stfaats-] Sozialismus] wie die über Antisemitismus trifft den Nagel auf den Kopf. Und gerade solche Resolutionen waren bisher die schwache Seite der deutschen Bewegung, sie sind schlapp, unsicher, unbestimmt, phrasenhaft, kurz meist blamabel. Glücklicherweise sind sie so unübersetzbar, dass der Übersetzer in eine fremde Sprache gezwungen ist, den Sinn hineinzulegen, den sie von selbst nicht haben. Das Untenstehende ist ein Theater,6 von Louise oder Aveling gezeichnet. Seit acht Tagen legt man mir diesen so verschönerten Bogen immer wieder unters Briefpapier, und so ist er zur Ehre gekommen, an Dich zu wandern. Was die sieben Schwaben Londons — die Fabians vom Chronicle — über den Parteitag faseln, siehst Du inliegend.7 Diesen armen Leuten geht's schlecht. Nachdem der grosse Shaw Euch im Mai die Notwendigkeit der Mogelei mit den Liberalen ans Herz gelegt und bewiesen, dass ausserhalb dieser Politik nur defeat und disgrace zu holen sei, gesteht er jetzt in einer Rede im Democratic Club, dass sie von den Liberalen schmählich geprellt worden und bei der Wahl nichts geerntet als — defeat und disgrace; und dass die Liberalen jetzt mit den Tories zusammen auf Prellerei der Arbeiter ausgehen! Und diese Leute wollen Euch „praktische Politik" lehren! Ja, er sagt jetzt, die beiden alten Parteien hätten nur eine und dieselbe Politik, und ausser ihnen gebe es nichts als — Sozialdemokratie! Ich denke, das wird auf den guten Ede wirken wie eine kalte Dusche. Herzliche Grüsse an Deine Frau und alle Freunde Dein F. E. (im Proszenium)
[Von Louise Kautskys Hand:] Die Hexe grüsst selber; so weit geht meine Maiwonne nicht.
Gegen das herrschende Militärsystem S. 132, über die Maifeier 1893 S. 151f., über die wirtschaftliche Krise und ihre Folge: den allgemeinen Notstand S. 292, über den Antisemitismus und die Sozialdemokratie S. 293f. • Auf dem Briefpapier ist mit Bleistift eine Bühne mit Proszenium und Logen skizziert. Engels' Unterschrift steht im „Proszenium". 7 Die Beilage fehlt.
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2 4 3 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 22. November 1892.
Original. Lieber General!
Über die Gehaltsgeschichte habe ich schon im Brief an Louise mich geäussert.1 Dass es so kommen werde, war vorauszusehen, und der Alte hat's erst recht verdorben. Das den Arbeitern ungeheuer erscheinende Gehalt nehmen, dann erklären, dass man damit nicht einmal auskomme und es haben müsse, um die Kinder würdig zu erziehen, weiter sich und der Partei das Armutszeugnis ausstellen, dass der Vorw[ärts] nicht besser werden könne etc. etc., das war's, was dem Fass den Boden ausstiess.2 Dass der Parteitag nach dieser Rede des Alten nicht in voller Entrüstung aufbrauste, ist mir noch heute ein Rätsel. Heute sprach ich mit Delegierten, und es waren die vernünftigsten Leute, die mir rundheraus erklärten, sie würden die Frage auf dem nächsten Parteitag wieder anregen, und trotz meines eifrigen Abmahnens dabei blieben. Komischerweise sagten mir viele, man habe dem Alten das Gehalt ja in anderer Weise in der jetzigen Höhe verschaffen können, nur als Gehalt des Vorw[ärts] dürfe es nicht in dieser Höhe figurieren. Ob die Franzosen und Engländer ähnlich urteilen würden, weiss ich nicht, ich glaub's; sicher ist, dass es überall sonst unmöglich wäre. Louise weiss, wie mein Vorschlag, Adl[er] monatlich 150 fl. zu geben, anfangs in Wien aufgenommen wurde. Ich bedaure jeden, der Parteibrot essen muss, es ist ein hartes Brot. Immerhin würde der Fall ganz anders beurteilt, wäre der Voru>[ärts] das, was er sein soll, wären die Leute mit ihm zufrieden. Aber das Gehalt nehmen und sich für unfähig erklären, ihn besser zu machen, das verstehen die Leute nicht. Du bist ganz falsch unterrichtet, wenn Du von einer Verstaatlichung unserer Presse redest. Die Blätter sind samt und sonders unabhängig, auch diejenigen, die das Geld von uns bekommen haben. Wir sind nie versessen darauf gewesen, uns auch noch in die Leitung zu mischen, selbst da, wo es im Parteiinteresse nötig gewesen wäre. Wir haben uns nur mit der Schweinewirtschaft in den Verwaltungen zu beschäftigen und müssen die Augiasställe misten, weil die Leute am Orte dazu unfähig sind. Diese Art Einmischung in die Blattverwaltung ist die unangenehmste Seite unserer Tätigkeit. Wir sind allesamt froh, wenn wir von den Blättern nichts zu tun bekommen. Der Brief ist nicht vorhanden. Liebknechts Ausführungen, Protokoll, S. 119ff., wurden mit „lebhaftem Beifall und Händeklatschen" aufgenommen; Bebels Ausführungen über den Vorwärts, S. 113ff. 1 2
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Uber die Haltung haben wir ein sehr imaginäres Aufsichtsrecht, und von dem haben wir ungeachtet vieler Ursachen noch keinen Gebrauch gemacht. Der Versuch dazu ist allerdings oft stark, so bei den unerhörten Stänkereien und gegenseitigen Angriffen im Solinger Blatt und neuerdings in Dortmund. 3 Dass wir in der Maifeierfrage viel und heftig angegriffen werden, wissen wir im voraus, habe ich selbst an der Spitze meiner Rede ausgesprochen. Sei es. Wir haben nicht Lust, einer Demonstration wegen, deren praktischer Wert für uns ein sehr geringer ist, uns unerhörte Opfer aufzulegen. Und zu diesen kommt es, und zwar progressiv in dem Masse, wie wir uns für die Maifeier ins Zeug legen. Die Staatsgewalt und die Bourgeoisie nehmen diesen Kampf mit Vergnügen auf, wissend, dass sie die Sieger bleiben müssen. Man muss eben in Deutschland leben und Deutschland kennen, um das zu verstehen. Unseren österreichischen] Genossen hat die einmütige Abstimmung ohne jedes Pressionsmittel gewaltig imponiert. Die Partei steht in dieser Frage so geschlossen wie kaum in einer anderen, und nur eine Differenz besteht, die, ob es nicht vernünftiger sei, die Feier stets am ersten Mai zu begehen. Es bedurfte nur eines Winkes, und dieselbe Majorität, die die Arbeitsruhe ablehnte, votierte für den Sonntag. Recht hast Du, dass es besser war, in Br[üssel] gleich so vorzugehen; aber damals waren in der eigenen Partei die Meinungen geteilter als je, der nächste bevorstehende 1. Mai war ein Sonntag, und so kam die Frage erst in zwei Jahren in Betracht, und diese Zeit glaubte man abwarten zu müssen. In Brüssel ist übrigens Arbeitsruhe nicht zur Pflicht gemacht worden, 4 und wenn man uns in Z[ürich] angreift, dann werden wir antworten, und zwar denen gegenüber am schärfsten, die fortgesetzt von internationaler Gesinnung schwatzen, sie aber am wenigsten betätigen. Das gilt insbesondere von den Franzosen, denen dürfte ein ganz artiges Sündenregister vorgehalten werden. So ist doch einfach kläglich, dass sie die Einladung zum Kongress mit einem Schreiben beantworten und der Entschuldigung, sie hätten kein Geld,5 einen Delegierten zu senden, obgleich wir die Zehrkosten in Berlin selbst übernehmen wollten und sie nur Reisegeld von der Grenze bis Berlin brauchten. 3
S. hierüber Protokoll, S. 105ff. S. Brief Nr. 242, Anm. 2. V. Adler auf dem Berliner Parteitag: „Ich möchte vor allem feststellen: Ihre Resolution enthält einen kleinen sachlichen Irrtum. Der Brüsseler Beschluss lautet nicht, dass es den einzelnen Nationen überlassen bleibt, den gegebenen Umständen gemäss zu handeln, sondern er lautet: es wird die Arbeitsruhe empfohlen, und nur da, wo sie unbedingt unmöglich ist, ist davon abzusehen. Sie werden zugeben, dass das etwas völlig anderes i s t . . ." Protokoll, S. 156f. 5 Uber die Einladung s. P. Lafargue an Engels 1. November 1892. 4
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Wir haben die Pariser Kongresskosten gedeckt, wir haben die Kosten für das französische] Protokoll gedeckt, die Kosten des Achtstundentags* etc. etc. etc., kurz wir sind unter den schwierigsten Verhältnissen stets dabei gewesen, unsere internationalen Pflichten zu erfüllen, während jene nichts wie Phrasen hatten. Wir haben es satt, den Prügeljungen abzugeben, und wenn die Franzosen, die bisher in der Maifeier gar nichts getan oder nur Klägliches geleistet haben, uns attackieren, dann geht's ihnen schlecht, und dann kommt auch die politische Haltung hüben und drüben zur Sprache. Die Österreicher sind in einer fatalen Lage, und sie tun mir aufrichtig leid; aber wir können uns nicht aus Sentimentalität zu einer nach unserer Überzeugung falschen Haltung entschliessen.7 Übrigens machten Adl[er] und P[opp] kein Hehl, dass bei ihnen die Sachen an und für sich kritisch standen, was sich schon dieses Jahr gezeigt haben würde, war der erste Mai kein Sonntag. Ich erzähle Euch hierüber mündlich, wenn ich zu Euch komme. Dass Dein Herz, lieber Alter, so zwischen Deutschland und Österreich in Deinem Briefe hin- und herpendelt, daran ist doch nur die Hexe schuld; wozu wäre sie auch Hexe. Es ist ein Glück, dass die bessere Hälfte ihres Herzchens für Deutschland schlägt, sonst ging Dir's noch viel schlechter. Ja, ja, es bleibt dabei: cherchez la femme, lass Dir von der Hexe den Vers dazu machen. Die schöne und interessante Zeichnung der Hexe — ein Genie in der Malerei ist an ihr nicht verdorben —, hätte von den entsprechenden Erläuterungen begleitet sein sollen, doch ich bin zufrieden mit der Zeile, die sie darunter setzte; ich ersehe daraus, dass sie wieder einmal die Vernünftige ist. Wie Du aus der Resolution über Staatssoz[ialismus] ersehen haben wirst, enthält sie einige andere Sätze.8 Ich hatte grossen Kampf mit •
S. Brief Nr. 135; Nr. 210, Anm. 5. Adler: „ . . . darum erkläre ich, wenn Sie den Beschluss fassen" [nur am Abend des 1. Mai Versammlungen abzuhalten], „und Sie werden ihn ja fassen . . . , dass Sie in diesem Jahre die Arbeitsruhe nicht haben, dann werden Sie sie überhaupt nicht mehr haben! Sie werden den Beschluss fassen, ich bin davon überzeugt; er bedeutet für uns entschieden eine Erschwerung der Situation. Wir müssen in Österreich auch mitteilen, dass wir diesen Beschluss für einen Fehler halten, aber wir werden unseren Genossen auch erzählen, dass die deutschen Parteigenossen den Beschluss, den wir bedauern, mit voller Überlegung und im Gefühl ihrer Verantwortung gefasst haben . . . " Protokoll, S. 167. 8 Die Resolution Liebknecht-Vollmar, Protokoll, S. 173, enthielt neben der Bebels, s. Brief Nr. 239, noch folgende Absätze: „Der sogenannte Staatssozialismus, insoweit er auf die Verstaatlichung zu fiskalischen Zwecken hinzielt, will den Staat an die Stelle der Privatkapitalisten setzen und ihm die Macht geben, 7
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L[ie]b[knecht], der eine unglaublich ungeschickte Resolution entworfen hatte. Ich musste ihm Satz für Satz abtrotzen, konnte aber natürlich nicht den gänzlichen Verzicht erreichen. Ich bin froh, dass der Parteitag zu Ende ist; ich denke, in Köln wird's nächstes Jahr lustiger, da müsst Ihr von London herüberkommen. Im Reichstag wird's erst nächste Woche zur Schlacht kommen, L[ie]b[knecht] will bei der Etatdebatte reden,9 und da versteht sich's von selbst, dass ich ihm diesmal den Vortritt lasse. Ob ich als zweiter das Wort nehme, darüber bin ich mit mir noch nicht einig, ich werde es vom Verlauf der Debatte abhängig machen. Julie lässt Dich und Louise herzlich grüssen, und ihr schliesst sich an Euer AUGUST.
Ich habe Bonnier auf seine Impertinenzen in gutem Deutsch geantwortet,10 er wird zufrieden sein. dem arbeitenden Volk das Doppeljoch der ökonomischen Ausbeutung und der politischen Sklaverei aufzuerlegen." „Die Sozialdemokratie ist ihrem Wesen nach revolutionär, der Staatssozialismus konservativ. Sozialdemokratie und Staatssozialismus sind unversöhnliche Gegensätze." • Er sprach am 1. Dezember bei der ersten Beratung des Etats für 1893-94. S. den folgenden Brief. 10 Ein solcher Brief Bonniers liegt nicht vor. Der Vorwärts versah in Nr. 273, 20. November eine Pariser Meldung, eine Versammlung der französischen Sozialistenführer habe ihrer Unzufriedenheit mit den Resolutionen des Berliner Parteitages Ausdruck gegeben; aber sie wollten die Berichte abwarten, bevor sie Entschliessungen fassten, mit der Bemerkung, „ . . . dass unsere Pariser Genossen, wie nicht anders zu erwarten war, so einsichtsvoll waren, keinen Beschluss zu fassen über Dinge, von denen sie nur aus gegnerischen Entstellungen Kenntnis hatten."
2 4 4 . B E B E L UND J U L I E B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 24. November 1892.
Original. Lieber General!
Der Umstand, dass Dein Geburtstag auf den Sonntag fällt, veranlasst mich, schon heute an Dich zu schreiben und Dir meine herzlichsten Wünsche zu demselben zu übersenden. Vor allen Dingen ist mein und unser aller Wunsch, dass Du uns noch recht lange bei voller Gesundheit erhalten bleiben mögest; denn Du bist uns unentbehrlich. Ich wäre gern Sonntag bei Euch, aber der Wunsch ist unausführbar, und so werden wir aus der Ferne ein Glas auf Dein Wohl trinken. 623
Die neueste Caprivische Rede1 hast Du gelesen, und die Charakteristik, die der Vorw[ärts] gibt, ist diesmal durchaus zutreffend. Der Alte feiert einen Triumph, insofern Caprivi sich zur Klarstellung der Bismarckschen Behauptungen über die Emser Depesche herbeiliess, die Liebkfnecht] von Bism[arck] provozierte.2 Nun hoffe ich, dass er (Lfiebknecht]) nächsten Mittwoch seinen guten Tag hat und die ausgezeichnete Situation, in der er sich befindet, ordentlich ausnutzt.3 Weniger zutreffend sind L[iebknecht]s Behauptungen im heutigen] Vorw[ärts] über das Feiern in Österreich und Frankreich4 im Gegensatz zu uns; aber es kommt ihm ja nicht aufs Beweisen, sondern aufs Behaupten an. Die gestrige Rede des Reichskanzlers liess so etwas wie Auflösungsdrohungen durchblicken, das Dümmste, was man machen könnte. Aber es ist eine alte Erfahrung, dass abwirtschaftende Systeme die Klarheit des Blickes verlieren und Dummheiten über Dummheiten machen, so kann's auch bei uns gehen. Nebenbei verwickelte sich C[aprivi] in Widersprüche über Widersprüche. Der Bericht gibt nur ein schwaches Bild der wirklichen Vorgänge, wir haben es an heftigen Unterbrechungen nicht fehlen lassen, die im Bericht gar nicht erwähnt sind. Ich bekomme bei der Militärdebatte die Nachlese, da es sich gar nicht vermeiden lässt, dass schon bei der Etatdebatte die Cfaprivi]sche Rede in der ausführlichsten Weise erörtert wird. Wenn jetzt Bismfarck] kein feiger Hund ist, kommt er aus seiner Höhle heraus, das könnte dann lustig werden. Aber er wird bleiben, wo er ist. Caprivis Rede, mit der er am 23. November die Militärvorlage im Reichstag einbrachte. 2 Liebknecht hatte sich bereits 1873 und 1876 im Volksstaat mit der Emser Depesche vom 13. Juli 1870 beschäftigt; anlässlich der Veröffentlichung von Aufzeichnungen des Kriegsministers von Roon kam er im Vorwärts Nr. 103, 5. Mai und Nr. 112, 16. Mai 1891 darauf zurück. Er veröffentlichte diese und die früheren Artikel in der Schrift Die Emser Depesche oder: Wie Kriege gemacht werden (Nürnberg, 1891), 6. Aufl. 1895. In einem Nachwort vom Dezember 1892 berücksichtigte er auch die Ausführungen Caprivis und seine eigene Reichstagsrede darüber, a.a.O., S. 57ff. 3 Er kam am Donnerstag, 1. Dezember zu Worte. Er bekämpfte die Rüstungen unter dem Gesichtspunkt der europäischen politischen Lage und ging auch auf die Emser Depesche ein. 4 Im Leitartikel „Zum Parteitag. II.": „. . . In Österreich und Frankreich liegen die Verhältnisse anders. Dort sind am 1. Mai Manifestationen möglich ohne die Gefahr einer allgemeinen Aussperrung. In Deutschland nicht. In Deutschland wäre die allgemeine oder wenigstens weit umfassende Aussperrung unvermeidlich. Und unter den obwaltenden Umständen und angesichts einer wahrscheinlichen Reichstagsauflösung im Frühjahr eine allgemeine Aussperrung herbeiführen — das wäre Tollheit, das wäre Verrat an der Partei." Nr. 276, 24. November.
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Ich habe heute einen Artikel über den Parteitag für die N[eue] Z [eit] geschrieben, einen über die Maifeier schreibe ich später.5 Halte Dich munter und trete das neue Lebensjahr vergnügt an. Mit herzlichstem Gruss Dein AUGUST.
Heute haben wir den ersten Schnee, d.h. seit Wochen etwas Nasses. „Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie", Die Neue Zeit, Jahrg. XI (1893), Bd. I, S. 299ff. „ D i e Maifeier und ihre Bedeutung", ebd., S. 437ff.
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Lieber Herr Engels! Heute will ich mir wieder einmal das Vergnügen gönnen, mit Ihnen ein wenig zu plaudern, ist doch ein wichtiges Ereignis die Veranlassung dazu. Wir kommen heute, nach Franzosenart, um ihren Geburtstag einen Tag vor demselben zu feiern. Und so gratuliere ich Ihnen denn von ganzem Herzen dazu und wünsche, dass Sie noch viele Jahre gesund und „jung" bleiben, dann ergibt sich das andere von selbst. Sehr gefreut hat mich Ihre Wiedergenesung, so sehr ich vorher Ihr Unwohlsein bedauert habe; hat es uns doch um das so sehr erwünschte Zusammensein mit Ihnen gebracht. Es war eine allgemeine Enttäuschung. Nun, wir hoffen aber zuversichtlich, dass uns im nächsten Jahr das Vergnügen zuteil wird, und wenn ich Sie holen kommen sollte, damit ich Sie unter meinen persönlichen Schutz nehme; denn die Jugend könnte zu leichtsinnig mit Ihnen verfahren. Hat mich doch die kleine Fischer 8 neulich mit Ihrer treuen verstorbenen Pflegerin, der Lenchen, verglichen und ihre Tugenden, die den Kindern einen besonderen Eindruck hinterlassen haben, auch mir angedichtet. Der Parteitag ist im grossen und ganzen sehr gut verlaufen und machte, trotz der unerquicklichen Gehaltsdebatte, einen sehr günstigen Eindruck. Ich war viel dort, aber am besten hat mir der Schluss und der Kommers gefallen, beides war grossartig und hat gezeigt, wie in der Hauptsache alle einig sind, trotz der vielfachen Kleinlichkeiten, die einzelnen anhaften; das ist aber sehr natürlich, man kann von Arbeitern nicht verlangen, dass sie anders urteilen, als ihre eigenen Verhältnisse es ihnen gestatten, und die wenigsten Menschen können sich aus Taktgefühl beherrschen. Verfiel doch Herr Liebknecht in [den] selben Fehler, indem er erklärte, die siebentausend Mark reichten ihm noch nicht. Doch wie gesagt, der Schluss liess alle Differenzen 6
Richard Fischers Tochter Inke.
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vergessen; einmütig brachten stehend alle Anwesenden, Delegierte wie Publikum, ihr brausendes Hoch der Sozialdemokratie aus, die Marseillaise singend. Ich bedauere immer, dass Sie nicht die Bewegung augenscheinlich verfolgen können; man muss mittendrin stehen, um ein richtiges Urteil zu gewinnen. In der Hoffnung, dass Sie mit ebensolchem Gleichmut in Ihr neues Lebensjahr eintreten wie im vorigen Jahre, grüsst Sie aufs herzlichste Ihre JULIE BEBEL.
Mit herzlichem Gruss und Kuss an Louise. Das war ein Kunststück, die mir von August überlassene Seite zu meinem Vorteil auszunutzen.
2 4 5 . E N G E L S AN J U L I E B E B E L UND
BEBEL
London, den 29. November 1892.
Original. Liebe Frau Bebel!
Von all den vielen Briefen, die ich zu meinem Geburtstag erhalten, drängt es mich, den Ihrigen zuerst zu beantworten. Meinen aufrichtigsten Dank! Ich habe den Tag in der Tat „im besten Wohlsein" verbracht; denn wenn ich auch noch immer nicht ganz Herr meiner Bewegungen bin und weniger marschieren darf, als ich wohl möchte, so fühle ich mich doch recht robust, und die Leute sagen alle, ich sähe sehr gut aus. Wir haben diesmal aus dem Geburtstag eine englische Maifeier gemacht, d.h. wir haben ihn vom Montag auf den vorhergehenden Sonntag verlegt; Louise meinte, da ich doch einmal dabei kneipen müsse, so sei ein Tag genug und zwei Tage zuviel. Wir hatten das Haus recht voll, unser Afrikaner Sam Moore,1 dann Bax, Avelings, Bernsteins, Mottelers, der Russe Wolchowsky,2 zwei Arbeiter aus dem Verein, das waren sie, glaube ich, alle; nein, da hätte ich ja beinah die kleine Inka vergessen, die sich in Berlin recht rundlich herausgefüttert hat, was ihr sehr nett steht —, jetzt habe ich doch einen handgreiflichen Beweis, dass man in Berlin gelernt hat, sich satt zu essen, da soll mir noch einer kommen und vom hungrigen Berlin sprechen! 1 Samuel Moore (1830-1912), Fabrikant in Manchester, dann Richter in Afrika; er war ein intimer Freund von Marx und Engels und übersetzte das Kommunistische Manifest und den I. Band des Kapital ins Englische. 2 Felix W. Wolchowsky (1846-1914), russischer Revolutionär, Narodnik, war 1890 aus der Verbannung in Sibirien entflohen.
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Wir hatten noch einen kleinen Vorrat von getrocknetem Waldmeister, und da haben Louise und ich mit Hilfe von Moselwein, Rotwein und Champagner eine Maibowle zurechtgebraut, wie sie besser um diese neblige Jahreszeit nicht gebraut und schwerlich gedacht werden kann. Da allerseits eine gute Grundlage mit kalter Küche gelegt war, wurde selbiger Bowle auch recht tapfer zugesprochen, nicht am mindesten von Ihrem ergebenen Diener, dem Referenten, und, ganz unter uns gesagt, hatten einige Herren und auch — ich hätte bald was gesagt, aber ich schweige noch rechtzeitig — einen recht gelungenen kleinen Spitz. Julius war äusserst aufgelegt, sang verschiedene Lieder und erzählte lustige Geschichten, obwohl er nach seiner hartnäckigen Gewohnheit nur Wasser und Kaffee kneipte; kurz wir waren sehr lustig bis über die Mitternacht hinaus, und das will bei den Londoner Entfernungen und bei der Einstellung aller Eisenbahn- und Omnibusfahrten nach elf Uhr abends am Sonntage immer was heissen. Und so konnte ich mich mit dem beruhigenden Bewusstsein schlafen legen, dass ich in würdiger Weise in mein dreiundsiebzigstes Jahr hereingeraten war. Hoffentlich erlaubt mir meine Gesundheit aber, es im nächsten Jahr noch besser zu machen. Dann fällt mein Geburtstag auf einen Dienstag, und da können wir wieder am Sonntag anfangen; ich möchte dann aber auch gleich durchkneipen bis Dienstag abend. Den Kommers in Berlin3 hätte ich auch gern mitgemacht, nach dem, was Inka erzählt, wie sie Sie und Bebel nicht hat erreichen können im Gedränge, muss es kolossal voll gewesen sein. Nun, so was bekomme ich auch wohl noch einmal zu sehen, ist's nicht dieses Jahr, so ist's das nächste, d.h. wenn Sie herkommen uns abholen; nachdem die kleine Fischer bei Ihnen solche Seelenverwandtschaft mit meiner guten lieben Lenchen entdeckt hat, kann ich mich mit doppeltem Vertrauen unter Ihren Schutz stellen. Da August Ihnen nur eine schmale Seite zur Verfügung gelassen, kehre ich die Sache um, und er kriegt jetzt von mir nur die eine. Mit herzlichem Gruss Ihr F . ENGELS.
'
Am 17. November zur Begrüssung der Parteitagsdelegierten.
Lieber August!
London, den 29. November 1892.
Herzlichen Dank für Deine freundlichen Wünsche; es ist alles gut und ohne Nachwehen irgendwelcher Art überstanden worden, und hätte ich nicht übel Lust, gleich morgen noch einmal einen Geburtstag zu feiern; aber ich stehe unter viel zu guter Kontrolle, als dass 627
mir solch ein Exzess gestattet würde! Die preussische Polizei ist Dir rein gar nichts gegen eine solche medizinische Hexe. Nun, ich denke immer, wer weiss, wozu's gut ist, und mit welchen Sünden ich diese gewissenhafte Überwachung verdient habe; ich habe nun einmal einen solchen dummen Aberglauben an eine „ausgleichende Gerechtigkeit", und so trinke ich Mineralwasser und Limonade und tue Busse für besagte Sünden, von denen ich nicht weiss, ob ich sie eigentlich begangen habe. Über Politik das nächste Mal, in ein paar Tagen, ich muss aber machen, dass ich mit dem III. Band fertig werde. In Frankreich sieht's ganz merkwürdig gewitterhaft aus, c'est le commencement de la fin! Es kommen wieder Zeiten, wo die Franzosen ihre guten Eigenschaften zu zeigen Gelegenheit finden. Herzliche Grösse Dein F. E. Schönen Dank auch für die hübsche Klebekruste, sie wird beim III. Band gleich in Dienst genommen.
2 4 6 . E N G E L S UND L O U I S E K A U T S K Y AN
BEBEL
London, den 3. Dezember 1892.
Original. Lieber August!
Was Du mir am 22. [November] wegen Eurer Abneigung gegen weitere Verstaatlichung der Parteipresse mitgeteilt, hat mich sehr gefreut. Über den Punkt wäre also kein Wort zu verlieren. Was die Maifeier angeht, so gebe ich Euch ja vollkommen recht von wegen des Berliner Beschlusses. Aber es bleibt doch dabei, dass Ihr in Brüssel den allgemeinen Eindruck hinterlassen habt, Ihr würdet am 1. Mai in Zukunft auch feiern und nicht Zuflucht suchen hinter der ganz ausnahmsweise gestatteten Erlaubnis, dies nicht zu tun. Ihr dürft Euch also nicht wundern über das Hallo, das der Berliner Beschluss angestiftet hat. Aber mit Eurer Absicht, in Zukunft den Sonntag als Feiertag kongresslich feststellen zu lassen, dürfte es doch hapern. Mit Ausnahme der Engländer werden alle dagegen sein, und manche der Kleinen aus blosser Renommage. Es wäre ein arger Rückzug, den die am wenigsten offiziell mitproklamieren würden, die sich im stillen vorbehalten, ihn selbst zu machen, ob er proklamiert werde oder nicht. Da bekomme ich gestern abend einen Brandbrief von Bonnier1 1 Einen nicht vorhandenen Brief P. Lafargues, der sich ebenfalls über Bebel entrüstet hatte, beantwortete Engels am 5. Dezember mit sehr entschiedenen
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(andere Briefe schreibt er überhaupt nicht), worin er, nach Lektüre Deines Artikels in der N[euen] Z[eit], 2 mir im Namen der Franzosen erklärt: würde der erste Maisonntag angenommen, so würden sie die ganze Maigeschichte fallen lassen: jamais notre parti n'acceptera (le dimanche) et nous sommes bien décidés à tenir ferme. Und er glaubt, Ihr spielt mit dem Feuer. Ich schreibe ihm 1) seine Suppen würden nie so heiss gegessen, wie sie gekocht, 2) wer ihn autorisiere, im Namen der französischen] Partei zu sprechen, 3) bis Mai [18] 93, von da bis August [18] 93 in Zürich und von da bis Mai [18]94 könne viel Unerwartetes passieren, mit drei akuten hereinbrechenden politischen Krisen (Militär in Deutschland, Panama in Frankreich, Irland in England) und der allgemeinen industriellen Krise hätten wir wohl Besseres zu tun als uns zu zanken, wie zu demonstrieren sei am 1. Mai [18]94, wo wir vielleicht ganz andere Arbeit zu besorgen hätten; 4) wie sich das mit der französischen Logik reime, dass er den Engländern, aber nur ihnen erlauben wolle, am Sonntag zu feiern; 5) dass ich nur eine Partei kenne, die den Deutschen Vorwürfe zu machen berechtigt sei: die österreichische —, die Berliner Maifeiern wögen reichlich die Pariser auf, und 6) ich hätte Dir sein Ultimatum mitgeteilt, aber bloss als seine Privatmeinung.3 Der Mensch ist von einem ununterdrückbaren Tatendrang beseelt, aber dann soll er nicht nach Oxford gehen, wo er ganz allein sitzt mit dem roten Wolff,4 der aus allem heraus ist. Die Idee, die europäische Arbeiterbewegung zu dirigieren von Oxford aus — dem einzigen Stück wirklichen Mittelalters, das es noch in Europa gibt — ist unbezahlbar; aber uns macht sie rasend nutzlose Arbeit, und ich werde in Paris entschieden Protest einlegen gegen diese Mittelsperson. Das grösste Pech dabei ist, dass er der einzige ist, der deutsch kann, ausser Laura [Lafargue], und die wohnt ausser der Stadt. Im übrigen ist der Parteitag ja ganz gut verlaufen; es muss doch
Ausführungen über Bonmers Brief, „qui fourmille d'invections contre Bebel"; er schloss mit den Worten: „Assez. Si dans tout cela il ne s'agissait pas de détruire de faux jugements sur l'homme le plus clairvoyant, le plus sensé, le plus énergique du parti allemand, je ne vous aurais pas écrit si longuement..." 2 über die Maifeier, S. Brief Nr. 244. 8 Konzept des Briefes an Bonnier, o.D., im Nachlass; Bonniers Antwort an Engels 10. Dezember 1892. 4 Ferdinand Wolff lebte als Lehrer in Oxford; er war Mitglied des Kommunistenbundes und Redakteur der Neuen Rheinischen Zeitung sowie als Emigrant in Paris und London zeitweise Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung gewesen; er stand mit Engels im Briefwechsel.
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bitter für Vollmar gewesen sein, die Resolution zu unterschreiben, trotzdem sie verschiedenen Blödsinn enthält.5 Ede war hier und hatte allerlei Briefe von K[arl] K[autsky], der mir auch schrieb, alles wegen der N[euen] Z[eit]," ich sollte auch meinen Senf dazu geben. Meine Ansicht ist, dass, wenn Ihr die von Dietz vorgeschlagene Änderung akzeptiert, Ihr dies ordentlich überlegen und vorbereiten und mit Januar ins Werk setzen solltet; sonst wird's ganz übereilt. Im allgemeinen aber scheint mir, dass die N[eue] Z[eit], seit sie wöchentlich ist, den alten Charakter teilweise aufgegeben hat für einen neuen, den sie nicht recht hat durchführen können. Sie ist jetzt für ein doppeltes Publikum geschrieben und kann keinem ganz gerecht werden. Soll sie eine populäre, halb politische, halb literarisch-künstlerische, halb wissenschaftliche Zeitschrift werden ä la Nation, dann muss sie nach Berlin. Die Politik einer Wochenschrift muss am Zentrum, den Abend vor dem Druck, gemacht werden, sonst kommt sie immer zu spät. Und die am politischen Teil Mitarbeitenden müssen alle am selben Ort sein, ausser den Korrespondenten. Der Plan einer in Berlin und London zu redigierenden und in Stuttgart zu druckenden Rundschau scheint mir unmöglich. Jedenfalls würde zwischen einer Berliner und einer Stuttgarter Wochenschrift ein Abonnenten-Unterschied von zwanzig bis dreissig Prozent sein. Ich urteile vom rein buchhändlerischen Standpunkt, die anderen dabei zu erwägenden Gesichtspunkte kenne ich nicht oder nur ganz oberflächlich, das müsst ihr drüben besser wissen. Wird aber die N[eue] Z[eit] so verändert, so wendet sie sich nur an einen Teil ihres bisherigen Publikums und muss sich ganz für diesen einrichten. Dann wird sie unmöglich für die Artikel, die ihr bisher den grössten und dauerndsten Wert gegeben, für die längeren wissenschaftlichen, die durch drei bis sechs Nummern gehen. Dann also müsste eine vorwiegend wissenschaftliche Monatsschrift — im Notfall selbst Vierteljahrsschrift — an ihre Seite treten, die dann auch einen entsprechend geringeren Abonnentenkreis hätte und diesen durch höheren Preis aufwöge, so dass sie sich doch halten könnte. Es scheint mir überhaupt nötig, dass, wenn die Parteiverleger mehr und mehr den ganzen, auch wissenschaftlichen Parteiverlag an sich ziehen wollen, dass nicht alles auf den Massenvertrieb berechnet wird, ob es dafür passt oder nicht. Ökonomische wirkliche Leistungen S. Brief Nr. 239; Nr. 243, Anm. 8. ' Da die Auflage der Neuen Zeit in den letzten Monaten zurückgegangen war, wollte man sie durch die Einführung eines künstlerischen Teiles und einer politischen Rundschau „leichter" halten. Kautsky an Engels 26. November, 19. Dezember, Engels an Kautsky 4. Dezember 1892.
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müssen zunächst Detailuntersuchungen sein, und dafür ist auf Massenabsatz nicht zu rechnen. Auch wirkliche historische Arbeiten, die Resultate selbständiger Forschungen sind, passen nicht zur Ausgabe in Lieferungen. Kurz, ich meine, es müsse eine Teilung eintreten in zwei Departements, das eine für Massenbetrieb, das andere für langsameren, ordinären Buchhändlerabsatz in geringeren Massen und zu entsprechend höherem Preise. Wie es geht, wenn man den Massenabsatz über die durch die Sache gebotenen Grenzen hinaus forcieren will, davon ist mir selbst ein Exempel passiert. Mein „Anti-Dühring" ist zwar so populär wie irgend möglich geschrieben, ist aber darum doch kein Buch für jeden Arbeiter. Nun übernimmt Dietz einen Teil der Züricher Auflage7 und sucht den Verkauf dadurch zu forcieren, dass er das Ding im Ramsch mit elf Krethi und Plethi zu herabgesetztem Preis verkauft. Das ist mir keineswegs angenehm, und ich werde mich in Zukunft vorsehen. Es ist das einzige grössere Buch, das ich seit 1845 geschrieben, und es ist immer eine Degradation, wenn dies in dieser Weise behandelt wird. Du brauchst hiervon übrigens Dietz gegenüber nichts zu erwähnen, die Sache ist einmal passiert und nicht zu ändern, und auch Dir gegenüber hätte ich es nicht erwähnt, läge hier nicht ein treffendes Exempel vor von der unrichtigen buchhändlerischen Betriebsweise, auf die ich hinweisen möchte. Im übrigen werden die Zeiten kritisch. Wenn ich des Morgens die Daily News und die etwa eingegangenen französischen Blätter lese, so bin ich wieder ganz Anno 1847. Damals erwartete man auch jeden Morgen eine neue Skandalenthüllung und wurde selten getäuscht. Die Panama-Geschichte schlägt alles, was an Korruption sowohl unter Louis Philipp wie unter Bonaparte III. geschehen.8 Dreiundachtzig Millionen Franken sind an Gründungskosten inkl. Presse und Parlament ausgegeben worden. Dies bricht der Bourgeoisrepublik den Hals; denn die Radikalen sitzen ebenso tief in der Sauce wie die Opportunisten. Man sucht natürlich allerseits zu vertuschen, aber je mehr man vertuscht, desto schlimmer wird's. Nachdem die Enthüllungen einmal angefangen und einige schon unrettbar in den Skandal Am 22. April 1891 teilte Motteier, da die Geschäftsbücher vernichtet werden sollten, Engels die Auflagen seiner Schriften mit. Danach erschien die 2. Auflage „Dühring" (2. Dezember 1885) in 2.275 Exemplaren. Die erste Auflage (Leipzig, 1877), betrug nach Mottelers Angabe 1.200 Exemplare. 8 Ende 1892 wurde eine grosse Anzahl von Abgeordneten beschuldigt, dass sie sich habe bestechen lassen, der schon seit 1888 bankerotten Panama-Gesellschaft weitere Anleihen zu gestatten. Die Leiter der Gesellschaft wurden 1893 wegen Betrugs verurteilt. Freycinet, Rouvier und Clemenceau mussten sich für längere Zeit aus dem parlamentarischen Leben zurückziehen. 7
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verwickelt, müssen diese sich decken, indem sie ihre Spiessgesellen verraten und beweisen, dass sie nur mit dem Strom geschwommen sind. Schon jetzt hat die Kommission so kolossal kompromittierende Aussagen erhalten, dass kein Halten mehr ist; einige mögen durchschlüpfen, aber eine Masse sind schon namentlich bezeichnet und dann, je weniger Namen kompromittiert werden, desto mehr bleibt kleben an der bürgerlichen Republik. Es mag da noch allerhand dazwischenkommen, aber es ist der Anfang des Endes. Glücklicherweise sind alle monarchischen Parteien vollkommen abgewirtschaftet und ein zweiter Boulanger nicht so leicht zu finden. Ich lege Dir Auszug eines Briefes von Laf[argue] für Vorwärts bei — sorge aber dafür, dass nicht die geringste Andeutung ins Blatt kommt, dass der Brief von einem Deputierten ist.9 Was L[ie]bk[necht] bei Bismarcks Emser Fälschung ganz übersehen: so etwas tun die Diplomaten im stillen, aber sie rühmen sich nicht damit. Wenn aber einer sich damit rühmt, so ist das ein solcher Etikettenbruch, dass er sich dadurch unmöglich macht. Herr Bismarck kann hiernach nie wieder zum Reichskanzler ernannt werden, ohne dass jede fremde Regierung sich weigern kann, mit einem Mann in Verhandlung zu treten, der solcher Mittel sich nicht nur nicht schämt, sondern sogar sich ihrer rühmt. Die Reichsregierung riskierte, einen allgemeinen internationalen Boykott gegen sich heraufzubeschwören, falls Bismarck wieder Kanzler würde. Ich glaube, es wäre sehr nützlich, wenn das von der Tribüne des Reichstages gesagt würde. Viele Grüsse an Deine Frau. Dein F. E. • Der Bericht „Man schreibt uns aus Paris über den Panama-Skandal" in Nr. 286, 6. Dezember.
Lieber Augustl Mein Geschick scheint zu sein, dass mir jetzt immer der Raum zubemessen wird, weil ich einmal über die Schnur gehauen und geleitartikelt; ich sehe lieber Deinen letzten Brief nicht an, sondern das hübsche Tintenfass, das auf gute lustige Gedanken einladet und welches eingeweiht wurde mit Druckbogen zweiter Band „Kapital". Herzlichen Dank dafür, wie lieb Ihr beide seid; jetzt soll ich wahrscheinlich installiert loslegen, und wenn man's tut, bekommt man Schelte. Na, ich wollte das eigentlich nicht schreiben, sondern nur konstatieren, dass ich diese Woche nicht einmal dazu gekommen bin, zu schreiben; ach, es kam soviel dazwischen, Glasarbeiter, Verkehrs632
arbeiter, Reumann,10 Victor, ArbeitslosenVersammlung und zum Schluss die Juden. Bitte, August, sie erhalten den Vorwärts nicht, willst Du mal nachfragen? Dann habe ich Dich früher einmal um noch einen Vora>är£s-Kongressbericht ersucht, aber wahrscheinlich hast Du's übersehen; wenn es irgend möglich, zwei, wenn nicht, einen; ich bitte um den Bericht über den Parteitag, nicht um Euren an den Parteitag. Victor hat es bei Euch gut gefallen, er schrieb, es kam ihm vor, als wenn die armen Österreicher in Kälte und Wetter Vorposten stehen, bei Euch ist trotz des Kampfes und der Kämpfe ein warmes Heerlager.11 Dann noch eines, ich hab noch zwei englische Berichte über den Internationalen Glasarbeiterkongress12 zu vergeben, willst Du einen? Er ist sehr interessant, aber Du musst darüber ein paar Zeilen schreiben, damit man gerechtfertigt ist, und ein Belegexemplar schicken; und bitte, frage Fischer, vielleicht schreibt er etwas für ein bayerisches Blatt, dann schicke ich ihm den zweiten. Ich würde sie ja ohne alle Reserve schicken, aber ich bin dafür verantwortlich, weil die Engländer die ganzen Kosten tragen; also sei so freundlich und teile mir mit. Ich muss schliessen, nächstens mehr; aber es ist Postzeit, ich muss schliessen. Mit herzlichen Küssen Dir und Julie die
HEXE.
[Von Engels' Hand:] Bitte sage der Fraktion meinen aufrichtigsten Dank für ihr freundliches Telegramm vorigen Sonntag!13
Jakob Reumann, Sekretär in der Parteileitung der österreichischen Sozialdemokratie, Abgeordneter, Redakteur der Arbeiter-Zeitung, 1918 der erste sozialdemokratische Bürgermeister von Wien; er vertrat seine Partei wiederholt auf deutschen Parteitagen und internationalen Kongressen. 11 Der Brief ist nicht bekannt. 12 Der Kongress tagte vom 5.-9. Juli 1892 in London; Deutschland war durch drei Delegierte vertreten. Der Bericht The Fourth Report of the International Union of Glas-Workers and Report of the Third International Congress erschien London 1892, 139 S. 1J Das Telegramm der Fraktion vom 27. November 1892 lautete: „Ihrem unermüdlichen Vorkämpfer gratuliert herzlichst zu seinem 72. Geburtstag die sozialdemokratische Fraktion des Deutschen Reichstages. Im Auftrag Bebel, Meister, Singer." 10
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2 4 7 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 5. Dezember 1892
Original. Lieber General!
Du schreibst von unserer Abneigung gegen weitere Verstaatlichung der Parteipresse. Erlaube mir, mit zwei Worten zu bemerken, dass wir ausser dem Vorw[ärts] nicht ein Blatt verstaatlicht haben; selbst das [Hamburger] Echo, das ja eigentlich in unseren Händen ist, ist so frei wie irgendein Blatt. Über die Maifeier streite ich mich nicht mehr. Ich bin mir vollkommen bewusst, was wir getan haben; auch die Inkonsequenz gegen Brüssel nehme ich auf meine Kappe. In Zür[ich] wird sich's darum handeln, einmal klarzustellen, was die ganze Maifeier bedeutet und bedeuten kann. Darüber hat man sich, und wir haben auch unser Teil Schuld daran, bisher zu wenig unterhalten, und das muss nachgeholt werden. Kann man sich über diese Bedeutung nicht verständigen, dann hebt man entweder die ganze Maifeier auf oder man lässt jede Nation handeln, wie sie mag. Dass die kleinen Raubstaaten, wie Holland und Rumänien, am radikalsten tun, ist selbstverständlich. In der Frage muss endlich einmal ein fester Boden geschaffen werden. Bonnier hat mir neulich schon einen impertinenten Brief geschrieben, aber da ich in solchen Fällen wie Bismarck denke, ä corsaire corsaire et demi, habe ich ihm mit doppeltem Trumpf geantwortet.1 Es ist sehr gut, was Du ihm schreiben willst. Wenn man nur endlich einmal in Frankreich sich die Phrase abgewöhnen könnte. Die N[eue] Z[eit] soll von der politischen Ubersicht verschont bleiben, dagegen will man mehr Abwechslung hineinbringen. Wenn sich nur D[ie]tz nicht auf den unglücklichen Roman verbissen hätte, der, wie er meint, nicht fehlen darf bei Strafe des Unterganges des Blattes. Nun ist aber auch sehr schwer mit ihm reden. Er leidet an Nervosität und Melancholie und ist heute nach Wörrishofen zu Pfarrer Kneipp. Unter den Soz[ial]demokraten gibt es die tollsten Käuze. Da taucht kein Heilsystem auf, ohne dass es bei uns sofort zahlreiche Gläubige findet. In der Fraktion gibt es auch solche Kunden, die den nassen Strumpf am liebsten zum Parteibanner machten. Auer gehörte früher auch zu ihnen, aber nachdem ihn ein solcher parteigenössischer Kurpfuscher bald einmal zu Tode kurierte, ist er von seiner Liebhaberei geheilt und spottet jetzt am meisten darüber. Dass Dietz mit dem „Anti-Dühring" verfuhr, wie Du geschildert, 1
S. Brief Nr. 2 4 3 .
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wundert mich eigentlich; denn er ist sonst ein guter Geschäftsmann und weiss, was er tun muss. Die Pariser Vorgänge verfolge auch ich mit lebhaftem Interesse; das schlimme bei der Sache ist nur, dass ich in Frankreich gar niemand sehe, der die neue Rolle übernehmen soll. Alle Bourgeoisparteien wirtschaften ab, und eine sozialdemokratische Partei ist noch nicht vorhanden, d.h. nicht von genügender Stärke. Der Gesetzentwurf Lafargues für den landwirtschaftlichen Kredit ist ein mehr als zweischneidiges Ding.2 Auf solche Experimente — auch wenn sie angenommen würden — lassen wir uns nicht ein. Ich glaube, wenn wir etwas Ähnliches verlangten, das Ding hätte Aussicht, mit einigen Modifikationen angenommen zu werden. Ist's denn wahr, dass L[afargue] vorgeschlagen hat, eine Steuer denjenigen Unternehmern aufzulegen, die ausländische Arbeiter beschäftigen? 3 In der deutschen Presse stand dergleichen, aber Sicheres habe ich nicht erfahren können. Im Reichstag spitzt sich die Militärvorlage zu einem Kompromiss zu, der in der Kommission zum Austrag kommt. Du erinnerst Dich, dass ich schon dies Frühjahr sagte, dass es zu keiner Auflösung kommen werde. Man müsste in der Tat verrückt sein. Die stenographischen Berichte über die beiden ersten Verhandlungstage der Etatberatung sandte ich Euch gestern. Der dritte folgt, ebenso der Bericht über die lex Heinze. Die Zeitungsberichte lassen einen mal wieder rechten Blödsinn sprechen. L[ie]bk[necht] hätte die Anwesenheit B[ismarck]s im Reichstag fordern müssen.4 Erfolg hat das allerdings nicht, aber es wirkt nach 2
Der 10. Kongress des Parti Ouvrier Français zu Marseille hatte ein Agrarprogramm — „De la propagande et de l'organisation du Parti dans les campagnes" — beschlossen, dessen Art. 4 die Zuteilung von Land an landarme Bauernfamilien und Art. 6 die Anschaffung von landwirtschaftlichen Maschinen durch die Gemeinde vorsah, die sie den Kleinbauern zur Verfügung stellen sollte. Protokoll, Lille [1892], S. 34ff. Das Programm wurde auf dem 12. Kongress in Nantes 1894 ergänzt und von Paul Lafargue erläutert; „Programme Agricole du Parti Ouvrier Français, commenté par P.L." Lille [1894], Der Vorwärts brachte das Programm deutsch u.d.T. „Das ländliche Agitationsprogramm der französischen Genossen" in Nr. 243, 244, 18., 19. Oktober 1894. 3 Sein Vorschlag war, die Arbeitgeber zu verpflichten, ausländischen Arbeitern denselben Lohn wie den französischen zu zahlen. In einem Interview, das er der Petite République Française gab, abgedruckt im Socialiste Nr. 112, 14. November, sagte er: „La seule manière possible, aujourd'hui, d'empêcher l'importation d'ouvriers étrangers est celle que j'ai proposée: c'est à dire de frapper à la caisse des patrons et de les obliger à payer aux ouvriers étrangers le même salaire qu'aux ouvriers français, car du jour où les patrons n'auront plus un intérêt pécunier à employer les ouvriers étrangers, ils ne les embaucheront plus." 1 Er hatte schon im Vorwärts Nr. 276, 24. November erklärt, nachdem Caprivi
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aussen. Möglich, dass bei der Militärdebatte noch einmal die Emser Depesche eine Rolle spielt; dann werde ich auch darauf eingehen und dann den von Dir gegebenen Wink beachten. Die Stimmung ist eine ausserordentlich trübe, die Verhältnisse werden mit jedem Tage schlechter, nach Neujahr wird's Massenbankerotte setzen wie noch nie. Wir werden auch zur Arbeitslosenfrage Stellung nehmen müssen, die Scharen der Müssigen werden immer grösser, und die Not wird immer schlimmer. Herzlichen Gruss von Julie und Deinem AUGUST.
2 4 8 . J U L I E B E B E L AN ENGELS
[Berlin,] den 6. Dezember 1892.
Original. Lieber Herr Engels!
Erschrecken Sie nicht ob meiner so schnellen Antwort, es soll gewiss keine Herausforderung sein, sondern ich bin zufrieden mit Ihrem liebenswürdigen Briefe, der mich, wie immer ein solcher von Ihnen, herzlich erfreut hat. Aber ich muss mich entschuldigen, dass ich mich von August leimen liess, wo ich noch dazu den richtigen Tag im Gedächtnis behalten und ihm gesagt hatte. So geht es einem, wenn man blindlings dem starken Geschlechte folgt; ich werde mich wohl in Zukunft auf eigene Füsse stellen müssen, ebenso wie ich mich von seinem Terrorismus befreie, der mir angibt, wieviel ich zu schreiben habe; eben mache ich den Anfang, und gleich wird er kommen und ganz erstaunt sein über meinen Ubergriff. Aber man kann nicht gescheit genug werden in der Welt, und wenn man auch alt wird dabei. Aber gefreut habe ich mich, dass Sie so vergnügt in Ihr neues Lebensjahr getreten sind und Ihre Genesung im stetigen Fortschreiten begriffen ist. Wir werden dann wohl das Vergnügen haben, nächstes Jahr Ihnen zu Ehren einen Kommers veranstalten zu können, der dem des Parteitages in nichts nachstehen wird, wenn die Leute erfahren, wer in ihrer Mitte weilt, ja, die Begeisterung würde eine viel grössere sein; aber vorläufig wollen wir nichts verraten. Ebenso lassen Sie den kühnen Plan des Durchkneipens für nächstes Jahr fallen, man darf die Emser Depesche besprochen habe, sei es für Bismarck gebieterische Notwendigkeit, im Reichstag zu erscheinen und bei der Debatte Rede und Antwort zu stehen. Bismarck war 1891-93 nationalliberaler Reichstagsabgeordneter für den 19. hannoverschen Wahlkreis Geestemünde-Neuhaus a.d.O.
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auch nicht zu übermütig werden; ich hoffe, dass da Louise ihr stärkstes Veto einlegt und die Feierei nur etappenmässig vor sich gehen lässt. Doch, wenn Sie so sehr für das Kneipen eingenommen sind, finden Sie hier die schönste Gelegenheit dazu; die Lokale, immer eines schöner als das andere, und Bowlen von allen Geschmäckern und Dimensionen; na, Sie werden Ihr blaues Wunder schauen, aber von da ab nehme ich meine Verantwortlichkeit für Sie zurück oder — am Ende mache ich selbst mit. Wir lassen uns dann die schönsten Plätzchen von August zeigen, die er kürzlich bei Ronacher ausfindig gemacht hat zum Gaudium der anderen. Ich war freilich nicht dabei, sondern hübsch sittsam im neuen Frauen-Bildungsverein, den August verbrochen hat. Also hebe ich mir den Genuss des neuen Babel auf, bis Sie es mit sehen werden; denn jetzt wird Sie es erst recht interessieren, da es August in seiner letzten Rede so schön geschildert.1 Im übrigen wird Ihnen die kleine Frau Heymann schon den Mund wässerig machen. Doch ich muss August Gerechtigkeit widerfahren lassen; nun ich so viel Raum zur Verfügung habe, gerate ich ins Schwatzen, und will ich eiligst schliessen, um so mehr auch Louise noch eine Epistel erhalten soll. Wandern Sie Ihr 73. recht vergnügt und gesund durch; denn das wird dem dritten Band am meisten zugute kommen, und seien Sie aufs herzlichste begrüsst von Ihrer Sie hochverehrenden JULIE BEBEL. In seiner Rede in der Reichstagssitzung am 3. Dezember bei der Beratung der lex Heinze, s. den folgenden Brief. 1
2 4 9 . ENGELS AN B E B E L
London, den 22. Dezember 1892.
Original. Lieber August!
Neulich hatten wir das Vergnügen, den Cato Censorius Bonnier auf der Durchreise von Oxford nach Paris hier zu sehen. Ich glaube, einigen Eindruck auf ihn gemacht zu haben, indem ich ihm auseinandersetzte, dass 1) seine Ultimatums-Manier wenig geeignet ist zur gegenseitigen Verständigung, und 2) dass es doch besser wäre, wenn die deutsche Partei ihre Kasse und ihren Kredit für eine mögliche Auflösung und Neuwahl zusammenhält, statt beides für eine MaiArbeitsruhe zu verpulvern. Der Mann ist ein Pech für Franzosen wie Deutsche, insofern er ein unumgänglicher Vermittler zwischen beiden 637
ist und Guesde sich nun einmal nur seiner zu bedienen gewillt scheint. Aber sein in die Einsamkeit und Tatlosigkeit von Oxford gedrängter Enthusiasmus nebst riesigem Tatendrang sind mehr geeignet, Krakeel hervorzurufen als Zusammenwirken. Und in der heutigen europäischen Lage ist gerade das einmütige Zusammenwirken von Deutschen und Franzosen eine Notwendigkeit ersten Ranges. Vielen Dank für die Reichstagsstenogramme! Deine grosse Militärrede kann ich erst heute abend lesen, die über die lex Heinze 1 hat mir sehr gefallen. Solange Prostitution nicht ganz abschaffbar, ist nach meiner Ansicht vollständige Befreiung der Mädel von aller Ausnahmegesetzgebung für uns erstes Gebot. Hier in England existiert dies wenigstens annähernd; es gibt keine „Sittenpolizei", keine Kontrolle oder ärztliche Untersuchung, aber die Macht der Polizei ist immer noch übergross, weil es gesetzlich strafbar ist, a disorderly house zu halten, und jedes Haus, wo ein Mädel wohnt und Besucher empfängt, als solch ein Haus behandelt werden kann. Dies wird jedoch nur ausnahmsweise angewandt, und trotzdem sind die Mädel immer argen Erpressungen der Polizisten ausgesetzt. Diese relative Freiheit von degradierenden Polizeifesseln erlaubt den Mädeln, sich im ganzen einen selbständigen und selbstachtenden Charakter zu bewahren, wie dies auf dem Kontinent kaum möglich. Sie sehen ihre Lage als ein unvermeidliches Unglück an, das ihnen nun einmal zugestossen und worin sie sich zu finden haben, aber das sonst ihren Charakter und ihr Ehrgefühl durchaus nicht zu affizieren braucht, und wenn sie Gelegenheit finden, aus ihrem Geschäft herauszukommen, greifen sie zu, und meist mit Erfolg. In Manchester gab es ganze Kolonien junger Leute — Bourgeois oder Kommis —, die mit solchen Mädeln lebten, und viele waren legitim mit ihnen verheiratet und vertrugen sich mindestens ebenso gut wie Bourgeois mit Bourgeoisen. Dass hier und da einmal eine an den Trunk geraten war, unterschied Die lex Heinze, so genannt nach einem grossen gegen den Zuhälter Heinze geführten Mordprozess, sah eine Ergänzung und Verschärfung der Strafvorschriften über Kuppelei, Zuhälterwesen und Verbreitung unzüchtiger Schriften (§§ 180-184 StrGB) vor. Der 1891-92 dem Reichstag vorgelegte Entwurf blieb unerledigt; Ende 1892 wurde er wieder eingebracht, aber kam nicht über die Kommissionsberatung hinaus. In den Jahren 1897 und 1898-99 wurde der Entwurf wiederum beraten und als Novelle zum Reichsstrafgesetzbuch am 25. Juni 1900 beschlossen, nachdem mehrere die künstlerische und literarische Freiheit beschränkende Anträge der Konservativen und des Zentrums nach heftigen Kämpfen abgelehnt waren. S. Das Buch von der Lex Heinze. Ein Kulturdokument aus dem Anfange des zwanzigsten Jahrhunderts, hrsg. von Otto Falckenberg (Leipzig, 1900); M. Schippel, Sozialdemokratisches Reichstagshandhuch, S. 633. — Bebel hatte in der Reichstagssitzung am 13. Dezember über die Militärvorlage gesprochen. 1
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sie in keiner Weise von den Bourgeoisen, die das auch sehr gut hierzulande verstehen. Einzelne so verheiratete Mädel, nach anderen Städten verzogen, wo sie keine „alten Bekannten" zu treffen befürchteten, sind denn auch in die respektable Bürgerwelt und selbst unter die Squires — die hiesigen Landjunker — eingeführt worden, ohne dass jemand das geringste Anstössige an ihnen bemerkt hat. Nach meiner Meinung haben wir von allen Dingen, bei Behandlung dieses Gegenstandes, die Interessen der Mädel selbst, als Schlachtopfer der heutigen Gesellschaftsordnung, ins Auge zu fassen und sie vor dem Verlumpen möglichst zu schützen — wenigstens nicht durch Gesetze und Polizeischweinereien sie direkt zur Verlumpung zu zwingen, wie das auf dem ganzen Kontinent geschieht. Hier hat man's in einigen Garnisonstädten auch versucht und die Kontrolle und ärztliche Untersuchung eingeführt, aber es hat nicht lange gedauert; es war das einzige Gute, was die social purity-Leute getan haben, dagegen zu agitieren. Die ärztliche Untersuchung ist rein für die Katz. Wo sie hier eingeführt wurde, nahm die Syphilis und Gonorrhöe zu. Ich bin überzeugt, die Instrumente der Polizeiärzte sind bei Übertragung von Geschlechtskrankheiten sehr wirksam, zur Desinfektion nehmen sie sich schwerlich die Zeit und Mühe. Man soll den Mädeln gratis Kurse über Geschlechtskrankheiten zugänglich machen, da werden sich die meisten schon selbst in acht nehmen. Blaschko 2 hat uns einen Aufsatz zugeschickt über die ärztliche Kontrolle und muss auch zugeben, dass sie absolut wertlos ist; wenn er konsequent schlösse aus seinen eigenen Voraussetzungen, müsste er auf absolute Freigebung der Prostitution und Schutz der Mädel gegen Ausbeutung schliessen, aber das scheint in Deutschland rein utopistisch. Ich hoffe, Dietz bekommt seine Kneippkur gut, wenigstens behauptet Naso,3 der verrückte Pfaffe habe ihn rasend gesund gemacht. Soviel ich von dieser Kur gehört, mag sie allerdings Leuten, die in ihrem städtischen Geschäftsroutine-Leben etwas eingefroren und verknöchert sind, durch totale Änderung der Lebensweise und Zwang zur Bewegung in freier Luft manches nützen können — je nach der Natur des Falles auch schaden — ganz wie bei den „Badekuren", wo auch nicht das Mineralwasser meist das Beste tut, sondern die Änderung der eingerosteten Lebensweise und die strenge Diät. Aber sonst hast Du recht, es gibt unter unseren Leuten die Menge, die es für Pflicht halten, jeden beliebigen, neuaufkommenden „ismus" brünstig 2 Dr. Alfred Blaschko war Arzt, später Professor in Berlin; er war mit Bernstein befreundet und Mitarbeiter der Neuen Zeit. Hier handelt es sich um seinen Aufsatz „Die moderne Prostitution", ebd., Jahrg. X (1892), Bd. II, S. 10ff., 164ff. 3 Es ist nicht festzustellen, wer gemeint ist.
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ans Herz zu schliessen — ganz wie jeden malkontenten bürgerlichen und bürokratischen Querulanten und jedes verkannte dichterische und künstlerische Genie. Es tut eben so wohl, wenn man sich als Schützer aller Verfolgten und Verunrechteten aufspielen und in jedem „ismus" eine von der bösen kapitalistischen Weltordnung unterdrückte, welterlösende Lehre entdecken kann. Es ist das ein ausgezeichnetes Mittel, gerade das zu verwerten und an den Mann zu bringen, was man nicht gelernt hat. Was hat nicht schon der Volksstaat seligen Angedenkens auf dem Gebiet geleistet! Die Panama-Geschichte wird täglich schöner. Die Sache nimmt ganz den dramatisch zugespitzten Verlauf wie so oft in Frankreich. Alle Augenblicke sieht's so aus, als sollten die Bemühungen gelingen, die Sache im Sand versiegen zu machen — da sprudelt's an einer unerwarteten Stelle wieder hervor, stärker als je, und jetzt steht's so, dass kein Vertuschen mehr hilft. Erst sollte die Sache durch das Gericht vertuscht werden, da zwangen neue Enthüllungen zur Ernennung der Untersuchungskommission; dann sollte diese lahmgelegt werden; und der Versuch gelang nur halb und nur dadurch, dass man eine zweite, ernstlichere Gerichtsprozedur einleitete. Und jetzt regnet's neue Enthüllungen und Verfolgungen von Deputierten und Senatoren. Der Ball ist im Rollen und noch lange nicht unten angekommen. Hinter den Kulissen steht 1) Constans, der weiss, dass er ausgespielt hat und sich rächen will, 2) Rochefort 4 und die Boulangisten, die auch vieles wissen, 3) die Orleans, die die ganze Komödie ausnutzen wollen zu einem Restaurationsversuch. Alle diese Leute wissen viel und haben für das meiste die Beweisstücke. Und wenn alle Stricke reissen, dann wird Ch. de Lesseps und Rouvier sich rächen, indem sie möglichst viele hineinreiten und verwickeln in ihren Fall. Das Wort der Situation hat Rothschild 5 gesprochen: Ich brauche die Monarchie, die kaufe ich mir ein für allemal; die Republik ist mir zu kostspielig, da muss ich alle paar Jahre eine neue hungrige Bande kaufen. Was gäbe jetzt der Esel Boulanger dafür, wenn er sich nicht erschossen hätte! Dem sein Weizen blühte jetzt, und es sollte mich nicht wundern, wenn man versuchte, einen zweiten Boulanger zu finden. Glücklicherweise ist das nicht so leicht. Auch die Monarchie hat kein Glück; die Rechte hat wie ein Mann für die Panama-Lotterie geHenri Rochefort (1831-1913) schloss sich nach zwanzigjähriger Betätigung als Radikaler (La Lanterne, La Marseillaise, L'Intransigeant) 1887 Boulanger an; wegen Hochverrats verurteilt, floh er 1889 nach England und kehrte erst auf Grund der Amnestie 1895 nach Paris zurück. 5 Alphonse Rothschild (1827-1905) beherrschte lange den französischen Finanzmarkt; u.a. garantierte er die Zahlung der von Bismarck geforderten Kriegsentschädigung von fünf Milliarden Francs.
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stimmt und, was schlimmer, auf dem Lande Propaganda dafür gemacht und die Spiesser und Bauern hineingeritten. Die siebzehnhundert Millionen] Franken, die da verschlungen worden, sind zum allergrössten Teil solche Ersparnisse kleiner Leute gewesen (über achthunderttausend sollen drin sitzen!), daher der gewaltige Zorn, und die Rechte (Klerikale, Monarchisten), die zuerst den PanamaSkandal bejubelt, zieht sich jetzt scheu zurück. Wie das enden wird, ist klar: schliesslich für uns. Aber die Zwischenstufen sind in dem unberechenbaren Frankreich schwer vorherzuraten. Jedenfalls werden noch verschiedene kommen, ehe unsere Leute ganz in den Vordergrund treten. Nur wenn Paris eine Revolution machte, kämen die Sozialisten dran; denn in Paris wird, wie die Kommune, jede Revolution ganz von selbst sozialistisch. Aber Paris ist weniger aufgeregt als die Provinz, und das ist gut. Paris ist blasiert, und nicht zum mindesten, weil die Arbeiter, uneinig, unklar und patriotisch, (insofern als sie fühlen, dass Paris nicht mehr politisches Weltzentrum,, was sie als ein Unrecht empfinden) keinen Ausweg sehen. Wenn die Skandäler weitergehen, kann es eine Präsidentschaftskrisis geben — Carnot ist wenigstens als Mitwisser verwickelt in viele Schweinereien — und jedenfalls im nächsten Jahr Neuwahl der Kammer. Dazu Neuwahl vieler Stadträte in Paris. Hier sind also der gesetzlichen Auswege mehr als genug. Andrerseits schützt die Ungewissheit über die Verlässlichkeit der Armee (bei der die allgemeine Wehrpflicht noch neu und nicht so eingerostet wie in Preussen) vor Staatsstreich, wie die Waffenlosigkeit der Massen (die diesmal bei keiner Nationalgarde sich wie sonst immer Flinten und Patronen holen können) vor Aufstandsversuchen, und so ist das wahrscheinlichste, dass die Krisis friedlich verläuft. Das brauchen wir aber, damit wir Zeit bekommen, die Panama-Ernte einzuheimsen: Ruhe vor gewaltsamen Eingriffen und Zeit, damit der Gärungsstoff das ganze Land ergreift. In der Provinz sind die Marxisten so gut wie ohne Konkurrenz; in Paris ist es ganz gut vorderhand, wenn Blanquisten, Allemanisten, Broussisten sich gegenseitig abarbeiten. Jedenfalls wird Frankreichs innere Entwicklung jetzt wieder von hervorragender Wichtigkeit, und es wird sich nun bald zeigen, inwieweit die Leute den Aufgaben gewachsen sind, die ihnen erwachsen. Ich muss sagen, ich habe für solche grosse Krisen viel Vertrauen in sie. Nicht dass sie gleich und eklatant siegen — es kann noch momentane eklige Reaktionsepisoden dazwischen geben —, aber dass sie schliesslich mit Ehren herauskommen. Zu rasch darf es auch schon unsertwegen nicht gehen. Auch wir brauchen noch Zeit zur Entwicklung. Ganz unter uns. Ich bin mit dem dritten Band über den Berg. Die
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Schwierigkeiten im schwierigsten Abschnitt sind überwunden. Aber bevor ich nicht die beiden letzten Abschnitte durchgemacht, kann ich nichts Bestimmtes über Zeit der Fertigstellung sagen. Es können sich noch immer Einzelschwierigkeiten ergeben, die Zeit kosten. Aber ich sehe Land, das Schlimmste, Zeitraubendste ist überwunden; fertig werde ich diesmal. Wenn Du herkommst, zeig ich's Dir. Du tust jedenfalls besser, über Calais zu kommen, von Stuttgart ist's kaum weiter, vielleicht gar etwas näher als über Ostende. — Herzliche Grüsse an Dich, Deine Frau und Kinder und vergnügte Feiertage! Auf Wiedersehen Dein F. E.
250. BEBEL AN
Original.
ENGELS
St. Gallen, den 27. Dezember 1892. Lieber General!
Deine Briefe erhielt ich. Dass Du die Sache an K[arl] K[autsky] vergassest, ist noch kein Zeichen von Vergesslichkeit, dergleichen passiert noch Jüngeren, als Du bist. Musst nur auch nicht gar zu eitel sein und unfehlbar sein wollen. Ich habe K[autsky] den Brief geschickt, und werde ich Montag nachmittag bei ihm in Stuttgart das Manuskript in Empfang nehmen. 1 Von Dietz bekam ich eben Brief, er war zwei Tage zu Hause, unsere Züge sausten oberhalb Ulm am Freitagnachmittag aneinander vorbei. Der Arzt hat ihn erneut untersucht und ihm noch drei Monate Aufenthalt diktiert, nachher soll er ein Jahr mit halber Dampfkraft arbeiten. Ich habe immer das Gefühl, als habe er schon zu lange gewartet, und als sei er nicht mehr herzustellen. Es soll mir lieb sein, wenn ich mich täusche; denn als Geschäftsmann in der Partei ist Dietz unersetzbar. Hier war's die Feiertage sehr gemütlich; das Nest mit seinen alten Häusern, die vielfach interessante Fassaden und noch interessantere 1
Engels hatte seinen Brief an Kautsky vom 24. Dezember irrtümlich an Bebel geschickt; dieser leitete ihn an Kautsky weiter mit einem Begleitschreiben vom 26. Dezember, Brief Nr. 133 des Briefwechsels Fr. Engels' mit K. Kautsky. Das erwähnte Manuskript war das Marx-Manuskript, das später teilweise als „Theorien über den Mehrwert" veröffentlicht wurde, und das Engels für die Fertigstellung des III. Bandes des Kapital benötigte.
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Erker haben, macht im Winter einen sehr heimlichen Eindruck. Aber ein merkwürdig gedrücktes Proletariat wohnt hier. Die Leute sind von einer unglaublichen Devotion, unter diesen sucht man die Republikaner mit freiem Blick und steifem Nacken vergeblich. In Zürich sind die Arbeiter Helden gegen hier. Donnerstag habe ich in Z[ürich] zu reden.2 Die Entwicklung der Dinge in Frankreich verfolge ich mit grossem Interesse; ich sehe aber, soweit ich mich anstrenge, keinen halbwegs befriedigenden Ausgang. Mir macht Frankreich immer den Eindruck eines Landes, dessen Grösse in der Vergangenheit liegt; es hat den Höhepunkt seiner Bedeutung überschritten. Und wenn ich nun im neuesten Vorw[ärts] lese,3 wie man da angeblich bereit ist, morgen auf die Strasse zu steigen — natürlich mit noch grösserem Misserfolg wie früher —, und wie der Alte gleich darauf hineinspringt und auch anfängt, zu hoffen und zu prophezeien, dann muss ich lachen. Einen ganz kläglichen Eindruck macht die Haltung unserer Leute in der französischen Kammer, richtiger gesagt: sie macht gar keinen Eindruck; denn man hört und sieht von ihnen nichts. Wie sie während dieser ganzen Affäre sich halten, als existierten sie gar nicht, das versteht man bei uns nicht. Unsere Leute schütteln die Köpfe und fragen, was denn das sei. Spielten wir in einer solchen Situation eine ähnliche Rolle, es bräche ein Sturm der Entrüstung gegen uns aus; ich glaube, wir müssten unsere Mandate niederlegen. Was soll bei solcher Impotenz der Führer die Partei leisten? Wenn Bonnier der spiritus rector für Guesde etc. in bezug auf deutsche Verhältnisse ist, können wir uns gratulieren. Ich kenne B[onnier] nicht näher, aber sein Kopf ist der Kopf von Leuten, die querköpfige Ideen haben, hartnäckig an vorgefassten Meinungen festhalten und querulieren. Er ist ganz der Mann, um Zwietracht zu stiften, weil wir nicht so tanzen, wie er pfeift. Ich bin sehr neugierig, wie die Österreicher am 6. Januar über die 2 Bebel sprach am 29. Dezember im Züricher „Kasino" in einer Massenversammlung. Unsere wirtschaftliche und politische Lage .. . (Zürich, 1893), 47 S. In der Diskussion traten ihm nur deutsche Unabhängige entgegen, Baginski, Köster und Landauer. Die Schweizer Otto Lang, Greulich und Seidel erklärten sich nachdrücklich für Bebel und meinten, die Schweiz sei nicht der Boden, um Differenzen der deutschen Partei auszutragen. Bericht im Vorwärts, Nr. 2, 3. Januar 1893. s Nach der Verhaftung Andrieux', der rechten Hand von Constans, hiess es in Nr. 303, 25. Dezember: „Es weht Konventsluft in der französischen Kammer — und auch ein Pariser Blatt vergleicht gleich uns die neuliche Sitzung mit der denkwürdigen Szene im Konvent — der Verhaftung Dantons." Es wurde dabei ein französisches Flugblatt zitiert: „Arbeiter, . . . eure Stunde ist gekommen . . . Nieder mit der Bourgeoisie, Platz der Arbeit!"
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Maifeier beschliessen;4 mein Artikel ist speziell auf sie berechnet, er soll nächste Woche erscheinen.5 Alles Weitere mündlich. Ich fahre den 2. Januar ab und komme den 3. abends 7 Uhr 15 in London auf Char[ing] Cross an, ich schrieb das schon unserer Hexe. Ich fahre über Calais, der Nachtzug, den ich benutze, hat keinen Anschluss in Ostende. Ich freue mich sehr, Dich wiederzusehen. Dass Du so fleissig am „Kapital" arbeiten kannst, ist famos. Auf das glückliche Gelingen müssen wir schon eine Flasche vom besten stechen, den Du im Keller hast. Die Hexe hat verraten, dass sie wieder etwelche gute Sorten unterbrachte. Macht Dir die Kälte Beschwerde oder hast Du solche zu befürchten, dann bitte komme nicht an den Bahnhof; es ist auch kein Vergnügen, wenn Du wieder so lange warten müsstest wie vor zwei Jahren. Ich finde mich schon ohne Deine Führerschaft zurecht, so angenehm mir sie ist. Herzlichen Gruss von uns allen. Tritt das neue Jahr recht vergnügt an. Dein AUGUST. Eine Konferenz der Vertrauensmänner der Landesorganisationen beschloss am 6. Januar in Wien, die Maifeier im Jahre 1893 ebenso zu feiern wie in den früheren Jahren. Es hiess dabei: „Die Beschlüsse der deutschen Parteigenossen sind für uns nicht massgebend, da die politischen Verhältnisse Österreichs von denen Deutschlands total verschieden sind." Arbeiter-Zeitung, Nr. 2, 13. Januar 1893. 5 „Die Maifeier und ihre Bedeutung", s. Brief Nr. 244. Die Arbeiter-Zeitung druckte den Aufsatz nach in Nr. 1, 6. Januar 1893. Adler verstand Bebels Berechnung, s. seine Antwort an Bebel 5. Januar 1893. 4
2 5 1 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 15. Januar 1893.
Original. Lieber General!
Dass ich, abgesehen von einem Anfall von Seekrankheit, der rasch überwunden wurde, glücklich heimkam, wirst Du von Louise erfahren haben. Hier gab's nun gleich Arbeit in Hülle und Fülle, und diese wird für die nächsten Monate fortdauern. Man sollte an zehn Enden zugleich anfangen. Leid war mir, dass ich die Rede Caprivis in der Militärkommission nicht hörte. Sie war nach dem, was man mir darüber mitteilte, ein Triumph unserer Anschauungen über die auswärtige 644
Politik, namentlich Russland gegenüber.1 Ich liess mir denn auch die Gelegenheit nicht entgehen, dies in der nächsten Sitzung der Kommission mit Nachdruck hervorzuheben, bei welcher Gelegenheit ich mich dann weiter auf diesem Gebiete verbreitete. Caprivi antwortete mir mit ungemeiner Lebhaftigkeit, er war offenbar von meinen Ausführungen frappiert. Nach der Sitzung machte mir Herr v. Massow2 das etwas zweideutige Kompliment, ich hätte geradezu brillant für die Vorlage gesprochen. Ich antwortete ihm: Ihr Konservativen sucht Euch natürlich die Brocken aus der Suppe, die Euch schmecken, aber wenn Ihr die ganze Suppe essen solltet, würde sie Euch übel bekommen. Er lachte. Fortsetzung folgt morgen früh. Die Notstandsdebatte3 war eine famose Agitation für uns. Drei Tage über eine Interpellation Debatte, das ist noch nicht dagewesen. L[ie]bk[necht] sprach am wenigsten gut, Auer sehr viel besser, am besten Dreesbach, der einen guten Abschluss herbeiführte. L[ie]bk[necht] machte den Fehler, dass er einmal wieder gänzlich die Tatsachen ausser acht liess; Auer leistete darin mehr, machte aber kleine Fehler, indem er die Führer der Bergarbeiter in ungeschickter Weise angriff und sich zuviel im Vergleich zum eigentlichen Gegenstand der Debatte (Notstand) über den Streik verbreitete. Dreesbach wusste dieses zu vermeiden und trumpfte mit Auer gut aus. Die eigentlichen Kosten der Debatte trägt Herr v. Stumm,5 der schliesslich noch in einer persönlichen Bemerkung gegen mich arg hereinfiel und die Lacher gegen sich hatte. Es sind kaum jemals in einer Debatte soviel gute und schlechte In der ersten Sitzung der Militärkommission am 11. Januar behandelte er die militärische, politische und finanzielle Lage Frankreichs und Russlands sowie die Aussichten Deutschlands in einem ihm aufgezwungenen Kriege und schilderte die Lage Deutschlands so, dass es notwendig sei, die militärischen Kräfte im Sinne der Militärvorlage zu stärken. 8 Adolf von Massow (geb. 1837), Rittergutsbesitzer, seit 1881 deutsch-konservativer Reichstagsabgeordneter für den Wahlkreis Bütow (Pommem). ' Am 12., 13. und 14. Januar behandelte der Reichstag die sozialdemokratische Interpellation: „Welche Massregeln haben die verbündeten Regierungen ergriffen oder gedenken sie zu ergreifen, um dem notorisch vorhandenen Notstand entgegenzuwirken, welcher infolge andauernder Arbeitslosigkeit, vielfach vorgenommener Herabsetzung der Arbeitslöhne sowie der allgemein gedrückten Erwerbsverhältnisse in den weitesten Volkskreisen herrscht?" 4 Liebknecht begründete die Interpellation in der Sitzung am 12., Auer sprach am 13. und Dreesbach am 14. Januar. 8 Er hielt es für wünschenswert, die Sozialdemokratie mit allen vorhandenen Mitteln zu bekämpfen. Die Behandlung der Verhältnisse im Saargebiet in dieser Debatte hatte die scharfe Verfolgung der Mitglieder des Rechtsschutzvereins zur Folge. In ihr zeigte sich ein unmittelbarer Einfluss von Stumms auf Wilhelm II. S. F. Hellwig, Carl Freiherr von Stumm-Halberg, S. 495f. 1
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Witze von unserer Seite den gegnerischen Rednern durch Zwischenrufe zugerufen worden, wie diesmal. Wir hatten alle Ursache, in vorzüglicher Stimmung zu sein. Die Berichte geben kein Bild von dem wirklichen Gang der Debatte. Ich werde Euch die Stenograph [ischen] Berichte senden und empfehle Dir besonders die Reden der Gegner: Stumm, Hitze, Kanitz, Möller, Pfähler, Kardorff.6 Du wirst finden, dass man uns jetzt provoziert, mit unseren Zukunftsplänen herauszurücken, und anfängt, eine Art Kritik zu üben, die bisher selten war. Darauf muss nun bei passender Gelegenheit einmal sehr gründlich geantwortet werden. Es ist das Vorspiel zu der Art des Wahlkampfes, wie man ihn nächstens zu führen gedenkt. Leider zeigt sich einmal wieder die ganze Unzulänglichkeit der Kräfte im Vorwärts. Während wir Notstand debattieren, finden im preuss [ischen] Abgeordnetenhaus die wichtigsten Debatten über den Etat und namentlich über das Wahlrecht statt, und der Vorw[ärts] hat darüber nicht einen Artikel.7 Ich brachte das heute im Vorstand zur Sprache und schlug vor, Mehring als ausserhalb der Redaktion stehenden Leitartikelschreiber zu engagieren; er ist die einzige, mir bekannte brauchbare Person, die über interne preussische Verhältnisse genau informiert ist. Aber da kam ich schön an. Singer verhielt sich ganz passiv, als sei ihm der Mund abhanden gekommen, und Auer und Fischer liessen ihrem Groll gegen den Alten ungezügelten Lauf und handelten nach dem Grundsatz: Geschieht meinem Vater schon recht, dass ich mir die Finger erfriere, warum kauft er mir keine Handschuhe. Weil der Vorwfärts] nicht das ist, was sie meinen, dass er sein soll, und der Alte das Hindernis bildet, wollen sie auch keine Verbesserung. Ich * Hitze vertrat die Zentrumsfraktion, Kardorff und von Stumm die der Reichspartei, Kanitz war deutsch-konservativer, Möller und Pfähler waren nationalliberale Abgeordnete. 7 Das preussische Abgeordnetenhaus beriet am 13. und 14. Januar einen Wahlgesetzentwurf, der folgende Änderung des Dreiklassenwahlrechts brachte: „§ 1. Für die Wahlen zum Hause der Abgeordneten werden die Urwähler nach Massgabe der von ihnen zu entrichtenden direkten Staats-, Gemeinde-, Kreis-, Bezirksund Provinzialsteuern in drei Abteilungen geteilt, und zwar in der Art, dass von der Gesamtsumme der Steuerbeträge aller Urwähler V12 auf die erste Abteilung, 4 /ia auf die zweite Abteilung und V 1 2 auf die dritte Abteilung entfallen. § 2. W o direkte Gemeindesteuern' nicht erhoben werden, treten an deren Stelle die vom Staat veranlagte Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer." In der Begründung der Regierungsvorlage wurde an einigen Wahlbezirken gezeigt, welche Verbesserung diese Änderung bringe. So entfielen bisher im Wahlkreis Berlin II von 100 Wählern 1,59 auf die erste, 7,13 auf die zweite, 91,28 auf die dritte Klasse; nach der Vorlage: 2,31 auf die erste, 11,35 auf die zweite, 86,34 auf die dritte Klasse. Die Vorlage wurde einer Kommission überwiesen.
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werde aber von neuem losbohren; denn so geht es nicht weiter. Zunäohst will ich abwarten, dass Schoenl[ank] zurück ist, der noch diesen Monat eintreffen soll, dann werden wir weiter sehen. Dietz schreibt mir heute aus Wörrishofen, will, da er sich besser fühlt, schon Ende dieses Monats heim. Die reine Unvernunft. Werde ihm das auch schreiben. In Frankreich vollzieht sich offenbar die Konzentration nach rechts. Das ist der natürliche Gang. Machen unsere Leute und die Radikalen gegenteilige Anstrengungen erheblicher Art, so werden sie diesen Prozess nur beschleunigen. Das ist gerade nicht sehr hoffnungsvoll für uns. Bitte grüsse Louise herzlich von mir, ich werde ihr morgen schreiben, sie wird meinen ersten Brief von hier gestern erhalten haben. Julie ist wieder munter hier angekommen und hat den Ärger der Erbschaftsregulierung glücklich abgeschüttelt. Es gibt kein gemeineres Institut wie die Erbschaft. Julie lässt Dich und Louise herzlich grüssen, und ihr schliesst sich an Dein AUGUST. 2 5 2 . B E B E L AN E N G E L S
[Berlin,] den 23. Januar 1893.1
Original. Lieber General!
Anbei unser Schreiben für die Schotten,2 das ich Dich oder Louise bitte, übersetzen zu wollen und es weiter an seine Adresse zu befördern. Da Du den Namen des Ortes, an dem getagt wird, nicht nanntest, konnte ich einen solchen nicht angeben. Heute sandte ich Dir weiter zwei stenographische Berichte. Singer sprach sehr gut. Wir hatten überhaupt bisher Glück mit unseren Rednern, bis zum Sonnabend,3 worüber ich gestern schon an Louise schrieb. Im Original: 1892. Das Schreiben ist nicht bekannt. s Wurm sprach in der Sitzung am 16. Januar über die Abänderung des Gesetzes über die Versteuerung des Branntweins vom 24. Juni 1867; Singer am 19. Januar über die Novelle zum Börsensteuergesetz, die eine Verdoppelung der Stempelgebühr für Kauf- und Anschaffungsgeschäfte vorsah; Tutzauer und Stadthagen am 21. Januar über die Vorlage betr. Abzahlungsgeschäfte, die dem Käufer das Recht gab, bei Rücktritt des Verkäufers vom Vertrage wegen Nichterfüllung der dem Käufer obliegenden Verpflichtungen gegen Rückgabe der Sachen die Zurückgewährung der Teilzahlungen zu fordern; der Verkäufer habe ausser Ersatz für die Beschädigung nur eine angemessene Vergütung für die Nutzung zu verlangen. 1
2
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Hast Du meinen neulichen Brief erhalten? Du erwähnst kein Wort davon, deshalb frage ich an. Die Situation ist eine ganz merkwürdige. Unsere Reden finden eine Resonanz wie früher nie; selbst im Hause schenkt man ihnen jetzt allgemein eine Aufmerksamkeit, die früher nur ausnahmsweise vorhanden war. Sie fühlen alle, dass da eine Macht vorhanden ist, mit der sie rechnen müssen, und sie rechnen bereits mit ihr, allerdings im stillen. Man gesteht sich bereits ganz heimlich ein und unter vier Augen, dass man mit seinem Latein zu Ende ist und die Sintflut kommt. Gestern abend erzählte in einer Gesellschaft, in der wir waren, eine Dame, wie sie vor ein paar Tagen Unter den Linden einigen bekannten Damen begegnete, die laut und eingehend von der kommenden Revolution sprachen. Das war der Appell zu allerlei Anfragen an mich, und ich sprach mich sehr ungeniert aus, nicht ahnend, dass in der Gesellschaft mir fast vis ä vis am Tisch ein preussischer Landrichter und, durch die Dame des Hauses von mir getrennt, ein nat[ional]lib[eraler] Justizrat sass, der viel in Regierungskreisen verkehrt. Ich dachte nachher: na, auch gut, die werden schön weitererzählen. Die Hoffestlichkeiten für die bevorstehende Hochzeit 4 und Kaisers Geburtstag rauben Reichskanzler und Minister die Zeit, und so haben wir sehr dünn unsere Kommissionssitzungen. Schade, dass Du nicht Mitglied der Kommission für die lex Heinze 5 bist, das wäre etwas für Dich. Als kürzlich der Präsident des Reichsjustizamts meinte: es sei nun einmal notwendig, dass Orte bestünden, wo die Prostitution sich betätigen könne, erinnerte Munkel6 — natürlich privatim — daran, dass unter Hinkeldey,7 wo noch keine Pissoirs etc. bestanden, auch das Verunreinigen der Strassen streng verboten war, der Berliner Witz folgendes Sprüchlein dichtete: Ach lieber Herr v. Hinkeldey Gib uns doch einen Winkel frei, Damit nicht unsere Pinkelei So vogelfrei wie Kinkel sei. Es kamen noch andere Sachen vor, aber die vertraue ich dem Papier nicht an. — .—. — . — . Der Prinzessin Margarete, Wilhelm II. Schwester, mit dem Prinzen Friedrich Karl von Hessen. 5 Die vom Reichstag eingesetzte VIII. Kommission zur Beratung der lex Heinze hielt im Januar mehrere Sitzungen ab. 6 C. A. Munkel (geb. 1837), Rechtsanwalt in Berlin, seit 1881 deutsch-freisinniger Abgeordneter des Reichstages. 7 K. L. Fr. von Hinkeldey (1805-1856) war während der Revolutionszeit 1848 Berliner Polizeipräsident. 4
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Lass mir nur Louise damit in Ruhe. — Bradford war gut, 8 es geht nunmehr doch auch in England vorwärts. Der Beifall, den Ede über die Verteidigung der deutschen Partei erhielt,9 bewies aber auch, dass der internationale Gedanke auch in England weiter ist, als gemeiniglich angenommen wird und auf den Kongressen bisher zum Ausdruck kam. Das ist ein erheblicher Fortschritt. In Italien ist ja nunmehr der Skandal mit der Banca romana zu vollem Ausbruch gekommen. Da wird Dein römischer Professor (Lfabriola]) 1 0 sich wohl zufrieden geben. Mittwoch wieder Arbeitslosen-Versammlungen. Aus der Kälte sind wir noch immer nicht heraus, hatten heute vormittag wieder fünfzehn Grad Celsius und gestern vielfach starken Schneefall. Wir beide grüssen Dich herzlich, bitte grüsse auch herzlich unsere liebe Louise. Dein AUGUST.
Den Brief von Zür[ich] schicke ich später, wenn er geschickt werden muss.
Auf der Konferenz von Bradford am 13. und 14. Januar wurde die Independent Labour Party gegründet. S. H. Pelling, The Origins of the Labour Party, S. 121ff. • Auf Angriffe Ben Tilletts, der die Vorzüge der englischen Trade Unions gegenüber den europäischen Sozialisten rühmte, „who did not shout for blood-red revolution* and when it came to revolution, sneaked under the nearest bed", Pelling, a.a.O., S. 124, antwortete Bernstein unter lebhaftem Beifall. E r „erzählte von den opferreichen Kämpfen der deutschen Arbeiterklasse, gab eine Liste der hunderte von Gefängnisstrafen, die über deutsche Sozialdemokraten verhängt wurden, und stellte die Frage, ob man nach alledem die Behauptung aufstellen dürfe, die deutschen Sozialdemokraten hätten sich hinter dem Ofen verkrochen?" M. Beer, Geschichte des Sozialismus in England, S. 471. 10 Antonio Labriola (1843-1904) war seit 1874 Professor der Philosophie in Rom; Verfasser mehrerer Werke über den historischen Materialismus. Über den erwähnten Skandal s. Labriola an Engels 14. August 1891; er wurde im Dezember aufgedeckt und bestand darin, dass die Bank 133 statt der zugestandenen 70 Millionen Kredite gegeben hatte. Hundertundfünfzig Abgeordnete und Senatoren wurden der Annahme von Bestechungsgeldem bezichtigt. 8
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2 5 3 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 24. Januar 1893.
Original. Lieber August!
Ich fahre fort.1 Aus Avelings mündlichen Erzählungen wird mir ein bereits früher gehegter Verdacht bestärkt, nämlich dass K[eir] Hardie den stillen Wunsch hegt, die neue Partei in der Weise diktatorisch zu leiten, wie Parnell die Irländer leitete, und dass dabei seine Sympathien sich mehr der konservativen als der liberalen Gegenpartei zuneigen. Er spricht öffentlich davon, dass man bei der nächsten Wahl das Experiment Parnells, wodurch er Gladstone zum Umbiegen gebracht, wiederholen und da, wo kein Arbeiterkandidat aufgestellt werden könne, für die Konservativen stimmen müsse, um den Liberalen die Macht zu zeigen. Nun ist das eine Politik, die ich unter Umständen selbst von den Engländern verlangt habe, aber wenn man so etwas von vornherein nicht als möglichen taktischen Schritt, sondern als unter allen Umständen zu befolgende Taktik vorausproklamiert, so riecht das stark nach Champion; besonders wenn K[eir] H[ardie] gleichzeitig von Ausdehnung des Wahlrechts und den anderen Reformen, die das Arbeiterwahlrecht hier erst zur Wirklichkeit machen sollen, mit Verachtung als untergeordneten, bloss politischen Dingen spricht, die hinter die sozialen Forderungen, acht Stunden, Arbeiterschutz etc. zurückzutreten haben. Wobei er dann nicht sagt, wie er die sozialen Forderungen, auf deren Erzwingung durch Arbeitervertreter er also verzichtet, anders als durch Gnade der Bourgeois resp. durch indirekten Druck der ausschlaggebenden Arbeiterstimmen bei den Wahlen durchsetzen will. Ich mache Dich auf diesen dunklen Punkt aufmerksam, damit Du eventualiter informiert bist. Vorderhand lege ich der Sache keine übergrosse Wichtigkeit bei, da K[eir] Hfardie] sich im schlimmsten Fall stark verrechnen dürfte an den Arbeitern der nordenglischen Fabrikbezirke, die keine Schafherde sind, und da er schon in der Exekutive hinreichenden Widerstand finden würde. Aber man muss eine solche Strömung nicht total ignorieren. Auf das Stenogramm von Singers Börsenrede bin ich sehr begierig, sie las sich im Vorwärts2 ganz vorzüglich. Ein Punkt aber wird von allen unseren Leuten bei dem Thema leicht vernachlässigt: die Börse ist ein Institut, wo die Bourgeois nicht die Arbeiter, sondern sich untereinander ausbeuten; der Mehrwert, der an der Börse die Hände Der Brief, den Engels hier fortsetzt, ist nicht vorhanden. Der Vorwärts berichtete ausführlich über Singers Rede über die Novelle zum Börsensteuergesetz in Nr. 17, 20. Januar.
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wechselt, ist bereits vorhandener Mehrwert, Produkt vergangener Arbeiterausbeutung. Erst wenn diese vollendet, kann er dem Börsenschwindel dienen. Die Börse interessiert uns zunächst nur indirekt, wie auch ihr Einfluss, ihre Rückwirkung auf die kapitalistische Arbeiter-Exploitation nur ein indirekter, auf Umwegen erfolgender ist. Zu verlangen, dass die Arbeiter sich direkt interessieren und entrüsten sollen für die Schinderei, die den Junkern, Fabrikanten und Kleinbürgern an der Börse passiert, heisst verlangen, die Arbeiter sollen die Waffen ergreifen, um ihre eigenen direkten Ausbeuter im Besitz des denselben Arbeitern abgezwackten Mehrwertes zu schützen. Wir danken schönstens. Aber als edelste Frucht der Bourgeoisgesellschaft, als Herd der äussersten Korruption, als Treibhaus der Panama- und anderen Skandäler — und daher auch als ausgezeichnetstes Mittel zur Konzentration der Kapitale, zur Zersetzung und Auflösung der letzten Reste von naturwüchsigem Zusammenhang in der bürgerlichen Gesellschaft und gleichzeitig zur Vernichtung, und Verkehrung in ihr Gegenteil, aller obligaten Moralbegriffe — als unvergleichlichstes Zerstörungselement, als mächtigste Beschleunigerin der hereinbrechenden Revolution —, in diesem historischen Sinn interessiert uns die Börse auch direkt. Ich sehe, das Zentrum beantragt Ruhen der Verjährung3 während der Zeit, wo der Reichstag Verfolgungen suspendiert. Da das Zentrum entscheidende Partei, hat der Antrag wohl Aussicht auf Annahme. In diesem Fall wäre es meiner Ansicht nach angemessen, der Regierung diese Beschränkung der Reichstagsrechte nicht ohne Entgelt in den Schoss zu werfen. Der Entgelt müsste dann darin bestehen, dass das Suspensionsrecht des Reichstages auch für Straihaft ausdrücklich anerkannt würde. Sonst wäre es wieder einmal ein Rückzug des Reichstages — mag der Schritt noch soviel juristische Plausibilität für sich haben. Der Kriegswauwau fängt wieder an. Inliegende] Dalziel-Depesche 4 ist aus dem heutigen Daily Chronicle; Dalziel als junger Konkurrent von Reuter, Wolff, Havas ist solchen Reptilmanövern leichter zugänglich. Die Sache selbst ist absurd. Die Russen sind absolut kriegsunfähig, sie müssten rein verrückt sein, jetzt anzufangen. Es wäre ja möglich, dass nach dem Scheitern des letzten Pariser Pumps sie nur Der Antrag Rintelen forderte, dass dem § 69 StrGB als zweiter Absatz beigefügt werde: „Die Verjährung ruht während der Zeit, in welcher auf Grund des Gesetzes eine Strafverfolgung nicht beginnen oder fortgesetzt werden kann. Das Fehlen des in den Strafgesetzen selbst vorgeschriebenen Erfordernisses des Antrages auf Strafverfolgung oder der Ermächtigung zu derselben hindert nicht den Beginn der Verjährung." 4 J. H. Dalziel, englischer Journalist, liberaler Abgeordneter von Kirkcaldy. 3
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dann in Paris Geld erhalten könnten, wenn der Krieg wirklich bevorstände oder schon im Gang wäre — aber das wäre doch die Situation der Verzweiflung. Ganz unmöglich ist es nicht, dass die Opportunisten und Radikalen in Frankreich die Rettung aus dem Panama durch einen Krieg anstreben oder doch als schlimmsten Rettungsfall im Auge behalten. Aber woher den Vorwand nehmen, der sie vor der Welt rechtfertigt? Ich habe schon früher gesagt, im nächsten Krieg spielt England vermöge der Seeherrschaft die entscheidende Rolle. Und England hat den Franzosen gerade jetzt in Ägypten einen schlimmen Streich gespielt.5 Um bei dieser Spannung zwischen beiden Regierungen England zu sich zu ziehen, müsste schon ein dem Philister als sehr starke Provokation erscheinender Kriegsgrund vorliegen, und den liefert Caprivi nicht. Je mehr ich über diesen Punkt Nachrichten sammle, desto mehr fällt mir auf, dass Rismarck die österreichische Allianz resp. den Dreibund nur zu dem Zweck gründete, um am Vorabend des unvermeidlich werdenden Krieges Österreich gegen Frankreich an Russland auszutauschen: ihr überlasst mir Frankreich, ich überlasse euch Österreich und die Türkei und hetze obendrein noch Italien auf Österreich durch Triest und Trient. Und er bildete sich offenbar ein, das würde gelingen. Sieh Dir mal eine Zeitlang die Geschichte seit 1878 an, ich glaube, Du wirst zu meiner Auffassung kommen. Unbegreiflich ist mir im Reichstagsbericht (Vorwärts) vom 21. [Januar] die Abzahlungsrede Tutzauers.6 Der spricht ja nicht als Sozialdemokrat, sondern als Möbelhändler. Wie war das möglich? Die Jungen werden jubeln. Gestern abend war Konzert und Ball von Vereins wegen. Ich war bis elf Uhr da, habe jetzt wohl Ruhe für einige Zeit vor solchen Pflichtakten. Louise musste wegen ihrer Rippen-Neuralgie zu Hause bleiben. Sie ist etwas besser, hat aber noch arge Schmerzen, Freyberger sagt, das würde noch ein paar Tage anhalten. Sonst ist die Erkältung am Schwinden, die Stimme und auch das Allgemeinbefinden besser. Sie schickt Dir und Deiner Frau die herzlichsten Grüsse, denen sich anschliesst Dein F. E. Frankreich stützte Abbas Hilmi II. bei seinen Versuchen, die englische Herrschaft abzuschütteln. Im Januar 1893 konnte Lord Cromer sie festigen und die englische Besatzungsarmee verstärken. 6 Nach dem Bericht in Nr. 19, 22. Januar, erklärte er in seiner Rede am 21. Januar über die Vorlage betr. die Abzahlungsgeschäfte u.a.: „ . . . Die Möbelhändler, zu denen ich selbst gehöre, haben doch das Interesse, mit neuen Möbeln zu handeln; wird die Vorlage Gesetz, dann wird aus jedem Möbelgeschäft eine Trödelbude werden . . ." 5
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254.
BEBEL
AN
ENGELS
Berlin W., den 31. Januar 1893.
Original. Lieber General!
Du wirst meinen Brief nebst der Beilage für Keir Hardie erhalten haben, er musste Donnerstag in Deine Hände gelangen. Nach Deinen Mitteilungen über K[eir] H[ardie] war es mir zweifelhaft, ob da ein solches Schreiben angebracht sei;1 doch das werdet Ihr erwogen und danach gehandelt haben. Diese verwünschten Mogeleien. Es wird noch viel Wasser aus der Themse ins Meer fliessen, bis die englischen Arbeiter klaren Tisch vor sich haben. Wie leicht haben wir es da in Deutschland und Österreich. Singers Börsenrede hatte ich, verhindert durch Kommissionsarbeiten, nicht gehört, und durch Mangel an Zeit habe ich sie auch bis jetzt nicht gelesen. Das Exemplar, das ich als stenographischen Bericht sandte, war mein einziges, ich muss mir ein neues erst fordern. Aus Unterhaltungen, die ich vorher mit ihm und nachher in Gegenwart einiger Kollegen, die ihm opponierten nach seiner Rede, hatte, habe ich den Eindruck, dass er sich etwas auf den kleinbürgerlichen Standpunkt stellte und Massregeln befürwortete, die unausführbar sind und die Natur z.B. der Reportgeschäfte verkennen. Ich las ihm die bezüglichen] Stellen Deines Briefes über die Börse und unsere Stellung zu ihr vor, und er behauptete kaltblütig, genau so habe er gesprochen. Ich wollte ihn nicht kränken in seiner guten Meinung über sich selbst und schwieg. Die Debatten über den Zentrumsantrag waren schon vorbei, als Dein Brief eintraf; Du wirst gefunden haben, dass St[a]dt[hagen] sich in ähnlicher Weise aussprach.2 Aus der kurz skizzierten Rede von mir aus der Milit[är]kommission, die der Vorwfärfs] am Mittwoch brachte,3 wirst Du ersehen haben, 1 S. Brief Nr. 252, Es ist nicht bekannt, ob Engels die Beilage an Keir Hardie weitergab. 2 Stadthagen stützte sich bei der Bekämpfung des Antrages Rintelen auf die bisherige Rechtsprechung des Reichsgerichtes, dass die Verjährung fortlaufe. Er warnte vor der Annahme des Antrages ohne Kompensationen für die durch Art. 31 der Verfassung gewährleistete Immunität, der trotz aller Rechtsprechung des Reichsgerichtes noch immer streitig sei. Ausserdem gebe es keinen Fall, in dem wegen Verjährung ein Abgeordneter straflos geblieben sei. 8 Nach dem Bericht in Nr. 21, 25. Januar führte er bei der Generaldiskussion in der Militärkommission aus: „Unsere Interessen auf dem Balkan seien nahezu die gleichen wie die Österreichs; mit der Okkupation des Balkans durch Russland seien die handelspolitischen Interessen Deutschlands dort tödlich getroffen . . . In gleichem Masse würde die politische und militärische Aggressivkraft Russlands dadurch so gesteigert, dass die Unterjochung ganz Europas unter die russische
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dass wir beide bezüglich Österreichs so ziemlich in dieselbe Kerbe schlugen. Bism[arck] gründete den Dreibund, als er sah, dass mit Russl[and] kein Zusammengehen möglich war. Dass er ihn mit dem Hintergedanken gründete, Österreich] eventuell in Verteidigung seiner Interessen auf dem Balkan, — die nach meiner Ansicht, wie ich auch in jener Rede ausführte, deutsche Interessen sind, — zu opfern, steht auch bei mir fest, und darum hat man Bism[arck] in österrfeioh] nie getraut. Eine andere Frage aber ist, ob Russland auf einen B[ismarck]sehen Plan, wie Du ihn entwickelst und B i s marck] ihn höchstwahrscheinlich hatte, sich einliess. Russl[and] musste alsdann den Kampf mit Österreich, der Türkei, Rumänien, Italien und England aufnehmen, also mit zweifelhaftem Erfolg, währenddem Bismarck die Franzosen so verklopfte, dass sie bündnisunfähig auf lange Zeit wurden. Das letztere kann also Russland nicht zulassen. Deshalb führte ich in meiner ersten Kommissionsrede aus, dass Russland und Frankreich, wenn sie geschickt wären, den Krieg aufnähmen, ohne England, Italien, die Türkei und die Balkanstaaten hineinzuziehen. Die Franzosen brauchten nur zu vermeiden, dass sie belgisches Gebiet beträten, und die Russen müssten tun, als sei ihnen der Balkan ganz gleichgültig, so dass die obengenannten Staaten neutral blieben. Gelänge es alsdann dem Zweibund, den Dreibund zu besiegen, sei Deutschland niedergeworfen, des linken Rheinufers und seiner Ostseeprovinzen ledig, dann falle der Balkan mit Konstantinopel Russland als reife Frucht in den Schoss, es habe mit der Klappe zwei Fliegen zugleich geschlagen. Diese Auseinandersetzungen machten in der Kommission einen solchen Eindruck, dass Capr[ivi] ordentlich warm wurde, aber kein Wort auf diesen Teil meiner Rede erwiderte, sondern nur eine kleine Berichtigung einer von mir bei ihm missverstandenen Äusserung machte.4 Was jetzt bei Ägypten herauskommt, wissen die Götter; gehen Frankreich] und Russland wirklich ernsthaft vor, um die Türkei einzufangen, dann kann das Pulverfass Feuer fangen, dann steht aber England auch auf Seiten des Dreibundes. In der Milit[är]komm[ission] stehen nunmehr die Dinge so, dass, da das Zentrum fest steht, Caprivi nicht mehr als achtundzwanzigMacht nur eine Frage der Zeit sei. . . Es sei bei ihm felsenfeste Überzeugung, dass nie die Lage Europas unbehaglicher gewesen sei als jetzt und wenn auch nicht sofort, doch später zu einem europäischen Kriege treibe, in dem Deutschland um seine Existenz zu kämpfen habe. . ." Dann sprach er ausführlicher über das schweizerische Militärsystem. 4 Er antwortete Bebel, eine Milizarmee sei nie zu einem Offensivkriege zu gebrauchen. Femer seien die Kosten der schweizerischen Milizarmee vergleichsweise höher als die der deutschen Armee. Ebd.
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tausend Mann bekommt, wobei ihm allerdings noch achtzehntausend Ersatzreservisten ä fünf Monate, die bei den geforderten sechzigtausend M[ann] unter die zweijährigen einrückten, zur Verfügung stehen. Dafür verlangen Freisinnige, Zentrum etc. die gesetzliche Feststellung der zweijährigen Dienstzeit, die Caprfivi] um diesen Preis nicht gewähren will. Da beide Parteien bis jetzt fest stehen, liegen die Dinge anscheinend so, dass entweder die Auflösung oder der Rücktritt Caprivis erfolgen muss. Nun haben aber alle Parteien vor der Auflösung eine Heidenangst, und zwar bis tief in die Freisinnige Partei hinein. Man sieht bereits die Revolution im Anzüge oder, um diese zu verhüten, einen europäischen Krieg, und darum lässt sich heute noch gar nicht sagen, was wird. Bleibt das Zentrum fest, d.h. hofft dieses und rechnet es, jetzt lieber die Wahl zu haben als in zwei Jahren, weil jetzt der Erfolg für es noch ein grösserer ist, dann kommt's zur Auflösung; denn an Caprivis Rücktritt glaube ich nicht; er hat den Kaiser und die gesamte Militärpartei hinter sich. Dienstag beginnt die Spezialdebatte, aber damit fällt noch nicht die Entscheidung, da der entscheidende Paragraph, obgleich der erste im Entwurf, in der Spezialberatung ziemlich zuletzt drankommt. Mittlerweile arbeitet die Regierung mit Hochdruck an der „Aufklärung" der öffentlichen Meinung in ihrem Sinne. Wir rechnen im Falle der Auflösung auf gegen fünfzig Sitze im ganzen, die wir, d.h. das Mehr gegen jetzt, den verschiedensten Parteien abnehmen werden. Unsere „Unabhängigen" werden in der Wahlagitation wie weggeblasen sein. Dass Du zu Balle gehst, ist wirklich nett. Schade, dass unsere arme Louise krank ist. Du hättest sonst am Ende mit ihr einen Walzer getanzt. Dass sie eine famose Walzertänzerin ist, habe ich gesehen, als sie im Foyer des Drury Lane, sobald sie die Musik hörte, zu walzen anfing. Wenn sie nur erst wieder soweit wäre, dass sie das aufs neue riskieren könnte. Die Tartarennachricht über Deinen Gesundheitszustand stammt aus unbekannter Quelle; hat man mich in den letzten zwölf Jahren dreimal sterben lassen, musst Du Dir auch gefallen lassen, dass man Dich für schwerkrank erklärt. Das kommt davon, wenn man ein berühmter Mann ist. Heute schreibt mir Dietz, dass er Montag die Kuranstalt verlasse und wieder nach Stuttgart gehe. Da ist halt nichts zu machen. Wir reiten uns jetzt im Parlamentarismus rein zu Tode, zwölfstündiger Normalarbeitstag, das ist etwas lang. In der lex HeinzeKommission versalzen wir der Regierung gründlich die Suppe. Grüsse herzlich unsere liebe Louise, auch Julie lässt Euch beide herzlich grüssen und ebenso Dein AUGUST.
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2 5 5 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 9. Febr[uar] 1893.
Original. Lieber August!
Vor allem meine Gratulation zu Deiner prächtigen Rede vom 3. Febrfuar], die uns schon im Vorwärts-Auszug ungeheuer gefreut hatte, aber im Stenogramm noch besser herauskommt.1 Sie ist ein Meisterstück, woran auch einzelne kleine theoretische Ungenauigkeiten, die im mündlichen Vortrag unvermeidlich sind, nichts ändern. Ihr habt ganz recht, diese Rede in Hunderttausenden von Exemplaren verbreiten zu lassen, auch abgesehen von und neben der Verbreitung der ganzen Debatte im Rroschürenformat.2 Diese Debatte, womit die Herren Bourgeois sich die Langeweile der — durch das Mogeln hinter den Kulissen — öde gewordenen Sitzungen vertreiben und auch bei der Gelegenheit uns schön aufs Glatteis führen wollten, ist ein ganz kolossaler Sieg für uns geworden. Und dass sie das selbst fühlen, zeigt der Umstand, dass sie nach Liebk[necht]s Rede genug haben und dies anzeigen lassen — durch Stoecker!3 Jetzt endlich also merken die Herren, dass es ein Markstein ist zur Bezeichnung eines neuen Sieges der Arbeiterpartei, wenn ein Parlament sich fünf Tage lang mit der gesellschaftlichen Reorganisation in unserem Sinn beschäftigt, und wenn obendrein dies Parlament der deutsche Reichstag ist. Dieser letztere Umstand konstatiert vor aller Welt, vor Freund und Feind, die triumphierende Stellung, die die deutsche Partei sich erobert hat. Wenn das so fortgeht, werden wir bald, ohne eigene Arbeit, allein von der Dummheit unserer Gegner leben können. Es war klar, dass Du die Kosten der Debatte tragen musstest. Soweit ich Frohmes Rede beurteilen kann, hat sie allerdings zu dem Siegesgeschrei der Richter und Bachem und Hitze einigen Vorwand geliefert, und die Geschichte mit dem Thomas von Aquino und AristoBebels Rede bei der zweiten Beratung des Reichsetats für 1 8 9 3 / 9 4 ; Vorwärts, Nr. 30, 4. Februar. Es war die Antwort auf die Aufforderung des Zentrumsabg. Bachem, die Sozialdemokratie möge ihr Programm entwickeln und insbesondere auseinandersetzen, wie sie sich den sozialdemokratischen Zukunftsstaat vorstelle. 2 Bebels Rede wurde in 1,7 Millionen Exemplaren im ganzen Reiche verbreitet. Protokoll Köln, S. 36. Die ganze Debatte wurde veröffentlicht u.d.T. „Der sozialdemokratische ,Zukunftsstaat'. Verhandlungen des Deutschen Reichstages am 31. Januar, 3., 4., 6. und 7. Februar 1893, veröffentlicht nach dem offiziellen stenographischen Bericht" (Berlin, 1893), 127 S. Bebels Rede, S. 4-21. 3 Liebknechts Rede, S. 116-27. Der Abg. Stoecker verzichtete danach auf das Wort und erklärte im Namen der Rechten und des Zentrums, dass sie die Debatte mit jener Rede ausklingen lassen wollten. 1
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teles müsste genau untersucht werden; wenn Hitzes Behauptung richtig, so wäre Frfohme] unfähig zu zitieren, wenn aber nicht, hätte er sich in einer persönlichen Bemerkung rechtfertigen müssen.4 Sonst ist alles schön verlaufen, und auch L[ie]bk[necht]s Schlussrede war, wenn auch inhaltlich nicht bedeutend, doch polemisch gut und „schneidig". Kurz, es ist ein Triumph. Aus Freude darüber hat mich die Hexe gestern Spar-Agnes geschimpft, worauf ich ihr bemerklich machte, dass sie die rechte Strampel-Annie5 sei; letzteres kann mir jeder bezeugen, der sie kennt, sie ist sogar eher schlimmer als jene, sie strampelt nicht mit den Beinen, aber desto mehr mit dem Kopf. Was Du wegen des geschicktesten russischen Plans für einen Kriegsfall sagst, hat viel Richtiges. Aber zu bedenken ist, dass, wenn Russland die Niederwerfung Frankreichs nicht dulden kann, Italien und England ebensowenig die Erdrückung Deutschlands. Jeder lokalisierte Krieg steht mehr oder weniger unter Kontrolle der Neutralen. Der nächste Krieg, kommt er überhaupt, lässt sich aber absolut nicht lokalisieren; sie werden — die Kontinentalen wenigstens — alle in den ersten Monaten hineingerissen, auf dem Balkan fängt's von selbst an, und höchstens England kann eine Zeitlang neutral bleiben. Dein russischer Plan setzt aber eben einen lokalisierten Krieg voraus, und den halte ich bei den heutigen enormen Armeen und den niederschmetternden Resultaten für den Besiegten nicht mehr für möglich. In Ägypten handelt es sich einfach darum (von seiten der Russen, die Franzosen sind nur Drahtpuppen), den Engländern eine schwierige Situation zu bereiten und damit auch ihre Truppen und Flotte möglichst festzulegen. Kommt's dann zum Krieg, so hat Russland den Engländern etwas zu bieten für ihr Bündnis oder mindestens ihre Neutralität, und in einem solchen Moment tauschen die Franzosen mit Wollust Ägypten aus gegen Elsass. Das gleiche Spiel spielen die Russen einstweilen in Zentralasien an der indischen Grenze, wo sie noch auf Jahre hinaus zu ernstlichen Angriffen zu schwach sind und das Terrain noch lange nicht dazu vorbereitet ist. Nebenbei soll bei Ägypten auch die Türkei für Russland eingefangen werden . (Soeben war wieder ein russischer Besucher da, der mich über eine Stunde aufgehalten hat; dadurch ist es vier Uhr geworden, und der Brief wird dadurch kürzer). Ich sehe, in der Mil[itär]kommission habt Ihr auch einen Major Frohme zitierte einige Male Thomas von Aquino, S. 56. Der Zentrumsabg. Hitze wies, S. 68, darauf hin, dass es Zitate aus Aristoteles' Politik seien, zu der Thomas von Aquino einen Kommentar schrieb. 5 Gestalten aus E . Richters Sozialdemokratische Zukunftsbilder. Frei nach Bebel (Berlin, 1891). 4
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Wachs.6 Wenn es derselbe ist, der ein Vetter des Dr. Gumpert in Manchester ist, so habe ich ihn dort einmal vor ca. fünfundzwanzig Jahren getroffen. Damals war er als ehemaliger kurhessischer Leutnant bei den Preussen eingetreten und fand sich sehr enttäuscht, bei seinen Besiegern von 1866 dasselbe Gamaschenwesen zu treffen, das er bei den Kurhessen als Ursache der Niederlage betrachtet hatte; ich ermunterte ihn noch, nur ruhig bei den Preussen auszuhalten, er werde wohl auch die guten Seiten der Armee noch kennenlernen. Dann hat er sich bei Spichern als Kompagniechef durch selbständige Besetzung eines Eisenbahndurchganges trotz seines Majors sehr ausgezeichnet und ist im Generalstabswerk rühmlichst erwähnt — einer der sehr wenigen überhaupt darin erwähnten Leutnants. Seitdem habe ich einzelne strategisch-politische Aufsätze von ihm gelesen — meist über den Orient —, worin recht gute Sachen sind nebst anderem (Politischem), womit ich nicht einstimme. Er ist jedenfalls ein tüchtiger Offizier — wenn derselbe. Übrigens scheint der Kompromiss ja wahrscheinlicher als je; achtundzwanzigtausend M[ann] wollen selbst die Freisinnigen und das Zentrum geben, vierzigtausend offeriert Bennigsen; da werden wohl noch so viele umfallen, dass die Regierung statt sechzigtausend ihre fünfzigtausend kriegt (wenn sie strammhält, auch vielleicht eine Kleinigkeit mehr) und das bürgerliche Vaterland wieder einmal vor Auflösung und Konflikten gerettet ist. Der „Ball" war eine Strampelei der liebenswürdigen Hexe. Der „Verein" gab ein Konzert, worauf nachher ein Ball folgte. Um elf Uhr war der erste Teil des Konzerts fertig, worauf ich mich gehorsamst verabschiedete, also werden sie wohl nicht vor ein Uhr zum Tanzen gekommen sein. Sie selbst spricht nur mit der Herablassung, die einem weit höheren Alter als dem ihrigen zukommt, vom Tanzen, und wenn sie walzen soll, wirst Du sie wohl selbst auf die Bretter führen müssen. Ich bin gar nicht so sicher, dass dann das Wiener Blut nicht wieder seine Rechte geltend machen würde. Im polnischen Przedswit,7 der hier erscheint, wird in der nächsten (Febr[uar-])N[ummer], die in der Presse ist, folgendes erzählt. In Grajevo ist an der Grenze von Ostpreussen ein unterer russischer Beamter namens Spatzek angestellt, ein Böhme von Geburt, der die Frachtbriefe übersetzt. Der Mann macht trotz miserablen Gehalts 6 Er gehörte dem Generalstab an und gab als Sachverständiger der Kommission militär-technische Auskünfte. 7 Das Organ der Polnischen Sozialistischen Partei erschien von 1881 bis 1905 nacheinander in Genf, Leipzig, London, Paris, Warschau, Krakau. Eine französische Übersetzung des Artikels, datiert „Lomza, Janvier 1893", dessen Inhalt Engels hier kurz wiedergibt, befindet sich im Nachlass.
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grosse Reisen, bis nach Konstantinopel, lebt flott, kommt viel auf preussisches Gebiet unter dem Vorwand der Jagd, ist dicker Freund des Landrats von der Groeben in Lyck, der ihm Jagdscheine und andere Reiseerlaubnisscheine in Masse ausstellt. Während der Choleragrenzsperre konnte niemand über die Grenze, aber Herr Spatzek nebst Frau und einem anderen der Spionage verdächtigen russischen] Beamten H—n konnte ungestört nach Königsberg reisen. Der Zweck dieser Herumtreibereien auf deutschem Gebiet ist nach Ansicht der Leute jenseits der Grenze einzig und allein die Ausspionierung der zwischen den ostpreussischen Seen angelegten Sperrforts, und der superkluge preuss[ische] Landrat lässt sich dabei von seinem russoböhmischen Freund bereitwilligst benutzen. Die Überlegenheit der preussischen Bürokraten fällt überall hinein. Ferner ist unter den russfischen] Truppen an der Grenze dieser Tage eine ganze Ladung Literatur angekommen: viele Ex[emplare] einer Broschüre des Artillerieleut[nants] Alexandroff in Taschkent über die Ursachen und die Nottoendigkeit des bevorstehenden Krieges. Davon hat jede Kompagnie ein Ex[emplar] erhalten, damit die Offiziere die Soldaten gehörig aufklären. Vielleicht kannst Du diese Nachrichten im Privatverkehr mit den Leuten in der Militärkommission benutzen. Hier ist Keir Hardie mit einem Amendement wegen der Arbeitslosen zur Adresse (Antwort auf die Thronrede) im Parlament aufgetreten.8 Die Sache an sich war ganz gut. Aber K[eir] Hfardie] hat zwei kolossale Böcke gemacht: 1) war das Amendement als direktes Tadelsvotum gegen die Regierung formuliert, ganz unnötigerweise, so dass die Annahme die Regierung zum Rücktritt genötigt hätte und die ganze Geschichte praktisch ein Torymanöver wurde, 2) liess er sich von dem protektionistischen (schutzzöllnerischen) Tory Howard Vincent sekundieren, statt von einem Arbeitervertreter, was das Torymanöver und seine Erscheinung als Tory-Drahtpuppe vollständig machte. Auch haben hundertundzwei Tories für ihn gestimmt und nur zwei Liberal-Radikale, kein Arbeitervertreter. Burns war in Yorkshire agitieren. Er hat, wie ich Dir schon schrieb, seit Bradford schon mehr als einmal Manöver gemacht und Äusserungen getan, die auf Championschen Einfluss raten Hessen, jetzt wird dies schon mehr als verdächtig; seine Existenzmittel sind unbekannter Herkunft, und er hat seit zwei Jahren viel Geld verreist; woher kommt das? Die englischen Arbeiter verlangen von ihren Abgeordneten und sonstigen Führern, Das Amendement, das einen Tadel der Regierung enthielt, weil sie keine Massregeln hinsichtlich der Notlage der Arbeitslosen ergreifen wolle, wurde mit 276 gegen 109 Stimmen verworfen. Bernstein berichtete ausführlich über Gladstones Programm und das Amendement im Vorwärts, Nr. 35, 10. Februar. 8
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dass sie der Bewegung alle ihre Zeit opfern, wollen sie aber nicht zahlen und sind daher selbst schuld, wenn diese zu Unterhalts- und Wahlzwecken Geld von anderen Parteien nehmen. Solange dies dauert, wird's immer Panamisten unter den hiesigen Arbeiterführern geben. Übrigens wird dies dem Herrn K[eir] H[ardie] bald gelegt werden, oder er selbst wird gelegt. Die Arbeiter in Lancashire und Yorkshire sind nicht die Leute, sich ins konservative Gängelband nehmen zu lassen und den Tories die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Man muss nur dem K[eir] Hfardie] Zeit lassen, die Folgen seiner Politik am eigenen Leib zu spüren und aller Augen evident werden zu lassen. Burns ist nach Halifax gegangen Wahlagitieren und hat daher nicht mitgestimmt bei K[eir] H[ardie]s Antrag. Nämlich in Huddersfield und Halifax, zwei Fabrikstädten in Yorkshire von über hunderttausend Einwohnern jede, ist Nachwahl. Die Independent Labour Party hat in Halifax einen Kandidaten aufgestellt; die anderen beiden Parteien auch. Nun bot sie den Liberalen an: zieht ihr euren Kandidaten in Halifax zurück, so dass wir nur den Tory gegenüber haben, so stimmen wir in Huddersfield für euch. Die Liberalen lehnten ab. Darauf fiel am Dienstag der Liberale in Huddersfield durch gegen den Tory — durch Stimmenthaltung der Ind[ependent] Lab[our] Party. Ferner verloren die Liberalen bei einer anderen Nachwahl in Burnley, Lancashire, nahe bei Halifax, siebenhundertfünfzig Stimmen gegen die vorige Wahl — ebenfalls durch unsere Stimmenthaltung. Heute ist die Wahl in Halifax und wahrscheinlich, dass der Tory gewählt wird. Das würde Gladstones Majorität, jetzt sechsunddreissig, auf vierunddreissig herunterbringen. Diese Geschichten heizen den Liberalen täglich mehr ein; soweit verläuft die Sache ganz vortrefflich, Gladstone wird vor den Arbeitern kapitulieren müssen. Die Hauptsache sind die politischen Massregeln, Erweiterung des Wahlrechts für Arbeiter durch Verwirklichung dessen, was jetzt auf dem Papier steht und die Arbeiterstimmen um fünfzig Prozent vermehren würde; Verkürzung der Parlamentsdauer (jetzt sieben Jahre!), Zahlung der Wahlkosten und Diäten aus öffentlichen Mitteln. Einstweilen müssen diese neuen Erfolge der unabhängigen Politik das Selbstgefühl der Arbeiter heben, ihnen sagen, dass sie jetzt fast überall das Schicksal der Wahlen und damit jedes Ministeriums in der Hand haben. Das ist das Wichtigste: Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen der Klasse. Das wird auch über alle die elenden Klüngeleien hinweghelfen, die eben nur aus dem Mangel an Vertrauen der Massen auf sich selbst entspringen. Haben wir eine wirklich sich en masse bewegende Arbeiterschaft, dann verschwinden die schlauen Manöver der Herren Führer, weil sie ihnen mehr schaden als nützen. Louisens Brief ging ab 5.30 [Uhr] abends mit dem Nachtschiff. 660
Dieser geht ab 9 [Uhr] abends, also mit dem ersten Tagesschiff. Willst Du uns sagen, zu welcher Stunde Du jeden erhalten hast; wir wissen dann, welche Post die beste ist. Herzliche Grüsse an Deine Frau und Dich selbst, auch nochmals von Louise und von Deinem F. E.
2 5 6 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 11. Februar 1893.
Original. Lieber General!
Der Übermut der Hexe geht wirklich weit, wenn sie Dich Sparagnes tauft; Du musst Dich sehr verschlechtert haben, dass sie Dich so behandelt. Strampelannie war sie immer, noch ehe der schöne Titel erfunden war; frag nur einmal bei ihrer Mama an, was sie dieser als kleiner Balg für Mühe, Arbeit und Sorgen machte, und Du wirst finden, dass sie sich sehr erheblich gebessert hat, womit ich nicht gesagt haben will, dass ihre Besserung noch sehr viel zu wünschen übrig liesse. Dass sie mit so souveräner Verachtung vom Tanzen spricht, liegt daran, dass sie sich ärgert, erst dreiunddreissig Jahre alt zu werden; sie möchte gern in unserem Alter sein, um gesetzter zu erscheinen, und da sie das nicht erreichen kann, gibt sie sich den Anschein, es zu sein. Du kannst hundert Jahre alt werden, Gen[eral], was ich Dir wünsche, und lernst bei den Frauen nicht aus. Die Zukunftsstaat-Debatte1 ist endlich zu Ende, aber die Wellen der Erregung gehen noch immer hoch. Ich schicke Euch eine Anzahl Zeitungsmeinungen darüber. Unseren Gegnern dämmert allmählich die Erkenntnis, was für eine Dummheit sie machten. Die Berliner Presse bringt bereits kein Wort mehr darüber, und Herr v. Bötticher, der so leichtsinnig erklärte, beim Reichsamt des Innern kann über alles gesprochen werden, lässt seit Tagen bedenklich den Kopf hängen. Er hatte mit dieser Erklärung dem Präsidenten die Hände gebunden. Das sagte ich B[ötticher] auch nach dem dritten Tage der Debatte privatim, ich sagte ihm: dass er sich und dem Reichstag eine schöne Suppe eingebrockt habe; darauf meinte er verlegen: das hätte doch einmal kommen müssen. Es ist nun nicht richtig, wenn Liebkn[echt] meint: man habe absichtlich die Debatte vom Zaun gebrochen, um Zeit zum Mogeln über die Militärvorlage zu haben. Die Debatte ist gekommen, ohne dass ein Mensch 1
S. den vorigen Brief, Anm. 2.
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ahnen konnte, wie lange sie dauerte. Auch was er über die Verhandlungen der Militärkommission sagt, dass man hinziehe, um zu mogeln, ist grundfalsch. Wenn er sich dergleichen in den Kopf gesetzt, ist er für alles andere blind und begreift gar nicht, dass er damit uns, die wir in der M[ilitär-]K[ommission] sitzen, beleidigt. Die Zahlen, die er erst heute triumphierend über die künftigen Mehrkosten im V[orwärts] veröffentlichte, konnte er gar nicht veröffentlichen, hätte die M[ilitär-] K[ommission] durch lange Beratungen diese nicht eine nach der andern herausgequetscht.2 Auch würde ich nicht in die Subkommission der M[ilitär-] K[ommission] gegangen sein, wusste ich nicht bestimmt, dass wir dort Dinge herausholen konnten, die wir sonst nicht erfuhren. Ausserdem löst die Regierung den Reichstag nicht eher auf, bis sie das Budget hat, und wir selbst haben vom Parteistandpunkt aus auch keinen Grund, die Auflösung zu beschleunigen. Einstweilen halten wir unsere eventuellen Wahlreden im Reichstag, was bequemer und wirksamer ist. Was Du mir über die Vorgänge an der russischen Grenze schreibst, werde ich verwerten; fast hätte ich Lust, dem Reichskanzler oder dem Staatssekretär des Äusseren direkt davon Mitteilung zu machen. Bewahrheiten sich die Angaben, dann können wir nur dadurch profitieren; und dass dort an der russischen] Grenze keine Schweinereien zu Deutschlands Schaden vorgehen, dabei sind wir alle interessiert. Ich werde mir noch überlegen, was ich tue. Ich gebe zu, dass die von mir gezeichnete Möglichkeit, den Krieg zu führen, schwer durchführbar ist; ich fürchte nur, dass die Engländer und die Türken wie die übrigen Balkanstaaten sich ohne Not nicht einmischen und es unterlassen, werden sie nicht direkt provoziert. Griffen sie aber erst ein, wenn der Dreibund am Boden läge, dann wäre es zu spät. Für einstweilen scheint man wieder das Bedürfnis nach einem neuen Gewehr zu haben, das fünf mm-Kaliber scheint alle anderen zu übertreffen. Die Geschichte wird tragisch. In der Milit[är-] Kom[mission] wird es wahrscheinlich bis Ende dies [er] Woche zum Klappen kommen, d.h. für die erste Lesung; was dann wird, ist unberechenbar. Vorläufig hüllt sich die Regierung in Schweigen, sie soll erst nach der ersten Lesung ihr Ultimatum stellen wollen. Im Zentrum ist man bis jetzt auffallend fest. Ich habe mich an den letzten Sitzungen der M[ilitär-] K[ommission] nicht beteiligt, weil gleichzeitig die Kommission] für die lex Heinze tagte und wir in letzterer viel mehr durchsetzen können, wie in der Nach einer der Militärkommission zugegangenen Berechnung des Reichsschatzamtes stiegen die Kosten der Verwaltung des Reichsheeres in der Zeit von 1880-1893 von 361 auf 885 Millionen Mark. Vorwärts, Nr. 37, 12. Februar.
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M[ilitär-] K[ommission]. Ausserdem kam es in der letzteren bis jetzt noch nicht zu Abstimmungen von Bedeutung. Erfolgen diese, so kann ich jeden Augenblick gerufen werden, da die beiden Komm[issionen] in nahe aneinanderliegenden Zimmern tagen. In der lex Heinze-Komm[ission] ist's nach wie vor sehr lustig, wir haben Konservative und Zentrum schon arg in die Klemme gebracht und haben die schlimmsten Bestimmungen verhindert.3 Die englischen Angelegenheiten habe ich natürlich in der letzten Zeit wenig verfolgen können. K[eir] H[ardie]s Benehmen ist auch mir aufgefallen. Die englischen] Arbeiter werden noch schwer Lehrgeld bezahlen müssen, ehe sie ins richtige Fahrwasser kommen. K[eir] H[ardie] scheint auch ein wenig Anlage zum Hanswurst zu haben, wenn es wahr ist, was berichtet wurde, in welchem Aufzug er wieder bei der Eröffnung des Parlaments sich einstellte. Mit einem solchen Streich wäre einer bei uns fertig. Es scheint, dass auch das P[arliamentary] C[ommittee] zu Kreuze gekrochen ist, indem es beschloss, für dieses Jahr von einem eigenen Kongress abzusehen und ihn aufs nächste Jahr zu verschieben, dafür aber nach Zür[ich] zu kommen.4 Das ist ein grosser moralischer Sieg von uns, den Kontinentalen, den wir unserer ablehnenden Haltung zu verdanken haben. Ich sende Dir den Bericht über die Donnerstagssitzung zu, in der wir Burns in Schutz nehmen mussten. Haben wir das nach Deiner Meinung etwas zu sehr getan, dann beachte, dass es galt, die Gegner zu hauen.5 Ob der Major Wachs in der M[ilitär-] Kfommission] der ehemalige Leut[nant] W[achs] ist, ist mir zweifelhaft. Sein Dialekt fiel mir schon auf, ohne dass ich ihn unterzubringen wusste; aber es ist mir kaum glaubhaft, dass er in diesen zweiundzwanzig Jahren erst Major Bei den Beratungen wurde u.a. darauf hingewiesen, dass es nichts schaden würde, wenn die neuere Kunst und Literatur durch das Strafgesetz eine andere Richtung erhielten. Vorwärts, Nr. 35, 10. Februar. 4 Nach dem zweiten Rundschreiben des Züricher Organisationskomitees vom 15. November nahm das Parlamentarische Komitee seine Einladung zu einem Kongress in England zurück und entschuldigte sein Vorgehen mit einem Missverständnis. Protokoll Zürich, S. V. 5 Bei der Reichstagsdebatte über die Fabrikinspektion am 9. Februar erklärte der nationalliberale Abg. Möller, Burns habe sich sehr ungünstig über die deutsche Sozialdemokratie geäussert. Bebel antwortete, Burns habe ihm persönlich in Gegenwart von zehn Zeugen gesagt, „er habe in der angezogenen Äusserung die verschiedene Art der Taktik seiner Freunde auf dem Kontinent auf verschiedene Verhältnisse dieser Länder zurückgeführt. Es sei ihm nie eingefallen, eine für die deutsche Sozialdemokratie beleidigende Äusserung zu tun." Da der Abg. Möller seine Erklärung aufrechterhielt, meinte Singer: „Wir glauben der Versicherung von Bums mehr als der von Möller." Vorwärts, Nr. 35, 10. Februar.
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geworden sein soll, wo andere wenige Jahre ältere Offiziere schon Generalmajor etc. sind. Du musst wissen, die Offizierswelt hat sich gegen ehemals sehr verjüngt. Dem Alter nach könnte er derselbe sein. Es ist ein grosser, kräftiger Mann mit dunklem Haar. Die Panama-Affäre scheint für unsere Leute in Frankreich gar keinen Vorteil zu bringen, nach wie vor hört man nichts von ihnen. Dein Brief kam eine Stunde später an wie derjenige von Louise. L[ouise]s Brief ist, wenn er pünktlich ankam, hier den Abend vorher abends sechs Uhr angekommen, bleibt aber, da nach sieben Uhr nicht mehr ausgetragen wird, bis nächsten Vormittag liegen und kommt mit der ersten Austragung acht Uhr an. Der Deine trifft vormittags gegen acht Uhr ein und ist gegen zehn Uhr in unseren Händen, er konnte aber unter Umständen auch gleichzeitig mit dem ersten Brief eintreffen, wenn er schon in der Nacht elf oder zwölf Uhr eintraf. Über Ostende ist gerade die letzte Woche der Anschluss sehr unsicher gewesen; ein Schiff, das um vier Uhr nachmittfags] in Ostende ankommen sollte, kam sogar erst achtzehn Stunden später an; auch heute meldet die Zeitung das Verfehlen des Anschlusses von zwei Posten infolge von Sturm im Kanal. Julie lässt herzlich grüssen, und ihr schliesst sich an Dein AUGUST.
Wir haben einen Antrag der Freisinnigen, die zweijährige Dienstzeit für die Infanterie bzw. die Fusstruppen gesetzlich festzulegen, dahin erweitert, dass wir ein Amendement stellten, [dass] die zweijährige Dienstzeit auf die ganze Armee ausgedehnt wird.6 Kannst Du mir eine Reihe von Gesichtspunkten mitteilen, dass die Kavallerie in zwei Jahren vollkommen felddienstfähig ausgebildet werden kann? Wir verhandeln wahrscheinlicherweise schon Dienstag über den Antrag; aber da wir ihn im Plenum vermutlich wieder stellen werden, kommen Deine Mitteilungen auch nocht recht. Du könntest, wenn Du Zeit hast, mir überhaupt eine kleine Lektion geben, ich wäre Dir sehr dankbar.
Zusatzantrag zum Antrag Rickert in der Sitzung der Militärkommission am 11. Februar. Vorwärts, Nr. 37, 12. Februar.
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257. ENGELS AN
Original.
BEBEL
[London,] den 24. Februar 1893. Lieber August!
Mein eingeschriebenes Aktenstück 1 von gestern wirst Du erhalten haben. Noch ein paar Worte darüber. Ich hatte mir die Veröffentlichung gedacht in acht Artikeln in acht sukzessiven Nummern des Vorwärts. Vielleicht aber habt Ihr eine Methode, die Euch besser dünkt, in dem Fall geniert Euch nicht. Der Titel: „Kann Europa abrüsten?" 2 gefällt mir nicht recht. Und doch weiss ich keinen besseren. Man kann es doch nicht gut eine „sozialdemokratische Militärvorlage" nennen. Das ginge allerhöchstens, wenn Ihr den Vorschlag en bloc akzeptiert. Ich habe die Sache an Dich geschickt und nicht an L[iebknecht], weil Du in der Militärkommission sitzest und eine „Lektion" von mir verlangtest. Das wird mich bei ihm entschuldigen. Dann aber auch, weil ich etwaige nötige pressgesetzliche Änderungen lieber Dir anvertraue als ihm, überhaupt das M[anu]s[kript] nicht bloss den Vorwärts angeht, sondern Euch alle, und Ihr Eure eigene Meinung haben könnt über die beste Art und Zeit der Veröffentlichung — jedenfalls vor der Wiederbehandlung im Plenum. Aus der Workmans Times wirst Du gesehen haben, dass die kontinentalen Parteiangelegenheiten, speziell die deutschen, dort jetzt durch Avelings besser zur Kenntnis der engl[ischen] Arbeiter gebracht werden. 3 Die liberale Regierung hat nach den letzten Wahlerfahrungen etwas beschleunigtere Gangart annehmen müssen. Die Massregeln sind eben „liberal", aber doch besser, als man erwarten konnte. Das neue Gesetz über Wählerlisten, wenn's durchgeht, verstärkt 1) das Arbeitervotum um ca. zwanzig bis dreissig Prozent mindestens und gibt den Arbeitern in vierzig bis fünfzig weiteren Wahlkreisen die absolute Majorität, und 2) spart es den Kandidaten eine beträchtliche jährliche Ausgabe; diese mussten selbst sorgen, dass ihre Wähler auf die Liste kamen, und das kostet hier viel Geld. Das lässt sich schon auf Abschlag akzeptieren. — Die Diäten sind in sehr naher Aussicht, wenn nicht diese, doch fast sicher nächste Session, Gladstone hat sie im Prinzip ange1
Die „Lektion", um die Bebel im vorigen Briefe bat. Unter diesem Titel erschienen die Aufsätze im Vorwärts, Nr. 51-56, 58, 59, 1.-7., 9., 10. März; als Broschüre u. dems. T., mit Vorwort vom 28. März (Nürnberg 1893). 3 So gaben sie in ihrer Übersicht „International Working-Class Movement" in Nr. 144, 18. Februar einen längeren Bericht über die „Zukunftsstaat"-Debatte.
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nommen. Dann ist's ein grosser Gewinn, dass für alle öffentlichen Wahlen nur eine Wählerliste, also nur ein Wahlrecht sein soll, und dies ist iim so wichtiger, als auch eine Bill kommt zur Errichtung von Pfarrei- (hier: Gemeinde auf dem Lande)räten, wodurch der letzte Rest der bisherigen halbfeudalen Wirtschaft auf dem Lande beseitigt wird. Geht das alles durch und wird Gesetz in dieser Session, so ist die politische Stellung der Arbeiterklasse bedeutend verbessert, und das ist selbst ein neuer Antrieb für die Leute, diese neue Stellung auch zu benutzen. Bei allen Intrigen und Dummheiten, die hier noch vorkommen werden, und das massenhaft, ist es doch sicher, dass es mächtig vorwärtsgeht; vielleicht wundert Ihr Euch schon in ein paar Jahren über die Engländer. Warum Du die Spatzek-Geschichte nicht direkt mitteilen sollst, sehe ich nicht ein. Sie ist übrigens polnisch gedruckt im FrzedsvM von Februar. Wenn der Wachs gross von Statur ist, so ist's nicht der rechte. Der war, soviel ich mich erinnere, etwa so gross wie Du und braunhaarig. Woher aber alle die wächsernen Majore kommen, ist unerfindlich. Eben ist die Hexe fertig, also abkommandiert. Herzlichen] Gruss an Deine Frau und Dich Dein F. E.
2 5 8 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 25. Februar 1893.
Original. Lieber General!
Deine Artikel und Brief erhielt ich Vormittag, als ich in die Sitzimg musste. Gelesen habe ich sie noch nicht, ich werde aber Deinem Wunsche entsprechen und sie durchlesen, und morgen abend, wenn L[ie]bk[necht] zu uns kommt, ihm einen Teil derselben einhändigen. Es scheint, Du sprichst Dich für die Möglichkeit der Abrüstung aus;1 ich bin sehr gespannt, wie Du das begründest — noch gespannter, ob Du mich überzeugst; denn bisher habe ich den Abrüstungsplan Engels fasste im Vorwort die Grundgedanken der Schrift zusammen. Das System der stehenden Heere sei in ganz Europa derart auf die Spitze getrieben, dass es durch die Militärlast entweder die Völker wirtschaftlich ruinieren oder in einen Vernichtungskrieg ausarten müsse, falls es nicht in eine auf allgemeiner Volksbewaffnung beruhende Miliz umgewandelt werde. Engels versucht den Beweis zu führen, dass diese Umwandlung schon jetzt möglich sei, und zwar für jede Regierung ohne Gefährdung der Landessicherheit. Wenn die stehenden Heere aufrechterhalten würden, dann geschehe das aus politischen Gründen:
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für utopistisch gehalten und mich mit dieser Anschauung in Gegensatz zu Liebknecht, Grillenberger etc. gesetzt. Indes werde ich mich eines Besseren belehren lassen, wenn ein so alter Diplomat und erfahrener Kriegsmann wie Du das vermag. Die Artikel kommen gerade recht. An die Beratung im Plenum ist bei der Militärvorlage zunächst nicht zu denken, da wir den ganzen März mit dem Etat noch zu tun haben werden; ausserdem fängt in der letzten Zeit die Kommission in der Tat an, leeres Stroh zu dreschen. Statt mit der entscheidenden Forderung bei der Spezialberatung zu beginnen, beginnt man in der Mitte der Vorlage und fällt die Hauptentscheidung dadurch erst zuletzt. Die Kommission hat für sich, dass es immer so gehalten wurde. Hätte ich indes in den letzten acht Tagen den Sitzungen derselben beiwohnen können, so wäre ich doch mal dazwischengefahren. Ich war aber in der lex Heinze-Kommission, die heute mit der ersten Lesung nach achtzehn Sitzungen fertig wurde. Mittwoch tagt die Militärkommission wieder, und da will ich sehen, was sich machen lässt. Diese Woche waren wir gar nicht in derselben vertreten, was kein Unglück war; Grillenberger ist nicht hier, und Singer ist seit einigen Tagen stark unpässlich. Er hat sich überarbeitet, und da er die Gewohnheit hat, sich wenig zu bewegen, sondern stets zu fahren, so hat sich bei seiner Konstitution starke Verstopfung eingestellt. Diese ist nun zwar gehoben, aber er fühlt sich sehr abgespannt und hat auf vierzehn Tage Urlaub genommen. Wir haben ihm zugeredet, sich an den Genfer See zu setzen, und das will er tun, wenn Dietz mitgeht. Er gehört zu den Leuten, die allein sich nicht unterhalten können. Ich will deshalb heute noch an Dietz schreiben und ihn bitten, sich anzuschliessen, er handelt damit auch am vernünftigsten gegen sich selbst. Dietz wollte Anfang März herkommen, obgleich er keineswegs wohl ist. Merkwürdigerweise bin ich ganz au fait, trotzdem ich an die fünf Wochen an Katarrh laboriere, der immer wiederkehrt, wenn ich schon denke, ich bin ihn los; und dergleichen nimmt mich mehr mit als alle sonstigen Anstrengungen, die wirklich nicht ohne sind. Tag für Tag von zehn Uhr bis halb sechs oder sechs Uhr Sitzung, daneben Fraktion und Vorstandssitzungen und all die sonstigen Arbeiten. Es ist wirkdie Armeen sollten mehr gegen den inneren als den äusseren Feind schützen. Den einfachsten und kürzesten Weg zu dieser Umwandlung sieht Engels in der Herabsetzung der Dienstzeit durch internationalen Vertrag. „Und günstiger als jetzt können die Dinge unmöglich liegen; kann man also heute schon eine höchstens zweijährige Dienstzeit zum Ausgangspunkt nehmen, so wird in einigen Jahren vielleicht schon ein bedeutend geringerer Zeitraum zu wählen sein." Eine wesentliche Bedingung des Übergangs zur Miliz sei die gymnastische und militärische Ausbildung der ganzen männlichen Jugend.
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lieh ungemütlich; indes es muss durchgemacht werden, und es wird durchgemacht. Leider ist Adler durchgefallen,2 das war ja bei dem elenden Wahlgesetz zu erwarten, ist aber aus doppelten Gründen bedauerlich, der Partei und seiner persönlichen Verhältnisse wegen. Über ein lachhaftes Malheur, das der lex Heinze-Kommission heute passierte, werdet Ihr im morgigen Vorw[ärts] lesen.8 Die Geschichte hat uns in der Kommission besonderes Vergnügen bereitet. Ich hoffe, wir haben pour le roi de Prusse gearbeitet, insofern die Vorlage kaum noch ans Plenum kommen wird. Ob es zur Auflösung kommen wird oder nicht, darüber ist in keiner Partei ein Unterrichteter. Wie wenig ausserdem diese Sittlichkeitsgesetzgebung von der Berliner Polizei respektiert wird, hörte ich aus einer Mitteilung eines hochkonservativen Abg[eordneten], eines Herrn v. Gustedt-Lablacken,4 der mir heute in der Kommission vertraulich mitteilte, als einen Beweis, wie die Berliner Polizei von allem unterrichtet sei: dass sie jetzt in ihren Listen an zweitausend Popographen aufgeführt habe. Das ist jetzt schon mit Gefängnis und Zuchthaus bestraft. Die Berliner Polizei sagt sich aber jedenfalls, all die Leute — worunter sehr viele zum Teil sehr hochgestellte sind — zu bestrafen, ist unmöglich, und so geht sie mit geschlossenen Augen an diesen Scheusslichkeiten vorüber. Kommt die Vorlage im Plenum zur Verhandlung, dann dürfte es heiter zugehen. Endlich hat sich auch Lafargue gemeldet,5 das war hohe Zeit. Gut auch, dass er sich gegen Millerand erklärte, der von französischen Sozialisten bereits als der eigentliche Führer der sozialistischen Gruppe hingestellt wurde. Geschah z.B. mir gegenüber durch französische] Sozialisten. Den 26. März ist wegen des internationalen Kongresses Konferenz Er kandidierte bei einer Nachwahl im Bezirk Reichenberg-Gablonz im Februar und hielt dort etwa dreissig Versammlungen ab. S. Adler an Bebel 5. Januar 1893. 3 Die erste Lesung hatte achtzehn Kommissionssitzungen in Anspruch genommen. Der Zwischenfall war die Drohung des Vertreters des preussischen Justizministeriums, im Falle der Ablehnung Strafbestimmungen auf dem Verordnungswege einzuführen. Die Sozialdemokraten widersprachen entschieden: es handle sich hier nicht um Disziplinarmittel, sondern um eine Änderung des Strafsystems, und diese könne nur auf dem Wege der Gesetzgebung herbeigeführt werden. Vorwärts, Nr. 49, 26. Februar. 4 Werner Baron Gustedt-Lablacken (geb. 1842), seit 1884 deutsch-konservativer Abg. für den Wahlkreis Labiau (Ostpreussen). s Lafargue sprach nach Millerand in der Kammer am 16. Februar zur Interpellation wegen des Panama-Skandals. Er betonte, dass bisher noch kein Sozialist in die Debatte eingegriffen habe. Le Socialiste, Nr. 126, 19. Februar. Der Vorwärts gab die Rede wieder in Nr. 48, 25. Februar. 2
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in Brüssel,6 L[ie]bk[necht] und ich sind als Delegierte für Deutschland bestimmt; kommt Tussy oder Aveling auch hin oder wer sonst? Jetzt ist ja auch eine neue Linie nach England über Hoek van Holland-Harwich in der Vorbereitung, die für Hin- und Rückreise nur achtzig Mark — statt hundertachtundzwanzig über Ostende — kosten soll, zweiundzwanzig Stunden Zeit nur braucht und den 1. Juni eröffnet werden soll. Das ist famos. Sei herzlich von uns beiden gegrüsst, an L[ouise] schreibe ich direkt. Dein AUGUST.
Die Spionagegeschichte übergab ich schriftlich persönlich an den Staatssekretär des Auswärtigen v. Marschall.7 Ich habe ihn nach dem Resultat seiner Untersuchungen nicht gefragt, und eine direkte Antwort habe ich auch nicht erhalten. Die liberalen Blätter hier feiern den Sieg Ferrys.8 6 Auf der Konferenz wurden die Zulassungsbedingungen und die Geschäftsordnung behandelt. Aus England waren Avelings erschienen. Bericht im Vorwärts, Nr. 74, 28. März. 7 Adolf Frhr. v. Marschall von Bieberstein (1842-1912) war seit April 1890 als Nachfolger Herbert Bismarcks Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. 8 Jules Ferry wurde zum Senatspräsidenten gewählt, aber starb bereits am 17. März 1893.
2 5 9 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 28. Februar 1893.
Original. Lieber General!
Die Artikel habe ich durchgesehen und gestern abend an L[ie]bkfnecht] gegeben. Ich habe nur einige Ausdrücke, die möglicherweise als beleidigend für die Militärverwaltung angesehen werden könnten, geändert. Weiter die Stelle, worin Du von den vorgekommenen und möglicherweise wieder vorkommenden Offizierserschiessungen1 sprichst, zu streichen empfohlen. Das erschien mir etwas bedenklich, 1 Im Aufsatz VII, Broschüre S. 25 im Zusammenhang mit den Soldatenmisshandlungen: „. . . Mit dem glattläufigen Vorderlader war es ein Leichtes, beim Manöver einen Kiesel auf die Platzpatrone in den Lauf rollen zu lassen, und da kam es oft genug vor, dass verhasste Vorgesetzte beim Manöver aus Versehen erschossen wurden. . . . Jetzt, mit dem kleinkalibrigen Hinterlader, geht das nicht mehr so leicht und so unbemerkt. . . . Kommt aber im .Ernstfall' die scharfe Patrone in Anwendung, dann fragt es sich allerdings, ob da die alte Praxis nicht wieder Anhänger findet, wie das in den letzten Kriegen hie und da der Fall gewesen sein soll. .
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nicht weil man klagen kann, sondern weil man diese Ausführungen als eine Art „Anweisung" zu solchen Schritten ansehen könnte. Die Artikel sind wie alles, was Du schreibst, sehr gut; L[ie]bk[necht] ist ganz entzückt davon und will sie sofort drucken, je zwei Artikel in einem. Den Abrüstungsvorschlag kann ich nur als ein Mittel ansehen, das zeigen soll, dass wir einen praktischen Weg wissen; für durchführbar von jenen, die ihn durchführen sollen, halte ich ihn nicht. Man akzeptiert ihn ebensowenig wie unsere Vorschläge, das Milizsystem einzuführen. Man kann eben die Uberflüssigkeit des Militarismus nicht zugeben, weil er für Staat und Bourgeoisie von Notwendigkeit ist. Man braucht ihn für das Geschäft und als Unterschlupf für die Söhne von Adel und Bourgeoisie. Dass Du Dich für ein Übergangsstadium mit zweijähriger Dienstzeit erklärtest, wird man gegen unsere bisherige Taktik ausnutzen, und da wirst Du Dir eventuell gefallen lassen müssen, dass wir da erklären, ein solcher Vorschlag binde uns nicht. Schon die Tatsache, dass wir neulich in der Kommission verlangten, dass, wenn die Fusstruppen zwei Jahre dienen sollten, man das auch der Kavallerie einräumen müsse — also ein durchaus taktisch richtiger Vorschlag — hat Anstoss erregt, und zwar sogar in der Fraktion, was mich ganz besonders freute. Jedenfalls werden die Artikel Aufsehen machen. Dietz telegraphiert, dass er mit Singer nach Montreux gehen will, er kommt morgen hier an. Sfinger] wollte morgen schon fort, da Grillenbferger] mitwollte. Letzterer wird nunmehr aber wahrscheinlich hier bleiben, da er keinen Grund zum Fortgehen hat. Ich will Mittwoch versuchen, ob ich in der Militär-Kommission einen Antrag durchdrücke, dass wir den ersten Absatz des § 1 erledigen.2 Ich werde freilich mit abfallen, aber das schadet nichts. Herzlichen Gruss von mir und Julie Dein AUGUST.
Dass die Gladstonesche Regierung mit solchen Wahlreformvorschlägen kommt, ist sehr viel; 3 das wird der selbständigen Arbeiterbewegung sehr auf die Strümpfe helfen. 2 Bebel beantragte in der Sitzung am 1. März, § 1 Abs. 1 der Vorlage zu beraten, durch den die Höhe der Friedenspräsenz festgesetzt wurde. Werde dieser abgelehnt, wie vorauszusehen sei, so fielen alle anderen Paragraphen, man spare viel Zeit und komme endlich zu einem Resultat. Der Antrag wurde abgelehnt. Vorwärts, Nr. 52, 2. März. 3 Durch die Abänderung der Vorschriften über die Herstellung der Wählerlisten wurde die Zahl der Wähler um Hunderttausende, und zwar meist Arbeiter erhöht; dadurch wurde die Wahl unabhängiger Arbeiterkandidaten aussichtsreicher. E. Bernstein darüber ausführlich im Vorwärts, Nr. 50, 28. Februar.
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2 6 0 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 12. März 1893.
Original. Lieber General!
Wie die Milit[är]kommission sich entschied, wirst Du aus den Zeitungen erfahren haben.1 Es scheint nicht, dass es zu einem Ausgleich kommen wird, es sei denn, dass die Regierung in letzter Stunde ihre ganze bisherige Haltung preisgibt und sich mit den achtundzwanzigtausend Mann Rekruten, die Zentrum und Freisinn offerieren, begnügt. Das kann sie aber unmöglich nach den wiederholten Erklärungen Caprivis. Wie ich heute von Lieber2 erfuhr, den ich extra fragte, wird das Zentrum auf seinem Angebot beharren und nicht darüber hinausgehen. Anders könnte die Situation werden, wenn die Regierung sich auf fünfunddreissig bis vierzigtausend als Kompromiss herbeiliess, da könnte sogar ein Teil der Freisinnigen zu gewinnen sein und wäre eine Majorität sicher. Wir werden sehen, was der nächste Donnerstag bringt.3 Lässt sich die Regierung auf kein annehmbares Kompromiss herbei, dann bleibt nur Auflösung oder Rücktritt Caprivis. An die erstere Alternative soll die Regierung ernsthaft denken, obgleich die Chancen bei den Wahlen so ungünstig als möglich sind. Wahrscheinlich rechnet Caprivi so, dass, wenn die Wahlen ungünstig ausfallen, er immer noch zurücktreten kann. Es wäre aber auch möglich, dass in letzter Stunde an höchster, stets unberechenbarer Stelle die Neigung zu einem Kompromiss die Oberhand gewönne, was dann möglicherweise Caprivis Rücktritt und die Nachfolgeschaft von . . . Freund Miquel zur Folge haben könnte. Man munkelt, dass M[iquel] ernsthaft auf den Reichskanzlerposten spekuliere, was man seinem Ehrgeiz sehr wohl zutrauen kann. Dafür spricht auch seine Haltung den preuss[ischen] Junkern gegenüber, die ihn im Gegensatz zu Caprivi in den Himmel heben, weil er mehr als Cfaprivi] ihre agrarischen Interessen wahrnehme. Zwischen C[aprivi] und M[iquel] soll deshalb Spinnefeindschaft herrschen.4 1 Sie lehnte nach der ersten Lesung, die zwei Monate dauerte, die Regierungsvorlage mit den Stimmen des Zentrums, der Sozialdemokraten, Freisinnigen und Polen ab; dafür stimmten Nationalliberale, Deutsch-Konservative und Freikonservative. 2 Dr. Emst Lieber (1838-1902), seit 1871 Mitglied des Reichstages, nach Windthorsts Tode Vorsitzender der Zentrumspartei. 3 Am Donnerstag, 16. März begann die zweite Lesung der Militärvorlage. 4 Caprivi hatte bei der Etatberatung am 17. Februar gegenüber einer Überbetonung der agrarischen Interessen durch die Konservativen erklärt, er besitze „kein Ar und keinen Strohhalm" und sei in Fragen der Landwirtschaft also nicht
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Wäre die Regierung diplomatisch, so begnügte sie sich jetzt mit der Hälfte ihrer Forderung und vertagte die andere Hälfte bis nach den nächsten Wahlen in zwei Jahren, die ihr noch eine Majorität garantieren. Die Sachen stehen so, dass je stärker wir werden, desto reaktionärer werden die bürgerlichen Parteien, und wie stark wir immer an Stimmen werden mögen, an Sitzen erlangten wir im aiZergünstigsten Falle zwischen fünfzig und sechzig, von denen ein Teil der bürgerlichen Opposition abgenommen würde, die Majorität der bürgerlichen Parteien dann aber um so gefügiger machte. Mit Deinem Militärplan können wir unmöglich operieren. Wir können uns schon aus taktischen Gründen nicht auf den Boden der zweijährigen Dienstzeit, auf den sich die Freisinnigen und die anderen Parteien stellen, begeben. Auch können wir bei der aristokratischen Natur der militärischen Hierarchie und dem Zustand der inneren Organisation — Strafprozess, Strafgesetz etc. etc. — um keinen Preis für die jetzige Armeeinstitution eintreten. Dazu treten noch die Bedenken gegen die Aufbringung der Mittel — indirekte Steuern und Zölle —, die unsere entschiedenste Opposition notwendig machen.5 Ein Versuch, zu einem Kompromiss zu kommen, würde einen Sturm in der ganzen Partei erregen und die Fraktion hinwegfegen. Aber auch in letzterer selbst wäre für einen solchen Gedanken nicht eine Stimme zu haben. Dein Vorschlag kann nur als ein solcher betrachtet werden, der beweist, was die gegenwärtige Regierung tun könnte, wenn sie zu halbwegs gesunden Zuständen auf dem militärpolitischen Gebiete kommen wollte. Dass, wenn das Milizsystem eingeführt werden sollte, man zu einem Übergangsstadium kommen müsste, habe ich schon in der Milit[är]kommission nachdrücklich hervorgehoben, ebenso dass das Schweizer Milizsystem nichts weniger als mustergültig ist.6 Aber wir von persönlichen Interessen geleitet; die Äusserung wiederholte er am 24. November 1894. Aus dieser Zeit stammt auch Miquels Wort: auf dreissig Jahre städtischer Gesetzgebung müsse jetzt eine Zeit der Gesetzgebung zugunsten des platten Landes folgen. 5 Zu Beginn der zweiten Lesung legte die Regierung eine Übersicht über die bis 1898-99 zu erwartenden Mehreinnahmen vor, die sich auf 114 Millionen Mark belaufen sollten; man brauche also aus finanziellen Gründen die Vorlage nicht abzulehnen. Das Zentrum beantragte, dass Bier-, Branntwein- und Börsensteuervorlage mit der Militärvorlage als ganzes behandelt würden. • In seiner Rede über die Militärvorlage am 13. Dezember 1892 hatte Bebel bemerkt, die Schweiz habe das Milizsystem, aber nicht ein allgemeines Volksheer, eine Volksbewaffnung, wie die Sozialdemokratie sie wünsche. Bei dem gegenwärtigen Milizsystem werde viel zu sehr militärische Spielerei getrieben: die Uniformierung sei unpraktisch, und der schweizerische Kavallerist sei der schwerfälligste Soldat, den er sich denken könne.
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können nicht durch Anträge und Vorschläge der Regierung einen Weg bahnen, den sie einzubringen hätte. Tatsächlich liegen die Dinge so, dass wir uns den Kopf der Herren da oben nicht zu zerbrechen brauchen. Die stecken bei allen Revolutionen in der technischen Ausrüstung der Armee auf allen anderen Gebieten bis über die Ohren im dicksten Konservatismus. Und je mehr sie sehen, dass sie die Armee in bezug auf ihre Zahl und die Herabsetzung der Dienstzeit zu demokratisieren gezwungen sind, desto fester halten sie an allem anderen, das die konservativen Traditionen zu erhalten vermag. Auf der einen Seite vollkommen klare Einsicht in das Wesen der Dinge, auf der anderen borniertester, vorjenaischer Geist, welcher möglicherweise im Ernstfalle dem System den Hals bricht. Wir können nichts tun als aufklären, und lassen den Dingen ihren Lauf. Ich habe grosse Lust, von Brüssel auf ein paar Tage nach London zu kommen7 unter der Voraussetzung, dass Du und L[ouise] mir gute Aufnahme und ordentliche Verpflegung in Aussicht stellt. Ich kann Dir dann auch manches sagen, was ich einem Briefe nicht anvertrauen mag. Möglich, dass wir schon Ende dieser Woche in die Ferien kommen, was eine Wohltat wäre. Ich habe nunmehr das Schwatzen herzlich satt und sehne mich nach ein paar Tagen Ruhe. Herzlichen Gruss von uns allen Dein AUGUST.
Dein und L[ouise]s Brief kommt soeben, wo ich schon fertig war mit der Antwort auf Deinen letzten. Wie Du siehst, war ich so frech, mich selbst einzuladen, ich werde also kommen. Dass L[ie]bk[necht] mitkommt, glaube ich nicht, weil er zu seinem Geburtstag wieder hier wird sein wollen und den 4. April zu einer Agitationsreise auf mehrere Wochen verreist. Bezüglich der Militärvorlage findest Du meine Ansicht im Brief. Die fünf Millionen Abstriche bei der Marine sind schon durch die vielen Bewilligungen bei den einmaligen Ausgaben des Militäretats kompensiert. Man hat diesmal alle Forderungen bewilligt, was nie da war. Mündlich werde ich Euch mehr erzählen können; denn mittlerweile ist dann auch die zweite Lesung der Militärvorlage erledigt. Herzlfichen] Gruss. 7
Nach der Brüsseler Konferenz fuhr Bebel nach London.
m
2 6 1 . E N G E L S AN J U L I E
BEBEL
London, den 31. März 1893.
Original. Liebe Frau Bebel!
Die Anwesenheit Augusts bringt mir die beschämende Tatsache zum Bewusstsein, dass ich Ihnen seit längerer Zeit Antwort auf Ihren lieben Brief schulde, und da will ich doch gleich zur Feder greifen, damit Sie mir meine Verschleppung nicht noch länger nachzutragen haben. Ich kann Sie versichern, dass August sich äusserst wohl befindet, er nimmt seine rohen Eier mit Cognac mit einer bewundernswerten Pünktlichkeit, und dafür, dass sein Magen sich in vortrefflicher Verfassung befindet, dafür hat er gestern abend bei Mendelsons den besten Beweis geliefert und dann hier noch einen besseren, indem er auf dies sehr gute, aber auch sehr massive Abendessen von uns allen am besten geschlafen hat. Heute erwarten wir Burns hier, und so werden denn zum erstenmal in der Weltgeschichte drei sozialistische Abgeordnete Deutschlands, Frankreichs und Englands1 zusammenkommen. Dass so eine Zusammenkunft möglich ist, wo drei Leute die drei ersten Parlamente von Europa — drei sozialistische Parteiführer die drei ausschlaggebenden europäischen Nationen vertreten, das beweist allein, welche enormen Fortschritte wir gemacht haben. Ich wollte nur, Marx hätte das noch erlebt. Nun aber ist es auch Zeit, dass ich Sie an Ihr Versprechen erinnere, uns im Sommer hier zu besuchen und mich mit nach Deutschland zu nehmen. August fürchtet zwar, die mögliche Reichstagsauflösung könne einen dicken Strich dadurch machen, das will mir aber nicht einleuchten; denn wenn überhaupt aufgelöst wird, so wird's noch diesen Monat geschehen, d.h. im April (wohin wir morgen geschickt werden), und die Wahlen kommen spätestens im Juni, und da hat man doch — August so gut wie Sie — eine Erholung erst recht nötig, und wenn Sie das schöne Wetter sähen, was wir hier haben, und all das Frühlingsgrün, das bis Ende Juni auch Blumen die Masse hervorgebracht haben wird, so kämen Sie sicher trotz aller Auflösungen und Neuwahlen. Also rechne ich wie immer auf Ihr Worthalten und gehe dann auch mit nach Berlin; denn Ihre Reise hierher und meine nach Bebel, Bums und Lafargue. Dieser war von Engels eingeladen, weil er französische Vorurteile gegen Bebel beseitigen, wollte. Lafargue an Engels 23. März 1893: „. . . je n'ai nulle prévention contre Bebel; je vous ai seulement dit qu'au point de vue international la conduite de Liebknecht avait été plus carrée et plus nette, et c'est une des raisons pour lesquelles le nom de Liebknecht est si populaire parmi nous." 1
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dort hängen ja seit vorigen Herbst unzertrennlich zusammen. Und nun noch eins. August hatte sich in den Kopf gesetzt, nächsten Montag zurückzureisen. Nun aber ist Ostermontag hier seit etwa zehn Jahren ein wirklicher Feiertag — einer der vier sogenannten Bankfeiertage geworden, und ist hier ein wirkliches Volksfest. Da sind alle Eisenbahnen nur mit Extrazügen und Vergnügungspartien beschäftigt, alle Bahnhöfe überfüllt, alle regelmässigen Züge vernachlässigt von der Verwaltung, weil es gilt, den Extraprofit zu sichern. Diese Bankfeiertage sind die einzigen Tage im Jahre, wo es einigermassen gefährlich ist, auf englischen Eisenbahnen zu reisen, und daher reist auch an solchen Tagen nur, wer muss. Wir haben also August dringend gebeten, diesen Plan aufzugeben und erst Dienstag abzufahren, und er hat es versprochen. Ich bin überzeugt, Sie werden auch damit einverstanden sein, dass er nicht an einem Tage reist, wo weder Abfahrt noch Ankunft pünktlich eingehalten werden, und wo alle die Unglücksfälle, die in den letzten drei Monaten nicht passiert sind, dann alle an einem Tage zu passieren pflegen. Und nun auf Ihr Herkommen einen kräftigen Schluck — wir sind nämlich gerade beim Frühschoppen. Mit herzlichen Grüssen Ihr F . ENGELS.
262. BEBEL
Original.
AN
ENGELS
Berlin W., den 11. April 1893. Lieber General!
Unsere Louise hat Dir natürlich mitgeteilt, dass ich wohl hier angekommen war. Ich stecke nunmehr dick in der Arbeit. Übermorgen geht der Reichstag wieder los, und wird es nun bald zum Klappen kommen. Feststeht, dass die Regierung keine, und zwar nicht die geringste Aussicht hat, auch nur annähernd ihre Vorlage bewilligt zu erhalten. Passiert also auf der Regierungsseite nicht ein Wunder, so ist die Auflösung unausbleiblich, und zwar anfangs Mai. Eine so entschlossene oppositionelle Stimmung ist in Deutschland noch nicht dagewesen wie gegenwärtig; die Wahlen dürften zu ganz überraschenden Resultaten führen, und dürfte die Opposition siegen in Kreisen, an die bisher niemand gedacht. So zwischen zwei Stühle hat sich noch keine Regierung gesetzt wie die gegenwärtige. Die Ungeduld wächst, alle Welt verlangt nach reinem Tisch; Ende nächster Woche sollen wir den Bericht in der Militärkommission feststellen, 675
so dass in der übernächsten Woche die Entscheidung fallen kann.1 Kommt dann die Auflösung, so sind wir wenige Tage danach fertig. Die Arbeit ist so verteilt, dass jeder einen Teil einer Agitationsbroschüre fertigzustellen hat, die unseren Leuten das nötige Agitationsmaterial liefert. Ich habe das Gefühl, als würde die Agitation kolossal lebhaft, so lebhaft wie nie. Ich glaube nicht, dass dreissig Nat[ional]-liberale im nächsten Reichstag sitzen werden, und die Konservativen haben auch einen schweren Stand. Das Interessanteste aber wird sein, wie die Regierung sich mit dem neuen Reichstag abfindet. Das weiss sie sicher selbst noch nicht. Du weisst ja, anfangs war ich von der Wahlagitation nicht erbaut; aber es geht einem wie einem alten Kavalleriegaul, sobald er die Trompeten zur Schlacht blasen hört. Die Aufregung packt einen, und man wird wieder lebendig. Liebknecht ist auf Agitation nach Süddeutschland und der Schweiz, er wird Ende dieses Monats zurückkommen und nennt das dann eine „Erholungsreise". In dieser Art ist er einzig. Er wird nur gleich eine neue „Erholungsreise" antreten können, wenn die Auflösung erfolgt. Julie hat sich über Deinen Brief sehr gefreut; bezüglich der Londoner Reise aber meint sie auch, doch erst abwarten zu sollen, was der Sommer bringt. Ich muss Dir noch nachträglich mein Kompliment machen wegen Deines guten Aussehens und Deiner Munterkeit, beides liess wahrhaftig nichts zu wünschen übrig. In den soeben erhaltenen Abendblättern wird eine Berliner Korrespondenz der Münchener Allg[emeinen] Zeit[ung] besprochen, wonach das Kompromiss mit Freih. v. Huene so gut wie fertig sei.2 Ich glaube nicht daran. Huene kommandiert über viel zuwenig Anhang in diesem Falle, die grosse Mehrheit des Zentrums kann nicht mittun. Nous verrons. Herzlichen Gruss von Julie und Deinem AUGUST.
Den Bericht verfasste der Zentrumsabg. Adolf Gröber. Die zweite Beratung der Militärvorlage im Reichstag begann am 3. Mai. 2 Karl Frhr. von Hoiningen gen. Huene (1837-1900), seit 1877 Mitglied des preuss. Abgeordnetenhauses, 1884-1893 des Reichstages; einer der Führer des konservativen Zentrumsflügels. Sein Vermittlungsantrag sah eine Friedenspräsenzstärke von 4 7 9 . 2 2 9 Mann gegenüber 4 9 2 . 0 6 8 Mann des Regierungsantrages und die zweijährige Dienstzeit für die Fusstruppen vor. E r bedeutete eine E r sparnis von 13 Millionen Mark im ersten und von 9 Millionen in den folgenden lahren. Die Regierung nahm den Vermittlungsantrag an; aber der Reichstag stimmte ihm erst nach den Neuwahlen zu. 1
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263. BEBEL
AN
ENGELS
[Poststempel: Berlin, den 15. April 1893.]
Original.
L[ieber] G[eneral]! Mir ist der Fendr[ick]1 nicht bekannt, auch nichts von dem Prozess. Dass er eine Antwort wie die angegebene von F[ischer] erhalten haben soll, halte ich für ganz unmöglich. Leute, die Unterstützung verdienen, werden stets unterstützt. Ich rate Dir künftig zur grössten Vorsicht, Du gibst sonst das Geld an Unwürdige. Ich werde mich morgen, wo wir Sitzung haben, noch einmal erkundigen. Einen Fendr[ich] 2 kenne ich, den kennt aber L[ouise] von Brüssel her auch, dieser kann es aber nicht sein. Herzlichen] Gruss von uns beiden an Dich und L[ouise] Dein AUG.
Wilhelm Fendrick hatte sich an Engels um Unterstützung gewandt. Er sei Vorsitzender eines sozialdemokratischen Wahlvereins gewesen und hätte als Versammlungsleiter beschworen, dass gewisse Wendungen nicht vom Referenten gebraucht seien, wegen deren ein Strafverfahren gegen diesen eingeleitet wurde. Durch das Zeugnis eines Polizeibeamten des Meineides verdächtigt, sei er in Gefahr gewesen, verhaftet zu werden. Fendrick an Engels o. D. 2 Anton Fendrich (geb. 1868), sozialdemokratischer Redakteur und Schriftsteller aus Offenburg i.B., hatte den Brüsseler Kongress besucht. 1
264. BEBEL
AN
ENGELS
Berlin W., den 18. April 1893.
Original. Lieber General!
Meine Karte wirst Du bekommen haben. Ich hatte recht mit dem Fendrick, der Kerl hat Euch angeschwindelt. Halte fest, dass niemand mit unserer Zustimmung aus Deutschland geht, der nicht auch genügend Unterstützung erhalten hat; und wissen wir, wohin er ins Ausland geht, so benachrichtigen wir auch die betreffenden Genossen. Keinem von uns ist der F[endrick] bekannt; denn ich setze voraus, dass es nicht der Badenser ist, den Louise genau kennt. Mit dem Arrangement der Abzahlung der zweihundert Pfund an Weiler1 sind wir einverstanden, der Comm [unistische Arbeiterbildungsverein] mag also sehen, wie er das fertig bringt. 1
Es war nicht festzustellen, um welche Angelegenheit es sich hier handelte.
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Unterrichtet auch den Comm[unistischen Arbeiterbildungsverein] wegen F[endrick] und sagt den Leuten, dass sie künftig auf keinen Fall mehr zu Unterstützungen an Leute wie den F[endrick] sich herbeilassen. Ich habe mich in letzter Stunde herbeigelassen, den Franzosen (Guesde) und den Spaniern zu schreiben.2 Da ich entdeckte, dass Wurm, der meinen Brief ins Französische übersetzte, dies sehr schlecht besorgt hatte, habe ich das Original mit lateinischen Buchstaben in deutscher Sprache beigefügt; vielleicht kommt I[glesias] 3 auf den Gedanken, das einem Deutschen zur Übersetzung vorzulegen. Andernfalls lehne ich die Verantwortung ab für das, was sie bringen. Ich habe Singers und L[iebknecht]s Namen daruntergesetzt. L[ie]b[knecht] ist nicht hier, ich konnte ihn nicht fragen. Die Nachricht, dass Avel[ing] krank ist, überrascht mich nicht, er sah sehr schlecht aus, ganz als wenn er schon damals krank war; er soll sich in acht nehmen und sich nicht verleiten lassen, um jeden Preis bei der Maifeier zu sprechen. Beeilt der Reichstag sich mit der zweiten Lesung der Militärnovelle, dann können wir schon Ende nächster Woche die Auflösung in der Tasche haben. Über die Stimmenzahl, die wir erobern, will ich mich vorläufig nicht in Betrachtungen ergehen; so rapid wie das letztemal wachsen wir diesmal nicht. Du musst wissen, dass wir die allermeisten Städte und Industriebezirke schon hatten, und siebenhunderttausend Stimmen aus neuen Bezirken oder früher wenig beackerten Bezirken herauszuschlagen, ist eine ungeheure Leistung. Weiter ist zu beachten, dass das Wachstum der grossen Städte nicht entsprechend in den Stimmen zum Ausdruck kommt. Wenn z.B. Singer und Liebknecht 1890 im vierten und sechsten Wahlkreis hier je 42—45000 Stimmen erhielten, klingt dies sehr grossartig, entspricht aber keineswegs der Grösse der Wahlkreise, die uns 55-70000 Stimmen geben müssten. In den allzu grossen Wahlkreisen, die obendrein sicher sind, bleibt ein unverhältnismässig grosser Teil der Wähler daheim, es heisst: wir siegen doch. Von Rechts wegen müssten wir in Berlin allein 230000 Stimmen haben, ich bin froh, wenn wir 150-160000 bekommen. Auch aus Sachsen, unserem Hauptland, können wir nicht mehr allzuviel Bebels Schreiben zum 1. Mai erschien u.d.T. „Unissons-Nous", datiert 17. April und von Bebel unterzeichnet, im S o c i a l i s t e , Nr. 135, 23. April. D a s Schreiben an die Spanier, eine Sympathie und Anerkennung bezeugende Adresse, erschien in El Socialista, Nr. 373, 1. Mai; sie war vom 19. April datiert und von Bebel, Liebknecht u n d Singer unterzeichnet. 3 Pablo Iglesias (1850-1925), Buchdrucker, gründete 1868 die spanische Sektion der IAA. und 1879 den Partido Socialista Obrero Espanol; Bedakteur der seit 1885 in Madrid erscheinenden Zeitung El Socialista.
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holen, da wir das meiste schon haben. Hauptsächlich kommt Rheinland, Westfalen und Schlesien in Betracht. Ich hatte letzterer Tage mehrfach Verhandlungen mit Ahlwardt wegen seiner Anträge.4 Der Mensch legte eine Unwissenheit und eine Unfähigkeit an den Tag, die mich überraschte, obgleich ich ihn doch schon genügend zu kennen glaubte. Meinen ihm gestern präparierten Antrag, der die Zustimmung des Präsidenten fand, hat er heute noch nicht eingebracht; seine eigenen Leute wissen nicht, was er tun wird. Der Kerl ist ein Dussel — wie der Berliner sagt —, was mit seinem unmässigen Trinken zusammenhängt. Interessant war mir, dass er mir gestern sein Herz wegen der bevorstehenden Wahlen ausschüttete. Ihm und seinen Leuten kommen dieselben sehr ungelegen, er war nichts weniger als siegesgewiss; auch sind die sechs Herren im Reichstag in drei oder vier Fraktionen gespalten. Allgemein fällt auf, dass nicht einer von ihnen zum Wuchergesetz das Wort nimmt. Das werden wir ihnen an den Kopf werfen, wenn das Gesetz in dritter Lesung fertig ist und sie nichts mehr machen können.5 In Belgien ist ja der Rummel ganz hübsch im Gange; sie halten sich viel besser, als ich ihnen zugetraut. Wir haben am Sonntag Baake nach dem Revier geschickt, damit er von Ort und Stelle Berichte senden kann.6 Das Vorgehen der Belgier hat für uns einen ganz unerwarteten Nutzen. Unsere Gegner sagen sich schon hier und da, wenn das die belgischen Arbeiter machen, um das Wahlrecht zu bekommen, was werden dann die unseren tun, wenn wir es ihnen nehmen wollen. Und das ist ganz richtig. Machte man nach den nächsten Wahlen den Versuch, uns das Wahlrecht zu kürzen, wir müssten uns ganz gehörig wehren. Nach den heute, am 19. [April] vorliegenden Nachrichten aus Hermann Ahlwardt (1846-1914), Volksschullehrer, 1892-1903 antisemitischer Reichstagsabgeordneter für den Wahlkreis Arnswalde-Friedeberg. Er hatte in den Reichstagssitzungen am 18. und 21. März Anschuldigungen gegen Mitglieder des Bundesrates und des Reichstages erhoben und beantragte die Prüfung seiner Akten, die er dem Reichstag vorlegen wollte. Da die Fraktion nicht die erforderliche Stärke von fünfzehn Mitgliedern hatte, stellte die Sozialdemokratie die Stimmen zur Verfügung. Der von Bebel aufgesetzte Antrag wurde am 2. Mai behandelt. 5 Bei der dritten Lesung der Wuchergesetz-Novelle am 28. April sprachen die Antisemiten Liebermann von Sonnenberg und Bockel. 6 Die Ablehnung aller Wahlrechtsanträge durch die Kammer und den Senat beantwortete die belgische Arbeiterschaft mit dem Generalstreik und mit Massendemonstrationen, in deren Verlauf es zu Kämpfen mit Polizei und Militär kam. Curt Baake berichtete darüber: „Die Wahlrechts-Bewegung in Belgien", Vorwärts, Nr. 92, 94, 95, 20., 22., 23. April. 4
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Belgien scheint die Welle gebrochen zu sein. Mit der Annahme des Antrags Nyssen7 ist die Frage zwar nicht im Sinne unserer Genossen entschieden, aber doch so entschieden, dass ein weiterer Kampf gänzlich aussichtslos ist. Soeben erhalte ich die österreichische] Maizeitung. Dieselbe ist famos. Meinem Brief sind ein paar böse Druckfehler unterlaufen,8 ich bin immer Pechvogel in solchen Veröffentlichungen. Herzlichen Gruss von Julie und Deinem AUGUST.
An Louise schreibe ich direkt.
Der Antrag Nyssen sah ein Mehrstimmensystem vor: eine Stimme für alle fünfundzwanzigjährigen Bürger, eine zweite Stimme für über fünfunddreissig Jahre alte Familienväter und eine dritte Stimme für bestimmte Klassen von Besitzern einer Wohnung oder eines höheren Schuldiploms. 8 Die Zeitung „Zum 1. Mai 1893" erschien im Verlag der Arbeiter-Zeitung; Bebels Brief S. 9. Die Druckfehler bezogen sich auf stilistische Unebenheiten und Interpunktion. 7
2 6 5 . B E B E L AN
Original.
ENGELS
Berlin W., den 24. April 1893. Lieber General!
Wir hatten heute Militärkommission, und zu unserer eigenen Verwunderung sind wir nicht nur in einer Sitzung mit dem Bericht fertig geworden, die Sitzung währte sogar nicht einmal drei Stunden. Ich sende Dir den Bericht, sobald er endgültig vorliegt, weil er eine Masse tatsächlichen Materials enthält, das Dir willkommen sein wird. Im Plenum sollen die Verhandlungen am 2. Mai beginnen. Merkwürdigerweise gibt es neuerdings wieder Leute, die noch an eine Verständigung glauben. So traf ich beim Weggang aus dem Reichstag den Korrespondenten der Fr[an]kf[u]rt[er] Zeit[ung],1 der mit allen Führern der Fraktionen in Beziehungen steht, und der behauptete, dass Caprivi neuerdings bereit seit, auf eine Teilung der Forderung einzugehen. Du erinnerst Dich, dass ich Dir schon vor längerer Zeit schrieb, dass, wenn Capr[ivi] darauf einginge, er eine grosse Mehrheit erhielt. Ich würde mich nun doch wundern, wenn er jetzt noch nach all dem Vorausgegangenen sich auf ein solches Kompromiss einliesse. August Stein (1851-1920), hervorragender und einflussreicher Journalist, seit 1883 Hauptkorrespondent und Leiter des Büros der Frankfurter Zeitung in Berlin. Eine Auswahl seiner Aufsätze erschien u.d.T. Es war alles ganz anders (Frankfurt a.M., 1921). 1
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Sein Kredit als Staatsmann würde ganz bedeutend sinken. Warten wir ab. Du hast Dich von den Ergüssen der französischen und englischen Presse über die belgischen Vorgänge zu Ansichten bestimmen lassen bezüglich Deutschlands, die in den hiesigen Verhältnissen nicht die geringste Begründung fanden. Man hat von hier aus den Vorgängen sehr kaltblütig gegenübergestanden, nicht einmal die Kreuz-Zeit[ung] hat Hetzartikel gebracht. Gedanken, wie sie die bezügliche ausländische Presse kolportierte, hat hier wohl kein Mensch gehegt, wenigstens hat niemand, auch kein Blatt, dergleichen verlauten lassen. Ich kann Dir sagen, dass hier nicht das geringste Gelüst besteht, einen Krieg, sei er geartet, wie er wolle, vom Zaune zu brechen. Eben war Baake, den wir nach Belgien geschickt hatten, hier, um zu referieren. Natürlich waren die Führer — wie das selbstverständlich war und der rasche Entschluss, den Streik für beendet zu erklären, deutlich verriet —, froh, dass sie durch den Nyssenschen Antrag aus der Patsche kamen, in die sie zu geraten drohten. B[aake] fand, dass die politische Bildung der Massen noch sehr viel zu wünschen übriglasse. Er schloss dies aus dem Beifall, den die widersprechendsten Ausführungen der Redner auf den öffentlichen Meetings fanden. B[aake] liess sich heimtreiben, weil ihm von einem der Redakteure des Vorwfärts] ein sehr taktloser Brief zugesandt worden war, weil ein erwarteter Bericht nicht eintraf. Ob der Nyssensche Vorschlag unseren Leuten was Wesentliches nützt, hängt wesentlich von seiner Ausführung ab; in dem Ausführungsgesetz kann die Gesellschaft noch viele erschwerende Bestimmungen verwirklichen, die die Hoffnungen zu Wasser machen. Ich würde es bedauern, wenn in der Schuldforderung des L[ondon] Tr[ades] C[ouncil] die Einigung für die Maidemonstration scheiterte.2 Dergleichen liefert nur unseren Gegnern Wasser auf die Mühle. Laura habe ich gebeten, Lafargue wegen der überstandenen KussStrapaze mein Mitleid und meine Bewunderung auszudrücken.3 Es ist möglich, dass wir in Deutschland bei unseren Frauen und Mädels so keinen Begeisterungssturm erwecken können, dass sie uns um den Hals fallen und küssen, aber ich hätte auch einen Horror vor so viel Liebe. Es ist mir immer lieber, ich wähle, wen ich küssen will, als ich werde gewählt. Als ich im Sommer 1875 nach einunddreissigmonatlichem Gefängnis zum erstenmal wieder in meinen Wahlkreis Glauchau-Meerane kam und dort eine Rede hielt — es war bei einem Es wurden zwei Maifeiern abgehalten, eine vom London Trades Council in Verbindung mit der Social Democratic Federation und der Fabian Society, die andere vom Eight Hours Committee. S. darüber Engels an Sorge 17. Mai 1893. 3 Der Brief ist nicht bekannt.
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Fest — hörte ich eine Frau, nachdem ich geredet, hinter mir sagen: man sollte ihm gleich um den Hals fallen und ihn küssen. Ich drehte mich etwas überrascht um und beabsichtigte, um die Ausführung der Drohung zu bitten, aber nachdem ich mir die Verehrerin näher angesehen, unterliess ich die Bitte. Es tut mir leid zu hören, dass es Avel[ing] so schlecht geht. Ich lasse ihm gute Besserung wünschen. Ende dieser Woche muss ich mit Singer in den Dortmunder Wahlkreis; dass uns diese Wahl gerade jetzt kommt,4 ist unangenehm. Zum ersten Mai sind wir wieder hier. Herzlichen Gruss von Julie und Deinem AUGUST.
Anbei eine Korrespondenz aus dem heut [igen] Abendblatt der Vossfischen] Zeit[ung] über die Dockers.5 Die Voss[ische Zeitung] ist rascher unterrichtet wie wir. Die Sozialdemokratie gewann den Wahlkreis Dortmund-Hörde erst 1895 in einer Nachwahl durch Stichwahl. 5 Nach einer Ankündigung der Reeder in Hull, dass nichtorganisierte Hafenarbeiter gegenüber den organisierten bei Einstellungen bevorzugt werden sollten, traten am 8. April zehntausend Hafenarbeiter in den Streik. Er endete am 19. Mai mit einem Vergleich, nachdem am 17. April beschlossen war, eine Verständigung mit den Reedern zu suchen. Bernstein berichtete über den Streikverlauf im Vorwärts, Nr. 93, 21. April, Nr. 103, 3. Mai. 4
2 6 6 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 15. Mai 1893.
Original. Lieber General!
Über die Möglichkeit, ob die Auflösung1 zu verhüten gewesen sei, zu philosophieren, ist zwar sehr verführerisch, hat aber keinen praktischen Zweck mehr. Sicher war sie zu verhüten und verhältnismässig leicht, wenn ein gewandterer Mann an der Stelle von Caprivi stand, und wenn man dort mehr Fühlung mit den Parteien hatte. Die letztere fehlte aber ganz und gar. Cfaprivi] ist zu sehr Soldat und kann sich an das Diplomatisieren und Kompromisseln nicht gewöhnen. Er verrennt sich gleich, indem er sich selbst annagelt, und dann fällt es ihm schwer, einen Pflock zurückzustecken. Nachdem der Reichstag am 6. Mai die Militärvorlage in der Fassung des vermittelnden Antrages Huene mit 210 gegen 162 Stimmen abgelehnt hatte, wurde er aufgelöst und die Neuwahl für den 15. Juni ausgeschrieben. 1
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Wie sehr man sich verrannt hatte, bewies das Verhalten der Regierung in den letzten Tagen, als es ihr endlich klarwurde, dass die Vorlage verloren sei. Da war man nahe daran, den Kopf zu verlieren, und die Minister und die kompromisslüsternen Abgeordneten wuselten durcheinander wie ein Ameisenhaufen, in den man unversehens tritt. Tatsächlich ist die Auflösung der Festigkeit des Zentrums zu danken,2 dem wiederum die Stimmung in den Wählerkreisen und insbesondere die bevorstehenden Wahlen in Bayern zum Landtag den Kopf schwer machten. Ohne die letzteren kam es sicher zum Kompromiss. So aber konnte man nicht für die Vorlage stimmen; denn man hätte die so schon rebellischen Bauern — die sich von der Not der Zeit gedrückt fühlen —, noch rebellischer gemacht, und die Majorität im Landtag war zum Teufel. Dagegen glaube ich, dass dennoch eine Majorität für die Vorlage zu haben sein würde; die Angst vor einem Konflikt ist in den bürgerlichen Klassen immens, und eine nochmalige Auflösung riskiert man nicht. Andererseits handelt die Regierung abermals wieder kopflos, dass sie den Reichstag mit fieberhafter Eile zusammenberufen will, d.h. noch ehe in Bayern die Landtagswahlen vorüber sind und unmittelbar unter dem Eindruck der den Wählern gegebenen Versprechen seitens der Abgeordneten. Das ist für die Regierung ungünstig. Ungünstig ist ferner, dass die Hauptkompromissler im Zentrum und bei den Freisinnigen entweder gar nicht kandidieren oder höchstwahrscheinlich durchfallen. Auch dass Huene nicht mehr kandidiert, dessen Antrag die Wahlparole der Regierung bildet, ist ihr ungünstig. Kurz, die Situation ist so verfahren wie nur denkbar, und wir können in gar nicht vorherzusehende Verwicklungen geraten. Das allgemeine Stimmrecht hassen mit Ausnahme von uns alle. Von den Regierungen stützt es nicht eine; hat man sich erst über eine neue Basis geeinigt, dann ist man auch bereit, eine Änderung vorzunehmen. Der Gegensatz zwischen dem allg[emeinen] Stimmrecht im Reich und dem der Einzelstaaten ist zu gross und das erstere für die letzteren ein zu unbequemer Vergleich, als dass sie nicht bereit sein sollten, ihm den Garaus zu machen. Es wird also vom Reichstag abhängen, was der dazu sagt; und da werden wir eine seltsame Bundesgenossenschaft in den Antisemiten finden, die ohne das allgemeine] Stimmrecht nicht existieren können. Die Freisinnigen müssen aus Anstand dafür sein, aber wie zahlreich werden sie kommen? Das Zentrum zum grössten Teile auch; ob wir aber mit diesen Parteien inklusive] Antisemiten die Mehrheit bilden, ist nicht sicher. Andererseits kann man das Wahlrecht nicht mit einer 2
Nur zwölf Abgeordnete des Zentrums hatten für die Vorlage gestimmt.
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kleinen Mehrheit ändern. Leider genügt die einfache Mehrheit des Reichstags, um Verfassungsänderungen, soweit der Reichstag in Betracht kommt, zu beschliessen. Von Seiten der Regierungen können vierzehn gegnerische Stimmen sie vereiteln. Auf diese ist im Wahlrechtsfalle nicht zu rechnen. Erlangen wir eine sehr grosse Stimmenzahl, zweieinviertel Millionen genügten, so ist möglich, dass der moralische Druck derselben ausreicht, Änderungen des Wahlrechts zu verhindern; dafür wird die Majorität um so gefügiger in allen anderen Fragen. Ich fürchte nur, dass die Wahlbeteiligung nicht ungewöhnlich wird, der Winter wäre weit günstiger. Mitte nächster Woche gehe ich auf die Agitation nach Süddeutschland: Leipzig, Stuttgart, Esslingen, Pforzheim, Karlsruhe, Strassburg, Mannheim, Kassel. Später nach Hamburg, Kiel, Bremen etc. Die eigentliche Agitation für alle Parteien beginnt erst nach Pfingsten. Was sagst Du zu der Veröffentlichung des Briefes des Prinzen Albrecht v. Preussen?3 Die Kreuz-Z[eitung] ist ganz aus dem Häuschen. Ich schicke Dir Kreuz-Z[eitung] und Voss[ische Zeitung] über den Vorgang. Lieber Himmel, wir haben Glück. Wir sind wirklich herzlich unschuldig, dass uns der Brief zwischen die Finger kam. Die Gegner natürlich sehen uns in allen Staatsgeheimnissen die Finger habend und fragen sich: wo soll das hinaus? Wir steigen sehr in ihrer Achtung. Ich habe neben Hamburg noch Strassburg behalten,4 da dort sonst ein uns nicht genehmer Kandidat in Frage käme. Möglicherweise komme ich dort in die Stichwahl, alsdann stimmen aber die andern Parteien gegen mich. Darauf rechne ich auch; denn sonst hätte ich nicht angenommen. In Deutschland ist die Maifeier ausnehmend gut verlaufen, weit besser, als die Berichte unserer Blätter erkennen lassen. Dass Louise gut gesprochen, habe ich schon bemerkt,5 sie bewährt sich auch hier als Hexe. Bitte übergib ihr beiliegenden Brief. Ich bin bei allerbester Stimmung und hoffe, in den Versammlungen meinen Mann zu stellen. Er war seit 1885 Regent des Herzogtums Braunschweig. In seinem Brief vom 9. Mai sprach er sich für eine Begegnung Wilhelm II. mit Bismarck aus. Da man in weiten Kreisen noch an eine Rückkehr Bismarcks dachte, sah man in einer solchen Begegnung eine Abnahme des Einflusses Caprivis. Der Brief wurde veröffentlicht im Vorwärts, Nr. 111, 13. Mai. 4 Bebel kandidierte in Strassburg bereits 1890 und erhielt 4.500 Stimmen. Diesmal siegte er in der Stichwahl. S. Brief Nr. 273. Engels an L. Lafargue 20. Juni 1893. 5 Ausser ihr sprachen Bernstein, Lessner, Delcluze, Eleanor Marx. Stepniak. Bericht im Vorwärts, Nr. 110, 11. Mai.
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Julie lässt Dich herzlich grüssen, und ebenso sendet Dir herzlichen Gruss Dein AUGUST.
2 6 7 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 23. Mai 1893.
Original. Lieber General!
Ich muss herzlich lachen über Deine Philosophiererei. Erst hältst Du mir eine Vorlesung, was hätte kommen können, wenn Caprivi und Konsorten vernünftig waren — was sie zum Glück für uns nicht waren; und heute philosophierst Du mir vor von den schönen Wahlaussichten,1 die wir haben, weil unsere Gegner vor lauter Kopflosigkeit wieder eine Dummheit über die andere machen. Weisst [Du], wir philosophieren eben gar nicht, dazu haben wir gar keine Zeit; aber wir arbeiten, was das Zeug hält, und wollen praktisch probieren, wieweit die Dummheit unserer Gegner uns Vorschub leistet. Man notiert sich ihre Schwächen und haut sie ihnen in den Versammlungen und sonst, wo sich die Gelegenheit bietet, hinter die Ohren. Es wird ein böses Schwitzbad, die diesmalige Wahlagitation, etwa so wie jene von 1878, wo ich nach jeder Versammlung die Wäsche wechseln musste. Ich habe heute weisse Hosenträger angelegt, weil ich entdeckte, dass meine bisherigen roten ganze Landkarten ins Westenfutter und auf die Wäsche zeichneten. Wenn Ihr diesen Brief bekommt, habe ich Leipzig hinter mir und fahre nach dem schwäbischen Mekka, nach Stuttgart. Dort gedenke ich unter anderem auch meinem ehemaligen Kollegen Siegle2 einen Besuch zu machen und einen Schoppen des Besten aus seinem Keller auf seine Niederlage zu trinken. Er ist ein anständiger Kerl, wenn auch die Partei, der er angehört, die niederträchtigste ist. Scheck erhalten, besten Dank. Sieh zu, dass Du mit dem dritten Bande fertig wirst und mit all Deinen Arbeiten bis Ende Juli. Nachher darfst Du auf volle zwei Monate ausspannen, auf so lange musst Du Dich schon gefasst machen. Der Brief liegt nicht vor. Gustav Siegle (geb. 1840), Geh. Kommerzienrat, besass mehrere chemische Fabriken, die er 1875 mit der Badischen Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen verband; er war 1887-1893 nationalliberaler Reichstagsabgeordneter für Stuttgart. 1
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Dass wir diesen Sommer nicht nach London kommen, wirst Du begreifen. Wir werden den Juli zum Reichstag brauchen — ich rechne auf drei Wochen, innerhalb derer die Vorlage mit Hurra angenommen wird. Dann macht man die rückständigen Arbeiten rasch ab und ist Anfang August reisefertig. Und jetzt sei einmal vernünftig und lass mich den Reisemarschall machen. Mein Plan ist also folgender: Du und Louise, Ihr reist Anfang August ab. Wir kommen nach Köln. Du gehst von dort auf acht bis zehn Tage, solange es Dir gefällt, nach Engelskirchen. Wir nehmen das Baby, die Louise, in Empfang und bringen sie nach Zürich. Dort kommst Du hin. Und da Du doch Louise einige Zeit in Wien sich selbst überlassen musst, damit sie ihre Versammlungen halten und sich ihrer Mutter widmen kann — das musst Du ihr unter allen Umständen ermöglichen, so bleibst Du drei Wochen in Zürich. Kannst Du nicht bei Deiner Cousine bleiben oder magst Du so lange nicht dort bleiben, dann nimmt Dich Julie unter ihre Fittiche. Alsdann reisen wir entweder nach Wien und holen L[ouise] ab, oder wenn Du nicht nach Wien magst, reisen wir über München nach Berlin und kommt L[ouise] dorthin. In Berlin musst Du auf zehn bis zwölf Tage rechnen. Du darfst und sollst Dich nicht abhetzen. Von Berlin kannst Du dann einen Abstecher nach Hamburg machen, oder Du lässt Meissner3 nach Berlin kommen. Von Berlin reist Ihr dann nach London zurück. Wenn Du auf diesen Plan eingehst, berücksichtigt er alle Wünsche und Interessen, und Du fährst gut dabei. Uberleg Dir die Sache genau und sei vernünftig. Mit herzlichem Gruss von Julie und Deinem AUGUST. 8
Otto Meissner, Marx' Verleger in Hamburg.
2 6 8 . B E B E L AN ENGELS
Berlin, den 8. Juni 1893.
Original. Lieber General!
Eure Briefe erhielt ich.1 Der erste Abschnitt der Reise wäre also glücklich verlaufen, morgen geht's an den zweiten und beginne ich mit Bremen. Allmählich wird die Agitation auch bei den Gegnern lebendiger, 1
Die Briefe sind nicht vorhanden.
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was sehr wesentlich ist, da es unsere Leute nur noch mehr anfeuert. Die Tätigkeit der letzteren ist wirklich über jedes Lob erhaben, da arbeitet jeder vom ersten bis zum letzten Mann, was er kann. In Kassel sind z.B. letzten Sonntag fünfhundert Mann in die verschiedenen Wahlkreise ausgezogen, und den nächsten Sonntag, als den letzten vor der Wahl, dürfte in ganz Deutschland ein ganzes Armeekorps auf Kriegsfuss ausrücken, um die Flugblätter und Stimmzettel zu verteilen. Wäre nicht der Zür[icher] Kongress, ich würde Dir vorschlagen, die Tour nach der Schweiz in einigen Unterbrechungen zu machen, um unsere Süddeutschen mal kennenzulernen. Das ist ein ganz anderes Volk als ihre Väter von 1848. Ich bin, offen gestanden, in Süddeutschland am liebsten, auch auf der Agitation; nirgends hört man soviel Schnurren und Wahlanekdoten wie dort. Es macht mir immer einen Hauptspass, die Leute erzählen zu hören. Wird werden an Süddeutschland unsere Freude erleben, insbesondere auch an den Elsässern. Unsere Leute bringen Leben in die Bude. Wie's in Strassburg war, werdet Ihr aus dem heutigen Vorwärts ersehen.2 Es wurde sogar — was ich nicht veröffentlichen wollte —, in der Universität demonstriert, wo es vor einer Vorlesung zu Demonstrationen und Gegendemonstrationen sehr lärmender Art kam. Auf Strassburg bin ich neugierig. Die Elsässer Zustände werden wir nächsten Herbst im Reichstag zum Gegenstand einer sehr ausgiebigen Debatte machen. Das Land erobern wir allmählich, das steht für mich fest. Und was für ein herrliches Land. Baden und Elsass-Lothringen sind der Garten Deutschlands. Die Vogesen sind ein prächtiges Gebirge, ich wünschte, ich könnte mal so vierzehn Tage in angenehmer Gesellschaft darin herumstrolchen. Man bekommt überall gut zu essen und zu trinken und in den Gasthäusern gute Betten; was willst Du mehr? Und daneben sind die Menschen so famos. Dass Dir die Interviewer so auf dem Hals sitzen, geschieht Dir schon recht. Du hast neulich dem Interviewer des Figaro so schöne Dinge über uns erzählt, dass mir angst und bange wurde.3 Du bist in 2 Einen von Bebel verfassten, ausführlichen Bericht über die süddeutsche Agitationstour brachte der Vorwärts, Nr. 181, 7. Juni. 3 Das Interview des Figaro brachte Le Socialiste in Nr. 140, 20. Mai, woraus es Bebel vermutlich kannte. Engels gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass der neue Reichstag noch weniger als der alte geneigt sein werde, der Militärvorlage zuzustimmen. Über die Wahlaussichten der Sozialdemokratie meinte er, dass sie zweieinviertel bis zweieinhalb Millionen Stimmen erhalten werde. „Pour moi, le temps approche où notre parti sera appelé à prendre le gouvernement en main . . . Vers la fin du siècle, vous verrez peut-être cet événement s'accomplir." Bei jeder Wahl habe die Partei einen konstanten Fortschritt gebucht. Würde der Reichstag
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einem Optimismus, dass man ordentlich erschrickt. Ich habe in den Vorw[ärts] nichts davon gebracht, weil ich meine, es ist besser, so unmittelbar vor der Schlacht nicht die Hoffnungen zu äussern, die man hat. Werden sie verwirklicht, dann um so besser. Dass der Reporter der D[eutschen] Z[eitung] unsere Louise so lobte, das beruht — unter uns gesagt — auf dem Geheimbund, den alle Wiener ausserhalb Wiens untereinander geschlossen haben. Kein Wiener lässt auf den anderen was kommen, und wenn sich's nun gar um eine Wienerin handelt, dann ist's ganz aus. Schlimm genug, dass wir Nichtwiener dem Hexeneinfluss einer Wienerin auch unterworfen sind. Ihr werdet am Wahltage die gewünschten Telegramme erhalten; 4 dass Ihr, wie Louise schreibt, Freinacht machen wollt, ist wirklich gut. Ich glaube aber, nach zwei Uhr werdet Ihr auf Depeschen kaum noch zu rechnen haben. An unserem Reiseplan können wir festhalten, ich glaube sicher, dass wir bis zum Anfang August fertig sind. Komme ich wieder in die Kommission, dann dringe ich sehr entschieden darauf, der Komödie ein rasches Ende zu bereiten. Und da Mitte Juli auch die bayerischen Landtagswahlen sind, ist jeder Grund zum Zieren verschwunden. Mit den Steuervorlagen werden wir nicht behelligt, darüber mag sich der Vorw[ärts] trösten. Herzlichen Gruss von Julie und Deinem AUGUST.
Soz[ial]demokr[atische] Schriften zirkulieren mehr in der Armee, als man sich träumen lässt; man versteht es aber vortrefflich, sie zu verstecken. Der Kaiser, so hörte ich aus genauester Quelle in Strassbfurg], hat eine Verordnung erlassen, dass kein Soz[ial]demokrat Gefreiter oder Unteroffizier wird, auch die Einjährigen nicht. Die Folge ist, dass Regimenter, die sich aus sozialdemokratischen Bezirken rekrutieren, Mangel an tauglichen Gefreiten haben, so im 143. Regiment, das sich aus der Frankfurt-Hanauer Gegend rekrutiert.
nicht verfrüht, sondern erst 1895 gewählt, dann würde die Partei dreieinhalb Millionen Stimmen erhalten. „Avec trois millions et demi d'électeurs sur sept millions (de votants), l'Empire allemand ne peut continuer dans sa forme actuelle . . . " Engels hielt das Interview für etwas abgeblasst und lückenhaft, aber korrekt wiedergegeben. Engels an Sorge 17. Mai 1893. 4 In Engels' Nachlass befinden sich achtunddreissig Telegramme mit Ergebnissen aus den hauptsächlichsten Wahlkreisen sowie ein achtseitiges Telegramm mit Wahlergebnissen.
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2 6 9 . J U L I E B E B E L AN
Original.
ENGELS
Berlin, den 13. Juni 1893. Lieber Herr Engels!
Ich habe Ihren lieben Brief noch nicht beantwortet, weil uns der Reiseplan für dieses Jahr, der verschiedenen Umstände halber, nicht diskutierbar erschien und aus den zu frühen Entschlüssen gewöhnlich nichts wird. Da wir aber zu unserer Freude ersehen, dass Sie denselben diesmal selbst anregen, und mittlerweile die Situation sich ein wenig geklärt hat, können wir die Frage wieder aufnehmen. Mein Mann hat Ihnen ja bereits einen Plan entworfen, der meine volle Zustimmung hat und vielleicht auch die Ihre? Was nun an mir liegt, so möchte ich gern Ihrem Wunsche, Sie abzuholen, nachkommen; aber das ist für diesmal ganz unmöglich. Ich würde von London wenig haben können, da die Zeit zu kurz bemessen wäre, und August weiss heute auch noch nicht, wann er frei sein wird; auch möchte ich ihn nicht allein lassen, da er nach diesen Strapazen der Pflege mehr bedarf denn je. Ich hoffe aber, dass die Zeit nicht allzufern sein wird, wo ich Sie in London besuchen werde. Ich freue mich herzlich, dass mein lang gehegter Wunsch, Sie kennenzulernen, endlich in Erfüllung gehen wird, und ich werde mit besonderem Vergnügen versuchen, Ihnen den Aufenthalt bei uns in Berlin so angenehm als nur möglich zu machen. Sie werden es nicht bereuen, Berlin wiedergesehen und genossen zu haben; es lohnt sich schon der Mühe. Der Wahlrummel hat ja glücklicherweise bald sein Ende erreicht, alles ist gespannt auf den 15. [Juni]. Ich hoffe, dass die Partei den Vogel abschiesst. Die Bewegung unter unseren Leuten ist eine kolossale. Es wird aber auch Zeit, dass er ein Ende nimmt für die, die den Strauss auszufechten haben, und ich will froh sein, wenn mein Mann mit heiler Haut davonkommt. Jeden Abend Schwitzbäder, vier Wochen lang, muss den gesündesten Menschen ruinieren; er hat es auch satt und sehnt sich nach Hause und etwas Ruhe. Ich werde ihn gehörig in die Kur nehmen müssen, damit er wieder in Ordnung kommt. Wenn man bedenkt, wie viele solcher Wahlagitationen er schon durchgemacht, ist es ein Wunder, ihn heute noch so frisch zu sehen. Und früher waren sie vielleicht noch schlimmer, wie er das Erzgebirge zu beackern hatte; das waren Strapazen, wo ich mich heute noch wundere, wie er sie ausgehalten hat. Wir werden Ihnen da verschiedene interessante Episoden zum besten geben, mit so vielen anderen. Also 689
kommen Sie nur, es wird Sie nicht gereuen. In dieser angenehmen Erwartung will ich für heute schliessen. Mit den herzlichsten Grüssen Ihre JULIE
270. BEBEL
AN
BEBEL.
ENGELS
Berlin W., den 15. Juni 1893. Am Tage der deutschen Wahlschlacht.
Original. Lieber General!
Wenn Du diese Zeilen erhältst, ist das Schicksal des Wahlkampfes in der Hauptsache entschieden. Auf die Stichwahlen rechnen wir nicht zu sehr.1 Darüber sind wir alle einig, dass wir von diesen dieses Mal weniger denn je zu erwarten haben. Alle Gegner treten uns gegenüber gemeinsam auf. Wir werden also nur dort auf Sieg rechnen können, wo wir einen erheblichen Vorsprung haben und mit den aus eigener Kraft neu aufgebrachten Stimmen und dem kleinen Teil, der sich von den Gegnern absplittert, die Majorität erlangen. Du scheinst mein Schreiben etwas missverstanden zu haben. Nicht die Angaben an sich betrachtete ich als übertrieben, sondern ich erachtete es für bedenklich, unmittelbar vor dem Wahlkampf damit herauszutreten. Nun bist Du ja aber in anderer Stellung als wir, und da obendrein die deutsche Presse, soweit ich sie verfolgen konnte, merkwürdigerweise keine Notiz nahm, so sind auch meine Bedenken hinfällig. Die Stimmenzahl entzieht sich jeder Berechnung, drei Millionen Stimmen, wie die Voss[ische Zeitung] uns zuschreibt, halte ich für unmöglich;2 dann fiel die gesamte deutsche Bourgeoisie auf den Rücken und die Regierungen desgleichen. Man hat uns die ganze Zeit schon in den gegnerischen Blättern weit mehr Stimmen und weit mehr Mandate zugeschrieben, als wir selbst erwarten; jedenfalls in der Absicht, wenn wir das nicht erlangen, sagen zu können, wir seien in unseren Hoffnungen getäuscht worden. Dass die Situation sehr günstig ist, steht ja fest, ich beurteile das Im ersten Wahlgang wurden vierundzwanzig sozialdemokratische Abgeordnete gewählt. In dreiundachtzig Wahlkreisen kamen die Sozialdemokraten in die Stichwahl; sie siegten in zwanzig Wahlkreisen. Insgesamt wurden vierundvierzig Sozialdemokraten gewählt gegenüber fünfunddreissig im Jahre 1890. 2 Die Sozialdemokratie erhielt 1.786.738 Stimmen gegenüber 1.427.298 im Jahre 1890.
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nicht nach den Versammlungen, die wir abhalten; denn wir haben stets in solcher Zeit die grossen Menschenansammlungen gehabt. Viel wichtiger ist, was die Agitatoren zweiten, dritten und vierten Ranges vom Lande berichten, und was die Stimmzettel- und Flugblätterverteiler aussagen über die Aufnahme, die sie fanden. Und deren Aussagen berichten von einer grossen Wandlung in den Massen. Es wird sich einmal bei der jetzigen Wahl wieder zeigen, dass die Ereignisse in ihren Folgen über die Köpfe ihrer Urheber hinwegwachsen. Caprivi wird mehr als einmal bereut haben, dass er nicht alles aufbot, um ein Kompromiss zustande zu bekommen. Wenn ich glaube, dass er jetzt ein solches noch fertigbringt, so, weil ich überzeugt bin, dass eine Menge Abgeordnete dafür stimmen werden, weil sie vor einer neuen Auflösung zurückschrecken. Wir haben heute einen glühend heissen Tag wieder, wie wir jetzt schon so viele hatten. Draussen ist alles im Verdorren, die Wiesen sehen schrecklich aus, es gibt kein Futter. Die Bauern müssen massenhaft ihr Vieh verkaufen, und sie erhalten dafür unglaublich schlechte Preise. Das Vieh ist mager, und es ist im Übermass angeboten. Das Getreide reift, noch ehe es zum Auswachsen kam. Dauert die Hitze noch acht Tage, dann ist auch die Kartoffelernte zum Teufel. Dabei überall Klagen über schlechten Geschäftsgang. Ich kann mich nicht entsinnen, dass ich je von so viel Arbeitslosen gehört wie diesen Sommer. Wird die Ernte schlecht, wird das Geschäft noch schlechter. Da begreift sich, dass der geduldigste Philister in Wut gerät, wenn er in solchen Zeiten statt von Rücksichtnahme auf die schlechten Verhältnisse von neuen Steuern und einem Mehr von Soldaten hört. Oben ist man einmal wieder wie mit Blindheit geschlagen und hat weder Ohren noch Augen für die Situation. Das alles ist's, was unseren Weizen zum Blühen bringt. In Kiel habe ich mir einen unserer grossen Panzer angesehen, die „Bayern"; von der „Sachsen", bei der wir zuerst anfrugen, wurden wir abgewiesen, weil keine Besuchszeit sei. Im Kieler Hafen liegt eine hübsche Zahl dieser schwimmenden Festungen — der Kieler Hafen ist grossartig, soll einer der schönsten der Welt sein, und nach dem, was ich gesehen, glaube ich das. Beim Zeigen der Schutzketten gegen Torpedos frug ich unseren Führer, ob man denn noch kein Mittel habe, diese Schutzketten zu durchbrechen. Und da sagte er mir denn ganz im Vertrauen: man habe neuerdings eine Erfindung gemacht, wonach die Torpedogeschosse mit Scheren versehen seien, mit welchen sie die Ketten durchschnitten. Er behandelte die Sache sehr geheimnisvoll und erschrak, als er während der Auseinandersetzung einen Offizier herankommen sah. Man baut neuerdings im Kieler Hafen auf einer der dortigen Werften einen ganz kolossalen Panzer, 691
die „Wörth", wie noch kein solcher existiert. Ich habe nach dem, was ich gesehen, verflucht wenig Vertrauen in die Leistungsfähigkeit derselben. Alles ist ja mit Maschinen und technischen Einrichtungen der vollkommensten Art so hergerichtet, dass es wie am Schnürchen geht. Die Geschütze werden mit einer Leichtigkeit bewegt, als setzte man eine gut gehende Nähmaschine in Tätigkeit. Ein Kind kann sie dirigieren. Aber wenn im Ernstfall so einige der eisernen Zuckerhüte auf Deck und in all diese Herrlichkeit hineinfallen, dann will ich sehen, was davon intakt bleibt. Da ist auch nicht eine Vorrichtung, nicht eine Schutzwand vorhanden, die einem solchen Geschoss widerstehen kann. Und was muss das für ein furchtbares Gerassel geben, wenn die Schrapnells und Granaten auf all das Eisenzeug niederprasseln. Die Wirkung muss schon moralisch eine sehr deprimierende sein.3 Kurz, man wird zu Land und zur See die Erfahrung machen, dass man zu gut ausgerüstet ist, um noch Krieg führen zu können. Unser Wilhelm scheint in allem das Auffallende, das Übertriebene zu lieben, so seine Liebhaberei für die Panzerkolosse und für die Kavallerie und ihre dreifache Verteidigungsfähigkeit, Lanze, Karabiner und Säbel. Wenns drauf und dran kommt, leidet alles jämmerlich Schiffbruch. Dein Gedanke, nach Mailand zu gehen, ist annehmbar. Ich habe schon Turati und der Dr. Kul[iscioff] 4 versprochen gehabt, einmal hinzukommen, und sie haben mich auch schon wiederholt darum gedrängt und werden in Zfürich] wieder drängen. Der August ist freilich nicht die schönste Zeit für Italien, aber man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Ich bin also bereit, den Weg durch die Alpen zu machen. Ganz sublim ist Dein Gedanke, nächstes Jahr mal die Vogesen zu durchstreifen, das nenne ich doch Unternehmungsgeist; auch dabei bin ich, und zwar mit Vergnügen. Wir orientieren uns zuvor genau und legen los, das wird ein Hauptvergnügen. Schade, dass wir es nicht schon dieses Jahr haben können. Gestern abend habe ich mir noch zum Schluss einen leichten Katarrh zugezogen. Die Leute waren ganz toll, verfolgten mich mit ununterbrochenen Hochrufen durch die Strassen, so dass ich mich in einen Restaurationsgarten flüchten musste. Und nun ich Dir dieses * Bebel sprach in diesem Sinne über die Flottenrüstungen am 27. November im Reichstag. S. Gegen den Militarismus, . . . (Berlin, 1893), S. lOf. 4 Filippo Turati (1857—1932) gründete 1890 die Zeitschrift Critica Sociale, 1898 die Zeitschrift La Lotta di Classe; seit 1896 vertrat er Mailand in der Kammer. - Anna Kuliscioff (1857-1925), Turatis Gattin, lebte seit 1875 als russische Studentin in der Schweiz; sie wurde Ärztin und war hervorragend tätig in der sozialistischen und Frauenbewegung.
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alles geschrieben, will ich hinunter und für den Schriftsetzer Richard Fischer6 den Stimmzettel abgeben, damit er durchkommt. Ich hab's Wahllokal im Hause. Bitte grüsse Louise herzlich und sage ihr, ich würde ihr morgen schreiben, Zeitungen und Flugblätter sende ich ihr heute; ich habe aber wenig von Flugblättern zur Hand, und es wird jetzt auch schwer sein, noch welche aufzutreiben. Es ist unglaublich, was für Berge von Drucksachen in einem solchen Wahlkampfe gefressen werden und verschwinden. Ich will im Vorstand anregen, dass wir eine Statistik über die Wahlkosten, die Zahl der verteilten Flugblätter und der abgehaltenen Versammlungen veranstalten, sie wäre hochinteressant.6 Mit herzlichem Gruss von Julie und mir an Dich und Louise Dein AUGUST.
Eine so tausendstimmige Majestätsbeleidigung, wie am Montag in Kiel, habe ich im Leben noch nicht gehört. Ein nat[ional]lib[eraler] Redakteur trat mir mit grosser Frechheit entgegen und schloss mit einem Hoch auf Kaiser und Reich. Kein Mensch erwiderte, dagegen flogen Tausende von Pfuis und Schimpfworte aller Art wie aus einem Munde ihm an den Kopf. Die arme Polizei war starr vor Schreck und vergass die Auflösung. R. Fischer wurde im zweiten Berliner Wahlkreis gewählt. In den Berichten des Parteivorstandes an die Parteitage wurden darüber Angaben gemacht.
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271. BEBEL
AN
ENGELS
Berlin, den 17. Juni 1893.
Original. Lieber General!
Ich schrieb Dir am Wahltag, als noch nichts von den Wahlen bekannt war. Gestern schrieb ich Louise,1 und ihr teilte ich eine Anzahl Betrachtungen über die Wahlen mit, die sie auch Dir vorgelesen haben wird. Heute lässt sich das Schlachtfeld genauer übersehen. Wir haben vierundzwanzig Mandate und unter den achtundzwanzig Stichwahlen ca. zwanzig, auf die wir sicher rechnen können; haben wir Glück, kommen wir auf fünfzig Abgeordnete. Der Brief liegt nicht vor. Zu den Wahlbetrachtungen dieses und des folgenden Briefes vgl. die wohl von Bebel stammenden Ausführungen über die Wahlen im „Bericht des Parteivorstandes" an den Kölner Parteitag. Protokoll, S. 47ff.
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Verloren ist neben Bremen, Kalbe-Oschersleben; verlieren werden wir Halle, möglicherweise Lübeck und Königsberg. Elberfeld hat sich schlecht gehalten, ebenso Solingen, wo unsere Leute sich den Luxus von zwei Kandidaturen erlaubten. Alle Versöhnungsversuche unsererseits waren vergeblich. Na, denen wird der Parteitag in Köln ein Lied singen, dass ihnen die Ohren wehe tun.2 Manche Wahlkreise haben sich überraschend gut gemacht, so Bochum — wenn wir auch keinen direkten Erfolg haben, ferner Pirna in Sachsen, Beeskow-Storkow. In anderen stehen die Chancen schlechter, als erwartet wurde. Ganz überraschend sind die Antisemiten an Stimmen gewachsen, und sie werden auch ungefähr zwölf Mandate bekommen;3 ferner die Konseivativen (Bauernbund) und auch die Nat[ional-] Liberalen stehen in den Stichwahlen sehr günstig. Wir haben die Freisinnige Vereinigung und namentlich die Freisinnige] Volkspartei in verhängnisvoller Weise vernichtet.4 Wir haben dieselbe aus einer Menge Stichwahlen gedrängt, ohne dass wir die geringste Aussicht haben, in den Stichwahlen zu siegen. Im Reichstag steht eine konservativ-nationalliberale Mehrheit in Aussicht, die denkbar schlechteste Mehrheit. Ein zweiter Kartellreichstag von 1887. Bauerntum und Spiessbürgertum haben sich jammervoll benommen. Dieses Volk muss erst durch harte Tatsachen vernünftig gemacht werden. In Berlin erhalten wir sicher zwei, wahrscheinlich drei Wahlkreise; es ist sogar nicht unmöglich, dass die Konservativen im I. [Wahlkreis] den Fortschritt im Stich lassen,5 obgleich wir auf einen solchen Sieg gerade nicht stolz zu sein brauchten. Lübeck und Königsberg* werden wir, wie schon bemerkt, kaum halten. Der Wahlkreis Solingen wurde behauptet, obwohl sich dort zwei Parteigruppen in gehässiger Weise bekämpften. Auf dem Kölner Parteitag erschienen Delegierte beider Gruppen; alle ihre Mandate wurden für ungültig erklärt. Eine Siebenerkommission prüfte die beiderseitigen Vorwürfe, und es wurde mit Nachdruck auf eine Bereinigung der Atmosphäre gedrängt. Protokoll, S. 141f., 249ff. s Sie erhielten sechzehn Sitze gegenüber sechs im alten Reichstag. 4 Die Freisinnige Volkspartei erhielt vierundzwanzig, die Freisinnige Vereinigung zwölf Sitze; beide Fraktionen zählten im alten Reichstag achtundsechzig Abgeordnete. 5 Im ersten Berliner Wahlkreis wurde in der Stichwahl der StadtverordnetenVorsteher Dr. Langerhans (Freisinnige Volkspartei) gewählt. In den anderen fünf Berliner Wahlkreisen siegten Sozialdemokraten: im zweiten in der Stichwahl R. Fischer, im dritten in der Stichwahl E. Vogtherr, im vierten P. Singer, im fünften R. Schmidt, im sechsten W. Liebknecht. • In Lübeck wurde der Abg. Görtz von der Freisinnigen Vereinigung gewählt. In Königsberg siegte der Sozialdemokrat Carl Schultze (1858-1897), der dem 1
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Im Osten hätten wir, wenn wir im Winter Wahl hatten, sehr viel Stimmen mehr erhalten. Die ganze Schifferbevölkerung an der Oder, der Warthe etc. trat sonst fast Mann für Mann für uns ein, sie ist jetzt auf dem Wasser. Montag gehe ich aufs neue fort. Halle — Kunert kommt heute gegen fünftausend M[ark] Kaution frei, rettet aber schwerlich den Wahlkreis,7 — Dresden, Plauen i/Vogtl., dann Donnerstag und Freitag hier. Sind anderwärts die Stichwahlen später, so gehe ich noch nach dem einen oder anderen Ort. Nach Strassburg gehe ich nicht, ich will dort den Sieg nicht provozieren, so leid mir tut, wenn wir St[rassburg] nicht bekämen. Dort besteht die gesetzliche Vorschrift, dass man alle Wahlaufrufe, Flugblätter unterzeichnen und einige Exemplare den Behörden einreichen muss, wodurch man die Verantwortung übernimmt. Da ich auf Agitation war, unterschrieb ich das Papier ohne Inhalt. Und da machen unsere Leute die Dummheit und beleidigen die Regierung. Natürlich werde ich angeklagt, ich denke aber mit einer Geldstrafe davonzukommen; der eigentliche Attentäter hat sich gemeldet. Auch heute musste ich wieder carte blanche geben, habe aber die Bedingung gemacht, dass die Blätter erst durch einen Rechtsanwalt geprüft werden. Ich will mich doch nicht durch Dritte hineinlegen lassen; dergleichen kann man, wenn man's wünscht, selbst besorgen. Wieviel Stimmen wir haben, wissen die Götter, über zwei Millionen kommen wir nicht; ich will sogar froh sein, wenn wir sie voll erreichen.8 Bitte grüsse Louise recht herzlich von uns, ich schicke ihr heute einen Pack Blätter. Herzlichen Gruss von Julie und Deinem AUGUST.
Soeben kommt die Nachricht, dass nicht das Zentrum, sondern wir in Bochum in die engere Wahl kommen. Das ist ein kolossaler Erfolg. Wenn jetzt die katholischen Arbeiter gescheit sind, wählen sie uns in Bochum und Dortmund.9 Reichstag seit 1890 angehörte. Bei der Nachwahl am 10. Juni 1897 wurde Hugo Haase gewählt. 7 Kunert war einen Tag vor der Wahl verhaftet worden; er eroberte den Wahlkreis erst bei einer Nachwahl im Jahre 1896. 8 S. Brief Nr. 270, Anm. 2. • In Dortmund wurde der nationalliberale Abg. Möller mit 21.589 Stimmen und einer Mehrheit von 64 Stimmen gegen den Sozialdemokraten gewählt. In Bochum erhielt der sozialdemokratische Kandidat 19.585 gegenüber 8.388 Stimmen im Jahre 1890; in der Stichwahl wurde der Zentrumskandidat Fuchs gegen einen Nationalliberalen gewählt.
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2 7 2 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 25. Juni 1893.
Original. Lieber General!
Ich will heute Deinen Brief vom 17. [Juni] beantworten,1 freilich nur kurz; denn man merkt es jetzt, wo man zur Ruhe kommt, wie abgespannt man von den Strapazen ist. Eigentlich sollte man sich vierundzwanzig Stunden ins Bett legen und schlafen. Die Stichwahlen sind schlechter ausgefallen, als wir bei bescheidenen Erwartungen voraussehen durften.2 Die gesamten bürgerlichen Parteien haben mit wenig Ausnahmen gegen uns gestimmt. Andererseits haben sie alles, was in ihrer Macht stand, in Bewegung gesetzt, und so blieben sie vielfach über uns Sieger. Namentlich sind wir in Sachsen bei den Stichwahlen gründlich unterlegen, und doch hatten wir fast sicher auf wenigstens zwei Sitze: Plauenscher Grund — Dippoldiswalde, woselbst wir mit knapp hundert Stimmen unterlagen, und auf Pirna gerechnet. Weiter hofften wir Annaberg und Plauen zu bekommen. Alles ist futsch. Der Freisinn hat offiziell sich sehr anständig gegen uns gehalten, aber die Wähler des Freisinns parierten nicht. Ferner Hess uns die Volkspartei in Stuttgart im Stich. Mannheim ging an der Hänsler-Affäre verloren.3 Halle war nicht wieder zu erobern gegenüber der geschlossenen Macht der Gegner. In einer ganzen Reihe Wahlkreise, um die wir schon lange ringen — Kassel, Leipzig, Dresden, Zeitz, Hanau etc. — rangen wir vergebens. In Dortmund liessen uns die katholischen Arbeiter im Stich. Von Wahlkreisen, in denen wir möglicherweise siegen können, stehen Ottensen-Pinneberg, Brandenburg, Forst und Rudolstadt noch aus. München und Fürth kommen Montag an die Reihe. Über fünfundvierzig bis sechsundvierzig Mandate bringen wir es nicht. Wir haben dreiundvierzig, Lennep-Mettmann bekamen wir wider Erwarten.4 Auch mit der Stimmenzahl bleiben wir hinter zwei Millionen zurück, wie ich gleich annahm. Es ist merkwürdig, wie alle Welt sich über Der Brief ist nicht vorhanden. Die Sozialdemokratie kam in fünfundachtzig Wahlkreisen in die Stichwahl und siegte in zwanzig Wahlkreisen. 3 Der sozialdemokratische Abg. August Dreesbach wurde in Mannheim von dem Nationalliberalen Ernst Bassermann geschlagen und eroberte den Wahlkreis erst im Jahre 1898 wieder. Hänsler wurde wegen Unterschlagungen, die das Mannheimer Parteiorgan gefährdeten, zu Gefängnis verurteilt. Protokoll Köln, S. 56. 4 Der sozialdemokratische Kandidat Meist wurde im 1. Düsseldorfer Wahlkreis Lennep-Mettmann gegen den Kandidaten der Freisinnigen Volkspartei mit 1.860 Stimmen Mehrheit gewählt. 1
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uns und wir uns über uns selbst täuschten. Bei den Gegnern herrschte eine wahre Angst über uns, und sie schrieben uns die grossartigsten Erfolge zu. Jetzt entdecken sie zu ihrer eigenen Verwunderung, dass sie stärker sind, als sie selbst glaubten. Unsere Resultate würden weit günstiger sein, wählten wir im Winter. Diese Auffassung, die ich immer hatte, wird mir jetzt von den verschiedensten Seiten bestätigt. Hunderttausende von Stimmen sind uns dadurch verlorengegangen. Lübeck hatten wir im Winter sicher, in andern Wahlkreisen hatten wir weit mehr Stimmen. Auch ist der Samstag kein sehr günstiger Wahltag, der Montag ist besser. Auch sind uns unzweifelhaft ein ganz Teil kleinbürgerlicher Stimmen infolge der Sonntagsruhe, die die Handwerker und Kleinbürger nicht wollen, verlorengegangen. Ferner hat uns hier und da der Antisemitismus eine Anzahl Stimmen genommen. Ich hörte Handwerker sagen: Ihr erklärt ja rundheraus, dass Ihr uns nicht helfen könntet; wir wollen aber nicht untergehen, und da wählen wir antisemitisch, die Antisemiten] versprechen, uns zu helfen. Ähnlich steht's mit den Kleinbauern.5 Rede den Leuten mit Engelszungen gegenüber und beweise ihnen haarscharf, dass alles Schwindel sei, sie bleiben dabei. Ich bin erstaunt gewesen über den tiefen fanatischen Hass, den man den Juden entgegenbringt in den Handwerker- und kaufmännischen Kreisen. Der bedauernswerteste Mensch ist gegenwärtig der kaufmännische jüdische Reisende; der wird vielfach behandelt wie ein Hund; und es gibt Geschäfte in Sachsen, wo angeschlagen steht: Bettlern, Hunden und Juden ist der Eintritt verboten. Nun spielen die Juden unzweifelhaft in Deutschland eine Rolle, die einem grossen Teil der Händler und Handwerker verderbenbringend ist; dass morgen die Christen dasselbe machten, wenn man heute die Juden allesamt totschlüge, glaubt Dir niemand: ebensowenig glaubt man, dass das kapitalistische System notwendigerweise das Handwerk ruiniert. Handwerker, Krämer und Kleinbauern sind die borniertesten Menschenklassen, die es gibt, das liegt ja in ihrer sozialen Stellung; und so müssen wir vorerst abwarten, wie sich weiter der Auflösungsprozess entwickelt. Zeigen Antisemitismus und Konservatismus, dass sie beide ohnmächtig sind, um sie retten zu können, dann dürfen wir auf Boden und Anhang hoffen, vorher nicht. Das ist eine Phase, die wir durchmachen müssen. Tatsächlich sind Handwerker und Kleinbürgertum
Vgl. dazu Bebels Referat „Antisemitismus und Sozialdemokratie" auf dem Kölner Parteitag, Protokoll, S. 223ff., insbesondere 230ff.
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in einer sozial äusserst gedrückten Lage; das ist's auch allein, das sie dem Antisemitismus in die Arme treibt.6 Der Reichstag wird gleich zu Anfang seiner Beratung in die Lage kommen, die Suspendierung der Zölle auf Mais und Hafer aussprechen zu müssen; also genau das Gegenteil dessen muss er tun, was in der agrarischen Bewegung mit aller Heftigkeit gefordert wurde. Die Notlage der Bauern ist durch die Dürre eine furchtbare geworden. Das Vieh wird massenhaft zu Schleuderpreisen verkauft, daher stehen die Fleischpreise so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht; nächstes Jahr werden wir dafür um so höhere Preise haben, wenn kein neues Vieh vorhanden ist. Aber ich fürchte, wir werden auch teures Brot bekommen; denn auch der Roggen steht, wie ich auf meinen Reisen gesehen habe, vielfach erbärmlich. Kurz, bei uns geht die ganze Entwicklung darauf hinaus, dass die ökonomischen Fragen die politischen vollständig verdrängen und nur noch die ökonomischen Interessen massgebend für die Parteibildung werden. Das gesamte Bürgertum — ein kleines Häuflein ausgenommen — gibt auf die bürgerlichen Freiheitsrechte keinen Pfifferling mehr. Das Mass von Freiheit der Kritik und der Agitation, das sie brauchen, haben sie, und da ist ihnen alles andere vollkommen gleichgültig. Im nächsten Reichstag werden die Interessenkämpfe losbrechen wie nie zuvor, und wir werden seltsame Dinge zu sehen und zu hören bekommen. Auch werden viele der Gegner in Verlegenheit kommen, wenn sie verwirklichen sollen, was sie im Wahlkampf versprochen haben; und dieses Mal ist mehr versprochen worden, als je zuvor und mehr, als auszuführen ist. Bitte grüsse herzlichst Louise, ich schreibe ihr morgen. Mein Brief ist länger geworden, als ich dachte. Ich bin noch müde und sehr
• Einen gewissen „antikapitalistischen" Zug glaubte auch der Vorwärts im Antisemitismus feststellen zu können. So im Leitartikel „Die Stichwahlen" in der Extra-Ausgabe 26. Juni: „. . . Dass die Konservative und die Nationalliberale Partei auf den Antisemitismus gekommen sind, ist die schönste Illustration kapitalistischer Kultur; und es ist nur logisch, dass die Antisemiten auf bürgerlicher Seite die Führung in dem Kampfe des Kapitalismus mit dem Sozialismus übernommen haben . . . So kulturwidrig er [der Antisemitismus] ist, so ist er doch ein Kulturträger wider Willen — im wahrsten Sinne des Wortes Kulturdünger für die Saat der Sozialdemokratie. Und so freuen wir uns der Erfolge des Antisemitismus, die für alle übrigen kapitalistischen Parteien ein schwerer Schlag sind, fast ebenso sehr wie unserer eigenen . . . " Im Leitartikel „Die Wahlen" in Nr. 149, 28. Juni: „. . . Den Sozialismus zur Linken, den Antisemitismus zur Rechten, gleicht der Kapitalismus einer an zwei Enden angesteckten Kerze, die rasch verbrennen muss . . . "
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durstig. Das eine von den Strapazen, das andere vom vielen Schwitzen. Die herzlichsten Grüsse von Julie und Deinem AUGUST.
2 7 3 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 2. Juli 1893.
Original. Lieber General!
Ich beginne mit der Beantwortung Deines zweiten Briefes,1 der die Vertagung des Kongresses verlangt. Singer und Liebknecht waren gestern abend bei uns, und da haben wir gleich die Frage verhandelt. Wir waren der Meinung, dass wir den Franzosen, wenn es irgend geht, entgegenkommen müssen; dass andererseits aber der Kongress nicht über den September hinausgeschoben werden dürfte. Ende Oktober haben wir unseren Parteitag, im November beginnt wieder der Reichstag, und dann hat auch Louise ganz recht, wenn sie auf die schlechte Jahreszeit hinweist. Ich machte also den Vorschlag und habe in diesem Sinne nach Zürich geschrieben, dass, wenn man die Vertagung vornehmen kann, man den Kongress auf den 17. September einberuft.2 Die Franzosen haben alsdann ihre Wahlen hinter sich, andererseits ist die Jahreszeit günstig und in Zürich kein grosser Fremdenverkehr mehr, so dass Wohnungen etc. billig sind. Mit dieser Änderung, wenn sie in Z[ürich] beliebt wird, müssen wir aber auch unsere Reisepläne modifizieren. Und da habe ich mir folgendes ausgedacht. Findet der Kongress im September statt, so kommt Ihr Ende dieses Monats direkt hierher. Ihr bleibt acht bis neun Tage, auch zehn hier. Alsdann reist Louise nach Tetschen und 1 Beide Briefe sind nicht vorhanden. Der Inhalt ergibt sich aus Engels' Brief an P. Lafargue 29. Juni: „J'écris à Bebel et je lui expose la situation; il y a certainement beaucoup de raisons qui parlent pour une remise du congrès à une date ultérieure. Mais 1. Novembre est hors de question, personne ne va à Zurich en hiver où il pleut et fait froid. De plus, et votre Chambre et le Reichstag et le Parlement anglais siégeront alors. Abandonnez donc cette date. On ne fixera une autre plus tard. 2. Il serait fâcheux si les marxistes français et les Allemands, à eux seuls, proposaient l'ajournement. Mais ce serait autre chose si toutes les fractions socialistes françaises à l'unisson faisaient cette demande. Voyez ce qu'il y a à faire sous ce rapport, mais faites vite, car 3. il faudra que les Suisses soumettent votre demande aux autres et prennent leur avis — du moins ils se retrancheront derrière cette nécessité, vu que le secrétaire du comité, Seidel, est un antimarxiste fanatique et intrigue ici et en France avec tous nos adversaires . . 2 S. darüber Protokoll Zurich, S. Vif.
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Wien, Du zu Deinen Verwandten und wir nach der Schweiz. Du bist von hier mit dem ein Uhr hier abgehenden Zuge abends gegen neun Uhr in Elberfeld. Von Elberfeld bzw. Engelskirchen kommst Du nach Zürich, eine Reise, die Du in einer Tagesfahrt machst. Von Zürich reisen wir den 4. oder 5. September über München, Salzburg nach Wien, bleiben in Wien fünf bis sechs Tage und nehmen Louise über Innsbruck und den Arlberg mit nach Zürich zum Kongress. Victor etc. können mitreisen. Das einzige Unangenehme für Dich wäre also, während des Kongresses in Zürich sein zu müssen. Einmal wäre das aber nicht so schrecklich schlimm, dann aber auch können wir Dir Ruhe verschaffen. Dafür übernehme ich jede Garantie. Schliesslich liess sich auch noch ein anderer Weg betreten. Du reisest von hier nicht nach Deinen Verwandten, sondern mit uns nach Zürich, bis wir nach Wien reisen, und gehst dann zu Anfang des Kongresses auf ein paar Tage — also auf der Rückreise — nach Elberfeld — und erwartest in Köln die Rückkunft von Louise, Tussy etc., mit denen Du nach London zurückkehrst. Ich glaube, der hier entwickelte Plan hat alle möglichen Vorteile; wir erreichen voll und ganz den Reisezweck, und Louise hat in Wien volle vier Wochen für sich und noch eine fünfte Woche in unserer angenehmen Gesellschaft. Nun zu Deinem zweiten Brief. Du hast die Situation bei den Stichwahlen vollkommen richtig beurteilt.3 Die bürgerliche Canaille hat uns aber noch mehr als sonst im Stich gelassen, und so haben wir die Hauptsache durch eigene Kräfte gewinnen müssen. Die Siege sind damit weniger zahlreich, aber um so ehrenvoller. Unsere Antisemiten und Agrarier sind damit aber auch in die Zwangslage versetzt, auszuführen, was sie ihren Wählern versprochen haben, und sie haben ihnen das Blaue vom Himmel versprochen. Wir werden nach dieser Richtung hin interessante Debatten bekommen, zunächst wohl bei der Frage des bäuerlichen Notstandes, über die wir wohl besondere Verhandlungen haben werden. 3 Engels dürfte in demselben Sinne geschrieben haben wie an P. Lafargue, 27. Juni: „. . . Quant aux élections allemandes, je suis plus fier des défaites que des victoires. Nous avons perdu Stuttgart par 128 voix de minorité sur 31.000 votants, Lübeck 154 sur 20.000 et de suite . . . Ce que nous avons conquis, nous le devons — pour la première fois — entièrement à nos propres forces. De sorte que ces 44 sièges valent dix fois mieux que 100 conquis à l'aide des libéraux et démocrates. L e libéralisme a complètement abdiqué en Allemagne. Il n'y a plus d'opposition sérieuse en dehors de notre parti. Guillaume aura ses soldats, ses impôts et . . . ses socialistes dans l'armée et en dehors de l'armée, toujours croissants en nombre . . . "
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Ich glaube nicht, dass die Verhandlungen über die Militärvorlage sich sehr in die Länge ziehen werden. Am 6. Juli sind die Urwahlen für die bayerischen Landtagswahlen, also noch ehe der Reichstag mit der Generaldebatte der Vorlage zu Ende ist; bald darauf folgen die Abgeordnetenwahlen, und dann ist dem Zentrum ein Stein vom Herzen. In der Kommission wird es sich nur um das Wieviel-bewilligen handeln, und darüber können nicht allzu lange Debatten gepflogen werden. Was sonst verhandelt wird, kann während der Kommissionsverhandlungen erledigt werden. Ich sehe also keinen Grund, dass wir über drei Wochen festgehalten werden. Ausserdem hat alle Welt das Bedürfnis, Ruhe zu haben. Das Hamburger Resultat kennt Ihr.4 Die Strassburger werden sich an dem Abend, wo sie die Nachricht meiner Mandatsannahme5 erhielten, vermutlich alle einen Zopf angetrunken haben. Die waren in grosser Aufregung und hätten mich, nach dem Hosianna von neulich, jetzt gesteinigt, wenn ich das Mandat für Strassburg nicht annahm. Wir sind beide Patienten. Julie hat heute ein dick geschwollenes Gesicht, das ich gestern hatte, beide infolge von Zahnschmerzen. Ich habe heute in der rechten Gesichtsseite auch ein Reissen, wahrscheinlich hat mich Louise auf dem Wege der Suggestion infiziert. So geht's, wenn man den Frauen zuviel Einfluss auf sich einräumt. Morgen werde ich Louisens Brief beantworten; grüsse sie, bitte, herzlichst von Julie und mir. Ich hoffe, dass dem Kautskerl mein neuer Reiseplan gefällt, es bekommt ja alle seine Wünsche damit befriedigt; allerdings rechne ich dafür auch auf entsprechende Belohnung. Herzlichen Gruss von Julie und Deinem A.
BEBEL.
4 Im ersten Hamburger Wahlkreis siegte Bebel im ersten Wahlgang mit 16.935 gegen 9.769 nationalliberale Stimmen. In der Nachwahl wurde Molkenbuhr mit fast gleicher Mehrheit gewählt. 5 In Strassburg siegte Bebel mit 8.193 Stimmen gegen den nationalliberalen Kandidaten mit 7.693 Stimmen. Der Wahlsieg Bebels erregte um so mehr Aufmerksamkeit, als man ihn katholischer Wahlhilfe zuschreiben zu müssen glaubte. S. etwa Reichskanzler Fürst Hohenlohe an Kardinal Kopp 6. März 1896: „ . . . Euer Eminenz missbilligen es, dass in Rom von Deutschen darüber gesprochen worden ist, der deutsche Klerus sei ganz demokratisch und sozialistisch geworden. Gewiss ist das in dieser Allgemeinheit nicht begründet. Zu entschuldigen ist aber diese Auffassung. Wir haben in den letzten Jahren nur zu häufig erlebt, dass bei Wahlen der katholische Klerus mit den Sozialdemokraten gemeinsame Sache gemacht hat. Verdanken wir doch, um nur ein Beispiel anzuführen, die Wahl Bebels in Strassburg der Mitwirkung der katholischen Geistlichkeit. . ." Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Denkwürdigkeiten aus der Reichskanzlerzeit (Stuttgart-Berlin, 1931), S. 184f.
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274. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Berlin W., den 17. Juli 1893. Lieber General!
Wie es mit dem Kongress geworden ist, wisst Ihr nunmehr definitiv. Die Züricher hatten sich auch mit den Engländern (Fenwick) ins Vernehmen gesetzt, und diese lehnten die Vertagung für September in Rücksicht auf ihren eigenen Kongress ab.1 Die Franzosen werden auf diese Art wahrscheinlich sehr schwach vertreten sein, und ich denke in allen Fraktionen; denn schliesslich sind doch alle in der Wahlagitation in Anspruch genommen. Im allgemeinen sind die Verhandlungen des Kongresses nicht von grosser Wichtigkeit; wir käuen in der Hauptsache nur wieder, was wir in Brüssel bereits verhandelten. Versucht man uns in irgendeiner Frage zu majorisieren, so werde ich für mein Teil das nicht tragisch nehmen; man kann uns schliesslich doch nicht zwingen, etwas zu tun, das wir für unvernünftig halten. Will man auf den internationalen Kongressen etwas erreichen, so sind wir noch mehr als auf den eigenen Kongressen gezwungen, dem Kompromiss einen gewissen Spielraum einzuräumen. Wir hatten in der letzten Fraktionssitzung bezüglich des internationalen Kongresses ziemlich heftige Debatten, und zwar wieder wegen der leidigen Maifeier. Vollmar, Fischer, Auer, Grillenberger — die Bayern —, die in voller Übereinstimmung sich auf der rechten Seite halten, wollten den Brüsseler Beschluss umgestossen haben; nach langer Debatte wurde ein Antrag von mir angenommen, dass wir, die Deutschen, keine Veranlassung geben würden, die Maifeier wieder zu diskutieren, und der Brüsseler Beschluss aufrechterhalten bleiben solle.2 Dann aber wurde auch ein Antrag Vollmars angenommen, dass die Deutschen erklärten, dass sie die Maifeier nach eigenem Ermessen begehen und sich keine Vorschriften machen lassen würden. Im gewissen Sinne schlössen diese beiden Anträge sich aus — zu beantragen, den Brüsseler Beschluss aufzuheben, dazu fehlte der Opposition der Mut, was ich ihr auf den Kopf zusagte —, allein Singer, der den Vorsitz hatte, war der Meinung, dass die beiden Anträge sich nicht ausschliessen, und so liess er über beide abstimmen, die dann beide Annahme fanden. Des weiteren beantragte Fischer im Einverständnis mit den oben 1
Der 26. Kongress der Trades Unions tagte vom 4. bis 9. September 1893 in Belfast. Da der Züricher Kongress nicht verschoben wurde, konnten die bekanntesten Franzosen, wie Guesde, Lafargue, Vaillant ihn nicht besuchen. 8 S. darüber Brief Nr. 242, Anm. 2, 4.
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Genannten, den internationalen Kongress alle fünf Jahre abzuhalten. D e m trat ich heftig entgegen, da dies doch nur bedeute, die internfationalen] Kongresse überhaupt totzumachen. Ich stellte den Antrag, alle drei Jahre einen solchen abzuhalten, 3 und das wurde mit sehr grosser Mehrheit angenommen. Bei dem Mangel an Stoff für die Beratungen und bei den Opfern für Wahlen, Landes-, Provinzial-, Gewerkschaftskongresse etc. ist ein Zeitraum von drei Jahren ausreichend, eventuell können ausserordentliche Kongresse einberufen werden. Der Reichstag ist nun glücklicherweise zu Ende; ich hatte schliesslich diese Beratungen satt bis an den Hals, und dasselbe Gefühl teilten alle ohne Ausnahme der Parteistellung. Lustige Kämpfe wird es den Herbst geben, wenn es sich um die neuen Steuern und die sog. sozialen Reformen handelt. Aber nun wallen wir mal an die Reise denken. Wir können den 31. Juli, einen T a g nach L[ie]b[knecht]s Hochzeitsfeier abreisen; wie steht's aber mit Euch? Wenn Ihr den 31. Juli oder den 1. August abreisen könnt, kommen wir nach Köln und reisen von dort mit Louise den Rhein hinauf über Strassburg nach Zürich. Mein Plan ist folgender: Ihr reist den 31. Juli oder 1. August vormittags 10 Uhr in London ab über Ostende und kommt 11 Uhr 47 abends in Köln an. Wir reisen am selben T a g e früh hier ab und sind einige Stunden vor Euch in Köln. Wir nehmen Euch also an der Bahn in Empfang. Alsdann bleiben wir einen T a g in Köln, und während D u zu Deinen Verwandten reisest, treten wir die Reise nach Zürich an. Gegen E n d e des Kongresses kommst Du nach Zürich und bleibst dort wie abgesprochen. Louise geht nach Wien, und wir treten dieselbe Reise Anfang September — den 4. oder 5. an — und von dort nach Berlin. E s würde sich empfehlen, dass Louise ihr Hauptgepäck direkt nach Wien sendet und ein Rundreisebillet — Dauer zwei Monate — nimmt, das ich ihr zusammenstellen will. Ich nehme auch Rundreisebillets. Ich bitte jetzt, entscheidet Euch und lasst uns so rasch als möglich Nachricht zukommen. Könntet Ihr vor dem 3. oder 4. August nicht abreisen, dann kämen wir nicht erst nach Köln; denn dann hätte der Umweg keinen Sinn, sondern erwarteten Louise in Zürich, eventuell in Frankfurt oder Mainz. Am liebsten wäre mir, Ihr könntet schon den 31. [Juli] reisen, indes ist uns auch der erste August recht. Den Auftrag Louisens für L[ie]b[knecht]s werden wir erledigen,
Die Kongresse tagten in Zukunft alle drei oder vier Jahre.
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ich schreibe morgen Louise. Bitte grüsse sie herzlich von uns beiden und sei ebenfalls aufs herzlichste gegrüsst. Dein AUGUST.
Aus Louisens Brief schliesse ich, dass Ihr glaubt, Seidel hätte hinterrücks und ohne Auftrag an Fenwick geschrieben. Das ist nicht der Fall, er schrieb im Auftrag.4 4
S. den Anfang des Briefes.
2 7 5 . B E B E L UND J U L I E B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 22. Juli 1893.
Original. Lieber General!
Es ist mir sehr lieb, dass wir endlich wissen, woran wir sind. Ich werde für Louise das Billet besorgen, und zwar kann ich das schon von Hoek aus, nach England geht nicht. Das Billet hat sechzig Tage Gültigkeit, es würde also vom 2. August ab, von Hoek oder Vlissingen bis zum 30. September Gültigkeit haben. Nun aber folgende Frage: Würdet Ihr nicht vorziehen, über Vlissingen zu reisen? Ihr brauchtet dann von London eine halbe Stunde später zu fahren und kämet gleichwohl um zwei Uhr in Köln an. Auf der Rückreise würdet Ihr von hier mit demselben Zug wie über Hoek fahren, aber in London eine Stunde früher ankommen. Drittens könntet Ihr auch die Rückreise über Ostende antreten, Ihr führet dann hier mittags ein Uhr mit dem famosen Pullmanwagen nach Köln und wäret nächsten Vormittag halb zwölf Uhr in London. Also bitte lasst mich postwendend wissen, 1) ob ihr von Hoek oder Vlissingen fahren wollt; 2) ob Ihr die Rückreise nach Hoek, Vlissingen oder Ostende antreten wollt. In letzterem Falle würde ich ein Billet dritter Klasse zwischen Ostende und Vlissingen oder Hoek einfügen, damit das „Rundreisebillet" geschlossen ist. Du hast keine Adresse für Euren Meeraufenthalt angegeben, ich muss daher den Brief nach London senden. Louise hat ihr Billet sicher Montag, den 31. Juli, ich schicke den Brief mit dem Billet einschreiben. Wir reisen den 31. Juli ab, und zwar nach Wetzlar, das ich Julie 704
mal zeigen will; 1 den ersten August abends kommen wir in Köln an und erwarten Euch dort nächsten Nachmittag an der Bahn. Sofort können wir nicht weiterfahren, da der nächste Schnellzug rheinaufwärts erst 5 Uhr 45 fährt. Ihr habt also Zeit, Euch zu waschen, zu essen und Cafe zu trinken, was Euch sicher angenehm ist. Alsdann können wir beschliessen, wie wir Weiterreisen; ich hätte gern mit den Frauen die Rheinreise per Dampfschiff bis Bingen oder Mainz gemacht. Beschliessen wir aber anders, so ist mir das auch recht; wir könnten an demselben Tage per Bahn noch bis Mainz fahren, woselbst wir abends 9 Uhr 42 ankämen. Auf alle Fälle werde ich nach Mainz an ein Hotel schreiben, dass, wenn ich den 2. August nachmittags telegraphiere, uns dort die nötigen Zimmer zur Verfügung stehen. Das ist in der jetzigen Zeit nötig, und das betreffende Hotel ist sehr stark frequentiert. Also auf vergnügtes Wiedersehen, grüsse bitte herzlich Louise, und lasst Euch den Aufenthalt an der See gut bekommen; ich wollte, ich könnte Euch Gesellschaft leisten. Mit herzlichstem Gruss D[ein] AUGUST.
Lieber Herr Engels! Auch ich freue mich aufrichtig, Sie endlich kennenzulernen und mit Ihnen unsere Reise gemeinschaftlich machen zu können. Aber stellen Sie Ihre Erwartungen nicht zu hoch, um nicht enttäuscht zu werden. Jedenfalls haben wohlwollende Freunde es zu gut mit mir gemeint. Nun, immerhin sind wir beide noch jung genug, um uns amüsieren zu können, und das, hoffe ich, soll im reichsten Masse geschehen. Also, auf herzliches Willkommen und Grüsse Ihnen und Louise von Ihrer ergebenen JULIE BEBEL. 1
Bebel hatte dort einen grossen Teil seiner Jugend verlebt.
2 7 6 . B E B E L AN ENGELS
Berlin W., den 29. Juli 1893.
Original. Lieber General!
Louise wird mittlerweile meine zwei Briefe, den einen mit der Fahrkarte, erhalten haben. Letzteren sandte ich „einschreiben" Donnerstag ab.
Ich kombinierte Hoek über Oberhausen, weil Ihr auf dieser Linie abends nahezu eine Stunde Aufenthalt in Rotterdam habt, was nach der langen Fahrt ganz angenehm ist. Fahrpreis ist auf den beiden Strecken gleich, über Rheine hattet Ihr eine grössere Strecke Bummelzug. Dass Du mit einem Aufenthalt in Köln und mit der Rheinfahrt einverstanden bist, „freut mir". Machen wir diese, dann müssen wir freilich auf Aufenthalt in Strassburg, Offenburg verzichten, wenn wir den 4. August abends in Zfürich] sein wollen. Doch wir können uns ja leicht verständigen, wenn wir andere Dispositionen treffen wollen. Jetzt seid nur hübsch pünktlich und kommt, wir erwarten Euch Mittwoch nachmittag zwei Uhr parademässig am Bahnhof. Eine Ehrenkompanie werde ich aber nicht aufmarschieren lassen; ich denke, es ist Euch angenehmer, wenn wir die ersten Stunden unter uns sind. Ich habe im Rheinischen] Hof ein Zimmer für uns bestellen lassen und kann, da wir einen Tag vor Euch eintreffen, auch zwei für Euch bestellen. Das Hotel ist dem Dom vis-ä-vis und ist neu gebaut. Ich will sehen, wie es ist; gefällt es uns nicht, können wir nächsten Tag, ehe Ihr kommt, wechseln. Also die Hexe wird braun; das ist der Abglanz ihrer schwarzen Seele, der da endlich zum Ausdruck kommt. Wir freuen uns riesig auf das Zusammentreffen mit Euch. Also auf baldiges Wiedersehen. Grüsse Louise herzlich von uns und sei ebenfalls herzlich gegrüsst von Julie und Deinem AUGUST.
Verzeihe, dass der Brief in zwei Stücken ankommt, aus Versehen zerschnitt ich ihn. Ich habe mir mit Julie noch einmal die Reisedispositionen gründlich überlegt und schlage vor: Wir reisen Mittwoch abend 5.45 direkt nach Mainz, bei dem fast vierstündigen Aufenthalt in Köln könnt Ihr Euch nicht nur restaurieren, wir können auch per Wagen eine Rundfahrt durch und um die alte Stadt unternehmen und sehen, was zu sehen ist. In Mainz kommen wir abends 9 Uhr 40 an und reisen nächsten Vormittag 11 Uhr nach Strassburg, wo wir um 5 Uhr 6 eintreffen. Von dort fahren wir nächsten Mittag | 1 Uhr nach Zürich, das wir abends gegen | 9 Uhr erreichen.
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2 7 7 . E N G E L S UND L O U I S E K A U T S K Y A N J U L I E
Original.
BEBEL
London, den 3. Oktober 1893. Liebe Julie!
Unsere Postkarte von Freitag werdet Ihr erhalten haben.1 Ich fand einen kolossalen Haufen Arbeit vor und habe mich bis jetzt durch das Allerdringendste durchgequält, mit Hilfe Louisens, die noch mit beiden Armen bis zum Ellenbogen in den Drucksachen herumwühlt. Dafür komme ich denn dazu, Euch ein paar Zeilen zu schreiben. Also Donnerstag, nach unserer Abfahrt, sahen wir noch am Bahnhof Zoologischer] Garten für einen Augenblick Adolf Braun und fuhren dann weiter. Im Coupé hatten wir zwei schäbig aussehende Burschen, die sich etwas zudringlich entwickelten; glücklicherweise aber war der eine, ein Engländer, bereits vor zehn Uhr total besoffen, und dann brachten sie beide den Rest des Tages auf dem Korridor des Wagens zu. In Hannover assen wir Suppe und Fleisch, darüber kam dann der teure Kugelmann mit seiner Tochter,2 die viel netter ist als er. Er gab mir wieder eine lange Reihe medizinischer Ratschläge für meines Lebens Regel, aber auch ein Körbchen mit Fleischbrötchen, Äpfeln und einer halben Flasche Wein. Wir jauchzten auf bei ihrem Anblick: Rotwein! — aber ach, es war angeblicher „roter Portwein", eine süssliche Mischung, die wir dem Schaffner zum Dank für seine Liebenswürdigkeit überantworteten. Bald darauf entspann sich zwischen verschiedenen Reisenden und dem Schaffner eine lebhafte Debatte über die Frage: ob die Reisenden nach Hoek van Holland nicht in Löhne wechseln und über RheineSalzbergen fahren müssten. Wir hielten stramm an Oberhausen, wie wir denn wegen Louisens Billet keine andere Wahl hatten. Nun aber hatten wir in Minden schon über eine halbe Stunde Verspätung, und da in Oberhausen nur siebzehn Minuten Zeit gegeben war, alle Aussicht, den Anschluss zu verfehlen. Hier war uns die Karte von grossem Nutzen, die mir August am Morgen gegeben. Wir fuhren auf der alten Köln-Mindener Bahn, die ich als eine der bestgebauten in Deutschland kannte. An den durchfahrenen Strecken konnten wir sehen, wie hier ein gut Stück der Verspätung wieder eingeholt wurde, und so erreichten wir rechtzeitig Oberhausen. Der Kohlendistrikt von Hamm bis Oberhausen ist ein Stück engSie ist nicht vorhanden. Franziska Kugelmann; sie verfasste eine nicht veröffentlichte Biographie ihres Vaters; femer Erinnerungen an Marx, russisch in Vospominanija o Markse i Engel'se, Moskau, 1956, S. 286ff. 1
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lisches Black Country. Die Luft und die Städte ebenso rauchig und schwarz wie in England, die Häuser, weil meist hell getüncht, noch unangenehmer geschwärzt wie die englischen nackten Ziegel. Nachdem wir auch in Holland noch wegen Anschlussversäumnis mehrere Male von Reisenden und Schaffnern allerhand Dunkles hatten munkeln hören, kamen wir in Rotterdam an 8.42 [Uhr] holländische, d.h. 9.42 [Uhr] deutsche Zeit. Die Stunde Zeitunterschied hatte alles in Ordnung gebracht. (Aus Augusts Aufstellung hatten wir nicht genau ersehen können, wo der Zeitunterschied in Wirksamkeit trat, und waren daher der Sache nicht sicher). Dahingegen mussten wir nun in Rotterdam von einem Bahnhof zum anderen marschieren — ca. zehn Minuten weit, hatten noch Zeit übrig und kamen an vor den über Löhne-Rheine-Salzbergen gereisten Leuten. Louise hatte ausser ein bisschen Kugelmannscher Kost nur eine Tasse Bouillon in Arnheim und eine zweite in Rotterdam genossen, während ich von Kugelmännern und Bier lebte. Es blies ganz nett, als wir abfuhren. Ich legte mich bald ins Bett und schlief unter ganz erfreulichem Schaukeln ein, dachte aber nichts Arges, bis ich nach acht Stunden bei hellem Tageslicht erwachte —, wir hätten längst in Harwich sein sollen! Ich stand auf, ich hatte eine Kabine ganz für mich allein — niemand im Schiff rührte sich. Ich ging aufs Deck, alles leer, und überall nasses Deck und Anzeichen einer vergangenen rauhen Nacht. Ein junger Deutscher kam endlich und vertraute mir an, dass wir einen entsetzlichen Sturm durchgemacht. Bald darauf einige Dämchen, dann auch Louise; die Arme war mit fünf anderen in einer engen Kabine zusammengepfercht gewesen, hatte das Ärgste heroisch überstanden trotz der hysterischen seekranken Umgebung, war aber auch endlich, als nach der Hauptschaukelei die kleinen kurzen Wellen kamen, den Zudringlichkeiten des alten Neptun einen Augenblick unterlegen. Mit zwei Stunden Verspätung kamen wir in London an — Avelings am Bahnhof —, fanden alles in schönster Ordnung und stürzten uns mit der Todesverachtung, die auf einen heroisch überstandenen kleinen Sturm zu folgen pflegt, in die Arbeit. Neues scheint hier nicht viel passiert zu sein, über die in der hiesigen Bewegung vorgegangenen kleinen Wendungen und Wandlungen müssen wir uns erst allmählich unterrichten. Apropos. Ede B[ernstein] behauptet, Paul S[inger] missverstehe seinen Artikel total.3 Er habe nie gesagt, man solle je nach Umständen 3 In seinem Aufsatz „Die preussischen Landtagswahlen und die Sozialdemokratie", den er als „Vorschlag zur Diskussion" in der Neuen Zeit, lahrg. X I (1893),
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mit Konservativen], Nat[ional]lib[eralen], Ultram[ontanen] etc. kompromisseln, er habe nur die Freisinnige] Volkspartei im Auge gehabt. Ich sagte ihm, dass ich das aus seinem Art[ikel] nicht habe herauslesen können; jedenfalls liess er auch diese Möglichkeit offen. Nun aber, liebe Julie, danke ich Dir und August nochmals für die viele Liebe und Freundschaft, die Ihr uns nicht nur in Berlin, sondern auch in Zürich — und August mir auf der ganzen Reise — erwiesen habt, und kann Dich nur an Dein Versprechen erinnern, uns im Frühjahr hier zu besuchen, damit wir Dir auch einmal London zeigen können. Herzliche Grüsse Euch beiden und allen Freunden Dein
F.
ENGELS.
Liebste Julie! Ich stecke wirklich bis über die Ellenbogen in Arbeit und sehe bis jetzt auch noch keinen Weg, herauszukommen, soweit nur um Briefe zu schreiben. Gfeneral], der ans Schreiben geht, hat Dir erzählt, wie es uns auf der Fahrt ergangen; hat aber vergessen, dass er allein die Brötchen von Dir aufass. Es ist ihm gut ergangen auf der Reise, er war immer munter und guter Dinge, immer besorgt, ob wir noch Anschluss hätten, und voll Leben. Ich selbst bin Sonntag gleich wieder in meine alte Hausbesorgungsrolle gefallen. Die Gäste aber verfuhren gnädig mit mir. Bitte, sage August, über die englische zweite Ausgabe4 konnte ich noch nichts Bestimmtes erfahren. Ich will das Buch selbst sehen und lasse es mir besorgen, mir persönlich aber würde Reeves das Buch gar nicht verkaufen. Ich schliesse mich von Herzen Gfenerals] Dank an; ich hatte noch nicht Zeit, über alles
Bd. II, S. 772ff. veröffentlichte, gab er der Ansicht Ausdruck, dass die politische Stagnation im Reiche auf das tatsächliche Übergewicht Preussens im Bundesrat zurückzuführen sei. Er stellte die Frage, ob durch die Aufgabe der Abstinenzpolitik — deren Vertreter den Zusammenbruch der Bourgeoisie-Gesellschaft als nahe bevorstehend und von selbst eintretend erwarteten — eine andere Zusammensetzung des preussischen Abgeordnetenhauses zu erreichen sei. Die DeutschFreisinnigen, „die eigentliche Partei des modernen Bürgertums", verfüge über 29 von 433 Sitzen. Unterstütze die Sozialdemokratie diese Partei, wodurch ihr selbst ein Reihe Mandate sicher seien, so könnte, nach Bernsteins Berechnung, eine Verschiebung der Parteiverhältnisse im Abgeordnetenhause um 100 bis 150 Sitze erreicht werden. — Nachdem Mehring in der Neuen Zeit, ebd., S. 801ff., „Zu den preussischen Landtagswahlen", und Schippel im Vorwärts, Nr. 225, 24. September, „Die preussischen Landtagswahlen und die Sozialdemokratie", widersprochen hatten, tat das in besonders entschiedener Weise P. Singer im Vorwärts, Nr. 227, 27. September, „Nochmals die preussischen Landtagswahlen", worin er Bernsteins Vorschlag von Wahlkompromissen als einen Tauschhandel zur Ergatterung von Mandaten charakterisierte. * S. Brief Nr. 80, Anm. 6.
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Erlebte nachzudenken, und lebe wie in einem Traum, der durch Arbeit unterbrochen wird. Und Ihr Armen, Geplagten, wie geht's Euch? Herzliche Küsse August und Dir Deine L O U I S E .
278. BEBEL
AN
ENGELS
Berlin W., den 10. Oktober 1893.
Original. Lieber General!
Morgen früh reise ich nach Sachsen zur Wahlagitation1 — L[ie]bknfecht] ist bereits heute hin —, von der ich Samstag zurückkomme, und so will ich Dir noch rasch schreiben; denn nachher setzt es neue Arbeit. Ede schrieb mir auch wegen seines Artikels. Ich müsste ihm antworten, dass ich ihn gleich S[inger] verstanden hätte und die Schuld an ihm liege. Seine Richtigstellung verbessert seinen Vorschlag nicht; denn nunmehr artete er zu einer blossen Unterstützung der Freisinnigen aus.2 Ich will warten, was er in der N[euen] Z[eit] antwortet, und nehme alsdann eventuell noch das Wort. Heute abend lese ich in der Voss[ischen] Zeit[ung] ein Telegramm, wonach unsere österr[eichischen] Genossen rascher, als sie selbst gedacht, einen grossen Sieg errungen hätten. Darnach hat heute die Regierung ein neues Wahlgesetz vorgelegt, wonach diejenigen wahlberechtigt sein sollen, die lesen und schreiben können und ihrer Dienstpflicht genügt hätten. Näheres ist nicht angegeben. Die Bedingung des Lesen- und Schreibenkönnens käme der industriellen Arbeiterschaft zugute, die das mehr versteht wie die ländliche. Zu gleicher Zeit läge in dieser Bestimmung ein mächtiger Stimulus, die Schulen zu verbessern.3 Bei den sächsischen Landtagswahlen am 20. Oktober gewannen die Sozialdemokraten 14.000 Stimmen und drei Mandate, so dass nun vierzehn sozialdemokratische Abgeordnete dem Landtag angehörten. 2 Nachdem A. Helphand-Parvus unter dem Pseudonym Unus im Aufsatz „Die preussischen Landtagswahlen", Die Neue Zeit, XII. Jahrg. (1894), Bd. I, S. 37ff., und M. Schippel im Aufsatz „Die preussischen Landtagswahlen und die Sozialdemokratie", ebd., S. 65ff., sich mit Bernstein auseinandergesetzt hatten, antwortete dieser ebd., S. 72ff. mit dem Aufsatz „Mein Vorschlag und das Resultat der Diskussion darüber. Replik und Zusammenfassung". 3 Dem belgischen Beispiel folgend, führten die österreichischen Sozialdemokraten eine Wahlrechtsaktion durch. In der Zeit vom 1. Mai bis zum 15. September beriefen sie 404 Versammlungen ein; davon wurden 67 verboten und 9 aufge-
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Ich bin sehr neugierig auf die näheren Bestimmungen; so günstig, wie das Telegramm lautet, dürfte der Gesetzentwurf nicht lauten, oder man kennte die Österreich [ische] Regierung nicht wieder. Nachdem man so in Österreich vorwärts marschiert, kann man in Deutschland vom allgemeinen Stimmrecht nicht mehr zurück, da zeigt sich die Wechselwirkung. Du wirst gelesen haben, dass gegenwärtig in Frankfurt a / M . ein sog. Sozialkongress 4 tagt, den Quarck 5 und Genossen, darunter unsere Leute, einberufen hatten. Wie die Berichte zeigen, sind unsere gesamten Gewerkschaftsführer mit dort anwesend: Legien, Schwartz, Kloss 8 etc. etc., die eifrig dabei sind, Kompromiss-Wassersuppen zu kochen. Da ist's nur gut, dass die Stellung der Partei zur Gewerkschaftsbewegung auf dem nächsten Parteitag zur Verhandlung kommt, 7 es soll an einer tüchtigen Kopfwäsche für die Herren nicht fehlen. löst. Am 10. Oktober überraschte Ministerpräsident Graf Taaffe den Reichsrat mit einer Wahlrechtsvorlage. Die Regierung habe es als notwendig erkannt, „die Frage der Wahlreform nicht länger aufzuschieben und allen jenen die Teilnahme am politischen Leben durch Ausübung des Wahlrechts einzuräumen, die ihre staatsbürgerlichen Pflichten in vorgeschriebener Weise erfüllen." Die Vorlage enthielt das allgemeine Wahlrecht, eingeschränkt durch den Bildungszensus und einige nicht ganz eindeutige Bestimmungen über Aufenthalt und dauernde Beschäftigung. Dadurch hätte sich die Zahl der Wähler von 1,7 auf 4,7 Millionen erhöht. Die Kurien sollten bestehen bleiben, so dass der Grossgrundbesitz 85 und die Handelskammern 21 der 353 Reichsratssitze besetzten. 4 Der Sozialwissenschaftliche Kongress, veranstaltet von der volkswirtschaftlichen Sektion des Freien Deutschen Hochstiftes, tagte am 8. und 9. Oktober 1893 und war von über fünfhundert Sozialpolitikern besucht. Leiter des Kongresses war Stadtrat Dr. Flesch-Frankfurt. U.a. sprach Prof. Ferdinand Tönnies-Kiel über das Thema „Der moderne Arbeitsvertrag". Der Vorwärts berichtete über den Kongress in Nr. 238, 240, 8., 10. Oktober. 5 Dr. Max Quarck (1860-1930) war 1886 als Referendar wegen seiner Betätigung für die Sozialdemokratie aus dem Staatsdienst entlassen und wurde Redakteur der Frankfurter Zeitung, Mitbegründer der Blätter für Soziale Praxis, 1893 Redakteur der VoZfc&rtimme-Frankfurt; 1901 ebd. Stadtverordneter, 1912 Mitglied des Reichstages. 8 Carl Legien sprach sich als Vertreter der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands für den kommunalen Arbeitsnachweis aus. Dabei betonte er, alle vorgeschlagenen Einrichtungen seifen „nur Etappen auf dem Wege zur kollektivistischen Produktion, die das Ziel der Arbeiterbewegung sei; aber alles, was zur Besserstellung der Arbeiter beitrage, werde von derselben angenommen". — Theodor Schwartz (geb. 1841), war Former und Matrose gewesen, seit 1875 Sozialdemokrat, 1889 Vertrauensmann der deutschen Former, 1890-93 und seit 1898 Reichstagsabgeordneter für Lübeck. — C. Kloss-Stuttgart war Vorsitzender des Deutschen Tischlerverbandes; er sprach auf dem Kongress über das Thema „Arbeitslosigkeit und Notstandsarbeiten". — Von bekannten Gewerkschaftern sprach noch der Vorsitzende des Deutschen Buchdruckerverbandes Döblin-Berlin. 7 Über diesen Punkt der Tagesordnung des Kölner Parteitages referierten C. Legien und I. Auer, über die Maifeier 1894 sprach W. Liebknecht.
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Überhaupt dürfte der Kölner Parteitag viel lebhafter werden, als es anfangs schien; es kommen Anträge, bei deren Verhandlung die Geister ordentlich aufeinanderplatzen. Auch in der Maifrage wird's zu einer sehr lebhaften Auseinandersetzung kommen. Letzten Freitag war ich mit nicht weniger als drei Frauen in der Parteiversammlung. Mit Julie, der Dr. Braun und der Schlüterin,8 die von Freitag bis Montag hier war. Die Versammlung war die schönste von den sechs abgehaltenen,9 aber der Bericht darüber der elendeste. Auf dem Heimweg war das Wetter so schön, dass wir noch nachts I 1 Uhr uns in den Garten eines Cafés setzten. Anfangs war mir der Besuch der Schl[üterin] nicht angenehm, aber ich habe dann mit ihr mich ausgesöhnt. Die Frau hat mir gefallen durch ihre Selbständigkeit, ausserdem erzählte sie so amüsant, dass ich oft lachen musste. Sie hat sich in der feinen Damenschneiderei offenbar sehr gut ausgebildet; denn sie arbeitet in Dresden für die feinsten Kreise: Aristokratie, hohe Bürokratie, Bourgeoisie. Und das schönste ist, man nimmt sie ins Haus, obgleich man weiss, wer und was sie ist. Sie hat uns eine Anzahl recht drolliger Intermezzos mit ihren Kundinnen erzählt. Sonntag waren wir mit ihr im Grunewald beim herrlichsten Wetter, was zur Folge hatte, dass alle Lokale überfüllt waren. Selbst die Bourgeoisie konnte der Versuchung nicht widerstehen und war mit Hunderten von Equipagen draussen. Die Schljuterin] hat sich sehr gut amüsiert, und zugleich konnte sie die neuen Herbsttoiletten bewundern und studieren. Abends waren wir bei den Schlierseebauern — wirklichen Bauern und Bäuerinnen — im Wallnertheater. Die Leutchen spielten zum Teil ausgezeichnet. Einigen sah man wohl den Dilettanten an, dafür wurden aber der Schuhplattlertanz, die Volkslieder, die Juchzer und Jodler und last not least das Liebesduett beim Fensterin mit einer Kraft und Naturwahrheit vorgetragen, wie es wirkliche Schauspieler nie fertiggebracht. Das Publikum spendete rasend Beifall. Vergleicht man, da sieht man auch, wie unsere Zivilisation das Grab aller Natur und aller Urwüchsigkeit ist. Ich habe sonst noch allerlei Vergleiche angestellt; aber die kann man nicht gut zu Papier bringen. Die Schlüt[erin] will sich scheiden lassen, und da soll ich ihr zu helfen, da sie nach amerikanischem] Recht nicht genügend Grund Die Frau Hermann Schlüters. In Versammlungen der sechs Berliner Wahlkreise wurden am 6. Oktober die Tagesordnung von Köln, die Wahl der Delegierten und die Anträge zum Parteitag behandelt. Bebel sprach in der Versammlung für den sechsten Wahlkreis. Bericht im Vorwärts, Nr. 237, 8. Oktober. 8 9
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zur Ehescheidungsklage hat und nur Schl[üter] klagen kann wegen böswilligen Verlassens. Ich habe Schlüt[er] geschrieben: er solle seiner Frau den Gefallen tun, da sie unter keinen Umständen mehr zu ihm zurückkehren will, die Trennung also faktisch vorhanden ist. Dass Edes Gesuch und das von M[otteler] in Bern zurückgewiesen wurden,10 weisst Du; ich hatte mich also über die Bedeutung der Berner Zusagen nicht getäuscht. Höchstwahrscheinlich hat aber auch Ede ein Teil der Schuld. Er hat zweimal erklärt, sich nicht um Politik zu kümmern, während er in der Schweiz war, und in Bern weiss man, dass er zweimal das Gegenteil getan hat. Überdies, warum soll man sich in Verlegenheit bringen, man hat schon Soz[ial]-demokr[atenJ zuviel in der Schweiz. Nun aber Schluss, jetzt hat Julie das Wort. Herzlichen Gruss an Dich und Louise, Dein AUGUST. Bernstein und Motteier hatten die Absicht, in die Schweiz zurückzukehren. S. Brief Nr. 280.
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2 7 9 . J U L I E B E B E L AN ENGELS UND LOUISE KAUTSKY
Berlin W., den 11. Oktober 1893.
Original. Lieber General!
Wir waren sehr erfreut, von Eurer glücklichen Landung zu hören, und dass die Reise gut vonstatten ging. Hoffentlich auch ohne Nachwehen? Wir und viele mit uns sagen, es war eine Glanzleistung Deinerseits, die Dir sobald keiner nachmacht. Zudem hast Du uns und noch so vielen Genossen durch Deine Anwesenheit eine grosse Freude bereitet, die allen unvergesslich bleiben wird. Und ich bin noch viel stolzer geworden, dass mir die Ehre zuteil wurde, Dir, dem ersten Vorkämpfer einer neuen Zeit, Gastfreundschaft erweisen zu dürfen. Also, komm nur bald wieder, damit wir die Besichtigung von Berlin fortsetzen können, und die noch Unbefriedigten Dich auch noch zu sehen bekommen. Ich glaube schon, dass Euch eine Masse Arbeit erwartete, doch allmählich wird sie auch bewältigt sein und alles wieder ins alte Geleise kommen, und wir würden uns freuen, wenn die Reise Deiner Arbeitskraft zuträglich gewesen sei. August ist eben um sieben Uhr abgereist, und wird es ein paar Tage still im Hause sein. Ich will heute Frau Nathalie besuchen, und werden wir wohl dann weiter schwärmen. Wenn Dir etwa die Ohren 713
heute geklungen haben, so wird es daher gekommen sein. Die beiden Ältesten stecken seit dem ersten Oktober im Königsrock.1 Karl ist übrigens in Hamm angenommen als Referendar, und so ist diese Frage zur Zufriedenheit gelöst. Die Schlüterin, die Euch so gern gesehen hätte, lässt Euch herzlich grüssen und war glücklich, ein paar Tage aus ihrer Tretmühle heraus zu sein; wir haben die Zeit auch weidlich ausgenutzt und uns sehr gut amüsiert. Trotz ihrer anstrengenden Tätigkeit will sie nicht zu ihrem Manne zurück, nimmt auch keine Unterstützung von ihm, sondern will nur, dass er sie gesetzlich freimacht. Diese Angelegenheit hat denn der Anwalt der Frauen 2 in die Hand genommen. Wir haben noch einmal Sommer bekommen und prachtvolles Wetter. Frau Heymann wird sich auch bei Euch eingefunden haben? Hoffentlich fasst sie endlich festen Fuss, was ihr hier nicht glücken wollte. Etwas Besonderes kann ich Euch nicht berichten, da das August besorgt hat, und will ich für heute schliessen und Eure Zeit nicht zu sehr in Anspruch nehmen. Also nochmals wünsche ich von Herzen, dass Dir die Reise recht gut bekommen ist; mit den herzlichsten Grüssen Deine
JULIE.
Liebste Louise! Gern wollte ich Dir ein paar Zeilen schreiben; aber ich habe heute in der Tat noch kein Material gesammelt. Ich werde es aber später tun, und Du gewiss auch, nicht wahr? wenn Du mit Deiner Arbeit etwas zu Rande bist. Die kranke Frl. Nathan ist schon mehrere Male ausgefahren; vielleicht wird sie doch wieder gesund, was mich herzlich freuen würde. Nun wünsche ich aber auch, dass Dir die Reise recht gut bekommen ist und Du gesund und glücklich bist. Leb wohl für heute, grüsse Avelings und Bernsteins und Frau Heymann, und sei Du selbst aufs herzlichste gegrüsst und geküsst von Deiner JULIE.
Theodor und Karl Liebknecht genügten 1893-94 ihrer Dienstpflicht bei den Garde-Pionieren in Potsdam. 8 D. i. Bebel. 1
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2 8 0 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 12. Oktober 1893.
Original. Lieber August!
Wir schicken Dir die Reevessche Ausgabe von „Woman". Nach meiner Auffassung ist die juristische Lage (auf die, einem Kerl wie R[eeves]1 gegenüber, es allein ankommen kann) die folgende: 1) Das internationale Autorrecht gegenüber einem Übersetzer ist geschützt auf drei Jahre nach Erscheinen des Originals, aber nur, wenn schon im ersten Jahr ein Anfang mit Veröffentlichimg einer vom Autor genehmigten Übersetzung wirklich erschienen. Danach wäre Dir jedes Klagerecht abgeschnitten, falls nicht die Walthersche Übersetzung innerhalb eines Jahres nach dem Erscheinen einer deutschen Neuauflage, die wesentliche Änderungen und Zusätze gegen frühere enthielt, herausgekommen ist; was schwerlich der Fall war. 2) Bliebe das Klagerecht der Frau A. Walther. Ob diese eins hat, hängt davon ab, ob sie bei Veröffentlichung der ersten englischen] Ausgabe das literarische Eigentum sich reserviert hat, oder ob sie es ausdrücklich oder stillschweigend an die Modern Press, den Verleger abgetreten. Dies wäre festzustellen. Hat sie es nicht ausdrücklich reserviert, so ist zehn gegen eins zu wetten beim Stand der hiesigen Gesetzgebung, dass es stillschweigend in die Hände des Verlegers übergegangen ist und sie auch kein Recht mehr hat. 3) Dieser, ein gewisser Foulger, hat, soviel ich weiss, sein Geschäft längst einstellen müssen und war gewiss froh, mit Reeves irgendein Abkommen zu schliessen. Hiernach ist es fast sicher, dass Du juristisch nichts machen kannst, und nicht sehr wahrscheinlich, dass Frau A. W[alther] etwas machen kann, doch wäre dies noch festzustellen. Kannst Du mir Abschrift der Abmachungen zwischen Frau W[alther] und der Modern Press besorgen, so könnte ich einen Advokaten, falls nötig, konsultieren. Wenn aber die Sache nicht sehr klar, ist mit einem Burschen wie Reeves nichts zu machen, er ist durch und durch unskrupulös in seinen Geschäftsspekulationen, und Geld aus ihm herauszuschlagen, fast unmöglich; ich habe leider auch mit ihm zu tun gehabt, selbst ein angedrohter Prozess hilft da nicht viel, solche Burschen übertragen in ähnlichen Fällen alles auf den Namen ihrer Frau oder fabrizieren eine Bill of sale (Verschreibung ihres Lagerbestandes etc. auf einen fingierten oder wirklichen Gläubiger). Gestern erhielten wir hier zwei famose Nachrichten. 1
S. Brief Nr. 80, Anm. 6.
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Erstens den Anfang des Endes vom Kohlenstreik.2 Nachdem der Ausschluss der Arbeiter, den die grossen Grubenbesitzer am 28. Juli ins Werk gesetzt, um 1) die Preise zu steigern und die Produktion einzuschränken, 2) um ruinöse Kontrakte auf Jahreslieferung an Gasanstalten und andere städtische Werke, die sie leichtsinnig eingegangen, ungestraft brechen zu können, weil in allen solchen Kontrakten Streik den Kontraktbruch entschuldigt, 3) die Löhne zu drücken und 4) die kleinen Zechen zu ruinieren und sie wohlfeil aufzukaufen — dies wird mehr und mehr stehendes Motiv aller grossen lock-outs —, nachdem also dieser Ausschluss über zwei Monate gedauert und die öffentliche Meinung auch der unter dem Kohlenmangel leidenden Bourgeois sich gegen die Zechenbesitzer zu wenden anfing, kam die Krisis. Mit der ersten Oktoberwoche lief die Übereinkunft ab, wodurch die Zechenbesitzer sich bei Strafe von tausend Pfund Sterling verpflichtet, ihre Gruben nur zu der vollen Lohnherabsetzung von fünfundzwanzig Prozent (auf den seit 1889 gewonnenen Aufschlag von vierzig Prozent des alten Lohnes, also zum Lohn von 1889 plus fünfzehn Prozent) und bei Beendigung des Streiks durch das Zechenkomitee wieder zu öffnen. Sofort fielen eine ganze Reihe der kleineren Zechen ab und nahmen die Arbeit auf zum Lohn von vor Juli (also Lohn von 1889 plus vierzig Prozent Zuschlag). Da traten die Bürgermeister der Hauptorte des Yorkshire- und Midland-Kohlenbezirks zusammen und machten einen Vermittlungsvorschlag, der faktisch auf eine Lohnherabsetzung von zehn Prozent herauskam. Das war gefährlich, wenn die masters annahmen; es konnte die Arbeiter in die Zwickmühle bringen, entweder auch anzunehmen oder die schlappe öffentliche Meinung, die ja jeden Kompromiss bewundert, gegen sich aufzubringen. Glücklicherweise aber lehnten die masters in ihrer Verblendung — die grossen an der Spitze — sofort ab, und nun wurde der Zusammenbruch ihres Ringes in vierundzwanzig Stunden offenbar. Seit gestern sind dreissig- bis vierzigtausend Bergleute zum Lohn von vor Juli, also unter vollständiger Preisgabe der Forderungen der masters, wieder in Arbeit getreten, und der Kladderadatsch des Kohlenringes ist entschieden. Dies ist das erste Beispiel, dass ein von den masters selbst zu dem von ihnen selbst gewählten Zeitpunkt in Szene gesetzter grosser Streik so vollständig fehlgeschlagen ist, und darin liegt seine Bedeutung. Sie werden's sobald nicht wieder versuchen, aber auch die Arbeiter haben derart gelitten und solches Elend durchgemacht, dass ihnen die Lust zu einem „allgemeinen Streik" wohl etwas vergangen sein wird.
Eine zusammenfassende Betrachtung darüber von E. Bernstein: „Hüben und drüben. Ein Bild vom englischen Kohlenausstand", Vorwärts, Nr. 251, 25. Oktober.
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(Soeben kommt Dein und Julies Brief). Die zweite Nachricht war die vom neuen österreichischen] Wahlgesetzentwurf. Das ist ein brillanter Sieg unserer Leute, und ich habe Victor sogleich dazu gratuliert. 3 Daily News meint, die Wählerzahl in Wien werde von achtzigtausend auf dreihundertfünfzigtausend steigen, und Chronicle schätzt die Zahl für ganz Österreich dann auf drei Millionen — das sind natürlich Schätzungen aus Wiener Quellen. Jedenfalls eine Abschlagszahlung, die schon mitzunehmen ist, auf zwanzig soz[ial]demokratische] Abgeordnete rechnen die Wiener Bourgeois jetzt schon. Wahrscheinlich genug, dass Taaffe auf Verschlimmbesserung seines Entwurfes durchs Parlament rechnet, aber das ist eine gewagte Rechnung, und unsere Leute werden schon dem ein Stöckchen vorstecken. Kostbare Ironie der Geschichte, wenn unsere Leute in den Fall kommen, den Premierminister gegen sein Parlament und gegen sein eigenes geheimes Selbst schützen zu müssen! Die Hauptsache ist, dass der Stein einmal ins Rollen gebracht ist; unsere Bewegung ist stark genug in Österreich, um ihn vor dem Stillhalten zu bewahren. Und Taaffe kann nicht gut Demonstrationen für seinen Vorschlag unterdrücken. Mein Eindruck von Österreich ist überhaupt der, dass wir dort noch viel Freude in der nächsten Zeit erleben werden. Bei der allgemeinen Erschlaffung aller Parteien, bei der allgemeinen Ratlosigkeit, dem Nationalitätenhader, bei einer Regierung, die nie weiss, was sie will, und nur von der Hand in den Mund lebt, bei der nur papiernen Existenz der meisten Gesetze und der allgemeinen Schlamperei der Verwaltung, von der ich erst durch den Augenschein eine wirkliche Vorstellung bekommen —, da muss eine Partei, die weiss, was sie will und wie sie es will, und die dies wirklich will und die hinreichende Zähigkeit besitzt, auf die Dauer unwiderstehlich sein, besonders wenn, wie dies der Fall ist, alle ihre Forderungen sich in der Richtung bewegen, wie die ökonomische Entwicklung des Landes selbst und nur ihr politischer Ausdruck sind. Unsere Partei ist in Österreich die einzige lebendige Kraft auf dem politischen Gebiet; die anderen sind passive Widerstände oder stets ermattende Anläufe, und dies gibt uns eine ausnahmsweise günstige Stellung in Österreich. Dazu kommt, dass die wechselnden Gruppierungen der bürgerlichen Parteien es der Regierung von Zeit zu Zeit unmöglich machen, konservativ zu sein; und dass, wenn sie aufhört, konservativ zu sein, sie einfach unberechenbar wird, eben weil die Parteigruppierungen, mit denen sie rechnen soll, auch unberechenbar sind. Und dann ist die österreich[i'
Engels ausführlich darüber im Brief an V. Adler 11. Oktober 1893.
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sehe] Regierung die eines zwar heruntergekommenen Grossstaates, aber immer noch eines Grossstaates, und ist, gegenüber der des emporgekommenen Kleinstaates Preussen, immer noch grossartigerer Entschlüsse fähig in den Momenten, wo ihr der Konservatismus, das einfache Festkleben am Bestehenden, unmöglich wird. So erkläre ich mir den „Sprung ins Dunkle" des Herrn Taaffe. Nun kommt hinzu, dass das Anschwellen der proletarischen Bewegung in allen Ländern auf eine Krise hinarbeitet, und dass also die in einem Land eroberten Erfolge auf alle anderen mächtig zurückwirken. Die Wahlrechtsbewegung erfocht den ersten Sieg in Belgien, jetzt folgt Österreich, das sichert uns zunächst die Erhaltung des allgemeinen] Stimmrechts, spornt aber auch zu weiteren Ansprüchen an — bei uns wie in Frankreich und Italien. Die Februarrevolution wurde vorbereitet durch die inneren Kämpfe der Schweiz und die konstitutionellen Umschwünge in Italien, bis der Sonderbundskrieg und das Bombardement von Messina durch die Neapolitaner (Febr[uar] 1848) das unmittelbare Signal zum Ausbruch der Pariser Revolution gaben. Wir sind vielleicht noch fünf bis sechs Jahre vor der Krise; aber mir kommt vor, als sollten Belgien und namentlich Österreich diesmal die vorbereitende Rolle spielen zu der Entscheidung, die diesmal in Deutschland fallen wird. Dass die Sache in Österreich nicht wieder einschlafen wird, dafür werden unsere Leute dort schon sorgen. Der österreichische] Reichsrat ist ein noch unendlich versumpfterer Froschteich wie der deutsche Reichstag und selbst die sächsische oder bayerische Kammer. Die Gegenwart von einem Dutzend sozialistischer Abgeordneten wird dort noch ganz anders einschlagen als bei uns; und besonderes Glück haben wir dabei, dass wir an Victor einen Kerl haben, der die österreichischen verzwackten Verhältnisse so klar durchschaut und so scharf zu analysieren versteht. Seine Rede in der letzten ArbeiterZeitung ist ein wahres Prachtstück.4 Ede und Gine waren heute morgen hier. Er ist noch gar nicht, wie er sein soll, hat die Manie der Kleinkrämereien und erinnert mehr und mehr an die Weisheit seines Volkszeitungsonkels6 — ich meine oft, ich 4
In der Volksversammlung am 2. Oktober im Florasaal beim Schwender, die von viertausend Menschen besucht war, über das Thema „Der Ausnahmezustand [in Böhmen] und die politischen Rechte". Bericht in der Arbeiter-Zeitung, Nr. 40, 6. Oktober. 5 Aaron Bernstein (1812-84) gründete 1849 die demokratische „Urwählerzeitung"; Gründer und Leitartikler der Volks-Zeitung, Berlin. Seine Aufsätze wurden gesammelt in Revolutions- und Reaktionsgeschichte Preussens und Deutschlands von den Märztagen bis zur neuesten Zeit, 3 Bde (Berlin, 1882). Herausgeber der „Naturwissenschaftlichen Volksbücher", Verfasser bekannter Erzählungen aus dem jüdischen Volksleben.
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habe den alten Aaron leibhaftig vor mir. Die Schweizer Geschichte hat er sich selbst verdorben: man hatte ihm in Bern gesagt, einen würde man wohl hineinlassen, zwei aber auf einmal nicht —, da war seine Politik doch klar: den kranken Julius vorzuschieben und dann, nach sechs Monaten, sich hierauf stützend, wiederzukommen; dann konnte man ihn schwerlich oder doch nur für kurze Zeit abweisen. Aber seine Ungeduld litt dies nicht. Das schönste ist, dass er jetzt manchmal sagt, er bliebe lieber hier, nur Gine dränge nach der Schweiz. Sein Traum ist und bleibt die Rückkehr nach Berlin, er bildet sich wirklich ein, er könne das fertigbringen, und verhandelt mit allerlei Juristen darüber.4 Abwarten! Wenn Schlüter gescheit ist, so tut er sich selbst und seiner Frau den Gefallen und lässt die Scheidung einleiten. Ein solcher Prozess gegen eine abwesende Frau wegen böslicher Verlassung hat für beide Teile wenig unangenehme Seiten, und die volle Freiheit muss ihm selbst doch auch erwünscht sein. Allerdings pflegte er sich auch sonst die Freiheit selbst zu nehmen, wo er nur konnte. Im übrigen ist es immer erfreulich zu hören, dass eine Frau, die man kennt, sich zur Selbständigkeit aufrafft. Der Entschluss, sich endgültig von ihrem Hermann zu trennen, mag ihr sehr lange Kämpfe mit sich selbst gekostet und damit ihren Charakter früher als unentschlossen haben erscheinen lassen. Was für eine Verschwendung von Energie doch die bürgerliche Ehe ist — erst bis man soweit ist, dann solang der Kram dauert, und dann bis man sie wieder los ist. Eben sind wir von einem Gang durch den Park zurück, prächtiges Herbstwetter, hübscher Sonnenuntergang bei wolkenlosem Himmel und schöne Laubfärbung. Unten wird der Tisch gedeckt, es gibt walisische Hammelkeule als Wildbraten behandelt und die bewussten Nudeln. Darum eile ich zum Schluss. Louise und ich danken Julie für ihre lieben Briefe und behalten uns deren Beantwortung auf nächstens vor. Herzliche Grüsse von uns beiden an Euch beide, dito an Singer und Schwester, Liebknechts und alle die vielen Freunde, deren Namen ich nur nicht aufzählen kann, weil sonst der Braten kalt wird. Dein F . ENGELS.
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S. Brief Nr. 278.
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2 8 1 . E N G E L S AN
BEBEL
London, den 18.[-21.] Oktober 1893.
Original. Lieber August!
Ich erhalte soeben die Anzeige, dass der Verlag des Vorwärts „beabsichtigt", den „Anti-Dühring" neu aufzulegen,1 und fordert man mich bloss auf, der Neuauflage einige kurze Bemerkungen hinzuzufügen. Was ich selbst etwa „beabsichtige", danach werde ich gar nicht gefragt. Nun erinnerst Du Dich, dass wir auf der Reise abmachten, den „Anti-Dühring" an Dietz zu geben, dafür die kleineren populären Sachen dem Vorwärts. Ich werde also die Herren in Berlin hiervon vorläufig in Kenntnis setzen, damit sie sich keinen weiteren Illusionen hingeben, und schreibe Dir dies gleich nach Köln, da ich von Louise höre, dass Du von dort nach Stuttgart gehst, also die Sache mit Dietz besprechen kannst. Ich stelle ihm folgende Bedingungen für eine Auflage, deren Stärke er selbst bestimmen kann, aber die er mir dann auch mitteilt: 1) ein Honorar von fünfzehn Prozent des Ladenpreises, also fünfzehn Pffennig] für jede Mark. Das erhalten wir hier in England für Übersetzungen meiner Sachen. Da das Buch doch nur in beschränktem Mass für den Massenabsatz geeignet ist, kann er den Preis entsprechend stellen. 2) Das Honorar wird an Dr. Victor Adler in Wien gezahlt. 3) Dietz verpflichtet sich, keine ganze oder teilweise Preisherabsetzung vorzunehmen ohne meine schriftliche Einwilligung. Dies, damit das Buch nicht, wie geschehen, benutzt wird, um gewissen Ladenhütern den Absatz zu erleichtern. Das ist alles. Du weisst, Liebk[necht] — den Sonntag im Grunewald — ging mich an, Lafargue zu regelmässiger Arbeit als Korrespondent zu mahnen, was ich ihm versprach, sobald er mir anzeige, dass der Vorstand das Honorar Laf[argue]s bewilligt habe. Im Vorwärts stand nun ein Bericht, Pariser Korrespondenz, über den Pariser Marxistenkongress;2 ich frag bei Laf[argue] an (da ich von Liebk[necht] nichts hörte), ob diese von ihm sei, und er sagte nein. Darauf frug ich bei L[ie]bk[necht] an, wie es mit der Sache stehe, und dieser schreibt mir jetzt: „Vor meiner Abreise nach Sachsen, woher ich soeben zurückkam, 1 Das Werk erschien weiter bei Dietz, und zwar die 3., durchgesehene und vermehrte Auflage (Stuttgart 1894), mit einem vom 23. Mai 1894 datierten Vorwort. 2 „Der Kongress der französischen Arbeiterpartei", über den XI. Kongress 7.-10. Oktober, in Nr. 2 4 0 , 2 4 4 , 12., 17. Oktober.
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schrieb ich an August, die Sache mit Laf[argue] in Ordnung zu machen. Ich bin in allem, was besondere Ausgaben involviert, vom Vorstand abhängig."3 Es scheint also, Du sollst wieder einmal für die Versäumnis anderer Leute verantwortlich gemacht werden.4 Nun ist ja der Vorstand in der letzten Zeit arg mit Arbeit überhäuft worden; aber ich möchte doch anheimgeben, dass ein Engagement eines Zeitungskorrespondenten in wenig Minuten erledigt werden kann. Mir kommt es fast vor, als wenn L[ie]bk[necht] in seiner wachsenden ausschliesslichen Freundschaft für Vaillant5 gar keine besondere Lust hätte, mit Laf[argue] abzuschliessen; sonst hätte er wohl die Sache vor dem Pariser Kongress erledigt und dann auch authentischen Bericht über diesen erhalten. (Die Franzosen Hessen keine Reporter oder Publikum zu). Hier wimmelt's. Vorgestern kam Lehmann und Frau Adams Walther, heute kommt Schmuilow,9 der hier heiraten will. Ich frug Frau A[dams] W[alther] wegen ihrer Abmachungen mit Foulger, sie wusste nichts Bestimmtes, will sich aber bei dem Freund, der die Sache besorgt hat, erkundigen und mir dann das Resultat mitteilen. Nach dem, was sie zu sagen wusste, ist höchstwahrscheinlich das literarische Eigentum ihrer Übersetzung stillschweigend an F[oulger] übergegangen, und dann wäre absolut nichts gegen Reeves zu machen als eine Notiz in den Blättern, dass dieser Text seit Jahren veraltet ist. Ich wollte Dir die zwanzig Mark schicken, die ich am letzten Tag von Dir gepumpt; aber ich komme nicht dazu, in die Stadt zu gehen und deutsches Papiergeld zu holen. Du erhältst es das nächste Mal. Sollte ich Dir sonst einen Betrag schulden, was ja möglich ist, so erinnerst Du mich wohl in Deinem Nächsten daran. Die Lassalle-Briefe sind in Tussys Hand zur Bearbeitung mit der Schreibmaschine.7 Sie wird Euch den üblichen Satz dafür berechnen, den ich ihr zahlen werde. Was gebt Ihr aber den Erben an Honorar?
Liebknecht an Engels 17. Oktober 1893. S. Brief Nr. 283, Abs. 2. 5 Im Brief an P. Lafargue vom 13. Oktober erwähnt Engels einen von Liebknecht im Vorwärts veröffentlichten antirussischen Artikel Vaillants; viel klarere derartige Artikel im Socialiste seien seiner Aufmerksamkeit entgangen. Hierüber sowie über einen Brief Arndts zugunsten Brousses habe er mit Liebknecht gesprochen. 6 Wladimir Schmuilow, ein russischer Emigrant und Journalist, lebte in Dresden, von wo er mit Engels in Korrespondenz trat. 7 Diese von Engels korrigierte Abschrift lag neben den Originalbriefen Mehring bei der Herausgabe der Lassalle-Briefe vor. Aus dem literarischen Nachlass von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle, Bd. IV (Stuttgart, 1902), S. XV. 3 4
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Wieviel es wird, kann ich bei der Handschrift noch nicht sagen. 21. Oktober. Dieser Brief ist gestern wieder liegengeblieben, weil ich den Schmuilow wegen Unkunde des Englischen und Unmöglichkeit, jemand anders zu finden, zum Standesbeamten führen und die einleitenden Formalitäten besorgen helfen musste. Vier Wochen vergehen, ehe der Akt der ehelichen Fesselung vorgenommen werden kann. Die Sache in Österreich verläuft wunderbar. Die allgemeine Ratlosigkeit der Parteien, das Schwanken des Kaisers, die fast sichere Auflösung und Neuwahlen geben Gelegenheit zur prachtvollsten Agitation von Seiten der Unseren und zur gründlichen Aufrührung des alten Sumpfes. Die verschiedenen aristokratischen und bürgerlichen Parteien krimmein und wimmeln durcheinander wie Ameisen in einem zerstörten Ameisenhaufen. Die alte Ordnung, ohnehin so wacklig, ist jetzt auf immer dahin, und wir haben nur dafür zu sorgen, dass die Geschichte nicht wieder zur Ruhe kommt. Und das ist nicht schwer. Die Rückwirkung auf Deutschland ist natürlich unvermeidlich. Ganz wie 1848 Wien am 13. März losschlug und dadurch Berlin nötigte, am 18. [März] zu folgen. Brüssel—Wien—Berlin ist jetzt die natürliche „Ordnung im A.B.C.". Preussisches und andere Lokalwahlrechte, Hamburger Verfassung8 usw. werden wohl alle der Reihe nach dran glauben müssen. Die Periode des Stillstandes und der Reaktion in der Gesetzgebung, die auf 1870 folgte, ist zu Ende; die Regierungen kommen wieder unter die Kontrolle einer lebendigen politischen Bewegung im Volk, in deren Hintergrund wir sitzen und die wir — negativ hier, positiv dort — bestimmen. Was die Liberalen vor 1848, das sind wir jetzt, und die belgisch-österreichischen Wahl[rechts]siege beweisen, dass wir ein hinreichend starker Gärungsstoff sind, um die eingeleitete Gärung durchzuführen. Rasch und flott wird der Prozess aber erst, sobald wir auch in Deutschland direkte oder indirekte Erfolge — Eroberungen in freiheitlichem Sinn, Vermehrung der politischen Macht der Arbeiter, Ausdehnung ihrer Bewegungsfreiheit — erringen. Und das kommt auch. Wenn Du aus den Miquelbriefen Stellen zum besten gibst, so verDer Vorwärts hatte sich in Nr. 241, 242, 13., 14. Oktober in den Leitartikeln „Zur Hamburger Verfassungsfrage" damit beschäftigt. Nach der Verfassung von 1859 hatten etwa 20.000 „Bürger" von den 600.000 Einwohnern das Wahlrecht. Von den 160 Mitgliedern der Bürgerschaft wurden nur 80 durch „allgemeine Wahlen" besetzt; je 40 wählten die Grundeigentümer und Notabein in besonderen Wahlgängen. Von den achtzehn Senatssitzen waren neun den Juristen und sieben dem Kaufmannsstand reserviert. Die Sozialdemokratie forderte allgemeines, gleiches und direktes Wahlrecht zur Bürgerschaft.
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schiess Dein Pulver nicht auf einmal. Bedenke, dass, sowie die Sachen einmal heraus sind, der Effekt vorbei ist und nicht wiederholt werden kann — es sei denn, wir hätten noch Munition in Reserve. Der Generalstreik war eine grosse Gefahr in Österreich; es ist noch nicht ausgeschlossen, dass er nicht ins Werk gesetzt wird zugunsten des Ministeriums Taaffe und seiner Wahlreform, was allerdings die Spitze der geschichtlichen Ironie wäre. Beim Ausschluss der englischen Bergarbeiter hat sich gezeigt, wie betörend diese konfuse Vorstellung gewirkt hat. Die Grundidee ist: Zwingen der Bourgeoisie durch allgemeinen Kohlenmangel. Dies hat einen gewissen Sinn, wenn die Arbeiter die Offensive ergreifen, d.h. bei guter Geschäftslage. Dagegen, geht das Geschäft schlecht, haben die Industriellen übergrosse Vorräte und die Zechen mehr Kohlen, als sie verkaufen können, ergreifen also die Kapitalisten die Initiative, die Produktion zu vermindern durch Aussperrung und dabei die Löhne zu drücken — dann ist der allgemeine] Streik Wasser auf die Mühle der Kapitalisten, die Kohlenproduktion wird in ihrem Interesse vermindert. Die richtige Politik der Engländer war, den kontinentalen Grubenarbeitern zu empfehlen, nur keinen Streik zu machen, damit womöglich Kohlen vom Kontinent nach England kämen. Aber die Phrase vom allgemeinen] Streik hatte ihnen die Köpfe überall verwirrt, die belgfischen] und französischen] Streiks folgten dem englischen] Lockout, und soweit sie England beeinflussten, konnten sie dies nur tun zugunsten der Kapitalisten. Die grossen Zechenbesitzer wehren sich noch; die kleineren geben mehr und mehr nach. An achtzigtausend Mann arbeiten wieder, etwa zweihunderttausend stehen noch aus. Die Grossen drohen mit dem Äussersten: Exmittierung der Arbeiter aus den den Zechen gehörigen Wohnhäusern. Wären Streikbrecher da, bereit, die Häuser zu beziehen, so würden die Zechen dies unbedingt durchsetzen und Militärhilfe dazu erhalten. Das ist aber nicht der Fall, und zu einem reinen Willkürakt, der nur den Zweck hätte, die Arbeiter obdachlos vor leer bleibende Häuser hinzusetzen, wird die Regierung schwerlich bereit sein, sich nochmals der Unpopularität einer Schiesserei wie die neuliche von Featherstone9 preiszugeben. Geschieht's aber dennoch, so fliesst viel Blut. Dies Äusserste lassen sich die Arbeiter nicht gefallen. Gleich kommen Avelings, die sich eben zum Essen angemeldet. Das ist hier wie ein Taubenschlag. Also leb wohl, grüss alle, und 9
Im September 1893 war im Verlauf des Bergarbeiterstreiks in Featherstone eine für Streikbrecher errichtete Unterkunft in Brand gesteckt; aus diesem Anlass eröffnete Militär das Feuer auf die Menge.
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wenn Du nach Stuttg[art] kommst, auch Dietz und K[arl] Kfautsky] nebst Gattin. Dein F. E. 2 8 2 . B E B E L AN E N G E L S
Original.
Berlin W., den 19. Oktober 1893. Lieber General!
Ich habe Deinen letzten Brief verlegt und kann ihn nicht finden; Du darfst Dich also nicht wundern, wenn ich den einen oder den anderen Punkt zu beantworten übersehe. Seit 1859 bzw. 1866-67 habe ich die Entwicklung der innerösterreichischen Verhältnisse nicht mit dem Interesse verfolgt wie jetzt. Nur dass diesmal die Entwicklung noch ungleich wichtiger ist als in früheren Perioden, weil sie uns direktest angeht. Der Gang der Dinge dort wird jetzt zum erstenmal auf die Entwicklung der deutschen Verhältnisse von Einfluss sein. Nicht allein bez. des Reichswahlgesetzes, sondern auch bez. der Reform des preuss[ischen] Wahlgesetzes. Letztere ist nur eine Frage der Zeit. Es werden bei der diesmaligen Wahl in Preussen so ungeheuerliche Einrichtungen zutage treten,1 dass der Einfältigste die Notwendigkeit fühlt, gründlich zu ändern. Jetzt haben wir einzugreifen und dem Lauf der Dinge die Richtung vorzuschreiben. Als ich, während Ihr noch hier wäret, beantragte, die Wahlreformfrage auf die Tagesordnung des Parteitages zu setzen, blieb ich im Vorstand ganz allein. L[ie]bk[necht] brüstete sich sogar im Vorwfärts], dass man dieser Frage so wenig Bedeutung beigelegt, dass man sie nicht mal auf die Tagesordnung des Parteitages gesetzt.2 Als ich die Herren im Vorstand kürzlich auf die Vorgänge in Österreich und ihre eigene Haltung hinwies, Hessen sie die Köpfe hängen. Ich komme nunmehr in die Vorversammlung mit dem Antrag, die Frage auf die Tagesordnung zu setzen, und hoffe durchzudringen.3 Bebel erwähnte solche absurden Auswirkungen des Dreiklassenwahlrechtes in seinem Referat auf dem Kölner Parteitag. Protokoll, S. 253ff. 2 Das war der Schluss von P. Singers Vowärti-Artikel, s. Brief Nr. 277, Anm. 3. 3 „Das allgemeine Wahlrecht und die Wahlrechte zu den Landtagen" war der Punkt 9 der Tagesordnung des Kölner Parteitages. Bebel hielt das Referat. In einer Resolution wurde es als Pflicht der Sozialdemokraten bezeichnet, sich der Stimmabgabe bei den preussischen Landtagswahlen zu enthalten, da eine selbständige Beteiligung der Partei an den Wahlen keine Aussicht auf Erfolg biete und es den Grundsätzen der Partei widerspreche, sich in Kompromisse mit feindlichen Parteien einzulassen. Die Parteigenossen in allen Einzelstaaten wurden aufgefordert, für die Einführung des allgemeinen gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts zu agitieren. Protokoll, S. 253. 1
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Dann werde ich mir Miquel, der in dieser Frage die schuftigste Rolle gespielt, kaufen und nunmehr auch mit einigen Stellen seiner Briefe an Marx herausrücken. Jetzt ist der Moment gekommen, gegen ihn loszugehen.4 Ich erspare mir das für das Plenum des Parteitages, damit die Presse hübsch darüber berichten kann. Von Victor [Adler] erhielt ich heute bereits den zweiten Brief in dieser Woche, er ist in grosser Aufregung. Er glaubt, dass man ihn in Reichenberg mit sechs Monaten hereinlegt; er hofft aber auch, sich vielleicht noch durchhauen zu können.5 Allein er hat es mit verspiesserten und todfeindlich gesinnten Geschworenen zu tun, und die sind noch schlimmer als Österreich[ische] Richter. Ausserdem hat er noch ein Bündel Prozesse wohl auch in Wien, er könnte also von ausserordentlichem Glück sagen, wenn er mit heiler Haut davonkäme. Er schreibt, er würde wütend, wenn man ihn jetzt einsperre. Ich begreife das. Ich habe am eigenen Leibe gekostet, was es heisst, hinter Schloss und Riegel sitzen und an Händen und Füssen gebunden zu sein, während draussen der Kampf tobt. Habe ich doch allein drei Reichstagswahlagitationsperioden so durchmachen müssen. Weiter wittert er Staatsstreich. Daran glaube ich nicht. Taaffe wäre verrückt und verdürbe sich seine ganze Position, wenn er eine solche Dummheit machte. Und wegen wem Staatsstreich machen? Unseren Leuten zuliebe? Es wäre das erstemal, wenn die österreichische] Bourgeoisie einem energischen Druck der Regierung widerstände. Der Vorschlag T[aaffe]s hat zugleich unsere Leute vor einer Generaldummheit bewahrt. Ohne die Vorlage wäre der sog. Generalstreik unausbleiblich gewesen. Man hatte sich zu sehr auf ihn verbissen.6 Vict[or] hat Karl [Kautsky] geschrieben, von Stuttgart nach Wien überzusiedeln, und letzterer scheine nicht abgeneigt zu sein.7 Dagegen ist an und für sich nicht viel zu sagen, obgleich ich Kfautsky] weder 4 Anknüpfend an einen Wahlaufruf der Nationalliberalen Partei mit den Unterschriften R. von Bennigsens, J. Miquels u.a. aus dem Jahre 1867, der nächste Landtag habe zu prüfen, in welcher Weise und unter welchen Voraussetzungen der Übergang zum allgemeinen Stimmrecht zu vollziehen sei, verlas Bebel in seinem Kölner Referat einen Brief Miquels an Marx aus dem Sommer 1850, einer Zeit, in der Miquel, in dem Bebel den Hauptschuldigen an der Aufrechterhaltung des Dreiklassenwahlrechts sah, Kommunist gewesen war. Protokoll, S. 260ff. 5 Adler wurde freigesprochen. Schwurgerichtsverhandlung gegen Dr. Victor Adler . . . vor dem Reichenberger Schwurgericht vom 17.-20. November 1893 (Wien, 1894). 6 Die Wahlrechtskampagne der österreichischen Sozialdemokratie steigerte sich zu der Forderung einer Massenaktion, und die Stimmung für die Durchführung des Generalstreiks, wie in Belgien, wurde sehr stark. L. Briigel, Geschichte, IV, 181 lff. S. a. Brief Nr. 285. 7 Kautsky hatte die Absicht, auf Adlers Wunsch zum 1. April nach Wien über-
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für einen geschickten Strategiker noch für einen Parlamentarier halte, wenn er zu letzterem gewählt würde. Aber sie brauchen, was sie an Intelligenz besitzen. Die N[eue] Z[eit] lässt sich allerdings von Wien nicht dirigieren und redigieren. Es ist sehr gut, dass ich auf der Rückreise von Köln den Umweg über Stuttgart mache. Hat Dir Meyer auch die ersten Bogen seines neuen Werkes gesandt?8 Wahrscheinlich. Ich habe einen Teil derselben gelesen. Es ist viel Plauderei darin, manchmal sogar ein gut Stück Kohl, und im ganzen ein ziemliches Durcheinander, so dass man nicht weiss, wohin er will. Aber er hat auch eine Reihe guter Gedanken und namentlich eine Reihe Tatsachen mitgeteilt, die verwendbar sind. Die Haltung der englischen] Bergarbeiter ist bewundernswert, es ist der hartnäckigste Kampf, der je da war; aber was für riesenhafte Opfer kostet er, und der Erfolg eine allgemeine] Verblutung. Dem Sozialismus arbeitet er mächtig in die Hände, das ist der wirkliche Gewinn. Wenn Du mal wieder nach Deutschland kommst, General, darfst Du nicht zu sehr den angenehmen Schwerenöter gegenüber unseren Frauen spielen, sonst verursachst Du grosses Unheil. Da kommt die Lux hierher und erzählt auf allen Gassen, wie Du in Zürich sie ausgezeichnet und sogar mehrere Male geküsst. Nun kommen die anderen und prahlen, dass das ihr nicht allein passiert sei usw. Schliesslich kommt es noch zu Duellen zwischen den Frauen wegen Dir; willst Du das verantworten? Schäme Dir ein wenig, Du junger Alter. Zur Stunde, in der ihr Sonntag beim Lunch sitzt, pauke ich gegen das Zentrum in Aachen.9 Ich hoffe, es wird eine schöne Versammlung. Herzlichen Gruss von uns beiden an Dich und Louise und die Sonntags-Tafelrunde Dein AUGUST. zusiedeln, aber die Redaktion der Neuen Zeit beizubehalten. Der Plan zerschlug sich. Kautsky an Adler 13. Oktober, 1., 26. November 1893. 8 Der Capitalismus fin de siècle (Wien-Leipzig, 1894). • Am Sonntag, 22. Oktober war eine Vorversammlung zum Parteitag in Köln, an der Bebel teilnahm.
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Köln, den 25. Oktober 1893.
Original. Lieber General!
Wie es hier geht und steht, erfährst Du aus den Zeitungen. Ich bin 726
bis jetzt mit dem Gang der Verhandlungen sehr zufrieden. Dieselben sind interessanter, als angenommen wurde. Dass einmal wieder das Schmerzenskind Vorw[ärts] sein Teil abkriegte,1 schadet nichts; L[ie]b[knecht] wird doch endlich einmal einsehen, dass sein Blatt kein Idealblatt ist, wie er noch immer glaubt. In Sachen Laf[argue] tust Du ihm unrecht; er regte die Sache bei mir an, ich ging aber auch auf die Agitation, und so konnte ich sie erst unmittelbar vor dem Parteitag im Vorstand zur Sprache bringen. Dort ist man aber, und mit Recht, von allen unseren französischen] Korrespondenzen nicht erbaut und fürchtet, dass es mit Laf[argue] genau wieder so gehe und auch die berüchtigten Verzögerungen in den Übersetzungen eintreten möchten, die Frau Nath[alie] übernimmt. Der Vorstand ist nicht abgeneigt, Laf[argue] unter die Arme zu greifen, indem er ihm eine entsprechende Einnahme verschafft; wir wollen aber erst nach dem Parteitag definitiven Beschluss fassen, wenn auch L[ie]bk[necht] dabei sein kann, der das letzte Mal fehlte. Für Deine Bemühungen wegen der „Frau" herzlichen Dank. Es tut mir leid, Dir so viel Scherereien gemacht zu haben. Gerichtlich ging ich nicht vor, auch wenn ein Erfolg sicher wäre; mich ärgert nur, dass das Buch in der alten Auflage und Fassung erschien. Ist die Dr. Adams noch dort und hast Du noch Gelegenheit, mit ihr oder durch Lehm a n n ] mit ihr zu reden, so solle sie versuchen, dass der Verleger eine Ausgabe der jetzigen Fassung veranstaltet; ich verzichte von vornherein auf jeden materiellen Vorteil und ebenso Dietz. Letzterer kommt heute abend hier an, und werde ich alsdann auch mit ihm wegen des „Dühring" etc. Rücksprache nehmen. In Berlin hatte ich in der Druckerei so abgesprochen, wie wir verabredet hatten. Nun musste aber der Leiter der Buchhandlung wegen Unregelmässigkeiten kürzlich entlassen werden, und so mag der Irrtum entstanden sein. Willst Du nicht per Druckbogen der Lassalle-Briefe fordern? Denn dass nach einem Prozentsatz gerechnet wird, ist bei den niedrigen Preisen unmöglich. Du hast ja Erfahrung in der Zahlung von Meissner und Dietz. Das ist allerdings sehr amüsant, dass Du, der Verächter der bürgerlichen Ehe, jetzt Kuppelhilfe bei Schmfuilow] leisten musst. Ich kenne Sohm[uilow] und seine Frau, deren erster Liebster kürzlich noch mit Schm[uilow] zugleich in Zür[ich] war. Ich habe da so meine eigenen Gedanken, aber es ist ja Sache der beiden, zu sehen, wie sie zurechtkommen. Der grösste Teil des ersten Verhandlungstages und der Vormittagssitzung des zweiten waren dem Vorwärts gewidmet. Protokoll, S. 113ff.
1
III
Den Miquel gedenke ich bei meinem Referat über das Wahlrecht ein wenig einzuschlachten. Ich werde nur die brauchbaren Stellen aus einem Briefe zitieren, es bleibt also immer noch einiges für später übrig. Ich schlachte ihn als Muster der Gattung ein, und ich denke, das Zitat wird nicht wirkungslos bleiben.2 Hier kommt man gar nicht zum Lesen. Man verbraucht viel Zeit, weil das Lokal an einem Ende der Neustadt liegt, und abends wird natürlich gekneipt, wenn man nicht, wie ich wieder gestern, Volksversammlung hat, die ich in Duisburg abhalten musste und [die] sehr gut verlief. Ich kann daher im Augenblick auch nicht über Österreich mich auslassen; ich habe die Debatten in den letzten Tagen nur ganz im Auszug in Depeschen gelesen. Ich fürchte als immer, Herr Taaffe wird sich mit den Gegnern rangieren, er hat's ja mit allen verdorben und kann sich auf niemand stützen. Uns zuliebe wird er sich in keine Verlegenheit stürzen. Auch den Kohlengräberstreik habe ich nicht verfolgt, ich habe heute nicht einmal den Artikel E[de]s im Vorw[ärts] lesen können.3 Interessant war mir, dass Lande,4 Elberfeld, der bekanntlich Jurist ist, mir mitteilte, dass Ede sich wegen seiner Rückkunft nach Deutschland an ihn gewandt und dass aus seinen Briefen ein überreiztes Drängen, nach hier zu wollen, hervorgehe. Es scheint also, dass sie um jeden Preis entweder nach der Schweiz oder Deutschland wollen, und so wird die Unmöglichkeit, dies zu können, höchstwahrscheinlich sehr ungünstig auf Ede einwirken. Ich habe von Dir nur zwanzig M[ark] zu bekommen. Ich werde vor Sonntag nicht fortkommen; ich hoffe, wir können die ganze Tagesordnung erledigen. Mit herzlichem] Gruss Dein AUGUST.
Gen[eral], ich konnte den Brief nicht mehr durchlesen; entschuldige, wenn er schlecht geschrieben ist.
S. Brief Nr. 282, Anm. 4. Über die Wirkung äusserte sich Bebel in einem Brief an den Vorwärts: die Presse von der Frankfurter Zeitung bis zur KreuzZeitung habe weitgehendes Verständnis für Miquel gezeigt und entschuldige sein Verhalten, weil viele Redakteure eine ähnliche Entwicklung durchgemacht hätten. Nr. 259, 3. November. 3 „Hüben und drüben. Ein Bild vom englischen Kohlenausstand", Nr. 251, 25. Oktober. 4 Hugo Lande hatte als Delegierter des Erfurter Parteitages diesem einen eigenen Entwurf für den zweiten Teil des Programms vorgelegt, Protokoll, S. 28f.; Mitarbeiter der Neuen Zeit. 2
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Berlin W., den 13. November 1893.
Original. Lieber General!
Der Vorstand ist mit Deinen Bedingungen bezüglich der LassalleBriefe einverstanden. Hundert M[ark] p. Bogen bei zehntausend Auflage, Bezahlung der Abschreibekosten bei Tussy; dieselbe Bedingung für neue Auflagen. Ede wird wohl die Briefe zu weiterer Bearbeitung bekommen.1 Der dritte Band von Lassalle2 ist noch nicht versandt worden; daher erklärt sich, dass Du ihn nicht erhieltest, er kommt aber. Den dritten Band der Soz[ial]demokratischen Bibliothek3 habe ich für Dich gerettet, es ist das allerletzte Exemplar, was da ist. Ein wenig fleckig, aber das schadet nichts. Die „Frau" lasse ich liegen, wenn einmal keine Klarheit über den Vertrag zu bekommen ist. D[ietz] meinte, dass ich leicht klagen könne, wenn wir uns an die Kommission für Überwachung des Urheberrechts in Bern (amtliche intern[ationale] Kommission) wendeten. Ich will noch mal warten, bis D[iet]z herkommt, und dann an die Adams schreiben. Ist dieselbe noch in England? Bei ihr spielt auch das alte Lied. Deine Mitteilung über Schmfuilow] und die Gl. glaube ich sehr gern, ich hab's gar nicht anders erwartet. Dass er aber auch noch den Pfaffensegen will, ist ja sehr ,,soz[ial] demokratisch". Er denkt wahrscheinlich, doppelt genäht, hält besser; was bekanntlich auch nicht wahr ist. Den Laf[argue] als Korrespondenten angestellt zu sehen, dafür konnte sich der Vorstand nicht entscheiden, weil bei dem ganzen sonstigen Inhalt des Vorw[ärts] wir damit keine Verbesserung erzielten. Darin waren alle einig, auch L[ie]bk[necht], der sich mit dieser Ansicht einverstanden erklärte, hintennach allerdings gegen einen Dritten die uns alle höchst überraschende Ansicht geäussert hat, dass ihn dieser Beschluss besonders ärgere. Sollte er Dir auch geschrieben haben und in ähnlichem Sinne, dann weisst Du, woran Du bist. Dagegen scheint mir Dein zweiter Vorschlag, Laf[argue] an das Wochenblatt zu nehmen,4 diskutabel. Wir haben morgen EntDie Briefe erschienen nicht in Bernsteins Ausgabe. S. Brief Nr., 281, Anm. 7. Bernsteins Neue Gesamtausgabe; er erschien Berlin 1893. 3 Der dritte Band, Heft X X V - X X X I V und zwei Beilagen, der früher von der Volksbuchhandlung Hottingen-Zürich herausgegebenen Sozialdemokratischen Bibliothek erschien London, German Cooperative Printing and Publishing Co., 1889-90. 4 S. den Anfang des nächsten Briefes. 1
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scheidungskonferenz mit Schippel. L[ie]b[knecht], der gegen das Blatt in K[öln] gestimmt hat, ist jetzt auch gegen Sch[ippel] als Redakteur, auf Grund früherer Vorkommnisse.5 Nun, diese habe ich auch nicht vergessen, und jedenfalls ist Sch[ippel] unter Kontrolle zu halten; andererseits ist er der beste Redakteur, den wir bekommen konnten. Den Vorschlag wegen Laffargue] werde ich morgen machen. Sch[ippel] muss doch auch gehört werden. Die Redaktions- und Vorstandskonferenz mit L[ie]bk[necht] letzten Dienstag war sehr heftig. Keiner von uns hat aus seinem Herzen eine Mördergrube gemacht, um so weniger als L[ie]bk[necht] einmal wieder die unmöglichsten Behauptungen und Anschauungen vertrat, so dass wir mehr als einmal nicht in Lachen, nein, in Gelächter ausbrachen. Ich habe ihm alles gesagt, was ich seit langem auf dem Herzen habe, und versuchte ihm klarzumachen, dass, wenn er in der ganzen Partei nicht einen Menschen in Sachen des Vorw[ärts] auf seiner Seite habe, er doch einsehen müsse, dass die jetzige Art der Redaktion unmöglich sei. Wir legten ihm in direktester Weise nahe, Titel und Gehalt weiter zu behalten, aber die eigentliche Arbeit an einen anderen abzutreten, aber vergeblich. Nach stundenlangem Disput gingen wir ebenso resultatlos auseinander wie schon oft, er mit finsterem Gesicht. Als er aber in die Redaktion kam, war er in bester Laune und erklärte, alles sei nunmehr in Ordnungl Bei dem Manne steht einem der Verstand still, er befindet sich im Zustande absoluter Unempfindlichkeit. Mir hätte man den zehnten Teil dessen sagen dürfen, was ihm gesagt wurde, und ich warf den Kram hin. Habe keine Sorge, mit dem überwirft man sich nicht, aber Krakeel gibt's noch genug. Ich will doch sehen, wer am ehesten mürbe wird. Fischer kommt, wie Du gelesen hast, in die Buchhandlung;4 das ist nötig, da wir dort keinen Mann haben; ausserdem können wir ihn dort besser bezahlen, er erhält tausend M[ark] mehr. Seine Frau macht sich offenbar schwere Sorge, die Frau sieht sehr vergrämt aus, sein nervöses, heftiges Wesen mag auch ein Teil dazu beitragen. Nach Ersatz suchen wir noch, hoffentlich bekommen wir jemand, der nicht so ganz und gar mit Auer, auch in der Grobheit, harmoniert wie
Dass Schippel Redakteur der Berliner Volks-Tribüne gewesen war und bis 1890 als einer der Führer der „Jungen" galt. 6 Der Vorwärts teilte in Nr. 265, 10. November mit, der Parteivorstand habe beschlossen, Fischer die Leitung der Buchhandlung des Vorwärts zu übertragen. Zu seinem Nachfolger als Schriftführer im Vorstand wurde W. Pfannkuch gewählt, der zum 1. Januar 1894 nach Berlin übersiedelte.
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F[ischer] und Initiative hat. A[uer] hat diese gar nicht, er ist der ewige Bremser. Die Geschichte mit dem Metteur im Vorw[ärts] ist in der Hauptsache so, wie die gegnerischen Blätter berichteten. 7 Ein zweiter Cronheim,8 dieser für die Presse, jener für die Polizei. Ich roch längst Lunte und drängte wiederholt auf Entfernung, wozu Bading, „weil man's nicht beweisen könnte", nicht zu bewegen war. Schliesslich kamen sehr indirekte, aber doch zweifellose Beweise. Den Siziliern9 wurden vorige Woche fünfhundert Francs bewilligt, ich hatte tausend beantragt. Ich blieb mit F[ischer] in der Minorität. Das Geld ging an Labr[iola]. Ich werde suchen, noch fünfhundert herauszuschlagen. Die deutschen Kohlenarbeiter können ihren engl[ischen] Kollegen gar nichts zukommen lassen. Der Verband ist bis auf einen kleinen Rest zersprengt, eine Menge Gemassregelter sind zu erhalten, so dass sie schon Parteihilfe in Anspruch nehmen müssen. Ebenso sind unsere besten Gewerkschaften: Buchdrucker, Zig[arren]arbeiter, Hutmacher und Handschuhmacher durch verunglückte, lange und zum Teil grosse Arbeitseinstellungen oder Ausschlüsse total verschuldet. Bei den Gewerkschaften ist auch nichts zu holen. Daher ja der blödsinnige Kampf gegen die Partei; sie soll retten und gutmachen, was durch die Ungunst der Verhältnisse und zum Teil durch eigene Dummheiten geschädigt worden ist. K[arl] Kfautsky] wird wohl seine Ideen mit Wien aufgegeben haben; ich habe ihm einen Brief geschrieben, der ihn sehr gepackt haben dürfte, und die Dummheit mit Ede habe ich ihm wiederholt ausgeredet. Letzterem habe ich aber auch in zwei Briefen, die ich letzte Woche ihm sandte, den Standpunkt klargemacht, namentlich auch wegen seiner Rückkehr hierher. Ich habe noch einmal durch einen zuverlässigen Rechtsanwalt bei der Staatsanwaltschaft recher7
Der Vorwärts hatte in Nr. 264, 9. November eine unzutreffende „Richtigstellung" gebracht. Der Metteur M. wurde entlassen, weil er seit langem dem Polizeipräsidium Abzüge des Vorwärts vor dem Erscheinen geliefert hatte. Der Sozialist behauptete in Nr. 49, 2. Dezember, M. habe schon im Polizeidienst gestanden, bevor er als Setzer am Berliner Volksblatt angestellt wurde. Bebel sei übrigens davon Mitteilung gemacht. Dieser bestritt das in einer „Erklärung", Vorwärts, Nr. 285, 5. Dezember. 8 Der Redakteur Cronheim hatte lange Zeit Vorgänge im Vorwärts einem liberalen Blatte hinterbracht, zu dem er nach seiner Entlassung ging. 9 In Sizilien wurden die Arbeiterbünde, die infolge ungeheuerlicher Arbeitsbedingungen einen grossen Aufschwung nahmen, mit militärischer Gewalt unterdrückt. Der Vorwärts hatte die Vorgänge im Anschluss an G. Boscos Schrift I fasd di lavoratori in zwei Aufsätzen behandelt: „Die Zustände in Sizilien", Nr. 256, 31. Oktober; Nr. 258, 2. November.
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chieren lassen, und da stellte sich eine gehörige Suppe heraus.10 Und eine noch grössere gegen andere möchte man einbrocken, wenn man ihn erst hat. Auch darüber habe ich ihm klaren Wein eingeschenkt. Vielleicht gibt er Dir genauere Auskunft oder zeigt Dir namentlich meinen letzten Brief; es ist gut, wenn Du ihn kennst. Die Adresse der Frau Braun ist Berlin W., Bayreutherstrasse 10. Ich sehe, dass ich vergass, Dir die „Wohnungsfrage"11 zu bestellen; ich werde es nachholen. Ein anderes, was mir einfällt. Dein „Bauernkrieg"12 ist vergriffen. Du willst ihn aber wohl umarbeiten teilweise, und das geht so rasch nicht. Würdest Du zustimmen, wenn wir etwa zweitausend St[ück] als alte Auflage abziehen, damit die immer kommenden Nachfragen befriedigt werden können? Natürlich gegen entsprechendes Honorar. Ich denke, Du kannst auf den Vorschlag eingehen. Wie steht's denn mit: „Die Bakunisten an der Arbeit"? 13 Dasselbe ist auch vergriffen, und Du hattest ja nach Deiner und L[iebknecht]s Ansicht nur ganz wenig zu ändern. Das Koalitionsministerium ist fertig,14 aber es wäre doch seltsam, wenn es die Aufgabe — Wahlreform — nicht in seiner Weise lösen sollte, wegen der es gegründet wurde. Kein Mensch kann ja die Dinge voraussagen; denn ein sehr zerbrechliches Ding ist es, und ganz Unvorhergesehenes kann aus den Parteien, die jetzt das Heft in der Hand haben, zu realisieren versucht werden, und dabei kann der künstlich geleimte Topf zerbrechen. Bleibt die „Reform" für unsere Leute auf eine Kurie beschränkt, dann verspreche ich mir verwünscht wenig. Vielleicht legt man sich auch mit der „Reform" aufs Temporisieren, indem man hofft, die Kampfeslust unserer Leute allmählich zu erlahmen. Der Gang der Dinge hängt meines Erachtens ganz davon ab, ob man es mit halbwegs kühnen Leuten zu tun hat, die Bis zum Jahre 1900 wurde der Steckbrief gegen Bernstein erneuert. Fürst Bülow erzählt, Denkwürdigkeiten Bd. I (Berlin, 1930), S. 469, der Vertreter der Kölnischen Zeitung, von Huhn, habe ihn auf Bernstein aufmerksam gemacht, und er habe darauf „die Angelegenheit in Ordnung bringen" lassen. 11 Die 2., durchgesehene Auflage von Engels' Schrift, s. Brief Nr. 7 Anm. 9, erschien als Heft XIII der Sozialdemokratischen Bibliothek (Hottingen-Zürich, 1887). 12 Eine neue Ausgabe wurde erst 1908 mit Einleitung und Anmerkungen von F. Mehring herausgegeben. 13 Der Aufsatz wurde aufgenommen in die Sammlung Internationales aus dem Volksstaat (1871-1875) (Berlin, 1894), S. 16ff.; Engels' Vorwort ist vom 3. Januar 1894 datiert. 14 Das nach Taaffes Sturz gebildete Ministerium Windischgrätz-Plener, das sich auf Konservative, Liberale und Polen stützte. Über Taaffes Sturz und die Bildung des Koalitionsministeriums eingehend Emst Frhr. von Plener, Erinnerungen Bd. III (Stuttgart-Leipzig, 1921), S. 86ff., 105ff. 10
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das Eisen schmieden, das sie jetzt in der Hand haben — danach sieht es freilich nicht aus, — oder ob man sich aufs Zaudern legt, damit die Begeisterung der Arbeiter allmählich verpufft. Der Kampf der englischen Bergarbeiter ist grossartig, die Leute halten sich bewundernswert, und ich glaube jetzt selbst, dass sie die Unternehmer unterkriegen, was mir bisher immer noch unwahrscheinlich schien. Es ist ein Kampf, an dem beide Teile auf lange genug haben werden. Aber allen Abmachungen verspreche ich trotzdem keine lange Dauer; es wird ganz von den Umständen abhängen, dass der eine oder der andere Teil glaubt, bessere Bedingungen zu erzielen. Die gegenseitige Verbitterung bleibt, kommt aber uns zustatten. Wirtschaften die Liberalen ab, wie Du meinst, und ich habe denselben Eindruck, dann erhält zunächst die Rechte dauernd die Oberhand, und dann werden sich auch in England die Gegensätze auf politischem Gebiete entwickeln, und die Arbeiter kommen zu einer grossen selbständigen Partei. Wir bekommen einen schweren, arbeitsreichen Winter; ich habe eine Last Arbeit auf mir, dass ich nicht weiss, wie alles fertig werden soll. Herzlichen Gruss von uns beiden Dein AUGUST.
2 8 5 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 14. November 1893.
Original. Lieber General!
In Sachen Lafargue eine gute Nachricht. Wie ich Dir schrieb, brachte ich die Sache heute noch einmal im V[orstand] zur Sprache, und einigten wir uns dahin, dass L[afargue] jede Woche eine Korrespondenz für Vorwärts und Echo schreiben kann, die beide gleichlautend sein dürfen,1 für die er per Korrespondenz fünfundzwanzig Francs, für beide per Woche fünfzig Francs erhält. Die Korrespondenzen müssen aber an ein und demselben Tage für beide Blätter abgesandt werden, zwei in deutscher Sprache. Sobald Ubersetzungen notwendig sind, treten hier Verzögerungen und Unordnungen ein, namentlich im Vorwärts. Du verstehst mich. Drücke nun bei L[afargue] darauf, dass er pünktlich schreibt, und bei Laura, dass sie sich zur Übersetzung bequemt. L[afargue] kann Lafargues Korrespondenzen erschienen unter dem Pseudonym „Gallus".
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also ohne grosse Arbeit per Monat im Minimum zweihundert Francs verdienen. Ich habe heute sehr lachen müssen. Die Österreicher sind ganz entrüstet über den Artikel, den vor acht Tagen der Vorw[ärts] [gebracht] hat. 2 Adolf Br[aun] hatte den Art[ikel] geschrieben, und ich hatte gegen den Schluss einige kleine Änderungen angebracht. Ich bildete mir ein, wir hätten uns damit ums österr[eichische] „Vaterland" sehr verdient gemacht; statt dessen bekommt der Vorw[ärts], unterzeichnet Reumann, einen offiziellen Rüffel. Vict[or] fasst die Sache humoristischer auf, obgleich auch er meint, man habe ihnen in die Suppe gespuckt. 3 Unsinn. Die Deutsche Zettlung] hat den Artikel ausgeschlachtet, und da ist man nun aus dem Häuschen. 4 Ich habe den Artikel der Deutschten ] Zeit [ung] gelesen und bilde mir ein, das Blatt hätte ich gehörig abgeführt. V[ictor] meint, man dürfe als Nüchterner nicht in eine Gesellschaft von Betrunkenen kommen und Rat erteilen, dann schrien sie noch lauter. Das Bild ist gut, die Nutzanwendung falsch. W a h r aber ist, dass die guten Österreicher sehr schwer zu behandeln sind; ein wenig verrückt scheinen sie mir alle zu sein. Man gibt ihnen einen guten Rat, da schreien sie; als sie aber in Sachen der Maifeier auf uns
„Die neue Ära Windischgrätz in Österreich" in Nr. 262, 7. November. Die Wiener Arbeiter-Zeitung druckte den Aufsatz teilweise nach in Nr. 48, 14. November, und knüpfte eine scharfe Kritik daran, s. Anm. 3. In dem Artikel wurde gesagt, die tatsächliche Macht der Sozialdemokratie sei von den Gegnern phantastisch überschätzt. Der Kampfesmut der Arbeiter werde entflammt, und dabei laufe manche Phrase mit unter. „Der Generalstreik, niemals eine grössere Utopie als zur Zeit der gegenwärtigen schweren Wirtschaftskrise, wird den Arbeitern empfohlen, ja, man redet von Gewalt gegen Gewalt." In Österreich herrsche eine „unerhörte Duldung der schärfsten Reden in Versammlungen". Schliesslich wurde den Arbeitern geraten, kühl und ruhig zu handeln, nichts zu übereilen, die eigene Macht nicht zu überschätzen, die ihrer Todfeinde nicht zu unterschätzen. Der Artikel schloss mit den Worten: „Der Tag ist für die österreichischen Arbeiter noch nicht gekommen, wo sie einen Sieg erhoffen können." Bebel glaubte, damit Adler zu unterstützen und auszusprechen, was dieser nicht sagen könne. Bebel an Adler 7. November. 3 Adler wandte sich entschieden gegen die angeführten Äusserungen. Ohne Kenntnis aller intimen Vorgänge sei es schwer, über die Taktik in einem anderen Lande zu urteilen. Die guten Ratschläge des Vorwärts seien überflüssig; die österreichische Sozialdemokratie wisse selbst, was sie zu tun habe. Arbeiter-Zeitung a.a.O., wiederabgedruckt in Victor Adlers Aufsätze, Reden und Briefe Bd. X, S. 134ff. Briefe Adlers an Bebel über diese Angelegenheit sind nicht vorhanden. 4 Die liberale Deutsche Zeitung hatte erklärt, dass der Vorwärts ihre Auffassung teile, und hatte sich darüber gewundert, dass die Arbeiter-Zeitung von der deutschen Partei einen Beitrag zum Ausbau des Blattes erhalten habe. V. Adler, a.a.O., S. 139f. 2
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Holz hackten, da sollten wir stillhalten und waren gutmütig genug, stillzuhalten. Aber ich habe Eile. Herzlichen] Gruss Dir und Louise D[ein] A. 2 8 6 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 26. November 1893.
Original. Lieber General!
Ich sende Dir zu Deinem 73. Geburtstag meinen herzlichsten Glückwunsch. Vor allen Dingen wünsche ich Dir, dass die Natur Dir gestatte, noch lange Jahre ähnliche Strapazen zu ertragen wie dieses Jahr; ich darf dann hoffen, dass wir allmählich in Abschnitten eine Reise um die ganze Erde fertigbringen. Der dritte Band, und was sonst noch an Plänen vorliegt, wird bei diesem Mass von Wohlsein auch seine befriedigende Fertigstellung finden. Morgen beginnt die Etatsdebatte, und ich werde möglicherweise gleich zum Wort kommen.1 Es wird heftige Auseinandersetzungen geben. Dummerweise hat sich bei mir ein leichter Influenzafall eingestellt, Schnupfen, Kopfschmerzen. Dabei hatte ich gestern eine Versammlung in Wilmersdorf, soll heute gegen Abend eine für die Fleischer halten und morgen in Rummelsburg sprechen. Die letztere muss ich mir schenken, indem ich einen anderen finde, für den Fall, dass ich morgen im Reichstag zum Wort komme. Die Reden im R[eichstag] müssen sofort korrigiert werden. Ich habe sehr gelacht über den heutigen Bericht Edes im Vorw[ärts], Er will offenbar in Rücksicht auf den hier entbrannten Pressstreit „objektiv" sein. Ich komme vor Ende der Woche zu keiner Antwort, und da werde ich auch auf den englischen Kohlenstreik eingehen.2 1 Bebel kam am 27. November zu Worte; seine Rede zusammen mit der Liebknechts vom 30. November in Gegen den Militarismus und Gegen die neuen Steuern (Berlin, 1893). 2 Das war erst der Fall in seinen Aufsätzen „Zur Gewerkschaftsfrage", Vorwärts, Nr. 293, 294, 14., 15. Dezember. Ihnen gingen im Verlauf des Pressestreites voraus Bebels Artikel „Gewerkschaftsbewegung und Sozialdemokratie", Nr. 262, 263, 7., 8. November, „Noch einmal der Kölner Parteitag und die Gewerkschaftsform", Nr. 267, 12. November; A. von Elm: „Gewerkschaftsbewegung und Sozialdemokratie", Nr. 270, 16. November; Bebels und von Elms Artikel mit dem gleichen Titel in Nr. 272, 273, 18., 19. November bzw. Nr. 275, 22. November. Über Bebels Stellung zu den Gewerkschaften s. G. A. Ritter, Die Arbeiterbewegung, S. 126f.
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Wie sich Lafargue zur Freude L[ie]b[knecht]s um die Verpflichtungen drückt, habe ich Louise mitgeteilt.3 Gertrud4 kommt von New York heim, das wird zu harten Kämpfen mit Frau Nathalie führen. Wunderbar ist, dass in Deutschland (Rede Wilhelms), in Wien (Erklärung Windischgrätz) und in Paris (Dupuy)5 fast gleichzeitig dem Sozialismus der Krieg angesagt wird. Die Kreuz-Zeit[ung] hetzt in einem fort für Ausnahmegesetze gegen die „Anarchisten", und diese Hessen sich ja dann leicht gegen uns ausnutzen. Dass es zu dem letzteren kommt, wenn die Herren Anarchisten bezüglich ihre PolizeiHintermänner noch eine Reihe Attentate fertigbringen, halte ich für wahrscheinlich. Da nach meiner Überzeugung die bezüglichen Drähte in London zusammenlaufen, dürfte es sich lohnen, mit Aufwand von Parteimitteln eine Gegenspionage ins Werk zu setzen. Soeben war ein grosser Zigarrenfabrikant aus Westfalen bei mir, um zu hören, was mit der Steuer wird. Die Leute sind in einer verzweifelten Stimmung, es herrscht in weiten Kreisen eine gewaltige Aufregung; und wie immer der Ausgang ist, das herrschende Regime erhält einen gewaltigen Schlag. Der Fabrikant erzählte mir ein Wort von Miquel, das böse wirken wird, wenn ich es austrumpfe, und ich hoffe, ich komme dazu. Bitte gib mir doch gelegentlich über folgendes Auskunft: Mit welchem Lebensalter beginnt das aktive und das passive Wahlrecht a) in England, b) in Frankreich? Die Auskunft ist mir für unseren Wahlrechtsantrag6 von Wichtigkeit. Da Laura Lafargue sich die deutsche Übersetzung der Korrespondenzen nicht zutraute, hatte Lafargue vorgeschlagen, sie in Berlin oder wenn das nicht gehe, in Hamburg übersetzen zu lassen. P. Lafargue an Engels 22. November 1893. 4 Liebknechts Tochter aus erster Ehe; Nathalie, Liebknechts zweite Frau. 5 Wilhelm II. bei einer Rekrutenvereidigung am 16. November: „. . . Ihr habt die Ehre, zu meiner Garde zu gehören und in und um meinem Wohnort, meiner Hauptstadt zu stehen. Ihr seid berufen, mich in erster Linie vor dem äusseren und inneren Feind zu schützen..." Fürst Windischgrätz kündigte in seiner Regierungserklärung neben der Wahlreform und sozialpolitischen Vorschlägen, die später gemacht werden sollten, „entschiedene Abwehr aller den Frieden des Staates und die allgemeine Wohlfahrt störenden Elemente" an. In Frankreich hatte Dupuy, von April bis November 1893 und später Ministerpräsident und Minister des Inneren, am 22. November die Sozialisten heftig angegriffen, die er als den Feind bezeichnete. Jaurès entgegnete entschieden, und A. Zévaès antwortete in dem Leitartikel „Guerre au Socialisme", Le Socialiste, Nr. 166, 25. November. • Die sozialdemokratische Fraktion brachte folgenden Antrag im Reichstag ein: I. Bis spätestens zur nächsten Session einen Entwurf vorzulegen, durch den die gesetzliche Regelung und Vermehrung der Wahlkreise endlich geordnet werde. II. Als Zusatz zu Art. 3 der Reichsverfassung: In jedem Bundesstaat muss eine auf Grund des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrerhts gewählte 3
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Merkwürdigerweise fanden die Anträge keinen Widerspruch in der Presse, womit selbstverständlich nicht gesagt ist, dass sie auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg hätten. Es ist eben alles im Brechen, alles wankt und wird unsicher. Wir gehen lustigen Zeiten entgegen. Es ist ja auch merkwürdig, dass die Kreuz-Z[eitung] sich kürzlich rückhaltlos für die Notwendigkeit des konstitutionellen Staates aussprach und gestern abend die Beurlaubung Bueks7 gegen die Nat[ional-] Zeit[ung] verteidigte. Und da redet man, die Zeit der Wunder sei vorbei. Ich glaube, sie beginnt erst. Verbringe Deinen Geburtstag fidel und grüss mir bitte die ganze Tafelrunde. Herzlichen Gruss an Louise und Dich. Dein AUGUST.
Wo bleibt denn bei der Österreicherin, die Du als Schutzengel bei Dir hast, Dein deutsches Nationalgefühl? Mir scheint, sie hat Dich schon so umgarnt, dass auf Dich nicht mehr zu rechnen ist. O, diese Weiber! Die vernünftigsten Leute machen sie verrückt. Vertretung bestehen. Das Recht, zu wählen und gewählt zu werden, haben alle über zwanzig Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts in dem Bundesstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben. Die Zustimmung dieser Vertretung ist zu jedem Landesgesetz und zur Feststellung des StaatshaushaltsEtats erforderlich. Vorwärts, Nr. 277, 25. November. 7 Die Staatsanwaltschaft zu Mülhausen i. E . hatte dem sozialdemokratischen Abgeordneten für Mülhausen, Fernand Buek, der eine Gefängnisstrafe verbüsste, zur Teilnahme an den Verhandlungen des Reichstags Strafaufschub gewährt. Es war der erste Fall dieser Art.
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Berlin, den 26. November 1893.
Original. Lieber General!
Auch ich sende Dir meine herzlichsten und aufrichtigsten Glückwünsche zu Deinem Geburtstage. August hat so schön geschrieben, dass ich schöneres nicht zu schreiben vermag, und deshalb will ich mich kurz fassen. Aber gesund und „frohmütig", wie die Schwyzer sagen, sollst Du noch viele Jahre bleiben, das wünsche ich von Herzen, damit wir uns bald wiedersehen und ebenso vergnügt zusammensind wie die vergangene Zeit, an die ich immer mit Vergnügen denke. Aber gegen den Schluss-Satz von August muss ich protestieren. Vernünftige Leute sollen sich nicht die Köpfe verdrehen lassen von 737
den Frauen, und ich bin sehr froh, dass ein gewisser Kopf wieder vernünftig geworden ist. Also viele herzliche Grüsse und einen Geburtstagskuss Dir und Louise von Deiner JULIE.
[Nachschrift A. Bebels:] Findest Du nicht, dass Julie niederträchtig sein kann? Was meinste wohl, auf wessen Kopf der Wink mit dem Zaunpfahl geht?
2 8 8 . B E B E L AN E N G E L S
Original (Fragment).
[Etwa 10. Dezember 1893.]1
Heute vormittag finde ich in der Voss[ischen] Zeit[ung] die beiliegende Depesche, die ich mit grossem Vergnügen las, weil sie mir zeigt, dass Victor endlich mit der Rücksichtnahme auf die Demagogen und die ihnen folgenden Exaltierten gebrochen hat.2 Diese Rücksichtnahme war der Vorwurf, den ich ihm schon lange gemacht. Er sieht nunmehr ein, dass er heraustreten und ihnen entgegentreten muss, sollen nicht die grössten Dummheiten gemacht werden. Indem er jetzt herausgeht, verhindert er am leichtesten die Spaltung, die später, wenn mal wieder die Köpfe erhitzt sind, schwer zu vermeiden wäre. Wird der österr[eichische] Parteitag zu Ostern abgehalten, so werde ich höchstwahrscheinlich hingehen.8 Weiter habe ich heute morgen den gesamten Vorstand, natürlich mich mit, vor etlichen Monaten Gefängnis bewahrt. Ich wurde letzte Nacht wach — was jetzt sehr selten vorkommt, ich schlafe wie seit undenklichen Zeiten nicht, — und da fiel mir ein, dass in meiner Rede eine Majestätsbeleidigung stecke und sie fassbar ist, weil laut Reichsgerichtsbeschluss einzelne Reden, aus Verhandlungen abgedruckt, nicht als „wahrheitsgetreue Berichte" gelten. Es betrifft in der Die Datierung dürfte sich aus Anm. 2 ergeben. In einer Metallarbeiterversammlung am 9. Dezember im Hernalser Brauhaus führte der Referent Lischka zum Thema „Das allgemeine Wahlrecht und der Generalstreik" aus, man dürfe es nicht beim Reden belassen, nachdem die Regierung die Wahlreform bis zum Februar verschoben habe, sondern man müsse eventuell ernstere Schritte vorbereiten. W e r den Generalstreik wolle, müsse mithelfen, dass die gewerkschaftliche Organisation gestärkt werde. Adler sprach zweimal in der Versammlung; es sei jetzt kein Kampf mehr gegen das absolute Nein, sondern gegen die Verschleppung der Wahlreform zu führen; ausserdem seien die gewerkschaftlichen Organisationen zum Generalstreik zu schwach. V. Adler, a.a.O., Bd. X , S. 141. 8 Der vierte österreichische Parteitag, 25.-31. März 1894 zu Wien, wurde von Bebel, Gerisch und Singer besucht. 1 2
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Stelle über die elsässischen Manöver4 den Hinweis auf die schlechte Führung der Armee im Falle eines Krieges. Die Stelle hat am meisten geärgert, wie Du aus dem Artikel der Kreuz-Zeit[ung] wirst ersehen haben, den ich an Louise sandte. Die verehrten Kollegen waren mit mir der Meinung, die Stelle durch anzudeuten, da der Satz bereits umbrochen ist. Dem dicken Paul hätten wir zwar alle ein paar Monate recht herzlich gegönnt, damit er Jesum Christum mal erkennen lernte; aber wir selbst hielten uns dafür zu gut. Der Verfasser jenes Kreuz-Z[eitung-]Artikels ist der Generalmajor a.D. R. v. Kaiserling, der bis Mitte dieses Jahres Kommandeur der 35. Kavallerie-Brigade in Graudenz war. Kfaiserling] ist seit vielen Jahren auf einem Ohr vollständig taub, weshalb er in Offizierskreisen spottweise „das Ohr der Armee" genannt wurde. Du siehst, ich bin gut unterrichtet. Noch eins. Ich bin dahintergekommen, dass ein Ausländer im Handumdrehen Preusse bzw. Deutscher werden kann, wenn er von einem Inländer adoptiert wird. Bedingung ist: der Inländer muss über fünfzig Jahre alt sein und darf keine Kinder haben, der zu Adoptierende darf ebenfalls keine Kinder haben. Da Mendelson nach deutscher Reichsangehörigkeit lechzt, so könnte ihm auf diese Weise der Eingang ins Reichshimmelreich erschlossen werden.5 Wir haben hier einen österreichischen] Polen, der in ähnlicher Weise ins Reich gelotst werden soll. Teile diese Sachlage mal Mendelson mit. Diese Adoptierten gemessen sogar noch gewisse Vorrechte, sie sind sogar nicht einmal auf Grund von Bestrafungen aus gewissen Orten ausweisbar. Bitte sage Louise, ihr Brief sei angekommen; auch Freyb[erger] 6 schreibt einen Brief, den er mit lauter Halfpennymarken bekleistert hat. Der Brief sieht urkomisch aus. Es ist sehr schön, dass Du am dritten Bande so fleissig arbeitest. Herzlichen] Gruss Euch beiden von uns beiden. Dein AUGUST.
Bitte sage Louise: falls sie die Erneuerung des Abonnements gewisser Frauenzeitungen wünscht, möchte sie mir per Karte die Titel und Bezugsquellen nebst halb- oder ganzjährigem Abonnementspreis angeben. 4 Bebel übte die Kritik an den elsässischen Manövern, wo man grosse Kavalleriemassen im Gelände gut gedeckte Infanterie angreifen liess, in seiner Rede am 27. November. In der Wiedergabe, Gegen den Militarismus usw., S. 9, wurden drei Zeilen durch Striche ersetzt. 5 Das geschah nicht. * Louise Kautsky heiratete den österreichischen Arzt Dr. Ludwig Freyberger.
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Berlin W., den 11. Dezember 1893.
Original.
Lieber General! Diese verdammten Anarchisten spucken uns arg in die Suppe. In Frankreich waren die Dinge so nett im Zuge, als man sich's nur wünschen konnte. Da kommen diese Verrückten und verderben mit einer Eselei und Niederträchtigkeit mehr, als zehn Jahre gutmachen können.1 Ein gut Teil dieser Anarchisten sind komplette Narren, die ins Irrenhaus gehören. Der Bourgeoisie kann man schliesslich nicht mal übelnehmen, wenn sie sich gegen solche Narren in ihrer Art zu schützen sucht. Herr Dupuy darf sich gratulieren, dass es ihm so gut gelang, am Samstag die Ruhe zu bewahren; er hat mehr Courage, als sonst die Bourgeois zu haben pflegen. Er scheint eine gute Portion Phlegma zu haben, wofür auch sein körperlicher Zustand spricht. Bei uns sieht alles sehr seltsam aus. Alles ist aus Rand und Band. Meyer scheint mit seiner Taxierung des materiellen bzw. finanziellen Standes der ostelbischen Junker recht zu haben; 2 denn sonst ist das Geschrei, was sie machen, wahrhaftig nicht zu erklären. Es sind freilich nicht bloss die hohen Ankaufspreise der Güter, die sie zahlten — in vielen Fällen haben sie gar nicht gewechselt —, wohl aber ist das Luderleben schuld, was Alte und Junge treiben. Das Spiel und der Rennsport und die Frauen kosten auch die Alten schweres Geld. Da hocken sie im Winter hier in Berlin und wollen es der Bourgeoisie nachmachen, die in der tollsten Verschwendungssucht vorangeht. Das können sie aber nicht lange aushalten, und dann sitzen sie im Dalles. Miquel wird so viel bekommen, als er gerade braucht, um auszukommen. Etwa die Hälfte dessen, was er fordert. Das andere streicht man ihm, und er lässt sich's gefallen, und andere lassen sich's gefallen. Zum Glück sind wir ja kein parlamentarisch regiertes Land; stimmt das Parlament mal gegen die Regierung, sie gerät nicht aus der Balance. Bei der jetzigen Volksstimmung muss man sich aufs äusserste beschränken. Es herrscht ein Notstand, der geradezu entsetzlich ist. Der Vorw[ärts] übersieht ganz und gar die so äusserst charakteristischen Geschäfts- und Handelsberichte der grossen Bourgeoispresse, Am 9. Dezember hatte der Anarchist Auguste Vaillant eine Bombe in die Vollsitzung der Kammer geworfen. E r wurde zum Tode verurteilt. 2 R. Meyer behandelte auf Grund umfangreichen statistischen Materials die Grundbesitzkrise, die ihre Ursache in Preisschwankungen der landwirtschaftlichen Produkte habe, in dem Aufsatz „Die landwirtschaftliche Krisis und die Zollverhandlung mit Russland", Die Neue Zeit, XII. Jahrg. (1894), Bd. I, S. 196ff. 1
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und kein anderes Blatt denkt daran. Ich bin überzeugt, Schippel lässt sie sich nicht entgehen für den Soz[ial]demokrat, der am 1. Febr[uar], wie Du weisst, erscheinen wird. Eher war's nicht möglich. Ich setzte diesen Termin durch, da man allgemein erst zum 1. April herausgehen wollte. Was ich in meiner Rede über den Einfluss der Gewährung des allgemeinen] Stimmrechts in Österreich und Belgien auf Deutschland aussprach, ist längst meine Meinung. Ich schrieb Dir das schon vor dem Parteitag, in Köln wiederholte ich's, und in dem Artikel auf den Arbeiter-Zeit[ungjs-Artikel wiederholte ich's.3 Bei der Zerfahrenheit unserer Verhältnisse ist auch an sich heute weniger als je daran zu denken, dass man es beschneiden kann. Zu dem aufgehäuften Mass von Unzufriedenheit darf man keine neue mehr häufen. Charakteristisch für die Stimmung ist die heute erfolgte Abstimmung über den Antrag auf Wiedereinführung der Fahrkarte durch ganz Deutschland für die Reichstagsmitglieder. Es erhob sich nur eine Stimme dagegen in der Rede, und gegen zehn bis zwölf Stimmen erhob sich das ganze Haus dafür. Nun wär's ganz angenehm, wenn der Bundesrat sich beeilte, dem Beschluss nachzukommen. Ich könnte dann zu Weihnachten bis zur Schweizer Grenze fahren. Wir wollen den 21. [Dezember] abends nach Zürich abdampfen; zum 9. Januar muss ich wieder hier sein, dann beginnt erst die Arbeit recht. Herr Plener scheint das Manöver, das ich befürchtete und worüber ich Victor schrieb, durchzuführen.4 Er vertagt die Wahlrechtsvorlage bis in den Februar und stellt damit die Geduld unserer Leute auf eine harte Probe. Es ist von Pl[ener]s Standpunkt die gescheiteste Taktik, die er einschlagen kann. Die Agitation unserer Leute wird damit lahmgelegt. Kommt schliesslich die Vorlage, so dürfte nach Umständen der Kampf unter unseren Leuten beginnen. Man wird, wenn die Vorlage eine grosse Halbheit ist, zum Generalstreik greifen wollen, und dann Bebel in seiner Erwiderung auf Adlers Artikel, s. Brief Nr. 285, Anm. 2, 3; „. . . Seit dem Jahre 1866 tritt zum erstenmal der Fall ein, dass die Entwicklung der innerpolitischen Verhältnisse Österreichs auf die Deutschlands von wesentlicher Rückwirkung ist. Wie weit es unseren österreichischen Genossen gelingt, in der Wahlrechtsfrage ihre Forderungen durchzusetzen, ist für Deutschland von weit grösserer Bedeutung, als die meisten von ihnen ahnen.. Vorwärts, Nr. 272, 18. November. 4 Vermutlich in dem nicht vorhandenen Brief, den Bebel Anfang November an Engels und dieser weiter an Adler sandte. S. Bebel an Adler 7. November, Engels an Adler 10. November 1893. Plener war Finanzminister des Koalitionsministeriums und galt als dessen starker Mann. Über seine Wahlrechtspolitik s. seine Erinnerungen, a.a.O. s. 104ff. 3
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kommt die Spaltung. Der Riss ist schon jetzt vorhanden, nur die Unklarheit der Situation verhindert, dass er offen hervortritt. Ich werde mich sehr freuen, wenn ich mich täusche. Samstag ist Heinr[ich] Braun nach Wien, und zwar auf Wunsch von Victor, der meldete, dass seine Emma wieder bedenklich ist. Ich fürchte, mit der Frau steht die Katastrophe vor der Tür. Ich habe Br[aun] gebeten, sobald er zurückkommt, mich wissen zu lassen, was er gehört und gesehen. Nicht bloss wegen Emmas, sondern auch in bezug auf die Stimmung unserer Leute. Eine Frage ist allerdings, ob er in bezug auf letztere die geeigneten Quellen zur Information hat. Ich schreibe Euch, wenn ich Näheres weiss. Die Wahlresultate sind erschienen,5 und werde ich veranlassen, dass Dietz zwei Dir schickt, ein Exemplar bitte ich Dich, an Louise abzugeben. Letztere bitte ich herzlich von mir zu grüssen. Ihr Manuskript habe ich erhalten, ich danke ihr dafür direkt, sobald ich ihr wieder schreibe. Die Korrektur Deiner Broschüre6 wirst Du aus Hamburg erhalten, wo sie gedruckt wird. Miquel muss sich jetzt fortgesetzt seine Wandlungen vorrücken lassen: sogar die Frankffurter] Zeit[ung] ist dazu übergegangen, ihn daraufhin anzunageln. Letzter Tage wurde mir auch eine Broschüre über einen Vortrag von ihm aus dem Jahre 1887 gesandt, in der er sich über die Grund- und Bodenfrage ganz anders auslässt, wie neulich in seiner Verteidigungsrede gegen mich.7 Es ist sehr fraglich, ob ich eine Gelegenheit bekomme, ihm noch mal so zu dienen, wie ich ihm dienen möchte. Im übrigen freue ich mich über die guten Quellen, die ich für allerlei habe. Wfilhelm] gibt nächstens das Kommando über die Flotte an den Prinzen Hfeinrich] ab, nur das Departement für Rederei hat er sich 5 A. Braun, Die Parteien des Deutschen Reichstages. Ihre Programme, Entwicklung und Stärke (Stuttgart, 1893). * Internationales aus dem, Volksstaat (Berlin, 1894), 7 Miquel antwortete in der Reichstagssitzung am 27. November 1893 auf die Verlesung eines seiner Briefe an Marx auf dem Kölner Parteitag; er sei wie viele Junge nach 1848 durch sozialistische Schriften fasziniert gewesen, aber inzwischen habe er viel hinzugelernt. Joh. von Miquels Reden, Bd. IV (Halle, 1914), S. 78ff. Zu der erwähnten Frage führte er aus: „ . . . Ich fand bald, . . . dass der Kleinbesitz, der den grössten Teil seiner eigenen Produkte selbst konsumiert und den grössten Teil des gestiegenen Tagelohnes selbst verdient, in allen Zeiten in der Landwirtschaft konkurrenzfähig bleiben wird gegenüber selbst den grössten, mit allen maschinellen Kräften, mit allen Erfindungen der modernen Wissenschaft ausgerüsteten Gütern. Ich begriff also, dass von dem, was man — wenn auch bis zu einer gewissen Grenze — in der industriellen Entwicklung anerkennen muss, für die landwirtschaftliche Entwicklung das gerade Gegenteil wahr ist. . . " Ebd., S. 80.
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vorbehalten. Mit solchen Geschichtchen vertreibt sich unsere Börse die Zeit. Die französische Korrespondenz übersetzt Frau Nath[alie]; L[iebknecht] sendet alsdann ein Exemplar nach Hamburg, und das Original nach Brüssel an den Peuple. Dieser soll zehn Mark dafür bezahlen, Hamburg zehn und der Voru>[ärts] zwanzig. Das hat der Alte auf eigene Faust so arrangiert. Es scheint mir, dass er in dem Peuple auch schreibt; ich weiss es nicht, ich erhalte nicht das Blatt. Herzlichen Gruss von uns beiden Dein AUGUST.
2 9 0 . B E B E L UND J U L I E B E B E L AN ENGELS
[Zürich,] den 28. Dezember 1893.
Original. Lieber General!
Meine herzlichsten Glückwünsche zum Neuen Jahr. Wir haben uns gut amüsiert, und ich nehme an, Ihr auch. Nebenher habe ich tüchtig gearbeitet. Da sieht man, was man leisten kann, wenn man ungestört in der Schnurre bleibt. Ob wir zu Beusts kommen, weiss ich nicht, vielleicht gehen wir kurz vor der Abreise hin. Ich habe mich bis jetzt noch nirgends sehen lassen, aber bereits weiss ganz Zürich, dass ich hier bin. Bereits habe ich eine Aufforderung erhalten, nächste Woche einen Vortrag zu halten, und der muss ich wohl oder übel nachkommen.1 Halte Dich munter und sei herzlich gegrüsst von Deinem AUGUST.
Zürich, den 28. Dezember 1893. Lieber General! Ich möchte Dir mit diesem ein recht gesundes und glückliches Neujahr wünschen. Hoffentlich hast Du die erste Hälfte der „schweren Zeit" glücklich überstanden, und wünsche ich, dass die zweite Hälfte auch noch so vonstatten geht; dann wird aber Dein Leibarzt eine Kneippkur verordnen müssen und Du zur Strafe nichts wie Wasser trinken, und wenn's auch nur gebranntes ist. 1 Am 3. Januar 1894 sprach Bebel im Kasino Aussersihl über die Entwicklung der Sozialpolitik und der Sozialdemokratie im letzten Jahre.
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Bei uns hat nur der August und Hauptmann2 geknippen und ich ein wenig; aber H[auptmann] war den anderen Tag auch dafür kaputt, was man von August nicht sagen konnte, der in Eurer Schule etwas gelernt hat; er arbeitet sehr fleissig hier und kann auf diese Weise seine Ferien gut verwenden. Nun also leb recht wohl im alten Jahre und beginn das neue mit erneuter Kraft an Körper und Geist. Simons lassen Dich recht herzlich grüssen und ein frohes Neujahr wünschen. Bitte grüsse alle Freunde und Bekannte, und sei Du aufs herzlichste gegrüsst von Deiner JULIE.
Ferdinand Simon war mit den Dichtem Carl und Gerhart Hauptmann, besonders mit dem letzteren von Breslau her eng befreundet. Simon war der Dr. Schimmelpfennig in Hauptmanns Erstlingsdrama Vor Sonnenaufgang, das er auch in der Neuen Zeit, Jahrg. VII (1889), S. 579 besprach. Hier dürfte Gerhart Hauptmann gemeint sein. 2
2 9 1 . B E B E L AN
Original.
ENGELS
[Poststempel: Berlin W.,] den 10. Januar 1894. L[ieber] G[eneral]!
Ich kam gestern abend hier an und fand Eure Briefe1 vor. Unter dem Haufen von Karten und Briefen, den ich zu durchmustern hatte, fand sich auch ein Brief mit Gratulationskarte von Avel[ing]s vom 30. Dezember. T[ussy] schien nicht zu wissen, dass wir noch in Z[ürich] waren. Ich bitte, sie von mir zu grüssen und ihr zu sagen, dass J[ulie] erst den 20. d. Mts. hierherkomme, sie also erst später auf Antwort rechnen könne. L[ouise] wird meinen Brief vom Samstag, den 6. d. Mts. erhalten haben. Ihr sitzt, wie ich lese, im Regen, wir haben noch die schönste Kälte. Sei herzlich gegrüsst und ebenso unsere liebe Lfouise]. Antwort auf Deinen Brief später. Dein A.
Die Briefe sind nicht vorhanden.
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2 9 2 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin, den 15. Januar 1894.
Original. Lieber General!
Meine Karte wirst Du erhalten und daraus ersehen haben, dass ich Deine Briefe erhielt. Zum dritten Bande gratuliere ich, die Anzeige1 ist mit grosser Genugtuung aufgenommen worden. Von den Broschürchen2 habe ich die gewünschte Anzahl bestellt. Du erhältst fünfzig. Das Heftchen ist oder wird in diesen Tagen fällig. Die Abrüstungsangelegenheit hat L[ie]bk[necht] bis heute noch nicht zur Sprache unter uns gebracht, und ich hätte wahrscheinlich gar nichts von der ganzen Sache erfahren, schriebst Du mir nicht darüber, so dass ich daraufhin L[ie]b[knecht] frug. Er antwortete: er habe, abgesehen von meiner Abwesenheit, nichts erwähnt, da er mit mir nicht habe Streit haben wollen, weil ich von einem Abrüstungsantrag nichts hielt. Das letztere ist richtig; ich antwortete ihm: dass aber die Sache ganz anders liege, handele es sich um Anträge für Umwandlung des stehenden Heeres in eine Milizarmee. Das letztere sei dasselbe, antwortete er. Da hört eben verschiedenes auf. Er will die Sache in der nächsten Frakt[ions]Sitzung zur Erörterung bringen, die aber erst nächste Woche stattfinden dürfte. Wer von uns nicht hier sein muss, bleibt zu Hause. Es hat gar keinen Zweck, jetzt noch einen Gesetzentwurf einzubringen, da nach unserer Praxis der Behandlung von Initiativanträgen aus dem Hause — sie kommen nach der Reihenfolge zur Verhandlung, in der sie gestellt wurden, ganz dringliche Anträge, die als solche das Haus anerkennt, ausgenommen, — der Antrag nicht mehr zur Erörterung kommt. Wir könnten ihn allenfalls jetzt ausarbeiten und den Herbst sofort einbringen bzw. wiedereinbringen. L[ie]b[knecht] ist von Vaillants Antrag3 ganz entzückt, er sei „famos". Weiter werden wir wegen des internationalen Arb[eiter-] Schutzgesetzkongresses, zu dessen Einberufung unsere Leute in der Schweiz sich dummerweise herbeigelassen, Stellung nehmen müssen.4 Victor 1 Im Vorwärts, Nr. 9, 12. Januar wurde mitgeteilt, der dritte Band des Kapital sei im Druck und werde spätestens im September des Jahres erscheinen. 2 „Internationales aus dem Volksstaat". 3 Sein Gesetzentwurf über die Abschaffung des stehenden Heeres und die Ersetzung durch eine Volksmiliz wurde von allen sozialistischen Abgeordneten unterstützt. Le Socialiste brachte ihn, nach Le Parti Socialiste, in Nr. 174, 20. Januar 1894 u.d.T. „Contre le Militarisme". 4 S. Brief Nr. 293, Anm. 5. Der Internationale Arbeiterschutz-Kongress war für
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fragt an, was wir täten. Ich habe schon Greulich neulich gesagt: geht's mir nach, kommt keine soz[ial]demokr[atische] Maus aus Deutschland, worüber er ganz perplex war. Wir haben gar keinen Grund, mit Krethi und Plethi gemeinsame internationale] Kongresse zu halten, bei denen, sollte überhaupt irgendeine Übereinstimmung erzielt werden, diese nur dadurch erzielt werden könnte, dass wir unsere auf den intern [ationalen] Kongressen aufgestellten Forderungen selbst teilweise preisgäben. Es ist ganz zwecklose Zeit-, Kraft- und Geldverschwendung. Vict[or] stimmt darin auch bei, meint aber, man solle sich wenigstens durch eine Person „repräsentieren" lassen. Auch dafür kann ich mich nicht entscheiden und stimme bei der Verhandlung dagegen. Die Schweizer mögen einmal gründlich hereinfallen. Die schreckliche Kompromissucht von Greulich und Genossen gibt eben einem Seidel Oberwasser, der in seiner Opposition gegen jene oft nur zu recht hat. Vor lauter „praktischer" Arbeit wird alle prinzipielle Aufklärung und Stellungnahme hintenangesetzt. Der Hieb gegen Seidel im Vorw[ärts] am Sonntag rührte von mir.5 Ich will abwarten, was er antwortet, und nehme dann den Kampf mit ihm auf. Ich denke, unser Vorgehen hier wird den Manz, Beck 8 und Kons[orten], die bereits teilweise die Flinte ins Korn warfen, weil sie des ewigen Streitens satt waren, wieder Mut machen. Eine Neuigkeit, die Euch interessieren wird, ist: die Kölner Genossen haben Carl Hirsch für ihr Blatt 7 mit 5500 M[ark] engagiert. Ich bin überrascht, dass H[irsch] von der Frankfurt[er] Zeit[ung] wegging und in Köln annahm, und bin recht neugierig, wie er das Blatt den August 1894 einberufen mit der Tagesordnung: Sonntagsarbeit, Frauen- und Kinderarbeit, Mittel und Wege zur Verwirklichung des Arbeiterschutzes. 5 Die von R. Seidel herausgegebene Arbeiterstimme bemerkte zu Bebels Züricher Versammlung, die Auseinandersetzungen zwischen deutschen Sozialdemokraten und Unabhängigen sollten nicht in öffentlichen Versammlungen erfolgen, wodurch dieser Streit in die schweizerische Sozialdemokratie getragen werde; die Deutschen sollten das in geschlossenen Vereinsversammlungen abmachen. Bebel antwortete im Vorwärts Nr. 11, 14. Januar, in dem Streit zwischen Sozialdemokraten und dem Häuflein „anarchistelnder Unabhängiger" nehme die Arbeiterstimme schon seit langem eine sehr zweideutige Haltung ein. Ohne Unterstützung durch dieses Blatt könnten die Anarchisten dort gar nicht die Rolle spielen, die sie zum Schaden der Bewegung spielten. Es sei Sache der Schweizer Arbeiter, deren Organ und Eigentum die Arbeiterstimme sei, die Redaktion zu einer klaren Stellungnahme zu veranlassen. S. a. Vorwärts, Nr. 23, 28. Januar; Nr. 28, 3. Februar. • Karl Manz-Schäppi (1856-1917), Buchbinder aus Baden, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei im Kanton Zürich, Mitglied des Grossen Stadtrates von Zürich und des Kantonsrates. — Emil Beck (1848-1896)', Schneider aus Baden, betätigte sich in der Schweizer Gewerkschaftsbewegung; Vorsitzender des Ausschusses der deutschen Sozialisten in der Schweiz. 7 Rheinische Zeitung.
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redigiert. Fast noch überraschender ist das seitens der Kölner bewilligte Honorar, dessen Höhe in der Provinzialpresse unerhört ist. Hamburg zahlt nur 3600 M[ark] im Maximum. Miquel ist von einer bisher nie ähnlich bemerkten Nervosität. Man darf ihn nur ein bisschen antupfen, und er fährt in die Höhe und meldet sich zum Wort. Die Herren da oben sind wie Hunde und Katzen hintereinander. Wann wir hier fertig werden, mögen die Götter wissen; es ist nirgends Trieb, und wir haben natürlich keinen Grund, die Herren zu rascherer Tätigkeit anzupeitschen. Samstag wollten sie die Tabaksteuerdebatte schliessen,8 wir erklärten ihnen aber unter der Hand, dass wir das nicht zulassen würden, eventuell beantragten wir die Auszählung, einer unserer Leute müsse noch reden. Der Präsident war wütend, er und das Haus mussten sich aber fügen, wir hatten sie im Sack. Bitte grüsse herzlich Louise. Es freut mich, dass es unserer Hexe wieder gut geht. Meine Hand ist leidlich, ich kann mich eben nicht schonen. Simon massierte und elektrisierte mir Hand und Arm, aber ich musste fort. Mit herzlichem Gruss Dein AUGUST.
Die Regierungsvorlage, die eine Mehreinnahme aus Zoll und Steuer auf Tabak von 45 Millionen Mark vorsah, wurde besonders von den Arbeitern der Tabakindustrie scharf bekämpft. Bei der ersten Lesung, 11.-15. Januar 1894, sprachen dazu H. Meister und H. Molkenbuhr. Nachdem die Vorlage in der Steuerkommission am 18. April mit 17 gegen 11 Stimmen abgelehnt war, kam sie nicht mehr zur Verhandlung. 8
2 9 3 . B E B E L AN E N G E L S
Original.
Berlin, den 27. Januar, Wilhelms Geburtstag, 1894. Lieber General!
Sr. Majestät Geburtstag hat uns heute im Reichstag einen Feiertag verschafft, und den will ich benutzen, um Dir zu schreiben. Zunächst schönsten Dank für das Broschürchen,1 das ich heute, von Louise abgeschickt, erhielt. Hier habe ich bis jetzt auf mein Exemplar vergeblich gewartet. Ich werde den neuen Buchdruckereileiter wissen lassen, dass er seine Kulis ein wenig mehr zur Pünktlichkeit anhält. .Internationales aus dem Volksstaat".
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L[ie]bk[necht] hat endlich in der letzten Frakt[ions]sitz[ung] den Abrüstungs- bzw. Milizheerplan zur Sprache gebracht.2 Die Zeit war aber schon zu weit vorgerückt, um ihn zu diskutieren; er soll in der nächsten Sitzung, Mittwoch, zur Erörterung kommen. Soll in dieser Beziehung in dieser Session noch etwas geschehen, so ist nach unserer Geschäftsordnung dies nur in Form einer Resolution möglich, die bei der Beratung des Militäretats eingebracht wird. Gesetzentwürfe aus der Initiative des Hauses kommen, werden sie nicht als dringlich anerkannt, der Reihe nach zur Beratung, und bei dem einen Beratungstag per Woche ist keine Aussicht vorhanden, ihn in dieser Session zur Debatte zu bringen. Es ist überhaupt eine merkwürdig flaue Stimmung im Reichstag vorhanden; jeder Arbeitseifer fehlt, alle fühlen, dass alles pro nihilo ist. Bei dem schwachen Besuch des Hauses haben wir insofern das Heft in der Hand, als kein Debattenschluss ohne unsere Zustimmung möglich ist. Will man ihn gegen unseren Willen, dann drohen wir mit dem Antrag auf Auszählung, und davor haben sie einen Heidenrespekt. So konnte man die Notstandsdebatte3 nicht eher schliessen, bis unsere vier Redner zum Wort gekommen waren; dann willigten wir in den Schluss. Die stenographischen] Berichte über die Verhandlungen habe ich Euch gesandt. Miquels Finanzgesetz 4 kommt wirklich Montag zur Verhandlung, obgleich er sich doch sagen muss, dass er jämmerlich hereinfällt; und das einzige Richtige war, es zurückzuziehen. Er lebt aber immer noch in der Illusion, er rette den grössten Teil seiner Steuervorlagen, woran nicht zu denken ist. Dass er den Landtag gegen den Reichstag ausspielt, macht in letzterem gar keinen Eindruck; das wird man ihm auch sagen.
Vaillants Entwurf, s. den vorigen Brief. Am 19. Januar brachte die sozialdemokratische Fraktion eine Interpellation ein: Welche Massregeln haben die verbündeten Regierungen ergriffen oder gedenken sie zu ergreifen, um dem notorisch vorhandenen Notstand entgegenzuwirken, der infolge andauernder Arbeitslosigkeit sowie der allgemein gedrückten Erwerbsverhältnisse in den weitesten Volkskreisen herrscht?" Sie wurde in den Sitzungen am 22. und 23. Januar behandelt; Redner der Fraktion waren Liebknecht, Bebel, Singer und Kühn. 4 Es wurde als „anderweite Ordnung des Finanzwesens des Reiches" vorgelegt und sah zur Deckung der Kosten der Militärreform von 56 Millionen und der den Einzelstaaten aus der Reichskasse gewährten Subvention von 40 Millionen ca. 100 Millionen Mark neue Steuern vor, und zwar Tabak-, Wein- und Stempelsteuer; bewilligt wurde lediglich eine Erhöhung der Börsen- und Lotteriesteuer. 2 s
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Mit dem dritten Band geht's ja jetzt riesig rasch vorwärts; na, nachher darfst Du Dir schon eine ordentliche Erholung gönnen. Uber den Schweizer Kongress haben wir in der letzten Fraktionssitzung verhandelt. Nicht einer war für die Beschickung, auch nicht für eine Repräsentation. Es soll eine offiziöse Notiz im Vorwärts erscheinen, welche die Gründe unseres Fernbleibens auseinandersetzt, die ich zu entwerfen habe.5 Wir geben alle zu, dass die Schweizer in einer anderen Lage sind und Kompromisse nicht von der Hand weisen können; aber bei uns liegen die Dinge total anders, und das kommt für einen internationalen] Kongress in Betracht. Es schadet auch den Schweizern nichts, wenn sie aus unserem Fernbleiben auf eine Art Missbilligung ihrer zu weit getriebenen Kompromisselei schliessen; sie nehmen sich dann vielleicht künftig ein wenig in acht. Jaurès, der im Ausland als der eigentliche Führer unserer Leute in der französischen Kammer angesehen wird, ist ja ein recht sonderbarer Heiliger. Dass seinen reaktionären Antrag auch noch die Korrespondenten des Vorw[ärts] verherrlichen, ist stark.6 J[aurès'] Auftreten ist nur geeignet, Verwirrung zu erregen. Unseren bayerischen Leuten setzen wir die Köpfe zurecht, obgleich sie nicht den dritten Teil so weit gehen wie jener. Sehr möglich, dass auf dem nächsten Parteitag, wenn wir uns mit unseren Bayern auseinandersetzen, auf Jaurès' Beispiel hingewiesen wird; dann darf er sich auf eine Desavouierung gefasst machen.7 Je grösser die Partei wird, desto mehr Elemente kommen in dieselbe, die noch unklar sind, desto mehr Verlangen auch, „praktisch" zu sein, und da wird die Gefahr für Dummheiten immer grösser. Der Vorgang mit der Korrespondenz L[afargue]s spielte sich genau so ab, wie ich schrieb an L[ouise]. Mir war die Sache natürlich sehr fatal, und ich machte auch den Versuch, die Wochenkorrespondenz beizubehalten; aber ich wurde darin von L[ie]bk[necht] nicht unterBebels Erklärung erschien in Nr. 45, 23. Februar. Die Einladung zum Kongress sei daraus zu erklären, dass die Schweizer Sozialdemokraten im Arbeiterbund mit Gruppen der verschiedensten politischen und religiösen Richtungen zusammenarbeiteten. In Deutschland gebe es „keinen gemeinsamen Boden für ein Zusammengehen mit ausgesprochenen Gegnern". Die Fraktion habe die Beschickung des Kongresses einstimmig abgelehnt. 6 Jaurès vertrat den Antrag seiner Fraktion, die durch Rentenkonversion erzielten Ersparnisse in Höhe von 67 Millionen Francs für die Entlastung des ländlichen Besitzes, und zwar der Klein- und Mittelbauern zu verwenden. Der zweiteilige Antrag wurde in beiden Teilen angenommen, bei der Gesamtabstimmung aber abgelehnt, weil das Ministerium die Vertrauensfrage damit verband. Vorwärts, Nr. 17, 21. Januar; P. Lafargue ausführlich darüber in Nr. 20, 25. Januar. 7 Vollmar sprach darüber, s. Brief Nr. 306; Bebel kam wegen des Schlusses der Debatte nicht mehr zu Worte. 6
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stützt, der sich auf Raummangel bezog. Nachher wollte er eine Monatskorrespondenz für Volders haben, die ihm aber auch abgeschlagen wurde. Der Stoffandrang beim Vorw[ärts] ist in der Tat sehr gross, auch hat die Honorierung aller möglichen Mitarbeiter das Budget sehr belastet; es kommt weiter hinzu, dass die schlechten Erwerbsverhältnisse uns zu Neujahr an dreitausend Abonnenten kosteten, dass wir im letzten Quartal allein zweitausend Mark Gerichtskosten zu bezahlen hatten. Das alles hat die Überschüsse erheblich vermindert. Auf die letzteren sind wir aber jetzt mehr als je angewiesen, weil die allmählich eingerissene Dezentralisation der Partei — befördert durch die Blätter in den Provinzen — die Beiträge aus der Partei erheblich verminderte, andererseits die Blätter immer wieder mit namhaften Summen unterstützt sein wollen. Ohne die Uberschüsse des Vorw[ärts] und des Hamburger Geschäfts wären wir finanziell in der Klemme. Dass es in England so hübsch vorwärtsgeht, ist sehr erfreulich. Den Artikel der Just[ice], auf den Du mich verwiesest, habe ich nicht erhalten. In Österreich scheint man allerdings vom Generalstreik kuriert zu sein. Ich liess mir von Legien Mitteilungen über den Verlauf des österr [eichischen] Gewerkschaftskongresses machen.8 Willst Du Dich eine Reihe von Stunden amüsieren, so lies das Buch von Prof. Ziegler: Die Naturwissenschaften und die sozialdemokratische Theorie; ihr Verhältnis dargelegt auf Grund der Werke von Darwin und Bebel, Stuttgart, Ferdinand Enke, 1894. Dem Titel nach richtet sich das Buch gegen mich, in Wahrheit richtet es sich vielmehr gegen Dich, der Du Dein vollgerüttelt Mass von Angriffen erhältst. Das Buch ist riesig oberflächlich, aber ein Zeichen dafür, wie unbequem den Leuten die Morgansche Darstellung der Urgeschichte der
Legien vertrat die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands auf dem ersten österreichischen Gewerkschaftskongress 24.-27. Dezember 1893 in Wien. Der Kongress beschäftigte sich vor allem mit organisatorischen Fragen, Zentralismus oder Föderalismus sowie dem Verhältnis Partei und Gewerkschaften, das in Österreich enger war als in Deutschland. Es lag ein Antrag vor, für einen Generalstreik mit Wahlrechtsforderungen und Achtstundentag einzutreten. Die Diskussion darüber, ob für politische oder wirtschaftliche Forderungen gestreikt werden solle, war sehr ausgiebig. V. Adler wies darauf hin, dass beides untrennbar verbunden sei. Die Frage, ob eine revolutionäre Massenbewegung für das Wahlrecht zu inszenieren sei, werde nicht am grünen Tisch ausgemacht, dafür oder dagegen sei kein Beschluss möglich; das würden die Massen selbst ausmachen. S. Protokoll über die Verhandlungen des Ersten Gewerkschaftskongresses... (Wien, 1901); J. Deutsch, Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung Bd. I (Wien, 1929), S. 280ff.
8
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Familie ist. E s wäre gut, wenn dem Herrn von irgendeiner Seite gründlich in der N[euen] Z[eit] gedient würde. 9 Mit herzlichem Grass Dein AUGUST.
Was sagst Du dazu: Carl Hirsch, der bekanntlich seit zwei Jahren Feuilletonredakteur der Frankfurt[er] Zeitfung] war, geht an die Redaktion unseres Blattes nach Köln. Unsere Leute haben ihm in einer Anwandlung fast unbegreiflicher, in der Provinzialpresse unerhörter Noblesse fünfeinhalbtausend Mark Jahresgehalt bewilligt. Ob die Hoffnungen, die sie als Redakteur auf ihn setzen, sich erfüllen, darauf bin ich gespannt. Der Bismarckrummel 1 0 ist schon vorbei. Es werden sich weder die Hoffnungen der einen, noch die Befürchtungen der anderen erfüllen, es bleibt alles beim alten, es wird fortgewurstelt, und das kann uns sehr recht sein. Schade, dass der Brandt seine Geständnisse nicht vierundzwanzig Stunden früher machte, 11 dann konnte Bötticher und der Rechten gedient werden.
Der Titel ist: H. E . Ziegler, Die Naturwissenschaft und die sozialdemokratische Theorie, ihr Verhältnis dargelegt auf Grund der Werke von Darwin und Bebel. Zugleich ein Beitrag zur wissenschaftlichen Kritik der Theorien der derzeitigen Sozialdemokratie. Die Neue Zeit besprach das Buch nicht; Bebel darüber in der neuen Vorrede zu Die Frau und der Sozialismus (Stuttgart, 1895), S. Xff. 10 Am 26. Januar stattete Bismarck Wilhelm II. einen Gratulationsbesuch im Berliner Schloss ab, wodurch äusserlich eine Versöhnung zwischen beiden zustande kam. 11 Am 18. Januar war eine grosse Menge Arbeitsloser beim Verlassen des Saales in der Brauerei Friedrichshain, wohin der Sozialist zu einer Versammlung eingeladen hatte, von Polizei überfallen worden. Der Vorwärts sprach sogleich von einer Provokation, zu der die Polizei Befehl hatte. In der Reichstagssitzung am 23. Januar besprach Singer diese Vorgänge in seiner R e d e über den Notstand. Der Vorwärts teilte in Nr. 20, 25. Januar, mit, der Schlossergeselle Emil Brandt, der wegen seines „Aufruf an die revolutionären Metallarbeiter Berlins" im Sozialist vom 28. Oktober 1893 verurteilt wurde, habe zugestanden, dass unter den Veranstaltern jener Versammlung Leute waren, die nach eigenen Angaben Polizeigelder bezogen und die wussten, dass Polizeiagenten erwarteten, die Versammlung werde zu einem blutigen Zusammenstoss führen. S. a. Vorwärts, Nr. 25, 31. Januar, über die anarchistische Versammlung, in der die Angelegenheit behandelt wurde. 9
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2 9 4 . B E B E L AN E N G E L S
Original.
[Poststempel: Berlin, den 23. Februar 1894J. Lieber General!
Ich stelle mich Euch in einer neuen Würde vor. Frieda war so aufmerksam, mir gestern zu meinem Geburtstag einen gesunden Enkel zu bescheren.1 Die Nachricht traf gestern abend gegen sieben Uhr ein, und könnt Ihr Euch denken, was für eine Überraschung und einen Jubel sie bei uns und unseren Gästen hervorrief. Dass das Ereignis früher eintreffen werde, ahnten wir nach Fr[ieda]s vorgestern eingetroffenem Brief; dass es aber so rasch kam, daran dachten wir nicht. Das Blitzmädel hat uns absichtlich getäuscht, um ihrer Mutter die Sorge zu ersparen. Julie reist heute nach Zürich. Dir gratuliere ich auch noch nachträglich zum „Schwiegerpapa",2 wie bekommt Dir die neue Charge? Ich schreibe nächster Tage ausführlicher. Julie und ich lassen Euch herzlich grüssen. Mutter und Junge sind wohl. Euer A. Bebels einziges Grosskind Werner Simon. E r starb 1916 als zweiundzwanzigjähriger Medizinstudent in Jena. 2 S. Brief Nr. 288, Anm. 6. 1
2 9 5 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 26. Februar 1894.
Original. Lieber General!
Meine Karte vom Freitag, in der ich Euch unsere Grosselternschaft anzeigte, werdet Ihr erhalten haben. Die Nachrichten, die ich mittlerweile empfing, lauten sehr befriedigend. Julie ist Samstag abend angekommen in Z[ürich], Friedchen befindet sich ausgezeichnet und hat ihre Sache sehr gut gemacht. Schade, dass es keine Orden für solche heroische Taten gibt, ich würde sie zur Ritterin in Vorschlag bringen; das wäre sicher viel vernünftiger, als für Menschenmord Auszeichnungen zu geben. Besten Dank für die eingesandten Gesetzentwürfe der französfischen] Genossen,1 die ich heute erhielt. Lesen konnte ich sie noch nicht. 1 Vermutlich die in Le Socialiste, Nr. 174, 176, 177, 178, 20. Januar-18. Februar veröffentlichten, in der Kammer eingebrachten Gesetzentwürfe, u.a. über die
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Leider sind mir die Debatten über den Kornzoll in der französischen] Kammer nicht zur Kenntnis gekommen; namentlich hätte ich gerne Guesdes Rede gehabt, der sich, so scheint es, auch für Jaurès' Antrag aussprach, wenn er ihm auch eine prinzipielle Seite zu geben suchte.2 Es ist nicht unmöglich, dass man bei den heute beginnenden Handelsvertragsdebatten von agrarischer Seite uns unsere französischen Genossen als Muster hinstellt, privat geschah das bereits; ich hoffe, dass dann unsere Redner, Schultze-Königsberg und Schippel, entsprechend antworten.3 Da wir dieses Jahr auf dem Parteitag die Agrarfrage behandeln, wird dort die beste Gelegenheit sein, sich sowohl über die Taktik der Franzosen wie über diejenige unserer bayerischen Genossen im dort [igen] Landtag auszusprechen. Letztere machen ganz ähnliche Streiche und lassen sich z.B. mit der erzreaktionären Gesellschaft vom Bauernbund in gefährlicher Weise ein. Als ich Donnerstag Liebkn[echt] den Rat gab, sich für die kleinbürgerlichen Schrullen Jaurès' im Vorwärts nicht zu engagieren, verteidigte er dessen Vorgehen aufs lebhafteste als ausserordentlich geschickt und taktisch richtig. Er ist halt ein Franzose, und die dürfen jede Dummheit machen. Hätte ich Zeit, würde ich gegen Jaurès und die Bayern in der N[euen] Z[eit] vorgehen.4 Hirsch kommt, wie ich höre, erst zum 1. April nach Köln, von da ab erscheint das Blatt täglich. Ich bin auch gespannt, ob er halbwegs die Erwartungen, die man auf ihn setzt, erfüllt. Als ich ihn vor anderthalb Jahren zum letztenmal in Frankfurt sah, war er sehr stumpf und trug ein grosses Misstrauen gegen alles zur Schau. Es ist sehr vernünftig, dass Ihr Euch nach Eastb[ourne] gesetzt, vermutlich habt Ihr gutes Wetter; wir haben wenigstens seit einigen Tagen reines Frühjahrswetter. Nun sei aber vernünftig, Alter, und exzediere nicht wieder in Alkohol; es möchten nicht alle Rückschläge so gut ausfallen. Abschaffung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch eine Miliz, über die Anstellung von Fabrikinspektoren, die Sicherung des Wahlrechts, der Wahlversammmlungen und der Wahlhandlung und die Sicherung des Streikrechtes. 2 Jaurès begründete gegenüber dem Antrag der Agrarier auf Erhöhung der Getreidezölle deren Ablehnung und die Übernahme des Getreidehandels durch den Staat. Der Antrag wurde mit 481 gegen 52 Stimmen abgelehnt. Guesde sprach in der Kammersitzung am 19. Februar grundsätzlich über Freihandel und Schutzzoll. Le Socialiste, Nr. 179, 25. Februar. 3 Bei der ersten Lesung des Handels- und Schiffahrtsvertrages zwischen dem Reich und Russland sprach nur Schultze-Königsberg; über die Haltung der Franzosen wurde nicht gesprochen. 4 Das geschah nicht. Bebel behandelte die bevorstehende Agrardebatte im Aufsatz „Der bevorstehende Parteitag der deutschen Sozialdemokratie", Die Neue Zeit, Jahrg. XIII (1895), Bd. I, S. 68ff.
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Dass der dritte Band so rasch voranschreitet, ist fein; da wird wohl der Band bis zum Hochsommer fertig. Wenn ich nur auch mal an die Ausführung meiner Pläne käme. Aber da sieht's windig aus. Wir sind jetzt die Vertrauenspersonen für alle Unzufriedenen und Notleidenden in ganz Deutschland. Es ist nicht zu sagen, was alles für Anliegen aus allen Kreisen an einen kommen. Allein die Briefe und Aktenstücke lesen, ist eine Arbeit; wenn mir mal eine intelligente Sekretärin in den Wurf kommt, engagiere ich sie; ich komme ohne solche Hilfe nicht mehr vorwärts. Unsere Session wird sich bis Pfingsten hinziehen, bis zu den Osterferien kommen wir kaum mit dem Etat und dem Handelsvertrag zu Rande. Ich bin froh, wenn ich dann ein paar Tage ausspannen kann. Vermutlich gehe ich auf einige Tage zum Parteitag nach Wien, werde aber nicht bis zu Ende bleiben, sondern reise von dort nach Zürich, um mir den Enkel und die junge Mutter anzusehen, und nehme dann Julie wieder mit nach Hause. Halte Dich munter und sei herzlich gegrüsst von Deinem AUGUST.
296. JULIE BEBEL
AN
ENGELS
Zürich III., den 8. März 1894.
Original. L[ieber] Gfeneral]!
Ich wollte einen Brief schreiben, den ich Dir schon lange schulde, und Euch auch Bericht von hier erstatten; aber leider muss ich mir das Vergnügen noch ein wenig versagen. Die Kinder und meine Wenigkeit lassen Euch einstweilen herzlich danken für Eure Glückwünsche zu August II. Frieda und der Prachtbube befinden sich wohl, was uns alle glücklich macht. Simon feiert die glückliche Zeit mit Eurem Pudding, der ihm vorzüglich schmeckt, er ist ganz entzückt davon und bedankt sich ganz besonders. Hoffentlich bist Du gestärkt wieder nach Hause gekommen, was ich von Herzen wünsche. Ebenso wünsche ich L[ouise] eine glückliche Erholung; grüsse Sie und Ffreyberger] recht herzlich, und sei Du selbst aufs herzlichste gegrüsst von Simons und D [einer] JULIE B .
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2 9 7 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 21. März 1894.
Original. Lieber General!
Ich schulde Dir noch einen herzlichen Dank für Deine neulichen Glückwünsche zur Grossvaterschaft und zu meinem Geburtstag. Dass der kleine Bursche sich gerade meinen Geburtstag aussuchte, um ins Leben zu treten, hat mich ganz speziell gefreut. Ich werde nächste Woche von Wien aus nach Zür[ich] reisen, um ihn mir mal anzusehen, und werde Julie — die der Herr Schwiegersohn am liebsten ganz dort behielt — mit nach Hause nehmen. Nach Wien reise ich Samstag, wie Du schon gelesen haben wirst, mit Singer und Gerisch. Ich bin sehr gespannt, einmal die Elite der österrf eichischen] Partei beieinander zu sehen und einen Vergleich zwischen ihrem Parteitag und dem unseren ziehen zu können. Täuscht nicht alles, so wird es zu lebhaften Kämpfen kommen, wenn ich auch keinen Augenblick bezweifle, dass alles nach Wunsch verlaufen wird. Die Kölnfische] Zeit[ung] lässt uns nach Wien gehen, um dort zu bremsen. Das wird nun weder unsere Aufgabe noch notwendig sein; ich werde mich auch jedes Eingreifens enthalten und werde das auch S[inger] und G[erisch] raten, damit jeder Schein der Beeinflussung vermieden wird. Ede hat ja, mit jener Diplomatie, die ihm allmählich zur zweiten Natur geworden ist, auch den Generalstreik in politischen Angelegenheiten in der N[euen] Z[eit] erörtert;1 er hat sich aber so verklausuliert, dass die Anhänger desselben keine wesentlichen Argumente aus demselben ziehen werden. Wenn er ihn gar nicht schrieb, war es auch kein Fehler. Bei uns ist diesmal der 18. März — Sonntag und schönes Wetter — sehr gut verlaufen. Ich hätte bald Veranlassung gegeben, dass die Polizei einschreiten konnte. Ihr werdet die bezügliche Notiz im Vorw[ärts] gelesen haben.2 Die Sache ging schon lebhafter zu, wie dort geschildert wurde. Ich wollte zu den Gräbern, nahm aber davon Abstand und ging auf dem kürzesten Wege aus dem Park, als ich merkte, dass ich der Gegenstand lebhafter Demonstrationen wurde. „Der Strike als politisches Kampfmittel", XII. Jahrg. (1894), Bd. I, S. 689ff. „Die Bedeutung des 18. März für das Proletariat" war das Thema in zehn Volksversammlungen. Bebel sprach in der Versammlung in der Brauerei Friedrichshain. Er ging als einer der letzten aus dem Saal. Im Hain bildete sich ein langer Zug hinter ihm. Als die Massen auf Bebel ein lebhaftes „Hoch" ausbrachten, ging die Polizei zur Attacke über und zersprengte den Zug. Vorwärts, Nr. 66, 20. März.
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Die zusammenströmenden Massen brachen über die Wege in den Park, und das ist allein schon in den Augen unserer Hermandad ein Verbrechen. Kam ich nach den Gräbern, dann war der Teufel erst recht los; denn dort waren den ganzen Tag ununterbrochen Massen versammelt. Der Vorgang hat wieder einmal gezeigt, dass wir bei solchen Gelegenheiten schlechter daran sind wie die Österreicher, die sogar reden und singen durften. Ich war ganz erstaunt, zu sehen, woher auf einmal die Polizeimannschaften strömten. Gestern waren wir, wie Ihr auch gelesen haben werdet, in Hamburg,3 von wo L[iebknecht] erst morgen zurückkehrt. Hier ist alles gespannt, wie das Duell Caprivi-Miquel ausgehen wird. Für M[iquel] schwärmen unsere Agrarier, während sie Caprivi tödlich hassen. Man muss nur sehen, wie sich die Bande im Reichstag benimmt, das tritt aus den Berichten gar nicht hervor. Umgekehrt hat aber auch Capr[ivi] sein vollgerüttelt Mass von Hass gegen jene, dafür war die Szene zwischen Capr[ivi] und Bismarck am letzten Tage Beweis. Als Capr[ivi] aufstand und mit einer scharfen Wendung Herbert das breite Hinterteil zeigte, lachte alles. Solange Wilhelm in Abbazia weilt, ist keine Veränderung zu erwarten. Den Ausgang kann aber niemand vorhersagen; denn bei uns ist alles unberechenbar. Dem Kriegsminister4 habe ich zum Schwarzen Adlerorden verholfen. Als die Voss[ische] Z[eitung] vor ein paar Tagen die Dekorierung meldete, glaubte niemand daran, man fand sie absonderlich; heute wird sie bestätigt, obgleich der Reichsanzeiger noch keine Mitteilung brachte. Schade, dass ich keine Gelegenheit mehr habe, mit dem Kriegsminister zusammenzutreffen; ich würde ihm sagen, dass er sich bei mir bedanken solle. Der Kriegsminister ist ein eigentümlicher Herr, manchmal hat er mir den Eindruck gemacht, als sei er etwas seltsam im Geiste. In einer Sitzung winkte er mich mit dem Aktenheft in der Hand zu sich heran und rief mir zu, ich möchte Einsicht nehmen. Als ich an ihn herantrat, fing er an, eine Rede zu halten; das ganze Haus lachte über unser Nebeneinanderstehen. Anbei erhältst Du den Brief von Bfonnier?] zurück. Ich ersah schon aus der Rede G[uesde]s im Soc[ialiste], dass er J[aures] halb desavouierte. Man mag bei uns mal nicht den rechten Ton zu treffen In Hamburg wurden fünfzehn März-Versammlungen abgehalten; aus Berlin sprachen u.a. Bebel, Liebknecht, Pfannkuch. 4 Walter Bronsart von Schellendorf (1833-1914), preussischer General und, Oktober 1893 bis 1896, Kriegsminister. 3
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wissen und matt sein, wo man scharf sein sollte; aber ein Entgegenkommen wie in dem Antrag, den Getreidehandel zu verstaatlichen, ist einfach undenkbar. Ich muss auch allen unseren Leuten nachsagen, so matt sie manchmal in der Ausdrucksweise sind, zu einem Entgegenkommen ist nirgends ein Gedanke vorhanden. Über die prinzipielle Stellung, die wir einzunehmen haben, sind sich alle klar; das zeigt sich am häufigsten in den Debatten in der Fraktion. Das jetzige englische Parlament hat allem Anschein nach die längste Zeit gelebt. Nimmt aber das nächste Mal bei den Wahlen die Arbeiterklasse eine entschieden selbständige Stellung ein, dann dürfte es mit einer Herrschaft der Liberalen nicht nur auf Jahre, sondern für immer vorbei sein. Die Furcht vor den Arbeitern treibt alsdann einen erheblichen Teil der Bourgeoisie ins konservative Fahrwasser, genau wie bei uns und jetzt auch in Frankreich. Uns kommt eben der innere Kampf mit dem Agrariertum riesig zustatten; wäre dieser nicht, so wäre jetzt der Moment, in dem man sich gründlich mit uns zu schaffen machte, und natürlich nicht zu unserem Vorteil. Diese Kämpfe werden auch eine Reihe von Jahren dauern; denn die Gegensätze zwischen Industrie und Agrariertum werden immer unüberbrückbarer. Wir haben unsere Wahlagitation in Preussen, sehr zu meinem grössten Ärger, vertagen müssen. Schippel versprach, die Agitationsbroschüre zu schreiben, und hielt uns schliesslich von Woche zu Woche hin. Nun scheint aber, dass wir für die nächste Session des Landtages eine passende Gelegenheit bekommen. Mit herzlichem Gruss Dein AUGUST.
2 9 8 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 24. April 1894.
Original. Lieber General!
Endlich habe ich Luft und kann nun auch daran denken, an eine ordentliche Arbeit zu gehen. Ist erst der erste Mai vorbei — an dem ich zwei Reden zu halten habe, vormittags und abends — und habe ich meine Strassburger Versammlung hinter mir, dann verkrieche ich mich wie eine Schnecke in mein Haus, und man soll mich nur sehr schwer herauskriegen. 757
Meine Strassburger Versammlung 1 soll ich den 6. Mai in Kehl unter freiem Himmel halten, vorausgesetzt, dass der dortige Gemeinderat nicht noch im letzten Augenblick zurückzupft und die Genehmigung verweigert. Versammlungen unter freiem Himmel müssen auch in Baden genehmigt werden. Victor hatte allerdings vollen Grund, mit dem Verlauf des Parteitages zufrieden zu sein.2 Die Entscheidung konnte vernünftigerweise nicht anders ausfallen, als sie ausgefallen ist. Ich glaube, Ihr habt da meinen Brief etwas missverstanden. Was ich tadelte, war — und ich habe aus den Verhandlungen den Eindruck gewonnen, dass da Victor etwas zu rasch nachgab, — dass er, um die Bergleute zu fesseln, denen bzgl. ihrer spezifischen Forderungen eine Konzession machte, die ihnen (V[ictor] und Gewerkschaften]), falls es zum äussersten käme, möglicherweise Ungelegenheiten verursachte. 3 Mir war interessant, aber auch neu, dass es in Österreich, und zwar nicht bloss seitens der Vertreter der Bergleute, Arbeitervertreter gab, die auf eine ökonomische Konzession ein weit grösseres Gewicht legten als auf eine Konzession des allgemeinen] Stimmrechts. Erklärlich ist mir das vollkommen, auffallend war mir nur, dass nahezu kein Redner den Versuch machte, die Anhänger dieser Auffassung zu überzeugen, wie die Eroberung ökonomischer Vorteile, wie z.B. der Achtstundentag für die Bergleute — die ihn ja unzweifelhaft am leichtesten bekommen können — am sichersten zu erlangen sei durch die Eroberung des allgemeinen] Stimmrechts. Wir wollen übrigens im Herbst den Antrag stellen, dass das Bergbauwesen der Reichsgesetzgebung unterstellt werde; 4 wir werden 1
S. Brief Nr. 300. Die von ihm vorgelegte Resolution wurde gegen eine Stimme angenommen. Sie besagte, dass das Wahlrecht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln erkämpft werden müsse, und dazu gehöre auch der Massenstreik. Die Parteivertretung wurde beauftragt, „alle Vorkehrungen zu treffen, um, falls Hartnäckigkeit der Regierung und der bürgerlichen Parteien das Proletariat zum äussersten zwingen sollte, den Massenstreik als letztes Mittel im geeigneten Zeitpunkt anordnen zu können." Protokoll des vierten österreichischen Parteitages (Wien, 1894), S. 81, 105. 3 Vor allem die tschechischen Bergarbeiter wollten einen Generalstreik lediglich für den Achtstundentag, nicht für das Wahlrecht geführt wissen. Adler zeigte Verständnis für die Bergarbeiter, denen der Achtstundentag näher liege als das Wahlrecht und eine Reform der Knappschaftskassen vielleicht noch näher als jener, Protokoll, S. 78f., und einem Zusatzantrag zu seiner Resolution gab er die Fassung: „Der Parteitag erklärt, dass, sobald die organisierte Bergarbeiterschaft den Zeitpunkt gekommen erachten wird, in den Kampf für die Achtstundenschicht zu treten, die gesamte klassenbewusste Arbeiterschaft Österreichs deren Kampf mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen wird." Protokoll, S. 85, 105. 4 In der Reichstagssession 1894-95 und dann wieder 1897-98 beantragte die 2
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natürlich damit abblitzen, das schadet aber nichts. Ferner haben wir Vorkehrung getroffen, dass wir unsere Initiativanträge, von denen diesmal nicht einer zur Beratung kam, gleich zu Anfang bzw. zu Eröffnung der Session einbringen. Es herrscht jetzt ein förmliches Wettrennen unter den Parteien in bezug auf Einbringung von Anträgen, und da wir durchschnittlich wöchentlich nur einen Tag zur Beratung derselben haben, muss man sich dazuhalten, um vornean zu kommen. Auf die Dauer wird dieser Zustand unhaltbar; soll das Parlament etwas leisten, so muss es in Permanenz beisammen sein, abgesehen von einer Reihe Wochen Ferien. Bei dem jetzigen Zustand übernimmt eine Session von der anderen eine Menge Beratungsstoff, der unerledigt blieb. Soeben war ein Wiener bei mir, Buchhändler Brand, der Leiter der dortigen Volksbuchhandlung. Er erzählte mir, dass Vict[or] ein riesig fideles Gefängnis in Rudolfsheim bezogen habe. Als er, Br[and], ihn kürzlich besuchte, sei ausser ihm noch Popp und seine Frau, Wittelsdörfer und ein fünfter (Pernerstorffer)5 bei ihm gewesen. Louise kann also ruhig sein und kann ihre Tränen trocknen, falls sie solche um ihn vergiesst. Ich war mit der Rede Schippeis über den Antrag Kanitz 4 nicht recht zufrieden, und anderen ging es auch so. Sch[ippel] liebt es, so kurz wie möglich zu sprechen, und so h^t er den Antrag K[anitz] auch viel zuwenig von der prinzipiellen Seite gepackt. Es musste ausgeführt werden, dass das Privateigentum an Grund und Boden nur einzig und allein Existenzberechtigung habe, wenn es die gesellschaftlichen Bedürfnisse befriedige; erklärten aber seine Besitzer sich dazu ausserstande, und könnten sie nur noch durch Staatshilfe auf Kosten der Allgemeinheit und speziell der Arbeiterklasse existieren, dann sei sozialdemokratische Fraktion, die verbündeten Regierungen sollten dem Reichstag bis zur nächsten Session einen Entwurf für ein Reichsberggesetz vorlegen. 5 Julius Popp war Mitarbeiter Adlers und Mitglied der Parteileitung. Seine Frau Adelheid geb. Dworschak war Schriftstellerin und Führerin der Frauenbewegung. Beide waren wiederholt Delegierte auf internationalen Kongressen. — Otto Wittelshöfer war ein Freund Adlers. Als Sozialdemokrat verlor er seine Stellung als Bankdirektor; Mitarbeiter der Arbeiter-Zeitung und gelegentlich der Neuen Zeit. — Engelbert Pemerstorfer (1850-1918), seit 1885 Mitglied des Reichsrats, später dessen erster sozialdemokratischer Vizepräsident, Herausgeber der Deutschen Worte. • Hans Graf von Kanitz (1841-1913), 1869-70 und seit 1889 deutsch-konservatives Mitglied des Reichstages. Sein Antrag, der eine staatliche Regelung der Getreidepreise durch ein Monopol des Handels mit ausländischem Getreide einschl. der Mühlenfabrikate verlangte, wurde in den Jahren 1894-96 dreimal gegen die Stimmen der Agrarier abgelehnt. Zum erstenmal wurde er am 13. und 14. April 1894 behandelt. Der Abg. Schippel sprach dazu am 14. April.
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dies die vollendete Bankerotterklärung, und die Todesstunde des Privateigentums habe geschlagen. Niemals war eine so schöne Gelegenheit vorhanden, um die Parasitennatur des Junkertums zu brandmarken; statt dessen erging er sich in langen Erörterungen über den „Treubruch", den eine Durchführung des Antrags K[anitz] gegen die Handelsvertragsmächte bedeute. Sch[ippel] würde, falls er einen Artikel zu schreiben hatte, diesen sicher ganz korrekt geschrieben haben; ein Redner ist er nicht, und er hat auch eine heilige Scheu vor dem Reden, man muss ihn dazu zwingen. Ich denke, wir setzen nunmehr die Grund- und Bodenfrage auf die Tagesordnung des nächsten Parteitags und fällen dort unser Verdikt über das Agrariertum. Ich und einige andere wünschten auch, dass auf die an uns verübten Anzapfungen wegen des Antrags Jaurès,7 Sch[ippel] ein paar natürlich die Franzosen nicht verletzende Bemerkungen machte; er sollte sagen, dass wir nicht auf dem Boden jenes Antrags stünden, es aber unseren französischen Genossen überlassen müssten, wie sie ihre Agitation einrichten und ihre heimischen Zustände zu beurteilen für richtig erachteten; aber da fuhr L[ie]bk[necht] dazwischen, und da unterliess es Sch[ippel], ein Wort zu äussern. Als ich mich im Vorstand erkundigte, wie es mit der Beantwortung von Av[eling]s Brief auf die Einladung, einen Vertreter zur Hydepark-Demonstration zu senden,8 stehe, erhielt ich die Antwort, die sei bereits abgegangen. Hoffentlich in einer Form, die drüben nicht verletzte; wir haben gar keinen Grund — wie das der Vorw[ärts] tat — uns den Engländern gegenüber auf das hohe Pferd zu setzen und nun die moralisch Entrüsteten zu spielen, dass sie jene Sonntagsdemonstration arrangierten. Mir war schon in Z[ürich] kein Zweifel, dass es dabei bleiben würde; und die Engländer haben recht, sie können damit eine Wirkung erzielen, die sie auf keine andere Weise zu erzielen imstande sind. Ob L[ie]b[knecht] noch zu Pfingsten nach London kommt, weiss ich nicht, ich habe ihn noch nicht gefragt. Zwischen niemand von dem engeren Kreis der Freunde besteht weniger vertraulicher Verkehr wie zwischen ihm und mir. Mache ich einmal den Versuch, so dauert es nicht lange, und wir geraten dermassen hintereinander, dass ein Aussprechen unmöglich ist. Da verzichte ich lieber auf den Verkehr. Ich bin nur froh, dass ich nicht im Vorstand war, als dieser Der freisinnige Abg. Barth und der Nationalliberale von Bennigsen waren auf Jaurès' Antrag eingegangen, jedoch in sachlichen, nicht gegen die Sozialdemokratie gerichteten Ausführungen. 8 S. Brief Nr. 300, Anm. 5. 7
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ablehnte, L[ie]b[knecht] auf Parteikosten zu senden; er hätte wahrscheinlich mich für den Urheber des Beschlusses gehalten. Mit herzlichem Gruss Dein AUGUST.
Nun hat sich auch die Angelegenheit mit der Neuherausgabe der „Frau" aufgeklärt. Die Dr. A[dams] W[alther] schrieb auf meinen Rat an den Verleger, um ihn zu fragen, woher er das Recht zu seinem Vorgehen nehme. Er antwortete, dass er den Verlag von „Modern Press" gekauft habe, dass noch ein grösserer Vorrat des Buches vorhanden gewesen sei, und da ist er denn auf den bekannten Buchhändlerkniff verfallen, ein neues Titelblatt vorzudrucken mit der Bemerkung „II. Auflage".* 9
S. Briefe Nr. 80, 280.
2 9 9 . J U L I E B E B E L AN
ENGELS
Mammern a. Bodensee, den 4. Mai 1894.
Original. Lieber General!
Du bist wohl so gut und gibst Tussy den Brief,1 ich schulde ihn schon so lange und weiss ihre Adresse nicht. Ich komme mir vor wie von allem losgelöst, da ich schon so lange vom Hause weg bin. August unterrichtet mich zwar von den wichtigsten Dingen, eben auch von Euch, und dass Du unwohl gewesen seiest, was mir leid tat; aber hoffentlich bist Du wieder ganz wohl, was ich von Herzen wünsche. Nächste Woche hoffe ich heimzukönnen, da Frieda so weit wieder wohl ist, dass sie noch eine Woche allein bleiben kann, was der Arzt hier und auch ihr Mann wünschen. August hat Sonntag Versammlung in Strassburg und will mich hier abholen, damit er Frieda und das Babychen sehen kann; der kleine Kerl macht ihm Spass, obgleich man noch nicht viel an ihm hat. Es war keine besonders schöne Zeit für mich, aber ich will sie gern durchgemacht haben, wenn Frieda wieder ganz gesund wird, was der Doktor hier behauptet; und ich bezweifle es nicht, da ich den Verlauf ihrer Krankheit beobachten konnte und sehe, wie sie sich bessert.2 1 2
Er ist nicht vorhanden. Bebels Tochter litt an immer wiederkehrenden Anfällen von Melancholie.
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Ich bedaure sehr, die Maifeier nicht miterlebt zu haben in Berlin, sie hat mir immer grosse Freude gemacht; schade nur, dass sie teilweise verregnete, aber die Demonstrationen allerorts haben doch ihre guten Wirkungen nicht verfehlt. August hat eine andere glücklich gemacht und mit in den Feenpalast genommen, eine junge, schöne Frau, worüber sich natürlich die Leute die Köpfe zerbrochen haben werden, namentlich da sie mich gar nicht mehr sehen; es wird hohe Zeit, dass ich heimkehre, nicht? Die Natur hier ist einzig schön, aber seit einiger Zeit verregnet und deshalb langweilig; die Kranken mussten nur schönes Wetter haben, aber ich mache trotz des schlechten Wetters mit Frieda täglich längere Fusstouren. Nun gratuliere ich Dir auch noch nachträglich zum „Schwiegerpapa"; es freut mich, dass Ihr alle drei glücklich zusammen seid; möchte es recht lange so bleiben, das wünsche ich von Herzen. Da man hier nicht viel erfährt als höchstens die Leidensgeschichten der verschiedentlichen Nervenkranken, die zwar für einen Arzt Interesse haben könnten, aber für Gesunde sehr gleichgültig sind, so kann ich Dir nichts weiter berichten und will lieber schliessen, damit ich nicht auch langweilig werde. Auf diese Weise wird meine Reise zu Euch dies Jahr wieder zu Wasser, aber hoffentlich ein andermal. Grüsse Louise und ihren Mann herzlich von uns beiden, und sei Du selbst aufs allerherzlichste gegrüsst von Frieda und Deiner
300. BEBEL
AN
JULIE.
ENGELS
Berlin W., den 16. Mai 1894.
Original. Lieber General!
Dass Du bei der Dir widerfahrenen „Misshandlung" den Humor nicht verloren hast, zeigt mir, dass dieselbe von den besten Folgen für Dich begleitet war. Louise und ihr Mann sollen nur fortfahren, Dir in dieser Weise das Leben sauer zu machen; dann haben wir die beste Garantie, Dich noch recht lange zu behalten. Aber sei vernünftig und folge recht hübsch, damit Du noch recht lange Dein graues Haar, das nach dem heutigen Vorw[ärts] sich endlich bei Dir eingestellt zu haben scheint, in Ehren trägst.1 Du darfst Dir halt nicht einbilden, erst ein Der sozialdemokratische Verein in Barmen hatte Engels ein Album mit Ansichten seiner Vaterstadt übersandt. Im Dankschreiben sprach Engels von den
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Fünfundzwanzigjähriger zu sein; daher kommt das Übel. Wir sind den ersten Feiertag abend hier eingetroffen. Freitag fuhren wir von Zürich ab, nachdem ich tags zuvor abends von Mammern zurückgekehrt war. Frieda soll in dieser Woche nach Hause dürfen, obgleich sie noch keineswegs vollkommen gesund ist. Körperlich hat sie sich gut erholt, sie hat ca. acht Pfund Gewicht zugenommen und sieht sehr gut aus; aber die Gemütsverfassung ist noch nicht normal. Als ich abreiste, machte sie mir eine Szene, die mich gänzlich deprimierte; sie wollte absolut mit nach Hause und weinte, dass sie am ganzen Körper bebte, und das, obgleich sie wusste, dass sie diese Woche nach Hause dürfe. Wir hoffen, dass die unbändige Sehnsucht, die sie nach Hause und zu ihrem Kinde ergriffen hat, eine bessere Wirkung ausübt als das fernere Verbleiben in Mammern, das, beiläufig bemerkt, wunderhübsch liegt. Ich machte mit ihr gleich Bergtouren und Wasserpartien, bei denen sie sich sehr amüsierte und sich äusserst wohl befand. Als ich an einem Tage von Stein — einem reizenden mittelalterlichen Nest mit wunderbaren Bauten — rheinaufwärts ruderte, kam ich an eine Stelle, an der der Strom so stark war, dass ich nicht mehr vom Flecke kam; ich musste mir Hilfe holen, um über die Stelle wegzukommen. Auf der Rückreise hielten wir uns einen Tag in Offenburg auf. Das Baden ist doch ein herrliches Land, dort gab es bereits reife Kirschen. Der Bergarbeiterkongress2 ist also im Gange. Den ersten Bericht werdet Ihr im heutfigen] Vorwärts gefunden haben. Die Engländer zeigen sich als die Konservativen in ihren Reden. Die letzteren sind im Bericht abgeschwächt; ich weiss nicht, war es Picard oder Burt, der im Schlüsse seiner Rede den Segen Gottes auf die Arbeiten des Kongresses anrief. Ich war gestern nur ganz kurze Zeit dort, als der österreichische Delegierte sprach;3 wir hatten in einem Nebensaale eine Konferenz, um Schritte zur Abwehr gegen die Massregelung der Böttcher seitens der Brauereien zu beraten.4 Es wurde die Verhängrossen Veränderungen der Stadt und der Menschen seit seiner Jugendzeit. Der Vorwärts bemerkte dazu in Nr. 110, 16. Mai, ähnliche Wahrnehmungen würde der nunmehr Ergraute in fast allen Städten Deutschlands machen können. 2 Der 5. Internationale Bergarbeiter-Kongress trat am 14. Mai in Berlin zusammen. Unter den englischen Delegierten waren Th. Burt, der dem Handelsministerium angehörte, und Pickard, der Vorsitzende des englischen Bergarbeiter-Verbandes. Ein ausführlicher Bericht im Vorwärts, Nr. 110, 16. Mai. s Der Delegierte Czinger, Mährisch-Ostrau berichtete in der dritten Sitzung über die österreichischen Verhältnisse und die Ausschreitungen der Gendarmerie gegen die Bergarbeiter. Ebd. 4 Der Bierring, die Organisation der Brauereibetriebe, begann seinen Vorstoss gegen die Organisation der Brauereiarbeiter, die er vernichten wollte, mit der Entlassung von fünfhundert Brauereiarbeitem und dreihundert Böttchern. Am 16.
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gung des Bierboykotts beschlossen, da man sich von diesem Schritt mehr verspricht als vom Streik, und soll die Massregel zunächst gegen einen Teil der Brauereien in Wirksamkeit treten. Definitive Entscheidung fällt heute oder morgen. Die Engländer treten hier sehr nobel auf, sie haben sich allesamt, ein Teil mit ihren Frauen, im Savoy Hotel — einem unserer ersten Hotels — einquartiert. Die Frauen sitzen während der Verhandlungen hinter dem Büro auf der Tribüne und mopsen sich natürlich nach Noten. Da die Arbeitszeit des Kongresses eine sehr mässige ist — das scheinen auch die Engländer durchgesetzt zu haben, — so haben sie Zeit genug, sich Berlin anzusehen, das jetzt im schönsten Schmucke prangt. Wie ich schon Louise schrieb, konnte ich in Angelegenheiten der Antwort auf die Mai-Einladung nichts mehr machen. Das Büro sagte mir aber, die Antwort sei an Shipton gegangen, weil dieser die Einladung unterzeichnet gehabt habe und seine Adresse angegeben war. Ihr habt Pech gehabt mit Eurem fremden Besuch; 5 wie ich in der W[orkman's] T[imes] lese, sind auch Gu[esde] und Laf[argue] ausgeblieben. Was fehlte denn Louise, dass sie am zweiten Tage nicht sprechen konnte? Mawdsley 6 macht sich tüchtig lächerlich. Die Mitglieder seiner Gewerkschaft müssen politisch sehr unreif sein, dass sie diese widerspruchsvolle Haltung ihrer Führer dulden. Man lässt durch Gegner tun, was man selbst tun könnte und dann sicher täte. Herrn Rosebery scheint auch vollkommen klar zu sein, dass es mit der Regierungsfähigkeit der Liberalen in England aus ist, sobald die Arbeiter anfangen, als selbständige Partei aufzutreten. Es ist viel, dass er das offen eingesteht; aber die Arbeiter selbst begreifen ihre Macht noch nicht. Es war sehr gut, dass John Bums ein Rüffel erteilt wurde in der W[orkman's] T[imes] wegen seines unentschuldigten Fernbleibens von der Versammlung am 7. Mai. Die letzte Pressprozess-Affäre unter Brausewetter hat gut gewirkt.7 Mai wurde der Boykott von sieben der grössten Brauereien beschlossen; am 18. Mai wurde er in neun grossen Versammlungen in allen Stadtteilen eingeleitet. 5 Zur Maifeier am Sonntag, 6. Mai war Liebknecht eingeladen, jedoch nicht gekommen, da die Veranstaltung am folgenden Sonntag eine Abweichung vom Züricher Beschluss war. 6 J. Mawdsley war Sekretär des englischen Textilarbeiter-Verbandes. 7 Die zweite Strafkammer des Landgerichts I Berlin verhandelte unter dem Vorsitz des Landgerichtsdirektors Brausewetter am 8. und 9. Mai gegen neun Berliner Redakteure wegen der Berichterstattung über die Polizei-Attacke gegen die Arbeitslosen nach der Versammlung am 18. Januar in der Brauerei Friedrichshain. Es wurde ihnen verleumderische Beleidigung des Chefs und der Beamten
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Wir werden im nächsten Reichstag eine Novelle zur Strafprozessordnung zu beraten haben, und dazu kommen die Vorgänge sehr gelegen. Samstag nachmittag muss ich wieder fort. Ich muss mit Paul nach dem 23. sächs[ischen] Wahlkreis zur Wahlagitation; jeder von uns soll drei Versammlungen abhalten. Dass wir den Polenz aus dem Reichstag brächten, hofften wir; dass es uns auch gelang, den Moltke hinauszuwerfen, hat uns selbst überrascht;8 und seine eigene Partei wie er selbst hatten sich das nicht träumen lassen. Meine Versammlung in Kehl war fein.9 Es war ein prächtiges Bild: die grosse grüne Wiese bedeckt mit Menschen, darunter viele Frauen mit ihren bunten Trachten, rechts die Kinzig, links ein hoher Damm sich hinziehend, der bis auf die Höhe dicht mit Zuhörern besetzt war, im Hintergrunde die Kinzigbrücke, die ebenfalls voll Zuschauern stand, und weiter hinaus die üppige Ebene abgeschlossen von den Bergen des Schwarzwaldes. Wie man mir versicherte, hat man mich von allen Stellen aus sehr gut verstanden. Heiter war die Masse der Gendarmerie, die aber andächtig mit zuhörte. Die Strassb[urger] Polizei hat sich wieder einmal eine gründliche Blamage geholt; ob uns aber der Kehler Gemeinderat zum zweiten Male die Wiese einräumt, halte ich für zweifelhaft. Herzlichen Gruss an Dich, Louise und Freyberger von Julie und Deinem AUGUST.
3 0 1 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 2. Juni 1894.
Original. Lieber General!
Ich bin natürlich gern bereit, die Geldgeschichte mit Vict[or] durch Dich zu regeln, sobald ich erfahre, dass das Geld fällig ist. Bemerken des Polizeipräsidiums vorgeworfen. Sie hatten festgestellt, dass die Einladung vom Sozialist erlassen sei, dass hundert Polizeibeamte sowie sechsundzwanzig Kriminalbeamte, „in Arbeiterkleidung gesteckt" und mit Gummischläuchen bewaffnet, anwesend waren, und sie hatten dabei auf die Affäre des Provokateurs Ihring-Mahlow angespielt. Sie wurden zu zwei bis fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Vorwärts, Nr. 105, 106, 9., 10. Mai. 8 Die Mandate der Abg. Graf O. von Moltke und von Polenz waren für ungültig erklärt. Bei der Nachwahl im Wahlkreis Elmshom-Pinneberg wurde in der Stichwahl am 23. Juni der Sozialdemokrat A. von Elm gewählt; im Wahlkreis Plauen in der Stichwahl am 2. Juni der Sozialdemokrat A. Gerisch. 9 Ein Bericht im Vorwärts, Nr. 105, 9. Mai.
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will ich hierbei, das wird Dich interessieren, dass seit einiger Zeit Arrangements getroffen sind, wodurch V[ictor] monatlich von hier aus einen Zuschuss erhält, der ihn mit dem, was er in W[ien] einnimmt, einigermassen sichert. Wegen der Wahltabelle 1 habe ich an D[iet]z geschrieben, da ich keine besitze, d.h. keine zweite. In Plauen haben wir gesiegt. Bestände nicht die gesetzliche Einrichtung, dass bei Wahlen innerhalb eines Jahres nach den allgemeinen] Wahlen die alte Wahlliste noch benutzt werden darf, und die weitere Bestimmung, dass jeder Wähler nur dort wählen kann, wo er wohnt und in der Wahlliste steht, so hätten wir im ersten Wahlgang gesiegt; denn es gingen uns dadurch viele Hunderte Stimmen verloren. Viele Wähler hatten den Wohnort gewechselt. Was Ihr über den Bergarbeiterkongress schreibt, ist ganz meine Meinung. Ich habe mich den Verhandlungen ferngehalten, einmal, weil ich absolut keine Zeit hatte; dann weil ich bei meinen mangelhaften Sprachkenntnissen mich nicht genügend verständigen konnte, endlich weil es L[ie]b[knecht] als einen Eingriff in seine Prärogative auffasste, liess ich mich dort viel sehen und mischte ich mich ein. Ich habe für die Neue Zeit einen Artikel darüber geschrieben — der möglicherweise bei seiner Länge geteilt werden muss, — und darin habe ich mich offen ausgesprochen,2 soweit das, ohne zu verletzen, möglich ist. Wegen Mangel an Zeit lieferte ich den Artikel so spät, dass er erst in die nächste Nummer kommt. Ihr werdet ihn lesen und könnt dann urteilen; L[ie]bk[necht] wird er nicht gefallen. Liebk[necht] kommt übrigens Mitte Juni zu Euch, da könnt Ihr ihn ins Gebet nehmen. Helfen wird es zwar nichts; denn die Gewohnheit, immer nur in Extremen sich zu bewegen, ist ihm angeboren, und ihm geht jede Erkenntnis für diesen schweren Fehler bei einem Parteimann ab. Ich sträubte mich auch, ihm Geld für die Reise zu bewilligen, weil ich weiss, dass sein Londoner und Pariser Aufenthalt nur aufs neue dazu dient, ihm Nahrung für seine Verliebtheit in Engländer und Franzosen zu schaffen. Kommt Lieb[knecht] zurück, so wird er nur noch mehr wie jetzt, alle Dummheiten, Torheiten und unter Umständen selbst Niederträchtigkeiten verteidigen. Anderen dienen solche Reisen, um Vorurteile abzulegen, bei ihm dienen sie dazu, ihn in seinen Vorurteilen zu bestärken. Lieb[knecht] muss genommen werS. Brief Nr. 289, Anm. 5. In dem Aufsatz „Der internationale Bergarbeiterkongress zu Berlin", Jahrg. XII (1894), Bd. II, S. 293ff., kritisierte Bebel scharf das Einberufen jährlicher internationaler Kongresse der Bergarbeiter, die sich, abgesehen von England, nirgends auf starke Landesorganisationen stützen könnten. 1
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den, wie er ist, was allerdings nicht verhindert, dass man sich über ihn ärgert. Jetzt schwatzt er unseren Leuten wieder vor, es sässen sechzig Parteigenossen in der französischen Kammer; aber das Gute ist, selbst auf die Massen macht man damit keinen Eindruck mehr. Der Vorw[ärts] würde noch viel schlimmeres Zeug bringen, unterschlügen nicht die Redakteure seine Notizen und Behauptungen, so oft sie nur können.3 Der Artikel in der Daily News ist ganz richtig. Burt hat in der Tat Gottes Segen auf den Kongress herabgerufen, und ist es eine Erdichtung, wie Lieb[knecht] die Sache hinstellt. Er lügt das Blaue vom Himmel herunter, wenn er glaubt, damit zu nützen.4 Auch der Smith,5 der sich noch bis vor wenig Tagen hier herumdrückte, hat sich wieder in bekannter Parteilichkeit bei der Ubersetzung benommen, und ich habe ihn im Verdacht, dass er systematisch die Engländer gegen die Deutschen verhetzt und Franzosen und Engländer um jeden Preis zusammenzubringen sucht. Das letztere gelingt allerdings nicht nach Wunsch, da Naturell und Anschauungsweise doch zu grundverschieden ist. Seinen Betrug entdeckte ich wieder so recht am Kommersabend. Lamendin dankte auf die Rede L[iebknecht]s für die Veranstaltungen des Komitees, Smith übersetzte die Rede ins Englische und schloss daran eine Verbrüderungsrede an die Franzosen, die er französisch sprach, und in der er mit revolutionären Phrasen schloss, so dass Franzosen und Belgier ganz entzückt waren.® Dann hielt er dieselbe Rede englisch, schwächte aber jetzt den Schluss so ab, dass alles Revolutionäre daraus verschwand. Auch bei unseren anderen Leuten hat er schwer angestossen. Als es am Schluss des Kongresses ans Verabschieden ging, begab sich Sm[ith] ostentativ zu dem die Verhandlungen überwachenden Polizeileutnant, von dem er sich verabschiedete und ihm die Hand reichte; er nahm aber von keinem einzigen unserer Leute Abschied, weder von den Büromitgliedern noch von den Ubersetzern. Das hat stark verschnupft. ® So hatte Auer als „Redaktionshüter" jahrelang darüber zu wachen, dass ein gerichtliches Einschreiten gegen das Blatt nach Möglichkeit vermieden werde, und dementsprechend zu streichen. Darüber E. Bernstein, Ignaz Auer (Berlin, 1907), S. 71. 4 Auf Vorhaltungen E. Richters in der Freisinnigen Zeitung zeigte er sich im Leitartikel „Der Bergarbeiter-Kongress und die Sozialdemokratie" Nr. 120, 27. Mai, völlig befriedigt vom Kongress; er äusserte sich sehr optimistisch über „die sozialistische Mauserung bei den englischen Bergarbeitern". 5 Adolphe Smith war Übersetzer auf vielen Kongressen; mehrere Berichte veröffentlichte er selbst, so die der Internationalen Gewerkschaftskongresse Paris 1886 und London 1888. • Smith übersetzte Lamendins Rede und antwortete gleich darauf im Namen der englischen Delegation, so dass kein englischer Delegierter zu Worte kam.
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Man darf gespannt sein, was aus unserer Agrarenquete7 — wenn man das Ding so nennen darf, — herauskommt. Sicher ist, was unseren Agrariern genügt; die möchten am liebsten eine Liquidation des grössten Teiles ihrer Hypothekenschulden verwirklicht sehen, wenn das nur ginge, und das allein rettete den verschuldeten Teil auf einige Jahre. Im nächsten Reichstag wird's an Agrardebatten nicht fehlen, da müssen wir besser auf dem Posten sein als das letzte Mal. Auch der Sturm auf das Dreiklassenwahlsystem muss nächsten Winter losbrechen. Es ist ganz gut, dass Dich Deine medizinischen Vorgesetzten so schikanieren; die Hauptsache ist, dass Du Dich wohl dabei befindest. Die wirken als geheimer Wohlfahrtsausschuss der Partei und haben die Verpflichtung übernommen, Dich so weit zu bringen, dass Du noch die erste Balkenlage zu unserem „Zukunftsstaatsbau" erlebst. Also parier hübsch und sei ferner nicht so disziplinwidrig unsolid. Frieda ist seit vierzehn Tagen wieder zu Hause und befindet sich, soweit unsere Nachrichten reichen, wohl. Uns geht's gut, heute abend kommen Liebknechts und Schweicheis8 zu einer Erdbeerbowle. Ich habe einen exquisiten Laubenheimer im Keller, der sich zur Bowle vorzüglich eignet; nächstens wandert auch ein Fass „Affenthaler" ein, das mir Geck9 kaufte auf einer Auktion. Herzlichen Gruss von Julie und Deinem AUGUST.
Louise erhält morgen ihren Brief, bitte grüsse sie und ihren Mann herzlich von uns. 7
Am 28. Mai war der Ausschuss für die Agrar-Enquete zusammengetreten, dessen Aufgabe es sein sollte, die Ursachen der fortschreitenden Hypothekenverschuldung des Grundbesitzes zu untersuchen und Hilfsmassnahmen zu erörtern. 8 Robert Schweichel (1821-1907), Verfasser vielgelesener Romane (Um die Freiheit, Roman aus der Zeit des Bauernkrieges), Redakteur der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung und der Romanzeitung; auf dem Nürnberger Vereinstag hielt er die Programmrede. • Adolf Geck (1854-1942), führender badischer Sozialdemokrat, Redakteur des Offenburger Volksfreund; 1881 angeklagt im Freiburger Geheimbundsprozess, seit 1893 Landtagsabg. in Baden, Freund Bebels.
302. BEBEL AN
Original
ENGELS
Berlin W., den 10. Juli 1894. Lieber General!
Ich muss Euch mitteilen, dass ich Freitag abend von hier abreise, 768
Singer und ich gehen in Geschäften nach Stuttg[art] — Sfinger] auch zu einer Versammlung, — alsdann wollen wir nächsten Dienstag und Mittwoch unter Führung von Dietz eine Spritztour in die Schwäbtische] Alp machen, und Donnerstag reise ich nach Zürich. Dietz ist, beiläufig bemerkt, Grossvater geworden; wir werden allmählich eine Fraktion der Grossväter. Ich wollte eigentlich erst Anfang August nach Z[ürich], aber einmal in Stuttgfart] habe ich zwei Drittel der Reise hinter mir, und ausserdem ist Julie schon dort. Sie musste Freitag vor acht Tagen eilig dorthin abreisen, da Simon schrieb, dass Friedas Zustand die Anwesenheit eines von uns nötig mache. Fr[ieda] hatte wieder einen Rückfall und trug sich mit Selbstmordgedanken, und S[imon] wird durch seine Praxis so in Anspruch genommen, dass er ihr sehr wenig Zeit widmen kann. Gegenwärtig ist ihr Zustand wieder wesentlich besser, doch wird es noch eine Weile dauern, ehe sie gesund ist. Dagegen ist der Kleine wohlauf und entwickelt sich nach Wunsch. Die Grossmutter ist ganz närrisch in ihn verliebt. Wohin ich von Zürich gehe, weiss ich noch nicht, das soll erst dort entschieden werden. Ein Teil unserer Presse, das wirst Du aus unseren Zeitungen ersehen haben, schreit lebhaft nach Ausnahmegesetzen. Die guten Leutchen wissen nicht mehr, wie sie mit dem Sozialismus fertig werden sollen, und da verfallen sie auf die alten verbrauchten Rezepte. Bis jetzt hat mir das Geschrei noch keine unruhige Minute gemacht. Es ist gar keine Aussicht, dass solche Wünsche Erfüllung finden, wenn nicht auch bei uns grosse Dummheiten passieren. Unsere Anarchisten sind nicht von dem Kaliber, Herostraten abzugeben; aber wer steht für Verrückte? Die Carnot-Affäre1 und was drum und dran hängt, hat dieses Mal, allem Anschein nach, auch in England mehr Wirkung erzielt als sonst ähnliche Vorgänge. Kommen noch einige hinzu, dann ist's in England und anderwärts mit einem ordentlichen Stück des Asylrechts vorbei; das ist für gewisse Leute sehr verführerisch. Neuerdings lenken die Vorgänge in der Union die Aufmerksamkeit von den kontinentalen Vorgängen ab. Der Versuch, diese für Deutschland auch noch zu fruktifizieren, fällt ins Wasser; er ist aber charakteristisch für einen Teil unserer Presse und unserer Bourgeoisie. Wir haben diese Woche Parteileitungs-Konferenz wegen des Parteitages, den wir im Oktober in Frankfurt a. M. abhalten wollen. Auf die Tagesordnung soll die Agrarfrage gesetzt werden, und ist vorgeschla1 Der französische Präsident Sadi Camot war am 24. Juni in Lyon von dem italienischen Anarchisten S. Caserio erdolcht worden.
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gen — damit nicht immer Vorstandsmitglieder Referenten sind, — Vollmar als Referent zu nehmen. 2 Ich bin damit sehr einverstanden; V[ollmar] wird alsdann auch genötigt, sein „praktisches" Programm und seine Hoffnungen auf den Bauernbund zum besten zu geben. Ich werde vorschlagen, bei der Debatte über diese Frage die gewöhnliche Zeitbeschränkung für Referenten und Redner fallen zu lassen, damit es zu einer gründlichen Diskussion kommt. Überdies haben wir keine andere allgemeine Frage für die Tagesordnung. Letzter Tage habe ich Deinen neuen „Dühring" bekommen. Er wächst sich auch immer mehr aus; ich nehme ihn mit auf die Reise. Gestern bin ich — bis auf die Vorrede, die ich in der Schweiz schreibe, — mit der Umarbeitung der „Frau" fertig geworden. 8 Im Buch sind nur zwei Seiten unverändert geblieben, ich habe verschiedenes gestrichen, vieles geändert, stilistisch und materiell, noch mehr Neues hinzugenommen. Ich denke, bis Mitte Oktober wird das Buch fertig. Was macht denn der dritte Band des „Kapital"? L[ie]bk[necht] werde ich vor Donnerstag nicht sehen und also dann erst erfahren, wie er Euch getroffen hat. Ich habe Glück. In letzter Stunde ist uns auch der Saal der „Concordia" flötengegangen, in dem ich morgen sprechen sollte. Die Brauereien machen verzweifelte Anstrengungen, um nicht zu unterliegen.4 Die Hexe scheint mich auch zu boykottieren. Auf zwei Briefe im Juni — einen zu Anfang, einen zu ihrem Geburtstag — habe ich keine Antwort erhalten. In letzterem hatte auch Julie geschrieben. Da schon Briefe verlorengingen, erwähne ich das. Ich bitte, sie herzlich von mir zu grüssen, ebenso den Doktor. Letzterem werde ich seinerzeit den Bogen, in dem die Notizen im wesentlichen enthalten sind, die er mir seinerzeit für die „Frau" sandte, zusenden lassen, damit kein Fehler drin enthalten ist. Ein Wort vermochte ich nicht zu entziffern. Mit herzlichem Gruss Dein AUGUST.
In dem Brief an Louise zu ihrem Geburtstag hatte ich Dir insofern eine Antwort auf den letzten von Dir gesandten Brief gegeben, dass
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Die Berichterstatter über „Agrarfrage und Sozialdemokratie" waren Dr. B. Schoenlank und G. von Vollmar. Protokoll Frankfurt, S. 135ff., 142ff. ' Die fünfundzwanzigste Auflage erschien 1895. Das Vorwort ist datiert: Ostern 1895. Der Umfang betrug 548 gegenüber 400 S. 4 S. Brief Nr. 300, Anm. 4.
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ich Dir mitteilte, ich hätte wegen des Kongresses5 an den Leiter des Textilarbeiterverbandes geschrieben. Ich habe aber bis heute keine Antwort, glaube auch nicht, dass die sehr schwach stehende Gewerkschaft einen Ubersetzer bezahlen könnte, obgleich T[ussy]s Ansprüche sehr bescheiden sind. Der Internationale Textilarbeiter-Kongress tagte in Manchester 24.-29. Juli 1894. Deutschland war nicht auf ihm vertreten. Der Vorwärts brachte einen Bericht P. Arndts darüber in Nr. 177, 2. August. s
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ENGELS
Zürich IV, den 4. August 1894.
Original. Lieber General!
Ich hatte Deinen Brief verlegt und fand ihn erst gestern wieder, als ich mit Frieda von Küsnacht am Zürichsee zurückkam. Wir waren genau acht Tage dort, und hat sich Fr[ieda] in dieser Zeit sehr erholt; wir wären auch noch nicht weg, wenn mir der Sonnenwirt nicht gar zu gesalzene Rechnungen machte. Wir werden Mitte der kommenden Woche nach Bendlilcon in den „Löwen" übersiedeln — dasselbe Gasthaus am See, in dessen Garten wir vor[igen] Sommer zusammenwaren und uns photographieren Hessen. Der Wirt hat gewechselt, und scheint es wesentlich besser zu sein als früher. Wir werden dann wie bisher uns auf dem See herumtreiben und Schiffli fahren oder Partien in die nahen Wälder und Berge machen. Wie lange ich hier bleibe, weiss ich noch nicht; ich möchte gern Julie mit nach Hause nehmen, zuvor aber mal acht Tage probieren, wie Frieda sich hält, wenn sie allein wieder in der Wirtschaft ist. Von dem Buben sende ich der Hexe nächstens eine Photographie, damit sie ein Muster hat. Du und Grosspapa, das wird gut werden. Unser Bub' ist übrigens ein sehr artiger Bursche, man merkt kaum, dass ein Kind im Hause ist, obgleich er ein sehr lebhaftes Temperament hat. Du schilderst den Alten1 vollkommen richtig; auch ich bin der Ansicht, dass an ihm nichts, absolut nichts mehr zu ändern ist. Man muss ihn verbrauchen, wie er ist. Jetzt hat er sich, wie mir heute Singer schreibt — der nach Norderney geht, — Enders, der aus dem Gefängnis kam, als politischen Redakteur zugelegt, wozu der Mann absolut nicht passt. Aber er hat seinen Narren an ihm, und da muss 1
D. i. Liebknecht.
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er zu allem passen. Wenn wir im September wieder alle beieinander sind, wird in dieser Beziehung Änderung geschafft. Die Wiener Konkurrenz soll mir sehr recht sein, ich habe nur Bedenken, ob das Tageblatt so gut wird, wie das Wochenblatt ist; 2 Vfictor] kann's nicht allein schreiben. Der Bierboykott steht gut; unsere Leute sind von einem ausgezeichneten Geiste beseelt und halten wie Kletten zusammen. Den Brauereien wird ein ganz gehöriger Schaden zugefügt, und schon heute steht fest, dass, wie immer der schliessliche Ausgang sein mag, die Brauer nie mehr einen ähnlichen Kampf aufnehmen; die Brauer leiden doppelt, einmal durch die Verringerung des Konsums, dann durch die Notwendigkeit, die notleidenden Wirte— die sehr zahlreich sind und, gestützt auf die gefüllten Beutel der Brauerherrn, grosse Ansprüche erheben, — unterstützen zu müssen. Patzenhofer3 hat schon zweimal fünfzigtausend Mark bluten müssen, und da hat der Direktor geäussert: das ginge doch nicht so fort. Er wird aber noch zweimal dran glauben müssen. Unsere Leute sind in der bequemen Lage, es aushalten zu können; sie haben nichts weiter zu tun, als gewisse Biere nicht zu trinken, und das halten sie Jahre aus. Deiner Auffassung in bezug auf unsere Stellung gegenüber den Bauern stimme ich bei; wir müssen den Bauern zu Gemüte führen, dass sie unter dem jetzt geltenden Wirtschaftssystem zugrunde gehen und niemand ihnen helfen kann, dass daher ihre einzige Rettung die Genossenschaft ist. Wir müssen ihnen ferner durch eine Reihe scharf formulierter Resolutionen die Vorteile derselben zu Gemüte führen. Neben den Domänen sollte man ihnen die Zuteilung des in der Gemarkung liegenden grossen Grundbesitzes, der Kirchengüter etc. zur Bewirtschaftung zusprechen, indem man Kirche und Grundherren, Fideikommisse etc. expropriiert. Das wäre ein grosser Anreiz für die kleinen und mittleren Bauern, sich der Genossenschaft freiwillig anzuschliessen. In Verbindung damit müsste die Gründung von Ackerbauschulen gehen, welche die Ausbildung der Jugend zu betreiben hätten und Mustergüter bewirtschafteten. Dagegen bin ich gegen jede Massregel, die den alten Zustand konservieren könnte, und für die wir den Kapitalismus auch gewännen, weil er fühlt, dass er einen Schutz gegen sich selbst braucht. Solche Massregeln vorzuschlagen, überlassen wir den Gegnern. Gegen Mitte September werden wir alle in Berlin zusammenkommen — Parteileitung und Referenten —, um die Resolutionen zu formulieren;4 da Die Wiener Arbeiter-Zeitung erschien seit dem 1. Januar 1895 als Tageszeitung. Eine der grössten Berliner Brauereien. 4 Die Resolution Schoenlank-Vollmar, Protokoll Frankfurt, S. 134f., forderte die Aufstellung eines besonderen Agrarprogramms, das Bauemschutz fordere und 2
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bin ich sehr neugierig, was Vollmfar] vorschlägt. Der Parteitag wird den 20. Oktober beginnen. Ede wird in seinen Berichten immer lahmer und diplomatischer; man merkt, dass er ganz und gar der Fühlung mit den praktischen Verhältnissen und der Agitation beraubt ist; man könnte seine Korrespondenzen entbehren, ohne viel zu verlieren. Die Frankfurt[er] Zeit[ung] bringt weit instruktivere Berichte über englische ArbeiterVerhältnisse wie er. So hat die letztere jetzt eine Reihe Artikel über die zum Abschluss gelangte Enquete über die Arbeiter- und Wirtschaftszustände Englands,5 die ich mit Interesse lese. In Frankreich wird das Anarchistengesetz8 kaum auf die Dauer ausführbar sein. Eine Reihe armer Teufel werden dran glauben müssen, haut man aber ein wenig über die Schnur oder packt man die Presse zu unsanft, so wird's einen Lärm geben, dem keine Regierung auf die Dauer widersteht. Dass das Jaures'sche Amendement7 um ein Haar angenommen wurde, zeigt, wie wackelig die Regierung ist. In einer Republik lässt sich mit Ausnahmegesetzen noch viel weniger regieren als in einer Monarchie, und konnte Deutschland auf die Dauer nicht damit regiert werden, dann Frankreich noch viel weniger. Grüsse herzlich Louise und ihren Mann und sei selbst aufs herzlichste gegrüsst von uns allen. Dein AUGUST.
schliesslich den Grund und Boden mit den Arbeitsmitteln den Produzenten zurückgebe, die heute als Lohnarbeiter oder Kleinbauern im Dienste des Kapitals das Land bestellten. 5 Die Ergebnisse, welche die „Königliche Kommission", die vom Mai 1891 bis Mai 1894 tagte, in siebenundsechzig Blaubüchem über das englische Wirtschaftsleben vorlegte. 6 Das französische Anarchistengesetz wurde am 26. Juli von der Kammer mit 268 gegen 163 Stimmen und am nächsten Tage vom Senat mit 2 0 5 gegen 34 Stimmen angenommen. E s bedrohte mit Gefängnis bis zu zwei Jahren anarchistische Propaganda in Form der Aufforderung zu oder der Verherrlichung von Anschlägen, Diebstahl, Totschlag, Plünderung und Brandstiftung sowie jede Aufreizung des Militärs zu Ungehorsam. Zu Verbannung konnte verurteilt werden, wer mehr als ein Jahr Gefängnis erhielt. Verboten werden konnten Berichte über die Gerichtsverhandlungen und die Veröffentlichung von Enthüllungen oder Dokumenten, die darauf Bezug hatten. 7 E r forderte darin gegenüber den Willkürmöglichkeiten des Gesetzes seine Anwendung auch auf die, welche das öffentliche Urteil herausforderten, wie Minister, Deputierte und Senatoren, die sich der Annahme von Bestechungsgeldern oder der Teilnahme an anrüchigen Finanzgeschäften schuldig machten. Der Antrag wurde mit einer Mehrheit von nur vier Stimmen abgelehnt.
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Original.
ENGELS
Zürich, den 26. August 1894. Lieber General!
Wie Du siehst, bin ich noch in der Schweiz. Ich werde am 4. September] abreisen, vielleicht auch erst den 5., halte den 6. in München Volksversammlung1 und komme den 7. nach Hause. Ich fange an, ungeduldig zu werden; das Bummeln dauert mir zu lange, aber ich befand mich in einer Notlage. Ich hoffe, dass Fr[ieda]s jetziger Zustand, der ein guter ist, dauernd bleibt und ich dadurch in die Lage komme, Julie mit nach Hause zu nehmen. Zunächst will ich morgen mit ihr nach Bern, und von dort gedenke ich so ziemlich dieselbe Tour mit ihr zu machen, die wir vor[iges] Jahr machten. Das Wetter ist, nachdem es vierzehn Tage lang fast täglich regnete, manchmal sogar sehr arg, endlich gut geworden. Gestern hatten wir sogar eine unmenschliche Hitze und heute ebenfalls. Julie lässt Dich herzlich grüssen und sich entschuldigen, dass sie Dir noch nicht wieder geschrieben; aber einmal wollte sie Deine Zeit nicht mit Antworten in Anspruch nehmen, und dann meinte sie, ich schriebe doch alles, was es zu schreiben gäbe, endlich war aber auch hier ihre Zeit sehr in Anspruch genommen. Später, wenn sie wieder zu Hause ist, wird sie Dir wieder einmal schreiben. Die Sfocial] D[emocratic] Föderation] dürfte mit ihren Plänen bezüglich eines Separatkongresses2 sehr schlechte Geschäfte machen; sie wird, verwirklicht sie ihren Beschluss, gerade so isoliert stehen wie die Schweizer dies Jahr mit ihrem internationalen Arbeiterschutzkongress. Ich denke, vorläufig braucht man gar keinen Lärm zu machen, sondern schlägt los, sobald die Pläne anfangen, Gestalt anzunehmen. Ein anderer Weg wäre, dass Ede über die Beschlüsse Bericht erstattet im Vorw[ärts] — was ja ausserdem seine Aufgabe wäre, — und dass man gegen die Mitteilungen polemisiert. Bei dem Misstrauen des Alten würde eine Polemik, von mir eingesandt, kaum Aufnahme finden, solange nicht die Tatsachen von anderer Seite berichtet wurden. Mir fiel der Bericht A[rndt]s3 über den Textilarbeiterkongress ebenBebel sprach in der Salvator-Brauerei in Schwabing vor viertausend Besuchern über „Die Sozialdemokratie und ihre Gegner." In der Diskussion sprach u.a. Ludwig Quidde. Die Versammlung sprach Bebel in einer Entschliessung ihre Zustimmung aus. Bericht im Sozialdemokrat, Nr. 33, 13. September. 2 Sie hatte die Absicht, vor dem Internationalen Kongress 1896 einen „reinen Sozialistenkongress" abzuhalten. E. Bernstein darüber in seinem Bericht über den Trade Unions-Kongress in Norwich im Vorwärts, Nr. 209, 8. September. » S. Brief Nr. 302, Anm. 5.
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falls auf; ich betrachtete ihn aber in der Tat auch als einen Gelegenheitsbericht, weil A[rndt], wie es schien, auf dem Kongress anwesend war. Für regelmässige Berichterstattung brauchte der Alte die Zustimmung des Vorstandes, und die bekommt er natürlich nicht. Sowenig aber die Social Democratic Federation mit ihrem Plan durchdringt, ebensowenig wird das P[arliamentary] C[ommittee] durchdringen, wenn es sich einfallen lässt, einen Trade UnionCongress machen zu wollen.4 Trotz aller kleinen Differenzen zwischen Partei und Gewerkschaften in Deutschland stehen beide fest zusammen, wenn eine solche Frage auftritt, und eine gemeinsame Absage wäre die Antwort. Die Österreicher würden zweifellos in gleichem Sinne entscheiden und ebenso die Schweizer. Damit wäre der Plan vernichtet. Mich lassen alle diese Intrigen sehr kalt, weil ich die Überzeugung habe, dass sie einem unüberwindlichen Widerstand begegnen. Auch darin dürften sich die Engländer täuschen, wenn sie glauben, dem nächsten Intern [ationalen] Kongress ähnlich ihre Geschäftsordnung etc. oktroyieren zu können, wie sie das dem Bergarbeiter-Kongress in Berlin taten. Im übrigen habe auch ich die Ansicht, dass die Entwicklung in England in sozialistischer Richtung zu keinem Stillstand mehr kommt, sondern immer rascher sich vollzieht. Die Ideen sind in die Massen geworfen, und letztere haben Feuer gefangen; für das übrige sorgt die Logik der Tatsachen. Was Du mir über die Auslassungen der gegnerischen Presse in Spanien schreibst, hat mich sehr amüsiert; wie wenig erfährt man doch von dem, was in der Welt über einen geschwatzt wird. In der deutschen Presse hat man jetzt glücklich herausbekommen, dass die deutsche Partei eigentlich in drei Fraktionen gespalten ist, in die offizielle Soz[ial] demokratie — die radikale, — in die Vollmarsche und in die christliche Wächterscher Observanz.5 Wenn Schmuilow mich richtig berichtete — Schm[uilow] ist hier und will hier dauernd bleiben und ein Geschäft begründen, weil die russ fische] Regierung einen Ukas an die Presse erlassen, wonach jedes Blatt unterdrückt werde, das Arbeiten von ihm aufnehme, und so seine Existenz vernichtet ist, — habe Wächter den Gedanken, auf dem nächsten Partei4
Es wollte den Internationalen Kongress 1896 in einen reinen Gewerkschafts» kongress umwandeln oder wenigstens die Einladung so interpretieren. Bernstein, a.a.O. 5 Theodor von Wächter, Sozialdemokrat, evangelischer Theologe in Laer bei Bochum; er sprach wiederholt über das Verhältnis von Christentum und Sozialismus und Sozialdemokratie und Kirche. S. etwa seine Diskussion in einer Berliner Volksversammlung mit M. von Egidy und Fr. Naumann am 17. Oktober 1893, Bericht im Vorwärts, Nr. 246, 19. Oktober. Auf dem Frankfurter Parteitag war er Delegierter des Essener Wahlvereins.
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tag einen Antrag zu stellen, dass die Partei erkläre: auf christlichem Boden zu stehen. Ich halte zunächst diese Angabe für falsch; denn so konfus auch Wächter ist, für so dumm halte ich ihn nicht. Käme er aber dennoch mit einem solchen oder ähnlichen Antrag, so würde dieser nur ein heiteres Intermezzo abgeben, und W[ächter] würde sehen, dass er ganz allein steht. Übrigens eine kostbare Gegnerschaft; einmal heulmeiert man nach Ausnahmegesetzen, weil die Soz[ial]demokratie mit jedem Tage gefährlicher wird; in demselben Atemzug aber schwatzt man auch wieder von ihrem Zerfall. Na, ich hoffe, wir haben im nächsten Reichstag ein paar recht hübsche Sozialistendebatten; da soll die Gegnerschaft mal gründlich die Wahrheit über ihre grenzenlose Dummheit, Verlogenheit und Feigheit zu hören bekommen. Kürzlich war die Vera Sas[sulitsch]6 bei mir in Bendlikon, um sich zu verabschieden. Wie ich höre, soll sie bereits in London sein; ich glaube nicht, dass sie der Schweizer Behörden wegen Ursache hatte wegzugehen, obgleich diese immer mehr den Nachbarstaaten zu Gefallen handeln; ausserdem handelt es sich um Sozialisten, denen man nicht grün ist. In nicht ferner Zeit wird England nur noch das einzige Land sein, in dem es ein Asylrecht gibt. Mit herzlichem] Gruss von uns allen Dein AUGUST.
Vera Zasulic (1851-1919) wurde schon als achtzehnjährige Studentin wegen revolutionärer Tätigkeit zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt und lebte bis 1875 in der Verbannung. 1878 verwundete sie bei einem Attentat den Stadthauptmann Trepow von Petersburg und wurde vom Gericht freigesprochen. Sie gehörte der Gruppe „Zemlja i Volja" an, emigrierte 1880 und gründete mit Plechanow die Gruppe „Befreiung der Arbeit". 1900 war sie Redakteurin der Iskra; aber bei der Spaltung 1903 trennte sie sich von Lenin. Sie übersetzte Marxsche Schriften ins Russische. 6
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Berlin W., Gross-Görschenstr. 40, den 15. Oktober 1894.
Original. Lieber General!
Ihr werdet mittlerweile Euer neues Heim bezogen haben1 und Euch hoffentlich ganz mollig darin befinden. Sobald mir die Hexe wieder schreibt, was ich nicht eher erwarte, bis sie Zeit hat — das arme 1
Engels war von Regent's Park Road Nr. 122 nach Nr. 41 gezogen.
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Ding wird jetzt bös in der Klemme sein, — erwarte ich, dass sie mir eine genaue Schilderung Eurer Wohnung gibt. Deinen Büchern und Skripturen wird's gar nichts schaden, dass sie mal, infolge des Umzugs, einer Generalmusterung unterzogen werden. Das ist der einzige Vorteil, der beim Umzug herausspringt, im übrigen soll einen solchen der Teufel holen. Liebknecht in seine ausländischen Beziehungen zu pfuschen, ist einfach unmöglich. Kein Mensch weiss, an wen er schreibt und was er schreibt; darüber redet er mit niemand, und uns hat es, aufrichtig gesagt, bis jetzt nicht gestört. Wir erfahren nichts. Wollten wir uns jetzt in Dinge mischen, die er als seine Privatangelegenheiten auffasst, so kämen wir in einen schweren Konflikt mit ihm. Wir können erst eingreifen, sobald wir wahrnehmen, dass er uns engagiert, ohne uns zu fragen. Hyndman schwatzt von der deutschen Partei,2 und in der deutschen Partei kümmert sich, mit Ausnahme vielleicht von L[ie]b[knecht], kein Mensch um ihn. Das habe ich auch neulich Bax gesagt in Zür[ich], Die ausländischen Genossen wissen uns übrigens regelmässig zu finden, wenn sie Geld brauchen. So dieses Jahr in zwei Fällen die Schweizer, in einem die Norweger und Holländer und zuletzt wieder die Belgier, denen wir als „Obolus" 1000 Fr[ancs] schickten für die Wahlen.3 Falls auf dem nächsten intern [ationalen] Kongress Hyndman oder Nieuwenhuis mal wieder die Behauptung machen sollte, dass wir nur unter gewissen Bedingungen Geld gäben, verlange ich, dass Umfrage gehalten wird, ob wir irgendwem Bedingungen gestellt. S[inger] hat von Smith nichts über den Kongress gehört. Vermutlich wird es wegen der Arrangements unter den Engländern selbst zu lebhaftem Konflikt kommen; die S[ocial] D[emocratic] Föderation] wird uns aber nicht auf ihrer Seite sehen. Mit Jul[ius] hat ausser L[ie]b[knecht] niemand von uns eine Korrespondenz im Gange. Ich habe ihm seit vielen Monaten nicht geschrieben, auch von anderer Seite erhielt er keinen Brief. L[ie]b[knecht]s Gewohnheit ist's nicht, lange Briefe zu schreiben; dass also Jul[ius] Nachrichten von Belang empfangen sollte, bezweifle ich.
Etwa in der Besprechung von F. Domela Nieuwenhuis' Le Socialisme en Danger (Brüssel, 1894), in Justice, Nr. 557, 15. September. In seinem Briefe an das Blatt in Nr. 559, 29. September „The Danger to Socialism" äusserte er sich über Bernstein und dessen Beziehungen zu Engels in Antwort auf einen Brief Bernsteins in Nr. 558, 22. September. 3 S. darüber Protokoll Frankfurt, S. 38f. 2
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Den Schneider4 kenne ich nicht, wenigstens kann ich mich seiner nicht entsinnen; wenn er dem armen Hyndman ein Trost ist, nur zu. Hätten Hyndm[an] und Konsorten genug bei sich zu tun, käme ihnen gar nicht das Gelüste, sich um die inneren Angelegenheiten der Parteien anderer Länder zu kümmern. Die neue Auflage des „Bauernkriegs" wird Dir auch ein gutes Stück Arbeit machen.5 Du scheinst weiter grosse Pläne zu haben, das freut mich; das zeigt, dass Du Dich wohl fühlst. Dietz will die „Frau" erst im Febr[uar] in Angriff nehmen, was mir schlecht passt; denn nun muss ich eine Nachrevision vornehmen, weil allerlei wieder vorliegt, was ich berücksichtigen muss. Freyb[erger]s Artikel gegen Hegar6 liest sich sehr gut, er hat ihn ganz fein abgeführt. Samstag reisen wir nach Frankfurt. Ich bleibe in Giessen, wo ich Sonntag vormitt[ag] eine Versammlung habe. Victor kommt auch nach Frankfurt. Von Frankfurt reisen wir — fünf bis sieben Mann — nach Würzburg und Rothenburg o/T., das eins der interessantesten alten Nester sein soll, die in Deutschland vorhanden sind. Den 1. November kommen wir wieder nach Hause. Also wir haben uns auf Verschärfung der bestehenden Gesetze gefasst zu machen, die monatelangen Hetzereien haben endlich einen gewissen Erfolg gehabt.7 Wäre der Vorw[ärts] redigiert, wie er redigiert sein sollte, so hätte er diesen Erfolg bis zu einem gewissen Grade verhüten können. Das Blatt könnte tatsächlich das einflussreichste Deutschlands sein; aber am Blatt ist sich niemand dieser Stellung bewusst. Diese Verschärfungen werden uns freilich sehr wenig schaden und vielen unserer Gegner ebenso unbequem werden als uns. Auch ist noch die Frage, wieweit sich der Reichstag auf diese Pläne einlässt.
Er und seine Freunde agitierten gegen „the sweating so widely practised in connection with Government contracts" und wurden von Justice gelobt, Nr. 560, 6. Oktober. 5 Engels führte den Plan einer Neubearbeitung seines Buches nicht aus. « Der Geschlechtstrieb, in der Netten Zeit, Jahrg. XIII (1895), Bd. I, S. 50ff. 7 Am 6. September hatte Wilhelm II. in Königsberg anlässlich der Enthüllung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals zum Kampf gegen den Umsturz aufgerufen: „. . . Nun, meine Herren, an Sie ergeht jetzt mein Ruf: Auf zum Kampfe für Religion, für Sitte und Ordnung, gegen die Parteien des Umsturzes . . . Wohlan denn, lassen Sie uns zusammen in diesen Kampf hineingehen! Vorwärts mit Gott, und ehrlos, wer seinen König im Stiche lässt. . S c h o n vorher hatte er Caprivi, auf den Pressemeldungen zurückgingen, dass gegen die Umsturzparteien keine gesetzlichen Massnahmen ergriffen werden sollten, sagen lassen, er verbitte sich solche Pressefehden. S. etwa Waldersee, Denkwürdigkeiten, Bd. II, S. 322ff. 4
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Hier haben wir mit unseren Gegnern leichtes Spiel. Im preuss[ischen] Abgeordnetenhaus haben sie freiere Hand, da sind sie unter sich. Bringen sie nun eine Verschlechterung des Vereins- und Versammlungsgesetzes ä la Sachsen8 zustande, so ist damit noch nicht gesagt, dass sie es auf die Dauer handhaben können, die Praxis erlahmte auch beim Sozialistengesetz. Dem ununterbrochenen Bohren von unten konnte man nicht standhalten, und das kann man künftig noch weniger. Die ganze Treiberei geht darauf hinaus, Wilhelm Angst zu machen; diesen Stempel trägt die Massowsche Schrift 9 offen an der Stirn. Und das gelingt um so sicherer, da dieser bei seiner Ruhelosigkeit weder zur Überlegung noch zum Beobachten kommt, vorausgesetzt dass er dazu das nötige Zeug hätte. Sieht man die jede Woche neu erscheinenden photographischen Aufnahmen von ihm und seinen Jungens, die in den Läden hängen, so wird auch dem grössten Skeptiker klar, dass es in dessen Oberstube nicht richtig ist. Der Hauptgrund, weshalb man wieder zu Ausnahmegesetzen gegen uns drängt, ist die in der Bourgeoisie immer mehr aufdämmernde Erkenntnis, dass sie dem Abgrund entgegenrollt. Die geschäftlichen Verhältnisse waren in diesem Sommer schon die denkbar schlechtesten, und alles sieht mit grösstem Unbehagen dem Winter entgegen. Und nirgends ein Lichtblick auf Besserung. Wer weiss, ob Du mit Deiner Prophezeiung auf 1898 nicht mehr recht behältst, als Du selbst glaubst. Gegen 1898 verwette ich keinen Dreier.10 Uns geht es nach Wunsch, und ebenso geht in Zürich alles so. Herzlichen Gruss von uns beiden an Dich und Louise und ihren Mann. Dein AUGUST.
In Sachsen wurden sozialdemokratische Versammlungen aufgelöst, sobald darin „öffentliche Angelegenheiten" besprochen wurden; darunter konnten selbst Fragen des Arbeitsverhältnisses verstanden werden. — Waldersee führte die wiederholte Betonung des Kampfes gegen den Umsturz in kaiserlichen Ansprachen darauf zurück, dass der König von Sachsen aus Sorge vor den Sozialdemokraten Wilhelm II. in Königsberg zu der Überzeugung brachte, dass „etwas geschehen" müsse. Ebd., S. 325. • C. von Massow, Reform oder Revolution (Berlin, O. Liebmann, 1894). 10 S. Brief Nr. 163, Anm. 2; 166, 172, 175, 176. 3
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3 0 6 . B E B E L UND J U L I E B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 10. November 1894.
Original. Lieber General!
Victor wird Dir vermutlich schon selbst geschrieben haben, er ist seit Dienstag abend hier, und gab ich ihm Deine Anfrage zu lesen. E r wird noch einige Tage hier bleiben, da es ihm sehr gut gefällt und er durch Verlegung eines Gerichtstermins Zeit hat. Was Du über Vollmar und den Parteitag sagst, unterschreibe ich. 1 Das Mass der Vollmariade ist voll bis zum Überlaufen. Jetzt gehe ich los. Du wirst vielleicht gelesen haben, dass ich am Dienstag die Vertagung einer Parteiversammlung durchsetzte, als ich zum Wort kommen sollte.2 Nachts halb ein Uhr konnte ich mich nicht mehr aussprechen; das soll nächste Woche geschehen, und zwar in einer Weise, die keinen Zweifel mehr lässt, was ich über den Gang der Partei denke.3 Ich war in Frankfurt hart daran, aus dem Vorstand auszuscheiden bzw. kein Mandat mehr anzunehmen, und zwar aus dem einzigen Grunde, damit ich als Parteigenosse ein freier Mann war und keine Rücksicht mehr zu nehmen hatte. Ich liess mich durch Victor und Singer nochmals bestimmen, anzunehmen; ob ich die Stellung auf die Dauer behalte, hängt von dem Gang ab, den die Dinge nehmen. Jedenfalls wird mein Auftreten zu einem gewaltigen Lärm in der gegnerischen Presse führen, der seine besondere Bedeutung angesichts der bevorstehenden Reichstagsverhandlungen erlangt. Für
Engels' Brief liegt nicht vor. Die Aussprache in einer Versammlung des zweiten Wahlkreises am 6. November, in der über den Parteitag berichtet wurde, wurde auf Bebels Antrag vertagt. 3 Die Aussprache wurde am 14. November fortgesetzt; der Vorwärts berichtete ausführlich über Bebels Rede in Nr. 268, 16. November. Er führte aus, dass noch kein Parteitag einen so unbefriedigenden Eindruck hinterlassen habe wie der Frankfurter. Die Partei sei quantitativ bedeutend gewachsen, aber qualitativ nicht verbessert. Insbesondere seien viele gemässigte Elemente in die Partei gekommen. Unerquicklich sei die Behandlung des badischen Parteistreites gewesen. Im Eindringen des Kleinbürgertums in die Partei sei der Hauptgrund für die Zunahme der Gemässigten zu sehen. Bebel kritisierte insbesondere die „partikularistische" Haltung der Bayern. Er liess eine Resolution annehmen, in der bedauert wurde, dass den Süddeutschen in bezug auf die Abstimmung über das Budget keine bestimmte Direktive gegeben werden konnte; gegen Äusserungen der Münchener Post („Sollten die Verhältnisse der einzelnen Länder aus taktischen Gründen zeitweise ein getrenntes Marschieren notwendig machen, so werden wir unsere Gegner doch immer vereint schlagen, und das scheint uns die Hauptsache zu sein") wurde protestiert und darin das bewusste Streben gesehen, die Genossen der einzelnen Länder in künstlichen Gegensatz zu bringen. 1
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letztere wird meine Stellungnahme der Partei selbst nicht schaden, sondern nur nützen. Die Gegner der Verschärfungen werden daraus deduzieren, und mit Recht, dass es Torheit sei, unter solchen Verhältnissen den Entwicklungsprozess der Soz[ial]demokratie zu stören; dass die Gesellschaft nichts Klügeres tun könne, als diesen Prozess ruhig weitergehen zu lassen. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird bestärkt durch die auf unserer Seite weit verbreitete Ansicht, dass ein neues Ausnahmegesetz eine Wohltat für die Partei sei. Sogar Vollmars Frau, die eine sehr gebildete Dame ist, gab mir gegenüber diesem Gedanken am Vorabend des Parteitagsschlusses unverhohlen Ausdruck. Ich sagte ihr denn auch, dass mich diese Auffassung wie die andere, dass ihr das Niveau, auf dem die Leute stünden, noch nie so niedrig vorgekommen sei als diesmal, gerade von ihr aufs höchste überrasche. Ich musste in diesem Moment die Unterhaltung mit ihr unterbrechen, weil ich abberufen wurde; Victor, der bei uns sass, führte sie aber weiter und sagte ihr, dass es aber gerade die Agitationsweise ihres Mannes sei, welche die Partei auf dieses Niveau bringe. Die Landfrage ist so unglücklich als möglich behandelt worden.4 Leider hatte der Parteitag mit den unnützesten Dingen so viel Zeit versäumt, dass hierüber die Debatte skandalös kurz war. Ich war als fünfter Redner eingezeichnet, und vor mir wurde die Debatte geschlossen. Man hätte zwar in zehn Minuten sehr wenig Zeit gehabt, um viel zu sagen, aber doch gerade genug, um vor der verkehrten Richtung, die eingeschlagen wurde, nachdrücklich zu warnen. Ich glaube, Du wirst Veranlassung nehmen müssen, Dich gegen Vollmar zu verwahren, der seine opportunistische Politik mit Deiner Autorität zu decken suchte.5 Wenn Du das tust, so scheue auch vor
Die Debatte darüber wurde auf dem Frankfurter Parteitag durch einen Schlussantrag beendet; es wurde eine Agrarkommission eingesetzt, der alle Anträge überwiesen wurden. 5 Vollmar hatte auf dem Parteitag gemeint, die Franzosen, deren Agrarprogramm er behandelte, hätten sich doch wohl der Zustimmung Engels' dazu versichert. Engels erklärte im Vorwärts Nr. 268, 16. November, eine Billigung des französischen Agrarprogrammes habe er nicht ausgesprochen. Vor der Aufstellung habe er den Franzosen erklärt, die Entwicklung des Kapitalismus vernichte unrettbar das kleinbäuerliche Grundeigentum. Die Sozialdemokraten hätten keinen Anlass, diesen Prozess zu beschleunigen, und gegen Massregeln, den Kleinbauern den Untergang weniger schmerzhaft zu machen, sei nichts einzuwenden. Wolle man jedoch den Kleinbauern permanent erhalten, so erstrebe man etwas ökonomisch Unmögliches, opfere das Prinzip, werde reaktionär. Nach der Annahme habe er erklärt, die Franzosen würden allein stehen mit dem Versuch, nicht nur den Kleinbauern, sondern auch den fremde Arbeit ausbeutenden Kleinpächter zu verewigen. Er stellte eine Darlegung in der Neuen Zeit in Aussicht, die er in dem Aufsatz „Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland" gab, Jahrg. XIII 4
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einem kräftigen Urteil über den Eindruck, den der Parteitag nach aussen gemacht, nicht zurück. Wie der Alte wieder hin- und herfackelt, ersiehst Du aus dem Vorwärts.9 Er wird mir auch jetzt wieder Knüppel zwischen die Beine werfen und alles andere tun als helfen; aber das ist nicht zu ändern, das muss mit in den Kauf genommen werden. Wir sind wenigstens im Vorstand einig. Einen sehr guten Artikel hat der letzte Sozialdemokrat über den Parteitag aus Els[ass-]Lothringen.7 Auch Victors Artikel8 ist sehr gut, obgleich ich den Eingang weniger begeistert gewünscht hätte. Ich bin überzeugt, dass ein energisches und nicht verletzendes Auftreten gegen den Opportunismus in der Partei eine Menge Leute, die bisher mitliefen, stutzig machen und zum Nachdenken bringen wird; auch unter den Bayern gibt es eine Anzahl Genossen, die nur einer Zwangslage folgten, als sie mit Vollmar gingen, und die sich sehr rasch emanzipieren, sobald sie den nötigen Rückhalt finden. Grillenberger, der alles, was er anpackt, mit stiermässiger Hartnäckigkeit erfasst und dann keinerlei Vernunftgründen zugänglich ist, den jeder Widerspruch nur reizt und noch fester in der eingeschlagenen Richtung macht, ist ganz in den Händen Vollmars. Der schlaue Benediktiner 9 weiss ihn zu packen und für seine Zwecke auszunutzen. Wenn ich nächstens Louise antworte, schreibe ich Dir nochmals. Wir gratulieren zum Grossvater;10 hoffentlich ist das Enkelchen ein ruhiges, braves Kindchen, so etwa wie seine Frau Mutter, die sicherlich auch kein Wässerchen trübte, als sie noch so ein kleines Baby war. Nachher freilich... Doch, Bauer, das ist was anderes. Mit herzlfichem] Gruss Dein AUGUST.
(1895), Bd. I, S. 292ff. Engels' Erklärung wurde auch als Anmerkung zu Vollmars Referat in das Frankfurter Protokoll, S. 151, aufgenommen. • So Lafargues Artikel „Der landwirtschaftliche Kredit in Frankreich" in Nr. 259, 6. November, und der Leitartikel „Zum Attentat auf die deutschen Landarbeiter" in Nr. 261, 8. November. 7 Bei der Wahl zum Kreistag in Mülhausen-Süd waren zwei Sozialdemokraten, Bueb und Doppler, gewählt. Nach dem Gesetz vom 25. Dezember 1852 mussten die Kreistagsmitglieder dem Kaiser den Treueid schwören. Beide weigerten sich unter Berufung auf ihre republikanischen Prinzipien und gingen der Mandate verlustig. Der Sozialdemokrat billigte in dem Artikel „Die Eidverweigerung der elsässischen Genossen" in Nr. 41, 8. November, ihre Haltung nicht, aber bezeichnete sie als aus den elsässischen Verhältnissen verständlich. 8 „Zum Frankfurter Parteitag", Arbeiter-Zeitung, Nr. 90, 9. November. • D.i. Vollmar; er hatte die von Benediktinern geleitete Schule St. Stefan in Augsburg besucht. 10 Louise Freyberger bekam eine Tochter, Lulu.
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Die Resolution über die Agrarfrage, die Schoenlank mitbrachte, während Vollmar, Feind jeder klaren Stellungnahme, nichts von ihr wissen wollte, war so mangelhaft, dass nicht einmal dem Gedanken an die Notwendigkeit der Gemeinwirtschaft Ausdruck gegeben war; erst auf mein Betreiben wurde verschiedenes gebessert. Dennoch blieb sie höchst mangelhaft, weil es absolut an Zeit und Ruhe fehlte, sie auszuarbeiten. Schoenl[ank] und Vollm[ar] waren eingeladen, nach Berlin zu kommen; Schoenlfank] hatte aber keine Zeit — was richtig war, — und Vollm[ar] keine Lust. Ich hatte geglaubt, Ihr hättet die Vorlagen für den Reichstag bekommen; ich liess sie Euch jetzt senden. [Von Julie Bebels Hand:] Auch von mir herzlichen Gruss, nächstens schreibe ich auch. Dfeine]
307. ENGELS
AN B E B E L
UND P A U L
JULIE.
SINGEB
Original. An August Bebel und Paul Singer. Die tausend Pfund, die ich Euch „zu Wahlzwecken" vermacht habe 1 — wovon die Erbschaftssteuern abgehen, — musste ich in dieser Form vermachen, weil ich das Geld in keiner anderen Form der Partei derart vermachen konnte, dass das Legat hierzulande gesetzlich gültig war. Dies ist der einzige Grund, weshalb diese Beschränkung gemacht wurde. Sorgt also vor allem, dass Ihr das Geld bekommt, und wenn Ihrs habt, dass es nicht den Preussen in die Finger fällt. Und wenn Ihr über diese Punkte Beschluss fasst, so trinkt eine Flasche guten Wein dazu, solches tut zu meinem Gedächtnis. London, den 14. Nov[ember] 1894.2 FRIEDRICH ENGELS.
1 Diese Bestimmung traf Engels in seinem Testament vom 29. Juli 1893. S. E. Bernstein, „Friedrich Engels' Testament", Vorwärts, Ausg. Der Abend, 18. September 1929. 1 Von diesem Tage stammt das Kodizill „To the Executors named in my will", deutsch bei E. Bernstein, ebd. S. a. Engels an Laura Lafargue und Eleanor MarxAveling 14. November 1894.
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3 0 8 . B E B E L UND J U L I E B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 24. November 1894.
Original. Lieber General!
Ich sende Dir zu Deinem Geburtstag meine allerherzlichsten Glückwünsche; ich hoffe und wünsche, dass Du den Tag munter und vergnügt verlebst und Du uns in diesem Zustand noch recht lange erhalten bleibst. Erst die Vorgänge der letzten Zeit haben ja wieder bewiesen, dass wir Dich noch gar nicht entbehren können und natürlich erst recht nicht entbehren wollen. Um ein Haar hätte ich vergessen, Dir zu schreiben; ich sitze eben über dem Schmieden meiner Artikel gegen Vollmar,1 der dieses Mal — in aller Ruhe, aber feste — eine Tracht Prügel bekommt, wie er sie in seinem Leben noch nicht erhalten hat. Er, der bereits glaubte zu triumphieren, wird merken, dass das ihm denn doch unendlich schwerer gemacht wird, als er glaubt, und dass er, der sich schon am Ziele wähnte, findet, dass es wieder mal nichts ist. Mein erster Artikel kommt Mittwoch, nachdem morgen sein vierter, der dümmste, aber auch der gemeinste, abgedruckt wurde.2 Ich schreibe Dir in Bälde mehr, auch der Hexe, über die ich durch ihren Mann zu meiner Freude hörte, dass sie wieder aktionsfähig ist und sogar ihr Baby selber stillt. Ein Mordsweib. Grüsse sie und ihren Mann von mir herzlich und sei selbst aufs herzlichste gegrüsst von Deinem AUGUST.
Lieber Generali Auch von mir die allerherzlichsten Glückwünsche zu Deinem Geburtstage. Möchtest Du in der neuen Wohnung, die uns Louise so schön 1 Als Antwort auf Vollmars Artikelserie „Bebels Fahnenerhebung", Münchener Post, Nr. 265, 266, 267, 269, 21.-25. November, im Vorwärts u.d.T. „Zur Diskussion über den Frankfurter Parteitag", Nr. 273, 274, 276, 23., 24., 27. November. In sehr scharfer Weise beschuldigte Vollmar Bebel der Disziplinlosigkeit. Wie er, der als Mitglied des Parteivorstandes darüber zu wachen habe, dass Parteitagsbeschlüsse befolgt würden, schon in Erfurt gedroht habe, gegen einen eventuellen Beschluss zugunsten Vollmars die Bebellion in der Partei anzuführen, so habe er in unbändigem Eigensinn in seiner Berliner Bede vom 14. November (s. Brief Nr. 306, Anm. 3) versucht, seinen Willen, unbekümmert um den Parteitagsbeschluss, durchzusetzen. Wie seinerzeit die Jungen, so bringe Bebel Zwietracht in die eigenen Beihen, indem er mit dem Gespenst der „Versumpfung" und Kleinbürgerei operiere, das in seiner Einbildung ungeheuerliche Dimensionen annehme. 2 Nachdem im Vorwärts Nr. 274, 24. November eine „Erklärung" Bebels erschienen war, brachte Nr. 277, 28. November seinen ersten Artikel „Zur Entgegnung".
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schildert, recht gesunde und glückliche Jahre verleben, zu denen hoffentlich das kleine Menschenkind auch beitragen wird; man wird wieder jung in solcher Gesellschaft. Ich freue mich wenigstens riesig auf das Wiedersehen meines Enkelchens, dessen Entwicklung die Kinder nicht genug rühmen können. Er ist jetzt neun Monate und fängt an, Mensch zu werden. Am liebsten möchte ich schon heute fort von hier, wo ich nichts mehr höre und sehe von der angenehmen Situation, die hier herrscht. Indes es muss durchgefochten werden wie so vieles schon, um so mehr als August die Geschichte heraufbeschworen,3 allerdings ohne zu denken, dass sie so ausarten würde. Doch für heute muss ich schliessen, da ich leider nicht in der Stimmung bin, Dir einen hübschen Geburtstagsbrief zu schreiben; aber vielleicht ist es ein andermal der Fall. Grüsse bitte Louise herzlich, natürlich auch den Herrn Doktor. Mit dem Wunsche, dass Du Deinen Geburtstag recht gesund und vergnügt verleben mögest, grüsst Dich aufs herzlichste Deine JULIE
BEBEL.
® Nämlich durch die Rede vom 14. November.
3 0 9 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 8. Dezember 1894.
Original. Lieber General!
Ich habe zwar vorhin erst einen aus Versehen liegengebliebenen Brief an die Hexe abgesandt und auch einiges darin über das neuerdings Geschehene bemerkt, will Dir aber auch noch rasch ein paar Zeilen antworten. Der dritte und vierte Artikel haben gehörig eingeschlagen, und ist schwer zu sagen, welcher am meisten, sie gehörten eben zusammen.1 Die demokratische Etiquettenverletzung ist mir nicht den zwanzigsten Teil so übelgenommen worden als die Geldgeschichte.2 Diese Versammlungsvoten weiss man in der Partei recht gut zu schätzen, 1 Bebels zweiter Artikel gegen Vollmar erschien in Nr. 278, 29. November; der dritte in Nr. 279, 30. November; der vierte in Nr. 280, 1. Dezember. 8 Vollmar und Bebel hatten die Gewährung eines Darlehns von 12.000 Mark seitens des Parteivorstandes an die Münchener Post in ihren Artikeln behandelt. Bebel betonte, dass der Vorstand das Blatt weiter den Münchenem überlassen und sich um die Besetzung der Redaktion nicht gekümmert habe, obgleich die Bayern ihm die Übernahme des Blattes angeboten hätten.
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namentlich wenn das betreffende Publikum zuvor bearbeitet wurde. Auch hat die Stelle aus dem Erfurter Protokoll die rechte Wirkung geübt. Jedenfalls hat die Partei diesmal über Vollmar so viel reinen Wein eingeschenkt erhalten wie noch nie, und dieser Tatsache gegenüber schätze ich es sehr gering, dass man die Massen in München und Nürnberg gegen mich verhetzt hat.8 Die Sache steht so, dass der Sieg auf unserer Seite ist und Vollmar und Grillenb[erger] in sehr gedrückter Stimmung abzogen heim zu „ihren väterlichen Ochsen". Ich nehme nach dem Reichstag den Kampf in Broschürenform auf,4 auf die Gnade Liebknechts will ich nicht mehr angewiesen sein. Den in München durch den bayerischen Parteitag 5 geschlossenen „Sonderbund" hätte ich schlecht verwerten können. An sich war gegen den Parteitag und seine Beschlussfassung nichts zu sagen. Du musst bedenken, dass sich allmählich überall Landes- und Provinzialleitungen herausgebildet haben, so in Sachsen, Württemberg, Baden, Prov[inz] Brandenburg, Rheinland-Westfalen etc. etc., welche Landesangelegenheiten behandeln und die Agitation betreiben. Diese Dezentralisation ist bei der Ausdehnung der Partei unausbleiblich geworden. Perfid war nur, dass Vollmar den Parteitag kurz vor dem deutschen einberufen liess und dort die Höduren zu einem Vertrauensvotum bestimmte, in dem von der Budgetabstimmung keine Rede war, die aber mit darin lag, und so die Bayern vor die Alternative stellte, entweder gegen sich selbst zu stimmen oder jeden Eingriff abzuwehren. Was ausgesprochen werden muss, und was dann aller Sonderbündelei die Spitze abbricht, ist, dass der Parteitag die oberste Vertretung in (dien Angelegenheiten der Partei ist; dass er das Recht hat, die Richtschnur für das Handeln aller Genossen in ihrer Parteitätigkeit vorzuschreiben, und dass alle Genossen, einerlei ob Reichs- oder Landtagsabgeordnete, Bezirks- oder Gemeindevertreter, Redakteure oder Agitatoren für ihr Handeln vom Parteitag zur Rechenschaft gezogen werden können. Eine solche Resolution wird mit immenser Mehrheit angenommen, und dann ist der Streitpunkt ein für allemal aus der Welt geschafft,
® In einer Parteiversammlung am 27. November in München und einige Tage darauf in Nürnberg wurden Resolutionen angenommen, in denen dagegen protestiert wurde, dass „den bayerischen Genossen die ihnen zu gemeinsamen Parteizwecken aus der Parteikasse zur Verfügung gestellten Geldmittel öffentlich vorgeworfen worden seien". 4 Das geschah nicht. 5 Der zweite Parteitag der Bayerischen Sozialdemokratie tagte am 30. September und 1. Oktober in München; Protokoll, 64 S. (Nürnberg, o.J.).
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dass der Parteitag kein Recht habe, in Landesangelegenheiten zu reden. 9 Die Frage mit den Vertrauensmännern ist anders; da hat seinerzeit Vollmar in Halle behauptet, dass ihre Gesetzgebung solche zu wählen verbiete. 7 Hier wird auf dem nächsten Parteitag auch eingesetzt werden müssen. Es muss ausgesprochen werden, dass jeder Wahlkreis, in dem organisierte Genossen vorhanden sind, verpflichtet ist, dem Vorstand einen Vertrauensmann anzuzeigen. Im übrigen ist die Situation der Partei so günstig wie möglich. Der Kampf unter uns hat den Vorteil gehabt, den ich voraussagte, dass selbst bei den Angstschissern die Furcht vor der Partei abgeschwächt wurde und sie deshalb der Umsturzvorlage skeptischer gegenüberstehen. Des weiteren ruft die Debatte über die U[msturz-]Vorlage 8 in der Presse immer mehr Bedenken hervor. Man sieht, dass eigentlich alle Parteien bedroht sind. Ich denke, es wird gelingen, die §§ 130 und 131,® welche die gefährlichsten sind, und einige andere ganz auszumerzen. Ein anderer Teil der Anträge wird angenommen in abgeschwächter Form, so dass schliesslich die Regierung ein Messer ohne Heft und Klinge in die Hand gedrückt bekommt. Herzlfichen] Gruss von uns an Euch alle Dein AUGUST.
'
Der Breslauer Parteitag 1895 beschäftigte sich nicht mit dieser Frage. Vollmar hatte, Protokoll Halle, S. 132f., ausgeführt, die §§ 3-5 des Organisationsstatutes über Vertrauensmänner seien in Bayern nicht auszuführen; es sei eine ganze Reihe von Gefängnisurteilen wegen Geheimbündelei ergangen. Daher wurde im § 6 ausdrücklich die Möglichkeit geschaffen, dort, wo aus gesetzlichen Gründen die Wahl und Anmeldung der Vertrauensmänner unausführbar sei, den örtlichen Verhältnissen entsprechend zu verfahren. Der Breslauer Parteitag befasste sich nicht damit. 8 Dem Reichstag lag der Gesetzentwurf vor, das Strafgesetzbuch, das MilitärStrafgesetzbuch und das Gesetz über die Presse dahin zu ändern und zu ergänzen, dass nicht nur strafbare Handlungen, sondern auch die Aufforderung dazu und ihre Bezeichnung als erlaubtes Vorgehen zu bestrafen seien. Er betraf Widerstand gegen die Staatsgewalt, Verbrechen und Vergehen gegen die öffentliche Ordnung, die Aufforderung von Militärpersonen zu Ungehorsam, die Beschimpfung von Religion, Monarchie, Ehe, Familie und Eigentum. Die Debatte darüber wurde am 17. Dezember und vom 8.-12. Januar 1895 gehalten; s. Umsturz und Sozialdemokratie, nach dem offiziellen stenographischen Bericht (Berlin, 1895). * Sie bedrohten u.a. mit Geld- oder Gefängnisstrafe denjenigen, der erdichtete oder entstellte Tatsachen, „von denen er weiss oder den Umständen nach annehmen muss", dass sie erdichtet oder entstellt sind, behauptet, um dadurch Staatseinrichtungen oder Anordnungen der Obrigkeit verächtlich zu machen. 7
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3 1 0 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 18. Dezember 1894.
Original. Lieber General!
Heute oder vielmehr gestern haben wir glücklich den Präsidenten gezwungen, das Haus zu vertagen,1 was eine neue Schlappe für die Regierung bedeutet. Ihre Umsturzvorlage ist damit abermals um soundso viel Tage hinausgeschoben. Die gegnerischen Parteien gedachten mit Rücksicht auf die Lage, nur unseren Redner — das wäre zunächst Auer gewesen,2 — zum Wort zu lassen und dann sich mit Erklärungen abzufinden, um nach Hause zu können. Von dem Plan bekamen wir Wind, und so haben wir ihnen das Spiel durchkreuzt. Nach Neujahr müssen sie nunmehr in einer mehrtägigen Debatte Rede and Antwort stehen. Die Regierung ist unsterblich blamiert. Einmal durch die geistige Inferiorität ihrer Häupter, die am Samstag in wahrhaft bemitleidenswerter Weise aller Welt offenkundig wurde, und dann durch ihr Vorgehen im Falle Liebknecht.3 Ich habe am Samstagabend noch in letzter Stunde gehörig ausgepackt, so dass, als ich meine Stenogrammkorrektur las, ich selber überrascht war über die Hiebe, die ich ausgeteilt.4 Bevor ich zum Wort kam, befand ich mich in gar keiner besonderen Stimmung, aber „der Geist kam über mich". Ich sende Euch das Stenogramm, da meine Rede in den Berichten in einer unglaublichen Weise verhunzt wurde. Als ich nachträglich einen Berichterstatter frug: warum sie einen so elenden Bericht gemacht, erklärte er: uns war die Geschichte zu interessant, wir haben Ihnen alle zugehört. In der Sitzung am 17. Dezember begründete Staatssekretär Nieberding die Umsturzvorlage, wobei er sich vor allem auf Zitate aus der Freiheit und dem Sozialist sowie von Bakunin und Kropotkin stützte. Da das Haus nicht beschlussfähig war, wurde die Debatte auf Antrag Singers vertagt. 2 Er kam am 8. lanuar zu Worte. 3 Liebknecht war am 6. Dezember bei der Reichstagseröffnung beim Kaiserhoch sitzen geblieben. Der Staatsanwalt beim Landgericht I in Berlin sah darin eine Majestätsbeleidigung; seinen Antrag auf Aufhebung der Immunität Liebknechts lehnte der Reichstag jedoch am 15. Dezember in namentlicher Abstimmung mit 168 gegen 58 Stimmen ab. 4 In der Sitzung am Sonnabend, 15. Dezember führte er aus, dass er in den siebziger Jahren wiederholt beim Hoch auf den Kaiser sitzen geblieben sei, ohne dass man davon Notiz genommen habe. Übrigens sässen auf der Rechten viele Abgeordnete, die in den letzten Jahren das Hoch nicht mit Freude ausgebracht hätten. Wegen seiner Äusserung, eine die Verstärkung der Disziplinargewalt des Reichstags und des Präsidenten gegen die Mitglieder fordernde Resolution beweise die deutsche Bedientennatur, wurde er wegen Beleidigung der deutschen Nation zur Ordnung gerufen. 1
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Hohenlohe5 ist ein altes, stumpf gewordenes Männchen, der einen kläglichen Eindruck macht, und Koller6 hat sich benommen wie ein Mann, der ein Brett vor dem Kopfe hat. Was er, beiläufig bemerkt, auch besitzt. Durch Geist und besonderen Verstand hat er sich nie ausgezeichnet, und gescheiter ist er seit früher nicht geworden. Auch der neue Justizminister7 hat sehr unglücklich debütiert; kurz, es gelingt nichts mehr, alles geht schief. Das heutige Debüt des Staatssekretärs Nieberding8 war auch ein höchst unglückliches; man hörte dem Mann an, dass ihm die Sache herzlich schwer wurde. Es wird nett werden, namentlich wenn die Regierung, was sicher ist, in das agrarische Fahrwasser einlenkt; sie kann der Agrargesellschaft nur helfen, wenn sie schwer Geld opfert, und was sie dort opfert, muss sie auf der anderen Seite doppelt hereinholen. Aber woher? Der Parteitag muss feststellen, dass er die oberste Instanz in allen die Partei berührenden Angelegenheiten ist; das muss dann näher präzisiert werden, so dass es kein Ausweichen mehr gibt. Alsdann kann niemand mehr kommen und sagen: „Das sind Interna, die gehen den Parteitag und die Parteileitung nichts an." Ein solcher Antrag wird mit überwältigender Mehrheit angenommen, und machte Vollm[ar] den Versuch, dagegen zu opponieren, desto grösser ist die Majorität. Den Leuten ist durch die jetzige Presserörterung klargeworden, wohin man steuert, und da tun sie denn doch nicht mit. Sobald ich den Stenograph[ischen] Bericht der Liebk[necht-]Rede in einem zweiten Exemplar habe, sende ich ihn ebenfalls. Wir reisen den 20. [Dezember] abends ab nach Zürich. Den 5. Januar reise ich wieder zurück. Ich habe in Offenburg eine Parteiangelegenheit zu ordnen, weshalb auch Dietz hinkommen soll; mit dieser sind wir den 6. fertig, und so kann ich den 7. wieder hier sein. Die Bücher sind angekommen. Herzlichen Dank! L[ie]b[knecht] und das Archiv werde ich mit dem Zugedachten versehen. Jetzt brauchte ich aber auch ein paar Monate Zeit, um die Bücher zu studieren. Die einzige Rettung ist Gefängnis oder Durchfall bei einer Wahl.
Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1819-1901) wurde nach Caprivis Sturz am 29. Oktober 1894 Reichskanzler und preussischer Ministerpräsident. 6 E r war seit dem 29. Oktober 1894 preussischer Minister des Innern. 7 Karl Heinrich von Schönstedt (1833-1924), Präsident des Oberlandesgerichtes in Celle, war von November 1894 bis 1905 preussischer Justizminister. 8 Rudolf Arnold Nieberding (1838-1912) war von 1893 bis 1909 Staatssekretär des Reichsjustizamtes. 5
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Vergnügte Feiertage! Bitte gib Beilage an die Hexe ab, und sei von Julie und mir herzlichst gegrüsst. Dein AUGUST.
3 1 1 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 13. Januar 1895.
Original. Lieber General!
In aller Eile wenige Zeilen. Ich möchte Dich um eine nochmalige Abschrift des vierten Briefes von Miquel1 bitten, die mir verlorenging. Diese Abschrift pressiert nicht so sehr; es genügt, wenn ich sie nächste Woche habe. Dagegen wären mir sehr erwünscht einige Angaben über die grossen englischen Streiks, bei welchen es zu harten Zusammenstössen sei es mit der Polizei, sei es mit dem Militär gekommen ist. Ich will den Herrn in der Kommission unter die Nase reiben, was in England alles passiert, ohne dass es einem Menschen einfällt, nach Ausnahmegesetzen oder Verschärfung der Gesetze zu schreien. Ich habe überhaupt ein hübsches Material zusammen von Genossen der Bennigsen und Konsorten aus früheren Jahrzehnten, wo die Herren Dinge gesagt, die alles übertreffen, was wir heute zu sagen wagen.2 In der Kommission liegt der Hauptkampf; die Vorlage muss dort ruiniert werden. Was aus der Kommission kommt, ist hernach kaum noch zu ändern; denn dann sind die Parteien durch ihre Vertreter engagiert. Die §§ 130 und 131 fallen sicher, aber es muss mehr fallen. Einzelne Paragraphen sind weit schlimmer, als bisher durch die Reden hervortrat. Wenn mir's gelingt, in der Umsturzkommission denselben Erfolg zu erzielen, wie in der lex Heinze-Kommission, dann bin ich zufrieden. Das Verzeichnis der Schriften, die über die Zeit von [18] 43-48 im Archiv vorhanden sind, werde ich Dir senden, sobald Julie wieder zurück ist, was spätestens heute über acht Tage der Fall sein wird. Ich kann es nicht machen, wegen Mangel an Zeit. Gibst Du einmal Eure erschienenen Arbeiten heraus, dann solltest Der Anfang 1857 geschriebene Brief an Marx, s. Die Neue Zeit. XXXII. Jahrg. (1914), Bd. II, S. 71ff. 8 Bebel sprach bei der zweiten Beratung des Gesetzentwurfes am 9. Mai, s. Umsturz und Sozialdemokratie, S. 321ff. E r zitierte dabei Fichte, R. von Gottschall, R. Zimmermann, W. Jordan, E. Rittershaus, H. von Treitschke, 1
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Du auch weitergehen und die M[arx] sehen Manuskripte veröffentlichen, die Du noch im Belitz hast und aus irgendwelchem Grunde seinerzeit nicht veröffentlicht wurden. Hier ist eine Stimme, dass die Vertretung der Vorlage durch die Reg[ierungs-]Vertreter so kläglich war wie nie, und diesen jammervollen Eindruck empfinden die Herren selbst. Alle Autorität ist zum Teufel, das fühlt und spürt man überall, und deshalb ist sehr fraglich, ob die Herren zu einer Auflösung schreiten, falls sie nichts erhalten. Die Verhandlungen können so kommen, dass in der Kommission so wenig übrigbleibt, dass die Fraktionen der Rechten erklären, dann lieber gar nichts haben zu wollen, und in der Schlussabstimmung mit der Linken gegen den geretteten Rest stimmen. Das hätte dann noch den besonderen Vorteil, dass nach der gehandhabten Geschäftspraxis alsdann die ganze Vorlage im Plenum zur Spezialberatung käme, was uns die erwünschte Gelegenheit zu einer Anzahl sehr wirksamer Reden gäbe. Im Reichstag war die Meinung obwaltend, dass von allen Fraktionen die sozialdemokratische während der Umsturzverhandlungen die vergnügtesten Gesichter machte. Als Koller seinen Zitatensack öffnete,3 kamen wir überein, ihn mit keinem Wort zu unterbrechen, was ihm scheusslich unangenehm war. Den Kriegsminister kaufe ich mir bei anderer Gelegenheit; den hat Frohme zu wenig geschüttelt,4 wie er denn überhaupt viel zu glimpflich mit der Gesellschaft umging. Soeben kommt Freybergers Brief, und so will ich noch ein paar Zeilen beilegen mit der Bitte, sie ihm zu behändigen. Mit herzlichem] Gruss Dein AUGUST.
Er sprach am 11. Januar, ebd., S. 164ff; seine Zitate waien z.T. bereits vom Innenminister von Puttkamer bei den früheren Sozialistengesetz-Debatten benutzt. 4 Frohme sprach am 12. Januar, ebd., S. 225ff.
s
3 1 2 . B E B E L UND J U L I E B E B E L
AN
ENGELS
Berlin W., den 4. Februar 1895.
Original. Lieber General!
Fischer hat die Gepflogenheit neuerdings, solche kleinere Sachen in so starker Auflage herstellen zu lassen, dass er sie billigst abgeben 791
kann (zwanzig- bis dreissigtausend Ex[emplare]). Honorar ist dabei alsdann nicht sehr hoch. Wird eine solche Auflage nicht beliebt, dann empfiehlt sich, höchstens fünftausend Exempl[are] abziehen zu lassen, weil bei dem höheren Preis, der alsdann gestellt wird, das Bedürfnis damit gedeckt wird. Du musst selbst entscheiden, wozu Du Dich entschliessen willst. F[ischer] wird Dir, denke ich, auch verschiedene Vorschläge machen.1 Die gewünschte Liste bekommst Du diese Woche.2 Ich bin jetzt furchtbar in Anspruch genommen, man kommt kaum zu Atem. Ist keine Plenarsitzung wie heute, so haben wir sechs bis sieben Stunden Umsturz von zehn Uhr heute bis nach vier Uhr. Ich war neulich sehr optimistisch, als ich Dir schrieb: es käme nichts heraus bzw. es sei nichts zu befürchten. Oben drückt man aufs äusserste, und das elende Zentrum gibt nach. Heute wieder haben die Herren anfangs aufs lebhafteste sich gewehrt, schliesslich erklärten sie sich doch zu einem Kompromiss bereit. Wenn die Vorlage Gesetz würde, stände man jeden Tag mit dem einen Fuss im Gefängnis. Oben tut man, als fürchte man, die Sintflut breche morgen herein. Die Verhandlungen sind äusserst interessant; schade, dass keine ordentlichen Berichte in die Öffentlichkeit kommen. Was wird, lässt sich gar nicht sagen; kein Mensch weiss, wie schliesslich der Hase läuft. Die Reg[ierungs-] Vertreter drohen bei jeder Gelegenheit mit einem Appell an das Land. Käme es dazu, dann wird die Wahl eine Haupt- und Staatsaktion ersten Ranges. Später mehr. Herzlichen Gruss Euch allen Dein A.
BEBEL.
Lieber General! Es folgen noch neun Adressen, aber der Brief soll fort, und da muss ich einstweilen aufhören damit; im nächsten Briefe folgen sie aber nach. Recht herzliche Grüsse Dir und Familie Freyberger von Deiner
jULIE
1 Er hatte Engels schon am 27. Januar 1894 vorgeschlagen, seine und Marx' kleineren Schriften und Aufsätze in Lieferungen herauszugeben. Am 30. Januar 1895 bat Fischer um die Herausgabe der Aufsätze von Marx aus dem Januar-, Februar- und Märzheft der Neuen Rheinischen Zeitung, Politisch-ökonomische Revue vom Jahre 1850; sie erfolgte u.d.T. Klassenkämpfe in Frankreich, mit einer Einleitung von Engels. Am 13. April 1895 regte Fischer die Herausgabe von Marx' Aufsätzen aus der Rheinischen Zeitung in derselben Form an. Sie wurden erst in Mehrings Nachlass-Ausgabe wieder veröffentlicht. 8 S. Brief Nr. 313, Abs. 1.
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3 1 3 . B E B E L AN E N G E L S
Original.
Berlin W., den 18. Februar 1895. Lieber General!
Anbei der Rest des Verzeichnisses der Schriften. Der Vorrat ist nicht gar zu gross, und jetzt sind die Sachen aus jener Zeit sehr schwer zu haben und zu ganz horrenden Preisen. Ein Exemplar der Neuen Rhein[ischen] Zeitfung] ist auch im Büro, ebenso die „Revue" der N[euen] Rhfeinfachen] Zeitfung], wie Du bereits durch Fischer erfahren haben wirst. Mit Mehring bin ich noch nicht zusammengekommen, um ihn zu fragen; ich vermute, dass er die Rh[einfache] Zeitfung] und sonstiges aus den verschiedenen Bibliotheken bezogen hat. In Deutschland ist die Reaktion in vollem Zuge. Umsturzvorlage, Justizvorlage, Gewerbeordnungsvorlage etc. sind die Glieder einer Kette, die geschmiedet wird, um uns das Leben so sauer als möglich zu machen. Es heisst — da keine Aussicht vorhanden ist, dass diese Vorlagen bis zum gewöhnlichen Reichstagsschluss verabschiedet werden können, — es solle eine Vertagung der Session eintreten, damit die Arbeiten der Kommissionen nicht für die Katze sind. Nun setzt die Regierung nicht durch, was sie haben will — bei weitem nicht —; aber was sie bekommt, ist gerade genug. Das Zentrum ist in voller Arbeit beim Kompromiss, und das hat die Entscheidung in der Hand. Was wir in der Umsturzkommission von den Reg [ierungs-] Vertretern zu hören bekommen, übertrifft alles, was ich für möglich gehalten. So ein rückhaltloses Aussprechen in bezug auf die Gefahren, die vorhanden sein sollen, ist noch nicht dagewesen. Militärverwaltung und Justiz gehen Hand in Hand. Hört man diese, dann stehen wir unmittelbar vor der Katastrophe, alles ist unterwühlt. Und das führt man nicht einmal aus, das wiederholt sich bei jeder Gelegenheit. Die Leute gehen so weit, dass sie bei diesen Ausführungen das Opfer des Intellekts bringen und juristische Monstrositäten zu begründen versuchen, die wir ihnen zerzausen. Die Verhandlungen nehmen einen schneckenhaften Fortgang, woran die Hauptschuld unsere Reden tragen, welche die Gegner nötigen, alle Augenblicke sich in allgemeine Debatten zu verlaufen. Wie die Verhandlungen enden, lässt sich nicht sagen. Steht das Zentrum in Sachen seiner eigenen Anträge fest — namentlich Duellwesen 1 —, dann wird die Vorlage für Konservative und Nationalliberale Der Zentrumsantrag, die Anreizung zum Duell bei § 2 1 0 StrGB auch dann unter Strafe zu stellen, wenn es nicht zum Zweikampf gekommen sei, wurde in
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unannehmbar. Aber ich fürchte, man kriecht zu Kreuze. Die weitgehendsten Anträge, die wir in bezug auf das Duell zu verhandeln haben, hat nur ein Mitglied des Zentrums gestellt. Auf meine Frage, ob seine Parteigenossen mit dafür stimmten, bejahte er dieses; aber ich glaube nicht daran. Die Zerfahrenheit wird alle Tage grösser, die Agrarier haben wieder Oberwasser; aber was sie verlangen, ist unausführbar. So wird die Zeit mit den nutzlosesten Dingen vertrödelt, etwas Greifbares kommt nicht heraus, und draussen wird die Stimmung immer schlimmer. Es ist natürlich, dass man unter solchen Umständen oben in verzweifelte Stimmung gerät. Ich sagte neulich den Herren: ich begriff ja ihre Stimmung, ich möchte auch nicht in ihrer Haut sein und bedauerte sie; aber vernünftigerweise müssten sie doch zugeben, dass nicht wir diese Zustände geschaffen hätten, dass das die Früchte ihrer eigenen Gesellschaftsordnung seien. Aber dem Ertrinkenden soll der Teufel Vernunft predigen. Im Agrarausschuss2 habe ich fast alles durchgesetzt, was ich durchsetzen wollte; die Vollmar und Gen[ossen] mussten schliesslich klein beigeben, was ihnen herzlich sauer wurde, aber die Gründe waren stärker. Ich schicke Euch nächster Tage verschiedene Reichstagsberichte, sobald ich sie habe. Wir haben einen grimmigen Winter, und nach dem, was aus England verlautet, habt Ihr auch Euer Teil davon abgekriegt. Mit Wien sind wir im Augenblick ganz ausser Fühlung; ich will, sobald ich kann, schreiben. Frau Emma scheint es sehr übelgenommen zu haben, dass wir keine Begeisterung für das von ihr zusammengestellte Kinderlesebuch8 haben. D[ie]tz, der anfangs die Herausgabe übernommen hatte, hat sie wieder abgesagt, weil er fürchtet, ein gehöriges Defizit zu haben, und er hat solche bei anderen Unternehmungen genug auf dem Hals. Neue Zeit, „Geschichte des Sozialismus"4 etc. Letztere hat der zweiten Beratung der Kommission abgelehnt. S. Abg. Gröber darüber in der Reichstagssitzung am 10. Mai, Umsturz und Sozialdemokratie, S. 401ff. 1 Der Frankfurter Parteitag wählte eine aus fünfzehn Mitgliedern bestehende Agrarkommission; ihr gehörten an Bassler, Bebel, Birk, Bock, David, Geck, Hug, Katzenstein, Liebknecht, Molkenbuhr, Quarck, Schippel, Schoenlank, Schulze, Vollmar. ' Emma Adlers Buch der Jugend. Für die Kinder des Proletariats herausgegeben, erschien Berlin, Buchhandlung Vorwärts, 1895. 4 Der erste Band der Geschichte des Sozialismus in Einzeldarstellungen, „Die Vorläufer des Neueren Sozialismus', erschien 1895 unter der Redaktion von Kautsky und Bernstein mit Beiträgen von Kautsky, Bernstein, Lafargue und Hugo. S. darüber Engels an Kautsky 25. März, 6. Mai 1895, Kautsky an Engels 21. Mai 1895.
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vorläufig nur die Hälfte der Abonnenten, auf die er rechnete. Der Markt ist überfüllt, und die Zeiten sind schlecht. Der Hexe schreibe ich einen besonderen Brief. Herzlichen Gruss von Julie und Deinem AUGUST.
3 1 4 . B E B E L AN E N G E L S
Berlin W., den 11. März 1895.
Original. Lieber General!
Ich las heute Deinen Brief an Fisch [er]. 1 Ich finde, Du gehst von falschen Voraussetzungen aus. Wir muten Dir nicht zu, etwas zu sagen, was Du nicht sagen willst und nicht sagen darfst, sondern etwas nicht zu sagen, was im Augenblick, wenn es gesagt wird, uns nur Verlegenheit bereitet. Was Du schreibst, wird aufmerksam gelesen und beachtet, wie sich das gegenüber dem Haupt der Partei geziemt. Deine Äusserungen wären Wasser auf die Mühle der Gegner, die nur wünschen, dass wir ihnen im Augenblick sagten, was wir tun, wenn wir die Macht hätten. Wir verleugnen nichts, aber ebensowenig sagen wir, was sie gern hören möchten. Es ist niemand eingefallen, zu sagen, wir werden künftig den „gesetzlichen" Weg wandeln, 2 wir haben gar keinen Zweifel darüber gelassen, dass der natürliche Lauf der Entwicklung 1 Es handelt sich um Engels' Brief an Fischer vom 8. März 1895 über seine Einleitung zur neuen Ausgabe von Marx' Klassenkämpfe in Frankreich. Engels begründete darin, warum er einige vom Parteivorstand gewünschte Änderungen wohl, andere jedoch nicht vornehmen könne. Das Manuskript der Einleitung mit Engels' eigenhändigen Änderungen befindet sich im IISG. Die Auslassungen wurden zuerst von N. Rjazanov in Unter dem Banner des Marxismus, Jahrg. I (1925), S. 160ff. veröffentlicht. Die dort ausgesprochene Vermutung, dass es sich um gegen Engels' Willen vorgenommene Änderungen handele, trifft nicht zu. In der von Engels gewünschten Form wurde die Einleitung in der Neuen Zeit, Jahrg. XIII (1895), Bd. II, S. 5ff., 36ff. und in der Buchausgabe veröffentlicht. Engels' Protest, s. Engels an Kautsky 1. April 1895, bezog sich lediglich auf Liebknechts gekürzte Veröffentlichung der Einleitung u.d.T. „Wie man heute Revolutionen macht" im Vorwärts, Nr. 76, 30. März. S.a. Friedrich Engels' Briefwechsel mit Karl Kautsky, S. 430; K. Kautsky, „Engels' politisches Testament", in Der Kampf, Jahrg. XVIII (1925), S. 472ff. 2 Es handelte sich um die Änderung einiger Stellen in Engels' Einleitung, die der Parteivorstand im Hinblick auf die augenblicklich in der Kommission für die Beratung der Umsturzvorlage gepflogenen Verhandlungen für taktisch sehr ungeschickt hielt.
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uns die Macht in die Hände liefere, über das Wie haben wir uns nicht ausgesprochen; wir haben nur bestritten, dass wir Neigung hätten, mit den neuen Repetiergewehren Bekanntschaft zu machen. Die Stimmung ist so, dass jede Ungeschicklichkeit unsererseits dem Zentrum den erwünschten Vorwand lieferte, dem Gesetz zustimmen zu können. Du irrst auch, wenn Du glaubst, die Vorlage sei gefallen; alles, was darüber geschrieben wird, ist Klatsch. Es fällt der Regierung nicht ein, die Vorlage zurückzuziehen, und ist sie nicht vollkommen verbohrt, so greift sie mit beiden Händen zu und erklärt bei Schluss der ersten Lesung in der Kommission: Angesichts der Stimmung und der Verhältnisse das zu nehmen, was die Kommission beschlossen habe; hoffend, später gelegentlich mehr zu bekommen. Die Beschlüsse der Kommission zu den §§ lila, 112, 126 und 129a 3 sind so, dass die Regierung bekommt, was sie vor einem Jahr sich noch nicht konnte träumen lassen und jedermann für unmöglich gehalten hätte. Die Paragraphen sind zwar gegen die Reg [ierungs-] Vorlage sehr abgeschwächt, aber sie sind jetzt so, dass sie dem unserem Strafrecht zugrunde liegenden Gedanken angepasst sind, während die Vorlage der Regierung dasselbe auf den Kopf stellte und die Ergänzung des Strafrechts durch die Vorlage eine ganze Reihe neuer Änderungen und Verschärfungen zur Folge gehabt hätte. Das habe ich wiederholt nachgewiesen, und keiner der Herren in der Regierung konnte mich widerlegen. Das Zentrum kann auch ohne allzu grosse Gefahr den mit seiner Hilfe zustande gekommenen Paragraphen zustimmen, wenn man bedenkt, dass der Hauptteil der Elemente, auf die es sich stützt, reaktionär ist. Ihm liegt die Entwicklung der Soz[ial]demokratie auch schwer im Magen, und da es so wenig weiss, mit uns fertig zu werden, wie die Regierung, so greift es zu denselben Mitteln, nur nicht zu so plumpen wie jene. Das Zentrum ist jetzt auf allen Gebieten zum Mogeln geneigt, das hat der Militär- und der Marineetat gezeigt; die neuen Steuern kann man für dieses Mal noch umgehen, da die Einnahmen sich wider Erwarten gehoben haben, und so tut man schliesslich nichts, was den Wählern zu sehr vor den Kopf stösst. Bringen sie nun gar die Jesuiten heim,4 so haben sie eine Masse Gimpel gefangen. Die Kosten haben also schliesslich wir zu bezahlen, und wenn wir S. Brief Nr. 309, Amn. 8. Der Reichstag beschloss am 1. Dezember 1893 und am 20. Februar 1895 die Aufhebung des Jesuitengesetzes von 1872. Der Bundesrat lehnte die Aufhebung ab Dasselbe wiederholte sich 1897 und 1899. 3
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auch damit fertig werden, so wär's doch eine Eselei, uns die Rechnung grösser zu machen, als sie schon ist. Du sagst: Die Österreicher drohten auch, und es ging. Einmal haben die nichts zu verlieren, und dann ist's eine alte Geschichte, dass dort vieles möglich ist, was bei uns unmöglich ist. Eine Demonstration z.B. wie die gestrige5 ist hier einfach unmöglich, sie bedeutete den Strassenkampf; sollen wir sie nun trotzdem machen? Da hatte man ja, was man wollte. Dort hat man schlechtere Gesetze, aber man wendet sie lau an; bei uns sind sie besser, aber man wendet sie so an, dass sie schlechter werden wie die schlechtesten in Österreich. Uns fehlt eben die österreichische Schlamperei, von der Victor so treffend in Paris sprach.8 Mit den Österreichern ihrem neuen Strafgesetz, das eben beraten wird, würde man uns aufs schwerste treffen — denn es ist fast noch schlechter wie unsere Umsturzvorlage, — aber in Österreich hält man's aus, weil ein gut Teil davon auf dem Papier stehen bleibt. Diese Woche werden wir wahrscheinlich in der Umsturzkommission mit der ersten Lesung fertig. Ich habe redlich mein Teil dazu beigetragen, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen, aber weiter geht es nicht. Vor Ostern ist natürlich an keine Beratung im Plenum zu denken. Herz [liehen] Gruss von Julie und mir an Euch alle Dein AUGUST. Am 10. März wurde in Wien vormittags in Volksversammlungen das Thema behandelt: „Die Revolution des Jahres 1848". Nachmittags war eine Kundgebung von 30-40.000 Teilnehmern am Denkmal der Märzgefallenen auf dem Zentralfriedhof. Danach war ein Umzug durch die Stadt zum Parlamentsgebäude. 8 In seinem Bericht über die sozialistische Bewegung in Österreich auf dem Pariser Kongress 1889 gebrauchte Adler unter allgemeiner Heiterkeit die Wendung: „Die österreichische Regierung ist gleich unfähig, bei einem Werke der Gerechtigkeit konsequent zu sein wie bei einem Werke der Unterdrückung; sie schwankt beständig hin und her, — wir haben den Despotismus gemildert durch Schlamperei. . ." Protokoll, S. 43.
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3 1 5 . B E B E L AN E N G E L S
Original.
[Poststempel: Berlin W.,] den 31. März 1895. L[ieber] G[eneral]!
Ich reise heute abend auf vierzehn Tage nach Zürich. S[imon]s haben Umzug — sie ziehen ein paar Häuser weiter in eine bessere Wohnung, und da S[imon] sehr viel zu tun und Fr[ieda] nicht helfen kann, will 797
ich das tun. Des weiteren will ich auch ein wenig ausspannen, was nötig ist. Ich beantworte Deinen letzten Brief von Zürich aus. Das Bild des kleinen Hexchens ist auch angekommen, und schwört J[ulie], dass es seiner verehrten Mama ausserordentlich gleicht. Einstweilen schönsten Dank für das Bild. Herzlichen] Gruss Euch allen D[ein] A.
316. BEBEL AN
Original.
ENGELS
Berlin W., den 20. April 1895. Lieber General!
Endlich erhältst Du den längst versprochenen und so lange hinausgeschobenen Brief. In Zürich hatte ich absolut keine Zeit, mir hat noch kein Umzug so viel Mühe und Umstände gemacht wie der Friedas. Ihr Mann konnte nicht helfen, und so musste ich unter besonders erschwerenden Umständen, die in der Logisfrage lagen, arbeiten. Dafür sitzen sie jetzt auf vier Jahre fest, und die neuen Wohnungsverhältnisse sind so, dass ich zufrieden bin. Als ich endlich Mittwoch zurückkam, hatten wir Besuch im Hause; ausserdem waren meine Bibliothek und meine Papiere, durch Renovierung meines Arbeitszimmers, in totale Unordnung geraten, und so hatte ich abermals Arbeit in Hülle und Fülle. Uber die Änderungen in der Vorrede zu den „Klassenkämpfen" will ich kein Wort mehr verlieren,1 da ja die Broschüre erschienen ist. Die Herausgabe der Lassalle-Briefe2 und vieles andere dürfte unmöglich werden, falls die Umsturzvorlage Gesetz werden sollte. Wir müssten sogar unseren halben Verlag vernichten, zum Glück aber andere Leute auch; und das ist einige Garantie, dass sie nicht zustande kommt. Etwas Ähnliches von einem Gesetz, wie es jetzt im Entwurf vorliegt, ist noch nicht dagewesen, es ist deshalb auch unmöglich. Ja, wenn man es gegen uns allein anwenden könnte, dann ginge die Geschichte. Das ist aber bei einem Gesetz allgemeiner Natur ausgeschlossen; das begreifen jetzt auf einmal auch unsere Gegner, und daher die Rebellion, die sich jetzt auf einmal auch der bürgerlichen Kreise bemächtigt. Die Verhandlungen der Kommission haben das Gute gehabt, dass 1
S. Brief Nr. 314, Anm. 1, 2. Die geplante Ausgabe des Briefwechsels Marx-Lassalle, s. Brief Nr. 152, Anm. 4; Nr. 281, Anm. 7. i
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sie aufklärend und aufrüttelnd wirkten; die Unsicherheit der Situation, dass niemand weiss, was der morgige Tag bringt, hat ebenfalls dazu beigetragen, und so kam, was kommen musste. Wir haben in den letzten Kommissionssitzungen die Dinge laufen lassen; denn zu halten war nichts mehr. Die Gegner haben sich selbst überkugelt und einen Gesetzentwurf gemacht, an dem keiner von ihnen eine Freude hat. Für nächsten Mittwoch sind wir bereits zur Feststellung des Kommissionsberichtes zusammenberufen, Ende der Woche gelangt dieser ans Plenum; so könnte also, wenn sonst nichts dazwischenkommt, in der übernächsten Woche der Tanz losgehen. Wilhfelm] soll auf einmal von seiner Begeisterung für den Kampf für Religion, Sitte, Ordnung abgekommen sein; das hiess es schon im R[eichstag], als die neuen Schiffe bewilligt worden waren. Die lagen ihm mehr am Herzen als die Umsturzvorlage. Wahrscheinlich dürfte die Sache sich so gestalten, dass die Regierung erklärt: die und die Änderungen müssen eintreten. Diese werden dann wahrscheinlich mit einer kleinen Mehrheit durchgedrückt. Alsdann erklärt das Zentrum, dass es nunmehr den Geschmack an der Vorlage verloren habe und diese ablehne, und so dürfte schliesslich dieselbe mit erheblichem Mehr fallen. Was dann weiter wird, ist unberechenbar. Was uns bisher über so viele Fährlichkeiten geholfen, dürfte uns auch weiter darüber hinweghelfen, die Interessengegensätze und Interessenkämpfe unserer Gegner. Im agrarischen Lager ist auf einmal wieder wütende Oppositionsstimmung, nachdem kurz zuvor, anlässlich des Kanzlerwechsels, der Himmel voller Geigen hing. Steigen dieses Jahr nicht, infolge einer schlechten Ernte, die Getreidepreise, so wird die Opposition des Junkertums schärfer und schärfer. Einem Teil unserer Junker, und es sitzt eine ganze Anzahl solcher im Reichstag, steht das Wasser bis an den Hals; tritt nicht bald ausgiebige Staatshilfe ein, so ersaufen sie, d.h. sie sind bankerott. Für ausgiebigere Staatshilfe werden aber die Aussichten um so schlechter, je höher die Getreidepreise steigen, und steigen die letzteren, so genügt dieses auch nicht, um den Bankerott aufzuhalten. Die sitzen also in einem bösen Dilemma. Daher auch auf einmal der Sturm gegen das allgfemeine] Wahlrecht, sie sagen sich mit Recht: solange das existiert, ist es einer Regierung unmöglich, ihnen, den Junkern, zu Hilfe zu kommen. Günstig wirkte auch für uns, wenn die ostasiatischen Angelegenheiten für eine Weile das allgemeine Interesse in Anspruch nähmen.3 ' Am 17. April 1895 war der japanisch-chinesische Krieg durch den Frieden von Schimonoseki beendet. Auf gemeinsames Vorgehen Russlands, Frankreichs und
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Je weniger Zeit man hat, sich mit uns zu beschäftigen, um so besser. Zeit gewonnen, heisst alles gewonnen. Was Du über die englische Bewegung schreibst, lautet sehr wenig tröstlich. Ich bin aber auch der Meinung, man soll sich keinen Illusionen hingeben. Ich stelle mir vor, dass es auf dem nächsten Internationalen] Kongress4 etwas tohuwabohuartig zugehen wird. Im Augenblick habe ich noch keinen rechten Begriff über die Tagesordnung, die aufgestellt werden soll. Die schon dreimal verhandelten Punkte können doch zum viertenmal nicht wiederholt werden. Bitte Beilage an Louise zu geben. Herzlichen Gruss Euch allen von Julie und Deinem AUGUST.
Deutschlands, — wobei Deutschland die Ausrichtung der Interessen Russlands auf Ostasien zu fördern beabsichtigte, — begnügte sich Japan mit Formosa und einer Kriegsentschädigung. 4 1896 in London.
317. BEBEL
AN
ENGELS
Berlin W., den 6. Juni 1895.
Original. Lieber General!
Du wirst unsere Karte, die wir von Freiung im Bayerischen Wald Dir sandten, erhalten haben. Am Abend vor Pfingsten trafen wir wieder hier ein. Die Partie war sehr schön, und waren wir die ersten Touristen, die über die bayerischen Waldberge dieses Jahr nach Böhmen kamen. Da es acht Tage zuvor heftig geschneit hatte, konnten wir einen derselben wegen zu vielen Schnees, der noch darauf lagerte, nicht übersteigen. Das sind ja dumme Geschichten, die Dir passierten. Es war von der Hexe ein äusserst gescheiter Streich, dass sie einen Doktor heiratete; nun bist Du in vier Händen, wie Du sie besser nicht aussuchen konntest. Garantiert Dir etwas das ewige Leben, so diese Wahl. Von der Hexe ist es sehr liebenswürdig, dass sie mir so ein kleines Ding wie ihr Baby wünscht; ich habe aber an unserem Buben gefunden, dass damit nur die Frauen fertig werden können. Ab und zu eine halbe oder ganze Stunde ja; aber den ganzen Tag, da muss man ein Engel sein, wie es unsere Frauen sind, um das auszuhalten. Übrigens geht durch das ganze Mitteleuropa und die angrenzenden Länder ein on dit, wonach die Hexe so stark geworden sein soll, dass sie Mühe hat, zur Türe hereinzukommen, Ist das wahr? 800
Vielleicht ärgert sie diese Anfrage so, dass sie höchsteigenhändig zur Feder greift und dieses Gerücht als Verleumdung bezeichnet. Die Glaubwürdigkeit dieser Versicherung würde aber sehr gewinnen, wollte sie eine Photographie ihrer jetzigen Persönlichkeit hinzufügen. Die Umsturzvorlage sind wir also glücklich los.1 Es kam so, wie ich in meinem letzten Brief an Dich schrieb. Mit ein wenig mehr Witz und Geschick hätte die Regierung eine Vorlage bekommen, wie sie schöner sich keine wünschen konnte. Das kompromissüchtige Element im Zentrum hatte die Oberhand, man hatte sich von dieser Seite so engagiert, dass ein Zurück kaum möglich war. Da kommt das tölpelhafte Dreinfahren der verschiedenen Minister, von denen einer ungeschickter war als der andere, und so ging der Kompromisstopf in die Brüche. Es gab nie eine schönere Gelegenheit, das Zentrum zu sprengen und sich von der Rücksichtnahme auf es zu befreien, für die Regierung als diesmal. Im Zentrum war die Spannung eine hochgradige; ein grosser Teil der süddeutschen und der rheinischen Elemente wollte von der Umsturzvorlage nichts wissen und wäre doch gezwungen worden, für die entscheidenden Teile zu stimmen; da kam das Verhalten der Regierungsvertreter als eine Erlösung. Niemals zuvor war das Zentrum in einer grösseren Verlegenheit wie diesmal, in die man weiter hineingeraten war, als man anfangs selbst wollte. Ich kann heute sagen, ich gab bis zum letzten Tage der Verhandlungen keinen Dreier dafür, dass uns nicht dennoch der für uns schlimmste Teil der Vorlage auf den Hals kam. Erst als der Kriegsminister zu seiner Erklärung sich entschloss, die ihrem Inhalte nach, wie auch wohl tatsächlich — trotz späterer Ableugnungen — nicht mit den Erklärungen des Reichskanzlers und seinen Ansichten im Einklang stand, konnte man sagen: nun ist's aus, wir haben gewonnen.2 1 Die Umsturzvorlage wurde am 11. Mai in zweiter Lesung vom Reichstag abgelehnt. Nachdem die einzelnen Paragraphen der Reihe nach, teilweise unter grosser Heiterkeit, selbst in der gemilderten Fassung der Kommissionsvorlage abgelehnt waren, wurde die Ablehnung der ganzen Vorlage vom Präsidenten verkündet, so dass eine dritte Lesung nicht mehr stattfand. 1 Während der Reichskanzler in der Reichstagssitzung am 8. Mai zu Beginn der zweiten Beratung der Vorlage wiederholt nachdrücklich betont hatte, dass die Bestimmungen nicht die Geistesfreiheit des deutschen Volkes beschränken, sondern nur beschimpfende und den öffentlichen Frieden gefährdende Äusserungen, keineswegs aber wissenschaftliche Kritik unter Strafe stellen sollten (Umsturz und Sozialdemokratie, S. 266), erklärte der Kriegsminister in der Sitzung am 11. Mai, es sei für die Wirkung eines literarischen Erzeugnisses ganz unerheblich, „ob der Verfasser ein Dichter, ein hervorragender Gelehrter oder irgendein beliebiger obskurer literarischer Schmierfinke" sei, ebd., S. 418. Der Kriegsminister lehnte ferner den die Aufforderung von Soldaten zu Ungehorsam ahndenden § 112 in
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Nächst uns ist es das Zentrum, das sich gratulieren konnte. Der tiefgehende Riss in ihm konnte wieder verklebt werden, und ausserdem hat es eine Lehre empfangen, die es sobald nicht vergessen wird. Es hat erkennen lernen, dass es als katholische Partei niemals regierungsfähig werden kann. Was weiter kommt, braucht uns keine Sorge zu machen. Die Zerklüftung der gegnerischen Parteien ist infolge der in ihnen vertretenen Interessengegensätze eine so grosse, dass eine Verständigung sehr schwer ist. Zu den wirtschaftlichen Gegensätzen, die besonders auch im Zentrum durch den starken agrarischen Flügel, den es besitzt, vorhanden sind, kann man sich nicht noch den Luxus tiefer politischer Zerwürfnisse gönnen, wie sie z.B. eine Ausnahmegesetzvorlage hervorrufen würde. Mir scheint auch, man hat in den Regierungskreisen an den Erfahrungen der Umsturzvorlage genug. In den späteren Verhandlungen Hessen die Herren wie die bepissten Pudel die Köpfe hängen. Als ich zufällig am zweiten Feiertag im benachbarten Wilmersdorf auf einem Spaziergang Herrn Nieberding begegnete, malten sich alle Zeichen der Verlegenheit in seinem Gesicht, und er sah beiseite wie ein Verbrecher. Dieser ist auch sehr wider Willen zu der Rolle gekommen, die er spielen musste. Enfin, die Geschichte ist vorläufig aus, und über das, was weiter kommen soll, zerbrechen wir uns nicht anderer Leute Köpfe. Wir hoffen, dass Dir der Aufenthalt an der See recht gut bekommt und Du wieder mit den alten Kräften nach London zurückkehren wirst. Ich werde Anfang August nach Zürich gehen, während Julie schon Mitte nächsten Monats fort will. Ihr Herr Schwiegersohn lässt ihr keine Ruhe, der will partout, dass sie so bald als möglich kommt. Um sie zu gewinnen, schreibt er, dass sogar Buby heisse Tränen vergossen, als er gehört, dass seine Grossmama noch zögere zu kommen. Es hätte freilich nicht solcher Pressionsmittel bedurft, um die Schwiegermama mürbe zu machen. Wäre ich nicht, so wäre sie das ganze Jahr in Z[ürich]. Wahrscheinlich halte ich bei der Reise nach Z[ürich] auf dem Hohentwiel eine Versammlung ab,3 zu der die Genossen aus Württemder ihm von der Kommission gegebenen Form a b und hielt an der F a s s u n g der ursprünglichen Regierungsvorlage fest; ebd., S. 419. 5 Z u der K u n d g e b u n g auf dem Hohentwiel erschienen etwa fünftausend Besucher mit Musikkapellen in Extrazügen aus Süddeutschland und der Schweiz. Bebel musste seine R e d e nach einer Stunde wegen starker Regenschauer abbrechen. Bericht im Vorwärts, Nr. 182, 7. August — der Nummer, deren erste, schwarzumrandete Seite Todesnachricht und Nekrolog von Engels brachte. Bei den zu Anfang des Briefes erwähnten „ d u m m e n Geschichten" handelt es sich um
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berg, Baden und der Schweiz sich dort Rendezvous geben wollen. Natürlich findet die Versammlung an einem Sonntag statt. Herzlichen Gruss von Julie und mir, und ist Laura bei Dir, so bitte ich, sie ebenfalls von uns zu grüssen. Dein AUGUST.
Die „Klassenkämpfe" gehen flott ab.4 die im März von Dr. Freyberger festgestellte Erkrankung, deren Art man dem Patienten verschwieg. Es war Krebs der Speiseröhre; Engels erlag ihm am 5. August. 4 Von den Klassenkämpfen wurden nur 3.000 Exemplare gedruckt, während in demselben Jahre von Mehrings Gustav Adolf 32.000, von den Heften der Umsturzdebatte 173.000, von Bebels Das allgemeine Stimmrecht und Kesslers Die Ziele der Sozialdemokratie je 20.000 Exemplare gedruckt wurden. Protokoll Breslau, S. 30.
3 1 8 . B E B E L AN
ENGELS
Berlin W., den 17. Juli 1895.
Original. Lieber General!
Ich muss Dir diese Zeilen über London schicken, da ich Deine Efastbourner] Adresse nicht besitze. Ich setze voraus, dass Du noch dort bist und Dir der Aufenthalt wohl bekommt. Hoffentlich bist Du über unserem Bauernprogramm1 vor Schreck nicht vom Stuhle gefallen, als Du es lasest. Du siehst dem Dinge an, dass es ein Kompromiss ist. Ich hoffe, dass jetzt die Kritik tüchtig einsetzt und wir verschiedenes auf dem Parteitag herauswerfen. Das Ding war eine Schwergeburt ersten Ranges, und sind wir tüchtig hintereinander geraten. Vollm[ar] konnte bei der Schlussberatung wegen Krankheit nicht zugegen sein, er hatte nachträglich noch Verlangen an die Redaktions-Kommission gesandt, die wir, soweit sie eine sachliche Erweiterung bzw. Einschränkung (im gemässigten Sinn) betrafen, pure ablehnten; nur einige kleine redaktionelle Wünsche fanden Erhörung. Ihm ist das Programm in einigen Punkten zu radikal, anderen ist es zu verbauert. Es kommt viel auf die Deklaration der einzelnen Punkte an, dieselben sind ohne eine solche schwer ver1 Die in der Grundhaltung dem französischen Agrarprogramm ähnlichen Vorschläge der Agrarkommission wurden zuerst im Sozialdemokrat Nr. 29, 18. Juli 1895 veröffentlicht; die Resolution des Frankfurter Parteitages zur Agrarfrage, die Entwürfe der Unterausschüsse für Nord-, Mittel- und Süddeutschland der Agrarkommission und die Vorschläge der Kommission zum Parteiprogramm im Protokoll Breslau, S. 208ff.
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ständlich. Für diese Deklaration werden die Verhandlungen in Breslau sorgen, 2 dort werden einmal wieder die Geister scharf aufeinanderplatzen. Quarck 3 wird genötigt, aus dem Verband der kaufmännischen Vereine auszutreten und die Redaktion der Kaufm[ännischen] Presse niederzulegen; sonst verliert er die Referentenstelle in der Kommission und vielleicht noch etwas mehr. Dass diesmal nicht ich das Karnickel war, das gegen ihn wegen Stegmüllerei 4 losging, ist mir besonders angenehm. Wir werden den Soz[ial]demokr[at]5 am 1. Janfuar] eingehen lassen; unsere Erwartungen erfüllten sich nicht, das Defizit ist zu gross. Dietz wird dann sehen, dass die N[eue] Z[eit] nicht den Schaden von seiner Gründung hatte, den er erwartete und behauptet. Die Gleichh[eit] wird eine Umformung erfahren, 6 und wird sie dann wahrscheinlich vierzehntägiges Beiblatt des Vorw[ärts], möglicherweise auch des [Hamburger] Echo. Die Frage ist, ob die Zetkin sich den veränderten Ansprüchen akkomodieren kann, was ihr nicht leicht fallen wird.
Auf dem Breslauer Parteitag, 6.-12. Oktober, referierten M. Quarck und M. Schippel über die Vorschläge der Agrarkommission, Protokoll, S. 98ff. Nach ausgiebiger Diskussion, S. 111-77, wurde auf Antrag Kautskys der Entwurf der Kommission verworfen. Die Hauptgründe dafür waren, dass der Bauernschaft eine Hebung ihrer Lage, also die Stärkung des Privateigentums in Aussicht gestellt werde; das Interesse der Landeskultur sei femer unter der Herrschaft des Privateigentums an den Produktionsmitteln nicht ein Interesse des Proletariats; der Entwurf erschwere den Klassenkampf; dagegen sei ein weiteres Studium der Agrarfrage notwendig. 3 M. Quarck war bis Juli 1893 Rechtsbeistand des Kaufmännischen Vereins in Frankfurt gewesen; er war Sekretär des Verbandes Kaufmännischer Vereine und Redakteur des Fachblattes Kaufmännische Presse. Im Februar 1894 beschloss der Verein, weil Quarck Sozialdemokrat war, das Blatt eingehen zu lassen. Quarck gründete einen neuen Verein. Obwohl viele dieser Vereine die Sozialdemokratie bekämpften, setzte er die Arbeit fort in der Hoffnung, aus seinem Verein eine Gewerkschaft machen zu können. S. darüber „Handlungsgehilfen-Bewegung in Deutschland", im Sozialdemokrat, Nr. 46, 13. Dezember 1894. 4 Der badische Landtagsabg. Stegmüller-Lörrach war wegen seines Verhaltens in einer Kirchenbau-Angelegenheit von einer Kommission des Frankfurter Parteitages 1894 als ungeeignet zur Ausübung eines Mandates erklärt. Der Parteitag entschied dahin, dass ihm ein Tadel für seine Haltung auszusprechen sei. Bebel hatte diese Entscheidung in seiner Berliner Versammlung am 14. November 1894 als zu milde scharf bekämpft; s. Vorwärts, Nr. 268, 16. November 1894, Brief Nr. 306, Anm. 3. 5 Das seit Februar 1894 erscheinende Wochenblatt. 6 Erst dem Stuttgarter Parteitag 1898 lag ein Berliner Antrag vor, die Gleichheit ins Eigentum der Partei zu übernehmen und die Redaktion nach Berlin zu verlegen. 2
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D[ie]tz plant auch eine Umformung der N[euen] Z[eit],'! die gegenwärtig ein grosses Defizit hat, das er auf die Dauer nicht tragen kann. Wie? ist noch nicht entschieden. Ich reise den 29. oder 30. [Juli] nach Stuttgart und von dort nach der Schweiz; da werde ich mit ihm Rat pflegen; K[arl] K[autsky] wird alsdann von St. Gilgen nach Stuttgart] zurückkehren, um mit zu verhandeln. Habe ich am 4. August gutes Wetter, dann wird die Versammlung auf dem Hohentwiel grossartig. In Europa spitzen sich die Dinge zu, im Handumdrehen können wir einen gehörigen Konflikt haben. Die Russen scheinen zu glauben, ihre Zeit sei gekommen, allerlei reif gewordene Früchte einzuheimsen. Der Mordanfall auf Stambulow8 war neben dem, dass er eine Infamie ist, eine Dummheit; er beleuchtet sehr grell die Situation und bringt die öffentliche Meinung der ganzen Welt gegen Russland und Bulgarien auf. Im übrigen wird bei uns oben fortgewurschtelt, jeder Minister geht seine eigenen Wege; wo mehr Ratlosigkeit herrscht, bei uns oder in Österreich, ist schwer zu sagen. Wie die Situation beschaffen ist, ist es ein Glück, dass in England die Konservativen am Ruder sind; nur brauchten die Wahlen nicht gar so erbärmlich für uns und die Liberalen auszufallen.9 In Zürich ist alles wohl, Julie als Grossmutter ist sehr glücklich. Herzlichen Gruss an Dich, Louise und ihren Mann und ihr Baby. Dein AUGUST.
7 Dietz hatte den Wunsch, die Neue Zeit wieder in eine Monatsschrift umzuwandeln. S. Kautsky an Engels 30. Juli 1895. 8 Stephan Stambulow (1853-95), Präsident der bulgarischen Sobranje, Hauptvertreter der antirussischen Politik in Bulgarien, wurde 1894 vom Fürsten Ferdinand als Minister entlassen und im Juli 1895 ermordet. 9 Bei den Wahlen vom 12.-29. Juli wurden 177 Liberale und zwei Kandidaten der Arbeiterpartei bei einer Gesamtzahl von 672 Abgeordneten gewählt.
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REGISTER (Aufgenommen wurden die Namen von Personen und Organisationen sowie, in Kursivschrift, die Titel periodischer Druckschriften. Nicht berücksichtigt wurden die Verfassernamen in Literaturhinweisen und in Grussformeln vorkommende Namen.) Abbas Hilmi II., Khedive, 652 Achtstündige Arbeitstag, Der, 549 Adams-Walther, H.B., 232, 715, 721, 727, 729, 761 Adler, Emma, 449, 542, 574, 576, 580, 742, 794 Adler, Georg, 223, 243 Adler, Victor, 129, 147, 357, 398, 449, 454, 466, 498, 542, 574, 576580, 593, 612f„ 618, 620-622, 633, 644, 668, 700, 717f., 720, 725, 734, 738, 741f., 745f„ 750, 758, 765f., 772, 778, 780-782, 797 Ahlwardt, Hermann, 544, 679 Albrecht, Prinz von Preussen, 684 Alexander, Fürst von Bulgarien, 244, 281, 324 Alexander II., Zar, 42, 105, 108, 178, 269, 284 Alexander III., Zar, 109, 165, 179, 281, 297, 324, 376, 439, 450, 471, 485, 518f., 542 Alexandroff, (Russ. Leutnant), 659 Allgemeiner Arbeiterinnenverein, 540 Allgemeiner Deutscher Arbeiter-Verein, 13-15, 19, 23, 27, 125, 170 Allgemeiner Deutscher Zimmererbund, 125 Alliance internationale de la Démocratie socialiste, 85 Andrieux, Louis, 643 Anhalt und Wagener (Bankhaus), 487 Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung, 147 Annenkow, Paul, 339 Anseele, Edouard, 301, 346, 349, 398 Anti-Poverty Society, 173 Anzengruber, Ludwig, 547, 550 Arbeiter - Bildungs - Verein (Leipzig), llf.
Arbeiterin, Die (Hamburg), 435 Arbeiterinnen-Zeitung (Wien), 435, 442, 449, 458 Arbeiterstimme (Zürich), 746 Arbeiter-Zeitung (Wien), 374, 377, 435, 446, 466, 612, 633, 680, 718, 734, 741, 759, 772 Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik, 147 Aristoteles, 656f. Arndt, P. (Student), 587, 589, 596, 721, 771, 774f. Arnim, Harry Graf von, 552 Arns und Genossen (Elberfeld), 543 Arons, Leo, 478 Audorf, Jakob, 416 Auer, Ignaz, 26, 38, 66-69, 75-77, 80, 84, 86, 97, 103, 186, 198, 206, 217, 224, 247, 265, 272, 276, 282, 291, 305, 341, 351, 368, 371, 388, 395-397, 405, 413, 433-435, 454, 456, 461, 467, 504, 513, 544, 553, 602, 634, 645-646, 702, 711, 730f„ 767, 788 Auerbach, Albert, 456, 576 Augsburger Allgemeine Zeitung, 629 August, Prinz von Preussen, 378 Auguste Victoria, Kronprinzessin, 335 Autonomie, Anarchistisch-communistisches Organ, 514 Aveling, Edward, 174, 240, 255, 279, 287, 290, 336, 390f„ 420, 427, 429f., 436, 442-444, 446f., 460, 512, 523f„ 533, 537f„ 545f., 571f., 583, 588, 591f„ 607, 619, 626, 665, 669, 678, 682, 708, 714, 723, 744, 760 Aveling-Marx, Eleanor, 113, 124, 127, 134, 152, 164, 167, 173, 232, 240, 255, 271, 274, 277, 279, 287, 290,
807
336, 400, 485, 574, 669, 729,
364, 366, 369, 390£„ 398, 402, 407, 420, 428-430, 443f., 526, 533, 537f., 540, 564, 571577, 582, 584, 589, 598, 626, 684, 700, 708, 714, 721, 723, 744, 761, 771
Baake Curt, 679, 681 Bachem, Julius, 656 Bachler (Antisemit), 332 Bachmann, Mathias, 594 Bading, Max, 176, 731 Baginski, Max, 572, 643 Bahlmann, Ignatius, 348 Bahlmann, Frau, 348 Bakunin, Michail, 21f., 33, 85, 94, 127, 614, 788 Bamberger, Jakob, 176 Bamberger, Ludwig, 163, 174, 241, 266, 335 Barry, Marry Maltman, 443 Barth, Theodor, 760 Basly, Emile, 259, 263, 268, 275 Bassermann, Ernst, 696 Bassler Georg, 794 Bataille, La, 127 Baetge, Max, 456 Bauhandwerker, Der, 175, 434 Bax, Ernest Beifort, 165, 240, 279, 545f., 572, 626, 777 Bayerischer Bauernbund, 694 Bebel, August, über •—s. Firma und geschäftliche Tätigkeit 23ff., 26, 36, 93, 209, 326, 359f. —, politische Prozesse, 186f., 223, 238, 280, 291, 334, 336, 341, 354, 368, 372f„ 725 —, Verbüssung von Freiheitsstrafen 26, 134, 145, 299 —s. Englandreisen 26, 36, 96, 100, 249, 307, 313, 384, 398f„ 404, 526, 534, 537, 539, 613, 673 —, Fünfte Vereinstag 9 —, Achte Gen.-Vers. des ADAV lOf. —, Vereinigung der Parteien 26f., 35f. •—•, Lassalle und Lassalleanismus 14ff., 36, 133f„ 408f„ 432, 446 —, Höchberg und s. Jahrbuch 47, 63f„ 98, 120 —, Züricher Sozialdemokrat 42f.,
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46f„ 65ff„ 68f„ 77, 96f., 99f„ 101, 103f„ 116, 220f„ 29 lf., 326f., 400 —, Fall Kayser-Hirsch (Schutzzollfrage) 66f., 70, 78, 84 —, Anarchismus und Anarchisten (Most, Freiheit) 42, 77, 94f., 103, 106, 428f„ 769, 773 —, Keine Spaltungssymptome in der Partei 90, 225, 230f„ 775f. •—Bürgerliche Elemente 155, 222, 226, 230, 246ff., 468, 478, 499, 780ff. •—, Zersetzung der gegnerischen Parteien 90, 163, 170, 198f., 249, 294ff„ 683 —, Parteiopposition (der „Jungen") 384f„ 387f„ 395ff., 401f„ 432, 435, 454ff„ 458ff„ 466f„ 470, 478f„ 505, 543f„ 575, 595, 603ff„ 611, 655 —, Parteitage: Wyden 94, Kopenhagen 154f., Halle 398, 401f„ Erfurt, 421, 423ff„ 432, 435f„ 449, 453-460, Berlin 552f., 588, 602, 615f., 625, Köln 726ff., Frankfurt 769f., 780ff. —, Int. Arbeiter-Assoziation 9f., 12f. —, II. Internationale: Vorbereitung des Pariser Kongresses 311ff., 317ff., 344ff„ 349-353, 355f„ 357-364, Brüssel 398f„ 422, 428f„ Zürich 573f., 613, 663, 668f., 699, 702f„ London 744f„ 800 —, Maifeier 384f„ 393, 412, 537, 613, 621, 625, 634, 644, 684, 702, 712, 760 —, Aktionen intern. Solidarität 1 lf., 365, 549, 612, 622, 731, 777 —, Gewerkschaften 175, 362, 492, 498, 526f„ 547f„ 563, 594f„ 71 lf., 731, 758, 763f., 766f., 771, 775, 804 —-, Streiks und Aussperrungen 161f., 231, 273, 360f„ 367, 384, 411f., 49 lf., 679ff., 725, 733ff„ 738, 755, 758 —, Marx 141, 151f., 155, 162, 275, Komm. Manifest 17, Frühschriften 790f., „Lohnarbeit und Kapital" 93, „Klassenkämpfe in Frankreich" 795f., 798, 803, Programm-Kritik
406-409, „Kapital" 151, 156, 168, 176, 222, 232, 238, 422f., 610, 685, 745, 754 — , Engels' „Lage der arbeitenden Klasse" 497f., 503f., 588, Bauernkrieg 732, 778, „Intern, aus dem Volksstaat" 742, 745, 747, A n ü Dühring 770 —, Bernsteins Lassalle-Ausgabe 404f., 431f„ 434, 729 — , Verhältnis zu Liebknecht 15ff., 85, 102, 104, 116, 130f„ 155, 157, 224, 236, 247, 264f„ 394f„ 425f., 430, 434f., 460, 498, 586, 646f„ 729f„ 760, 766f., 771, 777 — , Krise und Krisenerscheinungen 103, 140f„ 145f„ 156, 161f., 169, 237, 249, 274, 281, 301, 383, 402, 476f., 490, 740f. — , Katastrophe (Kladderadatsch) 103, 106, 117f„ 120f„ 132f„ 139, 146, 177, 262, 348, 779 — , Neue gründlichere Revolution 106f„ 184, 275, 490 — , „Gegen 1898" 432f„ 449, 457, 468, 779 — , Revolutionäre Phrasen 131f., 138f. — , Reichstagswahl - Aussichten und Erfolge 80, 86, U l f . , 120, 154, 161, 168, 184ff„ 191, 200, 261, 282f„ 367, 3 8 l f . , 467, 655, 675f., 678f„ 684f„ 687f„ 690f„ 693ff., 696f„ 765f. —, Wahlen in Preussen 135, 724, 757 —, Parlamentarische Taktik, Vorgehen im Reichstag 26, 67, 78ff., 84f., 102, 111, 155, 168, 183f., 196, 199, 225f„ 386f„ 757 —, Agrarpolitik 635, 691, 697f., 700, 742, 749, 753, 756f., 759f., 768ff„ 772f„ 781ff„ 794, 799, 803f. —, Antisemitismus, Antisemiten 101, 250, 333, 549f. 553, 562, 679, 683, 697 — , Elsass-Lothringen 495ff., 504f., 528, 601f., 687, 701, 765 — , Europäischer Krieg 139f., 237, 321, 348, 430f., 468f., 551, 653f. — , Kolonialpolitik (Dampfersubvention) 187, 260ff„ 217, 248
— , Militärpolitik 393, 431, 483, 504, 654f„ 662ff„ 666f„ 669-673, 675f., 691f„ 739, 745, 748 — , Russland-Politik 106, 281, 293f., 433f„ 447ff., 495, 644f„ 662 — , Staatssozialismus 112, 134f., 611f.,
622
— , Sozialgesetzgebung 111, 134f., 183, 197f„ 216f., 226, 711, 745f„ 749 — , Umsturz-Debatte 778-781, 787794, 796-802 — , „Zukunftsstaat"-Debatte 6 4 6 , 6 5 6 ,
661
Bebel, Julie, 119, 130, 152, 184, 263, 296, 302, 304, 306, 309, 314, 355, 373, 384, 403, 411, 428, 469, 476, 479f„ 482, 490, 499, 512, 532, 534, 543, 547, 550, 557, 561, 565570, 593, 605f., 613, 647, 676, 686, 701, 704, 706, 712, 717, 738, 744, 752, 754f„ 769, 771, 774, 790, 802 Bebel-Simon, Frieda, 121, 223, 263, 303, 309, 314, 341, 363f., 372f„ 389, 392, 397, 403, 407, 508, 521, 566-568, 570, 573, 752, 754, 761763, 768f„ 771, 774, 797f. Beck, Emil, 398, 746 Becker, Bernhard, 27, 38f., 8 3 Becker, Hermann, 31 Becker, Johann Philipp, 12f., 288291, 308, 404 Befreiung der Arbeit, Gruppe, 531, 776 Behr, B. (Verlag), 4 1 Behrend, (Pächter einer Bismarckschen Mühle), 190 Belgische Arbeiterpartei, 398 Belles I (Rechtsanwalt), 543 Benningsen, Rudolf von, 163, 174, 315, 382, 508, 658, 725, 760, 790, Bère (Wahlkandidat für Lille), 462 Bergarbeiter-Verband (Verband deutscher Bergleute, seit Aug. 1892 Verband deutscher Berg- und Hüttenleute, s.a.d.), 561 Berger, Louis, 295, 298 Bergmann, Ernst von, 335 Berlepsch, Hans Hermann Frhr. von, 509
809
Berlin, Organ für die Interessen der Reichshauptstadt, 44 Berliner Freie Fresse, 103 Berliner Freireligiöse Gemeinde, 402 Berliner Neueste Nachrichten, 514 Berliner Volksblatt, 176, 250, 272, 351, 369, 385, 391, 394, 731 Berliner Volks-Tribüne, 351, 387, 402, 435, 605, 612, 614, 730 Bernburg, Herzog von, 190 Berndt, Franz, 312 Bemhardi, Friedrich von, 393 Bernstein, Aaron, 718f. Bernstein, Eduard, 13, 40, 42, 4446, 48f., 51f„ 54-56, 67, 69, 71, 100, 102, 104, 106, 109f., 113f„ 116, 119f„ 122f., 128, 133, 138, 155, 159, 168, 219, 228, 231, 246, 250, 255, 260, 272, 289-291, 305, 311-313, 324, 326f., 330f., 345, 348f„ 354-356, 369, 375, 377, 380, 390f„ 399f., 420, 424, 431f„ 434, 437, 441f„ 444, 446, 449, 478, 481, 487, 497, 519, 524, 537, 553, 561, 566, 572f„ 575f„ 578, 585, 619, 626, 630, 639, 649, 659, 670, 682, 684, 708-710, 713f., 718, 728f„ 731f„ 735, 755, 773f., 777, 794 Bernstein, Regina, 420, 718f. Bertrand, Louis, 64 Beust, Anna, 564 Beust, Friedrich, 564, 743 Biedermann, Karl, 498 Birk, Georg, 794 Bismarck, Herbert Graf, 294, 321, 328, 552, 669, 756 Bismarck, Otto Fürst von, 41, 53, 55, 66, 70, 74, 82, 91f., 95f., 103, 109, Ulf., 114, 117f, 123, 125, 133135, 137, 139, 142-144, 146, 149, 156, 159, 161, 163, 165, 173-175, 177-179, 181, 183f„ 187, 190, 192, 198, 202, 205, 208, 221f., 225, 237, 241f„ 246, 253, 262, 267, 271, 274f„ 277, 281-284, 286, 293-295, 297-299,316,319-321,323-329,333, 335f„ 347, 359, 374f., 377-379, 383, 393, 409f„ 432, 470, 477, 485, 491f„ 506, 510, 522, 552, 556f„ 562, 575, 624, 632, 634-636, 640, 652, 654, 684, 751
810
Blätter für soziale Praxis, 147, 711 Blanc, Louis, 241, 244, 268, 278 Blaschko, Alfred, 578, 639 Bleichröder, Gerson von, 81f., 179 Blind, Ferdinand, 271 Blondeau, Marie, 419, 473 Bios, Wilhelm, 18, 67, 122, 155-158, 160, 162, 176, 181, 184, 217, 224, 388f. 434, 442, 607 Blum, Robert, 124f. Bock, Wilhelm, 794 Bockel, Otto, 679 Böhm-Bawerk, Eugen von, 560 Bonnier, Charles, 342, 352, 537, 589, 596, 623, 628f„ 634, 637, 643, 756 Bosco, Garibaldi, 731 Bosse, Robert, 525 Boston Eight Hours League, 108 Bötticher, Karl Heinrich v., 409, 490, 661, 751 Boulanger, Georges, 259, 275, 326, 329, 343f„ 347f., 376, 419, 445, 471f., 632, 640 Boulé (Kammerkandidat 1889), 278 Bovio, Giovanni, 512 Boyer, Antide, 259, 371, 376 Bracke, Wilhelm, 30, 34f„ 37f., 42 47f„ 63, 67, 80, 86, 157, 209, 406-408, 414 Bradlaugh, Charles, 443f. Brand, Ignaz, 759 Brandt, Emil, 751 Branting, Hjalmar, 398 Braun, Adolf, 466, 553, 707, 734 Braun, Bertha, 712, 732 Braun, Fritz Karl August, 553 Braun, Heinrich, 147, 466, 477, 499, 527, 742 Brausewetter (Landgerichtsdirektor), 764 Brentano, Lujo, 500 Breuel, Ernst, 122 Bright, John, 253, 554 Broadhurst, Henry, 312f., 317, 319f. Brockhaus, F. A. (Verlag), 498 Bronsart von Schellendorf, Walter, 756 Brousse, Paul, 61, 92, 126, 137f., 356, 463, 546, 721 Brown, John, 108 Brown, Willard, 108
Bruck, Emil, 100 Briiel-Hannover (Reichstagsabg.), 202 Bruns, Bernhard, 595 Bucher, Lothar, 404f. Bücher, Karl, 147 Buchez, Philippe-Joseph, 30 Bueb (Kreistagsabg.), 782 Büchner, Ludwig, 61, 64 Buek, Fernand, 737 Bülow, Fürst Bernhard von 732 Bund der Kommunisten, 59, 124, 276, 318, 323, 337, 378, 588, 629 Bunte, Fritz, 526f„ 545, 561, 563 Bürger-Zeitung (Hamburg) 236, 245247, 265f., 309f. Burgess, Joseph (Ps.: Autolycus), 591, 608 Bürkli, Karl, 549, 582 Burleigh (Arbeiter-Kandidat in Glasgow), 559 Bums, John, 255, 270, 427, 429, 443, 556, 558, 591, 594, 599, 603, 659f„ 663, 674, 764 Bums, Lizzy, 522 Burrows, Herbert, 165 Burt, Thomas, 763, 767 Cabet, Etienne, 40, 241 Calvignac, J.B., 597 Camelinat, Zephirin, 259f., 267f. Caprivi, Leo Graf von, 425, 461, 511, 526, 552, 556, 562, 609, 624, 635, 644f„ 652, 654f., 671, 680, 682, 685, 691, 756, 778, 789 Carnot, Sadi, 445, 641, 769 Caserio, Santo, 769 Cave (Richter), 270 Chamberlain, Joseph, 235, 253, 256 Champion, Henry-Hyde, 256, 270, 443, 546, 650, 659 Chemnitzer Freie Presse, 113 Chicagoer Arbeiter-Zeitung, 443 Christensen, Jens Lauris, 312 Churchill, Randolph, 417, 554 ' Citoyen, Le, 127 Clemenceau, Georges, 180, 219, 234, 259, 268, 287, 472, 631 Cleveland, Grover, 615 Cobden, Richard, 554 Cohen, Frl., 398 Combat, Le, 371, 376 Commonweal, The, 240
Commonwealth, The, 276 Communistischer Arbeiter-Bildungsverein, 42, 80, 84, 127, 191, 233, 323, 331, 355, 443, 462, 467, 497, 572, 677f. Considérant, Victor, 31 Constans, Jean-Antoine-Ernest, 445, 452, 470-472, 640, 643 Conzett, Conrad, 292 Costa, Andrea, 150 Crane, Walter, 240 Crawford, Emilia, 430 Crawley Arnold & C°, 444 Cri du Peuple, Le, 259, 263, 268, 270f„ 278 Critica Sociale, 692 Croesel, Frau, 577 Cromer, Lord (Sir Evelyn Baring), 652 Cronheim, R., 176, 250, 731 Cumberland, Emst August Herzog von, 195 Cuno, Alphonse, 444 Cuno, Theodor, 299 Cuno-Mansfield, Emily, 441, 444, 446 Cunow, Heinrich, 129 Czinger, P., 763 Daily Chronicle, The, 608, 619, 651, 717 Daily Graphic, 537 Daily News, 390, 420, 427, 430, 502, 591, 631, 717, 767 Daily Telegraph, The, 591 Dalziel, Jules H., 651 Danton, Georges-Jacques, 643 Danziger Zeitung, 320 Dasbach, Georg Friedrich, 545 Dau-Hohenstein (Reichstagsabg.), 467 David, Eduard, 794 Delbrück, Hans, 514 Delcluze, Alfred, 684 Delescluze, Charles, 31 Delory, Gustave, 445 Democratic Federation, 162, 165 Démocratie pacifique, La, 31 Demokratische Blätter, 215, 231 Demokratische Korrespondenz, 150 Demokratisches Wochenblatt, 9, 11, 13, 19, 33, 43, 65
811
Demuth, Helene, 315, 325, 327, 402, 625f. Depasse, Hector, 462, 470 Derossi, Karl, 38 Deutsche Buchbinderzeitung, Die, 175 Deutsche Freisinnige Partei, 174, 249, 271 Deutsche Wochenschrift (München), 272 Deutsche Wochenschrift (Wien), 257, 262 Deutsche Worte, 759 Deutsche Zeitung (Wien), 44, 86, 688, 734 Deutscher Buchdruckerverband, 711 Deutscher Kulturbund, 304 Deutscher Tischlerverband, 711 Deutsches Wochenblatt, 48 Deville, Gabriel, 126, 366, 371 Dietz, Joh. Heinrich Wilhelm, 147, 153, 162, 184, 186, 201, 206, 210, 217, 224, 246, 276, 291, 326, 333, 337, 358, 373, 388, 445, 453, 458, 497, 502, 504, 512, 527, 542, 574, 579, 630f., 634, 639, 642, 647, 655, 667, 670, 720, 727, 729, 742, 766, 769, 789, 794, 804f. Dietzgen, Joseph, 97 Dilke, Sir Charles, 475, 546 Dimmick (Verleger), 402 Disraeli, Benjamin Earl of Beaconsfield, 519, 554 Döblin, Emil, 711 Domela Nieuwenhuis, Ferdinand, 312, 345f., 351, 364, 398, 576, 584, 777 Dopp (Antisemit), 332 Doppler (Kreistagsabg.), 782 Dormoy, Jean, 344 Douglas, Hugo Sholto Graf von, 336 Dreesbach, August, 645, 696 Dresdener Volksbote, 41, 43, 52 Dresdener Volkszeitung, 113, 331 Droste-Vischering, Clemens August von, 270 Droste-Vischering, Freifrau von, 270 Duc-Quercy, Albert, 278, 398 Dühring, Eugen, 76 Duncker u. Humblot (Verlag), 404f. Dupuy, Charles-Alexandre, 736, 740 Dziennik polski, 41 Eccarius, J. George, 10, 276
812
Eclair, L', 592 Ede, s. Bernstein, Eduard Egalité, h', (Paris), 85, 126f„ 371 Egidy, Moritz von, 775 Ehrenfreund, Isidor, 562 Ehrhart, Franz Josef, 84, 457, 594 Einigkeit, 435 Elisabeth Königin von England, 181 Ellenbogen, Wilhelm, 573 Elm, Adolph von, 735, 765 Emmel, Leopold, 594 Enders (Redakteur), 771 Engel, Georg, 314 Engels, Friedrich, über —, Marx 119, 124, 127, 129, 150f„ 164, 271, 279, 619; Komm. Manifest 32, 37f., 61, 241, Elend der Philosophie 40, 193, „Lohnarbeit und Kapital" 419, „Kapital" 23, 153f., 164, 188, 220, 229, 234, 241, 270, 280, 369, 420, 589, 606, 641f., Programm-Kritik 413ff. —s. Schriften: „Lage der arbeitenden Klasse" 214, 502, 51 lf., 515f„ Bauernkrieg 420,Anti-Dühring 75f., 631, 720, Entwicklung des Sozialismus 128, 144, 150, 241, 419, 512, 523, Ursprung der Familie 182, 419 —, Bebels „Die Frau und der Sozialismus" 172ff„ 715 —, Verhältnis zu Liebknecht, 158f., 227f., 243f„ 251, 277, 299, 342, 413, 461f„ 721 —, „wahren Sozialismus" 61, 338ff. —, Haltung des Volksstaat 17f. —, Lassalle und Lassalleanismus 19, 27f„ 415f., 444f„ 461f. —, Int. Arbeiter-Assoziation 21f., 29 37, 63, 577 —, Pariser Kommune 22, 32, 74, 192 —, Bakunin, Most und Anarchisten 20ff., 33, 80, 108, 188f„ 614 —, Vereinigung der Parteien 19, 21, 27-34, 37ff„ 41, 413ff. —, Höchberg und s. Jahrbuch 45f., 55-61, 74f„ 88 —, Züricher Sozialdemokrat 44f., 4855, 71, 80, 113f., 122f„ 128, 219f„ 297 —, Klassenkampf 62f., 137f.
—, d. proletarischen Charakter der Partei 87, 171, 202 —, Bürgerliche Elemente 61f., 83f., 123f., 158, 171, 181f„ 189f., 201f., 218, 229, 232f., 239, 251, 465, 474f., 487, 564f. —, Spaltung der Partei 124ff., 159f., 190, 228, 233 —, Meinungsfreiheit in der Partei 416f., 442, 462, 607, 617, 628 —, Gewerkschaften 31, 239f., 545, 582ff„ 598f„ 723 —, Bürgerliche Parteien in Deutschland 180, 195, 204f., 269f., 298, 374f„ 379, 474, 508-511, 577, 651, 708f., 722 —, Staat, Verstaatlichung 32, 123, 179, 276f., 424f. —, Parlamentarismus 53, 81, 91, 110, 157f. —, Kritik an der Reichstagsfraktion 73f„ 82f„ 218, 265f. —, Krisen 142f., 149, 160, 172, 239, 254, 267, 517f. —, Allgemeine Krise, Weltkrach 109, 136f., 718 —, Recht auf Revolution 193ff. —, Aussichten der Revolution in Deutschland u. Europa 196, 202ff., 244f., 285f„ 441, 487, 718 —, 1848: 60f., 86f., 124f„ 153, 180, 722 —, Reichstagswahl-Aussichten und Erfolge 115f„ 164, 188f., 191f„ 302, 375, 377-380, 685 —, „Gegen 1898" 441, 464f. —, Europäischer Krieg 88f., 92, 244f„ 285ff„ 298f„ 303, 376, 418, 439, 451f„ 463f„ 472, 651f„ 657 —, Revolutionäre Entwicklung Russlands 41, 88, 92f„ 109, 142f„ 173, 286f. —, Russland-Politik 41f., 283ff., 297, 437-441, 450ff„ 463f„ 485f„ 499f„ 518f., 657ff. —, Arbeiterbewegung in England 152 165f„ 172f„ 235, 239f„ 256ff., 266f„ 270, 279f., 390ff., 545f„ 554ff„ 558ff„ 564, 571f., 577, 582ff„ 590f., 607f., 619, 650, 659f„ 665f., 716f. —, — in Frankreich 92, 115, 126f.,
137f., 180, 234f., 24lf., 258ff„ 267ff., 270f., 278f., 287f„ 342ff„ 369ff„ 462, 470-473, 592, 596ff., 606f., 632, 637f., 640f. —, — in USA. 107ff„ 277f. —, II. Internationale 342ff., 349, 352, 359, 361, 363ff„ 582ff. —, Maifeier 419, 523f., 538, 617f., 628f. —, Elsass-Lothringen 500f., 523, 596f. —, Kolonialpolitik (Dampfersubvention) 190, 210-213, 243, 252 —, Militärpolitik 439, 451f„ 480ff., 484f„ 658, 665f. —, Schutzzoll und Freihandel 54, 71ff., 81f., 123, 215, 615 Erlanger, Michael, 130 Ernst, Hugo, 332 Eulenburg, Botho Graf zu, 526, 605 Evening Standard, The, 482 Ewald, Ferdinand, 169 Ewerbeck, August Hermann, 340 Eysoldt, Familie, 304 Fabian Society, 546, 681 Fédération des Travailleurs socialistes, 342 Fédération nationale des Syndicats, 342 Fendrich, Anton, 677 Fendrick, Wilhelm, 677f. Fenwick, John, 702, 704 Ferdinand, Fürst von Bulgarien, 805 Ferroul, Joseph-Antoine-Ernest, 398, 610 Ferry, Jules, 218, 343, 669 Feuerbach, Ludwig, 504 Fichte, Johann Gottlieb, 236, 790 Figaro, Le, 495, 500, 505, 551, 593, 687 Findel, J. G„ 90 Fischer, Frau, 730 Fischer, Inke, 625, 627 Fischer, Richard, 314, 377, 401, 404, 419, 455f., 459, 461f., 548, 563, 586, 593, 596, 611, 633, 646, 677, 693f., 702, 730f„ 791-793, 795 Fleckles, Ferdinand, 533 Flesch, Karl, 55, 711 Forckenbeck, Max von, 175 Fould, Achille, 487
813
Foulger (Verleger), 715, 721 Fourier, Charles, 304 France, La, 596, 598 Frankfurter Journal, 224 Frankfurter Zeitung, 28, 39, 43, 104, 115, 119, 135, 264, 294, 414, 466, 469, 499, 514, 561, 586, 593, 680, 711, 728, 742, 746, 751, 773 Fränkische Tagespost, 69, 113, 466 Franz-Josef, Kaiser, 325, 452, 552 Frauen-Bildungsverein, 540, 637 Freie Presse (Elberfeld), 372 Freiheit, 42f„ 68, 71, 80, 84, 90, 103, 106, 115, 317, 788 Freisinnige Vereinigung, 271, 320, 694 Freisinnige Volkspartei, 694, 696, 709f. Freisinnige Zeitung, 467, 767 Freundschafts-Club der Zigarren-Sortierer, 309 Freyberger, Louise, s. Kautsky, Louise Freyberger, Ludwig, 405, 652, 739, 762, 778, 784, 791 Freycinet, Charles-Louis de Saulces de, 445, 471, 598, 631 Freytag, Otto, 90, 102, 214, 292, 297 Frieda, s. Bebel, Frieda Friedemann (Stadtverordneter) 549 Friedens- und Freiheitsliga, 29f. Friedrich II., König, 194, 525 Friedrich, Kronprinz, dann Kaiser Friedrich III., 174f., 179, 222, 261, 271, 282, 314, 320f„ 323-325, 328, 334-336, 378, 514 Friedrich Karl, Prinz von Hessen, 648 Friedrich Wilhelm III., König, 125, 179, 378 Friedrich Wilhelm IV., König, 269 Friend of the People, 107 Fritsch, Theodor, 333 Fritzsche, Friedrich Wilhelm, 63, 6971, 90, 101, 108, 112, 159, 171, Frohme, Karl, 186f., 224, 227, 230, 233, 236f„ 247, 265, 276, 291, 506, 537, 607, 656f., 791 Fuchs, Eduard, 695 Gallus, s. Lafargue, Paul (Pseud.: Gallus) Gambon (Kammerkandidat 1885), 278
814
Garibaldi, Giuseppe, 485 Gas Workers and General Labourer's Union, 279, 391 Gaulois, he, 598 Gazeta Narodowa, 41 Gazeta Robotnicza, 405 Geck, Adolf, 768, 794 Geffcken, Friedrich Heinrich, 323, 336 Geib, August, 26, 38, 64, 67, 156, 209, 407 Geiser, Bruno, 122, 155, 158, 162, 168, 171, 181, 183f., 201, 217, 224, 226f., 434, 442, 460, 498, 501 Georg, Herzog zu Sachsen, 502, 504 George, Henry, 173, 278, 300 Gerichtszeitung, 136 Gerisch, Albin, 738, 755, 765 Gesellschaft, Die, 38 Gesellschaft des Völkerbundes, 30 Gesellschaft für deutsche Kolonisation, 187 Gewerkschafter, Der, 175 Geyer, Friedrich, 261 Giers, Nikolaj Karlovic v., 143, 475 Gil Blas, 400f. Gilles, Ferdinand, 354f„ 427, 429f„ 436, 442-444, 446, 460, 462, 467, 473, 487, 497, 501, 503, 505, 523, 546, 549, 577, 608 Gine, s. Bernstein, Regina Gladstone, William Ewart, 108, 165, 235, 375f., 437, 519, 548, 551f„ 554f„ 558, 580, 650, 659f„ 665, 670 Gleichheit (Wien), 346, 362f., 466 Gleichheit, Die, 458, 595, 804 Glück auf, 44 Goegg, Amand, 30f. Görcki, Fritz, 169 Görtz (Reichstagsabg.), 694 Goes, Frank van der, 453 Gottschall, Rudolf von, 790 Graham, Robert-Bontine Cunningham, 429, 443, 521, 559, 562 Graham, Mrs. Cunningham, 537 Granville, George Earl of, 475 Greulich, Herman, 549, 571, 573, 643, 746 Grillenberger, Carl, 69, 150, 201, 217, 224, 247, 265, 282, 314, 354, 368,
373, 395, 447, 566, 667, 670, 702, 782, 786 Groeben, Landrat von der, 659 Gröber, Adolf, 676, 794 Grün, Karl, 337f., 340, 426 Grütliverein, 549 Guesde, Jules, 64, 85f., 92, 126, 137, 259, 342, 365-367, 370f„ 376, 398, 463, 477, 551, 589, 597, 638, 643, 678, 702, 753, 756, 764 Guillaume, James, 304 Guillaume (Maler), 304 Guillaume-Schack, Gertrud, 304, 435, 442 Guillery, Jules, 301 Gumpert, Edward, 544, 658 Gustedt-Lablacken, Wemer Baron, 668 Guttzeit, J. F., 176 Gutzkow, Karl, 86 Haase, Hugo, 695 Haiherstädter Freie Presse, 94 Hamburger Echo, 429, 436, 447, 463, 476, 634, 733, 804 Hammacher, Friedrich, 208 Hänel, Albert, 271 Hansemann, Adolf von, 81f. Hanser, Rudolf, 398, 544 Hänsler, Wilhelm, 696 Hardie, James Keir, 443, 521, 555f., 558, 562, 591, 594, 599, 650, 653, 659f, 663 Harkness, Margaret, 443 Harm, Friedrich, 207, 354, 368 Hamey, George Julian, 107 Hartmann, Georg Wilhelm, 38, 91, 115, 117 Hartmann, Karl Alwin, 217, 523, 528 Hartmann, Leo, 163 Hasenclever, Wilhelm, 26f, 33, 38, 89f, 105, 113, 118, 122, 134, 155, 158, 182, 217, 247, 250, 265, 313 Hasselmann, Wilhelm, 27,33, 43f., 61, 86, 90f, 97, 115, 158, 388 Hatzfeldt, Sophie Gräfin von, 15, 404 Haupt, Christian, 317 Hauptmann, Carl, 744 Hauptmann, Gerhart, 402, 744 Hegar, Alfred, 778 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, 22
Heimann, Adolf, 544 Heinrich, Carl, 317 Heinrich, Prinz von Preussen, 742 Heinrich IV., König, 83 Heinrich VII., König, 149 Heinrich VIII., König, 149 Heinzel, Stefan, 186, 276, 291 Heinzen, Karl, 189 Helphand-Parvus, Alexander (Pseud.: Unus), 710 Hepner, Adolph, 14-18, 105, 122, 150 Héritier, Louis, 614 Herkner, Heinrich, 500 Herold, August, 169 Herrfurth, Ludwig, 186, 335, 396, 605 Hertling, Georg Frhr. von, 197 Hess, Moses, 337-340, 358, 426 Heufelder, A., 132 Hewitt, Abram Stevens, 300 Hexe, die, s. Kautsky, Louise Heymann, Frau, 637, 714 Hilferuf der deutschen Jugend, Der, 338 Hinkeldey, Karl Ludwig von, 648 Hirsch, Carl, 43-46, 48-54, 65f., 68, 70-73, 77f., 80, 83f„ 89, 93, 96-101, 103f„ 106, 118, 128, 142, 144, 213, 216, 428, 430, 435, 469, 472, 477, 486, 499, 746, 751, 753 Hirschfeld u. Wolff (Bankhaus), 477 Hitze, Franz, 646, 656f. Höchberg, Karl (Ps.: L. Richter), 4549, 51f„ 53, 55, 63-65, 67, 69, 71, 74f., 77f., 80, 84f„ 87f., 93, 97f., 104, 116, 120, 227, 371, 498 Hochgürtel (Arbeiter), 572 Hohenlohe-Schillingsfürst, Fürst Chlodwig zu, 496, 509, 701, 789 Hoiningen, Karl Frhr. von (gen. Huene), 491, 676, 682f. Homme libre, L', 287 Hoyos, Gräfin Marguerite von, 552 Hug, Paul, 794 Hugo, C. (Ps. von Lindemann, Hugo), 794 Hugo, Victor, 31 Hugues, Clovis, 259 Huhn, Arthur von, 732 Hume, Joseph, 229 Huene, s. Hoiningen, Karl Frhr. von Huret, Jules, 551
815
Hyndman, Henry Mayers, 165f., 240, 255, 257f„ 262, 266f„ 270, 312, 356, 358, 443f„ 523f„ 545f„ 584, 590, 594f„ 608, 777f. Iglesias, Pablo, 678 Ihrer, Emma, 366, 435, 470 Ihring-Mahlow (Polizeibeamter) 265, 312, 325, 765 Independent Labour Party, 555, 564, 591, 649, 660 Internationale, L', 11 Internationale Arbeiter - Assoziation, 9f., 12f., 20-22, 29, 37, 63, 85, 165, 259, 270, 276, 283, 299, 323, 415, 428, 481, 485, 577, 587, 678 Intransigeant, V, 271, 593, 640 Iskra, 776 Issleib, Ferdinand, 23, 167f„ 209 Jaclard, Charles-Victor, 365 Jaffé, Edgar, 147 Jahrbuch für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 45, 55 Jankowska, Maria, 366, 535, 538 Jaurès, Jean, 736, 749, 753, 756, 760, 773 Jersey Independent, 107 Jeup (Druckereibesitzer) 561 Jevons, Stanley, 560 Johann Philipp, s. Becker, Johann Philipp Jordan, Wilhelm, 790 Jörg, V., s. Vollmar, Georg von (Ps.: V. Jörg) Journal de Genève, 127 Joynes, James Leigh, 165 Julie, s. Bebel, Julie Julius, s. Motteier, Julius Junge Generation, Die, 338 Justice, 165, 279, 327, 355, 443, 523, 545f., 590, 608, 750, 777f. Justice, La, 127, 472, 593 Kaiserling, R. von, 739 Kammerer, Anton, 317 Kampf, Der, 466 Kanitz, Hans Graf von, 646, 759f. Kapell, August, 125 Kardorff, Wilhelm von, 509, 516, 646 Karl, s. Kautsky, Karl
816
Katzenstein, Simon, 794 Kaufmännische Presse, 804 Kautsky, Hans, 340 Kautsky, Karl, 38, 40, 82, 100, 102, 107, 114, 116, 128, 147, 152f., 155, 171, 184, 193, 219, 223, 227f., 231234, 243, 246, 250f„ 257, 262, 266, 306, 310f., 313, 317-319, 326f.,330, 337f.,340f., 346, 375, 377, 388, 408, 413, 421-423, 436, 441, 455, 461, 494, 500, 524, 542, 572, 575, 577, 585, 587f.,590f.,593, 609, 630, 642, 701, 725, 731, 794f„ 804f. Kautsky, Louise, 337, 340f., 405, 407, 420, 422, 426-430, 435f„ 443, 445447, 449, 453f., 457, 466, 469, 470, 482, 484, 488, 490, 499,502f.,505f., 511, 513, 516, 522, 525f„ 528-532, 534f„ 537-540, 542f., 545, 547,550, 552, 557, 560f„ 563-565, 568f., 571, 573-576, 578-582, 585f„ 588f„ 591, 593, 604-606, 609, 614, 616, 619f„ 622, 626f„ 637, 644, 647, 649, 652, 655, 657f., 660f„ 664, 673, 675, 677, 680, 684, 686, 688, 693, 699-701, 703f„ 706-708, 720, 739, 742, 747, 754, 759, 762, 764, 768, 770f„ 776, 782, 784f„ 790, 795, 798, 800f. Kautsky, Minna, 238, 310 Kayser, Max, 51-54, 66f„ 70, 72f„ 78, 81f., 155, 158, 168 Kegel, Max, 113f Kessler, Gustav, 434, 803 Key, Ellen, 516 Kloss, Carl, 453, 711 Knapp, Georg Friedrich, 500 Knudsen, P„ 360 Kokosky, Samuel, 20 Kol, Henri Hubert van (Ps.: Rienzi), 289 Koller, Ernst Matthias von, 496f., 500, 789, 791 Kölner Freie Presse, 243 Kölnische Zeitung, 91, 104, 197, 201f„ 215, 254, 294, 429, 514, 732, 755 Königsberger Volksblatt, 272 Kopp, Georg Kardinal, 701 Koselev, Aleksandr Ivanovic, 41 Köster (Zürich), 643 Köttgen, Gustav Adolf, 358
Kowalewsky, Maxim, 535 Kowalewsky, Sonja, 516, 535 Kreuz-Zeitung, 274, 405, 449, 505, 514, 681, 684, 728, 736f., 739 Kropotkin, Peter, 788 Kruhl, August, 94 Kugelmann, Franziska, 707 Kugelmann, Ludwig, 587-590, 707f. Kuhlmann, Georg, 339 Kühn, August, 748 Kuliscioff, Anna, 692 Kunert, Fritz, 460, 462, 695 Labor Reform Party, 108 Labouchere, Henry du Pre, 546 Labour Elector, 546 Labour Leader, The, 555 Labour Standard, 353 Labriola, Antonio, 649, 731 Ladour (franz. Sozialist), 398 Lafargue, Laura, 129, 192, 241, 271, 274, 345, 347, 359, 364, 366, 401, 406, 427, 463, 480, 484, 538, 583, 589, 600, 629, 681, 733, 736 Lafargue, Paul, 85f., 126, 137, 259, 278, 342, 344-346, 349, 352, 357, 359-361, 364-366, 370f., 390, 399, 401, 419, 428, 432, 445, 447, 452f., 460, 462f„ 467, 470-472, 474, 476, 480f„ 483-485, 589, 592, 597f., 600, 602, 606f., 610, 628, 632, 635, 668, 674, 681, 699f., 702, 720f„ 727, 729f„ 733, 736, 749, 764, 782, 794 Lamendin, Arthur, 767 Landauer, Gustav, 643 Lande, Hugo, 728 Lang, Otto, 473, 643 Langenkandel (Bataillon), 125 Langerhans, Paul, 694 Lanterne, La, 43, 640 Lasker, Eduard, 59 Lassalle, Ferdinand, 14-17, 23, 30f., 33, 36, 41, 55f., 118, 133, 141, 212, 236, 240, 245, 252, 262, 308, 337, 398, 404f„ 408f., 414-416, 431f., 434, 437, 442, 444-446, 576, 599, 616, 721, 727, 729, 798 Lassallescher Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein, 15 Laterne, Die, (anfangs Die Laterne von Carl Hirsch), 43, 52, 54f.,
66, 68, 71, 78, 90, 97, 142 Laube, Heinrich, 86 Laveleye, Emile de, 147 Ledru-Rollin, Alexandre Auguste, 31 Lee, H. W„ 352, 355 Legal Eight Hours League, 523f., 681 Legien, Carl, 711, 750 Lehmann, Dr. (Arzt), 721, 727 Leibfried, W., 441, 444, 446, 470, 488, 497 Leipziger Tageblatt, 94, 542 Leipziger Volkszeitung, 90, 435 Lenchen, s. Demuth, Helene Lenin, Vladimir Il'ic, 776 Lensch, Paul, 313 Lenzmann, Julius, 215 Leonhardt (Leipzig), 243 Leroux, Pierre, 241 Lesseps, Charles de, 640 Lessing, Gotthold Ephraim, 525 Lessner, Friedrich, 684 Liberale Vereinigung, 174 Lieber, Emst, 671 Liebermann von Sonnenberg, Max, 679 Liebknecht, Gertrud, 736 Liebknecht, Karl, 449, 551, 714 Liebknecht, Nathalie, 113, 163, 238, 394f., 566, 574, 713, 727, 736, 743 Liebknecht, Theodor, 449, 551, 714 Liebknecht, Wilhelm, 10f„ 13-18, 20, 26f., 33-36, 39, 43-46, 48-52, 65, 69-71, 75, 80, 84-86, 90, 93f„ 97100, 102, 104, 109, 113f„ 116-118, 120, 129-131, 133f., 138, 143, 147, 151-159, 162f„ 166, 171, 173, 183185, 205-207, 210f„ 213f., 217-219, 224, 227f„ 233, 235f., 239, 243, 247f„ 250f„ 254f„ 263-266, 269, 272, 277, 283, 286f., 289-291, 295297, 299f., 302, 304, 306, 310, 313f., 322, 330, 332, 334, 336, 342, 344-346, 349-353, 355, 357, 360, 362, 364-366, 370, 373, 376, 385, 393f, 397f., 403f„ 406-408, 410, 413-415, 417f., 420-423, 425, 427430, 434f., 441f„ 449, 452, 455, 460-462, 464, 467, 469, 471f„ 477, 483, 486, 489f., 492, 495, 497-499, 50lf., 504f„ 512f„ 515, 517, 523, 528, 536, 543, 548, 551, 552, 562f„
817
565f., 574, 586f., 592f., 595-604, 607f., 611f„ 615f„ 620, 622-625, 632, 635, 643, 645f„ 656f„ 661, 665-667, 669f., 673f„ 676, 678,694 699, 703, 710f„ 720f., 724, 727, 729f., 732, 735f„ 743, 745, 748f„ 753, 756, 760f„ 764, 766, 768, 770f., 775, 777, 782, 786, 788f„ 794f. Limanowski, Boleslaw, 64 Lindemann, Hugo, s. Hugo, C. Lingg, Louis, 314 Lischka, Josef, 738 Loewe, Firma Ludwig, 544 Londoner Arbeiter-Zeitung, 355 Longuet, Charles, 259, 371 Longuet, Jenny, 121, 148 Lotta di Classe, La, 692 Loubet, Emile, 598 Louis-Philippe, König, 487, 631 Louise, s. Kautsky, Louise Lüderitz, Eduard, 187, 190 Ludwig II., König, 300 Luise, Königin, 125 Lüning, Otto, 339 Lutz (Schneidermeister), 359 Mackenzie, Sir Morell, 328, 335 McKinley, William, 615 Magdeburger Zeitung, 104, 516 Malon, Benoit, 64, 85f„ 88, 92, 126, 137f. Malthus, Thomas Robert, 30 Mann, Tom, 443 Manning, Henry Edward, Kardinal, 144 Manteuffel, Edwin Frhr. v., 496 Manz-Schäppi, Karl, 473, 746 Mappe, Die, 175 Marek, Van der, s. Rosenberg, W.L. Margarete, Prinzessin, 648 Marschall von Bieberstein, Frhr. Adolf von, 669 Marseillaise, La, 640 Martignetti, Pasquale, 309 Marx, Jenny, 113, 119 Marx, Karl, 9-13, 15, 17, 23, 26, 30, 32-44, 46-48, 59, 63, 66f., 76, 82f„ 86, 90, 93-95, 99f., 107, 109-111, 114, 119, 12 lf., 124, 127-129, 134, 136-138, 141, 143f„ 148-157, 159, 162, 164, 166, 181, 189, 201, 204,
818
213, 223, 228, 232, 234, 241, 245, 253, 255, 271, 275, 279, 283f., 287, 308, 315, 318, 338f., 392, 398, 404, 406-409, 413f., 416, 422f„ 436, 442, 448, 481, 486, 532f., 560, 564, 579, 587-590, 617, 619, 626, 642, 674, 686, 725, 776, 790-792, 795, 798 Marx-Aveling, Eleanor, s. AvelingMarx, Eleanor Marx (Maschinist), 42 Massingham, Henry-William, 608 Massow, Adolf von, 645 Massow, C. von, 779 Matin, Le, 593 Matkin, William, 582f. Maurer (Verleger), 402 Maurer, Georg Ludwig von, 129, 142, 144, 147, 150 Mawdsley, James, 764 Maximilian, Erzherzog, 325 Mehring, Franz, 128, 213, 215f„ 231, 234, 295, 385, 498, 519f., 524f„ 527, 709, 721, 732, 792f„ 803 Meissner, Otto, 153, 222, 686, 727 Meist, Carl, 696 Meister, Heinrich, 202, 382, 633, 747 Mendelson, Stanislaus, 534f., 538, 553, 674, 739 Menger, Karl, 560 Metropolitan Radical Federation, 523f. Metzner, Theodor, 595 Meyer, Hermann, 587, 589 Meyer, Julius, 339, 587 Meyer, Rudolf, 82, 141, 144, 166, 726, 740 Millerand, Alexandre, 371, 668 Millevoye, Lucien, 596, 607 Miquel, Johannes von, 59, 318f., 337, 421f„ 526, 579, 581, 587f., 596, 615, 671f„ 722, 725, 728, 736, 740, 742, 747f., 756, 790 Molkenbuhr, Hermann, 701, 747, 794 Möller, Theodor, 646, 663, 695 Moltke, Helmuth Graf von, 192, 325, 418 Moltke, O. Graf von, 765 Moore, Samuel, 174, 626 Morris, William, 25, 165, 240, 267, 279, 312, 366 Most, Johann, 25, 27, 42f., 46, 61, 66, 70, 76f., 79f„ 83f., 86, 91, 94f.,
106, 108, 115, 123, 189 Motteier, Julius, 36, 289, 291, 326f„ 330-333, 345, 354, 359, 364, 368, 377, 394, 409, 497, 501, 531f., 589, 605, 626f., 631, 713, 719, 777 Motteier, Frau, 327, 330, 501 Mouvement socialiste, Le, 592 Mülberger, Arthur, 20, 61, 64 Müller, Hans, 473, 599, 602, 604, 607, 610 Müller, Philipp, 186, 202, 276, 291 Müller, Hugo v., 315 Münchener Allgemeine Zeitung, 469, 676 Münchener Neueste Nachrichten, 562 Münchener Post, 432, 466, 562, 780, 784f. Munckel, August, 648 Mundberg, Anton, 398 Napoleon I., Kaiser, 400 Napoleon III., Kaiser, 143, 149, 204, 325, 496, 631 Naporra, Rudolf, 325 Narodniki, 531 Nathan, Frl., 714 Nation, La, 630 National, Le, 204 National Independent Labour Party, 555, 591 Nationalliberale Korrespondenz, 318 National Reformer, The, 443 National-Zettung, 135, 737 Naumann, Friedrich, 775 Nebel (Nationalliberaler), 243 Nebel (Polizeiagent), 317 Neue Freie Presse, 556 Neue Gesellschaft, Die, 61, 147 Neue Kölnische Zeitung, 564 Neue Rheinische Zeitung, 31, 400, 426, 629, 793 Neue Rheinische Zeitung, Politischökonomische Revue, 420, 792f. Neue Tischlerzeitung, Die, 175 Neue Welt, Die, 45, 122, 162, 238, 288 Neue Zeit, Die, 27, 38, 82, 147, 184, 193, 223, 228, 246, 293, 297, 337, 339, 388, 393, 408, 416f., 423, 427f., 433, 449, 455f„ 512, 516, 519f., 524f., 533, 560, 572, 576,579,
585, 587, 598, 601, 607, 609, 625, 629f„ 634, 639, 710, 726, 728, 744, 751, 753, 755, 759, 766, 794f., 804f. Neuer Social-Demokrat, 17f., 20, 22, 26f., 103 Neumann (Polizeiagent), 317 New Yorker Volkszeitung, 226, 296, 299, 331, 437 Nieberding, Rudolf Arnold, 788f„ 802 Nieuwe Tijd, De, 453 Nim, Nimmy, s. Demuth, Helene Nineteenth Century, 546 Nobiling, Karl Eduard, 74, 325 Nonne, Heinrich (alias Friedrich), 317, 474 Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 97, 231, 333, 552, 768 Northern Star, 107 Nyssens, Albert, 680f. Oberwinder, Heinrich, 317 O'Connor, Feargus, 229 Offenbacher Tageblatt, 157 Offenburger Volksfreund, 768 Oppenheim, M., 587 Oppert, Heinrich, 472 Oertel, Carl, 456f., 459 Otto, Albert, 99 Otto-Walster, August, 41 Owen, Robert, 40, 279 Padlewski, St., 535 Paepe, César de, 64, 86 Pall Mail Gazette, 592, 598 Pamell, Charles Stewart, 375, 443, 452, 475, 559, 650 Pamell, W., 583 Parsons, Albert R., 314 Parti ouvrier, Le, 593 Parti ouvrier français, 583, 592, 635 Parti socialiste, Le, 593, 745 Parti socialiste de France, 259, 287, 371 Partido Socialista Obrero Español, 678 Parvus, s. Helphand-Parvus, Alexander Patten, Philip van, 42 Patzenhofer (Brauerei), 772 Paul, Paulus, s. Singer, Paul Pernerstorfer, Engelbert, 759
819
Peters, Karl, 187 Petite République française, La, 635 Peuple, Le, 743 Peus, Wilhelm Heinrich, 510 Pfähler, Gustav, 646 Pfänder, Karl, 276, 323 Pfänder, Frau, 322, 326 Pfannkuch, Wilhelm, 730, 756 Philipps, Wendell, 108 Phillips, Adolf, 120, 208, 215, 295 Pickard, Benjamin, 763 Pieper, Wilhelm, 588f. Pinoff (Staatsanwalt), 374 Pionier, 189 Planteau, Edouard, 259 Plechanov, Georgij Valentinovic 531, 776 Plener, Ernst von, 732, 741 Pokorny, Rudolf, 398 Polenz, von (Reichstagsabg.), 765 Politische Wochenschrift, 272 Politzer, A., 61 Popp, Julius, 622, 759 Popp-Dworschak, Adelheid, 759 Praslin, Charles, duc de Choiseul, 487 Preussische Jahrbücher, 514 Prolétaire, Le, 126 Prolétariat, Le, 343 Protesto, O, 40 Protot, Eugène, 370f. Proudhon, Pierre-Joseph, 20, 32, 40, 201, 241, 244, 268, 278 Provinzialkorresportdenz, 134 Przedswit, 535, 658, 666 Puttkamer, Robert von, 110, 150, 169, 265, 273, 310, 317, 319, 321-323, 325, 329, 334-336, 379, 417, 467, 526, 791 Puttkamer-Plauth, Bernhard von, 110, 334 Püttmann, Hermann, 358 Puttrich (Rechtsanwalt), 90, 102 Pyat, Félix, 31, 371 Quarck, Max, 711, 794, 804 Queich, Harry, 546 Quidde, Ludwig, 387, 774 Rabe (Reichstagskandidat), 161 Rackow, Heinrich, 103f., 223, 310 Racowitza-Dönniges, Helene von, 437
820
Ragaz, Jakob, 97 Ramm, Hermann, 34, 39 Ranc, Arthur, 480, 484 Recht auf Arbeit, 48, 246, 272 Rechtsschutzverein der Saar-Bergleute, 545, 586 Red Republican, 107 Reeves, William, 709, 715, 721 Reichsanzeiger, Deutscher, 756 Rempel, Rudolph, 339 Reumann, Jakob, 573, 633, 734 Reuss, Carl Theodor, 317 Reuss, Heinrich Prinz von — Schieitz, 552 Revue politique et littéraire, 550, 562 Revue socialiste, La, 85 Rheinisch-Westfälische Zeitung, 429 Rheinische Jahrbücher zur gesellschaftlichen Reform, 338, 358 Rheinische Wochenschrift, 272 Rheinische Zeitung, 746, 792f. Ribot, Alexandre, 471 Ricardo, David, 30, 173 Richter, Eugen, 263, 266, 271, 295, 425, 467, 491, 505, 508, 519, 656, 767 Richter, L., s. Höchberg, Karl (Ps.: L. Richter) Rickert, Heinrich, 320, 664 Rintelen, Victor, 506, 651, 653 Ritter u. Blumenfeld (Bankhaus), 477 Rittershaus, Emil, 790 Rittinghausen, Moritz, 31, 155, 158, 200, 243 Rjazanov, N., 795 Roche, Ernest, 278, 471 Roche, Eugène, 462 Rochefort, Henri de 43, 271, 640 Rodbertus-Jagetzow, Carl, 82, 141, 144, 166, 192f., 201, 231, 245f. Rödiger, Hugo, 207 Röllinghoff, Ewald, 374 Romanzeitung, 768 Roon, Albrecht Graf von, 624 Rosebery, Archibald Philip Primrose Earl of, 764 Rosenberg, W.L. (Pseud.: Van der Marek), 377 Rosher, Charles H„ 314 Rosher-Bums, Mary Ellen (Pumps), 167, 314, 432, 564, 568, 580 Rote Fahne, Die, 27
Rothschild, (Bankhaus), 129f. Rothschild, Lionel Nathan, 588f. Rothschild, Meyer Alphonse, 640 Rouvier, Maurice, 445, 471, 631, 640 Rowland, H.H., 162 Rownosc, 534 Roy, Joseph, 241 Rüge, Arnold, 521 Ruppel (antisemitischer Agitator), 118 Rusanov, Nikita Sergeevic, 531 Sabor, (Reichstagsabg.), 230 Sachs (Polizeiagent), 317 Sächsische Arbeiter-Zeitung, 397 Salisbury, R. Cecil Marquis of, 475, 551f. Sandtmann (Reichstagsabg.), 154 Sassulitsch, Vera, 776 Schäffle, Albert, 61, 135 Schapper, Karl, 378 Scherrer, Heinrich, 398 Scheu, Andreas, 25, 165, 240, 409 Schewitsch, Serge von, 436f. Schiffbauerbote, Der, 175 Schippel, Max, 349, 351, 385, 387, 605, 709f., 730, 741, 753, 757, 759f., 794, 804 Schlüter, Hermann, 326, 331f, 337341, 426, 713f., 719 Schlüter, Frau, 712-714, 719 Schmidt, Albert, 385 Schmidt, Conrad, 369, 371, 493, 560 Schmidt, Robert, 694 Schmuilow, Wladimir, 72 lf, 727, 729 775 Schneebergersche Korrespondenz, 289 Schneider (deutscher Arbeiter in London), 778 Schoenaich-Carolath, Prinz Heinrich zu, 514 Schoenlank, Bruno, 272, 435, 477, 486 489, 499, 527f, 542, 602, 647, 770, 772, 783, 794 Schönstedt, Karl Heinrich von, 789 Schorlemer-Alst, Burghard Frhr. von, 405 Schorlemmer, Carl, 166, 336, 397, 412, 511, 538, 543f, 547, 551, 556f, 563 Schramm, Karl August, 51f, 55, 64, 192f„ 246, 250, 255, 260f. Schröder, Carl, 317
Schröder, Hugo, 186 Schröder, Ludwig, 521, 526, 545, 548 Schuhmacher-Fachblatt, 175 Schultze, Carl, 694, 753, 794 Schulze, Adolf, 456 Schulze, Emst, 794 Schulze, Professor, 308 Schulze-Delitzsch, Franz Hermann, 252 Schumacher, Georg, 200, 217, 243, 248, 263, 266, 354, 368, 607, 611, Schumacher, Hermann, 144 Schuwalow, Peter Graf v., 518 Schwartz, Theodor, 711 Schweichel, Robert, 768 Schweinitz, Hans Lothar von, 518 Schweitzer, Johann Baptist von, 10, 15f„ 27, 36, 56 Schweizerischer Gewerkschaftsbund, 549 Schwennhagen, Ludwig, 317 Scotsman, The, 80 Seidel, Robert, 549, 571, 573f., 643, 699, 704, 746 Seiffert, Rudolf, 18 Seliverstov, Nicolai, 535 Shaw, George Bernard, 546, 553, 555 560, 608, 619 Shipton, George, 353, 523 Siegel, August, 520, 526f„ 545, 547 565 Siegle, Gustav, 685 Simon, Ferdinand, 372, 388, 392, 397, 403, 407, 409, 530, 534, 542, 568, 570, 573, 744, 747, 754, 769, 797f. Simon, Werner, 752 Singer, Heinrich, 317 Singer, Paul, 50, 100, 113, 123, 169, 176, 202, 210, 213, 219, 249, 265, 269, 291, 302,308,310f.,313f., 317, 319f., 332-334, 341, 368, 373, 381, 395, 403f„ 406, 411, 428, 453, 461, 474, 498, 506, 513, 523, 527-530, 534, 536-538, 553, 586, 588, 602, 618, 633, 646f„ 650, 653, 663, 667, 670, 678, 682, 694, 699, 702, 708-710, 724, 738f„ 748, 751, 755, 765, 769, 771, 777, 780, 783, 788 Smith, Adolphe, 610, 614, 767, 777
821
Sociaal-Democratische Arbeiders-Partij (Holland), 289 Social Democratic Federation, 165, 189, 240, 256f., 279, 312, 328, 342, 352, 355f„ 391, 523, 545f„ 572, 584, 590f., 608, 681, 774f„ 777 Social Democratic Party, 352 Social-Demokrat, 27, 47 Socialisms progressif, Le, 85 Socialist, Der, 377 Socialist Labor Party of U.S.A., 255, 377, 443 Socialist League, 240, 279, 312 Socialista, El, 678 Socialise, Le, 86, 241, 428, 432, 441, 449, 457, 464, 468, 517, 562, 586, 595-597, 603, 635, 721, 745, 752, 756 Soir, Le, 165 Sombart, Werner, 147 Sommerfeld, Gebr. (Bankhaus), 477 Sonnemann, Leopold, 39, 111, 213 Sonnenschein, Swan (Verlag), 533 Sorge, Friedrich Albert, 42, 48, 166, 377 Sozialdemokrat, Der (Zürich-London), 43, 45, 65, 68, 70, 75, 80, 83, 8691, 93-95, 98, 100, 102, 113f., 116, 118, 120, 122, 126-129, 131-134, 137-139,148,150,153-155,162,168, 170-172, 176, 186, 196, 207, 210, 218, 220f., 224f., 228, 231, 236, 238, 246, 250, 260, 272, 291f., 296, 300, 312, 314, 322, 324, 326328, 331-333, 336, 343, 349, 351, 355f., 360, 367f., 373f., 399f., 474, 477, 486, 531, 609 Sozialdemokrat, Der, (Berlin), 387, 605, 741, 782, 804 Sozialdemokrat, Der (Nürnberg-Fürth) 69 S ozialdemokratische Arbeiter - Partei, 14, 17, 19f„ 28f„ 31, 41, 401 Sozialdemokratische Arbeiter - Partei (Dänemark), 360 Sozialdemokratische Partei der Schweiz, 549 Sozialdemokratische Partei Deutschlands, 401 Sozialist, Der, 543, 614, 731, 751, 765, 788
822
Sozialistische Arbeiter-Partei, 401 Sozialistische Monatshefte, 387 Sozialpolitisches Centralblatt, 147, 477, 499 Sparig, Bruno, 94, 243 Spatzek (russ. Beamter), 658, 666 Spiess, August, 314 Staatsbürgerin, Die, 304 Staatswirthschaftliche Abhandlungen, 45 Stadthagen, Arthur, 435, 506, 647, 653 Stambulow, Stephan, 805 Standard, The, 108, 270, 284, 518 Star, The, 608 Stegmüller (Landtagsabg.), 804 Stein, August, 680 Stein, Lorenz, 340 Stellmacher, Hermann, 317 Stepniak (Ps. von S. M. Kravcinskij), 390, 537, 684 Stieber, Wilhelm, 41, 178, 243 Stirner, Max, 504 Stoecker, Adolf, 101, 329, 336, 656 Stolle, Wilhelm, 207 Strousberg, Bethel Henry, 59 Stumm-Halberg, Carl Ferdinand von, 506, 509, 511, 548, 645f. Stumpf, Paul, 13 Süddeutsche Post, 48, 137, 162f. Sun, The, 107 Swinton, John, 107 Symmachos, s. Kautsky, Karl (Ps.: Symmachos) Taaffe, Eduard Graf von, 711, 717f., 723, 725, 728, 732 Tabakarbeiter, Der, 261 Tagwacht, 90 Tauscher, Leonhard, 331 Taylor, Helen, 165 Temps, Le, 593 Tessendorf, Hermann, 41 Thomas von Aquino, 656f., Thorne, Will, 582 Tillett, Ben, 649 Times, The, 276, 472 To Day, 279 Tölcke, Karl Wilhelm, 27, 33 Tönnies, Ferdinand, 711 Träger, Albert, 506 Trautner, Max, 317
Treitschke, Heinrich von, 790 Trepow, Fjodor, 776 Trewendt, Eduard, 223 Tschech, Heinrieh Ludwig, 269, 273 Turati, Filippo, 692 Tussy, s. Aveling-Marx, Eleanor Tutzauer, Franz, 169, 647, 652 Ulrich, Carl, 186, 276, 305 Unsre Gegenwart und Zukunft, 498 Unus, s. Helphand- Parvus, Alexander Uruiählerzeitung, 718 Vahlteich, Julius, 39, 67, 112 Vaillant, Auguste, 740 Vaillant, Edouard, 241, 287, 344, 364, 366, 371, 376, 589, 702, 721, 745, 748 Vaterland, Das, 82 Verband Deutscher Arbeitervereine, 9f. Verband Deutscher Bergleute, 520f., 526 Verband Kaufmännischer Vereine, 804 Verband zur Wahrung und Förderung der bergmännischen Interessen im Rheinland und Westfalen, 367 Verein Unabhängiger Sozialisten, 458 Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen, 304, 435 Vereinigten Staaten von Europa, Die, 29 Victor, s. Adler, Victor Victoria, Königin von England, 324, 327 Victoria, Kronprinzessin, dann Kaiserin, 175, 282, 294, 324f., 335 Viereck, Edwina, 48 Viereck, Louis, 48-50, 52, 54, 86, 101, 107, 109, 113, 115f., 119, 122, 137, 139, 159, 162, 168, 171, 182, 186, 236, 245f„ 260, 272f., 276, 291, 305, 435, 442 Viette, François, 598 Vincent, Howard, 659 Virchow, Rudolf v., 169, 175, 325 Vögelin, Salomon, 61 Völkerbund, Der, 31 Vogt, Carl, 124 Vogt, J. C., 422f.
Vogtherr, Ewald, 694 Volders, Jean, 750 Volksblatt für Teltow — Beeskow — Storkow, 435 Volksstaat, Der, 14f., 17f., 20, 22, 26-28, 31, 34, 40f., 43, 65, 98, 122, 126, 213, 597, 600, 624, 640 Volksstimme (Frankfurt), 711 Volksverein für das katholische Deutschland, 545 Volkswille (Dortmund), 561 Volks-Zeitung, Organ für Jedermann ausdemVolke, 208, 231, 294f., 318, 385, 477, 718 Vollmar, Georg von, 43f., 46, 65, 68f., 71, 77, 89f„ 96, 98, 129, 131-133, 136-139,183, 186f., 206f.,217, 269, 276, 291, 311, 350, 424, 432, 435, 441, 455-457, 459-461, 466, 468, 473, 516, 523, 550, 562-564, 566, 590, 608f., 612, 622, 630, 702, 749, 770, 772f„ 775, 780-787, 794, 803 Vollmar-Kjellberg, Julia von, 516, 562, 781 Vorbote, Der (Chicago), 409, 416 Vorbote, Der (Genève), 9, 12 Vorwärts, Berliner Volksblatt, 27, 54, 65, 76, 126, 213, 394, 413, 417f., 425, 427f„ 433-437, 441f„ 447f„ 454, 458f„ 462f„ 466f., 469-474, 477, 486, 489, 493, 498-501, 505f„ 513, 517, 519, 523, 528, 542, 544, 549,552,554,556-558,560-562,566, 572, 585-587, 589f., 595f„ 598, 605, 610f„ 615f„ 620, 624, 632-635, 643, 646, 650, 653, 656, 662, 665, 668, 681f„ 687f„ 698, 711, 720, 722, 724, 727-731, 733-736, 740, 743, 745f„ 749-751, 753, 755, 760, 762f., 765,767, 771,774, 778, 781f„ 784, 804, Vossische Zeitung, 552, 586, 596, 682, 684, 690, 710, 738, 756 Wachs, Otto, 658, 663, 666 Wächter, Theodor von, 775f. Wähler, Der, 261 Wagener, Hermann, 141 Wagner, Adolf, 141 Wahre Jacob, Der, 537, 542 Waldeyer, Wilhelm von, 324
823
Waldteufel (Korrespondent des Figaro), 500, 505 Walha Klass, 535 Wallas, Graham, 546 Walter, Dr. (Arzt), 232, 234, 341 Warken, Nikolaus, 545, 548, 594 Warren, Joe, 108 Warschauer u. Mendelssohn (Bankhaus), 477 Watrin (Bergwerksdirektor), 259 Webb, Beatrice, 546 Webb, Sidney, 546 Weber, Max, 147 Wedde, Johannes, 309 Weekly Dispatch, 427 Weiler, Adam, 318f., 677 Weiss, Johannes, 311, 315 Weitling, Wilhelm, 337-340, 427 Wermuth (Polizeidirektor), 243 Wernau, Julius, 595 Werner, Wilhelm, 402, 456, 458, 470 Weser-Zeitung, 128, 216 Westdeutsche Zeitung, 31 Westfälischer Merkur, 275 Weydemeyer, Joseph, 339, 587 Whistler, James, 429 Wichmann, W., 317 Wiede, Franz, 61 Wieser, Friedrich Frhr. von, 560 Wigand, Otto, 214, 216, 497, 502504, 51 lf., 515 Wildberger, Carl, 456, 458 Wilhelm, Prinz, dann Kaiser Wilhelm I., 48, 74, 109, 142, 178f„ 195, 222, 235, 253, 277, 282, 284, 294, 297-299, 314, 320, 323, 325, 492 Wilhelm, Prinz, Kronprinz, dann Kaiser Wilhelm II., 261, 281f., 320f., 325, 328f., 333, 335f„ 347, 377-379, 382f., 386, 397, 399, 410, 421, 475f., 478, 485, 488, 492, 506, 509, 514f„ 518, 520, 525f., 542, 552, 562, 577, 609, 645, 648, 655, 684,
824
688, 692, 700, 736, 742, 747, 751, 756, 788f„ 799 Wille, Bruno, 402 Williams, Robert, 270 Willich, August, 124, 378, 588 Wilson, J. Havelock, 559 Windischgrätz, Alfred Fürst, 732, 736 Windthorst, Ludwig, 163, 181, 261, 295, 671 Wirtschaftspolitische Korrespondenz, 45 Wittelshöfer, Otto, 759 Wittich, Hans v., 387 Wobsky (polnischer Sozialist), 398 Wohlgemuth (Polizeiinspektor), 359 Wolchowsky, Felix W., 537, 626 Wolff, Ferdinand, 629 Wolseley (General), 130 Workman's Times, 564, 591, 593, 596f„ 608, 665, 764 Wörmann, Adolf, 190 Wullschleger, Eugen, 398, 549 Wurm, Emanuel, 647, 678 York, Theodor, 14f„ 17f., 156 Zadek, Ignaz, 389 Zasulic s. Sassulitsch Zedlitz-Trützschler, Robert Graf von, 525f„ Zemlja i Volja, 776 Zetkin, Clara, 366, 458, 595, 804 Zetkin, Ossip, 595 Zevaes, Alexandre, 736 Ziegler, H. E., 750 Zimmer u. C°, H. (Schlesische Volksbuchhandlung), 93 Zola, Emile, 180 Zubeil, Fritz, 458 Zukunft, Die, 45, 47, 61, 64, 85, 88 Züricher Post, 97
QUELLEN UND UNTERSUCHUNGEN ZUR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN UND ÖSTERREICHISCHEN ARBEITERBEWEGUNG
Herausgegeben vom Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis te Amsterdam Direktor: A. J. C. Rüter I.
Friedrich Engels' Briefwechsel mit Karl Kautsky. Zweite, durch die Briefe Karl Kautskys vervollständigte Ausgabe von „Aus der Frühzeit des Marxismus". Herausgegeben und bearbeitet von BENEDIKT KAUTSKY.
1955.
[Erschienen im Danubia-Verlag, Wien.] II.
Moses Hess: Briefwechsel. Herausgegeben von
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Karl Kautsky: Erinnerungen und Erörterungen. Herausgegeben von
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D R . BENEDIKT KAUTSKY.
1960. 589 pp. Cloth.
Glds. 4 0 . -
Karl Marx: Manuskripte über die polnische Frage
(1863-1864).
Herausgegeben und eingeleitet von
und
HERTZ-EICHENRODE.
V.
Glds. 4 0 -
1961.
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WEHNER CONZE
pp. Cloth.
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24.-
Wilhelm Liebknecht: Briefwechsel mit Karl Marx und Friedrich Engels. Herausgegeben und bearbeitet von 509 pp., 6 plates. Cloth.
GEORG ECKERT.
1963.
Glds. 4 4 . -
MOUTON & CO • THE HAGUE • THE NETHERLANDS