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German Pages 216 [220] Year 1930
ARNDT UND DIE GESCHICHTE EIN BEITRAG ZUR ARNDTFORSCHUNG UND ZUR PROBLEMGESCHICHTE DES HISTORISMUS V O R N E H M L I C H BIS ZUM E N D E DER BEFREIUNGSKRIEGE VON
DR. PAUL HERMANN RUTH
M Ü N C H E N U N D BERLIN 1930 VERLAG VON R. OLDENBOURG
B E I H E F T 18 D E R H I S T O R I S C H E N Z E I T S C H R I F T
Alle
Rechte
einschließlich der
Übersetzung,
vorbehalten
D R U C K V O N R. O L D E N B O U R G , M Ü N C H E N
DEM ANDENKEN
MEINES
HERMANN
MEINEN
ALB
GROSSVATERS RECHT
ELTERN
VORWORT D i e vorliegende Arbeit versucht in mehrfacher Hinsicht, neue Wege in der Arndtforschung zu gehen. Ihr Ziel ist nicht nur, die wissenschaftliche Tätigkeit des Historikers Ernst Moritz Arndt darzustellen, sondern sie will darüber hinaus die innerlicheren Vorgänge in der Seele bei der Auseinandersetzung mit den geschichtlichen Mächten, das lebendige Verhältnis seiner Persönlichkeit zur Geschichte, in den bleibenden Grundlinien und den Wandlungen der zeitlichen Entwicklung ergründen. Dies Verhältnis ist für Arndt ein zentrales. An seinem Wesen und Werden haben alle Kräfte seines geistigen Lebens Anteil, inneres Erleben und äußeres Schicksal nicht minder als die gesamte seelischgeistige Struktur der Zeit. Bei dieser Zielsetzung erschien es mir nötig, die bisher getrennten Aufgaben der geistesgeschichtlichen Untersuchung seiner Geschichtsauffassung und der biographischen Darstellung seiner Entwicklung miteinander zu verbinden, ein Versuch, der auch für das rein Biographische zu wesentlichen Ergänzungen des bisher Bekannten geführt hat. Es dürfte nach den hier vorgelegten Ergebnissen nicht mehr zweifelhaft sein, daß es schlechterdings unmöglich ist, der Gedankenwelt Arndts, bei der das Moment der Zeit — gleichsam als die vierte Dimension über ein räumliches Nebeneinander hinaus — in einem noch viel höheren Maße als sonst zur Zeit der Romantik die notwendige Bedingung jeder Äußerung ist, gerecht zu werden durch Systematisierungen irgendwelcher Art, die an den zeitlichen Verschiedenheiten mehr oder weniger vorübergehen. Arndts Denken ist weder ein philosophisches System, noch ein Chaos von Einfällen, sondern eine lebendige Einheit. Die Aufgabe ist hier, die scheinbaren Widersprüche aufzusuchen und ihre innere Notwendigkeit zu prüfen, sind sie doch gerade die Stellen, wo das unterirdische Gestein zutage tritt und die Ursprünge am schönsten sichtbar sind. Nur durch eine sorgfältige Chronologie läßt sich das Gesetzmäßige in der Entwicklung jedes Gedankens und damit der Aufbau der geistigen Welt Arndts von innen her begreifen. Wenn dabei geläufig gewordene Formeln sich als unhaltbar erweisen und das Gesamtbild durch den großen Reichtum an
VI Nuancen scheinbar schwerer faßbar wird, so liegt das in der Natur des Gegenstandes. Die notwendige Einheit der lebendigen Entwicklung wird dadurch in Wahrheit erst verständlich. Neben diesem methodischen Unterschied gegenüber den beiden bisherigen Darstellungen der Geschichtsauffassung Arndts von R. Krügel (Der Begriff des Volksgeistes in Ernst Moritz Arndts Geschichtsanschauung, 1914, Päd. Magazin Nr. 566) und E. Cremer (Ernst Moritz Arndt als Geschichtschreiber, Diss. Kiel 1927) besteht ein solcher in der Sache. Die lebendige Spannung, die das Wesen Arndts kennzeichnet, ist nicht nur eine äußere gegenüber den Bedingungen und Problemen der zeitlichen Umwelt, sondern vor allem eine solche der Polarität innerer Kräfte und Richtungen. So ist auch seine Geschichtsauffassung weder als eine allein aus der Kontemplation auf empirisch-psychologischem Wege gewonnen^ Lehre vom Volksgeist faßbar, wie Krügel sie darstellt, noch als bloßes Geschichtesehen, als Verschmelzung von Historie und Rede durch das aktive politische Wollen seiner Publizistik, wie Cremer sie im Anschluß an F. Gundolf (Hutten, Klopstock, Arndt, Drei Reden, 1924) zu bestimmen sucht. Nachdem die große Untersuchung von Ernst Troeltsch die problematische Wechselbeziehung von Kontemplation und A k t i v i t ä t in ihrer konstitutiven Bedeutung für alles historische Denken gezeigt und zum Ausgangspunkt eingehender Forschungen über die Theorie und Geschichte der Historiographie gemacht hat, müssen diese Dinge auch bei Arndt in einem anderen Lichte erscheinen. Es gilt, die beiden Richtungen seines geschichtlichen Denkens, Betrachten und Handeln, in ihrer Verbundenheit und Gegensätzlichkeit zu erkennen und die bedeutsamen Anfänge eines klaren Bewußtseins dieser Problematik zu würdigen, zu denen der Reichtum und die Wahrhaftigkeit seines Geistes ihn gelangen ließen. Auch diese innere Spannung ist nicht die einzige seines Wesens, wenn auch, wie ich meine, die für das Verhältnis zur Geschichte bedeutsamste. Es darf nicht scheinen, als sollte damit das Denken Arndts in anderer Weise auf eine neue Formel gebracht werden. Es regt sich heute unverkennbar das Bewußtsein, daß die Gestalt Ernst Moritz Arndts sich nicht erschöpft in den wohlbekannten Zügen, die von der eigenen Darstellung in den „ E r innerungen aus dem äußeren Leben" her die volkstümlichen und wissenschaftlichen Schilderungen seines Lebens größtenteils beherrschen. In den Schriften und Gedichten der Mannes jähre begegnen Worte, deren kühner Flug in einem solchen Gesamtbild keinen Raum hat. Sie pochen mit verwandtem Klang an die geistigen Tore der Gegenwart und sind geeignet, das Bild dessen,
VII der sie prägte, im Gedächtnis seines Volkes in neuer Frische und überraschender Fülle erstehen zu lassen. Dazu möchten diese Seiten zu ihrem Teil beitragen. Der überreiche Stoff gebot für eine so eingehende Darstellung eine Beschränkung auf die Zeit bis 1815. Die zeitliche Begrenzung ist mit dem Wesen der Aufgabe durchaus vereinbar, denn die entscheidende Entwicklung ist mit diesem Zeitpunkt abgeschlossen. Die Spätzeit Arndts brachte andere Motive und Richtungen des historischen Denkens in Deutschland zur Herrschaft, denen der Alternde keine neuen Impulse mehr zu geben hatte. Allein die erste Hälfte seines Lebens hat eine allgemeine geistesgeschichtliche Bedeutung. Der inhaltliche Umfang der Untersuchung durfte dagegen nicht so eng begrenzt werden, sondern mußte alle verwandten Fragen z. B. der Staatsauffassung und der religiösen Entwicklung mit einbeziehen •— nicht mit erschöpfender Ausführlichkeit der sachlichen Einzelheiten, aber mit den wesentlichen Ansatzpunkten. Wie sehr der Mangel einer einheitlichen kritischen Gesamtausgabe der Schriften Arndts, insbesondere die vielfach unsichere Datierung der Gedichte, die Arbeit erschweren mußte, ist offenbar. Er wirkt sich noch im Druck aus durch die große Zahl der Abkürzungen, die zur Bezeichnung der vielen Einzelschriften notwendig waren. Die Anmerkungen, die vielleicht zum Teil überreich erscheinen, wollen den Zugang zu den Quellen erleichtern und insbesondere eine Vorarbeit sein für die noch fast ganz fehlende Einordnung der Gedanken Arndts in größere geistesgeschichtliche Zusammenhänge — sind doch die knappen Schlaglichter in Friedrich Meineckes „Weltbürgertum und Nationalstaat" (6. Auflage 1922) bisher fast das einzige Beispiel dafür. Ihm, meinem hochverehrten Lehrer, fühle ich mich für die vielfachen Anregungen und das stete gütige Interesse, mit dem er die Arbeit gefördert hat, tief verpflichtet.
PAUL HERMANN RUTH.
INHALTSÜBERSICHT ERSTER TEIL: ANFÄNGE UND GRUNDLAGEN I. Kapitel: Arndts Entwicklung in der Frühzeit bis 1801 im Verhältnis zu den geistigen Bewegungen des 18. Jahrhunderts A l l g e m e i n e s V e r h ä l t n i s z u m 18. J a h r h u n d e r t . . . . Verhältnis zur romantischen Generation. - Stufenweise Abwendung vom Rationalismus. Die A n f ä n g e des d e u t s c h e n N a t i o n a l g e f ü h l s Zeugnisse. - Verhältnis zu Klopstock und den Barden. Der „schwedische Partikularismus". - Stellung zur französischen Revolution. - Begriff des National- oder Volksgeistes. Die L e b e n s g e s t a l t u n g Lebensgestaltung und Staatssehnen. - Wurzeln in der bürgerlichen deutschen Aufklärung. - Geistiges Erwachen. Kein wesentlicher Einfluß Fichtes. - Einwirkung der Klassik. - Freiheit und Notwendigkeit im Ethos der Persönlichkeit. ,,Los und fest." - Verhältnis zur Frühromantik. - Die Religiosität der Frühzeit. - Panentheismus. - Religion der Menschlichkeit. Einflüsse Jacob Böhmes. Die E n t w i c k l u n g des Z e i t e m p f i n d e n s Zukunftsglaube der Kindheit. - Pessimismus der. Jünglingszeit. - Zunehmende Bejahung seit der Reise 1788/99. Der Zeitgeist als Notwendigkeit und Aufgabe. - Vergleich mit Hölderlin. Ü b e r b l i c k über die G e s a m t e n t w i c k l u n g der F r ü h z e i t [I. Kapitel: Das politische und geschichtliche Denken der Frühzeit bis 1801 Allgemeine Übersicht Verhältnis zur persönlichen Entwicklung. - Kindheit und Universitätsjahre. - Erster eigener Standpunkt: Bekenntnis zur Empirie. - Echtes und Unechtes. D a s p o l i t i s c h e D e n k e n der F r ü h z e i t Gegensatz zur idealistischen Philosophie. - Gegensatz zur naturrechtlichen Staatsauffassung Rousseaus und Fichtes. Arndts Realismus, seine Stellung zu Macchiavelli und zum älteren Naturrecht. - Revolutionäre naturrechtliche Folgerungen. - Bedeutung der realistischen Elemente.
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Das Verhältnis zur Geschichte Negative, skeptische Haltung unter dem Einfluß Humes. - Naive Verallgemeinerung der persönlichen Maßstäbe. Keine „Entwicklung", Kreislauftheorie. - Anfänge positiver Betrachtung: Die Lehre vom Einfluß des Klimas. - Ideal des isolierten epikureischen Weisen. - Begriff des Spiels. Die Frage nach dem Sinn des historischen Geschehens. Kontemplation und Aktivität in der Frühzeit.
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III. Kapitel: Zur Charakteristik Arndts Begründung dieser ergänzenden Ausführungen . . . Bleibendes und Sichentwickelndes. - Die Problematik seines höheren Berufs. B e r u f u n g und S e l b s t b e r u f u n g Ich und Zeit. - Innere Zweiheit. - Bewußtes Streben. Motiv der Wahl. - Die Aufgabe als sittliche Verpflichtung. Stellung zum Ruhm. - Schicksalhafte Bindung. - Die innere Stimme. - Aktivität aus innerem Müssen. - Abgrenzung von rational bestimmtem Handeln. - Abgrenzung von mystischer Verworrenheit. - Vergleich mit W. v. Humboldt. Arndts Fortleben im Volk.
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Prophetie und S e l b s t b e g r e n z u n g Das Problem. - Bewußtsein der eigenen Grenze. - Die Prophetenrolle 1812/13. - Begriff der „Mitte". - Gedanke des Gleichgewichtes. - Wille zur Bindung und stolze Zurückhaltung. - Der Held. - Verhältnis zu Napoleon. - Stellung zu den geistigen Führern der Zeit. - Idee des Dienstes. Vergleich mit Adam Müller. - Verhältnis zu Stein und Gneisenau. - Nichterfüllung der Führersehnsucht. - Überwindung der Prophetenrolle: Erlebnis des Volkes 1813.
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IV. Kapitel: Das Verhältnis von Kontemplation und Aktivität in der Geschichtsauffassung als geschichtsphilosophisches Problem von der Aufklärung bis zur Zeit Arndts Aufklärung. - Rousseau. - Justus Moser. - Herder. Georg Forster. - Kant. - Schiller. - Fichte. - Schelling. Frühromantik: Wackenroder, Novalis. - Schleiermacher. Politische Romantik: Friedrich Schlegel, Adam Müller. Gentz und Joh. Müller in ihrem Briefwechsel 1804/06. - Ausblick auf die weitere Entwicklung: W. v. Humboldt, Hegel. Ranke. - Die Gesamtentwicklung und Arndt.
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ZWEITER TEIL: ARNDTS VERHÄLTNIS ZUR GESCHICHTE IN SEINER ENTWICKLUNG Seite
I. Kapitel: Von 1802 bis zur zweiten Reise nach Schweden Ende 1806 1. Abschnitt: Die geistige Entwicklung . . G e s a m t c h a r a k t e r dieser E p o c h e . E r s t e s c h ö p f e r i s c h e T ä t i g k e i t auf kontemplativwissenschaftlichem Gebiet Die „Geschichte der Leibeigenschaft". - Die Geschichtsauffassung vom Zeitempfinden her: ,, Germanien und Europa''. - Die Geschichtsauffassung von der Naturbetrachtung her. - Ältere geschichtliche Denkweise und wissenschaftliche Neuorientierung. D e r E i n f l u ß S c h i l l e r s u n d der A n t i k e
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Die Bildungsidee der „Fragmente über Menschenbildung". - Tugend als Spiel, Fülle des Daseins, Persönlichkeit als Gestalt. - Griechen Verehrung. - Kritik des Christentums. D e r E i n f l u ß S c h e l l i n g s u n d der R o m a n t i k
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Beginn in Schweden. - Gedanke der Panharmonie. - Ideal einer mythischen Wissenschaft. - Gedanke der Notwendigkeit. - Erweichung des Begriffs der wissenschaftlichen Wahrheit. - Romantisiertes Christentum. - Bedeutung der Annäherung an die Romantik. H i n w e n d u n g zur politischen A k t i v i t ä t
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Liebe zu Charlotte Bindemann. - Verhältnis zu Hölderlins Hyperion. - „Geist der Zeit I . " . - Abkehr von der Romantik. - Abkehr von der klassischen Griechenverehrung. - Rückwirkungen auf die wissenschaftliche Haltung. 2. Abschnitt: Das Verhältnis weltbürgerlicher und nationaler, individualistischer und sozialer, schwedischer und deutscher Motive Nationale und weltbürgerliche Motive in „ G e r m a n i e n und E u r o p a " . - Schwedische Motive: E r s t e r Aufenthalt in Schweden. - Überwiegen des Weltbürgerlichen mit dem Anschluß an die R o m a n t i k : „ F r a g m e n t e über Menschenbild u n g . " - Durchbruch des Sozialen: „ G e i s t der Zeit I . " Neues E r s t a r k e n des Nationalen. - Verhältnis zu Deutschland und Preußen. - Verhältnis zu Schweden. - Hinwendung zu Deutschland: „ B l i c k vor- und r ü c k w ä r t s . " - Rückwirkungen auf die Geschichtsauffassung.
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3. Abschnitt: Die Geschichts- und Staatsauffassung 97 Die z e i t g e s c h i c h t l i c h e Ri-chtung 97 ,,Germanien und Europa." - Persönliche und geistesgeschichtliche Situation. - Rationalistische und realistische Züge des geschichtlichen Denkens. - Der idealistische Gedanke einer dialektischen Entwicklung. - Arndts eigene Leistung: Geschichte des Antagonismus von Leib, Geist und Seele. - Transzendenz und Immanenz, Metaphysik und Empirie. - Übersicht über das geschichtliche Gesamtbild. — Geistesgeschichtliche Bedeutung. - „Geist der Zeit I." Verhältnis zu „Germanien und Europa". - Wandlungen im Gesamtbild. Die n a t u r h i s t o r i s c h e R i c h t u n g 105 Unterschied von der zeitgeschichtlichen Richtung. Ausgangspunkt, Ziel, Art und Umfang dieser Betrachtungen. — Geistesgeschichtliche Einordnung. - Die Einwirkungen Schellings. - Freiheit und Notwendigkeit in der Geschichte. - Die Bedeutung der Persönlichkeit in diesem Geschichtsbild. - Ansätze zu einer Verbindung mit der genetischen Richtung. - Verhältnis zur spätromantischen Lehre vom Volksgeist. Die S t a a t s a u f f a s s u n g 113 „Germanien und Europa." - Anfänge des organischen Staatsgedankens in Deutschland. - Gesamtcharakter von Arndts Staatsauffassung in „Germanien und Europa". Das Verhältnis der Staaten zueinander. - Die naturrechtliche Grundlage seiner Staatsauffassung. - Der Einfluß Kants und Schillers. - Realistische Züge. - Das Verhältnis von Individuum und Staat. - Der neue Naturbegriff. - Der Staat als Gestalt. - Anfänge einer organischen Staatsauffassung, Ablehnung rationalistischer Anschauungen. - Normativer Charakter der Staatstheorie Arndts. - Realismus der praktischen Forderungen. - Verhältnis zum Liberalismus. „Geist der Zeit I." - Zurücktreten des Realismus. II. Kapitel: Von 1807 bis zum Abschied von der Heimat Ende J a n u a r 1812 1. Abschnitt: Die geistige Wandlung Gesamtcharakter dieser Epoche Verhältnis zur vorhergehenden. - Innere Krise. - „Stirb und werde." - Rückwirkung auf das Verhältnis zur Wissenschaft. D i e W a n d l u n g des L e b e n s g e f ü h l s Schwärmerische Verinnerlichung in Schweden. — Gegenströmungen während der schwedischen Jahre. - Neue Hinwendung zur Tat in der Heimat. - Der Bruch mit Charlotte Bindemann.
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D i e E n t w i c k l u n g des N a t i o n a l g e f ü h l s 129 Die Bindung an Deutschland. - Individualistische und universale Züge des neuen Nationalgefühls. - Wandlung des Volksbegriffs. D i e Ü b e r w i n d u n g des I n d i v i d u a l i s m u s 130 Idee der Gemeinschaft. - Das heilige Reich. - Führerbild. Die religiöse W a n d l u n g 132 Frühere Haltung. - Das neue religiöse Erlebnis in Schweden. - Traum und Spiel. - Das Gebet. - Verbindung mit früheren Anschauungen. - Luthers Gedanke der täglichen Buße. - Pecca fortiter. - Betonung des Kindlichen. - Festigung in der Heimat. - Lutherlektüre. - Die Wandlung als Entscheidung zwischen Antike und Christentum. - Antike, Norden und Christentum bei Arndt. 138 2. Abschnitt: Die Geschichts- und Staatsauffassung D i e G e s c h i c h t s m e t a p h y s i k in i h r e m V e r h ä l t n i s z u m Z e i t e m p f i n d e n und zur religiösen W a n d l u n g . . . 138 Ausgangspunkte der theoretischen Besinnung über das Verhältnis zur Wissenschaft. - Grenzen: Fortdauer der früheren Geschichtsmetaphysik. - Zeitempfinden. - Abgrenzung von der politischen Romantik und von Fichte. - Geschichtsmetaphysik. - Das idealistisch-dialektische Schema. - Das protestantische Fortschrittsschema. - Verbindung beider. Die Wiederkunft der Götter und die Kunstauffassung Arndts. - Bekenntnis zum rein christlichen Zukunftsglauben. D i e E r k e n n t n i s der P r o b l e m a t i k u n d die t h e o r e t i s c h e K l ä r u n g der e i g e n e n G e s c h i c h t s a u f f a s s u n g 143 Anlaß: Die nationale Bindung und die Überwindung des Individualismus. - Gedankengang der theoretischen Ausführungen in „Letztes Wort an die Deutschen". - Die universalhistorische Auffassung des Betrachtenden und des Handelnden. - Der Idealismus der Tat. - Das Maßstabproblem. - Freiheit und Notwendigkeit. - Persönliche Bedeutung dieser Gedanken. - Ideengeschichtliche Einordnung. Verdienst und Grenzen. Die nationale G e s c h i c h t s a u f f a s s u n g 150 Geschichte als Bewahren lebendigen Erbes. - Der neue Wahrheitsbegriff. - Beurteilung der germanischen Vorzeit, des Mittelalters, Friedrichs des Großen. - Der nationale Zukunftsglaube. Die kontemplative G e s c h i c h t s a u f f a s s u n g 154 Die naturhistorische Richtung. - Die Sonderstellung der „Schwedischen Geschichten". - Geschichte als Tragödie. Thukydides als Vorbild. - Beurteilung der „Schwedischen Geschichten". - Arndt und die quellenkritische Methode,
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Die S t a a t s a u f f a s s u n g I58 Wiederanknüpfen an „Germanien und Europa". - Verhältnis zur politischen Romantik. - Der „christliche Staat". - Die Eigengesetzlichkeit der Politik. III. Kapitel: Von 1812 bis zum Ende der Befreiungskriege. Ausblick In die Spätzeit 160 Die geistige E n t w i c k l u n g 160 Gesamtcharakter dieser Epoche. - Lösung von persönlichen Bindungen. - Das ewige Bild. - Innere Wehmut. - Hingabe an die Sache. - Die preußische Erhebung 1813. - Erfüllung. - Nationale Aufgabe und dichterische Verklärung. - Weitere Entwicklung des religiösen Lebens. - Bibelstudien in Breslau. - Altes Testament. - Die Gestalt Christi während der Kriegsjahre. - Luthersche Gedanken. - Neue Stellung zum Katholizismus. - Gedanke der Toleranz. - Christentum und Heidentum. Die S t a a t s a u f f a s s u n g 168 Stärkere Ethisierung der Staatsidee. - Der deutsche Nationalstaat als Ziel. - Bekenntnis zu Preußen. - Idee einer „teutschen Gesellschaft". - Verhältnis zur christlichgermanischen Staatsauffassung. - Beurteilung der französischen Revolution. — Probleme der deutschen Legion: Das Widerstandsrecht. - Das Problem der Staatsraison. Lösungsversuch. Die G e s c h i c h t s a u f f a s s u n g 173 Einordnung des Christentums in das Geschichtsbild. Das Christentum als absolute Religion, Problem und Lösungsversuch. - Deutsche Nationalgeschichte. - Das Geschichtsbild der „Ansichten und Aussichten der teutschen Geschichte". Idealisierung des Mittelalters. - Werden und Vergehen der Völker und deutscher Glaube. - Der aktive Charakter dieser Geschichtschreibung. - Haß und Liebe. - Kosmischer Dualismus der Kampfzeit: Gott und Satan. - Freiheit und Notwendigkeit. - Transzendenz und Immanenz. - Geschichte als Glaube. - Die kontemplative Richtung. A u s b l i c k in die S p ä t z e i t 183 „Geist der Zeit. IV.Teil". — „Nebenstunden". — Stellung zu Hegel. — Stellung zu Friedrich Schlegels Spätwirken. — Deutscher Glaube. — Stellung zu Ranke. •— „Versuch in vergleichender Völkergeschichte". — Problem des Proletariats. - - „Pro populo germanico". • Schlußwort.
ZEITTAFEL 1 ) FRÜHZEIT Bis 1801. 26. 12. 1769: Geboren in Schoritz auf Rügen. Februar 1787 bis Herbst 1789: Auf dem Gymnasium in Stralsund, dann im Elternhaus in Löbnitz bei Barth. Ostern 1791 bis Ostern 1793: Studium in Greifswald. Ostern 1793 bis Ende August 1794: Studium in Jena. Herbst 1794: Reise von Jena über den Harz und die Lüneburger Heide nach Hamburg. Besuch bei Matthias Claudius nicht ausgeführt. Oktober 1794 bis November 1796: In Löbnitz; Liebe zu Charlotte Quistorp. Ende November 1796 bis April 1798: Hauslehrer bei Kosegarten in Altenkirchen auf Rügen. Mitte Mai 1798 bis 26. 5. 1799: Reise über Jena, Bayreuth, Wien, Ungarn, Norditalien, Südfrankreich nach Paris. 26. 5. bis 7. 8. 1799: Aufenthalt in Paris. Reisen durch einen Teil Teutschlands, Ungarns, Ital i e n s u n d F r a n k r e i c h s i n d e n J a h r e n 1798 u n d 1799. I — I I I 1801; I V — V 1802; V I 1803 2. veränderte Auflage I — I V 1804. [Entstanden größtenteils während der Reise]. Mitte März 1800: Promotion in Greifswald. Dissertatio historico philosophica sistens momenta quaedam, quibus status civilis contra Russovii et a l i o r u m c o m m e n t a d e f e n d i p o s s e v i d e t u r . 1800. 5. 5. 1800: Privatdozent in Greifswald. 28. 9. 1800: Bewerbung um eine A d j u n k t u r an der philosophischen F a k u l t ä t der Universität Greif swald. £ i n m e n s c h l i c h e s W o r t über die F r e i h e i t der alten R e p u b l i k e n . 1800. 23. 2. 1801: Trauung mit Charlotte Quistorp. 25. 6. 1801: Tod der Frau bei der Geburt eines Sohnes. 13. 12. 1801: Ernennung zum A d j u n k t e n an der philosophischen F a k u l t ä t in Greif swald. 1) Die Erscheinungsjahre der einzelnen Schriften werden ohne K l a m mern, die Entstehungszeiten bzw. der T a g der Vollendung in [ ] angeführt. Die gewählten Abkürzungen sind bereits hier durch K u r s i v d r u c k angedeutet. Die jeweils zitierte Ausgabe ist aus dem Abkürzungsverzeichnis ersichtlich.
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I.EPOCHE.
1802-1806.
V e r s u c h einer G e s c h i c h t e der L e i b e i g e n s c h a f t in P o m m e r n u n d R ü g e n . 1803. [4. 11. 1802.] G e r m a n i e n u n d E u r o p a . 1803. [22. 11. 1802.] G e d i c h t e 1803. September 1803. [Der Druck wurde verzögert durch einen Fehldruck. Die spätesten Gedichte der Ausgabe s t a m m e n wahrscheinlich aus dem Frühling 1802.] Frühling 1803: Liebe zu Charlotte Bindemann in B a r t h . D e r Storch u n d s e i n e F a m i l i e . Eine Tragödie . . . nebst einer Zugabe. (Gedichte.) 1804. [September 1803 im Verlag angezeigt.] i. 11. 1803 bis 11. 9. 1804: Erste Reise nach Schweden. .Reise d u r c h S c h w e d e n i m J a h r 1804. I—IV. 1806. Ideen ü b e r die h ö c h s t e h i s t o r i s c h e Ansicht der S p r a c h e . 1805 [zum 1. 11. 1804]. F r a g m e n t e ü b e r M e n s c h e n b i l d u n g . I. I I . 1805. [1803 bis 1805.] Sommer 1805: Beginn der F r e u n d s c h a f t m i t Charlotte von Kathen. G e i s t d e r Z e i t . 7. T e i l . 1806. [November 1805.] . B r i e f e an F r e u n d e . 7. 1810. [Ende 1805.] Zweites Toilettengeschenk. 1806. Ü b e r d i e Mode. I I . 4. 1806: a. o. Professor in Greifswald. E i n l e i t u n g zu h i s t o r i s c h e n Charakterschilderungen. 1810. [Als Vorlesung gehalten Sommer 1806, niedergeschrieben Sommer 1808.] Zweite H ä l f t e des Sommersemesters 1806 nach Stralsund; Verwundung im Duell m i t einem schwedischen Offizier. E n d e September 1806 R ü c k k e h r ins Elternhaus nach Trantow in Vorpommern. B l i c k v o r - u n d r ü c k w ä r t s . G e i s t d e r Z e i t . 77. T e i l r. 1809. [September 1806.]
II. E P O C H E . Dezember 1806 bis Januar 1812. 26. 12. 1806: L a n d u n g in Schweden. J a n u a r 1807: E i n f ü h r u n g bei Muncks und Helvigs. B l i c k v o r w ä r t s . G e i s t d e r Z e i t . 77. T e i l . 2. 1809. [ J a n u a r 1807.] F r i e d e n s r e d e e i n e s D e u t s c h e n . G e i s t d e r Z e i t . 77. T e i l . 3. 1809. [Sommer 1807.] B r i e f e a n d e n G e n e r a l G r a f e n S. {Schwerin j g e s c h r . v. K. H. B. im Sommer 1807. Nordischer .Kontrolleur I I . 1808/09. B r i e f e a n F r e u n d e 77. 1810. [Sommer 1807.] D i e G e i s t e r i m W a l d e . Erinnerungen aus Schweden. 1818. [Frühling 1808.] F r a g m e n t e ü b e r L e b e n und A'unst. Hrsg. v. Meisner, Deutsche Revue X X I I I . 4. 1898.
XVII L e t z t e s W o r t a n d i e D e u t s c h e n . G e i s t d e r Zeit. I I . Teil 4. 1809. [Herbst 1808.] Scipio d e l l a T o r r e . Ein Trauerspiel. Erinnerungen aus Schweden 1818. [Frühling 1809.] i V o r d i s c h e r ii0111ro 11 e u r [Zeitschrift] 1808/09. Darin die beiden größeren Aufsätze: E i n k u r z e s W o r t ü b e r Rußland und sein V e r h ä l t n i s und V e r h a l t e n gegen das übrige E u r o p a v o r u n d s e i t P e t e r d e m G r o ß e n und S p a n i e n und Portugal. Anfang Oktober 1809: Rückkehr in die Heimat über Rügenwalde, Kolberg, Landweg über Kammin nach Trantow. Dezember 1809: Besuch in Zipke bei Barth bei seinem Bruder Karl, wegen der feindlichen Besatzung in Verkleidung. 20. 12. 1809: Ankunft in Berlin. D e r B a u e r n s t a n d , ^ o ü t i s c h b e t r a c h t e t . Ende Mai 1810. Mitte April 1810: Rückkehr in die Heimat nach Trantow. Frühling 1810 (?): Verlobung mit Charlotte Bindemann (hat vielleicht schon während der schwedischen Zeit bestanden). 1. 5. 1810: Wiedereinsetzung in die Greifswalder Professur. Herbst 1810: Bruch mit Charlotte Bindemann. B r i e f ü b e r Gripsh.o\m. Perthes' Vaterländisches Museum 1810. [16. 6. 1810.] / i o f f n u n g s r e d e v o m J a h r e 1810. Schriften für und an seine lieben Deutschen IV. 1855. [7. 10. 1810.J ScAwedische Geschichten u n t e r G u s t a v III., v o r z ü g l i c h a b e r u n t e r G u s t a v IV. A d o l f . 1839. [1810/11.] G e d i c h t e 1811. [Im Druck August 1811.] B r i e f e a n P s y c h i d i o n . Fragmente über Menschenbildung III. 1819. [Sommer 1811 (1810? vgl. das Vorwort des Buches.)] D a s J u l f e s t . Erinnerungen aus Schweden. 1818. [1811.] S c h w e d i s c h e D i c h t e r in d e u t s c h e r Sprache. Erinnerungen aus Schweden. 1818. [1811.] Leben für mich. Notgedrungener Bericht aus seinem Leben . . . Í. 1847. S. 426—429. [Winter 1810 bis Winter 1811.] Gebetbuch f ü r z w e i f r o m m e K i n d e r . Spät erblüht, hrsg. v. A. v. Freydorf 1889. [1808—1811.] . 19. JO. 1 8 1 1 : Abschied von der Universität auf sein Gesuch erhalten. Rückkehr nach Trantow.
III. E P O C H E . Januar 1812 bis Ende 1815. Januar 1812: Reise nach Berlin, um einen Paß für Rußland zu besorgen. ig. 1. 1812: Rückkehr nach Trantow. 28./20. 7. 1812: Früh über die Peene nach Preußen. Aufenthalt in Clempcnow. tJ. 1S12: Ankunft in Merlin. J1
XVIII 13 3- i 8 ü : Heise nach Breslau. F a » 2 a s i e n f ü r e i n k ü n f t i g e s T e u t s c h l a n d v. E. v. S. 1815. [Entstanden Frühling 1812, überarbeitet 1814.] ^ « s i c h t e n und Aussichten der Teutschen Geschichte. I. 1814. [Frühling 1812.] 15. 6. bis 9. 7. 1812: Reise von Breslau nach Prag. Steins Einladung nach Rußland erhalten. 14. 7. bis 16. 8. 1812: Reise von Prag nach Petersburg zu Stein. E n t w u r f der £r,ziehung u n d U n t e r w e i s u n g eines F ü r s t e n . 1813. [Sommer 1812.] D i e Glocke d e r S t u n d e . 1812. [November 1812.] Kurzer . K a t e c h i s m u s f ü r t e u t s c h e S o l d a t e n . 1813. [November 1812.] H ¿ s i o r i s c h e s 2 ' a s c h e n b u c h f ü r d a s J a h r 1813 ( = Teile der Ansichten und Aussichten der Teutschen Geschichte). 1813. 6. 1. 1813: Abreise von Petersburg. An d i e P r e u ß e n . 1813. [Januar 1813.] 22. 1. bis Ende März 1813: In Königsberg. Liebe zu Johanna Motherby. A u f r u f a n d i e D e u t s c h e n . [Februar 1813.] Zwei W o r t e ü b e r die E n t s t e h u n g u n d B e s t i m m u n g der Teutschen Legion. 1813. [Februar 1813.] W a s b e d e u t e t L a n d s t u r m u n d L a n d w e h r ? 1813. Kurze u n d w a h r h a f t i g e . E r z ä h l u n g v o n N a p o l e o n B o n a p a r t e n s v e r d e r b l i c h e n A n s c h l ä g e n . 1813. G e i s t d e r Zeit. III. T e i l . Februar 1814. [Januar-Februar 1813.] 4. 4. 1813: Abreise von Königsberg, über Kaliscli nach Breslau. 8. 4. bis 6. 5. 1813: Aufenthalt in Dresden. 11./12. 5. 1813: Reise über Berlin in die Heimat. 22. 5. bis 9. 7. 1813: In Berlin. Beiträge zum Preuß. Korrespondenten v. 24. 2. 6., b. 6., 19. 6. 1813. 9. 7. 1813: Abreise nach Reichenbach in Schlesien zu Stein. L u g i n s L e b e n , L e b e n s t r a u m (2 größere Gedichte), Gedichte
Ende 17. 8. 24. 8. Ende
1818.
II.
.Katechismus f ü r den t e u t s c h e n Kriegs- und Wöhrm a n n . August 1813. Juli bis Anfang August 1813: Bei Graf Geöler in Neuendorf. 1813: In Blüchers Hauptquartier. 1813: Rückkehr nach Reichenbach. Oktober 1813: Reise über Dresden nach Leipzig. D a s p r e u ß i s c h e Volk u n d H e e r i m J a h r 18x3. Der Rhein, T e u t s c h l a n d s Strom, a b e r nicht Teutschl a n d s G r e n z e . 1813. Grundlinien e i n e r t e u t s c h e n K r i e g s o r d n u n g . 1813. U b e r Volkshaß. 1813. Ü b e r den G e b r a u c h e i n e r f r e m d e n Sfrrachr. 1S1
XIX Ü b e r d a s V e r h ä l t n i s E n g l a n d s u n d F r a n k r e i c h s zu E u r o p a . 1813. Friedrich A u g u s t , K ö n i g von Sachsen, und sein V o l k i m J a h r 1813. 1814. 5-/8. 1. 1814: Reise nach Frankfurt am Main. Ü b e r künftige s t ä n d i s c h e F e r / a s s u n g e n in D e u t s c h l a n d . 1814. Ü b e r Sitte, M o d e u n d K l e i d e r t r a c h t . 1814. Frühling 1814: Reisen am Oberrhein und Niederrhein. Aufenthalt in Coblenz N o c h e i n Wort ü b e r d i e F r a n z o s e n u n d ü b e r uns. 1814. 31. 5. 1814: In Mainz. Dann in Frankfurt, wieder in Mainz. 14, 6. 1814: Nach Frankfurt zu Stein. August 1814: Reisen in Baden. Heidelberg. Entwurf e i n e r d e u t s c h e n G e s e l l s c h a f t . 1814. E i n W o r t ü b e r d i e F e i e r d e r L e i p z i g e r S c h l a c h t . 1814. Z w e i A u f s ä t z e im R h e i n . M e r k u r v. 17.4.14und 26.¡28.11.14. Beherzigungen v o r d e m W i e n e r K o n g r e ß . 1814. November 1814: Zu Fuß nach Berlin. Blick a u s d e r Z e i t a u f die Z e i t . 1814. [Dez. 1814.] Über d e n B a w e r n s t a n d u n d ü b e r s e i n e S t e l l v e r t r e t u n g im S t a a t e . 1815. P o l i t i s c h e R ü g e n , W a h r h e i t e n u n d Z w e i f e l und andere kleinere Aufsätze im ,,Tagesblatt der Geschichte 1815" und Flugschriften. Neugedruckt bei P. Czygan: Zur Geschichte der Tagesliteratur während der Freiheitskriege. I. II. 1909/11. Wird der Herrscher der Insel E l b a E u r o p a noch einm a l b e h e r r s c h e n ? Erschienen 1815 in der Zeitschrift „Der Wächter" I. Über Preußens R h e i n i s c h e M a r k und ü b e r B u n d e s f e s t u n g e n . 1815. Mitte März 1815: Reise in die Heimat. April 1815: Nach Berlin. Von dort an den Rhein, ab 17. 5. 1815 in Köln. D a s Wort v o n 1815 ü b e r d i e F r a n z o s e n . 1815. Der Wächter. I. 1815. Darin u . a . Ü b e r d e n d e u t s c h e n Siwrfentenstaat. II. 1815. Darin u. a. Fantasien zur Bericht i g u n g der U r t e i l e über k ü n f tige deutsche Verfassungen; Arndts Rezension der „Ges c h i c h t e d e r G e s a n d t s c h a f t in dem G r o ß h e r z o g t u m W a r s c h a u im J a h r 1812" v o n D e Pradt\ Ein W o r t über die P f l e g u n g und Erhaltung d e r Forsten und der Bauern. III. i8t6. Darin u. a. Z u m n e u e n Jahr 181O. D e u t s c h e T r a c h t e n . 78x5.
II*
XX
IV. DIE WICHTIGEREN SCHRIFTEN DER SPÄTZEIT. 1816 bis 29.1. 1860 t. Geschichte der Veränderungen der b ä u e r l i c h e n und herrschaftlichen Verhältnisse in d e m vormaligen S c h w e d i s c h e n P o m m e r n u n d R ü g e n v o m J a h r e 1806 b i s 1816. 1817. G e i s t d e r Z e i t . IV. T e i l . 1818. G e d i c h t e . 1818. I. II. V o n dem W o r t und dem K i r c h e n l i e d e , nebst geistl i c h e n L i e d e r n . 1819. N e b e n s t u n d e n . 1826. Einige Anmerkungen zur L ä n d e r k u n d e des P r o t e s t a n tismus und zu F r i e d r i c h S c h l e g e l s G e s c h i c h t e der a l t e n u n d n e u e n L i t e r a t u r . Christliches und Türkisches. 1828. Die F r a g e über die N i e d e r l a n d e und die R h e i n l a n d e . 1831. ü b e r Demokratie und Centralisation. Mehrere Überschriften, nebst einer Zugabe zum Wendtschen Musenalmanach für 1832. 1831. B e l g i e n u n d w a s d a r a n h a n g t . 1834. G e d i c h t e 1840. ' Erinnerungen a u s d e m ä u ß e r e n L e b e n . 1840. V e r s u c h in v e r g l e i c h e n d e r V ö l k e r g e s c h i c h t e . 1843. G e d i c h t e 1843. D i e R h e i n i s c h e n r i t t e r b ü r t i g e n Autonomen. 1844. Schriiten f ü r u n d an s e i n e l i e b e n D e u t s c h e n . I—III. 1845. IV. 1855. Bd. I u . I I : Ältere Schriften. ,, I I I : Darin: D a s T u r n w e s e n n e b s t e i n e m A n h a n g . [1842.] L a s s e t e u c h n i c h t v e r f ü h r e n , o d e r die W e l t l i t e r a t u r . [1842.] G. A. R e i m e r . [1842.] T a l l e y r a n d . [1842.] G n e i s e n a u . [1843.] E i n p a a r deutsche Notabene. [1844.] Erinnerungen, G e s i c h t e , G e s c h i c h t e n . [1844.] P a u l B e c k . [1844.] Ü b e r d e n g e g e n w ä r t i g e n Stand des Protes t a n t i s m u s . [1844.] N o c h ein W o r t f ü r n n s r e g r o ß e Ö f f e n t l i c h k e i t . [1844.] „
I V : Darin: D i e P e r s ö n l i c h k e i t o d e r d a s G e p r ä g e d e s V o l k e s , w a s m a n w o h l C h a r a k t e r zu n e n n e n p f l e g t . H o l l a n d u n d die H o l l ä n d e r . A n k l a g e einer M a j e s t ä t s b e l e i d i g u n g des g r o ß e n dänischen Volks. Skandinavien, Deutschlands V e r w a n d t e r und N a c h b a r . J e t z t und w e i l a n d und v o n s t a r k e n M ä n n e r n .
XXI G r u n d g e s e t z der N a t u r von Diderot. N e b s t einer Zug a b e . 1846. N o t g e d r u n g e n e r B e r i c h t a u s s e i n e m L e b e n I. II. 1847. D a s v e r j ü n g t e , o d e r v i e l m e h r d a s zu v e r j ü n g e n d e D e u t s c h l a n d . 1848. P o l e n l ä r m u n d P o l e n b e g e i s t e r u n g . 1848. B i l d e r k r i e g e r i s c h e r S p i e l e u n d V o r ü b u n g e n . 1848. R e d e n u n d G l o s s e n . 1848. B l ä t t e r d e r E r i n n e r u n g , m e i s t e n s u m u n d a u s der P a u l s k i r c h e in F r a n k f u r t . 1849. Pro populo g e r m a n i c o . 1854. B l ü t e n l e s e a u s A l t e m u n d N e u e m (Übersetzungen). 1857. Meine W a n d e r u n g e n u n d W a n d e l u n g e n m i t d e m R e i c h s f r e i h e r r n H. K . Fr. v, S t e i n . 1858.
ALPHABETISCHES VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN FÜR DIE MEHRFACH ZITIERTEN SCHRIFTEN ARNDTS.
Autonomen Bau pol Beherz Berg
Taschenbuch
Blick Br a Fr BrH Br K
Ansichten und Aussichten der Teutschen Geschichte I. 1814. Die Rheinischen ritterbürtigen Autonomen. 1844. Der Bauernstand, politisch betrachtet. Ww Steffens X. Beherzigungen vor dem Wiener Kongreß v. X . Y . Z. 1814. Bergisches Taschenbuch, hrsg. v . W . Aschenberg. 1798. Die folgenden Jahrgänge mit etwas geändertem Titel v o m gleichen Herausgeber: 1800, 1801, 1802, 1804. Blick aus der Zeit auf die Zeit. 1814. Briefe an Freunde I. u. II. 1810. Heimatbriefe E . M. Arndts, hrsg. v. E. Gülzow. 1919. Pomm. Jb. Erg.-Bd. 3. [An Charl. Pistorius.] Briefe an eine Freundin [Charlotte v. Kathen], hrsg. v. E. Langenberg. 1878. Die Ausgabe hat viele Irrtümer, es ist für jeden Brief zu vergleichen die Aufstellung der Berichtigungen in Br H. Die neue Ausgabe v. E . Gülzow 1928 bringt leider nur eine Auswahl.
Br L
Ernst Moritz Arndt. E i n Lebensbild in Briefen, hrsg. v. H . Meisner u. R. Geerds. 1898.
Br M
Briefe an Johanna Motherby v. W . v. Humboldt u. E. M. Arndt, hrsg. v. Meisner. 1893.
Br Pick
Aus der Zeit der Not 1806—15 . . . aus dem Gneisenauschen Archiv . . ., hrsg. v. A. Pick. 1900. [Briefe an Gneisenau]. E. M. Arndts Briefe aus Schweden an einen Stralsunder Freund, hrsg. v. E. Gülzow. Das Arndtmuseum II. 1926. Briefe an den General Grafen S. geschr. v. K . H. B. im Sommer 1807; Nordischer Kontrolleur II. 1808/09. Einleitung zu historischen Charakterschilderungen.
By S
Br Schwerin Ch
T.8IO.
Czvsan
Paul Czygan: Zur Geschichte der Tagesliteratur während der Freiheitskriege. Bd. I. (Einl.) Bd. Tl. r. 2, (Texte); 1911. 1909.
XXIII Dissertano
Einige
E m II' Engld
D i s s e r t a t i o historico-philosophica sistens m o m e n t a quaedam, quibus status civilis contra Russovii et a l i o r u m c o m m e n t a d e f e n d i posse v i d e t u r . 19. 4. 1800. Anmerkungen E i n i g e A n m e r k u n g e n zur L ä n d e r k u n d e des P r o t e s t a n t i s m u s u n d z u F r i e d r i c h v o n Schlegels G e s c h i c h t e der a l t e n u n d n e u e n L i t e r a t u r . Sehr III. E i n menschliches W o r t ü b e r die F r e i h e i t der alten R e p u b l i k e n . 1800.
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G e r m a n i e n u n d E u r o p a . 1803. Spät erblüht. Gebetbuch für zwei fromme Kinder, hrsg. v . A . v . F r e y d o r f . 1889. Ü b e r d e n G e b r a u c h einer f r e m d e n S p r a c h e . Sehr I. G e d i c h t e 1803, 1 8 1 1 , 1818 I. II., 1840, 1843, 1860. G e s c h i c h t e der V e r ä n d e r u n g e n der b ä u e r l i c h e n u n d h e r r s c h a f t l i c h e n V e r h ä l t n i s s e in d e m vormaligen Schwedischen Pommern und Rügen v o m Jahre 1806—1816. 1817. D i e G l o c k e der S t u n d e . 1812. B r i e f ü b e r G r i p s h o l m . Sehr I. G r u n d l i n i e n einer t e u t s c h e n K r i e g s o r d n u n g . 1813. G e i s t d e r Z e i t I. 1806; I I , 1 — 4 . 1809. 2. A . 1 8 1 3 ; I I I . 1813. I V . 1 8 1 8 ; Ww Steffens VI—IX. Historisches T a s c h e n b u c h f ü r das J a h r 1813. H o f f n u n g s r e d e v o m J a h r e 1810. Sehr IV.
Ideen K
F a n t a s i e n f ü r ein k ü n f t i g e s T e u t s c h l a n d v. E . v. S . 1 8 1 5 . F a n t a s i e n zur B e r i c h t i g u n g der U r t e i l e ü b e r k ü n f t i g e d e u t s c h e V e r f a s s u n g e n . Sehr II. E i n W o r t ü b e r die P f l e g u n g u n d E r h a l t u n g der F o r s t e n u n d der B a u e r n . . . 1820. F r a g m e n t e ü b e r M e n s c h e n b i l d u n g I. I I . 1805. F r a g m e n t e ü b e r L e b e n u n d K u n s t , hrsg. v. Meisner. D e u t s c h e R e v u e X X I I I . 4. 1898.
Fr
Hist Ho
Ü b e r das V e r h ä l t n i s E n g l a n d s und F r a n k r e i c h s zu E u r o p a . Sehr I. E n t w u r f einer t e u t s c h e n G e s e l l s c h a f t . 1814. E r i n n e r u n g e n aus d e m ä u ß e r e n L e b e n . Ww Steffens II. E r i n n e r u n g e n , Gesichte, G e s c h i c h t e n . Sehr III. E n t w u r f der E r z i e h u n g u n d U n t e r w e i s u n g eineg Fürsten. 1813.
Verj
Kurze /:>:•
I d e e n ü b e r die h ö c h s t e historische A n s i c h t der S p r a c h e . 1805. K u r z e r K a t e c h i s m u s für t e u t s c h e S o l d a t e n . IT'?!1 Steffens X. Ü b e r k ü n f t i g e s t ä n d i s c h e V e r f a s s u n g e n in D e u t s c h land. Ww Steffens XI. K u r z e und w a h r h a f t i g e E r z ä h l u n g von N a p o l e o n Bonnpartens verderblichen Anschlügen. 1813.
XXIV K W Leben für mich Leib Meine Mode Nachlaß
Wandg
Katechismus für den teutschen Kriegs- und Wehrmann. Ww Steffens X. Leben für mich, Notgedr. Bericht I, p. 426—429. 1847. Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen. 1803. Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn H. K . Fr. vom Stein. Ww Steffens V. Über die Mode. Zweites Toilettengeschenk. 1806. Handschriftlicher Nachlaß E. M. Arndts, im Besitz der Deutschen Literaturarchiv-Gesellschaft, Berlin, Akademie der Wissenschaften. 1 )
1 ) Dieser Nachlaß war mir durch die Güte des Herrn Prof. F. Behrend zugänglich. Er besteht in der Mehrzahl aus Handschriften, die der Spätzeit angehören. Aus der Frühzeit stammen drei Kolleghefte aus Jena: „Der Kirchengeschichte dritter Teil" v. Griesbach, Som. 1793; ,,Das Evang. Joh. und die Apostelgeschichte" v. Griesbach, Som. 1793; „Ästhetik" v. Weinhold, Som. 1793. Wichtig sind drei Studienhefte, deren Inhalt teilweise den Jahren von 1800 bis 1815 angehört. Arndts Handschrift hat sich so geändert, insbesondere in der Zeit der Demagogenverfolgung, daß alles Frühere mit Leichtigkeit erkennbar ist. Die Datierung ist ferner durch Datumeintragungen an Ort und Stelle gesichert. Arndt hatte, wie es scheint, die Gewohnheit, an verschiedenen Stellen seiner Studienbücher mit der Niederschrift zu beginnen, um eine sachliche Differenzierung zu gewinnen. Die freigebliebenen Seiten sind dann später ausgefüllt worden, ohne die sachliche Ordnung zu berücksichtigen. 1. Ein Pappband, Fol., bezeichnet v. fr. H. „23", auf dem Innendeckel von Arndts Hand „Martin Allmann, Sala den 5. Juni 1804". [Laut R S war Arndt vom 6. bis 10. 6. 1804 in Sala.] Darin Exzerpte aus Luther, Aristoteles' Politik, Xenophon, Euripides, griech. u. lat. Lektüre, Dante, Shakespeare, Ariost, Junius' letters, Bibel u. a., besonders Reisebeschreibungen und Ethnographisches. In den Lutherexzerpten das Datum: „ D e n 15. März 1810"; am Schluß der Aristotelesexzerpte: „ K a r l Moritz Rubacnore Arndt. Löbnitz, d. 3. Mai 1805." [ = sein kleiner Sohn, dem er vielleicht die Hand geführt hat; vgl. Br L p. 79 an d. Schwester, 11. 7. 12]. 2. Ein Pappband, kl. Fol., bezeichnet von fr. H.: „ 1 4 " . Auf der ersten Seite: „Varia". Übersetzungen aus Jacobi, Griech. Anthologie. Darin das Datum: „Geschrieben und übersetzt im Spätjahr 1806. Erinnerungen der merkwürdigen Tage vom 24. bis 29. Sept. 1806." „ K u m l a Dez. 1806." Ein Gedicht (ungedruckt) „Auf W. F. S." 14. 1. 1802 (geändert in 1807). Exzerpte aus Joh. Müller. Bücherlisten, zum Teil mit kritischen Bemerkungen. 3. Ein Pappband, gr. Fol., bezeichnet von fr. Hand: „24". Auf der Jnnenseite des Deckels „Col. Agripp. Dec. 1815 m. d. Adler (?)". Wie das wechselnde Format der Lagen zeigt, wurden diese Exzerpte nachträglich gebunden, worauf die Datierung sich wohl bezieht. Darin Exzerpte aus Bodin, Vitae Caesarum v. Froben und Chroniken des Mittelalters, ferner aus der Spätzeit u, a. Notizen aus Ritters Erdkunde,
XXV Z u m neuen Jahr. 1816. (Sonderdruck.) Nordischer Kontrolleur I. u. I I . 1808/09. R e z . der Geschichte der G e s a n d t s c h a f t in dem Großherzogtum W a r s c h a u i m Jahr 1812 v o n D e Pradt. Sehr II.
N Jahr N K JPradt
P r o populo germánico. 1854. D a s preußische V o l k und Heer i m Jahr 1813. Ww Steffens XI. Briefe an Psychidion = F r a g m e n t e über Menschenbildung I I I . 1819.
Pro pop Pr V Ps Reisen
Reisen durch einen Teil Teutschlands, Ungarns, I t a liens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 179g. I — I I I . 1801. I V — V . 1802. V I . 1803. [2 A u f l . I — I V . 1804.] Reise durch Schweden im Jahr 1804; I — I V . 1806. Ein kurzes W o r t über R u ß l a n d und sein Verhältnis und Verhalten gegen das übrige E u r o p a v o r und seit Peter d. Großen. N K I. II. 1808. E . M. A r n d t s Schriften für und an seine lieben Deutschen. I — I I I . 1845; I V . 1855.
R S Rußland
Sehr Schw Gesch Scipio Sitte Stand d Prot Storch Stud Teutsche
Legion
1Tb d Bau Üb Preuß
Schwedische Geschichten unter G u s t a v III., vorzüglich aber unter G u s t a v I V . Adolf. 1839. Scipio della Torre. Ein Trauerspiel. Erinnerungen aus Schweden. 1818. Über Sitte, Mode und Kleidertracht. Sehr II. Über den gegenwärtigen S t a n d des Protestantismus. Sehr III Der Storch und seine Familie. Eine Tragödie . . . nebst einer Zugabe. (Gedichte). 1804. Über den deutschen Studentenstaat. Sehr II. Z w e i W o r t e über die E n t s t e h u n g und B e s t i m m u n g der teutschen Legion. 1813. Über den Bauernstand und über seine Stellvertretung i m Staate. 1815. Über Preußens Rheinische Mark und über festungen.
Ww Steffens
Über Volkshaß.
Bundes-
XI.
Sehr I.
D a s W o r t v o n 1814 und das W o r t von 1815 über Volkshaß die Franzosen. 1815. Wird der Herrscher der Insel E l b a E u r o p a noch einWort iS 14, Wort 1815 mal beherrschen ? Sehr II. E . M. Arndts sämtliche Werke. Bearbeitet v. H. MeisWird der Herrscher ner. Leipzig b. Pfau. 1894. B d . III, I V , V. Arndts Werke. Auswahl, hrsg. v. A. Leffson u. \V. Ww Meisner Steffens. Bong. Bd. I X I I . Ww Steffens
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Forschungen zur brandenburgischpreußischen Geschichte. H. Z. = Historische Zeitschrift. X. Jb. = Neue Jahrbücher. Pr. Jb. = Preußische Jahrbücher. Sehr. = Schriften. S. W. = Sämtliche Werke. Ww. = Werke.
ERSTER TEIL: ANFÄNGE UND GRUNDLAGEN KAP. I. ARNDTS ENTWICKLUNG IN DER FRÜHEEIT BIS 1801 IM VERHÄLTNIS ZU DEN GEISTIGEN BEWE« GUNGEN DES 18. JAHRHUNDERTS. Jede Jugend steht im Zeichen des Lernens. Auch wo große schöpferische Kräfte zur Entfaltung drängen, sind die Formen, Begriffe und Anschauungen, in denen das geschieht, zunächst bestimmt durch das geistige Leben der Zeit, und wenn auch oft überraschend früh ein Vorgefühl späterer Größe und eigenen Berufs in Ahnungen und Blitzen hervorbricht, so läßt sich doch immer eine Frühzeit abgrenzen, wo die Elemente der Bildung überwiegen. Bei Arndt liegt diese Grenze jenseits des 30. Lebensjahres. Die beiden Werke von 1802: „Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen" und „Germanien und Europa" sind die ersten Schritte auf eigenen Wegen. Dies späte Erwachen, das erst mit der Liebe zu Charlotte Quistorp und der großen Reise 1798/99 begann, und die neunjährige traumbefangene Sonderlingszeit vorher, wo es „wie ein schwarzer Schatten" auf seinem Leben lag, hat er später als ein heiliges und notwendiges Rätsel geehrt 1 ). Dadurch unterschied sich seine Entwicklung von der der Romantiker, die mit ihm der gleichen Generation angehörten. Sie alle hatten bereits zwischen 20 und 30 Jahren mit einer gewissen Frühreife den Höhepunkt des Lebens durch den Einsatz aller Jugendkräfte vorweggenommen und Namen und Berühmtheit erbeutet. Sie wurden abgelöst durch ein jüngeres Geschlecht ähnlich veranlagter Geister, denen sie den Vorrang in der Auseinandersetzung mit den erwachenden Kräften des neuen Jahrhunderts überlassen mußten. Aber die eigentliche Führung auf den Kampfplätzen des wissenschaftlichen und politischen Lebens lag nicht bei diesen, sondern bei den großen im Grunde unromantischen Naturen der älteren Reihe: Fichte, Hegel und Schleiermacher, Humboldt und Gentz, Stein und Gneisenau. In diese Reihe gehört in seiner Art auch Arndt. Er nahm wie diese alle ein Stück 18. Jahrhundert als dauerndes *) N a c h neuereu Forschungen lernte er Charlotte Quistorp erst 1794 in B a r t h kennen. Vgl. E. G ü l z o w : „Charlotte Quistorp", Unser Pommerland 1917 p. 26. — Neunjährige Sonderlingszeit: „ L u g ins Leben", Ww Meisner IV 54; BraFrll 173 ff. B e i h e f t d. H . Z. TS.
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Gepräge mit in die neue Zeit: den sachlichen Ernst und den strengen Sinn für Recht und Unrecht, der bei den Romantikern hinter einem stärkeren Individualismus und größerer geistiger Vielseitigkeit oft zurücktrat. Die enge Verbindung zwischen der soliden bürgerlichen Denkungsart der deutschen Aufklärung und den sittlichen Energien der Befreiungskriege ist bei ihm deutlich erkennbar2). Zunächst allerdings vollzog sich in der ganzen Generation, die Ende der achtziger Jahre in die Jünglingszeit eintrat, der Durchbruch des eigenen geistigen Lebens im Zeichen leidenschaftlicher Abwendung von der Aufklärung, die Elternhaus und Kindheit beherrscht hatte. Arndt gibt für sich das Jahr 1787 als den Zeitpunkt dieser Abwendung an. Das bedeutete fürs erste jedoch nur, daß das junge Selbstbewußtsein sich in Opposition zu der überkommenen Tradition befand und neuen geistigen Impulsen mit einer gewissen voreingenommenen Bereitschaft entgegenkam. An solchen Impulsen fehlte es nicht; denn Rousseau und die deutschen Vorkämpfer des Sturm und Drang waren bereits den gleichen Weg gegangen, und ihre Schriften fanden begeisterten Widerhall in den Herzen der Jugend. Die Wandlung beschränkte sich bei Arndt lange Zeit auf die das innere Leben beherrschenden Motive des persönlichen Werdens und die ihm unmittelbar dienenden ethischen und ästhetischen Bildungsfaktoren. Sie fand ihren Ausdruck in den Gedichten der Frühzeit mit ihren vielfachen Anklängen an die Dichtung des Sturm und Drang und der Klassik, während die wissenschaftlichen und geschichtlichen Anschauungen davon fast unberührt blieben und in den beiden ersten Versuchen dieser Art, der „Dissertatio" und dem „Menschlichen Wort über die Freiheit der alten Republiken", in fast rein rationalistischer Form hervortraten. Diese auf den verschiedenen Gebieten zu verschiedenen Zeiten stufenweise erfolgende Abwendung Arndts von der Aufklärung ist für das Verständnis dieser Beziehung wichtig. Es ist ein jahrzehntelang dauernder Vorgang, der über die hier gezogene Grenze der Frühzeit hinausreicht, so daß in mancher Hinsicht die Romantik und die Naturphilosophie unmittelbar den Rationalismus ablösten. Uberhaupt waren ja für die abgelegenen Teile des deutschen Ostens und Nordens die Grenzen zwischen Aufklärung, Sturm und Drang, Klassik und Romantik noch viel verfließender als in den Zentren, und es bestand hier ein vielfaches 2 ) Die Verschiedenheit der älteren und jüngeren romantischen Generation betont mit Bestätigung der Auffassung Hayms neuerdings J . Petersen: ..Die Wesensbestimmung der deutschen Romantik" 1926 p. 134 ff.
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Ineinandergreifen, das nur von den Trägern der Bewegungen in leidenschaftlicher Übertreibung der Gegensätze meist verkannt wurde. Dazu kamen die Verschiedenheiten in der Aufklärung selbst. Auch sie war ja keineswegs eine einheitliche Erscheinung, sondern herrschte in zwei Richtungen, einer rationalistisch-französischen und einer sensualistisch-englischen, ein Gegensatz, der nach dem Aufkommen der idealistischen Philosophie auch in Deutschland in verschärfter Form sich wiederholte in der wachsenden Entfremdung der Schulen Kants und Fichtes und der auf Hamann und die Engländer gegründeten Humanitäts- und Geschichtsphilosophie Herders. Daneben bestand in allen protestantischen Ländern schon während der stärksten Herrschaft der Aufklärung ein gewisses Gegengewicht in den pietistisch und mystisch gerichteten Formen des Christentums, die, in viele Sekten geteilt, eine besonders in den unteren und mittleren Bevölkerungsschichten bedeutende Unterströmung darstellten3). Diese vielfachen Triebkräfte des geistigen Lebens jener Zeit, ihre Berührungspunkte und ihre Gegensätze, die den einzelnen doch in manchem zu einer Entscheidung zwangen, wenn auch vieles davon in den bildungsfreudigen und ungeklärten Köpfen der Jugend sich recht gut vertrug — das alles muß man sich vergegenwärtigen, um die Reflexe zu verstehen, die die Entwicklung des jungen Arndt erkennen läßt. Man kann infolgedessen innerhalb der Frühzeit kaum einzelne Epochen abgrenzen, die sich mit den genannten Zeitrichtungen bezeichnen lassen. Es ist zweckmäßiger, die Gebiete des geistigen Lebens jedes für sich zu betrachten, insbesondere die Darstellung des wissenschaftlichen Denkens zu trennen von der der leichter sich verwandelnden Äußerungen des Gefühlslebens. Dies wurde beherrscht durch drei große Erlebnissphären: die Anfänge des deutschen Nationalgefühls, 8)
Abwendung von der Aufklärung: G E 126: ,,. . . 15 Jahre des Kampfes." Laags Folgerung daraus auf 1787 als Jahr der Hinwendung zur Aufklärung muß auf einem Versehen beruhen. H. Laag: ,.Die religiöse Entwicklung E. M. Arndts." 1926 p. 122. — Für die Gedichte dieser Zeit sind außer den Sammlungen heranzuziehen die Beiträge. Arndts im Bergischen Taschenbuch 1798, 1800, 1801, 1802, 1804 und einige Sonderdrucke, neu gedruckt bei E. Gülzow: ,,E. M. Arndt und Stralsund" 1922 p. 53ff. — E. Klätte: „Studien über die Stellung des jungen Arndt zu den Ideen der Geschichtschreibung des 18. Jahrhunderts", Diss. Bonn 1922 (Maschinenschrift) und R. Krügel a. a. O. (s. Vorwort) übersehen das positive Verhältnis Arndts zu Hume und Forster. Über die Richtungen der Aufklärung vgl. J. Petersen: a. a. O. p. 149; R. Unger: „Hamann und die Aufklärung" 1911 X p. 233 bis 242; Jos. Nadler: „Die Berliner Romantik" 1921 p. 46—49. 1*
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die Aufgaben der Lebensgestaltung und die Entwicklung des Zeitempfindens. Für die Frage des Nationalgefühls der Frühzeit ist bis jetzt die Auffassung Müsebecks maßgebend, daß Arndt bis zur Reise 1798/99 einen volkstümlichen, auf Schweden gerichteten Monarchismus vertrat, der, am Rhein 1799 durch ein erstes eigenes Erleben des deutschen Nationalgeistes unterbrochen, weiter bestehen blieb bis zum zweiten Aufenthalt in Schweden 1807—1809, wo aus dem schwedisch fühlenden pommerschen Partikularisten und Kosmopoliten ein Deutscher wurde. Die genannte Darstellung stützt sich auf die „Erinnerungen aus dem äußeren Leben", wo in der Tat die Schwedenliebe und Schwedenverehrung unter dem Einfluß des Oheims Hinrich in Posewald (auf Rügen) erwähnt wird und auch das Wort „schwedischer Partikularismus" erscheint. Es muß demgegenüber jedoch darauf hingewiesen werden, daß sich diese Anschauung auf keinen einzigen Hinweis in den gleichzeitigen Quellen und den früheren Schilderungen der Jugendzeit stützen kann, daß sie sich vielmehr in Widerspruch setzt mit einer ganzen Reihe von Zeugnissen, die bei der Untersuchung dieser Frage nicht übergangen werden dürfen. Arndt spricht außer in den „Erinnerungen" an verschiedenen Stellen seiner früheren Schriften über seine Jugendentwicklung und betont dabei, daß schon der Knabe, von den ersten Regungen des deutschen Nationalgefühls zur Zeit der Bardenbegeisterung leidenschaftlich ergriffen, von einem herrlichen Volk von Männern und Bürgern träumte und den Vorsatz faßte, einmal auf sein Volk und seine Wirksamkeit stolz sein zu wollen; daß er schon damals Einem den ganzen Sieg über das vielgeteilte Deutschland gewünscht habe. Damit steht im Einklang, was die Reiseschilderungen — das erste größere Zeugnis des geistigen Werdens — für die Jahre 1798/99 erkennen lassen. Der Schmerz über die Zerrissenheit des deutschen Vaterlandes packte ihn schon angesichts der unglücklichen Verhältnisse in Italien, und in Frankreich finden wir dann immer wieder den Deutschen, der aus nationalem Schamgefühl unter der „Schwedenmaske" auftritt, weil die Franzosen den deutschen Namen nicht achten, der sich aber seines Deutschtums wohl bewußt ist und bei deutschen Lauten aus dem Munde eines deutschen Bettlers in Paris in die Klage ausbricht: „ 0 Gefühl des Vaterlandes! Wann wird der Teutsche eines haben?" So sind die begeisterten Empfindungen am Rhein keine vereinzelte Erscheinung, sondern nur ein neues Glied in einer lange zurückreichenden Kette. Der Anblick des frechen Siegervolkes und alle Zauber, die der „heilige Rhein" von jeher für deutsche Herzen
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barg, ließen ihn den Schmerz über die Schmach in neuen Tiefen erfahren, und wenn auch die weltbürgerliche Bildungsoberschicht, die hier zum erstenmal bei ihm deutlich in Erscheinung tritt, sich mit dem Gedanken der Menschheit darüber hinwegzutrösten suchte, so bedeutete das doch nur ein Vergessen für Augenblicke. Der tiefere Gram brach sich bald wieder Bahn und richtete sich gegen die französischen Gelüste auf zu einem trotzigen „Nein!", in das ein Vorgefühl künftiger Wirksamkeit an diesen Ufern wunderbar mit hineinklang. Dazu kommt das Zeugnis der Gedichte, von denen in diesem Zusammenhang doch auch das sehr frühe und noch sehr schülerhafte „Hermanns Siegeslied" von 1787 Interesse gewinnt. Bei der starken Abhängigkeit von fremden Formen und Motiven in den Gedichten der Frühzeit kann es nicht verwundern, daß diese Töne mit dem allgemeinen Zurücktreten des nationalen Gedankens seit der Klassik verstummten. Um so deutlicher zeigte sich das Eigene dann wieder 1801 mit den ersten freieren Regungen der poetischen Kraft in zwei Gedichten: „Lied der Freien" und „Klage um Liebe und Freiheit", die wohl der leidenschaftlich gehaßte Friede von Lunöville auslöste: „Dein Elend nur, mein Volk der Alemannen, Das soll ich fühlen ? das, und meine Scham ? Du Land der Eichen, wo das Ja ertönet, Germania, mein herrlich Vaterland, Du Rächerin, wie liegest du verhöhnet! Du Kriegerin, wie blickst du abgewandt! Doch wird der Rache Tag sich düster bläuen, Geladen mit des Zorns Gewitterglut, Wie Spreu im Winde wirst du dann zerstreuen Die eitlen Wälschen, heil'ge deutsche Wut; So will ich dich als festes Anker halten, O Hoffnung! fahre hin, du glattes Glück! Zum süßen Irrtum will ich nicht zurück: Dir will ich, Vaterland, dein Opfer weihen Und sterben oder siegen mit den Freien 4 )." 4)
Nationalgefühl der Frühzeit verkannt bei E . Müsebeck: ,,E. M. Arndt. Ein L e b e n s b i l d " 1914 p. 65, 198, 254, 562; ders.: ,,E. M. A r n d t und das kirchlich-religiöse L e b e n seiner Z e i t " 1905 p. 17, 35; ders.: „ E i n e neu aufgefundene Schrift E. M. Arndts aus dem Jahre 1810", Pr. Jb. 141, 1910 p. 96;
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Es kann nach alledem kein Zweifel sein, daß Arndts deutsches Nationalgefühl schon durch den Patriotismus der Bardenzeit geweckt und genährt wurde, so daß es bis zum Jahre 1801 einen grundlegenden Zug seines Wesens darstellt, dem bis zu diesem Zeitpunkt die kosmopolitischen Bildungselemente keinen wesentlichen Abbruch tun konnten. Es erhebt sich daher die Frage, wie sich dies Ergebnis zu der späteren Darstellung der „Erinnerungen" verhält. Der Widerspruch ist in Wirklichkeit nicht so scharf, als es nach den Formulierungen Müsebecks den Anschein haben könnte. Denn auch die „Erinnerungen" weisen dem deutschen Heldentum Friedrichs II. seinen Platz in der kindlichen Anschauungswelt an, und wenn dort eine gewisse Grenze gegenüber Klopstocks. schwärmerischer Vaterlandsbegeisterung gezogen wird, so besteht diese in der Tat. Denn Arndt empfand die Wirklichkeit ernster und schmerzlicher, aber das machte sein Nationalgefühl nicht geringer, sondern tiefer, und stellte ihm als gewaltige, opferheischende Aufgabe dar, was die andern zu besitzen glaubten5). Weil die deutsche Herrlichkeit in seinen Augen nur Traum und Ziel in weiter Ferne war und nirgends lebendige Wirklichkeit, deshalb konnte sein verehrungsfreudiges Herz die Bilder von dem kräftigeren nationalen Leben des nordischen Volkes mit Neid und bewundernder Liebe in sich aufnehmen. So zeigte sich schon hier der Zwiespalt der beiden Seelen in ihm, der für sein Leben und Denken und die Entwicklung seines nationalen Empfindens insbesondere von entscheidender Bedeutung geworden ist: der einen, die ausruhen möchte in einem schönen Dasein, und der andern, die sich stolz und entsagend den Stürmen des Zeitgeschehens preisgab, um zu kämpfen für das heilige Urbild des inneren GeM. Friedmann: „E. M. Arndts Patriotismus in seiner humanistischen Epoche", Diss. Erlangen 1925 (Maschinenschrift) p. 48; Krügel a. a. O. p. 126 f. und Fr. Thimme: Rez. v. Meinholds „Arndt" H. Z. 109, 1912, p. 374. — „Schwedischer Partikularismus": Erg 71—74. - Über seine Jugendentwicklung: G Z I 24; Br a Fr I 7, 38 \ G Z II 4 154 f.; Br Schwerin 568 ff. — Schwedenmaske: Reisen II 145, III 340, IV4, 123, V 1 3 1 , VI 192 (Arndt konnte damals noch kein Schwedisch: ib. VI 260). — „O Gefühl des Vaterlands . . .": ib. 210. — Rhein: ib. 344 ff.; 347; 3 7 1 ; 377 f. — „Lied der Freien," Ged 1803, 242. „Klage u m Liebe und Freiheit" (1801), erster Druck Ged 1818 I, 111. Daraus die zitierten Verse. Zeile 3 ist eine Parallele zu Dantes: „Del bei paese lä, dove il Si suona", Inf. X X X I I I , 80. — Friede zu Luneville: Erg 74. 5 ) Die enge Verknüpfung mit Klopstock und den sog. Barden zeigen die Darstellungen G Z I 24, Br a Fr I 7, wo des gemeinsamen Lobes der Barden und der Begeisterung für Vaterland, Freiheit, deutsche Nation in Jena 1 799 gedacht wird, u. G Z II 4 154. Abgrenzung von Klopstock: Erg 71 ff.
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sichts. Nach Schweden wies schon jetzt die erste, nach Deutschland rief mächtiger und wie mit einem Vorgefühl des eigenen Wirkens die andere: so hat er später, als er Klarheit über Leben und Beruf gewonnen hatte, die Träume und Hoffnungen des Knaben gedeutet. Und das sind sie wohl in der Tat: ein Vorklang der Zukunft und die Ankündigung schicksalhafter Verbundenheit mit dem deutschen Lande. Das Problem der Wahl zwischen stillem Glück im engen Kreise und dem lockenden und gefährlichen Heldenspiel des Ruhms und der Fortuna, das an allen großen Wendepunkten seines Lebens immer wiederkehrt, begegnet schon 1799, und schon 1800 klingt das Motiv der späteren Entscheidungen hell und sieghaft an: „Wolle Großes! wolle Leid! Verdamme Trauer um Glückseligkeit!" Die Verse des Jahres 1801 bedeuten ein Überwiegen des deutschen Empfindens, des „Reichsgefühls", wie Ricarda Huch es genannt hat, aber keine letzte Entscheidung. Dazu war die Substanz dieser Jahre zu gering; die Persönlichkeit mußte sich erst in ihren großen eigenen Linien aufbauen, vertiefen und läutern, ehe eine solche Entscheidung fallen konnte, die alle Höhen und Tiefen des eigenen Wesens umfaßte. Im Vergleich mit dieser mußten freilich die Aufwallungen der Frühzeit in der Erinnerung des Greises verblassen, und mit dem leisen Lächeln, das sich über alle Kämpfe und Leiden der Jugend breitete und das vieles verschwieg, mochte er das alles in allem schwedischen Partikularismus nennen6). Gefühlsmäßig und nicht unbeeinflußt durch das Nationalgefühl war auch die jugendliche Stellungnahme zur französischen Revolution. Die Erzählung in den „Briefen an General Schwerin" von der kalten und bedächtigen Aufnahme befremdet zunächst, wenn man an die Begeisterung denkt, die sie allgemein in der jungen Generation Deutschlands auslöste, und an die späteren Gegensätze Arndts zu den reaktionären Kreisen in Wien und Berlin, die ihn in vielem mit den Ideen der Revolution übereinstimmen ließen. Es liegt in der Tat nahe, diese Darstellung als von späterem Franzosenhaß beeinflußt anzuzweifeln. Berücksichtigt man jedoch die enge Berührung mit den deutschen Patrioten 6)
Z w e i Seelen: G Z III
Schwerin
150I —
Deutung
als V o r k l a n g
568. — W a h l : , , A n J. J. G r ü m b k e "
(1799),
der Z u k u n f t :
nur Ged 1803
Br
137 f . :
„ W a s w ä h l s t du denn ? die Farce die zu F u ß e / A u f Socken leicht durchs L e b e n g e h t ? / W i e ? oder das m i t stolzem G r u ß e / F o r t u n a grüßt, Sturm
des
schreitet?"
Ruhms (s. u.
umweht,
S. 36
/
Das
Heldenspiel,
A n m . 5). — „ W o l l e
M e n s c h e n " (1800). Ged 1803,
das h o c h
Großes . . . " :
auf
der
Stelzen
„ L e h r e an den
178. — Ric. H u c h : Einl. zu A r n d t s „ M e i n e W a n -
derungen und W a n d e l u n g e n u s w . " 1 9 2 5 p. 5.
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der Sturm- und Drangzeit, insbesondere die große Verehrung für Matthias Claudius, die in einem aus ehrfürchtiger Scheu nicht ganz ausgeführten Besuch 1794 ihren Ausdruck fand, so erscheint der Bericht von 1807 doch ganz glaubhaft. Denn Claudius gehörte ja zu denen, die von Anfang an die Revolution bekämpften und ihren Einfluß auf Deutschland für ein Unglück hielten. Auch die ausführlichen Berichte der „Reisen" sind von einem Enthusiasmus weit entfernt und wahren im ganzen die kühle Reserve des unbeteiligten Zuschauers. Immerhin zeigen sie, daß sich inzwischen die Überzeugung von der politischen Notwendigkeit der Revolution bei Arndt durchgesetzt hatte und daß er die gerechte Sache über den unerfreulichen Auswirkungen nicht verkennen wollte. Seiner individualistischen Lebensauffassung war jedoch das demokratische Gleichheitswesen unsympathisch, so sehr anderseits der Freiheitsruf in seinem von Grund auf freiheitlichen Geist Widerhall finden mußte. Doch auch hier war der Unterschied zwischen dem ethischen Freiheitsbegriff der deutschen Klassik und dem naturrechtlichen der Revolution einer vollen Zustimmung im Wege 7 ). Den stärksten Eindruck empfing er nicht von dieser Seite der Revolution, sondern von ihrer nationalen Wendung, deren erste große Auswirkungen er während seines Aufenthaltes in Frankreich erlebte. Auch das ist für das Verhältnis von weltbürgerlichen und nationalen Motiven in der Frühzeit Arndts sehr bezeichnend, und es unterscheidet ihn von den rein kosmopolitisch eingestellten jungen Deutschen, z. B. von Görres, der das weltbürgerliche Interesse an der französischen Revolution mit dem Beginn ihrer nationalen Wendung verleugnete. Arndt sah, daß an der politischen Expansionskraft der jungen Republik vor allem der starke „National- oder Volksgeist" der Franzosen seinen Anteil habe, und er erkannte so mit einem durch sein deutsches Sehnen geschärften Blick früh eine der mächtigsten Triebkräfte des staatlichen Lebens der kommenden Zeit. Denn dieser „Natio') Eindruck der französischen Revolution: Br Schwerin 570; Müsebeck: ,,E. M. Arndts Stellung zum frider. Preußen und zur franz. Revolution," Pr. Jb. 117, 1904 p. 272 bezweifelt diese Darstellung. — Verehrung für Claudius: Erg 65; Claudius' Stellungnahme: Matth. Claudius: „Gespräche die Freiheit betreffend," Ww. hrsg. v. Behrmann p. 362 ff.; „Über die neue Politik" ebendort p. 400 ff. ; vgl. W. Herbst: „M.Claudius, der Wandsbecker Bote" 1878 p. 411; W. Stammler: „Claudius" 1915 p. i6of. — Revolution notwendig: Reisen III 306; V 15, 23. — Kritik des Gleichheitsbegriffs: Reisen V 378 f.; III 230: „Auch ohne pöbelhafte Eitelkeit auf Stand und Reichtum werden die Augen und Nasen ewig ihr Ungleichheitsrecht trotz allem Geschrei von Freiheit und Gleichheit behalten." Vgl. ib. III 356.
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nal- oder Volksgeist" war ein politischer Begriff und synonym mit: Gemeinsinn, öffentliche Meinung, Nationalgefühl. Das weist zurück auf die Schriften des jungen Georg Forster, die Arndt damals und später sehr schätzte, wo ähnliche Gedanken im Vordergrund stehen und das Wort „Gemeinsinn" mit zuerst als Übertragung des englischen „public spirit" gebildet wurde. Auch Forster sah in der Ausbildung und Herrschaft einer öffentlichen Volksmeinung die entscheidende Errungenschaft der französischen Revolution, die selbst den Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten ihr Empörendes nähme. Diese Art der Beurteilung barg in eigentümlicher Weise Bejahung und Verneinung zugleich in sich, die beide schon hier in der Frühzeit Arndts anklangen und dann auch in der Zukunft immer wieder erkennbar sind: Sie wurde bejaht als verheißungsvolles Beispiel für ein erwachendes nationales und soziales Staatsleben, aber sie wurde leidenschaftlich verneint, wo sie, die Grenzen des eigenen Landes überschreitend, fremdes Volkstum vergewaltigte, und vor allem, wo ihr nationaler Expansionsdrang zu einer deutschen Gefahr wurde8). Auch bei diesen Träumen und Schmerzen des Nationalgefühls stand deutlich erkennbar im Hintergrund die große Frage der Lebensgestaltung; denn die Sehnsucht nach einem starken und einigen deutschen Vaterland war getragen von dem lebhaft empfundenen persönlichen Bedürfnis nach einem kräftigen und lebendigen Staats- und Bürgerleben, wie es der Knabe an den Patriarchengestalten der Bibel und der Jüngling an Homer und Thukydides entzündet und genährt hatte, und wie es als Hoffnung und verpflichtender Glaube mit ihm ging durch sein ganzes Leben — ein Glaube, der keine Erfüllung fand und finden konnte, auf den aber für immer ein Glanz des Ewigen fiel durch die Tage von 1813. — Zunächst jedoch trat das zurück vor den Problemen, die s)
Görres
und
die
Görres: ,,Resultate
nationale
Wendung
der
p. 88 f. — N a t i o n a l - oder V o l k s g e i s t : Reisen tungen
des
Begriffs
Nationalstaat", dies
Thema
Revolution:
„Volksgeist"
292—96.
und über
ist.
Forster
nicht.
gebraucht
„Gemeingeist"
1843 B d . I I I p. 447; B d . V p. 249. von „ p u b l i c spirit".
Meinecke:
das
Wort
u. ä.:
„Volksgeist"
G. Forster:
D o r t die A b l e i t u n g v o n
Sehr.
„Gemeingeist"
G r i m m s W ö r t e r b u c h weist das W o r t in diesem Sinne
nach bei C a m p e und A d e l u n g (1796). — A r n d t über Forster: Reisen „ G e m e i n g e i s t " , „ ö f f e n t l . G e i s t " bei A r n d t : Reisen IV A r n d t s Urteile:
Reisen
VI
341, 3 4 4 :
V
146.
VI 3 8 1 ;
135 t . — Forster über
die B i l d u n g einer öffentlichen Meinung in Frankreich: p. 3 1 1 .
Bd. I
Ü b e r die B e d e u -
„Weltbürgertum
allerdings
vgl.
IV
6. A u f l . 1922, p. 221 f. A n m . , w o auf die L i t e r a t u r
hingewiesen
meines Wissens
französischen
meiner S e n d u n g nach P a r i s " (1800), Sehr. 1854.
Sehr. 1843 Bd. V I
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die Frage der Lebensführung im engeren Sinne dem erwachenden Selbstbewußtsein aufgab. Es ist bekannt, wie ernst schon der Schüler unter dem Eindruck der Schriften Rousseaus und Salzmanns es mit Menschentum und Mannestugend nahm. Das Ideal, das ihm hier aufging und dem er sein ganzes Leben lang nachstrebte, wurde vielfach bereichert und erhöht unter dem Einfluß der Persönlichkeitskultur der Klassik, es nahm bis zur Grenze seiner Spannkraft die sprengenden Motive des romantischen Lebensgefühls in sich auf, mit seinen Wurzeln ruhte es dennoch ganz im Boden des 18. Jahrhunderts, sog es seine Kraft aus den kernigen und einfachen Gestalten des heimatlichen Lebenskreises und dem Erbe des Blutes. Wenn neuerdings gesagt worden ist, daß die bürgerliche Aufklärung in Deutschland einen besonderen Typus von Menschentum hervorgebracht habe, den des „redlichen Mannes", so ist Arndts auf sein ganzes Leben zurückblickendes Bekenntnis: „Ich habe nach dem Ruhm eines ehrlichen Mannes gestrebt" ein Beispiel dafür. Lange Zeit ist wohl die schlichte, kindliche Gestalt des Wandsbecker Boten auch in dieser Hinsicht richtunggebend gewesen9). Der Bann dieser etwas starren und verschlossenen Selbstzucht und einer gewissen natürlichen Schwere wurde zuerst gebrochen durch die Liebe. Bald darauf und von nun an lange bestimmend setzte der Einfluß der Klassik ein, für deren reiches und im höchsten Sinne lebensbejahendes Ethos wohl erst jetzt die inneren Voraussetzungen in der Entwicklung Arndts gegeben waren. So standen die Jahre kurz vor und während der großen Reise im Zeichen der inneren Befreiung, wachsender Selbstsicherheit und einer unbedenklicheren Hingabe an die jugendlich reiche Welt. Als eine Vorbereitung in dieser Richtung hat wohl der durch das Stralsunder Gymnasium vermittelte Neuhumanismus Heynes gewirkt, der in vielen mythologischen Anspielungen und in dem rein klassizistischen an Winckelmann orientierten Kunstideal der Reiseschilderungen erkennbar ist 10 ). Dagegen ist ein nachhaltiger Einfluß Fichtes auf die Lebensgestaltung nicht nachweisbar und ") Bedürfnis nach Staatsleben: Br Schwerin 569; Br a Fr I 39; Erg 19 f.; GZ I 24. — Redlicher Mann: J. Petersen: „Die Wesensbestimmung" usw. a. a. O. p. 130; Arndt: An Rektor und Senat der Universität Greifswald, 10. Herbstmond 1856, Br L 500; „Name eines redlichen, mutigen Mannes . . . " : An die Schwester, 25. 6. 47, Br L 390. 10 ) Befreiung durch die Liebe: „ L u g ins Leben" (1813), Ww Meisner IV p. 55; vgl. o. Anm. Wirkung der Reise: Br a Fr I 5 f.; II 180—88. — Neuhumanismus in Stralsund: vgl. Müsebeck: Lebensbild a. a. O. p. 25. — Klassizistische Urteile: Reisen I 308—34; II 294ff. und viele andere Stellen.
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nicht wahrscheinlich: zwischen dem von ihm vertretenen moralischen Rigorismus und der von der englischen Moralphilosophie einer sittlichen Ästhetik weitgehend durchdrungenen Ethik des Weimarer Kreises bestanden zu große Gegensätze. 11 ) Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung in der Richtung Goethes waren die Reiseeindrücke in Italien und Frankreich. Denn auch hier bei der frischen und freien Umschau unter fremdem Menschentum war es vor allem das Interesse an der eigenen Lebensgestaltung, das seinen Blick bestimmte, wenn auch die angeborene Lust an der bunten Mannigfaltigkeit menschlichen Lebens sich bereits zu regen begann. In dieser Hinsicht ging er auf Goethes Pfaden durch das italienische Land. Er suchte nach Klarheit und nach Befreiung von dem „Geist der Unruhe". Er empfand die in sich ruhende Fülle südlicher Menschen und südlicher Landschaft als eine „göttliche Humanität" und wurde sich der Grenzen des deutschen Wesens schmerzlich bewußt. Allerdings scheint das Erlebnis des Südens erst nach der Rückkehr in voller Tiefe in ihm wirksam geworden zu sein, während umgekehrt die Leichtigkeit französischer Geselligkeit ihm bei seinem Aufenthalt in Paris großen Eindruck machte, die er später immer skeptischer beurteilte 12 ). x l ) Die E i n w i r k u n g Fichtes auf die Frühzeit ist i m Anschluß an die kurze N o t i z Erg 64 immer wieder überschätzt worden: Müsebeck: Lebensbild a . a . O . p. 8 o f . 7 7 ; G. L a n g e : „ D e r Dichter A r n d t , " Berliner Beiträge zur german.-roman. Philologie 24. 1910 p. 8; H . B e c k : „ D i e Volksbildung bei E . M. A r n d t , " Diss. München 1924 (Maschinenschrift) p. 86; H . F r ö m b g e n : „ E . M. A r n d t und die deutsche R o m a n t i k " , Diss. Münster 1926 p. 7. Zurückgewiesen ist das z u m erstenmal bei L a a g a. a. O. p. 122. E i n Nachweis ist bisher nur v o n Müsebeck versucht worden (Lebensbild a. a. O. 76), aber nicht stichhaltig. Die „ E p i s t e l an K . H . B e c k " v o n 1799 (Ged 1803 99 f f . ; bei Ww Meisner III p. 50 nur ein Teildruck), die nach Müsebeck die Bedeut u n g Fichtes für A r n d t verrät, spricht nur v o n heimatlichen nächtlichen Diskussionen über Monaden und Ideen und über das D i n g und das Nichtding mit deutlicher und namentlicher Anspielung auf Leibniz, N e w t o n und K a n t und weist zudem durch die Bemerkung, daß seitdem 10 Jahre verflossen sind, in das Jahr 1789 zurück, als es noch keine Fichtesche Philosophie gab. Ironisierungen bringt dagegen noch 1803 die kleine dramatische Dichtung „ D e r Storch und seine F a m i l i e " , und mitgemeint dürfte Fichte auch sein in dem polemischen Gedicht „ A n die Wiedergeborenen" (1800), das in der A u s g a b e v o n 1811 den N a m e n t r ä g t : „ D i e neuesten Philosophen." (Ged 1803 182; Ged 1811 42.) — Goethe wurde 1799 in Jena in begeisterten W o r t e n der Verehrung v o n A r n d t und seinen Freunden gefeiert und gerade der Goethe der klassischen Periode. (Br a Fr I 8—19.) — Über die wissenschaftliche A b l e h n u n g der idealistischen Philosophie s. u. 12 ) ,,. . . Geist der Unruh' . . . " : „ A n J. J. Grümblce" (1799), Ged 1803 39; ,,. . . teutsche Bocksartigkeit . . . " : Reisen I 360; ,,. . . mein nordischer
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Am stärksten zeigt sich die Übereinstimmung zwischen der Lebensauffassung Arndts und der Klassik bei dem Problem, das für beide ein zentrales genannt werden kann: dem Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit im Ethos der Persönlichkeit. Das war ja das Einzigartige an Goethe, daß bei ihm der Einklang zwischen dem Freiheitsgefühl und der gegebenen Wirklichkeit der Umwelt nicht oder doch nicht nur durch eine Begrenzung von außen her, durch ein Anerkennen unvermeidlicher Schranken erreicht war, sondern daß der Formgedanke in den gestaltenden Funktionen des Lebens selbst beschlossen war als ein notwendiges Moment des Freiheitsgefühls, daß Jai^mv, Tv%i] und :'Avayxri ein harmonisches, eng verschlungenes Ganzes bildeten. Wir haben bei Arndt hier eins der tiefsten Bildungserlebnisse vor uns, eins von jenen, wo das Eigene den durch die Führer gewiesenen Zielen so entgegenkam, daß die von Natur vorhandenen Lebensformen dadurch gleichsam nur die Taufe des Geistes empfingen. Mag auch das früh vorhandene Schicksalsgefühl zunächst durch einzelne Worte Rousseaus, Herders und Schillers — spätere Namen kommen für die Frühzeit kaum in Betracht •— und durch die antike Lektüre zu jenem entschlossenen Vorsatz geworden sein, das Notwendige als schön zu ehren, der die Gedanken der Jahre 1799 und 1800 kennzeichnet13), so zeigte sich doch bald darüber hinaus die größere Aufgabe im Sinne Goethes. Er fand für das neue Ziel schon 1800 die Formel, die dann für immer, und in immer größerer Tiefe und Weite gefaßt, der knappste Ausdruck seines Ethos und das Leitbild seines Werdens gewesen ist: „O Heil ihm dreimal, wer los und f e s t , Sich weder zerreißen noch ketten läßt!" Leichnam": ib. III 94. Die preisenden Worte über den Süden Reisen 2. Aufl. 1804 I 286 und II 202 f. fehlen in der 1. Auflage. Die bisher unbeachteten Verschiedenheiten der beiden Auflagen geben auch für das Verständnis der Geschichtsauffassung Arndts bemerkenswerte Aufschlüsse (s. u.). Vgl. auch: E mW 24, 59. — Über die Franzosen positiv: Reisen V 37, 124, 143, 365; VI 100, 129. 13 ) Über Freiheit und Notwendigkeit bei Goethe vgl. E. Cassirer: „Freiheit und Form" 1917 p. 290. — Schicksalsgefühl: „An die Erinnerung" (1799) Ged 1803 73: „. . . das heilige Schicksal . . ."; „An meinen Vater" (1799) Ged 1803 149 ff. (bei Ww Meisner III p. 59 nur Teildruck): „. . . um die Notwendigkeit ist es ein schönes Ding . . ."; „Lehre an den Menschen" (1800) Ged 1803 178: „. . . um das Schicksal traure nicht . . ."; Reisen IV 75: (Notwendigkeit wird als heiligstes Gesetz dem Gemüte zur Freiheit); vgl. Rousseau: „Emile", Oeuvr. compl. 1875 II. 433, 438; Herder: S.W. Suphan, Bd, X V I p. 471 ff., 529, 534, 560; Schiller: S.W. Säcularausgabe X I I p. 163.
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Das war nicht nur ein fernes, hohes Ziel, sondern zugleich die notwendige Äußerungsform seines Wesens, in der die ihm eigene, starke Gegensätze umfassende Harmonie des Lebensgefühls ihre natürliche Entfaltung fand, und so konnte er 1810/11, als er in schwerer Zeit sich von neuem über Grund und Richtung seines Lebens klar wurde, dieses Ziel mit Recht in die Worte fassen: „ S e i dir gleich, und zeige, daß man zugleich f e s t und l o s , daß man Mensch sein kann in Fülle." Das bedeutete die Begründung des Lebens auf das Moment der Spannung, die in einem steten et — et nirgends verzichten und entsagen wollte zugunsten einer stabilen Sicherung der Sittlichkeit durch feste Normen und Grundsätze, sondern die Gleichgewichtslage aus dem Widerstreit der Antriebe immer neu erringen durch die souveräne Kraft ewiger Jugend. Es bedeutete als Ziel und Prinzip ein Hinausgehen über die gebändigte Fülle Goetheschen Wesens, ein Mitschwingen mit den Impulsen, die die junge romantische Generation als ihr Eigenstes erlebte. Arndt ist ihnen nicht völlig gefolgt, oder vielmehr er faßte sie in einem eigenen, Goethe näheren Sinne, der den Akzent gerade auf die stete Spannung legte, und durch die gesunde und harmonische Vollnatur seines wurzelkräftigen Wesens ertrug er diese Spannung länger als die meisten Romantiker, die sich ihr meist bald entzogen in hemmungslosem Ausleben des Individuums oder in der Geborgenheit einer heteronomen Moral oder in beidem 14 ). Wenn auch seit der entscheidenden Wandlung zum Christentum diese eigentümliche Beschaffenheit seines Lebensgefühls dann und wann zurücktrat und man versucht ist, auch bei ihm von einer „Moral der gebrochenen Linie" zu sprechen, so war er doch im innersten Herzen zu sehr Protestant, als daß nicht für 14 ) Die wichtige Formel „Los und fest": E mW Epilog.; „Sei Mann. An Thorild" (1801) Ged 1811 47. — „Sei dir gleich . . .": Leben für mich Nr. 11. — Dies Ziel kehrt in allen Epochen seiner Entwicklung bis 1815 wieder: Fr I 136 f.: „Beschränkung und Unendlichkeit"; 143: „Fülle des Daseins"; 109 ff. (gegen bloße Gesetzesethik); Fr II 154 (das Leichte und Bewegliche, was nicht fällt und zerfließt); 248 ff. (in der ewigen Beweglichkeit fest, gegen kümmerliche Einseitigkeit durch Beschränkung und Vergrabung des Besseren im Leben); Br a Fr II 192 f. (gegen Einschließen mit kümmerlicher Tugend); Br a Fr I 155 (gegen bloße Ruhe der Ergebung); Fr LK 216 (Festigkeit und Beweglichkeit glücklich vereinigt); Ho 41 (Beweglichkeit, die wir [Deutsche] gewinnen können); Erz e F 55 (feste Beweglichkeit). — Gleichgewicht: Br K 77 t. (21.12.1810): gegen ein Gleichgewicht, wo die Lebenswage stillsteht: „sie soll wohl fliegen (nicht schwanken) zwischen Himmel und Erde auf und ab, nur gleichstehen in Momenten, daß das hohe Angesicht der Dinge zuweilen heiter vor uns aufgeht"; vgl. auch BfA:? 91 (20.6. 1813); 94 (24.6.1813).
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die alten Motive auch jetzt noch Raum geblieben wäre. Ja, man kann sagen, das Nebeneinander einer an Goethe gebildeten klassischen und einer an Luther orientierten christlichen Lebensauffassung bildete ein neues Motiv der Spannung in seinem späteren Leben. Als das Doppelziel von Erfüllung und Erlösung umspielte ihn bis in das hohe Alter dies Erbe zweier Weltgegensätze, wenn er auch mehr und mehr mit dem ins Jenseits übergreifenden Weltgefühl des Alternden sich auf die Seite des christlichen Empfindens neigte 15 ). Die religiöse Gedankenwelt war in der Frühzeit ganz umspannt von der mit dem Willen zur Lebensgestaltung sich langsam bildenden Weltanschauung. Es gab kein eigentliches religiöses Gefühl mehr seit dem Aufhören des Kinderglaubens. Was dem am meisten entsprach, war eine vielleicht schon durch die Sturmund Drangzeit geweckte Naturschwärmerei, die sich unter dem Einfluß Goethes und Herders während der Reise zu einem weltfreudigen Panentheismus entwickelte, wie er damals weite Kreise der romantischen Generation ergriff. Das bedeutete für die religiöse Entwicklung nur wenig. Als sie später wieder einsetzte, knüpfte sie in der Hauptsache an die Gefühle der Kindheit an. Aber die Welt- und Lebensansicht erfuhr dadurch eine gewaltige Bereicherung. Die ganz diesseits gerichtete Sittlichkeit des Individuums erhielt durch die dynamische Einordnung in ein harmonisches Universum, das nicht ruhte, sondern in ewiger Bewegung durchwaltet war von einem schaffenden Weltgeist, ihre kosmische Rechtfertigung. Von der Geschichte sagte Arndt später selbst, daß durch die neue lebendige Ansicht der Welt und die Findung und Anbetung Gottes in der Natur ihr Verständnis wiedererweckt worden sei. Vorläufig allerdings waren die Kreise dieses panentheistischen Empfindens noch enger, begrenzt auf die unmittelbaren 16 )
I c h k a n n mich der krassen V e r n e i n u n g des „idealistischen"
f ü r die Zeit n a c h
Elements
1809 bei L a a g a. a. O. p. 48 ff. n i c h t anschließen.
ist b e s t i m m t d u r c h die einseitig antiidealistische
Gesamtauffassung
Sie Lüt-
gerts (W. L l i t g e r t : „ D i e Religion des deutschen Idealismus und ihr E n d e " 1923). D i e „ H o f f n u n g s r e d e " und die „ B r i e f e an P s y c h i d i o n " , sowie m a n c h e E i n z e l z ü g e der späten und spätesten Zeit sprechen zu sehr dagegen. ist, d a ß A r n d t sich seit der W a n d l u n g und bekannte.
Richtig
1808/09 b e w u ß t als Christ f ü h l t e
D a s Nebeneinander h ä n g t m i t seiner Freude an der Span-
n u n g v o n Gegensätzen zusammen, es ist aber a u c h kein friedlicher A u s gleich i m Sinne eines „christlichen H u m a n i s m u s " , wie M ü s e b e c k es darstellt, der diese Verschmelzung bereits für die Klassik in A n s p r u c h n i m m t .
Für
Müsebeck gegen L a a g neuerdings H . S c h w a r z : „ E r n s t Moritz A r n d t s P a n entheismus", B l ä t t e r für D e u t s c h e Philosophie 1 9 2 7 , B d . I, H e f t 1 u. 2 p. 8 7 .
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Äußerungen des Gefühls, ja nicht einmal ganz diese beherrschend. Zwar die Neigung zu einem griechischen Heidentum mit seinen Göttern und seinem Heroenkult mag man als eng damit verwandte Form humanistischen und romantischen Fühlens auffassen können. Die „Religion der Menschlichkeit" jedoch, die an einer Stelle der „Reisen" den positiven als die einzig wahre und natürliche entgegengestellt wurde, trug ein älteres Gepräge und ging wohl auf die Lektüre Herders und Rousseaus und mehr noch auf das allgemeine Empfinden der Aufklärungszeit zurück. Aus dieser geistigen Sphäre stammten auch die zahlreichen kritischen Urteile der „Reisen" über das Christentum, seinen Aberglauben und seine Weltverneinung, die etwas hochmütige Betonung der Notwendigkeit positiver Religionen für die arbeitenden Klassen, die Forderungen der Toleranz und der Freiheit des religiösen Lebens von staatlichen Bindungen 16 ). An einer Stelle der „Reisen" begegnet ein Wort, das sich weder der panentheistischen noch der rationalistischen Auffassung ohne Widerspruch einfügen läßt. Es heißt dort: „Die Menschen wie die Völker müssen durch den feurigen Ofen zum Glücke gehen, auch wenn es scheint, daß es einen leichteren Weg gebe." Man wird nicht fehlgehen, wenn man hier an eine Reminiszenz an Jacob Böhme denkt, der in den „Reisen" und in den Gedichten dieser Jahre genannt wird, und dessen Wirkung auf Arndts Geschichtsauffassung und wohl auch auf seine religiöse Entwicklung später bedeutend hervortritt. Gerade diese Vorstellung vom sittlichen Feuertod kehrt verschiedentlich wieder bei Arndt im Zusammenhang mit jenen Hoffnungen auf eine Wiedergeburt der Zeit, die in dem ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts weite Kreise erfaßten und auch bei den Romantikern zum Teil in Verbindung 16 ) Naturfrömmigkeit: Reisen I 45 ff. 210 u. v. a. — Einordnung in ein harmonisches Universum: ib. VI 358, 367; „Freude" (1797); Ged 1803 20; „Gesang der Schwestern des Schicksals" (1801) ib. 200; „ A n Fr. Muhrbeck" (1801) ib. 253; „ N a t u r " (1801) ib. 276; vgl. auch „ L u g ins Leben" (1813), Ww Meisner IV 56: „Und nun ward mirs hell um die Augen, die drinnen und draußen / Schaun das lebendige All, schauen den ewigen Gott." — Belebung der Geschichte: Sitte 139. — Griechische Götter: „Des Knaben Segen" (1801), Ged 1803 230; Reisen II 71, 316, 321 f. — Religion der Menschlichkeit: ib. V 54 f., 50. — Gegen das Christentum: ib. I 248, 298 f. II 321 f. u. a. — Religion für arbeitende Klassen: ib. V 56 f. — Toleranz, Freiheit: ib. V 59 ff. Dieser Forderung steht merkwürdigerweise die andere zur Seite, daß die Priester wieder die ehrwürdigsten Glieder im Staat werden, aber den Priestergeist ablegen müßten: ib. V 72; Preis der Theophilanthropen u. F6n§lons: ib. 76 ff.
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standen mit Jacob Böhmes von Tieck entdeckter „Aurora". Einer solchen Entdeckung bedurfte es ja eigentlich nicht, denn Böhmes Schriften waren im Volke weit verbreitet. Arndts Bekanntschaft damit geht nicht auf Schelling zurück, der ja erst durch den Verkehr mit Baader in München 1806 unter den nachhaltigen Einfluß Böhmes kam. Die früheste Erwähnung findet sich in Arndts Stammbuch aus der Studenten- und Reisezeit als Eintrag eines pommerschen Pfarrers Laurin zur Erinnerung an die gemeinsame Reise von Berlin bis Prenzlau und „die häufige Erwähnung des Jacob Böhm" 1 7 ). Es liegt nahe, zu dieser Berührung mit den mystischen Gedanken und Hoffnungen einer neuen Morgenröte der Welt die Wandlung in Beziehung zu setzen, die sich in diesen Jahren im Zeitempfinden Arndts bemerkbar machte. Der frohe Zukunftsglaube der Kindheit war, wohl mit unter dem Eindruck Rousseaus, bald erschüttert worden und hatte im Jünglingsalter vor allem durch das Darniederliegen des nationalen Lebens in Deutschland nach Friedrichs Tod einem resignierten Gefühl allgemeiner Greisenhaftigkeit und Kälte Platz gemacht. Noch am Beginn der Reise 17 ) „Die Menschen . . .": Reisen III 236. —• Über Böhme und die Romantik vgl. Jos. Nadler: „Berliner Romantik" a. a. O. p. 7 3 — 7 6 ; Lütgert a. a. O. II p. 74—80, 108—126; Walter Feilchenfeld: „Der Einfluß Jacob Böhmes auf Novalis", German. Studien, H e f t 22. 1922. — Arndt übernahm den Begriff der „Wiedergeburt" zunächst aus der französischen Revolutionsliteratur und gebrauchte ihn mit Bezug darauf etwas verächtlich und skeptisch: Reisen VI 94; III 306. — Gegen Xiecks „Entdeckung": Lütgert a. a. O. I I p. 56, 74, 108. — Auf Schelling führt E. Gülzow Arndts Böhmekenntnis zurück, wohl mit Unrecht; E. Gülzow: „ E . M. Arndt in Schweden" 1920 p. 14. — Arndts Stammbuch ist auszugsweise veröffentlicht von H. Meisner; Zur guten Stunde, 32. Jahrg. H e f t 3, 1919 p. 60 f. Auf die genannte Begegnung bezieht sich das in JVw Steffens / p. 16 veröffentlichte Stammbuchblatt, das laut Anm. Bd. X I I p. 172 die Unterschrift trägt: „Templin in der Mark, den 19. 10. 1799." Arndt nennt Böhme: Reisen VI 281, eine Stelle, die wohl erst nach der Heimkehr niedergeschrieben worden ist. Ferner: „ A n die Wiedergeborenen" (1800) Ged 1803 182. — Für den Gedanken der Wiedergeburt und des Feuertodes bei Böhme vgl. Böhme, S . W . Schiebler 1841 I 109, 114; I I I 383; I V 213, 443, 450; V I 566, vor allem aber „Aurora", ib. I I 109: „Wenn aber der Geist verdorret, so taugt er [der Mensch] zu nichts, denn zu Feuerholz." Der gleiche Gedanke dann auch bei Fr. v. Baader mit Hinweis auf Böhme: Fr. v. Baader, S . W . hrsg. v. Hoffmann 1851, 1. Reihe, Bd. X p. 270. Müsebecks Interpretation der „Feuertod"stelle im GZI 46 als Gemeinsamkeit mit der Klassik ist wohl kaum stichhaltig. Müsebeck: , , E . M. Arndt u. d. kirchl.-rel. Leben" a. a. O. p. 24.
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überwog dieser kulturmüde Pessimismus, der skeptisch und geringschätzig fragte: „Was ist unsre Aufklärung? meistens äußerer Schimmer, kein inneres warmes Licht, kein glühender Feuerstrahl " Es waren die mit der freundlicheren Beurteilung der französischen Revolution auf ihn übergehenden neuen politischen Hoffnungen, die ihm zuerst noch zweifelnd, dann jubelnd und gläubig ein „ J a ! " zur Gegenwart entlockten. Diese Entwicklung wurde unterstützt durch die größer werdende Klarheit und Festigkeit seines Selbstbewußtseins, die ihn in diesen Jahren den Bann einer nur gelernten Schulweisheit abschütteln ließ und ihm durch die Besinnimg auf eigenen Wert und eigene Schätze, auf Kindheit und Heimat ein erstes froh ergriffenes Stück festen Erdbodens erschloß. Die Gedichte der Jahre 1800 und 1801 sind durchdrungen von dieser ersten Schaffensfreude im engen Kreise, der durch die junge Ehe und das Lehramt an der Universität eine so schöne Erfüllung zuteil wurde 18 ). Jetzt konnte er der Zukunft nicht nur in freudiger Erwartung zurufen: „Jahrhundert, das aus Blut und Aschen Die jugendliche Bahn betritt, Bringst du nicht Lust und Freiheit mit ?" sondern darüber hinaus die Verbundenheit mit dem Geist der Gegenwart als eine mächtige Triebkraft des eigenen Lebens begreifen und als heilige Notwendigkeit und verpflichtende Aufgabe ehren: „Der sichre Führer ist die Zeit, Das Stundenglas, worin wir leben, Wag es, mit ihrem Höchsten Dich zu heben, So ist Dir die Natürlichkeit, Wornach Du trachten sollst, gegeben. Nimm alles Schönste aus dem Leben, So strahlt im kleinsten Göttlichkeit, So wird die Zeit der helle Spiegel, Worin die Welt Dir widerscheint, Von ihren Wundern sprenget sie das Siegel, In Maß und Harmonie wirst Du mit ihr vereint. 18
) Neue Morgenröte: Böhme: „Aurora", S.W. Schiebler II 278, 3 1 6 . — Gefühl allgemeiner Greisenhaftigkeit: G ZI 24. —,,Was ist unsere Aufklärung ? . . ." Reisen I 10. Die Stelle fehlt in der 2. Auflage. — J a zur Gegenwart: Reisen III 26. VI 13. — Erste Erfüllung: Br a Fr I 5 f.; „An K. H. Beck" (1799), Ged 1803 99; „An Fr. Muhrbeck" (1801); ib. 2 53 u.a. B e i h e f t d. H . Z. 1 8 .
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Mußt nicht im eitlen Wahne meinen, Als flögst Du über Deine Zeit. Sie werde heilig Dir, wie die Notwendigkeit, So wird Dir auch ihr stiller Geist erscheinen" 19 ). Man denkt bei diesen Versen unwillkürlich an Hölderlins wenig früher entstandenes Gedicht „Der Zeitgeist", wo eine ähnliche Entwicklung im Zeitempfinden ihren unmittelbarsten Ausdruck gefunden hat: „Zu lang schon waltest über dem Haupte mir Du in der dunkeln Wolke, du Gott der Zeit! Zu wild, zu bang ist's ringsum, und es Trümmert und wankt ja, wohin ich blicke. Ach! Wie ein Knabe seh ich zu Boden oft, Such in der Höhle Rettung von dir, und möcht', Ich Blöder, eine Stelle finden, Alleserschüttrer! wo du nicht wärest. Laß endlich, Vater! offenen Augs mich dir Begegnen! hast denn du nicht zuerst den Geist Mit deinem Strahl aus mir geweckt ? mich Herrlich ans Leben gebracht, o Vater! — Wohl keimt aus jungen Reben uns heil'ge Kraft; In milder Luft begegnet den Sterblichen, Und wenn sie still im Haine wandeln, Heiternd ein Gott; doch allmächtger weckst du Die reine Seele Jünglingen auf, und lehrst Die Alten weise Künste; der Schlimme nur Wird schlimmer, daß er bälder ende, Wenn du, Erschütterer! ihn ergreifest." Der dunkle, schicksalsbewußte Ernst bei Hölderlin und die sichere Zuversicht bei Arndt sind wie ein Vorgefühl ihres so tief verschiedenen Geschicks. Aber auch Arndts Verhältnis zum Geist der Zeit sollte nicht lange in diesem sanften Gleichklang bleiben, die kommenden Jahre gaben ihm nur zu bald und reichlich Gelegenheit, seinen schönen männlichen Entschluß in Leiden und Kämpfen zu bewähren, und ließen auch seine Verbundenheit mit den schaffenden Mächten der Gegenwart unmittelbarer und 19)
„An
Fr. M u h r b e c k "
(1801), Ged 1803
253 ff., 268 ff.
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schicksalhafter werden, indem sie den oberflächlichen Optimismus der Frühzeit durch hellsten Glanz und tiefe Trauer eines höheren Lebens verwandelten in jene „zweite, tiefere, stillere Schwermut", die auch bei ihm der Grund seines besten Schaffens wurde 20 ). Die dreifache Linie seiner Jugendentwicklung, die hier verfolgt wurde, erscheint als Ganzes in ihrem zeitlichen Verlauf und in ihrem Verhältnis zu den lebendigen Strömungen der Umwelt nicht als ein gleichmäßiges dreifaches Ansteigen, sondern als ein Nebeneinander von drei Kurven mit zeitlich verschiedenen Höhepunkten. Zuerst und noch in der Kindheit erhob sich die Stimme des Nationalgefühls, getragen von der Bardenbegeisterung des Sturm und Drang, und blieb die ganze Frühzeit rege, wenn auch die Eindrücke einer fast rein weltbürgerlichen Bildung mehr und mehr an Einfluß gewannen. Mit dem Erwachen des Jünglings trat die Frage der Lebensgestaltung Antwort heischend und alles andere zurückdrängend in den Mittelpunkt. Ihre Lösung vollzog sich mit dem Blick auf die Höhe und Weite klassischen Menschentums. Am spätesten erreichte das Wehen des Zeitgeistes die Seele des Reifenden, um sie mit den Träumen der Romantik zugleich zu entfachen zu zukunftsfroher Hoffnung. So finden wir am Ende der Frühzeit eine reiche innere Welt •— aber auch nicht mehr. Denn all diesen Gefühlen, Strebungen und Gedanken fehlte die Bewährung an der Wirklichkeit und der reale Gehalt. Die spätere Entwicklung konnte nicht geradlinig an sie anknüpfen, sondern in neuen Tiefpunkten mußte gleichsam erst anstatt der unwirklichen Phantasiewelt der eigene Kern und seine eigentümliche Gestalt und Stelle in der Welt erschlossen werden. So trat das Nationalgefühl in der Folge zunächst zurück hinter den Quietiven kosmopolitischer Illusionen und wissenschaftlicher Betrachtung. Die stolze Selbstsicherheit des Lebensgefühls wurde von ihrer überheblichen Höhe gerissen durch die Schläge des Schicksals, die rasch und unerbittlich Glück auf Glück vernichteten. Der überschwengliche Jubel über die Zeit wich mehr und mehr einem wachsenden Grauen vor der blutigen Bahn ihrer leuchtendsten Gestalt und einem der Verzweiflung nahen Gram über die Abgründe des Verderbens, die der sicherer werdende Blick erkannte. 20 ) Hölderlin, S.W. hrsg. v. N. v. Hellingrath u. L . v. Pigenot I I I p. 10. Das Gedicht war 1800 in Neuffers Taschenbuch erschienen. Eine Abhängigkeit Arndts soll damit selbstverständlich nicht dargetan werden. — Schwermut: „ L u g ins Leben" (1813), Wm Meisner IV 49 ff.
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KAP. II. DAS POLITISCHE UND GESCHICHTLICHE DENKEN DER FRÜHZEIT BIS 1801. Das wissenschaftliche Denken der Frühzeit Arndts erscheint fast wie ein Fremdkörper in der an hohen Vorbildern erwachsenen inneren Welt, und man kann sich einer gewissen Enttäuschung nicht erwehren, wenn man von der liebenswürdigen Frische der Gedichte und der „Reisen" zu den beiden ersten wissenschaftlichen Abhandlungen kommt. Das Fremde, das dort als Anstoß eigener Entfaltung empfunden und als inneres Leitbild auf eigenen Wegen erstrebt wurde, kam hier bei dem schwerer schmelzbaren Element der Wissenschaft offen als übernommenes und gelerntes Schulgut zutage. Doch geschah auch dies Lernen nicht wahllos, sondern mit einer früh bestimmten Ausschließlichkeit, die der eigenen Richtung entsprach und gegenüber neueren Gedanken mit einer fast eigenwilligen Hartnäckigkeit auch noch 1802 und 1803 festgehalten wurde. Die Stellung der frühesten Zeit zur Geschichte war naturgemäß rein gefühlsmäßig, aber in diesen kindlichen Neigungen und Abneigungen zeigten sich schon deutlich Einstellungen, die später wiederkehren: das ergriffene Sicherheben an großen und kühnen Menschengestalten der Vergangenheit und die enge Verbindung der Geschichte mit den eigenen politischen Wünschen und Hoffnungen. Während der Universitätsjähre beschäftigte sich Arndt neben dem theologischen Fachstudium, wie es scheint, nur privatim mit Geschichte, da weder in Greifswald noch in Jena die historischen Vorlesungen den jugendlichen Ansprüchen genügten. Blieb das akademische Studium infolgedessen ohne bedeutende positive Anregungen, so hat es doch zweifellos den ersten Anstoß gegeben, sich eine eigene geschichtliche Anschauung zu bilden. Diese entwickelte sich an dem Gegensatz zu der idealistischen Philosophie Fichtes und der historisch-politischen Gedankenwelt Rousseaus und richtete sich vor allem gegen die konstruktive naturrechtliche Staatsauffassung, die beiden gemeinsam war. Die Zurückweisung dieser Richtungen, die damals das Denken der jungen Generation in Deutschland eine Zeitlang fast ganz beherrschten, geschah aber nicht durch die neue eben sich bildende organische und geschichtliche Weltansicht des kommenden Jahrhunderts, sondern durch die Verbindung mit der älteren Denkweise der Aufklärung. Die wissenschaftliche Stellungnahme des jungen Arndt war ein volles Bekenntnis zu der sensualistischen Empirie Humes und der damit verwandten Geschichtsauffassung Georg Forsters. Auch Herdersche Gedanken wurden aufge-
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nommen, soweit sie durch den Ausgangspunkt von der Erfahrung und die Betonung des Physischen in ähnlicher Richtung lagen; jedoch hatte der Name Herders keine programmatische Bedeutung und wird nicht genannt, wahrscheinlich wegen der theologischen Elemente seines Geschichtsbildes1). Die Gründe für diese Entscheidung waren nur zum Teil sachlicher Art. Zumeist war es die allgemeine negative und skeptische Haltung, die an Hume bewundert und mit einer gewissen Beflissenheit zur Schau getragen wurde. Dies Nebeneinander von echten Interessen und künstlicher Altklugheit auf der Grundlage einer inzwischen immer reicher sich entfaltenden Innerlichkeit macht die Geschichtsauffassung der Frühzeit kompliziert und widerspruchsvoll. Die erste wissenschaftliche Einstellung war nicht von der Art, daß sich eine organische Weiterbildung daran anschließen konnte. Wenn Arndt später rückblickend einmal feststellte, daß alle Revolutionen seines Lebens „durch keine sanfte Metamorphosen der Entpuppung gegangen" seien, so gilt das in besonderem Maße von seinem Verhältnis zur Wissenschaft. Es bedurfte einer tiefgreifenden Neuorientierung, um nach den unfruchtbaren Versuchen der Frühzeit die Wege zu finden, die der eigenen Veranlagung entsprachen. Arndt selbst hat diese Umkehr später offen bekannt 2 ). Die Parteinahme gegen die idealistische Philosophie entsprang einer ursprünglichen Richtung auf das Konkrete und Lebendige. Wenn Arndt auch in den späteren Jahren die großen schöpferischen Werte der spekulativen Philosophie überhaupt und des Fichteschen Schaffens erkannte, so war es doch immer nur ein Blick auf ein ihm fremdes Gebiet. Das eigentliche Element der Philosophie, die Leidenschaft des Gedankens, blieb ihm zeitlebens fremd. Sein wissenschaftliches Schaffen wurde bestimmt durch Momente, die dem Dichterischen verwandt sind: die Richtung auf das Unsagbare, auf das nur zuweilen in Ahnungen an der Erscheinung aufblitzende Geheimnis ihres Lebens; die Freude an der Früheste Zeit: Br Schwerin 569. Vgl. Müsebeck: Lebensbild a. a. O. p. 28. — Universitätsjahre: Erg 64; An den Freiherrn v. Essen, 28. 9. 1800, Br L 38. Zum theologischen Fachstudium gehörte die Kirchengeschichte v. Griesbach, von der sich ein sorgfältig geschriebenes Kollegheft erhalten hat. (Nachlaß.) — Gegensatz zu Fichte s. u.; — Hume wird genannt: E mW 6—8; Forster: Reisen VI 381. Herdereinfluß liegt u. a. nahe ib. III 61 f., 334 f2) „durch keine sanfte. . .": Br I< 53. (28. 8. 1806.) - - Das Bekenntnis der wissenschaftlichen Wandlung: Ch 1—12.
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Mannigfaltigkeit der Erfahrung, die „wie ein taumelnder und lachender Trunkenbold . . . in die herrlichen Gewebe der Philosophen hineinspringt und ihre Fäden zerreißt und verwirrt"; und ferner das Hinausgreifen von Gedanke und Wort über die Sphäre der eigenen Individualität, ihr stetes Hinwenden an eine andere Seele, die hört und antwortet. „Winke", „Ideen", „Fragmente", „Briefe" und „Bruchstücke", und wie die Titel sonst noch diese Eigenarten des Inhalts kennzeichnen, waren der unmittelbare Ausdruck einer solchen Natur. Jedes System mußte ihr als solches immer fremd bleiben. Die zum Teil recht scharfen und spottenden Worte über die deutsche Philosophie a priori wandten sich denn auch gegen ihre lebensferne schroffe Scheidung des Geistigen und Physischen, gegen ihre zwecklose abstrakte Wesenserkenntnis, ihre Einseitigkeit und ihren Systemdünkel: „Wie lange wird es währen, so schreibt man eine reine Kunst zu buttern und zu pflügen, und beweist im ganzen Ernste a priori, daß der Wind wehet und daß der Regen naß macht. Diese Sucht, jedem Dinge ja seine philosophische Reinheit und Apriorität anzudrechseln, wenn dieses Andrechseln auch nichts anderes sein sollte, als was man sonst sagt: einem eine wächserne Nase andrehen, hat schlimme Folgen. Man spielt solange mit Wasserblasen, bis man sich gewöhnt, sie für etwas anzusehen, und behauptet endlich im Ernst, was man anfänglich andern nur nachgebetet hat. Der Mensch selbst ist nichts Reines im Sinn dieser Herren, und sein Gewebe von Körper und Geist und von ihren ineinander eingreifenden Wirkungen und Begierden ist so dicht und geheimnisvoll geflochten, daß bis jetzt keiner diesen gordischen Knoten weder gelöst noch zerhauen hat ... Wir stehen im heiligen teutschen Reiche mit unserm philosophischen System fast ebenso locker und unsicher, als mit dem politischen, und doch hört man noch täglich schreien, wenn dieses neue System gesiegt habe, werde auch die Welt politisch anders, d. h. besser, werden" 3 ). Die letzten Worte weisen auf das Gebiet, wo die Gegensätze am schärfsten waren. Die radikale theoretische Neubegründung aller staatlichen Einrichtungen, wie sie Fichtes „Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution" im Anschluß an Rousseaus „Contrat social" aussprach, ohne irgend die Konsequenzen der Verwirklichung zu berücksichtigen, widersprach Arndts Richtung auf das Praktische, auf den 3)
„ w i e ein taumelnder . . . " : E m W 3. „ W i e lange wird es . . . " : Reisen V'271; vgl. ib. 274; Dissertatio § 2; Reisen III 62; „ A n K . H . B e c k " (1799), Ged 1803 103 f.
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wirklichen Staat. Der paradiesische Naturzustand des vorgesellschaftlichen Menschen bei Rousseau war seinem bildungsfreudigen, staatsbejahenden Sinn ein Greuel. Der Staat nicht als Schranke, sondern als Erfüllung des einzelnen, das war die unbestimmte Sehnsucht seiner Jugend gewesen, das wurde später nach dem vorübergehenden Uberwiegen eines weltbürgerlichen Individualismus Grundlage und Ziel seines politischen Denkens und Strebens. Die Urteile und Ansichten der „Reisen" über den Staat standen noch in naher Verbindung mit diesen Jugendträumen. Noch hatten die liberalen Bildungseinflüsse sie nicht verdrängt, obwohl z. B. die Forderung der geistigen Freiheit des einzelnen bereits in diese Richtung wies, die sich durch die Abneigung gegen den vorhandenen absolutistischen Staat nur zu leicht verstärken konnte. So kam es zu einer Ablehnung des Naturrechts mit der Begründung, daß es kein Naturrecht vor aller Gesellschaft gibt. Die rein kritische, skeptische Zuschauerrolle dieser Jahre ließ eine eigene theoretische Neubegründung noch nicht zu, obwohl ihm als inneres Gesicht ähnlich wie Novalis wohl längst gehörte, was später Schleiermacher, Hegel, Schelling und Fichte systematisch entwickelten4). Arndts Widerspruch gegen die neuen extremen Formen der naturrechtlichen Denkweise fand seine Position in dem Zurückgreifen auf den Realismus Machiavellis und das ältere Naturrecht des Grotius. Die Nebeneinanderstellung dieser beiden grundverschiedenen Denker wirft ein helles Schlaglicht auf die notdürftige Verbindung disparater Anschauungen im politischen Gedankengut der Frühzeit. Überwiegend und für die Folgezeit wirksamer waren die realistischen Elemente. Sein ererbter und in ländlicher Kind4) Kritik der theoretischen Spekulationen: Reisen V 2 7 2 . — Kritik der „viehischen Natürlichkeit": ib. V 270, 275. — Jugendträume: GZI 24; Br Schwerin 568; Br a Fr I 39. •— Staat positiv: Reisen II 127: „. . . wenn ein Volk nicht alles verliert, das aufhört ein Staat zu sein . . ."; ib. I V 19 f.: „ O sei auch alles Täuschung, so ist das doch kein Spielwerk, was alle Kräfte des Menschen erhöht und ihn kühner und edler macht. ,Wer frei sein will, kann es allenthalben sein; denn es ist Werk des Gemütes', so ruft man uns tröstend zu: aber, ihr Guten, sagt mir ein wenig, woher nehme ich den Flug und Schwung, woher die Kühnheit und Gewalt des Freien, wenn alles Äußere nur Gängelei und Gemeinheit zeigt ? Der physische Mensch, der durch den Leib lebt, bedarf ewig des Äußern und Sinnlichen, um das Innere und Übersinnliche aus seinem Traum zu erwecken und das Feuerelement zu entwickeln". — Abneigung gegen den absoluten Staat: Reisen V94, 100. — Geistige Freiheit: ib. 59. — Ablehnung des Naturrechts: ib. 274 ; vgl. G.Holstein: „Die Staatsphilosophie Schleiermachers" 1923 p. n o f .
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heit und Jugend gestärkter Erdensinn sah auch den trüberen Mächten des staatlichen Lebens derb ins Auge und verachtete die vergeblichen Versuche, ewige Naturgesetze zu leugnen. „Der Staat, das äußere physische Leben vieler Millionen oder Hunderttausende, ist auf Interesse gegründet und wird darauf stehen." „Wer die Erde beherrschen will, muß viel von der unreinen Erde an sich nehmen." „Ich gehorche, dem ich muß; ich beherrsche, was ich kann. Welcher Philosoph wird dies Weltgesetz umstürzen?" „Wir werden endlich gestehen müssen, daß wir in die Politik zu viel Moral gemischt haben, die nie in ihrer Ausübung gelegen hat." Aber das Moralische wurde doch nicht ganz aus der Sphäre des Staates verbannt, sondern behielt seinen selbständigen positiven Sinn. Hier schieden sich die Gedanken Arndts von den reinen Vertretern der Interessenlehre. Zwar lehnte er die idealistische Behauptung der absoluten Freiheit des Menschen ab und sah in einem Herder verwandten Sinn im handelnden Menschen mehr Notwendigkeit als Freiheit. Aber wenn es auch hieß, daß die physische Kraft der Notwendigkeit im Staate immer den Vorrang habe und die moralische Kraft die äußere Welt nie überwinden werde, so sollte sie doch in ewigem Streit „in ihr weben und wirken, mit ihr ringen und kämpfen bis ans Ende der Tage." Von hier aus öffnete sich das Feld für sittliche und naturrechtliche Postulate, für die ihm die Anregungen aus der mächtigen Tradition normativen Denkens kamen, der auch er sich nicht entziehen konnte. Rousseausche Gedanken, Herders Humanitätsbegriff und wohl auch Johannes Müllers Idealbild der alten Schweizer verbanden sich darin: Staat und Regierung müssen auf Gerechtigkeit gegründet sein, „die Fürsten müssen wieder Menschen, und die Untertanen, die nichts sind, Bürger werden". Als letzter Hintergrund stand neben allen skeptischen Beteuerungen der Gedanke an einen „freiesten Staat", der allein durch nüchterne Sitten und den Geist der Aufopferung bestehen könne, und mit dessen „liebenswürdiger Tyrannei" das Bedürfnis der Gesetze und Regenten dahin sein würde. Selbst zu revolutionären Folgerungen reichte seine naturrechtliche Energie: Die Forderung, daß die politischen Grenzen allein nach der Sprache zu ziehen seien, berücksichtigte weder die realen Machtverhältnisse des staatlichen Lebens noch wurde dem deutschen Nationalgefühl dabei eine Stimme zugebilligt. Empirische und normative Denkart standen unausgeglichen nebeneinander. „Ich will nun ganz zur Erde hinabsteigen und erzählen, wie die Sachen sind, nachdem ich gesagt habe, wie sie sein sollten", heißt es einmal mit bezeichnender Scheidung. Die passive Reserve des kühlen Betrachters gestattete dies ohne Kon-
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flikte, aber sie verschloß auch die Möglichkeit zu neuen schöpferischen Lösungen5). Dennoch war die Rezeption der macchiavellistischen Ideen für Arndts ganzes Denken von außerordentlicher Tragweite. Die hier ausgesprochenen Gedanken über die großen irdischen Triebkräfte des politischen Lebens hat er nie ganz aufgegeben, und noch 1815, also lange nach der Wandlung zur christlichen Weltansicht, begegnen Worte, die dieser Richtung angehören. Das unterscheidet ihn von den meisten romantischen und idealistischen Denkern seiner Zeit. Dadurch hatte er vor ihnen voraus den freien Blick für reale politische Notwendigkeiten und Tatsachen, mit dem er früher als jene die wahren Tendenzen des Napoleonischen Staates, die Grundlagen seiner Macht und die Mittel zu seiner Niederwerfung erkannte. Da seine eigene erdnahe Natur und sein frischer Kämpfergeist, der keiner optimistischen Illusionen bedurfte, sich immer inniger damit verbanden, bildet sein Denken eine lebendige Brücke zwischen der älteren Lehre von der Staatsraison und dem späteren historisch-politischen Realismus des 19. Jahrhunderts. Auch die naturrechtlichen Elemente des politischen Denkens der Frühzeit wirkten weiter trotz der Hinwendung zum organischen Staatsgedanken in „Germanien und Europa". Der Realismus Arndts hatte im Grunde nur die praktische Bedeutung und Ausführbarkeit der naturrechtlichen Ideale in Zweifel gezogen; deshalb konnte er später, als die reaktionären Auswirkungen der organischen Staatslehre immer mehr sichtbar wurden, aus dem Gegensatz dazu auf die naturrechtliche Vertragstheorie zurückgreifen, denn ihre liberale Stoßkraft erschien ihm als ein wirksames Kampfmittel in den politischen Fehden der Restaurationszeit6). 5 ) Grotius und Macchiavelli: Reisen V 273: „ I n Grotius und Macchiavelli ist mehr Gesundes über die Kunst Menschen zu regieren und Staaten aufrecht zu erhalten, als in allen Philosophien des Rechts und der Politik a p r i o r i . " — Realismus (4Zitate): Reiseniii 335; IV 2 1 5 ; 7 2 7 5 I — Notwendigkeit im handelnden Menschen: Reisen III 335; E m W 6. — Vorrang der physischen Notwendigkeit, Kampf der moralischen K r a f t : Reisen III 335. — Naturrechtliche Postulate: ib. V60, 62; III 26. — „freiester S t a a t " : ib. III 356. — „liebenswürdige Tyrannei": ib. / V 282. — Politische Grenze nach der Sprache (Span. Niederlande an Frankreich): ib. VI 230. — „ I c h will nun ganz . . . " : ib. V 64. 6 ) Zur Bedeutung der realistischen Gedanken Arndts vgl. F. Meinecke: „Weltbürgertum und Nationalstaat" 6. Aufl. 1922 p. 94 f. — Späteres Eintreten für die Vertragstheorie: „Grundgesetz der Natur v. Diderot nebst einer Zugabe" 1846 p. 336—41.
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Während in dem politischen Denken der Frühzeit das Eigenleben bereits erwacht war und das Bildungsgut wenigstens teilweise organisch in sich aufzunehmen vermochte, stand das Verhältnis zur Geschichte noch fast ganz im Zeichen nur oberflächlich übernommener fremder Gedanken und Methoden. Das ist nicht verwunderlich. Denn für eine Natur wie die Arndts war ein wirkliches Verständnis des geschichtlichen Lebens nur möglich von dort aus, wo die eigenen schöpferischen Kräfte damit verwachsen waren, und solange das noch kaum der Fall war, gab es auch kein wahres Verhältnis zur Geschichte. Die Klarheit seiner historischen Gedanken nahm zu mit der Innigkeit des Verbundenseins mit den überpersönlichen Mächten Volk und Zeit und Schicksal und mit dem reifer werdenden Bewußtsein dieses Zusammenhanges. Der beherrschende Name für die Geschichtsauffassung der „Reisen" und der beiden Erstlingsschriften von 1800 war Hume, und die von ihm übernommene Parole lautete: „Besonnener Zweifel!" Das war ja der bedeutendste Unterschied dieser Richtung der Aufklärung von dem französischen Rationalismus etwa Voltaires, daß die positiven Ziele und die Hoffnung des Durchsetzens fehlten, daß überhaupt keine Position versucht wurde, sondern nur Widerlegung und Kritik. Diese negative kritische Richtung wurde das in Resten lange nachwirkende Muster der im Grunde so weltfreudigen und bejahenden Natur eines Arndt: in der Tat eine eigenartige Verkehrung, die aber auch heute noch im Leben begegnet gerade bei positiven Menschen mit starkem persönlichen Formwillen, als Übergangserscheinung vor dem Durchbruch der eigenen Richtung, gleichsam eine rauhe und abstoßende Winterhülle über den in der Stille wachsenden Trieben des eigentlichen Wesens7). Am deutlichsten sprach die Schrift über die Freiheit der alten Republiken das Negative des Ziels aus. Sie sollte nicht etwa für die Freiheit eintreten, wie man vermuten könnte, sondern nur „verjährte Übel und Vorurteile ausreißen", kein Panegyrikus, keine Schmähschrift, keine Entscheidung für irgendeine beste Verfassung 7) „Besonnener Z w e i f e l " : EmW8; H u m e : „ T h e natural history of religion", T h e philosoph. Works, Edinburgh 1826 I V p. 513: „ T h e whole is a riddle, an enigma, an inexplicable mystery. Doubt, uncertainty, suspence of judgment, appear the only result of our most accurate scrutiny concerning this subject. B u t such ist the frailty of human reason, und such the irresistible contagion of opinion, t h a t even this d e l i b e r a t e d o u b t could scarcely be upheld." Über Humes Geschichtsauffassung vgl. Jul. Goldstein: „ D i e empiristische Geschichtsauffassung D a v i d H u m e s " 1903.
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sein, sondern „bloß . . . furchtsam forschen, ob denn dort alles so glanzvoll und herrlich war, . . . wie man so gern uns einbildet." Das bekämpfte Vorurteil war die Gewöhnung der Geschichtschreiber, gar nichts Unrechtes in der Sklaverei der Antike zu sehen, und der Anlaß war vielleicht im besonderen jene Stelle in Rousseaus Contrat social, wo er der Sklavenhaltung der Griechen den Vorzug gab vor der sklavischen Freiheit der modernen Völker. So wurde alle humanistische Griechenverehrung mit einer ein wenig eitlen Selbstverleugnung, beiseite geschoben, und ebenso alle nationale Begeisterung für alte Germanentugenden : ein zweites sehr bezeichnendes Beispiel, das deshalb besonders wichtig ist, weil es bei der Häufigkeit der Bezugnahme darauf in der späteren Entwicklung sozusagen einen ständigen Gradmesser für das Verhältnis von Wissenschaft und Leben in seiner Geschichtsauffassung bietet. Eine solche allgemeine kühle Skepsis war ja damals auch unter deutschen Historikern nicht mehr selten. Schlözers Grundsatz des „nil admirari" gehört in diese Richtung, und Schiller hatte in seiner Antrittsrede über die Universalgeschichte ebenfalls mit Anwendung auf die Antike von der Geschichte gesagt: „Sie heilt uns von der übertriebenen Bewunderung des Altertums und von der kindischen Sehnsucht nach vergangenen Zeiten; und indem sie uns auf unsere eigenen Besitzungen aufmerksam macht, läßt sie uns die gepriesenen goldenen Zeiten Alexanders und Augusts nicht zurückwünschen." Man glaubte damals die Forderung wissenschaftlicher Objektivität nicht besser erfüllen zu können als durch grundsätzliche Enthaltung von allen Werturteilen. So wandte sich auch Arndt gegen alles „Moralisieren" in der Geschichte, und in einer an Rousseau erinnernden Formulierung hieß es: die Geschichte „soll erzählen, was geschah" 8 ). Es bedarf kaum eines Hinweises, daß die Uberzeugung von der strengen Objektivität des historischen Urteils bei Arndt ebenso wie bei Hume und den anderen Vertretern dieser Ansicht lediglich auf der Naivität gegenüber der Anwendung der eigenen verallge8) „verjährte Übel . . .": E m W 14, 10. — Gegen die positive Beurteilung der antiken Sklaverei: EmW 53; Rousseau: „Du contrat social", Livre III chap. 15. — Verleugnung der Griechen Verehrung : EmW 24, 59. — Skepsis gegenüber den Germanen: Reisen V 286; „ D i s s e r t a t i o § 1 3 . — Schiller: SW. Säcularausgabe X I I I p. 23. — Gegen Moralisieren: E m W 6 i. — „soll erzählen . . . " : Reisen V 324; Rousseau: „Emile", Oeuvres complètes 1875 Bd. II p.546 : „Les pires historiens pour un jeune homme sont ceux qui jugent." Über die ganze Richtung vgl. Meinecke : „Weltbürgertum, ."a. a.O. p. 136 f.,wo diese Denkweise im Anschluß an Gunnar Rexius („Zur Staatslehre der historischen Schule", H. Z. 107 p. 500) „negativ historische Richtung" genannt wird.
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meinerten Maßstäbe beruhte. Humes Ausfälle gegen die christliche Abendmahlslehre und die Scholastik sind weit entfernt von abgeklärter Ruhe, und in dieser Beziehung unterscheidet sich Arndt nicht von seinem Vorbild. Es ist aber nicht richtig, wenn man ihm in bezug auf die Frühzeit das Ziel exakter Wissenschaft als Selbstzweck abspricht. Sein Ziel war es durchaus, aber diese Zielsetzung verkannte sowohl die Schwierigkeiten der Sache als auch die eigenen Verstöße.gegen diese Theorie. So wurde in der gleichen Abhandlung, die gegen die moralisierenden Historiker scharfe Worte der Ablehnung hatte, die Berechtigung verteidigt, die Griechen an dem Maßstab der Güte und Gerechtigkeit zu messen, zu fragen, wie sie die Menschenrechte achteten und verachteten. Auch die „Reisen" schwankten in der Maßstabfrage, und es geht zu weit, wenn die Beurteilung von Personen und Völkern nach ihren immanenten Kräften als die einheitliche Wurzel der ganzen geschichtlichen Auffassung der Frühwerke bezeichnet wird. In den „Reisen" trat das Problem der geschichtlichen Erkenntnis noch ganz.zurück. Die Freude an der Bereicherung des eigenen Lebensgefühls durch Anschauung neuer Formen eines fremden Menschen- und Volkstums lehrte ihn die Begrenztheit des eigenen Lebenskreises erkennen und weckte die Achtung vor dem Andersartigen. Aber das bedeutete, wie wir sahen, zunächst nicht viel für das wirkliche historische Urteil. Der Abhandlung über die Freiheit der alten Republiken fehlte trotz der Anfangsworte vom ewigen Spiel des Lebens der Welt und des Menschen der eigentliche Begriff einer Entwicklung und einer dadurch bedingten historischen Distanz. Vielmehr herrschte die etwas sentimental gefärbte Ansicht der Aufklärung von der ewig gleichen Menschennatur und die später so kraß bekämpfte Theorie vom ewigen Kreislauf der Begebenheiten und dem steten Wechsel von „progressus" und „recessus", „ortus" und „interitus" 9 ). 9) H u m e s Ausfälle: H u m e : a. a. O. p. 481 f f . ; vgl. G. F ü e t e r : „ G e s c h i c h t e der neueren Historiographie" 1911 p. 366. Müsebeck: Lebensbild a. a. O. p. 80, 72 scheint das zu verkennen. — Werturteil über die Griechen: E m W 10 ff. 43. — M a ß s t a b f r a g e in den Reisen: III 62: „Freilich, wer gar kein Maß hat, k a n n andre nicht messen, aber jeder hüte sich nur, sein Maß für das einzige in der W e l t zu h a l t e n " ; ib. IV 168 f.: „ S o wie der einzelne Mensch sein Gefühl als Maß hat, woran er die Menschen hält, die ihm auf der Landstraße des Lebens begegnen, so hat er, wenn er von dem Leben und den Sitten eines Volkes reden will, kein anderes, als seine eigne N a t i o n . " Müsebecks A u f f a s s u n g geht zu weit, weil der wichtige Unterschied der 1. u. 2. A u f l a g e keine B e a c h t u n g gefunden hat. Müsebeck: Lebensbild a . a . O . p. 78 (s. darüber u. S. 29). — A c h t u n g vor dem Andersartigen : Reisen
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Den ersten großen Antrieb zu einer geschichtlichen Betrachtung, die der Eigenart des Gegenstandes mehr gerecht wurde, brachte die Theorie vom Einfluß des Klimas auf die menschliche Natur. Sie wurde Arndt wahrscheinlich vermittelt durch Montesquieu, den er selbst als Gewährsmann angibt, und bildete sich dann später unter Herderschem Einfluß zu jener Art naturhistorischer Völkergeschichte aus, die die besondere Form der kontemplativen Seite seines historischen Schaffens wurde. Sie findet sich zuerst ausgesprochen in der „Dissertatio" von 1800, noch ganz in der alten Form von der Wirkung des Himmels auf die verschiedenen Zonen der Erde, und vereinigte sich nachträglich mit den Erlebnissen der Reise, die nun in einem ganz neuen Lichte erschienen. Denn erst die neue Auflage der „Reisen" von 1804 brachte als wichtigen Zusatz eine durchgeführte Gegenüberstellung des Nord- und Südländers in Analogie mit der Verschiedenheit ihrer Umwelt und die Forderung eines schonenderen Urteils über Nationen und ihren Charakter wegen der „ungeheueren Einflüsse, die die Naturdinge auf das Naturding Mensch haben". Damit bahnte sich eine neue Art der Weltbetrachtung an, die sich aufs schärfste von der anfänglich überwiegenden negativen Skepsis unterschied. Sie wurde getragen von der Freude an der Mannigfaltigkeit und Unendlichkeit des geschichtlichen Lebens und hatte als Ziel die Einordnung der eigenen Individualität in die Gesetze der Welt, in Land und Volk und Zeit. Für die Einstellung im Sinne Humes dagegen war all das letzten Endes doch nur Mangel an Einheit und philosophischer Begreifbarkeit. Arndts Ideal in dieser Hinsicht war der epikureische Weise, der als isolierter einzelner, unabhängig von seiner Zeit, mit himmlischer aoa^goavvij auf das Tun und Treiben um sich her sieht, es weder verurteilt noch preist, sondern still und bescheiden die Notwendigkeit ehrt. Die Bezugnahme auf die Gegenwart wurde darum tunlichst vermieden, weil Liebe und Haß zu schneidend ihr Recht fordern könnten. Wenn die Versuchung dazu dennoch nahte, so trat ein plötzliches: „Still! Mich soll das alles nicht kümmern!" Einhalt gebietend dazwischen.10) Schon hier erscheint als Lösung vor den bedrängenden Problemen der Gegenwart und Zukunft jenes Motiv des Spiels, V 123. — Ewiges Spiel: E mW 3. — Gleiche Menschennatur: Reisen III 335. — Kreislauf: Dissertatio §§ 16, 18. 10 ) Montesquieu: Dissertatio § 6. — Klimatheorie: ib. §§ 4 — 7 . — Nord- und Südländer: Reisen 2. A u f l . I I 202 f. Schon hier ist die ethische W e n d u n g der Klimatheorie erkennbar. — Sophrosyne: E m W 5. Vgl. Dissertatio § 18. — Bezugnahme auf die Gegenwart vermieden: Em W 9; Reisen IV 171. Dort, die angeführte Stelle.
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das ihn auch später immer wieder vor der Verzweiflung bewahren mußte, indem es ihm Wege der Zuflucht wies in ein ewiges Kinderland. Eindrücke aus Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung und aus der Welt Jacob Böhmes mit ihrem ewigen „Liebespiel" der Geister, vielleicht auch ein Wort Georg Forsters, mögen ihm zuerst den Gedanken vermittelt haben, „daß wir mit allem, wie die Kinder, spielen müssen, um sein Ernsthaftestes und Größtes zu begreifen". Auch das war ein Gleichklang mit dem neuen Lebensgefühl der Romantik; aber im Gegensatz zu dem Überhandnehmen des phantastischen Spiels mit allem und zu allem hin in der romantischen Poesie hat Arndt ihm immer nur vorübergehend Raum gewährt und sich das Untertauchen in die Wunder der inneren Welt nur als letztes Mittel gestattet, um den allzu bitter empfundenen Widerständen in der äußeren Welt des Strebens und Wirkens ihre schmerzlichste Schärfe zu nehmen 11 ). Die inneren Gegensätze und Unklarheiten der jugendlichen Weltanschauung mußten ganz besonders in Erscheinung treten, wenn eine Antwort auf die Frage nach Sinn und Ziel des historischen Geschehens versucht wurde. Im Sinne der Geschichtsaufn
) Spiel: „daß wir mit allem..": Reisen IV 174. Vgl. E mW 3 („Ewiges Spiel ist das Leben der Welt und Spiel das Leben des Menschen . . ."); G E 264L (nehme die ganze Natur als ein Spiel); Ideen 15 (Saiten- u. Seelenspiel des unendlichen Makrokosmos); Br a Fr I 154 (Welt als Kinderspiel behandeln); G E: Tugend als Spiel s. u.; Schiller: „Über die ästhetische Erziehung des Menschen" X V . Brief. Böhme: S . W . Schiebler II („Aurora") p. 139 (Gottes Liebespiel); IV p. 450 (eine klingende Saite in Gottes Saitenspiel sein); 452; 478; V p. 3; 82 (Zeit ein Spiel vor Gott; der innere göttliche Mensch sollte in dieser Welt spielen); I p. 158. V I p. 160. Forster: Sehr. I I I p. 139 f.: „Schön ist das Schauspiel ringender Kräfte, schön und erhaben selbst in ihrer zerstörendsten Wirkung"; „. . . Begebenheiten, an denen man nichts ändern kann, als Schauspiele zu betrachten." Der Begriff des Spiels ist für die Romantik ein zentraler; [F. Schlegel: Minor I 8 1 ; Novalis: Sehr. Minor III p. 70, 25; Schleiermacher: „Reden über die Religion usw.", Krit. Ausgabe v. Pünjer 1879 p. 4; Schelling S. W. I 3 p. 602]. E r dürfte vielleicht jenem der „occasio" entsprechen, den K. Schmitt-Dorotiö als Charakteristikum des romantischen Verhaltens bezeichnet hat, und der als solcher in der Romantik nicht vorkommt. [SchmittDorotiö: „Politische Romantik" 2. Aufl. 1925 p. 23, 140, 193.] Auf das Fehlen des Begriffes weist hin J. Petersen: „Die Wesensbestimmung . . ." a. a. O. p. 153. Als entsprechend werden dort „Phantasie", „ T r a u m " , „Sehnsucht" angeführt. Doch erscheint mir der Begriff des Spiels bezeichnender und dem der „occasio" verwandter. — Begrenzung des Begriffs bei Arndt: Br M 140 (26. 12. 13): „Mit vielem kann auch ich spielen, aber nie mit dem Heiligen."
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fassung Humes war die Frage überhaupt abzulehnen und Beschränkung auf bloße Kollektion von einzelnen Tatsachen geboten; denn das Ganze war ja ein Rätsel und unerklärlich. So finden wir denn auch bei Arndt Äußerungen, die ein Hinausgehen über das rein Tatsächliche zu den tieferen Ursachen, jedes Deuten an Schicksal und Vorsehung verurteilen und das Gebiet der dunklen Gesamtmächte Volk und Zeit möglichst eng abzugrenzen suchen zugunsten des Zufalls und der Willkür des einzelnen Menschen. Es war ein naives Überschreiten dieser Grenze, wenn in der „Dissertatio" unter Berufung auf „historia" und „experientia" Rousseaus Negation der Kultur bestritten wurde. Denn die Sinnfrage wurde dabei nicht zurückgewiesen, sondern positiv beantwortet: der Mensch ist von Natur zum Fortschreiten berufen; der status civilis ist dem rohen Naturzustand der Wilden vorzuziehen; der Mensch ist deshalb ohne den Instinkt der Tiere auf die Erde gesetzt, damit er durch die Notwendigkeit zur Humanität erzogen werde. Auch in den „Reisen" findet sich ein Rest Aufklärungsoptimismus: der Gedanke von der ständigen Veredlung und Vervollkommnung des Menschengeschlechts zu einem Reich der Frommen; die Ansicht, daß nur Irrtum, Schwäche und Laune des Schicksals die Immoralität der Menschen verursacht haben; ferner die Bevorzugung der „gebildeten Zeitalter" und die Verachtung des Mittelalters als Zeit der Finsternis und Barbarei 12 ). Aber das alles wurde wiederum auch in Frage gestellt durch skeptische und realistische Gedanken, für die es feststand, daß es auf der Welt nichts Vollkommenes, vor allem kein Reich der Gerechtigkeit geben könne, und die kaltblütig mit der Vermutung spielten, ob die gegenwärtige neue Welt nicht vielleicht schon zu entartet sei, um überhaupt die Vollendung zu erreichen. Den philanthropischen Illusionen trat der nüchterne Realismus entgegen, der wußte, daß der vollkommene und unschuldige Mensch der Philosophen nur in den Fabelspielen der Phantasie existiere, und die naive Wertskala der Aufklärung mußte sich mit dem Gedanken vertragen, daß alle Bewertungen „beziehlich" sind und daß nichts 12 ) Ablehnung der Sinnfrage: Reisen V 272 f.; IV 281. Über Hume s. Anm. 7. — Fortschrittsgedanke: Dissertatio §§2, 7, 16, 1 8 . — V e r v o l l k o m m nung: Reisen IV 287; III 335. •— Mensch gut: ib. V 216. •— Gebildete Zeitalter: ib. V 287. — Mittelalter: ib. F I 2 7 8 ; I 95. Doch ergriff ihn bereits jetzt ein Gefühl der Ehrfurcht vor den gotischen Bauten: ib. VI 270; I 97: „ D i e Sebaldus- oder Domkirche ist unstreitig eines der schönsten altgotischen Gebäude. Man wird von einer tiefen Ehrfurcht und einem heiligen Schauder durchdrungen, wenn man in das tönende Dunkel eintritt . . . usw." [aus Nürnberg],
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groß oder klein wird in der Reihe der Dinge als durch das angelegte Maß13). Die Geschichtsauffassung der Frühzeit zeigt nach alledem ein Vorherrschen der kontemplativen Richtung. Aktive Ziele fehlten zwar nicht ganz, aber sie beschränkten sich zunächst auf rein persönliche Pläne einer pädagogischen Wirksamkeit für Aufklärung und Unterricht des Volkes. Allerdings regte sich in dieser Sympathie für das einfache Volk auch bereits ein Ahnen eigener späterer Wege, ein Vorgefühl der inneren Bestimmung, das der aristokratische Individualismus der Frühromantik nur vorübergehend etwas beirren konnte. Die Worte am Eingang der „Reisen": „Mir ist wohl unter euch Menschen aus niedrigem Volk" entsprangen einem echten, fast ehrfürchtigen Gefühl. Er unterschied schon damals sorgfältig zwischen Volk und Pöbel, und als er in Marseille in den Strudel der erregten südländischen Menge hineingerissen wurde, ließ er sich mittragen und verschlingen und empfand zum erstenmal das Befreiende und Erhebende eines solchen Aufgehens im großen Ganzen 14 ). Aber diesen Äußerungen einer erwachenden Aktivität fehlte die Bindung an überpersönliche objektive Mächte und die innere Reife, um den persönlichen Zielen den weiten Horizont und die gediegene Kraft eines aus innerer Nötigung ergriffenen Berufs zu geben. Deshalb blieben sie ohne Rückwirkung auf die Geschichtsauffassung. 13 ) Nichts Vollkommenes: EmW 48, 5; Reisen IV 287; III 335. — Zu entartet: EmW 72. •— Vollkommener Mensch in der Phantasie: Dissertatio § 10; vgl. Laag a. a. O. 125, der aber den Widerspruch gegenüber Reisen V 216 (s. Anm. 12) nicht beachtet. — Beziehlich: EmW 4. 14 ) Ich kann mich der Auffassung Müsebecks nicht anschließen, der Arndts Haltung auch in der Frühzeit bereits ganz auf „die idealistische Sittlichkeit des Handelnden" zurückführt im Gegensatz zu der „rationellen Erkenntnis . . . des Betrachtenden" bei Hume. Die Quellen verraten nichts davon. Müsebeck: Lebensbild a. a. O. p. 81. —r- Sophie v. La Roche veröffentlichte in ihrer „Reise von Offenbach nach Weimar und Schönebeck im Jahre 1799" Lpz. 1800 p. 328—46 einen Bericht über ihr Zusammentreffen mit Arndt, wo es am Schluß heißt: „und segnete bei dem Abschied den Herrn Arndt wie einen Sohn, besonders weil ich wußte, daß er sich in seinem Vaterland der Verbesserung der Schulen annehmen wolle, da in diesen allein die Grundlage zum rechtschaffenen und denkenden Mann entstünde. Er würde auch, sagte er, ehender die Stelle eines Schullehrers als die eines Pfarrers suchen." In dieselbe Richtung weisen bereits Reisen V62 ; VI 287. Damit ist die Vermutung Müsebecks hinfällig, daß die pädagogischen Pläne Arndts im Zusammenhang mit dem Verkehr mit Fanny Tarnow entstanden seien, die er erst später kennenlernte. Müsebeck: Lebensbild p. 87. — „Mir ist wohl. . ." : Reisen 110 (nur 1. Auflage!); Volk u. Pöbel: ib. V 211 ff.; Marseille: ib. IV91.
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KAP. III. ZUR CHARAKTERISTIK ARNDTS. Eine entwicklungsgeschichliche Betrachtung der Geschichtsauffassung Arndts darf nicht verkennen, daß gewiß nicht alles in dfen geistigen Äußerungen der Persönlichkeit sich entwickelt, sondern daß es gerade bei dem schöpferischen Menschen auch ein Bleibendes gibt, das aus dunklen Ursprüngen stammend mit der Individualität selbst gegeben ist und als zähes Eigenes, die E n t wicklung kontinuierlich begleitend, die Grundlage bildet für einen großen Teil aller Wandlungen und Entscheidungen des Lebens. E s ist eine der reizvollsten Aufgaben einer wahren Entwicklungsgeschichte, dies Bleibende in den Verwandlungen zu erkennen und unter dem mannigfachen Spiel von Lichtern und Schatten, das der Wechsel von Ansichten, Empfindungen und Bestrebungen darüber breitet, die großen einfachen Linien der ganzen Gestalt hervortreten zu lassen. Indem wir bei unserer Untersuchung die eigentümliche Doppelrichtung Arndts auf die vita contemplativa und vita activa in ihrer Auswirkung auf die Geschichtsauffassung verfolgen, Ist ein solches Miteinander von Bleibendem und Sich' entwickelndem schon durch die Art der Aufgabe in den Vordergrund gerückt, und man könnte versuchen, auch die übrigen Züge seines geistigen Antlitzes so zu zeichnen, einen jeden an der Stelle der Entwicklung, wo er besonders deutlich erkennbar ist. In einem hohen Grade ist das sogar unumgänglich, da erst dadurch das volle Verständnis für das Gedankengut der jeweiligen Stufe möglich ist. Aber angesichts der verschiedenen Beurteilung, die die Gesamtpersönlichkeit Arndts erfahren hat, scheint es angemessen, davon teilweise eine Ausnahme zu machen und durch eine zusammenhängende Betrachtung auf einige weniger beachtete Grundzüge seines Wesens hinzuweisen, durch die erst sein Denken als Ganzes verständlich wird. Man hat bisher in der Arndtforschung über dem Interesse an der Entwicklung und Wandlung seines politischen Empfindens eine andere Wandlung ganz übersehen, die eigentlich bedeutender und erklärungsbedürftiger ist. Muß man nicht auch einmal fragen: wie wurde aus dem Privatmann und Greifswalder Gelehrten mit seinem engen Wirkungskreis der Vorkämpfer der Freiheit und Einheit seines Volkes, der, wie er später nicht mit Unrecht sagte, als ein „Kleiner und Armer" das Weltschicksal mit auf seine Schultern nahm 1 ) ? Man kann das nicht einfach auf die weitere Verbreitung einiger Bücher zurückführen, sondern die innere Haltung entscheidet. Man muß sich fragen, wo die Wurzeln dieser größeren l)
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— 34 — Wirksamkeit liegen, auf der letzten Endes das historisch Bedeutende seines Lebens beruht. Eine solche Frage kann nicht umhin, die tieferen und schwerer zugänglichen Schichten seiner Persönlichkeit zu berühren, und man würde mit Recht an der Möglichkeit einer befriedigenden Antwort zweifeln können, wenn nicht Arndt selbst sehr gewissenhaft immer wieder die Rechtmäßigkeit und Eigenart seines höheren Berufs einer strengen Prüfung unterzogen hätte. Gerade hierbei zeigt es sich wieder, daß es gefährlich für eine Arndtbiographie ist, die „Erinnerungen aus dem äußeren Leben" allzu stark heranzuziehen. Denn das Gesamtbild, das dort gegeben wird, gleicht einem alten Gemälde, dessen nachgedunkelte Farben zwar größere Einheitlichkeit gewonnen, aber an Reichtum und Leuchtkraft viel verloren haben. Die Jahre des männlichen Ringens hatten in Wirklichkeit hellere Lichter und tiefere Schatten, und ihre Gedanken und Ziele wagten höheren Flug, als die wissende Erinnerung des alten Arndt erkennen lassen wollte. Die Zeit, die das Werden und Wirken Ernst Moritz Arndts umfaßt, war in vielfacher Hinsicht eine Übergangszeit. Solche Zeiten lassen die Gegensätze vergehenden und aufblühenden Lebens stärker hervortreten und wecken dadurch in den einzelnen Individuen in verstärktem Maße die Antriebe, die eigenen Kräfte in das bewegte Leben des Allgemeinen einströmen zu lassen. Das gilt nicht nur von den ganz großen Persönlichkeiten, die berufen sind, das Werdende mit ihrem Geist zu prägen, sondern auch von Naturen mittlerer Stärke. Sie werden dann gleichsam über sich selbst emporgehoben zu allgemeiner Bedeutung, während sie zu anderer Zeit ihr Dasein in engeren Kreisen beschließen2). In die Reihe dieser Gestalten, für die man aus der Reformationszeit etwa Hutten anführen könnte, gehört auch Arndt, und man tritt seiner berechtigten Bedeutung nicht zu nahe, wenn man darauf hinweist. Aber dies Verhältnis zur Zeit war allerdings ein wechselseitiges: er wurde nicht nur durch die Zeit gehoben, sondern die Zeit bedurfte auch seiner, und er gehorchte diesem Ruf der Zeit mit einem Ernst und einer Selbstvergessenheit, die Bewunderung verdienen, gerade weil die unbedingte Schicksalsweihe letzter Größe fehlte und Berufung und Selbstberufung sich in oft schmerzvoller Ungewißheit durchdrangen. Das eigenartige Zugleich kontemplativer und aktiver Elemente seines Wesens erscheint von hier aus 2) F. Meinecke: „Die Bedeutung der geschichtlichen Welt und des Geschichtsunterrichts für die Bildung der Einzelpersönlichkeit.'' Gesch. Abende im Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht 1018. Heft 2 p. 15 ff.
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nur als ein besonderer Fall dieses seines Schicksals: nur durch die letzteren war er verbunden mit dem großen Ganzen, als kontemplativer Historiker hat er zeitlebens etwas rein Persönliches behalten 3 ). Die Empfindungen der ersten Jünglingszeit mit ihrer Sehnsucht zugleich in die unbegrenzte Weite der Phantasie und in die engste Enge häuslichen Friedens unter Blumen und Bäumen enthielten ja schon das Motiv der späteren Entwicklung, wenn sie sich auch noch fast ganz auf die Seite des „stillsten, einsamen, ungewußten Lebens" neigten, und so konnte er in dieser Hinsicht noch 1844 von sich sagen: „Das Bild meines Lebens steht mir noch, wie es im 17. Jahre schon gestanden: auf der einen Seite ein wehmütiger tiefer Ernst, auf der andern ein loser parodischer Scherz Gottes unter den übrigen Bildern einer wunderbar verhüllten Welt", oder noch später im gleichen Sinn: „Und so duld ich mich selbst, trage den Schalk und den Gott" 4 ). Denn die Hinwendung zum „großen Leben" war nicht eine einmalige Entscheidung, sondern eine immer wiederkehrende schwere Wahl, bei der die Stimme der Sehnsucht nach Ruhe und Glück immer von neuem zum Schweigen gebracht werden mußte. Seit 1799 finden sich die Zeugnisse dafür in Gedichten und Briefen, besonders in denen an Frau v. Kathen, an jedem Wendepunkt seines Lebens, und noch 1815 auf der Höhe seines Wirkens konnte er ihr schreiben: „Wo das Leben mich auch zuweilen wild umtreibt, denken Sie mich immer auch in dem freundlichen Reigen der stillen Seelen." Aber doch gehörte die Entscheidung über die Zukunft nicht den Wünschen und Gelüsten der „gemeinen und irdischen Seele", sondern sie stand dort, wo die Pflicht die weiteste 3)
Zeit bedurfte auch seiner: R . H a y m : „ E . M . A r n d t " 1860 p. 6 f. — Berufung und Selbstberufung: eine Briefstelle der Spätzeit spricht dies ganz klar aus: „ I c h habe auch meine Rolle gefühlt, wozu ich berufen war und mich selbst berufen h a t t e . " (An K a r l Friccius 14. 7. 1840, Deutsche R e v u e 44, 4. 1919.) 4) Zweiheit: Erg Ges 475: „ A b e r das ist wahr und bleibt wahr, die Zweiheit, die ich in allen Menschen voraussetzen muß, wo der T r ä u m e r und der Wacher in mir immer nebeneinander herspazieren, m a g in mir wohl in einem besonderen Grade gewesen s e i n " ; ib. 503: ,,So sehr schien ich ursprünglich für ein stillstes, einsames, ungewußtes Leben geboren zu sein" — Stille: „Stiller W u n s c h " , Berg Taschenbuch 1801 p. 1 1 4 : „ N i c h t s Großes, gute Götter / Erfleht mein Herz v o n euch. / E i n Gärtchen grüner Blätter / Mit schilfbekränztem Teich j usw.". — 1844: A n die Schwester 10. 6. 44. Br L 38g; — „ U n d so duld ich .. . " : „Donnergemurmel und Blitze aus der Ferne" (1853) Ww Meisner V 237 ff.
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Bahn wies und „wohin das Ernsteste in der Brust winket". Die Zeit riß ihn immer wieder ins Außenleben. So wurde die einmal :— wenn auch nur in Umrissen -— ergriffene Aufgabe zur höchsten sittlichen Verpflichtung und mahnte zu stetem Ringen um ein „großes tugendliches Leben", von dem er wußte, daß es nur durch den schweren Kampf des ganzen Lebens gewonnen wird. Das Persönlichkeitsideal der Klassik, das ihm zunächst auch für sich selbst als Krönung alles Strebens gegolten hatte, trat mehr und mehr zurück hinter dem Wirken für die große Sache, zu der sein Herz ihn unabweisbar zog. Durch die Hingabe an das Allgemeine lernte er erst das Schönste und Herrlichste des Eigenen begreifen, und er trat für diese seine Lebensform ein, indem er sie vor Johanna Motherby im Hinblick auf Wilhelm v. Humboldt abgrenzte von den Männern, „welche die Persönlichkeit selbst sind", und ihr offen bekannte, daß ihm die Liebe des Vaterlandes über alles ginge, auch über die Liebe zu ihr. Wo es zum Konflikt kam, da opferte er, der sonst das Recht seiner Liebe und Lebensfreude unbekümmert und frisch ergriff, die „kleine Liebe" mit echtem Stolz der größeren, weil er wußte: „Ich bin mein Herr nicht mehr, seit ich besser geworden bin als die Menge 5 )." Das gleiche gilt von seiner Einstellung zum Ruhm. Mochte auch über dem ersten freieren Regen der Schwingen der Gedanke des Ruhms als ein lockendes Zauberbild von Zeit zu Zeit aufleuchten, und mochte ihm später im Alter die Gewißheit des Fortlebens in seinem Volke unendlich teuer sein, so wußte er sich doch in den innersten Antrieben zu seinem Tun und Wirken frei von solchen Motiven. Er hat den Ruhm immer sehr positiv bewertet, und seine Geschichtsschreibung sah ihre Aufgabe auch in diesem Künden und Bewahren edler Taten im Gedächtnis der Nachwelt. 5) „großes Leben . . .": Br M 126 v. 7. 10. 13. •—• Wahl: s. o. S. 7 Anm. 6; An Ch. v. Kathen: Br K 32 f. (18. 9. 05), 37ff. (1. 12. 05), 7 2 I (30. 9. 10), Br H 186 f. (12. 9. 11), Br K 131 f. (8. 5. 14), 133 f. (24. 7. 14), 159 ff:
(23. 2. 17); ,,Auf dem Rugard im September 1810", Ged 1811 349ff. [Zur Datierung auf 1810 vgl. E. Gülzow Br H 181 f.] —- 1815: Br K 190 (25. 4. 15). — Gemeine und irdische Seele: G Z III 150. — Pflicht usw.: Br M 129 (3. 11. 13). — Zeit reißt ins Außenleben: Br K 140 (21. 6. 15). — Sittl. Verpflichtung: Br M 129 (3. 11. 13): „doch bin ich in eine furchtbare Gewalt gegeben, sie heißet Arbeit und Pflicht"; vgl. ib. 126 (7. 10. 1 3 ) . — Großes Leben nur durch Kampf: Br H 188 (11. 11. 11 an Ch. v. Kathen); Br aFr I 116. — Begreifen des Eigenen: Engld Fr, Sehr. I p. 468. — Vaterlandsliebe über alles: Br M 80 (9. 6. 13). — Humboldt: Br M 105 (4. 7. 13). -— Frisches Ergreifen: „ L u g ins Leben" (1813) Ww Meisner IV 61; Br a Fr II
246. —
Opfer der kleinen Liebe: Br M
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So scheute er sich nicht, frei und unbedenklich zu bekennen welche Hoffnungen und Wünsche auch durch seine Seele gingen: „ J a , ich brenne von einem edlen Geiz. Das Herz, das nicht nach Unsterblichkeit lechzet als nach dem göttlichsten Besitz, wird nimmer Großes vollbringen. Ich liebe die Unsterblichkeit, darum liebe ich Freiheit, Licht und Gesetz. Aber ihr, die klein denkt und richtet, wie ihr klein tut und leidet, gebt mir ein freies, glorreiches Vaterland, und nie mag mein Name genannt werden als in meinem Hause und bei meinen Nachbarn." Als er 1 8 1 3 Gneisenau seine Dienste anbot, „um für das Große mitzuwirken in Rede und Schrift und mit dem Degen in den Reihen", konnte er nach bestem Wissen und Gewissen sagen: „Nicht daß ich großen Ruhm zu erwerben meine, oder mein Leben nicht achte, sondern weil jeder das Beispiel geben muß und weil ich an ein Schicksal glaube, das lange über mich bestimmt hat." Er wußte im Alter, daß er nur dadurch etwas war, daß ein Gedanke ihn 50 Jahre regiert hatte und daß er diesem Gedanken „wie ein ehrlicher Kerl immer treu geblieben" war. Den Zweifeln über Fug und Recht seines Berufs setzte er den festen Entschluß entgegen: „Der Wille eines Menschen, in ihm selbst ausgesprochen und erklärt, muß einem Manne endlich auch wie ein Schicksal sein, wenn ein größeres Schicksal nicht eine Änderung bringt 6 )." Man darf jedoch aus diesen Äußerungen nicht auf ein Überwiegen des bewußten Willens in der Wirksamkeit Arndts schließen. Der Anteil des Willens daran war nur der Entschluß, dem inneren Verhängnis unbeirrt zu folgen, das eigentümliche Pathos seiner Rede entsprang den tieferen Quellen schicksalsmäßiger Gebundenheit an Volk und Zeit. Als ein unbestimmtes Ahnen von Arbeit, Not und Gefahr umklangen Töne der Zukunft die sorgenlos heitere Kindheit, und wie ein Schatten künftigen Schicksals lag es über der unruhvollen Einsamkeit und strengen Selbstzucht der Jünglingszeit. Wohl kannte sie bereits die Stimme des inneren Genius, aber sie schien doch mehr die eines Kobolds, von dem man nicht wissen konnte, ob er als fester Stern zur Höhe e
) Ruhm: s. o. S. 7 Anm. 6; ferner ,,An meinen Vater" (1799), Ged 1803 157. — Gewißheit des Fortlebens: ,,Anklage einer Majestätsbeleidigung des großen dänischen Volkes", Sehr IV 289: „nimmer mit . . . der aura popularis gebuhlt . . . fühle mit Dank gegen Gott, ich besitze die Liebe und Achtung vieler besten Deutschen . . ." — Geschichtsschreibung zum Künden von Ruhm: SchwGesch 3 5 6 ! , 3 9 0 . ' — „ J a , ich brenne . . . " : G Z II 4, 175. — An Gneisenau: Br Pick, 14.3. I 3 ; v g l . i b . B r i e f v . 7 . 2 . 13 u. G Z III 151 f. — „wie ein ehrlicher Kerl . . .": An Karl v. Kathen Br L 395 (24. 2. 45); vgl. Ho 52.-—„Der Wille . . .": Br K 160 (23, 2. 17).
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oder als tückisches Irrlicht in Sumpf und Nebel führte. Wie dann die ersten eigenen Schritte auf vorbestimmten Wegen getan waren, wurde der leise Takt des inneren Dämons vernehmlicher und die Scheu größer, ihn zu verletzen, und in solcher Wechselwirkung von bewußten Zielen und unbewußtem Zug des Herzens reifte er den Aufgaben entgegen, die das Schicksal ihm zugedacht hatte. Was dieser Jugendentwicklung ihr Gepräge gab, war das höhere Gesamtgefühl, der „Atem, der zuweilen durch ein Blasen des Geistes atemlos wird". Das war damals die gemeinsame Lebensluft der jungen Generation in Deutschland, die die W7elt als schwanger von kommenden großen Dingen empfand, und das vermißte er später an der Jugend der dreißiger und vierziger Jahre. Als die äußere Lage am hoffnungslosesten war, als Heimat, Liebe und Amt verloren und die Aussicht auf ein freies deutsches Vaterland durch Napoleons Siege über Preußen und Österreich ganz dahin zu sein schien, da brach das Bewußtsein, von höheren Kräften getrieben zu werden, das „Instrument eines unbekannten Gottes" zu sein, immer mächtiger hervor und machte den Entschluß nur noch fester, dem Wehen des Geistes zu gehorchen und nicht zu wanken im Willen, Glauben und Hoffen 7 ). In dem Feuer dieser inneren Leidenschaft schmolz Schicht um Schicht seines Wesens, und auch die lange festgehaltene Form wissenschaftlicher Betrachtung verlor ihren früheren Charakter als Selbstzweck und wurde Werkzeug des Wirkens. Er lernte scheiden zwischen der Ansicht des Betrachtenden und des Handelnden, und indem er der Kontemplation das Recht auf die Entscheidungen seines Handelns versagte, vermochte er zugleich die irrationalen Voraussetzungen dieses Handelns tiefer zu verstehen. „Der Betrachtende mag die Zeit und was er ihre neuste Bedeutung . . . 7 ) Jugendahnungen: „ A n A n t o n i a A m a l i a . . . " (1812) Ww Meisner III 315 f.; „ L e b e n " (1803, nicht 1805, da bereits Storch 367 gedruckt). — Jünglingszeit: „ A n J. J. G r ü m b k e " (1799), Ged 1803 39; „ A n E r n s t L u d w i g v. G a g e r n " (1799), Ged 1803, 64: ,,Wir sehnen das, was wir doch nicht verstehen, / W i r wollen das, was wir doch nie erlangen"; „ K l a g e u m Liebe und F r e i h e i t " (1801), Ww Meisner III 1 2 1 ; kennzeichnend dafür auch die Zeichnung d e s S t a m m b u c h s (s. o. S. 16 A n m . 17): Weihgefäß, darunter Schwert und Feder; Unterschrift: „ H o c olim meminisse j u v a b i t . " — Genius als K o b o l d : „ A n meinen V a t e r " (1799), Ged 1803 151 f.; — T a k t des inneren D ä m o n s : Br a Fr I 90—94. — Scheu, ihn zu verletzen: G Z I 30. — „ A t e m , der zuweilen ..."•. Br K 352 (1. 4. 42). — „ I n s t r u m e n t . . . " : Br I< 75 (18. 11. 10). — Gehorchen: Br K 117 f. (23. 1. 12); 131 (8. 5. 14); A n Schildener, Br L 66 (27. 10, 1 1 ) ; A n die Schwester, Br I. 72 (12. 3. 12) ; Br M 80 (9. 6. 13); Ps 193 f.
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nennt, so würdigen; der Handelnde wird durch etwas anderes geleitet und ewig durch etwas anderes geleitet werden, durch eine dunkle Macht, die auch in dem Zeitalter ist, und durch eine dunklere Liebe, die er sich nicht erklären mag, auch wenn er könnte, durch jene tiefe Liebe, die in seinem Volke, seiner Sitte, seiner Sprache von Kindheit auf mit dem innersten Kern seines Daseins unauflöslich verwachsen ist. Töricht ist der Wahn, verbrecherisch die Vermessenheit und verrucht die Absonderung von dem Ganzen, wenn der Betrachtende sich unterwindet, das, was man die Zeit nennt, selbst bauen und für die folgenden Geschlechter wachen zu wollen . . . Nur die volle brennende Seele, das ganze menschliche Gefühl, ohne an eigene Zwecke und an verborgene Plane der Vorsehung zu denken, wird in der Wirklichkeit das Große und Herrliche schaffen und vollbringen und der Zeit den Namen geben. . . . Der höhere Geist, der gerade lebendig ist, wird sich dem Tüchtigen und Redlichen gesellen und seinem Willen und seiner Tat, seinem Worte und seinem Werke den Stempel aufdrücken, durch welchen sie von den Zeitgenossen anerkannt werden 8 )". Aber auch so hingegeben an die dunklen Triebkräfte des handelnden Lebens, deren innerste Wurzeln er an sich selbst erfuhr und daher auch in seiner Geschichtsbetrachtung zu würdigen vermochte wie nur wenige seiner Zeit, verließ ihn nicht das Verlangen nach Helle und Klarheit. Wie von den Allzunüchternen, so grenzte er sich und seine Art auch ab von den Nur-Triebhaften und mystischen Liebhabern des Dunkels: „Auch diejenigen, welche wir das Lebendige in der Zeit nennen, sind zweierlei und sind in jeder Zeit zweierlei gewesen; die einen folgen aus reiner Liebe dem süßen, gefährlichen Reiz ihrer Sonne, die andern werden von kleinem Geiz und törichtem Schimmer gelockt und sehen zugleich auf Ehre und Gewinn dabei hin. Beiderlei Geister sind leicht zu unterscheiden. Alle Besten von diesen so Fortgerissenen sind sich in einem gewissen Sinn immer unbewußt, denn in ihnen gerade ist die Gewalt des Schicksals und des Allgemeinen mächtiger denn die Gewalt des Willens und des einzelnen; aber in der größeren Sonnennähe werden die Freieren und Leichteren von ihnen ihrer selbst bewußt und sind zugleich Begeisterte und Erkenner, Propheten und Weise. Aber viele lassen sich zu der Sonne ziehen durch den Farbendunst, der keine Gestalt, durch den Schimmer, der keine Wärme gibt; sie mangeln des Feuers in ihnen, das sie das elementarische Sonnenfeuer ertragen läßt; sie mangeln des stillen inneren s)
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Reizes, der von Glut zu Glut, von Licht zu Licht durstet, der Wahrheit und Tugend allein um sie selbst in ihnen finden will." Flammende Begeisterung verbunden mit kühler Besonnenheit, das war das höchste Wunschbild des eigenen Sehnens, das glaubte sein verehrungsfreudiges Herz eine Zeitlang in den führenden Namen des deutschen Geisteslebens seiner Zeit verwirklicht 9 ). Die beiden Abgrenzungen, die er von seiner Art zu handeln aus vollzog, waren zugleich polemisch: die erste gegen die vielen willigen Mitläufer Napoleons unter den deutschen Schriftstellern, die andere gegen Adam Müller gerichtet 10 ). Wollte man versuchen, dieser Polemik weiter nachzugehen, um vielleicht durch eine eingehende Gegenüberstellung ein tieferes Verständnis für Arndts Haltung zu gewinnen, so würde das bei den Genannten auf Schwierigkeiten stoßen, weil es ihnen selbst an voller Klarheit über ihre Art fehlte. Dagegen darf man vielleicht kurz auf Wilhelm v. Humboldt hinweisen, dessen Aktivität in ihrem völlig andersartigen Ursprung und Wesen durch die hohe Klarheit seiner Selbstanschauung in voller Schärfe faßbar ist. Trotz der großen Verschiedenheit ihrer Naturen besteht eine gewisse Übereinstimmung zwischen Humboldt und Arndt in dem Nebeneinander von kontemplativen und aktiven Elementen in ihrem Leben. Um so schärfer tritt auf dieser gemeinsamen Grundlage der innere Gegensatz hervor. Humboldt war ja eine Natur von allseitiger Empfänglichkeit ohne entschiedene Willensrichtung, und der Schwerpunkt seines Geistes neigte sich schon früh mehr zum „Sein" als zum „Tun". Er hat sein Zuschauertum in der Welt klar erkannt und oft ausgesprochen, am schönsten in dem Bruchstück einer Selbstbiographie. Aber er vermochte trotzdem, kräftig und wirksam in das politische Leben seiner Zeit einzugreifen. Da ist es nun bezeichnend, wie eng seine Aktivität sich an die kontemplative Grundrichtung seiner Natur anschloß. Wie er schon früh bei seinen charakterologischen Studien die Konsequenzen für Lenkung und Bildung der Menschen ins Auge faßte, so galt ihm nun von der Tätigkeit, daß sie nur im engen Anschluß an gründliche Betrachtung wirksam sein könne, „daß es kein anderes erfolgreiches Eingreifen in den Drang der Begebenheiten gibt, als 9) „Auch diejenigen . . . " : Bau pol 86. —Begeisterung und Besonnenheit verbunden: Ps 248, 233. 10 ) Arndt bezeichnet sein Verhältnis zu ihm Bau pol 103: „ W o die politischen Ansichten, die historischen Funde, die Antriebe des Herzens und die Grundsätze der Köpfe völlig verschieden sind, da stellt man sich und das Seine eben nur gegen das Fremde hin und läßt andere und die letzte Richterin, die Zeit, das Urteil sprechen."
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mit hellem Blick das Wahre in der jedesmal herrschenden Ideenrichtung zu erkennen und sich mit festem Sinn daran anzuschließen." Er kannte wohl auch jene andere Art des Handelns, wie sie Arndt verkörperte, aber sein klar geschliffener Geist, der alles Dämonische ausgeschieden hatte, empfand sie als wesensfremd: „Die Begierden aber, wie Zorn, Haß, Rachsucht, durch deren Befriedigung der Mensch bloß gewinnt, daß er sich ihrer kochenden Glut entladet, sind mir teils fremd gewesen, teils habe ich sie von mir willkürlich entfernt. Wenn sie zu rechtfertigen und heilsam in ihren Folgen sind, so sind sie es nur entweder in denen, in welchen der reine, von Haß und Erbitterung getrennte Rechtsbegriff zu schwach wirken würde, oder um Wirkungen hervorzubringen, zu denen, auch bei dem Stärksten, das Gemüt nur in diesen seinen Krankheiten Kraft genug hat, und dann erhält der Mensch die Gestalt einer Naturkraft, die ich wohl bewundere, aber selbst nicht annehmen mag." So gewähren diese beiden Gestalten durch die seltene Helligkeit ihrer Selbstanschauung einen tiefen Einblick in die seelischen Wurzeln ihres Wirkens und gewinnen in ihrer klaren Geschiedenheit typische Bedeutung 11 ). Als Arndt sich unter dem ersten niederschmetternden Eindruck der gegen ihn eingeleiteten Verfolgungen, die zugleich das für sich selbst Erreichte und die Idee, der er gedient hatte, zu vernichten schienen, auf das Eigenste und Unverlierbare besann, da war es dies Bewußtsein, durchdrungen gewesen zu sein von lebendigen geschichtlichen Mächten, die größer sind als alles Einzelne, das ihn aufrichtete: „Was du in strenger Arbeit dir erwarbst, Was du in schwerem Kampfe dir errungen, Wodurch du reich sein wirst, auch wenn du darbst, u ) Humboldt allseitig empfänglich: E. Spranger: ,,W. v. Humboldt und die Humanitätsidee" 1909 p.93. — M e h r zum Sein: W. v. Humboldt, Sehr. Akademieausgabe II 2 p. 69. — Selbstbiographie: ib. X V p. 453 ff.; vgl. An Caroline, 16./17. 5. 09, Briefw. hrsg. v. A. v. Sydow I I I p. 158. — Charakterologie zu praktischem Zweck: W. v. Humboldt: Sehr. a. a. O. II 2 p. 48f. — „daß es kein anderes . . .": ib. IV p. 40; ähnlich: An Schiller 22. 10. 03, Briefw. Schiller-Humboldt, hrsg. v. Leitzmann 1900 p. 315 u. S.W. II 2 p. 17, 49 f.; I 95 f. •—• Alles Dämonische ausgeschieden: E. Spranger: a . a . O . p. 80. — „Die Begierden . . . " : W. v. Humboldt: Sehr. a. a. O X V p. 456. — Nach einem Beisammensein mit Arndt 1816 schrieb Humboldt in bezug auf ihn an Caroline: „ F a s t alle Leute sind mehr, als sie selbst wissen" (An Caroline 30. 4. 16, Briefw. m. Car. a. a. O. V p. 237), Worte, die man vielleicht als eine Ahnung der tieferen überpersönlichen Züge im Wesen Arndts deuten darf.
— Und Das Das Und Dies
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siegreich, wenn dich auch Gewalt bezwungen — zarte Unsichtbare such' hervor, dünne Fünkchen aus der Götterflamme, jauchze: zittre Bube! zittre Tor! ist's, wodurch ich dir dein Nichts verdamme."
Dieser flüchtige Strahl des Genius, der auf seiner Stirn für Augenblicke wenigstens geruht hatte, ist wohl auch die letzte Ursache für sein lebendiges Fortleben im deutschen Volk, das in einer bis in die Gegenwart reichenden, ununterbrochenen Reihe populärer Lebensbeschreibungen seinen Ausdruck gefunden hat. Die gediegene Lauterkeit seines Charakters, die Fülle und Weite seines Menschentums und die Weihe seines Strebens und seiner Liebe für Volk und Vaterland haben etwas Unvergeßliches, und jede eindringende Betrachtung erfährt aufs neue ihre unerschöpfliche, frische Kraft. Man hat sein Leben mit dem der Romantiker verglichen, die kometengleich schnell aufgehen, leuchten und dann verschwinden auf immer. Aber das ist doch nur sehr äußerlich. Wie in fast allen wesentlichen Dingen besteht auch hier ein tiefer Gegensatz zur Romantik: Sein Untergang war zugleich ein Eingehen in die überzeitliche Gestalt, die fortlebte im Bewußtsein seines Volkes. Das hat kein Romantiker erreicht. Sie alle sind tot für das Volk, nur ihre Werke und Gedanken leben weiter im kleinen Kreise der Gebildeten. Arndts lebendige Gestalt dagegen ist seit Hayms Nachruf immer wieder und neuerdings sogar von sehr anspruchsvoller Seite gezeigt worden als Vorbild deutschen Wesens12). Man hat im Hinblick auf diese Bedeutung von Arndt als einem Propheten des deutschen Volkes gesprochen. Man hat ihn den Hutten, den Homer seiner Zeit genannt, und man hat sich wiederum gescheut, ihn Fichte und Schleiermacher zur Seite zu stellen, auch das nicht, ohne Anstoß zu erregen 13 ). Gewiß ist es schwer, den geistigen Rang einer Persönlichkeit zu bestimmen, 12) „Was du in strenger . . .": Lehreanmich" (1820), Ww MeisnerIV2igf. — Vergleich mit den Romantikern: H. Dreyhaus, Rez. v. Müsebecks Arndt, H. Z. 114, 1915, p. 132. — H a y m : ,,E. M. Arndt" a. a. O. p. 44t.. — NeuerHutten, Klopstock, Arndt". 1924 p. 70. dings: F. Gundolf: 13) Prophet: Beck: a . a . O . p. 107, 160: „ E . M . A r n d t ist Prediger und Deuter einer Apokalypse des deutschen Volkes und damit in Wahrheit Stifter einer deutschen Religion" Paul Kirmß: „ E . M. Arndt als religiöser Charakter", Prot. Monatshefte 18, 1914 p. 42 ff. — Hutten: Ric. Huch: „Stein", 1925 p. 114. — Homer: Ric. Huch: Einl. zu Arndts „Meine Wanderungen . . ," a. a. O, p. 7. — Nicht Fichte und Schleiermacher zur Seite:
— 43 — und das eigene Verhältnis zu ihr wird dabei immer besonders stark mitsprechen. Aber für die Erkenntnis kann diese Frage zurücktreten gegenüber der wichtigeren: wie hat Arndt sich selbst eingeschätzt ? Hielt er sich für einen Propheten oder nicht ? Wie war sein inneres Verhältnis zu den großen Gestalten seiner Zeit ? Die Antworten auf diese Fragen hat er sich ganz klar gegeben. E r hatte ein sehr starkes Bewußtsein seiner Grenze und das unbedingte Bedürfnis, sie zu wahren. Auch das macht ihn Wilhelm v. Humboldt ähnlich und trennt ihn von den typischen Romantikern, die gern mit unmöglichen Plänen spielten. E r hatte eine zu hohe Idee vom höchsten geistigen Führertum, als daß er sich jemals für einen solchen gehalten hätte. Seine bittere Kritik an der Zeit, in der man wohl etwas Anmaßung erblickte, war nicht die eines Menschen, der sich besser dünkte, sondern Ausdruck einer Seele, die rang, sie zu überwinden. „Solcher Zorn oder solche Klagen . . . mögen am Ende wohl nichts weiter bedeuten, als daß der Mensch sich von dem Gefühl seiner Sündlichkeit durch Worte wenigstens zu befreien sucht; denn wäre ich besser, so möchte ich wohl hoch darüber hinfliegen oder tief darunter hingehen können." „Wenn ich mich also auflehne gegen Zeit und Leben, wenn viele mich einen Aufrührer nennen gegen das Hohe und Heilige, das sie in ihnen wandeln sehen, so mag das wohl nur ein Kampf gegen eigene Sünde und Schwäche sein. Ja, freilich ist es das; denn wäre ich rein und tapfer wie ein höherer Geist, so würde ich wohl auch zürnen und schelten, aber in einem andern Tone." So gern er aus den Dingen und Menschen die Gegenwart erklärte, und so tief er vom Gefühl der Zukunft durchdrungen war, so vergaß er doch nie, daß diese seine Prophetengabe anderer Art war als echte Prophetie, so wenig, wie er sich wegen seiner Gedichte für einen Dichter hielt. Denn beides war in seinem Begriff der Dichtung eng verbunden. Seine Auffassung vom Beruf des Dichters war eine so hohe, daß ihr unter den Zeitgenossen an sittlichem Ernst nur die Schillers, an metaphysischer Tiefe nur die Hölderlins gleicht, und die geringe Schätzung, die er stets für seine eigenen Verse bekundete, war keine falsche Bescheidenheit, sondern sein ernstestes Urteil. Wo er über das unmittelbare Ausströmenlassen seines Fühlens hinauszugehen versuchte zu objektiven Gestaltungen, verlor er leicht die Macht über das Wort und glitt hinüber zur Phrase, wie in vielen der patriotischen Lieder und in den Dramen. Wo dagegen inneres Erleben zur Form drängte, gelangen Müsebeck: Lebensbild a. a. O. p. 253. — Dagegen: A. Dühr: „Probleme der Arndtbiographie", H. Z. 1 9 1 6 Bd. 1 1 5 .
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ihm echte Kunstwerke von ergreifender Schlichtheit und Innigkeit 14 ). Von dieser ihrer Grenzen bewußten Haltung macht allein eine kurze Episode 1812/13 eine Ausnahme, vor allem die „Fantasien für ein künftiges Teutschland" und mit einigen Anklängen auch der „Katechismus für den teutschen Kriegs- und Wehrmann". Hier spricht Gott wie zu den jüdischen Propheten mit seinem Diener und beruft ihn, dem Volk seinen Willen auszulegen und die neue Zeit zu verkündigen. Der Verfasser predigt und richtet im Namen Gottes 18 ). Diese Wandlung hatte ihre Ursache nicht nur in dem größeren Einfluß des Alten Testaments, das für diese Zeit in religiöser Hinsicht für ihn bedeutungsvoll wurde, sondern sie bedarf einer tieferen Erklärung. Es gibt ein Gedicht „Die Mitte" aus dem Jahr 1803, wo das bestimmter gewordene Lebensgefühl sich ein Gleichnis suchte an den Bäumen der Heimat: „Bäume, stille, fromme Wesen! Meines Daseins klare Spiegel! Sind wir also unten fest ? Eure Zweige gehen aufwärts, Eurer Blätter heiße Liebe, Von dem Sonnenstrahl gezogen, Doch nach unten Zieht die Kraft der Wurzeln tief: Vögel spielen auf den Wipfeln, Lüfte spielen, Doch ihr steht gebunden fest, Halb dem Himmel, halb der Erde Untertan 16 )." Dieses „Gleichgewicht zwischen Himmel und Erde", das ihm damals als allgemeines Bildungsideal vorschwebte, erkannte er mehr und mehr als sein eigenstes Teil und als Richtung und Maß seines 14 ) Arndts Zeitkritik anmaßend: Arnim an Brentano 1. 7. 06; vgl. R. Steig u. H. Grimm: ,,A. v. Arnim und die ihm nahestanden", Bd. I p. 184. — „Solcher Zorn . . . " : Ps 42 f., 171 f.; G E 126; Gebr e Spr 420. — Prophetie: Br M 131 (16. 11. 13); G Z I 195; Stand d Prot 606; Pro pop 212 f. — Dichter: Erg 44; siehe darüber auch unten S. 141 f. 15) Fant T 1—5, 29 u . a . ; KW 136 f., 140; ferner in dem gleichzeitigen Gedicht „ A n Antonia Amalia. . . " Ww Meisner III p. 317: „Sieh! ich verkünde es dir, so wahr mir der Gott in die Seele / künftiger Tage Geschick, Deutung der Zukunft gelegt." Das Episodenhafte dieser Haltung ist bis jetzt nicht beachtet und eine Erklärung daher nicht versucht worden. 10) Storch 373; der Druck bei Ww Meisner III 175 hat geringe Varianten.
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geistigen Bereichs. Sein Mittewesen, mit den festen Wurzeln im Boden des Volkes, aus dem er stammte, sehnte sich von früher Jugend an nach der Bindung an den großen Führer, unter dessen Anhauch das eigene Wollen Sinn und Ziel gewinnen konnte. „Der Held ist der erste Mensch, und es ist das Fröhlichste, in einer Zeit zu leben, wo ein großer Mann die Welt zerstört und regiert und frisches Mark in die verwelkten Herzen haucht. Ich habe mich gesehnt, einen großen Mann zu sehen, sehnlicher kann der Jüngling nicht nach der Braut hinsehen." Aber diesem Willen zur Bindung war ein herber Stolz gesellt, der strenge an sich hielt und nur dem wahrhaft Würdigen sich hinzugeben bereit war, der es nicht vermochte, sich ohne dies innerste persönliche Verhältnis selbst vor verehrten Höheren zu verneigen. Die dämonische Gestalt Napoleons, die wie ein gigantischer Schatten plötzlich über die Zeit hinwuchs, schien durch ihre heroische Größe das innere Wunschbild zu verwirklichen. Die ersten Siege in Italien und besonders der Feldzug in Ägypten ließen auch Arndt seine Hoffnungen eine Zeitlang an diesen Namen knüpfen. Aber es geschah zurückhaltend, und die Täuschung dauerte nur kurze Zeit. Dann überkam ihn „ein Grauen vor dieser Gestalt". Und während er immer mehr in die Aufgabe hineinwuchs, den. Kampf gegen ihn zu schüren, ergriff ihn noch dann und wann im Hinblick auf die unverkennbare elementare Führerkraft ein tiefes Bedauern, daß er nicht der wahre Führer war. Arndts so ganz bejahender Sinn erkannte mit sicherem Blick früh das rein Negative seines Wesens, das Fehlen eines sittlichen Willens zu fruchtbarem Wirken und Bauen für die Zukunft der Welt. „Man weist mich hin auf die große Erscheinung; ich kann das Meteor für keine Sonne nehmen und das Fürchterliche nicht groß nennen . . ., ich habe mir einen anderen Helden vorgebildet, einen Mann, der die Bildung der Zeit bei ihrem hohen Wipfel gefaßt und mit herkulischen Armen gehalten und befestigt und so dem Besten, was einzeln umherflattert, eine ganze Gestalt gegeben hätte. Auch dieser Held wird kommen, und das Elend und der Glanz dieser Zeit wird vor ihm untergehen 17 )." Dieser Hoffnung lebte er Jahr für Jahr, während die äußere Lage immer verzweifelter wurde. Die Berührung mit der Ro17 ) „ G l e i c h g e w i c h t . . . " : Br a Fr I 123 f.; Erg Ges 474; Autonomen 2; vgl. o. S. 12 ff. — „ D e r Held i s t . 1 . . " : Br Schwerin 5 7 2 . ' — N i c h t verneigen: Meine Wandg 99. —• H o f f n u n g auf Napoleon: „ D e r M ä c h t i g e " (1799), Ged 1803 112 ff. (Ww Meisner III 56 ff. nur Teildruck). — Grauen d a v o r : Erg 74. — Bedauern: GZ II 1. 22. — „Man weist mich hin . . . " : Br Schwerin 572.
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mantik und vor allem die Eindrücke in Berlin im Winter 1809/10, die der Umgang mit den führenden Persönlichkeiten der preußischen Hauptstadt und ihre ungebrochene tätige Zukunftsfreudigkeit ihm gab, brachten eine vorübergehende Wandlung seines Führerbildes mehr ins Geistige hervor. Wieder flog sein Traum empor, der Wirklichkeit voraus, von einem unsichtbaren Reich, in dem die „Hohen und Erwählten", die „Seher und Propheten" als „Priester" walten, die die neue Zeit „gebären und verjüngen" sollen, und sah sich selbst in diesem Reich als ein kleines dienendes Glied. Ihm, dem Stolzen und Freien, erstand durch das Erlebnis der „Majestät und Göttlichkeit" und der „noch göttlicheren Freiheit, die in Gehorsam und Liebe ist", die Idee des Dienstes als Lösung des eigenen Seins und des zwieträchtigen und verwirrten Lebens der Zeit. Sie hatte nur das Wort gemeinsam mit den ähnlichen Bestrebungen der Romantik Adam Müllers. Denn während hier schnell die Konsequenzen gezogen wurden für die äußeren Institutionen, zu Lehnssystem und Adelsherrschaft, und von dem eigenen Herrentum aus nicht ganz ehrlich die Notwendigkeit des Dienens für das Volk verkündet wurde, wuchsen Arndts Gedanken aus der Tiefe des eigenen Lebens empor und waren getragen von höchstem sittlichem Ernst. Sie bedeuteten vor allem die persönliche Bereitschaft zu jenem Dienst, der die Erfüllung aller eigenen Kräfte versprach, und waren in der Verallgemeinerung dieses Dienens sehr zurückhaltend: ein echt aristokratischer Zug. Denn es galt einen heiligen Dienst, zu dem nur die echten Jünger berufen waren. Ebenso wie er von dieser seiner Lösung aus die andern „Mittleren" zugleich verachtete und bedauerte, die sich nicht begnügen wollten mit dem Dienst, mit dem Herabbringen des Hohen zum Volk, sondern versucht hatten, selbst da oben hinzugelangen, und denen ihr Verhängnis zu groß geworden war, weil sie mehr wagten, als sie durften, so traf noch viel mehr ein leidenschaftlicher Haß die falschen Propheten der Idee, die unreinen Diener, die das Heiligste entweihen und „die Götterhymnen auf den Straßen ableiern", um ihre faule Leere durch geborgten Glanz zu verstecken. In diesen Ästheten und Halblingen erkannte er stets seine eigentlichen Widersacher, den wahrhaft Großen sah er vieles nach, auch wo sie ihm auf falschen Wegen zu sein schienen18). 18
) Die „Hohen und Erwählten . . . " : Ho 4 5 f f . ; Ps 247. — Idee des Dienstes : Ps 9 1 ; Ch 249 f.; Ho 49; vgl. „ G e b e t " , Ged 1811 329: „Denn ich streite im heiigen Orden . . .". — „ E c h t e J ü n g e r " , „reiner Dienst", „heiligstes Priestertum" : Ps 2 3 3 ; Ho 49. — Die Mittleren: Ps 212,252 ff. — Die mehr wagen: Br a Fr I 5 6ff. — Falsche Propheten: BraFvIägi.; Ps 2 j 4 f f . ; Baupol 86. — Die wahrhaft Großen: An Karl v. Wolzogen, i t . J . 14. Br T. 104,
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In diesen Worten über den Dienst verbirgt sich eine tiefe Tragik. Denn es war ein Dienst, dem keine volle Erfüllung zuteil geworden ist, weil es niemand gab, der so stolzen und reichen Dienst entgegennehmen konnte. Die Träume von einem Reich der Geister waren auch nur eine kurze Episode, sie führten nie zur festen Bindung an eine Richtung oder Schule; sie zerschellten vor allem an der harten politischen Wirklichkeit, die eine Natur wie Arndt sich nicht durch poetische und ästhetische Einbildungen zu verbergen vermochte 19 ). So richtete sich der Blick nach einem Führer immer wieder in die politische Welt, auch, nachdem er Stein kannte. So sehr es auch befremden mag, es ist sicher: auch in Stein erkannte er in diesem persönlichen Sinn nicht seinen rechtmäßigen Herrn20). Was er suchte, war ja jenes Charisma des geborenen Herrschers, das sieghaft zündete in den Herzen der Menge und auch vor Königen nicht Halt machte. Das kam zum Ausdruck in jenen Briefen an Gneisenau vom März 1813. In ihm glaubte er zum letztenmal sein Sehnen ganz verwirklicht und sprach es zum erstenmal frei und offen aus: „Einen Führer, der den Stolz der Seele und den Glauben an die Menschheit und die Zuversicht auf das Unsterbliche und Unvergängliche immer festhält — und er wird aus teutschen Kriegern andere Helden machen, als die Franzosen selbst in der begeistertsten Zeit ihrer Revolution waren. Ich lüge und schmeichle nicht. Ich habe in Ihnen ein solches Bild gesehen." . . . „nehmen Sie mich dann zu sich; denn nur wo die Seele eines freien Mannes gebietet, kann meine Seele sich frei bewegen." „Ich hoffe, Sie werden sich den Stolz nehmen, der dem Verdienst gebührt: sume superbiam quaesitam meritis. Meine Überzeugung steht fest, daß Schufte nie Ehrenmänner, Memmen nie Helden werden, auch daß sich an Schande kein Glanz der Tugend und Ehre hängt. Man muß diese Könige als Instrumente gebrauchen, aber sich nicht zum Instrument machen lassen. . . . es ist die Zeit, wo solche Männer ( = wie Gneisenau) 19)
Harte politische Wirklichkeit: Ps 42. Kritik an Stein: An Fr. v. Horn, 1. 12. 12, Br L 86; an Gneisenau, 23. 4. 13, Br Pick; an Niebuhr, 24. 4. 13, Br L 95: „Stein tut es nicht, . . . Gott muß es machen und das Volk . . . Mein Verhältnis zu Stein hat sich so gefunden, und ich benutzte es bloß als Firma, einige Ideen auszubreiten. . . . Er könnte viel mehr, wenn er militärische Ansichten hätte und wenn seine Hitze überhaupt ein Ganzes in Übersicht begreifen und festhalten könnte. Das kann er aber nicht und hat er nicht. . . . Doch wollen wir ihn sehr loben." — Die Behauptung, daß Stein der große Mann gewesen sei, nach dem er ausgeschaut habe, entspricht also nicht den Tatsachen. So Haym: a. a. O. p. 18; desgl. Ric. Iiuch: ,,Stein" a. a. O. p. 72 ff. 20)
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nicht für sich, sondern für das Volk vortreten müssen. Da ist Bescheidenheit nicht an der Stelle 21 )." Auch das waren vergebliche Hoffnungen. Die Führersehnsucht blieb unerfüllt. So reich die Zeit an großen Gestalten war, die Höhe und Überschwenglichkeit dieses inneren Bildes erreichte niemand. Napoleons elementare Naturkraft und die sittliche Größe der preußischen Führer in einer Person: das forderte seine Seele, um freudig dienen zu können, und daß diese Forderung unerfüllt blieb, war ihre schmerzlichste Erfahrung. Arndt war ein Zweiter, aber dem ein Erster fehlte, wenn man will ein Hutten, ohne daß ihm ein Luther zur Seite stand, wie schon Arnim bemerkte. Er selbst mochte sein Schicksal so ansehen, als ihm das tiefere Verständnis für die Reformationszeit aufgegangen war, als Luther und Hutten ihm „heilige Namen" wurden und er klagte, daß nichts Lebendiges und Tüchtiges werden wolle wie in jenen Tagen. Es blieb bei jener letzten Unsicherheit, der er 1811 in einem Brief an Charlotte Pistorius ergreifenden Ausdruck gab: „Was Mann heißt, fühle ich wohl; aber ich sage mit Ihnen: woran soll man sich halten ? Denn wie wir auch alle aufeinander gestützt und gelehnt sind, der letzte oder vielmehr der hinterste schwebt in der Luft 2 2 )." Aus solcher Lage erwuchs jenes Überschreiten der klar erkannten Grenzen 1812 und 1813, jenes Sprechen als Prophet im Namen Gottes. Es war ein Versuch, das Werk des großen Führers, der nicht erschienen war, von sich aus zu leisten: ein vergeblicher Versuch; denn der Ton, der solchen Dingen,das entscheidende Gepräge gibt, war unecht und mußte unecht bleiben. So wurde er bald aufgegeben und auf das Eigene und Echte zurückgegriffen: Schon die beiden bedeutendsten Flugschriften des Jahres 1813, „Das preußische Volk und Heer . . ." und „Der Rhein . . ." sind frei davon. Die abwegige Richtung war unterstützt worden durch das allmähliche Überwiegen christlicher Gedanken, die das ursprünglich sehr starke Stufen- und Rangbewußtsein im Sinne antiker Ethik abschwächte durch den neutestamentlichen Gedanken, daß in jedem „edlen Menschen, der sich aus reinem Ge21 ) An Gneisenau, 14. 3.13, Br Pick] ähnlich: An Reimer, 6. 4. 13, Br Lgo\ an Gneisenau, 20. 3. 13, Br Pick. 22) Arnims Bemerkung: Pr. Korrespondent Nr. 15 v. 18. 1. 14; vgl. Müsebeck, Lebensbild p. 488.—Heilige Namen: GZ II 1,13. — Nichts Lebendiges . . .: ib. p. 29. Arndt verglich Stein mit Luther: An s. Bruder Friedrich, 24. 4. 13. Deutsche Pandora I. 1840 p. 57 ff.: ,,. . . eine Art Ritter-Luther, des Bauern-Luther nicht unwürdiger Zwillingsbruder." Der oben zitierte Brief an Niebuhr (Anm. 20) ist vom gleichen Tage! — „Was Mann heißt . . .": Br H 13 (7. 6. 11).
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fühl seiner Pflicht großen Taten und Gefahren hingibt", Gott wahrhaftig wohnt. Das unmittelbare Vorbild des Alten Testaments kam hinzu. Die Überwindung aber hatte ihren Grund darin, daß durch die Eindrücke der preußischen Erhebung 1813 jenes untere Grenzelement seines Wesens, das Volk, plötzlich wie unter einem unsichtbaren Hauch Gottes jene Höhe und Reinheit der einigen Begeisterung offenbarte, die er ihm von je ersehnt hatte. Was er früher schmerzlich vermißt hatte, die „fruchtbare Erde im Volke, worin man Wurzeln schlagen konnte", das war nun einmal wenigstens Wirklichkeit gewesen. Das Erlebnis des wahren Volkes erlöste ihn von der Vereinzelung; es vertiefte sich mehr und mehr trotz aller Enttäuschungen der späteren Jahre. Dadurch vernarbte auch der Schmerz um das Ausbleiben der Erfüllung von oben her durch den großen Führer und Herrscher, aber noch in den Bemühungen des Greises um das Kaisertum lebte ein Rest dieses Jugend- und Mannestraumes. Das Gefühl erfüllten Daseins aber hatte ihm der Anblick des preußischen Volkes 1813 gegeben: „Wir können nun zu jeder Stunde sterben, wir haben auch in Teutschland das gesehen, weswegen es allein wert ist zu leben, daß Menschen in dem Gefühl des Ewigen und Unvergänglichen mit der freudigsten Hingebung alle ihre Zeitlichkeit und ihr Leben darbringen können, als seien sie nichts 23 )." Die Rückwirkung dieser so tief einschneidenden Züge seines Wesens auf die Geschichtsauffassung war eine sehr bedeutende, sowohl auf das Ganze, als auch auf viele Einzelzüge. Die überpersönlichen Mächte, die er in seinen Willen aufnahm und von denen er aufgenommen wurde, gaben seinem Verhältnis zur Geschichte die entscheidende Wendung zur Aktivität, zur Bildung des Volkes durch Geschichte. Sie, aber auch nur sie, grenzen dies Verhältnis ab von dem jeder bloßen Tendenzhistorie. Das helle Bewußtsein, zu dem er die inneren Ursprünge seines Wollens und Müssens zu erheben vermochte, gab ihm den Sinn für die problematisch dunkle, lebensvolle Verwachsenheit hoher und niederer Anlagen und Triebe im Menschen. Durch die eigene Mittelstellung zwischen Genius und Volk erhielt seine Geschichtsauffassung eine seltene Weite des Umfangs. Er konnte wie nur wenige 23) Gott wohnt in jedem edlen Menschen: K K n8i. — Vorbild des Alten Testaments: vgl. Laag a. a. O. p. 45ff. 53—60. •— „Fruchtbare Erde . . .": Br a Fr II 163; vgl. PrV 25: ,,es war plötzlich wie durch ein Wunder Gottes ein großes und würdiges Volk erstanden. " — E r l ö s u n g von der Vereinzelung: GZ III 153. — „Wir können nun . . .'•': I'r V 24: ähnlich: Br Ii 126 (23.
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dem schöpferischen Wirken der großen Persönlichkeiten und den in der Masse lebendigen allgemeinen Tendenzen in gleicher Weise gerecht werden. Der Held und das Volk wurden die beiden Gipfelpunkte am Horizont seines geschichtlichen Blickfeldes, weil sie sein inneres Leben nach oben und unten begrenzten. Und wie sein sehnendes Herz bald diese, bald jene Bindung mit größerer Inbrunst suchte, so neigte sich vor den Augen seines Geistes der Schwerpunkt des geschichtlichen Lebens dem Einzelnen oder dem Allgemeinen zu, dem Moment der Freiheit oder dem der Notwendigkeit, deren ewige Verschlungenheit er so immer wieder zum Ausdruck brachte.
KAP. IV. DAS VERHÄLTNIS VON KONTEMPLATION UND AKTIVITÄT IN DER GESCHICHTSAUFFASSUNG ALS GESCHICHTSPHILOSOPHISCHES PROBLEM VON DER AUFKLÄRUNG BIS ZUR ZEIT ARNDTS. Zu den Grundlagen des Vorgangs, der die Entwicklung der Geschichtsauffassung Arndts am meisten bezeichnet, gehörten nicht nur die persönlichen Voraussetzungen und die allgemeinen Bildimgsmomente der Zeit, sondern auch die besondere zeitgeschichtliche Lage des Problems, das diesem Vorgang zugrunde lag 1 ). Der zeitlose Gegensatz betrachtenden und handelnden Lebens gewann in seiner Auswirkung auf die Auffassung der Geschichte erst problematische Bedeutung, als man begann, diese zu bemerken. Das geschah mit der rein erkenntnistheoretischen Einstellung des philosophischen Denkens auf die Bestimmung der die Erkenntnis bedingenden Faktoren, d. h. mit der kritischen Philosophie Kants. Die Geschichtsphilosophien der A u f k l ä r u n g hatten die starken aktiven Tendenzen positiver und negativer Art, die schon das Losungswort „Aufklärung" andeutete, unbedenklich in die geschichtliche Betrachtung mit aufgenommen. Die Geschichte sollte belehren und moralisch nützen. Ihr Gesamtverlauf wurde 1 ) Die kurze Übersicht beschränkt sich im wesentlichen darauf, das allmählich sich vertiefende Bewußtsein dieser Problematik während des Übergangs von der Aufklärung zur Romantik darzustellen, um auf diese Weise die Gedanken Arndts, die in diesem Zusammenhang erwachsen sind, geistesgeschichtlich zu verstehen. Wertvolle Anregungen dafür verdanke ich einem Seminar des Herrn Geheimrat Meinecke über die Anfänge des Historismus. Benutzte Literatur wurde nur angeführt, soweit die Darstellung dadurch mitbestimmt ist.
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unter dem zumeist optimistischen Gesichtspunkt beständigen Fortschreitens begriffen und die eigene Kultur naiv zum Maßstab des historischen Urteils gemacht. In dem Augenblick, wo dies unbedingte Gefühl der Gegenwartshöhe aufhörte, mußte die Täuschung offenbar werden, die dem bisherigen Geschichtsbild zugrunde gelegen hatte. Indem so bei R o u s s e a u ein allgemeiner Kulturpessimismus die Linie des Fortschreitens umgekehrt als ein beständiges Sinken und Entarten frühester Vollkommenheit oder als ein unfruchtbares stetes Gewinnen und Verlieren empfand, mußte das Interesse an der Geschichte überhaupt stark zurücktreten und der traditionslose Zustand der „ignorance" und „innocence" als Idealerscheinen. Der praktische Bildungswert der Geschichte wurde jedoch auch für die neue Erziehung anerkannt, wenngleich die bisherige Geschichtschreibung der Neuzeit der bitteren Kritik nicht genügte. Da ferner der aufgegebene Gegenwartsmaßstab ersetzt wurde durch den noch rigoroseren naturrechtlicher Abstraktionen, blieb die aktive Stoßkraft der normativen Gedanken in unverminderter, wenn nicht gesteigerter Stärke erhalten2). In anderer und für die Geschichtsbetrachtung sehr fruchtbarer Weise führte in Deutschland bei J u s t u s Moser die Freude an der individuellen Mannigfaltigkeit des geschichtlichen Lebens zu einer Uberwindung der engen Methoden der Aufklärung. Doch wurde auch hier trotz der Ablehnung des Moralisierens und einer gewissen Relativierung der leitenden Normen der praktische Nutzen als Ziel der Geschichte festgehalten, in diesem Falle mit politischer Färbung: sie sollte den Bürger und Landmann lehren, wie er Freiheit und Eigentum am sichersten erhalten könne, und ihn zur Einsicht führen, ob und wo ihm die politischen Einrichtungen Recht oder Unrecht tun 3 ). Eine außerordentliche Bereicherung erfuhr das geschichtliche Denken durch H e r d e r . Wie bei Moser war es der Gedanke der 2) Rousseau: ignorance und innocence als Ideal: Discours sur les sciences..., Oeuvres compl. 1875 I p. 474. — Geschichte hat praktischen Bildungswert: Emile, ib. II p. 545I — Normativ: ib. p. 706 und der ganze ,,Contrat social". 3) Über Moser vgl. H. Baron: ,,J. Mosers Individualitätsprinzip in seiner geistesgeschichtlichen Bedeutung", H. Z. 130, 1924 p. 39, 45; W. Dilthey: „Das achtzehnte Jahrhundert und die geschichtliche Welt", Ges. Schriften Bd. III 1927 p. 248 ff. — Gegen Moralisieren: Moser: S.W. 1843 Bd. VII p. Vif. — Relativierung: Baron a. a. O. p. 41 f. — Freiheit und Eigentum bewahren: Möser Bd. V I p. X X V I . — Recht oder Unrecht tun: ib. Bd. V I I p. V I f.
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Individualität, der die engen Grenzen der Aufklärungswelt sprengte, aber nicht so sehr die Freude an der Mannigfaltigkeit draußen in der Welt, als das Erlebnis ungeahnter Kräfte in den Tiefen des eigenen Innern, das nun wiederum auch in der äußeren Wirklichkeit alles mit neuen Augen sehen ließ und vor der Unermeßlichkeit des flimmernden Lebens immer wieder in andächtigem Staunen seinen Ausdruck fand. Die aktiven Tendenzen, die auch bei ihm, wie in der Aufklärung und im Sturm und Drang, vorhanden waren, ergriffen zunächst auch die neuerschlossene Welt der Geschichte und gaben der geschichtlichen Betrachtung ein pädagogisches Ziel, wie es schon der Titel der kleinen historischen Schrift von 1774 „Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit" andeutete. Aber die Ergriffenheit des Betrachtenden drängte schon hier das Aktive zurück: gegenüber dem gewaltigen Schreiten des Schicksals und dem verborgenen göttlichen Wirken erschien menschlicher Erziehungswille als ein vergeblicher Wahn. So zeigen die Schriften Herders ein eigentümliches Schwanken. Die teleologische Betrachtung wurde abgelehnt und dennoch gegenüber der skeptischen Auffassung der Aufklärung immer wieder an dem Gedanken eines göttlich geleiteten Fortstrebens festgehalten. Auch bei der methodischen Besinnung über Wege und Ziele geschichtlicher Betrachtung in der X. Sammlung der „Briefe zur Beförderung der Humanität" von 1797 kam es zu keiner klaren Entscheidung. Das aufgestellte Ziel einer unparteiischen, auf jede Rangeinordnung der Gegenstände verzichtenden „Menschennaturgeschichte" sollte doch nicht zu jener reinen Empirie im Sinne Macchiavellis führen, die „Recht und Unrecht, Laster und Tugend vergißt" und „wie ein Geometer den Erfolg gegebener Kräfte ausmißt". Bei der wichtigen Bestimmung des Maßstabes für diese Empfindungen des Rechts und des Unrechts wurde nach Zurückweisung des theologischen, nationalen und weltbürgerlich-politischen Standpunktes ganz naiv mit Berufung auf Herodot auf die „festen Grundsätze unserer Überzeugung von Recht und Unrecht" zurückgegriffen, das heißt auf die verallgemeinerten privaten Ansichten und Werte. Im Hintergrund standen dabei deutlich die christlichen Normen4). 4
) Herder: Aktive Tendenzen: S.W. a. a. O. IV, 364; V, 5 1 3 : „Geschichte! welche Aufmunterung zu hoffen, zu handeln, zu glauben . . ." — Erziehungswille ein Wahn: ib. V, 531, 539, 543, 545; vgl. R. Lehmann: „Herders Humanitätsbegriff", Kantstudien 24, 1919/20 p. 260. — Menschennaturgeschichte: S.W. X V I I I , 246—249. — Macchiavelli: ib. 280f. — Abgelehnte Maßstäbe: ib. 2 8 2 I „festen Grundsätze . . . " : ib 286. .- Christliche Normen : ib. 301.
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Einen interessanten Einblick in die vielfache Verbundenheit skeptischer und aktiver Elemente am Ende der Aufklärung gewähren auch die Schriften des jungen Georg F o r s t e r . Der Einfluß der empirisch gerichteten englischen Philosophie, die frühen Reiseeindrücke aus aller Welt und ein starkes Gefühl für die beginnenden politischen und geistigen Erschütterungen der Zeit ließen ihn den Gedanken ergreifen, daß es nichts Absolutes gibt, und daß alle Normen nur relativ sind. Aber er bejahte zugleich diesen ewigen Kreislauf der Begebenheiten, indem er wie Herder auf den unaufhörlichen Wechsel als das Prinzip der ganzen Natur hinwies. Damit war Raum geschaffen für ein unparteiisches Verstehen fremden Menschentums, das die Dinge nahm, wie sie waren, und auf ein Messen an Idealen verzichtete, das jedoch nicht selten an das skeptische Gefühl der Sinnlosigkeit alles menschlichen Tuns streifte. Aber den fatalistischen Konsequenzen trat immer wieder ein „Dennoch!" entgegen, das unbekümmert zur Tat schritt und die Scheidung des Weizens von der Spreu der Zukunft überließ. Milderte der Betrachtende die erdrückende Unermeßlichkeit und Regellosigkeit des geschichtlichen Lebens durch den Gedanken der Schönheit dieses Schauspiels ringender Kräfte, so tröstete den Handelnden trotz allem das Bewußtsein, daß ein höherer Zusammenklang die Mißtöne aufhebe, und daß die scheinbar zufälligen Wirkungen blinder, vernunftloser Kräfte in einem Plan des Ganzen abgewogen seien, in dessen Geheimnis alle Handelnden auf unerklärliche Weise eingeweiht schienen. Von hier aus konnte dann der Gedanke an ein in der Perfektibilität der menschlichen Anlagen begründetes Ziel der Menschheit ganz im Herderschen Sinn festgehalten werden6). K a n t s Geschichtsbild stand der Aufklärung näher. Er fühlte sich identisch mit ihren Bestrebungen und war stolz, dem 18. Jahrhundert anzugehören. So übernahm er den Gedanken des Fortschritts und setzte das Ziel in einen weltbürgerlichen Zustand mit vollkommener Staatsverfassung. Aber dabei vollzog er zugleich einen sehr wichtigen Schritt über die Aufklärung hinaus. Er war sich mit kritischer Besonnenheit der Tragweite seiner Gedanken bewußt und schuf, indem er neben dieser seiner bewertenden, teleologischen Geschichtsphilosophie der „eigentlichen bloß empi5
) Forster: Relativ: Schi', a.a.O. I I I , 1 3 5 t ; V, 315. - Wechsel: ib. V, 66, 3 1 3 f f . ; IV, 3 1 7 ; I I I , 74, I39f. - - Unparteiisches Verstehen: ib. I I I , 447. — Kein Messen an Idealen: ib. V, 66. — Sinnlosigkeit: ib. I I I , 1 3 g ; V, 316. — Dennoch: ib. V, 3 1 6 ; I I I , 26. — Schönheit: ib. IV, 3 1 7 ; I I I , 74, 139. Die Handelnden eingeweiht : ib VT, 503. — Ziel der Menschheit: ib. I I I , 447.
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lisch abgefaßten Historie" ihr Recht ließ, den Dualismus erklärender und wertbeurteilender Methode für die Geschichte. In der „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" wurde das noch mit Zweckmäßigkeitsgründen motiviert: indem die Vorsehung dadurch gerechtfertigt werde, eröffne sich eine tröstende Aussicht in die Zukunft, die Ehrbegierde der Staatsoberhäupter und ihrer Diener werde auf das wahrhaft Rühmliche gerichtet und die wachsende Last geschichtlichen Stoffes zugleich auf das Faßbare und Wesentliche zurückgeführt. Die Schrift „Zum ewigen Frieden" (1795) brachte einen weiteren wichtigen Fortschritt durch die Erkenntnis, daß die Vorsehung, d. h. „die auf den objektiven Endzweck des menschlichen Geschlechts gerichtete und diesen Weltlauf prädeterminierende Ursache", nicht aus der Natur erkennbar ist, sondern notwendig hinzugedacht werden muß, und daß ihr Zusammenstimmen zu dem moralischen Zweck, den unsere Vernunft vorschreibt, „eine Idee ist, die zwar in theoretischer Hinsicht überschwenglich, in praktischer aber . .. dogmatisch und ihrer Realität nach wohlgegründet ist". Durch die Anwendung des großen Gedankens der Autonomie und des Primats der praktischen Vernunft auf die Geschichte wurde der notwendige Zusammenhang der Teleologie mit dem Handeln offenbar und die Begründung der Geschichtsphilosophie nicht auf theoretische Erkenntnis, sondern auf praktischen Glauben dargetan. Aber diese Worte glichen doch mehr einem abgerungenen Eingeständnis, als einer kühn ergriffenen Wahrheit. Der Gedanke der Teleologie war auch jetzt noch das Primäre, und die für Kant bezeichnende Beschränkung auf das rein Formale, sowohl bei der Bestimmung des Ziels, als auch bei dem Begriff des pflichtmäßigen Handelns, ließ ihn an der naturhaften Fülle und den irrationalen Tiefen des wirklichen individuellen Handelns und des geschichtlichen Lebens ahnungslos vorübergehen: das war die Grenze dieser epochemachenden Erkenntnisse6). Unter dem Einfluß Kants sprach S c h i l l e r 1789 in seiner Jenaer Antrittsrede ebenfalls über die Verschiedenheit empirischer und teleologischer Geschichtsbetrachtung. Eine Weiterbildung erfuhren diese Gedanken erst später durch das klassische Ideal 6)
Kant: Stolz auf 18. Jahrhundert: S.W. ed. Hartenstein, 1867 Bd. IV, 161, 166. — Fortschritt, Ziel: ib. IV, I53f. — Bewertende und empirische Methode: ib. IV, 156I — Dualismus usw.: vgl. E. Lask: „Fichtes Idealismus und die Geschichte", 1902 p. 2. — Zweckmäßigkeitsgründe: S.W. IV, I56f. — Vorsehung: ib. VI, 427; vgl. F. Medicus: ,,Zu Kants Philosophie der Geschichte", Kantstud. IV, 1900 p. 65ff. u. L a s k : a. a. O. p. 4ff.
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der Persönlichkeit, das die inzwischen erfolgte geistige Verbindung mit Goethe erzeugt hatte, und dessen begriffliche Analyse die Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen versuchten. Der mächtige Eindruck der harmonischen Lebensfülle Goethes, die eigenen historischen Studien und eine gedankliche Anregung durch Fichtes Begriff der Wechselwirkung von Materie und Form, das alles vereinigte sich zu dem Bestreben, gegenüber dem schroffen Idealismus des Kantischen Systems das Eigenrecht der Sinnlichkeit zu erweisen und die Einseitigkeiten der Scheidung zu überwinden durch ein Nebeneinander und Zugleich materialer und formaler Prinzipien. Die von hier aus versuchte Grenzbestimmung empirischer und teleologischer Betrachtung für das wissenschaftliche Denken war ein bedeutender Versuch, die Problematik dieses Verhältnisses einer Lösung entgegenzuführen, die beidem gerecht werden sollte. In gleicher Richtung bewegten sich die Ausführungen am Schluß der Abhandlung „Über naive und sentimentalische Dichtung", die die beiden gegensätzlichen Gestalten in eingehender Gegenüberstellung zeichneten, den Realisten mit nüchternem Beobachtungsgeist, der an der Erfahrung festhält und sich resigniert der Notwendigkeit der Natur unterwirft, und den Idealisten mit unruhigem Spekulationsgeist, mit der Richtung auf das Unbedingte in der Erkenntnis und im sittlichen Handeln. Auch hier wurde gegen die Ausschließung der beiden Haltungen protestiert und die Einseitigkeit beider durch die Steigerung bis zur Karikatur gezeigt. So groß die Bedeutung dieser Gedanken für die Erkenntnis der ethisch-ästhetischen Grenzgebiete in der Lebensgestaltung und im künstlerischen Schaffen war und ist, zu einer Anwendung auf die Geschichte kam es nicht. Das Geschichtsbild war in den beiden genannten ästhetischen Schriften bestimmt durch die naive Konstruktion des Neuhumanismus mit ihrem aus der Griechensehnsucht erwachsenen dialektischen Dreitakt. Noch mehr wie bei Kant, den 1795 die politischen Ideale zu seiner tieferen Erkenntnis geführt hatten, blieben bei Schiller die aktiven Elemente seines Geistes außerhalb des theoretischen Denkens. Wenn in den Briefen über die ästhetische Erziehung das Wort Aktivität begegnet, so war nur der Formtrieb der Vernunft damit gemeint, der als solcher notwendig leer ist; und wenn in der genannten Abhandlung von Handeln die Rede ist, so bedeutete das ebenso wie bei Kant nur das moralische Handeln des täglichen Lebens. Die aristokratische Reserve, die dem Persönlichkeitsideal der Klassik überhaupt eignete, erkannte noch nicht oder wollte nicht erkennen jenes aus unbewußten Tiefen der Individualität mit zwingender Gewalt hervorbrechende Handeln,
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wo das Individuum zugleich Träger und Organ zeit- und volkhafter Tendenzen und Massenbewegungen ist, und so entging es ihm, daß die Vernunft für ein so geartetes Bewußtsein kein leeres Formprinzip ist, sondern daß ein bestimmter Gehalt ihr unbegreiflich schicksalsmäßig zu eigen ist, der die abgesteckten Grenzen des Formalen in der Erkenntnis unaufhaltsam zu überfluten droht. Der Gegensatz, den es bei dem Problem der Geschichte ins Auge zu fassen galt, war ein anderer und noch tieferer als der von Schiller aufgezeigte von Realismus und Idealismus, und hier an dieser Stelle setzten die weiterführenden Gedanken Arndts ein, zu denen die inneren Kämpfe seines eigenen Lebens ihn drängten7). Arndts Anknüpfung ist nicht zufällig. Denn weder die frühe Romantik noch die idealistische Philosophie des folgenden Jahrzehnts hatten diese Problematik in voller Schärfe empfunden und weitergeführt. Die Romantik nicht, weil sie mehr zur rein kontemplativen Versenkung in die Geschichte neigte, und die Philosophie ebensowenig, weil sie die selbständige Bedeutung des Empirischen gegenüber dem Geistigen nicht anerkennen wollte. F i c h t e s Philosophie war von Anfang an von einem viel zu starken Willenspathos getragen, als daß sie die Berechtigung ihrer Aktivität als problematisch hätte empfinden sollen. Hinzu kam in der ersten Epoche die Ausschließlichkeit, mit der alle Realität in das sittliche Wollen und Tun des freien Subjekts gesetzt und alles Empirische und Geschichtliche als indifferentes Mannigfaltiges oder bloßer Schein zurückgewiesen wurde. Die Berührung mit den Glaubensphilosophen und die Hinwendung zu pantheistischen Gedanken brachte vorübergehend auch bei ihm eine dem Kontemplativen geneigtere Einstellung hervor. Die Spuren dieser Einwirkung sind besonders deutlich in den Vorlesungen über die Bestimmung des Menschen (1800). Den Rahmen bildete zwar auch hier das über alle äußere Wirklichkeit hinausgreifende, allein dem Ewigen zugewandte Weltgefühl der idealistischen Philosophie, aber daneben blieb doch Raum für eine Auffassung des Universums als eines „ewigen Lebens und Regens in allen Adern der sinnlichen und geistigen Natur zu steigender Verklärung". Auch der rastlose Geist Fichtes meinte damals, gläubig ruhen zu können in einer Welt der höchsten Weisheit und Güte. Er wurde sich dieses ') Schiller: Empirische und teleologische Methode: S.W. a. a. O. X I I I , 2of. — Wechselwirkung, Grenzbestimmung: ib. X I I I , 46 Anm. — Idealist, Realist: ib. X I I , 250—263. — Gegen Ausschließung: ib. 251 Anm. — Karikaturen: ib. 2Öiff. — Geschichtsbild: ib. X I I I , 2 2 I , 7Öf., 9 2 f ; X I I , 189, 223. — Aktivität: ib. X I I I , 48. - Formtrieb der Vernunft: ib. 5 s: i Handeln: ib. X I I , 253.
inneren Gegensatzes bewußt und sprach ihn in Worten aus, die unmittelbar in unseren Zusammenhang gehören: „Nur der handelnde Mensch der Gesellschaft in mir ist es, der der Unvernunft und dem Laster zürnt, nicht der auf sich selbst ruhende und in sich selbst vollendete, betrachtende Mensch." So klar hier Betrachten und Handeln voneinander abgegrenzt waren, so war es doch nur eine beiläufige Bemerkung, und ebenso wie bei Schiller bezog sie sich nur auf das Gebiet des Ethischen ohne Anwendung auf die Geschichte. Als er später in den „Grundzügen" dem Geschichtlichen nähertrat, hatte er sich bereits von der Passivität der Glaubensphilosophie abgewandt, und wenn das Gegenwärtige bejaht wurde, so geschah es nur „um des höheren Zweckes willen" als notwendige Durchgangsstufe zur Vollendung der Zukunft, der zu dienen das Ziel der Vorlesungen war. Mit dem inneren Dualismus verschwand auch das Interesse an seiner weiteren Klärung. Die Abgrenzung von Philosophie und empirischer Historie in den „Grundzügen" berührte die Verschiedenheit der inneren Haltung mit keinem Wort. Methodisch bedeutete die Begründung der teleologischen Geschichtsbetrachtung auf die apriorische Erkennbarkeit des Weltplans in dem hier verfolgten Zusammenhang einen Rückschritt gegenüber den Gedanken Kants von 1795. Erst am Ende seines Lebens scheint sich Fichte von neuem diesen Problemen genähert zu haben, denn in einem der politischen Fragmente betonte er die Notwendigkeit für den Historiker, aus seinen Urteilen alles, was historisches Zeitprodukt ist und als unbewußte Prämisse sie verfälscht, durch bewußtes Erkennen abzusondern; doch zeigen auch diese Worte, daß seinem reinen Denkertum die eigentliche Problematik des Gebiets, wo Geschichte und Leben sich verbinden und scheiden, noch immer fremd war 8 ). In viel engerer Verbindung damit stand die Identitätsphilosophie S c h e l l i n g s . Wie er es überhaupt verstanden hat, die geistigen Tendenzen, die um ihn herum wirksam waren, zu Wort und bewußtem Ausdruck zu bringen, so ergriff er auch dies Problem seiner Zeit und versuchte seine theoretische Lösung. Er ging dabei 8
) Fichte: Realität im Subjekt: S . W . V I , 72 f., 322. — Zurückweisung des Empirischen: ib. 6 7 f . ; V , 223 und an vielen Stellen der Wissenschaftslehre v. 1794. — Idealistisches Weltgefühl: ib. II, 245, 298ff., 3 0 5 ! , 3 1 8 t . — Leben und Regen in der Natur: ib. 3 i 7 f f . -— Gläubiges Ruhen: ib. 3 1 2 t . , 307. — „ N u r der handelnde . . . " : ib. 3 1 5 . — Bejahung um des höheren Zweckes willen: ib. V I I , 14, 129, 235. —- Dienst an der Zukunft: ib. 15, 33, 253. —- Philosophie u. Historie: ib. 1 3 1 ff. —- Erkennbarkeit des Weltplans: ib. 5f., 139. • Absondern, was historisches Zeitprodukt ist: ib. V I I , 608.
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im „System des transzendentalen Idealismus", wo das Historische zuerst einbezogen wurde, unverkennbar aus von Kant: Einzig wahres Objekt der Geschichte ist das allmähliche Entstehen der weltbürgerlichen Verfassung. Die Annäherung zu diesem Ziel ist der einzige historische Maßstab. Die endliche Erreichung dieses Ziels kann aber „weder aus der Erfahrung, soweit sie bis jetzt abgelaufen ist, geschlossen, noch auch theoretisch a priori bewiesen werden", sondern ist „nur ein ewiger Glaubensartikel des wirkenden und handelnden Menschen". Um die Tragweite dieser Worte zu ermessen, bedarf es auch hier einer Antwort auf die Fragen: was verstand Schelling unter „Handeln"? was unter „Geschichte" ? wie verhält sich beides zur reinen Betrachtung und Empirie? Kants Begriff des „Praktischen" erfuhr durch Schelling eine bedeutende Umbildung. Indem er immer das künstlerische Schaffen vor Augen hatte, erkannte er den großen Anteil des Unbewußten in allem Wirken und Handeln und gab damit einen wichtigen Beitrag zur Entdeckung des Irrationalen. Aber während er so die platonische Einheit des Wissens und Handelns in einer nur dem Genius zugänglichen metaphysischen Welt wies, trat das wirkliche Tun und Wirken in der harten Realität der Gegenwart mehr und mehr aus seinem Gesichtskreis. Der Schwerpunkt der „Identität" von Freiheit und Notwendigkeit lag für ihn in Wirklichkeit auf der Seite des Unbewußten, dem allein wahre Objektivität zugeschrieben wurde, und wie bei Hölderlin am Schluß des „Hyperion" erklang wie eine Klage das Loblied auf die vollendete Einheit der außermenschlichen organischen Natur. So erfuhren die Gedanken Kants auf der andern Seite eine bedeutende Einschränkung. Die Freiheit, das Axiom der idealistischen Philosophie, wurde zur inneren Täuschung der Individuen, durch die hindurch das Absolute unbewußt das wahrhaft Objektive tue. Und diese Individuen standen noch ganz im Sinne der Frühromantik — mit Ausnahme von Novalis — wie in einem leeren Raum dem Weltgeist unmittelbar gegenüber, es gab für sie nur eine abstrakte Menschheit, nicht die konkrete leiblich-geistige Wirklichkeit eines sie tragenden und nährenden Volkes. Das gleiche gilt von der Ansicht der Geschichte, die ja aufs engste damit verbunden war. Die gewaltige Erweiterung, die sie durch die Erkenntnis des Irrationalen nicht bloß des Gefühls, sondern des Handelns erfahren hatte, führte durch die Uberschätzung zu einer neuen Einseitigkeit. Nur der Glaube an die endliche Erreichbarkeit des Ziels wurde auf die innere Gewißheit des Handelnden gegründet, die Teleologie selbst, „die unendliche Progressivität", dagegen gehörte für Schelling unbedingt
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zum Begriff der Geschichte. Der höchste historische Standpunkt war der, der die ganze Geschichte als Werk der Vorsehung begriff, und wenn das auch nicht christlich-transzendent, sondern pantheistisch und immanent gemeint war, so bedeutete es doch wie bei Hegel die völlige Vergeistigung der Geschichte. Sie war der große Spiegel des Weltgeistes, sein Gedicht und Schauspiel, die fortgehende, allmählich sich enthüllende Offenbarung des Absoluten. So groß und fruchtbar die Konzeption der historischen Ideenlehre war, so wurde sie bei Schelling doch der Eigenbedeutung des Empirischen nicht gerecht. Trotz der besonnenen Worte in den „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums" über das Verhältnis von Stoff und Darstellung in der „historischen Kunst", die Humboldt in seinen methodischen Untersuchungen später aufnahm, blieb alles „bloß Endliche" von der Geschichte ausgeschlossen. Es fehlte jene ursprüngliche Freude des Betrachters an der Mannigfaltigkeit des wirklichen geschichtlichen Lebens, und es fehlte jene tiefere Leidenschaft des Handelns, die die Disharmonien und Widerstände der äußeren Welt schmerzlich erfuhr. Deshalb konnte der Schritt ins Metaphysische leichten Herzens getan werden. Da das Absolute zu nahe gerückt wurde, verblaßten vor dem Glanz dieser „ewigen Sonne im Reiche der Geister" die trüberen Gebilde des irdischen Menschenlebens, und sichtbar blieb letzten Endes nur die einzige Region höchster Kunst. Wie in Novalis „Ofterdingen" war die Natur nur der unvollkommene Widerschein der inneren Welt, „denn durch die Sinnenwelt blickt nur wie durch Worte der Sinn, nur wie durch halbdurchsichtigen Nebel das Land der Phantasie, nach dem wir trachten". Alle Wissenschaft war nur Vorstufe und sollte als Mythologie zurückkehren in den einen großen Ozean der Poesie. In dem Dämmerlicht der inneren Wunderwelt, das die Romantik bezauberte, trat alles Gegensätzliche und Unterscheidende zurück. Der unendlich bewegliche Sinn spürte wohl die Abgründe und liebte es, eine Weile in ihr tiefstes Dunkel zu schauen, aber es war nur ein Blick hinunter, herab von der sicheren Oberfläche des harmonischen Welt- und Lebensgefühls überquellender Jugend, nicht das schwere Ringen dessen, der unten stand und dem kein Abwenden des Auges die steile Wirklichkeit der Gegensätze weniger fühlbar machen konnte. Das gilt doch auch für Schelling, obwohl das rationale Erbe der kritischen Philosophie ihn tiefer eindringen ließ als die übrigen Romantiker 9 ). ') Schelling: brachte Zeittendenzen zum bewußten Ausdruck: E. Cassirer: „Hölderlin und der deutsche Idealismus", Logos VII, p. 282. — Objekt der Geschichte Entstehen der weltbürgerlichen Verfassung: S. W, a. a. O.
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So groß die Verdienste der F r ü h r o m a n t i k um die Belebung und Vertiefung des historischen Sinnes sein mögen, im Zusammenhang unseres Problems ist ihre Bedeutung gering. Es zeigt sich hier, daß die Verfeinerung des seelischen Lebens und die größere Bewußtheit, die die Romantiker zweifellos vor der älteren Generation voraus hatten, allein nicht ausreichten, um den tieferen Schichten des persönlichen und geschichtlichen Lebens gerecht zu werden. Das Uberwiegen des Kontemplativen und der Reflexion mußte zu einem Mangel an positivem Lebensgehalt führen, wenn nicht ein günstiges Geschick und wahre dichterische Kraft Erfüllung und ewige Jugend verliehen wie bei dem früh verstorbenen Novalis; und dieser Mangel entzog auch dem historischen Denken das beste Lebensblut. Das fromme Auge des liebenswürdigen Klosterbruders genoß froh und dankbar das Glück seines Jahrhunderts, wie von dem Gipfel eines hohen Berges herab mit heitern Blicken alle Zeiten und Völker zu überschauen. Vor der unermeßlichen Schönheit des Kunstwerks der Welt bekannte er frei, daß mehr als eine Liebe in der Brust des Menschen wohnen können müsse. Und Novalis' „Ofterdingen" wies in jene andere Richtung zur Innenwelt, der die Romantik folgte: „Mich dünkt, ich sähe zwei Wege, um zur Wissenschaft der menschlichen Geschichte zu gelangen. Der eine, mühsam und unabsehlich, mit unzähligen Krümmungen, der Weg der Erfahrung; der andere, fast ein Sprung nur, der Weg der inneren Betrachtung. I- 3. P- 591 f. 586f.; vgl. I. 5, p. 312. — Maßstabfrage, Erreichung ist Glaubensartikel des Handelnden: ib. I. 3, p. 592f. — Künstlerisches Schaffen vor Augen: ib. I. 3, p. 6iof. 615. — Unbewußtes im Handeln: ib. 594f. — Einheit des Wissens u. Handelns: ib. 6 1 5 — 2 4 ; I. 5, p. 22off., 235. — Alleinige Objektivität des Unbewußten: I. 3, p. 594—97, 6 1 5 u. besonders 613. — Einheit der organischen Natur: ib. 608; Hölderlin: S. W. a. a. O. II, 290f. — Das Absolute tut das Objektive: Schelling, S. W. I. 3, p. 602f. — Individuen im leeren Raum: ib. 592, 600, 602ff., 586f. — Ansicht der Geschichte damit verbunden: ib. 593. — Teleologie: ib. I. 3, p. 592, 588ff., 591. — Vorsehung: ib. 6 0 1 ; I. 5, p. 307. — Pantheistisch: ib. I. 3, p. 602ff. — Spiegel des Weltgeistes: I. 5, p. 309. — Offenbarung des Absoluten: I. 3, p. 603f. —Schauspiel: ib. 602. — Stoff und Darstellung: ib. I. 5, p. 309ff.; vgl. E . Spranger: ,,W. v. Humboldts Rede ,Über die Aufgabe des Geschichtschreibers' und die Schellingsche Philosophie", H. Z. 100, 1908 p. 547 ff. — Alles Endliche ausgeschlossen: S. W. I. 5, p. 312, 270. — Das Absolute zu nah: ib. 216, 218, 238, 270, 299 (höhere Erkenntnisart, welche sich über die empirische Verkettung erhebt); I. 3, p. 601. — „ewigen Sonne . . . " : ib. 600. — Nur Kunst: ib. 6 1 j i . — Auch der Staat = Kunstwerk im platonischen Sinn: ib. I. 5, p. 312, 315. — „denn durch die Sinnenwelt , . . " : ib. I. 3, p. 628 Mythologie: ib. 629.
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Der Wanderer des ersten muß eins aus dem anderen in einer langwierigen Rechnung finden, wenn der andere die Natur jeder Begebenheit und jeder Sache gleich unmittelbar anschaut und sie in ihrem lebendigen, mannigfaltigen Zusammenhange betrachten und leicht mit allen übrigen, wie Figuren auf einer Tafel, vergleichen kann." Alle Stärken, aber auch alle Schwächen der romantischen Geschichtsauffassung waren mit diesem doppelten Ausgangspunkt des Interesses gegeben, den die beiden Äußerungen ihrer reinsten Vertreter veranschaulichen. In Novalis war allerdings ein aktiver Wille zur Realisierung seiner Ideen, zur „echten Praxis". Aber dieser fand seine Erfüllung mehr in der wirklichen Tätigkeit im praktischen Leben. Gegenüber der Geschichte blieb er „echter historischer Betrachter", und auch wo er die Grenzen der reinen Anschauung überschritt, war er zu sehr Künstler, um die Formgebung durch Auswahl und Verarbeitung als problematisch zu empfinden 10 ). Unter dem Einfluß des romantischen Lebensgefühls mit seinem Individualismus und seiner überwiegenden Passivität standen auch die beiden Früh werke S c h l e i e r m a c h e r s , die „Reden über die Religion . . ." und die „Monologen". Nicht nur die Religion wurde ihm zu einem staunenden Anschauen des Unendlichen, das alle Tätigkeit auflöst, sondern alle sichtbare Tat überhaupt erschien unwesentlich gegenüber dem, .inneren Handeln'', dem „freien Tun" des „Gefühls". Das stolze Selbstbewußtsein empfand die äußere Welt nur als Beschränkung, es verachtete die Gegenwart als tief unter sich und fühlte sich als prophetischen Bürger einer späteren Welt, die aber nur aus dem Gefühl stiller Allmacht der eigenen Bildung, „nicht aus frevelhafter Gewaltsamkeit vergeblichen Versuchen" hervorgehen sollte. Die relativistischen Konsequenzen, die sich aus dieser Einstellung für die Ansicht der Geschichte ergaben, sind bei Schleiermacher von besonderem Interesse, weil sie auf das Gebiet der christlichen Dogmen übergriffen und hier mit den tiefsten Bedürfnissen seiner durchaus religiösen Persönlichkeit zusammenstießen. Vor dem Strom 10) Verdienste der Frtthromantik: Vgl. G. v. Below: „Die deutsche Geschichtschreibung von den Befreiungskriegen bis zu unseren Tagen", i . A. 1924 p. 9. — Mangel an positivem Lebensgehalt: Vgl. W. Dilthey: ,,Leben Schleiermachers" I 1870 p. 2Ö2f. — Wackenroder: „Herzensergießungen . . .", Werke und Briefe hrsg. v. v. d. Leyen, Bd. I p. 50, 53. — Novalis: Schriften IV, 71; Wille zur echten Praxis, echter historischer Betrachter: vgl. R. Samuel: „Die poetische Staats- und Geschichtsauffassung Friedrich von Hardenbergs" 1925, Deutsche Forschungen H . 12 p . T T O , 82.
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romantischer Elemente linterlagen diese zunächst. Jesus erschien nur als e i n e r der großen Heroen der Religion, zwar göttlich, aber nicht der einzige Mittler. Mit dem Hinauswachsen über die Sphäre des Romantischen zu den positiven Aufgaben seines Lebens erhielt das Theologische ein größeres Schwergewicht. So begegnete er hier auf einem besonderen Gebiet dem Problem, das das Werden der historischen Weltanschauung überhaupt begleitete, und dessen Entwicklung wir hier in Kürze zu zeichnen versuchen. Seine Lösung war keine einheitliche und keine bewußte. Nur in der Theologie setzte sich die Auffassung von der Absolutheit des Christentums durch, während in der Religionsphilosophie an der relativierenden Betrachtungsweise der Frühzeit festgehalten wurde. So blieb es bei einem Schweben zwischen den Gegensätzen ohne prinzipielle Klärung 11 ). In eine ähnliche Zwangslage gerieten die Romantiker überhaupt, als die Erschütterungen des europäischen Staatenlebens durch Napoleon in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts ihrem indifferenten Individualismus den Boden entzogen und sie zu bestimmter Entscheidung zwischen den politischen Weltgegensätzen zwangen. Für die politische Romantik mußte das Verhältnis zur Geschichte ein komplizierteres werden, weil die neuen aktiven Tendenzen nicht ohne Rückwirkungen darauf bleiben konnten. F r i e d r i c h S c h l e g e l hatte durch seine humanistische Bildung und seine antiken Studien vor der Hinwendung zur Romantik mit anderen rationalistischen Elementen auch einen gewissen Willen zur Sachlichkeit in sich aufgenommen, und seine von Winckelmann ausgehenden Schriften über die antike Literaturgeschichte waren bemerkenswerte Versuche, den neuen Reichtum des inneren Lebens für das Verständnis der Vergangenheit fruchtbar zu machen. In einer Rezension Condorcets erklärte er sich zwar von der Gültigkeit der unendlichen Perfektibilität der Menschheit als Idee völlig überzeugt, fragte aber zugleich zweifelnd, ob sie allein ein hinreichendes Prinzip der Geschichte sei, und u
)
Schleiermacher:
Tätigkeit
aufgelöst
durch. R e l i g i o n :
R e l i g i o n . . . " a. a. O. p. 20, 124, 46, 7 o f . — l o g e n " , Philos. B i b l . 1902 p. 14, 16, 20. — ib. 52. — ib. 66.
—
üb.
d.
„Mono-
Ä u ß e r e W e l t als B e s c h r ä n k u n g :
B ü r g e r einer späteren W e l t : ib. 61. — Relativistische
„Reden
Inneres H a n d e l n e t c . :
Konsequenzen
für
„ n i c h t aus f r e v e l h a f t e r . . . " : die
christlichen
Dogmen:
„ R e d e n üb. d. R e l . " a. a. O. p. 59, 95, 161, 6 6 f . ; vgl. S ü ö k i n d : „ C h r i s t e n t u m und Geschichte bei Schleiermacher" 1 9 1 1 . — „ R e d e n üb. d. R e l . " a. a. O. p. 91, 2 8 5 ^ —
Jesus n i c h t der einzige Mittler: Theologie, A b s o l u t h e i t :
„Der
christliche G l a u b e " , S. W . I. 3, p. 47 u. a.; vgl. S ü ß k i n d : a. a. O. p. 1 4 9 f f . , 161,
163—174,
180.
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forderte als unerläßliche Vorbedingungen eines Versuches in dieser Richtung umfassende Gelehrsamkeit, scharfe Kritik und das vollständigste und sorgfältigste Detail. Wenn darin Ansätze zu kritischem Besinnen gelegen hatten, so gingen sie, wie es scheint, für immer unter durch die geistige Zügellosigkeit der folgenden Jahre. Denn als er mit dem Übertritt zur katholischen Kirche und dem politischen Anschluß an Habsburg eine aktive Haltung annahm, fehlte ihm jedes Bedürfnis, die wissenschaftliche Neuorientierung tiefer zu durchdenken und damit eine Kontinuität der inneren Entwicklung zu wahren. Wie seinem Tun und Wirken etwas von jenem Ethos Arndts und Fichtes fehlte, das von der inneren Notwendigkeit zu überzeugen vermöchte, so entbehrten die geschichtlichen Werturteile, die daraus folgten, der inneren Wahrhaftigkeit, die sich ihrer Grenzen bewußt ist. Diese beiden Momente vereint machen alle seine späteren Geschichtsdarstellungen zur typischen Tendenzgeschichte: persönliche und nicht immer redliche Bewertungen in unklarer Vermengung mit dem Anspruch strengster Objektivität 12 ). A d a m M ü l l e r war noch sieben Jahre jünger als Friedrich Schlegel und gehörte nach Zeit und Art seiner Wirksamkeit ganz zur politischen Romantik. Die große Wandlung, zu der die veränderte Zeitlage die individualistische ältere Romantik gezwungen hatte, blieb ihm erspart, weil er noch in der ersten Jugend stand, als deren Höhepunkt schon überschritten war. Das Individuum hatte bei ihm seine Souveränität bereits verloren an die überindividuellen Mächte, die es umgaben, und weil es in der Tat mehr ein Verlieren war als ein ernstes Opfer und ein bewußtes Ergreifen dieses Schicksals, so blieben ihm auch die tiefen Gegensätze verborgen, die das geschichtliche Denken dieser beiden Lebensformen trennten. Er übernahm von der älteren Romantik die Tendenz zum Verbinden und Universalisieren und feierte die deutsche Wissenschaft als die „vermittelnde", die auch, wo sie 12 ) Fr. Schlegel: Rezension Condorcets: Prosaische Jugendschr. hrsg. v. Minor, 1882 Bd. II p. 53ff. — Ethos fehlte: Meinecke „Weltbürgertum..." a. a. O. p. 84. — Tendenzgeschichte: z. B. „Über die neuere Geschichte" 1811 p. 166, der Anspruch strengster Gerechtigkeit, während die Verbindung mit Habsburg bei allen Kaiserdarstellungen mit im Spiele war; p. 178: gegen den „Geist der Lüge" in der neueren Zeit; „Gesch. d. alt. u. neu. Lit." 1815, 2. Teil p. 314 (falsche u. wahre Philosophie); p. 331 (Scheidung des Guten und Bösen auch in der Literatur); „Signatur des Zeitalters", Concordia I, 1823 p. 55 (gutes und böses Prinzip des Zeitalters); p. 52 ( P a r t e i nehmen, a b e r nie P a r t e i sein); vgl. S c h m i t t - D o r o t i c : a. a. O. p. 163.
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kritisiert, im Streite selbst zu versöhnen wisse. Aber in seinem Begriff der „vermittelnden Geschichte" waren die Gegensätze in Wirklichkeit nicht ausgeglichen, sondern die Forderung alles verstehender Toleranz und das Bekenntnis zur kritischen „tätigen Betrachtung" standen recht unvermittelt nebeneinander. Am Anfang der Vorlesungen über die deutsche Wissenschaft und Literatur hieß es: „Jede Welterscheinung verlangt ihr eigentümliches Licht; ehe dies gefunden, müssen wir mit Mißtrauen jeden Raum der Weltgeschichte betrachten, der uns barbarisch erscheint. Zustände der Menschheit, von denen wir durch Räume und Zeiten getrennt sind und die wir nicht begreifen können, barbarisch zu nennen, das ist wahre Barbarei! . . . Diese echte Toleranz gegen vergangene Zeitalter liegt ebenso tief in dem Charakter deutscher Bildung, als die schon erwähnte gegen die Nachbarn und Fremden." Aber dann ließ ihn der Blick auf die politische Gegenwart fortfahren: „Neben und in dieser Toleranz gegen jede Blüte der Menschheit und jede Form der Bildung erscheint ebenso kräftig deutsche Intoleranz gegen jeden, der die unsrige nicht wieder zu dulden versteht", und noch deutlicher weiter unten: „Ich kann nicht, wie ihr, ein müßiger, sich selbst aus den Gliedern der Geschichte herausnehmender absoluter Beschauer sein. Mir ist die Geschichte wert, und ich kenne die Geschichte, weil ich mich selbst nach gestern und morgen und nach tausend Seiten hin an sie angeschlossen sehe, und weil ich mich nach ebensoviel Richtungen auf Zukunft und Vergangenheit entgegenwirkend fühle. Aber weil ich sie mit freier Tätigkeit beschaue, so verstehe ich die Geschichte, und weil ich mit offenen und reinen Augen handle, darf meine Kritik jede zerstörende Kraft mit den Waffen der Geschichte verfolgen. Nur klares, deutliches Handeln ist kräftiges Handeln; nur tätige Betrachtung ist wahre B e t r a c h t u n g . . . So vereinigt sich Historie und Kritik, das Gesetz der Natur und das Gesetz der Freiheit in der vermittelnden Geschichte." Die Echtheit dieser Aktivität Müllers ist nicht über jeden Zweifel erhaben. In den Briefen scheint ein ganz anderer zu sprechen als in den Vorlesungen mit ihrem getragenen Pathos, ein unendlich sensibler, weichlicher Mensch. Das legt den Gedanken nahe, daß die kraftvollen Worte über die Tat mehr ein Sichberauschen an Worten als echter Ausdruck des eigenen Wesens sind. Von besonderem Interesse für diese Frage sind die Urteile des ihm sehr nahestehenden Gentz, der Müllers „weltumfassende Toleranz" und den Gedanken des „Flüssigen" scharf bekämpfte, weil dann „am Ende nichts mehr bleibt, das eigentlich gehaßt oder auch nur rechtschaffen verachtet werden dürfte1'. Gentz' Kritik hat vielleicht
— 65 — mit dazu beigetragen, daß in den späteren Werken noch stärker die notwendige Parteilichkeit des Geschichtschreibers betont und gegen die Unparteilichkeit zu Felde gezogen wurde, die aus Schwäche nicht handeln kann. Doch wie dem auch sei, in unserm Zusammenhang müssen wir anerkennen, daß er stärker, als es bisher der Fall gewesen war, die Verbundenheit des von geschichtlichen Lebensmächten getragenen Handelns mit der Ansicht der Geschichte betont hat, wenn ihm auch das Problematische an dieser Beziehung nicht faßbar war 13 ). Gentz hat sich auch sonst mit dieser Frage beschäftigt, und der ganze Briefwechsel mit J o h a n n e s Müller in den Jahren 1804 bis 1806 gipfelt recht eigentlich in unserem Problem. Der Dualismus, der uns bisher als innere Zweiheit begegnete, umfaßte hier sozusagen zwei verschiedene Persönlichkeiten, und ihre Auseinandersetzung bekommt in diesem Zusammenhang betrachtet den Charakter einer gewissen Notwendigkeit. Zugleich zeigt sie in sehr anschaulicher Weise, wie gerade durch die politische Lage jener Jahre diese Problematik akut wurde. Gentz war ja allerdings nicht ein Vertreter jener aus irrationalen Tiefen und schicksalhaftem Zwang geborenen Aktivität, sondern völlig rational und kam sich selbst oft „zu vielseitig, zu äquilibrierend, zu skeptisch" vor. Seine Parteinahme erfolgte ohne Enthusiasmus für eine bestimmte Sache, nur als Gegengewicht gegen das gestörte Gleichgewicht der beiden gleich notwendigen Weltprinzipien des Fortschritts und der Beschränkung dieses Fortschritts; und anderseits fehlten auch der Geschichtschreibung Müllers nicht aktive Tendenzen. So konnte Gentz der Meinung Ausdruck geben, daß sie „eigentlich nur eine sehr feine, obgleich dennoch nicht unerhebliche Nuance" trenne. Von Bedeutung ist diese Diskussion, 13 ) Adam Müller: Individuum Souveränität verloren: vgl. Meinecke: „Weltbürgertum . . . " a. a. O. p. 1 4 1 . — Vermittelnde Wissenschaft: Ad. Müller: „Vorlesungen über die deutsche Wissenschaft u. Literatur", hrsg. von A. Salz, München 1920 p. 53, 67 u. a. — „Vermittelnde Geschichte": ib. 14g. — „ J e d e Welterscheinung . . . " : ib. 18. — „Neben und in . . . " : ib. i 8 f . — „ I c h kann nicht. . . " : ib. 149; vgl. ib. 150, 138, 180. — Zweifel an Müllers Aktivität bei Schmitt-Dorotiö: a. a. O. p. 67, 72, 74, 1 2 9 ; ganz positiv bewertet sie J . Nadler: „Berliner R o m a n t i k " 1921 p. 1 5 5 — 1 6 3 , wohl mit Unrecht. — Gentz' Urteile: Briefwechsel zw. Gentz und A. Müller, 1857 p. 90f. (v. 1807); 1 7 1 (v. 1 8 1 2 ) ; ferner: Gentz an Rahel 18. 4. 08, Gentz' Schriften, hrsg. v. Schlesier, Bd. I 1838 p. 3 2 4 . — Notwendige Parteilichkeit des Geschichtschreibers: Ad. Müller: „ J o h . v. Müller" (1808), Vermischte Schriften, 2. Ausgabe 1 8 1 7 Bd. I p. 202, 2 0 5 ! ; „Zwölf Reden über die Beredsamkeit . , hrsg. v, A. Salz, München 1920 p. 2 3 1 — 2 3 3 .
B e i h e f t d. H. Z. 18.
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die inhaltlich zu keinen neuen Ergebnissen führte, insofern, als sie zeigt, wie tief die sachlichen Gegensätze trotz der scheinbaren persönlichen Ähnlichkeit waren, und daß es letzten Endes auf die ganz konkrete Entscheidung zwischen Gegenwart und Universalgeschichte, zwischen Nation und Individuum hinauslief. Müller wählte das letztere, und sein Übertritt zu Napoleon bedeutete für Gentz Kapitulation und Verrat an der Sache. Damit war der Bruch vollzogen 14 ). Wir haben inzwischen die Stelle erreicht, wo sich die Gedanken Arndts der Zeit nach anschließen und können unsere Übersicht abbrechen. Sie verdienen deshalb besondere Beachtung, weil auch das spätere geschichtsphilosophische Denken lange Zeit nicht so klar in dieser Beziehung sah, als es bei Arndt durch seine besondere Lage und Art der Fall gewesen war. Denn auch die späteren Schriften W i l h e l m v. H u m b o l d t s waren trotz des Willens zu reiner Kontemplation in ihrer historischen Sicht bedingt durch das regulative Ideal der Humanität. Die letzten Endes unhistorische Fassung der Idee eines zeitlosen „Geistes (aoErt) der Menschheit" verbarg ihm die Problematik. Bei H e g e l kam es bei der Konstruktion einer rein kontemplativen Universalgeschichte zur Auflösung der festen Werte der Religiosität und Sittlichkeit in der Relativität der Geschichte, die 14 ) Gentz: „zu vielseitig. . .": Briefw. m. Joh. Müller, Sehr. hrsg. v. Schlesier 1840 Bd. I V p. 178; ferner das Bekenntnis zum „Indifferentismus der Vernunft": „Üb. d. polit. Freiheit", Ausgew. Sehr. hrsg. v. Weick, 1837 Bd. II p. 26—9. — Parteinahme aus Gegengewicht: Briefw. m. Joh. Müller, a . a . O . p. 176 (23. 12. 05); interessant ist der ebenso motivierte Gedanke einer völligen politischen Neuorientierung 1817: Briefw. Gentz u. Ad. Müller 1857 p. 244; über „Handeln" vgl. ferner Briefw. m. Joh. Müller a. a. O., p. 22gi. — Aktive Tendenzen bei Joh. v. Müller: S.W. 1819 Bd. X X V I I p. 16, 21, 93; Schweizergesch. I 1, 1786 p. X X I I ; ib. III. 2. J795 P- X ; „Rez. v. Woltmanns Weltgeschichte", S.W. X p. 321; „Philos. Theorie der Gesch.", S.W. X I , 291 f., 295. — Ein sehr deutliches Beispiel, wie nahe die sachliche Indifferenz dennoch dieser Geschichtsauffassung lag: Schweizergesch. III. 2, 1795, p. V I I : „Die Formen ändern sich, ewig sind nur Wahrheit und Recht. Wo sind sie, d a ß wir sie suchen ? Ganz und immer, nirgend; heller und fester, bald da, bald dort." — Nur eine feine Nuance trenne: Gentz: Briefw. m . Joh. Müller a. a. O. p. 178f.: „Der Unterschied liegt nur, ich möchte sagen im A n s a t z . Sie h a b e n das Kulturprinzip als Ziel beständig vor A u g e n ; aber zu groß und weise, um blind darauf loszustürzen, haben Sie gelernt und lehren andere vortrefflich, wie man hemmen muß, indem man treibt. Ich habe das Erhaltungsprinzip zu m e i n e m u n m i t t e l b a r e n L e i t s t e r n g e w ä h l t , vergesse a b e r nie, d a ß man t r e i b e n k a n n und m u ß , i n d e m m a n h e m m t . "
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doch in ihrer vollen Wirklichkeit wegen der Vorherrschaft des logischen Prinzips nicht zu ihrem Recht kam. Auch bei R a n k e blieb trotz der sorgfältigen Ausscheidung der subjektiven Fehlerquellen das Verhältnis von Wertwelt und Universalgeschichte immer im Ungewissen und Dunkeln 16 ). Die Gesamtentwicklung des Problems macht es verständlich, daß es für A r n d t von besonderer Bedeutung werden mußte. E s war nicht nur die angeborene Doppelrichtung seines Wesens, die ihn dafür gewissermaßen prädestinierte, sondern ebenso sein Verhältnis zu den geistigen Strömungen seiner Zeit. Wir sahen, daß ein wesentlicher Teil der Erkenntnis dieser Problematik bereits den rationalen Energien des 18. Jahrhunderts gehörte. Arndt hatte in seiner Frühzeit einen tiefen Trunk aus dieser Quelle getan. Es zeigte sich ferner, daß die Frühromantik nur geringen Anteil daran hatte, daß vielmehr erst jener Übergang aus dem isolierten Individualismus zur volk- und zeitgebundenen politischen Wirksamkeit im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zu neuen Lösungsversuchen führte. Zum vollen Bewußtsein der Antinomie konnte es nur dort kommen, wo dieser Übergang in der eigenen Entwicklung vollzogen wurde als ein Bruch mit der individualistischen, kosmopolitischen und vorwiegend kontemplativen Vergangenheit und doch das Bedürfnis bestand, die innere Kontinuität zu wahren und die Wandlung vor sich selbst zu rechtfertigen. Alle diese Bedingungen trafen auf Arndt zu. 16
) Über W. v. Humboldt vgl. E. Spranger: „ W . v. Humboldt u. d. Humanitätsidee" a. a. O. p. 251. Humboldt berührt diese Fragen Sehr. a. a. O. II, 2, p. 32ff., 4of. — Zeitloser Geist der Menschheit: ib. III. 3, p. I95ff.; ferner: III. 3, p. 188; II. 2, p. 3 3 1 — 3 3 4 ; vgl. Spranger a. a. O. p. 464—469, 487. — Über Hegel vgl. W. Dilthey: „Die Jugendgeschichte Hegels", Ges. Schriften Bd. IV 1921 p. 165 f. — Über Ranke vgl. G. Masur: „Rankes Begriff der Weltgeschichte" 1926, Beiheft 6 der H. Z. p. 105.
IL TEIL: ARNDTS VERHÄLTNIS ZUR GESCHICHTE IN SEINER ENTWICKLUNG KAP. I. VON 1802 BIS ZUR ZWEITEN REISE NACH SCHWEDEN E N D E 1806. i. A b s c h n i t t : Die g e i s t i g e E n t w i c k l u n g . Als Arndt am Ende des großen Befreiungskampfes auf sein ganzes bisheriges Leben und auf die Wandlungen zurückblickte, die in ihm und um ihn vor sich gegangen waren, empfand er den Abschied von der Heimat im Dezember 1806, der ihn zum zweiten Male und diesmal als einen Flüchtling in das nordische Land führte, als den tiefsten Einschnitt. „Die Jahre von 1787 bis 1806 waren die Jahre meiner Jugend. Was in der ersten Hälfte dieser Jahre noch bewußtlos von mir gesehen und gehört und erlebt worden, hat die andere Hälfte zum Bewußtsein gebracht" 1 ). Diese zweite Hälfte haben wir hier zu betrachten, und man kann den gemeinsamen Grundzug der geistigen Entwicklung dieser Zeit in der Tat nicht besser bezeichnen. Es war ein immer stärkeres Bewußtwerden der Welt und der Zeit und der eigenen Aufgaben, aber die ungebrochene Welt- und Lebensgläubigkeit der Jugend breitete gleichsam noch einen Schleier darüber, der die dunkelsten Tiefen verhüllte. Das gibt den Äußerungen dieser Epoche eine letzte Einheitlichkeit und erlaubt es, sie trotz ihrer Verschiedenartigkeit und den unverkennbaren Verwandlungen zusammenzufassen. Es war ein Fortschreiten und Ausbreiten in der gleichen Ebene. Erst die folgenden Jahre brachten gewissermaßen eine neue Dimension hinzu. Das geistige Leben dieser Zeit stand im Zeichen der ersten schöpferischen Betätigung auf wissenschaftlichem Gebiet. Die Kluft, die in der Frühzeit Wissenschaft und Leben getrennt hatte, Gesch d Veränd 15. Diese v o n A r n d t selbst vorgenommene A b g r e n z u n g der E p o c h e n s t i m m t im wesentlichen mit der Müsebecks überein. Der Auffassung Laags, der für die religiöse E n t w i c k l u n g 1809 als Grenzjahr ansieht, kann ich mich, insofern nicht anschließen, als 1809 auch in dieser Hinsicht mehr Gipfelpunkt eines Prozesses ist, der bald nach der A n k u n f t in Schweden beginnt.
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verschwand, der lebendige Gehalt strömte in das theoretische Denken ein und befruchtete es mehr und mehr, bereichert durch neue persönliche und gedankliche Bildungseinflüsse. Dieser Durchbruch vollzog sich in doppelter Richtung, im Zeitempfinden und in der Naturbetrachtung, und führte zu den zwei Formen zeitgeschichtlicher und naturhistorischer Darstellungen, die das erste eigene Schaffen Arndts bezeichnen2). Der Ubergang vollzog sich zunächst fast unmerklich. Nur eine kleine, aber bedeutsame Differenz trennte die Geschichte der Leibeigenschaft von der Schrift über die Freiheit der alten Republiken. Das Ziel war scheinbar ein ganz ähnliches, negatives: Vorurteile zu widerlegen, alte Verdrehungen zurechtzurücken, verjährte Lügen aufzudecken. Aber dahinter stand nun nicht mehr die passive Reserve eines skeptischen Betrachters, sondern die „Liebe zum Ganzen", die für eine politische Notwendigkeit des eigenen Landes zu kämpfen entschlossen war. Für die Darstellung sollte das jedoch nur „Nebenzweck" sein, und über die Gefahren, die der Unparteilichkeit durch diese Verbindung mit politischen Tendenzen drohten, täuschte die naturrechtliche Denkweise leicht hinweg: „Ich habe bloß geschichtlich hinzustellen gesucht, wie die Sachen waren und wie sie sind; und dadurch muß es deutlich erkannt werden, wie sie sein sollten". Der spröde Stoff ließ im übrigen kein stärkeres Hervortreten des Persönlichen zu, eine Beschränkung, die bereits lebhaft als solche empfunden wurde. Doch war die Frage, die der Anfang den Zeitgenossen zurief: „Stehst du auch in deinem Jahrhundert auf der rechten Stelle ?" vielleicht noch mehr eine Frage an sich selbst. Denn mit dieser Frage entfaltete sich das erste eigene geschichtliche Denken 3 ). 2 ) B e i dieser Skizze der geistigen E n t w i c k l u n g A r n d t s m u ß t e auch das wissenschaftliche Schaffen und damit das geschichtliche D e n k e n in einem kurzen Überblick über A u s g a n g s p u n k t e und Richtungen eingeordnet werden. Alle inhaltlichen Einzelheiten, die den R a h m e n dieser Übersicht sprengen würden, kommen im 3. A b s c h n i t t „ D i e Geschichts- und Staatsa u f f a s s u n g " zur Darstellung. — B e i m A u f b a u dieses K a p i t e l s m u ß t e die systematische Gliederung überwiegen, u m das gewaltige, vielspältige Material übersehbar zu machen. E s gilt daher, durch einen B l i c k auf die Zeittafel sich gegenwärtig zu halten, daß wir die E n t w i c k l u n g Arndts von 1802—6 mehrmals in wechselnden A s p e k t e n vor uns vorüberziehen lassen. 3) Negatives Ziel: Leib I X . — Liebe zum Ganzen: ib. p. X , 276 und GE 2. — N e b e n z w e c k : Leib I X . — ,,Ich habe bloß . . . " : ib. 267. -— Beschränkung: ib. 276. — „ S t e h s t du auch . . . " : ib. 1.
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Die Antwort konnte nur gegeben werden, wenn auch die größere nach Sinn und Ziel der Gegenwart überhaupt gelöst wurde. Das war die Aufgabe der gleichzeitigen Schrift: „Germanien und Europa". Es war ein Versuch, über die Gegenwart mit ihren widerspruchsvollen geistigen und politischen Bewegungen durch „ruhiges und festes Betrachten" zur Klarheit zu gelangen, indem die Motive des eigenen Innern zu ihr in Beziehung gesetzt und sie selbst durch eine universalhistorische Überschau mit der Vergangenheit und Zukunft verbunden wurde. Damit wurde die Geschichte plötzlich aus einem Gegenstand bloßer Gelehrsamkeit zur wichtigsten Angelegenheit des persönlichen Lebens. Denn nur sie vermochte ja die letzte Antwort zu geben. „Ich muß zeigen, wie ich es fühle an meiner Welt und an mir, daß sie und ich verrückt sind, d. h. aus unseren Angeln geworfen. Ich muß diese Verrücktheit erklären . . . . . . . ich muß ihre Notwendigkeit zeigen, damit nicht der Glaube an die Gottheit untergehe und die Liebe. Ich muß endlich zeigen, welche die Sünder sind, daß diese Verrücktheit noch fortdauert, damit man sich vor ihnen hüten und durch den Haß die Liebe und die Kraft finden könne, sich und seine Welt wieder einangeln und einrücken zu können". Inhalt und Art der Antwort waren stark bestimmt durch das neuhumanistische Geschichtsbild. Die Gegenwart wurde aufgefaßt als ein notwendiger Übergang zwischen einer bewunderten griechischen Vergangenheit und einer hoffnungsvoll erwarteten Zukunft. Es sollte ein heiteres und besonnenes Anschauen der Notwendigkeit sein, kein Schelten und Verdammen; aber einer Notwendigkeit des Werdens, nicht des ruhenden Seins, und insofern hatten doch auch die aktiven Ziele und Wünsche Platz darin. Zwar im Augenblick galt es noch, die still fortgehende Zeit walten zu lassen und nicht in Staat und Leben voreilig einrichten und darstellen zu wollen, was sie noch nicht erlaubte; doch auch jetzt schon mußte man als Zurüstung zu dem künftigen Bau wenigstens das Rechte und das Unrechte bekennen. So war der erste Blick über die Erscheinungen der Geschichte zugleich ein kritisches Besinnen, ein Ausstoßen dessen, was nicht sein geistiges Eigentum werden wollte, um es nachher „in einer höheren Ordnung", d. h. als Mittel zur Zukunft und Glied in der Kette, zu „lieben". Dieser erste Ausgangspunkt des einen Teils seiner Geschichtsauffassung wurde bedeutungsvoll für immer. Das Interesse an der g e s c h i c h t l i c h e n E n t w i c k l u n g hatte für Arndt stets Ursprung und Ziel in der Gegenwart, es beschränkte sich teilweise ganz auf sie und führte ihn durch die Verbindung mit den aktiven Tendenzen, die hier einen besonders günstigen
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Ansatzpunkt fanden, zu der ihm eigenen Form von Betrachtungen über den Geist der Zeit 4 ). Daneben gab es noch einen zweiten Ausgangspunkt, der ebenfalls zu Wegen führte, auf denen das Persönliche für das wissenschaftliche Erkennen fruchtbar werden konnte. Die erste Anregung dafür hatte die Klimatheorie Montesquieus schon während der Frühzeit gegeben. Aber erst jetzt kam es zur eigentlichen Entfaltung und zu dem Plan einer „Erdengeschichte", die alle Gestalten und Formen der Natur in ihrem organischen Zusammenleben in den verschiedenen Ländern zeigen und in dem Menschen als letztem und höchstem Lebewesen der Erde ihre Krönung finden sollte, indem auch in seinen mannigfachen Lebensformen die Einheit und Übereinstimmung des Allebens offenbar würde. Es waren vor allem drei Motive, die für die Ausbildung dieser Art von Geschichtsbetrachtung maßgebend wurden. Sie waren alle bereits durch die große Reise geweckt, aber vorerst ohne wissenschaftliche Auswirkung geblieben. Zunächst ein angeborener „naturhistorischer Trieb", „die schmerzliche und süße Lust, die alle mannigfaltige Schönheit der Gestalten ewig in mir erregt, die Lust, die aus diesen immer beweglichen Bildern, welche das Leben zeigt, etwas Bleibendes und Unvergängliches darstellen möchte, ein Bild des Unsterblichen, das höher steht und länger dauert als das Leben". Er trat an die Stelle jener anfänglichen, nur negativ-historischen Betrachtung im Sinne der Aufklärung und nahm den vollen Strom seiner kontemplativen Weltfreude in sich auf. Damit verbanden sich die pantheistischen Empfindungen der Frühzeit, die dann später durch die Naturphilosophie Schellings eine bedeutende Vertiefung und eine philosophische Grundlage erhielten. Als drittes trat ein ethisches Motiv hinzu, das in den menschlichen Gestalten des Südens und Nordens Bilder und Grenzen des eigenen Wesens sah und in den geheimnisvoll prägenden Kräften des Himmels und der Landschaft die „physische Notwendigkeit" des Menschen erkannte, die ebenso ein gehorsames Ja verlangte, wie die geistige der Zeit, um für Schicksal und Leben Maß und Gestalt zu gewinnen. Diese Notwendigkeit war eine ruhende und unabänderliche, ein Sein, nicht ein Werden, und so suchte auch der geschichtliche Blick in diesem Zusammen4
) Klarheit über die Gegenwart: GE 250 f., 8. — „ I c h muß zeigen . . . " : ib. 5. — Zeit ans den Angeln geworfen: bereits Reisen V I , 79. — Neuhumanistisches Geschichtsbild: GE 365, 92, I 5 f . , 43off. — Kein Schelten: ib. 92, 68, 148. — Zeit walten lassen: ib. 432, 430. — Recht und Unrecht: ib. 432 f. — Ausstoßen und lieben: ib. 1 f.
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hang das „ B l e i b e n d e und I m m e r g l e i c h e " , das „ E w i g e " in den einzelnen Gestalten, an dem der Wandel der Zeiten fast spurlos vorübergeht. Das kontemplative Interesse mußte hier naturgemäß immer überwiegen, doch waren auch diese naturhistorischen Betrachtungen nicht ganz Selbstzweck, sondern sollten die ethischen Kräfte, die darin beschlossen lagen, auch in andern zur Entfaltung zu bringen. Wenn es auch hieß: „Hier ist die Welt weder schön noch häßlich, hier sind die Menschen weder gut noch böse; hier wird weder geschmeichelt noch gelogen, weder geliebt noch gehaßt," so gab es doch auch hier ein „Rechtes und Wahres" und mithin auch ein Unechtes und Falsches. Die Erkenntnis des großen Zusammenhanges von Mensch und Land sollte helfen, alles Unklimatische in Leben und Sitten zu zerstören und das Echte und Bodenständige an dessen Stelle zu setzen, und so dazu beitragen, das Zukunftsbild einer vollkommeneren Welt zu verwirklichen5). Die Abkehr von dem älteren wissenschaftlichen Denken, die mit diesen von starken persönlichen Impulsen getragenen neuen Formen gegeben war, kam erst allmählich zum Bewußtsein Arndts. Zunächst wurde die rein sachlich orientierte Wissenschaft der Aufklärung daneben weiter betrieben in zahlreichen Vorlesungen, zum Teil in direkter Anlehnung an die üblichen historischen Lehrbücher von Spittler und Heeren. Noch während des ersten Aufenthalts in Schweden 1803/04 überwog diese Tendenz und veranlaßte umfangreiche statistische und nationalökonomische Stu5
) Die naturhistorische Richtung fand ihre erste Ausgestaltung wahrscheinlich in einem für das Wintersemester 1803/04 angekündigten Kolleg: „Vorübungen zu einer Einleitung in die Geschichte, klimatisch, geographisch, anthropographisch" (vgl. A. Hoefer: ,,E. M. Arndt und die Universität Greifswald", 1863 p. 51) und in der Neubearbeitung der Reisen. Um neue Eindrücke bereichert durch den Aufenthalt in Schweden 1803/04 erscheint sie dann 1804 wieder in den „Ideen über die höchste historische Ansicht der Sprache", 1805 im 2. Teil der „Fragmente über Menschenbildung", in dem Aufsatz „Über die Mode" und in fast allen Semestern nach der Rückkehr aus Schweden in Vorlesungen, von denen die im Sommersemester 1806 gehaltene „Einleitung zu historischen Charakterschilderungen" in einer nachträglichen Ausarbeitung vom Sommer 1808 vorliegt. — Erdengeschichte: Fr II 6—22; Mode 5öff.; Ch 19. — Einheit des Allebens: Ch 23, 27. — Naturhistorischer Trieb: Erg 65.— „die schmerzliche. . .": Ideen 13. — Ethisches Motiv: GE I54ff.; Fr I 37; Ch 43, 147, 12, 2 1 ; Mode 54Ü., 65. — Das Bleibende, Ewige: Ch 12, 19. — Ethische Kräfte entfalten: Ch 12 („informare"). — „Hier ist die Welt . . . " : Ch 110; vgl. Fr II 234, 8; GZ I 129. — Rechtes und Wahres: Ch 110. — Zukunftsbild: Ch 42f.; Br a Fr I 140, 35; Fr II 8, 21 f.
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dien, deren Resultate der Reisebericht ganz in der alten Weise mit bewußtem Verzicht auf fast alles Persönliche trocken und lehrhaft darbot, so daß die Enttäuschung, die Gentz davon erfuhr, verständlich ist. Aber die Briefe dieser Zeit seufzten bereits herzlich über die trockenen Arbeiten, und auch aus der künstlichen Nüchternheit der Reiseschilderung brach doch ab und an ein Hauch lebendigen Lebens erfrischend hervor. Nach der Rückkehr kam dann die Polemik gegen die „Karrenschieberei der törichten Gelehrsamkeit" und die Forderung einer Wissenschaft, der die ganze Seele gehört, an vielen Stellen scharf zum Ausdruck. Es war eine Besinnung auf das Eigene, aber zugleich auch eine innere Umkehr, sofern auch das eigene Schaffen bisher teilweise im Banne der älteren Art gestanden hatte. Die Vorlesungen des Sommers 1806 sprachen das noch einmal offen aus: „Ich bin bei dem besten Ernst eine Zeitlang ein halber Schelm gewesen, wie so viele sind; nicht aus Lust an Gaukelei, sondern eines Pfades mangelnd durch die Wüste . . . Das böse Spiel ist bis zu Ende ausgespielt, der gelehrte Innungsmann ist überwunden: der Mensch, der wahr und gut sein möchte, tritt zu ihnen hin und soll hinfort nur sein innigstes Leben, seinen reinsten Glauben, seine eigenste Überzeugung aussprechen" 6 ). Von großer Bedeutung für diese Wandlung waren zwei neue Bildungseinflüsse: Schillers ästhetische Schriften und Schellings Natur- und Identitätsphilosophie. Der Einfluß Schillers und des klassischen Griechenbildes auf Arndt ist nur insofern etwas Neues für diese Epoche, als erst jetzt (1802) die reifen philosophischen Schriften Schillers wirksam wurden und im Zusammenhang damit die volle Hinwendung zur Antike erfolgte. Schillers Ästhetik erforderte damals wie heute ein gewisses Maß persönlicher und gedanklicher Reife, um verstanden zu werden, und dieser Zeitpunkt war für Arndt wohl erst jetzt gekommen. Dieser Einfluß beherrschte die Zeit bis zum Ende des ersten Aufenthalts in Schweden. Das im eigenen Werden erfahrene hohe ethische Ziel wurde im Anschluß an Schillers Formulierungen als allgemeines Bildungsideal aufgestellt. Es war bestimmt durch drei Gedanken, die das klassische Persönlichkeitsideal, wie es in Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen zum Ausdruck kam, 6)
Über A r n d t s Vorlesungen vgl. A. Hoefer: a. a. G . ; Müsebeck, Lebensbild, p. 88. — Gentz' E n t t ä u s c h u n g : Briefw. zw. G e n t z u. A d . Müller, 1857 p. 97 (v. 1807). — Trockene A r b e i t e n : Br S 18 (10. 1. 04); 27 (4. 5. 04). — Lebendiges L e b e n : RS IV 45 ff., 36. — Karrenschieberei: zuerst Fr I 226f.; dann Fr II 26; G Z I 38ff., 49f.; Br a Fr I 4 5 f f . ; Ch 3f. — Besinnung auf das Eigene: Br a Fr I 51 ff., 84, 93. — „ I c h bin , . . " : Ch 2f.
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bezeichnen: die T u g e n d „ a l s S p i e l " , „als liebenswürdige Übung" und „unschuldige Freiheit des höchsten Guten und Schönen", und nicht als bloße Gesetzesethik — das höchste Ziel die „ F ü l l e des D a s e i n s " , die Beschränkung und Unendlichkeit vereint, fest und ewig beweglich zugleich ist, Ruhe der Kraft, nicht der Ergebung — die P e r s ö n l i c h k e i t a l s vollkommene leiblich-geistige „ G e s t a l t " , auf der allein die Idee höchster irdischer Glückseligkeit, Güte und Tugend ruhen könne, und damit Selbstbegrenzung, Haltung, Maß und Zucht. Von besonderer Bedeutung wurde der Begriff der Gestalt, der die Staatsauffassung Arndts weitgehend befruchtete 7 ). Mit dem Bekenntnis zu diesem Ethos mußte die Antike die beherrschende Macht seines geistigen Lebens werden. Schon in „Germanien und Europa" wurde der Wunsch ausgesprochen, daß an Stelle des Orientalismus des Christentums der Hellenismus der Bildungssame des Abendlandes geworden wäre, da unsere Sprödigkeit nur durch Klarheit und Freiheit zur Humanität geläutert werden könne. Der zweite Teil der „Fragmente über Menschenbildung" brachte dann das Bekenntnis der Wandlung: auch er habe lange den Griechen gegenüber, wenn auch nicht zu den Ungläubigen gehört, so doch vieles für übertrieben gehalten. Gleichzeitig wurden die Ausführungen der „Ideen über die höchste 7)
Der Einfluß der philosophischen Schriften Schillers auf A r n d t ist bisher nicht genügend beachtet worden. Dadurch findet vieles, was als romantisches Gut angesehen wurde, ohne daß sich eine volle Übereinstimmung ergeben wollte, seine Erklärung. A m stärksten ist dieser Mangel bei H. Frömbgen a. a. O. fühlbar. — Bildungsideal: Der Gesamtcharakter der ethischen Anschauungen in GE, Fr In. II und Br a Fr entspricht a m meisten den Gedanken Schillers. Die Einflüsse Rousseaus, Pestalozzis, Piatos u. a. beschränken sich mehr auf das Praktisch-pädagogische. Vgl. darüber: C. Geißler: „ D i e pädagogischen Anschauungen E . M. Arndts im Zusammenhang mit seiner Zeit", Diss. Leipzig 1905; K . Levinstein: „ D i e Erziehungslehre E . M. Arndts", 1912. — Tugend als Spiel: GE 53; Fr I 109f.; Br a Fr I 121 f. ( = virtus); vgl. Schiller: S.W. X I I I , 53, 5 5 — 5 9 ; vgl. ib. 9of., I04ff.; X I , 210, 2 1 5 I , 232; X I I , 157. — Fülle des Daseins: Fr I 1 3 6 I , 139, 143; Fr II 154, 248ff.; Br a Fr I 155; vgl. Schiller: S.W. X I I I , 47f. (Fülle v. Dasein); I02f. („daß die Materie die Form, daß die Beschränkung die Unendlichkeit keineswegs ausschließe"); X I I , 178 („strebe nach Einheit, aber suche sie nicht in der Einförmigkeit, strebe nach Ruhe, aber durch das Gleichgewicht, nicht durch den Stillstand deiner Tätigkeit"). — Persönlichkeit als Gestalt: GE 73, 152; Fr II 156, 1 5 9 I , 2 5 0 I ; Br a Fr I 122ff., 133; Ch 246; vgl. Schiller: S.W. X I I I , 55ff. (lebende Gestalt: „ d a z u gehört, daß seine Gestalt Leben und sein Leben Gestalt sei'' = Schönheit); vgl. dazu: Cassirer: „Freiheit u. F o r m " a. a. O. p. 468ff.
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historische Ansicht der Sprache", soweit sie in den „Fragmenten" Aufnahme fanden, in diesem Sinne erweitert, und es begegnen Worte, die in Hölderlins „Hyperion" stehen könnten: „O Athen, Korinth, Smyrna und Krotone, welch ein Leben war vor 22 Säkeln in euren Mauern ? Wird der heilige Staub denn nie wieder lebendig werden?" Schlözers Griechenauffassung wurde scharf bekämpft und auf die wahre welthistorische Bedeutung hingewiesen. Die Beurteilung des Christentums von solcher Warte aus mußte naturgemäß negativ ausfallen, und es machte wenig aus, wenn die heftig kritisierten Erscheinungen der Erdverachtung, der Erniedrigung von Tat und Leib und der Vergeistigung Gottes und der Welt nicht dem Christentum als solchem zur Last gelegt werden sollten, sondern seiner Entartung durch die zerfallende antike Welt, in die es traf 8 ). Eine verständnisvollere Haltung bahnte sich erst an durch den Einfluß Schellings und der Romantik. Der Beginn dieses Einflusses läßt sich zeitlich ziemlich genau bestimmen. Es steht fest, daß sich Arndt vor der Reise nach Schweden 1803 nicht solidarisch mit der Romantik fühlte, es vielmehr liebte, ihre Überschwenglichkeiten zu ironisieren, obwohl anderseits innerlich bereits eine große Annäherung stattgefunden hatte. Es ist ferner sicher, daß bis dahin auch die Naturphilosophie die gleiche etwas verächtliche Zurückweisung erfahren hatte wie die Philosophie Fichtes. In Schweden scheint dann der Umschwung sich angebahnt zu haben unter dem Einfluß der Vorkämpfer der schwe8)
Die eigene antike Lektüre kam hinzu, wie sie z. T. die Lehrtätigkeit mit sich brachte (vgl. A. Hoefer a. a. O.). — Hellenismus als Bildungssame: GE 31 f. — Bekenntnis: Fr II isof. — „ O Athen. . .": Fr II 168. Fr II bringt teilweise Wiederholungen aus Ideen. Die Verschiedenheiten der entsprechenden Stellen sind bisher nicht beachtet worden. Ein wesentlicher Zusatz findet sich Fr II 173: „Wegen der genialischen Freiheit und Natürlichkeit sind sie uns durchaus das erste für die allgemeine Bildung, weil sie das Gemüt nicht allein frei lassen, sondern auch frei machen. Wer in den Geist dieser Göttlichen eindrang, der kann sich nicht mehr an irdische Erbärmlichkeiten hängen, nicht mehr für nichts die Glorie seines Lebens hingeben. Er ist aus der Knechtschaft gegangen und kann auch in Ketten nicht mehr Knecht sein"; ferner im Kap. über lat. Sprache die positiven Bemerkungen über den praktischen Wert der lat. Sprache und die Bedeutung Roms für unsere Verfassung und Gesetzgebung. — Gg. Schlözer: Ideen 32. — Positiv über die Antike ferner BraFrl 117f, 125—137; Ch 9. — Christliche ErdVerachtung: GE 293—296. — Erniedrigung der Tat: Ideen 11; GE 293—296. — Vergeistigung: Ideen n f . ; Fr I 260; GE 73. Die Zusammenstellung bei Stemplinger, ,,E. M. A r n d t u. das G r i e c h e n t u m " , N. Jb. für Pädagogik Bd. 52, 1923, p. 6 7 — 7 3 , ist nicht erschöpfend.
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dischen Romantik Silverstolpe und Benjamin und Samuel Hoyer aus Upsala, die er in Munkfors kennenlernte9). Pantheistische Empfindungen erfüllten ja schon die Jahre der Frühzeit, und auch in dem Geschichtsbild von „Germanien und Europa" ahnte der ehrfürchtige Blick hinter den Wirren und Wandlungen der Menschheit einen großen Weltgeist, der durch das All geht. Das waren Anlehnungen an die alten Vorstellungen, wie sie auch Herder und Goethe vertreten hatten. Nun aber ergriff auch ihn der große begeisternde Schwung der Schellingschen Philosophie und die Aussicht auf neue ungeahnte Erkenntnisse, die die völlige Vergeistigung der Naturwissenschaften zu eröffnen vorgab. Die neue Wissenschaft schien der erste Vorbote des kommenden geistigen Zeitalters zu sein, das die neuhumanistische Geschichtskonstruktion erwartete. Auch Arndt ließ sich von diesem Glauben eine Zeitlang tragen und sah hoffnungsvoll auf zu den „Weisesten 9)
Entscheidend ist die Datierung des Storch auf 1803 vor der ersten Reise nach Schweden (vgl. E. Gülzow: „Beiträge zur Arndtforschung", Unser Pommerland 1917 p. 173—187). Danach ist das Buch bereits Sept. 1803 im Verlag angezeigt, der Buchhändlerbrauch nahm als Jahreszahl 1804 voraus. Müsebecks Datierung auf 1805 ist irrtümlich. Dadurch wird die Polemik verständlich, denn sie steht mit keinen früheren positiven Äußerungen in Widerspruch. — Gegen Romantik: Storch 58, 81, 5 5 ! , 133, 233 u. a.; daneben aber bereits starke Gleichklänge mit den doch sicher nicht ironisch gemeinten Melittionliedern des Anhangs: so ib. 265, 85. — Gg. Fichte: Storch93, 141 f. — Schelling: Br S 10(7. 11.03): „. . . mit S. philosophiert, einige Widersprüche der Mythologen Kreutzer, Schelling und Konsorten dabei durchgesiebt." — Umschwung in Schweden: Br S 42 (7. 6. 04): „Diese alle, meine unphilosophische Wenigkeit ausgenommen, aus der skeptischen Kantischen und demokratisch-ethischen Fichteschen Philosophenschule . . . " ; ib. 45: „diese Jünglinge gehören zu der Schar der literarischen Umwälzer, zu den sogenannten wilden Deutschenthousiasten... Da tragen sie mit den Namen Goethe, Schiller, Kant, Fichte nur zu sehr die deutschen Fahnen v o r " ; ib. 23 (23. 3. 04): „sagen, . . . daß die deutsche Philosophie und Ästhetik und die romantische Schule der Schlegel und Tiecke in den Köpfen der Jüngeren zu wühlen und zu spuken beginnt." — Über Silverstolpe und Hoyer vgl. die Anm. ib. p. 41 f. — Über die Bedeutung des Nordens für die Romantik vgl. E. Bertram: „Norden und deutsche Romantik", Zeitwende 1926 Heft 1 p. 47—61. Das dort Gesagte wird nicht nur durch Arndts spätere Stellung bestätigt, sondern auch durch seine Entwicklung zur Romantik hin. — Die Dissertation von H. Frömbgen: ,E. M. Arndt und die deutsche Romantik", Diss. Münster 1926, ist irreführend, da der zugrundeliegende, auf F. Strich zurückgehende konstruktive Begriff von Klassik und Romantik den Zusammenhängen und Übergängen der beiden großen geistigen Bewegungen nicht gerecht wird und die Entwicklung Arndts zu wenig beachtet ist.
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und Gewaltigsten der Zeitgenossen", den „Männern neuer Kraft und Begeisterung", die das Zukunftsreich herbeiführen sollten durch höheres Schauen und geistiges Sehen. Das hochgespannte optimistische Weltgefühl der Frühromantik verklärte alle Erscheinungen der Natur und Geschichte zu einer großen Panharmonie selbst in den unendlichen Disharmonien. Das Bekenntnis zu dem großen Ein und All, das ewig in sich selbst zurückwogt in Ausströmung und Zurückströmung zur Gottheit, bekam etwas von religiöser Inbrunst. Die dualistische Weltanschauung wurde stolz und selbstsicher abgelehnt, die Einheit von Gott und Welt, Ariman und Ormuz, Leib und Seele verkündet 10 ). Dadurch war nun auch die frühere Zwiespältigkeit der eigenen wissenschaftlichen Betätigung entschieden. Wissenschaft sollte sein „Streben zum Universum und für das Universum", und wer als ihr Lehrer auftreten wollte, mußte eine „Weltseele" haben, um die große Weltseele, die das All geheim bewegt, zu finden. Neben die Ablehnung des Rationalismus trat nun das neue positive Ideal einer mythischen Wissenschaft, die alles nur als Mythos, als Anspielungen des unendlichen Gesamtlebens in seinem Sein und Wesen darstellen und auf alles „Klügeln" und Zerlegen verzichten sollte. Unter Schellingschem Einfluß wurden die irrationalen Triebkräfte des Handelns eine Zeitlang fast einseitig betont, und es finden sich Worte, die wie eine gänzliche Abwendung vom Reich der Freiheit klingen: „Alles, was Willen hat, hat Veränderlichkeit und Schwäche; deswegen sollte man nie sprechen von göttlichem Willen, sondern von göttlicher Notwendigkeit: Gott muß, der Mensch will. Wo das Reich des Willens beginnt, da ist auch das Reich der Ungerechtigkeit". Es schien, als sollte auch in seinem stets dem Lichte zugewandten Geist das „WunderlichNächtliche" der inneren Welt die Oberhand gewinnen und die Vorliebe für das „Dämmerlicht des süßen Traumlebens" und die „heilige Nacht" an die Stelle des klaren Denkens und Tuns treten. 10) Weltgeist: GE 64, 73, 156, 256. Erste Spuren der Wirkung Schellings: Fr I, also wohl nach der Reise noch überarbeitet. — „Weisesten und Gewaltigsten . . . " :GZ I 47. — „Männer neuer K r a f t . . . " ib. 42; die Beziehung dieser Stelle auf Fichte (Müsebeck: Lebensbild a. a. O. p. 158) ist unsicher und durch die vorhergehenden Worte über K a n t und seine unmittelbaren Nachfolger unwahrscheinlich; Schelling ehrenvoll genannt: GZ 1 40; ferner Fr II 191: „Physik, . . . ich sage das Größte, wie ich dieses Wort ausspreche, ich s c h a u d e r e . . . " ; Ch 224 (Preis der Naturphilosophie). — Optimismus: Fr I 47f. — Panharmonie: Ch 218, 33ff., 36; Fr II 109; Ideen 1 5 ! (Spiel); Fr II 23 (Spiel). — E i n u. A l l : Ch 196, 94, 25, 27f., 3 1 ; Fr II 1 7 1 (Spiel): Fr I 3, 253. E i n h e i t : Fr I 2 2 7 — 3 1 ; Ch 195.
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Das stark dichterische Element der Schellingschen Weltanschauung drohte vorübergehend auch Arndts Begriff der wissenschaftlichen Wahrheit in verhängnisvoller Weise zu erweichen und die ursprüngliche realistische und empirische Einstellung zu überwuchern. Es kam zu so bedenklichen Äußerungen wie: „Eigentlich kommt auch auf die kleine Wahrheit der Geschichte nicht so viel an, als daß sie menschlich und würdig sei" und noch 1806 in der Vorlesung: „Der Glaube ersetze, was das Wissen nicht vollendet hat" 1 1 ). Das alles bedeutete zugleich ein Verlassen der rein antiken Ideale der Klassik und eine größere Bereitschaft, christlichen Anschauungen gerecht zu werden. Auch hier kam es zu einer Neuorientierung vor allem wohl durch Schellings neue große Schrift, die „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums" mit ihrer „historischen Konstruktion" des Christentums. Aber wie dort und überhaupt in der Romantik die Neigung bestand, die Gegensätze als nur scheinbar zurücktreten zu lassen und alles Getrennte zu verbinden zur großen Einheit, so geschah auch bei Arndt die Verschiebung des humanistischen Geschichtsbildes ins Christliche ganz unmerklich, und ohne daß er sich zunächst der ungeheuren Kluft bewußt wurde, die sich dahinter verbarg. Die Sympathien blieben bei der Antike mit den gegenwärtigen Göttern in der Mitte des Lebens. Die dem Jenseits zugewandte christliche Religiosität erschien nach wie vor als etwas Negatives, aber zugleich wurde sie anerkannt als eine notwendige Übergangserscheinung und Vorbereitung des kommenden Reiches wahrer Humanität, wenn das Feuer des Geistes sich mit dem verl r ) „Streben zum Universum" ...: Fr II 23. — Weltseele: Fr II 4t, 272t.; daß Arndt den Begriff der „Weltseele" von Schellings Schrift „ V o n der Weltseele" übernahm, ist dadurch wahrscheinlich, daß in einer Bücherliste des Nachlasses aus der Frühzeit diese Schrift aufgeführt ist. Inhaltlich geht er bei Arndt jedoch ganz auf die Antike zurück, wie besonders Fr II 272f. zeigt. — Mythische Wissenschaft: Fr II 6f., 178; Fr I 137, 2 5 I — „Alles, was Willen hat . . .": Fr II 85; ferner: Ch 3if., 51. — „WunderlichNächtliche": Br M 168 (23. 6. 14). — „Dämmerlicht . . . usw.": Fr I 2 4 7 I ; GZ I 42f.; doch auch: Fr II 143: „alles Nächtliche verdächtig". Einflüsse in dieser Richtung sind wohl besonders von Novalis ausgegangen. Romantische Einflüsse ferner durch Tieck und A. W. Schlegel (z. B. Ch 1 7 9 über Shakespeare und das Christlichromantische, GZ I 1 1 9 f. über spanische Literatur); Arndt wünschte am 4. 7. 10 von Reimer A . W. Schlegels Vorlesungen über dramatische Kunst und den 2. Teil des Spanischen Theaters (Br L 61). — „Eigentlich kommt . . .": Fr II 185. — „Der Glaube ersetze.." : Ch 37; ferner Fr II 278 (gegen bloße Erfahrung); GZ I 4 9 I ; v o r h e r GE 48, 85 ff. u n d Fr I 24 f ü r E r f a h r u n g .
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gessenen Leibe der Erde in neuer Unschuld und Jugend wieder vereinigen werde: „ . . . wer kann über seine Notwendigkeit schimpfen? Es konnte nicht anders gehen. Weil die freie K r a f t (in der Antike) sich des Übermuts nicht erwehren konnte, so mußte sie unter Zucht gestellt werden, daß sie Mitleid und Tränen lernte, wenn diese Tränen gleich nur zu oft über sie selbst fließen. Das Christentum sollte die übermütige Welt zerknirschen und zermalmen durch lange Jahrhunderte, bis endlich ein höherer Schein einer idealen Welt voll Schönheit und Erbarmen zugleich sie wieder befreite und ihr die Humanität sicherte, ein ewiges Gut, welches Gerechtigkeit und Schönheit verbindet". So bedurfte es keiner Entscheidung, da für diese romantische Ideologie das Heidentum mit seiner „Gemüts- und Leibesfülle" mit dem „Ideentum und Christentum" der neuen Welt durchaus nicht unverträglich zu sein schien. Das Zukunftsreich spielte und schillerte in so indifferenten Farben, daß sie ebenso gut Wiederkehr der Antike als Vollendung des Christentums bedeuten konnten 12 ). So viel Schwärmerisches und Phantastisches diese ganze Gedankenwelt enthalten mochte, und so wenig es von hier aus möglich war, die konkreten Aufgaben der Zeit ins Auge zu fassen, so brachte sie doch für die Entwicklung Arndts etwas Großes und Gewaltiges: das Erlebnis, sich mit dem Strom des geistigen Lebens der Zeit in der Tiefe eins zu wissen und damit das Ende der iso12)
Historische Konstruktion des Christentums: Schelling, S . W . I . 5, p. 299 ff. •—
Gegenwärtige Götter: GZ 144t.;
Fr II 159t. — Christentum negativ: Fr II 215,
I 9 3 f f . , 62; Fr I 260; Br a Fr I 119. —
Christentum notwendig: GZ I 8of. (
9Öf.; Br a Fr I 120. — „ W e r kann über . . . " : Fr II Heidentum und Christentum verträglich:
1 9 5 ! ; vgl. GZ I 5öf. —
Br a Fr I
i 2 o f f . , 125. —
Ähn-
liche Gedanken sind in der R o m a n t i k weit verbreitet: N o v a l i s : Schriften I V p. 248; Schleiermacher:
„ R e d e n üb. d. R e l . " a. a. O. p. i o f . , 102, 118
und „ V e r t r a u t e Briefe über die Lucinde",
vgl. H a y m :
Schule" 4. A u f l . v. O. Walzel 1920 p. 582.
Schelling:
„Die
romantische
S.W. I.
5, p. 1 1 9 ;
I. 6, p. 66. A d . Müller: A n Joh. v. Müller (Joh. v . Müller, S.W. 1839 B d . I I I p. 107f.): „ N i c h t s hat mich so geängstigt, wie die Versöhnung des antiken mit dem modernen Prinzip."
Jean
„ J e a n P a u l " 1925 p. 203; Hegel: „ D i e Jugendgeschichte
Paul: „ K a m p a n e r t h a l " ,
Hegels" a. a. O. p. 96—100.
bei der Erweckungsbewegung
die
vgl.
J.
Alt:
„ D a s Ideal der L i e b e " vgl. W . D i l t h e y : Betonung
Im
Gegensatz
der nötigen
dazu
Entscheidung:
F . H . Jacobi: „Fliegende Blätter", W w . 1 8 2 5 Bd. V I p. 2 4 1 : „ E s gibt nur zwei Religionen: Christentum und H e i d e n t u m , Gottesdienst und Abgötterei. Eine dritte zwischen beiden ist n i c h t
möglich."
Müsebecks
Bemerkung
( L e b e n s b i l d p. 1 9 9 ) , daß die f r a n z ö s i s c h e R e v o l u t i o n schon i n GE a l s d r i t t e Epoche
des
Christentums
bezeichnet
wird,
ist
P r o b l e m : M ü s e b e c k i b . p. i 8 6 f . ; L a a g a. a. O . p.
falsch.
Vgl.
30—35.
zum
ganzen
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Herten Opposition zur Gegenwart durch den Glauben an eine mächtige aus ihr geborene geistige Bewegung. Ein Ja zur geschichtlichen Entwicklung hatte er schon in „Germanien und Europa" gefunden, aber es war das klassisch gehaltene Bejahen des Unvermeidlichen gewesen, nur leise gemildert durch das ferne Bild der Zukunft und ein dunkles Ahnen, daß ein neuer Geist sich rege. Jetzt trug für eine Weile das romantische Hochgefühl über alle Bedenken hinweg, und in den „Fragmenten über Menschenbildung", die den Höhepunkt der Annäherung Arndts an die Frühromantik bezeichnen, kam es zu einer ausführlichen Auseinandersetzung mit allen Zweiflern und Verzweiflern an der Zeit. Zu den geistigen Ursachen für diese große Verwandlung kamen solche des persönlichen Lebens hinzu, die vielleicht noch entscheidender und jedenfalls nachhaltiger wirkten. Denn in ihnen lag zugleich der Keim, der über die romantische Episode hinausführte 13 ). Wenn es auch richtig ist, daß Arndts Privatleben im allgemeinen den Bereich des Alltäglichen nicht überragt und daher in seinen Einzelheiten kein historisches Interesse beanspruchen kann, so würde man sich doch das tiefere Verständnis des entscheidendsten Jahrzehnts seines Lebens völlig verschließen, wenn man die Liebe zu Charlotte Bindemann nicht in Betracht ziehen wollte. Sie ist nach dem frühen Tode seiner Frau im Sommer 1801 die stärkste äußere Triebkraft seiner Entwicklung bis 1812 gewesen, und die Spuren, die sie in Arndts Schaffen hinterlassen hat, tragen den Hauch einer Höhe und Reinheit der Empfindung, der sie weit über das Alltägliche hinaushebt zu allgemeiner Bedeutung. Es liegt noch jetzt ein Zauber über der Gestalt dieser Frau für den, der ihren Widerschein im Leben Arndts wahrzunehmen vermag. Da der gesamte Briefwechsel, wie es scheint, vernichtet worden ist, gibt es fast keine Nachrichten über sie, und man weiß nur, daß sie sehr schön und geistig bedeutend war. Aber in den zahlreichen Gedichten, die ihr gewidmet sind, lebt sie noch heute, und trotz vielfacher Mängel gehören die besten dieser Gedichte unter die wenigen Arndts, die es vermocht haben, persönliches Leben in ein zeitloses Bereich zu heben. Sie tragen das Zeichen höchster Erfüllung in der Gegenwart eines vollendeten Wesens und verleihen der gefeierten Gestalt den stolzen und sicheren Umriß einer fast königlichen Erscheinung. Der Anhauch dieser Liebe befreite durch eine Unbedingtheit, die auch den höchsten Flug des Geistes 13 ) Ja, zur geschichtlichen E n t w i c k l u n g : GE 4 2 9 I ; Leib 275. — Gegen Verzweifler: Fr II 32, 61.
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in sich zu fassen vermochte, alle lange zurückgehaltenen, schlummernden Kräfte des Schaffens und gab den ersten Anstoß, die engen Bahnen einer gelehrten Existenz zu verlassen. Der Glanz und die Weihe, die das eigene Leben erfüllten, erschienen als Bürgschaft einer nahen schöneren Zukunft, als Mahnung zum Kampf dafür und als Zeichen der Berufung. E s war ein Leben voll heiliger Wahne 14 ). Für diese Verbindung von seliger Genüge und rastlosem Getriebenwerden in die Weite des Wirkens — das kein Spiel mit Worten war, sondern ein ernstes Schicksal, unter dessen Schritt das Glück der Erfüllung zerbrach — dafür gibt es in jener Zeit in so hoher Lage des Empfindens nur ein Beispiel: Hölderlins Hyperion. Diese innere Verwandtschaft ist wahrscheinlich kein Zufall, sondern es ist anzunehmen, daß Arndt 1803 bereits das Thaliafragment und später das ganze Werk kannte, und daß Diotimas Bild für ihn mit seinem eigenen Erleben verschmolz. Dieser Einfluß dürfte neben dem Schillers die uneingeschränkte Verehrung der Antike und die Hoffnungen des neuen Zeitalters bei Arndt mitbestimmt haben. Auch die in seinem Munde etwas seltsamen überschwenglichen Worte beim Anruf der himmlischen. Venus in den „Fragmenten": „daß ich ein ewiger Diener der Schönheit und einzig von ihren seligen Strahlen lebend und leben wollend, nicht verletze etc. . . .", werden dadurch verständlich. Aber wie in der Liebe zu Melittion, so begegneten ihm auch in Hölderlins Roman Motive, die aus der seligen Welt seines Herzens hinauswiesen zu hoher Wirksamkeit für Freiheit und Vaterland. Sie fanden Widerhall in der Tiefe der eigenen Brust und zogen ihn unwiderstehlich aus der zeitlosen romantischen Hafenstille seines Glückes auf das stürmische Meer der politischen Gegenwart. Im gleichen Sinne wirkte die im Sommer 1805 beginnende geistige Verbindung mit Frau von Kathen. Der erste längere Brief vom 18. September 1805 zeigt deutlich den Abstand, der ihn bereits von der kürzlich erschienenen pädagogischen Schrift trennte. E r wies das ihm zuteil gewordene Lob zurück: „Man muß das Bild und seinen Bilder, das Buch und seinen Schreiber wohl unterscheiden . . . nur das handelnde Leben ist des Lebens Probe." Er war im Begriff, sich ihm zuzuwenden. „Der Wille zur Freiheit 14
) Arndts Privatleben alltäglich: H. Dreyhaus: Rez. v. Müsebecks Arndt, H. Z. 1 1 4 , 1 9 1 5 p. 132. — Über Arndts Liebe zu Charlotte Bindemann, die bei Müsebeck völlig übersehen und in ihrer großen geistigen Bedeutung für Arndts Entwicklung bisher noch nicht erkannt worden ist, vgl. meinen Aufsatz: „ E r n s t Moritz Arndt und Charlotte Bindemann" in Euphorion B d . X X X , H e f t 4 , 1 9 2 9 , wo Quellen und Literatur vollständig verzeichnet sind. Beiheft d. H. Z. 18.
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ist in mir; viele Dinge fordern mich auf, ihn zu zeigen, auch Ihre Güte wieder. Eines lieben und guten Menschen Meinung ist Befehl der Götter." 15 ) Wenige Wochen darauf entstand der erste Teil des „Geist der Zeit". Die romantischen Illusionen begannen zu verblassen. Zwar blieb auch jetzt das Grundgefühl ein optimistischer Zukunftsglaube, aber die tiefen Schattenseiten der Gegenwart wurden nun wieder klar ins Auge gefaßt, und neben die Zuversicht auf das stille Wirken des Schicksals trat die entschlossene Einsicht: „. . . die Zeit bedarf auch ihrer irdischen Stöße und Erschütterungen wie das Weltmeer der Winde auf der Oberfläche, während die unendliche Tiefe klar und still ruht. Wer die Welt bewegen soll, dem ward zu klarem Verstand die gewaltige Hand, die lauttönende Rede und der pythische Zorn, der mit Götterstimmen schilt und weissagt. Ohne solchen Zorn wird nichts Irdisches, noch erhält es sich." Er sah „die hohe Pflicht eines Wächters und Stundenweisers der Zeit", und während er sie mutig ergriff, wurden doch in der Tiefe auch die Zweifel rege, ob er ihr gewachsen sein würde, und ob sie ihm zukam: „Rede, Schwert in des Mannes tapferer Hand, ich bebe, wie ich dich fasse; denn fürchterlich ist der Kampf, kleiner die Kraft als der Mut." Aber durch die Zweifel und das klare Bewußtsein der eigenen Grenzen klang sieghaft das Gebot der inneren Stimme, und er sagte sich: „Wenn die, so berufen sind, schlecht waren oder verstummen, so spreche jedes vaterländische Herz den Fürsten und dem Volk, wohin die Zeit weist und strebt." So trennten sich seine Wege von Schelling 16) Die Bekanntschaft mit Hölderlins Hyperion wird wahrscheinlich gemacht durch wörtliche Parallelen, die in dem oben Anm. 14 genannten Aufsatz zusammengestellt sind. Auf eine Abhängigkeit Arndts von Hölderlin hat meines Wissens bisher noch niemand hingewiesen. Sie ist geeignet, die große innere Wandlung von den „Fragmenten über Menschenbildung" zum „Geist der Zeit I " sehr viel verständlicher zu machen. — „ D a ß ich ein ewiger Diener . . . " : Fr II 256; vgl. Hölderlin, S.W. II p. 150. — Der Gedanke des Vaterländischen bei Hölderlin: ib. 89f. (blähend Vaterland); 117 (edel Volk; Klage, daß es nicht da ist); 119 (Vaterland erretten); 122 (o Begeisterung . . .); 197 ff. (Du wirst Erzieher unseres Volks); 238 (Freiheit); 239 (Ich möcht' ein freies Land, ein Land voll Schönheit und voll Seele dir zeigen); 239 (o Genius meines Volks . . .); 245 („dein armes Paar, die Vaterlandslosen"; daß damit nicht nur Griechenland gemeint war, zeigt die Vorrede: „ I c h verspräche gerne diesem Buche die Liebe der Deutschen"). — „Man muß . . ." :Br K 32; vgl. die Korrektur Br H 183. — „Der W i l l e . . . " : Br K 34. Über den Eindruck Ch. v. Kathens auf Arndt: ib. 201 (17. 12. 41). — Vgl. für die Wandlung Arndts auch „Elegie" (An die Mutter), Ww Meisner III 181.
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und der Romantik. Noch nicht endgültig; noch knüpfte sich ein Rest verehrender Bewunderung und ungebrochener Hoffnung an die größten Namen. Indem er jedoch als erster aus den Reihen der jungen Generation den entscheidenden Schritt ins Politische tat, erkannte er die Schwächen und Schranken ihrer Position. Gegenüber der Romantik besann er sich aufs neue auf seinen an der Klassik gebildeten Sinn für Maß, Form und Grenzen. Er wandte sich ab von ihrer Flucht in die Vergangenheit und ihrem mühelosen Genießenwollen, vor allem aber von den massenhaften Mitläufern ohne eigenen Gehalt, an denen alle Auswüchse des neuen Lebensgefühls offenbar wurden. Sie waren es wohl auch, die ihm mit ihrem Geschwätz die philosophischen Modebegriffe verekelten. Nun, wo er sich dem handelnden Leben zugewandt hatte, erschien ihm die romantische Sucht, alles wissen und aussprechen zu wollen, als gefährliche Unzucht, die das „Geheimschaffende und Erhaltende", „alle Unschuld und Schöpferkraft des Lebens" zerstört. Mit dem Kampf für die politische Freiheit leuchtete das Bewußtsein der inneren Freiheit mächtig auf: „Wir gehören dem All der Dinge an, glücklicher und weiser, je frömmer und einfältiger wir ihm gehorchen, aber in dem Spiel seines Scheinlebens stehen wir frei und göttlich in Selbstkraft und Selbstgefühl und sollen durch sie spielen und kämpfen. Nach ewigen Gesetzen der Wahrheit und Gerechtigkeit, deren Quelle tiefer rinnt als das sterbliche Wort, sollen wir die Welt richten und halten. . . . wo das Böse erscheint, . . . da erscheint die wilde Kraft, die das Göttliche selbst zerstören möchte, wenn sie könnte, und das heilige Orakel der Menschenbrust tönt: Kämpfe und ringe gegen dieses bis in den Tod!" 1 «) Sein nüchterner realistischer Sinn brach wieder durch, der sich „mit den hohen Schwärmern nicht berauschen, noch immer in goldenen Hoffnungen der Zukunft leben" konnte, und sein Spott traf die „sublimen Ästhetiker, die, auf Hellas und Hispa16 ) O p t i m i s m u s : Br a Fr I 139, 143 f.; GZ I 58, 205; Ch 12, 90. — Schattenseiten der Zeit: Br a Fr I 4, 66, 74, 93; GZ I 56f., 24t.; Ch 64, 5, 6, 192; Br K 35 (27. 10. 05), 38 (1. 12. 05). — „ d i e Zeit bedarf . . . " : GZ I 25t. — ,,die hohe P f l i c h t . . . " : GZ 1 26. — „ R e d e . . . " : ib. 23. — Eigene Grenzen: ib. 28f., 195. — Innere S t i m m e : ib. 25, 29f. — „ w e n n die . . . " : GZ II i, 11. — R e s t v o n B e w u n d e r u n g : Ch 6 (feurige Wiedergeburt); GZ I 47f., 42; Br a Fr I 147. — Maß, F o r m : Br a Fr I 74, 151 (gegen Jean Paul). — Gegen Flucht in die Vergangenheit . . .: GZ I 51; Br a Fr I 115 ff.: „ L a ß dich nicht täuschen, Bruder, d a ß m a n ein solches Ideal nur so machen könne durch G a f f e n und Schauen in die W e l t hinein, und durch G o t t weiß was für fromme Herzensergießungen . . .", wohl eine Spitze gegen Wackenroder, dessen
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Streben sich zugewandt hatte. Das eine der beiden großen Themen der nächsten Entwicklungsjahre kündigte sich damit an 17 ). Diese erste volle Hinwendung zur politischen Aktivität war mehr einer unwillkürlichen Aufwallung entsprungen als einem reifen Entschluß. Unmittelbar nach der Niederschrift des „Geist der Zeit" regte sich wieder der Wunsch nach stiller Tätigkeit, und in den „Briefen an Freunde" klangen von neuem romantische Motive an und klagten über die unselige Zeit: „wie zertritt das Politische das Poetische in mir!" Daher machte sich die Auswirkung der aktiven Tendenzen auf die wissenschaftliche Einstellung zunächst nicht in so einschneidender Weise geltend, wie man erwarten könnte. Mit der Ablösung von der Romantik wurde vielmehr das Mißtrauen gegen ihre unsachliche Ideenspielerei ohne Arbeit und Studium wieder lebendig, und die Erfahrung kam aufs neue zu ihrem Recht durch die Erkenntnis, „daß, wenn Leib und Geist auch ganz verschiedene Dinge sind, wir doch den Geist nur an dem Leibe, das Wesen nur an der Gestalt erkennen sollen." Das Zurücktreten der Antike und das größere Verständnis für das Christentum gaben ihm zum erstenmal einen Begriff von historischer Distanz und führten zu der Erkenntnis, daß man die Griechen nur nach dem Weltsinne ihres Zeitalters begreifen dürfe. War das eine unverkennbare Vertiefung der wissenschaftlichen Methode, so wurde das Ziel der Darstellungen doch bereits beherrscht von dem politischen Wollen. Die Geschichtsbetrachtung des „Geist der Zeit" sollte keine „Geschichte" sein, sondern eine Darstellung von politischen Vorgängen der Vergangenheit, die „lehrreich" für die Gegenwart erschienen. Die Vorlesungen über historische Charakterschilderungen von 1806 hatten die Aufgabe, hinzuweisen „auf eine kühnere Zeit und kühnere Menschen, welche freier taten und litten", und damit die ethische Bildungskraft der Geschichte zur Geltung zu bringen. Zugleich zerschellten die romantischen und naturphilosophischen Illusionen von einer panharmonischen Gott17 ) „mit den hohen Schwärmern . . . " ; Br a Fr I 148; vgl. GZ I 43; Ch 246. — „sublimen Ästhetiker . . . " : GZ II 1 29; vgl. Br a Fr I m f . — „himmelstürmenden Philosophen. . . " : GZ II 1 29, wohl polemisch gegen Fichtes „Grundzüge"; vgl. Ch 7f. — Geschiedenheit von der Antike: GZ I 79ff. — Urteil über die Griechen: ib. 78 ff., 7Öff. (gegen Schlözer). — „arme Menge": ib. 27. — „Eure nachgesungenen . . . " : GZ II 1 12; vgl. Br a Fr I 114. — Luther: GZ II 1 13, 2 8 I ; Ch 219. — Reformation als Vorbild: GZ II 1 28f. — Zusammenhang mit ihr: ib. und Ch2 19; GZ 1 45 f. — Erlösung: Ch 220ff. ; GZ 181 noch negativ • die Stelle der Ch ist möglicherweise ein Zusatz von 1808.
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Natur an der dämonischen Gestalt Napoleons. Die dunkleren Triebkräfte des irdischen Geschehens traten aufs neue scharf hervor, und es gab wieder ein Böses als selbständiges Weltprinzip. Aber darum durfte nun auch nicht mehr alles verstehend bejaht werden, sondern es galt sich zu entscheiden, für oder wider. So gingen Vertiefung und Verengung der historischen Auffassung Hand in Hand. Die Problematik dieser Doppelrichtung blieb noch verborgen 18 ). 2. A b s c h n i t t : D a s V e r h ä l t n i s w e l t b ü r g e r l i c h e r und n a tionaler, i n d i v i d u a l i s t i s c h e r und sozialer, schwedischer und d e u t s c h e r M o t i v e . Es bleibt noch die Frage zu beantworten, welche Bedeutung den nationalen Empfindungen bei dem Durchbruch der aktiven Richtung im „Geist der Zeit" zukommt, und damit stehen wir vor dem größeren Problem, wie weltbürgerliche und nationale, individualistische und soziale, schwedische und deutsche Motive sich in der Entwicklung dieser Jahre durchkreuzten und durchdrangen, einer der schwierigsten Aufgaben der Arndtforschung. Die beiden Werke des Jahres 1802 schließen sich auch in diesem Zusammenhang betrachtet unmittelbar an die Frühzeit an. Ihre fast gleichzeitige Entstehung beweist, daß die Abfassung der „Geschichte der Leibeigenschaft" nicht als ein Überwiegen des Interesses an der engsten Heimat, an „Haus und Hof" aufzufassen ist. Sie ist die praktische Anwendung der theoretischen Erörterungen, die in „Germanien und Europa" über die Grundlagen des Staates gegeben wurden, auf einen gegebenen Fall. Dort aber richtete sich der Blick weit über die schwedisch-pommerschen Grenzen: auf Deutschland, auf Europa, auf die Menschheit. Der enge Begriff des Patriotismus als Liebe des Bodens, wo man geboren ist, wurde bekämpft: echte Vaterlandsliebe ist edler, ist stolze Aufopferung für die einheitliche Gesamtheit seines Volkes. So fand der volle Strom nationalen Empfindens, Sehnens und Hoffens aus der Frühzeit Aufnahme in diesen „Traum", der „aber nicht bloß Traum" war. Der Eingang wies nicht mit Unrecht darauf hin, daß die „Weisheit und die Torheit" des Buches 1(