Aufbruch!: Die Lebensreform in Deutschland 3805350678, 9783805350679

Naturnahes Wohnen, Naturheilmedizin, gesunde Ernährung, körperliche Achtsamkeit - derartige Lebensentwürfe sind nicht ne

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German Pages 208 [209] Year 2017

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Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Begriffe, Motive und Stichwortgeber
Ernährung
Naturheilkunde
Körperkultur
Siedlung
Fazit und Ausblick
Anmerkungen
Literatur
Personenregister
Abbildungsnachweis
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Aufbruch!: Die Lebensreform in Deutschland
 3805350678, 9783805350679

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Bernd Wedemeyer-Kolwe

Aufbruch Die Lebensreform in Deutschland

Abbildungsnachweis s. S. 207

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Philipp von Zabern Verlag ist ein Imprint der WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt © 2017 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Umschlaggestaltung: Harald Braun, Berlin Umschlagabbildung: Ludwig Fahrenkrog, „Die heilige Stunde“ (1918). Foto © akg images Redaktion: Christina Kruschwitz, Berlin Satz: Melanie Jungels, scancomp GmbH, Wiesbaden Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8053-5067-9 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8053-5110-2 eBook (epub): 978-3-8053-5111-9

Inhalt



6

Vorwort

11 22 45 70 92 124 150

Einleitung Begriffe, Motive und Stichwortgeber Ernährung Naturheilkunde Körperkultur Siedlung Fazit und Ausblick

165

Anmerkungen

187

Literatur

203

Personenregister

207

Abbildungsnachweis

5

Vorwort

I

m Jahre 1918 fertigte der Maler und Schriftsteller Ludwig Fahrenkrog das Ölgemälde „Die heilige Stunde“ an, das für dieses Buch als Titelbild ausgewählt wurde: Vor einer bewaldeten hügeligen Gegend streckt eine nackte Männergestalt, auf einer blumigen Wiese stehend, die ausgebreiteten Arme der Sonne entgegen; hinter ihm und um ihn schart sich in andächtiger, ja religiöser Haltung eine Gruppe Männer, Frauen und Kinder, einige von ihnen ebenfalls nackt, andere in fließende historisierende Gewänder gekleidet. Mit den Motiven auf seinem zwischen Jugendstil und Symbolismus angesiedelten Gemälde verwies Fahrenkrog auf damals aktu­ elle und breit diskutierte gesellschaftliche Thematiken wie religiöse Naturverehrung und antimoderne Zivilisationskritik, und er verschaffte damit dem zentralen Protagonisten dieser zeitgenössischen Themen, der Lebensreformbewegung, einen populären bildlichen Ausdruck. Die Lebensreformbewegung entstand zeitgleich mit den Modernisierungs- und Industrialisierungsschüben des späten Kaiserreichs, die sie mit tiefem Unbehagen zur Kenntnis nahm. Auf den rasanten gesellschaftlichen, sozialen, technischen und wirtschaftlichen Fortschritt antwortete die Lebensreform mit zivilisationskritischen Ideologien, gegenkulturellen Naturentwürfen und körperlichen Achtsamkeitsstrategien. Ihre „Zurück zur Natur“-Konzepte umfassten unter anderem Vegetarismus und Ernährungsreform, alternative Heilverfahren, (Frei)Körperkultur und das Siedeln in ländlichen Kommunen. Die Lebensreformbe6

Vorwort

wegung forschte nach individuellen Wegen eines neuen Zusammenlebens fern der Modernisierung, ihr Ziel war eine Gesellschafsreform durch Selbstreform. Die Lebensreformbewegung war nicht unpolitisch. Zwar gab es dezidiert privat-unpolitische Haltungen und apolitisch-alternative Einstellungen, aber Weltverbesserung kommt kaum ohne politische Stellungnahmen aus. So gab es sozialdemokratische, ja ausgesprochen linke Gruppen jedweder Couleur, die über lebensreformerische Projekte gesellschaftliches Elend im Ganzen bekämpfen wollten, und es gab völkische und rassistische Gruppierungen, die einem gesellschaftlichen „Zurück zur Natur“ ein verengtes ­germanophiles „Zurück zur deutschen Natur“ entgegensetzten; darauf wird in diesem Buch immer wieder zurückzukommen sein. Ludwig Fahrenkrog gehörte zur letzteren Kategorie – unter anderem war er der Begründer der völkisch-rassistischen „Germanischen Glaubens-Gemeinschaft“ – , und wenn auch viele Betrachter seiner „heiligen Stunde“, die er auch erfolgreich als Grafik und Bildpostkarte vertrieb, lediglich allgemeine lebensreformerische Aspekte wie Nacktheit, Natur und Sonnenbaden wahrnahmen, bemerkten seine Anhänger die dezidiert gemalte deutsche Landschaft, die nackten blonden Arier, die pseudogermanische Bekleidung der Frauen und Kinder und die besondere Körperstellung des nackten Lichtanbeters, die einem nordischen Runenzeichen entsprach. Auch sein noch erfolgreicherer Vorgänger, der Jugendstilmaler Hugo Höppener genannt Fidus, der 1890 seine erste Version des „Lichtgebets“ zeichnete – eine androgyne nackte Gestalt in Rückenansicht, die auf einem Berggipfel die Arme gen Himmel streckt  – und der damit und mit seinen zahllosen Folgegrafiken und Bildpostkarten in der Lebensreformbewegung zur Stilikone wurde, war als Vegetarier, Freikörperkulturler und Anhänger der Naturheilkunde zwar ein waschechter Lebensreformer, über seinen fatalen Hang zu völkischen Naturvorstellungen aber gehörte er ebenfalls der  – schmalen  – Gruppe rechtsextremer Naturreformer an, die ihr Heil in einer rein germanischen Variante der Selbstreform suchten. 7

Vorwort

Mit ihren Naturkonzepten bewegte sich die Lebensreform im Wilhelminischen Kaiserreich zwar noch in einem ausgesprochenen Außenseiterstatus, in der experimentierfreudigen und politisch unsicheren Zeit der Weimarer Republik aber wurden ihre ­Ingredienzien  – gesunde Ernährung, Körperkultur, Naturheilkunde, selbstversorgender Gartenbau – aus verschiedenen Gründen gesellschaftlich so breit adaptiert, dass sie zu Lebensstilelementen der Mittelschicht gerannen und nachfolgend auch in der Arbeiterklasse breite Beachtung fanden. Die Elemente der Lebensreform hatten sich durchgesetzt, ohne dass jedoch der bürgerliche Rezipient jener Elemente als Lebensreformer gelten musste. Gesellschaftlich war die Lebensreformbewegung damit lange Zeit kein Thema mehr. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg blieben ihre wenigen noch existierenden Protagonisten Außenseiter in einer Gesellschaft, in der Ökologie, Naturkonzepte, Zivilisationskritik und Selbstreform keine bürgerlichen (Selbstfindungs-) Themen mehr waren. Dies änderte sich ab den 1970er Jahren mit der Entstehung einer neuen – zunächst randständigen und lange Zeit verspotteten  – Ökologiebewegung, mit einer neuen  – auch inneren – Rückbesinnung auf alte Naturkonzepte und mit der gesellschaftlichen Rückwendung zu jenen naturbezogenen Themen und Konzepten, die 70  Jahre zuvor schon einmal Kommentatoren und Begleiter extremer Modernisierungsschübe gewesen sind; Schübe, die in der damaligen bürgerlichen Gesellschaft als „Krisen“ – persönliche und soziale – wahrgenommen wurden. Was zunächst (wieder) als Außenseiterkultur weniger überspannter Protagonisten galt, hat sich bemerkenswerterweise erneut gesell­ schaftlich etabliert: „Natur“. Analog zu neuen gesellschaftlichen (bürgerlichen) Unsicherheitsgefühlen und zu einer neuen, extrem raschen sozialen und wirtschaftlichen Veränderung (Globalisierung, Digitalisierung), die für viele unüberschaubar, weil nicht mehr selbst gestaltbar geworden ist, ist wieder eine Hinwendung zum „Natürlichen“, ein Interesse am „Achtsamen“, eine Neigung zum „Gesunden“ und ein Rückzug zum selbstbestimmten und selbst bearbeitbaren Körper zu beobachten, inklusive ihrer Selbst­ 8

Vorwort

optimierungstendenzen und ihres Potentials als Mittel der sozia­ len Abgrenzung. Ehemalige Außenseiterpraktiken sind heute wieder bürgerlich etabliert: Naturheilverfahren, Vegetarismus und Veganismus (bisweilen als „bewußte Mangelernährung der Mittelschicht“ verspottet), Fitness- und Gesundheitsbewusstsein und naturnaher Obst- und Gemüseanbau auf dem eigenen Grundstück für den Eigenbedarf; eingeschlossen politisch korrektem ­Lebensstil („Greenwashing“) und absurd anmutender Kommerzialisierung, die von Barfußschuhen über „vegetarische“ Decken und Kissenbezüge bis zu Kunstobjekten reicht, die mit CO2-neutralStickern versehen sind. Und auch „naturpolitisch“ ist eine Rückwendung zu einem historisch als überlebt bewerteten Phänomen zu beobachten: die völkisch-lebensreformerischen Siedler, die seit einigen  Jahren als „Ökobauer, Schmied oder Imker  (...) Höfe in dünn besiedelten Gebieten Deutschlands“ kaufen, als „sogenannte völkische Siedler  (...) rechtsextremes Gedankengut (verbreiten) und  (...) als braune Ökologen (...) Dorfstrukturen unterwandern“ und die ­eigentlich international angelegte ökologische „Zurück zur Natur“Idee wieder einmal national verengt als „Zurück zur deutschen Natur“-Ideologie missbrauchen: die „Bio-Nazis“.1 Geschichtsschreibung hat oft einen aktuellen Bezugspunkt, und die gegenwärtige Rückwendung zu globalen wie regionalen Naturkonzepten im zeitlichen Zusammenhang mit neuen Modernisierungsschüben provoziert Fragen nach historischen Vorläufern, deren Beantwortung möglicherweise den Blick schärfen kann für aktuelle Bezüge und gegenwärtige Entwicklungen. Wenn hier auch die Analyse der historischen Lebensreform der vorletzten Jahrhundertwende zwischen Sozialutopie, Selbstreform und Lebensstil im Mittelpunkt steht, so sollte und könnte sie doch auch als historische Reflektion über die Aktualität heutiger Daseinskonzepte gelesen werden. Dass diese Studie entstehen konnte, ist vielen Kolleginnen und Kollegen zu verdanken, die mich ermuntert und unterstützt ­haben. Zu großem Dank verpflichtet bin ich Uwe Puschner und 9

Vorwort

Ulrich Linse sowie Judith Baumgartner, Cornelia Regin, Justus H. Ulbricht, Christiane Barz, Christoph Knüppel, Andreas Schwab, Stefan Rindlisbacher, Johannes Graul, Anna Schrickel, Olivier Hanse und Klaus Völkening. Dank schulde ich der Wissenschaft­ lichen Buchgesellschaft, die das Buch in ihr Verlagsprogramm aufgenommen hat, namentlich sei hier Daniel Zimmermann genannt, der das Entstehen dieser Studie als Lektor betreut und begleitet hat. Bernd Wedemeyer-Kolwe Göttingen, im Dezember 2016

10

Einleitung

1

974 veröffentlichte Wolfgang Krabbe unter dem Titel „Gesellschaftsveränderung durch Lebensreform. Strukturmerkmale einer sozialreformerischen Bewegung im Deutschland der Industrialisierungsepoche“ seine 1972 an der Universität Münster eingereichte Dissertation. Darin befasste er sich mit einer damals als subkulturelles Phänomen verstandenen sozialen Protestströmung des ausgehenden 19.  Jahrhunderts: der Lebensreformbewegung; eine als „unbürgerlich“, bisweilen auch als „antibürgerlich“ charakterisierte Zeiterscheinung, die im Laufe der Jahrzehnte allerdings starke Spuren in der „offiziellen“ bürgerlichen Kultur hinterlassen hat und sie intensiv prägen sollte. Unter dem Motto „Zurück o Mensch, zur Mutter Erde“ und mit dem Slogan „Zurück zur Natur“ setzte die Lebensreformbewegung, die sich im Umfeld der zeitgenössischen sozialen Reform- und Protestbewegungen positioniert hatte, der negativ gedeuteten, durch Verstädterung und Kapitalismus geprägten modernen Industriegesellschaft ein positives soziales Utopia entgegen. Die Lebensreformbewegung strebte keine Revolution an, sondern sie setzte auf eine selbständige bewusste Veränderung des Individuums, deren „Selbstreform“ die gesamte Gesellschaft renovieren sollte. Das Ziel der Lebensreform war ein selbstbestimmtes, gesundes und naturbewusstes Leben in einer überschaubaren, sich selbst versorgenden Gemeinschaft, die eine als „natürlich“ charakterisierte Umwelt ihre Heimat nennen konnte. Zu den Ingredienzien der Lebensreform gehörten neben vielen anderen Zutaten eine gesunde Ernährung (Vegetarismus), 11

Einleitung

natürliche Heilmittel (Naturheilkunde), ein natürliches Körperbewusstsein und ein gesunder Körper (Körperkultur) sowie eine natürliche Wohnumgebung (ländliche Siedlung). Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die historischen Wissenschaften kaum mit derartigen subkulturellen Bewegungen auseinandergesetzt; es gab zwar einige Vorarbeiten, sie sind jedoch nicht im universitären Umfeld entstanden, geschweige denn als Qualifizierungsarbeit angelegt worden.1 Lediglich die die Lebensreform flankierende Jugendbewegung und Reformpädagogik hatten schon immer das Interesse der historischen Forschung geweckt; diese Bewegungen hatten sich früh selbst historisiert, und aus ­ihnen waren im Laufe der Zeit bedeutende politische, pädagogische und wissenschaftliche Persönlichkeiten hervorgegangen, so dass beide Strömungen als etabliert genug für eine wissenschaftliche Beschäftigung galten. Dies traf auf die Lebensreformbewegung nicht zu. Ihre Protagonisten waren in der Regel keine gesellschaftlich anerkannten Persönlichkeiten gewesen, ihre Publikationen besaßen keine literarische Qualität im Sinne einer Literatur der „Hochkultur“, und ihre Ideologie galt als zu verschroben, um (wissenschaftlich) ernst genommen zu werden. Wenn auch die gegenwärtige historische Forschung in diesem Sinne keine „Scheuklappen“ mehr kennt, so bedeutete es für einen Historiker der frühen 1970er Jahre jedoch noch ein Wagnis, sich mit „kulturellem Bodensatz“ zu befassen; Themen wie Nacktkultur oder Vegetarismus galten in der damaligen Forschung nicht unbedingt als seriöse Sujets. Daher war Wolfgang Krabbe damals gezwungen, sein Thema und die Wahl seiner Quellen zu rechtfertigen. Er tat dies, indem er sich auf die Perspektive einer ideologiefreien Wissenschaft berief, die sich einzig an der Relevanz des Gegenstands zu orientieren habe. Die Funktion seiner, Krabbes, Studie sei dabei primär die „Ausbreitung eines weitgehend unbekannten Faktenmaterials“, wenn auch, und hier zitierte Krabbe den Historiker Heinz Gollwitzer, das Quellenreservoir „geschichtsästhetischer Eigenschaften größtenteils entbehrt“. Krabbe rechtfertigte sich jedoch, erneut mit Gollwitzer, über den Hinweis, dass „der Wert eines histori12

Einleitung

schen Verfahrens nicht nach dem geistigen Rang der zu Grunde liegenden Quellen bemessen“ werden sollte, sondern allein nach Erkenntnisgewinn, Relevanz, Methode und Zielsetzung.2 Es war damals mit Sicherheit nicht abzusehen, dass Wolfgang Krabbe mit seiner Studie ein neues Paradigma in der historischen Forschung begründen und es forschungsgeschichtlich hoffähig machen sollte, wenn auch die vollständige Etablierung des Themas Lebensreform in der universitären Forschung und Lehre noch et­ liche Jahre andauern sollte. Bis in die 1980er Jahre hinein wurde die wegweisende Forschung zur Lebensreformbewegung in der Regel außerhalb des deutschen Hochschulmilieus durchgeführt – hier sei auf Persönlichkeiten der Forschung wie Ulrich Linse, Janos Frecot und Harald Szeemann oder auf Jost Hermand, George Mosse und Peter Gay verwiesen; letztere drei leb(t)en und lehr(t)en jedoch in Nordamerika. Ab den frühen 1990er  Jahren setzte dann allmählich ein interdisziplinärer Forschungsboom ein; das Thema erhielt seinen akademischen „Ritterschlag“. In kurzer Folge wurden Qualifizierungsarbeiten und andere universitäre Studien zu einzelnen Phänomenen der Lebensreformbewegung vorgelegt, so zur Freikörperkultur,3 zur Naturheilkunde,4 zum Vegetarismus,5 zur Reform­ hausgeschichte,6 zur Siedlungstätigkeit7 oder zur Körperkultur;8 die Zahl der außeruniversitären und nichtwissenschaftlichen Publi­ kationen ist ebenfalls gewachsen.9 Dabei erfreuten sich einzelne Strömungen wie etwa Freikörperkultur oder – dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Boom entsprechend – Vegetarismus und Veganismus einer ganz besonderen publizistischen Beliebtheit. 1998 konnten dann schließlich wesentliche Forschungserkenntnisse in einem konzisen „Handbuch der deutschen Reformbewegungen“ zusammengefasst werden, und zur Jahrtausendwende erfolgte dann programmgemäß eine umfassende Ausstellung mit einem zweibändigen dickleibigen Katalog.10 Heute ist die Zahl an Publikationen, die sich mehr oder weniger mit Lebensreform befassen, kaum noch zu überblicken; publizierte Hausarbeiten oder Bachelorarbeiten, die in der Regel nichts Neues bringen, inbegriffen.11 Letzteres Phänomen weist zudem deutlich darauf hin, dass 13

Einleitung

das Thema in der universitären Lehre (und Forschung) zu einem festen Bestandteil etlicher historischer Disziplinen geworden ist.12 Und der Hinweis auf das Themenheft „Jugendbewegung und Lebensreform“ des Geschichtsmagazins der Wochenzeitung „Die Zeit“ von 2013 mag die Popularität und Aktualität des Themas auch im außeruniversitären Umfeld hinreichend belegen.13 Die frühe Forschung zur Lebensreformbewegung begriff ihr Untersuchungsfeld zunächst noch als außenseiterische Kulturerscheinung – als Subkultur, Protestbewegung, säkulare Sekte oder Rückzugsmilieu  –, obwohl sie auch gelegentlich als „bürgerlich“ bezeichnet wurde. Dabei stützte sie sich auf einen Quellenfundus, der aus einem subkulturellen Milieu stammte und damals außerordentlich schwer recherchierbar und beschaffbar war, auch da er wegen seines Untergrundcharakters in Universitätsbibliotheken nicht gesammelt wurde; Krabbe musste seine Quellenwahl deshalb noch rechtfertigen. Dementsprechend definierte er die Lebensreformbewegung auch als Außenseiterkultur. Neben ihren praktischen Zutaten wie Vegetarismus, Naturheilkunde und Freikörperkultur seien ihre ideologischen Merkmale die Ausbildung von monomanen Heilslehren, ein gnostisches Sendungsbewusstsein und eine eschatologisch-sektiererhafte Verhaltensweise gewesen; Merkmale, die andere zeitgenössische sozialreformerische Bewegungen so nicht gehabt hätten.14 Selbstreform, Sozialutopie und Erlösungsphantasien: dies waren die grundsätzlichen Ingredienzien der damaligen Definition der Lebensreformbewegung, und diese Definition traf nur auf einen begrenzten Kreis von Protagonisten und Strömungen zu. Zwar wurden in der Forschung der 1970er und frühen 1980er Jahre die als genuin erkannten Strömungen dieser so definierten Lebensreformbewegung nicht immer übereinstimmend auch so übernommen. Als „spezifische Lebensreformbestrebungen“ galten dennoch in der Regel immer Vegetarismus, Naturheilkunde und Nacktkultur sowie die auch in der Jugendbewegung sich konsolidierenden Siedlungsbestrebungen. Dieser Vierklang sollte für einen Großteil der Forschung das Bild der spezifischen Lebensreformbewegung bestimmen.15 14

Einleitung

Titelblatt der Zeitschrift Die Lebensreform. Monatsschrift für neue Lebensgestaltung (1926). 15

Einleitung

Im Laufe der Zeit erweiterte sich jedoch das Bild. Zwar zählte Eva Barlösius 1997 neben Vegetarismus und Naturheilkunde noch peripher die Siedlungsbestrebungen  – aber nicht die Freikörperkultur – hinzu, stellte aber resümierend fest, dass sich aufgrund der zahllosen Überlappungen etlicher damaliger sozialreformerischer Strömungen die Lebensreform nicht eindeutig identifizieren lasse. Dies läge zum einen an der personellen, inhaltlichen und ideologischen Überlappung innerhalb der verschiedenen Strömungen der diversen Reformbewegungen, die eindeutige Zuweisungen erschwerten, und zum anderen an der unterschiedlichen Radikalität und Handlungsbereitschaft einzelner Protagonisten hinsichtlich ihres lebensreformerischen Lebensentwurfes: „Lebensreformer, die eher dem sympathisierenden Rand zugehörten, wählten (Lebensweisen) aus, die keine konsequente  (...) Veränderung der Lebensführung verlangten und durch die man nicht sofort als ‚lebensreformerischer Sonderling‘ (gemeint waren hier „Barfüßige Propheten“ wie Gusto Graeser oder Gustav Nagel, BWK) identifiziert wurde.“ Wenn auch Barlösius, wie schon Krabbe, letztlich die Idee der Selbstreform durch „konsequente methodische Lebensführung“ als Grundmerkmal der Lebensreform definierte, so setzten sich nach Barlösius nur wenige Lebensreformer auch tatsächlich einer radikalen Veränderung ihrer Lebensweise und damit einer „latenten sozialen Desintegration“ aus.16 Das Gros der Reformer schien letztlich doch die Gesellschaftsfähigkeit gesucht zu haben. Ein zweiter Aspekt der Definitionsschwierigkeit des Begriffs sei hier genannt. In den zeitgenössischen Selbstbeschreibungen verwiesen die Lebensreformer selbst häufig auf die Breite und Unübersichtlichkeit ihrer Bewegung. So zählte man gelegentlich das „mächtig umgreifende Interesse an den Schrebergärten, (den) wachsende(n) Wandertrieb, die Wandervogelbewegung unserer Jugend, das Aufblühen der  (...) Sportvereinigungen  (...), endlich die lebhafte Nachfrage nach kleinen Grundstücken weit vor der Stadt“ zur Lebensreform hinzu. In diesem Sinne ordnete der Lebensreformer Magnus Weidemann „ohne Anspruch auf Vollständigkeit“ großzügig noch „große Kreise deutschen Geisteslebens“ 16

Einleitung

wie Sittlichkeitsvereine, Reformpädagogen, Gründer alternativer Religionen und Reformkünstler zur Bewegung dazu.17 Nicht nur Weidemann allerdings war ein großer und geschickter Agitator der Bewegung. Und so ist es anhand derartiger selbstbewusster Äußerungen nur schwer zu beurteilen, ob die Selbsteinschätzungen durch Profilierung und Selbstüberschätzung getrübt waren, ob hier gezielte Werbung eine Rolle gespielt hat, oder ob Weidemann und seine lebensreformerischen Zeitgenossen mit ihren Urteilen Rezeption mit Ursache verwechselt haben: Denn Sportvereine, Schrebergärten oder Sittlichkeitsvereine waren keineswegs lebensreformerische Strömungen, noch nicht einmal peripher, das wusste der Lebensreformer Weidemann sehr genau, aber durch die gesellschaftliche Rezeption der einstmals außenseiterischen Lebensreform in der Weimarer Republik hatten reformerische Elemente durchaus auch Sport- und Schrebergartenvereine erreicht.18 Durch diese und andere (z. T. ungeprüft übernommene) Selbstund Fremdbezeichnungen sowie durch die gestiegene Popularität als Forschungsthema wich eine enge Definition einer breiteren Zuschreibung von „Lebensreform“, und ein Resultat dieser thematischen Ausweitung war eine definitorische Beliebigkeit, deren Erkenntnisgewinn sank. Ein prominenter Auslöser dieses „Paradigmenwechsels“ dürfte der zweibändige Katalog zur Ausstellung „Die Lebensreform“ im Jahre 2001 gewesen sein. In seiner Einführung verließ Klaus Wolbert die enge Auslegung von Lebensreform als selbstreformerische Bewegung, die durch spezifische Naturauffassungen, eschatologische Verhaltensweisen, säkularreligiöse Erlösungsphantasien und monomane Heilslehren gekennzeichnet war, und legte im Gegenteil eine „Definition von Lebensreform zugrunde, die weit über das Gebiet der traditionell als genuin reformerisch bezeichneten Aufgabenfelder hinausgreift“ und deren Charakteristikum ein „zeitübergreifendes, interdisziplinäres Epochenpanorama (sei), dessen weit aufgespannter Bogen ein bislang noch niemals in ähnlicher Breite und Vielgestaltigkeit wahrgenommenes Spektrum an Erneuerungsprogrammen, an Visionen, Sinngebungen und Orientierungen (...) erschließt“. 17

Einleitung

Wolbert spannte die Lebensreformbewegung in „Bezüge und Verweise, durch die selbst extreme Entfernungen in bezug auf inhaltliche Ansätze, politische Einstellungen, ideologische, denke­ rische oder künstlerische Positionen sowie auch soziale Zuordnungen überbrückt werden“. Die Lebensreformbewegung sei so wirkmächtig gewesen, dass sie verantwortlich sei für „Veränderungen des Menschenbildes, die Kunst, die Literatur und die Philosophie, die Weltanschauungslehren, die Lebensgestaltung und die Alltagspraxis – bis hin zu den selbstverständlichsten Dingen des Alltags“.19 Wolberts definitorische Unschärfen korrespondierten mit entsprechend thematisch breitgefächerten Katalogbeiträgen, die von Psychologie, Anthropologie, Ideengeschichte und Religion über Architektur, Malerei und Städtebau bis hin zu Güterproduktion, Alltagsverhalten, Lebensgestaltung und Sport reichten. Durch die nahezu beliebige Kontextausweitung des engen Forschungsfeldes „Lebensreform“ entstand der Eindruck, jedwede kulturelle zeitgenössische Erscheinung um und ab 1900 – inklusive der Konti­nuitätslinien bis heute – habe mit der Lebensreform in engem Bezug gestanden. So erfrischend diese panoramaartige Fernsicht auf die Lebens­ reform auch sein mag, ihre definitorische Beliebigkeit geht letztlich doch auf Kosten einer scharfen wissenschaftlichen Nahsicht auf ein ursprünglich klar umrissenes Kulturphänomen. Ein einstmals fassbares Thema verlor seine Fassbarkeit, und das hatte Folgen. Wenn Wolbert eine angeblich zentrale Bedeutung der Lebens­reform für moderne Kunstströmungen wie Symbolismus, Jugendstil, Expressionismus und Abstraktion konstatierte – alles rücke „näher zusammen, als dies von der Kunstgeschichte üblicherweise gewollt ist“20  –, und 15  Jahre später in einem Katalog zum Thema „‚Brücke‘ und die Lebensreform“ dann verkündet wird, dass „die moderne Kunst in Deutschland grösstenteils im Kontext der Lebensreform entsteht“21  – eine Behauptung, die in ihrer Unbedingtheit zu belegen wäre –, so zeigt sich hier ein fata­ ler Rezeptionsstrang, der aus Unkenntnis entsprechender Quellen und Fachliteratur an historischer Beliebigkeit und sachlicher 18

Einleitung

„Lichtgebet“ von Fidus (Post­ karte, o. J.).

Ungenauigkeit nicht zu überbieten ist. In der Folge entstanden immer wieder Studien mit einer vergleichbar großzügigen Kontextverbreiterung des Phänomens „Lebensreform“, deren Forschungsergebnisse aufgrund von Definitionsunschärfen, schmaler Quellenbasis und ungenauen Rezeptionsanalysen entsprechend konturlos ausfielen.22 Das Forschungsfeld „Lebensreform“ ist als ehemalige Außenseiterthematik endlich in den historischen Wissenschaftsdiszip19

Einleitung

linen und in Forschung und Lehre angekommen; das ist positiv zu vermerken. Gleichzeitig jedoch ist der Gegenstand mittlerweile so unübersichtlich wie breit gefächert, er scheint definitorisch so konturlos wie thematisch beliebig. An genau diesen Punkten setzt diese Studie ein: Die Aufnahme des Themas „Lebensreform“ in den wissenschaftlichen Kanon und die interdisziplinäre Akzeptanz des Themas in Lehre und Forschung – begleitet von einer schier unüberschaubaren Fülle an Qualifikationsarbeiten, Forschungsstudien und außeruniversitären Publikationen zum Thema bis hin zum Magazin Zeit-Geschichte der Wochenzeitung „Die Zeit“ – sind der Anlass gewesen, ein Fazit zu ziehen und ein Kompendium zur Lebensreformbewegung zu erstellen. Als Handreichung, die das Thema auf seinen ursprünglichen Forschungskanon zurückführt, soll diese Übersichtsstudie eine bündige Zusammenfassung für Forschung und Lehre bieten. Dabei wird hier unter „Lebensreformbewegung“ die Grunddefinition der frühen Studien übernommen, die, wie gezeigt, im Wesentlichen immer noch ihre Gültigkeit haben: Lebensreform war in ihren Ursprüngen demnach eine sozialreformerische Bewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die im Rahmen eines weitreichenden Naturbezugs eine Veränderung der als negativ gedeuteten Industriegesellschaft anstrebte und über eine „Selbstreform“ zu einer Gesellschaftsreform gelangen wollte. Das eigentliche Endziel war ein selbstversorgendes Leben in kleinen Gemeinschaften in ländlicher Umgebung. Im Zentrum lebensreformerischer Praktiken standen Vegetarismus, Naturheilkunde, Körperkultur und Siedlungstätigkeiten. Ihre ideologischen Merkmale waren die Ausbildung monomaner Heilslehren und ein gnostisches Sendungsbewusstsein. Selbstreform, Sozialutopie und Erlösungsphantasien: Diese drei Grundpositionen unterschieden die Lebensreform von flankierenden zeitgenössischen Reformbewegungen trotz zahlreicher Berührungspunkte und Überschneidungen zu benachbarten Strömungen. Im Zentrum dieser Studie stehen die Grundpositionen der Lebensreformbewegung. Nach einer Analyse der wesentlichen 20

Einleitung

Grundbegriffe, Motive und Stichwortgeber der Bewegung werden die vier obengenannten wesentlichen Praktiken – auch hinsichtlich der Verbindungen untereinander – dargestellt; dabei wird immer auch über die Rezeptionskraft und die Wirkungsgeschichte lebensreformerischer Elemente sowie über die Parallelströmungen der Lebensreform zu sprechen sein. Im anschließenden Ausblick werden die Interpretationspositionen und Deutungsversuche der mittlerweile über 40-jährigen Forschung zur Lebensreformbewegung erläutert und es wird versucht, die Lebensreform historisch und forschungsgeschichtlich einzuordnen. Ein ausführliches Literaturverzeichnis schließt diese Studie ab.

Der Lebensreformer Richard Ungewitter am Schreibtisch. 21

Begriffe, Motive und Stichwortgeber

D

er Lebensreform immanent war ein ganzes Bündel an Leitbegriffen und Motiven, mit denen sich die Protagonisten und Gruppen selbst definierten oder die ihnen extern von den Zeitgenossen zugeschrieben wurden und über die sie dann auch von der modernen Forschung definiert werden sollte. Dabei wurden die damaligen Leitbegriffe in der zeitgenössischen Selbstund Fremddeutung jedoch nicht übereinstimmend definiert und verwendet, sondern sie weichen je nach den verschiedenen, auch politischen, Strömungen in der ohnehin äußerst heterogenen Lebensreformbewegung voneinander ab. Denn das Ziel der zeitgenössischen Deutungsvarianten waren in der Regel keineswegs wissenschaftlich-rationale Definitionen, sondern – besonders bei den völkischen Gruppen der Lebensreformer – ideologisch orientierte Wertungen oder politische Agitationen; eine Tendenz, die zu spekulativen Assoziationen und logisch löchrigen Deutungen von Leitbegriffen und Motivlagen führen musste. Dennoch lässt sich anhand einer näheren Betrachtung ihrer Begriffe und Motive die Lebensreformbewegung zumindest in Umrissen charakterisieren. In ihrer zeitgenössischen Selbstbeschreibung verorteten sich die Anhänger und Gruppen der Lebensreform als Teil der sozialreformerischen Bewegungen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, und wenn ihre Protagonisten diese Zuordnung auch selten präzise zu definieren vermochten, sondern vielmehr aufzählend und umschreibend formulierten, so trafen sie im Wesentlichen den Kern der Sache. So notierte die Zeitschrift „Körper22

Begriffe, Motive und Stichwortgeber

kultur“ 1909: „Wir begegnen heute den verschiedenartigsten Versuchen einzelner Menschen und ganzer Gruppen von Menschen, die in ihre gesamte Lebenshaltung, in Kleidung, Ernährung, usw. neue und ungewöhnliche Bedingungen einführen, da sie die altgewohnte Weise als Unzuträglichkeit empfinden.“1 Zwar gebe es daher keine „genaue Abgrenzung unserer Bewegung“ und auch keine „einzige Grundwurzel“. Dennoch, oder vielleicht auch deshalb, habe, so notierte der völkische Nudist Richard Ungewitter 1911 selbstzufrieden, „unsere Bewegung“ doch rasch so „erfreuliche Fortschritte gemacht“, dass all diese Vereinigungen, wie 1904 der „Naturarzt“ berichtete, „sich zu einer gewaltigen Reformbewegung entwickelt (haben), die alle Fragen des individuellen und sozialen Lebens in den Kreis ihrer Erörterung zieht“.2 Dabei werde, so die Zeitschrift „Kraft und Schönheit“ im Jahre 1920, „der Sinn des Wortes Reform meistens verkehrt aufgefaßt, denn das lateinische Wort Reform bedeutet eigentlich Zurückbildung einer augenblicklich bestehenden Einrichtung, auf ihrer frühere Form, während die meisten Menschen darunter eine Neubildung oder Verbesserung verstehen. Diese gewünschten Verbesserungen bedeuten aber in den meisten Fällen nur eine Rückbildung zu den ursprünglichen gesunden Verhältnissen.“3 Diese „Rückbildung“ könne jedoch nicht durch politische Reformen oder gar Revolutionen eingeleitet werden, sondern läge ausschließlich in der Verantwortung des einzelnen Menschen, der als Vorreiter eines „dritten Weges“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus vorangehe. Denn das „ist die Forderung der Selbstreform von jedem Anhänger: Was du für gut und erstrebenswert hältst, das verwirkliche. Erwarte die Aenderung nicht als Geschenk von dritter Seite, nicht von aussen – erwecke die in deinem Innern schlummernde Kraft zur Selbsterlösung! Beginne! Begib dich auf den Weg.“4 So könne nur durch Selbstreform, die selbstverantwortliche Änderung des eigenen Lebens, die „soziale Frage in einer Generation von selbst gelöst“ werden.5 Anschaulich illustriert wurde die Gedankenfigur der Selbstreform in einem von dem bekannten lebensreformerischen Maler Fidus angefertigten Titelblatt für die 23

Begriffe, Motive und Stichwortgeber

Wegkreuzung Reform. Vignette von Fidus für die Zeitschrift „Deutsche Volkstimme“.

Zeitschrift „Deutsche Volksstimme. Organ der Deutschen Bodenreformer“, die eine beschilderte Weggabelung zeigt, bei der der erste Weg in den Abgrund (Kapitalismus), der zweite Weg in ein unwirkliches umwölktes Gebirge (Kommunismus) und der dritte Weg in ein sonniges Land führt (Bodenreform).6 Diese Selbsteinschätzung als „sozialreformerische Bewegung“ (Krabbe 1974) wurde von der Forschung im Wesentlichen übernommen und zunächst weder diskutiert noch definiert. Erst 1988 legte der Politikwissenschaftler Joachim Raschke eine historischsystematische Definition des Begriffs der „sozialen Bewegungen“ vor, in die er die Lebensreformbewegung mit einschloss. Danach charakterisierte Raschke „soziale Bewegung“ – und mit ihr die Lebensreformbewegung – als heterogenen, variablen, durch ein ausgeprägtes „Wir-Gefühl“ und einen ausgesprochenen Suchcharakter geprägten Zusammenschluss von Personen oder Gruppen, der auf eine kulturelle, gesellschaftliche und soziale Veränderung des Lebens und der Gesellschaft bzw. auf die Verhinderung von Veränderung ausgerichtet ist und über eine Negativanalyse der bestehenden Verhältnisse eine gesellschaftliche, soziale oder religiöse Utopie verfolgt. Dabei sollte die Umsetzung der gesellschaftlichen Ziele (der Lebensreform) über individuelle Veränderung, persönliche Aufklärung und beispielgebende Projekte und Institutionen, d. h. über den sogenannten „Dritten Weg“ zwischen ­Kapitalismus und Kommunismus, erfolgen und nicht über eine Revolution 24

Begriffe, Motive und Stichwortgeber

oder einen Regierungserlass. Auch Raschke versteht hier unter Lebensreform die in der Literatur so bezeichneten  – und oben schon behandelten  – „spezifischen“ und „peripheren“ lebensreformerischen Teilströmungen, während er die Jugendbewegung, die Arbeiterbewegung, die Friedensbewegung und die Frauenbewegung als zeitgenössische, der Lebensreform benachbarte soziale Bewegungen des ausgehenden 19. und beginnenden 20.  Jahrhunderts (bei ihm die „industrielle Phase“) bezeichnet. Insgesamt gelten, nach Raschke, soziale Bewegungen als moderneimmanent, d. h. sie sind Produkt und Produzent sowie Ursache und Wirkung des sozialen Wandels.7 Die Definition Raschkes wurde in der Folge von Teilen der Forschung übernommen, während in anderen Studien der Begriff weiterhin definitorisch nicht eingegrenzt wurde.8 Unter den zentralen Schlüsselbegriffen, die die Lebensreformbewegung – und neben ihr auch die mit ihr personell, organisatorisch und ideologisch benachbarte Reformpädagogik und Jugendbewegung – gebetsmühlenhaft postulierten, dürfte der Begriff der „Natur“ das am meisten strapazierte Schlagwort gewesen sein.9 Dabei litt eine präzise Begriffsdefinition auch hier unter der Tatsache, dass „Natur“ vornehmlich als ideologischer  – und je nach politischer Richtung entsprechend ideologisch variabler – Kampfbegriff eingesetzt werden konnte. Die Verwendung des Naturbegriffs in der Lebensreformbewegung ist Legion, und ohne die Fülle an zeitgenössischen Belegen – die auch Selbstbezeichnungen wie „Naturheilkunde“ oder auch „Bund der Vereine für naturgemässe Lebens- und Heilweise“ mit einschlössen  – unnötig strapazieren zu müssen, sollten hier Hinweise genügen, um die Allgegenwärtigkeit des Naturbegriffes in der Lebensreformbewegung hinreichend zu demonstrieren; etwa der Titel des 1896 erschienenen zentralen Werkes des bekannten Naturheilkundlers Adolf Just: „Kehrt zur Natur zurück!“ sowie der in etlichen Traktaten und Zeitschriften erhobene und auf Jean-Jacques Rousseaus Naturvorstellungen und John Frank Newtons Verteidigungsschrift „Return to nature“ von 1811 zurückgehende „Schlachtruf: Zurück zur Natur!“10 25

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Trotz der Kompromisslosigkeit suggerierenden Formel des „Zurück zur Natur“ ging es der Lebensreform natürlich nicht darum, in eine Art prähistorisches ursprüngliches Stadium einer Existenz ohne jegliche Artefakte zurückzukehren, dazu wurde der Naturbegriff viel zu differenziert und reflektiert verwendet, wenn auch der Blick häufig durch ideologische und politische Sichtweisen getrübt werden konnte. Der lebensreformerische Begriff der „Natur“ stand vielmehr in der Tradition der bürgerlichen Natürlichkeitsdiskurse seit der Aufklärung und bezeichnete, wie Thomas Rohkrämer prägnant zusammenfasst, „die Natur in uns, die Natur um uns herum und die Natur als Norm oder Essenz“, wobei sich die Definitionen aufgrund der ihnen innewohnenden Gesellschaftskritik stets in Opposition zu den Parametern der verhassten Industriegesellschaft und zu ihren Schlagworten wie Kultur und Zivilisation bewegten.11 So ging es bei dem Ideal der „Natur um uns“ in der Regel um eine Bestandsaufnahme der Überreste eines physischen Umweltund Lebenszustandes, der angeblich noch vor der Industriegesellschaft vorhanden gewesen, nun aber im Rückschritt begriffen sei, und um die Forderung nach einer Art „naturgemäßen“ Existenz innerhalb dieser Natur unter modernen Bedingungen. Dazu gehörten die schonende Nutzung „natürlicher“ Ressourcen, die Nutzung der „Natur“ als Erholungsraum und eine entsprechende, die Umwelt schonende „natürliche Lebensweise“, zu der im Idealfall vegeta­rische Ernährung, handgefertigte Kleidung aus Naturstoffen, naturheilkundliche Genesungsverfahren, „natürliche“ Körperpflege und gesunde Körperkultur sowie ein naturnahes, die Umwelt schonendes selbstversorgendes Leben auf dem Lande zählten. Der große Teil der Lebensreformer war sich dabei bewusst, dass ein solches Dasein ohne ein notwendiges Minimum an moderner Technik (wie etwa der Einsatz von Transportmitteln, Kommunikationsnetzen oder Güterproduktion) nicht umgesetzt werden konnte. „Natur um uns“ bezeichnete damit auch immer eine ­kritische Kooperation mit der Moderne. Allerdings schien dies nicht für die zwar wenigen, doch von den Medien als typische Ver26

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treter der Lebensreform präsentierten „Kohlrabiapostel“ wie Gusto Graeser, Gustav Nagel oder August Engelhardt gegolten zu haben, die sich von der Moderne, ihrer Lebensweise und ihrer Technik vehement distanzierten, wenngleich einige von ihnen über den Verkauf von Bildpostkarten, Flugschriften und anderen Traktätchen am modernen Verlagswesen auch finanziell partizipierten.12 Die von Rohkrämer so bezeichnete Kategorie der „Natur in uns“ folgte zwangsläufig aus der Praxis einer die Umwelt schonenden und dem Menschen angeblich gemäßen „natürlichen Lebensweise“. Der Rückgriff auf die Naturgesetze dieser naturgemäßen Lebensweise führe, so die Argumentation in der Lebensreform, automatisch zu einer umfassenden geistigen Gesundung des Einzelnen und dadurch der gesamten Gesellschaft, denn: „Je weiter (sich die Menschen) von der Natur entfernen, umso kränker und elender müssen sie notwendigerweise werden. Abkehr von der Natur bedeutet Schwächung, Rückkehr zur Natur ist Kräftigung des ganzen Einzel- wie Volkskörpers. Die schweren sozialen Erschütterungen, die wir und die ganze Kulturwelt eben durchmachen, sind nichts weiter wie das letzte Glied dieser Abkehr von der Natur“, führte die Zeitschrift „Kraft und Schönheit“ 1920 aus.13 Dabei konnte mit „geistiger Gesundung“ eine ganze Palette verschiedener Handlungsmöglichkeiten gemeint sein, die von der instinkthaften Erweckung der eigenen „natürlichen“ Elemente und des „ursprünglichen Arztes in uns“ bis hin zur bewusst hergestellten Einheit mit der äußeren Natur reichte. Diese Verhaltensänderung bewirke dann schließlich – im Umkehrschluss –, dass der Mensch respektive der Lebensreformer wie selbstverständlich auf die als „natürlich“ erkannten Lebensweisen, Artefakte, Normen und Werte zurückgreife und die künstlichen Surrogate automatisch meide;14 eben: „Durch Natur zurück zur Natur“15. Diese Strategie galt dann ebenso für gesunde Ernährung, naturgemäße Heilweise und natürliche Körperkultur wie für nicht industriell produzierte Kleidung oder von Hand gefertigte Wohnungseinrichtung. Die Rückkehr zur Natur und die anschließende Symbiose von Mensch und Natur spiegeln sich in den an religiöse Motive ange27

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lehnten stereotypen Erweckungsgeschichten vieler Protagonisten der Lebensreform wider. Im Mittelpunkt dieser Erzählung steht in der Regel eine angeblich bereits seit der Geburt vorhandene Schwäche oder eine  – laut Selbstdiagnose durch „Zivilisationsschäden“ oder „unnatürliche“ Lebensweise hervorgerufene – chronische Erkrankung, die durch konventionelle Methoden nicht geheilt werden konnte, sowie – nach einem symbolischen Schlüsselerlebnis  – die anschließende Gesundung durch „natürliche“ Heil- oder Kräftigungsmethoden der Lebensreform.16 So bezeichnete sich der Nudist Richard Ungewitter als „schwächlich veranlagter Knabe“, der in Vegetarismus, Abstinenz und Körperkultur seine Heilmittel fand. Auch der Lebensreformer Theodor Siebert „war (...) von Jugend auf zart und schwächlich“, dazu kam noch ein „Lungenspitzenkatarrh“, der durch eine „große Lernbegier“ mit unnatürlicher sitzender Lebensweise ausgelöst wurde; ein Los, das er bemerkenswerterweise in genau dieser Kombination mit Sebastian Kneipp teilte, bis Siebert als natürliche Heilmethode Körperkultur und gesunde Ernährung entdeckte, während Kneipp erfolgreich zur Wasserkur griff. Beim belgischen Lebensreformer Van Son, der „mit einer sehr ersten Erschütterung (s)einer Herzfunktionen“ im Bett lag, versagten die konventionellen Ärzte, ehe Van Son über Rohkostdiät zur natürlichen Heilweise fand. Der Naturheilkundler Adolf Just griff dagegen „in äußerster Not, bei schweren Nervenleiden“ zur Heilerde.17 Und auch Fidus und sein Meister, der Maler und Lebensreformer Diefenbach, waren in ihrer Jugend angeblich durch Zivilisationskrankheiten krank und schwach geworden, bis sie durch natürliche Heilmethoden zumindest teilweise kuriert wurden. Dem Schweizer Naturisten Werner Zimmermann und dem „Naturmenschen“ Gustav Nagel, ebenfalls äußerst einflussreiche Protagonisten der Bewegung, erging es – ihren eigenen Erzählungen zufolge – nicht anders. Besonders bemerkenswert dürfte der Fall des „Wasserdoktors“ Vinzenz Prießnitz sein, der angeblich auf die Idee kam, Wasser als Heilmittel einzusetzen, als er ein verletztes Reh beobachtete, das erfolgreich seine Wunden im Wasser eines 28

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Tümpels kühlte. Prißnitz verkoppelte das lebensreformerische Erweckungsmotiv damit noch zusätzlich mit dem mystischen Natur­ erlebnis einer tierischen Selbstheilung, einer Kombination, die in der Bewegung doppelt wog.18 Es wäre weder gewinnbringend noch ertragreich, derartigen Heilserzählungen noch weitere von unüberprüfbaren Behauptungen durchzogene lebensreformerische Erweckungserlebnisse hinzuzufügen. Im Gegenteil: Die Fülle an „Belegen“ würde die in der Bewegung sorgsam ignorierten Fälle verdecken, in denen die hochgehaltene Symbiose von Natur und Mensch durch eine naturgemäße Heilweise weniger gut funktionierte – vereinzelt auch zum Tode geführt hat – und etwa mit dem Rat des entsprechenden Na-

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turheilexperten endete, auf lebensreformerische Heilweise lieber zu verzichten.19 So musste Diefenbach eine persönliche ­Niederlage hinnehmen, als sein naturheilkundiger Ratgeber, der „Sonnendoktor“ Arnold Rikli, ihm schrieb, Diefenbachs schlechte Gesundheit sei wohl auf seine vegetarische Kost zurückzuführen, so dass er wieder Fleisch essen und Wein trinken solle. Auch Fälle wie der des frühen Vegetariers und Lebensreformautors Gustav Schlickeysen, der 1893 aufgrund von kalten Abreibungen mit Wasser an Unterkühlung starb, oder der des auf die Südseeinsel Kabakon ausgewanderten fanatischen „Kokosnußpredigers“ ­August Engelhardt, der die einseitige vegetarische Ernährung mit Kokosnüssen nicht überlebte, wurden zwar publiziert, dienten aber als singuläre Beispiele für die Verirrung einzelner Lebensreformer und nicht zur selbstkritischen Überprüfung der natürlichen Lebensweise,20 ganz zu schweigen vom tatsächlichen Wahrheitsgehalt lebensreformerischer Werbeslogans wie „Iß roh, so wirst Du froh, iß kalt, so wirst Du alt“.21 Trotz dieser gelegentlichen, wenngleich spektakulären Niederlagen blieb das Motiv der „Natur um uns“ ebenso wirkmächtig wie durchschlagend, verband es sich doch mit einem elitären Lebensgefühl, dass der Nudist Magnus Weidemann 1924 mit der Bemerkung „Es ist unser stiller Stolz, ganz anders zu sein“22 treffend zum Ausdruck brachte, wenn es auch nicht notwendigerweise immer über den Naturbegriff funktionieren musste. So konnten im semantischen Umfeld der emphatischen Auffassung von „Natur in uns“ immer wieder gleichwertige Begriffsmotive wie Wahrhaftigkeit, Reinheit, Klarheit, Harmonie, Schönheit, Echtheit, Einfachheit, Ehrlichkeit und Veredelung in der Eigenliteratur auftauchen, die in der Regel aber alle denselben „natürlichen“ Idealzustand des Menschen und seiner Umgebung meinten.23 Dies wurde auch so formuliert: So schrieb die Lebensreformerin Elfriede Pausewang, die Mutter der 1928 in einer Reformsiedlung geborenen Schriftstellerin Gudrun Pausewang, 1979 rückblickend über „meinen Aufbruch“ im Ersten Weltkrieg: „Einfach leben, naturverbunden eben, ehrlich leben, das bedeutete schon einen gewaltigen Ein30

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bruch in die Plüschwelt der Wilhelminischen Gesellschaft.“24 Auch der ­Nudist Magnus Weidemann bekannte 1924: „Natürlichkeit, Echtheit, Schlichtheit, Gesundheit. Und das ist zugleich Schönheit, Freude und Güte.“25 Andere empfanden ebenso. Die Hoffnung auf eine derartige „naturgesetzliche“ Bewusstseins- und Verhaltensänderung des Menschen führe dann zu dem, was in der ebenfalls floskelhaften Worthülse der „Einheit von Körper (Geist) und Seele“ zum Ausdruck kam: „Und in der menschlichen Dreieinigkeit von Körper, Seele und Geist muß erst der Körper gesund, stark und widerstandsfähig gemacht werden, damit sich in seiner Hülle die inneren Fähigkeiten der Seele und des Geistes voll entwickeln können.“26 Diese „Innerlichkeit“, „Ganzheitlichkeit“27 oder „Authentizität“, von dem Vegetarier Eduard Baltzer als „mit (sich) selbst identisch“-Sein umschrieben, konnte sowohl, wie der Schweizer Nudist Werner Zimmermann notierte, als „Streben nach Wahrheit und Tugend, nach Gesundheit und Glückseligkeit“ aufgefasst werden, als auch ganz konkret die „persönliche Steigerung des körperlichen und geistigen Wohlbefindens“ meinen.28 In der Konsequenz des letzteren Zugangs (und unter Rückgriff auf die Schriften der Philanthropen der bürgerlichen Aufklärung) konnte auch ganz profane Gymnastik bzw. das Streben nach körperlicher „Fitness“  – der Begriff ist zeitgenössisch  – in der Lebensreformbewegung zum Teil der Naturideologie verklärt werden. Denn wenn ein als so bezeichneter dysfunktionaler und disharmonischer Körper als unnatürlich galt und eine gesunde natürliche Lebensweise, wozu auch Gymnastik gehöre, zur natürlichen Gesundung führe – wobei das Ziel der Natur der sich bewegende, funktionierende und harmonische Mensch sei –, dann sei die Natur vernünftig und zweckmäßig und ein über Sport und Gymnastik gestalteter gesunder und zweckmäßiger Körper trotz seiner technischen Bearbeitung eben automatisch natürlich.29 Selbstverständlich liegt dieser Argumentation, und das war den Zeitgenossen auch klar, neben dem ursprünglich aufklärerischen Impetus auch die moderne soziale Aufstiegsideologie des „eigenen Glückes Schmied“ mit ihren Seitenpfaden der sozialen, gesund31

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heitlichen und auch rassenideologischen Ausgrenzungspoten­ tiale zugrunde. Aber auch dieser argumentativ heikle Interpretationsstrang konnte durchaus in den dehnbaren Naturbegriff der ­Lebensreform integriert werden. Die Naturauffassung der „Natur in uns“ berührt sich mit der dritten Naturkategorie der „Natur als Norm oder Essenz“, in der die Naturdefinition zu sozialen, gesellschaftlichen und politischen (Ideal-)Vorstellungen und Utopien in Bezug gesetzt wurde. So konnte „Natur als Norm“ eine romantisch-idealistische Ebene bezeichnen und in „religiöser Überhöhung eine Heilskategorie (meinen), der Ort, wo das wahre Wesen des Menschen sich finden und allererst bilden kann“. Auf der anderen Seite wurde „Natur als Norm“ aber auch als konkretes wirtschaftspolitisches Programm aufgefasst, wie die von dem Vegetarier und Bodenreformer Silvio Gesell 1916 entworfene „Natürliche Wirtschaftsordnung“, die die Entwertung von Sachkapital, Geldwert und Zins vorsah, durch die sich der Sozialorganismus weltweit „in die harmonische Gesamtordnung der Natur einfügen kann“.30 Diese Naturdefinition konnte gegen historische Gegebenheiten ausgespielt werden, eine kritische Funktion übernehmen oder als Leitmotiv für eine neue Gesellschaftsordnung dienen. Vor allem über assoziative Begriffe und idealistische Vorstellungen wie „Überschaubarkeit“, „Volk“ und „Gemeinschaft“  – ebenfalls Stichworte (nicht nur) in der Lebensreform, deren Ideal die regionale kleinräumige Siedlung war – konnten „Natur als Norm“-Entwürfe durchaus zum Rückzug aus pluralistischen Gesellschaftssystemen führen und gegen die als sozial und kulturell „unnatürlich“ bezeichnete Industriegesellschaft mit ihren angeblich „krankmachenden“ bestehenden Verhältnissen ausgespielt werden.31 Verbanden sich derlei lebensreformerische Vorstellungen mit einer dezidiert völkischen Haltung, dann konnte „Natur als Norm“ zu einem national ausgerichteten Naturkonzept verengt werden, das organizistisch und damit sozial und gesellschaftlich determiniert angelegt war und dichotomisch angelegte Begriffspaare wie Natur und Kultur, Gefühl und Logik oder Rhythmus und Takt 32

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in völkische und antisemitische Kategorien überführte. Solche Denkfiguren wiesen bestimmte geographische Landschaften und Tierwelten den angeblich darin verwurzelten Völkern zu, deren innere Einstellung und äußeres Erscheinungsbild als Fortsetzung der ihnen entsprechenden Umgebung gelesen wurden. Im Rahmen damals gängiger Stereotype wurde dann eine geographisch abwechslungsreiche nordeuropäische Landschaft mit Tälern, Bergen, Heide, Wäldern, Seen und Flüssen mit dem tiefsinnigen, mystischen, wurzelhaften nordischen Menschen überblendet und die karge, flache, abstrakte Wüste dem intellektuellen, rationalen jüdischen Menschen zugeteilt. Die Eigenschaften der jeweiligen Natur entsprachen somit denen der jeweils zugehörigen Bevölkerung.32 Dass eine intellektuelle (demokratische) und zivilisationsaffine Bevölkerung kaum lebensreformerisch denken und leben konnte, verstand sich nach dieser völkischen Naturauffassung von selbst. Nur „reinrassige“ Deutsche konnten daher auch reine Lebensreformer mit „natürlicher Leibeszucht (...), Nacktheit, Pflanzenkost und Nüchternheit“ sein, wie der völkische Lebensreformmaler Fidus sich 1922 ausdrückte, und auch für den völkischen Reformer Christian Dußel gewährleistete der Zusammenhang zwischen „Mensch, Tier und Pflanze“ den „Höhepunkt arischen, germanischen Seelenlebens“, der schwerer wiege als „sozialdemokra­ tischer Weltverbrüderungswahnsinn“.33 Für die Vertreter dieser rassischen Naturkonzepte galten daher „multikulturelle“  – was Flora und Fauna betrifft – Zustände mit allen Konsequenzen als „widernatürlich“; eine völkisch-lebensreformerische Denkfigur, die der geographischen und ethnischen Trennung von „Völkern“ – der Begriff in dieser Konsequenz ist ohnehin ein reines Gedankenkonstrukt – das Wort redete.34 Ähnliche problematische Naturkonzepte fanden sich auch bei den völkischen Vertretern der politisch ebenfalls breit aufgestellten Heimat- und Naturschutzverbände, die die „Deutsche Heimat in ihrer natürlichen und geschichtlich gewordenen Eigenart“ schützen wollten.35 Die in der Lebensreformbewegung verwendeten Schlüsselworte „Natur“, „Gemeinschaft“ und „Volk“ kamen gewöhnlich ohne ein 33

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kontrastierendes oppositionelles Gegenüber nicht aus. Als Gegenbegriffe – das wurde schon angedeutet – bediente man sich Reizwörtern wie etwa „Kultur“, „Zivilisation“, „Degeneration“, „Masse“ und „Gesellschaft“ – umstrittene und oft mäandernd definierte, zumeist jedoch negativ besetzte Begriffe, die in den Debatten jener Zeit allein schon deshalb einen schweren Stand hatten, weil ihre abwertenden Zuschreibungen historische Kontinuität besaßen.36 Wenn der lebensreformerische Siedler Gustav Adolf Küppers im  Jahre 1924 rückblickend bemerkte: „Die Natur erschien uns in dem Sumpf der Überzivilisation als das schlechthin Vollkommene, Reine, Große und Schöne“,37 so benutzte er damit in der Szene altbekannte gegensätzliche Topoi, die einer weiteren Erläuterung nicht bedurften. Im Rahmen einer allgemeinen Kritik der jeweiligen Zeitumstände dienten derlei Begriffe als negatives Charakteristikum von moderner Technik und städtischer Kultur, Kapitalismus und Industrialisierung, intellektueller und rationaler Wissensvermittlung, pluralistischer Gesellschaft und internationaler Demokratiebemühungen; kurz: von Fortschritt und Veränderung im Sinne einer rationalen, aufgeklärten Moderne. Sie symbolisierten auch damit einhergehende individuelle Entfremdungsgefühle und ein krisenhaftes Empfinden persönlicher Unbehaustheit. Wenn die Zeitschrift „Kraft und Schönheit“ 1907 davon sprach, dass „gerade in unserer heutigen Zeit mit ihrem ungeheuren geistigen Durcheinander viele Menschen vollständig aus dem Geleise kommen“38, so gab sie dem vagen Gefühl der Zergliederung einen konkreten Ausdruck, der von vielen Zeitgenossen geteilt wurde. Allerdings konnte diese Art des „Kulturpessimismus“, auf die nationale Spitze getrieben, zu völkischem Denken führen39 – wie das schon früh Fritz Stern und Kurt Sontheimer als Lehre aus der jüngsten Geschichte bemerkten. 40 So galt bei völkischen Lebensreformern als Feind der Natur das gegenwärtige „Zeitalter“ mit seiner „kosmopolitisch-demokratisch-kapitalistisch-industriellen Entwicklung“.41 1906 beklagte der Kulturreformer und spätere völkische Kulturpolitiker Paul 34

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Schultze-Naumburg in seinem Aufsatz „Die Großstadtkrankheit“ genretypisch die „unerträglichen Zustände“ in den modernen Städten, die das Leben „immer künstlicher und aufreibender“ werden lassen, das „tägliche Hetzen“ und die „Verkehrsbelästigungen“, und beschrieb die „Unglücklichen, die gezwungen sind, in diesem Steinhaufen ihr Leben zu verbringen“: „(Man) kann stundenlang so die Großstadt durchirren: was (man) sucht, Ausspannung der Nerven und die Wohltaten der Natur, wird (man) nicht finden.“42 Die Großstadt und ihre „Masse“ – als Verkörperung der „Zivilisation“ – galt dabei als Synonym für psychische und physische „Degeneration“ schlechthin: soziale Kälte, physischer Verfall, Armut, Prostitution, Krankheit, Alkoholismus, Kriminalität, Massenkonsum, Entfremdung, kurz „Unnatur“. Bei den völkischen Vertretern (der Lebensreform) kam noch die Vorstellung von der Stadt als „Rassengrab“ hinzu, und zwar sowohl hinsichtlich des Verfalls der eigenen Nation durch das urbane Umfeld als auch hinsichtlich der allgemeinen körperlichen und geistigen „Degeneration“ aufgrund der „Durchmischung“ verschiedener „Rassen“ in den Großstädten.43 „In der Großstadt stand meine Wiege“, so notierte Gustav Adolf Küppers rückblickend 1918, „der Hahn unserer Schnapsflasche stand nie still. Das Wechselgeld hörte nicht auf zu klingeln. (...) Ich sah das grausige Zeitalter des Warenhauses heraufsteigen, wo man den armen geblendeten Menschen mit der Ware Steine statt Brot gab. Ich sah den Hunger, den die Ware zu stillen bestimmt war, durch eben die Ware ins Unendliche steigen. Das mußte die letzten Brücken zerreißen, die noch von Menschenherz zu Menschenherz gespannt waren.“44 Andere Vertreter seiner Generation, denen ebenfalls die „auf Irrwege geratene Zivilisation“ ein Dorn im Auge war, teilten seine Meinung.45 Wenn der Begriff der Zivilisation in diesem Kontext ausschließlich negativ konnotiert war, so nahm „Kultur“ als Reizwort, je nach Definition, eher eine ambivalente Stellung ein. Auf der einen Seite wurde, und dies war gesellschaftlich breit anschlussfähig, der negativ besetzte Zivilisationsbegriff einem positiv konnotierten Kul35

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turbegriff gegenübergestellt, dem Faktoren wie Religion, Familie, Innerlichkeit, Naturverbundenheit, Gemeinschaft, dörfliches Leben  – letztlich „Deutschtum“ schlechthin  – zugewiesen wurden. Als Klassiker einer derartigen Gegensatzdebatte galten unter anderem die vielgelesenen und unterschiedlich rezipierten Bücher des Soziologen Ferdinand Tönnies: „Gemeinschaft und Gesellschaft“ von 1887 sowie des Kunsthistorikers August Julius Langbehn: „Rembrandt als Erzieher“ von 1891.46 In diesen Debatten wurde der Naturbegriff zum großen Teil mit dem Kulturbegriff überblendet, da beide als Gegenbegriffe zu „Zivilisation“ gebraucht wurden. Auf der anderen Seite wurde auch die deutsche „Kultur“ selbst kritisiert, und zwar immer dann, wenn man bemängelte, dass sie aufgrund des hohen sozialen Drucks dem gefürchteten globalen gesellschaftlichen Wandel von außen nichts entgegensetzen könne und sich den negativen Eigenschaften der verhassten „Zivilisation“ zu nähern beginne. In der Folge wurde dann eine einstmals hohe (deutsche) „Kultur“ beschworen und, falls keine Rückbesinnung erfolge, ihr künftiger Untergang prophezeit („Kulturverfall“). In diesem Sinne notierte der Schriftsteller und Philosoph Oswald Spengler 1931, die „Zivilisation ist selbst eine Maschine geworden, die alles maschinenmäßig tut oder tun will“, wobei sich die „Kultur, der Inbegriff künstlicher, persönlicher, selbstschaffender Lebensformen, (...)zu einem Käfig mit engen Gittern“ entwickelt habe.47 In diesem Kontext konnte ein nun negativer Kulturbegriff gegen den positiven Naturbegriff ausgespielt werden. Dabei meinte man mit Zivilisationskritik und Kulturkritik häufig mehr oder weniger dasselbe, nämlich eine sensibilisierende Reflexion auf die Zumutungen der Moderne.48 Beide Begriffe wurden bei den Zeitgenossen – und auch in der Sekundärliteratur – oft syno­ nym verwendet, wenn auch die Bezeichnung „Kulturkritik“ für beide Begrifflichkeiten überwiegen mag.49 Zwar war sich die Lebensreformbewegung mit den Kulturkritikern, was den negativen Befund anging, einig, in der konkreten Therapie hingegen ging man getrennte Wege. Dabei finden sich die terminologische Uneinheitlichkeit, die abweichenden Posi36

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tionen und die gelegentliche Begriffsgleichsetzung auch in der Lebensreformbewegung wieder. Als Beispiel für die erste Position, die dichotomische Beziehungsauffassung von Zivilisation und Kultur, mag der Lebensreformer Curt Schwantes dienen, der Zivi­lisation für „etwas Äußerliches (hält), darum erlernbar wie ein Handwerk; man kann sie einem anderen Volke absehen und nachahmen“.50 Kultur dagegen war für ihn ein individueller authentischer Ausdruck einer Gruppe von Menschen und eine legitime Ersatzhandlung anstelle der unerreichbaren Ursprungsnatur: „Mehr und mehr haben wir uns (...) von der Natur abgewandt; wir leben nicht mehr mit Wald und Heide und Wiese und Acker (...); wir ­haben dafür die Kunst und die Wissenschaft.“ Daher umfasse „Kultur (...) die Art des Verkehrs mit der Natur“.51 In Folge dieser – am Mythos der Ganzheitlichkeit orientierten – Position konnte die Zeitschrift „Kraft und Schönheit“ als Leitidee formulieren: „Wir fordern im Rahmen unserer fortschreitenden Kultur eine ‚Menschheitskultur‘, die uns nicht geistige oder technische Fortschritte auf Kosten unserer körperlichen Entwicklung bringt, sondern uns mit diesen zu immer höherer persönlicher Entfaltung gelangen läßt.“52 Die zweite Position, die Gleichsetzung des Kultur- und Zivilisationsbegriffs, findet sich ebenfalls in der Zeitschrift „Kraft und Schönheit“: „Kultur oder Zivilisation (führen) zu einer schweren Schädigung des Einzelmenschen wie der Gesamtheit“, wobei – und nun wurde „Kultur“ ins Positive gewendet  – die „Körperkultur (als) Grundlage der Lebensreform“ der Ausweg aus der Misere sei.53 „Kultur“ konnte je nach Position und Begriffsumfeld etwas ganz Verschiedenes meinen. Die dritte Position, der ausschließlich und in drastischen Formulierungen geäußerte negative Kulturbegriff, findet sich häufig bei völkischen Lebensreformern. So sei, wie der völkische Lebensreformer Willibald Hentschel 1914 beispielhaft notierte, die Kultur der „Totengräber der Menschheit“, da sie durch Hygiene und Fortschritt „lebensunwertes Leben“ erhielte und die „konstitutive Tüchtigkeit“ der Rasse verringere; nur die Natur, als dessen Meisterstück der „reinrassige Arier“ galt, könne „die Ansprüche des 37

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Lebens  (...) aus dem Rassenprozeß“ ausschalten, alle „lebensfälschenden Sitten und Bräuche“ ersticken und den Menschen „zur Vollkommenheit“ führen.54 Bemerkenswerterweise waren auch innerhalb des völkischen Blocks der Lebensreform Begriffszusammensetzungen wie „Freikörperkultur“ oder „Körperkultur“ von negativen Kulturdispositionen ausgenommen und galten als positiv besetzt, genau wie in der gesamten überwiegend nichtvölkischen Lebensreformbewegung.55 Derartige Widersprüche mussten in den zeitgenössischen Debatten zur Verwirrung führen. Der mäandernden, diffus verwendeten Terminologie war jedoch kaum beizukommen und dürfte neben einem Mangel an gedanklicher Reflexion und unscharfen Definitionen auch der ideologischen Auseinandersetzung und den Grabenkämpfen der in sich zersplitterten Bewegung geschuldet sein, die erbittert um Deutungshoheiten kämpfte. Zur Legitimierung und Rechtfertigung ihrer Gedankenkonstruktionen und Schlüsselbegriffe bediente sich die Lebensreformbewegung prominenter kulturkritischer Stichwortgeber aus Politik, Gesellschaft und Philosophie. Neben etlichen, weniger bedeutenden Vordenkern wurden dabei vor allem bekannte Zeitgenossen wie Richard Wagner, Julius Langbehn, Friedrich Nietzsche, Ludwig Klages und Paul de Lagarde oder andere bekannte „geistige Führer der Gegenwart (Oswald) Spengler, (Herrmann Graf) Keyserling, (Stefan) George“ ins Spiel gebracht.56 Sie waren deshalb so einflussreich, weil viele von ihnen „eine (den Reformbewegungen verwandte) verallgemeinernde, ethisch orientierende und an die Persönlichkeit appellierende Gesamtdeutung der Welt“ lieferten und häufig Diagnosen mit „Auswegszenarien“ anboten, wobei sie „wissenschaftliche Befunde mit metaphorischen und pauschalen Behauptungen“ durchsetzten und insgesamt die akademischen Disziplinen eher ignorierten.57 Ihre kultur- bzw. zivilisationskritischen, z. T. auch völkischen Texte und Konzepte wurden freilich nicht immer dem Original entnommen, sondern oft über populäre „allgemeinverständliche Darstellungen“ der „Volksaufklärer“ jener Zeit rezipiert  – im Stile von Traktaten wie „Was muss man von 38

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Friedrich Nietzsche wissen?“ oder, an Julius Langbehn angelehnt, „Nietzsche als Erzieher“ – und anschließend an die Ideologie der Lebensreform angepasst.58 Zwar lässt sich konstatieren, dass eine Rezeption nicht nur deshalb Aussicht auf Erfolg gehabt haben dürfte, weil die Stichwortgeber interpretatorisch Raum für jeden Interessierten (Lebensreformer) lieferten – selbst für ihre auch in der Szene als abseitig bis schrullig bezeichneten Vertreter.59 Noch wichtiger war es, wenn man die Vordenker mit den Anschauungen der Lebensreform in Beziehung setzen konnte  – sei es, dass sie, wie Richard Wagner und sein Bayreuther Umfeld, gelegentlich naturheilkundlichen60 und vegetarischen Neigungen nachgingen61 oder vivisektions­ kritische Ideen formulierten, dass sie, wie Hermann Graf Keyserling mit seiner „Schule der Weisheit“, einen mit fernöstlichem Gedankengut eingefärbten reformerischen Debattenkreis initiierten oder dass sie, wie Friedrich Nietzsche, angeblich Körperkultur und Naturheilkunde das Wort redeten.62 Dennoch sind die subtilen wie direkten Rezeptionsebenen außerordentlich komplex, längst nicht erforscht und daher auch nur in Stichworten darstellbar; dieser Befund gilt auch für die mit der Lebensreform verzahnte Jugendbewegung.63 Angesichts der Komplexität und Problematik der bislang nur ungenügend aufgearbeiteten Rezeptionsgeschichte müssen an dieser Stelle ein paar Hinweise genügen. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen den gedanklichen und begrifflichen Parallelen von Vordenkern und Lebensreformern, die indirekt auf einen Einfluss hinweisen könnten, und den tatsächlich individuell nachweisbaren Belegen für eine Rezeption. So sollte die Beobachtung, dass sich etwa in Langbehns „Rembrandt als Erzieher“ und in der lebensreformerischen Literatur, quantitativ gesehen, zahlreiche begriffliche Überschneidungen finden  – darunter Schlichtheit, Wahrheit, Einfachheit, Schönheit und Natur, von den zivilisationskritischen Formulierungen ganz zu schweigen  –, nicht zu vorschnellen Schlussfolgerungen verleiten. Auf der anderen Seite sollte aber auch die Bemerkung, es sei trotz dieser begrifflichen 39

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Überblendung „höchst schwierig, einen eindeutigen Verweis auf eine bestimmte Stelle des Rembrandtbuches und die korrelative lebensreformerische Forderung aufzudecken“, ohne Überprüfung der Quellen weder bestätigt noch verallgemeinert werden.64 Denn tatsächlich ließen sich etliche Protagonisten der Lebensreformbewegung ganz konkret von bestimmten Stichwortgebern beeinflussen. So hat Fidus, einer der wesentlichen visuellen und ikonographischen Muliplikatoren der Bewegung, Werke von Nietzsche und Langbehn gelesen und sich mit Wagner befasst.65 Der einflussreiche Gymnastiker Rudolf Bode hat sich mit der Rhythmus- und Ausdruckslehre von Ludwig Klages hinsichtlich einer brauchbaren Theorie der Gymnastik und zudem noch mit den nationalen Entwürfen und kulturkritischen Aspekten von Langbehn, Lagarde, Spengler und Nietzsche auseinandergesetzt.66 Der belesene Nudist Magnus Weidemann stellte den „Rembrandtdeutschen“ 1926 sogar ausführlich vor.67 Andere Wortführer der Bewegung tummelten sich ebenfalls im selben literarischen und publizistischen Umfeld68 oder  – wie die Ausdrucktanzprotagonisten Rudolf von Laban und Mary Wigman, die immerhin für kurze Zeit auf der berühmten Lebensreformkolonie Monte Verità wohnten – setzten die Texte von Vordenkern wie Nietzsche, insbesondere „Zarathustra“, künstlerisch um.69 Die Rezeption war zwar in der Regel positiv, kam jedoch nicht immer ohne Kritik an den Vordenkern aus. So wurde etwa Oswald Spengler für seinen negativen Determinismus vom unausweichlichen „Untergang des Abendlandes“ gegeißelt, denn gerade die Lebensreform wies ja im Gegenteil einen Ausweg aus der Krise.70 Welche Aspekte lassen sich – bei aller Vorsicht – zu den Grundlinien der Rezeption rechnen? Bei Friedrich Nietzsche dürften es  – neben der Kulturkritik  – vor allem dessen biologische Anthropologie und sein lebensphilosophischer Ansatz gewesen sein. Seine Ablehnung des Bildung mit „Vielwisserei“ verwechselnden und zur Kritik unfähigen „Bildungsphilisters“71 veranlasste ihn zu seinem Gegenentwurf von Kultur als „Einheit des künstlerischen Stils in allen Lebensäußerungen eines Volkes“; eine Art Ganzheits40

Begriffe, Motive und Stichwortgeber

Der Lebensreformmaler Fidus vor der Staffelei (Postkarte, 1895/1932).

gedanke, der die Idee einer organischen und natürlichen Entwicklung in sich trägt. An diesem „Primat des Lebens“ anknüpfend plädiert Nietzsche für eine Befreiung „lebendiger Kräfte aus den Fesseln der Vergangenheit“. Diesen zukunftsbejahenden Vitalismus sah Nietzsche in der Jugend und ihrem Ziel des „Neuen Menschen“ verkörpert; daher fühlten sich vor allem Reformpädagogik und Jugendbewegung von Nietzsches Konzept angesprochen.72 Diese lebensphilosophische Reform Nietzsches schloss auch eine neue Spiritualität mit ein, die angesichts der Sinnkrise der Zeit, der Darwin’schen Überwindung der religiösen Ursprungsmythen („Gott ist tot“) und der damit einhergehenden Wissenschaftsgläubigkeit den Sinn des Lebens in alternativen Daseins- und Glaubensentwürfen fand. Eine derart „naturgesetzlich fundierte Reform des Lebens“, die ebenso Selbstfindung wie Selbsterlösung meinen und genauso eine neue (säkulare) Weltanschauung wie 41

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auch eine (pagane) Naturreligion bedeuten konnte, sollte individuell, schöpferisch, ästhetisch, lebensbejahend, überzeitlich und ganzheitlich sein.73 Hier trifft sich Nietzsche mit der Lebensreform, zufällige Missverständnisse und instinktive Überanpassungen, gewollte Fehldeutungen und bewusste Uminterpretationen inbegriffen  – einschließlich der von Nietzsche nie gewollten lebens­ reformerischen Profanisierung, „sofern sie sich (ausschließlich) an Fragen der Hygiene, Ernährung und Gesundheit von Körper und Seele orientiert“, von Rückgriffen auf bildungsbürgerliche Askese, Eugenik und Rassenideen ganz zu schweigen.74 Der Lebensreformer Walter Hammer fasste 1913 in einem Aufsatz in der „Vegetarischen Warte“ diesen Nietzscheanismus für alle Lebensreformer prägnant und selbstbewusst zusammen: „Nietzsche hat eine Art Vergöttlichung des Leibes gelehrt. Ich bin der Meinung, daß man all unsere modernen Körperkulturbewegungen, zu denen ja auch die vegetarische Bewegung zu rechnen ist, mehr oder weniger auf Nietzsche zurückführen darf. Eine wesentliche Befruchtung durch ihn ist jedenfalls unverkennbar.“75 Neben Nietzsche fielen geringere Geister wie Langbehn, Lagarde oder Klages natürlich ab, wenngleich sie dennoch eine gewisse Bedeutung besaßen, die jedoch mehr den Zusammenhang von lebensreformerischem Naturverständnis und völkischem Denken betraf. So stieß Langbehns nationalistisch-germanischer Entwurf eines idealen deutschen Volkes, das französische Aufklärung und englischen Marktliberalismus – also „Entfremdung“ und „Entwurzelung“  – zugunsten von deutscher Ursprünglichkeit, Einfachheit, Natur und Mystik ablehnt, (nicht nur) in der Lebensreform auf Anklang:76 „Das Volk muß nicht von der Natur weg, sondern zu ihr zurückerzogen werden. Durch wen? Durch sich selbst. Und wie? Indem es auf seine eigenen Urkräfte zurückgreift.“ Langbehn ermahnte die „Deutschen, ihrer Natur (eines männlichen Volkes) treu (zu) bleiben“, ihr „Geistesleben“ dürfe „nicht mehr um die Sonne Homers, sondern um die deutsche Erde zirkuliren“ und „muß sich wieder an den heimatlichen Boden binden“. 42

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Es waren diese Floskeln, die das Herz eines Lebensreformers höher schlagen lassen konnten, und wenn er dazu noch entsprechende Elemente der späteren erweiterten Auflagen von Langbehns Buch „Rembrandt als Erzieher“ isoliert aus dem Zusammenhang nahm  – etwa dass, so die Ausgabe von 1890, zur Persönlichkeit „körperliche Kraft, Gesundheit, Lebensfreude“ und ein „nackter männlicher Körper“, dazu noch ein Schuss „Spiritualismus gehöre“, dass der Mensch, so die Ausgabe von 1922, „sein eigener Arzt sein“ solle, der „Volksarzt“ den „Menschen im ganzen und als Ganzes“ mit „Massage, Terrainkur, Kaltwassermethode, schwedische(r) Gymnastik“ zu behandeln habe –, so war es ohne weiteres möglich, Langbehn zu einem der Ahnherrn der Lebensreform zu machen und sich gleichzeitig durch ihn zu adeln.77 Auf all diese Aspekte verweisend, stellte der rührige Lebensreformer und Maler  – und ehemalige protestantische Pfarrer  – Magnus Weidmann 1926 in einem programmatischen Aufsatz über Langbehn fest: „Köstlich und wunderbar aber ist, daß der Geist dieses großen Deutschen (...) der Geist ist, den wir instinktiv in uns tragen und in die Welt hineintragen: Die Neudeutschen, die Jugendlichen, die Lichtgläubigen, die Nordisch-Germanischen.“78 Die Kulturkritik von Paul de Lagarde79 und Ludwig Klages blies in ein ähnliches  – zum Teil strikt antisemitisches  – Horn; während auf Lagardes organizistisch-völkisches Denken zum Teil nur mottoartig verwiesen wurde, um inhaltliche Übereinstimmung zu suggerieren,80 wurde dagegen der Chemiker, Schriftsteller, Lebensphilosoph und Graphologe Ludwig Klages von lebensreformerisch ausgerichteten Gymnastikprotagonisten mit völkischem Einschlag wie Rudolf Bode breit rezipiert. Dabei gab Klages mit seiner kulturkritischen Unterscheidung von Takt (Kultur, Zivilisation) und Rhythmus (Natur) – „der Rhythmus ist eine allgemeine Lebens­erscheinung, an der als lebendes Wesen  (...) der Mensch teilnimmt, der Takt dagegen ist eine menschliche Leistung“81  – eine Kulturtheorie für die Rhythmische Gymnastik vor, deren Vertreter das rhythmische Körperprinzip als natürliche Erscheinung verstanden, auf deren Grundlage ganzheitliche und der Natur im43

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manente Körperbewegungen und entsprechende Lebensweisen möglich waren. In der völkischen Variante wurde dann dem „Deutschen“ ein natürlich-rhythmisches Lebensgefühl, dem „Engländer“ dagegen nur der materialistische Takt zugeschrieben. Dieser, an Klages angelehnte, Existenzentwurf wurde in der Lebensreform aufgegriffen und angenommen.82 Trotz aller ideologischen Gewichtung auf Ludwig Klages, Julius Langbehn oder Friedrich Nietzsche war die lebensreformerische Rezeption, was Begriffe, Motive und Vordenker anging, oft auf einen Pragmatismus ausgerichtet, der mehr rechtfertigen als politisieren wollte. Und wenn gerade die lebensreformerischen Gymnastiker ihre Ideen aus einer breiten Palette von Zivilisationskritikern und Naturphilosophen auswählten, die von Wilhelm Wundt über Karl Bücher, Carl Gustav Carus und Melchior Palagyi bis zu Georg Simmel, Hans Driesch oder Henri Bergson reichen konnte,83 so wäre dies nur eine weitere Bestätigung dafür, dass im lebensreformerischen Rezeptionssystem weniger auf definitorische Schärfe, inhaltlich stimmige Ideologie oder argumentative Stringenz geachtet wurde, sondern eher auf einen eingängigen Verweiszusammenhang, bei dem man den oberflächlichen Bezug zur Lebensreform billigend in Kauf genommen haben mochte. Denn derartige Vordenker standen nicht nur für unterschiedliche Zugänge, sondern sie sicherten über ihre Popularität immer auch eine gewisse Seriosität. Die rezipierten Stichwortgeber, die popularisierten Schlagworte und Motive, die die Schlagworte und Motive vieler Zeitgenossen waren und daher auch instinktiv verstanden wurden, dienten nur zum Teil einer Standortbestimmung. Sie trafen in ihrer definitorischen Schwammigkeit auch bei denjenigen auf Zustimmung, die nicht unbedingt zum engeren Kreis der Lebensreform zählten.

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as Ernährungsverhalten und die Nahrungsmittelauswahl spielten unter den Anhängern der Lebensreformbewegung immer eine außerordentlich zentrale Rolle. Ernährungsreformerische Bestrebungen  – im engeren lebensreformerischen Sinne wurden darunter vegetarische Kost (roh und gekocht) unter Einschluss tierischer Produkte wie etwa Milch, Käse, Honig oder Eier, ungekochte vegetabile Rohkost oder ausschließlich Pflanzenkost ohne tierische Anteile („Vegetabilismus“)1 und selten Mischkost2 sowie entsprechende diätetische und abstinente Maßnahmen3 verstanden – gehörten zu den frühesten Thematiken der Lebensreform, und ihre Vertreter zählten immer zu den sozial am meisten etablierten Gruppen in der Bewegung. Lange bevor andere lebensreformerische Theorien und Praktiken ihren Ausdruck fanden, waren Vegetarismus und Ernährungsreform längst gängige Strömungen der Lebensreform, was sich auch daran zeigt, dass die „Begriffe ‚Vegetarismus‘ und ‚Lebensreform‘ (lange Zeit) weitgehend deckungsgleich“ gewesen sind.4 In den Lebensläufen ihrer Propheten, in ihren Motiven und Argumenten, in der Organisationsform und in den Verbreitungsstrukturen des Vegetarismus finden sich daher auch alle typischen Merkmale der Lebensreform wieder: die Zivilisationskritik, die Selbstreform, die Utopie eines rückwärtsgewandten naturnahen Lebens in Verbindung mit einer zukunftsorientierten Sozialutopie und die heilsbringenden, ja beinahe ­religiösen Motive – die letztlich in einer vegetarischen Lösung der „sozialen Frage“ gipfelten5 – sowie das an jener, von 45

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etlichen ­Außenstehenden als überspannt eingestuften, Heilslehre orientierte egozentrisch-prophetische Auftreten ihrer Protagonisten.6 Zu den – auch in der selbstreferentiellen subjektiven Geschichtsschreibung der Bewegung zentralen  – Gründungsgestalten des Vege­tarismus gehören Gustav Struve, Eduard Baltzer, Theodor Hahn und Wilhelm Zimmermann. Zu ihren Vorgängern, auf die sie sich partiell stützten, zählen ältere, an Hippokrates ausgerichtete Makrobiotiker wie etwa Christoph Wilhelm Hufeland. Ihre einflussreichen Nachfolger sind u. a. Gustav Schlickeysen, Adolf Just, Max Bircher-Benner oder Gustav Simons,7 wobei die ältere Generation vorwiegend Vertreter des theoretischen und praktischen Vegetarismus waren und die jüngeren Reformer aufgrund ihrer breiten Tätigkeitsfelder sich zugleich noch in der Naturheilbewegung organisiert oder – wie Bircher-Benner und Simons – sich als Ernährungsreformer über die engere Lebensreform hinaus einen Namen gemacht hatten. So steht der Schweizer Arzt und Sanatoriumsleiter Bircher-Benner heute synonym für die Erfindung des Müslis, der deutsche Lebensreformer Gustav Simons gilt als Entwickler eines Vollkornbrots, das durch die besondere Behandlung des Teigs vor allem für Magen- und Darmkranke geeignet war, und der amerikanische Sanatoriumsleiter und Vegetarier John Harvey Kellogg, der selbst unter den Lebensreformern als ausgesprochener Individualist galt, erfand während seiner Ernährungsversuche die Erdnussbutter und die Cornflakes.8 Diese letzten Bemerkungen deuten – wir kommen immer wieder darauf zurück – darauf hin, dass die einzelnen Bestrebungen der Lebensreform nicht getrennt voneinander betrachtet werden können, sondern immer Schnittstellen aufweisen, sei es über ihre vielfältig engagierten Protagonisten oder über ihre heterogenen Gruppen, die oft mehrere reformerische Praktiken in sich vereint haben. Doch zunächst zu den Gründern der Vegetarismus: Eduard Baltzer wurde in der Nähe von Leipzig geboren; sein Vater war protestantischer Pfarrer, seine Mutter stammte aus einem Pfarrershaushalt, und Eduard Baltzer selbst studierte ebenfalls Theologie. 46

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Aufgrund von religiösen Differenzen mit dem Kirchenkonsistorium erhielt Baltzer – trotz Zusagen verschiedener Gemeinden – keine Pfarrei zugewiesen. Die Gemeindemitglieder seiner letzten Pfarrstelle St. Nikolai in Nordhausen  – am Südharz in Thüringen – traten daraufhin geschlossen aus der evangelischen Kirche aus und gründeten mit Eduard Baltzer als Pfarrer eine freireligiöse Gemeinde. Die freireligiöse Bewegung entstand im 19.  Jahrhundert als Protestbewegung zur evangelischen Kirche; ihre Gemeinden plädierten für die Freiheit von dogmatischen Bindungen und strebten nach der Emanzipation der Religion von der Mutterkirche. Die Freikirche begründete ihre Religion auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Gesetze der Vernunft; häufig lässt sich eine Art Naturverehrung feststellen, die sie um 1900 zu religiösen Gruppen wie dem Monismus oder zu pantheistischen Kreisen Anschluss suchen ließ, die ebenfalls Tendenzen einer religiös-wissenschaftlichen Naturhinwendung aufwiesen. Eduard Baltzer selbst wurde zu einem der großen Mitgestalter der freireligiösen Bewegung, 1859 wurde er zum ersten Präsidenten des Bundes Freireligiöser Gemeinden Deutschlands gewählt.9 Ihre liberale Gesinnung ließ die Freireligiösen – mit Baltzer an der Spitze – zu Verfechtern der demokratischen 1848er-Revolution werden. Eduard Baltzer selbst rief mit zur Revolution auf, wurde 1848/49 als Abgeordneter in das neue Frankfurter Parlament berufen und trat als Mitglied der Verfassungskommission der Preußischen Nationalversammlung bei, die eine gemeinsame demokratische Reichsverfassung für Deutschland erarbeiten sollte. Nach der Niederschlagung der bürgerlichen Revolution 1849/50 wurden etliche Demokraten politisch verfolgt und wanderten nach Amerika aus, viele freireligiöse Gemeinden lösten sich auf, und Baltzer selbst stand 1859 nur noch einem kleinen unbedeutenden Haufen Anhängern vor, deren politischer und religiöser Einfluss zunehmend sank. In dieser Phase stieß Baltzer, der sich aus öffentlichen Ämtern zurückzog und sich von nationalökonomischen Ideen löste, über den Vegetarier Theodor Hahn auf den Vegetarismus. Offenbar aus 47

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politischer Resignation heraus begann Baltzer, den Vegetarismus als innere Heilslehre und privaten Reformansatz zu deuten. Sein vierbändiges Standardwerk „Die natürliche Lebensweise“, dessen erstem Teil „Der Weg zu Gesundheit und socialem Heil“ von 1871 er den zweiten Teil „Die Reform der Volkswirtschaft vom Standpunkte der natürlichen Lebensweise“ folgen ließ, weist auf die Privatisierung – und auch auf die spirituelle Auslegung – seiner politischen Theorien hin. 1867 gründete Baltzer den „Deutschen Verein für naturgemässe Lebensweise“ und damit die erste deutsche vegetarische Organisation.10 Der mecklenburgische Naturarzt Theodor Hahn absolvierte zunächst eine Ausbildung als Apotheker, bevor er bei dem Versuch, seine eigenen Krankheiten zu heilen, auf naturärztliche Wasserkuren stieß. Nach zweijähriger Beschäftigung mit alternativer Medizin ließ sich Hahn 1849 als Naturarzt nieder und leitete in den folgenden  Jahren mehrere Wasserheilanstalten im süddeutschen Raum. Während der Suche nach der Linderung der eigenen Krankheiten  – unter anderem Asthma und eine zeitweilige Erblindung –, entdeckte Hahn eigenen Angaben zufolge um 1852 den Vegetarismus für sich, begann auf Fleisch, Reizstoffe, Alkohol und Tabak zu verzichten und verordnete sich schließlich eine ex­ treme asketische Lebensführung; eine stereotypische Erweckungsgeschichte zwischen mystischer Selbstheilung und Sinnsuche, die uns so oder ähnlich schon begegnet ist und die in Hahns Buch „Der Vegetarismus als neues Heilprincip zur Lösung der sozialen Frage“ von 1873 seinen beredten rhetorischen Ausdruck fand. 1867 gründete Hahn die vielgelesene Zeitschrift „Der Naturarzt“ und schrieb eine Anzahl Bücher und etliche Artikel über Vegetarismus und naturgemäße Ernährung.11 Der promovierte Hallenser Lehrer Johann Wilhelm Zimmermann, über den wenig bekannt ist, gilt in der vegetarischen Bewegung als Begründer des deutschen Vegetarismus, er war jedoch der Einzige, des sich später vom Vegetarismus wieder lossagte. Zimmermann kam bereits um 1840 mit alternativen Ernährungs­ fragen in Kontakt, als er auf einer Englandreise mit einer Gruppe 48

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von Schülern, die er diätetisch beraten sollte, als Gäste in einer vegetarisch ausgerichteten Schule wohnte. Dadurch angeregt, verfasste Zimmermann eine politisch-moralische Schrift über den Vege­tarismus, die er „Weg zum Paradies. Eine Beleuchtung der Hauptursachen des physisch-moralischen Verfalls der Culturvölker, so wie naturgemäße Vorschläge, diesen Verfall zu sühnen“ nannte; ein barocker Titel, der seine formale Herkunft aus dem 18.  Jahrhundert bzw. seine Nähe zur Rhetorik der Aufklärung nicht verleugnen konnte und wohl auch nicht wollte, und für den er lange Zeit keinen Verleger fand. Erst 1846 konnte die Arbeit schließlich veröffentlicht werden. Auch Zimmermann erlitt in der 1848er-Revolution, die auch in Sachsen zu zahlreichen Aufständen gegen die Obrigkeit geführt hatte, erhebliche politische Repressalien, unter anderem, weil er in seinem Buch auf Distanz zu kirchlichen Heilslehren ging und er seine Schrift außerdem noch dem Revolutionär und späteren Vegetarier Gustav Struve gewidmet hatte.12 Der ungleich bekanntere  – in unterschiedlichen historischen Disziplinen dokumentierte – Gustav von Struve studierte Jura. Da er immer wieder das Rechtswesen seiner Arbeitsstellen kritisierte und sich überdies für die Einführung bürgerlicher Grundrechte einsetzte, die in den Justizkreisen der damaligen Klassengesellschaft wenig Freunde besaßen, geriet er in Konflikt mit der Obrigkeit und wurde nach seiner Entlassung gezwungen, als freier Rechtsanwalt in Mannheim zu arbeiten. Zwischen 1846 und 1851 war er einer der wichtigsten deutschen Wortführer der bürgerlichen Revolution, nahm aktiv  – unter anderem auch als Turnerführer – an den revolutionären Aufständen in Süddeutschland teil und musste anschließend aufgrund polizeilicher Verfolgung nach Amerika auswandern. Bereits einige Zeit zuvor, in seiner politisch ohnmächtigen Phase vor der Revolution, kam Struve mit dem Vegetarismus in Berührung und begann ab 1831, neben juristischen, physiologischen und theologischen Arbeiten, mit dem Verfassen einer ernährungstheoretischen Schrift, die das Verhältnis des Menschen zur Tierwelt aufgriff („Mandaras Wanderungen“). 1840 49

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gründete Struve mit 20 anderen Gesinnungsgenossen einen vegetarischen Verein in Stuttgart, der heute noch existiert. Nach der gescheiterten Revolution und im Exil schrieb er 1869 – ein Jahr vor seinem Tod – sein Buch „Pflanzenkost, die Grundlage einer neuen Weltanschauung“; ein für einen Vegetarier jener Zeit typischen erlöserhaften Titel, mit dem auch Struve, der die innere Emigration bzw. die Selbstheilung der Revolution vorgezogen hatte, die so­ ziale Frage durch richtige Ernährung zu beantworten versuchte.13 Obwohl abschließende Deutungen und Erklärungsmuster zu Motivlagen der Lebensreform hier allzu verfrüht wären, mag an dieser Stelle die auffallende biographische Parallele der Vegetarier als Akteure der gescheiterten 1848er-Revolution von Interesse sein; auch andere frühe Lebensreformer wie etwa der Arzt und Okkultist Georg von Langsdorff14 hatten sich zunächst – vergeblich – politisch engagiert und waren dann später zu überzeugten Lebensreformern geworden. Dies veranlasste eine Forschungsrichtung zur Lebensreform zu der Theorie, der „persönliche Einsatz für die Verbreitung vegetarischen Gedankenguts“ sei möglicherweise „eine Stellvertreterfunktion für fehlende Möglichkeiten im gesellschaftlich-politischen Bereich“; mit anderen Worten: „eine Dynamik der politischen Ohnmacht“.15 Eine andere Forschungsrichtung betont demgegenüber die Modernität des Vegetarismus, seine Spielart der bürgerlichen Askese und die neue Form bürgerlicher Selbstvergewisserung, wohingegen ein weiterer Forschungszweig die „asketische Erfahrung“ der Vegetarier, also die Praxis, in den Vordergrund stellt und sie als konkreten persön­ lichen Selbstheilungsversuch wertet.16 Zumindest für einige frühe Lebensreformer scheint ein Zusammenhang zwischen ihren gescheiterten politischen Visionen und ihren später mit bemerkenswertem Fanatismus verfolgten lebensreformerischen Utopien und Praktiken bestanden zu haben. Zur nachfolgenden Generation bedeutender Vegetarier, die ab dem späten 19. Jahrhundert mit ihrer Praxis begannen, gehören neben vielen anderen Gustav Schlickeysen, Adolf Just, Max Bircher-­ Benner und Gustav Simons; sie besaßen – im Gegensatz zur ersten 50

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Generation – z. T. sehr verschiedene berufliche Zugänge, sie machten unterschiedliche Erfahrungen, und sie hatten differenzierte, in der Bewegung nicht unumstrittene Sichtweisen; auch auf den Vegetarismus. Etliche von ihnen wandten ihre Ernährungslehre nicht nur an sich selbst an, sondern im Rahmen ihrer Tätigkeit im Naturheilsanatorium auch an ihren Patienten. Der Mannheimer Photograph Gustav Schlickeysen, ein Einzelgänger in der vegetarischen Bewegung  – auch seine stereotype Erweckungsgeschichte ist Programm  – kam aufgrund seiner gesundheitlichen Leidensgeschichte und der anschließenden Selbstheilungsversuche zu der Diagnose, dass ausschließliche Früchtekost die beste Therapie für die Gesundung sei. In seinem 1875 veröffentlichten Buch „Obst und Brod“ empfahl er eine reine Rohkostnahrung und lehnte die künstliche Veränderung der Nahrung durch Kochen ab.17 Der dänische Arzt Mikkel Hinhede war vergleichbar radikal; auch er empfahl eine ausschließlich pflanzliche Ernährung und lehnte jedes tierisches Eiweiß für die Ernährung ab. In diesen Wirkungskreis gehörte auch der Vegetarier Gustav Simons mit seiner Brotreform; er befasste sich mit Mehl- und Brotprodukten und stieß bald auf die ernährungsphysiologisch wertvollen Randschichten des Getreidekorns, aus denen er sein heute noch bekanntes Simonsbrot, ein leicht verdauliches Vollkornbrot, herstellte. Der bekannte Naturheilkundler und Leiter des Harzer Sanatoriums Jungborn, Adolf Just, schwor ebenfalls auf reine Rohkost, er ging aber aufgrund seiner Erfahrungen sehr viel pragmatischer vor und verband seine Ernährungslehre mit Lehmkuren, Heilerdeanwendungen und Luftbädern; 1897 erschien sein berühmtes Buch mit dem bekannten sloganartigen Titel „Kehrt zur Natur zurück“. Der Dresdner Naturarzt und Sanatoriumsleiter Dr. Heinrich Lahmann, nebenbei auch ein Kleidungsreformer, der das ausschließliche Tragen reiner Baumwollkleidung vertrat, befasste sich mit der umstrittenen „Blutentmischungstheorie“, bei der ­„falsche Nahrung zu einer fehlerhaften Zusammensetzung des Blutes“ führe. Er entwarf vor diesem Hintergrund eine Diät auf der Basis von Roggen51

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vollkornbrot, grünem Gemüse und Obst; eine Empfehlung, die auch der Schriftsteller Franz Kafka übernahm. Der Mediziner Max Bircher-Benner, der ab 1897 in Zürich eine physikalisch-­diätetische Privatklinik besaß, entwickelte eine vegetarische Rohkostdiät, die er nur für die Dauer der entsprechenden Krankheit verordnete und der anschließend eine ausgewogene Mischung aus Koch- und Rohkost zu folgen hatte. Und der bekannte Lebensreformer Otto Buchinger verlegte sich in seiner – von etlichen Prominenten frequentierten – Kurklinik im niedersächsischen Bad Pyrmont neben vegetarischer Kost auf das von ihm begründete Heilfasten; ohnehin war ein Naturheilsanatorium ohne Vegetarismus in jener Zeit gar nicht zu denken.18 Hielten sich derartige Ernährungstheorien und -praktiken – trotz aller kontroversen Debatten auch außerhalb der Lebensreform – durchaus noch im Rahmen des Pragmatischen und hatten einen nachvollziehbaren gesundheitlichen Hintergrund, so gingen ­einige Ernährungsreformer doch wesentlich weiter und unterwarfen die Realität ihrem Dogma. Bewundert, aber auch gefürchtet, war etwa der amerikanische Arzt Horace Fletcher, der „Kauprophet“, der mit seinem System des „Fletscherismus“, jeden Bissen etwa 100-mal durchzukauen, in der Praxis durchaus an die Grenzen des Machbaren stieß – was Franz Kafka nicht davon abhielt, auch diese Therapie zu versuchen –; von den bereits erwähnten „Kokosnußpredigern“ August Bethmann und August Engelhardt ganz zu schweigen, die ihre Leidenschaft für den ausschließlichen Verzehr roher Kokosnüsse – die als „Kokovorismus“ in die Geschichte einging – mit Krankheit, Siechtum und Tod bezahlen sollten.19 In den kurzgefassten Lebensläufen der Wortführer der vegetarischen Bewegung wurde ansatzweise auf Gründe und Inhalte des Vegetarismus verwiesen. Während die einen – und hier besonders die Naturärzte wie Bircher-Benner oder Just – sehr stark auf einen praktischen Vegetarismus abzielten und besonders auf diätetische Aspekte der vegetarischen Ernährung Wert legten, betonten ihre Vorläufer Hahn, Struve oder Baltzer den weltanschaulichen, politischen oder zumindest moralischen Nutzen einer vegetarischen 52

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Ernährung. Während die einen sich auf den praktischen Vegetarismus bezogen und sich als Ernährungsreformer einen Namen machten, versuchten die anderen, Vegetarismus als Lebensstil bzw. als Heilslehre zu deuten, denen sich der Lebensalltag unterzuordnen hatte. Vor diesem Hintergrund unterschied Wolfgang Krabbe 1974 drei grundsätzliche, argumentativ ineinandergreifende  – und heute noch als Arbeitsgrundlage brauchbare  – Motivlagen des Vegetarismus: den hygienischen, den ökonomischen und den ethischen Vegetarismus.20 Der historische Kern des vegetarischen Begründungszusammenhangs ist der hygienische Vegetarismus. Der ursprüngliche Schlüsselbegriff Vegetarianismus wurde schon ab 1840 benutzt, ehe sich später der heute gängige Begriff Vegetarismus durchsetzte. Das englische Wort „vegetarianism“ stand ursprünglich für „pflanzlich“, während die angebliche Ableitung aus dem lateinischen Wort „vegetus“ für „gesund, munter“ eine beabsichtigte tendenziöse Selbstbezeichnung der späteren Bewegung zu sein scheint. Das ältere Wort Vegetarianismus weist dabei auf den damaligen Begründungszusammenhang aus dem hygienischen Umfeld hin. Die frühen Vertreter des hygienischen Vegetarismus argumentierten physiologisch-anatomisch: Der Mensch sei aufgrund der physiologischen Organisation seines Gebisses und seines Verdauungssystems für Fruchtnahrung prädestiniert und daher nicht für Fleischnahrung geeignet. Diese Idee des natürlichen und damit des vermeintlich wahren Ursprungs des Vegetarismus wurde unterstützt durch die damals aktuelle Evolutionstheorie von Charles Darwin, der Mensch sei das Endprodukt eines historischen Entwicklungsprozesses und habe sich aus niedrigen Organismen über die fleischlos lebenden Affen bis zum gegenwärtigen Menschen entwickelt. Da die vermeintlichen äffischen Vorfahren sich vegetarisch ernährten, sei die fleischlose Kost die eigentlich natürliche und damit angemessene Kost für den Menschen. Gestützt wurde diese mit wissenschaft­lichen Argumenten geführte These später durch die archäologische Erforschung prähistorischer Hominiden; als Para53

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debeispiel fungierte der gerade entdeckte Australopithecus, dessen Gebissstruktur eine vegetarische Ernährung nahelegte. Der hygienische Vegetarismus argumentierte damit wissenschaftlich und nicht religiös, und er war über seine von neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen gespeiste Begründung im höchsten Grade modern; seine „physiologisch-anatomische Prämisse“21 verweist auf die Vernunft der wissenschaftlichen Aufklärung und auf die bürgerliche Denkweise des 18. Jahrhunderts zurück. Dieser Erklärungszusammenhang führte zu der Überlegung, dass der Fleischgenuss sowie der Genuss von Reizstoffen wie Kaffee, Alkohol, Tabak und Tee giftig sei, weil er nicht natürlich sei; hier deuten sich die lebensreformerischen Bezüge zur Antialkoholbewegung der Zeit an.22 Durch das – nicht nachgewiesene und auch nicht nachweisbare – Gift von Fleisch und Reizstoffen würde der Mensch krank, da der Fäulnisprozess des Fleisches im Magen eine Ablagerung der unreinen Stoffe im ganzen Körper zur Folge habe. Eine fatale Folge dieser Vergiftung, die durch den fehlenden natürlichen Instinkt der naturentfremdeten Gesellschaft hervorgerufen werde, sei ein beschleunigter Alterungsprozess.23 Diese Zurückweisung von Fleisch und Reizstoffen als Elemente des Unnatürlichen lässt sich möglicherweise durch die Nahrungsgewohnheiten des 19. Jahrhunderts erklären. Die von der Lebensreformbewegung prädestinierte, weil angeblich „natürlich lebende“ ländliche Bevölkerung ernährte sich überwiegend fleischlos. Die von der Lebensreform kritisierte städtische Bevölkerung aß dagegen mehr Fleisch. Fleisch galt bei Schulmedizinern als eiweißhaltiges und damit als effektives Reproduktionsmittel für die arbeitenden Menschen in der Industriegesellschaft; im Kern ging es bei der Diskussion zwischen Medizinern und Vegetariern immer um die erforderliche Menge an Eiweiß. Die Vegetarier indes glaubten einen Zusammenhang zwischen den modernen Krankheitssymptomen der Großstadt und dem hohen städtischen Fleischkonsum zu erkennen. Diese Debatte wurde erbittert und mit allen Mitteln geführt, und sie hatte in der Bewegung höchste Priorität. So verfasste 54

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der völkische Nacktkulturautor Richard Ungewitter sein zweites lebens­reformerisches Buch programmgemäß als Streitschrift für den Vegetarismus. Unter dem Titel „Diätetische Ketzereien“ veröffentlichte er 1908 ein ideologisch hoch aufgeladenes Werk über die fatale „Eiweißtheorie mit ihren Folgen, als Krankheitsur­sache, und ihre wissenschaftlich begründete Verabschiedung“. Aber dies sollten um die Jahrhundertwende noch diätetische Außenseiterpositionen bleiben. Die Idee des Vegetarismus, neben bzw. statt Fleisch auch Gemüse und Obst zu essen, fand nur langsam Eingang in die Ernährungstheorien der Medizin und die Ernährungsgewohnheiten der Stadtbevölkerung, die jahrzehntelang als Zielscheibe der vegetarischen Kritik und als Feindbild der Lebensreformbewegung generell herhalten musste.24 Der ökonomische Vegetarismus argumentierte dagegen volkswirtschaftlich: Der Konsum animalischer Produkte – Milch, Butter, Fleisch, Wurst  – war in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts ausgesprochen kostspielig. Die städtische Nachfrage nach Fleisch und Wurst ließ die Preise weiter steigen. So machten die Nahrungsmittelkosten eines durchschnittlichen Arbeiterhaushalts vor dem Ersten Weltkrieg an den Gesamtlebenshaltungskosten zwischen 50 % und 70 % aus. Überspitzt gesagt: Der Fleischkonsum  – der immer auch Statussymbol und Luxus war  – ließ vor allem ärmere Familien weiter verarmen. Dazu kam, dass der daraus folgende notgedrungene Verzicht auf Fleisch sowie die kohlenhydratreiche Ernährung durch Brot und Mehlspeisen kein Korrektiv in eiweißreicher Nahrung wie Frischgemüse oder auch in vitaminreichem Obst fand, das nur peripher zum städtischen Ernährungsspektrum zählte. Nach Ansicht der Vegetarier machten die Nahrungsgewohnheiten damit nicht nur arm, sie machten auch krank. Dazu kam der fatale Anstieg des Alkoholkonsums – bezeichnend das zeitgenössische Schlagwort von der „Branntweinpest“ –, der viele sozial schwache Familien in den finanziellen und gesellschaftlichen Ruin führte, und den etliche Lebensreformer auch argumentativ ins Feld brachten. So klagte der spätere Lebensreformer Gustav Adolf Küppers in seiner Autobiographie 55

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über seine Geburtsstadt Krefeld, wo „an jeder Ecke ein Wirtshaus kauerte, wie eine Spinne auf Gäste lauernd“, und wo „der Hahn unserer Schnapsflasche nie still stand“.25 Einen gangbaren Ausweg bot der Vegetarismus mit gesunder billiger Ernährung und die konsequente Abstinenz von Alkohol, Reizstoffen und Tabak; an genau dieser Stelle verzahnte sich der Vegetarismus mit der Antialkoholbewegung. Der ökonomische Vegetarismus wurde als (gedanklich einfaches) Instrument der Sozial- und Wirtschaftspolitik aufgefasst. So wurde argumentiert, dass lediglich mit der Umstellung der Landwirtschaft auf reinen Ackerbau ohne Viehzucht sowie der Ernährungsgewohnheiten der Verbraucher automatisch sozial und wirtschaftlich bessere Zeiten anbrächen. Als zusätzliche Argumente für die Schonung der Böden durch reinen Gemüse- und Obstanbau galten die bodenzerstörende Intensivhaltung von Nutztieren, die wirtschaftlich teure Erzeugung von Fleischprodukten sowie der hohe ökonomische Aufwand bei der Tierfütterung.26 Daher ließen sich bessere Ernährungsbedingungen und wirtschaftliche Kostenersparnis – und damit der soziale Friede – erzielen, wenn die Menschen aufs Land zurückkehrten, nach vegetarischen Regeln ihren Acker bestellten und ihren Obst- und Gemüsegarten wieder selbst bebauten. Es waren unter anderem solche Gedankenkonstrukte, die zur Entwicklung von naturbelassenen und bodenschonenden Agrarmethoden führen sollten, die schließlich eine neue alternative Landwirtschaft durch technikkritischen oder technikeinschränkenden biologischen Landbau und biologisch-dynamische Wirtschaftsweise etablierten.27 Als bekanntestes vegetarisches Vorzeigeprojekt für die Umsetzung derartiger Ernährungsreformen galt damals die 1893 in Oranienburg bei Berlin gegründete lebensreformerische Siedlungsgenossenschaft „Eden“, die als Obst­ bausiedlung ins Leben gerufen wurde und sich zur wichtigsten und dauerhaftesten Siedlung des alternativen „Dritten Weges“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus entwickeln sollte.28 Die völlige Umsetzung der ersehnten ernährungsreformerischen Wirtschaftspolitik, so ihre Verfechter, könne jedoch nur 56

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über eine allgemeine Bodenreform verwirklicht werden, d. h. über eine sozial gerechte, völlig neue Aufteilung sämtlicher Besitz­ verhältnisse, ergo: über die Enteignung des Großgrundbesitzes und die gerechte Neuverteilung des Bodens. In diesem Kontext entstanden sowohl – ausgesprochen unterschiedliche – bodenreformerische und genossenschaftliche Siedlungsprojekte als auch entsprechende – ebenfalls verschiedene, und nicht unumstrittene – alternative Wirtschaftstheorien.29 Die Vertreter sozialutopischer Natürlichkeitsideologien, die eng verwandt mit den Siedlungsutopien der Zeit waren, vertraten zwar die bemerkenswert schlichte Ansicht, man käme ohne die verhasste komplexe städtische Gesellschaft aus und eine Rückkehr zur Natur bzw. zu einer ländlichen „Gemeinschaft“ sei gesellschaftlich und sozial möglich, sie zeitigte aber in der Realität durchaus Konsequenzen: Denn diese Ideologie war mitverantwortlich für die Entwicklung von städtischen Grüngürteln und Gartenstädten, genossenschaftlichem Wohnungsbau und selbstversorgenden Schrebergartenvereinen; Letzteres rettete gerade in Not- und Kriegszeiten vielen das Leben.30 Das dritte Motiv der vegetarischen Argumentation war der ethische Vegetarismus, der sich auf die Ideale von der Würde des Menschen und der Liebe zum Tier konzentrierte und neben religiösen Aspekten, bis heute, praktische mit ethischen und gesundheitlichen Ideen koppelt, wie man – nur ein Beispiel – an der langjährigen Diskussion um Käfighaltung bei Hühnern sieht, die ohne die vegetarische Bewegung und den Tierschutz so nicht hätte geführt werden können.31 Die historischen Vertreter des ethischen Vegetarismus verzichteten auf den Fleischgenuss, um das Quälen von Tieren zu unterlassen und einen Beitrag zum Tierschutz zu leisten. Einige Wortführer untersagten sogar das Töten jeglicher Tiere, da dies nur dem Zweck diene, Nahrung, Kleidung oder Gebrauchsartikel aus Tieren herzustellen; die aktuelle Idee der Human-Animal Studies, das Verhältnis von Mensch und Tier als ein einseitiges Gewalt- und Herrschaftsverhältnis zu betrachten, spielte in den Überlegungen des damaligen ethischen Vegetarismus noch keine Rolle. Auch den ethischen Vegetarismus verbanden einige Bezüge 57

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zu anderen Reformgruppen wie zur Kleidungsreform und zur Freikörperkulturbewegung. Die Kleidungsreform stand im Kontext von Hygiene und Gesundheit  – weite, einfache, praktische Kleidung, die Körper und innere Organe entlasten  –, Bewegungsfreiheit und Emanzipation – man denke an den Korsettzwang und den Sexualisierungsdiskurs  –, Ästhetik und Kunst  – im Sinne eines überzeitlichen antimodernen Stils  – sowie Ethik und Moral. Letzteres gerierte sich zu einem Debattierfeld, auf dem sich die Anhänger der vegetarisch vertretbaren, aus Pflanzen gewonnenen Baumwolle – Vorreiter war der Naturarzt Heinrich Lahmann –, des Leinens – hier tat sich besonders der Naturheilkundler und Pfarrer Sebastian Kneipp hervor – und der in der Bewegung umstrittenen, weil aus Tierfellen genutzten Wolle – unter dem „Wollregime“ des Hygienikers Gustav Jäger – zumindest für Außenstehende mitunter skurrile rhetorische Auseinandersetzungen lieferten.32 In der Freikörperkultur hingegen argumentierten die extremen Verfechter des Tierschutzes – in den meisten Fällen strikte Veganer –, ohne das Tragen von Kleidung sei das Töten von Tieren nicht mehr nötig.33 Eine weitere auf den Tierschutz aufbauende Hypothese des ethischen Vegetarismus zentrierte sich um die Idee, der Tiermord sei die Ursache des Menschenmordes, des Kriegs sowie überhaupt jeglicher Tyrannei, und zwar weil die Gewöhnung an das Schlachten von Tieren die Gleichgültigkeit gegenüber jedem Leben fördere; dies glaubte zumindest schon der Vegetarier Theodor Hahn. Aus diesem Argument folgte dann die dem ethischen Vegetarismus eigene Vorstellung eines generellen internationalen Pazifismus, der als Mittel dienen sollte, eine friedliche Koexistenz aller Völker herzustellen. Besonders der Vegetarier Magnus Schwantje war ein wichtiger Vertreter dieser Richtung; sein 1919 erschienener Weckruf „Tiermord und Menschenmord. Vegetarismus und Pazifismus“ war vielen aus der Szene eine vegetarische Bibel.34 In ebendiese Bresche hatte Gustav Schlickeysen mit seiner 1892 veröffentlichten Heilslehre „Blut oder Frucht“, in der er die vege­ tarische „Erlösung der Menschheit nach seiner Versöhnung mit 58

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sich selbst“ prophezeite, die ersten rhetorischen Pfosten eingeschlagen. In der Achtung vor dem Tier ist nach dieser Sichtweise also die Achtung vor dem Menschen mitbegründet. So wurde folgerichtig argumentiert, dass der ursprüngliche, also der natürliche Mensch eigentlich gut sei und nur der moderne, zivilisierte, in einer industriellen naturfernen Umgebung lebende Mensch unmoralisch. Diese Idee des Einklangs mit der Natur trug auch religiöse Züge: So hing Gustav Schlickeysen einer christlichen Religion an, die naturreligiöse Aspekte beinhaltete und die Einheit von Mensch und Tier, Natur und Gott forderte. Dieser Pantheismus, der Glaube an eine All-Einheit zwischen Gott und der Welt, war um 1900 vor allem in bürgerlichen Kreisen außerordentlich beliebt.35 Er hing mit einer zunehmenden Kritik an den Dogmen der christlichen Kirchen zusammen, deren biblische Weltdeutung aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse über Herkunft und Ursache der Welt  – Stichwort Evolution  – vor allem unter Intellektuellen an spiritueller Kraft zu verlieren begann; in der Literatur bisweilen als „transzendentale Obdachlosigkeit“ bezeichnet. Bei der Suche nach einer neuen Weltdeutung, die Religion mit Wissenschaft identitätsstiftend verknüpften konnte, gerieten zunehmend als „alternativ“ etikettierte Welterklärungen verschiedenster Qualitäten in den Blick, seien es Darwinismus, Monismus oder – im Zuge der Asienrezeption der Zeit – die westlichen Surrogate Theosophie, Anthroposophie, Mazdaznan oder Neugeist.36 Unter Vegetariern war dabei besonders der Buddhismus  – oder das, was die westliche Welt vor dem Hintergrund der damaligen Überlieferung davon wusste bzw. darunter verstand – deshalb so beliebt, weil er nach Auffassung ihrer westlichen Rezipienten das Töten jeglicher Lebewesen untersagte. War jedoch das buddhistische Tötungsverbot ursprünglich aus Gründen der möglichen Reinkarnation von Menschen in Tieren erfolgt, so verkehrten die Vegetarier das religiöse Tötungsverbot in einen moralischen Pazifismus und addierten ihn ihrem ethischen Vegetarismus hinzu. Die Vegetarier formten damit den Buddhismus in eine vegetari59

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sche Religion um. Vegetarismus als Religionskritik: Diese Variante dürfte wohl die gedanklich weitreichendste Ideologie des Vegetarismus sein, da sie mit verschiedenen Glaubensgruppen und Kulturkreisen assoziiert werden konnte.37 All diese argumentativen Spielarten des Vegetarismus mussten popularisiert werden, und dies gelang am besten entweder über die öffentliche Lancierung vorbildhafter Vegetarier oder über herausragende Leistungen, die die praktische Überlegenheit des Vegetarismus demonstrieren konnten. An Letzterem zeigt sich die Modernität des Vegetarismus, der einer moderneaffinen Leistungsgesellschaft das Wort redete; die Vegetarier verstanden sich eben als fortschrittliche Bewegung.38 Zu den Vorbildern aus dem Vegetarismus gehörten ohne Zweifel so populäre und erfolgreiche vegetarische Lebensreformer wie der bekannte Kunstmaler Hugo Höppener, genannt Fidus, die bekannten lebensreformerischen Wanderprediger Gustav „Gusto“ Graeser und Gustav Nagel oder der durch seine Publikationen legendäre, andere hätten gesagt: berüchtigte, Freikörperkulturist Richard Ungewitter, die ihre vegetarische Lebensweise für ihre Gesundheit, ja für ihren Erfolg, mitverantwortlich machten.39 Gelegentlich wurde in der Bewegung auf populäre Zeitgenossen verwiesen, die angeblich der vegetarischen Idee nahestanden: Neben Nietzsche, auf dessen späteren Vegetarismus man gelegentlich verwies,40 wurde als Kronzeuge auch ­Richard Wagner aufgerufen – so schrieb Magnus Schwantje schon 1919 eine Broschüre über „Richard Wagners ethisches Wirken“ –, und auch der Schwager Wagners, der Vegetarier Bernhard Förster, zeigte durchaus gewisse Tendenzen, sein verwandtschaftliches Verhältnis zu Wagner entsprechend zu instrumentalisieren.41 Darüber hinaus wurde in einschlägigen Publikationen eifrig auf den Nutzen des Vegetarismus für Körperentwicklung, Gesundheit und Sport verwiesen. Als Beispiele für die „sportlichen Erfolge der Naturgemäßen“ mussten angeblich vegetarisch lebende Sportlerinnen und Sportler – von bekannten Schwimmerinnen wie Annette Kellermann über Leichtathleten wie den berühmten Wettgeher Emerich Rath bis zu international agierenden Kraftsportlern 60

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wie George Hackenschmidt oder Lionel Strongfort  – herhalten, deren sportliche Erfolge minutiös dokumentiert wurden. Auch die Erfolge des Berliner vegetarischen Turnvereins „Vegetus“ waren für entsprechende Debatten geeignet.42 Der Publizist Walter Hammer hatte schon 1915 in seiner Werbebroschüre „Neue Dokumente des Vegetarismus“ die angebliche Überlegenheit des Vegetarismus an zahlreichen Einzelbeispielen demonstriert,43 wenngleich der humor­lose Ernst, der in diesen zahllosen Rechtfertigungen durchschimmert, sich gelegentlich – zurecht? – mit der Angst paarte, ob die „sportlichen Siege der Vegetarier in Deutschland (überhaupt) zureichend gewertet und bekannt“ seien.44 Zumindest über ihren Bekanntheitsgrad in Feuilleton- und Schriftstellerkreisen mussten sich die Vegetarier keine Sorgen machen, ihre Obsessionen wurden immer wieder zur Zielscheibe literarischer Spötter, und ihre Eigenschaften fanden scharfzüngige Kritiker. So spottete der in lebensreformerischen Kreisen verkehrende Schriftsteller Max Halbe gern über den hitzigen Fanatismus der Vegetarier, „obwohl dies eigentlich ein Widerspruch ist, (denn) es heißt ja, dass die reine Pflanzenkost die Leidenschaften und die Begierden  (...) dämpft und niederhält und alles in uns zu einer schönen Harmonie verklärt. Wenigstens behaupten es die Vegetarier selbst.“45 Besonders die argumentativ einseitige Sichtweise der Wortführer, man könne durch Vegetarismus – nach einem abgewandelten Goethe-Zitat – die „Welt von einem Punkte aus kurieren“, wurde dankbar aufgenommen. So mokierte sich der Schriftsteller und Politiker Ernst Toller über die, wie es der Publizist Carl Christian Bry 1924 einmal mit Blick auf das „Reformertum“ nannte, „verkappten Religionen“ der „verkannten Lebensreformer, die mit ihren „Programme(n) zur Sanierung der Menschheit (...) jetzt endlich die Welt in ein Paradies verwandeln werden“. Der Journalist Wilhelm Stapel verspottete 1925 den „Vegetarismus“ als „Lebenserscheinung, die sich seit einigen Jahrzehnten unter uns ausgebreitet hat“, und hielt es beileibe „nicht für einen Fortschritt, wenn der Bierspießer in einen Limonadenspießer verwandelt wird“. Und auch der Schriftsteller Erich Mühsam  – obwohl 61

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er selbst über seine Besuche auf dem Monte Verità eng mit den Reformern verbunden war – machte sich schon um die Jahrhundertwende lustig über all die „ethischen Wegelagerer mit ihren spiritistischen, theosophischen, okkultistischen oder potenziert vegetarischen Sparren“46. Sein höhnischer „Gesang der Vegetarier“ mit seinem Refrain „Wir essen Salat, ja wir essen Salat, und essen Gemüse von früh bis spat“, sowie sein scharfzüngiger Bericht über seine Asconeser Rohkosttherapie, die er mittels Zigarre, Alkohol und Fleisch erfolgreich abbrach, wurden in der Szene gehasst und gefürchtet.47 All die vegetarischen Gruppen mit all ihren Argumentationszusammenhängen agierten ihre Lebensweise zwar in der Regel privat aus, sie organisierten sich aber auch in öffentlichen Zusammenschlüssen, um ihre Anhänger zu konzentrieren und ihre Ansichten gesellschaftlich besser durchsetzen zu können. Schon oben wurde darauf verwiesen, dass der Freikirchler und Vegetarier Eduard Baltzer 1867 in Nordhausen am Harz den ersten „Verein für natürliche Lebensweise“ gegründet hatte. 1869 nannte er sich „Deutscher Verein für naturgemäße Lebensweise (Vegetarianer)“ und bildete den Ausgangspunkt für weitere Gründungen in anderen Städten, vor allem in Preußen und Sachsen, wobei alle diese Gruppen immer noch freikirchlich beeinflusst waren und sie ihre vegetarische Lebensweise daher auch mit ihrer Religionsausübung verknüpften. 1870 besaß die Vereinigung über 400 Mitglieder. 1871 verfügte sie über 745 Vereinsmitglieder, 1877 zählte sie 1445 und 1884 schließlich 2464 Mitglieder. Daneben gab es immer auch zahlreiche Personen, die ohne Vereinszugehörigkeit der vegetarischen Bewegung verbunden waren. 1879 entstanden die ersten vegetarischen Konkurrenzvereine, die sich von den freikirchlichen Zusammenhängen distanzierten und damit eine Spaltung der vegetarischen Bewegung herbeiführten; kurzzeitig war die Mitgliedszahl in den freikirchlich geprägten Gruppen daher auch zusammengeschmolzen. Die neue Organisation nannte sich nun „Deutscher Verein für harmonische Lebensweise“, sie vereinigte sich im Jahre 1892 mit der älteren Gruppe 62

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zum überregionalen „Deutschen Vegetarier Bund“. Schon 1868 hatte Eduard Baltzer mit dem „Vereinsblatt für Freunde der natürlichen Lebensweise“ die erste Vegetarierzeitschrift gegründet, die 1882 zunächst in „Berliner Blätter für naturgemässe Lebensweise“, 1883 dann in „Vegetarische Rundschau“ und 1895 schließlich in „Vegetarische Warte“ umbenannt wurde; 1933 wurde das Blatt eingestellt. Daneben gab es immer kurzzeitig existierende Parallelblätter des Verbandes oder anderer Parallelorganisationen.48 Der überregionale „Deutsche Vegetarier Bund“ besaß durchgehend wenig Anhänger, was wohl auch damit zu tun hatte, dass man als Vegetarier keine spezielle Vereinszugehörigkeit benötigte. 1907 gab es 33 Lokalvereine in 26 deutschen Städten; die Zahl der Mitglieder in den Vereinen schwankte zwischen acht und 140. Insgesamt hatten sich nie mehr als ein paar tausend Vegetarier in Vereinen organisiert. Trotz dieser geringen Zahl ist es von Interesse, sich die Frage nach der Sozialstruktur zu stellen. Die Soziologin Eva Barlösius hat 1997 die Vereinsstruktur nach sozialen Gruppen, Berufen, Geschlechtszugehörigkeit, Geographie und Konfession analysiert. Danach war der typische vereinsorganisierte Vegetarier der Zeit zwischen 1870 und 1900 zu 75 % männlich, verheiratet und hatte Kinder. Es handelte sich dabei überwiegend um die Generation der zwischen 1836 bis 1860 und der zwischen 1850 bis 1875 Geborenen, ihr Durchschnittsalter beim Vereinseintritt lag zwischen 20 und 35  Jahren. Die regionale Herkunft der Vereinsmitglieder zeigte ein Übergewicht der norddeutschen Gebiete, also vorwiegend Preußen und mit geringem Anteil Sachsen und Süddeutschland. Setzt man die Zahlen mit den Einwohnerzahlen der Gebiete in Verbindung, so stellte sich jedoch ein Übergewicht Sachsens bei den Vegetariern heraus  – Sachsen war eines der wichtigen industriellen Ballungszentren  –, Preußen war durchschnittlich, Süddeutschland dagegen völlig unterdurchschnittlich vertreten. Dies hängt auch damit zusammen, dass der überwiegende Teil der Vegetarier protestantisch geprägt war; wie oben schon gesagt, waren die ersten vegetarischen Vereinsmitglieder protestantisch geprägte Freikirchler. Dies legt den Schluss nahe, 63

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dass die Konfession für den Vereinsbeitritt eine gewisse Rolle gespielt haben könnte; der Vegetarismus ist ja von seinen Anhängern auch religiös gedeutet worden. Neben der protestantischen Grundstimmung war darüber hinaus auch das großstädtische Milieu für den Vegetarismus wichtig. Die überwiegende Zahl ihrer Vereinsmitglieder stammte aus den Großstädten, und zwar aus solchen, die stark von der Industrialisierung geprägt waren und die sich besonders rasch veränderten. Die Vegetarier wohnten damit also bei ihren ideologischen Gegnern und nicht etwa auf dem Land, wo sie ihrer Utopie nach eigentlich beheimatet sein sollten. Dies lässt die Frage nach der Berufszugehörigkeit der organisierten Vegetarier aufkommen: Die überwiegende Zahl der Vegetarier  – so weit sich dies ermitteln ließ  – war in Industrie und Handel tätig, arbeitete als Kaufmann oder war Beamter oder Angestellter (wie etwa Lehrer) in staatlichen und modernen Betrieben; unverheiratete Frauen, wenn sie überhaupt auftauchten, übten dabei die typischen Berufe weiblicher Alleinstehender wie Lehrerin, Erzieherin oder Krankenschwester aus. Nicht verwunderlich ist, dass sich unter den Mitgliedern keinerlei Vertreter des Lederhandwerks oder der Nahrungs- bzw. Fleischproduktion befanden. Es handelte sich damit überwiegend um Personen mit neuen, modernen Verwaltungs- und Handelsberufen, die deutlich urban und beileibe keine Bauern oder Bewohner ländlicher Gegenden waren.49 Mit anderen Worten: Die Vegetarier waren modern und städtisch geprägt. Schon der Journalist Wilhelm Stapel sprach 1926 hellsichtig von der Natursehnsucht als von einem „Reflex der Großstadt“, und der Kulturhistoriker Eugen Friedell meinte 1927 ironisch: „Lyrische Naturbegeisterung kann immer nur von städtischen Kulturen ausgehen. Der erste Vorgarten entstand gleichzeitig mit dem Aufstieg der Großstadt.“50 Der typische Vegetarier war also jung, männlich, protestantisch, großstädtisch und ging einem modernen Beruf nach. Sein Naturpostulat dürfte in der Regel kaum einer direkten Erfahrung, sondern eher der literarischen Verklärung einer ländlichen heilen Welt geschuldet sein. Seine fleischlose Lebensweise musste der 64

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Titelblatt der Zeitschrift „Das Reformhaus. Monatsschrift für gesunde Lebensführung“ (1927). 65

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Vegetarier daher innerhalb der Stadt verwirklichen, und es gab dafür auch vielfältige Möglichkeiten. Die wichtigsten waren die Reformhäuser und die städtische Reformwirtschaft. Der städtische Vegetarier benötigte fleischlose Nahrungs- und Genussmittel, „natürliche“ Heilpräparate, alkoholfreie Getränke und Reformsäfte, Kochbücher und Ernährungsratgeber, vegetarisch intendierte Küchenutensilien wie etwa Schrotmühlen für Müsli und auch, wenn der Bedarf bestand, Kleidung aus nichttierischen, pflanzlichen Materialien. Diese Marktlücke wurde von den Reformhäusern geschlossen, die bis heute in zahlreichen Städten nicht nur von Vegetariern aufgesucht werden.51 Die ersten Reformhäuser entstanden um das Jahr 1900, so nannte Carl August Heynen sein in Barmen, also im Ruhrgebiet, typischerweise gelegenes Geschäft „Reformhaus Jungbrunnen“, wo er Körper-, Schönheits- und Gesundheitsmittel, Nahrungsmittel und Lebensreformliteratur wie z. B. Kochbücher anbot. 1914 gab es schon etwa 80 derartige Reformhäuser, die vor allem in den größeren Städten und Großstädten beheimatet waren; die größten hatten einen  Jahresumsatz im fünfstelligen Mark-Bereich. 1925 war die Zahl der Häuser dann auf 200 gestiegen, und 1939 boten knapp 2000 Reformhäuer ihre Waren an, zu denen Küchengeräte, Kleidung, Körperpflegemittel, Literatur, Arznei- und Nahrungsmittel gehörten; beinahe jede größere deutsche Stadt verfügte Ende der 1920er  Jahre über mindestens ein Reformhaus.52 Viele von ihnen boten umfangreiche Warenkataloge an, einige besaßen – seit der Weimarer Republik – eigene Kundenzeitschriften, andere legten überregionale Reformzeitschriften aus oder vertrieben sie.53 Und auch die Tatsache, dass sich schon lange vor dem Ersten Weltkrieg mehrere überregionale Zusammenschlüsse von Reformhäusern gebildet hatten, die zu großen Einkaufsgenossenschaften wurden, zeigt das finanzielle und wirtschaftliche, und damit auch das moderne Potential, das hinter diesen Vereinigungen steckte. Dasselbe galt für vegetarische Gasthäuser: 1913 existierten bereits 184 vegetarische Restaurants im Deutschen Reich, allein Berlin besaß 1892 schon 17 und 1931 bereits 31 dieser Lokale; 66

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e­ inige von ihnen waren außerordentlich groß und komfortabel und konnten bis zu mehrere hundert Personen pro Tag versorgen. In diesen Institutionen konnte man nicht nur essen, einkaufen oder sich mit Hilfe von Verlagsprodukten oder über Vorträge über geeignete vegetarische Lebensweisen informieren, sondern sie waren gleichzeitig auch Informationszentren, Veranstaltungsorte und Treffpunkte für vegetarische Zirkel bzw. für Lebensreformer generell.54 Ab etwa 1880 begannen sich kleine bis mittlere Unternehmen zu gründen, die auf der Ebene der Produktion mit lebensreformerischen bzw. vegetarischen Waren tätig wurden. Zwischen 1900 und 1914 muss es etwa 30 derartige Unternehmen gegeben haben. Hinzu kamen noch Warenversandhäuser, ja regelrechte Herstellerbetriebe, die über reichhaltige Kataloge vegetarische Waren bzw. Reformwaren anboten und verschickten; die Thalysia-Werke in Leipzig beschäftigten in den 1920er  Jahren etwa 300 Mitarbeiter. Aufgrund der steigenden Nachfrage begann die Branche bald damit, sich auszudifferenzieren. So entwickelten sich schon früh verschiedene Industriezweige. Dabei spezialisierte sich der Getränkemarkt auf nichtalkoholische Getränke und alkoholfreie Biere, alkoholfreie Weine, Traubensäfte und Brauselimonaden; er begab sich freiwillig unter die Aufsicht von Antialkoholverbänden, um die Qualität seiner Produkte sicherstellen zu lassen. Gute Absatzmöglichkeiten hatte etwa der von Sebastian Kneipp erfundene Malzkaffee, der ab 1890 hergestellt wurde. Andere Betriebe spezialisierten sich auf Nahrungsmittel, Nährmittel, Körperpflegeund Bekleidungsartikel. 1911 gab es bereits einen großen vegetarischen Industriezweig, der heute noch erhältliche Waren wie Pflanzenmargarine  – Sanella, Eden, Palmona, Palmin – oder Nussprodukte und Brühwürfel herstellte. Aufgrund dieser raschen erfolgreichen Entwicklung – aber auch, um über eine Art Gütesiegel die Qualität ihrer Produkte zu gewährleisten – entstanden bald übergeordnete Zusammenschlüsse auf der Basis von Genossenschaften. 1925 formierten sich 51 Betreiber von Reformhäusern zur „Vereinigung 67

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deutscher Reformhaus-Besitzer“ („V.D.R.“), die über Standardisierung und Abgrenzung – ihre Produkte erhielten ein Gütezeichen – ihren Markt etablieren und festigen wollten. 1929 gründete sich als zweite Interessensvertretung ein Herstellerverband mit dem Namen „Neuform“. 1930 schlossen sich beide Institutionen – trotz vorheriger gegenseitiger Bekämpfung  – zur „Neuform VDR“ zusammen, ihre knapp 700 Mitglieder vertraten nun gemeinsam Produzenten und Reformhäuser.55 Eines der bekanntesten Herstellerunternehmen dürfte die vegetarische Obstbausiedlung Eden bei Oranienburg sein, die als Siedlungsgenossenschaft, also als selbständig existierende ländliche Vegetariersiedlung, gegründet wurde, und in diesem ländlichen Ausnahmezustand bis heute existiert, wenn auch unter anderen Umständen und Vorzeichen. Immerhin hat Eden vier politische Perioden – Kaiserreich, Weimarer Republik, DDR und BRD – überlebt. Am 8. März 1893 formierte eine Gruppe von lebensreformerischen Siedlungswilligen eine sogenannte Vegetarische Obstbausiedlung Eden GmbH; sie erwarb einen gemeinsamen Landbesitz, um eine genossenschaftliche Siedlung zu errichten und nach Idealbedingungen der Lebensreform ein gesundes Leben auf dem Land zu führen. Auf ihren zunächst 240 Morgen Land versuchte sie, trotz etlicher Rückschläge, ein Zeichen zu setzen gegen Verstädterung und Landflucht; dies schloss auch den Versuch der Umsetzung einer sozialen Lebensweise mit entsprechender Utopie ein. Ab 1898 konzentrierte sich Eden auf die Herstellung von Fruchtsäften und Marmeladen für den Verkauf, ein Jahrzehnt später kam die heute noch als Verkaufsschlager bekannte EdenPflanzenmargarine dazu. Die Produktion erweiterte sich ebenso schnell wie Eden selbst, schon bald gab es eine eigene Bau- und Kreditgesellschaft, einen Verlag, eine Schule, einen Kindergarten und später eine eigene Bank. Es gab eine Warenabteilung, einen Gartenbetrieb und eine Verwaltung, alles nach genossenschaftlichen Gesichtspunkten. Bald nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich Eden eine wirtschaftlich und sozial stabile Position aufgebaut. Einen gewichtigen Anteil da68

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Klingberg am See: Vegetarisches Gästeheim Zimmermann (Postkarte, o. J.).

ran besaß auch die steigende Zahl an Bewohnern. 1901 wohnten 148 Mitglieder in Eden, 1909 dann 162, und 1939 besaß Eden etwa 1000 Bewohner. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Eden in der DDR zum Teil in der alten Form weiterexistieren. 1950 wurde mit der Eden-Waren GmbH auch ein Ableger in Westdeutschland, im Taunus, ins Leben gerufen; 1992 musste die GmbH an das Unternehmen Sandoz verkauft werden. In Eden selbst sind die genossenschaftlichen und vegetarischen Spuren bis heute immer noch erkennbar.56 In Eden wird die Verzahnung der Lebensreform mit modernen Unternehmen und der modernen Marktwirtschaft beispielhaft sichtbar; auch die vegetarische Bewegung, die einen strikten antistädtischen und gegenzivilisatorischen Kurs fuhr, kam nicht ohne ihr städtisches Pendant aus. Das Gros der vegetarischen Bewegung stammte trotz oder auch wegen der „Zurück zur Natur“-Ideologie aus dem städtischen Umfeld; Ernährungsreform und Vegetarismus sind ohne die moderne Gesellschaft nicht zu denken. 69

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eben den Vegetariern gehörten auch die Naturheilkundler zu den frühen Protagonisten der Lebensreform. Die Naturheilkunde fing bereits ab der Zeit um 1860 damit an, sich breit zu artikulieren, zu organisieren und zu institutionalisieren; ihre Ideen konnten schon früh im Alltagsleben der Bevölkerung Fuß fassen. In der Naturheilkunde finden sich genau diesselben Muster wieder wie im Vegetarismus: Die reformerischen Motive und Argumente sowie die Kritik an der Industriegesellschaft glichen sich ebenso wie die Idee eines naturnahen Lebens, die Utopie von einer zukünftigen besseren Welt und die religiös intendierten Aspekte ihrer Heilslehre. Viele Wortführer der Naturheilkunde engagierten sich auch in der vegetarischen Bewegung – und später in der Freikörperkultur –, zudem pflegten naturheilkundliche und vegetarische Institutionen bzw. Gruppen stets rege und intensive Beziehungen untereinander und beeinflussten sich gegenseitig.1 Die Naturheilkunde stützte sich seit ihrer Begründung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf die Verfahrensweisen einer „Volksheilkunde“, deren Wissen zu „leicht erklärbaren Systemen gebündelt und in einfachen Therapien angewandt wurde“, und stand daher immer auch in Opposition zur als elitär aufgefassten Schulmedizin der Zeit. Zu den ersten Naturheilkundlern zählten daher nicht universitär ausgebildete Ärzte, von denen jedoch später etliche zur Naturheilkunde stießen, sondern sogenannte Laienheiler, Laienheilkundler oder Laienbehandler wie Vincenz Prießnitz oder Johannes Schroth, die ursprünglich einfache Bauern gewesen waren.2 70

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Genau wie der Vegetarismus reagierte auch die Naturheilkunde mit ihren Theorien und Methoden auf die als kulturelle Verfallserscheinung gedeutete Moderne mit Industrialisierung und Technisierung, Urbanisierung und Massenkonsum; auch die ­Naturheilkunde verlangte eine Rückwendung zu dem, was die ­Lebensreformer „Natur“ nannten. So galten Krankheiten nicht, oder nicht ausschließlich, als eine Reaktion auf Bakterien, Viren oder sonstige, auf wissenschaftlichem Weg aufgespürte Krankheitserreger, sondern sie wurden als Folge der „unnatürlichen“ Umweltbedingungen interpretiert. Daher war es konsequent, Krankheiten nicht mit Schulmedizin und chemischen Arzneien zu behandeln, sondern durch gerade diejenigen natürlichen Elemente, die den Menschen infolge ihrer sogenannten unnatürlichen Lebensweise fehlten und die sie daher angeblich dringend benötigten, um wieder als Ganzes zu gesunden: Wasser, Licht, Luft, Sonne, Erde, Wärme und Kälte sowie Bewegung, Massage, Hypnose und Suggestion: also natürliche bzw. als natürlich postulierte Heilreize. Derlei Ansichten waren natürlich nichts Neues in der Medizin; und ohne dies hier weiter zu vertiefen, sollten die Rückgriffe der Naturheilkundler des 19.  Jahrhunderts auf jene historischen Positionen mitgedacht werden, die  – neben allen tatsächlichen, konkreten Bezügen zur Naturheilkunde – auch als Teil einer historischen Rechtfertigungsstrategie für naturheilkundliche Maßnahmen herhalten mussten. Als rhetorische Figuren eigneten sich umgedeutete antike diätetische Begründungsmuster – so die sex res non naturales oder die hippokratisch-galenische Säftelehre –, bestimmte Aspekte der paracelsischen Medizin, die Bäderheilkunde der Renaissance, die auf die Antikenrezeption aufbauende Natürlichkeitslehre von Jean Jacques Rousseau3 sowie direkte  – wenngleich unterschiedliche  – Vordenker und Praktiker wie der Mediziner Christian Wilhelm Hufeland mit seinem System der Heilkunde oder die Laienheilkundler der älteren Generation wie Schroth und Prießnitz.4 Alle Systeme der Naturheilkunde, so hat Wolfgang Krabbe dies 1998 zusammengefasst, beruhen auf zwei Ansätzen: dem Holis71

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mus – also der Idee der Ganzheitlichkeit – und dem Vitalismus – der Vorstellung einer natürlichen Lebenskraft im Menschen. Der Holismus der Naturheilkunde ging davon aus, dass jeder Teil des Körpers mit allen anderen Teilen in einem unlösbaren Zusammenhang stehe und jede lokale Krankheit unweigerlich den gesamten Organismus in Mitleidenschaft ziehe. Daher ist es für die Naturheilkunde – im Gegensatz zur Schulmedizin – undenkbar, lediglich den kranken Teil des Körpers isoliert zu behandeln, sondern sie wendet sich, wie sie es formuliert, dem „ganzen“ Menschen zu. Aus diesem Grund ist für die Naturheilkunde immer auch die geistige und seelische Verfasstheit des Menschen von enormer Bedeutung. Danach kann sich jede seelische Störung ebenso auf den körperlichen Zustand auswirken wie auch umgekehrt die jeweilige somatische Befindlichkeit das seelische Gleichgewicht beeinflussen kann; eine Vorstellung, die mittlerweile auch in die Schulmedizin Eingang gefunden hat. Der gesamte Mensch wiederum stehe dabei immer auch im Verhältnis zu seiner Umwelt; Umwelt und Mensch müssen also in einem harmonischen Einklang miteinander stehen, um gesund zu sein. Krankheit wurde deshalb immer auch als Störung des Einklangs mit der Umwelt verstanden.5 Der schon erwähnte Dresdner Naturarzt Heinrich Lahmann – dessen Mutmaßungen so stellvertretend wie typisch für viele Anhänger der Naturheilkunde sein dürften – resümierte 1897: „Wovon ist unser gesundes Sein, das normale, so verwickelte Getriebe unsres Organismus abhängig? Die Antwort lautet: Von nichts mehr, aber auch nichts weniger als von den natürlichen für jede Kreatur geltenden Lebensreizen: Luft, Licht, Wasser, Speise und Trank, Bewegung und Ruhe. Zu diesen treten für den Menschen die von ihm geschaffenen Lebensverhältnisse hinzu, als: Kleidung und Bettung, Wohnung, Hautpflege und endlich – gesellschaftliche, soziale Einflüsse.“ Wenn jedoch die „Lebensreize nicht richtig abgemessen“ seien – Lahmann benennt den üblichen Kanon, als da wären: Stadtluft, geschlossene Räume, Tabakrauch, „salzarme Nahrung“, „sitzende Lebensweise“, Fleischgenuss etc. –, so häuften sich „Krankheitsursachen“ an: „Ja 72

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wir werden mit jeder Generation elender“; ein pessimistischer Befund, den damals jeder halbwegs ernsthafte Lebensreformer jederzeit unterschrieben hätte.6 Die zweite Idee der Naturheilkunde ist die Vorstellung einer natürlichen Selbstheilkraft im Menschen, des sogenannten Vitalismus. Diese Selbstheilkraft gilt als eigentlicher Motor des Menschen, der das Innere mit der – um im Bild zu bleiben – Karosserie zusammenhält und den Unfallschutz organisiert. Die Naturheilkundler gehen daher davon aus, dass naturgemäße Heilmethoden nicht etwa die Ursache der Gesundung, sondern nur der Auslösemechanismus sind, durch den die Selbstheilkräfte im Menschen aktiviert werden. Dieses Schema nannte man schon im 16. Jahrhundert den „inneren Arzt“.7 Dieses System  – Holismus und Vita­lismus  – wurde zunächst nur individuell auf den einzelnen kranken Menschen angewandt. Doch bald begann die Naturheilkunde gemäß ihrer Utopie damit, dieses individuelle System auf die Gesellschaft zu übertragen. Denn wenn die Gesellschaft, genau wie der einzelne Mensch, durch die durch die Industrialisierung hervorgerufenen Umweltveränderungen ebenfalls krank sei, dann müsse die gesamte Gesellschaft über eine Veränderung der Lebensbedingungen wieder „zurück zur Natur“ finden. Daher hatte die Naturheilkunde bei ihren Behandlungen ebenso wie in ihren theoretischen Schriften immer auch die Gesundung der gesamten Gesellschaft, d. h. ihre Rückführung zur Natur, im Auge. In der Konsequenz bedeutete dies, dass die Naturheilkunde nicht bei der Gesundung des einzelnen Menschen haltmachen durfte, sondern die Umweltbedingungen ändern musste. Der Naturarzt Adolf Just fasste diese „auftretenden krankhaften Erscheinungen“ von Mensch und Umwelt im Ton eines von sich überzeugten Heilkundlers, der sich gleichzeitig als demütiges Werkzeug der Natur versteht, zu folgendem Untergangsszenario zusammen: „Wenn der Mensch vom Natürlichen abgekommen ist, wenn er in naturentfremdeten Verhältnissen lebt, dann macht er so gern Verkehrtheiten; er ist gespannt und verkrampft und läßt sich nicht belehren und aus der Gefahr herausbringen, in der er schwebt; er wird 73

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immer naturentfremdeter und wurzelloser, bis es eines Tages zu spät ist.“ Und Heinrich Lahmann fügte düster hinzu: „Mit körperlichen und geistigen Krüppeln läßt sich aber kein neues Zeitalter schaffen.“ Zumindest Justs Vorstellung von Natur entsprach dabei zwar einem Daseinszustand vor der Erfindung des Feuers, aber selbst ihm war klar, dass es kaum ein Zurück zu jener Natur geben könne. Eine Rettung aus Zivilisationskrankheit und innerer Not brächte daher allein die „Heilweise der Natur nach ewigen Gesetzen“, d. h. die Anwendung von Bewegung, Heilerde, Rohkost, Licht und Luft bei gleichzeitiger Alkohol-, Fleisch- und Tabakabstinenz.8

Adolf Justs Lichtlufthütte im Pawel’schen Holze bei Braunschweig.

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Die dringlichste gesellschaftliche Aufgabe der Naturheilkunde lag  – neben der Reform der Gesellschaft  – daher zunächst in der allgemeinen „Hebung der Volksgesundheit“, wie es floskelhaft hieß, und zwar durch arzneilose Heilweisen, durch eine sogenannte natürliche Lebensweise mittels der Anwendung von Wasser, Sonne, Licht und Luft, durch gesunde Ernährung und körperliche Betätigung möglichst im Freien und möglichst ohne Bekleidung. Der Hintergrund dieser Rezeptur war aber nicht nur die eigene Gesundheitsphilosophie, sondern das Misstrauen gegen die im 19. Jahrhundert sich breit etablierende Schulmedizin, die bis heute der erbittertste Gegner der Naturheilkunde ist. Die Naturheilkunde war der Ansicht, dass die Schulmedizin allen Erfolgen zum Trotz bei ernsthaften Erkrankungen und bei den Symptomen der angeblich durch die Industrialisierung aufgekommenen hygienischen Missstände komplett versagte; dies nicht nur, weil sie zu künstlichen Heilmitteln griff, sondern auch, weil sie angeblich nur das einzelne Symptom isoliert kurieren wollte, statt den ganzen Menschen zu behandeln, und weil sie sich auf teure Medizin stützte, statt billige Naturheilmittel zu verwenden – und sich damit in den Augen der Naturheilkundler finanziell bereicherte. Diese Angriffe auf die Schulmedizin, flankiert durch den außerordentlich hohen Zulauf zu den bisweilen als „Wunderdoktoren“ und „Wunderheiler“ glorifizierten Naturheilkundlern, konterten die Ärzte mit der Strategie, alle Laienheiler, die sich auf naturheilkundliche Maßnahmen beriefen, als „Kurpfuscher“  – die als „Trittbrettfahrer“ die Konjunktur der Naturheilkunde ausnutzten, und die es tatsächlich auch gab9 – zu brandmarken und zu kriminalisieren; eine Taktik, die häufig aufging, aber auch zuweilen versagte, wenn die jeweiligen Gerichte der Argumentation der Ärzte nicht folgen konnten. Der entsprechende juristische Hintergrund war von Grauzonen umwölkt. So wurde 1869 im Norddeutschen Bund zwar die Kurierfreiheit eingeführt und Heilkunde als Gewerbe zugelassen, so dass es jedermann gestattet war, Heilkunde in all ihren Sparten auszuüben – man durfte sich bloß nicht Arzt nennen und ärztliche Tätigkeiten ausführen. Der Begriff der straf75

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baren Kurpfuscherei indes war ungeklärt; es handelte sich dabei im weitesten Sinne um eine nicht erlaubte Tätigkeit, bei der man sich verbotene arztähnliche Titel zulegte  – und dazu gehörten schon Selbstbezeichnungen wie „Naturarzt“, „Homöopath“ oder „geprüfter Naturheilkundiger“. Man konnte hier also leicht des „unlauteren Wettbewerbs“ bezichtigt werden. Die Auseinandersetzungen waren deutlich von finanziellen bzw. existentiellen Erwägungen geprägt: Es ging auf der einen Seite um das Dienstleistungsmonopol der Ärzte und damit um ihr Einkommen, auf der anderen Seite um die berufliche Anerkennung der Laienheiler und damit um ihre Existenz. Die Ärzte empfanden die Laienheiler als Konkurrenten und Kritiker, die ihnen die Patienten wegzunehmen drohten, und die sie zum Teil auch bewusst verunglimpften. Die Laienheiler wiederum boten deshalb den Ärzten die Stirn, wohl wissend, dass der Vorwurf des Kurpfuschertums in dem einen oder anderen Fall tatsächlich zutraf. Wenn auch auf beiden Seiten  – medizinisch und moralisch gesehen  – Licht und Schatten anzutreffen waren, so wurden die Laienheiler gegen Ende des 19. Jahrhunderts für die universitär ausgebildeten Ärzte doch tatsächlich eine ernstzunehmende Konkurrenz. Denn so viel Erfolge die Schulmedizin auch aufzuweisen vermochte, sie war doch erstens sehr viel teurer, zweitens sprach sie nicht die Sprache der einfachen Leute, und drittens vermochte sie mit ihren abstrakten Behandlungsstrategien auch emotional nicht immer zu überzeugen. So setzten immer mehr Heilungssuchende ihre Hoffnung auf alternative Heilmethoden, und die Naturheilbewegung konnte an Bedeutung gewinnen und sich etablieren. Die Etablierung half indes, Fronten aufzubrechen; in der Folgezeit gab es immer mehr approbierte Ärzte, die die Methoden der Naturheilkunde in ihre Praxis einzufügen begannen oder auch anfingen, naturheilkundlich zu praktizieren. Dies ging nicht immer ohne Konflikte mit der ärztlichen Zunft; selbst Ernst Schweninger, der Leibarzt des Reichskanzlers Bismarck, oder der berühmte Chirurg August Bier, die naturheilkundlichen Methoden aufgeschlossen waren und sie zum Teil auch praktizierten, standen ihren 76

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konventionellen Kollegen gegenüber unter einem gewissen Rechtfertigungsdruck.10 Zu den bekanntesten Naturheilkundlern jener Zeit zählten neben vielen anderen Sebastian Kneipp, Emanuel Felke, Vinzenz Prießnitz, Adolf Just, Max Bircher-Benner11, Heinrich Lahmann, Eduard Bilz oder Arnold Rikli. Einigen von ihnen sind wir bereits begegnet; typisch für alle ist, dass jeder von ihnen  – und zwar in Anlehnung an seine eigene, kaum überprüfbare, wenn auch Authentizität suggerierende Leidens- und Heilungsgeschichte, die zugleich Erweckungsmotiv und mystisches Naturerlebnis war12 – einen entsprechend individuellen Heilsweg zur Gesundung verfolgte und differenzierte Heilmethoden mit unterschiedlichen Schwerpunkten anbot, seien es Therapien mit Wasser, mit Licht und Luft oder mit Lehm.13 So pflegte der katholische Pfarrer und Laienheilkundler Sebastian Kneipp in seinem Kloster Wörishofen vorwiegend Wasserkuren durchzuführen. Er behandelte seine Patienten mit kaltem Wasser, Abreibungen und Bädern, sogar im Winter, er verschrieb aber auch heiße Auflagen auf den Leib und Rettichsaft. Er bekam bald starken Zulauf, so dass er seine Einrichtungen rasch ausbauen konnte und etwa ein Bäderhaus und ein eigener KneippKindergarten entstanden. Wörishofen wurde ein regelrechter Kurort mit Krankenunterkünften; Kneipp selbst begann, mit Ärzten zusammenzuarbeiten. Der Name Kneipp wurde so berühmt, dass er schon zu seinen Lebzeiten marktgerecht beworben und verwertet wurde: Bald konnte man Kneipp-Sandalen, Kneipp-Wäsche, Kneipp-Arzneimittel und Kneipp-Malzkaffee erwerben; auf den Umstand, dass auch eine sich antimodern gerierende Bewegung wie die Lebensreform ihre Produkte auf einem wirtschaftlichen Gesetzen gehorchenden Markt erfolgreich anbot und ihre Vertreter gute Geschäfte damit machen konnten, wurde bereits verwiesen.14 Auch hier war es von der Berufung zum Beruf nur ein kleiner Schritt. Und noch etwas zeigt das Beispiel Kneipp: die starke Verzahnung der Naturheilkunde bzw. der Naturheilzentren mit dem Tourismus. Erfolgreiche Naturheilbäder wurden aufgrund ih77

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rer Anziehungskraft für Heilsuchende unweigerlich zu Zentren des Gesundheitstourismus; diese Ambivalenzen, diese nur schein­baren Gegensätzlichkeiten sollten mit berücksichtigt werden, fanden Elemente wie Kommerz und Massenkonsum doch schnell Eingang in lebensreformerische Praktiken, deren Propheten derlei – zumindest auf dem Papier – stets den Kampf angesagt hatten.15 Vor Kneipp war es der schlesisch-österreichische Bauer Vinzenz Prießnitz, der bereits in der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts die heilende Kraft des Wassers zu erkennen glaubte. Seit 1818 firmierte er als regelrechter „Wasserdoktor“, der auf seinem Anwesen in der Kolonie Gräfenberg in Schlesien auch Heilsuchende aus entfernteren Regionen durch die Anwendung mit kaltem Wasser zu heilen versuchte – Prießnitz entwarf insgesamt 56 verschiedene Anwendungen, vom Taugehen über Wellenbäder und feuchte Einpackungen bis zum Sonnenbad. Seine Erfolge ließen den Gräfenberg – auch hier wieder das touristische Phänomen – zu einem weltberühmten Wasserkurort werden; Prießnitz selbst hat übrigens für seine Behandlungen nie Honorare verlangt.16 Andere Naturheilkundler schworen auf die Anwendungen von Licht, Luft und Lehm. So arbeitete der evangelische Pastor Emanuel Felke – Spitzname „Lehmpastor“ – seit dem späten 19. Jahrhundert bevorzugt mir Lehmpackungen. Er kombinierte seine Lehmkuren mit kalten Sitzbädern und Luftkuren und verordnete dazu vegetarische Ernährung. Seine Spezialität war die umstrittene Augendiagnose, wobei der Augenbefund ihm angeblich den Zustand des Blutes verriet, dessen Verfassung ihm dann die jeweilige Heilmethode diktierte. Felke hatte bewusst eine Menge seiner Anwendungen von dem Naturheiler Adolf Just übernommen, der in seinem Sanatorium Jungborn im Harz mit Lehmkuren – seine Heilerde wird heute immer noch verkauft  –, Luft­bädern, Fasten und vegetarischer Ernährung arbeitete.17 Einer seiner berühmtesten Patienten war der Schriftsteller Franz Kafka, der Zeit seines Lebens unter Verdauungsproblemen litt und zu dessen reforme­ rischen Neigungen neben Aufenthalten in diversen Naturheilsanatorien auch vegetarische Ernährung sowie die oben schon er78

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wähnte Kautherapie des „Fletscherns“ gehörte. In seinem Tagebuch berichtete er 1912 mit einer von Ironie und Verstörung geprägten Distanz über seinen Jungborn-Aufenthalt in einer luft- und lichtdurchlässigen Patientenhütte, die zeigt, wie schwierig es für einen Bürger um 1900 mit seiner städtischen, durch sozial festgefügte Kleiderordnungen und bürgerliche Maßstäbe geprägten Welt sein konnte, in einer lebensreformerischen Umgebung mit komplett anderen sinnlichen Erfahrungen konfrontiert zu werden: „11. Juli. (...). Hier und da bekomme ich leichte, oberflächliche Übelkeiten, wenn ich, meistens allerdings in einiger Entfernung, diese gänzlich Nackten langsam zwischen den Bäumen sich vorbeibewegen sehe. Ihr Laufen macht es nicht besser. Jetzt ist an meiner Tür ein ganz fremder Nackter stehengeblieben und hat mich langsam und freundlich gefragt, ob ich hier in meinem Hause wohne, woran doch kein Zweifel ist.  (...) 19. Juli. Regentag. Man liegt im Bett, und das laute Klopfen des Regens auf dem Dach der Hütte ist so, als ginge es gegen die eigene Brust (...). Wie ein wildes Tier jagt plötzlich ein Greis über die Wiese und nimmt ein Regenbad. (...). Am Morgen das Laufen, die weiche Erde unter sich.“18 Andere lebensreformerische Novizen vor und nach Kafka machten vergleichbare ambivalente Erfahrungen. Als Apostel der Licht- und Luftbehandlung galt auch der Schweizer Färbereibesitzer Arnold Rikli, der ab 1855 die Kuranstalt Veldes in der Krain leitete und später als Naturarzt in Triest arbeitete. Nach Rikli bedeuteten Wohnung und Kleidung, die als negative, weil unnatürliche Elemente der modernen Industriegesellschaft gewertet wurden, „Absperrungen“ von Licht und Luft, und so verordnete Arnold Rikli seinen Patienten Wandern, Gymnastik, Gartenarbeit, Barfußlaufen und Sonnenbäder möglichst in leicht- oder unbekleidetem Zustand. Rikli erfand auch die ersten Lufthütten, d. h. offene Unterkünfte, in denen die Patienten unbekleidet in Licht und Luft schlafen und sich aufhalten sollten. Franz Kafka wohnte schon im Jungborn in einer solchen Hütte, und beinahe jede Naturheilanstalt sollte später ein derartiges Lufthüttenarsenal besitzen. Durch diese Methoden galt Arnold Rikli 79

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auch als einer der frühen Praktiker der Freikörperkultur, die uns später noch beschäftigten wird.19 Große und berühmte Naturheilanstalten besaßen um die Jahrhundertwende die Dresdener Naturärzte Dr.  Heinrich Lahmann und Eduard Bilz. Mit ihren kommerziell aufgemachten und gut organisierten Sanatorien, die von vielen Prominenten besucht wurden und in denen ein Aufenthalt als gesellschaftlich „schick“ galt, gehören sie zu denjenigen Naturärzten der Zeit um 1900, die Kommerz und Tourismus mit Naturheilkunde paarten und denen – oder zumindest deren Sanatorien – der Schriftsteller Thomas Mann mit seinem Roman „Der Zauberberg“ ein ironisches Denkmal gesetzt hat.20 Zu den prominenten Patienten jener Anstaltsszene zählten u. a. Richard Wagner, Hermann Hesse, Franz Kafka oder Friedrich Nietzsche.21 Heinrich Lahmann war Begründer des Sanatoriums „Weißer Hirsch“ in Dresden; er war der erste approbierte Arzt, der zugleich

Sanatorium Bilz bei Dresden: Herren im Luftbad (Postkarte 1906).

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auch ein Anhänger der Naturheilkunde war und ein Naturheilsanatorium führte. Lahmann bot eine umfassende Palette ärztlicher und auch naturheilkundlicher Maßnahmen an, über Lichtluft­hütten, vegetarische Diäten, Wasser- und Lichtanwendungen bis zu Bestrahlungen, Sport und Orthopädie. Sein Augenmerk galt der Kleidungsreform. Er verwarf Gewebe aus Wolle und Leinen und schwor aus Gründen der Gesundheit auf das Tragen poröser Baumwolle; hier entzündete sich ein langer Streit mit dem Kleidungsreformer und Arzt Gustav Jäger, der im Gegensatz zu Lahmann Wolle bevorzugte. Der bereits erwähnte Streit zwischen Lahmann und Jäger  – man nannte die Jäger’sche Vorliebe für Wolle auch „Wollregime“  – gehört zu den bizarreren Debatten innerhalb der Lebensreform, sie ist jedoch typisch für die Denkweise vieler lebensreformerischer Vertreter, die Heilung aller weltlichen Übel mittels eines einzigen Aspekts – hier der Wolle oder der Baumwolle – herbeizuführen.22 Eduard Bilz, der andere große Dresdener Naturheilkundler, der 1882 mit seiner reformerisch-religiösen Schrift „Der Schlüssel zur vollen menschlichen Glückseligkeit“ und mit seinem visionären Buch „Der Zukunftsstaat“ berühmt werden sollte, besaß ebenfalls ein gutgehendes weitbekanntes Sanatorium. Im Gegensatz zu ­seinen Kollegen, die sich häufig auf nur ein System der Naturheilkunde bezogen hatten und dieses System relativ humorlos und strikt verfolgten, setzte Bilz  – ganz modern und so gar nicht lebensreformerisch ernsthaft  – auf den „Spaßfaktor“. Er probierte alle möglichen Anwendungen und Praktiken aus, ohne sich festzulegen, und betonte dabei die Lebensfreude: Unter dem Motto „Naturheilkunde macht Spaß“ wollte Bilz, der selbst aus kleinen Verhältnissen stammte, dass die Patienten gerne kommen: „Das Essen sollte gesund sein, aber auch gut schmecken. Die Bewegung in frischer Luft sollte ein Bedürfnis und ein Spiel sein, aber keine lästige Pflicht.“23 Dies deutet im umgekehrten Sinn an, wie trocken, humorlos, rigide und streng es in anderen Sanatorien zugegangen sein muss, in denen, wie etwa im Sanatorium des amerikanischen Arztes John Harvey Kellogg, Gesundheit, Askese und Disziplin das oberste Gebot war.24 Auf der anderen Seite, und dies mochte auch 81

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seinen Erfolg ausgemacht haben, entsprach dieses Programm genau der selbstdisziplinierten und selbstoptimierenden bürger­ lichen Lebensweise der westlichen Welt.25 Vor allem seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden mit der zunehmenden Popularität der Laienheilkundigen in Deutschland, Österreich und der Schweiz immer mehr Naturheilanstalten. Bereits 1891 existierten 131 Naturheil- und Badeanstalten, typischerweise mit „Berlin, Leipzig, Dresden, Chemnitz und Stuttgart als (großstädtische) Zentren“. 1913 zählte man ungefähr 300 Naturheilanstalten im Deutschen Reich.26 Nun ist Naturheilanstalt nicht gleich Naturheilanstalt. Es gab betont schlichte und kleine Anstalten, die darum nicht weniger berühmt sein mussten – eine Einrichtung dieser Kategorie befand sich z. B. auf dem Monte Verità bei Ascona im Schweizer Teil des Lago Maggiore, wobei der „Berg der Wahrheit“ die berühmteste lebensreformerische Aussteigerkolonie Europas war. Er hat sich selbst und durch seine Besucher schon früh historisiert und wurde als „Mutter aller Sanatorien“ mystifiziert, so dass bis heute eine schier unübersehbare Anzahl an Primär- und Sekundärliteratur dazu angefertigt worden ist.27

Sonnenbad Monte Verità nach 1900.

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Es gab Sanatorien, die allein durch die rege Publizität ihrer Begründer, die sowohl lebensreformerische Weckrufe als auch politisch-ökonomische Denkschriften verfassten, bekannt wurden  – erinnert sei an die Einrichtungen von Dr.  Karl Strünckmann, Dr. Otto Buchinger oder Dr. Walter Fränzel.28 Weiter gab es mondäne und teure Naturheilsanatorien, wie der Lahmann’sche „Weiße Hirsch“ bei Dresden, der über eine Armee von Ärzten und Fachpersonal verfügte, der riesige Säle, große Behandlungsräume und eine weitläufige Parkanlage besaß und von der Finanz- und Kunstprominenz besucht wurde; Lahmann hatte pro Jahr etwa 1000 Patienten. Auch gab es internationale Einrichtungen, wie die Prießnitz’sche Anstalt am Gräfenberg, und ausgesprochen stark frequentierte Sanatorien, wie die Kneipp’sche Einrichtung in Wörishofen, zu denen Naturheilanhänger jedweder sozialen Schicht pilgerten, vom einfachen Bauern aus der Umgebung bis zum europäischen Hochadel. Dass die Besitzer und Leiter derartiger Einrichtungen mitunter zu Millionären wurden und mit dem lebensreformerischen Alltag der Masse an Naturheilanhängern nichts zu tun hatten, bedarf wohl keiner näheren Erläuterung.29 Und es gab natürlich  – und das dürfte der typische Sanatoriumsalltag gewesen sein – kleine und kleinste Anstalten mit ledig­ lich lokaler Bedeutung und mit geringem Publikumsverkehr. Sie tauchen in den Quellen kaum auf, und nur selten fanden sie einen zeitgenössischen Chronisten  – es sei denn als selbstinszenierte Werbeanzeigen in den lebensreformerischen Blättern –, von ­einem wissenschaftlichen Bearbeiter ganz zu schweigen, wiewohl aber gerade hier, im Alltag der einfacheren Naturheilanstalten der dritten oder vierten Reihe, der Reiz einer entsprechenden historischen Studie liegen dürfte. Doch genau diese einfachen Anhänger pflegten sich in der Menge der Naturheilvereine zu sammeln und zu engagieren; neben den Sanatorien der zweite Organisationsstrang der Naturheilkundeanhänger jener Zeit. Wie überall im deutschsprachigen Bereich bei einer Vereinsorganisation, gab es auch hier lokal gegründete Vereine und übergeordnete Verbände mit regional 83

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untergeord­neten Gauen, ebenso natürlich spezifische Vereinsstreitigkeiten und Spaltungen. Schon 1835 wurde in Dresden der erste Naturheilverein gegründet, es folgten in den 1860er Jahren Magdeburg, Leipzig und Chemnitz, so dass der regionale Schwerpunkt zunächst eindeutig in Sachsen lag; eine ähnliche Entwicklung begegnete uns schon bei den vegetarischen Vereinen. 1872 bildete sich ein sächsischer Dachverband, der 1877 als „Verein für volksverständliche Gesundheitspflege“ über die Grenzen Sachsens hinaus eine gewisse Bedeutung erlangen sollte. Ein 1883 gegründeter regionaler zweiter sächsischer Verband verursachte die erste Spaltung; 1888 fusionierten beide Gruppen zum „Deutschen Bund der Vereine für Gesundheitspflege und arzneilose Heilweise“, und 1900 gab sich der Verband den endgültigen Namen „Deutscher Bund der Vereine für naturgemäße Lebens- und Heilweise“. Der Verband existiert noch heute.30 Dieser Dachverband der organisierten Naturheilkunde vertrat im Deutschen Reich weit über 600 Naturheilvereine mit insgesamt etwa 80 000 Mitgliedern. 1913 wurde mit 885 Vereinen und 148 000 Mitgliedern ein Höchststand erreicht, den der Verband nie wieder erzielen sollte. Die Wirtschaftskrisen der Weimarer Republik ließen auch die Mitgliedszahlen der bürgerlichen Naturheilvereine schrumpfen, die 1939 aber noch mal einen Höchststand von knapp 100 000 Personen erreichen konnten. Der andere Schrumpfungsfaktor waren die Naturheilvereine der organisierten Arbeiterbewegung, die sich in der Weimarer Republik im SPD-nahen „Verband Volksgesundheit“, dem „roten“ Naturheil- und Lebensreformverband, zusammenschlossen, der gegen Ende der Weimarer Republik über 60 000 Mitglieder verfügte, zu denen aber auch die sozialistischen Freikörperkulturgruppen zählten, auf die später noch zurückzukommen sein wird. Die sozialistischen Naturheilvereine hatten, was lebensreformerische Ziele und Praktiken anging, in etwa die gleichen Vorstellungen wie die bürgerlichen Gruppen, waren jedoch politisch auf die Schaffung einer sozialistischen Gesellschaft und auf die Bekämpfung rechtsextremer Gruppen ausgerichtet. In ihren Reihen sammelten sich die Arbeiter 84

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und ihre Familien, wogegen die kleinbürgerlichen Handwerker, die Angestellten, die Beamten und Selbständigen sowie die Bildungsbürger das Gros der bürgerlichen Vereine in der Weimarer Republik ausmachten. Noch vor 1914 jedoch waren es die Arbeiter gewesen, die mit 23 % die größte Gruppe der Mitglieder der bürgerlichen Naturheilvereine stellten; später sollten sie ins Lager der Arbeiternaturheilvereine wechseln. Die meisten bürgerlichen Naturheilvereine verfügten über einen Bestand von 100 bis 200 Mitgliedern, aber etliche Vereine besaßen auch über 1000 Mitglieder. Um die enorme Zahl an Vereinen zu bündeln und die Bundeszeitschrift „Der Naturarzt“ so effektiv wie möglich zustellen zu können, wurden unter der Regie eines festangestellten Geschäftsführers regionale Gaue und Bundesgruppen eingerichtet, die sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Zahl und Größe geographisch jedoch sehr verschieden verteilten. Die Naturheilbewegung war – ähnlich wie die vegetarische Bewegung – in Süddeutschland generell eher klein gewesen; die Zentren befanden sich, wie schon erwähnt, in Sachsen, Berlin und Westdeutschland, was zu der Vermutung führt, dass die Naturheilkundler ebenfalls eher protestantisch geprägt waren.31 Gemäß seines umfassenden Anspruches einer allgemeinen Lebensreform reichten die Ziele des bürgerlichen Dachverbandes von der Ernährung über die Heilkunde bis zur Erziehung. Im engeren Sinne gehörten zwar die „Gründung von Heil- und Erholungsstätten, die Anlage von Luft- und Sonnenbädern, Lichtluftparks, Badeanstalten  (...)“ zum Standardprogramm, aber der Naturheilbund wäre keine lebensreformerische Vereinigung, wenn er nicht auch eine allgemeine Veränderung des Lebens im Sinn gehabt hätte, die „wir, die Lebenden, vorbereiten durch eine Reform der Haus­ erziehung, Reform der Schule, Reform des ­Geschlechtslebens, Reform der Ehe, Reform des Berufslebens, Reform der Erholung und Reform der Ernährung“. Denn: „Es giebt noch viel zu thun.“32 Der Bund bekämpfte die Genussmittel Alkohol und Tabak und klärte über „naturgemäße“ Ernährung auf  – hier sieht man wieder einen deutlichen Bezug zum Vegetarismus. Er trat für die Ver85

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besserung der Wohnbedingungen durch die Schaffung von Parks und Städtereinigung ein, unterstützte städtische Erholungsräume, forderte die tägliche Sportstunde in der Schule und verlangte die Schaffung von Spielplätzen und Schrebergärten.33 Außerdem belehrte er über „naturgemäße“ Kleidung, „richtige“ Hautpflege und naturheilkundliche Verfahrensweisen und forderte öffentliche Licht- und Luftbäder sowie Wasserbäder, um das Hygienebewusstsein der Bevölkerung zu stärken. Er unterstützte die Anerkennung naturheilkundlicher Therapien durch Staat, Krankenhäuser und Krankenkassen. Auch trat er für sexuelle Aufklärung ein, bekämpfte „sexuelle Ausschweifung“ und äußerte sich zu Erziehungsfragen. Und er stritt gegen den als unnatürlich empfundenen Impfzwang.34 Mit all diesen Forderungen hielt sich die Naturheilkunde im Schnittfeld vieler anderer  – wenngleich mitunter kontroverser und konkurrierender – zeitgenössischer Gruppen auf, deren Aufzählung an dieser Stelle zwar zu weit führen würde, deren Umfeld aber mit Begriffen wie Impfgegnerschaft, Sexualreform, Jugendbewegung, Reformpädagogik und Bodenreform programmatisch umrissen sei.35 Seine Forderungen, seine Ratschläge und seine naturheilkundlichen Informationen veröffentlichte der Dachverband in der bundeigenen Zeitschrift „Der Naturarzt“, der für die Mitglieder als praktisches Informationsforum für alle Belange der Naturheilkunde diente und dessen Auflagenhöhe – eigenen Angaben zufolge – weit über 100 000 Exemplare erreichte.36 Die Bedeutung der Eigenliteraturproduktion für den Einfluss der Bewegung war auch in der Naturheilkunde enorm: Naturheilkundliche Ratgeber und Gesundheitsbücher, in hohen Auflagen gedruckt und mit gemeinverständlichen und leicht fasslichen Anleitungen bestückt, fanden in etliche private Haushalte Eingang und machten die Praktiken der Naturheilkunde massenhaft populär. Nicht nur, dass die „agitatorische Arbeit nicht still“ stand und zahllose Flugschriften „in vielen Hunderttausend Exemplaren (...) zur Aufklärung der Massen“ verbreitet wurden.37 Es waren vor allem Ratgeber und ­Lexika vom Bestsellerschlage einer Anna Fischer-Dückelmann – „Die Frau als 86

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Hausärztin“ von 1901, mit später Auflage von 198538 – oder eines Friedrich Eduard Bilz – „Das neue Heilverfahren“ im Selbstverlag mit 18 Auflagen zwischen 1888 und 1900 –, die zu naturheilkundlichen Bibeln nicht nur vieler zeitgenössischer Haushalte, sondern ganzer Generationen wurden. Zu den Aufgaben der Vereine gehörte es, laienmedizinische Ratschläge zu geben, Rezepte weiterzugeben, Naturheilkundige zu vermitteln und Vorträge zu Themen der Naturheilkunde anzubieten. Sie förderten – auch außerhalb ihrer Gelände – Naturheilsanatorien,39 Lichtluftbäder, Kinderspielplätze, ­Sportanlagen und Schrebergärten, richteten sie ein, bauten sie selbst oder ­finanzierten sie mit. So war ein typischer Naturheilverein der Jahrhundertwende eine Mischung aus Lichtluftanlage, Schwimmbad, Kinderspielplatz und Schrebergarten. In der Folge wurden viele Naturheilvereine später in Schrebergartenanlagen umgewandelt. In vielen heutigen Schrebergärten lassen sich Spuren früherer Naturheilanlagen bzw. Naturheilvereine auffinden. Typisch waren auch die Versuche der Vereine, sich aktiv an einer allgemeinen Gesundheits- und Erziehungspflege zu beteiligen und Siedlungsreformen und den Bau von Gartenstädten zu unterstützen. Auf Letzteres wird noch zurückzukommen sein.40 Zur Illustration dieser Entwicklungsgeschichte sei hier einmal ein typisches Beispiel aus der Provinz angeführt: nämlich der Naturheilverein der Mittelstadt Kaiserslautern, der ein paar hundert Mitglieder besaß. 1903 stellte die Stadt Kaiserslautern dem Naturheilverein ein Gelände zur Verfügung, auf dem er das in der Lebensreformbewegung übliche Lichtluftbad installierte; damit begann der Aufschwung des Vereins, der daneben noch Spielplätze und Familiengärten anlegen ließ. 1928 meinte der Vorsitzende: „Gross ist auch die Zahl der Nichtmitglieder, die gegen ein kleines Eintrittsgeld unser Bad besucht, um sich in Licht, Luft und Sonne neuen Lebensmut und Gesundheit zu holen.“ Damit hatte er sicherlich nicht übertrieben, trotz der zahlreichen Einwände der approbierten Ärzte, die seit der Gründung des Lichtluftbades vehement gegen die angebliche Schädlichkeit desselben zu Felde gezogen waren.41 87

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Luftbäder waren von Anfang an generell ein Zankapfel. Die ersten Vereinsluftbäder wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts errichtet und bestanden zumeist aus einer von hohen Planken umgebenen freien Fläche, auf der sich die Vereinsmitglieder – nach Geschlechtern getrennt  – weitgehend hüllenlos aufhalten konnten, um sich den natürlichen Elementen Sonne, Luft und Wasser auszusetzen. Dabei handelte es sich in der Regel um eine passive Aufnahme mit wenig Bewegung; im Hintergrund stand hier noch die Idee, Kranke zu heilen, die sich – nach der damals gängigen Auffassung – möglichst ruhig verhalten sollten. Diese Art der Heilung fand auch in Kaiserslautern seine Kritiker. Die im Stadtrat sitzenden Ärzte, besonders ein Dr. Rübel, der das Luftbad noch nie von innen gesehen hatte, versuchten, mit hysterischen Warnungen vor angeblicher Gehirnhautentzündung durch langes Liegen in der Sonne und mit moralischen Klagen aufgrund der weitgehend hüllenlosen Betätigungen die Existenz des Vereinsluftbades zu torpedieren. Für den Naturheilverein war es indes ein Leichtes, die Pseudoargumente der Ärzteschaft zu entkräften und den Stadtrat auf seine Seite zu ziehen: 1907 schloss ein entsprechender Leserbrief denn auch mit dem Verweis ab: „Den Freimut des Herrn Dr. Rübel in allen Ehren! Aber dies eine Mal hätte goldenem Schweigen der Vorzug gebührt. So aber hat Herr Dr. Rübel eine gewisse Berühmtheit erlangt, und sein Name wird durch Hundertausende unserer Fachzeitschriften hinausgetragen in alle deutschen Gauen. Wir aber werden  (...) an der Verbreitung unserer Ideen weiter arbeiten und unsere Kreise auch fernerhin von Niemanden stören lassen.“42 Mit dem Aufkommen des Sports, der Körperkultur und der Freikörperkultur – wir kommen später darauf zurück – und mit der fortschrittlichen Vorstellung, auch aktiv gesundheitlich Vorsorge betreiben zu können, erhielten die Luftbäder einen enorm dynamischen Anstrich: Nun wurden Turn- und Sportgeräte und z. T. Schwimmbäder sowie Spiel- und Tennisplätze errichtet und sportliche Übungen im Freien entwickelt, die häufig unter der Aufsicht eines Übungsleiters standen und die Frauen, Männern 88

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und Kindern gleichermaßen offen waren. In der Folge gab es nicht nur Lichtluft- bzw. Sportluftbäder in Naturheilvereinen, Sportvereinen und FKK-Vereinen, sondern auch Privatgelände kommerzieller Betreiber; das Sportluftbad wurde zu einer städtischen Mode.43 Die Nähe zur und die Rezeption der Freikörperkultur bzw. ihre starke Verwandtschaft ist hier offensichtlich; an dieser Stelle soll es jedoch genügen, auf das – heute noch existierende – Sportluftbad des ursprünglich lebensreformerischen „Vereins für Körperkultur“ in Berlin von 1905 und auf den Lichtluftplatz auf dem Monte Verità zu verweisen, der bereits um 1900 über Turn- und Sportgeräte sowie später über Tennisplätze verfügte, um die frühe Dynamik der späteren Freikörperkultur zu illustrieren.44 Auch das Luftbad in Kaiserslautern passte sich mit seinem Sportkonzept in die Entwicklung nahtlos ein. Wenn auch der 1929 an die Stadt gerichtete Antrag

Hermann Hesse (5. v. links) im Sanato­rium Monte Ve­ rità, 1906. 89

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zum Bau einer Tennisanlage, der auf die Frequenz höherer sozialer Schichten im Verein hindeutet, aus formalen Gründen scheiterte, tat dies der Gesamtentwicklung jedoch keinen Abbruch.45 Die sportlichen Aktivitäten lösten Bedürfnisse nach Pausen und Erholung aus. In vielen Luftbädern richtete man Ruhezonen, Getränkekioske und kleinere Imbissstände ein. Die ganze Sache entwickelte sich daher bald von einem Rehabilitationsgelände für Kranke zu einem Freizeit-, Sport- und Erholungszentrum für die ganze Familie. Nun verstummten auch die Protestrufe der konventionellen Ärzteschaft. Als schließlich etliche Familiengärten der Naturheilvereine zu praktischen Schrebergärten umgewandelt wurden, die von den einen zur Selbstversorgung, von den anderen lediglich zur Erholung genutzt wurden, erhielten die Naturheilvereine einen neuartigen Charakter, der zwischen Sport- und Freizeitgelände, Erholungszentrum und Schrebergartenanlage angesiedelt war und der in dieser Form für die Jahre zwischen 1900 und 1933 typisch war und wohl einzigartig blieb. 1912 besaßen 380 Naturheilvereine ein Luftbad mit Spielplätzen und 150 Vereine Familiengartenanlagen mit insgesamt 7600 Schrebergärten. 800 Vereine verfügten über eine Bibliothek, 500 verliehen Badegeräte, bei 20 konnte man Flussbäder nehmen und 15 waren als Ferienkolonien ausgebaut.46 Die Veränderung hin zu öffentlichen Erholungsstätten mit regelrechten Eintrittsgeldern, also eine Art Kommerzialisierung, musste dabei zwangsläufig die Gesundheitsidee unterhöhlen. Schon bald war der Ausschank von Alkohol und der Tabakgenuss in den Anlagen keine Seltenheit mehr, und wenn sich auch der Vorsitzende des Kaiserslauterner Vereins noch 1914 vehement dagegen ausgesprochen hatte und er deshalb auch seinen Hut nahm, konnte er die Entwicklung ebenso wenig verhindern wie andere Mitglieder, die 15 Jahre später entschieden, aber wirkungslos gegen die keineswegs naturheilkundliche Praxis des Vereins zu Felde zogen, an ihre Gäste und Mitglieder an den Sommerfesten Bier und Zigarren auszugeben.47 Mit derartigen Praktiken schien zwar die Idee der Naturheilkunde in den Vereinen dem Kommerz und 90

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damit den Zeichen der Zeit zum Opfer gefallen zu sein, mit ihrer Öffnung nach außen aber konnte die Naturheilbewegung ihr zwischen Körperkultur, Naturerholung und Naturheilkunde angesiedeltes Konzept in der Bevölkerung fest installieren. Die Naturheilkunde war ein bedeutsamer Faktor der Lebensreformbewegung, über den unmittelbaren Bezug zum Alltag  – Krankheit und Gesundheit beziehen sich immer unmittelbar aufeinander – konnte sie einen ungeheuren Einfluss auf die moderne Gesellschaft seit der Mitte des 19.  Jahrhunderts nehmen. Die Naturheilkundebewegung war  – und ist noch heute  – eine Massenbewegung. Trotz der jahrzehntelangen Gegnerschaft der konventionellen Ärzte und ihrer Berufsverbände konnte sich die Naturheilkunde als wichtiges Standbein des mitteleuropäischen modernen medizinischen Hygienebewusstseins etablieren und vor allem die staatlichen und städtischen Gesundheitsbestrebungen der Zeit mit beeinflussen. So ist die allmähliche Einführung städtischer Freibäder ab der Zeit um 1900 sowie das neue Badeund Freizeitverhalten der städtischen Bevölkerung ohne den Einfluss der Naturheilkunde kaum zu denken.48 Der „Naturarzt“ fasste diese Entwicklung 1901 mit eigenem lebensreformerischem Pathos zusammen: „Die erlösende Idee unserer Naturheilkunde fängt an, Gemeingut des Volkes zu werden. Früher verlachte man uns, heute bringt man unseren Bestrebungen in allen Volkskreisen Verständnis entgegen.“49 Diese Etablierung gelang nur deshalb so nachhaltig, weil die Naturheilkunde von Anfang an auf eine ausgesprochen populäre Laienfreundlichkeit setzte und Konzessionen an die Radikalität ihrer Entwürfe machen musste: leicht fassliche Ratgeberliteratur, Familiengärten, Luft- und Schwimmbäder, Erholungsstätten und Spielplätze. Damit fanden etliche Praktiken, Theorien und Überzeugungen der Lebensreform unmittelbar Eingang in die Alltagskultur eines Großteils der Bevölkerung.

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enn die Lebensreformbewegung in Bezug auf ihre Protagonisten und Anhänger, ihre Ideologien und Verfahrensweisen nicht nur weitgespannt, sondern oft in sich zerstritten war, so gab es doch auch gemeinsame Nenner, und zu ihnen zählte die Bedeutung des Körpers, dem übereinstimmend eine besondere reformerische Aufmerksamkeit zukam. Es gab etliche Lebens­reformer, die einzelne Reformstränge wie Naturheilkundeverfahren, Ernährungsweisen oder Siedlungsbestrebungen sogar als reine Körperkulturen auffassten. So bezeichnete der lebensreformerische Siedler Gustav Adolf Küppers die Siedlungsarbeit als „angewandte Körperkultur“, „griechisches Körpergefühl, griechischen Weisheits- und Mäßigungsdrang“, wobei sich die „natür­liche“ und „harmonische“ Siedlungstätigkeit „immer an den ganzen Körper“ wende und „sinnlich (seeleiblich) wie geistig (übersinnlich)“ mit „der Umwelt so verwoben ist, daß man bei genauerem Zusehen überhaupt keine Trennungslinie zu ziehen vermag“. Küppers betonte dabei die Überlegenheit natürlicher Arbeitsvorgänge wie Graben, Hacken oder Heben über rein technische „gymnastische Standpunkte“; derlei Vergleiche zwischen „natürlicher“ und „künstlicher“ Körperübung waren nicht etwa versponnene Ansichten isolierter Einzelgänger, sondern auch in der zeitgenössischen Sportmedizin durchaus geläufige Gedankenexperimente.1 Wenn auch derartigen Auffassungen von Körperkultur nicht alle Lebensreformer zu folgen vermochten, galt in der Bewegung der Körper dennoch als zentrale Angelegenheit. Der Vegetarier 92

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und Mitbegründer des „Vereins für vernünftige Leibeszucht“, Gustav Möckel, bemerkte 1920 in einem Überblick über die verschiedenen Entwürfe und Praktiken in der Lebensreform: „Erst eine allumfassende Körperkultur muß die Grundlage der Lebens­reform bilden und dann erst wird der einzelne Mensch Herr seines Körpers, seiner Unmäßigkeit und seiner Begierden“; eine Bemerkung, die auf die zentrale Bedeutung der Pflege und Formung des Körpers für die Lebensreform hinweist, inklusive entsprechender Konkordanzwerte wie Moral, Enthaltsamkeit und Selbstdisziplinierung, die im Wertekanon der bürgerlichen Gesellschaft schon seit längerem verankert waren.2 Dass die Lebensreform ihre Programme vom Körper aus interpretierte und die Bedeutung des Körpers betonte, hatte verschiedene theoretische und pragmatische Motive, wobei das oben bereits diskutierte Natürlichkeitspostulat auch hier den Begründungszusammenhang bildete. Die moderne Gesellschaft habe, so behauptete man in der Bewegung gebetsmühlenartig, durch ihre angeblich mechanistische und industrielle Lebens- und Arbeitsweise den Körper deformiert und geschwächt, entsinnlicht und entseelt, unterdrückt und vergessen; durch künstliche Fabrik- und Büroarbeit sei die Natürlichkeit des Körpers, die er früher angeblich noch gehabt habe, nun verlorengegangen. Das habe ihn, um einen damals weitverbreiteten Zentralbegriff zu verwenden, „degeneriert“; eine Wortschöpfung, die – nicht nur in der Lebensreform – nationale, darwinistische und völkische Aspekte beinhaltete  – Stichworte: Militärtauglichkeit und Gebärfähigkeit  –, aber immer auch auf Gesundheit, Kraft, Ästhetik und Harmonie des individuellen Körpers abzielte: „Wir wollen dem körperlichen Verfall eines großen Teils unseres Volkes dadurch entgegenarbeiten, daß wir lernen und zeigen, wie der menschliche Körper kräftig, schön und widerstandsfähig gemacht werden muß.“3 Eine weitere Auffassung ging dahin, dass der Körper bzw. der Mensch durch „unnatürliche“, d. h. intellektuelle und „seelenlose“, Bildung „überbürdet“ sei. Dahinter stand die konkrete Kritik an der Regelschule, die die Schüler und später die Studenten kör93

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perdiszipliniert auf die Schulbänke zwang. Durch den angeblich fehlenden bzw. mangelhaften Turnunterricht, durch die fehlenden Spiel- und Sportplätze, durch die unnatürliche Haltung des Körpers auf der Schulbank und das „Einpauken bloßen Wissens“ machten sich körperliche Fehlbildungen ebenso bemerkbar wie eine seelische Entfremdung vom eigenen Körper. An dieser Kritik war einiges dran, zumindest sorgten etliche Behörden und Regierungen aufgrund des Drängens der Lebensreformer, der Einsprüche der Turn- und Sportorganisationen sowie der Analysen in der Reformpädagogik und der Jugendbewegung zunehmend dafür, dass besserer Turn- und Sportunterricht geboten, mehr Spielplätze und Schwimmbäder gebaut und allgemein für mehr Bewegungsfreiheit der Kinder gesorgt wurde.4 Die lebensreformerische Hinwendung zum Körper zeigt aber noch etwas anderes, nämlich die Tatsache, dass die Lebensreform beileibe keine Bildungsreform im klassischen Sinn war, die über die Aneignung von schriftlichem Wissen, also Theorie, funktionierte, sondern die dem Körper, mithin der Praxis, eine erhöhte Aufmerksamkeit schenkte; eine Praxis, die in Opposition zur klassischen Bildung daher auch „Körperbildung“ genannt wurde. Die Behauptung, Körperbildung sei wesentlich einfacher und bedingungsloser durchführbar – und möglicherweise daher auch beliebter – als die anspruchsvolle Aneignung von Wissensbildung, wäre an dieser Stelle zwar eine mit Ironie unterfütterte Spekulation, sollte aber im Folgenden bei der lebensreformerischen Wertung und (Über-)Bewertung einzelner Körperpraktiken mitgedacht werden. Die Aufwertung des Körpers, dessen reformerisches Idealbild mit Werten wie Befreiung, Gesundheit, Natürlichkeit, Authentizität und Individualität verknüpft wurde, galt also als wichtige Aufgabe innerhalb der Lebensreform. Seine Gestaltung wurde als Ausgangspunkt für die Selbstreform des „neuen Menschen“ angesehen, die zur Sozialreform der Gesellschaft führe: „In der menschlichen Dreieinigkeit von Körper, Geist und Seele“, so schrieb die Zeitschrift „Kraft und Schönheit“, „muß erst der Körper gesund, stark und widerstandsfähig gemacht werden, damit sich in seiner 94

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Hülle die inneren Fähigkeiten der Seele und des Geistes voll entwickeln können.“5 Ungeachtet dieser theoretischen Leitbilder widmeten sich die meisten Lebensformer, die in vielen Fällen bewegungsarme Berufe zwischen Büro und Industrie ausübten, wohl aus vornehmlich pragmatischen und sehr modernen Gründen der Sache, denn Körperübungen waren einfach zu praktizieren, ließen sich individuell und rational gestalten, förderten die physische und psychische Fitness und die Gesundheit und wurden als ausgleichende körperliche Betätigung geschätzt: „Ich fühle mich jetzt jedenfalls viel wohler und stärker als in meinen Jugendjahren“, lauteten die typischen Worte eines 57-jährigen, sich vegetarisch ernährenden Lebensreformers anlässlich der Beschreibung seiner täglichen Leibesübungen.6 Zudem konnten die Lebensreformer über die Formung des Körpers sichtbare vielversprechende Resultate auf dem Weg zur Selbstreform erzielen und so ihre Lebensweise auch nach außen erfolgreich präsentieren, und etliche von ihnen, darunter etwa der bekannte Freikörperkulturist Richard Ungewitter7, der lebensreformerische Sportschulbesitzer und Autor Theodor Siebert oder der vegetarisch lebende Athlet Lionel Strongfort, dokumentierten und publizierten die Ergebnisse ihres Körpertrainings in Büchern und Zeitschriften, wobei sie gleichzeitig dadurch noch ihre Ansichten und Trainingsmethoden verkaufen konnten; die Grenze von der Berufung zum Beruf war auch hier durchlässig.8 Diese neue Körperästhetik, die Körperform, Gesundheit und innere Werte miteinander gleichsetzte, und die partiell auch in den Sport- und Turnorganisationen der Zeit nachweisbar ist, wurde durch eine Anzahl lebensreformerisch orientierter (Jugendstil-) Künstler wie Fidus, Franz Müller-Münster, Karl Wilhelm Diefenbach, Franz Stassen oder Ludwig Fahrenkrog flankiert; sie gaben dem lebensreformerischen (nackten) Körper einen bildlichen Ausdruck.9 Parallel dazu begannen Künstler wie etwa Sascha Schneider oder Max Klinger, die lediglich peripher lebensreformerisch interessiert waren, sich ebenfalls mit neuen Körperbildern zu ­befassen.10 Sie rekrutierten Sportler und Athleten als Modelle 95

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und visualisierten sie durch Fotografien, Grafiken, Gemälde oder Skulpturen.11 Als historisches Vorbild hinsichtlich der gewünschten bzw. angestrebten Körperästhetik und -proportion dienten  – wie generell in der bürgerlichen Kultur zwischen dem 18. und frühen 20. Jahrhundert – die Skulpturen antiker Bildhauerei; hier galt u. a. die der Lebensreform nahestehende Zeitschrift „Die Schönheit“ mit ihrer peripheren Winckelmannrezeption als einer der ästhetischen Bezugsrahmen.12 Und die Expressionisten, die der zeitgenössischen Moderne in der Malerei verpflichtet waren und den formalen Akademismus ablehnten, griffen die Naturdebatten, die Heimatdiskurse und die Begeisterung für die Kunst der „Primitiven“ der Südsee und in Afrika auf und begannen auf ihren Bildern, nackte unverbildete Menschen in der Natur darzustellen.13 Zwar fanden diese Entwicklungen allesamt in unterschiedlichen Milieus statt, von denen viele mit Lebensreform nichts oder nur wenig zu tun hatten – derartige Körperbilder wurden zeitgenössisch so breit diskutiert, dass Herkunft, Einfluss und Rezeption nur schwer auszumachen sind –, jedoch sind Elemente der Lebens­reform an den Rezeptionsrändern durchaus erkennbar, wenn auch noch lange nicht genügend erforscht.14 Generell wurde innerhalb der Lebensreform zwar jede Art von Sport, Spiel, Gymnastik und (Gerät)Turnen ausgeübt, wobei die Geschlechtergrenzen in den Übungsdisziplinen relativ fließend, aber immer noch erkennbar waren. In der Regel gab es für Lebensreformer jedoch doch drei Dinge zu beachten. Erstens: Die Leibesübungen sollten sich im Kontext „natürlicher“ Gesundheitsund Abstinenzregeln und vegetarischer15 und naturheilkundlicher Maßnahmen bewegen und im Freien und weitgehend unbekleidet ausgeübt werden.16 Das bedeutete etwa, dass das ausschließliche Üben in den geschlossenen Hallen der Turnvereine – die ohnehin aufgrund des angeblichen Alkoholkonsums der Mitglieder misstrauisch beäugt wurden  – zwar kritisiert, turnerische Praktiken wie Gerätturnen und Turnspiele als Aspekte einer Körperkultur jedoch generell begrüßt wurden. Zweitens bemühte man sich um möglichst umfassende Übungen, die nicht nur zu einer aus96

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gewogenen Körperfunktionalität, sondern auch zur – so das vielbenutzte Schlagwort  – „harmonischen Körperformung“ ­führen sollten. Letzteres weist wiederum auf die Modernität der Lebensreformbewegung hin, die Gesundheit nicht nur mit körperlicher (unsichtbarer) Multifunktionalität, sondern auch mit einer entsprechend muskulösen (sichtbaren) Silhouette verknüpfte und mithin einer – seit der Zeit der Aufklärung im bürgerlichen Milieu verankerten – individuellen Selbstoptimierung das Wort redete.17 Dies schloss zwar Sport mit seinen Einzeldisziplinen Leicht- und Schwerathletik, Ballspiele und Wassersport ein, grenzte aber die Leistungs-, Rekord- und Spezialisierungsaspekte derartiger Diszi­ plinen aus, da sie angeblich nur eine einseitige Körperausbildung zum Resultat hätten: „Es wurde nicht auf Höchstleistung, sondern auf Körperschönheit träniert“, bemerkte ein Zeitgenosse; das Ziel war nicht die durch Sport erzielte Leistung, sondern der Körper selbst.18 So bezeichnete der Kraftathlet Eugen Sandow in Abgrenzung zu profanen Sportarten die Körperkultur als „höheres Endziel“: „Die Erziehung (...) eines absolut vollkommenen Körpers, das ist Körperkultur“;19 viele Lebensreformer teilten seine Meinung. Und aus diesem Grund sollte – drittens – Körperkultur in der Regel auch nicht in Turn- und Sportvereinen, sondern ­autonom oder vereinsfremd betrieben werden, denn Vereine böten nur festgelegte Übungszeiten an, und diese nur für Mitglieder. Dies widersprach der lebensreformerischen Auffassung von Körperkultur als „Alltagskultur“ im gesamten Tages- und Lebenslauf; eine Alltagskultur, deren Grenze zur hedonistischen Selbstüberhöhung und zum elitären Körperbewusstsein fließend war und nur zu oft überschritten wurde. So verstand der Lebensreformer und Leiter der Alslebener „Trainierschule für Körperkultur“ Theodor Siebert unter Körperkultur auch „eine vernünftige Ernährung, Betätigung und Ausbildung des Körpers, der Sinne und des Geistes, mit einem Worte des ganzen Menschen zu Gesundheit, Kraft, Schönheit, Leistungsund Widerstandsfähigkeit gegen die Elemente, Krankheiten und die Schädlichkeit der Kultur“.20 Der vegetarisch lebende Wettge97

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her und Mitbegründer des Berliner Vereins für Körperkultur, Carl Mann, schrieb, Körperkultur sei die Voraussetzung „für Erlangung und Bewahrung von Lebensfreude, Frohsinn, Seelenheiterkeit als notwendige Grundlage einer gesunden Entwicklung des Geisteslebens“.21 Sie helfe, meinte der lebensreformerische Kraftsportler George Hackenschmidt, der später auch esoterische Bücher schrieb, „die schwierigsten Lebensfragen zu lösen (...) und Zufriedenheit und echte Lebensfreude“ zu geben.22 Die entsprechenden Lehrer verstanden sich demgemäß nicht einfach nur als Trainer – die Abgrenzung vom Verein, von der kritisierten „Vereinsmeierei“, im Sport und im Turnen, schwingt hier mit – sondern vielmehr als „professor of physical culture“. Körperkultur umriss damit einen reformerischen Lebensstil und fungierte gleichzeitig als simpler Alltagsratgeber, ja als eine Art monomane Weltanschauung: die Floskel vom „Körper als heiliger Tempel“ bzw. als „Tempel Gottes“ war in der Bewegung Programm.23 Die bevorzugten Körperpraktiken in der Lebensreform waren Freikörperkultur, die in etlichen Fällen nur eine „Nacktvariante“ konventioneller Sportdisziplinen oder Gymnastiksysteme war, Rhythmische Gymnastik, Ausdruckstanz und schließlich asiatische Körperübungen und seine westlich umgeformten Surrogate. Dazu kam noch eine Zusatzdisziplin, die Hantelsport genannt wurde, und die eine beliebte Vorform des heutigen Bodybuildings war.24 All diese Körperkulturformen waren in der Regel nicht in den üblichen Sport- und Turnvereinen organisiert, und sie konnten auch nicht in herkömmliche Vereine integriert werden, da sie von den zeitgenössischen Turn- und Sportverbänden nicht bzw. noch nicht (wie etwa Yoga) als Leibesübung aufgefasst wurden. Die Körperkultur der Lebensreformer dagegen wurde stattdessen in kommerziellen Schulen betrieben oder individuell zu Hause mit Hilfe eines Anleitungsbuches oder in privaten Gruppen durchgeführt.25 Eine Ausnahme bildet die Freikörperkultur, die zwar in ihren Anfängen vor und um 1900 ebenfalls in kleinen, von der ­Öffentlichkeit abgeschotteten Zirkeln betrieben wurde, aber seit den 1920er  Jahren privat an öffentlichen Seen und Gewässern 98

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ausgeübt oder in regelrechten FKK-Vereinen und Verbänden praktiziert wurde. Die Organisation in Vereinen hatte hier einen rechtlichen Grund: Sich öffentlich nackt zu zeigen und zu baden, war – mit Abstrichen und Ausnahmen – bis in die 1940er Jahre hinein verboten, wurde strafrechtlich verfolgt und kirchlich scharf kritisiert. Vor dem Ersten Weltkrieg galten schon Nacktdarstellungen in der Kunst und deren Verbreitung über Fotografie und Lite­ ratur als „grober Unfug“, ja schlimmer: als „Pornographie“, und konnten strafrechtlich geahndet werden; in dieser Zeit mussten sich einige Protagonisten vor Gericht verteidigen, in der Regel erfolgreich.26 Bei Bildung eines gemeinnützigen Vereins jedoch war man rechtlich abgesichert; die Mitglieder konnten ein Gelände pachten oder kaufen und sich dort nackt bewegen, vorausgesetzt, man tat dies unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Unter dem Motto „Der nackte Mensch ist der natürliche Mensch“ formierte sich ab dem späten 19. Jahrhundert die zunächst „Nacktkultur“ genannte Freikörperkultur.27 Vor 1914 weit davon entfernt, eine Massenbewegung zu sein, sammelte sie sich zunächst in internen Bünden und kleinen Vereinen, unterstützt von frühen bürgerlichen Reformverlagen wie dem Verlag „Die Schönheit“, streitbaren lebensreformerischen Publizisten wie dem völkischen Nacktkulturler und Abstinenzler Richard Ungewitter und sich elitär gebenden losen Künstler- und Schriftstellergruppen wie etwa den Vereinigungen um die Reformmaler Fidus und Diefenbach. Ihre Wurzeln, parallelen Bezüge und gegenseitigen Einflüsse reichten von der älteren Naturheilkunde bis zu Naturvorstellungen der Reformpädagogik und Jugendbewegung und vom, von der Antikenrezeption geprägten, bürgerlichen Reformästhetizismus des nackten Körpers in der Kunst bis zu moderner Rehabilitationsund Trainingswissenschaft der Zeit, die den nackten Körper unter hygienischen und funktionalen Aspekten einer Bewegungslehre analysierte.28 Die Freikörperkultur stand gesellschaftlich von Anfang an unter Legitimationsdruck, sowohl nach innen als auch nach außen. In einer Zeit der sozial streng geregelten Kleiderordnungen setzte 99

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die Gesellschaft bereits einen unbeschuhten Fuß  – außerhalb ­einer städtischen Badeanstalt  – mit peinlicher Nacktheit gleich. So wurden frühe Ausdruckstänzerinnen wie etwa Mary Wigman oder Isadora Duncan öffentlich als Nackttänzerinnen bezeichnet, obwohl sie anfangs noch in Kleidern tanzten und lediglich ihre Füße nackt ließen. 1944 bemerkte der Schriftsteller Stefan Zweig in seiner Autobiographie „Die Welt von gestern“ rückblickend, dass „es eine Sensation ohnegleichen wurde, als Isadora Duncan in ihren doch höchst klassischen Tänzen zum erstenmal unter der weißen, glücklicherweise tief hinabwallenden Tunika statt der üblichen Seidenschühchen ihre nackten Sohlen zeigte“.29

Die Tänzerin Isadora Duncan (um 1918). 100

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Angesichts einer derart restriktiven Gesellschaft kostete es ein gerüttelt Maß an Selbstüberwindung, in Gegenwart anderer auf Kleidung komplett zu verzichten. Als der Schriftsteller Franz Kafka 1912 im Harzer Sanatorium Jungborn von Adolf Just zur Kur war und Freikörperkultur betrieb, sah er sich einem ebenfalls nackten Mitpatienten gegenüber. In sein Tagebuch notierte er später: „Wage aus Respekt vor seinem Adel nicht, zu ihm aufzuschauen, habe Schweißausbruch (wir sind nackt) und rede zu leise. Sein Siegelring (...)“;30 letztere Bemerkung dürfte auch ein Hinweis auf die wilhelminischen Standesschranken selbst in der FKK sein. Ähnliche Erfahrungen machten auch die lebensreformerischen Eltern der Schriftstellerin Gudrun Pausewang noch in den 1920er Jahren: „Einmal machten wir beide“, so berichtete die Mutter von Gudrun Pausewang, „mein Mann und ich, einen Waldspaziergang. Es war ein sehr heißer Tag. Wir gerieten auf eine Lichtung, die so abseits von den Spazierwegen des Dorfes lag, daß wir glaubten, uns hier hüllenlos sonnen zu können. Wir zogen uns also aus. Plötzlich hörten wir Stimmen. Es erschien eine (...) Familie – Vater, Mutter und zwei Kinder – ihrerseits ahnungslos. Als sie uns erblickte, prallte sie zurück und erstarrte. Die schwergeschockte Familie tat so, als seien wir nicht vorhanden und versuchte, die kleine Lichtung so schnell wie möglich zu überqueren. Als die Kinder neugierige Blicke zu uns hinüberwarfen, wies die Mutter sie streng zurecht. ‚Schaut dort hinüber‘, zischte sie und zeigte in die entgegengesetzte Richtung. Der Familienvater schob sich vor sie, hielt den Kindern seinen Hut vors Gesicht und spornte die Herde zur Eile an.“31 Es waren derlei gesellschaftliche Tabus, die die Freikörperkultur zwangen, eine weiträumige Rechtfertigungsargumentation zu konstruieren, um ihre misstrauisch betrachteten Praktiken ins seriöse Licht zu rücken. So griffen auch die Protagonisten der Freikörperkultur auf die damals übliche rhetorische Figur von der, von vielen gefürchteten, fatalen gesellschaftlichen und körper­lichen Entfremdung zurück und verkoppelten sie argumentativ mit Nacktkultur: Nur körperliche Hygiene und ein naturnahes Leben 101

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durch ständiges Nacktsein, so hieß es in der Freikörperkultur, reformiere den menschlichen Körper. Dabei helfe die Nacktkultur, Verweichlichung und Sittenlosigkeit  – und damit den körper­ lichen und geistigen Verfall der Bevölkerung – zu bekämpfen, da, in Umkehr der konventionellen Argumentation der Zeit, gerade das Tragen von, den Körper verhüllender, Kleidung die Bevölkerung erogenisiere und damit für unzüchtige Gedanken und Sitten­ losigkeit verantwortlich sei, die als Auslöser für Prostitution und Geschlechtskrankheit, und somit für Unfruchtbarkeit oder „erbkranken“ Nachwuchs angesehen wurden; eine fatale Entwicklung, die – je nach Ideologie – in der Konsequenz entweder nur das deutsche Volk oder gleich die komplette Weltbevölkerung ausrotte.32 Die Praxis der gemischtgeschlechtlichen Freikörperkultur hingegen weise aufgrund der natürlichen Scham den Geschlechtsverkehr in seine Grenzen, stifte familiäre Harmonie, nivelliere – durch die, zumindest in der proletarischen FKK, durchgängig gebrauchte Anrede in der zweiten Person Singular („Wir sind nackt und nennen uns Du“33) und die den sozialen Stand verbergende Kleiderlosigkeit – angeblich jede soziale Unterscheidung und führe dadurch zur klassenlosen Volksgemeinschaft. Das oben aufgeführte KafkaZitat widerlegt jedoch derlei Vorstellungen, da offenbar nicht alle FKKler auch auf ihre sozialen Insignien verzichteten. Die der Freikörperkultur angeblich innewohnende Tendenz zur Enthaltsamkeit trage, so ihre Vorkämpfer, zu einer „natürlichen“ Askese bei und befördere somit Alkohol- und Tabakabstinenz, Vegetarismus und Naturschutz. Zudem fördere sie das Gefühl des Heiligen, da Nacktheit von der Natur bzw. von Gott gewollt sei; FKK sei damit ein Teil einer religiösen Handlung und Bestandteil einer Naturreligion bzw. selbst eine Naturreligion: Durch Freikörperkultur zum „Neuen Menschen“.34 Als gesellschaftlich unangreifbare Vorbilder für die Praxis der Nacktkultur verwies man auf die Geschichte; inklusive solcher historisch absurder, aber argumentativ funktionierender Pseudokontinuitäten, bürgerlicher Umdeutungen oder völkischer Rezeptionen angeblich nackt gewesener Vor- und Leitbilder wie Adam und 102

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Eva im Paradies, „edle“ Naturvölker, die antiken Griechen oder die angeblich naturnahen Germanen als direkte Vorfahren, in deren Tradition eines naturnahen Lebens die Freikörperkultur stünde. Aufgrund ihrer abweichenden ideologischen Vorstellungen zogen die verschiedenen FKK-Bünde aus diesen Grundtendenzen jedoch ganz unterschiedliche politische Schlüsse und entwarfen ganz verschiedene Utopien, die von rassistisch bis demokratisch reichen konnten. So war der „Neue Mensch“ des völkischen FKKFlügels der sogenannte reinrassige deutsche Arier. Seine „Heranzüchtung“ gelänge ausschließlich durch Nacktkultur, da nur so alle körperlichen, gesundheitlichen und „rassischen“ Fehler erkannt und die entsprechenden Personen ausgesondert werden könnten.35 Demgegenüber war der „Neue Mensch“ der linken FKK-Gruppierungen die aufgeklärte und selbstbestimmte Arbeiterfamilie. Hier wurden die soziale Ungleichheit und die Produktionsverhältnisse für das körperlich-geistige Elend der Arbeiterklasse verantwortlich gemacht.36 Durch koedukative Nackterziehung hingegen gelänge der Proletarier zu Gesundheit, zu selbstverantwortlicher Sexualität und zur Vermeidung jeder selbstschädigenden Handlung: „Es muss“, so schreibt die proletarische Nacktkultur 1929, „ein neuer Mensch entstehen, der körperlich und seelisch gesund (ist), die materiellen und ideellen Güter seiner Volksgemeinschaft sich zu eigen macht, (und) seinen Platz an der Sonne gegen jeden Ursupator erfolgreich verteidigt.“37 Die Ziele des undogmatischen und eher unpolitischen Zweigs der FKK hingegen blieben wolkig. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner der Visionen einer Zukunftsgesellschaft belief sich auf der Vorstellung eines völkerumspannenden kirchenkritischen FKKPazifismus, der Lebensreform und moderne Industriegesellschaft miteinander zu versöhnen beabsichtigte. „Wir wollen“, so die Protagonisten der undogmatischen FKK 1928, „den ganzen Menschen bejahen, ihn veredeln, sowie den Menschen in sich als Individuum wie auch als Allheit.“38 So solle der Mensch „bei höchster körperlicher Widerstandsfähigkeit und einem lebendigen Geist zugleich den Anforderungen unserer harten Zeit gewachsen“ sein, aber: 103

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„Dieser neue Mensch wird naturverbunden sein müssen, d. h. er wird seine Lebensweise den Gesetzen der Natur, dem kosmischen Rhythmus anpassen müssen.“39 Konkret: Dieser neue Freikörperkulturist solle durch sexuelle Zurückhaltung, Tabak- und Alkoholabstinenz, Vegetarismus, Körperstählung, Naturheilmedizin sowie ein Leben zwischen Grünflächen und Gärten den Anforderungen der westlichen unübersichtlichen Industriegesellschaft gewachsen sein. Die FKK organisierte sich in Bünden, Vereinen, Feriensiedlungen und Sportluftbädern; letztere waren eine Mischung aus Freiluftanlage, Fitnessstudio und Gesundheitsfarm. Hinzu kamen noch diejenigen Naturheilsanatorien, die auch für Gesunde und Sportbegeisterte gedacht waren, und die in ihren entsprechenden Abteilungen – zu denen nicht nur Räume für Gymnastik und Rehabilitation, sondern auch Sportluftbäder gehörten – eine Vielzahl von Angeboten parat hielten. Zumindest vor 1914 gingen diese Körperkulturabteilungen im Deutschen Reich, in Österreich und in der Schweiz in die Hunderte; genaue Zahlen sind nicht bekannt.40 Ihre Leiter, sportinteressierte Naturheilkundler, machten sich mit der Errichtung einer Freiluftanlage für Körperkultur nicht nur einen Namen als moderne Gesundheitsapostel, sondern hatten durchaus auch kommerzielle Interessen im Blick und sprachen gezielt die neuen modernen Bürgerlichen an: Auch hier war es nicht weit von der Berufung zum Beruf.41 Als eine der bekanntesten Anlage dieser Art galt das 300 000 Quadratmeter große, 1906 eingerichtete Sportgelände des Naturheilkundlers Eduard Bilz bei Dresden; für eine geringe Tagesgebühr konnte man Nacktgymnastik, Sonnenbaden und vielfältige Bewegungsangebote nutzen, die von Tennis über Schwimmen bis zu Turnanlagen reichten. Für die Jugendlichen war, wie es im Prospekt hieß, „ebenfalls in reichstem Maße durch viele Gerätschaften für Ausarbeitung und Belustigung gesorgt“.42 Auch das Sanatorium der Lebensreform- und Vegetarierkolonie Monte Verità besaß ab 1905 ein modernes Luftbad mit Tennisplätzen und 104

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Titelblatt von „Das Sportluftbad. Bade in Licht, Luft und Sonne“ (1905).

Turnanlagen und lockte mit „Gartenarbeit, Bergtouren und Allerlei Sport“. Die Geschäftsleitung warb in ihren Anzeigen um Besucher, die die „Heilung aller Krankheiten durch einfache natürliche Mittel“ suchten, um „körperlich u. geistig gleich leistungsfähig“ zu sein; bemerkenswerterweise war „die Fürsorge um die Automobile der Kurgäste“ gewährleistet.43 Und das Schweizer „LichtLuft-Heim“, das Sanatorium auf dem Waidberg bei Zürich, das ausdrücklich nur für Gesunde gedacht war  – „Keine Heilanstalt! 105

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Kranke werden nicht aufgenommen!“  –, verfügte ebenfalls über moderne Lichtluftanlagen: „Auf einer grossen Wiese, nur durch dichten Tannenwald von aussen abgeschlossen, tummeln sich nackte Männergestalten und Frauen in luftigen Hemden – sie jagen Bällen nach.“44 Zu diesen sportlich ausgerichteten Naturheilanlagen kamen noch zahlreiche Naturheilvereine hinzu, die ihren Geländen Sportanlagen angeschlossen hatten und in denen man nackt Sport treiben konnte. Eine Statistik von 1912 nennt 380 solcher Luftbad-Anlagen, die zumindest über Plätze für Sport- und Turnspiele verfügten.45 Daneben gab es noch die sogenannten Sportluftbäder, die eine rein städtische Angelegenheit waren. Sie wurden zumeist von Privatpersonen und manchmal auch von Vereinen geleitet; ihre Zahl ist ebenfalls völlig unbekannt. Sie boten auf der Basis von Tagesoder Jahreskarten mit Freiluftsport, Bodybuilding, Nacktgymnastik, Sauna, Massage, Yoga und Schwimmen für Männer, Frauen und Kinder eine Art „FKK-Light“ an; in vielen von ihnen wurden auch die damals beliebten „Muskelkonkurrenzen“ und „Körperschönheitswettbewerbe“ angeboten.46 Die bekannteste Einrichtung dieser Art dürfte das kommerzielle Berliner Lichtluftbad des „Vereins für Körperkultur“ gewesen sein, das 1901 am Kurfürstendamm gegründet wurde und 1905 auf ein 6000 Quadratmeter großes Gelände in Berlin-Eichkamp umzog; es besteht noch heute und wird nach wie vor auch genutzt. Seine Betreiber waren Vegetarier und Lebensreformer, die neben den Sport- und FKK-Praktiken noch Kurse und Vorträge anboten, in denen es um lebensreformerische und ernährungstechnische Themen ging. Zumindest dieses Bad war rege besucht, so kamen neben den 600 Mitgliedern des Vereins noch zahlreiche Nichtmitglieder hierher und lösten eine Tages- oder  Jahreskarte.47 Vor allem an Sonderterminen erfreute sich das Bad eines „ziemlich rege(n) Leben(s)“, wobei das Wetter keine Rolle spielte: Als 1910 der bekannte dänische Gymnastiklehrer J. P. Müller eine Sondervorstellung seines populären Gymnastiksystems gab, wollten dies knapp 700 Frauen und Männer trotz des nasskalten Novembertages keinesfalls verpassen.48 106

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Muskelwettbewerb des Vereins für Körperkultur mit dem Maler Fidus (2.v.l.) als Preisrichter (1919).

In der Weimarer Republik dagegen wurde die Freikörperkultur überwiegend in Vereinen betrieben. Ab den 1920er Jahren gab es Hunderte von FKK-Vereinen mit ganz unterschiedlichen Zielen, aber alle waren mehr oder weniger einer reformerischen Lebensweise mit FKK, Sport, gesunder Ernährung und Naturheilkunde verpflichtet. Neben zahlreichen Kursen und Vorträgen zu Gesundheits- und Lebensreformthemen, die in den Vereinen obligatorisch waren, betrieben die Vereinsmitglieder im Sommer vor allem Schwimmen und Wassersport, aber auch Leicht- und Schwerathletik, Ballspiele und Gymnastik. Von ihren Aktivitäten her waren sie damit normale Sportvereine, nur dass sie ihren Sport nackt durchführten. Tatsächlich verstanden die meisten Anhänger  – ganz im Gegensatz zu etlichen ihrer Protagonisten  – Freikörperkultur nicht als religiösen Dauerzustand, sondern eher als partiel107

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les Freizeitvergnügen. Trotz der unterschiedlichen ideologischen Ausrichtung der FKK-Bünde unterschied sich das Freizeit- und ­Leibesübungsangebot der Gruppen nicht wesentlich voneinander. Insgesamt bestimmten aber auch hier die räumlichen, finanziellen und personellen Möglichkeiten Umfang, Dauer und Inhalt der ­Aktivitäten. So zogen die finanziell besser ausgestatteten Bünde im Winter in Turnhallen und Hallenschwimmbäder, um mit Schwimmen, Gymnastik und Kraftsport die kalte  Jahreszeit zu überdauern; Höhensonnenabende für eine künstliche Hautbräune mit eingeschlossen. Die zahlreichen Fotos in den FKK-Blättern, die nackte braungebrannte Menschen selbstvergessen im Winter beim Skifahren zeigen, dürften im Wesentlichen der Ideologie und der Selbstdarstellung geschuldet sein.49 Die meisten dieser lokal agierenden Vereine schlossen sich in geographisch übergeordneten Verbänden mit unterschiedlicher ideologischer und politischer Ausrichtung zusammen. So gab es zwei völkische FKK-Verbände, in denen Juden ausgeschlossen waren und die für aktive Rassenzucht plädierten. Ihre Organisation als Verein bestand nur auf dem Papier, sie wurden überwiegend autokratisch geführt, und ihre antidemokratisch eingestellten Mitglieder hielten sich kulturell in sektiererischen Nischen auf; so lehnten sie z. B. die christliche  Jahreszählung ab und richteten sich nach selbstkonstruierten völkischen Zeiteinteilungen.50 Die Gesamtzahl der Gruppen beider Verbände stieg nie höher als etwa 100, die Zahl der Mitglieder dürfte 2000 nie überschritten haben.51 Demgegenüber stand der sozialistische Verband des „Bundes Freier Menschen“ um den FKKler Adolf Koch, der der SPD nahestand und volkserzieherische und sozialistische Ziele verfolgte;52 und es gab eine größere Gruppe, die „Liga für freie Lebensgestaltung“ (LffL), die eher liberal und unpolitisch eingestellt war.53 Fast jede dieser Gruppen und Bünde hatte eine eigene Zeitschrift, einige von ihnen waren Hochglanzmagazine und wurden an städtischen Kiosken verkauft, andere waren nur kleine interne Mitteilungs- und Annoncenblätter.

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Titelbild von Adolf Koch: Wir sind nackt und nennen uns Du! Bunte Bilder aus der Freikörperkulturbewegung (1932).

Insgesamt schätzten Zeitgenossen die Zahl der FKK-Vereinsmitglieder in den 1920er Jahren in den in Deutschland, Österreich und der Schweiz organisierten Gruppen auf ungefähr 100 000; dazu kamen noch Hunderttausende unorganisierte Nacktkulturler, die – trotz der Verbote und Einschränkungen – wild an Seen und Gewässern zelteten und badeten. Aber das sind nur zeitgenössische Schätzungen, die nicht auf konkreten Zahlen basieren. 1931 gründeten dann deutsche, schweizerische, französische und englische FKK-Verbände mit der „Europäischen Union für Freikörperkultur“ eine internationale Organisation.54 109

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Die exponierte organisierte Stellung der FKKler auf der einen Seite und die immer noch als anrüchig geltende Nacktheit auf der anderen Seite förderte die Kommerzialisierung der Freikörperkultur. Es gab nicht nur etliche Zeitschriften, Broschüren und Bücher zum Thema  – von sexueller und aufklärerischer über erzieherischer Aufmachung bis hin zur spöttischen Satire der politischen und kirchlichen Gegner und der Feuilletonisten55 –, sondern auch eine Anbindung an die moderne Freizeit- und Erholungskultur. So gab es etliche große FKK-Freizeitgelände, die von Vereinen und Privatleuten geführt wurden und die eine kommerzielle Mixtur aus „Wochenend und Sonnenschein“ anboten. Unter dem Motto „Ferien vom Ich“, das den Titel eines damals beliebten Romans aufgriff, konnten Frauen, Männer und Kinder auf den FKK-Geländen in kleinen Unterkünften wohnen, in eigenen Gasthäusern essen und mit Körperkultur insgesamt ihre Ferien verbringen. Aber daneben gab es immer auch eine kleine Zahl an autarken und abgeschlossenen Lebensreformsiedlungen, deren Mitglieder ebenfalls Freikörperkultur betrieben, weil es zum lebensreformerischen Leben dazugehörte. 56 Einerseits spotteten spitzzüngige Beobachter wie der Journalist Wilhelm Stapel gelegentlich über die „Lichtbekleideten“, die sonntags im Grunewald oder in der Lüneburger Heide „die irdische Dornen- und Distelwelt mit ihren kanalisierten Flußläufen, Stacheldrahtzäunen, Ausflugslokalen, Förstern, Bauern usw. auf geistige Weise in einen Garten Eden umfälschen“ – was Stapel hellsichtig als „Reflex der Großstadt“ bezeichnete: „die Nacktkultur führt zum Zeitschriften- und Photogeschäft“.57 Andererseits erkannte der damals populäre Schriftsteller Frank Thiess durchaus den hygienischen, gesundheitlichen und emanzipatorischen Fortschritt der Zeit, der auch der Freikörperkultur zu verdanken war: „Echte Beglückung durch die Natur bei entschiedenem Anspruch auf ­intelligente Unterhaltung war fast ein Generationenmerkmal. (...). Die meisten Frauen und Mädchen, unverbildet durch Schnurgürtel und Büstenhalter, (hatten) seit ihrer Kindheit geschwommen, gerudert, gesprungen, kurz irgendwie einen Sport getrieben.“ So 110

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seien „Tausende aus allen Gesellschaftskreisen“ nicht nur vereint, „um nackt zu sein“, sondern „um sich frei zu baden von den lastenden Bedingungen des Tages“.58 Eine weitere Form lebensreformerischer Körperkultur besonders der Zeit nach 1920 waren (Rhythmische) Gymnastik und Ausdruckstanz, deren Gruppen nicht in Vereinen, sondern in Schulen praktizierten, die von weiblichen und männlichen Schulgründern geleitet wurden. Zu den bedeutendsten Ausdruckstänzerinnen und -tänzern jener Zeit, die lebensreformerische Tendenzen besaßen, zählten etwa Mary Wigman, Isadora Duncan, Rudolf von Laban oder Suzanne Perrottet; neben vielen anderen Protagonisten schrieben auch sie einen Teil der Körpergeschichte des Monte Verità mit. Einige der Schulen für Rhythmische Gymnastik und Ausdruckstanz wurden bereits zwischen 1900 und 1914 gegründet – hierzu gehörten vor allem die bekannte Gymnastikschule von Émile Jaques-Dalcroze in Hellerau bei Dresden, die Schulen der

Reigentanz auf dem Monte Verità nach 1900.

111

Körperkultur

Deutschamerikanerin Bess Mensendieck  – das Synonym „mensendiecken“ für „Gymnastik treiben“ wurde bald zum geflügelten Wort –, die Schulen von Rudolf von Laban in München und auf dem Monte Verità und die Schule von Rudolf Bode in München. Aber mit mehr als 50 bis 100 Schulen mit höchstens 15 000 Absolventen dürfte vor dem Ersten Weltkrieg nicht gerechnet werden.59 Erst nach 1918 zog die Zahl der relativ teuren Privatschulen für Rhythmische Gymnastik und Ausdruckstanz, in denen man Laienkurse belegen oder sich zur Gymnastik- oder Tanz-Lehrkraft mit Privatdiplom ausbilden lassen konnte, stark an. Der Anstieg lag z. T. an der flächendeckenden Organisation der Schulen, die sich 1925 zum „Deutschen Gymnastik-Bund“ zusammenschlossen, um ihre verschiedenen Ausbildungen miteinander abzugleichen. Diese Strategie führte zur Institutionalisierung, zur Professionalisierung und zur Etablierung des Berufszweigs einer Gymnastikund Tanzlehrerin. 1927 schrieb die Gymnastiklehrerin Erna Klotz, in den letzten Jahren seien „Gymnastikschulen wie Pilze aus dem Boden geschossen“, und selbst der konservative gymnastikfeind­ liche Turnfunktionär Edmund Neuendorff gab 1936 rückblickend zu: „In jeder großen und kleinen Stadt saßen  (...) ausgebildete und diplomierte Lehrerinnen.“60 1930 vereinigte der Deutsche Gymnastik-Bund, der nur einen Teil der Branche vertrat, knapp 1200  ausgebildete Lehrkräfte, die mit ihren Gymnastikschulen, ihrer Tätigkeit in der Erwachsenenbildung und Sozialarbeit und in Turn- und Sportvereinen schätzungsweise bis zu 400 000 Menschen gymnastisch unterrichteten, ausbildeten und prägten.61 Nicht mitgerechnet waren hier die vielen Ausdruckstanzschulen von Rudolf von Laban, Mary Wigman oder anderen Größen der Szene sowie die zahlreichen Kurse für Rhythmische Gymnastik, die in der Weimarer Republik jeden Morgen im Radio liefen und nach denen Hunderttausende am Lautsprecher eifrig übten. Während die Enthusiasten der Bewegung den Siegeszug der Gymnastik, die „inzwischen Mode geworden“ war, begeistert feierten, verspotteten etliche Journalisten den „rüttmischen Fümmel“ als großstädtischen Modetrend junger Frauen, der sich als 112

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„Runde Beuge“ in Ausdrucksform.

Zeitgeist von der eigentlichen lebensreformerischen Absicht entfernt habe: „‚Hulda geht mensendiecken‘, heißt ein Schwank, an dem das bodenständige Hamburger Volk auf der Reeperbahn in diesen Tagen seine Feierabends-Höge hat“, höhnte der Journalist Wilhelm Stapel 1926 über Frauen „mit rhythmischer Gymnastik und Bubikopf“.62 Bei Rhythmischer Gymnastik und Ausdruckstanz ging es – vereinfacht gesagt – ursprünglich darum, mit dem Körper bzw. mit der Bewegung des Körpers seelische Zustände oder innere Befindlichkeiten auszudrücken oder sie erst einmal ans Tageslicht zu holen und sich bewusst zu machen. Dazu musste man zunächst jede Art von körperlichem und seelischem Drill ablegen, den der Mensch über die moderne Zivilisation automatisch verinnerlicht habe, und erst wieder lernen, den inneren ursprünglichen Gefühlszuständen nachzugeben und damit „Identität“ zu erfahren. Ganz im lebensreformerischen Sinne waren die Protagonisten auch hier 113

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auf der Suche nach dem „natürlichen“ Körper und seinen „natürlichen“ Äußerungen und Bewegungen; über diesen Zusammenhang rückte auch die „Ganzheitlichkeit“ von Körper, Geist und Seele, die in der modernen Zeit angeblich verloren sei, aber die die Menschen in früheren Zeiten noch gehabt hätten, wieder in den Mittelpunkt des Interesses.63 Als theoretischen Überbau für die Körperübungen wurden neben entsprechenden Äußerungen von Nietzsche und Wagner die deutsche Natur- und Lebensphilosophie mit ihren damals aktuellen Vertretern wie Carl Gustav Carus, Melchior Palagyi, Hans Driesch und Ludwig Klages herangezogen; vor allem der einflussreiche Gymnastiker Rudolf Bode kam immer wieder auf Ludwig Klages – auch im völkischen Zusammenhang – zurück. Diese Auffassungen von ganzheitlichen rhythmischen Körperpraktiken, vom Ursprung von Gefühlen und der Suche nach „ganzheitlicher“ Identität führten später zu den heute beliebten Tanz-, Atem- und Körpertherapien, deren frühe und mittlerweile berühmte Vertreterinnen wie etwa Ilse Middendorf oder Gerda Alexander tatsächlich auch Ausbildungen in den damaligen lebensreformerischen Ausdruckstanz- und Gymnastikschulen absolviert hatten und diese an ihre Nachfolgerinnen weitergaben.64 Dazu trat noch der von der Lebensreform angenommene Zusammenhang zwischen Natur und Gesundheit: Da nur ein natürlicher Körper auch gesund sei, könnten die Praktiken des Ausdruckstanzes und der Gymnastik der Gesundung des Körpers und damit auch der Seele helfen. Zumindest sportwissenschaftlich ist das erwiesen: die Halte-, Sprung- und Dehnübungen in der Rhythmischen Gymnastik und im Ausdruckstanz tragen durchaus zur Stärkung, Flexibilität und Muskulosität des Körpers bei und haben damit auch einen deutlich gesundheitlichen Wert.65 Das wurde zum Teil auch praktisch umgesetzt. Es gab etliche Lehrerinnen für Gymnastik und Ausdruckstanz in der Weimarer Republik, die in Fürsorgeeinrichtungen, in Kindergärten oder im Gefängnis gearbeitet haben, und etliche waren „körperseelsorgerisch“ im sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitermilieu tätig; in den ländlichen und 114

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alternativ ausgerichteten modernen Bildungsstätten von heute haben sich derlei Kontinuitäten erhalten.66 Dabei bildete der Begriff des „Rhythmus“ die Metapher und den Rahmen jeglicher Theorie und Praxis; im Gegensatz zum bewussten Takt der industriellen Zivilisation wurde der Rhythmus als unbewusst-organisches Prinzip einer ursprünglichen Natur aufgefasst, das makrokosmisch als Weltganzzeit – bei den völkischen Rhythmikern wechselweise das (deutsche) Volk oder die (deutsche) Nation  – und mikrokosmisch als schwingender Körper existiere: „Am Anfang war der Rhythmus“, wie der Reformer Max Tepp etwas blasphemisch meinte. Der Rhythmiker Fritz Winther behauptete 1922, dass der Mensch im Rhythmus der Natur schwinge und „eins mit ihr“ sei, ein „großer Rhythmus, der „das Urrhythmische (...) gleichsam einschlingt“, und der Reformpädagoge Fritz Klatt glaubte 1926, die „rhythmischen Schwingungen“ des Körpers stellten „Abwandlungen des allgemeingültigen Lebensgesetzes“ dar. Und wenn die Gymnastikerinnen Schlaffhorst und Anderson klagten, dass „Teile des Volksganzen aus dem rhythmischen Gleise gekommen sind“, meinten auch sie den Verlust von Identität und Authentizität in der Zivilisationsgesellschaft, die, wie Winther glaubte, der angeblich in Einheit mit der Natur lebende Bauer noch habe: „verbunden in sich und (der) Umwelt, in Raum und Zeit, in Tages- und Jahresarbeit und Ruhe: Anspannen, Abspannen wie der Wechsel von Sommer und Winter, Tag und Nacht“. Dabei wurde geflissentlich übersehen, dass nicht nur die Realität der Landwirtschaft schon um 1900 anders aussah, sondern dass auch der Beruf des Rhythmischen Gymnastik­ lehrers und Ausdruckstänzers eine moderne Angelegenheit mit überwiegend städtisch-bürgerlicher Klientel war – abgesehen von wenigen konsequent-unerschrockenen Ausnahmen wie den Schulen von Loheland, Schwarzerden oder Schlaffhorst/Andersen, die allen Widrigkeiten zum Trotz tatsächlich lebensreformerisch und selbstversorgend auf dem Land installiert waren.67 Die Umsetzung des Naturrhythmus als authentisches Lebens­ prinzip in der Rhythmischen Gymnastik und zum Teil auch im 115

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Ausdruckstanz führe, so die Meinung der Protagonisten, bei konsequenter Anwendung zur körperlichen und geistigen Gesundung und damit zur Identität. Je nach politischer und ideologischer Ausrichtung der Rhythmiker war mit „Identität“ zwar die persönliche Entwicklung des Individuums gemeint – allerdings unter Zementierung der traditionellen Geschlechterrollen  –, wurde aber zum Teil auch als kollektive Identität gedacht; unter diesen Umständen selbstverständlich mit einer der zentralen Figuren der Gymnastik als künftiger „Führer“. Zumindest die völkischen Gymnastiker brachten das rhythmische Leben nicht nur mit einer lebensreformerischen antizivilisatorischen zyklischen „Gemeinschaft“  – im Gegensatz zur technisierten Industriegesellschaft – zur Deckung, sondern auch mit dem angeblich ursprünglich der Natur verhafteten deutschen „Volk“ im Gegensatz zur „Bevölkerung“ angeblich überzeugter Industrienationen wie etwa England oder Nordamerika; Ansichten, die während des Ersten Weltkrieges und in den Krisenperioden in der Weimarer Republik  – ganz zu schweigen von der Zeit nach 1933 – stark radikalisiert wurden. So verglich Rudolf Bode die „Arhythmie“ der lediglich auf „Willensfähigkeit“ ausgerichteten Engländer mit den „wesentlichen Seiten des Deutschen  (...), seinem seelischen Rhythmus“, und die Atemgymnastikerinnen Schlaffhorst und Andersen warnten vor der Entfremdung des deutschen Kindes vom ihm „eigentümlichen Rhythmus“, wenn es „fremde, oft sogar bluts- und volksfremde Bewegungsformen“ annehme: „Wo die deutsche Volksseele ganz unbefangen auftritt, strebt sie mehr nach Rhythmus als nach Symmetrie“, zitierte Rudolf Bode aus der „völkischen Bibel“ seines Vordenkers Julius Langbehn, „Rembrandt als Erzieher“.68 Wenn auch etliche dieser Naturkonstruktionen lediglich der Rhetorik geschuldet waren und die Mehrzahl der Protagonisten ein städtisches modernes Leben einem entbehrungsreichen lebensreformerischen Dasein auf dem Land vorzogen, gab es doch immer wieder Vordenker und Anhänger, die ihre Utopien zumindest zeitweise in die Praxis umzusetzen versuchten, wenn auch mit wechselndem Erfolg und unterschiedlicher Konsequenz. An 116

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dieser Stelle verschränkten sich die Praktiken der Rhythmischen Gymnastik mit lebensreformerischen Siedlungsbestrebungen, auf die weiter unten noch einzugehen sein wird. Zwar war die 1910 gegründete Gymnastikschule von Émile Jaques-Dalcroze in der berühmten Gartenstadt Hellerau bei Dresden sicherlich die größte und bekannteste jener ländlichen Schulen  – und Hellerau als Reformsiedlung wird in der Fachliteratur auch ausgiebig gewürdigt69  –, aber die anderen Schulen standen Hellerau hinsichtlich ihrer Innovationskraft in nichts nach. So gründete der bekannte Tänzer Rudolf von Laban, der zuvor einen längeren Aufenthalt im Dresdner Naturheilsanatorium „Weißer Hirsch“ von Heinrich Lahmann genossen hatte, 1911 auf dem Monte Verità mit den Tänzerinnen Mary Wigman, Maja Lederer und Suzanne Perrottet sowie mit dem Münchner Schriftsteller Hans Brandenburg seine „Tanzfarm“. Später stießen, den Kreis bekannter Tänzerinnen noch erweiternd, Katja Wulff, Berthe Trümpy und Sophie Täuber hinzu, auch Isadora Duncan stattete dem Berg, allerdings aus anderen Gründen, einen Besuch ab. Auf der Tanzfarm arbeiteten sie in bester lebensreformerischer Manier im Garten, buken Brot, nähten Reformkleidung und lebten von Rohkost; wobei es Hinweise darauf gibt, dass Laban mit diesen Aktivitäten lediglich den MonteVerità-Begründer Henri Oedenkoven für sich einnehmen wollte.70 Weitere spektakuläre Gymnastiksiedlungen waren die 1912 erfolgte anthroposophische Gründung Loheland, die sich in der hessischen Rhön nahe der Stadt Fulda zunächst als „Seminar für klassische Gymnastik“ etablierte, sowie die 1919 erfolgte Gründung der Gymnastiksiedlung Schwarze Erde bzw. Schwarzerden – ebenfalls in der Rhön bzw. auf der Wasserkuppe. Beide „Amazonenstaaten“ waren von Frauen gegründet, nahmen nur Frauen als Bewohnerinnen auf und bildeten ausschließlich Gymnastiklehrerinnen aus, beide lebten zunächst selbstversorgend und autonom, beide hingen fernöstlichen bzw. anthroposophischen Weltbildern an, und beide existieren immer noch als eine Art gehobene und thematisch breitgefächerte ländliche Volkshochschule bzw. Weiterbildungsstätte; Loheland weiterhin auf anthroposophischer Basis.71 117

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Eine andere bemerkenswerte Gründung bildete die ebenfalls als staatlich anerkannte Privatschule noch existierende Atemschulsiedlung von Clara Schlaffhorst und Hedwig Andersen – ursprünglich 1910 in Berlin gegründet und nach etlichen Umzügen heute im niedersächsischen Bad Nenndorf gelegen –, aus der später so bekannte Körper- und Atemtherapeutinnen wie Ilse Middendorf, Gerda Alexander und Marianne Fuchs hervorgegangen sind. Besonders eigentümlich an ihr war die konsequente Umsetzung der Rhythmusideologie, die das gesamte Siedlungsleben beherrschte und die in ihrer auffälligen – andere würden sagen: fanatischen – Durchdringung als eine Art rigide Triebregulierung sicher nicht jedermanns Sache war. Reizstoffe wie Kaffee, Tee und Schokolade waren verboten, vegetarische Kost überwog, Beckenbewegungen waren aufgrund der angeblichen sexuellen Stimulanz verpönt, die körperliche Arbeit war rhythmischen Strukturen untergeordnet (bis hin zum Laubfegen im Park), selbst die Nahrungsaufnahme war im Rahmen eines gemeinsamen „natürlichen“ Essrhythmus vorgegeben: „Heben der Gabel mit dem Einatmungsrhythmus, während des Kauens ruht die Gabel auf dem Teller, nach dem Herunterschlucken wird ausgeatmet“.72 Die Gründerinnen all dieser Schulen kannten sich über ihre Ausbildungen und hatten ähnliche Präferenzen; unnötig hinzuzufügen, dass alle Gymnastiksiedlungen lange Zeit regen Kontakt untereinander pflegten. Neben FKK, Gymnastik und Tanz war es – nicht nur innerhalb der Lebensreform, sondern generell im bürgerlichen Milieu – ab Beginn des 20. Jahrhunderts außerdem zunehmend modisch geworden, fernöstliche bzw. als fernöstlich wahrgenommene Körperübungen zu betreiben. Dazu gehören neben Yoga vor allem verschiedene Methoden der Atemgymnastik, der Autosuggestion, der Meditation und diverse Spannungs- und Entspannungsübungen; der Bezug der Lebensreform sowie der Körperkultur – z. B. über die Atem- und Körpertherapie – zu fernöstlichem Gedankengut klang oben schon verschiedentlich an.73 Wenn die geistreiche Bemerkung einer Zeitgenossin im Jahre 1933, Yoga sei „ein Wort, von dem wir, so ähnlich etwa wie vom Worte Blutdruck, heute 118

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etwas besessen scheinen“, ihren ironischen Unterton nicht ganz verbergen konnte, so war dieses Bonmot doch äußerst zutreffend. Denn schon 1913 hatte sich der Philosoph Hermann Graf Keyserling darüber gewundert, warum die „Yoga-Praxis nicht schon längst in den Plan jeder Erziehungsanstalt aufgenommen worden“ sei, da sich Yoga „unter den Wegen zur Selbstvervollkommnung des obersten Ranges gewiß“ sein könne.74 Die Technik des Yoga gelangte mit dem zunehmenden Interesse der bürgerlichen Welt an Buddhismus und Hinduismus ab dem späten 19.  Jahrhundert allmählich in die europäische Kultur. Das Interesse an fernöstlichen Religionen war eine Reaktion auf die gestiegene Bedeutung wissenschaftlich geprägter Weltsichten und dem damit verbundenen Zweifel an den bislang gültigen christlichen Welterklärungen. Die naturwissenschaftlich geführte Debatte um die Evolutionsforschung, deren Erkenntnisse der bis dahin gültigen Erdgeschichte der Bibel widersprachen, brachte in der Folge den christlichen Glauben ins Wanken und hatte ein allmähliches Schwinden der gesellschaftlich und spirituell normgebenden Kraft der Kirchen zur Folge; eine Entwicklung, die unter dem Begriff der „transzendentalen Obdachlosigkeit“ zusammengefasst wurde.75 Vor allem in intellektuellen Kreisen wurde bald nach alternativen Welterklärungssystemen gesucht, die die beiden „Gegner“ Glauben und Wissenschaft besser miteinander in Einklang bringen konnten als die christlichen Kirchen. Bevorzugt wurden Systeme, die einen spirituell gesicherten Raum versprachen, eine wissenschaftliche Erklärung dafür anboten und eine daran angepasste Lebensweise propagierten, in deren Mittelpunkt die individuelle Sorge um sich selbst, seinen Körper und seine Gesundheit im Einklang mit der Natur stand. Sie verkoppelten damit eine transzendente Sinnstiftung mit einer praktischen, modernen, individuellen Lebensführung.76 In der Weimarer Republik sollte diese Sinnsuche alle Lebensbereiche betreffen und über zahlreiche populäre selbsternannte „Heilande“ und „barfüßige Propheten“ – darunter Lebensreformer wie Gustav Graeser, Gustav Nagel oder Ludwig 119

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Haeusser  – schließlich tief in das politische und soziale Leben der Bevölkerung eingreifen.77 Zu den frühen Sinnstiftungssystemen gehörten Theosophie, Anthroposophie und Buddhismus, europäische vorchristliche ­sogenannte „Urreligionen“ bzw. deren selbstgebastelte Surrogate sowie ein im reformerischen Sinne umgestaltetes kirchenkritisches Christentum.78 Dabei glaubte man in den Lehren und Ansichten indischer Philosophen sowie des Buddhismus gedankliche Parallelen zu lebensreformerischen Anschauungen zu entdecken: Zivilisations- und Religionskritik und ein „wissenschaftliches“ Weltbild, da Buddhismus aufgrund seiner negativen Jenseitsvorstellung und des Fehlens einer übergeordneten Gottheit unter etlichen Intellektuellen nicht als Religion galt, sowie Pazifismus, Naturschutz und Vegetarismus aufgrund des vom Gedanken der Reinkarnation beeinflussten Tötungsverbotes jeglicher Lebewesen. Der Buddhismus galt als „Religion der Vernunft“ und damit als politisch und wissenschaftlich begründbar.79 Auch die von indischen Lehren beeinflusste Theosophie, die über den wissenschaftlichen Nachweis eines transzendenten Raumes eine neue religionsartige Philosophie zu erstellen beabsichtigte, verschmolz fernöstliche Reinkarnationsvorstellungen, Lebensreform, westliche Naturwissenschaft sowie moderne Philosophie miteinander.80 Aus diesen Lehrgebäuden, zu denen noch die Anthroposophie Steiners als Ableger der Theosophie hinzutrat – und die etwa in der Frauengymnastiksiedlung Loheland einen prominenten lebensreformerischen Vertreter besaß  –, entwickelten nicht nur Vertreter der Lebensreform alternativreligiöse Tendenzen sowie ganz konkret auch religiöse Ableger mit eigenständig handelnden Gruppen und genuinen Körperregeln.81 Yoga selbst war Bestandteil der rezipierten hinduistischen und buddhistischen Praktiken und galt nicht nur als körperlicher Weg zur Erlösung – und zwar einer westlich aufgefassten Form von „Reinkarnation“ im Rahmen einer individuellen, z. T. aber auch bevölkerungspolitischen „Höherveredelung“ –, sondern besaß bzw. besitzt über seine Atem- und Dehnübungen gesundheitliche Aspekte 120

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und verfügt(e) mit seinen Meditationspraktiken auch noch über innerweltliche Bezüge, die in der Lebensreform gern aufgegriffen wurden, da hier eine effektive praktikable Möglichkeit zur vielzitierten Einheit von Körper, Geist und Seele vermutet wurde. Die Vermittlung von Yogapraktiken und verwandten Übungen lief – neben frühen deutschen Übersetzungen entsprechender Quellentexte – anfangs zunächst über öffentliche Vorträge und Auftritte indischer Gurus in Amerika und Europa.82 Die für die Europäer ungewohnten Atemtechniken und Körperstellungen führten im Selbstversuch offenbar bald zu „unerhörten ascetischen Ausschreitungen“; als Kronzeuge mag der Schriftsteller Gustav Meyrink dienen, der, nachdem er monatelang vegetarisch gelebt und jeden Tag acht Stunden lang Yoga praktiziert hatte, 1907 notierte, Yoga sei „der Pfad zum wahren Übermenschentum“.83 Zwar waren Privatschulen für Yoga in den 1920er Jahren eine ausgesprochene Seltenheit, aber yogaähnliche Übungen wie Autosuggestion, Dehnübungen, Stimmübungen und Atemübungen wurden – wie oben gezeigt – im großen Umfang in den Gymnastik- und Ausdruckstanzgruppen praktiziert und flossen so in die lebensreformerischen Praktiken der Übenden mit ein.84 Daneben erfreuten sich Yogaanleitungsbücher für den Hausgebrauch einer zunehmenden Beliebtheit; diese Bücher, deren Übungsangebot mit dem ursprünglichen Yoga oft nur wenig zu tun hatte  – bezeichnende Titel wie „Raja-Yoga als Lebenskunst und Lebenswissenschaft“ oder „Wie erhält man körperliche und geistige Kraft bis ins hohe Alter“ weisen auf die westliche Rezeption des Yoga zwischen Selbsterfahrung und Selbstoptimierung hin  – wurden besonders ab den 1920er  Jahren in Massen produziert; die Verkaufszahlen erreichten pro Buch mitunter fünfstellige Bereiche.85 Es gab innerhalb der Lebensreform jedoch immer wieder Gruppen, bei denen die Übungen Bestandteil religiöser Zeremonien waren und dazu dienten, gemeinsame spirituelle Erlebnisse hervorzurufen. Zu diesen Gruppen gehören etwa die lebensreformerischen Gemeinden von Mazdaznan und Neugeist; zwei internationale Vereinigungen, die ihre spirituellen Praktiken aus 121

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Titelblatt von Willy Adelmann-Huttula: Jeder Deutsche ein Yoga-­ Praktiker (1922). 122

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fernöstlichen bzw. vermeintlich fernöstlichen Religionen extrahiert hatten und sie mit theosophischem und darwinistischem Gedankengut verbanden. Danach solle – sehr verkürzt gesagt – die weiße Rasse über Atemübungen, lebensreformerische Diät, Geschlechtshygiene und „Rassenzucht“ zur Höherveredelung, d. h. zur Wiedergeburt, gelangen, wobei dem Körper als vollkommenes Erzeugnis der Evolution eine gesteigerte Aufmerksamkeit zukommen müsse. Beide Vereinigungen  – Mazdaznan ab der Zeit kurz nach 1900, Neugeist ab den 1920er Jahren – waren lokal in Ortsgruppen organisiert und wurden national von jeweiligen Führern gesteuert. In der Schweiz lagen die ersten Ortsgruppen bezeichnenderweise auf dem Monte Verità; zu den prominenteren Anhängern zählte z. B. die Züricher Ausdruckstänzerin Suzanne Perrottet.86 Zu den Mazdaznan-Anhängern unter den deutschen Lebensreformern gehörten die Naturheilkundler Adolf Just und Karl Strünckmann, die Gymnastikerinnen und Ausdruckstänzerinnen Hade Kallmeyer, Ilse Middendorf, Dora Menzler und Else Gindler, der populäre Lebensreform-Maler Fidus, der umtriebige Reformpädagoge Fritz Klatt oder auch der Bauhaus-Lehrer Johannes Itten.87 Die Körperkultur der Lebensreform funktionierte nicht nach den herkömmlichen Kategorien der Turn- und Sportbewegung; der Körper selbst stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Mit seinen ästhetischen, gesundheitlichen und physischen Funktionen wurde der Körper in einen Bereich eingepasst, der sich um die Begriffe Ganzheitlichkeit, Individualität und Identität rankte, aber auch über Aspekte einer Selbstoptimierung verfügte. Dennoch, oder vielleicht auch gerade deshalb, konnten einstmals lebensreformerische Körperauffassungen in der Gesellschaft relativ reibungslos rezipiert werden.88

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iedlung, Landkommune, Kolonie. Die unabhängige, selbstversorgende ländliche Ansiedlung gleichgesinnter Lebensreformer war das Zentralprojekt, die wichtigste Idee, die eigentliche Utopie und die grundlegende Sehnsucht in der Lebensreformbewegung: das Endresultat des vielzitierten Dritten Wegs der Selbstreform zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Während Vegetarismus, Naturheilkunde oder Körperkultur für sich genommen lediglich Bausteine der Lebensreform waren, bildete die Siedlungsgemeinschaft das Haus, das aus diesen Bausteinen gefertigt werden sollte. Nur der lebensreformerische Siedler war so autark, dass er auf ideale Weise vegetarisch leben, Körperkultur betreiben und Naturheilkunde praktizieren konnte. In der Siedlungsgemeinschaft erfüllte sich das reformerische Leben schlechthin, die Kommune vereinigte alle Wünsche, Sehnsüchte und Praktiken der Lebensreform in sich und war die logische Konsequenz, die sich aus der radikalen Kritik an der industrialisierten Gesellschaft ergeben konnte.1 Der schon erwähnte Lebensreformer Gustav Adolf Küppers, der von 1915 bis zu seinem Tod 1978 auf seiner eigenen selbstversorgenden Siedlung in der Lüneburger Heide lebte, formulierte 1925 das lebensreformerische Ziel wie folgt: „Eine Sehnsucht liegt (der Siedlung) ausgesprochen oder unausgesprochen zugrunde  (...). Das ist die Sehnsucht nach dem synthetischen, im Gegensatz zum mechanisierten, nach dem harmonischen, im Gegensatz zum chaotischen (Leben). Die Siedlung ist die umfassende Gesundungsbewegung unserer Tage. Alle Teilreformbestrebungen gehen ideenmäßig in ihr auf. Die Sied124

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lung ist der Weg zum gesunden, starken Menschen der Zukunft, zu einer gänzlich neuartigen, organischen Lebensauffassung und schließt so alle Fragen der Zeit in sich.“2 Aber genau hier trennten sich Theorie und Praxis: Die überwiegende Zahl der Anhänger eines lebensreformerischen Denkens übernahm zwar Elemente alternativer Handlungsweisen – vegetarische Kost, Naturheilmedizin, Körperkultur – und integrierte sie in ihre überwiegend städtische Lebensumgebung, aber sie gingen den entscheidenden letzten und konsequenten Schritt nicht mit, ihren städtisch-bürgerlichen Bezug aufzugeben und den dritten Weg der Selbstreform – das ländliche autarke Siedeln – zu betreten;3 eine Entscheidung, die extrem unkonventionell war, persönliche Selbstüberwindung kostete und das eigene Leben und das der Familie radikal verändern konnte: „Nicht jeder kann und wird das Beste für seine Kinder in der Siedlung sehen. Zumal Eltern nicht, die durch Stellung und Beruf an die Stadt gebunden sind. Wer zu fest wurzelt in der Stadt, wird sich schwer losreißen können, auch wenig taugen für die Siedlung. Aber es gibt auch Freie, die sich losgelöst haben oder lösen möchten von den Fesseln und Ketten der Zivilisation, solche, die jung sind und sich sehnen: die in der Großstadt Heimatlosen!“, notierte 1926 eine siedlungswillige Lebensreformerin mit der typisch pathetischen Rhetorik der Bewegung.4 Die lebensreformerischen Siedlungsbestrebungen bewegten sich von Anfang an im Kontext des zeitgenössischen deutschen Antiurbanismus, der eine sowohl romantisierende als auch praktische Reaktion auf die Industrialisierung und – infolge der anhaltenden Landflucht – auf die problematische bauliche und hygienische Entwicklung der schnell wachsenden Großstädte war. Aus der breit geforderten „Entflechtung“ der Großstädte erwuchs eine heterogene Front aus Vereinen, Verwaltungen und Genossenschaften und aus Architekten, Stadtplanern und Bodenreformern mit ganz unterschiedlichen Motiven, Plänen und ­Projekten. In der Folge entstanden privat entworfene Gartenstädte und staatlich finanzierte Vorortsiedlungen, genossenschaftliche Wohnungsbauten und gemeinnützige Vereinsschrebergärten;5 alles in den Ballungs125

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zentren der Großstädte. Das 1919 erlassene Reichssiedlungsgesetz erleichterte dazu noch die Schaffung neuer Siedlungsstellen auf dem Land, und das 1923 in Kraft getretene Flüchtlingssiedlungsgesetz schuf weitere ländliche Stellen für die Wiederansiedlung von Flüchtlingen. Siedlerberatungsstellen, Rentenbanken und Genossenschaftseinrichtungen unterstützten die Initiativen. Dazu kam eine „agrarsozialistische“ Bodenreformbewegung, die die Enteignung von Großgrundbesitzern, eine grundsätzliche Neuverteilung des Bodens und die Einführung alternativer Wirtschaftsweisen und antikapitalistischer Währungssysteme forderte; bevorzugt wurde die Freiland-Freigeld-Theorie von Silvio Gesell, der den Zins komplett abschaffen und den Wert des Geldes an eine kurze Umlaufdauer gebunden sehen wollte (Schwundgeld). In diesem Milieu gedieh ab dem späten 19. Jahrhundert auch die Siedlungsidee der Lebensreform.6 Eine 1933 von dem lebensreformerischen Siedler Gustav Adolf Küppers als Dissertation erstellte – allerdings bemerkenswert unsystematische  – „Gesamtdarstellung des deutschen Siedlungswesens in allen Formen und Spielarten“ lässt die ungeheure Vielzahl der damals gängigen Siedlungsarten und ihrer Nebenprojekte zumindest erahnen. Küppers gibt als Typen u. a. an: Gärtnersiedlung, Bauernsiedlung, Gartenheimstätte, Erwerbslosensiedlung, Genossenschaftssiedlung, Sanatoriensiedlung, Vorortsiedlung, Gartenstadtsiedlung, Wochenendsiedlung, Laubenkolonie, Waldkolonie, Erholungssiedlung, ländliche Pflegestätte, Schulsiedlung, Landschulheim, Künstlerkolonie und Kleingartensiedlung. Die Gründungen der Lebensreform im engeren Sinne fasste Küppers unter dem Oberbegriff der „Kulturellen Siedlungen“ zusammen und wies ihnen – ebenfalls unsystematische bzw. spontan anmutende  – Stichworte wie Lebenspflegestätten, Familienpflegestätten, Naturreligiöse Siedlungsformen, Kulturmittelpunkte, Schulsiedlungen, Sportgelände oder Künstlerkolonien (gedacht war an den Monte Verità, aber auch an Vogelers Barkenhoff) zu. Schon die Zeitgenossen also gerieten in große Schwierigkeiten, die gängigen Siedlungstypen (der Lebensreform) zu klassifizieren.7 126

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In der Forschung werden die unterschiedlichen Siedlungsbestrebungen der Lebensreform zunächst nach einem groben zeitlichen und inhaltlichen Schema unterschieden. Wenn Ulrich Linse das gesamte Spektrum deutscher Siedlungsbestrebungen seit der Frühneuzeit in den Bick nimmt, und die Zeit, in der auch lebensreformerische Gründungen auftauchen, als sozialreformerische Periode kennzeichnet, so unterteilt er die Reformsiedlungen jener Periode zeitlich noch in eine lebensreformerische (um 1900 bis 1914/18), eine freideutsch-bündische (1918–1923) und eine bündisch-jugendbewegte Phase (1923–1933). Dabei wird erstens der Bezug der Lebensreform zur Jugendbewegung, aber auch zu völkischen Siedlungen sichtbar, zweitens jedoch auch auf das übereinstimmende Gesamtkonzept der Siedlung aufmerksam gemacht, die „Ausdruck der Großstadtkritik und Großstadtflucht (war), sie verkörperte die Sehnsucht nach dem Lande und ein Streben ‚zurück zum Boden‘“.8 Der Historiker Wolfgang Krabbe identifizierte 1974 vier Grundmotive, die die „Siedlungs- und Kommunebewegung“ auszeichnen: „1) „Ablehnung des herrschenden sozio-ökonomischen Systems, insbesondere des Privateigentums an Grund und Boden, und des kapitalistischen Profitstrebens, dem man eine mehr oder minder durchgeführte Gütergemeinschaft entgegensetzte. 2) Streben nach einem utopischen Zustand der ‚Natürlichkeit, Wahrhaftigkeit und Echtheit‘, der (...) der Gesellschaft als ein revolutionierendes Anschauungsmodell dienen sollte. 3) Begründung von Lebensgemeinschaften, d. h.: Das Ziel der Siedlungen lag in erster Linie in der Gemeinschaft selbst, sie waren also Selbstzweck. 4) Streben nach einem naturverbundenen Leben, Flucht aus der Großstadtzivilisation und der Gemeinschaftsfremdheit.“9 So schrieb Ida Hofmann, die Mitbegründerin des Monte Verità, 1906: „Um jedoch der Jugend ein Beispiel zu geben, müssen wir bei uns selbst beginnen (...). An die Natur müssen wir uns halten, uns in den Schutz ihrer alles frei gewährenden Gesetze stellen, durch sie gesunden, von ihr lernen, die jedem Lebewesen freie Entwicklung lässt.“ 1926 notierte Gustav Adolf Küppers: „Wir kehren zur Scholle und damit zu den Urbeziehungen und Urbedingungen 127

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des Daseins zurück. Wir wollen unser Leben nicht fürderhin auf Raub stellen, wir haben die Unsittlichkeit ausbeuterisch kolonialer oder industrieller Tätigkeit erkannt.“ Und Marie Buchholz, die Mitbegründerin der Frauensiedlung Schwarzerden, formulierte im selben Jahr: „Die Jugend versucht sich in der Verwirklichung von Werk- und Lebensgemeinschaften. Sie will anders wirtschaften als die alte Generation, sie will Gemeinwirtschaft, sie will ein auf diese Gemeinwirtschaft aufgebautes Gemeinschaftsleben.“10 Schon 1922 resümierte sie: „Siedler sein  (...) heißt: eine neue, ­edlere, gerechtere Form der Wirtschaft als Grundlage des Lebens wollen (...). Es gehört eben Mut dazu, aus sich selbst den Kapitalismus auszutreiben (...). Hier liegen die Berührungspunkte zwischen Wirtschaft und Moral.“11 Zwar verfolgten nicht nur Hofmann, Küppers und Buchholz auf ihrem individuellen Weg zur lebensreformerischen Siedlung verschiedene Entwürfe und unterschiedliche Praktiken. Allen gemeinsam aber ist der Versuch, existentielle, genossenschaftliche und ideelle Werte zu einem übereinstimmenden Entwurf zu verbinden; ein Entwurf, der Leben und Arbeit bzw. Wohnen und Wirtschaften auf ideale Weise miteinander kombinierte, wenn dies in der Praxis auch vielfach an der harten Realität scheitert sollte. Der Siedler Gustav Adolf Küppers bezeichnete diesen Entwurf 1933 in seiner Dissertation als „Gemeinschaftssiedlung“ und unterschied dazu noch die Unterrubriken: „Einzelsiedlung“, „Gruppensiedlung“ und „Genossenschaftssiedlung“. Diese Unterteilung ist natürlich unscharf; Küppers war sowohl Wissenschaftler als auch Betroffener, was man der Arbeit anmerkt.12 Sie deutet zum einen auf einen numerischen Bezug hin (Einzelsiedlung oder Gruppensiedlung), wobei die extreme Einzelsiedlung, d. h. der Rückzug einer einzelnen Person, bestenfalls noch einer Familie, als „Individualsiedlung“ bzw. als „Robinsonade“ bezeichnet wurde; Küppers eigene Siedlung gehörte zu dieser letzten Gruppe. Sie meint zum anderen aber auch besitzrechtliche Kategorien. Hier gab es Mischformen zwischen Privat- und Gemeinschaftseigentum, also eine Art Genossenschaft, aber auch Extrembeispiele, die bis zur 128

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Auflösung sämtlicher privaten Besitzverhältnisse führten; diese Form wurde von Küppers als „Kommune“ bezeichnet: „Die Verbindung der Siedler zueinander erstreckt sich über rein rechtliche Abmachungen hinaus bis ins Persönliche. Äußerstes Extrem der Gemeinschaftssiedlung ist die Sozialsiedlung, die Kommune: Besitz- und Arbeitsgemeinschaft; deren Gegenstück ist das Extrem der Individualsiedlung: die Robinsonade.“13 Es gab aber auch Kategorien der Gemeinschaftssiedlung, deren Definition sich eher auf lebensreformerische Grundpositionen

Titelblatt von Gustav Adolf Küppers: Eigen Land (1918). 129

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stützte; so gab es neben Vegetariersiedlungen wie die genossenschaftliche Obstbausiedlung Eden auch etliche Gründungen, die in erster Linie der Körperkultur gewidmet waren. Dazu gehörte die Gartenstadt Hellerau bei Dresden, die vor allem berühmt wurde durch die Gymnastikanstalt von Émile Jaques-Dalcroze, der hier eine große Gymnastikschule einrichtete.14 Auch die beiden Frauengymnastiksiedlungen Schwarzerden und Loheland in der Rhön in Südhessen gehörten dazu. Sie bestanden aus nur wenigen weib­ lichen Siedlern, die völlig autark von Landbebauung lebten und daneben eine ländliche Gymnastikschule errichteten, in der man zur Diplom-Gymnastiklehrerin ausgebildet werden konnte. Diese beiden Siedlungen gibt es noch heute; sie sind überregional bekannte und anerkannte ländliche Fort- und Weiterbildungsstätten.15 Zu den Körperkultursiedlungen und „Landerziehungsheime(n) auf Freikörperkulturgrundlage“ zählten außerdem die Siedlungsversuche des völkischen FKKlers Richard Ungewitter vor dem Ersten Weltkrieg (Wodanshöhe), das in der Weimarer Republik staatlich anerkannte Lichtschulheim „Lüneburger Land“ des FKK-Pädagogen Dr. Walter Fränzel, die 1928 gegründete „Lichtsiedlung“ Jungmöhl am Plauer See nördlich von Berlin, die Waldecker Siedlung Wießeloh, die Kolonie Fotodotera des Bruders von Isadora Duncan, Raymond Duncan, bei Athen oder die FKK-Siedlung Klingberg, die in Schleswig-Holstein am Pönitzer See lag und vorwiegend im Sommer vom Tourismus lebte, bis sie vor 20 Jahren ihre Pforten schließen musste.16 Hier zeigt sich, wie unterschiedlich konsequent in einer Siedlung lebensreformerisch gelebt werden konnte. Einige lebensreformerisch-jugendbewegte Gemeinschaftssiedlungen definierten sich über ihren religiösen bzw. christlichen Glauben, so etwa die anarcho-religiöse Siedlung Sannerz oder der evangelisch-sozialistische Habertshof, beide bei Schlüchtern.17 Andere fußten auf ihrer politischen Zugehörigkeit. So gründete sich 1919 die linksbürgerliche Jugendkommune Blankenburg bei Donauwörth, die sich aus 20 jugendbewegten Siedlern zusammensetzte, antikapitalistisch wirtschaftete, aber im Rahmen der 130

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rechten Konterrevolution in Bayern von Reichswehrsoldaten aufgelöst wurde, die hier ein linksrevolutionäres „Spartakistennest“ vermuteten. So entstanden 1920 die kommunistische Siedlung Lindenhof bei Kleve  – unter kurzzeitigem Einbezug des Malers und „barfüßigen Propheten“ Max Schulze-Sölde  – und 1921 die anarcho-syndikalistische Arbeitersiedlung Freie Erde bei Düsseldorf, die beide als Selbstversorgersiedlungen formiert wurden.18 Daneben gab es, abgesehen von Schulze-Sölde und dem Lindenhof, lebensreformerische, z. T. linksromantische Künstlersiedlungen wie etwa die Kommune Neue Gemeinschaft in Friedrichshagen bei Berlin, in der sich um 1900 etliche Schriftsteller zusammenfanden,19 die Kunsthandwerksiedlung Gildenhall bei Neuruppin,20 die linke Arbeitsgemeinschaft Barkenhoff im Künstlerdorf Worpswede in der Lüneburger Heide, die sich 1918 unter dem Graphiker und Maler Heinrich Vogeler gründete, der später in die Sowjetunion emigrierte,21 oder etwa die Kolonie Grappenhof bei Amden am Schweizer Walensee, die zwischen 1901 und 1912 lebensreformerische Künstler wie Fidus beherbergte und bekannte Spiritisten wie Josua Klein anzog;22 von den Siedlungsversuchen des vegetarischen Jugendstilmalers und Fidus-Meisters Diefenbach ganz zu schweigen,23 womit die Brücke von der Lebensreformsiedlung zu den Künstlerkolonien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit ihrem eigenen Naturverständnis geschlagen sein dürfte.24 Am rechten Rand der lebensreformerischen Siedlungsbewegung befanden sich völkische Siedlungen, deren Initiatoren auf sogenannter germanischer Scholle „Rassepflegestätten“ auf dem Land aufbauen wollten, inklusive Nacktkultur und Vegetarismus.25 In diesen „rassischen Siedlungen“26 waren nur sogenannte reinrassige Arier willkommen, die sich – zumindest theoretisch – unter lebensreformerischen Bedingungen und ohne jüdische „Mischformen“ hier fortpflanzen sollten, um Deutschland wieder zur „reinen Rasse“ zu führen. Obwohl selbst in Teilen der völkischen Bewegung derartige Tendenzen in der Konsequenz als extrem, ja auch als absurd galten, hatten diese Gründungen tatsächlich einen ge131

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wissen Zulauf. Auf solchen völkischen Siedlungen wie Klingberg, Donnershag,27 Hellauf,28 Vogelhof,29 Breithablik,30 Wittekind,31 Wodanshöhe32 oder Heimland33  – die germanisierenden völkischen Namen waren Programm – lebten oft nur wenige Familien, manchmal aber auch mehrere hundert Leute als Genossenschaft oder GmbH zusammen und unterwarfen sich z. T. strengen, nach pseudogermanischen „Bräuchen“ ausgerichteten Lebens- und Arbeitsbedingungen. Als theoretisches Vorbild für diese Siedlungen galt die in völkischen Kreisen vor dem Ersten Weltkrieg vielgelesene literarische Utopie von „Mittgart“; einer Veröffentlichung des in der völkischen Bewegung populären promovierten Biologen Willibald Hentschel, der mit seiner Beschreibung einer fiktiven völkischen Siedlung seine Züchtungsphantasien auslebte.34 1926 nahmen dann die völkisch-jugendbewegten Artamanen, der Bund Artam, diese Phantasien direkt wieder auf; der Bund schickte seine Mitglieder zum freiwilligen Arbeitsdienst auf die Rittergüter des Ostens, damit sie diese Lehrzeit und die durch ihre Landarbeit erworbenen Finanzmittel für die Gründung einer eigenen völkischen Siedlung aufwendeten. Im Gegensatz zu den bereits länger bestehenden kleinen völkischen Einzelsiedlungen blieb die Initiative der Artamanen wegen der geringen finanziellen Mittel letztlich jedoch undurchführbar.35 Es gibt keinerlei verlässliche Daten über Anzahl und Umfang all dieser Siedlungen; viele sind überhaupt nicht bekannt, und etliche zumindest wissenschaftlich nicht näher erforscht. Wenn es auch die Eigenliteratur der Lebensreform nicht immer genau nahm und bei der Definition einer lebensreformerischen Siedlung auch ­Abweichungen wie Landschulheime oder ländliche Volkshochschulen aus Propagandagründen in die Rechnung mit einbezog und so die Zahlen beschönigend nach oben trieb, so gibt es dennoch in der Fachliteratur vage Hinweise, die von ca. 100 jugendbewegten bzw. lebensreformerischen Siedlungen vor allem zwischen 1918 und 1933 ausgehen.36 Diese Zahl ist jedoch nicht absolut zu nehmen und bezeichnet eher einen Zeitpunkt als einen Dauerzu132

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stand. Denn obwohl sozialromantische und lebensreformerische Ideen zwischen 1900 und 1933 Konjunktur besaßen und damit die Siedlungsidee theoretisch immer attraktiv war, hatten die Siedlungen stets erst dann besonderen Zulauf, wenn es wirtschaftliche oder politische Krisenzeiten gab, d. h. wenn die wirtschaftliche Not nicht nur Lebensreformer inspirierte, sondern auch zahlreiche Arbeitslose zwang, möglichst autark und selbstversorgend zu leben. Die Ideologie des Siedelns besaß damit womöglich weniger Einfluss auf die Siedlungstätigkeit als die realen Verhältnisse. Man siedelte häufig eher aus Not als aus Überzeugung.37 Daher gab es verstärkt Siedlungsgründungen in der Revolutionszeit 1918/19, in der es politisch kaum Auswege zu geben schien und das Land von linken revolutionären und rechten gegenrevolutionären Unruhen bürgerkriegsartig erschüttert wurde. Es gab Gründungen in der Inflationszeit 1923, in der Grundbesitz und Selbstversorgung alles und Geld nichts wert war, oder in der Phase der Weltwirtschaftskrise um 1929, als viele Familien arbeitslos wurden, sämtliche Ersparnisse und Besitztümer verloren und etliche von ihnen versuchten, aus dem Kapitalismus auszubrechen und sich wirtschaftlich unabhängig zu machen. Neben aller Sozialromantik und utopischen Lebensreform ging es vielen vor allem um das Überleben. Es dürfte kein Wunder sein, dass völkische Siedlungen, deren Initiatoren antidemokratisch und antikapitalistisch eingestellt waren, gerade in den Krisenzeiten Zulauf erhielten, schienen sie doch recht zu behalten, wenn sie der Meinung waren, dass Demokratie und Kapitalismus kein gangbarer Weg seien. Auf der anderen Seite sank die Zahl der (lebensreformerischen) Siedler und Siedlungsstellen immer dann, wenn sich Wirtschaft und Staat in Erholungsphasen befanden.38 Zur geographischen Verbreitung lässt sich kein deutliches Bild entwerfen, was auch damit zu tun hat, dass etliche lebensreformerische Siedlungen gar nicht bekannt sind.39 Darüber hinaus schien die geographische Verbreitung – vor allem in den Krisenzeiten, in denen mit mehr Siedlungen gerechnet werden muss – auch stark zu schwanken. Dennoch sind geographische Ballungen durchaus 133

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feststellbar. So gab es während der Zeit der Räteregierung 1918/19 in Bayern und der Inflationszeit in Schwaben 1923 mehrere Gründungen der Lebensreform (Blankenburg, Schurrenhof, Vogelhof). Es gab einige kommunistische Reformsiedlungen im Ruhrgebiet, was angesichts der Industrialisierung, der proletarischen Sozialstruktur und der hohen Arbeitslosigkeit in Krisenzeiten gerade hier kein Wunder war (Freie Erde, Lindenhof). Eine weitere Hochburg ist in der Gegend zwischen Mittelhessen, Südniedersachsen und Ostthüringen (Schwarzerden, Habertshof, Bruderhof, Donnershag, Loheland, Wießeloh) auszumachen; diese Gegend war mit der bundeigenen Burg Ludwigstein bei Witzenhausen gleichzeitig ein bedeutsames Zentrum der Jugendbewegung. Es gab etliche Siedlungen in Norddeutschland (Barkenhoff, Sonnenberg, Klingberg, Glüsingen, Heimland) und um Berlin herum (Eden,

Wohnhaus von Fidus (Postkarte, 1912). 134

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Jungmöhl, Gildenhall, Friedrichshagen, Motzener See), zum einen, weil Norddeutschland sich ebenso wie die Berliner Umgebung wegen der vielen Seen für den Gesundheitstourismus, also für Freikörperkultur eignete, zum anderen, weil Berlin eine frühe literarische Hochburg der Lebensreformbewegung war und sich etliche Protagonisten und Wortführer an den Rändern der Stadt ansiedelten, wo auf der einen Seite das Land nahe war, auf der anderen Seite gleichzeitig gute moderne Verkehrsanbindungen den Bezug zur Stadt gewährleisteten.40 So wohnte etwa Fidus die meiste Zeit seines Lebens in seinem selbstentworfenen Haus im Berliner Vorort Woltersdorf mit bequemem Straßenbahnanschluss zur Innenstadt, was lebensreformerisch nicht sehr konsequent war. Während es in Österreich offenbar keine nennenswerte Siedlungsbewegung gab,41 fallen für die Schweiz neben den vielen reformerischen Sanatorien und den Geländen der Schweizer Freikörperkultur der 1920er Jahre42 vor allem zumindest zwei bereits erwähnte Orte auf, an denen dauerhaft Siedlungsreformen praktiziert wurden: der Monte Verità über dem Dorf Ascona am nördlichen Lago Maggiore und der Grappenhof am Walensee. Hingewiesen sei zudem auf die immer noch unbekannte Zahl von Pensionen und Sommersiedlungen der Lebensreform im Schweizer Tessin, die sicherlich auch auf die Popularität des Monte Verità zurückzuführen ist. Hier wäre als Beispiel der Schweizer Ethnologe Paul Wirz anzuführen, der auf seiner lebenslangen Suche nach der „wahren Natur“ zum Lebensreformer wurde, und der 1928 am Luganer See auf einem 9000 Quadratmeter großen Grundstück seine persönliche Idee einer Lebensreformpension verwirklichen wollte.43 Andere Lebensreformer  – auf der Suche nach dem „Land, wo die Zitronen blühen“ – wagten sich, ganz in der Tradition der Bildungsreise des 18. Jahrhunderts, nach Italien oder nach Griechenland; hier fand der oben schon erwähnte Raymond Duncan – der Bruder der Tänzerin Isadora Duncan – ebenso sein kurzfristiges Eldorado wie auch der Okkultist Aleister Crowley, der „größte Magier aller Zeiten“, der in Sizilien eine kurzlebige, ebenso berüch135

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tigte wie bekannte, Kommune gründete.44 Ob ihrer Konsequenz besonders bewundert, wenn auch aufgrund des Fanatismus ihrer Protagonisten zeitweilig misstrauisch beobachtet, waren die reformerischen Siedlungsversuche in Übersee bzw. im außereuropäischen Ausland.45 Der Idee vom lebensreformerischen Paradies unter Palmen folgten die „Kokosnußprediger“ August Engelhardt und August Bethmann, deren Versuche, auf der Südseeinsel Kabakon eine Reformsiedlung zu begründen, so grandios wie tragisch scheiterten – und ihre literarischen Chronisten fanden –,46 sowie die wesentlich unbekanntere Kölner Siedlung der Familie Wittmer, die aus wirtschaftlicher Not und politischen Ohnmachtsgefühlen 1931 auf die Galapagosinsel Floreana auswanderte – wo sie auf andere Lebensreformer inklusive Siedlung, Nacktkultur und Vegetarismus traf –; eine „Robinsonade“, die zumindest für die Tochter Margret Wittmer – die „Robinsonfrau“ – bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 68 Jahre andauern sollte: „Postlagernd Floreana“.47 Einige näher betrachtete Fallbeispiele der obengenannten Siedlungstypologie illustrieren die Unterschiedlichkeit, aber auch die Gemeinsamkeit lebensreformerischer Siedlungsversuche. Auf die Obstbaukolonie Eden in Oranienburg bei Berlin, gegründet 1893, wurde verschiedentlich schon verwiesen. Es war ein lebensreformerisch gemäßigtes Großprojekt in genossenschaftlicher GmbH-Form mit eigener Produktion, das später als Gartenstadt mit eigener Schule  – natürlich eine Reformschule  – Bank, Verlag und Druckerei, Geschäften und Handwerksbetrieben ein selbständiger Ort wurde, der zeitweilig 1000 Bewohner – die Frage wäre, ob dabei tatsächlich von 1000 Lebensreformern gesprochen werden kann – beherbergte.48 Jedoch arbeiteten nicht alle vor Ort, da viele von ihnen als Pendler jeden Tag nach Berlin und zurück fuhren; das ist auch noch heute so. Interessant ist jedoch die Gründungsphase der Siedlung 1893, die deutlich auf die ursprüngliche irrationale Land-Natur-Verklärung und die utopischen Ziele der Reformer verweist. Die ersten Siedlungswilligen hatten sich in einem vegetarischen Speisehaus in Berlin – ein geeigneter Ort 136

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für ein derartiges Vorhaben – zu Gründungsgesprächen getroffen. Über sie hieß es in einem zeitgenössischen Bericht: „Es waren lauter sozusagen pflastermüde Städter, eine ganze Anzahl von Sonderlingen und Sektierern aller Art dazwischen; sie wollten ihre Existenz auf den Obstbau stellen, von dem kaum einer von ihnen die geringste Ahnung hatte.“49 Während das Zitat schon auf die Gründe des Scheiterns vieler Siedlungen verweist, bewiesen die Edener so viel Wandlungsfähigkeit und Mut, dass sie sich an ihre jeweilige Situation anpassen konnten. Zwar wurde die gesamte erste Pflanzung durch Frost vernichtet, aber dennoch gaben die Siedler nicht auf, sondern konnten sich letztlich durchsetzen.50 Der hier schon oft erwähnte Monte Verità, eine Anhöhe über dem Dorf Ascona im Schweizer Teil des Lago Maggiore, ist dagegen ganz anders entstanden und schlug auch einen anderen Weg ein. Der Monte Verità wurde ursprünglich von fünf zivilisationsmüden Städtern im Jahre 1900 gegründet und von ihnen auch so benannt; der Hügel oberhalb Asconas hatte vorher einen anderen Namen. Der belgische Industriellensohn Henri Oedenkoven, der das Gelände dem Dorf Ascona abgekauft hatte, wollte eine auf Ursprungsbedürfnissen basierende selbstversorgende lebensreformerische Gruppensiedlung errichten. Da zwischen den fünf mit unterschiedlichen Utopievorstellungen behafteten und finanziell ungleich ausgestatteten Bergbewohnern schnell Konflikte in Bezug auf die künftige Richtung ausbrachen und Oedenkoven bei der Befriedung der Konflikte Geld verlor, trennte man sich nur wenige  Jahre später mehr oder weniger gütlich von den Mitbegründern Karl und Gusto Graeser, deren zum Teil extreme Lebensentwürfe nicht integrierbar schienen.51 Oedenkoven und seine Frau Ida Hofmann bauten daraufhin mit gigantischen Werbekampagnen das Lebensreform-Sanatorium Monte Verità auf, das über seine zahlreichen, zum Teil schmarotzenden Dauerbewohner, seine skurrilen Gestalten jedweder reformerischer Couleur, seine zahllosen Besucher aus der europäischen und amerikanischen Kunst- und Literaturszene, aber auch durch seine geschickt lancierte Eigenwerbung zum großen europäischen 137

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Zentrum lebensreformerischer Ideen und Praktiken wurde und bis heute einen geradezu legendären Ruf genießt. Dazu trugen allerdings nicht nur Oedenkoven und sein Sanatorium bei, sondern auch diejenigen Begleiter, die der Belgier ausgezahlt hatte oder deren Anwesenheit er tolerierte, auch weil sie „publicity“ brachten. Namentlich zu nennen ist Gusto Graeser, einer der Erstbewohner des Berges, der zum fanatischen Lebensreformer wurde und – apostelhaft bekleidet in Sandalen und Tunika – mit seiner Familie in einer Höhle hauste und, wenn er sich nicht gerade auf dem Monte Verità aufhielt, mit selbstgefertigten Gedichten und Flugblättern durch Europas Städte zog und zur „Rückkehr zur Natur“ aufforderte.52 Andere bemerkenswerte Teilzeitbewohner waren der bekannte Ausdruckstänzer Rudolf von Laban, der berüchtigte Okkultist Theodor Reuss, der visionäre Psychologe Otto Gross, der Lebensreformer und Graeserjünger Karl Vester, der legendäre Schriftsteller Erich Mühsam oder der mehrfach erwähnte „Kokosnussprediger“ August Bethmann – auch Lenin stattete dem Berg einen Besuch ab.53 Die eigentliche Absicht, eine lebensreformerische Siedlung zu installieren, scheiterte zugunsten der Inszenierung eines literarischen Ortes der Lebensreform, der der Bewegung letzten Endes vielleicht mehr Erfolg verschafft hat, als jedes konkrete Projekt ihr je hätte verschaffen können.54 Auf der anderen Seite der Siedlungsskala, aber nicht minder typisch, findet sich etwa die mittelhessische völkische Lebensreformkolonie Donnershag bei Sontra. Allein schon ihr völkischlebensreformerisches Programm zeigt die ganze Radikalität ihres Begründers, des Staatswissenschaftlers Dr.Ernst Hunkel. Bevor Hunkel Donnershag gründete, lebte er in der Siedlung Eden und war dort der Redakteur des Eden-eigenen „Jungborn-Verlages“ und der Zeitschrift „Neues Leben“; diese Art von Netzwerk war typisch für die Siedlungsbewegung.55 Hunkel selbst hatte jedoch eigene Vorstellungen einer Lebensreformsiedlung: Die völkischen Lebensreformer betrachteten die Stadtkultur als jüdisch, degeneriert und demokratisch im negativen Sinne, und daher als dem eigentlichen Germanen fremd. Sie ersehnten sich eine bäuerlich138

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Der frühere Konsul und Kaufmann Salomonson auf dem Monte Verità.

germanische Kultur, die in „organischer Gemeinschaft“, auf „deutscher Scholle“ und im „deutschen Wald“ zurückfinde zur eigenen Heimat, zum sogenannten Hort des Volkstums, aus dem sich dann eine gesunde Erneuerung des deutschen Volkes gewinnen lasse. Diese Erneuerung war ganz wörtlich zu nehmen: lebensreformerische und gesunde Lebensweise durch Vegetarismus, FKK und Naturheilkunde, Wohnen und Wirtschaften in Gemeinschaften in der Natur durch Gartenbau und Kleintierzucht, genossenschaft­ liche Bedingungen mit Erbpacht  – Privateigentum galt als kapitalistisch und jüdisch, d. h. als „fremdvölkisch“, Erbpacht dagegen als „urgermanisch“ –, Einführung der geldlosen Tauschwährung – Geld und Zinsen, d. h. Kapitalismus und finanzielle Bereicherung, galten als jüdisch  –, Wiederherstellung sogenannter germani139

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scher Lebensweisen über die Pflege von Volksliedern, Volkssagen, Volkstänzen und „germanischer“ Religion, Wiederherstellung der germanischen Rasse durch Ansiedlung sogenannter reinrassiger Arier unter Ausschluss von Juden und „Fremdvölkischen“ sowie der utopisch-skurrile – und offenbar in der Konsequenz nicht realisierte  – Versuch, durch die sogenannte germanische Mehrehe schnell und direkt zu positiven züchterischen Ergebnissen zu gelangen.56 Letzteres stand zwar auf dem Programm etlicher völkischer Siedlungen, jedoch blieb das Konstrukt der germanischen Mehrehe, die etliche konventionelle Bewohner der Nachbarorte jener Siedlungen  – die völkische Siedlung Breithablik wäre ein weiteres Beispiel – in Erschrecken versetzte.57 Sogar innerhalb der völkischen Siedlungen war die Mehrehe eine umstrittene Idee, die zumindest Hunkel – der dies jedoch immer abstritt – ein juristisches Verfahren wegen Kuppelei eingebracht haben soll.58 1919 schritt Hunkel mit seiner Frau Margart zur Tat – er nannte es Landnahme – und erwarb mit Hilfe des Staates – den er ja eigentlich bekämpfte – ein Stück Land bei Sontra in Hessen, wo er eine genossenschaftliche Siedlung aufbaute. Gerade in den Krisenzeiten zwischen 1919 und 1923 wuchs die Siedlung Donnershag auf 350 Personen an. Mit Landwirtschaft, Obstbau und Kinderbetreuung – angesichts der Utopie der Mehrehe zumindest pädagogisch gesehen eine bemerkenswerte Maßnahme  – und über einen florierenden völkischen Verlag hielten sich die Bewohner über Wasser. 1924 kam das Ende der Siedlung; nicht nur innere Streitereien über den richtigen völkischen Weg, sondern auch die Erholung der deutschen Wirtschaft und die Überwindung der Wirtschaftskrise ließ das völkische Siedeln an Attraktivität verlieren: Donnershag löste sich auf. Reste der Siedlung existierten jedoch bis in die 1980er Jahre hinein. Der letzte Vorstandsvorsitzende von Donnershag, Oswald Kiehne, blieb 1924 allein zurück und bewirtschaftete im Rahmen einer von ihm gegründeten „Vegetarier-Union-Deutschlands“ den Hof weiter; zugleich war er der Herausgeber der „Vegetarier-Rundschau“ (1982 im 36. Jg.) und des „Sontraer Gesundheitsboten“.59 140

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Postkarte als Einladung zur Wintersonnenwende im Freilichtpark Klingberg (1930).

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Diese Langlebigkeit gilt auch für die FKK-Siedlung Klingberg am See, die von 1903 bis 1981 dauerhaft bewohnt wurde und die schon im Kapitel zur Körperkultur Erwähnung fand. Der Siedlungsgründer und Lehrer Paul Zimmermann, ein vermögender Nietzsche-Verehrer und fanatischer Lebensreformer, kaufte sich 1903 am Pönitzer See bei Lübeck ein Grundstück, das er 1909 um das Erholungsheim Sachsenhof erweiterte und in den darauffolgenden  Jahren mit weiteren Siedlungswilligen um Gärtnereien, eine Obstbauplantage, eine vegetarische Gaststätte und eine Privatschule ergänzte.60 1926 folgte die Ausweitung der bis dahin privat genutzten Lichtlufthütten zum Freilichtpark Klingberg. Das Gelände umfasste 100 000 Quadratmeter und besaß 35 Wohnhäuser mit 112 ständigen Bewohnern, die zum Teil Selbstversorgung betrieben, zum Teil auch Feriengäste aufnahmen oder als Pendler in die umliegenden Städte zur Arbeit fuhren. Aber auch Zimmermann musste seine Rückkehr zur Natur bald revidieren und war gezwungen, wirtschaftlich zu handeln, indem er Klingberg um ein Erholungsheim, eine Gaststätte, deren vegetarischen Betrieb er „dem Durchgangsverkehr zuliebe (um) Bier und Fleisch“ bereichern musste,61 und ein kommerzielles FKK-Gelände erweiterte. Die „Pflanz- und Pflegestelle der FKK“ kostete pro Woche 35 Mark an Verpflegung und 10 bis 20 Mark für die Unterkunft, der Preis für eine Einzelübernachtung war im Schnitt etwas teurer.62 Trotz Kommerzialisierung und Öffnung nach außen galt Klingberg über eine lange Zeit als lebensreformerische Siedlung par exellence; heute leben auf dem Gelände – das mittlerweile als Ort Klingberg etabliert ist – immer noch die lebensreformerisch orientierten Nachfahren Zimmermanns und pflegen sein Andenken, das freilich Risse aufweist, da auch – was die verbandseigenen Chronisten unterschlagen63 – Paul Zimmermann völkischem Denken zuneigte – inklusive völkischer Sonnwendfeiern und der eifrigen Unterstützung des völkisch-rassistischen Mittgart-Bundes – und er politischen Gesinnungsgenossen wie etwa Carl Reinhold Petter, der Begründer der völkischen Siedlung Breithablik, Platz zum Siedeln geboten hatte.64 142

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Als Extrembeispiel einer „Robinsonade“, also einer reformerischen Einzelsiedlung, sei der einflussreiche und schon mehrfach erwähnte Lebensreformer Gustav Adolf Küppers genannt, der 1915 in der Lüneburger Heide auf dem Haußelberg seine Siedlung Sonnenberg gründete, die noch nach seinem Tod 1978 von seiner Familie weitergeführt wurde.65 Küppers war bis zuletzt ein strikter Selbstversorger, der – bis auf wenige zeitliche Ausnahmen – lediglich mit seiner Familie den Sonnenberg bewirtschaftete. Die wenigen Ausnahmen erstrecken sich typischerweise auch hier wieder auf die Krisenzeiten der Republik, in der Küppers durch weitere arbeitslose Siedlungswillige kurzzeitig Zulauf erhielt und sogar eine Weile lang eine Jugendherberge etablieren konnte. Der 1894 geborene Küppers, der laut seiner Autobiographie angeblich schon als Kind eine Sehnsucht nach dem Land verspürt hatte, studierte in Göttingen Landwirtschaft und Germanistik, ehe er in den Ersten Weltkrieg eingezogen wurde, aus dem er beinamputiert zurückkam. Mit Hilfe einer kleinen Erbschaft und seiner Kriegsrente begann er noch 1915 mit dem Aufbau seiner Siedlung. Küppers schwor der Zivilisation radikal ab. Seine sogenannte Naturhütte bestand aus Sandaufschüttungen, Heidekraut und Holz und war 15 Quadratmeter groß. Nägel dienten als Kleiderschrank, Baumstümpfe als Stuhl und Tisch. Eine selbstgebaute Sonnenuhr war sein Zeitmesser, und eingeritzte Kerben ersetzten den Kalender. Seine Einbeinigkeit und seine Isolation dienten ihm als Abhärtung und Identität; bald war er in der Lage, seinen Unterhalt aus seiner Landwirtschaft zu bestreiten: „Ich suchte mich – und fand die Welt“, schrieb Küppers, und notierte weiter: „Ich erlebte mich selbst, in den Umständen meiner Beschädigung: und ich erlebte die Natur.“66 Küppers, der 1933 mit dem oben schon genannten Buch über die Deutsche Siedlung promovierte, begann ab 1918, seine Erfahrungen literarisch zu verarbeiten. Er schrieb autobiographische Berichte und zahllose Aufsätze zur Siedlungsthematik und Lebensreform.67 Aufgrund seiner schriftstellerischen Tätigkeit und seiner lebensreformerischen Radikalität wurde er in der Bewegung zu 143

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Entwurf für das Wohnhaus von Gustav Adolf Küppers.

einer bekannten Person, die immer wieder Zulauf erhielt. Seine konsequente Selbstversorgung ließ ihn Kriege und Krisen beinahe unbeschadet überstehen; ein Hinweis auf die Potentiale des lebensreformerischen Siedelns. 1945 führte er in Niedersachsen die Knollen-Sonnenblume Topinambur erfolgreich als Kartoffelersatz ein, seine Siedlung firmierte unter „Zuchtgarten Sonnenberg. Topinambur-Saatanstalt Niedersachsen“; 1956 gründet er noch einen naturnahen Campingplatz. Seit den 1970er Jahren stieß er mit seinem Konzept auf Widerhall in der neuen Ökologiebewegung, wie generell in dieser Zeit wieder auf alte Lebensreformer, darunter jedoch etliche Völkische, zurückgegriffen wurde; eine Wiederentdeckung, die auf manche Kontinuität und Aktualität der Ideen der Lebensreform um 1900 hindeutet.68 Eine lebensreformerische Einzelsiedlung, von der man sagen könnte, sie sei ebenso typisch wie normal für die damalige Zeit, war die Siedlung Rosinkawiese in Böhmen, die von den Eltern der Schriftstellerin Gudrun Pausewang in den 1920er Jahren gegründet wurde. Gudrun Pausewang selbst wurde 1928 geboren und arbeitet seit 1972 als Schriftstellerin; vor allem in den 1970er Jahren wurde sie bekannt durch etliche sozialkritische Romane und 144

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Kinder- und Jugendbücher. In ihrem 1983 erschienenen Buch „Rosinkawiese“ erzählt sie von den lebensreformerischen Siedlungsversuchen ihrer Eltern in Böhmen.69 Ausgangspunkt war ihr Neffe Michael, der in den 1970er Jahren selbst kurz davorstand, auszusteigen und aufs Land zu ziehen, und dem sie in Briefen das Aussteigerleben ihrer eigenen Eltern in den 1920er Jahren schildert; auch hier also wieder der zumindest rhetorische bzw. literarische Reflex auf die Alternativbewegung der frühen 1970er Jahre: „Wir kehrten in keiner Gastwirtschaft ein. Alkohol und Nikotin waren verpönt, ebenso der bürgerliche Gesellschaftstanz. Schon äußerlich unterschieden wir uns von den anderen: Wir zogen uns betont einfach an, in starkem Kontrast zur damaligen bürgerlichen Mode.“70 Bei anderen Lebensreformern traf sie ihren späteren Mann, einen studierten Diplomlandwirt, der sie für die Reformsiedlungsidee begeisterte. In der Nähe von Wichstadtl in Ostböhmen, dem Heimatort des Mannes, fanden sie ein geeignetes Stück Land: die Rosinkawiese. Mit Hilfe von Darlehen der genossenschaftlichen Raiffeisenkasse finanzierten sie den Kauf der Wiese und den Eigenbau ihres Hauses, natürlich ohne elektrischen Strom und Licht und ohne Wasseranschluss. Zugleich wurde der erste Acker gerodet  – selbstverständlich ohne Zugvieh: der Mann zog den Pflug selbst – und die ersten Gemüsebeete angelegt. Die Pausewangs waren Vegetarier: morgens gab es Brei aus Weizen, mittags rohe Salate oder Gemüse, und abends wieder Brei oder Margarinebrot. Bei warmem Wetter war FKK an der Tagesordnung; die Kinder liefen ohnehin nackt herum. Zwar gab es finanzielle und ernährungstechnische Engpässe  – die Ernte war schlecht und man musste zeitweise mit gesammeltem Beerenobst auskommen –, doch insgesamt kamen die Siedler trotz der schweren Arbeit zurecht: „Es (besuchten uns) viele Leute, die erst vorhatten, eine Siedlung aufzubauen, und bei uns Rat und Orientierung suchten. Ich erinnere mich an endlose Grundsatzdiskussionen. Die Gespräche drehten sich auch um die überall aufblühenden Reformen: die Landschulheime, die Nacktkultur, den Vegetarismus, die Freiland-Freigeld145

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Theorie des Silvio Gesell. Natürlich gab es auch Utopisten, Träumer und Schwärmer in dieser breitgestreuten Bewegung. Aber alles in allem war es, so meine ich (...), eine gute Strömung, die wahrscheinlich die damalige Lebensweise in Mitteleuropa beeinflusst hätte, wäre sie nicht durch die politische Entwicklung in Deutschland erstickt worden.“71 Auch die Rosinkawiese hatte immer wieder wirtschaftliche Probleme, und so mussten eines Tages auch Sommergäste aufgenommen werden, um sich zu halten. Das Ende kam erst, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, der Vater von Gudrun Pausewang eingezogen wurde und im Krieg fiel, und nach Kriegsende die Familie in den Westen flüchten musste. Die Einzelbeispiele der verschiedenen lebensreformerischen Siedlungsweisen deuteten bereits die Ursachen an, warum viele Siedlungen nur wenige  Jahre bestanden bzw. warum sie schnell vom reformerischen Lebensweg abwichen. In etlichen Fällen bestand das Hauptproblem in der schwierigen Wirtschaftslage, als autarke Siedlungsgemeinschaft zu überleben. Dies hatte mehrere Gründe: Etliche Siedlungsbegründer waren „wirtschaftliche Dilettanten, die sowohl im kaufmännischen als auch im produktiven Bereich versagten“ und die die „Rentabilität zugunsten ihrer Ideen vernachlässigten“.72 So waren die meisten Siedler völlige Laien, „zum großen Teil Stadtmenschen, die sich erst an die ländliche Arbeit und Umgebung gewöhnen mußten“.73 Demgemäß notierte die Mutter von Gudrun Pausewang: „Will man wirklich mit Garten und Feld und Tierhaltung zurechtkommen, muß man schon einigermaßen Bescheid wissen. Sonst geht ein solches Experiment unweigerlich schief.“ Zwar war auch sie „ein Stadtkind, ich hatte nicht viel Ahnung vom Landleben. Aber ich hatte gelernt, hart zu arbeiten, auf Bequemlichkeit zu verzichten und mich schwierigen Situationen anzupassen.“74 Das konnten nicht alle: In Eden stellte sich anfangs eine hohe Fluktuation der Siedler ein, da die „Ansiedlung von Großstädtern zu Erwerbs-Obsthändlern zum Scheitern verurteilt war“ und viele das Siedeln aufgaben.75 Darüber hinaus besaßen die meisten Siedler kaum Eigenkapital; so konnten sie weder die notwendigen Investitionen tätigen 146

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noch bestehende Mangelsituationen finanziell beheben. Zudem waren sie aufgrund ihrer geringen Finanzmittel gezwungen, auf den Erwerb ungeeigneter, wenn auch billiger Böden zurückzugreifen, die nur wenig Ertrag brachten.76 Dazu kam, dass die erworbenen Gelände oft in einem extrem schlechten Zustand waren: „Das übernommene Grundstück“, so notierte der Lebensreformsiedler Karl Menne 1926, „war so verwahrlost, daß wir kaum wußten, wo zuerst anfangen auszubessern und Ordnung zu schaffen. Vom Haus standen nur noch Dach und Wände.“77 Dazu trat die unrealistische Naturvorstellung einer zumeist großstädtischen Siedlerklientel, deren „Standortwahl nicht (nach) wirtschaftlichen Gesichtspunkten (erfolgte), sondern (nach) dem Wunsch, in landschaftlich schöner Gegend zu siedeln, weitab vom Getriebe der Großstädte“.78 Selbst ein Fachmann wie Küppers, der sogar eine Ausbildung zum Landwirt besaß, verwechselte  – wie er im Nachhinein selbstkritisch feststellen musste – anfangs Romantik mit Realität: „Ich sah weder auf Bodenqualität, wofür ich damals noch kein Verständnis hatte, noch auf die hängige Lage des Grundstücks selber, die eine Kultivierung außerordentlich erschweren mußte. Dafür ließ ich den Blick über das Wiedental mit seinen silbern-schimmernden Flußwindungen schweifen, hinauf auf die jenseitigen Höhen der Wietzerberge (...) und sah die Äcker, die eben von den letzten Garben geräumt wurden, sah Mädchen in wehenden Flusterhüten, sah den Wald, in dessen dämmriges geheimnisvolles Dunkel sich der schnörkelige Weg verlor.“79 Anderen, vor allem den kommunistischen Siedlern, stand ihre Ideologie der klassenlosen Gemeinschaft, ihre Utopie einer Einheit von Mitmensch, Natur und Arbeit im Weg: „Statt der erstrebten Gleichheit bildeten sich in den Kommunen Hierarchien mit Führerpersonen an der Spitze.“80 Die ungleichen sozialen (und auch finanziellen) Verhältnisse innerhalb der oft nur vorgeblich auf Gleichheit pochenden Siedlungsgemeinschaft kamen hinzu. Der proklamierte Verzicht auf Barvergütung und privates Kapital war in der Praxis nur schwer durchzusetzen. Und die proklamierte soziale Gleichheit wurde durch die Führer der völkischen Siedlun147

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gen, die in der Regel Akademiker waren und eine Elitestellung beanspruchten, aufgehoben; einige Siedlern akzeptierten die Situation, andere wiederum betrachteten eine derartige Entwicklung kontrovers.81 In der Praxis zeigte es sich daher, dass die „Ablehnung des Kapitalismus und das Sehnen nach einer neuen Welt auf die Dauer keine ausreichende Grundlage für eine Lebensgemeinschaft bildet“.82 So stellten sich oft weltanschauliche und zwischenmenschliche Krisen über den richtigen Weg ein. Richtungskämpfe in Siedlungen wie etwa Donnershag brachte manche Gründung zum Erliegen; linke Siedlungsversuche wurden zudem noch durch entsprechende rechtsgerichtete Regierungen gestoppt.83 Ein gravierendes zwischenmenschliches Problem stellte sich im Umgang mit den kulturell eher traditionellen Nachbarn dar. Nacktkultur und alternatives Leben brachte in vielen Fällen die alteingesessenen Bauern auf.84 Angesichts der Nacktkultur der Schwarzerdener Frauen protestierten die bäuerlichen Nachbarn und der Pfarrer: „Was wollt ihr hier? Ihr seid doch aus der Stadt.“85 Absurd anmutende Utopien wie die obenerwähnte „germanische Mehrehe“ förderten ebenfalls kaum die nachbarlichen Beziehungen. So hatte die völkische Siedlung Breithablik, deren Mitglieder theoretisch der Merehe anhingen, auch kein Glück bei ihrem Versuch einer Reformschulgründung, da „die meisten Eltern (deshalb) davor zurückgeschreckt (waren), uns ihre Kinder anzuvertrauen“.86 Ohnehin waren die Elitevorstellungen mancher Lebensreformer möglichen Kontakten zum Nachbarn im Weg. Nachbarschaftshilfe konnten viele Lebensreformer daher nicht erwarten. Einige Siedlungen lösten die wirtschaftlichen, finanziellen, geographischen, ideologischen und zwischenmenschlichen Probleme mit der Aufgabe zentraler lebensreformerischer und gemeinschaftlicher Grundsätze, indem sie Tourismus zuließen, ihren Betrieb als Gaststätte und Erholungsheim ausbauten, ländliche Volkshochschulen und Kuranstalten integrierten oder sich einen einträglichen Nebenerwerb in der Stadt suchten: „Allein, ohne irgendwelche Hilfe, merkten wir doch bald, daß der Wille zum Siedeln allein es nicht mehr schafft, und so mußte ich mich nach ­einem 148

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Nebenerwerb umsehen“, resümierte der im oldenburgischen Land siedelnde Lebensreformer Karl Menne im  Jahre 1926.87 Nur so konnten sich Siedlungen wie Eden, Klingberg, Schwarzerden, der Monte Verità oder sogar der Haußelhof der Siedlung Sonnenberg von Gustav Küppers, der zeitweilig als Journalist arbeitete und eine Jugendherberge auf seinem Gelände unterhielt, bis zum Teil in die heutige Zeit hinein halten, wenn sie auch in der Mehrzahl ihren ursprünglich gegengesellschaftlichen Impetus verloren. Der Versuch, sich in einer Gemeinschaftssiedlung bürgerlicher Zwänge zu entledigen, führte zu reaktiven Gegenentwürfen, in dessen Spiegelbild jedoch die bürgerliche Imprägnierung weiterhin erkennbar war und die restriktive Struktur erhalten blieb: Abstinenz, strikter Vegetarismus, sexuelle Enthaltsamkeit, Luxusverzicht, strenge Dogmen, in all diesen Elementen spiegelte sich die restriktive bürgerliche Gesellschaft. Der Satiriker Wilhelm Stapel bemerkte mit Blick auf die Austauschbarkeit einer derartiger Sozialisierung: „Ich halte es nicht für einen Fortschritt, wenn der Bierspießer in einen Limonadenspießer verwandelt wird.“88 Auf der anderen Seite war in jenem Umfeld die Kehrseite der Medaille, nämlich romantischer Ansatz, hierarchiefreies Arbeiten, gemeinsames Wirtschaften aus einem Topf und persönliche Selbstverwirklichung, zwischenmenschlich gesehen, ebenfalls keine einfache Angelegenheit. Janos Frecot schrieb 1978 über das Scheitern des Monte Verità: „Ob eine Gesellung von Individuen zu einem Miteinander führt, hängt davon ab, wie sie mit der uralten Frage fertig werden: Wie erziele ich ein Höchstmaß an Selbstverwirklichung, ohne meine Mitmenschen dadurch in ihrem Anspruch auf Selbstverwirklichung einzuengen? (...). ‚Schon gemeinsame Brechreize schaffen eine Art ausreichende Sympathie‘, schreibt Arno Schmidt. Auf dem Monte Verità aber waren schon die Brechreize nicht dieselben (...). Während die einen arbeiten wollten, um sich und anderen das Leben zu ermöglichen, wollten die anderen ohne Arbeit gleich leben und nur leben.“89 Angesichts dieses Scheiterns blieb dem Journalisten Wilhelm Stapel 1926 nur das vernichtendresignierende Resümee: „Das Paradies bleibt unzugänglich.“90 149

Fazit und Ausblick

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ie Lebensreformbewegung mit ihren typischen Merkmalen – Selbstreform und Sozialutopie – war als ursprünglich kulturell und normativ außenseiterisches Modell mit oppositionellen Entwürfen zur zeitgenössischen Gesellschaft ein Projekt des Wilhelminischen Kaiserreichs. Zwar wurden zentrale reformerische Ideen wie Vegetarismus und Naturheilkunde bereits lange vorher thematisiert und wichtige – zunächst als Utopie formulierte – Projekte wie die ländliche Siedlungstätigkeit und die Freikörperkulturvereine weitgehend erst in der Weimarer Republik realisiert. Aber das Gros der Denkmodelle, die rhetorische und literarische Durchschlagskraft der Protagonisten, das netzwerkartige System der Organisationen, die Publikationsprojekte sowie die Umsetzung lebensreformerischer Modelle in die Praxis – in Form von Naturheilvereinen, Sanatorien, Sportluftbädern, vegetarischen Vereinen und Reformhäusern  –, all dies erfolgte sämtlich in der Zeit bis 1914; schon Wolfgang Krabbe legte daher aus gutem Grund den zeitlichen Schwerpunkt seines 1974 publiziertes Standardwerks zur Lebensreform auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Zwar hat es – und dies gilt insgesamt bis 1933, ja bis weit darüber hinaus – zu einer zentralen Organisation aller Lebensreformer unter einem Dach nicht gereicht.1 Doch dazu waren die unterschiedlichen lebensreformerischen Modelle in der Menge zu kontrovers, die Bewegung von zu vielen individuellen Protagonisten zu disparat geprägt und die verschiedenen Strömungen innerhalb der Lebensreform zu unterschiedlich, um sich eine gemeinsame Stimme 150

Fazit und Ausblick

geben zu können. Die Frage war letztlich, ob eine Bewegung, die ihr gesellschaftliches Ziel jeweils individuell über die Selbstreform des Einzelnen zu erreichen suchte, überhaupt zwingend übergeordnet organisiert werden musste, um dieses Ziel zu erreichen. Insgesamt waren die Ideen der Lebensreform bis 1914 in ihrer Radikalität etwas komplett Neues; trotz zeitgenössischer Begleitströmungen wie der Jugendbewegung oder auch der Reformpäda­ gogik war die Lebensreform in jener Zeit geprägt von kulturellen Außenseitern mit ausgesprochenen Randvorstellungen, die zunächst kaum gesellschaftsfähig waren oder sein konnten. Doch zu dieser Zeit lag das Neue eindeutig in der Luft, und die Lebensreform gehörte zu den Vorreitern jener neuen Strömungen; es gab einige Beobachter der Zeitläufe – innerhalb wie außerhalb der Lebensreform –, die dies auch so formulierten. So schrieb die Mutter der späteren Schriftstellerin Gudrun Pausewang, Elfriede Pausewang, über ihre reformerische Jugendzeit während des Ersten Weltkriegs rückblickend: „Damals war es etwas Neues. Das ganze Bürgertum fühlte sich geschockt. Einfach leben, naturverbunden leben, ehrlich leben, das bedeutete schon einen gewaltigen Einschnitt in die Plüschwelt der Wilhelminischen Gesellschaft.  (...). Stell Dir doch mal vor: Umhegte Mädchen aus reichen Häusern zogen plötzlich in Leinenkitteln und schweren Wanderschuhen unbehütet durch Wald und Wiesen  (...). Junge Männer warfen Stehkragen und Hemdbrüste, Krawatten und Fräcke ab  (...). Sie betonten die eigene Verantwortung, wehrten sich gegen Titel- und Ordenssucht (...), gegen falsche Fassaden in jeder Hinsicht.“2 Und auch der Schriftsteller Stefan Zweig bemerkte rückblickend für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg eine neue Generation, deren Erscheinungsbild  – neben anderen Einflüssen  – auch durch die Lebensreform jener Zeit mitgeprägt worden ist: „Auch die Menschen selbst wurden schöner und gesünder, dank des Sports, der besseren Ernährung, der verkürzten Arbeitszeit und der innigeren Bindung an die Natur. (...) Die Frauen warfen die Korsetts weg (...), sie verzichteten auf die Sonnenschirme und Schleier, weil sie Luft und Sonne nicht mehr scheuten, sie kürzten die Röcke, um besser 151

Fazit und Ausblick

beim Tennis die Beine regen zu können (...). In den Schwimmbädern wurde immer häufiger die hölzerne Planke, die bisher unerbittlich das Herrenbad vom Damenbad getrennt, niedergerissen, Frauen und Männer schämten sich nicht mehr, zu zeigen, wie sie gewachsen waren (...).“3 Die Bemerkung von Zweig deutet bereits auf die Entwicklung nach 1918 voraus: Nun waren etliche Ideen und Projekte der Lebensreform – Hygiene, Gesundheit, Ernährungsbewusstsein, Körperkultur, Gartenanlagen – nicht mehr nur kulturell randständigen Gruppen vorbehalten, sondern ihr Einfluss war in der gesamten Breite der Gesellschaft  – und deutlich über die ursprüngliche Trägerschaft hinaus  – zu spüren. Diese Entwicklung reichte von der breiten organisatorischen und praktischen Durchsetzung von Naturheilkunde und Freikörperkultur etwa in der Arbeiterklasse und dem durch die Freikörperkulturvereine mitgeprägten neuen Gesundheitstourismus mit ihren außerstädtischen Wochenenderholungsgebieten an Seen und Flüssen über die Popularisierung von Reformhäusern und Reformernährung, vor allem in den städtischen Mittelschichten, bis hin zu neuen Ideen des städtischen Wohnungsbaus, der mit Grüngürtelanbindung und Kleingartennutzung Ideen der Siedlungsbewegung aufgriff; ganz zu schweigen von dem Anstieg der selbstversorgenden Siedlungen, die in den ökonomischen Mangelzeiten der Weimarer Republik eine gangbare selbstreformerische Alternative zur gesellschaftlichen Krise boten. Die Ideen der Lebensreform waren spätestens jetzt kulturell durchlässig geworden.4 Mit dieser Durchlässigkeit ging allerdings eine Konturlosigkeit dessen einher, was sich vor 1914 als kulturelle Praxis noch relativ genau umreißen ließ: „Lebensreform“ war in ihren Theorien und Praktiken unbestimmt, andere würden sagen: gesellschaftlich breiter geworden, und nicht nur, weil die Rezeptionskraft lebensreformerischer Praktiken konsequenterweise deren systematische Kommerzialisierung, die schon vor dem Ersten Weltkrieg mit der Reformwarenwirtschaft eingesetzt hatte, nach sich zog, ja ziehen musste. War vor 1914 ein Lebensreformer – oder zumindest das 152

Fazit und Ausblick

(Selbst-)Bild eines Lebensreformers – noch relativ klar anhand seiner (noch randständigen) Überzeugungen und Praktiken definiert, so begann das Bild nach 1918 mit der Popularisierung lebensreformerischer Elemente unschärfer zu werden. Wenn auf der einen Seite ein moderner Vertreter der städtischen Mittelschicht vegetarischen Ideen anhing, im Reformhaus einkaufte, Naturheilmittel verwendete, Körperkultur betrieb und am Wochenende seinen Garten bewirtschaftete oder ins Grüne fuhr – oder nur eines dieser Elemente praktizierte – und damit einen gewissen gesunden Lebensstil verfolgte, der erfolgreich in den städtischen Alltag integriert werden konnte und zur Leistungsoptimierung beitrug, so standen auf der anderen Seite immer wieder radikale gesellschaftliche Außenseiter, die sich keiner etablierten sozialen Gruppe zugehörig fühlten, in autarken Siedlungen selbstversorgend auf dem Land lebten und einen konsequenten lebensreformerischen Alltag lebten, der nicht oder nur schwer kulturell, ökonomisch und ästhetisch integrierbar war. Die Palette dessen, was nach 1918 als „Lebensreform“ bezeichnet werden konnte, ohne es im ursprünglichen Sinn immer auch zu sein, war so breit wie bunt, und ihre Bestandteile waren oft kaum miteinander kombinierbar.5 Auf der einen Seite waren lebensreformerische Elemente nun Teil des modernen städtischen Lebensstils geworden. So nahm der Weimarer Publizist Siegfried Kracauer den ursprünglich kulturell geächteten nackten Körper als „Sinnbild des aus den herrschenden gesellschaftlichen Zuständen befreiten Menschen“ wahr, und sein Zeitgenosse, der Schriftsteller Frank Thiess, fügte hinzu, dass „Tausende aus allen Gesellschaftskreisen“ Freikörperkultur betrieben, um „sich frei zu baden von den lastenden Bedingungen des Tages“, und attestierte der „jungen Generation“ mit Sport, FKK und gesunder Ernährung einen neuen, modernen, „spartanischen Geschmack“, der sich von der traditionellen protestantischen Selbstdisziplinierung gar nicht so sehr unterschied.6 Auf der anderen Seite war die ursprüngliche Lebensreform immer noch gelebte Außenseiterkultur unangepasster Sonderlinge. So kamen aufmerksame Zeitgenossen wie die politischen 153

Fazit und Ausblick

FKK-Familie in den 20er Jahren.

Schriftsteller Ernst Toller, Erich Mühsam oder Gustav Landauer mit der anderen, der widerständigen Seite extremer Lebensreformer in Kontakt, mit „utopistischen Kurpfuschern“, „lebensreformerischen  (...) Rezeptschmieden“, fanatischen Vertretern von „Vegetarismus, Rohköstlertum, Nacktkultur“, mit reformerischen Propheten und ihren Heilslehren, die „die Wurzel des Uebels im Genuß gekochter Speisen“ sehen und die „Welt von einem Punkte kurieren“ wollen, kurz, mit jenen extremen „Heilsbringern“, die nur „durch Propaganda einer Weltanschauung oder durch die Regulierung der Lebensweise die verschobene Ordnung der Dinge glauben ins rechte Gleis rücken zu können“.7 Wie groß die Meinungsspannbreite selbst innerhalb der Reformbewegungen war, zeigt die verächtliche Bemerkung des etablierten Reformpädagogen Wilhelm Flitner  – in seiner Jugend selbst ein Protagonist der Alternativbewegungen jener Zeit – über 154

Fazit und Ausblick

seinen einstigen Weggefährten, den Germanisten und Reformpädagogen Dr. Walter Fränzel, der zu einem Anhänger radikaler Lebensreformpositionen wurde: „Später kehrte er den Naturmenschen heraus und endete, ein ‚Lichtschulheim‘ gründend, uns unerfreulich, in der Gesellschaft extremer Lebensreformer der Freiluftkultur.“8 Ähnlich grundierte Zeitgenossen Fränzels wie die Wanderprediger Gustav Nagel, Max Schulze-Sölde, Willi Ackermann oder Gusto Graeser – generell die „barfüßigen Propheten“

Gustav Nagel mit seiner Familie.

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Fazit und Ausblick

der zwanziger Jahre – mussten sich von der etablierten „Hochkultur“ vergleichbare Einschätzungen gefallen lassen.9 Die breite gesellschaftliche Rezeption lebensreformerischer Elemente in den 1920er  Jahren in Deutschland führt zu der Frage, ob und wie sich die Lebensreformbewegung international positioniert und entwickelt hat. Die Forschung steht hier zwar noch am Anfang, dennoch lässt der eher unsystematische Forschungsstand doch gewisse Aussagen zu. Dabei wird allgemein davon ausgegangen, dass die Lebensreformbewegung ein vorwiegend deutsches Phänomen, genauer: ein norddeutsch-großstädtisch-protestantisches Phänomen war, das seinen Ursprung im Kontext der wilhelminischen Gesellschaft hatte; zumindest habe die Lebensreform in Deutschland ihren Ausgang genommen.10 Dennoch wird auch konstatiert, dass in anderen europäischen Ländern sowie in Nordamerika „im Kontext der wirtschaftlichen, technischen und sozialen Transformationen des ausgehenden 19. Jahrhunderts“ und als „kritische Reaktionen auf Industrialisierung und Urbanisierung“ vergleichbare Phänomene existiert hätten.11 Derartige Einschätzungen hängen jedoch auch von einer jeweiligen engeren oder breiteren Definition von „Lebensreform“ ab. Eine pauschalere Definition der Lebensreform als Reaktion auf „das Unbehagen mit der Moderne“, dem eine „Lebensführung im Einklang mit der Natur, aber auch ein ganzheitliches erfülltes Leben im Einklang mit den natürlichen Bedürfnissen des Menschen“ entgegenzusetzen sei, lässt eine umfassendere Zuordnung der Lebensreform auch zu lediglich flankierenden Bewegungen zu, als ein engerer Bezug nur auf die Grundpositionen der deutschen Lebensreformbewegung – Selbstreform, Sozialutopie, Erlösungsphantasien –, die es in dieser Konsequenz in anderen Ländern jedoch so nicht gegeben hat.12 Dies läge angeblich auch daran, dass in benachbarten europäischen Ländern der fortgeschrittene Demokratieprozess derartige extreme chiliastische Bewegungen eher verhindert habe als in Deutschland, das aufgrund der gescheiterten 1848er-Revolution und der politischen Ohnmacht im Bürgertum stets eine höhere Anfälligkeit für flankierende Flucht- und Ersatzbewegungen aufweise.13 156

Fazit und Ausblick

Zumindest gewisse Elemente der Lebensreform lassen sich aber doch in anderen Ländern nachweisen. So wird im Zusammenhang mit der Lebensreformbewegung gelegentlich die Kunsthandwerksszene („Arts and Craft Movement“), die Gartenstadtbewegung und der romantische Sozialismus in England, aber auch der frühe Vegetarismus, genannt, wenn auch konstatiert wird, dass diese Strömungen zwar kulturkritisch und antiindustriell gewesen seien, sich aber im Rahmen einer eher ästhetischen Rückbesinnung auf die positiven Aspekte der Tradition nur auf spezifische Probleme der Moderne beschränkt und nicht die „gesamte moderne Entwicklung kritisch infrage“ gestellt haben; in Deutschland indes galten zumindest kunsthandwerkliche und sozialistische Strömungen nicht als Bestandteil der spezifischen Lebensreform.14 In den Nachbarländern Deutschlands – hier vor allem Belgien, Schweiz, Österreich, Niederlande und Frankreich lassen sich – zum Teil schon im ausgehenden 19. Jahrhundert und zu einem Großteil von den deutschen Strömungen beeinflusst – vegetarische und naturheilkundliche Gruppen nachweisen.15 Sieht man einmal von dem literarisch äußerst wirksamen Leuchtturmprojekt des Monte Verità ab, so waren diese Gruppen in der Regel deutlich kleiner, zeitlich später und weit weniger prominent als ihre deutschen Pendants. In Skandinavien entstanden zur selben Zeit ebenfalls vegetarische Gruppen, aber auch einige Gründungen lebensreformerischer Siedlungen.16 Auch in Russland waren vegetarische Gruppen aktiv, während in Nordamerika  – hervorstechend (auch literarisch) war hier der Sanatoriumsbesitzer und Ernährungsreformer John Harvey Kellogg  – Ernährungsreform, Naturheilkunde und Körperkultur eine wichtige Rolle spielten, wenn sie auch keinen sozialutopischen und chiliastischen Hintergrund besaßen. In den entsprechenden Kapiteln dieser Studie wurde gelegentlich auf die Verzahnung der deutschen lebensreformerischen Strömungen mit den entsprechenden Protagonisten, Ideen und Gruppen in anderen Ländern – inklusive des deutschen Einflusses aufgrund lebensreformerischer Auswanderer in andere Länder – verwiesen.17 157

Fazit und Ausblick

Als besonders erfolgreiches „Ausfuhrprodukt“ der deutschen Lebensreform sollte sich die Freikörperkultur erweisen, die mittlerweile, von Deutschland aus, nicht nur Europa und Nordamerika, sondern auch Teile und Regionen Asiens, Afrikas und Australiens erreicht hat; schließlich ließen bzw. lassen sich über Freikörperkultur erfolgreich Freizeit, Gesundheit, Sport und Tourismus miteinander verkoppeln.18 Dabei gilt auch hier, dass im Rahmen des Transfers der selbstreformerische und sozialutopische (völkische bzw. sozialistische) Anteil nur bedingt bis gar nicht zum Tragen kam – mit Ausnahme der Schweizer Freikörperkulturgruppen, die lebensreformerische Elemente aufnahmen19 –; der lebensreformerische Impetus der FKK sollte nach 1945 selbst in Deutschland kaum noch eine Rolle spielen, geschweige denn in anderen Ländern. Insgesamt dauerte es nicht sehr lange, bis die Freikörperkultur zumindest außerhalb Deutschlands von einer ursprünglich engen lebensreformerischen Praxis zu einem weitgefächerten Bestandteil der internationalen Touristik wurde; wenn man so will, kann man diese Rezeption als „Erfolgsgeschichte“ verbuchen.20 Die Bemerkungen zur internationalen Rezeption lebensreformerischer Elemente führen auf die Frage zurück, in welchen Deutungshorizonten die gesellschaftliche Praxis der Lebensreform angesiedelt wird und in welchem Kontext sich die historischen Interpretationen bewegen. Die Forschung befasst sich mit der ­Lebensreform – sicher nicht zufällig – seit den späten 1960er Jahren, mithin seit der großen Welle einer weiteren „alternativen“ Bewegung, die jedoch von ihrem Vorgänger um 1900 kaum oder gar keine Kenntnis besaß. Dabei hielt sich die erste Historikergeneration der Lebensreformforschung in den 1960er  Jahren zum Teil selbst im Kontext der 68er-Bewegung auf oder sympathisierte mit ihr; zumindest war ihr klar, dass sie ihre Forschungsfragen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Imprägnierung und ihres sozialen Milieus formulierte, was ihre Herangehensweise und ihre Ergebnisse mitbestimmt haben dürfte. Die folgende Forschergeneration verfügte zum Teil ebenfalls über eine gewisse biographische Nähe zu ihrem Forschungsfeld, spätere Generationen scheinen dagegen 158

Fazit und Ausblick

eher eine biographische Distanz zum Thema aufzuweisen. Dennoch sind Forschungsergebnisse immer zeitgenössisch gebunden, und es dürfte – dies gilt gerade für dieses besonders aufgeladene außenseiterische Forschungsfeld, dessen wissenschaftliche Bearbeitung in den konservativen historischen Hochschulkreisen der 1960er Jahre nicht immer gern gesehen wurde – daher kaum besonders überraschen, wenn die verschiedenen Forschungsgenerationen hinsichtlich der Erklärungsmuster für das Phänomen „Lebensreformbewegung“ zu unterschiedlichen, ja kontroversen Interpretationen und Bewertungen gekommen sind.21 Dabei betreffen die Kontroversen neben der wissenschaftlichen Definition von „Lebensreform“ vor allem deren grundsätzliche Standortbestimmung: soziale Trägerschaft, politische Einstellung und gesellschaftliche Funktion. Am Anfang der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Lebensreform standen Analysen zu einem ihrer wichtigsten Protagonisten, dem Jugendstilmaler Hugo Höppener, genannt Fidus, in dem sich die reformerischen Strömungen wie in einem Brennglas bündelten und dessen Werke und lebensreformerischer Lebenslauf im Zuge der „alternativen“ Bewegungen der 1960er Jahre eine interessante Renaissance erlebten. Im Rahmen der Werkanalysen von Fidus und der Analyse seines kulturellen und sozialen Umfeldes  – Vegetarismus, Naturheilkunde, Körperkultur, Siedlungsbestrebungen – stufte man die Lebensreformbewegung als „romantisch-utopische(n) Antikapitalismus (ein), den man als Reaktion auf die gründerzeitliche Industrialisierung“ auffasste und als einen Rückzug aus der politischen Teilhabe in eine „neue Innerlichkeit“ und eine „neue Ganzheitlichkeit“ interpretierte.22 In diesem Kontext – und mit Rückgriff auf die Lebensläufe der vegetarischen „Propheten“  – identifizierte man die soziale Trägerschaft der Lebensreformer als die politisch Gescheiterten der 1848er-Revolution, die sich aus sozialer Enttäuschung in eine Welt der Innerlichkeit zurückzogen, um der politischen Teilhabe eine bürgerlich-idealistische Selbstreform entgegenzusetzen und die soziale Frage damit zu privatisieren. Als „Mittelstand“ stünden 159

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sie orientierungslos zwischen zwei Schichten: sozial bedrängt von der aufstrebenden Arbeiterklasse und sozial abgehängt vom „Kapital“. Dabei bezeichnete Hermand Fidus „trotz seines äußerlichen Habitus“  – Sandalen, lange Haare, Reformkleidung  – als „einen der üblichen (enttäuschten) Kleinbürger“ mit einem unheilvollen Hang zum völkischen Gedankengut, und das Autorenkollektiv um Frecot rechnete ihn (und die Träger der Lebensreform) dem „petite Bourgois“, der „Mittelschicht“, zu. Lebensreform galt hier als kompensatorische „Ersatzreligion“, wahlweise als „ideologische Heilslehre“, eben als Kennzeichen politischer Ohnmacht. Im Kern seien dabei die Lebensreform bzw. ihre Träger gescheitert.23 Diese frühe Theorie wird in der Forschung bemerkenswerterweise, wenn auch lediglich singulär, aktuell wieder aufgegriffen und als „Streben nach (gesellschaflicher) Harmonie“ bzw. als „soziale Dynamik der politischen Ohnmacht“ bezeichnet.24 Im Verlauf der 1970er  Jahre  – und mit zunehmender Forschungstätigkeit  – wurde das Bild differenzierter. Wolfgang Krabbe verwirft in seiner 1974 publizierten Grundsatzstudie die Flucht- und Kompensationsinterpretationen von Hermand und Frecot. Er sieht vielmehr eine therapeutische Funktion der Lebensreform als möglichen Weg aus der sozio-ökonomischen Fehlentwicklung der Moderne. Die Lebensreform erstrebe eine „Reform der Gesellschaft über die Verbesserung der Lebensbedingungen jedes Einzelnen, sie privatisierte die soziale Frage, indem sie individualreformerischen Zielen Priorität einräumte“. Ihre monomanen Utopien seien überzeitliche Transzendenzstrategien, getragen von gnostischem Sendungsbewusstsein und geleitet vom Wunsch nach Bewusstseinsveränderung. Ihre Träger seien die bürgerlichen Mittelschichten, die Lehrer, Beamten, Professoren, Kaufleute und Techniker, mithin die städtische Klientel der Moderne; ihre völkischen Anteile seien gering. Letztes Ziel sei die Verbesserung der Lage durch Selbstreform, mithin eine Art soziale Therapie.25 Nachfolgende Studien griffen diesen Ansatz auf und erweiterten ihn um subkulturelle, wenn auch im Kern bürgerliche Protestaspekte. Während Frecot jetzt der Lebensreform nur schwer 160

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eine soziale Schicht zuordnen konnte, da er bei den typisch mittelständischen Vertretern der Lebensreform bildungsbürgerliche Elemente identifizierte, kam Ulrich Linse zu der Auffassung, bei der Lebensreform handele es sich um eine „Gebildetenrevolte“. Beide Autoren machten in den Protagonisten der Lebensreform eine latente „kulturelle Unzufriedenheit“ aus, die zu einer typisch bürgerlichen Protesthaltung mit dem Ziel der Gesellschaftsveränderung durch eine „angewandte Aufklärung“, d. h. durch Selbstreform, geführt habe, einschließlich der Gefahr des Abgleitens in eine „privatistische Lebenskunst“. Da der Protest zunächst die bestehenden bürgerlichen Verhältnisse betraf, sei die Lebensreform ein „subkulturelles“, ein „bürgerlich-antibürgerliches“ Phänomen; die moderne Gesellschaft verfüge eben immer über ein ihr immanentes „Widerstandspotential“. Beide Autoren verkannten dabei keineswegs den Aspekt der „(Selbst)Vermarktung“ lebensreformerischer Elemente, betonten jedoch vor allem das Element der bürgerlichen Selbsttherapie.26 In der Folgezeit wurde in der Forschung vor allem dieses ambivalente, ja widersprüchliche Phänomen des vermeintlich „bürgerlich-antibürgerlichen“ bzw. des daran anknüpfenden „rückwärtsgewandt-fortschrittlichen“ Charakters der Lebensreformbewegung diskutiert;27 ein Phänomen, das ein typisches Merkmal etlicher sozialer Protest- und Suchbewegungen nicht nur der vorletzten Jahrhundertwende war. Nach Joachim Raschke gelten soziale Bewegungen als moderneimmanent, d. h., sie sind Produkt und Produzent der Moderne sowie Indikator bzw. Ursache und Wirkung des sozialen Wandels, und daher grundsätzlich ambivalent.28 Nach Ulrich Beck enthält die Moderne selbst immer auch einen modernekritischen Impetus; es sei eine Verfahrensweise der reflexiven Moderne, zu sich selbst in Opposition zu gehen und ständig nach Lösungen selbstverursachter Probleme zu suchen.29 So wird die Lebensreform gelegentlich als Element der Versöhnung mit der Moderne aufgefasst, als kompensatorisch-didaktisches Projekt, das eine neue Lebensunmittelbarkeit und eine Alternative zur abstrakten Welt anstrebe und damit ein Instrumentarium zur 161

Fazit und Ausblick

Behebung der Missstände der Moderne selbst sei.30 Nach dieser Deutung wäre die Lebensreform ein Teil der lösungsorientierten reflexiven Moderne und sei als Korrektur der Moderne einer ihrer konstitutiven fördernden Bestandteile; tatsächlich haben sich etliche Lebensreformer keineswegs als rückwärtsgewandt aufgefasst, sondern sich im Gegenteil als „vernünftig“, „modern“ und „fortschrittlich“ beschrieben.31 An diesen Positionen anknüpfend ging ein Teil der Forschung einen Schritt weiter und verknüpfte Modernisierung und (antimoderne) Lebensreform noch enger miteinander. Da, so die These, zu den Kennzeichen der Moderne auch Veränderung, Individualisierung und Fortschrittsstreben gehörten, fungierten die vermeintlich antimodernen Bewegungen nicht etwa als Therapie der Moderne, sondern im Gegenteil als „Speerspitze“ der Moderne: Gerade sie seien die Träger „neuer“ Werte und Techniken, die von der Moderne als „fortschrittlich“ identifiziert und instrumentalisiert worden seien. Die Moderne zwinge ihre Kultur ständig in Opposition zu sich selbst; ihre Funktion sei es, alternative randständige Kulturaspekte zu entwerfen, die dann erfolgreich modernisiert, kommerzialisiert und in den Fortschrittsprozess eingegliedert werden könnten. So würden ursprünglich an den kulturellen Rändern der Moderne entwickelte Körper- und Daseinsmodelle – und dies gelte auch für neue religiöse Entwürfe, Weltanschauungen, Heilslehren und Sinnsuchen in der Lebensreformbewegung – über deren Kommerzialisierung in den Prozess der Modernisierung eingebunden und als „Fortschritt“ im Sinne von Optimierung gesellschaftlich angepasst.32 In diesem Fall wären die Lebensreform und ihre „Produkte“ nichts anderes als die fortschrittliche Moderne selbst. Betrachtet man die Rezeptionskraft einstmals lebensreformerischer Elemente wie gesunde Ernährung, Vegetarismus, Spiritualität oder Körperkultur in der Breite der bürgerlichen Gesellschaft – allerdings genutzt als Selbstoptimierungs- und soziale Abgrenzungspraxis –, so lässt sich die Plausibilität dieser These nicht von der Hand weisen.33 Eine andere Erklärungsperspektive – die in der Forschung zur Lebensreform trotz ausgesprochener Griffigkeit kaum Widerhall 162

Fazit und Ausblick

gefunden hat – verfolgte die Sozialwissenschaftlerin Eva Bar­lösius in ihrer schon 1997 erschienenen historische Studie zur Sozialstruktur der vegetarischen Bewegung. Anhand einer erstmals durchgeführten Analyse der sozialen Herkunft der Vegetarier  – und unter Einbezug der sozialen Struktur der Naturheilkundeanhänger  – kommt Barlösius zu dem Schluss, dass es sich bei der lebensreformerischen Klientel vorwiegend um eine neue, noch unbürgerliche Mittelschicht handelte, die den lebensreformerischen Habitus und die daran gekoppelte Zivilisationskritik als „traditionelle“ Verbürgerlichungstechnik verwendet habe, um sich schneller und reibungsloser in die moderne Gesellschaft zu integrieren. Dabei sei die Popularisierung und Durchsetzung neuer bzw. neuinterpretierter Werte und Normen nach einem klassischen bürgerlichen Verfahrensmuster  – d. h. kulturelle Selbstgestaltungsräume, ökonomische Professionalisierung, soziale Weitergabe eines spezifischen Lebensstils  – generell ein traditioneller Weg zur Vergesellschaftung und Verbürgerlichung neuer Schichten in der Moderne. Die sozialen Träger der Lebensreform hätten ihre Verbürgerlichung über die Inszenierung und Repräsentation einer asketischen – bürgerlich-protestantisch anerkannten – Lebensführung34 sowie über eine entsprechende asketische Persönlichkeitsbildung erreicht. Sie seien anfangs nur deshalb als „alternativ“ wahrgenommen worden, weil die Inhalte der Verbürgerlichung neu gewesen seien. So sei auch der vermeintlich außenseiterische Habitus der lebensreformerischen „barfüßigen Propheten“, die im Grunde zu dem Gros der sozialen Trägerschaft der Lebensreform nicht zu passen scheinen, kein Widerspruch, da diese über ihre auffallende Praxis  – und sozial wie finanziell erfolgreich  – eine „Sinn-Produktion und Sinn-Durchsetzung“ (der Lebensreform) berufsmäßig betrieben“ und so das lebensreformerische Verbürgerlichungsprojekt unterstützt hätten. Der Verbürgerlichungserfolg selbst zeige sich an der breiten gesellschaftlichen Rezeption.35 Bemerkenswerterweise ist dieselbe sozialgeschichtliche These beinahe zeitgleich in einer sporthistorischen Studie angewendet worden, die die soziale Trägerschaft des neuen Sports und ihren 163

Fazit und Ausblick

sozialen Erfolg ab dem späten 19.  Jahrhundert untersucht hat. Hier stellte die Historikerin Christiane Eisenberg in ihrer 1999 erschienenen Studie zur Geschichte des englischen Sports ebenfalls fest, dass die Trägerschaft des Sports  – gegenüber der des altbürgerlichen und kleinbürgerlichen Turnens  – zunächst unbürgerliche Gruppen gewesen seien und über die Profilierung der neuen Werte des jungen Sports – Leistung, Konkurrenz, Spezialisierung, Säkularisierung – sowie einer daran ausgerichteten Lebensführung ihre Verbürgerlichung erreicht hätten. Auch hier sei die breite Rezeption des Sports ein Beleg für die erfolgreiche gesellschaftliche Durchsetzung der Vergesellschaftung jener neuen sozialen Gruppen.36 Der sozialgeschichtliche Ansatz von Barlösius hat sich jedoch trotz seiner Anschlussfähigkeit an die oben beschriebenen gängigen Thesen in der überwiegend kulturhistorisch orientierten Forschung zur Lebensreform nicht durchsetzen können.37 Ein Einbezug oder eine Synthese von kultur- und sozialgeschichtlichen Ansätzen  – wie auch eine Abgleichung mit denjenigen wenigen Studien, die sich der Lebensreform über die Sozialdisziplinierungstheorie Foucaults nähern38 – steht ebenso noch aus wie eine die Forschung überzeugende Deutung zum historischen Phänomen der Lebensreformbewegung.

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Anmerkungen Vorwort 1

Göttinger Tageblatt vom 27. August 2016; vgl. dazu auch ausführlich Linse, Siedlungen, 2014.

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Vgl. die Studien von Hermand, Schein, 1972 sowie Frecot / Geist / Kerbs, Fidus, 1972. Schüler, Bayreuther Kreis, 1971 und Bergmann, Großstadtfeindschaft, 1971 streiften lediglich das Thema Lebensreform. Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 11. Vgl. Spitzer, Naturismus, 1983; König, Nacktheit, 1990; Schneider, Nacktkultur, 1996; Grisko, Freikörperkultur, 1999; Hau, Cult, 2003 oder Möhring, Marmorleiber, 2004. Vgl. Regin, Selbsthilfe, 1995; Faltin, Heil, 2000 oder Schrickel, Just, 2012. Vgl. Baumgartner, Ernährungsreform, 1992; Wirz, Moral, 1993; Barlösius, Lebensführung, 1997; Semler, Rohkost, 2006 oder Frankenbach, Vegetarismus, 2007. Vgl. Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006. Vgl. Linse, Zurück, 1983; Linse, Bestrebungen, 1993; Wörner-Heil, Utopie, 1996; Nothnagle, Grund, 1998; Kurzmeyer, Viereck, 1999 oder Schwab, Monte Verità, 2003. Vgl. Baier, Yoga, 1998; Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004; Hardt, Körper, 2004; Schmitz, Sozialgymnastik, 2009 oder Hanse, Rythme, 2010. Vgl. beispielhaft für die FKK Dreßen, Naturismus, 1996 und Weinreich, Freikörper­ kultur, 1999, für die Naturheilkunde Rothschuh, Naturheilbewegung, 1983 und Hlade, Kur, 2015, für die Körperkultur Karina / Kant, Tanz, 1996 oder Köpp, Leben, 1996 und für die Siedlungsbestrebungen und ihr prophetenhaftes Umfeld Lorenz, Hellerau, 1994; Müller, Dichter, 1978 (über Gusto Graeser und den Monte Verità) oder Meyer, nagel, 2001 (über Gustav Nagel). Vgl. Kerbs / Reulecke, Handbuch, 1998 sowie Wolbert et. al., Lebensreform, 2001. Der Grin-Verlag, der Master-, Bachelor- und Hausarbeiten sowie Referate veröffentlicht – wobei deren Veröffentlichungs- bzw. Erkenntniswert im Einzelnen zu diskutieren wäre – benennt zum Stichwort „Lebensreform“ über 100 dünnleibige Studien- und Qualifizierungsarbeiten (www.grin.com, Zugriff am 20. 08. 2016). Vgl. zuletzt den deutsch-französischen Sammelband von Cluet / Repussard, Lebensreform, 2013 sowie den Ausstellungskatalog von Barz, Lebensreform, 2015. An der Universität von Fribourg, Schweiz, läuft unter der Federführung von Prof. Dr. Damir Skenderovic gegenwärtig ein Forschungsprojekt zur Geschichte der Lebensreform­ bewegung in der Schweiz. Vgl. Zeit-Geschichte, Jugendbewegung, 2013. Vgl. Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 171 f. Vgl. Frecot / Geist / Kerbs, Fidus, 1972, 13–58; Frecot, Lebensreformbewegung, 1976; Linse, Mensch, 1983, 34 f.; Schwab, Monte Verità, 2003, 34 f.; Wedemeyer-Kolwe, Lebensreformbewegung, 2015, 119 f. sowie Barz, Lebensreform, 2015, 14. Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 48 (Zitat) zählte die Siedlungsbestrebungen allerdings nur peripher dazu und benannte als zentral noch die Kleidungsreform. Barlösius, Lebensführung, 1997, 222–224. Erstes Zitat in Der Vortrupp (5. Jg.) 1916, 676; zweites Zitat in Licht-Land (1. Jg.) 1924, 2–3. Vgl. dazu das Schlusskapitel.

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Wolbert, Lebensreform, 2001, 19 und 17. Wolbert, Lebensreform, 2001, 17. Schupke, Brücke, 2016, 22 (mit Bezug auf den von Klaus Wolbert herausgegebenen Lebensrefom-Katalog von 2001). Vgl. als Beispiele Sünderhauf, Griechensehnsucht, 2004, 139–172; Kläber, Muskelkult, 2013, 131 f.; Klose-Lewerentz, Körper, 2013, 148 (mit direktem Bezug auf Wolbert) und Henze / Schupke, Menschheitsdämmerung, 2014, 4 f. (ebenfalls mit Bezug auf den Lebensreform-Katalog von 2001).

Begriffe, Motive und Stichwortgeber 1 2

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Körperkultur (4. Jg.) 1909, 261. Licht-Land (1. Jg.) 1924, 2; Vertrauliche Mittteilungen für die Loge des aufsteigenden Lebens (1. Jg.) 1911, 1; Der Naturarzt (32. Jg.) 1904, 2; vgl. auch Deutsch-Hellas (1. Jg.) 1907, unpag.: „riesige Bewegung“. Kraft und Schönheit (20. Jg.) 1920, 169; vgl. auch Deutsch-Hellas (2. Jg.) 1908, 26 f. Der Naturarzt (32. Jg.) 1904, 2. Kraft und Schönheit (20. Jg.) 1920, 171. Vgl. die Abbildung in Frecot / Geist / Kerbs, Fidus, 1972, 15. Vgl. dazu Raschke, Bewegungen, 1988, 32 ff. und 77 ff. sowie Kerbs / Reulecke, Handbuch, 1998, 10–18; Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 27–47 und Rohkrämer, Lebensreformbewegung, 2013, 320 f.; vgl. dazu auch die Bemerkungen im Abschlusskapitel dieser Studie. Vgl. die Diskussion in Rohkrämer, Lebensreformbewegung, 2013, 320 f. An Raschke orientieren sich z. B. Barlösius, Lebensführung, 1997, 16 und 217; WedemeyerKolwe, Körperkultur, 2004, 17 und Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006, 34. Die Studien von Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974; Kerbs / Reulecke, Handbuch, 1998, 11; Wolbert, Lebensreform, 2001, 17 oder Cluet / Repussard, Lebensreform, 2013 definieren den Begriff der „Bewegung“ dagegen nicht oder nur sehr ungenau. Zum Naturbegriff in der Reformpädagogik mit etlichen Verweisen auf Jugend- und Lebensreformbewegung vgl. Tenorth, Natur, 2013, bes. 443 f. Vgl. Just, Natur, 1896 (Titel) sowie Kraft und Schönheit (19. Jg.) 1919, 9. Rohkrämer, Moderne, 1999, 28 f.; vgl. auch Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 77 f., zur Kontinuität der Naturverklärung generell Groh / Groh, Weltbild, 1991 und im Kontext der Aufklärung Koebner, Natur, 1993. In einem vergleichbaren Diskurskontext bewegten sich auch die zeitgenössischen Initiativen zum Naturschutz; vgl. Schmoll, Erinnerung, 2004, besonders 18 f., 41 f. und 51 f. Vgl. Rohkrämer, Moderne, 1999, 125 sowie Schwarz, Leben, 1997 mit Belegen zu Gustav Nagels Handel mit seinen Verlagsprodukten. Kraft und Schönheit (20. Jg.) 1920, 171. Vgl. Rohkrämer, Moderne, 1999, 24 f. sowie Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 77 f. mit einer Vielzahl an typischen zeitgenössischen Zitaten. Kraft und Schönheit (7. Jg.) 1907, 1. Vgl. dazu auch Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006, 167–171. Ungewitter, Ketzereien, 1908, 210 f., Siebert, Katechismus, 1898, 42; Rothschuh, Naturheilbewegung, 1983, 81 (Kneipp); Peeters, Degeneration, 2011, 363 (Van Son) sowie Just, Heilerde, 1919, 16. Vgl. Portwich, Fidus, 2015, 79 und Frecot / Geist / Kerbs, Fidus, 1972, 62 f. (Fidus und Diefenbach); Wagner, Diefenbach, 2009, 22 f.; Barz, Naturmensch, 2015, 63 sowie Kort, Künstler, 2015, 166 (Nagel); Linse, Shinto, 2002, 225 (Zimmermann) und Rothschuh, Naturheilbewegung, 1983, 68 (Prießnitz).

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Vgl. dazu auch die Bemerkungen von Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006, 321. „Eine letzte Warnung vor Kabakon!“ druckte die Zeitschrift „Kraft und Schönheit“ ab (9. Jg.) 1909, 258 ff. Vgl. Kort, Künstler, 2015, 120 (Diefenbach); Barlösius, Lebensführung, 1997, 26 (Schlickeysen) und Klein, Neuguinea, 2001 (Engelhardt). Licht-Land (1. Jg.) 1924, 7. Vgl. dazu die Diskussion der Begrifflichkeiten in Buchholz, Leitmotive, 2001, 41 f. sowie Cluet, Vorwort, 2013, 14 f. und Hermand, Lebensreformbewegung, 2013, 52 f. Pausewang, Rosinkawiese, 1983, 12. Licht-Land (1. Jg.) 1924, 2. Kraft und Schönheit (20. Jg.) 1920, 171. Die Zitatstellen zur Floskel von der „Einheit von Körper, Geist und Seele“ in der Lebensreformbewegung sind unüberschaubar groß. Vgl. zum grenzüberschreitenden Ganzheitsdiskurs um 1900 prägnant zusammen­ fassend Rülcker, Ganzheit, 2013. Die ersten beiden Zitate bei Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 77 (nach den Lebensreformern Eduard Baltzer und Werner Zimmermann), das letzte Zitat bei Rohkrämer, Moderne, 1999, 125. Stellvertretend für diese, im Grunde moderneaffine, Argumentation sei hier auf Strongfort, Lebensenergie, 1928, 33 und 40 f. verwiesen; vgl. dazu auch WedemeyerKolwe, Körperkultur, 2004, 378 f. sowie Möhring, Marmorleiber, 2004, 15 f. und 31 f. und Stoff, Jugend, 2004, 271 f. Kuenzlen, Mensch, 1994, 156 sowie Onken, Freiland, 1998, 277–288, Zitat auf 279; vgl. auch Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 78 sowie die kritisch-satirische zeitgenössische Reportage über eine regionale Umsetzung von Gesells Theorie in Olden, Propheten, 1932, 217–236. Vgl. Rohkrämer, Moderne, 1999, 28 sowie Rohkrämer, Lebensreformbewegung, 2013, 321. Vgl. dazu Wedemeyer, Natur, 2001 sowie Puschner, Lebensreform, 2001. Die Zitate von Fidus und Dußel in Aufsteigendes Leben 1–3 (12. Jg.) 1922, 2 f. sowie 9. Vgl. zur völkischen Bewegung mit ihren Schlüsselbegriffen, Konstrukten und Denkfiguren insgesamt Puschner, Bewegung, 2001. Vgl. Schmoll, Erinnerung, 2004, 19 und 40 f. Das Zitat aus der Satzung des Bundes Heimatschutz bei Sieferle, Fortschrittsfeinde, 1984, 167; vgl. dazu auch die frühe Studie von Bergmann, Agrarromantik, 1970, bes.153 f. zur Lebensreform sowie Puschner, Bewegung, 2001, bes. 145 f. Als historischer Überblick geeignet ist Bollenbeck, Kulturkritik, 2007; vgl. auch Sieferle, Fortschrittsfeinde, 1984, bes. 155 f. und Tenorth, Natur, 2013, 444 f. Küppers-Sonnenberg, Akademiker, 1924, 24. Kraft und Schönheit (7. Jg.) 1907, 141. Vgl. zum Kontext aus der Fülle an Literatur Rohkrämer, Moderne, 1999, 14 f.; Beßlich, Kulturkrieg, 2000, 1 f. und 16 f.; Skiera, Reformpädagogik, 2003, 45 f. sowie Bergmann, Agrarromantik, 1970, 8 f. und 85 f. Vgl. Stern, Kulturpessimismus, 1963 sowie Sontheimer, Denken, 1983. So Richard Ungewitter in Aufsteigendes Leben (4. Jg.) 1914, 1; vgl. auch Puschner, Bewegung, 2001, 146. Der Kunstwart (19. Jg.) 1911, 569 f.; vgl. auch die Biographie von Borrmann, Schultze-Naumburg, 1989 und zum Kontext Linse, Bestrebungen, 1993, bes. 321 f. Vgl. dazu die Analyse völkischer Gesellschaftskritik anhand der Zeitschrift „Hammer“ von Saal, Masse, 2015.

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Küppers, Land, 1918, 9 f. Vgl. Puschner, Bewegung, 2001, 115–119 sowie Linse, Zurück, 1983, 25–36; das Zitat in Licht-Land (1. Jg.) 1924, 2. Die Sekundärliteratur dazu ist Legion; vgl. dazu in dem hier interessierenden Kontext z. B. Hamann / Hermand, Stilkunst, 1967, 109–130; Hepp, Avantgarde, 1987, 43–74 sowie insgesamt Beßlich, Kulturkrieg, 2000, bes. 27 f. Spengler, Mensch, 1931, 55 und 39. Ich folge hier der Definition von Bollenbeck, Kulturkritik, 2007, 10 f. Vgl. z. B. Hamann / Hermand, Stilkunst, 1967, „Kultur statt Zivilisation“ (109) und „Kulturkritiker“ (111); Hepp, Avantgarde, 1987: „Kulturkritik“ (Titel) und „kultur­ revolutionäre, zivilisationskritische (...) Stimmungen (7); Skiera, Reformpädagogik, 2003, „kultur- oder zivilisationskritische Stimmungslage“ (48) oder Beßlich, Kulturkrieg, 2000, 1 f.: „Die Geburt des Kulturkrieges aus dem Geist der Zivilisationskritik“. Rohkrämer, Moderne, 1999, verwendet dagegen ausschließlich den Zivilisationsbegriff. Der Vortrupp (6. Jg.) 1917, 174. Der Beitrag von Curt Schwantes heißt „Kultur und Zivilisation“. Der Vortrupp (6. Jg.) 1917, 174; vgl. zu dieser Anschauung auch Tenorth, Natur, 2013, 444 f.: „die bessere Kultur ist eine Artikulation der ‚wahren Natur des Menschen‘“. Kraft und Schönheit (6. Jg.) 1906, Heft 7, Vorsatzblatt, zit. n. Koerber, Freikörper­ kultur, 1998, 104. Vgl. zu dieser Position auch Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006, 308 ff. Kraft und Schönheit (20. Jg.) 1920, 169. Aufsteigendes Leben (4. Jg.) 1914, 2. Die Zeitschrift wurde von dem völkischen Nudisten Richard Ungewitter herausgegeben. So die Einschätzung von Uwe Puschner, Lebensreform, 2001, 175, auch Klaus Vondung ist der Meinung, dass die Lebensreformbewegung überwiegend nicht­ völkisch war; vgl. zu dieser Diskussion Cluet, Vorwort, 2013, 14. Die Freude (2. Jg.) 1925, 459–472 (Titel). Bollenbeck, Kulturkritik, 2007, 206–215, hier 208 f. Vgl. etwa das Traktätchen von Diefke, Nietzsche, 1903 oder, anspruchsvoller, die Schrift des jugendbewegten Walter Hammer, Nietzsche, 1914. Vgl. dazu etwa den Aufsatz von Carl Buttenstedt, Richard Wagner und die Empfindung, in Deutsch-Hellas (1. Jg.), 1907, 155 f. Der autodidaktische Naturphilosoph und Lebensreformer Carl Buttenstedt war der Begründer der „Buttenstedt’schen Empfindungsphilosophie“. Zu Buttenstedt vgl. noch Stoff, Jugend, 2004, 81 f. sowie Cluet, Deutsch-Hellas, 2013, bes. 120 und zur ambivalenten zeitgenössischen Ein­ stellung zu Buttenstedt Die Schönheit (3. Jg.) 1905/06, 185. Hlade, Kur, 2015, 131 f. und 195 f. sowie 220 f., stellt einen hoch spekulativen und konjunktivistischen Bezug her zwischen Wagners (und auch Nietzsches) gelegent­ lichen Wasserkuren und deren Einfluss auf ihr Werk. Als Beispiel sei der völkische Schwager Wagners, Bernhard Förster, erwähnt, der 1882 das Buch „Der Vegetarismus als ein Theil der socialen Frage“ publizierte. Vgl. dazu Schüler, Bayreuther Kreis, 1971, 45 f., 146 und 189 f. (inklusive die zu Wagner zählenden Autoren mit den entsprechenden Themen in den Bayreuther Blättern); Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 82 f. und Aschheim, Nietzsche, 2000, 60 f. Darauf verweist instruktiv und am Beispiel der Nietzsche-Rezeption schon Ulbricht, Nietzsche, 2006, der zwischen der Nietzsche-Lektüre prominenter Jugendbewegter, einer wohl geringen Nietzsche-Wirkung in der Breite der Jugendbewegung und einer tendenziellen Nietzsche-Abstinenz in den Zeitschriften der Jugendbewegung

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unterscheidet, aber auf die Rezeptionsfreudigkeit bei Künstlern wie Fidus, Sascha Schneider, Ludwig Fahrenkrog oder Franz Stassen hinweist. Das Zitat und die Schlussfolgerung bei Chalard-Fillaudeau, Lebensreform, 2013, 79 f., die jedoch für ihre Behauptung weder die Menge an relevanter Sekundärliteratur noch entsprechende Quellen durchgesehen hat. Vgl. Frecot / Geist / Kerbs, Fidus, 1972, 219 und 256. Diese Rezeption hatte unmittelbar Einfluss auf seine malerische und graphische Tätigkeit. Vgl. dazu Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 98 f. und 114 f. sowie zu Klages und Bode noch Hanse, Lebensreform, 2009. Vgl. Weidemanns ausführlichen Aufsatz „August Julius Langbehn“ in Die Freude (3. Jg.) 1926, 375–384. Als ein Beispiel unter vielen Die Freude (2. Jg.) 1925, 426-433. Hier setzt sich der Lebensreformer Georg Foerster mit Nietzsches zyklischem Weltbild der „Wiederkunft des Gleichen“ in Bezug auf den Buddhismus auseinander. Vgl. Aschheim, Nietzsche, 2000, 60 f. Vgl. Gymnastik (1. Jg.) 1926, 69; ähnlich kritisch Die Freude (2. Jg.) 1925, 459 f., hier 463 f.: „Ein Mann mit so geringer positiver Teilnahme an den Dingen, auch am Leben seines Volkes“. „Damals waren sie jene Bildungsphilister, die Friedrich Nietzsche mit einer Ohrfeige in die Unsterblichkeit beförderte“ (Die Freude (2. Jg.) 1925, 434). Skiera, Reformpädagogik, 2003, 53–57, dort auch die Zitate. Linse, Lebensphilosophie, 2001, 165–168, Zitat auf 167. Fellmann, Lebensreformbewegung, 2001, 151–156, Zitat auf 155; vgl. dazu noch Aschheim, Nietzsche, 2000, bes. 59 f. und 229 f.; Hepp, Avantgarde, 1987, 50–58 sowie Bollenbeck, Kulturkritik, 2007, 155–198; es ist bezeichnend für die Bedeutung Nietzsches für die Lebensreform, dass sich etliche Artikel des 2001 erschienenen Ausstellungskataloges „Die Lebensreform“ eingehend mit der Nietzscherezeption auseinandersetzen. Zit. n. Linse, Lebensphilosophie, 2001, 167. Mit Blick auf die Rezeption in Reformpädagogik und Jugendbewegung Skiera, Reformpädagogik, 2003, 59 f.; auf moderne Kunst und Reformbewegungen insgesamt Hepp, Avantgarde, 1987, 63–68, auf die Lebensreform Chalard-Fillaudeau, Lebensreform, 2013, 75–84 sowie zusammenfassend mit Blick auf die völkische Bewegung Behrendt, Langbehn, 1996. Langbehn, Rembrandt, 1890, 3, 294, 31, 19, 38, 294 und 86 sowie Langbehn, Rem­ brandt, 1922, 246 in der 72.–76. Auflage. Die Belege in der Reihenfolge der Zitate. Die Freude (3. Jg.) 1926, 375, mit „Lichtgläubigen“ sind die Anhänger der Freikörperkultur gemeint. Vgl. zu Lagardes Kulturkritik Skiera, Reformpädagogik, 2003, 57 ff.; Hepp, Avantgarde, 1987, 58 f. sowie die Biographie von Sieg, Prophet, 2007. Vgl. Bode, Wege, 1926, Leitsätze (unpag.): „Wir sind es müde, mit Geschaffenem und Gemachtem abgefunden zu werden; wir wollen Geborenes, um mit ihm zu leben, du um du, Paul de Lagarde.“ Klages, Rhythmus, 1933, 11. Vgl. dazu die Belege in Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 98–101 sowie Hanse, Lebensreform, 2009 und zu Klages Zivilisationskritik auch mit Ausblick auf die Lebensreform Rohkrämer, Moderne, 1999, 162–215. Der Beitrag von Gröben, Natur, 2011, über Bodes Natur- und Rhythmusauffassung kommt ohne die relevante Sekundärliteratur zum Schnittfeld Lebensreform, Körperkultur und völkische Bewegung aus. Vgl. dazu Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 104–117.

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Vgl. zur Geschichte der veganen Ernährung jetzt das populär und ohne Fußnoten verfaßte Sachbuch von Fritzen, Gemüseheilige, 2016, bes. 11–91 für den hier behandelten Zeitraum. „Den Mitgliedern der Naturheil- und Nacktkulturorganisationen war die fleischlose Ernährungsweise nicht verbindlich vorgeschrieben“ (Krabbe, Gesellschaftsver­ änderung, 1974, 49). Vgl. dazu auch Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006, 321, die auf die zeitgenössische Warnung etlicher Naturheilkundler vor dem Ernährungs­ fanatismus der Vegetarier hinweist. Vgl. dazu Baumgartner, Ernährungsreform, 1998. Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 49. Vgl. Barlösius, Lebensführung, 1997, 200 f. Grundlegend zu Ernährungsreform und Vegetarismus sind Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 48–76 und 112–141; Baumgartner, Ernährungsreform, 1992; Wirz, Moral, 1993; Barlösius, Lebensführung, 1997 und das vorwiegend auf die Geschichte der Reformhäuser fokussierende Buch von Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006. Instruktiv ist zudem immer noch der Aufsatz von Teuteberg, Sozialgeschichte, 1994. Brang, Russland, 2002 befasst sich mit der Geschichte des russischen Vegetarismus. Die Studie von Merta, Wege, 2003 zur Geschichte des „Schlankheitskults“, die die Lebensreformbewegung streift, enthält zu viele inhaltliche und thematische Unschärfen; vgl. dazu die Rezension in Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde, 2005, 236 ff. Die diätetisch-soziologische Überblicksstudie von Frankenbach, Vegetarismus, 2007 und die partielle Aspekte behandelnde Dissertation von Semler, Rohkost, 2006 fassen den historischen Teil überwiegend mittels der Sekundärliteratur zusammen. Die Studie von Hlade, Kur, 2015 kommt weitgehend ohne die Ergebnisse der Lebensreformforschung aus und bindet die im Anhang aufgeführte Forschungsliteratur nur peripher in den Text mit ein. Auf etliche (weitere) Protagonisten weisen Baumgartner, Ernährungsreform, 1998; Baumgartner, Vegetarismus, 1998 sowie Frankenbach, Vegetarismus, 2007 hin. Vgl. zu Bircher-Benner Wirz, Moral, 1993, 47–76 sowie Wolff, Bircher-Benner, 2010. Zu dem völkischen Lebensreformer Gustav Simons, der später in der Obstbausiedlung Eden lebte, gibt es nur wenig Material; vgl. Baumgartner, Ernährungsreform, 1998, 120 sowie Puschner, Lebensreform, 2001, 175 f. und Hufenreuter, Kulturbund, 2012. Vgl. zu Kellogg auch Wirz, Moral, 1993, der von einer „Grammatik des Essens“ spricht. Der Roman von Boyle, Welcome to Wellville, 1994, über das Battle-CreekSanatorium von Kellogg ist zwar „nur“ Literatur, aber bemerkenswert gut recherchiert. Vgl. zu Baltzers freireligiöser Karriere Pilick, Lexikon, o. J., 13 ff. Vgl. zu Baltzer Barlösius, Lebensführung, 1997, 35–47; Rothschuh, Naturheilbe­ wegung, 1983, 109 f. und zuletzt Kaiser, Baltzer, 2014; vgl. auch die posthum herausgegebene Autobiographie Baltzer, Erinnerungen, 1907. Vgl. zu Hahn Barlösius, Lebensführung, 1997, 68–76; Baumgartner, Ernährungs­ reform, 1998, 119 und Rothschuh, Naturheilbewegung, 1983, 25 f. Vgl. zu Zimmermann Barlösius, Lebensführung, 1997, 77–81, weitere Hinweise finden sich bei Rothschuh, Naturheilbewegung 1983, 78 und 111 sowie bei Baumgartner, Vegetarismus, 1998, 131 und 133. Struves Lebenslauf und seine historische Bedeutung – seine Rolle in der zeitgenössi­ schen Turnbewegung, in der Revolutionszeit und im juristischen und phreno­ logischen Umfeld – ist vielfältig erforscht. An dieser Stelle ist sein Einfluss auf die vegetarische Bewegung relevant; vgl. dazu Barlösius, Lebensführung, 1997, 47–57; Baumgartner, Vegetarismus, 1998, 131 f. sowie Barlösius, Propheten, 2001.

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Vgl. zur Biographie Wegner, Langsdorff, 1989; Linse, Geisterseher, 1996, 76–87 sowie die Bemerkungen in Neumann, Turnbewegung, 1968, 33 ff. Baumgartner, Vegetarismus, 1998, 131 (erstes Zitat) sowie Cluet / Repussard, Lebenreform, 2013 (Titel); vgl. dazu auch Frecot / Geist / Kerbs, Fidus, 1972, 32 f. und Frecot, Lebensreformbewegung, 1976. Vgl. dazu Barlösius, Lebensführung, 1997, 168 ff. und Peeters, Degeneration, 2011, 265 f. Weitere prominente Rohkostvertreter waren Adolf Just, Heinrich Lahmann, Maxi­ milian Bircher-Benner, Ragnar Berg oder Arnold Ehret; vgl. zur Geschichte der Rohkost als alternative Ernährungsform Semler, Rohkost, 2006, bes. 4–20, sowie die entsprechenden Kurzlebensläufe. Vgl. zu den Lebensläufen vor allem Baumgartner, Ernährungsreform, 1998, 199 f.; Baumgartner, Vegetarismus, 1998, 131 f. sowie Rothschuh, Naturheilbewegung, 1983, 90 ff.; Wirz, Moral, 1993 und Wolff, Bircher-Benner, 2010 sowie zu Lahmann noch Rothschuh, Naturheilbewegung, 1983, 125; Lienert, Dresden, 2002 und Jütte, Kafka, 2002, 421 f. und zu Buchinger Klepzig, Buchinger, 2000 sowie die Autobiographie von Buchinger, Marinearzt, 1955. Vgl. zu Fletcher etwa Whorton, Crusaders, 1982, 168–174 und Jütte, Kafka, 2002; zu Engelhardt und Bethmann Klein, Engelhardt, 2001 sowie Wedemeyer, Athletenvater, 1999, 105 ff. und die Selbstdarstellung von Engelhardt / Bethmann, Äquator, 1906. Die von der Presse unterschiedlich intensiv aufgenommene literarische Verarbeitung dieses bizarren Stoffes übernahmen Buhl, Paradies, 2011 sowie Kracht, Imperium, 2012. Vgl. hierzu und zum Folgenden Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 59–72. Baumgartner, Vegetarismus, 1998, 130 unterscheidet vier Motivlagen (ethisch-moralisch, religiös, gesundheitlich, ökologisch), die sich jedoch auch in Krabbes Einteilung wiederfinden. Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 59. Vgl. dazu Baumgartner, Antialkoholbewegung, 1998 sowie Krabbe, Gesellschafts­ veränderung, 1974, 37–47. Zu dieser Argumentation Peeters, Degeneration, 2011, 271. Ungewitter, Ketzereien, 1908 (Untertitel). Ausführlich dazu Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 61 f. sowie Wirz, Moral, 1993, 54 f., der vom „Jahrhundert des Fleisches“ spricht. Küppers, Eigen Land, 1918, 11 ff. Vgl. dazu Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 67–69. Vgl. dazu Baumgartner, Ernährungsreform, 1992, 47–59; Farkas, Alternative Landwirtschaft, 1998 sowie als Fallbeispiel Farkas, Bartsch, 2015. Vgl. zu Eden die umfassende Monographie von Baumgartner, Ernährungsreform, 1992 sowie zum Kontext Feuchter-Schawelka, Siedlung- und Landkommunebewegung, 1998, bes. 235 f. Zu diesem Komplex existiert eine Vielzahl von Untersuchungen. Vgl. für diesen Zusammenhang Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 27–36; Prinz, Genossenschaften, 1998; Meyer-Renschhausen / Berger, Bodenreform, 1998; Onken, Freiland, 1998 sowie Nothnagle, Grund, 1999. Grundlegend ist immer noch Linse, Zurück, 1983. Vgl. dazu aus der Fülle an Literatur die Übersichten bei Bergmann, Agrarromantik, 1970; Hartmann, Gartenstadtbewegung, 1998 sowie 1998 und zuletzt Neau, Gartenstadtbewegung, 2013. Vgl. auch unten das Kapitel zur Siedlung. Vgl. zur Geschichte des Tierschutzes im Kaiserreich die frühen Arbeiten von Zerbel, Tierschutz, 1993 und Zerbel, Tierschutzbewegung, 1996. Einen mehr juristischen Hintergrund hat Han, Tierschutz, 2014 für die Zeit des Nationalsozialismus. Die

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aktuelle Richtung der (historischen) Human-Animal Studies wird hier nicht be­ rücksichtigt; vgl. dazu etwa den Sammelband von Spannring, Tiere, 2015, der sich auch mit Veganismus befasst. Vgl. dazu Ellwanger / Meyer-Renschhausen, Kleidungsreform, 1998; Welsch, Ausstieg, 1996 sowie die Jäger-Biographien von Kaufmann, Jäger, 1984 und Weinreich, Duftstoff, 1993. Innerhalb der Freikörperkultur nahm besonders der völkische Nudist Richard Ungewitter, der Vegetarier und Abstinenzler war, eine derartige Position ein; vgl. dazu Ungewitter, Nacktheit, 1907 sowie Ketzereien, 1908. Vgl. dazu Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 70 ff. sowie Baumgartner, Vege­ tarismus, 1998, 133. Vgl. dazu Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 72 f.; Baumgartner, Vegetarismus, 1998, 130. Vgl. hierzu auch unten das Kapitel zur Körperkultur. Die Literatur zur disparaten religiösen Situation um 1900 ist zahlreich und inhaltlich breit gefächert; vgl. mit Blick auf die Lebensreformbewegung und den Vegetarismus z. B. Usarski, Bekenntnis, 1989; Baumann, Buddhisten, 1995; Linse, Säkularisierung, 1997; Schnurbein / Ulbricht, Religion, 2001; Zander, Anthroposophie, 2007 sowie die neue Studie zu Mazdaznan von Graul, Religionen, 2013. Vgl. dazu die Hinweise bei Schwab, Monte Verità, 2003, 80 f. und Fritzen, Lebens­ reformbewegung, 2006, 170 f. sowie die Bemerkungen im Schlusskapitel. Vgl. Frecot / Geist / Kerbs, Fidus, 1972 mit etlichen Bezügen und Belegen; Szeemann, Monte Verità, 1978 (Graeser); Schwarz, Leben, 1997 oder Meyer, nagel, 2001 (Nagel) sowie Schmölling, Lebensspuren, 2002 (Ungewitter). Vgl. dazu Frankenbach, Vegetarismus, 2007, 114 f. Der Vegetarismus bei Wagner wird immer wieder und mit unterschiedlicher Be­ deutung thematisiert. Vgl. Förster, Vegetarismus, 1882; vgl. dazu Schüler, Kreis, 1971, 54 f., 142 und 188 f.; Frankenbach, Vegetarismus, 2007, 115 f., der sich u. a. auf Baumgartner stützt, sowie zuletzt Hlade, Kur, 2015, 317 f., der die Debatte in der Forschung jedoch ignoriert. Beispiele in Vegetarische Warte (45. Jg.) 1910, 99 f., (48. Jg.) 1913, 233 f. oder (49. Jg.) 1914, 153 f., in Der Mensch. Wochenschrift für allseitige Reformen (4. Jg.) 1902, 12 f. (Vegetus) sowie in Kraft und Schönheit (7. Jg.) 1907, 189 (Vegetus). Vgl. Hammer, Dokumente, 1915, 3–8 (Fidus), 49 (Klages), 68 f. (Buchinger), 76 (Joe Edwards, Boxer), 78 (Annette Kellermann, Schwimmerin) oder 79 f. (William „Apollo“ Bankier, Kraftathlet). Vegetarische Warte (47. Jg.) 1912, 143; vgl. dazu auch die Bemerkungen bei Baumgartner, Ernährungsreform, 1992, 95 f. und Frankenbach, Vegetarismus, 2007, 121 f. Halbe, Jahrhundertwende, 1976, 131. Toller, Jugend, 1963, 91 f.; Bry, Religionen, 1924; Stapel, Stapeleien, 1939, 261 und 264 sowie Mühsam, Namen, 1977, 97 f. Mühsam, Namen, 1977, 96 ff.; vgl. zu Mühsams Asconeser Erlebnissen auch Linse, Rebell, 1978, 26–37, hier 32 f. Mühsam hatte bereits 1905 diese und andere Begegnungen auf dem Monte Verità in Buchform publiziert. Vgl. zu den Zahlen Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 133–139, dort auch mit Blick auf die Entwicklung in anderen Ländern; Baumgartner, Vegetarismus, 1998, 133 ff. sowie Barlösius, Lebensführung, 1997, 103 ff. und 175 ff. Zur vielfälti­ gen unübersichtlichen Zeitschriftenlandschaft in der Lebensreform vgl. Buchholz, Zeitschriftenwesen, 2001. Die ausführliche Analyse bei Barlösius, Lebensführung, 1997, 98–171. Stapel, Stapeleien, 1939, 284 sowie Friedell, Kulturgeschichte, 1969, 1412.

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Vgl. dazu und zum Folgenden Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 112–130 sowie grundsätzlich zur Geschichte der Reformhäuser Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006. Vgl. Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006, 43–51; Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 114 kam bei seiner Untersuchung – wohl aus Mangel an Quellen – noch auf geschätzte zwei Dutzend Reformhäuser vor 1914, eine Zahl, die er später nach oben korrigierte. Vgl. dazu Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006, 127 f. So konnte man etwa im Reformhaus Kandt in Erfurt ab 1925 die von Heinrich Kaufmann in Frankfurt a. M. verlegte Zeitschrift „Die Lebensreform. Monatsschrift für neue Lebensgestaltung“ – ab dem 2. Jahrgang als „Neue Lebensführung. Monatsschrift für allseitige Lebensreform“ – erhalten. Diese Heftchen enthielten neben programmatischen Artikeln zur Lebensreform vor allem Anzeigen zu allen Bereichen der Reformwarenindustrie und der Reformhauswirtschaft. Vgl. Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006, 48 f.; Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 116 f. Vgl. Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 119 f.; Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006, 50–62 sowie Baumgartner, Ernährungsreform, 1992, 103–124. Vgl. zur wechselvollen Geschichte Edens vor allem Linse, Zurück, 1983, 37–61; Baumgartner, Ernährungsreform, 1992; Segert / Zierke, Eden, 2001; Baumgartner, Obstbausiedlung, 2015.

Naturheilkunde 1

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Grundlegende Übersichtsliteratur sind neben Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 78–92 sowie Krabbe, Naturheilbewegung, 1998 die Arbeiten von Rothschuh, Naturheilbewegung, 1983; Regin, Selbsthilfe, 1995 (Naturheilbewegung im Kaiserreich) und Walter / Denecke / Regin, Lebensreformverbände, 1991 (Sozialistische Gesundheitsverbände). Die Homöopathie Hahnemanns ist ein eigenes Gebiet; vgl. dazu Jütte, Homöopathie, 2006. Lokale Studien bieten Lienert, Dresden, 2002; Schwab, Monte Verità, 2003; Wolff, Lebendige Kraft, 2010 (Bircher-Benners Zürichberg) oder Mildenberger, Lebensreform, 2015 (Brandenburg); Zusätzliche Aspekte liefern auch Jütte, Geschichte, 1996; Radkau, Nervosität, 1998; Faltin, Heil, 2000 und Körner, Wunderheiler, 2012. Die Arbeit von Hlade, Kur, 2015, ist inhaltlich redundant und sprachlich unzureichend; die Arbeit strotzt vor unbewiesenen Behauptungen und unbelegten Allgemeinplätzen und ermüdet durch Wiederholungen, deren fragwürdige Aussagen auch durch ihre Menge nicht richtiger werden. Die Studie von Heyll, Wasser, 2006 ist einseitig aus der Überlieferungsgeschichte der Naturheilkunde heraus verfasst; vgl. die Rezension in Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 2007, 349–350. Vgl. dazu Rotschuh, Naturheilbewegung, 1983, 67 ff. und Krabbe, N ­ aturheilbewegung, 1998, 79 f. (dort auch das Zitat); vgl. zu Prießnitz noch Helfricht, Prießnitz, 2006. Zur Rezeption von Rousseau in der Naturheilkunde vgl. Ohl, Einfluss, 2005, bes. 98 ff. sowie daran anknüpfend Schrickel, Just, 2012, 27 f. Vgl. dazu Rothschuh, Naturheilbewegung, 1983, 9–44 sowie Fuhrmann, Sex res, 2005 zur Rezeption antiker Diätetik im 18. Jahrhundert, besonders bei den Philan­ thropen. Vgl. Krabbe, Naturheilbewegung, 1998, 77 f. sowie Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 78 ff. Lahmann, Blutentmischung, 1897, 11 (Zitat) sowie 12 f., 17 f. und 53 f. Vgl. Krabbe, Naturheilbewegung, 1998, 78 f.

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Just, Natur, 1896, 244 (Zitat), 200, 168 f. sowie Titel und Lahmann, Blutentmischung, 1897, 192. Das Phänomen der „Wunderheiler“ ist ein eigenes Forschungsgebiet; vgl. dazu Linse, Propheten, 1983 und Körner, Wunderheiler, 2012 für die Weimarer Zeit, ins­gesamt Linse, Geisterseher, 1996; Faltin, Heil, 2000 und zuletzt Linse, Weißenberg, 2015. Vgl. zu diesem Komplex Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 83–87; Regin, Selbsthilfe, 1995, 269–362; Jütte, Geschichte, 1996, 38 ff.; Krabbe, Naturheilkunde, 1998, 79 f. und Mildenberger, Lebensreform, 2015, 105 f. mit Beispielen von naturheilkundlich interessierten Ärzten. Vgl. zu Bircher-Benner, der im Folgenden nicht näher behandelt wird, vor allem Wirz, Moral, 1993, 47–147 sowie Wolff, Kraft, 2010. Vgl. dazu oben das Kapitel „Begriffe“. Einen entsprechenden personellen Überblick bietet neben Rothschuh, Naturheil­ bewegung, 1983, 60 ff. jetzt auch Schrickel, Just, 2012, 29–47. Vgl. zu Kneipp Rothschuh, Naturheilbewegung, 1983, 79–89; vgl. zum Wörishofener Umfeld noch Betz, Wörishofen, 2011 sowie Birnmanns, Geschichte, 2000. Auch zu Kneipp gibt es zahlreiche hagiographische Literatur. Vgl. dazu Schwab, Monte Verità, 2003, bes. 49–68. Vgl. Rothschuh, Naturheilbewegung, 1983, 68–73 sowie Krabbe, Naturheilbewegung, 1998, 80 und Helfricht, Prießnitz, 2006. Vgl. zu Felke und Just Rothschuh, Naturheilbewegung, 1983, 93–97, dort auch weitere ältere Literatur, und zu Just die hagiographische Abhandlung von Stolzenberg, Just, o. J., die Bemerkungen in Jütte, Kafka, 2002 und jetzt auch die Dissertation von Schrickel, Just, 2012. Kafka, Tagebücher, 1983, 418 und 423; vgl. auch zu Kafkas Sanatoriumstourismus Jütte, Kafka, 2002, 424 f. Vgl. zu Rikli Rothschuh, Naturheilbewegung, 1983, 90 f., die Bemerkungen in Regin, Selbsthilfe, 1995, 204, 270 und 326 f. sowie den zeitgenössischen Bericht des Rikli-Epigonen Segesser, Kurverfahren, 1926 und die ältere biographisch ausgerichtete Arbeit von Brauchle, Geschichte, 1951. Vgl. zum Sanatoriumstourismus dieser Klientel auch Radkau, Nervosität, 1998. Etliche Schriftsteller der Zeit wie Hesse, Kafka oder Hauptmann verarbeiteten in ihrern Werken bzw. Tagebüchern ihre Sanatoriums- bzw. Lebensreformerfahrungen; vgl. dazu jetzt Carstensen / Schmid, Literatur, 2016. Zu den Besuchen von Wagner und Nietzsche in entsprechenden Anstalten vgl. Hlade, Kur, 2015, zu Kafkas Aufenthalten bei Adolf Just vgl. Jütte, Kafka, 2002 und zu Hesses Kuren auf dem Monte Verità Kneubühler, Künstler, 1978, 145 f. sowie Dudek, Nohl, 2004, 89. Der Fastenarzt Otto Buchinger listet in seinen Memoiren (Marinearzt, 1955) eine ganze Reihe prominenter Sanatoriumsbesucher in seiner Kuranstalt auf. Vgl. zu Lahmann und seinem Sanatorium die Studie von Lienert, Dresden, 2002, vor allem 33–64; zur Auseinandersetzung zwischen Lahmann und Jäger bietet die vergleichende Studie von Kracik, Kleidung, 2000 einen guten Überblick. Vgl. Lienert, Dresden, 2002, 93–115, Zitat auf 105; vgl. zur Gesellschaftsutopie von Bilz auch Kerbs, Welt, 2001, 61–65. Vgl. zu Kellogg die Bemerkungen von Wirz, Moral, 1993, 151–185 sowie den aus­ gezeichnet recherchierten Kellogg-Roman von Boyle, Welcome, 1994. Auf diesen Zusammenhang macht Peeters, Degeneration, 2011 aufmerksam; vgl. dazu noch den Sammelband von Peeters / Van Molle / Wils, Pleasure, 2011 zur Kultur der modernen Askese.

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Vgl. dazu und auch zum Folgenden Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 88–92, Zitat auf 88. Die disparate Literatur zum Monte Verità ist schier unüberschaubar und die (auch autobiographische) Eigen- und Erfahrungsliteratur bemerkenswert vielgestaltig; etliches andere, vor allem die späten hagiographischen Arbeiten, ist jedoch angesichts der frühen gründlichen Forschung redundant. Zu den zentralen Studien über den Monte Verità zählen der Sammelband von Szeemann, Monte Verità, 1978, der Jubiläumsband von Lafranchi / Schwab, Sinnsuche, 2001 sowie die Dissertation von Schwab, Monte Verità, 2003. Vgl. zu Strünckmann Piecha, Weltbild, 2006 sowie Wedemeyer, Körperkultur, 1998; zu Buchinger etwa Klepzig, Buchinger, 2000 sowie die Autobiographie von Buchinger, Marinearzt, 1955 und zu Fränzel Werner, Umsonst, 1988; Waiden, Utopie, 2003, 117–186 sowie Wedemeyer-Kolwe, Umgang, 2004. Vgl. dazu Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 89 f. Vgl. Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 142 f.; Regin, Selbsthilfe, 1995, 45–69 sowie Krabbe, Naturheilbewegung, 1998, 80 ff. Vgl. zu den bürgerlichen Vereinen Regin, Selbsthilfe, 1995, 48–69 sowie 252 f., auch Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 142 f. und zu den sozialistischen Gruppen Walter / Denecke / Regin, Lebensreformverbände, 1991, 17–24 und 58 ff. Zitate in Der Naturarzt (34. Jg.) 1906, 1 sowie (29. Jg.) 1901, 2. Diese Forderung ging konform mit der entsprechenden Forderung der zeitgenössi­ schen „Spielbewegung“ sowie der Turn- und Sportverbände; vgl. dazu Hamer, Spielbewegung, 1989. Vgl. zu diesem Programm die detaillierte Analyse von Regin, Selbsthilfe, 1995, 167–251 sowie die Zusammenfassung in Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 143. Das damals typische Konglomerat an entsprechenden Reformbewegungen ist insgesamt knapp und prägnant dargestellt in Kerbs / Reulecke, Handbuch, 1998. Auf spezielle Literatur wird daher verzichtet. Vgl. etwa die kaum überprüfbare Auflagenangabe in Der Naturarzt (29. Jg.) 1901, 1. Der Naturarzt (29. Jg.) 1901, 1. Vgl. dazu Lienert, Dresden, 2002, 117–120. So beschlossen etwa im Jahr 1901 die Vereine im Saaletal die „Errichtung einer Naturheilanstalt in Uhlstädt a. S.“ (Der Naturarzt (29. Jg.) 1901, 75). Vgl. dazu Regin, Selbsthilfe, 1995, 199–207; vgl. auch die Bezüge in Hartmann, Gartenstadtbewegung, 1976. Vgl. dazu Stadtarchiv Kaiserslautern, Bestand Akten 3, 5024 Naturheilverein, Brief vom 1. Juli 1928 sowie den Leserbrief im Pfälzischen Anzeiger vom 6. 3. 1907. Stadtarchiv Kaiserslautern, Bestand Akten 3, 5024 Naturheilverein, Leserbrief im Pfälzischen Anzeiger vom 6. 3. 1907. Vgl. dazu Regin, Selbsthilfe, 1995, 204–207; Wedemeyer-Kolwe, Sportluftbad, 2003 sowie zuletzt Hoffmann / Rolka, Licht-Luftbäder, 2015 zur historischen Architektur dieser Anlagen. Vgl. zum Luftbad des Berliner Vereins die Broschüre Das Sportluftbad, 1905 und zum Luftbad auf dem Monte Verità Schwab, Monte Verità, 2003, 113 f. und Wedemeyer-Kolwe, Ich-Kultur, 2001. Stadtarchiv Kaiserslautern, Bestand Akten 3, 5024 Naturheilverein, Brief vom 23. 9. 1929. Vgl. dazu Regin, Selbsthilfe, 1995, 199–203 und Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 144.; die Zahlen auch in der Jubiläumsschrift zum 25-jährigen Bestehen des Deutschen Bundes, Festschrift, 1914, 86.

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Verein Licht-Luft, 100 Jahre, 1998, 35 und 19. Starke Wechselbeziehungen ergaben sich etwa mit der Hygienebewegung der Zeit um 1900; vgl. dazu etwa Lühr, Hygienebewegung, 2011 und auch schon Mönkemeyer, Sauberkeit, 1988. Der Naturarzt (29. Jg.) 1901, 1.

Körperkultur 1

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Zitate in Wedemeyer, Außenseiter, 2000, 156 f. Vor allem der einflussreiche Sport­ mediziner Ferdinand Hueppe verglich und analysierte immer wieder körperliche Arbeit mit bzw. und Körperübungen; vgl. Hueppe, Hygiene, 1910. Kraft und Schönheit (20. Jg.) 1920, 172; vgl. dazu auch die Aspekte bei Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 98 f.; Möhring, Marmorleiber, 2004, 11 f. oder Hau, Asceticism, 2011. Kraft und Schönheit (7. Jg.) 1907, 1. Vgl. dazu auch Möhring, Marmorleiber, 2004, 261 f.; Stoff, Jugend, 2004, 269 f.; Puschner, Bewegung, 2001, 165 f. sowie Peeters, Degeneration, 2011. Vgl. zur „Überbürdungsdebatte“ in der Gesellschaft, der Politik und den Turn- und Sportorganisationen etwa Hamer, Spielbewegung, 1989 und Wassong, Playgrounds, 2007; in Reformpädagogik und Jugendbewegung Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004 und Wedemeyer-Kolwe, Leibesübungen, 2013. Kraft und Schönheit (20. Jg.) 1920, 171. Vegetarische Warte (35. Jg.) 1902, 524. Vgl. zu Ungewitter Schneider, Nacktkultur, 1996; Schmölling, Lebensspuren, 2002 und Wedemeyer-Kolwe, Treubund, 2012. Vgl. Ungewitter, Nacktheit, 1907, 86 f.; Wedemeyer, Athletenvater, 1999, 89–112; Strongfort, Lebensenergie, 1928. Vgl. dazu Frecot / Geist / Kerbs, Fidus, 1972; Merk, Stassen, 1999; Buhrs, Diefenbach, 2009 und Wolfschlag, Fahrenkrog, 2006. Vgl. dazu Opitz, Schneider, 2013 sowie Berger / Dietrich / Gayk, Klinger, 2007 und exemplarisch Dietrich, Berufsathleten, 2008. Vgl. dazu Wedemeyer, Muskelwettbewerbe, 1999 sowie zuletzt Dietrich, Berufs­ athleten, 2008. Eine ganze Reihe derartiger Motive – mit Bezug zur Lebensreform – findet sich auch in Köhler, Aktfoto, 1985 sowie jetzt in Derenthal, Wahrheit, 2013. Vgl. zur Winckelmann-Rezeption in der Lebensreform Sünderhauf, Griechensehnsucht, 2004, 139–172, allerdings mit unscharfer Definition der Lebensreform und Körperkultur und wenig Trennschärfen zu anderen zeitgleichen Kulturströmungen sowie Wolbert, Nackten, 1982 zur Rezeption antiker Körpervorbilder im „Dritten Reich“. Vgl. zum (teils nur peripheren) Zusammenhang expressionistischer, religiöser und reformerischer Strömungen beispielhaft Nowak / Schierz / Ulbricht, Expressionismus, 1999. Der zweibändige Katalog von Wolbert et. al., Lebensreform, 2001, verweist auf den Expressionismus – speziell auf die Künstlervereinigungen „Brücke“ und „Der Blaue Reiter“ – und den Jugendstil sowie auf modernes Kunstgewerbe und Design als direkten wichtigen Bezugsrahmen zur Lebensreform, was in dieser rezeptiven Breite überinterpretiert sein dürfte. Die ohne Kenntnis der Forschungsliteratur zur Lebensreform formulierte Behaup­ tung, „dass die moderne Kunst in Deutschland grösstenteils im Kontext der Lebensreform“ entstand, sollte nur bei einer entsprechenden Belegdichte und bei Absicherung durch die maßgebliche Forschung in die Geschichte eingehen (Schupke, Brücke, 2016, 22). Diese Spekulation dürfte auch einer mangelnden bzw.

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allzu breiten Definition der Lebensreformbewegung geschuldet sein; vgl. dazu die Einleitung. Vgl. oben die Bemerkungen über vegetarische Sportler bzw. über den vegetarischen Turnverein Vegetus im Abschnitt „Ernährung“. Eine rein vegetarische Ernährung wurde jedoch nicht immer empfohlen; gerade im Kraftsport, der ohne hohe Trainingsgewichte nicht auskam, gehörte auch bei Lebensreformern eine eiweißreiche Ernährung zum Trainingsprogramm; vgl. dazu Siebert, Katechismus, 1898, 43. Vgl. Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 354 f. Etliche Aspekte dazu in Möhring, Marmorleiber, 2004; Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004; Hau, Asceticism, 2011 und Hau, Cult, 2003, der jedoch ohne die damals relevante Forschungsliteratur zum Thema auskommt. Zit. in: Lepp / Roth / Vogel, Mensch, 1999, 65. Sandow, Kraft,1904, 5. Siebert, System, 1910, 32. Der Mensch. Wochenschrift für allseitige Reformen (2. Jg.) 1901, 52. Hackenschmidt, Weg, 1909, 18. Entsprechende Belege z. B. in Stoll, Mensch, 1910, VIII; Der Leib (1. Jg.) 1919/20, 136 f.; Sommer, Muskelkraft, 1921, 8 sowie Frobenius, Zeit, 1927, 394; zum Körper als monomane Weltanschauung vgl. Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 104 f., 263 f. und 374 f. Umfassend zum Letzteren Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 290 f. Zur Körperkultur in der Lebensreform vgl. generell Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004. So wurden schon Fidus und Diefenbach aufgrund derartiger Vergehen strafrechtlich verfolgt; vgl. dazu Frecot / Geist / Kerbs, Fidus, 1972, 71 f. sowie Buhrs, Diefenbach, 2009. Vgl. zur zeitgenössischen Rechtslage um FKK die Zusammenfassung von Schulze, Strafbarkeit, 1927, als Einzelbeispiel Ungewitter, Nacktheit, 1907, 97 f., zu den Prozessen um den Verlag Die Schönheit noch Pretzel, Kaiser, 1999 und zum skandalisierenden Effekt der Nacktkultur generell Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 95 ff. Die historische Freikörperkultur ist in vielen Aspekten gut erforscht; vgl. die Studien von Spitzer, Naturismus, 1983 (Überblick); Köhler, Aktfoto, 1985 (Kultur- und Kunstgeschichte); Andritzky / Rautenberg, Nackt, 1989 (Vom Kaiserreich zum „Dritten Reich“); Dreßen, Naturismus, 1996 (interne Verbandsgeschichte); Schneider, Nacktkultur, 1996 (völkische FKK); Koerber, Freikörperkultur, 1998 (Übersicht); Grisko, Freikörperkultur, 1999 (Kulturgeschichte); Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004 und Williams, nature, 2007 (Sportgeschichte); Möhring, Marmorbilder, 2004 (Sozialdisziplinierung); Georgieff, Nacktheit, 2005 (proletarische FKK); Derenthal, Wahrheit, 2013 (Aktfotografie). Die englischsprachige Forschung zur deutschen FKK ist nicht übersetzt und wird nur spärlich rezipiert; vgl. Toepfer, Empire, 1997; Hau, Cult, 2003 sowie Ross, Germany, 2005. Vgl. dazu Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 194–198 sowie zusammenfassend Möhring, Marmorleiber, 2004, 383–390. Zweig, Welt, 1992, 95. Kafka, Tagebücher, 1983, 420 f. Pausewang, Rosinkawiese, 1983, 36 f. Vgl. zu dieser und folgender Argumentation generell Spitzer, Naturismus, 1983; Linse, Zeitbild, 1989; Schneider, Nacktkultur, 1996 sowie Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 263f . So der vielzitierte Titel des Buches von Koch, Nackt, 1932. Vgl. Ulbricht, Lichtgebet, 1999.

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Zu dieser Argumentation Schneider, Nacktkultur, 1996 sowie Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 268 f. Vgl. zur proletarischen FKK Walter / Denecke / Regin, Lebensreformverbände, 1991; Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 272 f. und Georgieff, Nacktheit, 2005. Koch, Nacktkultur, 1929, 20 f. Licht-Land 3 (5. Jg.) 1928, 3. Licht-Land 20 (8. Jg.) 1931, 3 sowie Licht-Land 18 (5. Jg.) 1928, 4. Vgl. dazu Das Sportluftbad, 1905, 33 f., vgl. auch Wedemeyer-Kolwe, Sportluftbad, 2003. Einige dieser Anlagen haben sich erhalten und sind mittlerweile Gegenstand der Architekturhistoriographie geworden; vgl. dazu die regionalen Einzelfallanalysen von Grünwald, Lichthütte, 2007 oder Hoffmann, Auskleiden, 2013 sowie den Überblick von Hoffmann / Rolka, Licht-Luftbäder, 2015. Vgl. Schwab, Monte Verità, 2003, 49 f. Vgl., dazu Lienert, Dresden, 2002, 93 f. bzw. oben das Kapitel zur Naturheilkunde; Zitat in: Die Lebenskunst (2. Jg.) 1907, 296. Die Lebenskunst (1. Jg.) 1906, 28; Grohmann, Vegetarier-Ansiedlung, 1904, 5 f. und 11, der aus Schriften der Rechtschreibreformerin und Monte-Verità-Mitbegründerin Ida Hofmann zitiert, sowie Riess, Ascona, 1964, 19 und 24; vgl. dazu auch Wedemeyer-Kolwe, Ich-Kultur, 2001. Beiblatt zur Schönheit 12 (1. Jg.) 1903/04, 189 sowie Hofmann, Monte Verità, 1906, 65. Deutscher Bund, Festschrift, 1914, 86; vgl. dazu auch das Kapitel zur Naturheilkunde. Vgl. dazu Wedemeyer-Kolwe, Sportluftbad, 2003; Wedemeyer, Muskelwettbewerbe, 1999 sowie Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 211 f. und 360 f. Vgl. Das Sportluftbad, 1905 sowie die VfK-Festschrift von Hoppe, 100 Jahre, 2001. Vgl. Körperkultur (5. Jg.) 1910, 24 und 151. Vgl. zur Praxis der Vereine Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 241–262 und 264; Möhring, Marmorleiber, 2004, 254 f. und 284 f. sowie Dreßen, Naturismus, 1996, 17–48. Varianten nichtchristlicher völkischer Zählungen legten den Beginn der Zeiten­ rechnung z. B. auf das Jahr 113 v. Chr. (Eroberung Roms durch Kimbern und Teutonen), das 2. Jahrtausend v. Chr. (angenommene Errichtung von Stonehenge) oder auf das Jahr 9 n. Chr. (Schlacht im Teutoburger Wald); vgl. dazu Müller, Religionsbildungen, 1934, 61 und insgesamt Puschner, Bewegung, 2001. Vgl. zur völkischen FKK Schneider, Nacktkultur, 1996 sowie Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 206 f., 221 f. und 268 f. Vgl. dazu Walter / Denecke / Regin, Lebensreformverbände, 1991; WedemeyerKolwe, Mensch, 2004, 223 f. und Georgieff, Nacktheit, 2005. Vgl. Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 224 f. Vgl. dazu die Chronologie bei Dreßen, Naturismus, 1996, 38 f. sowie WedemeyerKolwe, Mensch, 2004, 227–232; vgl. für die Schweiz jetzt Rindlisbacher, Irrwege, 2012. Unter den Feuilletonisten tat sich besonders der Journalist Wilhelm Stapel mit seinen scharfzüngigen und hellsichtigen Analysen hervor, die er retrospektivisch in Sammelbänden zu veröffentlichen pflegte; vgl. dazu Stapel, Stapeleien, 1939. Vgl. die kursorischen Hinweise bei Dreßen, Naturismus, 1996 und Weinreich, Freikörperkultur, 1999 sowie den Überblick bei Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, S. 233–241 und als lokales Beispiel Wedemeyer-Kolwe, Motzener See, 2015. Stapel, Stapeleien, 1939, 275 und 284 (der Aufsatz wurde ursprünglich 1926 ver­ öffentlicht). Thiess, Erziehung 1930, 297 f. und Thiess, Freiheit, 1965, 500 f. Die Literatur zum Thema ist Legion und kaum zu überblicken; vieles ist jedoch hagiographisch bzw. von Nachfolgern der Protagonisten und Schulgründer

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verfasst, so dass mehr Legenden und Ideologien kolportiert als wissenschaftliche Fakten rekapituliert werden. Vgl. dazu die Übersichten von Oberzaucher-Schüller, Ausdruckstanz, 1992; Klein, FrauenKörperTanz, 1994; Wesp, Frisch, 1998 und Baxmann, Mythos, 2000, die allerdings kaum Zahlen nennen, sowie die Übersicht in Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 33–56. Spezifische Überblicke bieten auch Perrottet, Leben, 1995 (Autobiographie); Steinaecker, Luftsprünge, 2000 (biographische Übersichten); Hardt, Körper, 2004 (Arbeiterkultur und Tanz) ; Baur, Ausdruckstanz, 2010 (Schweiz) sowie Spohr, Delsarte, 2013 (Delsarte). Die Tat (18. Jg.) 1926/27, S. 804 f. und Neuendorff, Geschichte, o. J., 4. Band, 694. Gymnastik (4. Jg.) 1929, 85 f. und (5. Jg.) 1930, 65 ff.; vgl. auch Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 52–64. Gymnastik (5. Jg.) 1930, 65 ff. sowie Stapel, Stapeleien, 1939, 272. Vgl. Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 104–118; Hanse, Lebensreform, 2009 und ders., Bode, 2013 sowie jetzt die Dissertation über die Utopien der deutschen Rhythmusbewegung von Hanse, Rythme, 2010, die bislang leider nicht ins Deutsche übersetzt wurde und auch in deutschen Universitätsbibliotheken nicht nachweisbar ist. Vgl. dazu die biographisch angelegten Übersichten von Moscovici, Freude, 1991 und Steinaecker, Luftsprünge, 2000. Vgl. Bünner / Röthig, Grundlagen, 1971 sowie als selektives Beispiel Arps-Aubert, Gindler, 2010. Vgl. aus der Fülle an Belegen beispielhaft Bramesfeld, Utopie, 1990; Wörner-Heil, Utopie, 1996 oder Spieker, Loheland, 2006. Tepp, Sinn, 1919, 43; Winther, Mensch, 1922, 37 und 4; Klatt, Pause, 1926, 1; das Schlaffhorst/Andersen-Zitat in Die Tat (13. Jg.) 1921/22, 824. Die Tat (13. Jg.) 1921/22, 825; Bode, Rhythmus, 1925, 15 und 3; vgl. dazu auch Karina / Kant, Tanz, 1996 sowie Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 104–117 und Hanse, Rythme, 2010. Die Literatur zu Hellerau einschließlich der Gymnastikschule ist unüberschaubar groß; vgl. aus der Fülle an Studien und autobiographischen Erinnerungstexten etwa die mit zeitgenössischen Rückblicken ausgestatteten Arbeiten von Lorenz, Hellerau, 1994; Sarfert, Hellerau, 1995 und das Themenheft Gartenstadt Hellerau der Dresdner Hefte 51 (15. Jg.) 1997 sowie zuletzt Schinker, Hellerau, 2013. Vgl. dazu Laban, Leben, 1935, 109 f. (Zitat); Perrottet, Leben, 1995, 110–124 und Brandenburg, München, 1953, 479 f., dazu Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 78 f. Vgl. zu Schwarzerden (und partiell auch Loheland) die Studie von Wörner-Heil, Utopie, 1996; Linse, Amazonenstaat, 1984; die Chronik Schwarzerden 1989 zum 75-jährigen Bestehen sowie Schmitz, Sozialgymnastik, 2009, 180–284, die jedoch bei ihrer Übersicht über die Gymnastikprotagonisten und -bünde der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (61–137) ohne die Analysen der reichhaltigen Sekundärliteratur auskommt. Zu Loheland gibt es nur wenige unabhängige historische Fachliteratur; vgl. dazu Spieker, Loheland, 2006 sowie jetzt den Sammelband von GriesbachMaisant, Loheland, 2016, der den Auftakt zu einer Tagungsreihe aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums von Loheland 2019 darstellt. Zur Schlaffhorst/Andersen-Schule gibt es überwiegend nur hagiographische Literatur; vgl. dazu Köpp, Leben, 1996 und Noodt, Chronik, 1994 (Zitat auf 140) sowie Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 38, 50, 72, 91–95 und 116 f. Vgl. zur (Rezeptions-)Geschichte des Yoga etwa Fuchs, Yoga, 1990; Baier, Yoga, 1998 und Tietke, Yoga, 2011 (über die Zeit des Nationalsozialismus) sowie die zweibändige Übersicht über die Geschichte der meditativen Strömungen in Europa von Baier, Meditation, 2009.

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Eranos-Jahrbuch, 1934, 95 sowie Keyserling, Reisetagebuch, 1. Band, 1921, 138 und 136. Vgl. dazu Ulbricht, Obdachlosigkeit, 1998. Zur religiösen Situation um 1900 gibt es zahlreiche Spezialuntersuchungen; vgl. für den hier interessierenden Zusammenhang die Übersicht „Religiosität und Spiri­ tualität“ in Kerbs / Reulecke, Handbuch, 1998, 495–609 sowie Linse, Säkularisierung, 1997 und Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004 129–189. Vgl. dazu vor allem die wegweisende Studie von Linse, Propheten, 1983 sowie Linse, Geisterseher, 1996 und Körner, Wunderheiler, 2012. Vgl. dazu den derartige Glaubensfacetten behandelnden Sammelband von Schnurbein / Ulbricht, Religion, 2001 sowie Antes, Religion, 1989. Vgl. zur Rezeptionsgeschichte des Buddhismus Usarski, Bekenntnis, 1989; Baumann, Buddhisten, 1995; Notz, Handbuch, 1998 sowie Zotz, Inseln, 2000. Grundlegend zur Geschichte der Theosophie und Anthroposophie ist Zander, Anthroposophie, 2007. Vgl. dazu den grundlegenden Aufsatz von Linse, Asien, 1991 sowie die Beispiele in Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 129 ff. Vgl. dazu Keyserling, Reisetagebuch, 1. Band, 1921, 326 f. sowie Fuchs, Yoga, 1990, 40 und Baier, Yoga, 1998, 174 f. Vgl. Möller / Howe, Merlin, 1986, 94 (erstes Zitat). Vgl. zu Meyrink Baier, Yoga, 1998, 132; das Zitat in Adelmann-Huttula, Yoga-Praktiker, o. J., 3 sowie auch Meyrink, Werke, 6. Band, 1917, 310. Vgl. dazu die Bemerkungen in Tietke, Yoga, 2011 sowie die Beispiele in WedemeyerKolwe, Mensch, 2004, 130 f. Vgl. dazu Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 148 f. Vgl. zu Neugeist Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 164–173 sowie zum deutschen Mitbegründer Johannes Verweyen jetzt die Biographie von Klein, Wanderer, 2009; zu Mazdaznan Linse, Mazdaznan, 1998; Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 153–164; Linse, Strömungen, 2008 sowie die gründliche Lokalstudie von Graul, Religionen, 2013, die Chronik von Vollenweider, Herrliberg, 2016, dem 1916 gegründeten Zentrum der Mazdaznan-Bewegung in der Schweiz, sowie jetzt Linse, MazdaznanVortrag, 2017. Vgl. Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 153. Zur Funktion des Körpers in der Lebensreform als Ersatzreligion bzw. zur Lebens­ reform als Reformreligion vgl. Linse, Mazdaznan-Vortrag, 2017, vor allem den Anhang unter www.bauhaus.de/de/bauhausvortraege-anhang (Zugriff am 5. 12. 2016).

Siedlung 1

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Eine aktuelle Monographie zur Siedlungstätigkeit in der Lebensreformbewegung liegt nicht vor; vgl. als Übersichten das Standardwerk von Linse, Zurück, 1983 und Helmer, Meuterei, 1983, dazu die älteren Arbeiten von Becker, Siedlung, 1930; Fleiner, Siedlungsversuche, 1931; Fuchs, Probleme, 1957 und partiell Schempp, Gemeinschaftssiedlungen, 1969. Aufsätze mit Übersichtscharakter liefern Linse, Bestrebungen, 1993; Feuchter-Schawelka, Siedlungs- und Landkommunebewegung, 1998 und Wedemeyer, Welten, 1999 sowie die beiden Sammelbände von Nothnagle, Grund, 1999 und Goette / Kruse, Ascona, 2006. Zur Literatur einzelner Siedlungs­ aktivitäten vgl. weiter unten. Die Tat (17. Jg.) 1925/26, 380. „Tatsächlich arbeitete nur eine winzige Zahl von Zeitgenossen an solchen antiur­ banen Experimenten mit“ (Linse, Bestrebungen, 1993, 319).

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Die Freude (3. Jg.) 1926, 304. Zur Geschichte der Schrebergärten vgl. Scharenberg, Scholle, 1931 sowie Warnecke, Laube, 2001. Vgl. zu diesem komplexen Thema – und mit Bezug auf die Lebensreform – Bergmann, Agrarromantik, 1970; Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 27–36; Hartmann, Gartenstadtbewegung, 1976; Linse, Zurück, 1983, 7–36; Krückemeyer, Gartenstadt, 1997 und die Einzelaufsätze zu den Themen Siedlung, Wirtschaften, Wohnen in Kerbs / Reulecke, Handbuch, 1998, 227–300 sowie Neau, Gartenstadtbewegung, 2013. Vgl. Küppers-Sonnenberg, Siedlung, 1933, Inhaltsverzeichnis und 99–104 sowie die daran anschließenden Bemerkungen bei Linse, Zurück, 1983, 7 f. Linse, Zurück, 1983, 19-23, Zitat auf 7; vgl. auch Linse, Bestrebungen, 1993 sowie Linse, Siedlungen, 1996; zum Bezug zwischen Lebensreform und Jugendbewegung generell Linse, Jugendbewegung, 2015 Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 36. Hofmann, Monte Verità, 1906, 6; Die Freude (3. Jg.) 1926, 301; Buchholz zitiert in Linse, Zurück, 1983, 180. Zit. nach Linse, Zurück, 1983, 166. Vgl. zu Küppers’ Lebenslauf Wedemeyer, Außenseiter, 2000. Das Thema Lebens­ reformsiedlung hat auch die Wissenschaftler unter den Zeitgenossen beschäftigt; neben Küppers haben sich auch Grebe, Siedlungswesen, 1926; Becker, Siedlung, 1930 und Fleiner, Siedlungsversuche, 1931 in Doktorarbeiten mit dem Thema be­fasst. Küppers-Sonnenberg, Siedlung, 1933, 86; vgl. auch Feuchter-Schawelka, Siedlungsund Landkommunebewegung, 1998, 231. Vgl. dazu Sarfert, Hellerau, 1995; Nitschke, Hellerau, 1997 sowie Schinker, Hellerau, 2013; vgl. auch oben den Abschnitt Körperkultur. Hellerau verfügte übrigens schon früh über einen Straßenbahnanschluss; vgl. Kafka, Tagebücher, 1983, 245, der 1914 irrtümlich „die falsche Elektrische nach Hellerau“ nahm. Vgl. zu Schwarzerden Wörner-Heil, Utopie, 1996; Linse, Amazonenstaat, 1984 und die Chronik Schwarzerden 1989; vgl. zu Loheland Spieker, Loheland, 2006; Griesbach-Maisant, Loheland, 2016 sowie oben das Kapitel Körperkultur. Vgl. dazu Damm, Landerziehungsheime, 1959; Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 233–241 sowie Kummer, Klingberg, 2003; Grebe, Siedlungswesen, 1925, 52–59 zu Wießeloh und Knüppel, Lichtkleid, 2011 zur Wodanshöhe. Vgl. Becker, Siedlung, 1930, 11–27; Fleiner, Siedlungsversuche, 1931, 102–114; Fuchs, Probleme, 1957, 21–31; Schempp, Gemeinschaftssiedlungen, 1969, 126 f. sowie ausführlich Linse, Zurück, 1983, 221–267. Vgl. dazu Becker, Siedlung, 1930, 59 f.; Linse, Kommune, 1973; Linse, Zurück 1983, 102–156; Linse, Bestrebungen, 1993, 325–329 sowie Löer, Max Schulze-Sölde, 2012, 44 f. Vgl. Linse, Zurück, 1983, 62–88. Vgl. Bake, Gildenhall, 2001. Vgl. Becker, Siedlung, 1930, 52–59; Erlay, Künstler, 1979 sowie Linse, Zurück, 1983, 102–125. Vgl. Kurzmeyer, Viereck, 1999. Vgl. Buhrs, Diefenbach, 2009 sowie Frecot / Geist / Kerbs, Fidus, 1972. Vgl. dazu zuletzt den umfangreichen und grundlegenden Sammelband von Andratschke, Mythos Heimat, 2016, der auch Beiträge zum Barkenhoff und zum Monte Verità enthält. Zur Freikörperkultur in den völkischen Siedlungen vgl. Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 233–236 sowie zuletzt dazu insgesamt Linse, Siedlungen, 2014 mit zahlreichen Beispielen.

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Kraft und Schönheit (18. Jg.) 1918, 212 ff. Vgl. Becker, Siedlung, 1930, 42–52; Fleiner, Siedlungsversuche, 1931, 120–124; Fuchs, Probleme, 1957, 43 ff.; Linse, Zurück, 1983, 188–198. Vgl. Fleiner, Siedlungsversuche, 1931, 115–119; Fuchs, Probleme, 1957, 38–41 sowie zum Begründer des Vogelhofes und von Hellauf, Friedrich Schöll, ausführlich Knüppel, Schöll, 2006. Vgl. Becker, Siedlung, 1930, 41 f.; Fleiner, Siedlungsversuche, 1931, 115–119; Fuchs, Probleme, 1957, 38–42; Linse, Zurück, 1983, 199–220; Kistenfeger, Vogelhof, 1987 sowie Knüppel, Schöll, 2006. Vgl. Wedemeyer, Welten, 1999, 219 f.; Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 235. Vgl. Hoffmann, Heim, 2016. Vgl. Knüppel, Lichtkleid, 2011. Vgl. Linse, Siedlungen, 1996, 203–206 sowie Knüppel, Heimland, 2002 und zuletzt Puschner, Heimland, 2015. Vgl. dazu Puschner, Bewegung, 2001, 188–192 sowie Linse, Bestrebungen, 1993, 521 f. und Linse, Siedlungen, 1996, 401 f. Vgl. dazu Schmitz, Artamanen, 1985, der jedoch die völkischen und nationalsozia­ listischen Tendenzen beschönigt, sowie Linse, Bestrebungen, 1993, 350 f. und Botsch, Artamanen, 2012. Vgl. Küppers-Sonnenberg, Siedlung, 1933, Inhaltsverzeichnis und 99 ff. sowie Feuchter-Schawelka, Siedlungs- und Landkommunebewegung, 1998, 243, die sich bei ihren Angaben auf Helmer, Meuterei, 1983 und Conti, Abschied, 1984 stützt. Vgl. dazu Linse, Bestrebungen, 1993, 316–321. Vgl. dazu Linse, Zurück, 1983, 21 ff. und allgemein Linse, Bestrebungen, 1993 sowie Feuchter-Schawelka, Siedlungs- und Landkommunebewegung, 1998. Vgl. dazu die Verbreitungskarte bei Schempp, Gemeinschaftssiedlungen, 1969, 128. Vgl. Barz, Lebensreform, 2015 mit zahlreichen Bezügen. Vgl. die wenigen Beispiele für biologisch-dynamische Landwirtschaft im Österreich der 1920er Jahre bei Farkas, Landwirtschaft, 1998 sowie zur Lebensreformbewegung in Österreich Farkas, Wurzeln, 1992. Eine bemerkenswerte Einzelsiedlung war die um 1900 erfolgte Gründung des Lebensreformers Florian Berndl auf dem „Gänsehäufel“, einer Sandinsel in der Alten Donau bei Wien; vgl. dazu Denscher, Berndl, 1987. Vgl. zur FKK in der Schweiz Rindlisbacher, Irrwege, 2012 sowie Rindlisbacher, Popularisierung, 2015. Vgl. dazu Szeemann, Monte Verità, 1978; Kurzmeyer, Viereck, 1999; Schmidt, Wirz, 1998; Weber, Lebensweise, 1999. Vgl. zu Crowleys Abtei Thelema in Cefalú in den zwanziger Jahren Möller, Kloster, 1988 sowie Symonds, Crowley, 1996. Vgl. als Beispiel für Afrika Repussard, Lebensreform, 2013. Der Monte-VeritàBegründer Oedenkoven zog nach seinem gescheiterten Versuch schließlich nach Brasilien, um dort erneut eine Siedlung zu gründen; vgl. dazu Schwab, Monte Verità, 2003, 135 f. sowie Mayer, Glückskind, 2015, 56. Auf die Kabakonkolonie von Engelhardt und Bethmann ist oben schon verschiedentlich verwiesen worden. Vgl. dazu Ritter, Robinson, 1931 sowie die Autobiographie von Margret Wittmer, Postlagernd Floreana, 1959. Auf die Forschungsliteratur zu Eden wurde oben schon mehrfach verwiesen. Vgl. hier noch Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 126 sowie Linse, Zurück, 1983, 40. Zitat in Frecot / Geist / Kerbs, Fidus, 1972, 37. Der nüchtern-hämische Bericht stammt aus den 1964 gedruckten „Lebenserinnerungen“ des Arztes, Soziologen und Nationalökonomen Franz Oppenheimer.

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Vgl. dazu die Dokumentation zahlreicher instruktiver Quellen bei Linse, Zurück, 1983, 37–61. In ihrer stark tendenziösen, das Reformklima jener Zeit jedoch gut repräsentierenden Autobiographie „Wahrheit ohne Dichtung“ berichtet Ida Hofmann-Oedenkoven von den Anfängen der Siedlung (Hofmann, Monte Verità, 1906); vgl. auch den zeitnahen Bericht von Grohmann, Vegetarier-Ansiedlung, 1904 sowie die spöttischhämische Darstellung von Mühsam, Ascona, 1905. Eine wissenschaftliche Monographie über den einflussreichen Graeser existiert nicht, wenngleich er im Rahmen der zahlreichen Forschungsliteratur zum Monte Verità immer auch Gegenstand der Forschung war und ist; vgl. dazu zuletzt Kort, Propheten, 2015, 117–130. Die monographischen Darstellungen zu Gusto Graeser stammen aus der Feder seines selbsternannten Biographen und Nachlassverwalters Hermann Müller; vgl. Müller, Dichter, 1978 und Müller, Erdsternmai, 2012. Die Erinnerungs- und Forschungsliteratur zum Monte Verità ist schier unüberschaubar; zentral sind Szeemann, Monte Verità, 1978; Lafranchi / Schwab, Sinnsuche, 2001 sowie Schwab, Monte Verità, 2003 und zuletzt der Ausstellungskatalog der Genfer Kunstgalerie Artvera’s Gallery, Monte Verità, 2016, dessen Autoren, darunter Andreas Schwab und Stefan Rindlisbacher, den Berg zwischen Kunst und Kultur­ geschichte behandeln. Auf die genuine Monte-Verità-Inszenierung – auch durch Szeemann – weist Schwab, Monte Verità, 2003, 227 f. und 250 f. sowie zuletzt Schwab, Szeemann, 2014 hin. Vgl. zu Hunkels Bezug zu Eden Becker, Siedlung, 1930, 44 sowie Linse, Siedlungen, 1996, 398–401 und Linse, Zurück, 188–199. Grundsätzlich zu den völkischen Denkkonstrukten und Handlungsräumen jener Epoche ist die gründliche Monographie von Puschner, Bewegung, 2001 (zu Hunkel siehe Puschners Nachweise im Personenregister); vgl. auch Linse, Bestrebungen, 1993, 324 f. mit Bezug zur völkischen Siedlung. Vgl. dazu Wedemeyer, Welten, 1999, 219 f. sowie Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 235 f. Vgl. Linse, Zurück, 1983, 190 f. Vgl. dazu den Kommentar und die Dokumente in Linse, Zurück, 1983, 188–199; mit Hunkel und seiner Siedlung setzen sich auch – nicht ohne Häme, Verwunderung und Spott – die zeitgenössischen Untersuchungen auseinander; vgl. Becker, Siedlung, 1930, 42–52; Fleiner, Siedlungsversuche, 1931, 120–124 sowie auch noch Fuchs, Probleme, 1957, 42–45. Vgl. dazu insgesamt die Chronik von Kummer, Klingberg, 2003. Die Tat (18. Jg.) 1926/27, 979. Vgl. Die Tat (18. Jg.), 1926/27, 978 ff.; eine ausführliche zeitgenössische Beschreibung liefert Merrill, Unter Nackten, o. J. (1932), 15–113; vgl. auch Linse, Siedlungen, 1996 und Knüppel, Anarchisten, 1999, 35 ff. Vgl. Dreßen, Naturismus, 1996, 11 und Pfitzner, Naturismus, 1964, 24. Vgl. dazu Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 234 f.; seine Gesinnung mag sich auch daran zeigen, dass er seine Tochter „Sigrun“ genannt hat. Vgl. zum Lebenslauf von Küppers Wedemeyer, Außenseiter, 2000 sowie den von Küppers selbst verfassten Steckbrief in Jantzen, Namen, 1974, 213–216. Zitate in Die Tat (17. Jg.) 1925/26, 381 sowie Küppers-Sonnenberg, Akademiker, 1924, 79. Vgl. seine autobiographischen Berichte Küppers, Land, 1918 und Küppers-Sonnenberg, Akademiker, 1924. Vgl. dazu Wedemeyer, Außenseiter, 2000 und zur Kontinuität bzw. Wiederent­ deckung durch die 1968er-Bewegung Linse, Ökopax, 1986.

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Vgl. Pausewang, Rosinkawiese, 1983 sowie Ott, Traum, 1999. Pausewang, Rosinkawiese, 1983, 12. Pausewang, Rosinkawiese, 1983, 78. So das harte, wenngleich belegbare Urteil von Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 37; vgl. auch dazu Fleiner, Siedlungsversuche, 1931, 96. Fuchs, Probleme, 1957, 60. Pausewang, Rosinkawiese, 1983, 20. Linse, Zurück, 1983, 40. Vgl. Fuchs, Probleme, 1957, 40. Die Freude (3. Jg.) 1926, 314. Fuchs, Probleme, 1957, 40. Küppers-Sonnenberg, Akademiker, 1924, 60. Linse, Bestrebungen, 1993, 319. Vgl. Becker, Siedlung, 1930, 68 f. sowie Fleiner, Siedlungsversuche, 1931, 96 f. Fuchs, Probleme, 1957, 72. Vgl. Schempp, Gemeinschaftssiedlungen, 1969, 129 f. und Linse, Zurück, 1983, 190 f. Beispiele finden sich bei Pausewang, Rosinkawiese, 1983, 36 f. Chronik Schwarzerden, 1989, 18. Petter, Sonne, 1924, 6 f. Die Freude (3. Jg.) 1926, 314 sowie Linse, Bestrebungen, 1993, 319. Stapel, Stapeleien, 1939, 264. Frecot, Landkrone, 1978, 57. Stapel, Stapeleien, 1939, 285.

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Vgl. zu derlei Sammelbestrebungen – vor allem zur Gleichschaltung nach 1933 – die Hinweise in Krabbe, Weltanschauung, 1989; Karrasch, Laienverbände, 1998, bes. 85 f.; Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 389–412 und Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006, 64–122. Pausewang, Rosinkawiese, 1983, 12. Zweig, Welt, 1992, 226 f. Vgl. dazu Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 159–166. In der jüngeren Forschungsgeschichte zur Lebensreform wird nicht immer sauber getrennt zwischen der eigentlichen Lebensreform, ihrer zeitgenössischen Bedeutung und Rezeption sowie ihrer (vermeintlichen) längerfristigen Wirkungsgeschichte, was zu definitorischen Unschärfen führt und die Lebensreform als Phänomen wesentlich breiter erscheinen lässt, als sie es tatsächlich auch war (vgl. hierzu die Bemerkungen in der Einleitung). Kracauer, Angestellten, 1981, 97, Thiess, Freiheit, 1965, 339. Die Zitate von Erich Mühsam, Ernst Toller und anderen in Wedemeyer-Kolwe, Religionen, 2015, 48 f. Flitner, Erinnerungen, 1986, 147; vgl. zu dieser Distanz auch innerhalb der Lebensreform Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 141 sowie Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006, 317. Vgl. dazu Linse, Propheten, 1983. Vgl. die Bemerkungen in Barlösius, Lebensführung, 1997, 14 f.; Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006, 35; Peeters, Degeneration, 2011, 264 und für die FKK Rindlisbacher, Popularisierung, 2015, 412. Schon die frühen Studien von Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974 und Frecot, Lebensreformbewegung, 1976 beziehen

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die Lebensreform, trotz gelegentlicher Hinweise auf die Entwicklung in anderen Ländern, grundsätzlich auf das Wilhelminische Kaiserreich. Rindlisbacher, Popularisierung, 2015, 393 sowie Rohkrämer, Lebensreformbewegung, 2013, 323; vgl. dazu auch Peeters, Degeneration, 2011, 288, der die „Rückkehr zur Natur“ als internationales Phänomen begreift. Rohkrämer, Lebensreformbewegung, 2013, 322 (Zitat) sowie Barlösius, Lebensführung, 1997, 15 und Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006, 35. Vgl. Cluet, Vorwort, 2013, 48. Vgl. Rohkrämer, Lebensreformbewegung, 2013 (Zitat auf 334), wobei Sport und Pfadfinder unzulässigerweise der Lebensreform zugeordnet werden (323), sowie Doucet et. al., Ausprägungen, 2001, 521 f.; hier wird sich fast ausschließlich auf das Kunsthandwerk bezogen. Auf den englischen Vegetarismus geht Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 138 f., ein. Vgl. für Belgien Peeters, Degeneration, 2011, für Frankreich Mombert, Corps, 2013 sowie Doucet et. al., Ausprägungen, 2001, 523 ff., wobei auch bei Letzterem Kunsthandwerkströmungen und Reformpädagogik unzulässig mit Lebensreform überblendet werden. Vgl. Doucet et. al., Ausprägungen, 2001, 522 f., wobei hier großzügig Reformpädago­ gik und „skandinavisches Design“ zur Lebensreform gezählt werden, sowie den Sammelband von Nothnagle, Grund, 1999 zur Siedlung in Schweden. Vgl. Brang, Russland, 2002 und Doucet et. al., Ausprägungen, 2001, 526 sowie die Hinweise in den entsprechenden Kapiteln dieser Studie. Vgl. zur frühen internationalen FKK Dreßen, Naturismus, 1996 sowie die Fallbeispiele Baubérot, Histoire, 2004 sowie Harp, naturel, 2014 (Frankreich), Rade, Bund, 2012 (Österreich) oder Hoffman, Naked, 2015 (Nordamerika). Vgl. zur Schweiz Rindlisbacher, Popularisierung, 2015 sowie Schwab, Monte Verità, 2003. Das Niedersächsische Institut für Sportgeschichte e. V. (NISH) in Hannover verfügt seit 2011 über die ehemaligen Bestände der Internationalen FKK-Bibliothek (Sammlung Damm) in Kassel-Baunatal, die mit mehreren hundert Metern wohl größte öffentlich zugängliche internationale FKK-Sammlung (Bibliothek und Archiv). Die nun nahezu vollständig aufgearbeiteten historischen Bestände sind über die Homepage des NISH (www.nish.de) recherchierbar; einen kleinen unvollständigen Einblick bietet der mittlerweile veraltete Bestandskatalog von Kuntz-Stahl, Naturismus, 1985. Vgl. dazu Wedemeyer-Kolwe, Lebensreform, 2015, 123 f. sowie Baumgartner / Wedemeyer-Kolwe, Einleitung, 2004 am Beispiel des Historikers Ulrich Linse. Hermand, Schein, 1972, 60 (Zitat), 76 (Zitat) und 125. Vgl. Hermand, Schein, 1972, 125 (Zitat) sowie Frecot / Geist / Kerbs, Fidus, 1972, 17 f., 52 und 58. Cluet, Vorwort, 2013, 33 f. Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 11–27; 157, 168 f., 171 (Zitat). Frecot, Lebensreformbewegung, 1976, 138–142, 151 (Zitate) sowie Linse, Zurück, 1983, 31 f., 33 und 35 (Zitate) und zuletzt Peeters, Degeneration, 2011, 260: „Selbstheilung“. Diese Ambivalenz stellte schon Krabbe, Gesellschaftsveränderung, 1974, 172, fest. Vgl. dazu Barlösius, Lebensführung, 1997, 17 f.; Wolbert, Lebensreform, 2001, 17; Schwab, Monte Verità, 2003, 34 f.; Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006, 35 sowie Merlio, Reformbewegungen, 2013, 63 f. Vgl. dazu Raschke, Bewegungen, 1988, 32 ff. und 77 ff. Vgl. Beck, Risikogesellschaft, 1986, 25 f., 76 f. und 264 f.

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So etwa bei Barz, Lebensreform, 2015, 18 f.; Rindlisbacher, Popularisierung, 2015, 26 f. oder Merlio, Reformbewegungen, 2013, 65 und 68 f. Vgl. Barlösius, Lebensführung, 1997, 19 sowie Schwab, Monte Verità, 2003, 39 f.; ähnlich auch schon Regin, Selbsthilfe, 1995, 452 f. Vgl. Schwab, Monte Verità, 2003, 39–42 und auch Fritzen, Lebensreformbewegung, 2006, 31, sowie im Kontext dieser These König, Körper, 1989, 108 f. und Alkemeyer, Sport, 1995, 29 f. Im Rahmen dieser Interpretation weist Linse, Mazdaznan-Vortrag, 2017 auf die körperreligiösen und körperratgeberbezogenen Aspekte der Lebensreform vor dem Hintergrund des Schwindens religiöser und sozialer Gewissheiten hin. Wobei es laut Barlösius für den Verbürgerlichungsprozess unerheblich sei, ob man eine lebensreformerische Lebensweise nur propagiere oder auch lebe. Vgl. Barlösius, Lebensführung, 1997, 12 f., 16 f., 168 f., 275 und 277 f. Vgl. dazu Eisenberg, English sports, 1999, 216 ff. Die Verbürgerlichungsthese verwendet Wedemeyer-Kolwe, Mensch, 2004, 15 f. und 423 f. Dies hat z. B. Maren Möhring in einer Arbeit zur FKK versucht und dabei mit Körpertheorien gearbeitet; vgl. Möhring, Marmorleiber, 2004 sowie die Rezension von Henning Eichberg in Viertelsjahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 4, 2006, 527–533.

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202

Personenregister Ackermann, Willi Adelmann-Huttula, Willy Alexander, Gerda Andersen, Hedwig

155 122 114, 118 115, 118, 179

Baltzer, Eduard Bankier, William „Apollo“ Berg, Ragnar Bergson, Henri Berndl, Florian Bethmann, August Bier, August Bilz, Eduard Bircher-Benner, Max Bode, Rudolf Brandenburg, Hans Bry, Carl Christian Bücher, Karl Buchholz, Marie Buchinger, Otto Buttenstedt, Carl

31, 46, 47, 48, 52, 62, 63, 167, 170 172 171 44 182 52, 136, 138, 171, 182 76 77, 80, 81, 87, 104 46, 50, 52, 77, 170, 171, 174 40, 43, 112, 114, 116, 169 117 61 44 128 52, 83, 171, 172, 174, 175 168

Carus, Carl Gustav Crowley, Aleister

44, 114 135

Darwin, Charles Diefenbach, Karl Wilhelm Driesch, Hans Duncan, Isadora Duncan, Raymond Dußel, Christian

41, 53 30, 95, 99, 131, 166, 167, 177 44, 114 100, 111, 117, 130, 135 130, 135 33

Edwards, Joe Ehret, Arnold Engelhardt, August

172 171 27, 30, 52, 136, 167, 171, 182

Fahrenkrog, Ludwig Felke, Emanuel Fidus d.i. Hugo Höppener Fischer-Dückelmann, Anna Fletcher, Horace Flitner, Wilhelm Foerster, Georg Fränzel, Walter Fuchs, Marianne

6, 7, 95, 169 77, 78, 174 7, 19, 23, 24, 40, 41, 95, 99, 107, 123, 131, 134, 135, 159, 160, 166,169, 172, 177 86 52, 171 154 169 83, 130, 155, 175 118

203

Personenregister George, Stefan Gesell, Silvio Gindler, Else Graeser, Gustav „Gusto“ Graeser, Karl Gross, Otto

38 32, 126, 146, 167 123 16, 27, 60, 119, 137, 138, 155, 172, 183 137 138

Hackenschmidt, George Haeusser, Ludwig Hahn, Theodor Hahnemann, Samuel Halbe, Max Hammer, Walter Hauptmann, Gerhard Hentschel, Willibald Hesse, Hermann Heynen, Carl August Hinhede, Mikkel Hofmann, Ida Höppener, Hugo Hufeland, Christoph Wilhelm Hunkel, Ernst Hunkel, Margart

61, 98 120 46, 47, 48, 52, 58, 170 173 61 42, 61 174 37, 132 80, 89, 174 66 51 127, 128, 137, 178, 183 s. Fidus 46, 71 138, 140, 183 140

Itten, Johannes

123

Jäger, Gustav Jaques-Dalcroze, Émile Just, Adolf

58, 81, 172 111, 117, 130 25, 28, 46, 50, 51, 52, 73, 74, 77, 78, 80, 101, 123, 171, 174

Kafka, Frank 52, 78, 79, 101, 102, 174, 181 Kallmeyer, Hade 123 Kellermann, Annette 60, 172 Kellogg, John Harvey 46, 81, 157, 170, 174 Keyserling, Hermann Graf 38, 39, 119 Kiehne, Oswald 140 Klages, Ludwig 38, 40, 42, 43, 44, 114, 169, 172 Klatt, Fritz 115, 123 Klein, Josua 131 Klinger, Max 95 Klotz, Erna 112 Kneipp, Sebastian 28, 58, 67, 77, 78, 83, 166, 174 Koch, Adolf 108, 109 Kracauer, Siegfried 153 Küppers(-Sonnenberg), Gustav Adolf 34, 35, 55, 92, 124, 126, 127, 128, 129, 143, 144, 147, 181, 183 Laban, Rudolf von Lagarde, Paul de

204

40, 111, 112, 117, 138 38, 40, 42, 43, 169

Personenregister Lahmann, Heinrich Landauer, Gustav Langbehn, August Julius Langsdorff, Georg von Lederer, Maja

51, 58, 72, 74, 77, 80, 81, 117, 171, 174 154 36, 38, 39, 40, 42, 43, 44, 116, 169 50, 171 117

Menne, Karl Mensendieck, Bess Menzler, Dora Meyrink, Gustav Middendorf, Ilse Möckel, Gustav Mühsam, Erich Müller, J.P. Müller-Münster, Franz

147, 149 112 123 121 114, 118, 123 93 61, 154, 172 106 95

Nagel, Gustav Neuendorff, Edmund Newton, John Frank Nietzsche, Friedrich

16, 27, 28, 60, 119, 155, 166, 172 112 25 38, 39, 40, 41, 42, 44, 80, 114, 142, 168, 169, 174

Oedenkoven, Henri Oppenheimer, Franz

117, 137, 182 182

Palagyi, Melchior Pausewang, Elfriede Pausewang, Gudrun Perrottet, Suzanne Petter, Carl Reinhold Prießnitz, Vinzenz

44, 114 30, 151 101, 144, 146, 151 111, 117, 123 142 28, 29, 70, 71, 77, 78, 83, 166, 173

Rath, Emerich Reuss, Theodor Rikli, Arnold Rousseau, Jean Jacques Rübel, N.N.

60 138 30, 77, 79, 174 25, 71, 173 88

Salomonson, Raphael Sandow, Eugen Schlaffhorst, Clara Schlickeysen, Gustav Schneider, Sascha Schöll, Friedrich Schroth, Johannes Schultze-Naumburg, Paul Schulze-Sölde, Max Schwantes, Curt Schwantje, Magnus Schweninger, Ernst Siebert, Theodor Simmel, Georg

139 97 115, 118, 179 30, 46, 50, 51, 58, 59, 167 169 182 70, 71 35, 167 131, 155 37 60 76 28, 95, 97 44

205

Personenregister Simons, Gustav Spengler, Oswald Stapel, Wilhelm Stassen, Franz Steiner, Rudolf Strongfort, Lionel Strünckmann, Karl Struve, Gustav (von)

46, 50, 51, 170 36, 38, 40 61, 64, 110, 113, 149, 178 95, 169 120 61, 95, 167 83, 123, 175 46, 49, 52, 170

Täuber, Sophie Tepp, Max Thiess, Frank Toller, Ernst Tönnies, Ferdinand Trümpy, Berthe

117 115 110, 153 61, 154 36 117

Ungewitter, Richard

21, 23, 28, 55, 95, 99, 130, 168, 172, 176

Van Son, Alwyn Verweyen, Johannes Vester, Karl Vogeler, Heinrich

28, 166 180 138 126, 131

Wagner, Richard Weidemann, Magnus Wigman, Mary Winter, Fritz Wirz, Paul Wittmer, Margret Wulff, Katja Wundt, Wilhelm

38, 39, 40, 60, 80, 114, 168, 172, 174 16, 30, 31, 40, 43 40, 100, 111, 112, 117 115 135 136, 182 117 44

Zimmermann, Johann Wilhelm Zimmermann, Paul Zimmermann, Werner Zweig, Stefan

46, 48, 49, 170 69, 141, 142 28, 31, 166, 167 100, 151, 152

206

Abbildungsnachweis S. 2–3 Diefenbach, Karl Wilhelm; „Per Aspera ad Astra“, Gemälde Nr. 1 aus dem Fries, 1888 © akg-images S. 15

Titelblatt: Zeitschrift Die Lebensreform. Monatsschrift für neue Lebensgestaltung 1 (2. Jg.) 1926

S. 19

„Lichtgebet“ von Fidus (Postkarte, o.J.). In: Niedersächsisches Institut für Sportgeschichte e.V. (NISH) Hannover, NISH OA Bestand 9, Nr. 54

S. 21

Der Lebensreformer Richard Ungewitter am Schreibtisch. In: Richard Unge­ witter: Die Nacktheit. Stuttgart 1908, S. 30

S. 24

Wegkreuzung Reform. Vignette von Fidus für die Zeitschrift Deutsche Volkstimme. Organ der deutschen Bodenreform 22, 1905

S. 29

Titelblatt: Zeitschrift Die Neue Zeit 3 (1. Jg.) 1929 (Bern)

S. 41

Der Lebensreformmaler Fidus vor der Staffelei (Postkarte, 1895/1932). In: NISH OA Bestand 9, Nr. 54

S. 65

Titelblatt: Zeitschrift Das Reformhaus. Monatsschrift für gesunde Lebensführung 7 (2. Jg.) 1927

S. 69

Klingberg, vegetarisches Gästeheim Zimmermann (Postkarte o.J.). In: NISH OA Bestand 9, Nr. 54

S. 74

Adolf Justs Lichtlufthütte im Pawel´schen Holze bei Braunschweig. In: Günther Stolzenberg: Der Just-Jungborn. Eine vorbildliche Kuranstalt der Naturheilbewegung. Mannheim o.J., S. 11

S. 80

Sanatorium Bilz, Dresden, Herren im Luftbad (Postkarte, 1906). Privatbesitz

S. 82

Sonnenbad Monte Verità nach 1900. In: Robert Landmann, Monte Verità, Köln 1973, unpag. (vor S. 24)

S. 89

Hermann Hesse im Sanatorium Monte Verità 1906. In: Landmann, Monte Verità (siehe oben), unpag. (nach S. 48)

S. 100 Isadora Duncan, um 1918 © akg-images S. 105 Titelblatt: Das Sportluftbad. Bade in Licht, Luft und Sonne. 4. Sonderheft von „Kraft und Schönheit“. Berlin 1905 S. 107 Muskelwettbewerb des Vereins für Körperkultur mit Fidus (2.v.l.) als Preisrichter 1919. In: NISH OA Bestand 9, Nr. 54

207

Abbildungsnachweis S. 109 Titelbild: Adolf Koch: Wir sind nackt und nennen uns Du! Bunte Bilder aus der Freikörperkulturbewegung. Leipzig 1932 S. 111 Reigentanz auf dem Monte Verità nach 1900. In: Harald Szeemann (Hg.): Monte Verità Ascona. Mailand 1978, S. 42 S. 113 Runde Beuge in Ausdrucksform. In: Dora Menzler: Die Schönheit deines Körpers. Stuttgart 1924, S. 72 S. 122 Titelblatt: Willy Adelmann-Huttula: Jeder Deutsche ein Yoga-Praktiker. Pfullingen o. J. (1922) S. 129 Titelblatt: Gustav Adolf Küppers: Eigen Land. Dresden 1918 S. 134 Wohnhaus Fidus (Postkarte, 1912). In: NISH OA Bestand 9, Nr. 4 S. 139 Monte Verità Konsul Salomonsen. In: Landmann, Monte Verità (siehe oben), unpag. (nach S. 40) S. 141 Freilichtpark Klingberg Wintersonnenwende (Postkarte, 1930). In: NISH OA Bestand 9, Nr. 54 S. 144 Wohnhaus von Gustav Adolf Küppers. In: Gustav Adolf Küppers: Eigen Land. Dresden 1918 S. 154 FKK-Familie. In: Charlie Straesser: Jugendgelände. Ein Buch von neuen Menschen. Rudolstadt, S. 61 (Fotograf: Julius Gross) S. 155 Gustav Nagel. In: Landmann: Monte Verità (siehe oben), unpag. (nach S. 33)

208