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German Pages [209] Year 2020
Format: BRO 170x240, Aufriss: ???
14 mm
Patrick Schollmeyer / Tamara Choitz
Archäologische Zeugnisse im Lateinunterricht
Die Autoren Dr. Patrick Schollmeyer amtiert seit 2016 als Vorsitzender des Deutschen Archäologen-Verbandes und ist Kurator der Sammlungen Klassische Archäologie sowie der sog. Schule des Sehens an der JGU Mainz, zu deren Mitarbeitern er seit 1998 gehört.
Dieses Fachbuch enthält viele hilfreiche Tipps und Tricks, wie man archäologische Zeugnisse erfolgreich im Lateinunterricht einsetzen kann. Denn Archäologie ist nicht nur etwas für Studierende an Universitäten, sondern sie kann auch Schülerinnen und Schülern spannende Einblicke in die antike Welt gewähren! Nützliche Hintergrundinformationen und didaktische Hinweise für Lehrkräfte helfen dabei, die Archäologie gewinnbringend in den schulischen Kontext einzubauen. Zusätzlich werden in diesem Buch Lektürevorschläge zum jeweiligen archäologischen Zeugnis sowie dazu passende Arbeitsblätter angeboten, mit deren Hilfe man einen abwechslungsreichen Lateinunterricht gestalten kann.
ISBN: 978-3-525-70288-8
9 783525 702888
Schollmeyer / Choitz Archäologische Zeugnisse im Lateinunterricht
Prof. Dr. Tamara Choitz ist Lehrerin für Latein und Griechisch am Kurfürst-Salentin-Gymnasium in Andernach, seit 2009 regionale Fachberaterin Griechisch in Rheinland-Pfalz und zuständig für die Fachdidaktik-Veranstaltungen an der Universität Mainz.
Patrick Schollmeyer/Tamara Choitz
Archäologische Zeugnisse im Lateinunterricht Mit Fotografien von Angelika Schurzig
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Adobe Stock Nr. 85002219 Fotos: Angelika Schurzig Redaktion: Carina Weigert, Göttingen Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-70288-4
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1 Der fliegende Kaiser oder Wie liest man ein Bild? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2 Politische Kunst der Römer I – gloria in der Römischen Republik . . . . . . . . . . . . . 18 3 Politische Kunst der Römer II – Die Kaiserzeit als Tugendherrschaft . . . . . . . . . . . 25 4 Bildniskunst der Römer I – Die nobiles der Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 5 Bildniskunst der Römer II – Römische Kaiser und Kaiserinnen . . . . . . . . . . . . . . . 52 6 Gestaltung des öffentlichen Raumes I – Der Kaiser baut für das Volk . . . . . . . . . . 85 7 Gestaltung des öffentlichen Raumes II – Grab und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . 111 8 »Private« Lebensräume I – domus und villa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 9 »Private« Lebensräume II – Mythos und Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 10 »Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit« oder »Alle Bilder führen nach Rom« . . . . 178 Abbildungslegenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Vorwort
Das vorliegende Buch ist das Ergebnis einer mehrjährigen Zusammenarbeit beider Autoren. Das Grundkonzept sowie einzelne Lehreinheiten durften wir mit verschiedenen Klassen in den Sammlungen der Klassischen Archäologie und bei Fortbildungen in der Schule des Sehens an der JGU Mainz, am Pädagogischen Landesinstitut und am Erziehungswissenschaftlichen Fort- und Weiterbildungsinstitut der Evangelischen Kirchen in Rheinland-Pfalz erproben. Allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, Lehrkräften sowie vor allem den Schülerinnen und Schülern, möchten wir ausdrücklich dafür danken, dass sie sich jeweils die Zeit nahmen und unsere Versuche mehr oder minder geduldig sowie aufmerksam ertrugen. Die dabei geführten Gespräche, die gestellten Nachfragen und die abgegebenen Kommentare waren uns stets hilfreich. So manches konnte durch sie verbessert werden. Einen besonderen Gewinn stellten die vielen Exkursionen nach Rom mit Christine Walde, Lehrstuhlinhaberin für Latinistik an der JGU Mainz, und ihren (Lehramts-)Studierenden der Klassischen Philologie dar, an denen teilnehmen zu dürfen wenigstens einer von uns das große Vergnügen hatte. Die dabei erhaltenen Anregungen, die alle in die Textgestaltung eingeflossen sind, lassen sich nicht in einige kümmerliche Worte fassen, ebenso wenig der große Dank, den es hierfür an erster Stelle abzustatten gilt. Christine Walde sei daher dieses Buch zu ihrem besonderen Geburtstagsjubiläum am 25. November gewidmet. Zu danken haben wir ferner Angelika Schurzig für die Bereitstellung der Abbildungsvorlagen sowie vielen Kolleginnen und Kollegen, namentlich Angelika Dams-Rudersdorf, Georg Ehrmann, Sylvia Fein, Even Großmann, Matthias Heinemann, Jörg Hoffmann, Michael Hollmann, Alfred Krovoza, Hartmut Loos, Karl-Heinz Niemann, Steffen Ohin, Sabine Paffenholz, Ines und Jürgen Ritzdorf, Kurt Roeske, Klaus Sundermann, Janina Stahl und Adrian Weiß, die uns wichtige Hinweise gaben und vielfältig Hilfe leisteten. Das Buch ist von uns so konzipiert worden, dass es vor allem im Lektüreunterricht der oberen Klassen genutzt werden kann. Es sind darin zwar auch manche Anregungen enthalten, die sich in die Arbeit mit jüngeren Schülerinnen und Schülern der Vorlektürephasen integrieren lassen, doch dürfte das meiste intellektuell eher Ältere ansprechen. Diese Auswahl haben wir bewusst getroffen, da aus unserer Sicht eine auf die Vermittlung reinen Faktenwissens beschränkte oder eine gar nachahmend praktisch ausgerichtete schulische Archäologie nicht das ist, womit ein auf die Darstellung von historischen Zusammenhän-
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Vorwort
gen kulturwissenschaftlich ausgerichteter altsprachlicher Unterricht sinnvoll zu ergänzen wäre. Zudem existieren bereits genügend Handbücher und Einführungen (siehe Literaturhinweise Kapitel 1), die archäologisches Grundwissen hinreichend vermitteln. Dass der Verlag das Wagnis eingegangen ist, mit uns den anderen Weg zu gehen, statt eines stichwortartigen Überblicks lieber eine Reihe von Fallbeispielen archäologischer Lehreinheiten für den Unterricht vorzulegen, bedarf eines speziellen Dankes seitens der beiden Autoren, in den wir die für dieses Projekt zuständige Lektorin Carina Weigert ausdrücklich einschließen. Herausgekommen ist eine unserer Meinung nach gut lesbare Heranführung an zentrale Themenfelder der römischen Archäologie. Die gewählten Fallbeispiele und Fragestellungen sind in allen Fällen in die Lektüre von prominenten Schultexten lateinischer Autoren eingebettet sowie mit diesen verschränkt. Abschließend werden zudem Exkursionen, u. a. nach Rom, thematisiert. Die Aufgabenverteilung sah dabei so aus, dass Patrick Schollmeyer die Darstellung der archäologischen Aspekte übernahm, während Tamara Choitz die fachdidaktischen Abschnitte verfasste, wobei sie immer wieder auch Ideen und konkrete Vorschläge ihres Co-Autors aufgriff und didaktisch umsetzte. Wir hoffen, dass unsere De Archaeologia Libri Decem eine ebenso geneigte wie konstruktiv kritische Leserschaft, über deren Rückmeldungen wir uns sehr freuten, und vor allem einen intensiven Einsatz im Unterricht finden mögen. Abschließend sei zwei akademischen Lehrern besonders gedankt, Jürgen Blänsdorf und Tonio Hölscher. Beide haben auf ihre Weise jeweils entscheidend die Sichtweisen der Autoren geprägt, indem sie einerseits den Wert der antiken schriftlichen wie archäologischen Überlieferung betonten und andererseits nicht weniger deutlich vor Augen führten, dass die Klassischen Altertumswissenschaften eingebettet sein müssen in einen vitalen Diskurs, der zuvorderst das Leben der Menschen, ihre Vorstellungen von sich selbst sowie ihrer Umwelt zu thematisieren habe. Wir hoffen, mit dem vorliegenden Buch in beider Sinn gehandelt zu haben. Koblenz und Mainz im Sommer 2020, Tamara Choitz und Patrick Schollmeyer
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Der fliegende Kaiser oder Wie liest man ein Bild?
»Archäologie ist die Wissenschaft, von der zu wissen sich nicht lohnt«. Dieses, in der neueren Fachliteratur gerne dem altertumswissenschaftlichen Altmeister und LiteraturNobelpreisträger Theodor Mommsen (1817–1903) zugeschriebene Bonmot mag mancher Lehrkraft der altsprachlichen Fächer an bundesdeutschen Schulen spontan in den Sinn kommen, wenn sie oder er an die mögliche Erweiterung des Unterrichts um archäologische Lehreinheiten denkt. Denn angesichts des strammen Programms pro Schulhalbjahr, das in der Regel kaum ausreicht, um den eigentlichen vom Lehrplan vorgesehenen Stoff einigermaßen inhaltsreich zu thematisieren, ist durchaus die Sinnfrage gestattet. Sollte Mommsen diesen Ausspruch tatsächlich getan haben, dann sicher nicht, um die Archäologie an sich zu diskreditieren. Eine solche Annahme ist gerade in seinem Fall absurd, da er gerne auf Erkenntnisse der archäologischen Disziplinen zurückgegriffen hat. Vielmehr dürfte Mommsen damit seiner Abneigung gegenüber einer sich bereits damals überdeutlich abzeichnenden Entwicklung Ausdruck verliehen haben, die letztlich zu einer Aufsplitterung der Altertumswissenschaft, die er dagegen stets als Einheit verstand, in immer weiter voneinander weg driftende Teildisziplinen führte. Diese Spezialisierung war ihm zeitlebens ein Dorn im scharfen wissenschaftlichen Auge. Und gerade die zeitgenössische Klassische Archäologie bot Mommsen mit ihrer stellenweise rein kunsthistorischen Ausrichtung genügend Angriffsfläche. Diese Kunstarchäologie kann heute erst recht nicht für sich in Anspruch nehmen, den altsprachlichen Unterricht sinnvoll zu ergänzen. Es ist längst obsolet, den Meisterwerken der griechischen und römischen Literatur ebensolche der Bildkünste an die Seite stellen zu wollen, um den Schülerinnen und Schülern in kanonisierender Weise überzeitliche Idealtypen eines falsch verstandenen europazentrischen Wertehumanismus vor Augen zu führen, an denen sie ihre eigene sittliche Entwicklung auszurichten haben. Es hieße aber auch eine Chance zu vergeben, wollte man der Archäologie lediglich als Sachwalterin rein antiquarischen Wissens Eingang in die Schulklassen gewähren. So ist es zwar durchaus statthaft, sich die Lebenswelt der Texte vergegenwärtigen zu wollen, d. h. beispielsweise zu ergründen, wie Autoren und Publikum in der Antike gelebt haben, wie sie gekleidet waren oder wie die Wohnbauten, Bibliotheken, Theater u. a. m. aussahen. Weit verbreitet ist ferner der Wunsch, sich von den im Unterricht gelesenen Autoren sowie
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ihren Heldinnen und Helden ein eigenes Bild zu machen, weshalb kaum ein Schulbuch ohne die sattsam bekannten Porträts eines Cicero und Caesar oder eines Augustus auskommt. Ebenso beliebt sind mythische Darstellungen, die meist rein illustrativ in die jeweiligen Texte eingestreut werden. Doch reicht es aus, Archäologisches lediglich auf einer ausschließlich sachlichen Ebene erklären zu wollen? Welche Erkenntnisse jenseits eines reinen Faktenwissens gewännen Schülerinnen und Schüler dadurch? Neben den Vokabeln auch noch Bilder pauken zu müssen, um genau zu wissen, wie Caesar angeblich aussah, welche Kleidung er trug und wie das Rom seiner Zeit zu rekonstruieren ist, stellt für sich genommen zwar kein pädagogisches Desaster dar, muss sich sehr wohl aber eine kritische Hinterfragung gefallen lassen. Denn damit werden im Grunde genommen keine weiteren Kompetenzen erworben. Zusätzliche Lerninhalte sollten aber zumindest neue Denkhorizonte eröffnen. In diesem Sinne wird eine Ergänzung des altsprachlichen Unterrichtes um archäologische Lehreinheiten vorgeschlagen, die dezidiert darauf ausgerichtet sind, die Schülerinnen und Schülern neben der gewohnten Textarbeit zu einem betont kritischen Umgang mit den aus der Antike zur Verfügung stehenden bildlichen Quellen anzuleiten. Diese Schule des Sehens verfolgt das Ziel, statt Bilder als auswendig zu lernende visuelle Vokabeln bereitzustellen, vielmehr eine sinnvolle Bildgrammatik zu vermitteln, mit deren Hilfe sich die Botschaften der Bilder semantisch entschlüsseln lassen. Es geht somit vor allem um die Sichtbarmachung von Mentalitäten und Identitäten. Damit wird auch ein wichtiger Beitrag zur modernen Medienkultur geleistet, die ohne den massenhaften Einsatz von zum Teil ausgesprochen suggestiven Bildern gar nicht mehr zu denken ist. Wer sich heute als kritischer Geist in den Debatten der Zeit positionieren will, kommt deshalb nicht umhin, sich eine Befähigung zum kritischen Umgang mit Text und Bild gleichermaßen zu erwerben. Überhaupt funktionieren gerade dreidimensionale Objekte als besondere Wissensspeicher. Ihre haptischen und anschaulichen Qualitäten erlauben im Sinn des Diktums Johann Gottfried Herders (1744–1803), wolle man etwas vollständig verstehen, müsse man sich einen tatsächlichen Begriff von einer Sache machen, ein besseres »Begreifen«. Gerade die Betrachtung der antiken Gesellschaften eignet sich hervorragend zur Erlangung dieser verschränkten Text-Bild-Kompetenz, da sie wegen der »illiteracy« weiter Kreise dezidiert visuelle Kulturen waren, in deren Rahmen sich soziale Selbstdarstellung und Interaktion wesentlich in Form von statischen wie lebenden Bildern manifestierten. Das antike Leben ist vor allem ein Leben in und mit Bildern gewesen. Aber es geht nicht um die visuellen Artefakte allein; auch der gebaute Raum und ebenso die übrige von Menschenhand gestaltete Umwelt lässt sich als Spiegelbild der jeweiligen Gesellschaft verstehen und entsprechend interpretieren, da sich das antike Leben in konkreten Räumen vollzog, die das Agieren in ihnen sowohl durch ihre Struktur als auch bildliche Ausstattung in hohem Maß beeinflussten, wenn nicht sogar formten.
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Bevor in den nachfolgenden Kapiteln die einzelnen Lehreinheiten näher betrachtet werden, müssen sich Autor und Autorin mit den Leserinnen und Lesern noch vorab darüber verständigen, was mit »Lesen« archäologischer Objekte genau gemeint ist. Diese Verständigung geschieht am besten mit Hilfe konkreter Beispiele. Bereits Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) legte darauf größten Wert. So sagt er in seiner Einleitung zur Zeitschrift Propyläen explizit: »Um von Kunstwerken, eigentlich und mit wahrem Nutzen für sich und andere, zu sprechen, sollte es freilich nur in Gegenwart derselben geschehen. Alles kommt aufs Anschauen an, es kommt darauf an, dass bei dem Wort, wodurch man ein Kunstwerk zu erläutern hofft, das bestimmteste gedacht werde, weil sonst gar nichts gedacht wird.« Bei archäologischen Objekten handelt es sich im Grunde genommen um fremdsprachige Texte, deren Lexik und Grammatik es zu entschlüsseln gilt. Manche bildlichen Details sind wie Wörter, die wir auf den ersten Blick als bekannt einstufen und meinen, sie sofort übersetzen zu können. Dieses besondere Maß an Anschaulichkeit ist der Tatsache geschuldet, dass viele Realia gewissermaßen überzeitlich und entsprechend leicht zu deuten sind. So wird keine Schülerin und kein Schüler Schwierigkeiten haben zu erkennen, dass auf dem ersten Objekt, das wir betrachten wollen, einem geschnittenen Schmuckstein (in der Fachsprache Kameo genannt) aus Sardonyx (Abb. 1), zwei anthropomorphe und eine zoomorphe Figur die Darstellung bilden. Auch dürfte sie oder er sofort sagen können, dass die eine menschengestaltige Figur wegen des langen Gewandes sowie der Frisur mit Nackenknoten wohl weiblichen und die andere männlichen Geschlechts ist. Ebenso einfach erfolgt die Identifizierung Abb. 1 des Tieres als Vogel und noch genauer als Adler. Diese richtigen »Lesungen« gelingen, weil die Darstellungen uns allesamt aus der eigenen Alltagskultur vertraut sind. Es bedarf keinerlei besonderer Kenntnisse, um die Bilder auf dieser Ebene zu entschlüsseln. Ein weiterer Erfolg wird sich aber nicht einstellen, wenn man zu sehr auf die eigenen Sehgewohnheiten vertraut. Die links oben dargestellte Frau mit Flügeln ist eben kein Engel, wie viele auf den ersten Blick vermuten dürften. An diesem Punkt beginnt nun das, was der Kunsthistoriker Erwin Panofsky (1892–1968) mit dem sprechenden Begriff Ikonographie bezeichnet hat. Wir müssen im nächsten Schritt den Darstellungskonventionen der Antike nachspüren.
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So wie Schülerinnen und Schüler der lateinischen Sprache Vokabeln lernen müssen, sollten sich Archäologinnen und Archäologen ein Bildgedächtnis erarbeiten. Je mehr antike Darstellungen betrachtet werden, desto besser. Auf diese Weise lernt man »Bildvokabeln«, also Figurentypen, reale Gegenstände und diverse Kompositionsschemata, mit deren Hilfe das Dargestellte leicht entschlüsselt werden kann. Wer die römische Bildkunst kennt, wird somit wissen, dass eine geflügelte Gestalt, die einen Kranz in den Händen und/oder einen Palmzweig hält, niemand anderer als die Siegesgöttin Victoria sein kann. Zahlreiche Münzdarstellungen mit entsprechender Beischrift sichern diese Benennung zweifelsfrei (Abb. 2). Ebenso sicher ist die Identifizierung des Kranzes auf der Basis der dargestellten Blätter als Lorbeerkranz. Wenden wir uns nun der männlichen Figur zu! Hier muss sehr genau hingesehen werden. Abb. 2 In seiner rechten Hand hält er einen eigenartigen kurzen Krummstab und in seinem linken Arm liegt ein größeres Gebilde, das aus zwei hornförmigen Behältnissen besteht und mit runden Objekten gefüllt ist. Es handelt sich dabei um einen lituus, ein besonderes Stabinsigne, und um ein Doppelfüllhorn (cornucopiae) mit Früchten. Weiter fällt auf, dass der Mann, der offenbar in einen langen Mantel gehüllt und mit Sandalen beschuht ist – beides lässt sich im Beinbereich am besten erkennen – zusätzlich über ein außergewöhnliches Kleidungsstück verfügt: Er trägt über seiner Brust und beiden Schultern ein besonderes Gewand, das über den Rücken geführt mit seinem Ende vom linken Arm länger herabfällt. Bei näherer Betrachtung erkennt man eine schuppenartige Struktur sowie einen Schlangenbesatz am Rand und einen geflügelten, frontal ausgerichteten Kopf in der Mitte. Der Mann ist folglich mit der aegis geschmückt, ein von Hephaistos ursprünglich für Zeus gefertigter Panzer aus Ziegenfell, den dieser seiner Tochter Athena als Geschenk überreichte. Nachdem Perseus der Gorgo-Medusa mit Athenas Hilfe das todbringende Haupt – wer es ansah, versteinerte sofort – abgeschlagen hatte, verlieh es seither der aegis noch einen zusätzlichen Schutz. In dieser Form ist die aegis bereits in der griechischen Kunst ein bekanntes Götterattribut gewesen. Ist der Dargestellte folglich Zeus/Iuppiter? Da dieser Gott jedoch sowohl von den griechischen als auch römischen Künstlern stets bärtig dargestellt wurde, der abgebildete Mann aber eindeutig bartlos ist, kann diese Benennung nicht stimmen. Zudem zeigt das Gesicht deutliche Porträtzüge – Nase, Mund sowie Kinn weisen jeweils individuelle Merkmale auf,
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wie sie bei den idealisierten Götterköpfen in der Regel nicht vorkommen – und Ähnliches gilt auch für das Haar. Das Haupt des Zeus/Iuppiter wird immer von langen Locken umrahmt. Eine solche Kurzhaarfrisur ist dagegen typisch für die Kaiser und Prinzen der iulisch-claudischen Dynastie. Kennzeichnend sind vor allem die unterschiedlich gestalteten Stirnhaarpartien. An ihnen macht die archäologische Porträtforschung die Benennungen fest. Die Basis hierfür bilden Münzdarstellungen, bei denen über die Legende die jeweilige Namensgebung gesichert ist. Diskutiert wurden bislang nur zwei Vorschläge: Germanicus (15 v.–19 n. Chr.) oder sein Bruder Kaiser Claudius (10 v.–54 n. Chr.; reg. 41–54 n. Chr.), wobei der letzte Namensvorschlag von der Mehrheit favorisiert wird. Die Detailbetrachtung des Adlers ergibt keine weiteren ikonographischen Auffälligkeiten hinsichtlich unbekannter Attribute, wohl aber hält er mit seinen Krallen links einen Lorbeerkranz, von dem die beiden Enden herabhängen, und rechts einen Palmzweig. Diese erste, auf die Erfassung des rein Gegenständlichen ausgerichtete Betrachtung ergab die Darstellung einer das gesamte Bild beherrschenden Figurengruppe des mit aegis, lituus und cornucopiae ausgezeichneten Kaisers Claudius, der auf einem fliegenden, Lorbeerkranz und Palmzweig haltenden Adler sitzt. Vom linken oberen Bildrand nähert sich schwebend die geflügelte Siegesgöttin Victoria, die ihm mit beiden Händen einen weiteren Lorbeerkranz entgegenhält. Sie scheint unmittelbar davor zu sein, den Kaiser damit zu bekränzen. Nun will man im Unterricht sicherlich darüber hinausgelangen, die Figuren und Gegenstände bloß zu benennen sowie ihre kompositorischen Beziehungen zueinander zu klären, folglich allein die »Lexik« des Bildes in den Blick zu nehmen. Wie bei einem Text erschließt sich der Sinn von Bildern nicht durch die reine Aneinanderreihung übersetzter Wörter (= Bilddetails). Die weitere »Lesung« wird nach der Bedeutung der Darstellung, die in ein zeichenhaftes Beziehungsgeflecht eingebunden ist, das es erst zu entschlüsseln gilt, mithin nach ihrer »Grammatik« fragen müssen, um abschließend interpretiert werden zu können. Erwin Panofsky nannte dieses Verfahren Ikonologie. Eingedenk dessen gilt es, die Darstellung nochmals genauer zu analysieren. Kompositionell ist der auf einem Adler sitzende Kaiser Claudius eindeutig die Hauptperson, sozusagen das Subjekt der Handlung, obwohl er nicht selbst agiert, sondern vom Adler in die Lüfte emporgehoben wird. Der mächtige Greifvogel Iuppiters ist aber ebenso wie die fliegende Victoria nur eine Beifigur. Beide dienen dazu, die zentrale Figur in besonderer Weise hervorzuheben, sie gleichsam auszuzeichnen. Damit stehen sie kompositionell auf einer Ebene mit den übrigen Attributen des Kaisers, Lorbeerkranz, aegis, Doppelfüllhorn und lituus. Sie sind als Adjektive zu verstehen, die etwas über die Qualitäten des Claudius aussagen sollen. Adler und aegis kennzeichnen ihn eindeutig als Iuppiter. Damit ist per se keine aus altrömischer Sicht problematische Vergöttlichung des Herrschers zu Lebzeiten gemeint, wohl aber eine panegyrische Anspielung auf seine immense Machtfülle und vor
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allem politisch-militärische Kraft. So wie Iuppiter der Herrscher des Himmels ist, beherrscht Claudius ebenso unangefochten das Imperium Romanum. Auf diese Herrscheroder richtiger Befehlsgewalt verweist auch der lituus. In der historischen Überlieferung ist er ein wichtiges Insigne der Auguren, mit dem beispielsweise Romulus bei der Stadtgründung die einzelnen Stadtteile (Cicero, De divinatione 1, 30) oder ein Augur bei der Amtseinführung des Numa Pompilius (Livius 1, 18, 6–9) die verschiedenen Himmelsregionen beschreibt. Dieser gekrümmte oder auch spiralförmig endende Stab hat somit etruskisch-altitalische Wurzeln. In der Republik kennzeichnet er den Magistraten mit Amtsgewalt (imperium). Vom imperator wird er später als Amtsinsigne auf den Kaiser übertragen. Mit der Kombination dieser Attribute war zugleich der Anspruch verbunden, die kaiserliche Herrschaft als sakral legitimiert und damit gottgewollt erscheinen zu lassen. Die Victoria mit ihrem Lorbeerkranz verweist darüber hinaus auf die Sieghaftigkeit des Kaisers. Er ist Triumphator in Ewigkeit. Über das Doppelfüllhorn, das seit der Zeit ptolemäischer Herrschaft in Ägypten zum festen Repertoire der Herrschersymbolik gehört, wird auf die segensreichen Wirkungen der Regierung des Claudius verwiesen. Der Kaiser garantiert durch seine göttergleiche Sieghaftigkeit das Gedeihen des Imperiums in materiellem Reichtum. So wie die Früchte aus den cornucopiae hervorquellen, können die Reichsbewohner mit einem nicht versiegenden Fluss kaiserlicher Wohltaten und einer Sicherung des allgemeinen Wohlstands rechnen. Bleibt abschließend noch die Frage zu klären, ob Claudius als lebender oder bereits toter Herrscher abgebildet ist. Das Motiv »Kaiser auf Adler fliegend« oder auch nur »fliegender Adler« kommt in der römischen Kunst vor allem im Zusammenhang mit sog. Apotheosedarstellungen vor (Abb. 3). Sie symbolisieren die vergöttlichende Aufnahme (consecratio) des toten Herrschers als divus unter die olympischen Götter. Es kann aber auch nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass die Überhöhung dem lebenden Claudius gilt. Zwar hat Nero seinen Adoptivvater vom Senat vergöttlichen lassen, doch schon bald darauf spielte dieser in der neronischen Repräsentationskunst keine Rolle mehr. Ein bislang noch kaum beachtetes Detail mag eventuell einen wichtigen Hinweis geben. Schuhe sind in der römischen Kunst stets Bedeutungsträger. Über die Schuhformen und -typen lassen sich die diversen sozialen Stände, aber auch Amtsränge leicht erkennen. Dass Claudius Sandalen trägt und nicht etwa barfuß ist, könnte ihn als noch Lebenden kennzeichnen. Mit der Darstellung erhalten wir somit EinAbb. 3 blick in ein komplexes, geradezu allegorisch-sym-
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bolisches Sprachgefüge, das der Verherrlichung des Kaisers Claudius dient. Das Bild ist visuelle Panegyrik und lässt sich sprachlich-textlichen Ausformungen problemlos an die Seite stellen. Doch zu welchem Zweck und für welches Publikum wurde ein solches Prunkstück hergestellt? Auf welche Weise entfaltete es seine repräsentativ-panegyrische Wirkung? Zunächst muss ein Blick auf die Materialität des Objektes geworfen werden. Aus Mehrlagensteinen – in diesem Fall ist es ein Sardonyx – herausgeschnittene figürliche Darstellungen stellen allein schon wegen der Seltenheit der hierfür benötigten Materialien und der speziellen Fertigkeiten einer nur sehr kleinen Gruppe von Steinschneidekünstlern Kostbarkeiten ersten Ranges dar. Sie sind nicht zu vergleichen mit Münzen, Statuen und Reliefs von Kaisern. Diese gelten aufgrund ihrer weiten Verbreitung zurecht als Massenmedien für ein möglichst breites Publikum. Dementsprechend gilt ihre jeweilige Bildsprache als eher einfach gehalten, um eben leicht verständlich zu sein. Geschnittenen Bildsteinen spricht man dagegen eine höhere Exklusivität und eine größere Komplexität hinsichtlich des formulierten Bildinhaltes zu. Die Forschung geht größtenteils davon aus, dass die Steine in direktem Auftrag des Kaisers oder zumindest im Umkreis des kaiserlichen Hofes entstanden sind, sich demgemäß an ein hochgebildetes höfisches Publikum wandten. Sie fungierten entweder als Geschenke an den Kaiser oder in umgekehrter Richtung von ihm an einen sehr exklusiven Kreis von Höflingen oder Würdenträgern. Eine genaue Funktionsbestimmung ist freilich nicht möglich. So wissen wir nicht, ob die Stücke in speziellen Rahmungen als Teil des kaiserlichen Schatzes bei besonderen Anlässen sozusagen als Einzelstücke präsentiert wurden oder in Ritualgefäßen respektive anderen Zeremonialgegenständen eingelassen waren. Dass auch der von uns betrachtete Kameo einst in der Schatzkammer der Caesaren lag, liegt nahe, da er angeblich von Kardinal Humbert im Anschluss an eine Reise nach Konstantinopel im Jahr 1057 dem Kloster Saint-Evre im lothringischen Toul geschenkt worden ist. Der Kardinal dürfte ihn vom byzantinischen Kaiser erhalten haben. Somit könnte der Stein aus dem von Konstantin dem Großen aus Rom in seine neue Hauptstadt transferierten alten römischen Kaiserschatz stammen. Von der Handhabung her verlangen die stoßempfindlichen Steine jedenfalls eine hohe Sorgfalt. Ihre Seltenheit und die feinst herausgearbeiteten kleinen Bilddarstellungen werden sicherlich zu einer erhöhten Aufmerksamkeit seitens der potentiellen Betrachter geführt und entsprechende Kommunikationssituationen evoziert haben. Es sind also keine bloßen objekthaften Spiegelbilder, sondern geradezu Instrumente kaiserlichen Herrschaftsverständnisses. Sie zwangen das antike Publikum zu einem Habitus des ehrfürchtigen Staunens, das gewissermaßen zwangsläufig in eine Verehrungshaltung gegenüber der kaiserlichen Person mündete. Dieses Beispiel mag eingangs hinlänglich verdeutlicht haben, was archäologische Bildanalyse leisten kann, und wie sehr sie sich als sinnvolle Ergänzung zur reinen Textlektüre
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eignet. Sie hilft Kernkompetenzen des altsprachlichen Unterrichts zu vertiefen und um die notwendige Analyse visueller Medienphänomene zu erweitern. Im Folgenden soll in den sich anschließenden einzelnen Kapiteln das Themenspektrum erweitert und dabei die einleitend skizzierten Gedanken sowie das vorab Vorgestellte an weiteren, diesmal mit konkreten Textstellen verknüpften Beispielen näher ausgeführt werden. Den Ausgangspunkt dieser einzelnen Lehreinheiten bilden jeweils Texte von Autoren, die in den diversen Lehrplänen vorkommen. Dazu wurden im Bereich der Archäologie Schnittmengen gesucht. Das impliziert natürlich auch, dass diese Schnittmengen nicht immer aus den zentralen Textstellen bzw. den bekannten archäologischen Highlights der entsprechenden Epoche bestehen. Aufgrund der Überlieferungslage sind die Schnittmengen zwischen lateinischen Autoren und Archäologika für die Kaiserzeit deutlich größer als für die Republik. Darüber hinaus war zu berücksichtigen, dass die Auswahl der konkreten Exempla so zu erfolgen hatte, dass diese von den Schülerinnen und Schülern ohne Vorwissen und allzu viel Lenkung »gelesen« werden können. Von dieser Basis ausgehend wurden folgende Autoren ausgewählt: Caesar, Cicero, Sallust, Livius, Vergil, Ovid, Petron, Plinius der Jüngere und ergänzend Sueton, der streng genommen nicht zum schulischen Lektürekanon gehört. Dabei werden zum einen jeweils die archäologischen Themen wissenschaftlich vorgestellt, und zum anderen darauf basierend konkrete Vorschläge gemacht, wie Lehrkräfte diese im Unterricht einsetzen können. Dort, wo es sinnvoll ist, kommen auch moderne Medien zur Sprache. Allerdings war es nicht möglich, alle Vorschläge nach demselben Schema zu konzipieren. Im Einzelnen richten sich der Umfang und die jeweilige didaktische Präsentation sowie Aufbereitung nach den individuellen Möglichkeiten, die die entsprechenden Themen in Bezug auf Textbasis und Archäologikum bieten. Trotz der umfangsbedingten, zwangsläufigen Lücken sollte sich insgesamt gesehen ein einigermaßen geschlossener Eindruck von den Möglichkeiten ergeben, römische Bildwerke unterschiedlichster Zeitstellungen sowie Gattungszugehörigkeiten zu analysieren und gewinnbringend in den Lektüreunterricht einzubauen. Vollständigkeit ist selbstredend nicht angestrebt. Es handelt sich lediglich um Mosaiksteine eines wesentlich größeren und komplexeren Ganzen. Wie in der Archäologie üblich, wird Stein für Stein geborgen und näher betrachtet, und am Ende entsteht auf diese Weise aus vielen Puzzleteilen ein Bild. Das gewählte Covermotiv ist folglich nicht das Ergebnis einer zufälligen Wahl, sondern durchaus sinnbildlich gemeint.
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Literaturhinweise: Besonders zu verweisen ist auf das von Tonio Hölscher und anderen verfasste Grundwissen Archäologie (4. Auflage Darmstadt 2015), das ein unverzichtbares Arbeitsinstrumentarium auch für darüberhinausgehende Fragestellungen darstellt. Es behandelt alle wichtigen Objektgattungen und beinhaltet eine Sy nopse der verschiedenen Epochen und Kulturräume. Als Einstiegsliteratur in archäologische Methodik sind zu empfehlen: Borbein, Adolf Heinrich – Hölscher, Tonio – Zanker, Paul (Hrsg.), Klassische Archäologie – Eine Einführung (2. Auflage Berlin 2009); Hoff, Ralf von den: Einführung in die Klassische Archäologie (München 2019). Das letztgenannte Werk bietet eine Reihe gut gewählter Fallbeispiele. Ebenso kurz wie hervorragend ist ferner Wolfram Martinis Sachwörterbuch der klassischen Archäologie (Stuttgart 2003), in dem Erklärungen aller wesentlichen archäologischen Fachbegriffe und Antiquaria zu finden sind. Die diversen antiken Architekturtypen behandelt zusammenfassend Patrick Schollmeyers Handbuch der antiken Architektur (Darmstadt 2013). Vom gleichen Autor stammt eine Einführung in die antike Ikonographie (Darmstadt 2012). Die Ikonographie mythischer Figuren ist umfassend durch das Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae (LIMC, mehrere Bände, erschienen ab 1981 ff.) erschlossen. Münzdarstellungen sind leicht in der frei zugänglichen Onlinedatenbank numid.online zu recherchieren. Die detailgenauen Abbildungen lassen sich einfach und kostenlos für den Unterricht (beispielsweise PowerPoint-Präsentationen) herunterladen. Vergleichbare Überlegungen von Patrick Schollmeyer zur Nutzung archäologischer Objekte im altsprachlichen Unterricht sind abgedruckt in: Fallbeispiele archäologischer Bildbetrachtungen, Der Altsprachliche Unterricht. Latein – Griechisch, Heft 2+3 (2014) S. 2–17; Wissenschaft und Vermittlung. Der Blick auf die Dinge und die Schule des Sehens, Blickpunkt Archäologie, 2016, Heft 4, S. 245–252; Archäologie im altsprachlichen Unterricht, in: Choitz, Tamara u. a. (Hrsg.), Perspektiven für den Lateinunterricht III, Beiträge zur Tagung in Mainz am 30.11./1.12.2017 (Stuttgart 2019) S. 84–85. Zu den wissenschaftshistorischen Grundlagen einer Schule des Sehens vgl.: Böhmer, Sebastian – Holm, Christiane – Spinner, Veronika – Valk, Thorsten (Hrsg.), Weimarer Klassik. Kultur des Sinnlichen, Ausstellungskatalog Weimar 2012 (Berlin – München 2012) und darin insbesondere die Beiträge von: Buschmeier, Matthias, Antike Begreifen. Herders Idee des »Tastenden Sehens« und Goethes Umgang mit Gemmen, S. 106–115; Grave, Johannes, Schule des Sehens. Formen der Kunstbetrachtung bei Goethe, S. 96–105; Maatsch, Jonas, Ideen mit den Augen sehen. Anschauliche Erkenntnis bei Goethe, S. 66–75. Objekte als Wissensspeicher behandeln einführend: Hahn, Hans Peter, Vom Sammeln und Sehen. Episteme des Materiellen im Kontext der Wissenschaften, in: Hierholzer, Vera (Hrsg.), Wertsachen. Die Sammlungen der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (Göttingen 2018) S. 26–31; Rheinberger, Hans-Jörg, Wissensdinge, in: a. a. O., S. 20–25. Zum Claudius-Cameo s.: Megow, Wolf-Rüdiger, Kameen von Augustus bis Alexander Severus, Antike Münzen und Geschnittene Steine Band XI (Berlin 1987) S. 199–200 Nr. A 80; Niemann, Karl-Heinz, Archäologische Bilddokumente zum Textverständnis, in: Anregung 34, 1988, S. 370–382.
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Politische Kunst der Römer I – gloria in der Römischen Republik
Sallust Eine klassische Lektüre des Lateinunterrichts ist der Catilina Sallusts (Gaius Sallustius Crispus; ca. 86–35/4 v. Chr.). Bereits im Proömium des Catilina wird das Ruhmesstreben als wesentliches menschliches Movens charakterisiert (1, 3). Große Reiche würden dadurch erobert (2, 2), aber auch dem Schriftsteller folge Ruhm (3), wenn auch geringer als dem Eroberer. Im ersten Exkurs des Catilina beschreibt Sallust dann die Veränderungen in der römischen Gesellschaft von der Gründung Roms bis zur Zeit Sullas. Seinen besonderen Blick richtet er dabei auf die jeweils zentralen Wertvorstellungen der Gesellschaft und ihre sukzessiven Veränderungen bzw. neuen Verortungen. Im Zentrum steht dabei wieder das Ruhmmotiv, fassbar im Sachfeld »Ehre, Ruhm, Ehrgeiz«. Und dieses ist jetzt – im Unterschied zum Proömium, wo ja Ruhm auch aus literarischem Schaffen erwachsen konnte – aufs Engste verbunden mit dem militärischen Aspekt, was ja bei einem historischen Abriss einer kriegerischen Nation wie der römischen auch nicht verwundern mag. Mit Beginn der Republik, so Sallust, fangen die Menschen an, sich selbst in eigener Sache einzubringen und um ihrer selbst willen nach Ruhm zu streben (7), was schließlich zu den großen Eroberungen der Republik führt. Sobald aber die aemula Carthago besiegt ist, tritt ambitio an die Stelle von gloria – und damit ein mit gloria noch eng verwandter Wert, der von Sallust auch ausdrücklich als ambivalent charakterisiert wird (11). Nach der Machtergreifung Sullas ändert sich dann allerdings der Stellenwert von gloria grundsätzlich. Ruhm ist jetzt zusammen mit Macht nur noch ein Produkt von Reichtum (12). Der Unterschied zur früheren Zeit wird dabei in einer direkten Gegenüberstellung abschließend noch einmal verdeutlicht. Damit aber wird jetzt zugleich auch das Ruhmesstreben, das zuvor wesentlich verantwortlich gemacht wurde für den Aufstieg Roms, zu einer der Folgen von Reichtum degradiert. Nach diesen zwei Partien am Anfang des Werkes, bei denen gloria letztlich eine Art von Dreh- und Angelpunkt der Argumentation ist, wird im Folgenden an drei weiteren prominenten Stellen das Ruhmmotiv noch einmal aufgenommen. In Kap. 20 lässt Sallust Catilina seine Anhänger mit dem Verweis auf zentrale römische Wertbegriffe, die auch im ersten Exkurs verortet sind, zur Verschwörung aufrufen.
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Dabei werden freilich gloria und decus parallel gestellt zu divitiae – im Exkurs war gloria im schlimmsten Falle eine Folge von divitiae. In der Synkrisis Sallusts zu Cato und Caesar (54), die zuvor in ihren Reden die Vorbilder und Werte aus der früheren Zeit grundsätzlich verschieden interpretiert hatten, wird der Begriff gloria gleich viermal mit den beiden Protagonisten verbunden, und somit – auf wiederum unterschiedliche Weise – an die große Zeit Roms angebunden. Und schließlich wird Sallust Catilina, wie in seiner ersten Rede, auch in der letzten Rede vor der Schlacht von Pistoria gloria mit dreimaliger Erwähnung als zentrales Ziel seines Kampfes definieren lassen (58). Im nächsten Kapitel wird dann allerdings im Kontext der Schlachtaufstellung der Begriff gloria an Marcus Petreius, den Kommandanten des Senatsheeres, gebunden (59, 6). Die zentrale Passage, in der Sallust zeigt, dass in der römischen Gesellschaft der ausgehenden Republik gloria (gebunden an militärischen Erfolg) ein grundlegender Wert für die Leistungsträger darstellte, ist folglich vor allem der erste Exkurs, und damit ein Abschnitt, der bei einer Lektüre des Bellum Catilinae eigentlich immer gelesen wird. Die Textstellen sind hervorragend geeignet, um sich im Folgenden näher mit der politischen Kunst der Römer, insbesondere der aus der Zeit der überaus konfliktgeladenen späten Republik, auseinanderzusetzen. In deutlichem Gegensatz zu den modernen Staatswesen, in denen öffentlich errichtete Monumente kaum mehr eine Rolle in den aktuellen politischen Diskursen spielen, besaß bereits das republikanische Rom eine ausgeprägte Denkmälerkultur. Hierzu zählten neben der Errichtung von Ehrenstatuen für verdiente Männer auch Monumente, die die Erinnerung an herausragende Ereignisse, meist Schlachtenerfolge, im kollektiven Gedächtnis wachhalten sollten. Die Anfänge dieser besonderen Form gemeinschaftlichen Erinnerns gehen in Rom offenbar bis auf das 4. Jh. v. Chr. zurück. Als erstes Denkmal dieser Art gilt die Schmückung der Rednertribüne auf dem Forum Romanum mit den in der Seeschlacht von Antium 338 v. Chr. von den feindlichen Schiffen erbeuteten bronzenen Schnäbeln (rostra), die ihr fortan den Namen gaben. Diese Schlacht war der erste Erfolg der Römer zur See und stellte somit schon per se ein zu memorierendes Ereignis von großer militärischer und politischer Tragweite dar, begründete es doch den Aufstieg Roms zur See- und bald auch Weltmacht. In der Folgezeit, in der die Römer in der Regel von Schlachten- zu Schlachtenerfolg eilten und das Staatsgebiet sukzessive vergrößert wurde, bis es nicht nur Italien selbst, sondern auch große Teile des gesamten Mittelmeerraumes umfasste, gab es immer wieder aufs Neue Gelegenheit zur Errichtung weiterer Siegesmonumente. Festzuhalten bleibt dabei aber, dass auf Beschluss von Senat und Volk von Rom errichtete Denkmäler ausgesprochen selten blieben. Insbesondere dem Senat war es offenbar wichtig zu verhindern, dass einzelne nobiles in zu extremer Weise geehrt wurden. Dieser Versuch, das kollegiale Prinzip der Senats-
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herrschaft zu retten, war letztendlich aber zum Scheitern verurteilt, da den siegreichen Feldherrn eine Hintertür offenstand. Sie führte geradewegs auf das Marsfeld, wo seit dem 3. Jh. v. Chr. – offenbar zunächst bevorzugt entlang der Prozessionsstrecke des Triumphzuges – Heiligtümer einzelner Gottheiten entstanden, deren Bau und Ausstattung siegreiche Feldherren aus ihren jeweiligen Beutegeldern finanzierten (s. dazu unten Kapitel 10 mit Abb. 54). Sie waren zugleich der Ort, an dem auch herausragende Beuteprunkstücke – darunter die vielen aus Griechenland verschleppten Skulpturen und Gemälde der berühmtesten griechischen Bildhauer sowie Maler – ein dauerhaftes Domizil als Votivgaben fanden. Vielfach standen die so geehrten Götter in einem besonderen Nahverhältnis zu den Feldherren, waren beispielsweise deren private Schutzgötter, oder stellten personifizierte Leitbegriffe Roms dar. In jedem Fall aber bot sich den Stiftern damit die einmalige Gelegenheit, sich unabhängig von einem Senatsvotum auf sakral sanktionierte Weise mit ihrem Sieg dauerhaft in die Stadtlandschaft Roms und damit in das kulturelle Gedächtnis ihrer Bewohner einzuschreiben. Die Stifterinschrift am Bau stellte auf höchst sichtbare Weise die besondere Dauerhaftigkeit dieser memoria sicher. Sie wird zugleich aber immer auch ein Dorn im Auge der politischen Konkurrenten gewesen sein. Die damit schon in der Sache selbst begründete Konkurrenzsituation entwickelte sich im Verlauf der römischen Republik zu einem Problem eigener Art. Parallel zur Zunahme an Schärfe innerhalb der politischen Diskussion, was schließlich in blutigen Bürgerkriegen mündete, nahm mehr und mehr auch die Bereitschaft zu, diesen Kampf auf allen Ebenen zu führen. Somit gerieten ebenso die Denkmäler in den Fokus der Gewalt. Man kann für die späte Republik folglich mit Fug und Recht behaupten, dass der Bürgerkrieg auch als Denkmälerkrieg geführt wurde, bei dem es schlichtweg um die Deutungshoheit ging, wobei man selbst vor Fake News und anderen Raffinessen der politischen Auseinandersetzung nicht zurückschreckte. Für den Unterricht wurde ein heute weitgehend verlorenes Monument ausgewählt, das wir vor allem von Münzen und aus schriftlichen Zeugnissen kennen. An ihm kann exemplarisch das Problem der persönlichen gloria und die Rolle der Bildkunst in den politischen Auseinandersetzungen der späten Republik aufgezeigt werden. Vom Denkmal blieben zwar auch einige reliefgeschmückte Verkleidungsplatten der Basis erhalten, die man unterhalb des Kapitols in Sturzlage bei San Omobono fand, doch ist deren Ikonographie im Einzelnen zu diffizil, um sie im schulischen Unterricht entschlüsseln zu können. Die Behandlung des Monuments sollte sich daher auf die Analyse der numismatischen Quellen beschränken. So ließ im Jahr 56 v. Chr. der Münzmeister Faustus Cornelius Sulla zu Ehren seines verstorbenen Vaters, Lucius Cornelius Sulla Felix (um 138–78 v. Chr.), der von 82–79 v. Chr. als dictator amtierte und wesentlichen Anteil an der blutigen Verrohung der politischen Sitten durch Proskriptionen seiner Gegner hatte, auf der Rückseite einer Serie von Denar
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prägungen ein im Folgenden näher zu besprechendes Denkmal abbilden (Abb. 4), das zum Zeitpunkt seiner Errichtung politisch höchst brisant war. Zu sehen sind drei Männer. Die offenkun dige Hauptperson thront oberhalb der beiden anderen mittig auf einem altrömischen Amtsstuhl. Durch die Beischrift FELIX (der Glückliche) ist er eindeutig als der berühmte Sulla gekennzeichnet. Links vor ihm kniet in geradezu bittfälliger Haltung ein Mann, der ihm einen Olivenzweig entgegenstreckt, während rechts ein weiterer kniet, der durch die Abb. 4 nach hinten gebundenen Hände deutlich als ein Gefangener erkannt werden kann. In der politischen Karriere Sullas ist für das Jahr 105 v. Chr. eine mit der Darstellung übereinstimmende Episode überliefert. Obwohl eigentlich Gaius Marius (158/157– 86 v. Chr.), Konsul des Jahres 106 v. Chr., den Oberbefehl im Krieg gegen den numidischen König Iugurtha (ca. 160–104 v. Chr.) führte, war es dem unter ihm dienenden Quaestor Sulla durch geschickte Verhandlungen gelungen, Iugurthas Schwiegervater, den mauretanischen König Bocchus (um 110–80 v. Chr.), zur Auslieferung des Aufständischen zu bewegen und den Krieg damit endgültig zu beenden. Es liegt daher nahe, diese Szene auf dem Denar wiederzuerkennen und die beiden knienden Männer als Bocchus (links) und Iugurtha (rechts) zu identifizieren. Nach althergebrachter Sitte wäre dieser Erfolg dem eigentlichen Inhaber des imperiums (der Befehlsgewalt), somit Marius allein, zuzusprechen, unter dessen Auspizien der gesamte Kriegsverlauf und folglich auch alle Handlungen standen. Auch hatte der Senat Marius einen Triumph für den Sieg über Iugurtha zuerkannt. Dass der wesentlich rangniedere Sulla dennoch seinen Anteil am Ruhm so offenkundig für sich persönlich beanspruchte, stellte daher einen Tabubruch ersten Ranges dar. Er maßte sich damit gloria an, die ihm im Grunde genommen nicht zukam. Das eigentliche Ärgernis bestand aber nicht darin, das Geschehen bloß mündlich auf Sulla zu beziehen, sondern daraus ein Denkmal zu machen, das noch dazu auf dem Kapitol aufgestellt wurde. Die Rolle des Tabubrechers übernahm dabei Bocchus, der als ausländischer und mit Rom durch ein amicitia-Verhältnis vertraglich verbundener Herrscher ein wohl lebensgroßes Monument stiftete. Möglicherweise stand es im Heiligtum der Fides auf dem Kapitol, ein durchaus passender Ort, um der Bündnistreue des mauretanischen Königs in besonders sinnfälliger Weise Ausdruck zu verleihen. Sulla verfügte mit dieser Stiftung des Bocchus mitten im kultischen Zentrum der Stadt und damit an einem besonders prominenten und prestigeträchtigen Platz über ein ein-
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zigartiges Denkmal seiner persönlichen gloria, das zugleich aber ebenso ein Stachel im Fleisch seiner Gegner war. Das Monument blieb daher auch nicht lange unangetastet und hatte eine entsprechend bewegte Geschichte. Auskunft hierüber gibt uns Plutarch, der in seinen Biographien des Sulla (6) und des Marius (32) davon berichtet, dass der Streit mit Marius durch den Ehrgeiz des Bocchus wieder aufgeflammt sei, als dieser, um sich dem Volk in Rom zu empfehlen und Sulla gefällig zu erweisen, auf dem Kapitol Statuen von Tropaea-tragenden Siegesgöttinnen und zugleich solche, die die Auslieferung Iugurthas an Sulla zeigten, aufstellen ließ. Marius sei darüber höchst entrüstet gewesen und habe die Weihgaben sofort niederreißen wollen, was wiederum Anhänger Sullas auf den Plan rief, sodass die ganze Stadt in Aufruhr geriet. Eine weitere Eskalation der Situation hätte nur der Ausbruch des Bundesgenossenkrieges verhindert. Da im späteren Verlauf Marius seinen Gegner Sulla schließlich zum Staatsfeind erklären ließ, dürften zumindest zu diesem Zeitpunkt die genannten Standbilder wohl tatsächlich zerstört worden sein. Ebenso liegt es nahe anzunehmen, dass sie mit dem endgültigen Sieg Sullas wieder restauriert wurden. Ansonsten hätte Jahrzehnte später Sullas Sohn doch kaum ein entsprechendes Denkmal auf seine Münzen gesetzt und versucht, daraus politisches Kapital zu schlagen. Am Beginn von Faustus Cornelius Sullas eigener politischer Karriere hielt er es augenscheinlich für opportun, mangels persönlicher gloria vorerst mit der seines Vaters zu prunken und die Konkurrenten um die weiteren höheren Wahlämter auszustechen. Diese doppelte Instrumentalisierung, die genau genommen eine dreifache ist, da auch Bocchus selbst, der eigentliche Stifter, damit einst ureigenste Interessen verfolgt hatte, zeigt exemplarisch die Sprengkraft, die politische Kunst in der späten Republik haben konnte. Das Streben nach memoria und gloria wurde zunehmend problematisch und mündete schließlich in einen brutalen blutigen Bürgerkrieg, in dessen Verlauf nicht nur die Denkmäler Schaden nahmen, sondern Abertausende von römischen Bürgern ihr Leben verloren. Die Monumente standen dabei nicht etwa abseits, waren lediglich Objekte respektive Symptome einer Krisenzeit, die man mit mehr oder minder gemischten Gefühlen betrachtete. Stattdessen sind sie vielmehr selbst oft Auslöser von Konflikten gewesen und haben folglich in einem übertragenen Sinn durchaus eine »aktive« Rolle gespielt. Bilder mit ihrem Anspruch auf Dauerhaftigkeit bergen ihr eigenes Konfliktpotential. Vor diesem Hintergrund lässt sich im Anschluss an die Lektüre des ersten Exkurses in Sallusts Catilina (s. o.) ein Blick auf die politische Bildkunst eröffnen, d. h. nach der Festigung mit einem Tafelbild zum ersten Exkurs und zur Bedeutung des Ruhmmotivs, was an dieser Stelle sinnvollerweise ohnehin erfolgen wird, kann nun – passend, weil Sallust dort mit der sullanischen Zeit schließt – eine Betrachtung des Bocchus-Monuments angeschlossen werden. Aber letztlich ist jede der oben aufgeführten Stellen als Ausgangsbasis möglich. Geeignet wäre zudem eine zusätzliche (kursorische) Lektüre von Sallusts Bellum Iugurthinum.
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Die Beschäftigung mit diesem konkreten Denkmal als Beispiel visualisierter Machtansprüche in einer politisch höchst spannungsvollen Zeit, dient dazu, die Schülerinnen und Schüler zu sensibilisieren, sich selbst kritisch mit jedweder Form politischer Bildpropaganda auseinanderzusetzen. Am Ende sollte daher unbedingt der Versuch stehen, aktuelle Phänomene in die Überlegungen miteinzubeziehen.
Arbeitsaufträge – Sallust und Bocchus-Monument 1. Informieren Sie sich zunächst in Geschichtsbüchern, Internetquellen oder besser durch Lektüre von Sallusts Bellum Iugurthinum (Kapitel 105–113) über Bocchus sowie Iugurtha und vor allem über die Rolle Sullas im Krieg mit diesem Numiderkönig. 2. Recherchieren Sie nun in der Münzdatenbank numid.online unter den Stichworten »Bocchus« und »Iugurtha«. Dort werden Sie Münzen finden, die Sullas Sohn herstellen ließ. Beschreiben Sie die Darstellungen auf den Rückseiten der recherchierten Münzen und versuchen Sie auf der Basis Ihrer Kenntnis der historischen Zusammenhänge (siehe Aufgabe 1) eine Benennung der einzelnen Personen. 3. Erklären Sie dann, wie auf dem Münzbild Sullas gloria verdeutlicht wird. 4. Stellen Sie anschließend Überlegungen dazu an, warum Sulla – für den der Sieg über Marius um vieles bedeutender war als der über Iugurtha – trotzdem einen Sieg über einen ausländischen Gegner gewählt hat, um sich im Herzen Roms feiern zu lassen. 5. Recherchieren Sie im Internet, um Beispiele dafür zu finden, wie sich heute Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens durch geschickten Einsatz von Bildern oder Symbolen werbewirksam in Szene setzen. 6. Das Denkmal, das für Sulla von Bocchus errichtet worden war, wurde kurze Zeit später von seinen politischen Gegnern gestürzt. Recherchieren Sie im Internet über den Sturz von Denkmälern politischer/militärischer Gegner in jüngster Zeit (beispielsweise Saddam Hussein, Nicolae Ceaușescu). Abschließend kann im Plenum über die Problematik von politisch wirksamen Bildern vor dem Hintergrund der aktuellen Bildfälschungsmöglichkeiten im Internet diskutiert werden (Fake Photo: Hillary Clinton, Osama Bin Laden u. a.).
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Politische Kunst der Römer I – gloria in der Römischen Republik
Literaturhinweise: Politische Kunst der römischen Republik: Hölscher, Tonio, Die Anfänge römischer Repräsentationskunst, Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Römische Abteilung 85, 1978, S. 315–357; Sauron, Gilles, Römische Kunst von der mittleren Republik bis Augustus (Mainz/Darmstadt 2013), bes. S. 158–166 (Das Kapitol in Rom als Spiegel von Expansion und inneren Konflikten); Hölscher, Tonio, Krieg und Kunst im antiken Griechenland und Rom. Heldentum, Identität, Herrschaft, Ideologie, Münchner Vorlesungen zu antiken Welten 4 (Berlin – New York 2019) S. 230–254 (Hellenistisches Italien und republikanisches Rom: Rituale und Ideologien des Sieges). Bocchus-Monument: Hölscher, Tonio, Römische Siegesdenkmäler der römischen Republik, in: Cahn, Herbert A. – Simon, Erika (Hrsg.), Tainia. Festschrift Roland Hampe (Mainz 1980) S. 351–371, bes. 359–371; Schäfer, Thomas, Das Siegesdenkmal vom Kapitol, in: Horn, Heinz Günter – Rüger, Christoph B. (Hrsg.), Die Numider – Reiter und Könige nördlich der Sahara, Ausstellungskatalog Rheinisches Landesmuseum Bonn 1979/1980 (Köln/Bonn 1979) S. 243–250; Hölscher, Krieg und Kunst a. a. O. S. 250–251.
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Politische Kunst der Römer II – Die Kaiserzeit als Tugendherrschaft
Plinius der Jüngere, Briefe und Panegyricus Mit der Etablierung einer de facto monarchischen Herrschaft durch Augustus (63 v.– 14 n. Chr.), die allerdings de iure in einem strengen republikanischen Kostüm als restitutio rei publicae daherkam, begann auf den Wurzeln der alten politischen Kunst der Republik die Ausformung spezifischer Bildformen kaiserlicher Repräsentation. Der Herrscher und vor allem seine Tugenden wurden mehr und mehr in den Mittelpunkt der offiziellen Staatskunst gerückt. Vom Selbstverständnis her blieb der Kaiser ein mit traditionellen republikanischen Ämtern und Vollmachten versehener senatorischer Magistrat, der als primus inter pares die übrigen Senatoren allenfalls, wie es Augustus in seinem Tatenbericht (Res Gestae 34) treffend ausgedrückt hat, an persönlicher auctoritas, nicht aber an potestas überragte. Diese individuelle auctoritas gründete sich wesentlich auf die Tugenden des Einzelnen, wenngleich ein bestimmter Kanon bereits unter Augustus als offiziell für Kaiser verbindlich galt. Mit der Verleihung des Ehrennamens Augustus im Januar 27 v. Chr. erhielt der Geehrte zugleich einen clipeus virtutis genannten Ehrenschild, auf dem virtus, clementia, iustitia und pietas inschriftlich als die Kaisertugenden schlechthin verzeichnet waren. An diesem Vorbild hatten sich seine Nachfolger zu orientieren. Die senatorische Geschichtsschreibung beurteilte sie gnadenlos nach diesen Maßstäben. So sind Darstellungen menschlicher, insbesondere kaiserlicher Tugenden sowohl in der bildenden Kunst als auch in der Literatur der Kaiserzeit ausgesprochen präsent. Sie wurzeln im Wesentlichen in den Exempla der römischen Historiographie beziehungsweise in der Lehre der Stoa. In der Bildkunst werden sie auf offiziellen Staatsmonumenten wie dem Reliefschmuck der Ehrenbögen und Ehrensäulen sowie ab der Regierungszeit des Kaisers Hadrian (reg. 117–138 n. Chr.) vermehrt auch auf senatorischen Sarkophagen visualisiert. Die Verbildlichung der Tugenden geschieht dabei meist nicht in Gestalt von Personifikationen, sondern bezeichnenderweise als Handlungsbilder, von denen ein gewisser Teil (vor allem auf Sarkophagen) Darstellungen mythischer Geschichten sind, die als metaphorisch-rühmende Exempla gemeint waren. Im Zentrum dieser Lehreinheit steht jedoch ein überaus bildreiches Denkmal, das keinerlei Mythenbilder aufweist. Die Rede ist von der anlässlich der beiden erfolgreichen Feldzüge (101–102 und 105–106) gegen die Daker und ihren König Decebalus vom Senat
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Politische Kunst der Römer II – Die Kaiserzeit als Tugendherrschaft
zwischen 112 und 113 n. Chr. zu Ehren des Kaisers Traian (reg. 98–117 n. Chr.) im Zentrum Roms errichtete Säule. Für sie musste eigens ein Hügel abgetragen werden, dessen einstige Höhe der des Monuments entsprechen soll. Aufgestellt auf einem kleinen, von einem Propylon (Torbau), zwei Bibliotheksgebäuden und der rückwärtigen Langseite der Basilica Ulpia allseitig umschlossenen Platz, gehörte die Säule zum prachtvollen neuen Forum des Kaisers, das dieser aus der goldreichen Dakerbeute finanziert hatte. Die Säule war aber nicht nur ein reines Ehrenmonument, sondern barg nach dem Tod Traians (gest. 117 n. Chr.) und seiner Frau Plotina (gest. 123 n. Chr.) beider Aschenurnen, ist somit folglich auch ein kaiserliches Grabmonument gewesen. Bevor der üppige Reliefdekor näher betrachtet wird, soll zunächst ein zeitgenössischer Autor zu Wort kommen. Aus der Regierungszeit Traians stammen einige Briefe des jüngeren Plinius (Gaius Plinius Caecilius Secundus; um 61/62–113/115 n. Chr.), in denen er die Tugenden von Männern und Frauen beschreibt. Einschlägig sind hier vor allem die Briefe 1, 22 (Tugenden des erwachsenen Mannes), 5, 16 (Tugenden eines verstorbenen jungen Mädchens), 6, 11 (Tugenden zweier junger Anwälte) und 7, 19 (Tugenden der erwachsenen Frau) und nicht zuletzt der Panegyricus des Plinius auf Kaiser Traian. Da davon auszugehen ist, dass bei einer Plinius-Lektüre von den einschlägigen Briefen höchstens einer in lateinischer Sprache gelesen wird, werden hier die entscheidenden Passagen aus den betreffenden Briefen zweisprachig vorgelegt. Im Unterricht kann je nach Zeitrahmen die längere Version (Arbeitsaufträge 1 und 2) bzw. die kürzere (Arbeitsaufträge 2; ggf. muss dann auf Aufgabe 2.2 verzichtet werden) als Vorbereitung für die Betrachtung und Erarbeitung des Bildschmucks der Traianssäule (Arbeitsaufträge 3) eingesetzt werden.
Politische Kunst der Römer II – Die Kaiserzeit als Tugendherrschaft
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Arbeitsaufträge 1 – die Tugenden von Männern und Frauen 1. Bearbeiten Sie die folgenden zweisprachigen Texte und stellen Sie in Tabellen die lateinischen Begriffe zusammen, die die Tugenden von Männern und Frauen bezeichnen. Beachten Sie dabei vor allem die von Plinius verwendeten Substantive und Adjektive (Adverbien). 2. Arbeiten Sie dann Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus und definieren Sie von dieser Basis aus das hier zu Grunde liegende Idealbild von Mann und Frau. 3. Überlegen Sie schließlich, wie man die Tugenden in eine bildliche Darstellung (Bild, Film, Statue etc.) übersetzen könnte (Mimik, Haltung, Kleidung, Bewegung etc.).
Brief 1 Der Anlass des ersten Briefes (1, 22) ist die Krankheit von Titius Aristo, die Plinius als Gelegenheit nimmt, diesen Mann genauer zu beschreiben. 2 Quam peritus ille et privati iuris et pu-
blici! Quantum rerum, quantum exemplorum, quantum antiquitatis tenet! Nihil est, quod discere velis, quod ille docere non possit; mihi certe quotiens aliquid abditum quaero, ille thesaurus est. 3 Iam quanta sermonibus eius fides, quanta auctoritas, quam pressa et decora cunctatio! Quid est, quod non statim sciat? Et tamen plerumque haesitat, dubitat, diversitate rationum, quas acri magnoque iudicio ab origine causisque primis repetit, discernit, expendit. 4 Ad hoc, quam parcus in victu, quam modicus in cultu! Soleo ipsum cubiculum illius ipsumque lectum ut imaginem quandam priscae frugalitatis adspicere. 5 Ornat haec magnitudo animi, quae nihil ad ostentationem, omnia ad conscientiam refert, recteque facti non ex populi sermone mercedem, sed ex facto petit … 6 in toga negotiisque versatur, multos advocatione, plures consilio iuvat. 7 Nemini tamen istorum castitate, pietate, iustitia, fortitudine etiam primo loco cesserit.
2 Wie erfahren ist jener im privaten und öffentlichen
Recht! Wie viele Fakten, wie viele Beispiele, wie viele Altertümer beherrscht er! Es gibt nichts, was du lernen willst, was jener nicht lehren kann; für mich ist er, wenn immer ich etwas Abgelegenes suche, eine Fundgrube. 3 Welch große Zuverlässigkeit liegt in seinen Worten, welch große Autorität, wie dezent und anmutig ist sein Zögern! Was gibt es, das er nicht sofort wüsste! Und dennoch ist er zurückhaltend und zögerlich wegen der Verschiedenheit der Gründe, die er mit scharfem und hochstehendem Urteil vom Anfang und den ersten Ursachen an herleitet, unterscheidet, abwägt. 4 Darüber hinaus: Wie sparsam ist er in seiner Haushaltsführung, wie maßvoll in seiner Lebensweise! Ich pflege selbst sein Bett wie ein Abbild altehrwürdiger Genügsamkeit zu betrachten. 5 Dies zeichnet seine Seelengröße aus, die nichts auf den äußeren Schein, alles auf das gute Gewissen bezieht, und den Lohn einer guten Tat nicht aus dem Gerede des Volkes, sondern aus der Tat erstrebt …, 6 er verbringt seine freie Zeit in der Toga und widmet sich Geschäften, vielen hilft er durch seinen juristischen Beistand, noch mehr (Menschen) durch seinen Rat. Dennoch dürfte er wohl auch vor keinem von jenen (›Philosophen‹) auf Grund seiner Sittenreinheit, seines Pflichtbewusstseins, seiner Gerechtigkeit, seiner Unerschrockenheit vom ersten Platz weichen.
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Politische Kunst der Römer II – Die Kaiserzeit als Tugendherrschaft
Brief 2 Anlass des zweiten Briefes (5, 16) ist der Tod eines jungen Mädchens. 2 Nondum annos xiiii impleverat, et iam
illi anilis prudentia, matronalis gravitas erat et tamen suavitas puellaris cum virginali verecundia. 3 Ut illa patris cervicibus inhaerebat! Ut nos amicos paternos et amanter et modeste complectebatur! Ut nutrices, ut paedagogos, ut praeceptores pro suo quemque officio diligebat! Quam studiose, quam intellegenter lectitabat! Ut parce custoditeque ludebat! Qua illa temperantia, qua patientia, qua etiam constantia novissimam valetudinem tulit! 4 Medicis obsequebatur, sororem, patrem adhortabatur ipsamque se destitutam corporis viribus vigore animi sustinebat. 5 Duravit hic illi usque ad extremum, nec aut spatio valetudinis aut metu mortis infractus est, quo plures gravioresque nobis causas relinqueret et desiderii et doloris.
2 Sie hatte noch nicht ihr vierzehntes Lebensjahr voll-
endet, und schon war ihr die Klugheit einer alten Frau und die Würde einer verheirateten Frau zu eigen und dennoch auch eine jungmädchenhafte Liebenswürdigkeit und jungfräuliche Zurückhaltung. 3 Wie sie am Hals des Vaters hing! Wie sie uns, die Freunde ihres Vaters, sowohl freundlich als auch sittsam umarmte! Wie sie ihre Ammen, wie sie ihre Erzieher, wie sie ihre Lehrer einen jeden entsprechend seiner Aufgabe liebte! Wie sorgfältig, wie verständig sie immerzu las! Wie sparsam und bedacht sie ihren Vergnügungen nachging! Mit welcher Zurückhaltung, mit welcher Geduld, und sogar mit welcher Standhaftigkeit sie ihre letzte Krankheit ertrug! Sie folgte den Ärzten, sie ermunterte Schwester und Vater, und sich selbst, die schon die Körperkräfte verlassen hatten, hielt sie durch die Kraft ihres Geistes aufrecht. Und diese verblieb ihr bis zum letzten, und sie wurde nicht durch die Länge der Krankheit oder durch die Furcht vor dem Tod gebrochen, wodurch sie uns noch mehr und gewichtigere Gründe für unsere Sehnsucht und unseren Schmerz hinterließ.
Brief 3 In Brief 6, 11 beschreibt Plinius zwei außergewöhnliche junge Männer. O diem laetum! Adhibitus in consilium a praefecto urbis audivi ex diverso agentes summae spei summae indolis iuvenes, Fuscum Salinatorem et Ummidium Quadratum, egregium par nec modo temporibus nostris, sed litteris ipsis ornamento futurum. 2 Mira utrique probitas, constantia salva, decorus habitus, os Latinum, vox virilis, tenax memoria, magnum ingenium, iudicium aequale.
O welch glücklicher Tag! Vom Stadtpräfekten wurde ich zu einer Beratung hinzugezogen und hörte – von verschiedenen Seiten aus argumentierend – junge Männer, die zu höchster Hoffnung Anlass geben und höchste Begabung aufweisen, Fuscus Salinator und Ummidius Quadratus, in gleicher Weise herausragend nicht nur in unserer Zeit, sondern sie werden auch die Wissenschaft selbst in Zukunft schmücken. Bewundernswert ist an einem jeden der beiden Rechtschaffenheit, eine gesunde Standhaftigkeit, eine anständige Haltung, gutes Latein, eine männliche Stimme, ein gutes Gedächtnis, große Begabung und ein gleiches Urteilsvermögen.
Politische Kunst der Römer II – Die Kaiserzeit als Tugendherrschaft
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Brief 4 Anlass für Brief 7, 19 ist die Krankheit von Fannia, die sie sich zugezogen hat, als sie eine Vestalin pflegte, die an einem Fieber erkrankt war. Quae castitas illi, quae sanctitas, quanta gravitas, quanta constantia! Bis maritum secuta in exsilium est, tertio ipsa propter maritum relegata. 5 Nam cum S enecio reus esset, quod de vita Helvidi libros composuisset rogatumque se a Fannia in defensione dixisset, quaerente minaciter Mettio Caro, an rogasset, respondit: ›Rogavi‹; an commentarios scripturo dedisset: ›Dedi‹; an sciente matre: ›Nesciente‹; postremo nullam vocem cedentem periculo emisit. … 7 Eadem quam iucunda quam comis, quam denique – quod paucis datum est – non minus amabilis quam veneranda! Eritne quam postea uxoribus nostris ostentare possimus?
Welche Sittenreinheit, welche Rechtschaffenheit, welche Würde, welche Standhaftigkeit war ihr zu eigen! Zweimal folgte sie ihrem Mann ins Exil, beim dritten Mal wurde sie wegen ihres Mannes verbannt. 5 Denn als Senecio Angeklagter war, weil er Bücher über das Leben des Helvidius verfasst hatte und er bei seiner Verteidigung gesagt hatte, dass er von Fannia darum gebeten worden sei, antwortete sie, als Mettius Carus drohend fragte, ob sie darum gebeten habe: »Habe ich«, und ob sie ihm für die Schrift Aufzeichnungen gegeben habe: »Habe ich«, und ob ihre Mutter darum wusste: »Nein«. Schließlich sagte sie kein Wort, das der Gefahr aus dem Wege ging … 7 Wie angenehm, wie umgänglich war sie, wie schließ lich – was nur wenigen gegeben ist – nicht weniger lie benswert als verehrungswürdig.
Anmerkungen: Fannia war verheiratet mit (dem älteren) Helvidius Priscus, der unter Domitian hingerichtet wurde, ebenso wie Senecio, der eine Biographie des Helvidius geschrieben hatte.
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Politische Kunst der Römer II – Die Kaiserzeit als Tugendherrschaft
Arbeitsaufträge 2 – die Tugenden von Kaiser Traian 1. Der folgende Text stammt aus einer Dankesrede, die Plinius anlässlich seines Konsulates in seinem Namen und dem seines Amtskollegen auf Kaiser Traian hielt. Bearbeiten Sie den folgenden zweisprachigen Text und stellen Sie die lateinischen Begriffe zusammen, die die Tugenden des Kaisers beschreiben. Beachten Sie dabei vor allem die von Plinius verwendeten Substantive und Adjektive (Adverbien)! 2. Vergleichen Sie diese Liste mit der der Tugenden »normaler« Menschen (Arbeitsblatt 1). Arbeiten Sie dabei heraus, welches vor allem die spezifischen Tugenden des Kaisers sind, und vergleichen Sie diese mit den Tugenden der »normalen« Menschen.
2,6 Populus … … hunc fortissimum per-
sonat; … huius pietatem, abstinentiam, mansuetudinem laudat. 3,2 Quantum ad me attinet, laborabo, ut orationem meam ad modestiam Principis moderationemque submittam. 4,6 Ut nihil severitati eius hilaritate, nihil gravitati simplicitate, nihil maiestati humanitate detrahitur! 10,3 At quo, dii boni, temperamento potestatem tuam fortunamque moderatus es! Imperator titulis et imaginibus et signis, ceterum modestia, labore, vigilantia dux et legatus et miles, quum iam tua vexilla, tuas aquilas magno gradu anteires. 20,2 Affectata aliis castitas, tibi ingenita et innata. 21,4 Quod quidem nomen qua benignitate, qua indulgentia exerces! Ut cum civibus tuis, quasi cum liberis parens, vivis! 27,3 Quocirca nihil magis in tua tota liberalitate laudaverim, quam quod congiarium das de tuo. 49,7 Ergo non aurum, nec argentum, nec exquisita ingenia coenarum, sed suavitatem tuam iucunditatemque miramur:
2,6 Das römische Volk preist diesen laut als tapfersten; …
und lobt sein Pflichtbewusstsein, seine Zurückhaltung, seine Milde. 3,2 Was mich betrifft, arbeite ich daraufhin, dass meine Rede zur Bescheidenheit und dem Maßhalten des Princeps passt. 4,6 Wie in keiner Hinsicht seine Heiterkeit seiner Strenge, seine Schlichtheit seiner Würde, seine Menschlichkeit seiner Majestät abträglich ist! 10,3 Aber mit welcher Zurückhaltung, gute Götter, du deine Macht und dein Glück gebrauchst! (Du bist) Imperator mit Inschriften, Bildnissen und Feldzeichen, im Übrigen ein Anführer, Kommandeur und Soldat mit Bescheidenheit, Einsatz, Wachsamkeit, als du deinen Fahnen und Adlern mit großem Schritt vorangingst. 20,2 Bei anderen ist Sittenreinheit gekünstelt, bei dir zutiefst angeboren. 21,4 Mit welcher Güte freilich, mit welcher Nachsicht setzt du diesen Namen (= Vater) um! Wie lebst du mit deinen Bürgern, wie ein Vater mit seinen Kindern! 27,3 Deshalb dürfte ich wohl nichts an deiner ganzen Freigebigkeit mehr loben, als dass du die Getreide spenden für die Armen aus deinem (Vermögen) gibst. 49,7 Daher bewundern wir nicht Gold, nicht Silber, nicht exquisite Einfälle bei den Speisen, sondern deine Liebenswürdigkeit und deine Fröhlichkeit.
Politische Kunst der Römer II – Die Kaiserzeit als Tugendherrschaft
58,9 Tuam vero magnanimitatem, an
modestiam, an benignitatem prius mirer? Magnanimitas fuit, expetito semper honore abstinere; modestia, cedere; benignitas, per alios frui. 77,3 Ibi vero quanta religio aequitatis!
quanta legum reverentia!
80,1 Quid? In omnibus cognitionibus,
quam mitis severitas, quam non dissoluta clementia!
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58,9 Dürfte ich wohl eher deine Seelengröße, deine Be-
scheidenheit oder deine Güte loben? Deine Seelengröße bestand darin, von einem immer erstrebten Ehrenamt Abstand zu nehmen, deine Bescheidenheit zurückzustehen, deine Güte, Freude zu haben, wenn andere es innehatten. 77,3 Wie groß ist aber dort (vor Gericht) deine Hochachtung vor der Gerechtigkeit, wie groß der Respekt vor den Gesetzen! 80,1 Was? Wie mild ist in allen gerichtlichen Untersuchungen deine Strenge, wie mit Bedacht eingesetzt deine Milde!
Nach der Betrachtung der schriftlichen Zeugnisse zum Tugendkanon der Kaiserzeit ist im zweiten Schritt zu überlegen, wie vor allem die kaiserlichen Tugenden in der offiziellen Staatskunst visualisiert worden sind. Unser gewähltes Beispiel – die Reliefs der Traianssäule – eignen sich hierfür in besonderem Maß, da sie auf den ersten Blick scheinbar so gar nichts mit diesem Thema zu tun haben (zur architektonischen Einbettung der Säule s. unten Kapitel 10 mit Abb. 52). Die nähere Betrachtung (Google-Bildersuche) des überaus figuren- und handlungsreichen Reliefspiralbandes, das in 23 Windungen über 100 Szenen beinhaltet, wird dazu führen, in den Bildern Darstellungen der beiden Dakerkriege zu erkennen. In der älteren Forschung nahm man das als Beleg für deren Deutung als historisch, d. h. chronologisch und faktisch korrekter Bildkommentar. Man verstand die Reliefs als Illustrationen eines in der Bibliothek des Forum Traiani aufbewahrten schriftlichen Tatenberichts des Kaisers. Ganze Forschergenerationen mühten sich ab, die in der antiken Historiographie verstreut überlieferten Kriegsereignisse in Deckung mit dem Bildschmuck der Säule zu bringen. Die grundsätzliche Richtigkeit dieser Annahme wurde insofern für lange Zeit nicht angezweifelt, als die römische Staatskunst insgesamt als historisch galt. Gemeint war damit die Interpretation der auf den Ehrenmonumenten der Kaiser dargestellten einzelnen Schlachten, Triumphzüge, aber auch Opfer und andere Handlungen als tatsächliche, zeitlich genau fixierbare Ereignisse. Der hierfür gewählte Gattungsbegriff der römischen Historienreliefs ist bezeichnend. Erst mit der Neuorientierung der klassisch-archäologischen Bildwissenschaft in den späten 1960er- und vor allem 1970er-Jahren geriet dieses Gedankengebäude empfindlich ins Wanken. Forscher wie Klaus Fittschen, Tonio Hölscher und Paul Zanker erkannten zunehmend den topischen Charakter der vermeintlichen Historienbilder, weshalb man heute auch eher von Staatsreliefs spricht. Obwohl einzelne Handlungen dargestellt sind, die durchaus historisch verbürgt sein können, ging es nicht darum, das historisch Einmalige zu erfassen, sozusagen eine fotografische Abbildung des Geschehenen zu schaffen, sondern in einem
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überzeitlichen Sinn bestimmte positive kaiserliche Handlungs- und Tugendmuster in Form konkreter Handlungsbilder zu visualisieren. Dementsprechend lässt sich auch der detailreiche Bildschmuck der Traianssäule in einem panegyrisch-topischen Sinn deuten. Bei genauer Durchmusterung fällt nämlich auf, dass bestimmte Szenen immer wiederkehren (Abb. 5). Zwar ist durchaus beabsichtigt, eine chronologisch sinnvolle Darstellung des Kriegsgeschehens zu zeigen, doch eben in stark formelhafter Weise. Ein paar Beispiele mögen genügen: So finden vor Beginn der Kampfhandlungen in der Regel von Seiten der Römer Opfer statt, die der Kaiser durchführt. Damit wird auf die providentia angespielt. Der Kampf gegen die Daker ist ein der göttlichen Vorsehung folgendes bellum iustum, das die Römer im Einvernehmen mit den Göttern führen. Die vielen Ansprachen (adlocutiones) Traians vor den Soldaten bezeugen die für einen siegreichen Verlauf notwendige concordia zwischen Heer und Herrscher. In den Schlachten offenbart sich die virtus der Römer, die einen Kontrast zur barbarischen crudelitas der Daker (Folterungen römischer Gefangener) bildet. Bezeichnend ist ferner die ganz unterschiedliche Gestaltung der Soldaten. Auf römischer Seite agieren diese planvoll, erledigen als Ausdruck der zu gloria führenden römischen Tugend labor Schanzarbeiten, bauen Brücken etc. Zudem gehen sie geordnet und wohlgerüstet in die Schlacht, wo sie getreulich den Befehlen Traians und seiner Offiziere folgen. Die Daker hingegen handeln komplett anders. Es sind ungeordnete Haufen, die in meist wilder Flucht ihren in jeglicher Hinsicht überlegenen Gegnern zu entkommen suchen. In Szenen der Unterwerfung (submissio) schließlich zeigt der Kaiser seine clementia gegenüber den Besiegten. Dass im Gegensatz zum formalen Abschluss des ersten dakischen Krieges (Fortbestand des Dakerreiches und Vertrag mit Rom) am Ende des zweiten Waffengangs kein entsprechendes Zeremoniell mehr dargestellt wird, sondern das Ganze mit diversen Unterwerfungsakten kleinerer Gruppen und dem Selbstmord des vertragsbrüchigen dakischen Königs Decebalus endet, ist kein Zufall, sondern visualisiert in eindrücklicher Weise die Auflösung des dakischen Staates. Weitere Beispiele ließen sich anführen, aus denen das Grundprinzip der Gestaltung der Traianssäule klar hervorgeht. Die augenscheinlich sequentielle Darbietung des Kriegsgeschehens als chronologisch fortlaufende, quasi historische Erzählung offenbart sich in der strukturellen Detailanalyse als Kombination topischer Handlungsbilder, die eine ideologische Rechtfertigung des Krieges und eine ebenso ideologische Charakterisierung der beiden Kriegsparteien liefern. Hilfreich für die Entschlüsselung der jeweiligen thematischen Topik ist die kaiserzeitliche Münzprägung, auf deren Reversbilder Abbreviaturen konkreter Handlungen mit schlagwortartigen Legenden versehen sind. So verweisen auf traianischen Prägungen ohne jegliche nähere zeitliche und/oder örtliche Spezifizierung sowohl die Darstellung eines gefangenen sitzenden Dakers (Abb. 6) als auch die des einen Daker niederreitenden Kaisers (Abb. 7) laut Legende nur allgemein auf die Gesamtqualitäten Traians als eines optimus princeps.
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Abb. 5
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Abb. 6
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Abb. 7
Dies soll freilich nicht bedeuten, dass die dargestellten Handlungen allesamt rein allegorisch gemeint waren. Es ist vielmehr geradezu die ihnen innewohnende potenzielle Bezugsmöglichkeit auf konkrete Ereignisse, die diesen Bildern eine spezielle Wirkungsmacht verleiht. Die Handlungen des Kaisers erscheinen auf diese Weise als Erfüllung eines göttlichen Plans. Die ständigen Wiederholungen suggerieren Ordnung und planvolle Erfüllung. Die kaiserliche Herrschaft ist das Resultat einer statischen Geschichtsauffassung, die Sicherheit gibt. Selbst Störungen wie der Kampf gegen Barbaren verlaufen planmäßig und in geordneten Bahnen, sodass sich am Ende der Sieg zwangsläufig einstellt. Die hieraus abzulesende spezifische Form von politischer Macht und ihrer bildlichen Inszenierung ist geeignet, die Schülerinnen und Schüler anzuregen, auch moderne Herrschaftsvisualisierungen näher zu betrachten. Hierzu sollten zunächst die Reliefs der Traianssäule und abschließend moderne Politikbilder genauer in den Blick genommen werden.
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Arbeitsaufträge 3 – die Bilder der Traianssäule 1. Betrachten Sie nun die Bilder der Traianssäule genau (Google-Bildersuche) und suchen Sie dort jeweils den Kaiser, deuten Sie seine Handlungen und weisen Sie den dargestellten Handlungen passende Tugenden zu. Benutzen Sie dazu deutsche bzw., wo es möglich ist, lateinische Begriffe. Orientieren Sie sich dabei an den Ergebnissen der Arbeitsblätter 1 und 2. 2. Suchen Sie unter dem Begriff »Daker« in der Münzdatenbank numid.online nach Prägungen des Kaisers Traian und arbeiten Sie heraus, welche unterschiedlichen Akzente die Bilder der Traianssäule und die Münzen (Rückseite) setzen. 3. Suchen Sie im Internet nach aktuellen Bildern von politischen Handlungen wie Empfang von Staatsgästen, Reden sowie Ansprachen, Verleihung von Orden, Abhalten von Pressekonferenzen etc. und versuchen Sie, diese mit den oben erarbeiteten römischen Tugendmustern zu verbinden respektive zu vergleichen. Abschließend sollte dann noch im Unterrichtsgespräch der seit der Antike gleichbleibende (stereotype) Charakter solcher »offiziellen« Szenen thematisiert werden. Auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Männer- und Frauenbild, das von Plinius hier transportiert wird, kann an dieser Stelle noch sinnvoll sein.
Die Zusammenschau von Textstellen des Plinius mit Bildzeugnissen traianischer Zeit ermöglicht den Schülerinnen und Schülern den Zugang zu einer spezifischen Form kaiserlichen Herrschaftsverständnisses. Es ist sozusagen die offizielle, magistratische Version, die die senatorisch-republikanische Verwurzelung des Amtes betont. Darüber hinaus hat es aber durchaus auch eine andere, nicht ganz so weit verbreitete Sicht auf die Qualitäten der Kaiser gegeben. Wer das Thema im Unterricht vertiefen möchte, kann dies abschließend am Beispiel der sogenannten Gemma Augustea tun (Abb. 8). Es handelt sich dabei eigentlich um einen Kameo, der in neuzeitlichen Quellen fälschlich als Gemma (Gemme) bezeichnet wurde. Bei Kameen heben sich die Figuren vom Reliefgrund ab, während sie bei Gemmen in den Stein eingetieft sind und erst der Abdruck in ein weicheres Siegelmaterial erhabene Figuren ergibt. Wie schon eingangs beim Claudius-Kameo (Abb. 1) herausgearbeitet, stellen diese Stücke besondere Schatzobjekte dar, deren Handhabung und Betrachtung nur einem sehr exklusiven Hofkreis vorbehalten war. Deshalb findet man hier auch bildliche Formulierungen, die in der offiziellen Bildkunst zumindest sehr selten vorkommen, wenn nicht gar von vielen als zu panegyrisch empfunden worden sind. Gemeint ist damit die Inszenierung des Kaisers als Iuppiter im Kreis weiterer, zum Teil nur schwer zu deuten-
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der Figurentypen. Nicht ganz so selten wurden allerdings Kaiserstatuen im sogenannten Iuppiterschema aufgestellt. Problematisch scheint also nicht die Tatsache an sich, wohl aber die als zu komplex und voraussetzungsreich empfundene allegorische Bildsprache gewesen zu sein. Sie war offenkundig nur für ein höchst gebildetes Publikum entschlüsselbar, wäre folglich als Massenmedium eher untauglich gewesen. Die Gemma Augustea zeigt im unteren Register die Aufrichtung eines tropaeum. Diesen Pfahl, an den erbeutete Feindeswaffen gehängt und Gefangene gefesselt werden konnten, errichtete man auf dem Schlachtfeld an der Stelle, an der sich das gegnerische Herr zur Flucht gewendet hatte und damit den eigenen Sieg dokumentierte. Tropaea sind in der kaiserzeitlichen Bildkunst beliebte Siegesmotive und kommen in der Münzprägung oder auf Staatsmonumenten entsprechend häufig vor. Meist sind diese wie bei der Gemma Augustea mit gefesselten Barbaren kombiniert. Die intendierte Bildaussage ist klar. Solche Darstellungen zeigen die Sieghaftigkeit der Römer. In unserem Beispiel bildet sie geradezu das Fundament der kaiserlichen Segensherrschaft, die im oberen Register dargestellt ist. Aufgrund der deutlich sichtbaren Porträtzüge sind drei Personen als menschliche Individuen gekennzeichnet, die gemeinsam mit idealen Figurentypen die Bildszene füllen. Die
Abb. 8
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Hauptfigur ist der auf einem breiten Thron sitzende Augustus. Seine Füße ruhen auf einem Schild. In der rechten Hand hält er als Zeichen seiner Befehlsgewalt einen lituus, während er sich mit der linken auf ein langes Zepter stützt. Der nackte Oberkörper und die Bekleidung des Unterkörpers mit einem um die Hüfte geschlungenen Mantel zeigen Augustus in einem wie bei Iuppiterdarstellungen üblichen Körperschema. Zusammen mit dem unter dem Kaiser sitzenden Adler ist das als deutlicher Hinweis auf seine besonderen Herrschaftsqualitäten zu deuten, mithin allegorisch-panegyrisch gemeint. Auch wenn Augustus sich eingedenk der altrömischen Traditionen bewusst davor scheute, im Westen des Imperiums und vor allem in der Hauptstadt selbst zu Lebzeiten eine Vergöttlichung zuzulassen, wie es seit Alexander dem Großen für Herrscher im hellenistisch-griechischsprachigen Osten üblich gewesen ist, war das entsprechende Bildrepertoire dennoch im Kreis der römischen Machtelite spätestens seit dem Ende der römischen Republik sattsam bekannt. Schon Marcus Antonius und seine Anhänger bedienten sich mehr oder minder ungeniert dieser Metaphorik und traten gelegentlich in Götterkostümierung auf. Da die Reaktionen der Zeitgenossen darauf aber durchaus ambivalent ausgefallen waren, legte sich Augustus diesbezüglich größte Zurückhaltung auf. Bei jeder offiziellen Gelegenheit vermied er es, aus dem traditionellen senatorisch-magistratischen Würderahmen zu fallen. Umso bedeutungsvoller dürften entsprechende bildliche Ausformungen gewertet worden sein. Es sind höfische Panegyriken. Umgeben ist Augustus von der rechts neben ihm sitzenden, mit Speer, Schild sowie Helm gekennzeichneten kriegerischen Roma und drei links von ihm am äußeren Bildrand erscheinenden, weiteren Gottheiten/Personifikationen. Bei der auf dem Boden Gelagerten dürfte es sich wegen des Füllhorns und der beiden ihr zugeordneten Knaben wahrscheinlich um die Erdgöttin Tellus (Vergil, Aeneis 8, 329; Georgica 2, 173) handeln. Die stehende mit Mauerkrone und Schleier geschmückte weibliche Göttin, die Augustus einen Eichenlaubkranz, die sogenannte corona civica, über das Haupt hält, und die bärtige männliche Gestalt sind nicht zweifelsfrei zu benennen. Vielleicht sind hier Rhea-Cybele und KronosSaturnus dargestellt? Auch ohne genaue Benennung lässt sich die Szene in ihrer Grundbedeutung klar erfassen. In überzeitlicher Weise garantiert der iuppitergleiche Augustus Frieden, Wohlstand und Sicherheit. Die corona civica wurde von alters her römischen Bürgern verliehen, die einen anderen römischen Bürger aus einer Lebensgefahr gerettet hatten. Der römische Senat dedizierte nach Beendigung der blutigen römischen Bürgerkriege gerade diesen alten Ehrenkranz dem Augustus ob cives servatos und zeichnete den Kaiser damit in einem übertragenen Sinn als allgemeinen Retter aus der Not aus. Dadurch wurde er zu einer Art kaiserlichem Insigne, mit dem sich ebenso die nachfolgenden römischen Kaiser schmückten und auf diese Weise für sich eine bestimmte Handlungsqualität beanspruchten, die in augusteischer Zeit noch ganz mit Augustus persönlich verbunden war. Darauf deutet auch die Scheibe mit dem capricornus als dem persönlichen und astrologisch höchst bedeutsamen Sternzeichen des Augustus hin.
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Die im linken Bildfeld zu sehenden Figuren sind ganz links der im Wagenkasten einer Quadriga stehende und mit Triumphaltoga, Lorbeerkranz und Zepter ausgezeichnete Tiberius, dem die Siegesgöttin Victoria die Zügel lenkt, und davor ein weiterer stehender kaiserlicher Prinz (Germanicus?). Die Herrschaft des Augustus ist somit auch in den nächsten Generationen gesichert. Als äußerer Anlass für die Fertigung des Prunkkameos mag der von Augustus befohlene und durch Tiberius unter Mithilfe des Germanicus erfolgreich im Jahr 9 n. Chr. beendete Feldzug gegen die Pannonier gelten. Den damals für ihn beschlossenen Triumph verschob Tiberius jedoch wegen der Niederlage des Varus in Germanien. Gleichwohl wurde er mit hohen Ehren in Rom empfangen (Suetonius, Tiberius 17, 2). In deutlichem Gegensatz zum Bildprogramm der Traianssäule wird der Schlachtenerfolg auf der Gemma Augustea nicht als Abfolge »realer« Ereignisse inszeniert, bei denen die handelnden kaiserlichen Personen wirkungsvoll ihre jeweiligen Tugenden demonstrieren können, sondern vielmehr als gleichsam poetische Allegorie kaiserlicher Herrschaft. Diese Inszenierung ist darauf angelegt, in metaphorischer Weise Augustus und die von ihm abhängig agierenden Prinzen panegyrisch zu feiern. Man kann sich leicht vorstellen, wie diese Bilder durch eigens verfasste Lobgedichte, Hymnen etc. ein zusätzliches repräsentatives Gewicht erhielten und performativ ihre Bildmächtigkeit vollends entfalteten. Um die Unterschiede und allegorischen Qualitäten dieser besonderen Form kaiserlicher Bildpropaganda herauszuarbeiten, könnte abschließend ein Vergleich zwischen der Gemma Augustea und der Traianssäule stehen, wobei seitens der Lehrkraft das Bildprogramm des Kameos zunächst entschlüsselt werden muss. Vorzugehen wäre dann wie folgt: Arbeitsaufträge – Gemma Augustea 1. Vergleichen Sie die beiden Darstellungsweisen kaiserlicher Herrschaft. Berücksichtigen Sie dabei das Rollenverständnis des Kaisers, das sich dort jeweils offenbart. 2. Stellen Sie Vermutungen darüber an, an welches Publikum als Zielgruppe sich die Darstellungen wohl ursprünglich gerichtet haben. Berücksichtigen Sie dazu den Aufstellungs- bzw. Aufbewahrungsort. 3. Recherchieren Sie im Internet nach Symbolen oder Allegorien, mit denen sich Politiker*innen auch heute noch zu überhöhen versuchen.
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Literaturhinweise: Geschichtsauffassung in der römischen Staatskunst: Hölscher, Tonio, Die Geschichtsauffassung in der römischen Repräsentationskunst. Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 95, 1980, S. 265–321. Römische Staatsreliefs allgemein: Fless, Friederike, Historische Reliefs, in: Fischer, Thomas (Hrsg.), Die römischen Provinzen. Eine Einführung in ihre Archäologie (Darmstadt 2001) S. 178–182; Schollmeyer, Patrick, Römische Plastik (Darmstadt 2005) S. 62–77; Hölscher, Tonio, Grundwissen Archäologie (4. Auflage Darmstadt 2015) S. 264–273). Traianssäule in Rom: Baumer, Lorenz E. – Hölscher, Tonio – Winkler, Lorenz, Narrative Systematik und politisches Konzept in den Reliefs der Traianssäule – Drei Fallstudien, Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 106, 1991, S. 261–295; Hölscher, Tonio, Bilder der Macht und Herrschaft, in: Nünnerich-Asmus, Annette (Hrsg.), Traian. Ein Kaiser der Superlative am Beginn einer Umbruchzeit (Mainz 2022) S. 127–140; Ders., Krieg und Kunst im antiken Griechenland und Rom. Heldentum, Identität, Herrschaft, Ideologie, Münchner Vorlesungen zu antiken Welten 4 (Berlin – New York 2019) S. 293–310 sowie S. 287–326 (Die Kaiserzeit: Ereignis und Ideologie, Dynamik und Statik des Krieges). S. 327–334 (Der Kaiser als Kriegsherr und Herrscher: Rolle und Realität). S. 334–337 (Max Webers Typologie der Herrschaft und die ›ideologische Herrschaft‹ der römischen Kaiser). Fachdidaktische Einbindung: Laser, Günter, Die Trajanssäule als Propagandainstrument, in: Der Altsprachliche Unterricht Latein – Griechisch, Heft 2+3 (2014) S. 75–82. Gemma Augustea: Zwierlein-Diehl, Erika, Magie der Steine – Die antiken Prunkkameen im kunsthistorischen Museum (Wien 2008) S. 98–123. 263–282 Nr. 6.
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Caesar Die römische Kunst ist berühmt für ihre Bildnisse, deren angeblicher Verismus schon früh dazu geführt hat, in ihnen lebensechte Abbilder realer Menschen erkennen zu wollen. Bezeichnend ist beispielsweise Franz Wickhoffs Kommentar von 1895, der den Por träts bescheinigt, sie »scheinen zu leben, und wir würden ihre Vorbilder, wenn sie uns auf der Straße begegneten, sogleich wiedererkennen«. Diese angebliche Wiedererkennbarkeit war es dann auch, die das Interesse seitens der Schulphilologie an den Köpfen berühmter Römer lange bestimmte. Es gibt wohl kaum ein Lateinbuch, das ohne Bildnisse von bekannten Literaten und Staatsmännern auskäme. Dem Verismus römischer Bildnisse hielt man den Idealismus griechischer Porträts entgegen und konstruierte daraus einen fulminanten Wesensunterschied. Man glaubte lange auch zu wissen, warum die Römer im Gegensatz zu den Griechen genau nach der Natur gearbeitet und dabei auch das Unschöne wie Falten, Warzen, unebenmäßige Gesichtszüge, Haarausfall etc. schonungslos dargestellt hätten. Ausgehend von einer berühmten Textstelle bei Polybios (um 200–um 120 v. Chr.) wurde dies für das Ergebnis eines höchst bemerkenswerten Sozialaktes gehalten. In seinen Historiai berichtet er von einer besonderen Begräbnissitte vornehmer Römer (6, 53–54), bei der lebende Familienmitglieder beim Leichenzug für einen Verstorbenen Masken (griech. prosopa) mit den Gesichtszügen der Ahnen sowie zugleich die Amtsinsignien und Tracht der von diesen jeweils erreichten höchsten Staatsämter trügen. Das Ganze diene dazu, die Erinnerung an die spezifischen politischen Leistungen der Familie wachzuhalten und die Jüngeren anzuspornen, es den Verstorbenen gleichzutun. Für die Familie hielt ein junger Mann die Leichenrede, der sich damit für künftige Wahlen empfahl, indem er nochmals auf die glanzvollen Taten seiner Ahnen verwies. Für das römische Wahlvolk war dieser Verweis insofern wichtig, als es davon ausging, dass politisch-militärischer Erfolg und das dadurch zum Ausdruck gekommene Wohlwollen der Götter in gewisser Weise vererbbar seien. Ein homo novus ohne vornehme Ahnen wie Marius oder Cicero hatte es deshalb ungleich schwerer, die Konkurrenten aus altadeligen Familien zu schlagen und in höchste Staatsämter gewählt zu werden.
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Die bei der pompa funebris zum Einsatz gekommenen Masken wurden als Totenmasken interpretiert. Sie seien von den Gesichtern der Verstorbenen noch auf deren Totenbett abgenommen worden und hätten ihrerseits als Grundformen für Masken, Büsten etc. gedient. Dadurch erkläre sich auch deren krasser Altersverismus. Dieser sei somit lediglich das Ergebnis eines mechanischen Abformungsprozesses. Manche römisch-republikanischen Porträts wirken in der Tat wegen ihres krassen Verismus vordergründig so, als zeigten sie Tote (Abb. 9). Bei näherer Betrachtung der Bildnisse fällt jedoch auf, dass beileibe nicht alle alte oder sterbenskranke Menschen darstellen. Ferner besitzen auch die Bildnisse sehr Abb. 9 alter und scheinbar hinfälliger Männer stets vitale Züge (u. a. offene Augen, energische Kopfwendungen). Es sind immer Gesichter von Lebenden, nicht von Toten. Die realistisch wirkenden Physiognomien müssen also andere Ursachen haben. Zu bedenken ist dabei ferner, dass schon Polybios’ Masken eine positiv-stimulierende Wirkung auf die jüngeren Betrachter haben sollten. Und dies gilt erst recht für die marmornen und bronzenen Porträtköpfe/-statuen, die sowohl im atrium der domus bei der morgendlichen salutatio als auch in Form öffentlicher Ehrenbildnisse auf dem Forum oder in Heiligtümern die memoria sicherstellen sollten. Gerade die politisch Aktiven hatten höchstes Interesse daran, die Erinnerung wachzuhalten. Cicero nennt dies habitare in oculis, premere forum (Pro Plancio 66). Es dürfte sich also lohnen, hinter die Masken der römisch-republikanischen Politprominenz zu blicken, und in den Gesichtern mehr zu sehen als bloße Abbilder einer realen und damit zufälligen Physiognomie. Die moderne Forschung hat zurecht darauf hingewiesen, dass vor allem die Mimik, aber auch veränderliche Kennzeichen wie die Frisur, wichtige Bedeutungsträger waren, die wie Vokabeln im Text übersetzt werden können. Es handelt sich folglich um eine Sichtbarmachung politischer Machtansprüche, deren semantisches Zeichensystem zu entschlüsseln ist. Eine solche Lehreinheit lässt sich hervorragend in die Lektüre von Caesars vielgelesenen Texten einbinden, da auch hier Passagen explizit der Selbstdarstellung des Autors dienen.
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Bildniskunst der Römer I – Die nobiles der Republik
Als Anknüpfungspunkte zum Caesar-Porträt kommen eigentlich alle Passagen in Frage, in denen Caesar sich als Feldherr darstellt, der nach reiflicher Überlegung und Abwägung der mit der Situation verbundenen Probleme – notfalls aber auch spontan – Situationen korrekt einschätzt und adäquat sowie schnell reagiert. Im Folgenden werden exemplarisch einige markante Passagen aus dem ersten und siebten Buch des Bellum Gallicum herausgegriffen, da Buch I und VII in den meisten Lehrplänen als Lektürevorschläge erscheinen: Caesars Einschreiten gegen die Helvetier (1, 2 ff., besonders 1, 11, 6): Von 1, 2 (bzw. 1, 5) an bereitet Caesar diese Entscheidung vor. Er analysiert die Lage, plant dementsprechend voraus, um dann im entscheidenden Moment vorbereitet zu sein und tatkräftig und schnell zuschlagen zu können. Wir sehen also einen fähigen Anführer, der durchdenkt, aber dann auch zupackt. Die Meuterei von Vesontio: Als Caesar gewahr wird, dass die Soldaten ihm angesichts der wilden Krieger Ariovists den Gehorsam verweigern wollen (1, 39 ff.), ergreift er sofort die Initiative und ruft die Soldaten zusammen (1, 40). Dabei weiß er die richtigen Worte einzusetzen, nämlich nicht Bitten und Schmeichelei, womit er Schwäche zugeben würde, sondern Vorwürfe, in denen verpackt er ihnen aufzeigt, dass für sie eigentlich kein Grund zur Furcht bestehe. Sein beherztes Auftreten reißt dann auch in der Tat das Ruder wieder herum (1, 41, 1), d. h. wir sehen hier einen Feldherrn, der in einer höchst gefährlichen Situation, ohne zu zaudern, entschlossen das Problem anpackt und offensiv löst. Die Niederlage von Gergovia: Caesars Beschreibung seiner Reaktion auf die Niederlage von Gergovia zeigt einen Feldherrn, der auch nach einer Niederlage sofort wieder selbst das Heft in die Hand nimmt und sich vom Gegner nichts diktieren lässt: Er beruft eine Heeresversammlung ein, tadelt die Soldaten, allerdings so, dass man es fast schon als Lob verstehen kann (7, 52), bietet Vercingetorix wieder den Kampf an, siegt in einem Reitergefecht und zeigt sich gänzlich unbeeindruckt von der Niederlage, indem er nämlich jetzt genau das macht, was er vorher schon vorhatte: Er zieht sich zurück zum Elaver (7, 53). Caesars persönlicher Einsatz in Alesia: Auf dem Höhepunkt der Schlacht um Alesia zeigt Caesar uns einen Feldherrn, der sich zum einen höchstpersönlich – und am roten Mantel für alle sichtbar – in der Schlacht als Teilnehmer einbringt, also im entscheidenden Moment keine Gefahr für Leib und Leben scheut, und der zum anderen den Einsatz der Truppen vorausplanend so organisiert hat, dass die Reiterei im rechten Moment eintrifft und so am Ende der totale römische Sieg steht (7, 87, 3–88, 3). Im Kontext dieser oder ähnlicher Passagen aus dem Bellum Gallicum, aber auch aus dem Bellum Civile, kann das Caesar-Porträt eingebracht werden. Zunächst sollte allerdings als Folie für die folgende Betrachtung des Porträts deutlich formuliert werden, wie Caesar sich in der entsprechenden Passage darstellt. Herauszuarbeiten sind dabei seine spezifischen Handlungsqualitäten. In einem zweiten Schritt wäre dann zu überlegen, welchen
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Bildniskunst der Römer I – Die nobiles der Republik
Habitus Caesar bei seinem Vorgehen eingenommen hat, d. h. welche Mimik er möglicherweise aufsetzte und wie seine Körpersprache (Gestik) gewesen ist. Was empfinden heutige Schülerinnen und Schüler als passend für die von Caesar geschilderten bedrohlichen Situationen? Welches Auftreten erwarten sie von einem Oberbefehlshaber? Es muss also auch darum gehen, die Erwartungshaltungen des Publikums, der möglichen Betrachter von Caesars Bildnissen, zu rekonstruieren. Als geeignetes didaktisches Mittel empfiehlt sich hier das sog. Standbild, weil es die Interpretation der Textpassage ins Visuelle transferiert: Wenn nämlich die Schülerinnen und Schüler hier jeweils nach einer bearbeiteten und vor allem interpretierten Passage versuchen, Caesars Haltung, Mimik, Gesichtsausdruck in einem Standbild zu fixieren, dann werden sie in Bezug auf das Caesar-Porträt mit konkreten Vorerwartungen die Bildnisanalyse angehen. Hilfreich wäre es dabei, sofern datenschutzrechtlich möglich, das »eingefrorene« Ergebnis via Video oder Foto festzuhalten, um es dann später bei der Betrachtung des Caesar-Porträts als Folie heranziehen zu können. Eingebettet in diesen Rahmen kann dann die nähere Betrachtung von Caesar-Bildnissen erfolgen. Hierbei spielt sein möglicherweise reales Aussehen keine Rolle. Es geht vielmehr darum, das Porträt als bewusst konstruiertes »Bild« zu begreifen, das Caesar von sich entwerfen ließ, um damit beim zeitgenössischen Publikum eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Welches Image die Gesichtszüge Caesars vermitteln, lautet die Kernfrage. Dass das englische Wort Image auf das lateinische imago zurückgeht, mit dem die Römer ein Bildnis treffend bezeichneten, ist mehr als nur ein Zufall. Es gibt nur einen zweifelsfrei zeitgenössischen Porträttypus Caesars (Abb. 10), der mithilfe von Münzdarstellungen (Abb. 11) sicher identifiziert werden kann. Zunächst sollten die Schülerinnen und Schüler die
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visuellen Charakteristika der Köpfe (rundplastisches Porträt und Münzdarstellung) herausarbeiten. Caesar wird als älterer, hagerer Mann mit deutlichen Falten vor allem im Halsbereich und äußerst schütterem Haar dargestellt. Die Augenbrauen wirken kaum bewegt, sind jedenfalls nicht hochgezogen. Dennoch ist die Stirnpartie in Falten gelegt. Der mimische Ausdruck des schmalen, geschlossenen Mundes kann als konzentriert bezeichnet werden. Ein Lächeln ist nicht angedeutet. Insgesamt wirkt der Gesichtsausdruck eigenartig streng, was durch die tiefen Nasolabialfalten und eingefallenen Wangen zusätzlich verstärkt wird. Die Frage, wie dies alles nun zu deuten ist, zielt auf die Methodik einer solchen Bildanalyse. Es genügt nicht, seine eigenen modernen Sehgewohnheiten zur Grundlage einer Beurteilung zu machen. Doch wie soll man sich antiken Vorstellungen annähern? Um die Brisanz der Problematik zu verdeutlichen, müsste zunächst von Seiten der Lehrkraft ein Negativbeispiel »falschen Sehens« vorgestellt werden. Vor gut 35 Jahren hat Luca Giuliani anhand des überlieferten Pompeius-Porträts in aller Deutlichkeit aufzeigen können, wie sehr auch angesehene Fachvertreter auf dem Holzweg waren, wenn sie meinten, die Gesichter nach stereotypen physiognomischen Mustern, wie sie bereits das 18. Jahrhundert entwickelt hatte, beurteilen zu können. Bei dieser Vorgehensweise werden beispielsweise die diversen Formen von Nasen, Ohren, Lippen mit bestimmten Charaktereigenschaften verbunden. Die Unwissenschaftlichkeit einer derartigen Pseudomethode muss nicht eigens erwiesen werden. Die Physiognomie eines Menschen ist zuallererst genetisch bestimmt und hat keinerlei Einfluss auf menschliche Verhaltensweisen oder kann als Spiegel des individuellen Charakters gelesen werden. Der seinerzeit hochberühmte Ludwig Curtius (1874–1954) ließ sich hiervon jedoch nicht abschrecken und publizierte seinen berühmten Verriss von Pompeius’ Äußerem, wie es durch rundplastische Bildnisköpfe (Abb. 12) und Münzdarstellungen (Abb. 13) überliefert ist. Er sah, aufbauend auf die wenig schmeichelhafte Charakterisierung des gescheiterten Politikers durch den altertumswissenschaftlichen Papst und Literaturnobelpreisträger Theodor Mommsen (1817–1903), in dem Gesicht: »Viel unmittelbarer als die literarische Überlieferung vergegenwärtigt es [das Porträt] uns den Gegenspieler Cäsars. Er war nicht magnus, wie seine Freunde ihn priesen. Er war, um ein Wort Bismarcks zu verwenden, mit einer zu großen Hypothek der Eitelkeit belastet. An diesem Antlitz ist alles klein. Die Augen sind zu klein und vermögen nicht die breite Fülle des Gesichts zu beherrschen. Die unedle Nase, die sich mit schmalem Rücken rasch zum Knüppel verdichtet, ist zu kurz und kann nicht führen, und deshalb bleibt die Wangenpartie so inhaltslos. Diese Defekte können auch durch das energische Kinn, mit dem der willensmäßig geschlossene, unsinnliche Mund zusammenhängt, nicht wettgemacht werden. Denn der Stirne fehlt der eigentliche Vorbau über der Nasenwurzel, der Sitz schöpferischer Energie, sie ist breit und hoch, aber leer, weshalb die Nase so schlecht ansetzt. Daher ist in diesem
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nur scheinbar feierlichen Gesicht so große selbstverräterische Anstrengung, die krampfhaft zusammengeschlossene Unterpartie mit den tiefen Falten die Nasenflügel herab, die hochgezogenen Augenbrauen, die das enge Gesichtsfeld des Auges nicht vergrößern, die parallelen Furchen der Stirne, die auseinandergehen, statt sich wie bei nachdenklichen Menschen über der Nasenwurzel zu stauen. Eben dieses Aufwärtsstreben von Brauen und Stirne, das sich in dem aufwärtssteigenden Haar in dem Bogen fortsetzt, ist der hinuntergezogenen Mundpartie mit ihren Pausbacken entgegengesetzt, und deshalb ist die Nase, die das Gesicht nicht einigen kann, so töricht. Das ist der Staatsmann, der in dem Widerstreit seiner Überlegungen keinen Entschluss fassen kann und seine Schwäche hinter dieser hochfahrenden Fassade verbirgt. Denn Fassade ist dieses profillose Gesicht, wo alle Züge in einer Ebene liegen, nichts aus dem Inneren kommt und nichts ins Innere führt und der mit der Stirne hochfahrend aufsteigende Schädel sofort dachartig wieder abfällt.« Eine solch negative Schilderung verkennt die Aufgaben der offiziellen Bildnisse des Pompeius vollständig. Sie wurden von seinen und für seine Anhänger aufgestellt, sollten ihn ehren und nicht in seiner vermeintlichen persönlichen wie politischen Schwäche bloßstellen. Dies gilt erst recht für die weit verbreiteten Münzbildnisse, die sein Sohn in ehrendem Andenken posthum prägen ließ, als dieser selbst in die Bürgerkriege nach dem Tod Caesars verstrickt war und mit der Erinnerung an den Vater politisch positiv punkten wollte.
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Wie ist aber nun der Gefahr solcher Fehldeutungen zu entgehen? Luca Giuliani hat den Weg insofern gewiesen, als er bestimmte lateinische Texte zur Deutung heranzog, wobei er vor allem im Kontext von Rhetorikliteratur fündig wurde. Dieses Schrifttum enthält zum Teil Handlungsanweisungen, wie Mimik und auch Gestik einzusetzen sind, um bestimmte Reaktionen beim Publikum hervorzurufen. Ebenso aufschlussreich sind Passagen aus Ciceros Gerichtsreden, in denen das Erscheinungsbild führender Männer zum Thema gemacht wird. Aus alldem lässt sich mit lateinischen Begriffen versehen ein Kanon an mimetischen Mustern und deren interpretatorischem Sinngehalt herausarbeiten. Auf das Porträt des Pompeius übertragen konnte Giuliani deutlich dessen positives Erscheinungsbild wieder sichtbar machen. Besonders aussagekräftig ist Ciceros Rede pro lege Manilia, die er 66 v. Chr. in der Volksversammlung als praetor hielt. Passagen dieser Rede können ebenfalls im Unterricht gelesen werden. Pompeius hatte vor allem die Erwartungen zweier Publikumsgruppen zu bedienen, der Soldaten und seiner zivilen Anhängerschaft. Es kam somit darauf an, zum einen seine Leistungen als erfolgreicher Feldherr und zum anderen seine Qualitäten als ausgleichender Innenpolitiker in einem Gesichtsausdruck zu vereinen. Die Soldaten erwarteten von ihm in erster Linie virtus und heldenhafte Sieghaftigkeit (Cicero, pro lege Manilia 36), die Bürger dagegen leutselige Zugewandtheit und altväterliche Sorge um die Belange des Gemeinwohls. Cicero bringt dies auf den Punkt, wenn er sagt, dass für einen Feldherrn keinesfalls die militärische Befähigung allein ausreiche, sondern viele hervorragende Eigenschaften sie begleiten und unterstützen müssten. So rühmt er Pompeius in gleichem Atemzug für seine Uneigennützigkeit, Selbstbeherrschung, Zuverlässigkeit/Treue, Klugheit und Menschenfreundlichkeit. Im Kontext der spätrepublikanischen Auseinandersetzungen um die alleinige Macht im Staat hätten zu pathetische Heldenimages verstörend gewirkt. Geschickt wurden jedoch beide Aspekte miteinander kombiniert. Die aufgeworfenen Stirnhaare sind als bewusstes Alexanderzitat (Abb. 14) zu verstehen. Die Alexander-Imitatio des Pompeius stellte einen wesentlichen Bestandteil seiner politischen Selbstdarstellung dar. Schließlich durfte sich Pompeius wie sein großes Vorbild Alexander Magnus nenAbb. 14 nen. Der leicht lächelnde Mund verweist
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dagegen auf Pompeius’ sprichwörtliche Leutseligkeit (facilitas). Er ist den Belangen der Menschen zugewandt. Die deutlichen Stirnfalten zeigen, wie wohlüberlegt klug (quanto ingenio) er sich um das Wohl der Bürger und des Staates sorgt. Sein im Ganzen sonst aber sehr ruhig und keinesfalls aufbrausend-erregt wirkender Gesichtsausdruck steht für selbstbeherrschtes (temperantia), zuverlässiges (quanta fide) und dadurch menschenfreundliches (quanta humanitate) Handeln. Nach dieser Sehübung mag es jetzt leichter fallen, Caesars Gesicht mit antiken Augen zu sehen und zu verstehen. Auch dieser musste recht unterschiedliche Erwartungshaltungen bedienen. Einerseits machte er Politik für und mit seinen Soldaten. Ohne die von ihm befehligten Legionen und Veteranen, die treu an seiner Seite standen, hätte er niemals eine so beherrschende Stellung in Rom einnehmen können. Andererseits durfte er im Kreis der übrigen Senatoren und vor einem städtischen Wahlpublikum, das in ständiger Angst vor dem Ausbruch neuer blutiger Bürgerkriege lebte, nicht zu sehr als rücksichtsloser Militär erscheinen. Wer als Römer der späten Republik mit diesen Voraussetzungen Caesars offizielle Bildnisse betrachtet hat, dem dürfte das Mienenspiel des Diktators keine Rätsel aufgegeben haben. Zunächst fällt im Vergleich zum Porträt des Pompeius, der sich trotz einiger erkennbarer Falten mit seinem sehr vollen Haar und fülligen Wangen betont jünger gibt, die schonungslose Darstellung von Caesars Alter auf. Er hat einen sehr langen, ausgemergelten Hals, eine deutliche Stirnglatze und sein zerfurchtes Gesicht ist erkennbar schlanker als das seines Konkurrenten. Die Entbehrungen seiner aufreibenden militärischen und politischen Tätigkeit sind ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Aber selbst dies war für die antiken Betrachter kein negatives Zeichen. Es sollte nicht Caesars Hinfälligkeit visualisiert werden, sondern seine bis ans Äußerste gehende Aufopferungsbereitschaft und durch das Alter seine besondere Erfahrenheit (peritia, intelligentia) und Weisheit (sapientia). Alter per se war ein wichtiges Kennzeichen politischer Klugheit im antiken Rom und entsprechend hoch angesehen. Caesar bediente damit bewusst auch den Senat, dem die Beachtung strenger Altersvorschriften bei der Wahl in die höchsten Staatsämter ursprünglich einmal sehr wichtig gewesen ist, und zeigte sich auf diese Weise bestimmten senatorischen Traditionen verpflichtet. Im Gegensatz zu Pompeius hatte er es nicht nötig, dauernd seine Ähnlichkeit mit dem jungen Heldenkrieger Alexander zur Schau zu stellen. Ins Auge sticht ferner, dass offenkundig größter Wert auf ein überaus ruhig wirkendes Gesamterscheinungsbild gelegt wurde. Schon allein dies stellte in den unruhigen Zeiten der späten Republik einen Wert an sich dar. In den ersten Expansionsphasen auf dem Weg zur Weltherrschaft waren virtus und pathos dagegen noch gefragte Qualitäten der nobiles gewesen. Jetzt aber konnten derartig leidenschaftlich wirkende Gesichter der politischen Führer geradezu bedrohlich wirken, da sie zu einseitig das Militärische betonten und damit eine gewisse Bereitschaft zur Rücksichtslosigkeit ausstrahlten. Dagegen
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inszenierte man sich mittels gedämpfter Mienen zusehends ruhiger. Die Aussage ist klar: Caesar hat seine Affekte unter Kontrolle. Er ist mehr als lediglich ein ebenso tapferer wie eigennütziger Militär. Von ihm kann erwartet werden, dass er sich eben nicht nur um die Belange der Soldateska oder seine eigenen kümmert, sondern das Gemeinwohl im festen Blick hat. In römischer Begrifflichkeit lauten die entscheidenden Schlagworte constantia, gravitas und severitas. Von der constantia behauptet Cicero, es gäbe nichts, was sich so schicke, wie bei jeder Handlung und jedem Entschluss die Beständigkeit zu bewahren (de officiis 125). Constantia war geradezu eine unverzichtbare Qualität politischen Handelns während der blutigen Bürgerkriege. Verbunden wird constantia in der zeitgenössischen römischen Literatur häufig mit dem Begriffspaar gravitas et severitas, wie bereits Luca Giuliani deutlich herausgearbeitet hat. So greift Cicero Piso in einer Rede direkt an und spricht ihm die Befähigung zur großen Würde des Konsulats ab, indem er darauf verweist, dieser sei der gewichtigen und ernsten Rolle niemals gewachsen (In Lucium Calpurnium Pisonem oratio 24). Visualisiert werden diese spezifischen Qualitäten ähnlich wie im Fall des PompeiusBildnisses beim Caesar-Porträt durch die spezifische, eine expressive Mimik vermeidende Gestaltung der Augen- und Mundpartien. Caesars Stirn erscheint kaum bewegt. Die fast gleichförmigen, flachen Augenbrauen sowie die Senkung der Lider lassen den Blick eher gedämpft und keinesfalls wild-erregt erscheinen. Die Leidenschaften sind offenkundig gezügelt. Zugleich verleiht der geschlossene Mund mit den schmalen Lippen der unteren Gesichtspartie eine eigenartige Strenge und Ruhe. Giuliani hat in diesem Zusammenhang wiederum auf eine Passage bei Cicero hingewiesen. In dessen Rede pro Sestio diffamiert er einen politischen Gegner, den Konsular Lucius Calpurnius Piso Caesoninus, mit der höhnisch gemeinten Alliteration taeter, truculentus, terribilis als finster, wild und schrecklich anzusehen (Cicero, pro Sestio 19). Im selben Abschnitt erwähnt Cicero bezeichnenderweise als besonders aussagekräftig die Gestaltung der Augenbrauen, die wie Unterpfänder der Staatsordnung wirkten, und die Strenge in seinem Blick und das gewaltige Stirnrunzeln, von dem er sagt, man glaubte, sie seien eine Bürgschaft, auf die er das ganze Jahr sich stützen könne. Gerade heftige Bewegungen im Bereich der Augen galten vielen Römern als Zeichen eines gefährlichen Übermaßes an pathetischer Dynamik, d. h. unkontrollierter Leidenschaftlichkeit. Noch Quintilian sieht darin eine Verletzung des Anstands (Institutionis oratoriae 1, 11, 10–11). Es ist also durchaus berechtigt, die Mimik der römischen nobiles als bewusst eingesetzte Ausdrucksformen ihrer jeweiligen politischen Gesinnung zu lesen. Cicero drückt dies an anderer Stelle expressis verbis aus. Es stünde jedem auf der Stirn geschrieben, wie er es mit der res publica halte (orationes in Catilinam 1, 32). Ebenso betont er in seiner Schrift de officiis, der Magistrat müsse als seine eigentliche Aufgabe beachten, dass er die Rolle des Staates spiele und dessen Würde und Ansehen vertrete (de officiis 124). Dabei soll-
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ten Körperhaltung, aber insbesondere auch Gesichtsausdruck, Augen und Bewegung der Hände das Schickliche bewahren (de officiis 128). Den Zeitgenossen war somit klar, worauf es ankam. Die Bildnisstatuen der Politiker sind gleichsam Verkörperungen ihres jeweiligen Herrschaftsverständnisses gewesen. In diesem Sinn reklamiert die ernst-gewichtige Miene des Caesar als Ausdruck von Ruhe und Festigkeit dessen Befähigung zu nüchterner emotionsloser Sachpolitik, die letztlich auch die berühmte clementia Caesaris gegenüber den politischen Feinden erst möglich macht. Schon bei Terentius wird ein alter Mann dadurch positiv charakterisiert, dass die aus seiner Miene sprechende betrüblich-verdrießliche (tristis) Strenge (severitas) Anlass dazu gebe, seinen Worten zu vertrauen (Andria 855–857). Einem solchen Gesichtsausdruck (tristis severitas) macht Caesar alle Ehre. Sie verdeutlicht seine Zugehörigkeit zur magna species. Er ist eine persona tam gravis, tam severa, ein vir fortis et gravis et sapiens. Nachdem die Schülerinnen und Schüler dahingehend sensibilisiert worden sind, die Gesichter römischer Politiker der späten Republik als dezidierte künstlerische Kons truktionen kritisch zu begreifen, und erste Versuche unternommen haben, Mimik und Frisurendetails als bewusst eingesetzte Bildformeln zu verstehen, die wie Vokabeln ihre jeweilige spezifische Aussagebedeutung haben, könnten im Anschluss zur Vertiefung des Gelernten noch Bildnisse aktueller Politikerinnen und Politiker sowie Stars betrachtet werden. Diese Sehübungen sind durchaus mit der Hoffnung verbunden, auch die eigene Bildproduktion (Stichwort Selfies) künftig etwas kritischer zu »sehen«. Die Arbeitsaufträge können mit jeder der oben vorgestellten Textpassagen kombiniert werden, aber natürlich auch mit manch anderen Stellen aus Bellum Gallicum oder Bellum civile. Für die Bearbeitung der folgenden Arbeitsaufträge muss den Schülerinnen und Schülern Abb. 10 und eventuell 11 zur Verfügung gestellt werden.
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Arbeitsaufträge – Caesar-Porträt 1. Arbeiten Sie heraus, wie Caesar sich in den gelesenen Textpassagen als fähiger Feldherr präsentiert und sich damit auch als künftig ebenso fähigen Politiker empfiehlt. 2. Setzen Sie Caesars Haltung und Mimik, wie er sie Ihrer Meinung nach in dieser Situation gezeigt hat, in ein Standbild um. 3. Beschreiben Sie dann detailliert das erhaltene Caesar-Bildnis. Berücksichtigen Sie dabei folgende Aspekte: Alter, Gesichtsausdruck, Mimik. 4. Versuchen Sie Caesars Erscheinungsbild, vor allem seine Mimik, vor dem Hintergrund der von der Lehrkraft vorgetragenen Erläuterungen zum Pompeius-Porträt zu deuten. 5. Recherchieren Sie (Instagram u. a.) nach Bildnissen moderner Politikerinnen und Politiker sowie Stars. Suchen Sie auch nach Wahlplakaten aus dem letzten Bundestagswahlkampf (z. B. von Merkel und Lindner). Analysieren Sie die Mimik bei den Darstellungen der von Ihnen ausgewählten Persönlichkeiten und vergleichen Sie die Aussageabsicht mit der des Caesar- bzw. Pompeius-Porträts. Danach kann im Unterrichtsgespräch noch genauer auf allgemein menschliche mimetische Muster eingegangen werden, insbesondere auf die tristis severitas von Angela Merkel, die sie letztlich in die Tradition spätrepublikanischer Politikerporträts stellt.
Literaturhinweise: Allgemein zum römischen Porträt der Republik: Lahusen, Götz, Untersuchungen zur Ehrenstatue in Rom. Literarische und epigraphische Zeugnisse (Rom 1983); Ders., Schriftquellen zum römischen Bildnis 1. Textstellen von den Anfängen bis zum 3. Jh. n. Chr. (Bremen 1984); Ders., Die Bildnismünzen der römischen Republik (München 1989); Sehlmayer, Markus, Stadtrömische Ehrenstatuen der republikanischen Zeit, Historia Einzelschriften 130 (Stuttgart 1999); Lahusen, Götz, Römische Bildnisse – Auftraggeber, Funktionen, Standorte (Darmstadt 2010); Gliwitzky, Christian, Von echtem Schrot und Korn. Das römische Porträt spätrepublikanischer Zeit, in: Knauß, Florian S. – Gliwitzky, Christian (Hrsg.), Charakterköpfe. Griechen und Römer im Porträt, Katalog Ausstellung München Glyptothek (München 2017) S. 90–141; http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/uni/e/01; http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/uni/d/06 (jeweils mit weiteren Sublinks). Grundlegend zur Semantik: Giuliani, Luca, Bildnis und Botschaft – Hermeneutische Untersuchungen zur Bildniskunst der römischen Republik (Frankfurt am Main 1986) bes. S. 25–55 (Die physiognomische Interpretation: Ein hermeneutischer Testfall), S. 56–100 (Pompeius, der leutselige Kriegsheld), S. 200–220 (Staatskrise und Pathosdämpfung: Die Beruhigung der Bildnismimik in der späten Republik; Pompeius und Caesar: Die Zähmung der Leidenschaft; Die Ambivalenz der virtus: Das Militär als innenpolitischer Risikofaktor; Populare Gewaltmenschen und friedliche Optimaten), S. 221–238 (Die strenge Miene der Macht: Das spätrepublikanische Nobilitätsporträt).
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Zitat von Ludwig Curtius: Giuliani a. a. O. S. 25–26; Originalzitat: Curtius, Ludwig, Physiognomik des römischen Porträts, Die Antike 7, 1931, S. 236–237. Ferner: Schollmeyer, Patrick, »Dahinter steckt immer ein kluger Kopf« – Gesichter im altsprachlichen Unterricht, Der Altsprachliche Unterricht. Latein – Griechisch, Heft 5 (2018) S. 48–51. Digitale schulische Lehreinheiten zum antiken Porträt (VIAMUS Uni Göttingen): http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/schule/ue/01 (Männer und Frauen) http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/schule/ue/01/01 (Individuelle Bildnisse) http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/schule/ue/01/02 (Alt und Jung) http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/schule/ue/01/03 (Rollenbilder) http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/schule/ue/01/04 (Jungen und Mädchen) http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/schule/ue/04 (Akteure der späten Republik mit weiteren Sublinks)
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Sueton, Augustus und Nero Das vorangegangene Kapitel hat bereits einen Eindruck von den interpretatorischen Möglichkeiten der Betrachtung römischer Porträts gegeben. Auch für die Kaiserzeit gilt, dass römische Bildnisse trotz der auf den ersten Blick so realitätsnah wirkenden Züge mehr sind als bloße Wiedergaben der äußeren Physiognomie. Man sollte sie sogar in gewisser Weise maskenhaft nennen, da die Gestaltung von Frisur und Mimik in der Regel stereotypen Mustern folgt, hinter denen sich bestimmte inhaltliche Botschaften verbergen, die einem sozial festgelegten Code folgen und hermeneutisch entschlüsselt werden können. Für diese Ambivalenz waren schon die höfischen Gesellschaften des Absolutismus besonders empfänglich, da deren Mitglieder damals in der Tat eine Art von Sozialtheater mit festgelegten Rollen spielten, bei dem Kleidung, Frisur, geschminktes Gesicht, Mimik und Gestik strengsten Konventionen folgten. Pierre Carlet de Marivaux (1688–1763) kleidete dies in die bekannten Worte: »Es gibt eben Masken, bei denen es schwierig ist, sie nicht für ein Gesicht zu halten.« Es war übrigens der aus dem letzten Kapitel bekannte Luca Giuliani, der an dieses Bonmot im Rahmen seiner Arbeit über die republikanischen Bildnisse erinnerte. Marivauxs Aussage lässt sich eins zu eins ebenso auf die Porträts der römischen Kaiser und Kaiserinnen übertragen. Vorwegzuschicken ist ferner, dass die Körper der Bildnisstatuen vollends stereotyp zu nennen sind. Sie zeigen niemals die wahre Gestalt der oder des Dargestellten, sondern bleiben stets typenhaft. Fast ausnahmslos folgen sie älteren, d. h. griechischen Formtypen, reproduzieren dabei häufig opera nobilia meist der klassischen Epoche und von der Hand berühmter Bildhauer wie Phidias, Polyklet, Praxiteles u. a., die ursprünglich gar nicht als Porträtstatuen fungierten, sondern entweder Götter und Heroen oder allgemeine Menschentypen wie Athleten, Krieger etc. darstellten (sog. Idealplastik). Auf der Basis des eingangs Genannten ist folglich bei der Betrachtung der kaiserlichen Porträts davon auszugehen, dass weniger der Aspekt der veritas als vielmehr der der Propaganda im Vordergrund bei den imperiumsweiten Bemühungen stand, den Kaiser und seine Angehörigen allen Reichsbewohnern sichtbar vor Augen zu stellen. Man muss sich dabei klar machen, dass nur Wenige die hohen Herrschaften aus eigener Anschauung kannten. Selbst die Einwohnerschaft Roms hatte kaum Gelegenheit, die Mitglieder der kaiserlichen
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Familie aus nächster Nähe zu betrachten. Wirklich nah kamen nur ausgewählte Personen insbesondere der beiden höheren Stände (Senatoren und Ritter) und manchmal Schaulustige, die bei den öffentlichen Auftritten in den vordersten Reihen standen oder zur Teilnahme an den Audienzen (salutationes) zugelassen wurden. Auch die Beteiligung des Kaisers und seiner Angehörigen als zuschauende Spielegeber bei den großen Darbietungen in den Theatern, Zirkusanlagen und Amphitheatern bot hierfür keinen wirklichen Ersatz, da die Distanz zur kaiserlichen Loge meist viel zu groß war, um dem übrigen Publikum einen genauen Blick zu ermöglichen. Diese massiven Einschränkungen gelten erst recht für den Großteil der Reichsbevölkerung, die ohnehin kaum und vielfach auch niemals eine Gelegenheit hatte, den lebenden Herrscher mit eigenen Augen zu sehen. Vor diesem Hintergrund gewinnen die kaiserlichen Bildnisse eine besondere inhaltlich-propagandistische Bedeutung. Sie sind oftmals die einzige Möglichkeit gewesen, sich im wahrsten Sinn des Wortes ein Bild von den Herrschenden zu machen. Die imago des Kaisers war somit gleichbedeutend mit seinem Image. Es verwundert daher nicht, wenn das Imperium geradezu geflutet wurde mit entsprechenden Darstellungen. Zu Abertausenden waren sie im öffentlichen wie im privaten Bereich zu sehen, und noch heute sind sie deshalb in großer Stückzahl erhalten. Ein Brief von Marc Aurels Lehrer Fronto (um 100–170 n. Chr.) an seinen Schüler gibt hierüber beredt Auskunft (Fronto, Epistulae 4, 12, 6): Scis ut in omnibus argentariis mensulis perguleis taberneis protecteis vestibulis fenestris usquequaque ubique imagines vestrae sint volgo propositae, male illae quidem pictae pleraeque et crassa, lutea immo, Minerva fictae scalptaeve; cum interim numquam tua imago tam dissimilis ad oculos meos in itinere accidit, ut non ex ore meo ecusserit rictum osculei et somnum. Durch die Textstelle wird zudem klar, dass diese Bilderflut aus unterschiedlichsten Formen und Materialien bestand. Besonders häufig waren rundplastische Porträts aus Marmor und Bronze, wie sie vor allem in und auf den öffentlichen Gebäuden und Plätzen aufgestellt worden sind. Weniger Begüterte dürften sich mit Bildnissen aus billigeren Materialien begnügt haben. Exklusiv blieben die Arbeiten aus Gold und Silber, die wohl schon in der Antike recht selten gewesen sein müssen. Es gab aber auch gemalte Darstellungen, von denen uns jedoch kaum ein Exemplar erhalten blieb. Selbst gewebte Bilder sind zumindest literarisch belegt, so im Fall eines Sonnensegels in einem römischen Amphitheater, das den vielleicht auch nur aufgemalten Nero inmitten goldener Sterne als Wagenlenker zeigte (Cassius Dio 63, 6, 2). Schon allein diese Bildnisformen waren im ganzen Reich zum Teil massenhaft verbreitet. Hinzu kamen die unzähligen Münzen, die fast allesamt auf der Vorderseite das Konterfei des jeweiligen Herrschers zeigten. Vorauszuschicken ist ferner, dass die kaiserlichen Bildnisse keinesfalls reine Dekoration gewesen sind. Vielmehr handelte es sich bei ihnen um eine besondere Form der öffentlichen wie privaten Ehrung. Ihre Aufstellung war ein Akt der Loyalitätsbekundung
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gegenüber dem regierenden Herrscher. Oftmals besaßen sie insbesondere an den Orten, an denen der Herrscher nicht selbst präsent sein konnte, eine Art Stellvertreterfunktion. Sie zu ehren, gar teilweise kultisch zu verehren, war die Pflicht aller. Wer dagegen verstieß, selbst wenn er es nur wagte, sein eigenes Bildnis höher als das kaiserliche aufstellen oder es größer gestalten zu lassen, lief Gefahr, der Majestätsbeleidigung angeklagt und hingerichtet zu werden. Die Bildnisse der römischen Kaiser und Kaiserinnen dürfen daher zurecht als wichtige Propagandamedien der Kaiserherrschaft und ihrer Akzeptanz im Reich gelten. Mit dem Verlust der letzteren und dem daraufhin erfolgten Sturz eines Herrschers setzte daher nicht selten die sog. Damnatio Memoriae ein, in deren Rahmen zuvorderst die kaiserlichen Bildnisse von ihren Sockeln gerissen und zerstört worden sind. Welche Beweggründe dabei im Spiel waren und was empfunden wurde, schildert Plinius der Jüngere am Beispiel der Zerstörung goldener Statuen des Domitian recht anschaulich (Panegyricus Traiano imperatori dictus 52, 4–5). Man darf also festhalten, dass das kaiserliche Image reichsweit bestens bekannt gewesen ist und es vornehmlich die Bilder waren, die sowohl kollektiv als auch einzeln die Vorstellung vom Herrscher sowie seiner Politik maßgeblich prägten. Doch wie war dieser Prozess organisiert? Festzuhalten bleibt, dass es eine regelrechte Porträtindustrie gegeben haben muss. Zahlreiche Werkstätten in Rom selbst, aber ebenso im ganzen Imperium sorgten für eine rasche und weite Verbreitung. Wie schnell das in aller Regel ging, lassen die Bildnisse der sog. Soldatenkaiser des 3. Jhs. n. Chr. vermuten, von denen viele zwar nur sehr kurz regierten, die aber dennoch Porträtmünzen prägen konnten und gleich mit dem Herrschaftsantritt öffentlich aufgestellte Bildnisse erhielten, die sehr rasch selbst entferntere Gegenden erreichten. So standen in den nordafrikanischen Provinzen schon unmittelbar nach seiner Proklamierung Statuen von Gordianus I., obwohl dieser insgesamt nur gut zwanzig Tage regierte. Weitere Beispiele von anderen, nur kurz regierenden Kaisern ließen sich problemlos anführen. Leider verfügen wir über keine expliziten literarischen Schilderungen, die darüber Auskunft geben könnten, wie dieser Herstellungsprozess in allen Einzelheiten genau organisiert gewesen ist, wer verantwortlich für die inhaltliche Konzeption der Porträts war, ob der Kaiser sowie seine Angehörigen den Bildhauern Modell saßen u. a. m. Es muss daher bei den folgenden Mutmaßungen bleiben. In der Forschung wird davon ausgegangen, dass zunächst ein Bildhauermodell aus wenig haltbarem Material (eventuell Ton oder Wachs) erstellt wurde. Man kann sich zwar vorstellen, dass die oder der Porträtierte dabei physisch anwesend war und als lebendes Modell dem Bildhauer eine direkte Anschauung ermöglichte, doch ist dies – wie bereits erwähnt – nirgendwo sicher belegt. Ebenso fehlt eine genaue Vorstellung davon, wer und in welcher Weise das politische Programm des jeweiligen Bildnisses bestimmt oder auch nur beeinflusst hat. War es der Kaiser selbst oder gab es einen speziellen »Kunstberater« oder gar ein ganzes Gremium, der bzw. das festlegte,
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wie der Herrscher und seine Angehörigen auszusehen hatten? Einigkeit besteht jedenfalls darin, dass zunächst ein Urbild verfertigt wurde, das als Vorbild für weitere Ausfertigungen diente. Wahrscheinlich nahm man von ihm Gipsabgüsse ab, die reichsweit in die lokalen Bildhauerateliers verschickt worden sind und dort als Modelle dienten. Ferner geht man davon aus, dass die erste Ausfertigung eines neuen Urbildes in aller Regel in der Hauptstadt Rom anlässlich bestimmter hochwichtiger Ereignisse in der Regierungszeit des jeweiligen Kaisers wie Ernennung zum Thronfolger, Herrschaftsantritt, Herrschaftsjubiläen oder militärische Siege etc. erfolgte, die die Aufstellung einer neuen, meist vom römischen Senat beschlossenen Ehrenstatue nach sich zogen. Die in diesem Urbild vorbildhaft festgelegte Bildniskonzeption, d. h. die physiognomische (inklusive Frisur) und mimische Gestaltung der porträtierten Person nennt die Forschung Typus. Gemeint ist damit ein Modell mit festgelegten Merkmalen. Von vielen Kaisern, gerade von denjenigen, die länger regierten, sind oft mehrere Bildnistypen überliefert. Sie ließen sich durch ein spezielles Verfahren leicht kopieren, bei welchem der ausführende Bildhauer mittels eines aus diversen Messstangen bestehenden Apparates engmaschig immer wieder Messpunkte von der zu kopierenden Vorlage auf den Marmorblock übertrug, aus dem dann auf diese Weise nach und nach unter ständigem Nachmessen die Kopie herausgemeißelt werden konnte. Auch wenn bislang kein einziges Urbild gefunden wurde, kennen wir wenigstens die zahlreichen Wiederholungen (Repliken bzw. Kopien). Bisweilen kam es freilich vor, dass die lokalen Bildhauerateliers die Modelltypen abwandelten oder sogar miteinander vermischten (sog. Typenklitterungen). Als Hauptunterscheidungsmerkmal der einzelnen Typen gilt in der Forschung zurecht die Frisur. Beispielhaft hierfür sind die Porträts des Augustus. Drei Haupttypen lassen sich bislang sicher nachweisen (Abb. 15). Die genauen Anlässe und politischen Kontexte der einzelnen Porträttypen sind zwar nicht bekannt, doch wäre es verfehlt zu glauben, die unterschiedlichen Abb. 15
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Haartrachten seien allein modisch bedingt. Vielmehr liegen den einzelnen Frisuren wie im Fall der Mimik inhaltliche Überlegungen zu Grunde. Augustus, der 63 v. Chr. Geborene, starb 14 n. Chr., für antike Verhältnisse hochbetagt (77 Jahre) nach jahrzehntelanger Herrschaft. Von keinem römischen Kaiser dürften mehr Bildnisse erhalten sein. Sie zeigen ihn ausnahmslos mit jungen oder höchstens reifen, niemals aber mit erkennbar alten Gesichtszügen. Selbst in hohem Alter wurde der princeps offenbar stets mit wesentlich jünger wirkenden Bildnissen geehrt. Inwiefern die von Sueton geschilderten Gesichtszüge mit denen der erhaltenen Porträts übereinstimmen, ist schwer zu sagen, zumal die antike Polychromie der Köpfe nicht sicher rekonstruiert werden kann. Die angeblich weit auseinander stehenden schlechten Zähne des Augustus sind jedenfalls nachweislich kein einziges Mal dargestellt worden. Die vermeintliche Nachlässigkeit in puncto Frisur ist ebenfalls im Denkmälerbestand nicht wirklich zu erkennen. Ganz im Gegenteil folgen die diversen Frisuren des Augustus augenscheinlich wohlüberlegten Mustern, die sogar typenkennzeichnend sind und eine inhaltliche Bedeutung haben. Der älteste Bildnistypus des Augustus ist der in der Forschung sogenannte Actium- Typus (Abb. 15, oben). Er erscheint auf Münzen, die anlässlich der Seeschlacht von Actium in Umlauf kamen (Abb. 16), doch dürfte er, wie frühere Prägungen belegen, schon länger in Gebrauch gewesen sein. Wahrscheinlich ist er bereits geschaffen worden, als der damals noch sehr junge Adoptivsohn Caesars mit dem Tod seines Onkels und postumen Adoptivvaters erstmals die politische Bühne Roms betrat, weshalb er in der neueren Forschung vermehrt Octavians-Typus genannt wird. Kennzeichnend für diesen Typus sind zum einen die betont hageren, streng wirkenden Gesichtszüge und zum anderen die auf den ersten Blick wild und ungeordnet erscheinende Frisur mit dem charakteristischen aufgeworfenen Haarbüschel auf der (vom Betrachter aus gesehen) linken Seite des Kopfes. Auch in der Vorderansicht rundplastischer Darstellungen (Abb. 17) treten diese Kennzeichen klar zu Tage. Typisch sind ferner die stufig geschnittenen, sichelförmigen Locken, die über der Stirnmitte ein besonderes Motiv ausbilden, das in der Forschung als Haarzange bezeichnet wird. Zu den Schläfen hin werden die Haare seitlich weggestrichen. Ein Blick auf Physiognomie und Mimik zeigt, dass die bildkünstlerische Gestaltung darauf angelegt ist, den Dargestellten möglichst tatkräftig zu zeigen. Dieser Eindruck wird vor allem durch die energische Kopfwendung zu seiner rechten Seite hin, die mit dem aufgeworfenen Haarschopf korrespondiert und in Abb. 16 ihrer Dynamik an Porträts Alexanders des Gro-
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ßen (Abb. 14) erinnern soll, durch das vorgestreckte Kinn und die zusammengezogenen Augenbrauen dem Betrachter vermittelt. Zu diesen offenkundigen Anleihen aus dem ikonographischen Heldenrepertoire hellenistischer Herrscherbilder kommt der Versuch, über den langen faltigen Hals und die Hagerkeit eine verwandtschaftliche Ähnlichkeit zum Caesar- Porträt (Abb. 10, 11) zu konstruieren, sich mithin als dessen legitimer Erbe zu erweisen. Mit dieser Gestaltung seines Äußeren hat der junge Politiker folglich ein bewusstes Statement gesetzt. In der weiterhin aufs Äußerste angespannten Situation nach der Ermordung Caesars, die unmittelbar in eine besonders blutige Phase des spätrepublikanischen Bürgerkrieges mündete, musste sich der Erbe eines großen Namens zuerst gegen die Mörder seines Adoptivvaters, den er sogar als Divus Iulius unter die Götter versetzen ließ, und dann gegen Abb. 17 dessen ehemalige Weggefährten durchsetzen, von denen sich Marc Anton sogar mit der ptolemäischen Königin Kleopatra VII. gegen ihn verbündete. Gefragt in dieser Phase war vor allem Entschlossenheit und militärisches Durchsetzungsvermögen sowie, um Caesars große Anhängerschaft für sich zu gewinnen, eine Herausstellung der besonderen verwandtschaftlichen Vater-Sohn-Beziehung. All dies ist dem früheren Octavianus gleichsam ins Gesicht geschrieben worden. Er wird repräsentiert als ein trotz seiner Jugendlichkeit überaus erfahrener politischer wie militärischer Imperator. Nicht von ungefähr hieß er daher in dieser Phase offiziell IMPERATOR CAESAR DIVI FILIUS. Name und Porträtkonzept sind hier eins. Eine solche Aussage lässt sich ebenso über denjenigen Bildnis-Typus des Augustus treffen, der in der Forschung Primaporta-Typus (Abb. 15, Mitte; Abb. 18) genannt wird und gewissermaßen wegen der im Vergleich zu seinen anderen Bildnistypen deutlich größeren Anzahl von erhaltenen Repliken der Haupttypus seiner langen Regierungszeit und späteren römischen Rezeptionsgeschichte war. Die dem Typus dem Namen gebende Statue aus der Villa der Kaisergattin Livia bei Primaporta vor den Toren Roms (heute in den Vatikanischen Museen) dürfte in fast jedem Lateinschulbuch abgebildet sein. Der Typus
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stammt sicher erst aus der Zeit nach der am 16. Januar 27 v. Chr. erfolgten Verleihung des Augustus-Titels, in deren Folge der Kaiser fortan den Namen IMPERATOR CAESAR DIVI FILIUS AUGUSTUS trug. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde das Urbild anlässlich dieser Zeremonie für eine vom Senat beschlossene Ehrenstatue geschaffen. Zu erkennen ist der Typus an den im Vergleich zum Actium-/Octavians-Typus weniger gesträubten, gleichsam beruhigten Haaren, dem nicht mehr sichtbaren Haarbausch sowie einer charakteristischen Abfolge einer sog. Haarzange in der Stirnmitte – die einzelnen gebogenen Lockensträhnen stoßen wie bei einer Zange an den Spitzen zusammen: ( ) – und einer seitlich anschließenden sog. Haargabel – die einzelnen Lockensträhnen streben wie Zinken einer verbogenen Gabel auseinander: ) (. Diese Gabel-Zangen-Motivik wurde stilbilAbb. 18 dend (s. dazu unten). Insgesamt wirkt die Frisur dadurch übersichtlicher und geordneter. Ebenso fallen eine Beruhigung und veränderte Proportionierung der Gesichtszüge auf. Das kaiserliche Antlitz ist jetzt sehr viel harmonischer gestaltet und weist statt der auf Caesar verweisenden Hagerkeit vollere Wangen auf. Auch in mimischer Hinsicht lässt sich eine gewisse Beruhigung nicht leugnen. Diese bewusste Pathosdämpfung muss im zeitgenössischen Kontext gesehen werden. Mit dem für Augustus siegreichen Ende der Bürgerkriege begann eine völlig neue politische Phase. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt de facto längst ein monarchischer Alleinherrscher war, legte er, um die Fehler seines deshalb ermordeten Adoptivvaters zu vermeiden, diesbezüglich größte Zurückhaltung an den Tag, indem er de iure so tat, als habe er die römische Republik wiederhergestellt und teile die Macht weiterhin mit dem Senat und Volk von Rom. Infolgedessen vermied er jede Handlung, aber auch Titulatur und Ehrung, durch die man ihn in die Nähe der bei den Römern nach wie vor verhassten Königstyrannei hätte rücken können. Berühmt ist die diesbezügliche Feststellung von ihm in seinem späteren Tatenbericht (Res Gestae 34). Das Tragen eines Königsdiadems verbot sich daher von selbst.
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Darüber hinaus war nach jahrzehntelangen Kämpfen in der römischen Bevölkerung der Wunsch nach Frieden und Heilung der inneren Zerrissenheit besonders groß. Augustus tat also gut daran, diese Bedürfnisse nach einer neuen gesellschaftlichen Harmonie alsbald zu befriedigen. Allenthalben und allerorten ließ er den Beginn eines neuen goldenen Zeitalters (Aurea Aetas) verkünden. Die Pax Augusta wurde zum Inbegriff der segensreichen Kaiserherrschaft. Auf all dieses galt es bei der Suche nach einem geeigneten »Titel« und der folgenden Umsetzung desselben in einen neuen Bildnistypus zu achten. Caesar war eigentlich kein Titel, sondern ein Name, und der Imperator-Titel letztlich zu unspezifisch. Nachdem offenbar auch daran gedacht worden war, den Friedensherrscher einen neuen Romulus (Sueton, Augustus 7, 2) zu nennen, entschied man sich dann aber doch für einen anderen Weg. Auf Antrag des Senators Munatius Plancus, eines ehemaligen politischen Weggefährten des Marcus Antonius, der noch rechtzeitig die Seiten gewechselt hatte, durfte sich der Geehrte fortan Augustus nennen, was abgeleitet von augos (Mehrung) und augeo (mehren, erhöhen) so viel wie Erhabener bedeutet und dem Träger dieses Namens eine gleichsam sakral-heilige Aura verleiht. Eine solche vertrug sich nun schlecht mit dem haudegenhaftbrutalen Imperatoren-Image des älteren Actium-/Octavians-Typus. Die neu gewonnene kaiserliche maiestas verlangte nach anderen Bildnisformeln, in denen zugleich Ordnung und Frieden einen sichtbaren Ausdruck fanden. Vorbildhaft wirkten hierbei Meisterwerke klassischer Bildhauer, hauptsächlich des Polyklet, deren klare Proportionierung, beruhigte Mimik und geordnet wirkendes Gesamterscheinungsbild den Zeitgenossen als vollkommener Ausdruck von positiver Strenge (im Sinn einer tugendhaften severitas) und Harmonie sowie vor allem von erhabener Würde galten. Als Kronzeuge hierfür wird meist der römische Rhetorik-Lehrer Marcus Fabius Quintilianus (ca. 35–96 n. Chr.) aufgerufen. In seiner Institutio Oratoria (5, 12, 20) kommt er auch auf den berühmten Speerträger (gr. Doryphoros) des Polyklet zu sprechen. Er rühmt das Standbild für seine über die Naturwahrheit hinausgehende Schönheit (decorum supra verum) und sagt von dem dargestellten Jüngling, er sei sowohl geeignet für den Kriegsdienst als auch für die Palaestra (aptum vel militiae vel palaestra). Der Körper wird dadurch zu einem visuellen Zeichenträger von römischer virtus. Indem reale Personen in der römischen Bildkunst mit solchen virtuellen Körpern versehen wurden, machte man sich diese künstlerischen »Vorurteile« repräsentativ zu Nutze und übertrug die an den klassischen Originalen gerühmten inhaltlichen Qualitäten direkt auf die Dargestellten. An diesen Mustern orientierte sich auch das neue Kaiserbildnis. Sein Anspruch auf Überzeitlichkeit wird darüber hinaus darin deutlich, dass Augustus bei diesem Typus fast ausnahmslos jugendlich oder besser gesagt stets alterslos dargestellt wurde. Es ist das Image eines Ruhe und Ordnung garantierenden Friedensherrschers. Quintilianus hat dies
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in treffende Worte gekleidet (s. oben) und von einem vir sanctus et gravis gesprochen. Der rücksichtslos-dynamische Feldherr gehörte der blutigen Vergangenheit an, die besser vergessen werden sollte. Diese Grundidee ist ebenso bei einem weiteren Porträttypus des Augustus auszumachen, der freilich der am wenigsten erfolgreiche war (Abb. 15, unten; Abb. 19). Den nach einem Kopf im Besitz eines Privatsammlers in Boston nach dessen Namen Typus Forbes genannten Bildnistypus zeichnet eine betont einfache Frisur aus. Ihre Stirnpartie ist weitgehend ohne allzu aufwändige Gabel-Zangen-Motive (nur ganz seitlich wird eine kleine Gabel sichtbar) lediglich zur Seite gestrichen. Die ältere Forschung neigte wegen einiger Köpfe, die diesem Typus angehören und gewisse Alterszüge wie Falten und weiche Abb. 19 Mulden in einer ansonsten nicht sehr straffen Gesichtshaut zeigen, zu der Annahme, der Typus sei erst spät für den gealterten Kaiser entwickelt worden. Das stimmt jedoch nachweislich nicht, da der Typus bereits auf der sicher zwischen 13 und 9 v. Chr. errichteten Ara Pacis Augustae zu sehen ist. Dort trägt die Relieffigur des Augustus auf dem Südfries genau diese Frisur. Vielmehr sollte man die Art der Gestaltung gemeinsam mit der gedämpften Mimik als Ausdruck einer gewollten Beruhigung des älteren dynamischeren Actium-/Octavians-Typus werten. Dies passt zur politischen Situation nach der Seeschlacht von Actium. Mit der Ausschaltung der letzten großen Gegner hielt Caesars Erbe die Alleinherrschaft in den Händen, deren Machtbefugnisse es nun zu konsolidieren galt. Dabei war er auf die Akzeptanz sowohl der Bevölkerung als auch vor allem auf die der Senatoren angewiesen, wollte er dabei nicht wie sein Adoptivvater bei einem politisch motivierten Attentat durch Mörderhand enden. Statt wie bisher auf heldenhafte militärische Durchsetzungskraft zu setzen, musste er jetzt andere Qualitäten ins Spiel bringen. Ausgleichend und beruhigend hatte er nunmehr zu sein. Resignativ sollten die Gesichtszüge dagegen keinesfalls wirken. Nachdenklich und besonnen ging er an die Neuordnung der res publica. Dies zumindest suggeriert der Typus Forbes mit seinem gedämpften Pathos und der betont ruhig-zurückhaltenden Gestaltung. Damit war ein Zwischenschritt auf
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dem Weg zum Haupttypus geschaffen, der diese Grundzüge nochmals betonen und in einer überzeitlichen Weise darstellen sollte (s. oben Primaporta-Typus). Das Modellhafte der Augustus-Porträts wurde bereits kurz angesprochen. Betrachtet man die Bildnistypen seiner Nachfolger, wird deutlich, worin diese Vorbildhaftigkeit lag, zum einen in typologisch-formaler – bis einschließlich Claudius (reg. 41–54 n. Chr.) tragen die Kaiser ähnliche Frisuren mit Gabel-Zangen-Motivik –, zum anderen auch in inhaltlicher Hinsicht. Zwei Beispiele mögen genügen. Am Ende seiner langen Regierungszeit musste Augustus den ungeliebten, aus der ersten Ehe der Kaisergattin Livia (58 v.–29 n. Chr.) stammenden Stiefsohn Tiberius (reg. 14–37 n. Chr.) adoptieren, da alle anderen bis dato auserkorenen Abb. 20 Thronfolger jeweils bereits noch zu Lebzeiten des Kaisers verstorben waren. Tiberius tat bei seinem Herrschaftsantritt somit aus legitimatorischen Gründen gut daran, diese neue Verwandtschaft zu Augustus zu betonen. Seine erhaltenen Porträts (Abb. 20) lassen dieses enge Abhängigkeitsverhältnis in puncto Mimik und Frisurengestaltung auf den ersten Blick erkennen. Damit wird dem Betrachter suggeriert, dass trotz des Herrschaftswechsels alles beim guten Alten bleibt. Dies gilt auch für das zweite Fallbeispiel, die Porträts des Claudius (Abb. 21), der das besondere Problem hatte, dass er wegen einer angeblichen Behinderung bis zu seiner überraschenden Thronbesteigung nach der Ermordung seines Neffen Caligula (reg. 37–41 n. Chr.) kaum in der Öffentlichkeit sichtbar gewesen ist. Seine drei Vorgänger verweigerten ihm Ehrungen und er musste manche Kränkung erdulden. Insbesondere gehörte er als Claudier nicht zur eigentlichen Kaiserdynastie, der Familie der Iulier. Diesem Legitimationsproblem begegnete der unverhofft auf den Thron gelangte Claudius dadurch, dass er zumindest in der Bildnisrepräsentation keine neuen Wege beschritt. Damit stellte er sich mit seinem Porträtentwurf bewusst in die Reihe der bisherigen iulischen Kaiser. Zusätzlich betonte er durch die Zulassung stärkerer Alterszüge als positiver Ausdruck im Sinn von Erfahrung seine eigene fortgeschrittene Lebenszeit. Darüber hinaus ahmten nicht wenige Privatpersonen die kaiserlichen Haartrachten nach, die auf diese Weise zu regelrechten Modefrisuren avancierten. Ob dabei jedes Mal
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zusätzlich ein tieferer Sinn wie etwa Loyalitätsbekundung mit im Spiel war, muss wegen mangelnder Quellen reine Spekulation bleiben. Diese kurze Einführung in die Porträtkunst der iulisch-claudischen Dynastie mag vermittelt haben, dass die Bildnisse der Herrscher in erster Linie manipulativ konstruierte Propagandamedien gewesen sind, bei denen weniger das Ziel verfolgt wurde, die tatsächliche Physiognomie möglichst realistisch zu erfassen, als vielmehr über die konkrete mimische und übrige formale Ausgestaltung der Gesichtszüge sowie der Haare ein dahinterstehendes politisches Programm sichtbar zu machen, das positiv auf die Zeitgenossen einwirken und entsprechend rezipiert werden sollte. Es ist Abb. 21 in Anbetracht der Tatsache, dass die unzähligen kaiserlichen Bildnisse im ganzen Reich öffentlich aufgestellt, mit größtem Respekt behandelt und in der Regel Ehrenstatuen, stellenweise auch Kultbilder waren, unvorstellbar, von einer beabsichtigten negativen Wirkung auszugehen. Insofern sind Einschätzungen wie die des im 19. und frühen 20. Jahrhundert hochangesehenen Spezialisten für antike Porträts, des Schweizer Archäologen Johann Jakob Bernoulli (1831–1913), längst obsolet, der beispielsweise in den Bildnissen des Nero dessen widerwärtigen Charakter erkennen wollte: »Das Fazit dieser Formen ist das Bild eines Gewaltherrschers, der in trotzigem Allmachtsbewusstsein die Menschheit zu fragen scheint, wer ihn in der Befriedigung seiner Blutgier und seiner Wollust zu stören wage.« Auch lässt sich in erhaltenen Nero-Porträts kaum eine Ähnlichkeit zu literarischen Schilderungen wie die des Sueton feststellen. Abermals wird wie bei Augustus eine Diskrepanz zwischen angeblich realem Aussehen und Bildnis greifbar, die genau dieselben Gründe hat. Vorurteilsfrei betrachtet erscheint ein Bildnis des Nero (Abb. 22) nämlich als politisch gewollte geschickte Kombination verschiedener positiver Aussageelemente. Nero (reg. 54–68 n. Chr.) hat gewollt mit den bisherigen iulisch-claudischen Bildnistraditionen gebrochen. Sowohl in der Mimik als auch Physiognomie und Frisur ging er ganz eigene Wege. Die mittels einer Brennschere aufwändig herzustellende Haartracht verweist in ihrer Fülle und Eleganz auf zweierlei. Nero ist im Gegensatz zu seinem kränklichen alten Adoptivvater ein Herrscher, der in der Blüte seiner Jugend steht. Mit ihm beginnt ein neues goldenes Zeitalter, dessen äußere Kennzeichen Fülle, Luxus und Eleganz sind. Darauf verweisen zusätzlich Neros feiste Gesichtszüge. Schon die ptolemäische Herrscherikonographie kannte dieses motivische Ausdrucksmittel und verwendete es zur Darstellung der sprichwört-
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lichen dionysischen Tryphé (gr. für Fülle und Wohlergehen), die von den Königen als Ergebnis ihrer segensreichen Herrschaft zu garantieren war. Neros allgemeine Beliebtheit im ganzen Imperium Romanum gründete genau auf diesen Aspekt. Mit zahlreichen Wohltaten erkaufte er sich die Anerkennung der einfachen Bevölkerung. Seine luxushafte Aufmachung ist folglich sicher nicht exklusiv im Sinn der Darstellung privaten Wohlergehens gemeint gewesen, sondern ein auf die Allgemeinheit zielendes politisches Statement nach dem Motto »Wohlstand für alle«. Im Unterricht könnte man zur inhaltlichen Vertiefung an dieser Stelle zusätzlich auf Ludwig Erhards berühmtes Buch und sein Wahlplakat »Wohlstand für alle« verweisen, das als Bild über die Google-Bildsuche leicht auffindbar ist. Wer genauer hinschaut, wird bei unserem Fallbeispiel aber zusätzlich noch einen Abb. 22 etwas ungepflegt wirkenden Backenbart entdecken, der auf den ersten Blick nicht so recht zur übrigen Aufmachung zu passen scheint. Bärte trugen Männer in der frühen Kaiserzeit eigentlich nur zu besonderen Anlässen. Ansonsten folgte man der seit Alexander dem Großen etablierten Mode der Bartlosigkeit. Ein Trauerbart kommt im Fall des Nero-Porträts kaum in Frage. Warum hätte der Kaiser in der Öffentlichkeit durch seine Bildnisse dauerhaft an ein Sterbeereignis innerhalb der kaiserlichen Familie erinnern sollen? Eine solche Charakterisierung wäre allenfalls unmittelbar nach dem Tod des Claudius und dem eigenen Herrschaftsantritt politisch sinnvoll gewesen. Stattdessen ist zu überlegen, ob der Bart nicht vielmehr militärisch konnotiert war. In der Tat ist Bärtigkeit im Feld ein Ausdruck männlicher virtus gewesen. Es liegt also nahe zu vermuten, dass die »Macher« von Neros drittem Bildnistypus genau darauf anspielen wollten. Das neronische goldene Zeitalter der Fülle und des Wohlergehens scheint somit auf feste militärische Grundlagen gestellt. Nero sollte eben auch als ein erfolgreicher Imperator und nicht nur freigiebiger Lebenskünstler dem römischen Publikum zur dankbaren Bewunderung vor Augen gestellt werden. Beim Senat wurde Nero jedoch zusehends zu einer verhassten Figur, da er wie schon Caligula die Senatoren in der Öffentlichkeit bloßstellte und mehr und mehr dazu tendierte,
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die kaiserliche Sonderstellung ostentativ zur Schau zu stellen. Den in ihrer Existenz und in ihrem Rang bedrohten Senatoren fiel es nicht schwer, die Selbstdarstellung des Nero letztlich ins Negative zu verkehren. Aus Freigiebigkeit wurde Verschwendung, und seine dem Apollo und Helios gleichen Auftritte als Sänger und Wagenlenker gab man der Lächerlichkeit preis. Ein politischer Newcomer wie Vespasian (reg. 69–79 n. Chr.), der, obwohl er in keinerlei verwandtschaftlicher Beziehung zu den bisherigen Herrschern stand und noch nicht einmal aus einer altehrwürdigen senatorischen Familie stammte, dennoch den Bürgerkrieg um die Nachfolge des Nero für sich entscheiden konnte, tat also gut daran, wenn er sich so völlig anders gab als der gescheiterte Vorgänger. Er verdankte die Macht der Loyalität und SchlagAbb. 23 kraft seiner Truppen sowie dem Wohlwollen des Senats, der schließlich bereit war, seine Thronbesteigung auch anzuerkennen. Es lag für ihn also nahe, ein Image zu wählen, das die spezifischen Erwartungshaltungen gerade dieser beiden Gruppen bediente. Vespasian ließ sich daher sicherlich nicht ohne Hintergedanken als alten, glatzköpfigen Haudegen darstellen (Abb. 23). Er belebte somit ein in gewisser Weise senatorisch zu nennendes Modell, wie es bereits in der Republik für führende Politiker üblich war. Deutlicher hätte man den Thronund den damit einhergehenden politischen Paradigmenwechsel nicht ins Bild setzen können. In ähnlicher Form ließ sich eine Geschichte des römischen Kaiserporträts bis zur Spätantike schreiben, die zugleich eine Geschichte der diversen dynastischen Bestrebungen, kaiserlichen Regierungsprogramme und zuweilen bewusst inszenierten politischen Umbrüche wäre. Im altsprachlichen Unterricht genügt jedoch ein exemplarischer Einblick in die Möglichkeiten der Interpretation römischer Kaiserporträts am Beispiel der Bildnisse derjenigen Kaiser, aus deren Regierungszeit die meistgelesenen Schulautoren stammen. Der Einblick wäre jedoch nicht vollständig, ohne abschließend noch auf die Bedeutung von Attributen und Körperbildern der Kaiser einzugehen. So spielten bei der Formulierung respektive Sichtbarmachung politischer Programmatik in den Bildnissen der Kaiser diverse, mit bestimmten Handlungsweisen, Ehrungen und/oder Ämtern verbundene Attribute, mittels derer bereits intendierte Aspekte verstärkt oder auch weitere zusätzlich visualisiert
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werden konnten, keine geringe Rolle. Ein echtes kaiserliches Insignien- und Zeremonial wesen hat sich nur sehr langsam entwickelt. Erst Konstantin der Große wagte es, das aus der hellenistischen Herrscherikonographie stammende Königsdiadem als Zeichen der Kaiserherrschaft zu übernehmen. Für Augustus und seine unmittelbaren Nachfolger ist das noch undenkbar gewesen, da der frühe Prinzipat darauf angelegt war, die Fiktion der Wiederherstellung der alten res publica um jeden Preis aufrecht zu erhalten. Insofern mussten sich die Kaiser lange Zeit mit republikanischen Ehrenzeichen und Trachten begnügen. Sie zeigten sich auf diese Weise im scheinbaren Einklang mit den übrigen Senatoren als vermeintliche primi inter pares. Tatsächlich waren sie jedoch Monarchen, auch wenn sie es tunlichst vermieden, als reges zu erscheinen. Zu sehr war das Amt des rex in der römischen Vorstellung mit Tyrannei und despotischer Willkürherrschaft verbunden. Statt des Königsdiadems und eines entsprechenden Ornates trugen sie daher lieber die altehrwürdige Toga und schmückten sich mit diversen, schon in republikanischer Zeit verwendeten Ehrenkränzen. So weist das schon betrachtete Porträt im Actium-/Octavians-Typus aus La Alcudia (Abb. 17) eine ikonographische Besonderheit auf. Der Dargestellte hat seine Toga über den Kopf gezogen. Capite velato opferten die Römer ihren Göttern. Hierin unterschieden sie sich von den Griechen, die barhäuptig an die Altäre traten. Der Kaiser war folglich als ein Opfernder dargestellt. Damit wird aber nicht nur auf den Akt an sich oder ein damit verbundenes Priesteramt verwiesen – seit 12 v. Chr. führte Augustus den Titel eines pontifex maximus, der fortan bis zum Ende der Antike ein wichtiger Teil der Kaisertitulatur blieb –, sondern zugleich auch eine bestimmte kaiserliche Tugend visualisiert. Augustus wird als frommer, die sakralen Vorschriften penibel einhaltender und damit den Fortbestand des Wohlwollens der Götter sichernder, verantwortungsvoller Herrscher inszeniert. Pietas gehörte mit virtus, iustitia und clementia zu den vier Kardinaltugenden des Kaisers, die auf dem goldenen Schild (clipeus virtutis) verzeichnet waren, den ihm der Senat als besondere Ehrung zuerkannt hatte (Res Gestae Divi Augusti 1–3). Es lässt sich in diesem konkreten Fall also festhalten, dass das spezifische Kleidungsattribut nicht ausschließlich zur Sichtbarmachung einer äußeren Würde als vielmehr zu der einer inneren Qualität Verwendung fand. Das ebenfalls bereits behandelte Bildnis im Typus Forbes (Abb. 19) ist ein weiteres Beispiel, wie mittels Attributs eine vertiefende Aussage visualisiert werden konnte. Die grundsätzliche Programmatik des Typus Forbes im Kontext des zu Ende gegangenen Bürgerkrieges ist schon oben analysiert worden. Der Kranz unterstreicht den Aspekt der Errettung der römischen Bürgerschaft aus den blutigen Wirren durch Augustus. Auch wenn die Blätter nicht ganz eindeutig gearbeitet sind, so dürfte es sich dabei doch um einen Kranz aus Eichenblättern (corona civica) handeln. Ein Lorbeerkranz oder Kränze aus sonstigen Blattsorten sehen anders aus. Mit der formalen restitutio rei publicae in der Senatssitzung vom 13. Januar 27 v. Chr. erhielt der Kaiser eine solche Bürgerkrone OB CIVIS SERVATOS zugesprochen. Man brachte damit metaphorisch zum Ausdruck,
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dass Augustus die gesamte römische Bürgerschaft gerettet habe. Fortan gehörte die c orona civica zum Standardrepertoire kaiserlicher Ehrungen. Sie versinnbildlichte in dieser Form eine überzeitliche Leistung des Herrschers und garantierte dem zeitgenössischen Publikum gewissermaßen dessen Fähigkeit, ihnen Schutz zu gewähren. Mit ebendieser Symbolik spielt ein weiteres Fallbeispiel (Abb. 24), die sog. Gemma Claudia, die zur Gruppe der sehr exklusiven Kaiserkameen gehört, von denen die Forschung die Vorstellung entwickelt hat, dass sie keine Massenpropagandamedien waren, sondern nur im sehr elitären kaiserlichen Hofmilieu zirkulierten. Auf ihnen konnten deshalb im Gegensatz zu den reichsweit in Umlauf gebrachten Münzbildern komplexere Sachverhalte und diese zusätzlich nicht ganz so leicht verständlich allegorisch formuliert werden. Konkret sind aus diesem zweilagigen Sardonyx zwei spiegelbildlich gruppierte Paare herausgeschnitten worden. Sie lassen sich über Vergleiche mit Münzen eindeutig als links Kaiser Claudius (10 v.–54 n. Chr.) und seine letzte Gemahlin Agrippina Minor (15/16–59 n. Chr.), die zugleich seine leibliche Nichte war, sowie diesen gegenüber deren Eltern Agrippina Maior (14 v.–33 n. Chr.) und Germanicus (15 v.–19 n. Chr.), den Bruder des Claudius, identifizieren. Die Büsten erwachsen aus doppelten, symmetrisch an-
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geordneten und rankenverzierten Füllhörnern, deren eichelförmige Blattkelchenden in der Mitte am unteren Bildrand zusammenstoßen. Die beiden Männer tragen jeweils einen Eichenkranz auf dem Haupt. Zusätzlich ist Claudius durch das geschuppte Ziegenfell (aegis/aigis) mit mittigem Medusenhaupt seinem Rang als regierender Kaiser gemäß an den obersten Gott Iuppiter angeglichen. Auf diesen Gott verweist ebenso der zwischen den Füllhörnern mit ausgebreiteten Schwingen hockende Adler, der bezeichnenderweise in Richtung des Claudius blickt. Germanicus zeigt hingegen keinerlei göttliche Attribute. Auf seinen Schultern liegt ein zum soldatischen Ehrenkranz passendes militärisches Kleidungsstück, ein Feldherrnmantel (paludamentum), der von einer runden Brosche zusammengehalten wird. Bei Agrippina Minor ist im Haar eine Mauerkrone und ein Kranz aus Ähren zu erkennen. Auf dem Kopf ihrer Mutter, Agrippina Maior, sitzt stattdessen ein Helm des attischen Typus. Neben dem Helmbusch schmückt ihn ein Lorbeerkranz. Die Bildsymbolik ist eindeutig. Unter Beachtung der Rangfolge sind der regierende Kaiser und seine Gattin als olympische Götter dargestellt – von Claudius als Iuppiter war bereits die Rede, während ihre Eltern, die nie zur Regierung gelangten, nur »mindere« Attribute aufweisen. Durch Mauerkrone und Ährenkranz wird die jüngere Agrippina zu Kybele und Ceres. Ihre Mutter muss sich dagegen mit der Rolle einer militärisch konnotierten, wenn auch kultisch verehrten Personifikation begnügen. Helm und Lorbeerkranz legen eine Deutung als Virtus nahe. Germanicus könnte demnach Honos sein. Beide Personifikationen spielten seit der späteren römischen Republik eine wichtige Rolle in der Selbstdarstellung der römischen nobiles. Sie verweisen auf zentrale Leitbilder der militärischen Elite des Imperiums. Für die Eltern der Kaiserin sind sie insofern besonders passend, als diese in der Tat gemeinsam zu militärischen Operationen reisten und im Feldlager mitsamt der Kinder lebten – einmal trat die Gattin mutig sogar rebellierenden Truppen entgegen (Tacitus, Annales 1, 69), weshalb das Paar gerade bei den Soldaten, aber auch bei der sonstigen Reichsbevölkerung außerordentlich beliebt gewesen ist. Dieser Ruhm hielt bis in die Tage des Claudius an. Darüber hinaus gehörte Germanicus zu den Lieblingen des Augustus, der ihn langfristig gern als Nachfolger des Tiberius gesehen hätte, sodass ihn dieser schon 4 n. Chr. adoptieren musste; und Agrippina Maior war schließlich die leibliche Enkelin des ersten römischen Princeps. Die Verstorbenen besaßen folglich ein besonderes Prestige, das sich Claudius bestens zu Nutze machen konnte. Durch die Heirat mit Augustus’ Urenkelin schlug er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Er fand damit blutsverwandtschaftlichen Anschluss an den Dynastiegründer und zugleich stärkte es seine Verbindung zu seinem überaus beliebten verstorbenen Bruder. Auf diese Weise erschien die Herrschaft des Claudius als Vollendung der Bemühungen des Germanicus sowie der Agrippina Maior um das Wohlergehen und den militärischen Schutz des Reiches. In Gestalt der eigenen Gemahlin erfuhr dieser Aspekt nochmals eine Verstärkung. Kybele, die große Göttermutter, stammte vom Berg Ida und somit aus Kleinasien, d. h. der
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troianischen Heimat der Römer. Von dort aus war sie während des Zweiten Punischen Krieges (218–201 v. Chr.), als sich Rom in einer bedrohlichen Situation befand, von einer Senatsgesandtschaft 205 v. Chr. in Gestalt eines heiligen Steines (Meteorit) von Pessinus in die Stadt geholt worden, um diese fortan zu schützen. Bei Einholung des Schiffes hatte ausgerechnet eine Vestalin aus der Familie der Claudier eine wichtige Rolle gespielt, worauf noch in augusteischer Zeit hingewiesen wurde (Ovid, Fasti 4, 293–344). Ebenso verehrten die Iulier die Magna Mater. Laut Vergil (Aeneis 9, 80–106) bat sie Iuppiter um Schutz für die Flotte des Aeneas, und Ovid spricht (Fasti 4, 249–254) davon, dass sie ihrem Schützling schon damals gerne nach Rom gefolgt wäre. Es handelt sich folglich um eine für eine Iulierin wie Claudierin gleichermaßen passende Göttinnenrolle, in die Agrippina Minor auf dem Kameo geschlüpft ist. Ceres verehrte man schon seit frühester Zeit in Rom, und sie stellte eine der wichtigsten Gottheiten des altrömischen Festkalenders dar. Sie personifiziert Wohlstand und Fülle der segensreichen Herrschaft des neuen Kaiserpaares, die zudem als militärisch gesichert erscheint. Symbolisiert wird dies zusätzlich durch die Füllhörner und die diversen, unterhalb sowie seitlich von ihnen sichtbaren Waffen. Wahrscheinlich ist der Kameo anlässlich der Hochzeit des Kaiserpaares im Jahr 49 n. Chr. entstanden und war ein panegyrisch gemeintes Ehrengeschenk, dessen Darstellung sozusagen die Zukunft vorwegnahm. Zurecht hat die Forschung auf einen Vers im Carmen Saeculare (57–60) des Horaz hingewiesen, der fast als poetische Formulierung des Bildprogramms der Gemma Claudia gelesen werden kann: Iam Fides et Pax et Honos Pudorque | priscus et neglecta redire Virtus | audet adparetque beata pleno | Copia cornu. Diese Propagandabotschaft funktionierte auf engstem Bildraum jedoch nur deshalb, weil der symbolische Gehalt der Attribute in jedem einzelnen Fall für sich sprach. Sie visualisieren ideale Verhaltensweisen, Tugenden, Wirkungen und Zustände kaiserlicher Herrschaft. Inwieweit diese komplexen Kompositionen allgemeinverständlich waren, bleibt allerdings fraglich. Die Kernbotschaften dürften ein elitäres wie ebenso breiteres Betrachterpublikum aber wohl nicht überfordert haben, da die Götter und Personifikationen allen aus der Münzprägung bestens bekannt gewesen sein müssen. Wenden wir den Blick nun den kaiserlichen Körpern zu! Auch wenn die Aufstellung von reinen Büstenbildnissen im Imperium Romanum durchaus weit verbreitet gewesen ist, so hat es zusätzlich auch eine Vielzahl von bis ins kolossale Format gesteigerten Ganzkörperdarstellungen gegeben. Manche von ihnen waren aus Bronze, weshalb nur vergleichsweise wenige auf uns gekommen sind. Etwas zahlreicher erhalten blieben die vielen marmornen Exemplare. Wie bei den Büsten gab es aber auch silberne und goldene Ausfertigungen, von denen zumindest die Schriftzeugnisse (literarische und epigraphische) berichten. Einen guten Eindruck vom Standardrepertoire der am weitesten verbreiteten Körper-/Standbildtypen bietet die bereits abgebildete sog. Gemma Augustea (Abb. 8). Auf
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ihr sind gleich drei der beliebtesten Varianten des kaiserlichen Körpers zu sehen: Togatus, Panzerstatue und sog. Iuppiter-Schema. Mit diesen drei Figurentypen ließ sich gleich ein ganzes Spektrum an herrscherlichen Funktionen und Qualitäten abdecken. In der Toga präsentierte sich der Kaiser als senatorischer Magistrat respektive Priester (pietas) oder gar als Triumphator, wenn das Gewand entsprechend eingefärbt und verziert war und er selbst zusätzlich einen Lorbeerkranz trug. In Gestalt einer Panzerstatue fungierte er mit seinen militärischen Qualitäten als imperator und zeigte virtus. Dies gilt auch für die kaiserlichen Reiterstatuen und Standbilder in der Triumphalquadriga, die wohl die prestigeträchtigste Form statuarischer Ehrung für den Kaiser gewesen sind. Auf seine höheren, gleichsam übermenschlichen Qualitäten verwiesen Darstellungen mit nacktem Oberkörper und/ oder anderen Götterattributen/-gewandungen. So gemahnt der sitzende Augustus auf der Gemma Augustea an den Göttervater Iuppiter, nach dem die moderne Forschung dieses Standbildschema treffend benannt hat. Es versteht sich von selbst, dass die realen Formen der Kaiser – worauf eingangs bereits hingewiesen wurde – allein schon aus reinen Propagandagründen niemals nachgebildet und zur Schau gestellt worden sind, sondern die Herrscher stets mit virtuellen Körpern in den Darstellungen präsent waren und damit ihren Betrachtern als Idealgestalten vor Augen standen. Man möge hierzu nur die Schilderungen bei Sueton mit erhaltenen Kaiserstatuen vergleichen! Das zeitgenössische Publikum kannte den Code und ist deshalb, ohne allzu große intellektuelle Mühen aufwenden zu müssen, leicht in der Lage gewesen, die verschiedenen inhaltlichen Nuancen herauszulesen. Dabei haben sicherlich die Münzbilder sehr geholfen, deren Legenden gewissermaßen Seh- und Deutungshilfen darstellten. Wenn der Kaiser beispielsweise auf dem Revers ein Opfer ausführte und dies mit der Umschrift PIETAS kombiniert wurde, oder er unter der Legende VIRTUS als siegreicher Feldherr im Kampf einen Barbaren niederritt, so war die Botschaft ebenso eindeutig wie klar verständlich. Die Bildhauerwerkstätten verfügten in der Regel über einen Vorrat an den gängigsten Figurentypen, sodass sie rasch Aufträge ausführen konnten. Da man die Körper – wie gesagt standardisiert – vorfertigte, genügte es, den jeweils aktuellen Kaiserkopf einzusetzen. Auf diese Weise ließ sich bei Thronwechseln ohne große Mühe rasch Aktualität herstellen. Einfache Toga- und Panzerstatuen fanden zudem Verwendung bei nicht kaiserlichen Statusgruppen. Die weit verbreitete Technik des Einsatzkopfes kann bei dem oben schon mehrfach zur Sprache gekommenen Porträt im Actium-/Octavians-Typus aus La Alcudia beobachtet werden (Abb. 17). Der Bildhauer hat die Toga glatt abgeschnitten und dem Hals eine charakteristische Form gegeben, um den Kopf in einen bereits vorhandenen, heute verlorenen Statuenkörper einpassen zu können. Zur Vertiefung des Themas der kaiserlichen Körperbilder sollen abschließend zwei Beispiele aus dem Bereich der Kaiserinnenikonographie näher besprochen werden. In der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Kassel befindet sich ein Sardonyx-Kameo
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(Abb. 25), der in den Beginn des 3. Jhs. n. Chr. datiert werden kann. Münzvergleiche zeigen, dass es sich bei der Dargestellten um Iulia Domna (160–217 n. Chr.), Gattin des Septimius Severus (reg. 193–211 n. Chr.) und Mutter des Caracalla (reg. 211–217 n. Chr.) handeln muss. Die Kaiserin sitzt auf einem Waffenhaufen. In der einen Hand hält sie einen Lorbeerkranz und in der anderen einen Palmzweig. Beides sind Siegessymbole. Zusätzlich verfügt sie über Flügel. Iulia Domna ist folglich als Siegesgöttin Victoria dargestellt. Zur näheren ikonographischen Erklärung könnte den Schülerinnen und Schülern an dieser Stelle eine Münze des Kaisers Nero mit der Darstellung einer Victoria (Abb. 2) und/oder andere Münzbilder mit Victorien gezeigt werden. Bereits dieses einfache Beispiel macht Abb. 25 deutlich, worauf es ankam. Selbstverständlich wussten alle Römerinnen und Römer, dass ihre Kaiserin normale Menschengestalt besaß und keinesfalls geflügelt war. Jede und jeder im Reich verstand aber sofort, weshalb sie solche Flügel im Bild trug. Ohne Beschriftung wurde auf diese Weise die Wirkungskraft der Herrscherin visualisiert. Gemeinsam mit ihrem Mann sorgte sie dafür, dass das römische Militär weiterhin siegreich blieb. Deshalb durfte sie seit 195/196 n. Chr. auch den Ehrentitel einer Mater Castrorum und später (vor 211 n. Chr.?) den einer Mater Castrorum et Senatus et Patriae führen. Die griffige Bildformel »Kaiserin in Victoriagestalt« ersetzte respektive ergänzte eine entsprechende mündlich-schriftliche Panegyrik. Der Begriff Bildsprache drückt dies vollendet aus. Das Bild ist ein Repräsentationsmedium eigener Art mit hohem Symbolwert. Das zweite, auf den ersten Blick nicht ganz so einfach zu entschlüsselnde Beispiel lässt sich darüber hinaus in die Lektüre der Claudius-Biographie des Sueton (Kapitel 11: Verehrung der Ahnen) oder in die von Vergils Aeneis (1, 314–417 und 10, 18–62: Rolle der Venus) einbinden. Es handelt sich dabei um ein marmornes Standbild, das im Frühjahr 1981 während einer unterwasserarchäologischen Kampagne im Golf von Neapel gefunden wurde (Abb. 26). Von dieser Fundstelle erhoffte man sich einiges, da sie genau zwischen zwei Landspitzen (Punta Epitaffio und Punta di Castello) liegt und zwar dort, wo sich in der Antike ein ganzes Stadtviertel des damals mondänen Badeortes Baiae erstreckte. Es wurde
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vermutet, wie sich dann herausstellte zurecht, dass in diesem Bereich auch die römischen Kaiser ihre Luxusmeervillen hatten. Schon vor der Durchführung der archäologischen Untersuchungen waren immer wieder am Meeresgrund Skulpturen gesichtet und zum Teil auch geborgen worden. Die zur Diskussion stehende weibliche Statue blieb recht gut erhalten. Bekleidet ist sie mit einem langen, im Hüftbereich gegürteten und an dieser Stelle deutlich herausgezogenen Untergewand, über dem ein Mantel liegt, der an der linken Schulter herabhängt und über den Rücken sowie die rechte Hüfte nach vorne gezogen vom linken Ellbogen gehalten wird. Der Mantel bildet auf der Vorderseite in Hüfthöhe einen Bausch mit dreieckigem Überschlag, der auf der linken Seite parallel zum Bein herabfällt. Im Haar befindet sich als Schmuck ein durchbrochen gearbeitetes kostbares Diadem, dessen geflochtener Reif mit stehenden und hängenden Granatapfelblüten verziert ist. Zu den auffälligsten Kennzeichen der Statue gehört ein kleiner nackter Knabe, der auf der vorgestreckten linken Hand der Figur steht. Auf seiner Rückseite sind Einlassspuren für heute verlorene Flügel zu erkennen. Damit ist bereits ein Ansatz zur Deutung gegeben. Bei dem Knaben muss es sich folglich um einen Amor/Eros handeln. Seine Darstellung als wesentlich kleineres Kind im Vergleich zur stehenden erwachsenen Frau sowie seine
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Platzierung auf ihrer Hand und damit in ihrer Armbeuge suggerieren nach antiken bildkünstlerischen Gepflogenheiten ein Betreuungs-, in diesem Fall genauer gesagt ein MutterKind-Verhältnis. Lässt sich folglich die Frauenfigur als Darstellung der Venus/Aphrodite interpretieren? Hinzu kommt, dass der Frauenkörper nicht singulär ist. Es sind aus der römischen Antike weitere ähnliche Statuen mit genau diesem Körper und der typisch griechischen Gewandung (Untergewand = Chiton und Mantel = Himation) erhalten geblieben. Dies legt den Verdacht nahe, dass es sich bei allen um Wiederholungen eines älteren Meisterwerks der griechischen Bildhauerkunst handelt. Die Forschung nennt diesen Typus nach einem Exemplar in der Sammlung Albani »Kore (manchmal auch Sappho) Albani« (Abb. 27). Die Gewandgestaltung spricht für eine Datierung des Originals in die Hochklassik. Wie mehrere griechische Weihreliefs nahelegen, ist dieser Typus seinerzeit für Darstellungen der Göttinnen Aphrodite, Nemesis und Persephone verwendet worden. Der Bildhauer der Statue aus Baiae hat seine Figur jedenfalls eindeutig als Venus/Aphrodite gekennzeichnet, indem er eine Amor-/Erosfigur hinzufügte, die nicht zum Originalbestand des Typus gehört.
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Vergleicht man zusätzlich die Köpfe genauer, werden weitere signifikante Unterschiede deutlich. Der Kopf der Kore Albani ist wie der Frauenkörper ideal gestaltet, was für den der Statue aus Baiae keinesfalls gilt (Abb. 28). Die schlanke, lange und im unteren Bereich etwas verdickte Nase, der recht schmale Mund sowie die deutlich akzentuierte, leicht fliehende Kinn- und Untergesichtspartie sind als porträthafte Züge aufzufassen. Es handelt sich somit um ein Bildnis einer bestimmten Person. Wer diese ist, lässt sich durch Münzvergleich feststellen (Abb. 29). Die charakteristische Formung von Nase und Kinn entspricht den Zügen der Antonia Minor (36 v.–37 n. Chr.), der noch im Jahr ihres Todes der Augusta-Titel verliehen worden war, den sie zu Lebzeiten aber nicht akzeptierte (Sueton, Claudius 11, 2). Dass in unserem Fall die Frisur nicht ganz übereinstimmt – der Nackenzopf auf der Münze ist bei der Statue zu einem Haarknoten umfunktioniert worden – kann als nebensächlich gelten. Das Standbild zeigte somit die Großmutter des Kaisers Caligula (reg. 37–41 n. Chr.) und Mutter des Kaisers Claudius (reg. 41–54 n. Chr.) als Venus. Damit haben wir wieder einen Fall, bei dem ein Porträtkopf mit einem idealen Statuenkörper kombiniert wurde. Dass dahinter eine beabsichtigte Bildaussage steckt, liegt auf der Hand. Das Zitieren eines klassischen Statuentypus ist zunächst einmal nobilitierend gemeint. Der kaiserlichen Dame werden auf diese Weise Eigenschaften wie Liebreiz (gr. Charis) und majestätische Erscheinung zugesprochen, für die nach Meinung der zeitgenössischen Intellektuellen die hochklassischen Statuenvor- Abb. 29 lagen geradezu vorbildhaft standen. Die zweite inhaltliche Ebene ist jedoch noch interessanter. Antonia Minor wird dem Publikum nicht als Venus im Allgemeinen, sondern als Venus Genetrix im Speziellen (die Geschlechtliche in der Wortbedeutung Geschlecht/Familie) vor Augen gestellt. Letztere ist beispielsweise auf einem zu Ehren der Kaiserin Salonina Augusta (gestorben 268 n. Chr.) geprägten Doppeldenar ihres Gatten Gallienus (reg. 253–60 n. Chr.) abgebildet (Abb. 30). Vor der stehenden Göttin erkennt man einen kleinen geflügelten Amor/Cupido. Die eindeutige Legende VENVS Abb. 30
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ENETRIX sichert zweifelsfrei die Benennung und fungiert zugleich als InterpretationsG hilfe für die Schülerinnen und Schüler. Diesen Beinamen führte die Göttin aus einem für die Römer sehr wichtigen Grund. Durch ihren Sohn Aeneas war sie die Stammmutter aller Römer. Das iulische Kaiserhaus verehrte sie seit Iulius Caesar in ganz besonderer Weise. Dieser landete in Konkurrenz zu Pompeius, der die Venus mit dem Beinamen Victrix (die Siegreiche) zu seiner persönlichen Schutzgöttin erkoren hatte (schon davor gab Sulla mit seiner Venus Felix die Richtung vor), einen besonderen Coup, indem er die Stammmutter aller Römer, eine entsprechende ältere legendenhafte Überlieferung aufgreifend, kurzerhand auch als Stammmutter des eigenen Geschlechtes der Iulier propagierte. Diese waghalsige genealogische Herleitung verdankte er dem latinischen Namen von Aeneas’ Sohn Ascanius, den die Römer Iullus nannten, und der wiederum als Stammvater der Iulier galt. Nicht von ungefähr weihte Caesar gerade dieser Göttin sein neues Forum, auf dem ihr Tempel den Platz dominierte. Auch Augustus verzichtete trotz seiner ansonsten unter strengster Beachtung republikanischer Gepflogenheiten so ostentativ zur Schau getragenen neuen Bescheidenheit nicht auf dieses besondere propagandistische Pfund, mit dem es sich vortrefflich wuchern ließ. Die mit der Venus Genetrix verbundene Ideologie einer göttergewollten Sonderstellung der Iulier gehörte fortan zu den Grundpfeilern kaiserlicher Propaganda. Vor diesem Hintergrund bot sich die Göttin als ideale Darstellungsform für die Augustae des Kaiserhauses an, da daraus gleich zweimal ideologisches Kapital zu schlagen war. Zum einen ließ sich die jeweilige Kaiserin metaphorisch als Übermutter aller Römer und zum anderen in genealogischer Sicht über ihre Kinder als Garantin des Fortbestandes der Dynastie, folglich als eine Stammmutter in doppeltem Sinn, feiern. Darüber hinaus gab es eine ganze Reihe weiterer Darstellungsmöglichkeiten kaiserlicher Frauen. Annetta Alexandridis unterscheidet diverse Grundformen wie: Matronae, Pietas-Bilder (Orans), Fruchtbarkeits- und Muttergottheiten, Venus, Göttinnen der Fülle und des Glücks sowie militärische Gottheiten. Neben Einzelfiguren sind auch entsprechende Paarbildungen mit dem jeweiligen kaiserlichen Gatten oder Statuen im Kontext von Familiengruppen belegt. Die Schülerinnen und Schüler können sich diese Vielfalt leicht selbst durch eine Recherche in der numismatischen Datenbank https://www.numid. online/home erschließen. Die Reversdarstellungen der sog. Damenprägungen zeigen eine Vielzahl unterschiedlicher Göttinnen und weiblicher Personifikationen, die jeweils als inhaltliche Ergänzung (idealtypische präfigurative Verkörperung) zu der auf der Vorderseite abgebildeten Kaiserin zu verstehen sind. Die grundsätzliche Bedeutung virtueller Körper als positiv besetzte Projektionsflächen wird nochmals besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie die realen Körper in der antiken Literatur dargestellt worden sind. Zusätzlich zu den genannten Textstellen bei Sueton lohnt beispielsweise ein Blick auf Claudius’ dritte Gattin Valeria Messalina
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(20–48 n. Chr.). Die spätere negative Geschichtsschreibung hat sich geradezu auf ihren Körper gestürzt und ihn zum Ziel schlimmster Häme gemacht, indem sie sich in ausführlichen Schilderungen der angeblichen sexuellen Exzesse der Kaiserin erging (Iuvenal, 6. Satire 115–132; Plinius, Naturalis historia 10, 83, 172; Tacitus, Annales 11, 1–3. 11, 26–38. 11, 29, 1. 13, 32, 3. 13, 43, 2. 14, 63, 2; Sueton, Claudius 29, 1. 37, 2). Dabei spielte ihr »reales« Äußeres eine wichtige Rolle, insofern es als Spiegel ihrer vermeintlichen Verderbtheit in diskreditierender Weise missbraucht werden konnte. Erwachsenen Schülerinnen und Schülern kann an dieser Stelle ein selbst zu recherchierender Exkurs zu den zahlreichen Messalina-Filmen zugemutet werden. Wegen ihrer zum Teil pornographischen Inhalte sollte man dabei jedoch tunlichst nicht nur auf das Alter (Freigabe erst ab 18 Jahren), sondern ebenso auf die persönliche Reife der Schülerinnen und Schüler achten. Aber auch anhand weniger jugendgefährdender Filmsequenzen (YouTube) lässt sich die in allen Fällen eindeutig pejorativ gemeinte körperliche Inszenierung der kaiserlichen meretrix in besonders eindrücklicher und zudem recht unterhaltender Weise erläutern. Im krassen Gegensatz hierzu ist die Darstellung der Antonia Minor als Venus Genetrix aus Baiae als positives Idealbild konzipiert, für die über das oben Gesagte hinaus noch ein weiterer Punkt gilt. Die Statue kann sowohl wegen ihrer stilistischen Machart als auch wegen des Fundkontextes eindeutig der Regierungszeit des Kaisers Claudius zugewiesen werden. Dieser Herrscher hatte ein besonderes Interesse an seiner leiblichen Mutter, die in seiner prekären Legitimation bei Herrschaftsantritt (Sueton, Claudius 2–6 und 8–9) begründet lag, auf die bereits oben hingewiesen wurde. Denn das Fehlen einer eigenen Adoption in die iulische Herrscherfamilie ließ sich durch die Mutter vortrefflich ausgleichen, war sie doch durch ihre Mutter Octavia, der Schwester des Augustus, mit diesem blutsverwandt. Diese direkte leibliche Abstammung ist in legitimatorischer Hinsicht von großem Wert gewesen. Schon aus gleichen Gründen hatte Claudius’ Neffe und Vorgänger Caligula die kaiserliche Großmutter öffentlich geehrt. Es lag für Claudius also nahe, über seine Mutter die persönlichen Beziehungen zum ersten, nach wie vor hoch verehrten Princeps herauszustellen, und sie entsprechend als Venus Genetrix darstellen zu lassen. Dass diese Analyse zutreffend ist, zeigt ebenso der Fundkontext der Statue. Sie stand mit Figuren anderer Familienmitglieder – eindeutig nachgewiesen ist des Claudius kleine Tochter Claudia Octavia als Psyche dargestellt – sowie Götterfiguren in Nischen einer unterirdischen Grotte, die vom Meer aus über einen kleinen Kanal direkt per Schiff erreichbar war und an heißen Tagen vortrefflich als abendlich-nächtlicher Gelageraum (sog. Sommertriklinium) diente, wo die kühle Brise vom Meer und die natürliche Kälte einer Höhle für die notwendige angenehme Temperierung sorgten. In der abschließenden Apsis konnten die Festgäste zudem eine mehrfigurige marmorne Gruppe bewundern, die die Blendung des Polyphem durch Odysseus und seine Gefährten zeigte. Die Skulpturenausstattung dürfte zusammen mit dem einstmals erlesenen Mobiliar, dem Geschirr aus Edelmetall und den
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reichen Stoffen sowie Draperien gerade bei Fackelschein einen unvergleichlichen Eindruck auf die Tischgesellschaft hinterlassen haben. Der Kaiser erschien dabei wie ein Wesen aus einer anderen, höheren, geradezu göttlichen Welt. Schon Tiberius hatte eine Vorliebe für Odysseus gehabt. Zu seiner am Meer liegenden Villa bei Sperlonga mit direktem Blick auf die vermeintliche Insel der Kirke gehörte als Kulisse für die kaiserlichen Gelage ein noch grandioses Höhlenensemble mit verschiedenen Marmorgruppen, die gleich mehrere Odysseus-Abenteuer illustrierten (s. unten Kapitel 8 mit Abb. 44). Die Vorliebe für diesen homerischen Helden wird in der Forschung meist mit einer allerdings aus den Quellen nicht unzweifelhaft zu belegenden, angeblich angemaßten Abkunft der Claudier von Odysseus erklärt. Solche genealogischen Spitzfindigkeiten waren innerhalb der politischen Konkurrenz der führenden Familien gerade zur Zeit der späten Republik zwar absolut üblich, doch genügt es wohl als Erklärung für die Bezugnahme durch Tiberius und Claudius auf Odysseus, dass dieser auch sonst ein hervorragendes Paradigma herrscherlicher Tugenden wie Tapferkeit und Klugheit darstellte. In diesem Sinn hatte Augustus in einem Brief, dabei einen Vers aus der Ilias (10, 246–247) zitierend, seinen Stiefsohn Tiberius rühmend mit Odysseus verglichen, was uns Sueton überliefert (Tiberius 21, 6). Beide Herrscher konnten eine Kenntnis dieser Interpretationsmuster bei ihren Gästen voraussetzen. Mythische Inszenierungen gehörten zum Standardrepertoire römisch-elitärer Selbstdarstellung. In diesen Rahmen fügt sich die Statue der Kaisermutter bestens ein. Sie unterstreicht durch ihre Einbettung in einen ganzen Zyklus weiterer Figuren, zu denen auch Götterbilder gehörten, die herausgehobene Stellung des Sohnes. Mit ihrer Repräsentation als Venus Genetrix ist sie Teil eines metaphorischen Sprechens über die kaiserliche Familie, deren herausgehobener Rang durch den bildhaften Vergleich mit Göttern und Heroen visuell greifbar wird, welcher wiederum ein wichtiger Bestandteil der zeitgenössischen Panegyrik war. Die nach göttlichen Vorbildern gefertigten Körper fungierten dabei gleichsam als fremdsprachliche Zitate, deren Inhalts- und Anspielungsreichtum sich damals nicht nur den spezifisch Gebildeten sofort erschlossen. Die heutigen Rezipienten freilich müssen größere Mühen aufwenden, wollen sie die repräsentative Bildsprache der kaiserlichen Propagandakunst entschlüsseln. Im Fall der in diesem Kapitel behandelten Bildnisse wird man in Abwandlung des bereits zitierten Ausspruches von Marivaux zusammenfassend wohl mit Recht sagen dürfen, dass die kaiserlichen Porträts hintergründig betrachtet Masken der Macht darstellen, bei deren Gestaltung es auf jedes noch so kleine physiognomische wie mimische Detail ankam, auch wenn sie vordergründig gesehen den Anschein erwecken, nicht mehr als bloße Gesichter sein zu wollen. Charakterbilder im Sinn einer von den Künstlern erfassten und schonungslos offenbarten inneren Wesensart sind sie jedenfalls definitiv ebenso wenig gewesen wie mehr oder minder mechanisch hergestellte, veristische Abbilder einer wie auch immer gearteten physischen Realität.
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In eine Unterrichtseinheit zu den Porträts der römischen Kaiser und Kaiserinnen lässt sich am besten mit Textstellen eines ansonsten nicht unbedingt zum schulischen Lektüre kanon gehörenden Schriftstellers einsteigen, der jedoch ausgesprochen aussagekräftige Passagen bietet. Die Rede ist von Sueton, dessen Biographien der ersten zwölf römischen Caesares aus den beiden Dynastien der Iulier-Claudier und Flavier (Gaius Iulius Caesar, Augustus, Tiberius, Gaius Caesar/Caligula, Claudius, Nero, Galba, Otho, Vitellius, Vespasian, Titus und Domitian) eine wichtige Quelle für die Rekonstruktion der Geschichte der frühen römischen Kaiserzeit darstellen. Zudem sind die Kaiserbiographien im Kontext der Autoren, die zu ihrer Zeit gelebt haben, durchaus von Interesse, so die AugustusBiographie bei der Horaz-, Livius-, Ovid- oder Vergil-Lektüre und die Nero-Biographie bei der Seneca- oder Petronius-Lektüre. Durch die Lektüre entsprechender Textpassagen (s. hierzu unten) wird Verschiedenes deutlich. So fällt auf, dass Sueton großen Wert auf die Schilderung körperlicher Makel und insbesondere individueller Körpermerkmale legt. Allein Letzteres steht schon im krassen Gegensatz zu den Kaiserstatuen, die in keinem Fall den tatsächlichen Körper des Dargestellten zeigen. Dass Sueton es überhaupt für notwendig erachtet, in jeder seiner zwölf Kaiserbiographien mehr oder minder ausführlich auf das vermeintlich reale Aussehen der jeweiligen Herrscher einzugehen, indem er topisch geradezu lustvoll das Unschöne als Indiz des Authentischen herausstreicht, lässt erkennen, wie sehr es ihm und seinen Zeitgenossen bewusst gewesen sein muss, dass die zu Tausenden im römischen Reich sichtbaren Kaiserbildnisse nicht die Realität abbildeten. Das soll freilich nicht bedeuten, dass seine Schilderungen objektiv und über jeden Zweifel erhaben sind. Auch und gerade eine literarische Gestaltung kann bewusst verfälschend sein. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Sueton seine eigenen Beschreibungen des jeweiligen kaiserlichen Äußeren sicherlich weggelassen hätte, wenn seinem Publikum die Kaiserbildnisse ein untrügliches Zeugnis gewesen wären. Denn dann und nur dann stellte ein Vergleich, zu dem Sueton ja implizit auffordert, ein sinnloses Unterfangen dar. Durch die sichere Gewissheit aber, dass die Betrachter der Porträts sehr wohl um deren typenhaftes Konstruktionspotential wussten, erschien es dem Literaten reizvoll und gewinnbringend, mit diesem Unterschied zwischen künstlerischer Fiktion und Realität zu spielen. Auf dieses besondere Spannungsverhältnis wird im Folgenden näher einzugehen sein. Das Thema »Römische Kaiserporträts« eignet sich im Grunde genommen für alle Altersstufen des Lateinunterrichts, da wohl sämtliche Lateinlehrbücher zumindest ein Kaiserporträt abbilden, wobei die Herangehensweise und der intellektuelle Anspruch jeweils sehr unterschiedlich zu bemessen sind. Meist wird Kaiser Augustus, häufig in Gestalt der Panzerstatue aus der Villa seiner Gattin Livia bei Primaporta vor den Toren Roms, präsentiert. Dies geschieht in der Regel ohne jegliche kritische Stellungnahme zur medialen Qualität des Bildnisses. Hier kann man sehr gut bereits in der Vorlektürephase
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ansetzen. Auch Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I ist es zuzumuten, über wichtige Grundfragen des Zeugniswertes derartiger Bilder zu reflektieren, wenn auch in stark vereinfachter Weise. In dieser Altersgruppe genügt es vollkommen, dass die Schülerinnen und Schüler animiert werden, darüber nachzudenken, ob die so realistisch aussehenden Porträts tatsächlich das reale Aussehen der dargestellten Kaiser zeigen. Zu diesem Zweck könnten folgende Arbeitsaufträge erteilt werden:
Arbeitsaufträge – Augustus (Sek. I) 1. Ermittle die Lebensdaten des Augustus durch Recherche im Internet und rechne aus, wie alt Augustus war, als er starb. 2. Suche im Internet nach Porträts des Kaisers oder betrachte die von der Lehrkraft mitgebrachten Bilder und versuche an diesen das jeweils dargestellte Alter zu ermitteln.
Wenn die Schülerinnen und Schüler auf diese Weise herausgefunden haben, dass es keine Darstellungen des Kaisers gibt, die ihn als über 60- oder gar 70-jährigen Mann abbilden, könnte die Lehrkraft am Beispiel des Actium-/Octavians-Typus exemplarisch zeigen, wie mittels der physiognomischen und mimischen Details politische Aussagen formuliert worden sind. Auch die Jüngeren dürften die Ähnlichkeit zum Caesar-Porträt und die entschlossene Mimik sowie die wilden Haare erkennen. Für eine Bearbeitung in der Sekundarstufe II bietet es sich an, die Informationen, die Sueton in seinen Biographien zum tatsächlichen Aussehen der Kaiser gibt, mit ausgewählten erhaltenen Porträts zu vergleichen. In diesen fortgeschrittenen Lerngruppen wird der Zugang zu den Bildnissen leichter fallen als in der Sekundarstufe I, dennoch ist auch hier die Konzentration auf wenige Beispiele sinnvoll, an denen paradigmatisch die interpretatorischen Grundmuster erarbeitet werden können. Bei den Bildnissen wird daher bei den folgenden Arbeitsaufträgen exemplarisch das Augustus-Bildnis ins Zentrum gestellt. Für die konkrete Unterrichtsphase wird dann zwar in der Regel nur Augustus oder Nero von unmittelbarer Relevanz sein; trotzdem empfiehlt es sich – zumindest im Textbereich der Unterrichtsreihe – beide Herrscher einzubeziehen, um mit der Beschreibung des Aussehens zweier Kaiser (wie es zumindest Sueton überliefert) eine solidere Basis für die darauffolgende kritische Betrachtung der Bildnisse zu liefern. Für die Bearbeitung der folgenden Arbeitsaufträge müssen den Schülerinnen und Schülern die Abbildungen 17–19 und 22 zur Verfügung gestellt werden.
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Arbeitsaufträge – Augustus und Nero (Sek. II) 1. Lesen Sie die Texte zum Aussehen von Augustus und Nero, wie es C. Suetonius Tranquillus, der Biograph römischer Kaiser (70–? n. Chr.) überliefert. Stellen Sie dann die speziellen körperlichen Merkmale der beiden Kaiser und ggf. die Deutung bzw. Wirkung zusammen, die Sueton jeweils anführt. 2. Fassen Sie in eigenen Worten zusammen, welches Erscheinungsbild die Kaiser nach Sueton boten.
Augustus 79 Forma fuit eximia et per omnes aetatis
gradus venustissima, quamquam et omnis lenocinii neglegens; in capite comendo tam incuriosus, ut raptim compluribus simul tonsoribus operam daret ac modo tonderet modo raderet barbam eoque ipso tempore aut legeret aliquid aut etiam scriberet. Vultu erat vel in sermone vel tacitus adeo tranquillo serenoque, ut quidam e primoribus Galliarum confessus sit inter suos, eo se inhibitum ac remollitum quo minus, ut destinarat, in transitu Alpium per simulationem conloquii propius admissus in praecipitium propelleret. Oculos habuit claros ac nitidos, quibus etiam existimari volebat inesse quiddam divini vigoris, gaudebatque, si qui sibi acrius contuenti quasi ad fulgorem solis vultum summitteret; sed in senecta sinistro minus vidit; dentes raros et exiguos et scabros; capillum leviter inflexum et subflavum; supercilia coniuncta; mediocres aures; nasum et a summo eminentiorem et ab imo deductiorem; colorem inter aquilum candidumque; staturam brevem – quam tamen Iulius Marathus libertus et a memoria eius quinque pedum et dodrantis fuisse tradit, – sed quae commoditate et aequitate membrorum occuleretur, ut non nisi ex comparatione astantis alicuius procerioris intellegi posset.
79 Seine Gestalt war besonders schön und über alle Al-
tersstufen hinweg äußerst anmutig, obwohl er jeglicher kosmetischer Verschönerungsmaßen keinerlei Bedeutung beimaß; beim Ordnen der Frisur war er so gleichgültig, dass er die Aufgabe zur schnellen Erledigung zugleich an mehrere Friseure gab und den Bart zum einen scheren und zum anderen rasieren ließ und zur selben Zeit entweder etwas las oder auch schrieb. Sein Gesichtsausdruck war im Gespräch oder auch, wenn er schwieg, so gelassen und heiter, dass einer aus der Führungsriege Galliens unter seinen Leuten eingestanden habe, er sei gehemmt und freundlich gestimmt worden, dass er ihn nicht, wie er beschlossen hatte, in den Abgrund gestürzt habe, als er beim Übergang über die Alpen unter dem Vorwand eines Gespräches ziemlich nahe an ihn herangelassen worden war. Seine Augen waren hell und strahlend, und er mochte es, dass man glaubte, in ihnen sei irgendeine göttliche Kraft, und er freute sich, wenn jemand, den er ziemlich intensiv anblickte, wie bei einem Sonnenstrahl den Blick senkte, aber im Alter sah er mit dem linken Auge weniger. Die Zähne standen weit auseinander und waren klein und in schlechtem Zustand, das Haar leicht gewellt und fast blond; die Augenbrauen verbunden; mittelgroß die Ohren; die Nase oben etwas herausragend und unten etwas zurückgesetzt, die Farbe zwischen dunkelbraun und weiß, seine Statur war kurz, sein Freigelassener Julius Marathus überliefert dennoch aus der Erinnerung, dass er 5 ¾ Fuß groß gewesen sei – was aber durch Ebenmaß und Gleichmäßigkeit der Glieder verborgen wurde, so dass es nur im Vergleich mit jemandem, der neben ihm stand und länger gestreckt war, bemerkt werden konnte.
80 80 Corpore traditur maculoso dispersis
per pectus atque alvum genetivis notis in modum et ordinem ac numerum stellarum caelestis ursae, sed et callis quibusdam ex prurigine corporis adsiduoque et vehementi strigilis usu plurifariam concretis ad impetiginis formam. Coxendice et femore et crure sinistro non perinde valebat, ut saepe etiam inclaudicaret; sed remedio harenarum atque harundinum confirmabatur. Dextrae quoque manus digitum salutarem tam imbecillum interdum sentiebat, ut torpentem contractumque frigore vix cornei circuli supplemento scripturae admoveret. Questus est et de vesica, cuius dolore calculis demum per urinam eiectis levabatur.
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80 Es wird überliefert, dass er einen durch angeborene
Male, die über Brust und Bauch – in Form, Anordnung und Zahl des Sternbildes des himmlischen Bären – verstreut waren, fleckigen Körper gehabt habe, aber auch durch einige Narben, die infolge des Juckens am Körper durch den ständigen und heftigen Gebrauch der Körperbürste in der vielfältigen Art von Ausschlag entstanden waren. An seinem Hüftbein, Oberschenkel und linken Unterschenkel war er nicht auf gleiche Weise stark (wie rechts), so dass er oft sogar hinkte; aber durch das Heilmittel Sandbäder und Schilfwickel wurden sie gestärkt. Auch spürte er oft den schwachen Zeigefinger der rechten Hand, so dass er den gelähmten und durch die Kälte gekrümmten (Finger) kaum mit Hilfe eines Ringes aus Horn zum Schreiben bewegen konnte. Er beklagte sich auch über seine Blase, von deren Schmerzen er schließlich erleichtert wurde, wenn die Steinchen endlich durch den Urin ausgeworfen worden waren.
Nero 51 Statura fuit prope iusta, corpore
maculoso et fetido, subflavo capillo, vultu pulchro magis quam venusto, oculis caesis et hebetioribus, cervice obesa, ventre proiecto, gracillimis cruribus, valitudine prospera; nam qui luxuriae immoderatissimae esset, ter omnino per quattuordecim annos languit, atque ita ut neque vino neque consuetudine reliqua abstineret; circa cultum habitumque adeo pudendus, ut comam semper in gradus formatam peregrinatione Achaica etiam pone verticem summiserit ac plerumque synthesinam indutus ligato circum collum sudario in publicum sine cinctu et discalciatus.
51 Seine Gestalt war fast normal groß, er hatte einen
fleckigen und übel riechenden Körper, sein Haar war hellblond, sein Gesicht eher schön als liebenswert, seine Augen blaugrau und ziemlich dumpf, der Nacken fett, der Bauch vorgestreckt, die Schenkel sehr mager, seine Gesundheit gut; denn er, der von maßlosester Genusssucht war, war im Ganzen dreimal in 14 Jahren krank, und so, dass er weder auf Wein noch auf seine übrigen Gewohnheiten verzichtete; in Bezug auf seine Körperpflege und sein Äußeres war er schamlos, so dass er das immer in Stufen gelegte Haar infolge seines Aufenthaltes in Griechenland hinter dem Scheitelpunkt des Kopfes lang wachsen ließ und (so dass er) oft nur mit einem leichten Hauskleid angezogen und mit einem um den Hals geschlungenen Schweißtuch in die Öffentlichkeit ging, ohne Gürtung und ohne Schuhe.
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3. Im Folgenden konzentrieren wir uns auf das Augustus-Porträt: Betrachten Sie die Bildnisse des Augustus genau und vergleichen Sie sie miteinander. Arbeiten Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus. Achten Sie dabei vor allem auch auf die Frisur und den Gesichtsausdruck des Augustus. 4. Suchen Sie auch nach Kriterien, mit denen man das in den erhaltenen Bildnissen dargestellte Alter des Augustus genauer bestimmen könnte. 5. Kehren Sie nun noch einmal zum Sueton-Text zurück und unterstreichen Sie in Ihrer Zusammenstellung der körperlichen Merkmale, die Sie in Aufgabe 1 vorgenommen haben, die von Sueton beschriebenen Charakteristika, und prüfen Sie, ob sich diese an den Bildnissen des Augustus konkret belegen lasen.
Nachdem die Schülerinnen und Schüler durch Lösung der Aufgaben erarbeitet haben werden, dass Augustus in Grundzügen immer ähnlich »schön« und ohne jeden Makel dargestellt wurde und auch bei keinem der betrachteten Bildnisse Anzeichen für ein höheres Alter auszumachen sind, muss nun die Lehrkraft im Unterrichtsgespräch die Hintergründe erläutern: Die Schülerinnen und Schüler sind mit dem seriellen Herstellungsprozess und damit vertraut zu machen, dass es verschiedene Grundtypen von Bildnissen des Augustus gibt. In diesem Zusammenhang sollte die Lehrkraft auch kurz über den Herstellungsprozess römischer Kaiserporträts informieren und erklären, was man in der archäologischen Forschung unter dem Begriff »Typus« versteht. Wenn insgesamt herausgearbeitet worden ist, dass es sich bei den Bildnissen römischer Kaiser nicht um Porträts in unserem Sinne handelt, sondern um idealisierte Darstellungen, dann können durch die Lehrkraft einige weitere der oben behandelten Beispiele referiert und deren inhaltliche Implikationen näher erläutert werden. Dabei eignen sich die Körperbilder besonders, da hier auch Aspekte des modernen »Posing« zum Tragen kommen. Insbesondere könnten hier die oben besprochenen Statuen der Frauen des kaiserlichen Hauses mit ihrer allegorischen Überhöhung einbezogen werden. Und schließlich kann als Abschluss noch eine kleine kreative Unterrichtsphase angeschlossen werden, in denen die Schülerinnen und Schüler nach Stereotypen in Fotos aktueller Politikerinnen und Politiker, Sportlerinnen und Sportler sowie sonstiger Stars suchen und die beabsichtigten Aussagen der Posen, Gesten, Mimiken, Frisuren, und Kleidungsstile interpretieren. In diesem Zusammenhang könnten die Schülerinnen und Schüler als zusätzliche Aufgabe recherchieren, wie sich während der Corona-Ausgangsbeschränkungen verschiedene Stars und Politiker aus dem Home-Office präsentierten, und dies mit deren gestylten Selbstdarstellungen auf Instagram etc. vergleichen (s. z. B. auch unter Instagram vs. Reality). Sie
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können aber auch – eventuell sogar zusätzlich – Fotos von sich selbst mit den heutigen Mitteln diverser Bildbearbeitungsprogramme respektive Apps in Idealporträts verwandeln. Dabei sollten die Schülerinnen und Schüler verbalisieren, welchen Eindruck sie durch die Veränderungen von sich vermitteln wollen und welchen Vorbildern sie dabei folgen, um das dann noch einmal mit den Kaiserporträts zu vergleichen. Daraus ergäbe sich eine kritische Reflektion über den vermeintlichen »Wahrheitsgehalt« von Bildnissen und deren Instrumentalisierung als Träger von ideologisch-stereotypen Botschaften jedweder Art. Literaturhinweise: Allgemein: Lahusen, Götz, Untersuchungen zur Ehrenstatue in Rom. Literarische und epigraphische Zeugnisse, Archaeologica 35 (Rom 1983); Fejfer, Jane, Roman Portraits in Context, Image & Context 2 (Berlin – New York 2008); Lahusen, Götz, Römische Bildnisse – Auftraggeber, Funktionen, Standorte (Darmstadt 2010); Knauß, Florian S. – Gliwitzky, Christian (Hrsg.), Charakterköpfe. Griechen und Römer im Porträt, Katalog Ausstellung München Glyptothek (München 2017); http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/uni/d; http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/uni/e (jeweils mit weiteren Sublinks). Römisches Kaiserporträt: Reihe »Das römische Herrscherbild«, im Auftrag des Deutschen Archäologischen Instituts herausgegeben von Fittschen, Klaus – Hölscher, Tonio – Zanker, Paul (mehrere Bände); Pekáry, Thomas, Das römische Kaiserbildnis in Staat, Kunst und Gesellschaft dargestellt anhand der Schriftquellen, Das römische Herrscherbild III 5 (Berlin 1985); Bergmann, Marianne, Marc Aurel, Liebighaus-Monographie 2 (2. Auflage Frankfurt 1988 = sehr gute, knappe Einführung); Radnoti-Alföldi, Maria, Bild und Bildersprache der römischen Kaiser (Mainz 1999); Gebauer, Jörg, Vom Princeps zum Kaiser und Gott. Bildnisse der frühen Kaiserzeit, in Knauß – Gliwitzky, Charakterköpfe a. a. O. S. 142–201. Augustus-Porträts: Vierneisel, Klaus – Zanker, Paul (Hrsg.), Die Bildnisse des Augustus: Herrscherbild und Politik im kaiserlichen Rom, Sonderausstellung der Glyptothek und des Museums für Abgüsse Klassischer Bildwerke, München (München 1979); Boschung, Dietrich, Die Bildnisse des Augustus, Das Römische Herrscherbild I 2 (Berlin 1993). Wirkung der Augustus-Porträts: Zanker, Paul, Prinzipat und Herrscherbild, Gymnasium 86, 1979, S. 353– 368; Ders., Herrscherbild und Zeitgesicht, Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin 31, 1982, S. 307–312; Massner, Anne-Kathrein, Bildnisangleichung. Untersuchungen zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Augustusporträts (43 v. Chr.–68 n. Chr.), Das römische Herrscherbild IV (Berlin 1982); Zanker, Paul, Provinzielle Kaiserporträts. Zur Rezeption der Selbstdarstellung des Kaisers (München 1983). Symbolwert klassischer Formzitate: Zanker, Paul, Augustus und die Macht der Bilder (München 1987) S. 248–252. 259–261; Ders., Klassizismus und Archaismus. Formensprache der neuen Kultur, in: Kaiser Augustus und die verlorene Republik, Katalog Ausstellung Berlin (Mainz 1988) S 622–635; Lahusen, Götz, Polyklet und Augustus. Zur Rezeption polykletischer Gestaltungsmuster in der römischen Bildniskunst, in: Polyklet. Der Bildhauer der griechischen Klassik, Katalog zur Ausstellung im Liebighaus Frankfurt (Frankfurt 1990) S. 393–396. Alexander als Vorbild: Hölscher, Tonio, Ideal und Wirklichkeit in den Bildnissen Alexanders des Großen (Heidelberg 1971); Ders., Herrschaft und Lebensalter – Alexander der Große: Politisches Image und
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Gemma Augustea: S. Literaturhinweis in Kapitel 3. Ehrenkränze: Rumscheid, Jutta, Kranz und Krone. Zu Insignien, Siegespreisen und Ehrenzeichen der römischen Kaiserzeit, Istanbuler Forschungen 43 (Tübingen 2000); Bergmann, Birgit, Der Kranz des Kaisers. Genese und Bedeutung einer römischen Insignie (Berlin/New York 2010). Kameo der Iulia Domna: Megow, Wolf-Rüdiger, Kameen von Augustus bis Alexander Severus, Antike Münzen und Geschnittene Steine 11 (Berlin 1987) S. 270–271. Katalog-Nr. B 52 Taf. 46, 8. Gemma Claudia: Zwierlein-Diehl, Erika, Magie der Steine – Die antiken Prunkkameen im kunsthistorischen Museum (Wien 2008) S. 158–165. 308–316 Nr. 13. Statuentypen römischer Kaiserinnen: Kruse, Hans-Joachim, Römische weibliche Gewandstatuen des zweiten Jahrhunderts n. Chr., Dissertation Göttingen 1969 (Göttingen 1975); Scholz, Birgit Ingrid, Untersuchungen zur Tracht der römischen Matrona, Arbeiten zur Archäologie 5 (Köln 1992); Wood, Susan E., Imperial Women. A Study in Public Images 40 B. C. – A. D. 68, Mnemosyne, Supplementa 194 (Leiden 1999); Alexandridis, Annetta, Von Livia bis Iulia Domna. Die Frauen des römischen Kaiserhauses in statuarischer und numismatischer Überlieferung (Mainz 2002); Schade, Kathrin, Frauen in der Spätantike – Status und Repräsentation. Eine Untersuchung zur römischen und frühbyzantinischen Bildniskunst (Mainz 2003). Statue der Antonia Minor aus Baiae: Alexandridis, Annetta a. a. O. S. 138–139 Kat.-Nr. 54 (mit weiterer Lit.). S. 256 (zum Statuentypus). Messalina: Wood, Susan, Messalina, Wife of Claudius. Propaganda Successes and Failures of his Reign, Journal of Roman Archaeology 5, 1992, S. 219–234. Digitale schulische Lehreinheiten zum Kaiserporträt (VIAMUS Uni Göttingen): http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/schule/ue/05 (Allgemein) http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/schule/ue/05/01 (Prägung und Vervielfältigung eines offiziellen Porträts) http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/schule/ue/05/02 (Jugendlichkeit als Programm) http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/schule/ue/05/03 (Augustus und das Zeitgesicht der Epoche) http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/schule/ue/05/04 (Das goldene Zeitalter) http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/schule/ue/05/05 (Porträt in Literatur und bildender Kunst) http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/schule/ue/05/06 (Augustus und Livia – ein Herrscherpaar neuen Stils) http://viamus.uni-goettingen.de/fr/e/schule/ue/05/07 (Herrscher und Gott – domus divina)
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Ovid, Livius, Vergil Die politischen Denkmäler und Bildnisse Roms entfalteten ihre volle propagandistische Wirkung im öffentlichen Raum der Stadt. Schon in der Königszeit war es spätestens mit der Übernahme urbaner Modelle der Etrusker zu einer funktionalen Ausdifferenzierung der Stadtlandschaft gekommen. Fortan gab es klar definierte Bereiche des Wohnens, des Götterkultes, des wirtschaftlichen und politischen Interagierens sowie extra muros den der Toten. Architektonisch fand diese Teilung ihren Niederschlag in Raum- und Gebäudetypen wie domus, templum et aedis, forum und den Nekropolen bzw. Gräberstraßen. Neben der Beeinflussung durch die etruskische Kultur gewann seit dem 5./4. Jh. v. Chr. zusehends die der Griechen an Einfluss. Sind es zu Anfang vor allem die Kontakte zu den griechischen Koloniestädten in Unteritalien und auf Sizilien (sog. Magna Graecia) gewesen, aus denen Ideen und auch Künstler nach Rom gelangten, die wichtige urbanistische Neuerungen mit sich brachten, so setzte vor allem mit dem politisch-militärischen Engagement der Römer in den hellenistischen Monarchien Griechenlands sowie Kleinasiens ab dem 3. Jh. v. Chr. eine neue und weitaus stärkere Form der Hellenisierung ein. Träger dieses enormen Kulturwandels waren insbesondere die römischen nobiles, die gemeinsam mit ihren Soldaten ein Reich nach dem anderen eroberten. Die Masse an Beute, die dabei in die Stadt am Tiber strömte, bildete die materielle Grundlage für den neuen Reichtum und stellte gewissermaßen die kulturellen Vorbilder für die tiefgreifenden strukturellen Veränderungen bereit. Aber nicht nur Dinge, sondern fortan auch Menschen aus aller Herren Länder gelangten ins caput mundi, dessen Anziehungskraft enorm wirkte. Während die ehemaligen hellenistischen Königsmetropolen zunehmend an Einfluss einbüßten, blühte die neue Herrin der Welt auf. Hier war bald das Kapital für einen ungeheuren Bau- und Ausstattungsboom versammelt, das andernorts mehr und mehr fehlte. Es verwundert daher nicht, dass spezialisierte Künstler und Handwerker, die zu Beginn nur gezwungenermaßen als Gefangene gekommen waren, nun höchst freiwillig den jetzt finanziell potenten römischen Auftraggebern gleichsam die Türen einrannten; und in der Tat gab es ausreichend zu tun. Die aus dem Osten reich mit Beute beladen zurückkehrenden Feldherren investierten dieses Kapital in neue Formen der politischen Selbstdarstellung (s. Kapitel 2). In den grie-
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chischen Städten und Reichen hatten sie eine im Vergleich zu ihrem gewohnten Umfeld ungleich feinere und luxuriösere Kultur kennengelernt. Die dortigen Städte und Heiligtümer prunkten mit marmornen Bauten sowie Bildwerken aller Formate, Formen und Materialien. Ihre eigene Stadt musste den Römern dagegen direkt ärmlich vorkommen. Es klaffte eine riesige Lücke zwischen der militärisch-politischen Macht der Stadt am Tiber und ihres materiellen Erscheinungsbildes. Da politisches »Ansehen« in der damaligen Welt aber engstens mit »Aussehen« verknüpft war, empfanden nicht wenige Senatoren dies als Manko, das es schnellstens zu beheben galt. Zudem verknüpften viele römische Politiker ihr Bemühen um die Ausschmückung Roms mit höchst persönlichen Ambitionen. In Griechenland waren sie häufiger mit monarchischen Strukturen in Berührung gekommen und hatten gesehen, mit welcher Macht man dort dauerhaft erfolgreiche Männer ausstattete, die zudem eine vielfach göttergleiche Stellung für sich beanspruchten. Das konnte auf Dauer nicht gutgehen und sprengte zusehends die eingeübten politischen Formen und Normen der alten res publica. Annuität und Kollegialität als Grundpfeiler senatorisch-magistratischer Amtsführung gerieten zunehmend ins Wanken. Die Gier nach immer größeren Amtsbefugnissen sowie längeren Amtszeiten schürte die Gewaltbereitschaft untereinander und führte schließlich in die Katastrophe der römischen Bürgerkriege, die letztlich ein Kampf mehr oder minder militärisch erfolgreicher Männer um die Alleinherrschaft nach hellenistischem Vorbild waren. In architektonisch-urbanistischer Hinsicht materialisierte sich diese Konkurrenz im öffentlichen Raum in neuen griechischen Architekturformen. Nicht nur der altrömische Tempel des etruskisch-italischen Typs mit hohem Podium, hölzernen Säulen und Terrakottaschmuck erfuhr eine tiefgreifende Veränderung – nach griechischem Vorbild begann man jetzt vermehrt in Stein, darunter importierter Marmor aus Griechenland, zu bauen und übernahm von dort stammende Tempeltypen, Säulen- und Kapitellformen u. a. m. –, sondern es wurden bis dahin auch gänzlich unbekannte Bauwerke errichtet. An erster Stelle muss in diesem Zusammenhang die sog. basilica genannt werden, die schon wegen ihres Namens (gr. Königshalle) ein griechischer Import sein muss, auch wenn bislang in den hellenistischen Städten kein einziges vorrömisches Beispiel archäologisch nachweisbar ist. Selbst der sich ansonsten so überaus streng altväterlich-römisch gebende Cato der Ältere stiftete auf dem Forum Romanum eine nach seinem nomen gentile benannte Basilica Porcia. Aber auch in der Platzgestaltung ging man neue Wege und adaptierte damals hoch aktuelle griechische Muster. Im Gegensatz zu den bisher weitgehend nur unregelmäßig bebauten Heiligtümern und Forumsanlagen, bei denen die einzelnen Bauwerke mehr oder minder unter Beachtung natürlicher Geländegegebenheiten frei platziert worden sind, entstanden jetzt regelmäßige Raumeinheiten, die an den Seiten von Säulenhallen (gr. stoai, lat. porticus) eingefasst wurden, und deren weitere Bauten über klare Achsenbezüge sowie Symmetrien verfügten.
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Da die alten Zentren Roms – das Forum Romanum und die innerstädtischen Heiligtümer wie das Kapitol – weitgehend der baulichen Oberaufsicht des Senats unterstellt blieben, waren Baustiftungen hier oft nur im Konsens mit den übrigen Senatoren oder im Rahmen eines politischen Amtes möglich, bei dem die Errichtung eines Bauwerkes zu den jeweiligen magistratischen Pflichten gehörte. Man muss dabei schließlich bedenken, dass die einzelnen Bauherren sich auf den Bauwerken dauerhaft mit ihrem Namen verewigen durften. Dieses Ehrenrecht bedeutete innerhalb der politisch-sozialen Konkurrenz der römischen nobiles einen nicht zu unterschätzenden Prestigegewinn und führte häufig zu eifersüchtigen Spannungen, die sich bis zum Ende der Republik mehr und mehr in Gewalt entluden sowie nicht selten Sabotage- respektive Zerstörungsakte nach sich zogen. Einen Hotspot dieser architektonischen Konkurrenz stellte das Marsfeld dar. Außerhalb des pomerium gelegen galten hier andere Regeln. Die potenziellen Stifter konnten auf diesem Gelände freier agieren und mussten kaum Rücksicht auf den Senat oder andere Körperschaften nehmen, wenn sie ihren Beuteanteil auf diese Weise, d. h. zu ihrem eigenen ewigen Ruhm, gewinnbringend investieren wollten. So entstand dort seit dem 2. Jh. v. Chr. in dichter Folge eine ganze Reihe von sog. Porticus-Anlagen. Dabei handelte es sich um Heiligtümer, deren Gottheiten oft in einem besonderen Nahverhältnis zu ihren jeweiligen Stiftern standen. Entweder waren es persönliche Schutzgötter der siegreichen Feldherren oder solche, denen vor der entscheidenden Schlacht oder anlässlich eines anderen wichtigen Ereignisses die Errichtung eines Tempels gelobt worden war. Neben den alten sind es häufig neue Götter wie die jetzt zu kultischen Ehren erhobenen Personifikationen politischer Leitbilder gewesen, denen die prestigeträchtigen Stiftungen galten. Aber nicht nur die Bauwerke erstrahlten in neuem Glanz, auch die Kultbilder folgten den jeweils aktuellsten künstlerischen Trends. Ganze Bildhauerfamilien (beispielsweise die des Timarchides) nahmen ihre Arbeit in Rom auf und schufen bis dahin nicht gekannte Kultbilder aus kostbarsten Materialien, die nicht selten kolossalen Formates waren. Darüber hinaus wurden erlesene ältere Bildwerke – darunter manches hochberühmte Meisterwerk, die die senatorischen Stifter auf ihren Feldzügen erbeutet hatten – zur Ausschmückung dieser Prachtanlagen verwendet. Die Platzierung der Heiligtümer erfolgte alles andere als planlos. So lässt sich eine gewisse Konzentration in der Nähe der vermuteten Route der Triumphzüge feststellen, die vom Marsfeld ihren Ausgang nahmen. Dies ist kaum verwunderlich, da dadurch höchste Sichtbarkeit gegeben war und der Stifter mit seinem Bauwerk gewissermaßen auf ewig Teil der römischen Triumphalideologie wurde (s. dazu unten mit Abb. 54). Als der junge und bis dato völlig unerfahrene Adoptivsohn Caesars dessen heikles Erbe antrat, fand er somit eine Tradition der architektonischen Ausgestaltung des öffentlichen Raumes aus Gründen der politischen Selbstdarstellung und sozialen Konkurrenz innerhalb der Nobilität Roms vor, die freilich nicht unproblematisch war. Das Stadtbild mit den
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vielen miteinander konkurrierenden Baustellen erschien nicht wenigen Zeitgenossen ein Spiegel des inneren Zerwürfnisses zu sein. In der zeitgenössischen Rückschau legt Livius Cato dem Älteren geradezu prophetische, angeblich im Jahr 195 v. Chr. geäußerte Worte in den Mund (Ab urbe condita 34, 4), aus denen die in augusteischer Zeit offenbar allgemein akzeptierte Anschauung deutlich wird, nach der die Beute aus den Eroberungskriegen die republikanische Gesellschaftsordnung letztlich zerstören werde, indem sie zwei Laster (vitiis), avaritia und luxuria, befördere – Cato nennt sie sogar pestes, an denen noch jedes große Reich zugrunde gegangen sei. Von besonderem Interesse ist dabei der Vergleich der griechischen signa mit den antefixa fictilia deorum Romanorum, eine Gegenüberstellung von griechischem Luxus und römischer Einfachheit, die im Material (tönerner Bauschmuck) sichtbar wird. Das Griechische empfindet Cato als Bedrohung. Die Dinge würden von den Römern mehr Besitz ergreifen als diese von ihnen. Er warnt deshalb davor, über die altertümlichen Tonwerke zu lachen, und wünscht sich, dass die Götter den Römern gnädig seien, wenn man sie an ihrem angestammten Platz beließ. Hinzu kamen die zahlreichen, in Verfall geratenen älteren Heiligtümer, um die sich keiner mehr kümmerte. Dies wurde allgemein als Zeichen fehlenden religiösen Respektes aufgefasst, und dieser Mangel an pietas galt Vielen als einer der Gründe, weshalb die Götter sich von den Römern abgewandt und ihnen das Verderben der Bürgerkriege gesandt hätten. In der Stadt schwärten sozusagen offene architektonische Wunden, die zugleich politisch-soziale waren. Caesars Adoptivsohn tat folglich gut daran, sich auch um diese gesellschaftliche »Baustelle« intensiv zu kümmern. Augustus selbst hat seine diesbezüglichen Aktivitäten rückblickend in seinem Tatenbericht auf knappste Weise zusammengefasst. Trotz der Kürze der Passage versäumte er es dabei keinesfalls, explizit die Zustimmung des Senates zu erwähnen (Res Gestae Divi Augusti 20). Es lohnt sich also, Aspekte der Baupolitik des ersten römischen Kaisers näher in Augenschein zu nehmen, zumal diese Stadt, die Augustus angeblich aus Ziegelsteinen übernommen und in Marmor hinterlassen habe (Sueton, Augustus 28, 5), die Lebenskulisse bedeutender Schriftsteller der augusteischen Epoche wie Livius, Ovid und Vergil war, deren Werke von zentraler Bedeutung für die schulische Lateinlektüre sind. Sie formulierten ihre Gedanken nicht selten als direkten Reflex auf die zeitgenössische politische Kultur und blieben dabei augenscheinlich nicht unbeeindruckt von den augusteischen Bauwerken, die sie zuweilen sogar selbst thematisierten. An den Anfang der Überlegungen seien nochmals Suetons Bemerkungen zur Baupolitik des Augustus gestellt (28, 5). Aus dem ersten Halbsatz wird deutlich, wie die Späteren die architektonischen Aktivitäten des Princeps in erster Linie aufgefasst haben als eine der erhabenen Würde des Reiches (maiestas imperii) angemessenen Form des Schmucks (ornatam), den das Haupt der Welt so lange entbehrt habe.
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Im Schulunterricht dürfte es wohl genügen, wenn ein Beispiel näher erläutert wird. Aus der Fülle des Überlieferten sollte die Wahl auf das Forum des Kaisers fallen, da hierzu geeignete Lektüretexte vorliegen. Vorab ist zu erwähnen, dass dieser Platz schon das zweite »Kaiserforum« in Rom war, da bereits Iulius Caesar zu seinen Lebzeiten eine solche Anlage, das Forum Iulium (auch Forum Caesaris), gelegen direkt hinter dem Senatsgebäude zwischen Forum Romanum und Subura, hatte erbauen lassen (zur urbanistischen Gesamtsituation der Kaiserforen s. unten Kapitel 10 mit Abb. 52). Sein Adoptivsohn schloss mit seinem eigenen Forum (Forum Augustum oder auch Forum Augusti) an dieses Bauwerk nicht nur in topographischer, sondern auch in ideologischer Hinsicht direkt an. Wie schon auf dem Forum Iulium bildete auch beim Forum Augustum ein Tempel (hier des Mars Ultor, dort der der Venus Genetrix) an der Stirnseite des eigentlichen Platzes den architektonischen Bezugspunkt. Eingefasst waren die Foren jeweils von Säulenhallen (porticus), die im Fall des Forum Augustum sogar über halbrunde Exedren verfügten, und zwar nach den neuesten Grabungsbefunden sowohl im oberen als auch unteren Platzbereich. Die Zugangssituation zum Augustusforum ist bislang noch nicht geklärt. Möglicherweise stand an der dem Tempel gegenüberliegenden Schmalseite ein großer Ehrenbogen als Eingangspropylon. Das Forum Caesaris scheint dagegen direkt über die Säulenhallen betreten worden zu sein. Solche Platzgestaltungen sind nicht von Caesar und Augustus erfunden worden, sondern haben eine längere Tradition, die nach Griechenland führt. Dort entwickelten sich im Verlauf der Spätklassik und vor allem in hellenistischer Zeit öffentliche Plätze zu geschlossenen Baukörpern, die von Säulenhallen (gr. stoai) eingefasst wurden und allesamt eine symmetrische Struktur aufwiesen. Damit standen sie im Gegensatz zu älteren offenen Anlagen, die keine oder zumindest eine nicht allseitige architektonische Rahmung aufwiesen und bei denen die einzelnen Bauwerke nicht unbedingt in symmetrischer Beziehung zueinander angeordnet waren. Diese neuen Bauprinzipien hat man in republikanischer Zeit sofort für Rom übernommen und sie fungierten dort als vorbildhafte Modelle für die sog. Porticusanlagen der römischen nobiles. So ist auch Caesars Forum als konkurrenzbedingte Antwort auf ein aufwändiges Bauprojekt seines langjährigen Rivalen um die Macht, Pompeius Magnus, zu verstehen. Dieser hatte auf dem Marsfeld eine große Porticus errichten lassen, die als Vorplatz für ein steinernes Theater diente. Es war von Senatsseite aus politischen Gründen an sich strengstens verboten, dauerhafte Theatergebäude zu erbauen, da man befürchtete, diese trutzigen und durchaus wehrhaften Gebäude könnten die gefährliche Zusammenrottung größerer Menschenmassen begünstigen und dadurch weiteren Zündstoff für die ohnehin brandgefährliche innenpolitische Situation in Rom liefern. Deshalb durfte jeder Spielegeber bis dato nur ein hölzernes Theater aufstellen lassen, das nach Ende der Feierlichkeiten, meist Feste für bestimmte Götter, zu deren Ehren Theateraufführungen stattfanden, wieder ab-
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gebaut werden musste. Pompeius umging dieses Verbot dadurch geschickt, dass er das Theater mit seinen Sitzstufen kurzerhand zum Podium und zur Treppenanlage eines Tempels für seine Schutzgottheit Venus mit dem sprechenden Beinamen Victrix deklarierte. Damit war der Bau sakrosankt geworden und durfte nicht mehr zerstört werden. Caesars Antwort auf diese prächtige Anlage, die für Pompeius einen enormen Prestigegewinn bedeutete, ließ nicht lange auf sich warten. Ihm gelang es, diese dadurch zu übertrumpfen, dass sein Forum direkt an das alte politische Zentrum anschloss. Neben diesem prestigeträchtigeren Ort konnte Caesar noch einen weiteren Triumph für sich geltend machen. »Seinen« Tempel weihte er zwar ebenfalls der Venus, doch ihr Beiname lautete jetzt Genetrix (s. dazu oben Kapitel 5). Damit spielte Caesar auf die von den Iuliern beanspruchte besondere Abstammung an. Die Familie ging angeblich auf Iullus (Ascanius), den Sohn des Aeneas, zurück, dessen Mutter Venus somit auch die Stammmutter nicht nur aller Römer, sondern insbesondere auch die des Geschlechtes der Iulier war. Damit ließ sich Pompeius’ Anspruch auf Venus, hierin folgte er bereits Sulla, dessen persönliche Schutzgottheit Venus Felix gewesen ist, leicht konterkarieren. Zudem nutzte Caesar Tempel und Forum als Kulisse für politische Inszenierungen. Dort empfing er den vor den Treppenstufen des Tempels stehenden Senat, während er selbst erhöht auf dem Podium zwischen den Säulen auf einem elfenbeinernen Ehrenstuhl (sella curulis) saß (Suetonius Divus Iulius 78; Cassius Dio XLIV 8, 1–2). Eindrücklicher ließ sich seine angemaßte, gleichsam monarchische Ehrenstellung nicht visualisieren.
Ovid Das Forum des Augustus war somit von Beginn an eine hochpolitische Angelegenheit, bei der es sensible Traditionen zu beachten galt. Der Einstieg in das Thema erfolgt am besten über Verse zum 12. Mai aus Ovids Fasti (5, 545–598). In diesem Text stecken alle wichtigen Informationen, die zum tieferen ideologischen Verständnis des Bauwerkes und seiner Ausstattung nötig sind. Das Gedicht beginnt mit der Epiphanie des Gottes Mars (5, 545–550). Zur Begründung, dass Mars persönlich vom Himmel herabsteigt, wird angeführt, dass er sowohl die ihm zugedachten Ehrungen (Festspiele) als auch seinen Tempel auf dem Forum Augustum sehen wolle (5, 551–552). Die genannten honores fanden jährlich am 12. Mai statt. Es folgt von Ovid zunächst eine allgemeine Würdigung des Bauwerkes, dessen Dimensionen und Pracht der Dichter rühmt (5, 553–555). Der Tempel sei so groß wie der Gott selbst und für diesen eine angemessene Wohnstatt, geeignet gar zur Aufnahme von Siegestrophäen aus dem Kampf der Götter gegen die Giganten. Bereits den Griechen galt diese gewaltige Schlacht als Urkampf zwischen Gut und Böse, Ordnung und Chaos sowie Recht und Un-
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recht. In der politischen Bildkunst Griechenlands wird sie daher mehrfach im Zusammenhang mit der Rühmung menschlicher Schlachtenerfolge, sozusagen als metaphorisch gemeinter Vergleich, dargestellt. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist das von Pausanias (1, 25, 2) erwähnte, aus zahllosen Bronzefiguren bestehende Schlachtenanathem eines Attalos (wahrscheinlich König Attalos II. von Pergamon, reg. 159–138 n. Chr.) auf oder bei der Südmauer der Akropolis von Athen, bei dem die eigenen pergamenischen Kriegserfolge gegen die Kelten in einer Reihe mit den Kämpfen der Athener gegen die Perser (Marathon) und der mythischen Athener unter Theseus gegen die Amazonen sowie als Höhepunkt des rühmenden Vergleichs die Auseinandersetzung der Götter mit den Giganten präsentiert waren. Diese besondere Form der politischen Funktionalisierung des Mythos haben die Römer von den Griechen übernommen. Ovids metaphorisch gemeinte Anspielung auf die hohe Bedeutung der Baustiftung des Kaisers dürfte somit damals allgemein verständlich gewesen sein. Ovid schließt im Folgenden zunächst eine Bemerkung zur Funktion des Heiligtums an (5, 556–558). In der Tat fand dort eine der wichtigsten militärisch-sakralen Ritualhandlungen statt. Das Forum wurde unter Augustus zum Ort offizieller Kriegserklärungen. Hier tagte der Senat und fasste den offiziellen Beschluss. Ob danach tatsächlich vom Podium des Tempels aus ein dafür zuständiger Priester (fetialis) des Kollegiums der Fetialen die Kriegslanze (hasta fetialis) als symbolisches Zeichen für den offiziellen Beginn der Kampfhandlungen herabschleuderte, wie in der Forschungsliteratur gelegentlich zu lesen ist, lässt sich nicht ganz eindeutig belegen. Das dabei übliche Ritual beschreiben aus einer gemeinsamen Quelle schöpfend Livius (Ab urbe condita 1, 32, 12–14) und Dionysios von Halikarnassos (Antiquitates Romanae 2, 72) zwar ausführlich, doch nennen sie dabei das Forum Augustum nicht explizit. Durch Ovids Hinweis auf Feinde im Osten wie im Westen macht er zugleich den weltumspannenden Herrschaftsanspruch Roms deutlich. Dazu passt dann wiederum die vorab getätigte, rühmend gemeinte Bezugnahme auf die Trophäen aus dem Gigantenkampf der Götter. Erst danach erläutert der Dichter einzelne Aspekte des Ausstattungs- und Bildprogramms (Abb. 31). Zunächst spricht er von den geflügelten Victorien als Aktroterfiguren des Tempels, die die Ecken des Giebeldaches schmücken, und anschließend erwähnt er die Verzierungen der Tempeltür mit Beutewaffen (5, 559–562). Von einer der Victorien blieb ein bronzener Fuß mit Resten des Befestigungszapfens erhalten. Zusätzlich sieht man die Siegesgöttinnen auf einem römischen Relief, das eine Opferszene vor einem Tempel zeigt, der von der Forschung als der des Mars Ultor auf dem Forum Augustum identifiziert wird. Waffenreliefs sind schon in der hellenistischen Kunst ein wichtiges Schmuckelement öffentlicher Bauten gewesen, wie ein Blick beispielsweise auf die entsprechende Ornamentik der Säulenhallen des Athena-Heiligtums auf dem Burgberg von Pergamon lehrt. Zusammen mit den Siegesgöttinnen verweisen die Waffenreliefs auf die
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Abb. 31
Sieghaftigkeit Roms. Sie sind gemeinsam Symbole römischer Militärkraft. Mit den nächsten Verszeilen (5, 563– 566) kommt Ovid auf das umfangreiche Statuenprogramm des Forums zu sprechen. Die von ihm genannten Standbilder gehörten nicht unmittelbar zum Tempel selbst, sondern waren in den Säulenhallen (porticus) und Exedren zu sehen, die den Tempel auf beiden Seiten einrahmten und den Platz des Heiligtums, d. h. das gesamte Forum, seitlich begrenzten. Von den Skulpturen selbst sind keine Reste auf uns gekommen, wohl aber gibt es andernorts Nachbildungen sowie auch Zeugnisse der Abb. 32 Flächenkunst, die einzelne Bildwerke offenbar wiedergeben. So wurden in der spanischen Stadt Merida (ehemals Colonia Iulia Augusta Emerita) Bruchstücke einer marmornen, einst aus Aeneas, Ascanius und Anchises bestehenden Gruppe entdeckt, die als direkte Kopie der stadtrömischen Vorlage gilt (Abb. 32). Dies wird unter anderem auch durch den Fundort nahegelegt, ein Architekturensemble, das offenbar eine Kopie des Forum Au-
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gustum war. Des Weiteren kennen wir aus Pompeji zwei Wandbilder, die genau dieselbe Gruppenkomposition aufweisen, darunter ein offenbar satirisch gemeintes, das die Figuren als Affen zeigt. Ferner gibt es noch Münzdarstellungen sowie weitere plastische Wiederholungen in diversen Formaten und Materialien – darunter als Teil des Bildschmucks von Grabbauten auch im germanischen Raum, was insgesamt dafür spricht, dass es ein berühmtes gemeinsames Vorbild gegeben haben muss, das die Forschung wie gesagt in der literarisch überlieferten Gruppe vom Forum Augustum vermutet. Ähnliches lässt sich auch zur Statue des Romulus sagen (Abb. 33). Auch diese blieb nicht im Original erhalten, sondern Abb. 33 ist nur in späteren Wiederholungen bekannt. Roms Gründer trug die sog. spolia opima, d. h. die dem König Acron von Caenina eigenhändig abgenommene Rüstung des im Zweikampf Erschlagenen. Dies war eine besonders prestigeträchtige Votivgabe, die danach nur noch zweimal von römischen Feldherren dem Iuppiter Feretrius geweiht werden konnte (Livius, Ab urbe condita 1, 10, 4–7 und Plutarch, Romulus 16, 3–7). Beide Standbilder – das des Aeneas und das des Romulus – waren darüber hinaus umgeben von weiteren Statuen, wobei Ovid an dieser Stelle nur die um Aeneas eigens vermerkt. Es handelte sich dabei offenbar um Darstellungen der Iulier, also der Ahnen des Augustus. Dies ist insofern bemerkenswert, als diese Familie – einmal abgesehen von Iulius Caesar – im Grunde genommen keine weiteren berühmten Männer hervorgebracht hatte, deren Leistungen für die res publica dauerhaft im römischen Gedächtnis geblieben wären. Aus anderen Quellen (s. dazu unten) wissen wir, dass an der Seite des Aeneas zusätzlich die Könige von Alba Longa zu sehen waren. Hinzu kamen Bildnisse der berühmtesten Männer der römischen Republik, der sog. viri illustres oder auch summi viri, die auch auf der gegenüberliegenden Seite standen und dort unter anderem im oberen Bereich als Pendant zu Aeneas, den Iuliern und Königen von Alba Longa die nächste Umgebung der an dieser Stelle in die Gruppe mittig eingebetteten Romulusstatue bildeten. Unter allen Figuren müssen sich, wie Ovid ausdrücklich vermerkt, kleine Täfelchen befunden haben, auf denen man den Namen und die zu rühmende(n) Tat(en) des jeweils Dargestellten eingraviert hatte. In den hierauf folgenden Zeilen erwähnt Ovid die Stifterinschrift, die sich auf dem Architrav des Tempels befunden haben muss (5, 568–569). Aus seinen Angaben wird
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deutlich, dass Kaiser Augustus selbst das Bauwerk errichten und in seinem Namen weihen ließ. Die Erwähnung der beiden Namensbestandteile Augustus und Caesar verweist auf die Titulatur des Kaisers, der sich seit dem 16. Januar 27 v. Chr. Imperator Caesar Divi Filius Augustus nennen durfte. So dürfte auch die Stifterinschrift auf dem Frontarchitrav, direkt unterhalb des Giebels, gelautet haben. Von der Möglichkeit der Stifter, ihren Namen dauerhaft inschriftlich auf dem Bauwerk zu verewigen, wurde bereits oben gesagt, dass diese Form der Ehrung einen hohen Prestigewert besaß. Auf diese Weise wurde der Name des Kaisers in alle Ewigkeit bewahrt und blieb untrennbar mit diesem Ort verbunden. Nachdem Ovid somit nochmals eigens auf die Stifterpersönlichkeit eingegangen ist, spricht er anschließend ausführlich über den Anlass der Stiftung (5, 569–578). Er verortet sie folglich zu Beginn der politischen Karriere des Princeps, und tatsächlich gelobte Caesars Adoptivsohn den Bau bereits im Jahr 42 v. Chr., als er gemeinsam mit Caesars Anhängern in den entscheidenden Kampf gegen die Caesarmörder und ihre Truppen zog. Auf dieses Ereignis war auch der Beiname des Gottes gemünzt. Ultor wurde er genannt, um den aus Gründen der römischen pietas notwendigen Racheaspekt öffentlich deutlich zu machen. Der Sohn ist geradezu verpflichtet gewesen, an den Männern Vergeltung zu üben, die seinen Vater töteten. Nach Beendigung der blutigen Bürgerkriege besaß dies im Kontext der augusteischen Friedens- und Versöhnungspolitik allerdings einen prekären Beigeschmack. Persönlich Rache an internen Feinden zu nehmen und damit innerrömische Gewalt fortzuschreiben, stellte fortan ein äußerst problematisches politisches Konzept dar, das als längst überholt gelten konnte. Davon weiß ebenso Ovid, weshalb er in den folgenden Schlussversen die augusteische Umdeutung des Racheaspektes ausführlich thematisiert (5, 579–598). Augustus ließ in den Tempel die römischen Feldzeichen, die er im Jahr 20 v. Chr. aus den Händen der römischen Prestigefeinde im Osten des Imperiums, der Parther, nach überaus zähen Verhandlungen lediglich auf diplomatischem Weg mitsamt den wenigen zu diesem Zeitpunkt noch lebenden Kriegsgefangenen wiedererhalten hatte, bringen und dort in der Cella zusammen mit den Kultbildern aufstellen. Gleichwohl wurde dieses Ereignis in Rom mit einem Triumph geehrt und damit als ein militärischer Erfolg propagiert. Die Feldzeichen hatte der römische Konsul und Triumvir Marcus Licinius Crassus (115/114–53 v. Chr.) im Juni 53 v. Chr. bei der verheerenden Niederlage in der Schlacht von Carrhae (heute Harran im mesopotamischen Teil der Türkei) an die Kriegsgegner zugleich mit seinem eigenen Leben verloren. Dieser ungeheure Prestigeverlust, zu dem die Gefangenschaft und Versklavung zahlreicher römischer Soldaten kam, lastete lange schwer auf den Römern. Vor diesem Hintergrund kann man den ungeheuren Prestigegewinn besser ermessen, den Augustus mit der Rückgabe der Feldzeichen erzielte. Das Thema wurde umfassend propagandistisch ausgeschlachtet. Zahlreiche Münzprägungen feierten das Ereignis. Augustus erhielt einen dreitorigen Ehrenbogen auf dem Forum Romanum, auf dessen Attika bron-
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zene Figuren des Augustus im Triumphwagen sowie Parther in bittfälliger Haltung standen, die die Feldzeichen zurückgeben. Eine der berühmtesten Darstellungen ist sicherlich die auf dem Brustpanzer der marmornen Augustusstatue von Primaporta. Dem Kaiser gelang es mit dieser Erweiterung des Rachegedankens auf externe Feinde, das Prekäre seiner Stiftung einzudämmen und der neuen innenpolitischen Situation anzupassen. Denn, als der Bau endlich fertig gewesen ist und eingeweiht werden konnte, waren gut 40 Jahre ins Land gegangen, und im Einweihungsjahr 2 v. Chr. erschien es geradezu kontraproduktiv, einen privaten Rachegott aus der blutigsten Phase der römischen Bürgerkriege zu reaktivieren und derart prominent herauszustellen, zumal Augustus zeitgleich den Ehrentitel pater patriae erhalten hatte, auf den er besonders stolz war. Von einem Vater des Vaterlandes konnte man ein Höchstmaß an politischer Rücksichtnahme und einen Willen zur innenpolitischen Versöhnung erwarten. Der Kaiser ist dieser Aufgabe vollauf gerecht geworden, worauf im Folgenden näher eingegangen wird. Hierzu sind ergänzende Quellentexte heranzuziehen, die Zusatzinformationen zum weiteren Bildschmuck des Forum Augustum liefern. Die bereits oben genannten viri illustres finden beispielsweise in der Biographie des Augustus von Sueton (Augustus 31, 5) und auch in der des Alexander Severus Erwähnung (Scriptores Historiae Augustae, Severus Alexander 28, 6). Demnach bildete das Forum Augustum eine Art Ruhmeshalle der römischen Geschichte. Hier standen die Statuen der verdientesten Männer Roms, die durch ihre Taten die Stadt zur Weltherrschaft geführt hatten. Diesen Ruhm hielten marmorne Inschriftentafeln fest, mit denen die Postamente der Standbilder geschmückt waren. Die tituli mit den elogia verzeichneten neben den Namen der Geehrten deren jeweilige Ämterlaufbahn und persönlichen Leistungen für die res publica. Einige Fragmente der Statuen und Inschriften sind bei den Ausgrabungen entdeckt worden. Sie reichen jedoch nicht aus, um sich ein vollständiges Bild machen zu können. Dies gelingt auch nicht mit Hilfe der in Merida gefundenen Reste, denen wir aber immerhin die Kenntnis vom Aussehen einiger Statuenkörper verdanken. Ebenso lässt sich aufgrund des dortigen Befundes die einstige architektonische Einbindung der Skulpturen und ihrer Inschriften etwas besser verstehen. Nichtsdestotrotz ist es Paul Zanker schon vor mehr als einem halben Jahrhundert gelungen, das Gesamtprogramm des Forum Augustum zu rekonstruieren und ideologisch zu analysieren (Abb. 34). Die weitere Forschung hat dieser Interpretation zwar manches Detail hinzufügen können, zugleich aber auch ihre grundsätzliche Richtigkeit bestätigt. Demnach handelt es sich bei dieser Anlage um einen bewusst konzipierten architektonischen Rahmen für des Kaisers wichtigste Propagandabotschaften. Selbst der eigenartige Grundriss lässt sich ideologisch als publikumswirksam inszenierten Verzicht des Princeps auf Enteignungen und somit als Ausdruck seiner neuen Bescheidenheit und Zurückhaltung lesen. Augustus, obwohl er die Machtmittel hierzu besessen hätte, inszeniert sich damit als rücksichtsvollen primus inter pares, der die Rechte der Bürger penibel wahrt. Diesem
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Abb. 34
Geist der Versöhnung entspricht vollends das Bildprogramm. Mit der Einbettung des Aeneas in die Gruppe der Iulier und Könige von Alba Longa gelingt Augustus einerseits die familiär-dynastische Vereinnahmung dieses Stammvaters aller Römer sowie andererseits durch die Gegenüberstellung mit der Gruppe des Romulus und eines ihn flankierenden Teils der summi viri ein geschickt platzierter Verweis auf seine gleichsam göttliche Vorherbestimmung zur Herrschaft. Aeneas und Romulus verkörpern dabei als Vorbilder zwei politische Leitbegriffe der Regierung des ersten römischen Kaisers, pietas und virtus. Diese stellen gewissermaßen die Grundpfeiler bzw. Kernaussagen des Gesamtausstattungsprogramms dar. Vergleichbar dem Aeneas, der mit seinem alten Vater auf dem Rücken und heiligen Kultgegenständen der Troianer aus seiner brennenden Heimatstadt flieht, um in Italien nach dem Willen der Götter den Anfang für den Aufstieg der Römer zur Weltmacht zu setzen, und damit ein Höchstmaß an pietas zeigt (sowohl gegenüber seinem Vater als auch den Göttern), was in Rom als Grundvoraussetzung für göttliches Wohlwollen galt,
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handelte auch Augustus, indem er gleich doppelt Rache nahm (Ermordung Caesars und Niederlage gegen die Parther bei Carrhae), höchst pietätvoll und sicherte dem römischen Reich dadurch das weitere Wohlergehen unter göttlichem Schutz. Aber er brauchte ebenso den Vergleich mit Romulus nicht zu scheuen. Die Senatoren hatten nach Beendigung der Bürgerkriege sogar daran gedacht, den Sieger mit dem Beinamen eines neuen Romulus zu ehren, sich dann aber doch für den Augustustitel entschieden. Denn er verfügte wie dieser – zumindest in der zeitgenössischen Propaganda – reichlich über virtus. Unter Beweis gestellt hatte er diese Tugend in den vielen kriegerischen Auseinandersetzungen, in die er verwickelt war und aus denen er stets als Sieger hervorging. Seine und des Reiches militärische Schlagkraft sind folglich der zweite wichtige Aspekt des ideologischen Programms. Hierauf verweisen nicht nur die bereits besprochenen Victorien auf dem Tempeldach und die Waffenreliefs des Tempelportals, sondern vor allem die Standbilder der viri illustres. Diese Männer sind ideal-vorbildhafte Verkörperungen von Roms militärisch-politischer Erfolgsgeschichte, zugleich aber auch Ausdruck des augusteischen Versöhnungswillens. Indem der Kaiser auf seinem eigenen Forum die Darstellung verdienter Männer aus anderen noblen Familien Roms zulässt, bindet er die gesamte Senatsaristokratie ein. Auch künftig werden Männer, die für Rom wichtige Schlachtenerfolge erzielen, dort mit weiteren Ehrenstatuen geehrt. Der Platz erhält damit eine einzigartige Aura. Das Forum Augustum ist zur Ruhmeshalle aller Römer und zugleich zum Sinnbild der größten politischen Leistung des Kaisers geworden, der Versöhnung der einstigen Kontrahenten sowie der vollständigen Überwindung der inneren, in blutigsten Kämpfen ausgetragenen Zerwürfnisse der späten Republik, an denen Rom fast zu Grunde gegangen wäre. Die übrigen Bildelemente, die aus weiteren Quellen erschlossen werden können, ordnen sich diesem Gesamtprogramm unter. Plinius der Ältere erwähnt zwei Gemälde mit Alexander dem Großen (Naturalis historia 35, 27 und 35, 93), die wohl als deutliche Hinweise auf Augustus’ eigene militärische Leistungen zu verstehen waren. Plinius betont dabei eigens die zurückhaltende Schlichtheit des Augustus (simplicitate moderata), was sicherlich als Anspielung auf die mehr oder minder versteckte Bildbotschaft gemeint ist. Denn schon im nächsten Satz rügt er Kaiser Claudius, der gemeint habe, es besser zu tun, indem er Alexanders Gesichtszüge mit denen des Augustus übermalen ließ (Plinius, Naturalis historia 35, 94). Ganz so moderata scheint Augustus dann doch nicht gewesen zu sein. Immerhin war es ihm wichtig, dass die Bilder in foro suo celeberrima in parte (35, 27) respektive in fori sui celeberrimis partibus (35, 93) und damit von einem möglichst zahlreichen Publikum zu sehen waren. Symbolisch gemeint sind wohl auch die Kopien der Koren vom Erechtheion auf der Athener Akropolis gewesen, die das Gebälk der Obergeschosse der seitlichen Säulenhallen trugen. Aufgrund einer Textstelle bei Vitruvius, der solche Stützfiguren »Karyati-
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den« nennt und sie aitiologisch als Frauen von Karya(i) interpretiert, deutet ein Teil der Forschung sie im Sinn von exempla servitutis als Sinnbilder unterworfener Völkerschaften (De architectura libri decem 1, 1, 5). Denn die peloponnesische Stadt Karya(i) hatte, obwohl sie von Griechen bewohnt war, in den Perserkriegen auf Seiten der orientalischen Invasoren gestanden. Nach der persischen Niederlage wurde sie von den siegreichen übrigen Griechenstädten grausam bestraft, indem man die Männer allesamt tötete und die Frauen versklavte. Vitruvius schließt an seine Deutung eine weitere Geschichte an, in der von Perserstatuen als Gebälkträger die Rede ist, die ein Wahrzeichen der Tapferkeit (virtutis) seien (1, 1, 6). Stimmt diese Herleitung, dann wären auch die Koren ein wichtiger Teil der Virtusideologie des augusteischen Gesamtbildprogramms gewesen. Die aus zwei römischen Reliefs (Relief an der Gartenfront der Villa Medici in Rom mit der Darstellung der Frontseite eines Tempels und Relief im Museum von Algier Inv. 217 mit der Darstellung dreier Kultstatuen auf Sockeln) vielleicht zu erschließenden Giebelfiguren (v.l.n.r. Personifikation des Palatin?, Romulus?, Venus, Mars, Fortuna, Roma?, Personifikation des Tiber?) und die Götterbilder in der Cella (Mars Ultor, Venus und Divus Iulius?) betonen dagegen nochmals die dynastischen Aspekte (Venus als Stammmutter der Römer und der Iulier: s. Kapitel 5) und verstärken die Bezugnahme auf den Virtus-Träger Romulus. Im Zentrum des Ganzen stand schließlich Augustus selbst. Um ihn zu ehren, beschloss der Senat im Jahr der Einweihung des Forums, nicht nur – wie bereits oben erwähnt – die Verleihung des Titels pater patriae, sondern zugleich die Errichtung eines kolossalen Denkmals für den Kaiser, der fortan in effigie auf einer Triumphalquadriga inmitten des übrigen Bildschmuckes zu sehen war (Res Gestae Divi Augusti 35), auch wenn wir aufgrund fehlender Grabungsbefunde einstweilen noch nicht genau sagen können, ob das Monument auf einem Sockel in der Platzmitte oder vielleicht auf einem Ehrenbogen stand, der den Zugang zum Forum bildete. Gleichwohl ist jedem Besucher der Anlage sogleich klar geworden, dass das gesamte Bildprogramm auf den Princeps zugeschnitten war und in seiner als eigentlichen programmatischen Höhe- sowie Zielpunkt gemeinten Ehrenstatue gleichsam kulminierte. Dem Forum Augustum könnten zur vertiefenden Ergänzung der angesprochenen Interpretationsmöglichkeiten leicht weitere Bauten des Augustus in der Hauptstadt an die Seite gestellt werden, worauf hier aber aus Platzgründen zu verzichten ist. So müssen die folgenden knappen Hinweise genügen: Der Pietas- und Rachegedanke, speziell in Form der Bestrafung frevelhaften Verhaltens, kommt beispielsweise im Bildschmuck des Apollon-Tempels auf dem Palatin (Tötung der Niobiden durch Apollon sowie Artemis auf den Tempeltüren und Statuen der Danaiden im Porticus des Tempels) deutlich zum Tragen. Der Bau stammte aus den Tagen der Auseinandersetzung mit dem Sohn des Pompeius und wurde anlässlich der Schlacht von Naulochos gelobt. Dass die Wahl dabei auf Apol-
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lon fiel, verwundert nicht und war kein Zufall, sondern geschicktes politisches Kalkül. Der Olympier stellte als ordnender Rachegott ein wirksames Gegenbild zum Chaos der Bürgerkriege und dem negativ wirkenden, aufbrausenden Pathos von Augustus’ Gegner Marcus Antonius dar, der sich dagegen als Verkörperung des rauschhaften Dionysos inszenierte, und bildete infolgedessen das ideale göttlich-ruhige Bezugsmuster für den späteren Pater Patriae. Ähnlich wie im Fall des Mars-Ultor-Tempels ist die Errichtung des Tempels für Divus Iulius auf dem Forum Romanum (Plan s. unten Kapitel 10 mit Abb. 51) vor dem Hintergrund der sich verändernden politischen Zielsetzungen des Augustus am Ende der Bürgerkriege zu sehen. Dieser Bau wurde ebenfalls schon früh gelobt – er markiert die Stelle der Verbrennung von Caesars Leichnam – und war folglich Ausdruck des bereits mehrfach zur Sprache gebrachten Rachegedankens, konnte jedoch auch erst nach längerer Zeit fertiggestellt werden und erfuhr dann mittels dort ausgestellter Beutestücke von Kleopatra VII. eine vergleichbare Umdeutung zu einem Monument des Sieges über auswärtige Feinde. Letzteres galt wohl ebenso für die augusteische Neugestaltung des Tempels des Apollo Medicus, dessen Giebelfiguren – klassische Originale einer Amazonomachie – Eugenio La Rocca als mythische Metapher für den Sieg über Ägyptens letzte Königin interpretierte, die passenderweise von römischen Quellen als Amazone diffamiert wurde. Zugleich ist der Tempel aber auch ein gutes Beispiel für Augustus’ Versöhnungspolitik, durfte doch Gaius Sosius, ein früherer Parteigänger des Marcus Antonius, der die Seiten gewechselt hatte, den Tempel in seinem Namen weihen. Allerdings stand trotzdem Augustus im Zentrum. Auf ihn verwies allein schon der göttliche Tempelinhaber, der bekanntermaßen sein besonderer Schutzgott war. Ferner schmückte den Kultbildraum ein marmorner Relieffries mit Darstellungen diverser Triumphe des Kaisers. In gleicher Weise gestattete Augustus dem Munatius Plancus, einem weiteren, rechtzeitig abtrünnig gewordenen, ehemaligen Freund von Kleopatra und ihrem letzten Ehemann, die Renovierung und Neuweihung des Saturn-Tempels auf dem Forum Romanum, das Augustus ansonsten nach und nach zu einem Familienplatz der Iulier umgestaltete, indem er alte wie neue Bauten von Mitgliedern seiner Familie renovieren bzw. errichten ließ. Auch darauf hat Paul Zanker schon vor gut 50 Jahren hingewiesen. Eine weitere geschickte Verschränkung der neuen Kaiserherrschaft in Person des Herrschers selbst und seiner Familienmitglieder mit den Vertretern der alten senatorischen Nobilität als Ausdruck eines auf Aussöhnung gegründeten gesellschaftlichen Konsenses zeigt der Reliefschmuck des 13 v. Chr. vom Senat anlässlich der glücklichen Rückkehr des Augustus aus den spanischen Provinzen gelobten und 9 v. Chr. mit einer prunkvollen Zeremonie eingeweihten Altars des augusteischen Friedens, der Ara Pacis Augustae. So sind auf den beiden äußeren Langseiten Iulier – Frauen, Männer und Kinder – zusammen mit gleichberechtigt dargestellten senatorischen Funktionsträgern zu sehen, wie sie gemeinsam
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die anlässlich der Einweihung abgehaltene Opferprozession bilden. Allein dabei drängt sich der Vergleich zu den miteinander verschränkten Statuengalerien der Iulier und der senatorischen viri illustres auf dem Forum Augustum geradezu auf. Darüber hinaus weist die Ara Pacis einen zum Teil vergleichbaren mythischen Bildschmuck auf. Auch hier wurden Mars, Romulus sowie Aeneas prominent thematisiert, ferner zusätzlich die auf einem Waffenhaufen sitzende Roma als Zeichen militärischer virtus und ihr gegenüber die sinnbildhafte Verkörperung des augusteischen Friedensglückes, eine weibliche Idealgestalt (Tellus?, Italia? oder Pax?) mit zwei prachtvoll genährten Knaben auf dem Schoß inmitten einer idyllischen Landschaft. Selbst die üppige, doch zugleich geordnet wirkende Rankenornamentik der Sockelzone, in die neben anderem Getier auch Schwäne als Wappentiere des Apollon eingearbeitet sind, war nicht bloß dekorativ gemeint, sondern als Ausdruck des von Augustus durch seine gleichsam apollinische Ordnungskraft für das Imperium Romanum erreichten Wohlstandes zutiefst politisch motiviert. Und bei allem stand schließlich das Bemühen mit im Vordergrund, an republikanische Vorbilder scheinbar nahtlos anzuknüpfen. Schon mit seinem eigenen Grabmal brachte Augustus dies zum Ausdruck, das er noch als ganz junger Mann auf dem Marsfeld inmitten der Auseinandersetzungen mit Marcus Antonius zum deutlichen Zeichen seiner tiefen Verbundenheit mit der Hauptstadt Rom bewusst und dabei altitalisch-römischen Bautraditionen folgend in Form eines gleichermaßen monumentalen wie altertümlichen Grabhügels erbaute, weshalb es von den Zeitgenossen zunächst korrekt als Tumulus Iuliorum und erst viel später mehr oder minder falsch als Mausoleum Augusti bezeichnet wurde. Alles in allem ging es dem ersten römischen Kaiser folglich zum einen darum, seine Herrschaft in einem quasi republikanischen Gewand erscheinen zu lassen und damit für die überlebenden Mitglieder der alten Senatsnobilität erträglich zu machen. Mit Mythen zu argumentieren und Selbstdarstellung zu betreiben, war schon in der späten Republik zur eingeübten Praxis innerhalb der sozialen Konkurrenz gerade dieser politischen Elite geworden. Nicht wenige senatorische Familien mühten sich auf der Suche nach entsprechenden Möglichkeiten ab. Obskure mythische Ahnen und angebliche Begebenheiten aus der Familiengeschichte waren an der Tagesordnung. Tonio Hölscher (s. Literaturhinweise) hat dies am Beispiel der spätrepublikanischen Münzprägung, die von entsprechenden bildlichen Anspielungen geradezu wimmelt, deutlich zeigen können. Augustus knüpfte demnach auch hierbei an alte senatorische Gepflogenheiten an. Denn auf die Gewinnung der Akzeptanz durch genau diese elitäre Gruppe zielten seine Bemühungen um die Sichtbarmachung republikanischer Geschichte, des römischen Staatsmythos und der Möglichkeiten einer wenn auch begrenzten gemeinsamen Darstellung verdienter Senatoren zusammen mit den Mitgliedern der iulischen Familie. Ihre mythische Überhöhung erfuhr diese Bildpolitik in Gestalt allgemein akzeptierter Götter und Heroen, unter denen Aeneas und Romulus von besonderer Bedeutung waren. Durch pietas sowie virtus sicherte
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Augustus darüber hinaus den Römern die dauerhafte Weltherrschaft und garantierte ihnen ein Leben in friedvoller Fülle. Mit ihm – so lautete seine klare zentrale Botschaft – hatte ein neues goldenes Zeitalter begonnen, dessen markanteste und symbolträchtigste architektonische Zeichen die sprichwörtlichen aurea templa der von ihm mit dem Segen der Götter ermöglichten aurea aetas waren. Zur Abrundung des Ganzen sei abschließend noch darauf hingewiesen, dass mit der Epoche des Augustus nicht nur die Verwandlung Roms von einer Stadt aus Ziegelsteinen in eine solche aus Marmor beginnt, sondern zugleich die Transformierung eines republikanische Machtverhältnisse spiegelnden dynamischen Stadtkörpers in monarchisch geprägte, weitgehend statische Repräsentationsstrukturen einsetzt. Fortan wird der Herrscher allein das Stadtbild mit seinen Bauten prägen. Rom erhält dabei ein zunehmend luxuriöser werdendes architektonisches Gepräge. Hier werden die Standards gesetzt, die man andernorts im ganzen Imperium Romanum wie in den angrenzenden Klientelstaaten nachahmt. Es sollte dabei nicht vergessen werden, dass das Haupt der Welt die größte Stadt des damaligen Erdkreises gewesen ist. Selbst berühmte hellenistische Metropolen wie Alexandria, Antiocheia und auch das aus Trümmern wiedererstandene Karthago konnten mit dem Glanz Roms ebenso wenig konkurrieren wie Athen oder andere alte Kulturstädte Griechenlands, in die römische Touristen zur Kaiserzeit in größerer Anzahl bewundernd strömten. Wer aus den Provinzen nach Rom reiste, dürfte ob der schieren Größe und der unvergleichlichen Pracht der baulichen Anlagen des repräsentativen Stadtzentrums kaum aus dem Staunen herausgekommen sein. In dichter Folge reihten sich hier Heiligtümer, Säulenhallen, Fora, Macella, Theater, Amphitheater, Zirkusanlagen und schließlich Thermen aneinander. All diese Gebäude zeichnete ein Ausstattungsluxus aus, der seinesgleichen suchte. Buntmarmore und andere kostbare Steinsorten aus allen noch so entfernten Teilen des Reiches verkleideten die Wände aus Opus Caementicium und Ziegelsteinen. Ihre Verwendung spiegelte Roms Weltherrschaft und insbesondere den Anteil der Kaiser daran, da die Steinbrüche nahezu ausschließlich in kaiserlichem Besitz waren. Säulen mit aufwändigen Kapitellformen setzten weitere architektonische Akzente. Hinzu kamen zahllose Gemälde und Statuen. Nicht wenige von diesen waren ehrwürdige Meisterwerke aus längst vergangenen griechischen Glanzzeiten, die einst als begehrte Beutestücke den Weg in die Hauptstadt gefunden hatten. Manche Bauwerke sind wahre Museen gewesen. Aber ebenso sorgten die zeitgenössischen Bildhauer- und Malerwerkstätten für eine Überfülle an weiteren künstlerischen Dekorationselementen. Einen besonderen Akzent setzten die vielen Prunkbrunnen, Wasserspiele und künstlichen Seen, deren Wasserreichtum von den großen Aquädukten gespeist wurde. Wasser bedeutete Leben, Gesundheit und stellte in der Antike gerade in den heißen Sommermonaten am Mittelmeer ein Luxusgut ersten Ranges dar. Der Anspruch Roms, caput mundi zu sein, gründete sich auch auf den
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verschwenderischen Umgang mit solchen Ressourcen. Diese Möglichkeiten hatten andere Städte nicht. Dazwischen lagen die nicht minder luxuriös ausgestatteten Stadthäuser (domus) und urbanen/suburbanen Villen- sowie Gartenanlagen (horti) der Reichselite. In der Kaiserzeit gelangten gerade Letztere mehr und mehr in kaiserlichen Besitz. Darüber hinaus gestaltete man den Palatin-Hügel, der ehedem ein bevorzugtes Wohngebiet vieler Senatoren gewesen war, zu einem exklusiven Wohn- und Repräsentationsort des Kaisers um. Die dortigen Paläste stellten – mit Ausnahme der aus Propagandagründen bewusst einfach gehaltenen Residenz des Augustus – bald alles in den Schatten. Nicht nur Neros berühmtberüchtigte Domus Aurea besaß einen unvergleichlichen Glanz. Mit diesem Luxus verglichen war die Wohnsituation der einfachen Bevölkerung geradezu prekär zu nennen. Die vielleicht in der Kaiserzeit eine Million Menschen umfassende Einwohnerschaft Roms wohnte größtenteils auf engstem Raum, in zumeist mehrstöckigen Insulae, die nicht selten aus Bauspekulationsgründen wenig sicher gebaut waren und zudem oft in Brand gerieten. Kaiserzeitliche Satiriker wie Martialis und Iuvenalis liefern hierfür beredte Textbeispiele (s. u. a. Iuvenalis, 3. Satire; Martialis VII, 61. XII, 57 sowie die unten angegebene Literatur). Wollte man diese soziale Ungerechtigkeit nicht zum Ausgangspunkt städtischer Unruhen werden lassen, mussten die Kaiser gegensteuern. Sie taten dies in Form aufwändiger Bauprogramme, darunter neben lebenswichtigen Infrastrukturbauten, die die Menschen mit Wasser und Lebensmitteln versorgten (Aquädukte, Brunnen, Häfen für die großen Getreideschiffe, Transportwege/Straßen, macella), auch welche, die auf den ersten Blick nicht unmittelbar notwendig erschienen. Gerade mit Letzteren aber verfolgten die Kaiser das wichtige Ziel, den römischen Bürgern eine Teilhabe an den Machtmitteln des Reiches zu suggerieren. Indem zu diesem Zweck luxuriöse Flanier- und »Aufenthalts«räume (s. hierzu u. a. Martialis II, 14. II, 57. VII, 32. IX, 59. X, 80 sowie die unten angegebene Literatur) erbaut wurden, die man als öffentlichen Besitz aller deklarierte, schuf der Kaiser zugleich ein Ventil für sich eventuell aufstauende Wut über soziale Ungerechtigkeiten. Er gab den Bewohnern den Luxus, den sonst nur die Reichen in ihren Privaträumen genießen konnten. Dies gilt insbesondere für die großartigen Thermenbauten, wahre Badepaläste, deren großzügige Raumgestaltung und prachtvolle Ausstattung keinerlei Vergleich zu scheuen brauchte. An diesen Orten konnte selbst der ärmste Römer ein otium-Leben wie die Oberschicht genießen. Hierzu zählen ebenso die Stätten für die Spektakel. Dort erschien der jeweilige augustus vor einer großen Menge des Volkes, die ihm zujubeln konnte und es auch sollte. Es waren somit inszenierte Legitimationsschauspiele einer als staatstragend empfundenen concordia zwischen Herrscher und Beherrschten. Die Zustimmung wurde mit Geldspenden und anderen Geschenken, die man während der Vorstellungen verteilte, sowie generell durch die Finanzierung der Spiele erkauft. Der Kaiser erwies sich auf diese Weise allgemein als
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Wohltäter. Zudem bildete zumindest in den Theatern und Amphitheatern, in denen eine strenge Sitzordnung herrschte, das Zuschauerrund gewissermaßen die gesellschaftliche Hierarchie als festgefügtes, unveränderliches System ab. Auf diese Weise stellten die Spiele einen stabilisierenden sozialen Faktor dar. Paul Zanker nannte dies »Applaus und Ordnung«. Gleichzeitig demonstrierte der Kaiser aber auch mittels der in den Arenen stattfindenden Tötungen sein exklusives Züchtigungsrecht und machte damit vor den Augen der Zuschauer deutlich, wer der Herr über Leben und Tod war. Darüber hinaus spiegelten die exotischen Tiere die Größe des Reiches und damit die Weltherrschaft des Kaisers. Insofern sind gerade diese Anlagen letztlich ebenso politisch motiviert gewesen und stellten eine Bühne für die Inszenierung kaiserlicher Macht dar. Vor diesem Hintergrund erweisen sich Anlagen wie die des Forum Augustum folglich nicht ausschließlich als Selbstdarstellungsräume kaiserlicher Macht, sondern zugleich auch als gebaute Ausgleichszahlungen. Es entstand auf diese Weise eine Erwartungshaltung, die die Herrscher, wollten sie keine Revolten riskieren, unbedingt zu erfüllen hatten. Sie gaben den flanierenden römischen Bürgern damit das Gefühl, trotz des monarchischen Herrschaftssystems weiterhin an der Macht beteiligt zu sein. Paul Zanker hat dies zurecht unter den eindrücklichen Slogan gestellt »Der Kaiser baut fürs Volk«. Da Ovids Fasti für viele Schülerinnen und Schüler nicht unbedingt leicht verständlich und somit einfach zu übersetzen sind, kann auch ein anderer textlicher Zugang zum Augustusforum gewählt werden. Der Schwerpunkt läge dabei auf den Darstellungen der viri illustres, von denen ausgehend einige zentrale Aspekte des ideologischen Bildprogramms exemplarisch erarbeitet werden können. Werke von Livius und Vergil bilden hierfür die zentralen Quellentexte. Moribus antiquis res stat Romana virisque – diese berühmten Worte des Ennius über die Ursachen römischer Größe wurden gerade in augusteischer Zeit sowohl in der Literatur als auch in der Kunst aufgegriffen, sodass es sich hier besonders anbietet, den Schülerinnen und Schülern diesen Zusammenhang durch eine Einbeziehung der Archäologika fassbar zu machen.
Livius Im Proömium formuliert Livius als wesentliches Ziel, dass er mit seiner Geschichtsschreibung beim Leser ein Nachdenken darüber erreichen will, wie Rom groß geworden ist. Aus der konkreten Formulierung (vita, mores, viros artibus) wird dabei deutlich, dass nach Livius’ Auffassung konkret einzelne Männer und ihre Lebensführung für den Aufstieg Roms verantwortlich sind: Und ebenso klar wird aus dem Folgenden, dass Livius
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seine eigene Zeit demgegenüber als Phase des Niedergangs versteht. Daher sieht er es als wichtige Aufgabe der Geschichtsschreibung an, Belege jeder Art vorzulegen, aus denen man für die eigene Zeit lernen kann, und zwar als positive Vorbilder oder als negative Beispiele. Das Proömium wird nun allerdings eher selten gelesen, aber diese dort zum Ausdruck gebrachte Auffassung, dass Rom durch seine Männer groß geworden ist, lässt sich auch unmittelbar sowohl an »Helden« der Frühzeit als auch an der Darstellung historischer Persönlichkeiten des Hannibalkrieges verdeutlichen – beides Themen des Lehrplans. Als Vorbilder kommen hier etwa aus der Frühzeit Horatius Cocles oder einer der Decii Mures, als mahnendes Beispiel Coriolanus in Frage, aus den späteren Kriegen Aemilius Paullus und Cincinnatus als positive Beispiele, Terentius Varro dagegen als negatives Exemplum. Sinnvoll ist es auch, in diesem Zusammenhang der summi viri als Kontrast auch wenigstens ein Beispiel weiblicher virtus zu betrachten, d. h. Lucretia oder Verginia, damit für die Schülerinnen und Schüler deutlich wird, dass die virtus bei Frauen anders definiert ist als bei Männern (mit Ausnahme von Cloelia, wo Livius aber auch ausdrücklich sagt, dass sie männliche virtus zeigte). Sowohl an das Proömium als auch an die Betrachtung einzelner Persönlichkeiten kann damit unmittelbar eine kleine Unterrichtsreihe zum Augustusforum mit seinen viri illustres angehängt werden.
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Arbeitsaufträge – Livius und Forum Augustum Als der spätere Augustus zusammen mit Marcus Antonius im Jahre 42 v. Chr. – auch damals hieß er schon nicht mehr C. Octavius, sondern seit dem 8. Mai 44 v. Chr. C. (Iulius) Caesar – gegen die Mörder seines Adoptivvaters Caesar in den Krieg zog, gelobte er dem rächenden Mars (Mars Ultor) einen Tempel. Dieser wurde dann im Zentrum einer größeren Anlage, dem Forum Augustum, aus Marmor errichtet und im Jahre 2 v. Chr. eingeweiht. Das Forum ist heute stark zerstört. Aus archäologischen Funden und antiken Quellen ist aber gut rekonstruierbar, wie es zur Zeit des Augustus ausgesehen hat. Zu beiden Seiten des Forums standen zweigeschossige Säulenhallen, in deren unterem Stockwerk sich Nischen befanden, in denen Statuen von bedeutenden Römern aufgestellt waren. Unter den Statuen waren dabei jeweils Inschriften (tituli) zu ihren Taten und Verdiensten angebracht. [Hinweis zur Erstellung des Arbeitsblattes: An dieser Stelle ist der in Abb. 34 gezeigte Grundriss des Augustusforums mit dem eingetragenen Bildprogramm nach Paul Zanker einzufügen]. 1. Stellen Sie in chronologischer Reihenfolge zusammen, welche Personen(gruppen) auf dem Forum Augustum dargestellt waren. Recherchieren Sie dazu auch im Internet. 2. Erklären Sie, welche Beziehungen durch die konkrete Aufstellung zwischen den einzelnen Gruppen erreicht werden. 3. Erklären Sie, welcher Gesamteindruck erzeugt werden sollte. 4. Ordnen Sie die gerade gelesene Beschreibung von ………… einer der Personengruppen der viri illustres auf dem Forum Augustum zu. 5. Entwerfen Sie zu ………… und …………, deren Darstellungen Sie gerade bei Livius gelesen haben, einen titulus, wie er im Augustusforum formuliert gewesen sein könnte. 6. Überlegen Sie, warum auf dem Augustusforum höchstwahrscheinlich keine bedeutenden Römerinnen dargestellt waren. Könnten Sie aus Ihrer Kenntnis des Livius Frauengestalten anführen, die durchaus dort ihren Platz hätten finden können? Begründen Sie dies. Falls dies im Unterricht bisher noch nicht geschehen ist, ist dies der Platz für eine kritische Reflexion über das Frauenideal, wie es von Livius überliefert wird.
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Vergil Hier ist vor allem die sog. Heldenschau am Ende des sechsten Buches von Bedeutung, in der Anchises seinem Sohn Aeneas die künftigen Römer vorstellt, um ihm damit Mut zu machen für die letzte Anstrengung, die noch vor ihm liegt, nämlich für den Kampf um Italien. In lockerer Reihenfolge werden hier zunächst die Könige von Alba Longa, dann – nach einem Zwischenspiel, in dem speziell auch das iulische Geschlecht und Augustus vorgestellt werden – die Könige Roms und schließlich ausgewählte Helden der Republik in bunter Reihe von Brutus, dem Gründer der Republik, bis zu Cato und den Gracchen dargestellt. Wie bei Livius finden sich nicht nur positive Exempla, sondern auch negative wie Tarquinius Superbus. Diese vergilischen Gruppenbildungen entsprechen weitestgehend der statuarischen Ausstattung des Augustusforums, nämlich den summi viri der Republik, dazu die Könige von Alba Longa, die Iulier als gesonderte Gruppe und Romulus (hier als wichtigster Repräsentant der Könige und gleichsam als Gegenstück zu Aeneas). Allerdings erscheinen die Personen(gruppen) auf dem Augustusforum – anders als im Fall der bewusst lockeren Gruppierung bei Vergil – in einer verschränkten Komposition. Die beiden Gründerväter Aeneas und Romulus standen einander prominent gegenüber, weshalb auch auf die anderen Könige verzichtet wurde. Um Aeneas waren die ihm chronologisch bzw. genealogisch Nächsten platziert, nämlich die Könige von Alba Longa, die von seinem Sohn abstammen, und die Iulier, »sein« Geschlecht, während Romulus von den viri illustres eingerahmt wurde, und den Zentralpunkt der Komposition bildete in einem Triumphwagen stehend und das alles beherrschend Augustus als pater patriae, in dem quasi alle summi viri kumulierten. Die Basis für die folgenden Arbeitsaufträge ist die gesamte Heldenschau, d. h. den Schülerinnen und Schülern muss, da die Heldenschau meist nicht komplett in lateinischer Sprache gelesen wird, ein Teil in Übersetzung zur Verfügung gestellt werden.
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Arbeitsaufträge – Vergil und Forum Augustum [Hinweis zur Erstellung des Arbeitsblattes: Einleitungspassage und Abb. 34 wie beim ersten Arbeitsblatt.] 1. Stellen Sie in chronologischer Reihenfolge zusammen, welche Personen(gruppen) auf dem Augustusforum dargestellt waren. Recherchieren Sie dazu auch im Internet. 2. Erklären Sie, welche Beziehungen durch die konkrete Aufstellung zwischen den einzelnen Gruppen erreicht werden. 3. Erklären Sie, welcher Gesamteindruck erzeugt werden sollte. 4. Erstellen Sie eine Gliederung der Heldenschau, und vergleichen Sie die Gruppen, die dort vorgestellt werden, mit den Gruppierungen, die sich aus der Aufstellung im Augustusforum ergeben. 5. Vergleichen Sie die Rolle, die jeweils Augustus zukommt. Auch hier kann abschließend noch kurz ein Blick auf die Rolle der Frauen in der Heldenschau und auf dem Augustusforum geworfen werden – Lavinia (6, 764) und Ilia (6, 779) kommt lediglich die Rolle der Heldengebärerinnen zu.
Einen Teilaspekt – nämlich die Partherpropaganda – der Ideologie des Augustusforums lässt sich ebenso am Beispiel der in Lateinbüchern häufig abgebildeten Statue des Augustus von Primaporta darstellen bzw. vertiefend ergänzen (https://de.wikipedia.org/wiki/Augustus_von_Primaporta), zumal hierzu bereits in vielen Schulbüchern Beschreibungen mit ausführlichen Erklärungen, z. T. auch mit Aufgabenstellungen und auch fachdidaktische Einbindungsvorschläge, publiziert vorliegen (s. Literaturhinweise). Egal welcher literarische Zugang zum Augustusforum und damit zu Grundfragen kaiserlicher Baupolitik gewählt wird, sollte ergänzend hierzu ein Perspektiven erweiternder Blick auf vergleichbare neuzeitliche Phänomene sowie aktuelle Tendenzen geworfen werden. Ein gutes, weil recht bekanntes Beispiel ist die Walhalla bei Regensburg, die von Ludwig I. als Ruhmestempel der Deutschen erbaut worden ist. Die Schülerinnen und Schüler könnten im Netz (zum Beispiel https://de.wikipedia.org/wiki/Walhalla) zu diesem Bauwerk sowie seiner bildlichen Ausstattung recherchieren und anschließend einen Vergleich zum Augustusforum anstellen. Dies ließe sich um drei weitere Beispiele aus Deutschland, die Siegesallee in Berlin (https://de.wikipedia.org/wiki/Siegesallee), die Befreiungshalle in Kelheim (https://de.wikipedia.org/wiki/Befreiungshalle) und die Ruhmeshalle in München (https://de.wikipedia.org/wiki/Ruhmeshalle_(München)), sowie um eines aus Österreich erweitern, die Gedenkstätte Heldenberg (https://de.wikipedia.org/wiki/Gedenkstätte_Heldenberg). Besonders reizvoll ist dabei die Behandlung der Siegesallee in Berlin,
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da hierzu bereits eine recht kurzweilige Untersuchung zu deren Einsatz im Unterricht der wilhelminischen Epoche existiert (s. Literaturhinweise und zusammenfassend: https:// de.wikipedia.org/wiki/Siegesallee#Die_Beinstellung_der_Denkmäler_in_der_Siegesallee). Abschließend sollten sich die Schülerinnen und Schüler Gedanken über heutige politische Räume machen. Warum werden diese nicht mehr mit Statuen berühmter Politiker, Generäle, Geistesgrößen etc. geschmückt? Welche Bildakzente setzen stattdessen moderne Denkmäler wie beispielsweise das Holocaust-Mahnmal in Berlin (https://de.wikipedia.org/ wiki/Denkmal_für_die_ermordeten_Juden_Europas; https://www.holocaust-denkmalberlin.de/; https://www.stiftung-denkmal.de/)? Literaturhinweise: Allgemein zur Urbanistik römischer Städte: Zanker, Paul, Die römische Stadt. Eine kurze Geschichte (München 2014). Allgemein zur Stadtgeschichte und zur Ideologie des römischen Stadtkörpers: Kolb, Frank, Rom. Die Geschichte der Stadt in der Antike (2. Auflage München 2002); Grandazzi, Alexandre, Urbs. Roms Weg zur Weltmetropole (Darmstadt 2019). Literarische Quellen zum antiken Rom: Neumeister, Christoff, Das antike Rom – ein literarischer Stadtführer (2. Auflage München 1993); Scheithauer, Andrea, Verfeinerte Lebensweise und gesteigertes Lebensgefühl im augusteischen Rom. ›Urbanitas‹ mit den Augen Ovids gesehen (Frankfurt am Main u. a. 2007); Schmitzer, Ulrich, Rom im Blick. Lesarten der Stadt von Plautus bis Juvenal (Darmstadt 2016). Marsfeld: Albers, Jon, Campus Martius. Die urbane Entwicklung des Marsfeldes von der Republik bis zur mittleren Kaiserzeit (Wiesbaden 2013). Baupolitik der Nobiles: Martin, Hanz Günther, Römische Tempelkultbilder. Eine archäologische Untersuchung zur späten Republik (Rom 1987); Ziolkowski, Adam, The Temples of Mid-Republican Rome and their Historical and Topographical Context (Rom 1992); Zusammenfassend: Kolb a. a. O. S. 243–284. Denkmälerkrieg in der späten Republik: Maschek, Dominik, Die römischen Bürgerkriege. Archäologie und Geschichte einer Krisenzeit (Darmstadt 2018); Grandazzi, Alexandre a. a. O. S. 427–464 (Vom Baukrieg zum Bürgerkrieg). Kunstbeute: Pape, Margit, Griechische Kunstwerke aus Kriegsbeute und ihre öffentliche Aufstellung in Rom (Dissertation Hamburg 1975); Bravi, Alessandra, Griechische Kunstwerke im politischen Leben Roms und Konstantinopels, Klio Beihefte 21 (Berlin 2014). Mythologie und senatorische Selbstdarstellung: Hölscher, Tonio, Die Bedeutung der Münzen für das Verständnis der politischen Repräsentationskunst der späten römischen Republik, in: Proceedings of the 9th International Congress of Numismatics, Berne, September 1979, 1. (Louvain 1982) 269–282. Baupolitik der Kaiser: Horster, Marietta, Literarische Zeugnisse kaiserlicher Bautätigkeit (Stuttgart 1997); Scheithauer, Andrea, Kaiserliche Bautätigkeit in Rom. Das Echo in der antiken Literatur (Stuttgart 2000); Knell, Heiner, Bauprogramme römischer Kaiser (Mainz 2004).
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Stifterinschriften: Horster, Marietta, Bauinschriften römischer Kaiser (Stuttgart 2001). Forum Iulium und Forum Augustum: Zanker, Paul, Forum Augustum. Das Bildprogramm (Tübingen 1968); Ganzert, Joachim, Der Mars-Ultor-Tempel auf dem Augustusforum in Rom (Mainz 1996); Ders., Im Allerheiligsten des Augustusforums (Mainz 2000); Köb, Ingrun, Rom – Ein Stadtzentrum im Wandel. Untersuchungen zur Funktion und Nutzung des Forum Romanum und der Kaiserfora in der Kaiserzeit, Antiquitates 19 (Hamburg 2000); Spannagel, Martin, Exemplaria Principis. Untersuchungen zu Entstehung und Ausstattung des Augustusforums (Heidelberg 2000); Choitz, Tamara, Arbeitsblätter zum Forum Augustum, in: Freyberger, Klaus Stefan – Reisacher, Robert, Das neue Rom in Marmor, Der Altsprachliche Unterricht Latein – Griechisch, Heft 2+3 (2014) S. 66–74; Meneghini, Roberto, Die Kaiserforen Roms (Darmstadt 2015) S. 19–32 (Caesarforum). S. 33–48 (Augustusforum). Rezeption des Augustusforums: Goldbeck, Vibeke, Fora augusta. Das Augustusforum und seine Rezeption im Westen des Imperium Romanum (Regensburg 2015). Augusteische Bau- und Kunstpolitik: Zanker, Paul, Augustus und die Macht der Bilder (3. Auflage München 1997) passim und bes. S. 107–161; Knell a. a. O. S. 36–85; Hoff, Rolf von den – Stroh, Wilfried – Zimmermann, Martin, Divus Augustus. Der erste römische Kaiser und seine Welt (München 2014) passim und bes. S. 28–41. 82–102. 129–142. 193–203. 235–246, 277–284; Kurze Zusammenfassung: Schollmeyer, Patrick, Rom – Bühne des Schauspielers Augustus, in: Scrinium. Alte Sprachen in Rheinland-Pfalz und im Saarland, Heft 1 (2015) S. 3–18. Augustus und das Forum Romanum: Zanker, Paul, Forum Romanum. Die Neugestaltung durch Augustus (Tübingen 1972); Köb a. a. O.; Freyberger, Klaus Stefan, Das Forum Romanum (2. Auflage Mainz 2012); Zum Forum Romanum s. allgemein die wichtige Internetseite: www.digitales-forum-romanum.de/ Augusteische Tempelbauten: Gros, Pierre, Aurea Templa. Recherches sur l’architecture religieuse de Rome à l’époque d’Auguste (Rom 1976): Zusammenfassend: Schollmeyer, Patrick, Römische Tempel (Darmstadt/Mainz 2008) S. 111–117. Ara Pacis Augustae: Mlasowsky, Alexander, Ara Pacis. Ein Staatsmonument des Augustus auf dem Marsfeld (Mainz 2010); Simon, Erika, Ara Pacis Augustae (Dettelbach 2019). Grabmal des Augustus: Hesberg, Henner von – Panciera, Silvio, Das Mausoleum des Augustus. Der Bau und seine Inschriften (München 1994). Zur Bedeutung von Tumulus-Gräbern: Schwarz, Martina, Tumulat Italia tellus. Gestaltung, Chronologie und Bedeutung der römischen Rundgräber in Italien, Internationale Archäologie 72 (Rahden/Westfalen 2002). Marmor in Rom und Semantik der Buntmarmore: Mielsch, Harald, Buntmarmore aus Rom im Antikenmuseum Berlin (Berlin 1985); Schneider, Rolf Michael, Bunte Barbaren. Orientalenstatuen aus farbigem Marmor in der römischen Repräsentationskunst (Worms 1986); Maischberger, Martin, Marmor in Rom. Anlieferung, Lager- und Werkplätze in der Kaiserzeit, Palilia 1 (Wiesbaden 1997). Römische Wohnsituation: Andreae, Bernard, Am Birnbaum. Gärten und Parks im antiken Rom (Mainz 1996); Kunst, Christiane, Römische Wohn- und Lebenswelten. Quellen zur Geschichte der römischen Stadt (Darmstadt 2000); Priester, Sascha, Ad summas tegulas. Untersuchungen zu vielgeschossigen Gebäudeblöcken mit Wohneinheiten und Insulae im kaiserzeitlichen Rom (Rom 2002); Mielsch, Harald, Häuser von Senatoren in Rom. Architektur und Leben (Paderborn 2016).
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Thermen: Manderscheid, Hubertus, Die Skulpturenausstattung der kaiserzeitlichen Thermenanlagen (Berlin 1981), Brödner, Erika, Die römischen Thermen und das antike Badewesen (Darmstadt 1983); Heinz, Werner, Römische Thermen. Badewesen und Badeluxus im römischen Reich (München 1983); Manderscheid, Hubertus, Bibliographie zum römischen Badewesen unter besonderer Berücksichtigung der öffentlichen Thermen (Berlin 1988); Nielsen, Inge, Thermae et balnea (Aarhus 1990); Weber, Marga, Antike Badekultur (München 1996); Manderscheid, Hubertus, Ancient Bath and Bathing. A Bibliography for the Years 1988–2001, Journal of Roman Archaeology. Supplementary series 55 (Portsmouth 2004); Künzl, Ernst, Die Thermen der Römer (Stuttgart 2013). Theater, Amphitheater, Circus: Hönle, Augusta, Römische Amphitheater und Stadien (Zürich 1981); Zanker, Paul, Augustus und die Macht der Bilder (München 1987) S. 151–157 zu Applaus und Ordnung – Das Theater als Ort der Begegnung von Princeps und Volk; Veyne, Paul, Brot und Spiele. Gesellschaftliche Macht und politische Herrschaft in der Antike (Frankfurt am Main 1988); Wiedemann, Thomas, Kaiser und Gladiatoren. Die Macht der Spiele im antiken Rom (Darmstadt 1992); Heucke, Clemens, Circus und Hippodrom als politischer Raum (Hildesheim 1994); Sear, Frank B., Roman Theatres (Oxford 2006); Welch, Katharine E., The Roman Amphitheatre. From its Origins to the Colosseum (Cambridge 2007); Letzner, Wolfram, Der römische Circus (2009); Gogräfe, Rüdiger, Theater im Römischen Reich (Mainz 2013); Isler, Hans Peter, Antike Theaterbauten (Wien 2017). Der Kaiser baut fürs Volk: Zanker, Paul, Der Kaiser baut fürs Volk (Opladen 1997). Augustus von Primaporta: Simon, Erika, Altes und Neues zur Statue des Augustus von Primaporta. In: Binder, Gerhard (Hrsg.), Saeculum Augustum 3 (Darmstadt 1991) S. 204–233; Schäfer, Thomas, Der Augustus von Primaporta im Wechsel der Medien. In: Wendel, Hans Jürgen (Hrsg.), Wechsel des Mediums. Zur Interdependenz von Form und Inhalt (Rostock 2001) S. 37–58; Gaberdan, Waltraud und Gerhard, Tacitus Annalen, Klett Libellus (Stuttgart 2010) S. 24–25 (Augustus von Primaporta). Scriba, Friedemann, Klassische Skulpturen in den Vatikanischen Museen selbst erschließen, in: Der Altsprachliche Unterricht, Latein-Griechisch, Heft 2+3 (2014), S. 32–34 (AvP). Siegesallee in Berlin: Caspar, Helmut (Hrsg.), Die Beine der Hohenzollern, interpretiert an Standbildern der Siegesallee in Primaneraufsätzen aus dem Jahre 1901, versehen mit Randbemerkungen Seiner Majestät Kaiser Wilhelm II. (Berlin 2001).
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Gestaltung des öffentlichen Raumes II – Grab und Gesellschaft
Petronius Während Roms öffentlicher Stadtraum in der Kaiserzeit mehr und mehr zu einer nahezu ausschließlichen Repräsentationskulisse des Herrschers und seiner engsten Verwandten wurde, boten die Nekropolen, die vor den Toren links und rechts der Hauptverkehrswege lagen und dort regelrechte Gräberstraßen bildeten, noch genügend Freiraum für die Selbstdarstellung der in diesen Bereichen Bestatteten sowie deren Familien. Wer sich mit Gräbern und ihrem bildkünstlerischen Schmuck beschäftigt, wird folglich Einblick in den visuellen Habitus der nichtkaiserlichen Statusgruppen erhalten. Gräber waren schon in der Republik wichtige Orte senatorischer Bildpräsenz. In der Regel stand dabei die Visualisierung der Leistungen ihrer männlichen Mitglieder im Vordergrund. Selbst bei Bestattungen von weiblichen Familienangehörigen senatorischer gentes wurde bei der pompa sowie der laudatio funebris nahezu ausschließlich das Lob der Männer gesungen. Diese und nur diese waren mit ihren Masken (s. Kapitel 4) in geradezu lebendiger Weise gegenwärtig. Durch das Erwähnen ihrer Ämter sowie Taten im Dienst der res publica propagierte man vor großem Publikum den Ruhm des jeweiligen Geschlechts. Es war eine Art Wahlempfehlung für die jüngsten Männer der Familie, die sich gerade anschickten, ihre politische Karriere zu beginnen, und von denen einer die laudatio auf den oder die Tote(n) halten durfte, was im Grunde genommen eine Art »Feuerprobe« für künftige Redeauftritte als Politiker darstellte. Lage, Form, Größe und Bildausstattung des Familiengrabes sind deshalb kaum dem Zufall überlassen worden, sondern bewusst gewählte Zeichen von hoher semantischer Bedeutung. Ein gut bekanntes und in vielen Lateinlehrbüchern abgebildetes Beispiel mag genügen: Das aus der 1. Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. stammende Grabmal der Caecilia Metella lag in prominent erster Reihe an einer der wichtigsten und altehrwürdigsten Straßen des Imperiums, der Via Appia (Abb. 35). Obwohl für eine Frau errichtet, spiegelt es ausschließlich die Würde der beiden wichtigsten Männer ihres Lebens, die ihres Vaters und ihres Ehemannes. Sie werden ausdrücklich in der knappen Grabinschrift (Corpus Inscriptionum Latinarum [CIL] 6, 1274) erwähnt: Caeciliae | Q(uinti) Cretici f(iliae) | Metellae Crassi. Rund um den Tambour des Tumulusgrabes verläuft oben ein Fries aus Girlanden und Stierschädeln (Bukranien). Solche Dekorationselemente sind sowohl an Bauten in Heiligtümern (Tempel,
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Gestaltung des öffentlichen Raumes II – Grab und Gesellschaft
Abb. 35
Altäre) als auch im Grabbereich zu finden. Sie kennzeichnen gewissermaßen die sakrale Grenze zwischen profaner Welt und dem heiligen Bezirk (templum) bzw. die zwischen den Bereichen der Lebenden und der Toten. Im Zentrum des Frieses vom Grabmal der Caecilia Metella prangt jedoch noch ein weiteres Bildmotiv, das eine andere Konnotation aufweist. Man sieht ein mit Beutewaffen behängtes Tropaeum und am Boden hockende gefangene Barbaren. Damit wird eindeutig nicht auf die reale Lebenswelt der weiblichen Bestatteten und/oder ihre Tugenden, wohl aber auf die politische Leistungswelt der mit ihr verwandten Männer (Vater und Ehemann) verwiesen. Ihr Vater war der um 54 v. Chr. verstorbene Quintus Caecilius Metellus, der sich später mit dem Siegesbeinamen Creticus schmücken durfte. Er amtierte als Konsul im Jahr 69 v. Chr., und während seines von 68 bis 65 v. Chr. dauernden Prokonsulats wurde Kreta römische Provinz. Zugleich gelangen ihm wichtige Siege gegen die kretischen Seeräuber. Seine militärische Laufbahn krönte ein im Jahr 62 v. Chr. gefeierter Triumph. Caecilias Ehemann, Marcus Licinius Crassus, Sohn des gleichnamigen Triumvirn, konnte zwar keine vergleichbar prestigeträchtigen Staatsämter und Ehrungen aufweisen wie sein Schwiegervater, doch ist er immerhin hoher Offizier im römischen Heer gewesen. Er kämpfte 54 v. Chr. an der Seite Caesars als dessen Quaestor in Gallien und begleitete ihn auch auf dem Britannienfeldzug. Im Jahr seines Todes übte er das Kommando über die Provinz Gallia Cisalpina aus. Ein Tropaeum mit gefangenen Barbaren eignete sich folglich vortrefflich, um Caecilia Metellas Grab zu einem Monu-
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ment familiärer gloria zu machen. Dass sie selbst dabei ins repräsentative Hintertreffen geriet, dürfte damals, wenn überhaupt, nur sehr Wenige gestört haben. Mit solchen Grabbauten konkurrierten die römischen Senatorenfamilien miteinander um Aufmerksamkeit, aus der sich meist unmittelbar politisches Kapital schlagen ließ. Auf den Grabmals-Coup des jungen Octavian (s. Kapitel 6) ist bereits hingewiesen worden. Auch er nutzte die eigene Begräbnisstätte im Kampf um die Macht, um seinen Rivalen beim stadtrömischen Volk zu diskreditieren. Zusätzlich zu seiner bewussten Entscheidung für eine bestimmte Grabform – der Tumulus verwies auf altrömische Traditionen und daraus sollte unmittelbar auf die entsprechende Einstellung des Grabinhabers, mithin seine Treue zu Rom geschlossen werden – griff der spätere Augustus zu dem an sich illegalen Mittel, das Testament des Marcus Antonius öffentlich verlesen zu lassen, in dem dieser darum bat, man möge ihn dereinst an der Seite Kleopatras VII. in Alexandria zur letzten Ruhe betten. Dies brachte den gewünschten innenpolitischen Umschwung. Die Römer fürchteten um den Verlust ihres Status als Hauptstadt des Imperiums, sollte Marcus Antonius die politische Oberhand behalten. Fortan unterstützten sie daher umso eifriger Caesars Adoptivsohn auf dem Weg zur Alleinherrschaft. Sicherlich ist nicht jedes senatorische Grabmal in der Republik ein solches hochpolitisches Statement gewesen bzw. fungierte als direktes Propagandainstrumentarium. Gleichwohl darf man sagen, dass die Grabbauten der Senatoren einen wichtigen Teil ihrer architektonischen Selbstdarstellung bildeten. Sie zeigten damit an prominenter Stelle eine optische Präsenz, die auf Dauer angelegt war und die Erinnerung an die großen Taten der jeweiligen gens wachhalten sollte. Auch hier präsentierte man sich der Öffentlichkeit so, wie die Männer der Familie gesehen werden wollten. Besonders beliebt sind daher Darstellungen von Amtsinsignien, Zeremonien und militärisch konnotierten Motiven (Tropaea, Waffenfriese, Kampfszenen u. a. m.) gewesen, mit denen die Funktions- und Tätigkeitsbereiche der männlichen Familienmitglieder trefflich zu visualisieren waren. Die Grabbauten der Republik und frühen Kaiserzeit wurden deshalb in ihren Architektur- und Bildprogrammen fassadenhaft nach außen zum Publikum hin ausgerichtet. Ohne diese Positionierung hätten sie ihre repräsentative Wirkung nicht im gewünschten Maß entfalten können. Selbstverständlich verfügten auch die nichtsenatorischen Statusgruppen der römischen Bevölkerung über eigene Grab- und Bestattungsformen, die nicht minder repräsentativ waren und gesellschaftliche Zeichen setzten. Paul Zanker und Valentin Kockel haben anhand der vielen Gräber für reichgewordene Freigelassene exemplarisch zeigen können, wie sehr jene in ihrem Bildschmuck darauf ausgerichtet worden sind, vornehmlich die neuerworbene soziale Stellung sichtbar zu machen. Zu diesem Zweck legten Männer wie Frauen größten Wert darauf, in den Kleidern abgebildet zu werden, die sie als römische Bürger kennzeichnen, d. h. der Mann in der Toga und die Frau mit der Stola. Neben den Ehepaardarstellungen existieren zudem zahlreiche Grabreliefs, auf denen zugleich die
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freigeborenen Kinder zu sehen sind. Aus Ehepaaren wurden so ganze Familien; und in deren Reihen stellten gerade die Kinder das wichtigste soziale Kapital dar, da den Männern unter ihnen auf Grund ihres Status als Freigeborene auch die politische Ämterlaufbahn offenstand, somit dem weiteren gesellschaftlichen Aufstieg der Familie keine Grenzen gesetzt waren. Die Analyse römischer Grabbauten – ihrer Lage, Architektur und bildlichen Ausstattung – eignet sich folglich hervorragend, um Schülerinnen und Schüler mit dem wichtigen Thema der Repräsentation unterschiedlichster Schichten in Rom vertraut zu machen. Im Unterricht lässt sich dadurch ein tieferes Verständnis einerseits für die Möglichkeiten antiker Bildsprache und andererseits für die soziale Ausdifferenzierung der römischen Gesellschaft erzielen. Zudem existiert gerade zu diesem Thema eine ebenso interessante wie kurzweilige literarische Quelle ersten Ranges. In Petrons berühmter cena Trimalchionis, die auch in den folgenden Kapiteln zu den Häusern und Villen der Römer sowie zur Bildung der römischen Oberschicht von zentraler Bedeutung sein wird, gibt es einen eigenen Abschnitt zum Grabmal des reichen Freigelassenen, der es lohnt, im Folgenden näher betrachtet zu werden. Da die Geschichte am Golf von Neapel spielt, bieten sich für einen Vergleich von Text und Archäologika insbesondere die dortigen umfangreichen antiken Hinterlassenschaften an. Zudem liegt gerade für Pompeji eine maßgebliche Detailuntersuchung zu einer wichtigen Gräberstraße vor (s. Literaturverzeichnis), die neben den formalen vor allem auch die sozialen Aspekte gebührend berücksichtigt. Auf einer ersten Ebene wird es dabei zunächst darum gehen, die betreffenden Textstellen zu illustrieren, indem reale Denkmäler zum Vergleich herangezogen werden. Dabei sollte man es im Unterricht aber keinesfalls belassen, vielmehr muss damit verknüpft in einem zweiten Schritt der Versuch einhergehen, die semantische Ebene des literarisch Beschriebenen zusammen mit der der archäologischen Realia und damit die sozial-repräsentative Bedeutung einer solchen sepulkralen Selbstdarstellung zu erfassen. Abschließend wird das insofern zu einem tieferen interpretatorischen Textverständnis führen, als die Schülerinnen und Schüler nunmehr in die Lage versetzt sein werden, Petrons Ausführungen sozial zu verorten. Macht der Autor sich aus Sicht seiner eigenen hochrangigen Position als arbiter elegantiarum am neronischen Kaiserhof wirklich nur lustig über reiche Parvenüs und gesellschaftliche Aufsteiger, deren Übertreibungen als geradezu lächerliche Zeichen ihres Größenwahns und ihrer Geschmacklosigkeit dargestellt werden? Die zu betrachtende Episode spielt während der abendlichen cena. Sie ist bereits von Karl-Heinz Niemann (s. Literaturhinweise) ausführlich fachdidaktisch gewürdigt worden. Die betreffende Passage beginnt mit der direkten Ansprache eines gewissen Habinnas, dem Trimalchio offenbar per testamentarischer Verfügung aufzutragen gedachte, sich um die Errichtung des Grabmals zu kümmern (71, 5). Er verfügt somit über keine eigenen Kinder oder rechtsfähige Verwandte, denen er diese Aufgabe, wie es sonst üblich war, hätte über-
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tragen können. Erst danach kommt er auf Einzelheiten der bildlichen Ausstattung und der Größe des Grabes zu sprechen (71, 6). Trimalchio denkt augenscheinlich an einen Bau von nicht geringer Größe (in fronte gut 30 m und in agrum gut 60 m). Das sind recht beeindruckende Dimensionen, die sich mit denen kaiserlicher Bauten wie dem Grabmal des Augustus (87 × 40 m) vergleichen lassen. Sie künden vom sozialen Anspruch des Trimalchio. Seiner persönlichen Selbstdarstellung dient darüber hinaus die eigene Statue. Spätestens in der Kaiserzeit war es üblich geworden, in effigie am Grab präsent zu sein. Das Abbild sollte die Erinnerung an die soziale Rolle des Bestatteten dauerhaft bewahren und war somit im eigentlichen Wortsinn ein Statussymbol. Petronius spricht an dieser Stelle explizit das beabsichtigte Nachleben an. Dazu passen die detaillierten Angaben zum Bildprogramm der bemalten (pingas) Platten, die den Sockel des Standbilds verkleiden sollten. Es handelt sich dabei um eine Zusammenstellung von Motiven, deren semantische Bedeutungen im Einzelnen recht unterschiedlich sind. Hunde fungierten zum einen im Zusammenhang mit der Darstellung von Frauen als Symbole der Treue und zum anderen verweisen sie auf die Jagd als Sinnbild männlicher virtus oder allgemein wegen der Kostspieligkeit mancher Rassen auf den sozialen Stand. In Trimalchios Fall wird dies aber insofern konterkariert, als dieser sich das Bild eines Hündchens (catellam) wünscht, wie es für einen männlichen Angehörigen der sozialen Eliten Roms mehr als unstatthaft gewesen wäre. Die Kränze und Salböl-/Tränen-/Parfumfläschchen (coronas et unguenta) können wohl als Anspielungen auf öffentliche Ehren verstanden werden. Vielleicht sind Preiskronen und Siegesgeschenke in nicht zu spezifizierenden Agonen gemeint. Es kann sich bei den coronae aber genauso gut um wesentlich höherrangige Ehrenzeichen wie beispielsweise coronae civicae handeln, die Trimalchio zwar persönlich nicht direkt zukommen, doch als Kaiserinsigne indirekt auf eine wichtige Würde von Freigelassenen verweisen, die Mitgliedschaft im Kollegium der sodales augustales, die sich um die kultische Verehrung des Kaisers zu kümmern hatten. Eine hohe Zahl dieser augustales – man schätzt bis 95 Prozent – gehörten der Gruppe der Freigelassenen an, für deren reiche Vertreter dieses Amt das einzige war, das sie bekleiden durften und ihnen öffentliche Anerkennung eintrug. So erhielten diese Würdenträger wenigstens bei den offiziellen Kaiserfesten und -opfern das Ehrenrecht des ersten Platzes. Bei allen anderen Gelegenheiten kamen sie dagegen nicht zum Zuge und mussten sich mit einem öffentlichen Leben im Schatten der eigentlichen Eliten begnügen. Petronius erwähnt von seinem Trimalchio ausdrücklich, dass dieser ein augustalis sei (30, 2). Darstellungen von Kränzen kommen daher recht häufig in der Sepulkralkunst der liberti vor. Ein schönes Beispiel ist das zwischen 70 und 79 n. Chr. errichtete Grab des Gaius Calventius Quietus an der Gräberstraße vor dem HerculanerTor in Pompeji. Auf den beiden Nebenseiten dieses Grabmals in Form eines Altars wurde jeweils eine corona civica dargestellt. Sie zeigen an, dass der Grabinhaber zu seinen Lebzeiten die Funktion eines augustalis ausübte (Abb. 36).
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Abb. 36
Eine eminent öffentliche Bedeutung hatte ebenso der Verweis auf die gewünschten Kampfbilder (pugnas). Gemeint sind entweder Gladiatorenspiele oder wirkliche Schlachten. Erstere wurden gelegentlich an Gräbern dargestellt. Sie können dort die Leichenspiele zu Ehren des/der Toten meinen oder wohl eher als munera publica verstanden werden, die der Verstorbene zu Lebzeiten der Gemeinschaft gespendet hatte, was in der Regel mit einem enormen Prestigegewinn verbunden war. In der Republik sind nicht wenige politische Karrieren mittels dieser besonderen Form der Wahlbestechung befördert worden oder gar, wenn die Spiele zu ärmlich ausfielen, mit einem Schlag beendet gewesen. Noch in der Kaiserzeit gehörte das Finanzieren öffentlicher Spiele zu den wichtigsten Ehrenaufgaben der sozialen Eliten, wobei in der Hauptstadt in der Regel der Kaiser den einschlägigen Festkalender dominierte. In den Städten der Provinzen konnten dagegen alle Finanzkräftigen zum Zuge kommen und sich auf diese Weise öffentliche Anerkennung sichern. Solche Spiele fanden hauptsächlich zu Ehren der Kaiser statt, was im Fall des Trimalchio wiederum ein passendes Sujet wäre, da ihm als augustalis – wie bereits oben erwähnt – die Durchführung derartiger Feierlichkeiten oblag. Entsprechende Bilder sind folglich häufiger auf Gräbern zu finden, so auch in Pompeji. Vor dem dortigen Herculaner-Tor ließ in den 70er-Jahren des 1. Jhs. n. Chr. ein Grabinhaber (N. Festius Ampilatus?) sein Altargrab mit feinen Stuckreliefs schmücken, die Tierhatzen (venationes) und Gladiatorenkämpfe zeigen.
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Abb. 37
Schlachtenbilder gehörten dagegen schon in der späten Republik zum üblichen Repertoire der stadtrömisch-senatorischen wie auch der provinzialen Magistratselite. In Ostia ist die Front des von öffentlicher Hand finanzierten Kenotaphs des ranghohen Ostienser duumvir und censor Gaius Cartilius Poblicola, dessen politische Karriere in den 30er-Jahren des 1. Jhs. v. Chr. begann und bis zur Zeitenwende dauerte, nicht nur mit sechzehn fasces als Zeichen seiner acht Amtszeiten als duumvir verziert, sondern ebenso mit einem figürlichen Fries, der auch auf den Seiten zu sehen war (Abb. 37). Er zeigt Kriegsszenen, die sich vielleicht auf ein nicht näher bekanntes Ereignis an der Küste Ostias beziehen lassen, bei dem Poblicola eine größere Rolle als Kommandant gespielt haben könnte. Gerade Schlachtenmotive waren wie kaum ein anderes Sujet dazu geeignet, männliche virtus zu rühmen und für sich individuelle militärische Leistungen zu reklamieren. Aber selbst dies gelänge, falls die Deutung überhaupt zutreffend ist, bei Trimalchio nur vordergründig, sind es doch des Petraitis omnes pugnas, nicht die eigenen, die er malen lassen kann. Petronius dürfte also eher Gladiatorenkämpfe meinen, die seine Hauptperson als augustalis finanzierte. In den folgenden Sätzen kommt der libertus auf einen weiteren wichtigen Aspekt von Gräbern zu sprechen, auf den ihrer Funktion als besuchbare und damit eminent öffentliche Orte (71, 7). Mit dem Wunsch nach Bepflanzung mit Obstbäumen zielt er auf eine Gestaltung seiner letzten Ruhestätte als einen locus amoenus, wie ihn sich bereits Cicero
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für seine geliebte Tochter ersehnte. Dieser Topos ist aufs Engste mit dem Wunsch nach Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit verbunden. Beides garantierte größtmögliche memoria. Zwei Textstellen aus Ciceros Briefen an seinen Freund und Kunstagenten Atticus belegen dies eindeutig (Epistulae ad Atticum 12, 19, 1 und 13, 29, 1). Diese Öffentlichkeit scheint aber auch ihre Schattenseiten (Verrichtung der Notdurft an Gräbern) gehabt zu haben, wogegen sich Trimalchio eigens durch Einstellung eines freigelassenen Wächters zu schützen sucht (71, 8). Wie wichtig ihm gerade sein Grab als der öffentliche Ort war, an dem man sich an ihn dauerhaft erinnern sollte, zeigt sein Plan, daran eine Inschrift anbringen zu lassen, die unmissverständlich klar macht, dass diese memoria ewig sein soll (letzter Satz von 71, 7). Auf diese eingeschobenen Passagen folgen wiederum neue Anweisungen zur Gestaltung des Bildschmuckes. Diesmal sind Verweise auf die berufliche Tätigkeit des Trimalchio als Seehandel Treibender und damit auf die Quelle seines Reichtums sowie auf seine öffentlichen Funktionen respektive Würden und auch auf seine Spenden an das Volk gewünscht (71, 9–10). Ehrensitze waren schon in republikanischer Zeit ein beliebtes Schmuckmotiv magistratischer Gräber. Sie drücken in direkter Form die besondere Stellung derjenigen aus, die über ein solches Statussymbol verfügen durften. Dies gilt gleichermaßen für das Recht, Ringe zu tragen. Ein sog. bisellium ist beispielsweise auf dem bereits erwähnten Grab des Gaius Calventius Quietus dargestellt (Abb. 36). Der honor biselli wurde in Provinzstädten häufig an augustales, d. h. an liberti wie Trimalchio, verliehen, konnte aber auch andere Gruppen auszeichnen. Er bedeutete das Recht, bei öffentlichen Veranstaltungen einen doppelt breiten Sitz nutzen zu dürfen. Solche bisellia waren gerade bei den Freigelassenen beliebte Ehrenzeichen, da diese aufgrund ihres Status als Nichtfreigeborene niemals die prestigeträchtigen politischen Ämter bekleiden und von daher auch keinesfalls eine sella curulis ihr Eigen nennen durften, die wiederum die Gräber der eigentlichen Standespersonen schmückten. Dieser ehrende Aspekt gilt nicht minder für die im Text zusätzlich erwähnte toga praetexta, auf die Trimalchio als sevir ebenso ein Anrecht hat wie auf zwei begleitende lictores. Beides stellt wiederum eine Entlehnung aus dem im Römischen fein ausgeprägten magistratischen Insignienwesen dar und ist nobilitierend gemeint. Derartige Rangabzeichen dienten der plakativen Sichtbarmachung bestimmter Ämter und Würden und haben von daher einen sozial distinktiven Charakter. Die enge Verbindung von Reichtum und einem damit verbundenen sozialen Zwang zu öffentlichen Geldausgaben in Form von Speisungen, Getreide- und Geldverteilungen thematisiert ganz im Sinn von Trimalchios Wünschen ein weiteres pompeianisches Grab aus der Zeit um 60 n. Chr. Es gehörte dem ebenfalls aus der Schicht der Freigelassenen stammenden Ehepaar Naevolaeia Tyche und Gaius Munatius Faustus, die offenbar mit Handelsschifffahrt reich geworden sind (Abb. 38). Die nördliche Hauptseite, auf der die Grabinhaberin im oberen Register aus einem Fenster mit Klappläden frontal auf die poten-
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Abb. 38
tiellen Betrachter des Altargrabes blickt, weist zudem ein mehrfiguriges Relief auf, das zurecht als Darstellung einer von den Verstorbenen finanzierten kostenlosen Getreideverteilung interpretiert wurde. Die flankierenden Schmalseiten zeigen dagegen im Osten ein bisellium und im Westen ein Handelsschiff mit Besatzung, die gerade an den Segeln hantiert. Volle Segel sind als Anzeichen eines sicheren Reiseverlaufs zu deuten. Nicht selten führten Schiffsunglücke infolge von Stürmen zum Ruin der Handeltreibenden. Auch Trimalchio war davon bekanntermaßen am Beginn seiner Karriere nicht verschont geblieben (76, 3–4). Das Bildprogramm des Grabmals wäre jedoch unvollständig, wenn nicht auch der Gattin gedacht würde. Ebenso dürfen Trauermotive nicht fehlen. Beides reklamiert Trimalchio am Ende seiner Ausführungen zum eigenen Grabmal (71, 11). Von der Bedeutung einer Ehefrau gerade für Freigelassene war bereits oben kurz die Rede. Sklaven konnten keine Ehen schließen, weshalb allein die Tatsache, dass Freigelassene an ihren Gräbern gemeinsam mit ihren legitimen Gattinnen erscheinen, zuvorderst als Hinweis auf den neuen Status verstanden werden muss. Columba und catella gehören zum üblichen idealisierenden Motivrepertoire für Frauen. Es sind Sinnbilder ihres lieblichen Wesens (Taube) und ihrer ehelichen Treue (Hündchen). Der Lieblingssklave Cicaron, der – wie sein Name verrät – östlich-griechischer Herkunft und folglich teuer gewesen sein muss, sowie die vielen Weinamphoren wird man als weitere statussymbolische Hinweise auf Tri-
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malchios Reichtum interpretieren dürfen. Bei dem zerbrochenen Gefäß und dem darüber weinenden Knaben (puerum plorantem) handelt es sich hingegen um ein Trauermotiv aus der Sepulkralsymbolik. So wie der Knabe über den Verlust der kaputten Amphore und ihres Inhalts tränenreich klagt, soll idealerweise die Nachwelt den Tod des Trimalchio betrauern. Und damit er keinesfalls in Vergessenheit gerät, lässt Trimalchio sogar in der Mitte eine Sonnenuhr (horologium in medio) – auch diese in gewisser Weise ein Sinnbild der Vergänglichkeit – mit seinem Namen anbringen, durch deren Betrachtung ein jeder, ob er wolle oder nicht, gezwungen wäre, diesen zu lesen. Die Rechnung dürfte aufgehen, denn horologia sind wegen der raren Möglichkeiten in der Antike, die Zeit exakt ablesen zu können, überaus öffentlichkeitswirksame Instrumente gewesen. In großem Stil ließen daher auch Kaiser wie beispielsweise Augustus solche Uhren aufrichten, zumal diese zugleich symbolisch ihre Herrschaft über die Zeit zum Ausdruck brachten. Den Schlusspunkt setzt die gewünschte Grabinschrift, in der noch einmal die erreichte Würde des Trimalchio (sevir) Erwähnung findet (71, 12). Zugleich spielt er aber auch auf die Tatsache an, dass ihm als Freigelassenem eigentlich der Zugang zu anderen Ämtern verwehrt bleibt, indem er so tut, als habe er sie gar nicht gewollt. In ähnlicher Weise dient der Schlusssatz dazu, die Nichtzugehörigkeit Trimalchios zu den eigentlichen Eliten des Reiches nochmals zu unterstreichen. Dass er niemals einen Philosophen gehört habe, grenzt ihn eindeutig von diesen ab, worauf im Kapitel 9 noch näher einzugehen ist. Doch wie steht es abschließend mit der These der bewussten Überzeichnung von Trimalchios Bemühungen durch Petronius, die dieser ins Werk gesetzt haben soll, um aus der Sicht der römischen Oberschicht, der er selbst zugehörte, die ebenso anmaßenden wie verzweifelten Bemühungen neureicher Aufsteiger um Anschluss an die wahre Elite lächerlich zu machen? Man könnte meinen, dass manche Passagen sich durchaus vorzüglich als Beweis dafür eigneten, wie sehr es dem Autor angeblich darauf ankam, in Gestalt des Trimalchio allein die Schicht der reichen liberti zu brandmarken und sie für ihre übertriebene Geltungssucht zu tadeln. Aber ist es nicht eher ein kritischer Blick des Satirikers auf die Gepflogenheiten der eigenen sozialen Gruppe, die sich hierin manifestiert? Man möge nur an die vielen Ehrungen denken, die Oberschichten des Reiches auch ohne wirkliche Leistungen sozusagen als Geburtsrecht erhielten, oder an die Kämpfe der Militärs, die streng genommen nie die eigenen waren, da allein der regierende Kaiser das jeweilige imperium innehatte. Erinnernd sei beispielsweise auf die Reliefdarstellungen von Augustus’ Triumphen hingewiesen, mit denen Gaius Sosius die Cella des von ihm renovierten ApolloTempels ausschmückte (s. Kapitel 6). Insofern sind auch die aus der Republik herübergeretteten senatorischen Selbstdarstellungsformen im Grunde genommen längst bloße Hüllen und die visuell angemaßten Ehrungen reine Bildformeln aus längst vergangenen Zeiten gewesen. Daran trotz drastisch veränderter politischer Rahmenbedingungen festzuhalten, war nicht weniger lächerlich als Trimalchios neureiches Protzertum. Einem Be-
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harren auf alten, ehemals durchaus prestigeträchtigen, längst aber schon inhaltsleer gewordenen Rollen haftete somit ebenfalls etwas Lachhaftes an, und dies galt für Senatoren wie für Freigelassene gleichermaßen. Zusätzlich zu den im Text schon genannten pompeianischen Altargräbern können im Unterricht weitere Denkmäler zu einem vertiefenden Vergleich herangezogen werden. Die Wahl sollte dabei auf ein stadtrömisches Monument sowie eines aus den Provinzen fallen, um nicht nur die Verhältnisse im Zentrum des Reiches selbst, sondern auch dessen Peripherie näher zu beleuchten. In letzterem Fall empfiehlt es sich aus Gründen eines direkteren Bezuges, ein Beispiel aus den nördlichen Reichsterritorien ins Zentrum der Überlegungen zu stellen. Als konkrete Vorschläge werden hier das etwa 30 v. Chr. entstandene Grabmal des Großbäckers Eurysaces und seiner Gattin Atistia vor der Porta Maggiore in Rom sowie die in die ersten beiden Jahrzehnte des 3. Jhs. n. Chr. zu datierende sog. Igeler Säule bei Trier der beiden reichen Tuchhändlerbrüder Lucius Secundinius Aventinus und Lucius Secundinius Securus genannt, da beide im Internet für die Schülerinnen und Schüler leicht recherchierbar sind und über einführende deutschsprachige WikipediaArtikel (s. Literaturhinweise) verfügen. Auf dem Eurysaces-Grabmal, das zudem eine sehr eigentümliche Form aufweist, die entweder als Darstellung eines Backofens oder einzelner Backtröge bzw. Behältnisse für Getreide gedeutet wird, sind Szenen aus dem Berufsleben des Großbäckers zu sehen. Darüber hinaus blieben sowohl die am Bau insgesamt dreimal vorkommende Grabinschrift (Corpus Inscriptionum Latinarum [CIL] I² 1203–1205 = CIL VI 1958: [Est hoc monume]ntum Marcei Vergilei Eurysacis pistoris redemptoris apparet // est hoc monimentum Margei(!) Vergilei Eurysacis / pistoris redemptoris apparet // Est hoc monumentum Marci Vergili Eurysac[is]) als auch die Urne in Brotkorbform (Rom, Thermenmuseum) sowie ein Relief (Rom, Kapitolinische Museen, Museo Nuovo o. Inv.) mit Ganzkörperdarstellungen des oder besser eines Ehepaares erhalten, da seine Zugehörigkeit zum Grabmal in der aktuellen Forschung nicht mehr allgemein akzeptiert wird. In die Arbeitswelt des römischen Tuchgewerbes führen die Reliefs der Igeler Säule. Sie sind dort mit mythologischen Darstellungen kombiniert. In der Antike fungierte das hoch aufragende Monument als Wegmarke, da es von weither schon sichtbar gewesen ist. Dies zeigt besonders eindrücklich den visuellen Stellenwert, den solche Gräber hatten. Das des Eurysaces stand an besonders prominentem Ort und stach den an dieser Stelle die Stadt Rom Betretenden sofort ins Auge. Beide Grabmonumente sind insofern hervorragend geeignet, den Text des Petronius zu illustrieren, als sie Aufschluss geben über Selbstdarstellungsformen gesellschaftlicher Schichten, deren Angehörige wie Trimalchio nicht qua Geburt, sondern durch Handwerk und/oder Handel zu eigenem Wohlstand sowie Ansehen in der römischen Gesellschaft gelangten. Sie bezeugen darüber hinaus in höchst eindrücklicher Weise, welche unverzichtbare Rolle gerade die Grabmäler und vor allem deren Bildschmuck bei der Visualisierung
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des sozialen Status ihrer Auftraggeber spielten, indem sie mehr oder minder symbolhaft die Leistungen und Würden der Verstorbenen allen potentiellen Betrachtern vor Augen führten und damit medial einen in der Realität meist fragilen gesellschaftlichen Zustand für ewig festschrieben. Dieser Beglaubigungscharakter der Denkmäler sollte als wichtiger Beweggrund für deren Errichtung nicht unterschätzt werden. Die für Trimalchios Grabbau vorgesehenen Darstellungen spiegeln in diesem Sinn einen Kanon offiziell akzeptierter idealer Verhaltensweisen. In dieser Form offenbaren sie das generell Konzepthafte der römischen Bildersprache, die vor allem darauf angelegt war, durch typisierte Objekte wie Handlungen soziale Rollen respektive Identitäten und die von diesen gleichsam verkörperten Werte/Tugenden visuell zu konstruieren und damit symbolisch dauerhaft sichtbar zu machen. Sie waren daher in der frühen Kaiserzeit noch wesentlich nach außen auf ein öffentliches Publikum ausgerichtet und dienten so nicht nur der memoria der Toten, sondern vor allem auch der gloria ihrer lebenden Verwandten. Insgesamt gesehen ermöglicht die Betrachtung von Trimalchios Grabmalprojekt unter Einbeziehung von realen Vergleichsbeispielen den Schülerinnen und Schülern somit einen Einblick in das visuelle Zeichensystem diverser römischer Statusgruppen jenseits der offiziellen Staatskunst, der die vorhergehenden Kapitel gewidmet waren. Sie lernen, die hinter der Bildsprache stehenden Ideen und sozialen Mechanismen zu analysieren, und erkennen zudem thematische Verschränkungen zwischen »Öffentlichem« und »Privatem«, was ein wichtiges Charakteristikum der materiellen Repräsentationskultur der Römer darstellt. Diesen fundamentalen Unterschied zu unserer eigenen Lebenswelt, der in der Vermischung heute strikt getrennter, geradezu gegensätzlicher Kategorien (öffentlich vs. privat) besteht, wird im folgenden Kapitel zum römischen Wohnen vertieft. Das Erkennen dieser kulturellen Differenz öffnet zusätzlich die Augen für Phänomene der eigenen Zeit und sollte daher bei den Arbeitsaufträgen unbedingt Berücksichtigung finden.
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Arbeitsaufträge – Petronius und römische Grabmäler 1. Erstellen Sie eine Liste aller Themen, die auf Trimalchios Grabmal abgebildet bzw. angebracht werden sollen. Markieren Sie dabei Themen und Angaben, von denen Sie annehmen, dass sie nicht zu einem antiken Grabmal passen. 2. Setzen Sie die einzelnen Punkte dann nach den Angaben des Textes in eine Skizze des Grabmals um. 3. Recherchieren Sie im Internet unter folgenden Links und vergleichen Sie die dort abgebildeten Themen mit Trimalchios Vorgaben für sein Grabmal: https://www.pompeiiinpictures.com/pompeiiinpictures/Tombs/tombs %20hgw17.htm https://www.pompeiiinpictures.com/pompeiiinpictures/Tombs/tombs %20hgw20.htm https://www.pompeiiinpictures.com/pompeiiinpictures/Tombs/tombs %20hgw22.htm 4. Überprüfen Sie davon ausgehend Ihre Liste von Aufgabe 1 und benennen Sie sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede. 5. Fassen Sie abschließend zusammen, welches Bild von sich Petrons Trimalchio der Nachwelt überliefern will. 6. Entwerfen Sie auf der Basis der bei Petronius geschilderten römischen Vorstellungen vom Aussehen eines Grabmals den Bildschmuck für die fiktive Bestattung einer Ihnen bekannten aktuellen Persönlichkeit aus den Bereichen Film, Musik, Sport oder Politik und begründen Sie die von Ihnen getroffene Motivwahl.
Literaturhinweise: Petronius’ Grabmal im Unterricht: Niemann, Karl-Heinz, »Valde te rogo, ut secundum pedes statuae meae catellam pingas.«, in: Der Altsprachliche Unterricht. Griechisch und Latein, Heft 2 (1998) S. 18–35. Allgemein zur römischen Grabkunst: Hesberg, Henner von, Römische Grabbauten (Darmstadt 1992). Grabmal des Augustus: Hesberg, Henner von – Panciera, Silvio, Das Mausoleum des Augustus. Der Bau und seine Inschriften (München 1994). Zur Bedeutung von Tumulus-Gräbern: Schwarz, Martina, Tumulat Italia tellus. Gestaltung, Chronologie und Bedeutung der römischen Rundgräber in Italien, Internationale Archäologie 72 (Rahden/Westfalen 2002). Senatorische Grabbauten in Rom: Eisner, Michael, Zur Typologie der Grabbauten im Suburbium Roms, Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Römische Abteilung, Ergänzungshefte 26 (Mainz 1986). Grabreliefs: Zanker, Paul, Grabreliefs römischer Freigelassener, Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 90, 1975, 267–315; Kockel, Valentin, Porträtreliefs stadtrömischer Grabbauten (Mainz 1993).
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Grabinschriften in Rom: Kolb, Anne – Fugmann, Joachim, Tod in Rom. Grabinschriften als Spiegel römischen Lebens (Mainz 2008). Pompeianische Grabbauten: Kockel, Valentin, Die Grabbauten vor dem Herkulaner Tor in Pompeji (Mainz 1983); Campbell, Virginia L., The Tombs of Pompeii. Organization, Space, and Society (New York – London 2015). Uhren und Zeitmessung: Winter, Eva, Zeitzeichen. Zur Entwicklung und Verwendung antiker Zeitmesser (Berlin 2013). Grab des N. Festius Ampliatus (Süd 17): Kockel a. a. O. S. 75–85 Abb. 9. 10 Taf. 15a. 18–21; Grab des C. Calventius Quietus (Süd 20): Kockel a. a. O. S. 90–97 Abb. 11–13 Taf. 23–25; Grab der Naevoleia Tyche und des C. Munatius Faustus (Süd 22): Kockel a. a. O. S. 100–109 Abb. 11. 14–16 Taf. 26 a. b. 27–30; Berufsdarstellungen: Zimmer, Gerhard, Römische Berufsdarstellungen, Archäologische Forschungen 12 (Berlin 1982). Grabmal des Eurysaces: https://de.wikipedia.org/wiki/Grabmal_des_Eurysaces; Zimmer a. a. O. S. 106– 107 Kat.-Nr. 18; Kolb – Fugmann a. a. O. S. 119–124 Nr. 29. Igeler Säule: https://de.wikipedia.org/wiki/Igeler_Säule; http://zentrum-der-antike.de/monumente/igeler-saeule/die-igeler-saeule.html; Visser (= Choitz), Tamara, Schülerarbeitsblätter im Museum – Chancen und Probleme ihrer Ausgestaltung, in: Der Altsprachliche Unterricht. Griechisch und Latein, Heft 4+5 (2001) S. 14–23.
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Petronius und Cicero, Verres-Reden Die einflussreiche senatorische Oberschicht hatte neben ihrem Leben in der Öffentlichkeit als politisch Handelnde, ihrem cursus honorum, durchaus auch ein »privates«. Während Ersteres von der Erfüllung vorgegebener standardisierter Rollen im Rahmen der republikanischen Ämterlaufbahn geprägt war, die ihren Niederschlag in entsprechenden Selbstdarstellungsformen (Staatsmonumente, Bildnisse, Grabdenkmäler, s. hierzu Kapitel 2–7) fanden, bot Letzteres mehr Freiräume. Beide Lebensbereiche wurden als Gegenentwürfe zum jeweils anderen verstanden, was seinen Ausdruck auch in der Terminologie fand. So bezeichneten die Römer der Oberschichten ihr privates Dasein als otium, das sie scharf vom negotium abgrenzten, welches sprachlich bezeichnenderweise als Negation des anderen Zustands auftritt. Darin drückt sich in gewisser Weise aber auch eine Bevorzugung des einen vor dem anderen aus. Denn das, was negiert wird, kann folglich als die eigentlich präferierte Lebensform gelten. Doch ganz »privat« in unserem Sinn ist auch dieser otium-Bereich niemals gewesen. Als Einstieg in das Thema eignet sich für den Lateinunterricht wiederum Petrons Cena Trimalchionis hervorragend. Zudem ergibt sich dadurch eine direkte und zugleich kontrastierende Anbindungsmöglichkeit an das vorige Kapitel, in dem das Grab als ein Beispiel öffentlicher Repräsentation im Zentrum stand. Petronius schildert die domus seines Protagonisten zwar nicht ausführlich in Form einer eigenständigen literarischen Ekphrasis, doch genügen die bewusst eingestreuten Beschreibungen des Dekors, um sich ein Bild zu machen. domus Vorauszuschicken ist, dass das römische Wohnhaus etruskisch-italische Wurzeln hat. Zum Kern gehören ein atrium mit tablinum, die die wichtigsten repräsentativen Räume des Hauses bildeten (Abb. 39). Ihre Funktionen als Empfangsorte der Besucher offenbaren, dass auch die sogenannten Privathäuser in der Regel nur eingeschränkt privat waren. In den senatorischen domus empfing in diesen Räumen jeden Morgen der Hausherr seine clientes, die ihm bei der salutatio die Aufwartung machten. Hier hörte er geduldig
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ihre Bitten an, verteilte Geldgeschenke, gab juristische Ratschläge, sagte Hilfe in mancherlei Angelegenheiten zu, besprach und erledigte Geschäftliches sowie Finanzielles u. a. m., sprich, er pflegte sein soziales Netzwerk, auf dessen Unterstützung er umgekehrt bei seiner politischen Karriere angewiesen war. Die Zahl der eigenen Klienten ist daher immer auch ein Gradmesser des politischen Einflusses der jeweiligen Senatoren gewesen. Sie dauerhaft auf sich und seine Familie zu verpflichten, hieß, in die politische Zukunft, auch und gerade für die Nachkommenschaft, zu investieren. Abb. 39 Vor diesem Hintergrund waren Architektur und Ausstattung der hochherrschaftlichen domus stets auf das Engste mit dem sozialen Status des jeweiligen Hausherrn verknüpft. Der römische Architekturschriftsteller Vitruvius spricht diese Spiegelfunktion in einer immer wieder im Zusammenhang mit der gesellschaftlich-hierarchischen Bedeutung römischer Wohnhäuser zitierten Stelle seines Werkes deutlich aus, indem er darauf hinweist, dass Leute, die nur ein durchschnittliches Vermögen besäßen, weder prächtige Vorhallen noch Empfangsräume benötigten, da sie zwar anderen die Aufwartung machen müssten, selbst aber keinen entsprechenden Besuch erhielten (De architectura libri decem VI 5, 2–3). Standesgenossen gewährte man darüber hinaus Zugang zu kleineren Räumen, den cubicula, die weit mehr als reine Schlafräume gewesen sind. Sie lagen in der Regel seitlich des Atriums und in den hinteren Bereichen der Häuser. Überhaupt muss deutlich gemacht werden, dass die einzelnen »Zimmer« römischer domus stets multifunktional waren. Durch rasche Ummöblierungen schuf man den Rahmen für höchst unterschiedliche Praktiken. Dort, wo tags- und zuweilen ebenso nachtsüber gearbeitet wurde, konnte man aber auch Gäste empfangen, sexuellen Aktivitäten nachgehen oder einfach nur schlafen. Ein besonderes Augenmerk lag darüber hinaus auf den triclinia. Auch diese sind eigentlich zutiefst öffentliche Orte gewesen, da hier der Hausherr seine Gäste zum abendlichen convivium (oder auch cena) empfing, das eine wichtige Rolle innerhalb der sozialen Beziehungen spielte sowie zudem ausreichende und gern genutzte Möglichkeiten zur Statusdemonstration bot. Durch den Kontakt zum Wohnluxus der Griechen infolge des militärischen Engagements der Römer in der hellenistischen Staatenwelt seit dem Ende des 3. Jhs. v. Chr. und dann vor allem ab dem 2. Jh. v. Chr. erfuhr auch der Wohnbereich eine entscheidende Ver-
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Abb. 40
änderung. Fortan erweiterte man den alten Atriumhaustyp mit Bauelementen vornehmer griechischer Wohnhäuser (Abb. 40). Kennzeichnend ist beispielsweise das weitgehende Verdrängen des hortus, der ursprünglich ein reiner Küchengarten war, durch einen weiträumigeren und weitaus luxuriöseren Peristylgarten. Wie es der aus dem Griechischen stammende Begriff nahelegt, handelt es sich hierbei um ein von Säulen eingefasstes Areal. Solche kleinen Plätze gehörten ursprünglich in den Bereich von Heiligtümern und sind erst sekundär Teil vornehmer griechischer Wohnbauten und Palastanlagen geworden, wo sie als sakral-nobilitierend wirkende Elemente fungierten. Diese Funktion lag auch der Übernahme im italisch-römischen Bereich zugrunde. Zusätzlich umgab man sich mit neuen griechischen Schmuckformen. Die Häuser erhielten zusehends einen aufwändigen Dekor in Form von Bauornamentik (Säulen, Kapitelle), Wandmalereien, Mosaiken, Stu-
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ckaturen, Skulpturen, Gemälden, verziertem Tafelsilber, kostbarem Mobiliar, Teppichen u. v. m., in dem sich der soziale Rang des jeweiligen Hausherrn ausdrückte. Insofern sind auch die römischen Wohnhäuser nie ganz frei gewesen von denselben Repräsentationsformen, die auch im öffentlichen Auftreten der sozialen Eliten eine zentrale Rolle spielten. Diese Aspekte treten alle in Petrons Bemerkungen zum Wohnluxus des Trimalchio deutlich sichtbar zu Tage. Trimalchio selbst gibt an anderer Stelle einen Überblick über den zu erwartenden Luxus (77, 4–5). Er bezeichnet seine domus als eine Wohnung, die der Götter würdig sei, und spricht von zwei marmornen Portiken, vier Speisesälen und zwanzig weiteren Räumen und einem hospitium für 100 hospites. Schon allein die Erwähnung eines Scaurus, der immer wieder zu Besuch gekommen sei, obwohl dieser selbst über ein prächtiges Anwesen am Meer verfüge, lässt die hohen gesellschaftlichen Ansprüche des Trimalchio erkennen. Petrons gebildetem stadtrömischen Publikum dürfte dabei sofort Marcus Aemilius Scaurus in den Sinn gekommen sein, der für seine spätrepublikanischen Prachtarchitekturen berühmt war. Sein temporärer Theaterbau besaß eine verschwenderische Dekoration (Plinius, Naturalis historia 36, 24), die zum Teil später sein Privathaus schmückte, dessen atrium allein 2500 Personen Platz geboten haben soll (Cicero, De officiis 1, 138–139; Plinius, Naturalis historia 36, 50. 113–115). Hier standen vier Meter hohe Säulen aus schwarzem Marmor (Obsidian?) von der Insel Melos, die Augustus später als Zeichen seiner Bescheidenheit in das Theater des Marcellus transferieren ließ. Mit dem letzten Satz Trimalchios wird darüber hinaus auf eine wichtige Funktion von Reichtum angespielt, der sich eben insbesondere in prachtvollen Häusern manifestierte: Er gewährte sozialen Schutz. Noch für die neronische Zeit, auch wenn er diese Vorstellungen auf die Republik zurückprojiziert, konnte daher Tacitus bemerken, dass, je auffallender jemand wegen seines Reichtums, vornehmen Hauses und seiner gesamten Prachtentfaltung in Erscheinung träte, er umso höher wegen seines Namens und seiner clientes geschätzt worden sei (Annales 3, 55, 2–3). Bereits der Eingang von Trimalchios fiktiver domus ist entsprechend bildlich akzentuiert. Die Schrifttafel verweist unmittelbar auf den Reichtum des Hausherrn, der offenbar in der Lage ist, mehrere Sklaven sein Eigen zu nennen. (28, 6–7). Dies gilt ebenso für die Livree des Pförtners wie für die von ihm genutzte silberne Schüssel, die er für eine vergleichsweise profane Tätigkeit verwendet (28, 8). Ärmere hätten sich mit Tongeschirr begnügen müssen und wohl auch keinen derart auffällig gekleideten Wächter besessen. Für jede spezielle Tätigkeit einen eigenen Sklaven zu haben, galt allgemein als Ausweis besonderen Reichtums. Trimalchios Statusstreben offenbart sich unmittelbar, wenn man Ciceros hämisch gemeinte Bemerkungen über seinen innenpolitischen Rivalen Lucius Calpurnius Piso Caesoninus, Konsul des Jahres 58 v. Chr., als Gegenentwurf liest. Cicero wirft dem Konsular, um ihn zu diskreditieren, vor, an ihm sei nichts Vornehmes, da er nur riesige Tonschüsseln, keine Silbergefäße auftragen lasse, und dies noch dazu von alten
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Sklaven in schmutziger Kleidung, während es sonst im Haus an spezialisierten Dienern fehle. Auch seien seine Gelage schäbig zu nennen (In Pisonem 27). Selbst der Vogel in goldenem Käfig ist ein wichtiges Statussymbol (28, 9). Die Sitte, kostbare Vögel zum Zweck des Verzehrs oder der reinen Belustigung zu halten, übernahmen die Römer von den Griechen. Je exotischer die Tiere waren, desto mehr eigneten sie sich als Zeichen der Herrschaft über weit entfernte Territorien und Ausweis materiellen Überflusses. Entsprechende Volieren standen daher in hohem Kurs. Von Varro ist die Beschreibung eines solchen luxuriösen Vogelhauses überliefert, das sich in seiner Villa bei Casinum befand (De re rustica 3, 5, 9–17). Es gab aber auch ausgeklügelte mechanische Apparate, bei denen künstliche Vögel um die Wette sangen. Diese Automatenkunst ist ebenfalls im Kontext der hellenistischen Königshöfe entstanden, wo sie in Anlehnung an die olympischen Werkstücke des Hephaistos die göttergleiche Allmacht der Herrscher versinnbildlichten. Auch dies wurde später von Roms Nobilität imitiert. Trimalchios pica in goldenem Käfig, der die Eintretenden grüßt, spielt hierauf sicherlich chiffrenartig an oder bietet zumindest Petrons Leserschaft entsprechende Assoziationsmöglichkeiten. Darüber hinaus dürfte es kein Zufall sein, dass im Käfig nicht irgendein Vogel, sondern ausgerechnet eine Elster sitzt. Es wäre zu schön, wenn sie schon in der Antike als diebischer Vogel gegolten hätte, wofür es aber keine wirklichen Belege gibt. Denn damit hätte Petronius vortrefflich Trimalchios Raffgier symbolisch thematisieren können. Aber es genügt ebenso die in Ovids Metamorphosen (5, 622–678) überlieferte antike Sagenvariante, um des Autors Anspruch deutlich zu machen, durch mythische Vergleiche sein Publikum intellektuell herauszufordern und implizit zu kritisieren. Denn die neun Töchter (Pierides) des Pierus hatten einst die neun Musen zu einem Wettbewerb herausgefordert und waren wegen dieser hybris nach ihrer Niederlage in Elstern verwandelt worden. Diese Gelegenheit ließ sich Petronius nicht entgehen. Schöner hätte man die Diskrepanz zwischen Trimalchios intellektuellen (s. Kapitel 9) sowie sozialen Ansprüchen und seinen tatsächlichen Möglichkeiten nicht in ein mythisches Vergleichsbild setzen können. Wäre es gar ein picus gewesen, gäbe es sogar noch weitere Konnotationen. Schließlich war Picus eine in der Kaiserzeit bekannte Sagengestalt, die bei Ovid (Metamorphosen 14, 320–396) und Vergil (Aeneis 7, 45–49, 189–191) gleichermaßen prominent vorkommt. Der mythische König von Laurentum galt als Sohn des Saturn, Vater des Faunus sowie Großvater des Latinus (Vergil) und wurde sogar als ein für die Felder zuständiger Gott verehrt. In einen Specht verwandelte ihn die Kirke (Ovid, Vergil) aus Eifersucht, da Picus sich geweigert haben soll, mit ihr ein sexuelles Verhältnis einzugehen und die eigene Ehefrau, die Nymphe Canens, zu betrügen, der er lieber treu blieb. In Vogelgestalt nährte er neben der Wölfin die Zwillinge Romulus und Remus (Ovid Fasti 3, 5, 4). Ferner war der Specht eines der heiligen Tiere des Gottes Mars. Trimalchio hätte die Besucher seines Hauses also nicht nur von einer pica, sondern gar von einem picus begrüßen lassen können, einem Vogel, der
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auf das Engste mit Roms mythischer Vorgeschichte verbunden war. Mithin spielt Petronius – egal ob pica oder picus – grundsätzlich geschickt auf eine mythologische Bildsprache (s. Kapitel 6 und 9) an, wie sie mit ihren vielfältigen Assoziationsvarianten in der öffentlichen Repräsentation der Eliten sowie der Staatskunst seit Langem Usus war. Er kritisiert auf diese Weise eine Selbstdarstellungsform, die der Schicht der Freigelassenen eigentlich nicht zukam, ganz gewiss aber von Petrons Publikum verstanden und praktiziert wurde. Weitaus banaler wirkt dagegen das nächste Bildmotiv, das genannt wird (29, 1). Die Darstellung eines Hundes mit der Beischrift »CAVE CANEM« ist ebenso in pompeianischen Häusern zu finden (beispielsweise im Haus des tragischen Dichters [Casa del poeta tragico] oder im Haus des Paquius Proculus). Das erstgenannte Beispiel gehört quasi zur Standardbildausstattung von Lateinbüchern. Hunde stellten wegen ihres Fleischkonsums in der Regel teure Besitztümer dar. Einige Rassen besaßen sogar den Rang luxuriöser Prestigeobjekte. Damit ist genug gesagt, um den überaus konventionellen statussymbolischen Zeichenwert von Trimalchios Wachhund knapp zu umreißen. Die sich hieran anschließende Passage weist im Vergleich zu letzterer eine anspruchsvollere Semantik auf. Der eintretende Besucher erblickt in diesem Bereich offenbar nicht nur den gemalten Wachhund, sondern zugleich eine vielfigurige Darstellung, die zudem in mehrere Abschnitte/Episoden gegliedert ist (29, 2–6). Ins Bild gesetzt ist folglich des Trimalchios eigener »cursus honorum«, der ihn vom Sklaven zum reichen Freigelassenen führte. Wie bei vergleichbaren kaiserlichen und senatorischen Repräsentationsbildern üblich, wird der individuelle »Tatenzyklus« mit einem Götterapparat und mythischen Vergleichen symbolisch aufgeladen. So hält Trimalchio zum Zeichen seiner gewinnbringenden Handelstätigkeit den Merkurstab in der Hand, wird wie Herakles in den Olymp von Minerva nach Rom geleitet, um dort von Merkur in Empfang genommen zu werden, der ihn buchstäblich erhöht, indem er ihn zu einem tribunal emporzieht, einem Podest, auf dem traditionell die hohen Beamten saßen. Die gewogenen Parzen, die selbstverständlich goldene Fäden in ihren Händen spinnen, und die Glücksgöttin Fortuna mit ihrem üppigen Füllhorn runden das Bild ab. Es sind dies etwas arg plakative Hinweise auf das glückliche Schicksal und den Reichtum Trimalchios. Derartige »Kostümierungen« waren in der Kunst der Zeit als Teil einer metaphorisch gemeinten Bildsprache nicht selten, die der Erhöhung der Dargestellten und zugleich der Visualisierung eines über das Alltäglich-Banale hinausreichenden, tieferen überzeitlichen Sinnanspruchs diente. Diese Bedeutungsebene wird in Petrons Text überdeutlich, indem sie der Autor als einen entsprechenden physischen Akt schildert und damit durch Worte greifbar macht. Hier ist es der Gott Merkur, der Trimalchio auf ein Tribunal hebt. Deutlicher kann man die dahinterstehende Vorstellung einer symbolischen Erhöhung wohl kaum formulieren. Auf diese versteckten Botschaften verweist zusätzlich die Bemerkung, der aufmerksame Maler habe alles sorgfältig mit Schriftfeldern versehen. Petron spielt dabei auf die verschiedenen intellektuellen Möglichkeiten
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der Betrachter an. Manchen mag das Visuelle genügen, andere benötigen zusätzlich das Wort, um im »Bilde« zu sein. Der weitere Bereich scheint architektonisch recht aufwändig als porticus gestaltet zu sein. Dort sieht der Eintretende Malereien von Athleten und ihrem Trainer, die suggerieren, dass dieser Abschnitt ideell als Imitation eines griechischen gymnasion mit palaistra verstanden werden sollte (29, 7). Derartige Bauzitate sind vor allem im Kontext hochherrschaftlicher römischer Villen und domus (s. dazu unten) zu finden. Trimalchio besitzt somit ein wahrlich großes Anwesen, dessen Architektur- und Ausstattungsprogramm dem der Wohnsitze römischer Eliten vollauf entspricht. Diese dienten ebenso als Vorbilder für die weiteren Dekorelemente. An erster Stelle wird ein armarium genannt (29, 8). Dieser wohl abschließbare Wandschrank besaß zusätzlich eine aedicula. Ein solcher in Häusern jedweder Statusgruppe anzutreffende Kultschrein war der Aufstellungsort der Hausgötter, in der Regel Statuetten zweier lares und eines genius des Hausherrn. Daneben konnten weitere Götterfiguren und als Zeichen der Loyalität zusätzlich der genius des Kaisers dort verehrt werden. In Trimalchios Fall steht in der aedicula anstatt seines eigenen genius eine goldene pyxis mit seiner ersten Bartschur sowie eine marmorne Venus, eine für ihn überaus passende persönliche Schutzgöttin, hatte er doch seinen Aufstieg vom Sklaven zum reichen Freigelassenen einer erotischen Beziehung zu seinem ehemaligen Herrn zu verdanken. Die Materialien der Figuren bzw. des Gefäßes (Silber, Marmor und Gold) sind sicherlich statussymbolisch gemeint. Viel wichtiger scheint allerdings eine weitere Bedeutungsebene zu sein. Die Verehrung der Laren ist im Rom der Kaiserzeit beileibe keine ausschließlich häusliche Angelegenheit gewesen. Augustus hatte in der Hauptstadt die städtischen Larenheiligtümer, die sich an wichtigen Straßenkreuzungen der einzelnen vici befanden, dadurch aufgewertet, dass er gestattete, hier zugleich auch eine Statuette seines genius aufzustellen. Für den Kult waren fortan reichere Freigelassene zuständig, mithin des Trimalchios eigene soziale Schicht, die sich in collegia compitalicia zusammenfanden. Die compitalia als Fest für die lares compitales scheinen um den Jahreswechsel stattgefunden zu haben. Dionysios von Halikarnassos (Antiquitates Romanae 4, 14) und Cicero (Epistulae ad Atticum 2, 3; In Pisonem 4), der selbst widersprüchliche Angaben macht, nennen verschiedene Daten. Ebenso vieldeutig ist das anstelle eines genius in der Mitte der Laren und damit im ehrenvollen Zentrum des Arrangements platzierte Behältnis aus Gold mit den ersten Barthaaren des Trimalchio. Die depositio barbae stellte im Leben eines jungen Mannes ein wichtiges Ereignis dar. Dieser Akt der ersten rituellen Bartschur war ein sakral aufgeladener Moment. Die Haare wurden als pars pro toto den Göttern mit der Bitte um lebenslanges Wohlwollen geweiht. Iuvenalis schildert einen solchen Vorgang recht augenscheinlich (3,186–187). Das kleine Fest ist in bedeutenderen Haushalten wohl im Kontext der morgendlichen salutatio des Hausherrn begangen worden. Den anwesenden Klienten, die sich mit einem Ge-
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schenk beteiligen mussten, präsentierte man auf diese Weise die künftige Generation und forderte für diese Loyalität ein. Ein solcher Akt der »Selbstdarstellung« wirkt bei einem ehemaligen Sklaven wie Trimalchio an sich vollkommen fehl am Platz. Als Sklave dürfte er kaum eine depositio barbae selbst begangen haben, weshalb an der betreffenden Textstelle auch dicebant steht. Petronius hat diese Episode aber sicherlich nicht ohne Hintergedanken gestaltet. Zum einen kann sie der Leser vordergründig als weiteren Beweis für Trimalchios anmaßendes Protzertum interpretieren, der für sich Rituale und Ehrenzeichen hochgestellter Freigeborener reklamiert, obwohl er nur ein libertus ist. Zum anderen hält der Dichter damit auf recht hintergründige Weise gerade der eigenen Schicht den Spiegel vor. Sein zeitgenössisches Publikum wird sich wahrscheinlich noch an die prunkvolle depositio barbae Neros erinnert haben, von der uns Sueton recht ausführlich unterrichtet und bei der ebenfalls eine aurea pyxis eine zentrale Rolle spielte (Nero 12, 4). Von diesem Trakt aus, der gewissermaßen als vestibulum fungierte, ist das eigentliche Zentrum des Empfangsbereichs zu erreichen, das atrium. Das, was Trimalchios Gäste hier sehen können, nämlich Darstellungen aus den Epen Homers und einen Gladiatorenkampf, entspricht den üblichen Gepflogenheiten (29, 9). Das atrium war, wie oben bereits erwähnt, an sich der repräsentativste Raum einer römischen domus. Als Kulisse für die salutationes sind diese Räume entsprechend dekoriert gewesen. Hier war der Ort für die in Schränken oder an den Wänden stammbaumartig angeordneten Ahnenbildnisse, deren tabulae zum Ruhm der Familie beredt Auskunft über die Namen, Ämter und Würden der Dargestellten gaben. Ergänzt wurde diese Präsentation der gloriosen Familiengeschichte durch spolia, eigenhändig in Schlachten erbeutete Waffen, und tabulae (Plinius, Naturalis historia 22, 12; 35, 22), auf denen wichtige Kämpfe und auch andere Ereignisse gemalt waren, in denen einzelne Angehörige geglänzt hatten. An ihrer Stelle konnten auch mythische Kriege im Sinn vorbildhafter exempla zu sehen sein. Beide Varianten bezeugten gleichermaßen die virtus der männlichen Familienmitglieder und boten den Rahmen für die glanzvolle Selbstdarstellung der patroni, die auf diese Weise ihre clientes zu beeindrucken suchten. Ferner präsentierte man im angrenzenden Tablinum als Zeichen der wirtschaftlichen potestas des jeweiligen Hausherrn eine schwere Truhe mit der Barschaft der Familie. Mit den picturae der Ilias und Odyssee hatte Trimalchio aus Ermangelung an eigenen Heldentaten bewusst zwei mythische Sujets gewählt, die auch sonst hoch im Kurs standen. Die homerischen Helden stellten die Vorbilder schlechthin dar. Selbst die Kaiser ließen sich mit diesen Heroen vergleichen, zumal die Epen die eigene römische Vorgeschichte betrafen. Troia galt schließlich als Urheimat der Römer, und die Odyssee spielte auf nicht wenigen italischen Schauplätzen. Von der speziellen Bezugnahme einiger Kaiser der iulisch-claudischen Dynastie auf Odysseus war oben (Kapitel 5) im Zusammenhang mit der Darstellung der Antonia Minor als Venus Genetrix bereits die Rede. Trimalchios Bildauswahl ist somit wiederum exzellent zu nennen. Sie gewährleistete größtes Prestige, auch wenn der damit verbundene
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soziale Status für einen reichen Freigelassenen nicht unbedingt passend erscheint. Die gewählten Rollenkostüme sind in seinem Fall mindestens eine Nummer zu groß. Aber auch dies sollte man keinesfalls zu einfach als ausschließliche Verhöhnung neureicher Freigelassener begreifen. Petronius ist vor allem ein Satiriker eigener Gepflogenheiten. Der Gladiatorenkampf des Laenus wirkt da schon passender, da solche munera auch von vermögenden liberti finanziert werden konnten. Das Bild wäre demgemäß als Ausweis von Trimalchios liberalitas zu verstehen, die die Grundlage des sozialen Prestiges der reichen Eliten Roms gewesen ist. Sie waren zur Großzügigkeit geradezu verpflichtet und konnten sich solchen Liturgien kaum entziehen. Liberalitas wurde vor allem in Form von Geld- und Getreidespenden, der Finanzierung öffentlicher Feste und Spiele sowie der Errichtung von Bauwerken für die Allgemeinheit geübt. Als einer der seviri augustales musste selbst ein Trimalchio sich freigiebig zeigen, was umgekehrt sein Ansehen steigerte, weshalb er diese Themen auch auf seinem Grabmal verewigt wissen wollte (s. dazu Kapitel 7). Dieses Thema der öffentlichen Ehrung wird dann in der folgenden Passage überaus deutlich angesprochen (30, 1–2). Die Verzierung der beiden Türpfosten mit fasces cum securibus fixi verweist direkt auf die Zugehörigkeit zu den seviri augustales, die als Insignien ihrer Würde die toga praetexta tragen und von zwei lictores begleitet werden durften, die zum Zeichen der Amtsgewalt respektive des damit ursprünglich verbundenen Züchtigungsrechtes ein Rutenbündel und eine darin befindliche Axt mit sich trugen. Die bronzenen Schiffe oder vielleicht doch nur Schiffsschnäbel runden das ganze Ensemble ab. Sie nur als Verweis auf die Seehandelstätigkeit verstehen zu wollen, verkennt den eigentlichen statussymbolischen Wert dieses speziellen Motivs. Gekonnt spielt Petronius damit auf öffentliche Ehrenmonumente in Form der sogenannten columna rostrata an. Im Jahr 260 v. Chr. hatte Gaius Duilius für seinen Seesieg bei Mylae gegen die Karthager erstmals eine solch außerordentliche Ehrung erhalten. Später gehörte auch Augustus zum kleinen Kreis der derart Geehrten. Selbstverständlich wäre es in der Kaiserzeit keinem eingefallen, einem libertus öffentlich eine Säule mit daran befestigten Schiffsschnäbeln zu errichten. Das kam nur noch für die regierenden Kaiser in Frage, da sie allein das militärische imperium besaßen und damit solche Siege exklusiv für sich beanspruchen konnten. Selbst im Kontext einer domus scheint die Weihung des Cinamus Dispensator daher unpassend zu sein, auch wenn schon ein anderer Pompeius, freilich der berühmte Gnaeus Pompeius Magnus, im vestibulum seiner domus Schiffsschnäbel aus seinen Siegen über die Piraten hatte aufhängen lassen (Cicero, Philippica 2, 68–69). Gleichwohl bietet diese Episode gerade durch solche, damals sicher noch gut bekannte Vergleichsbeispiele Petronius Gelegenheit, das zeitgenössische Ehrungswesen an sich satirisch zu kommentieren. Da der öffentliche Raum zusehends vom Herrscherhaus dominiert war (Tacitus, Dialogus de oratoribus 11, 3) und Ehrungen sehr restriktiv gehandhabt wurden, mussten selbst die Senatoren immer wieder auf Privatweihungen zurückgreifen. Deshalb stellte man selbst
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Ehreninschriften in den Atrien der Häuser auf. Die senatorischen domus entwickelten sich in der Folge dessen zusehends zu wahren Kompensationsräumen für entgangene öffentliche Ehren. Dabei dürfte es nicht selten zu auf den ersten Blick recht disparat wirkenden motivischen Zusammenstellungen gekommen sein, die Petronius stellvertretend für alle bei Trimalchio durch Überzeichnung kritisiert. Doch damit nicht genug, erwähnt der Autor noch eine weitere Weihung des Cinamus für Trimalchio, einen zweiflammigen Leuchter und zwei tabulae, die eine mit einer Inschrift (30, 3) und die andere mit einem Festkalender, der zugleich die Darstellung der Planeten enthält (30, 4). Dass Gaius noster, also Gaius Pompeius Trimalchio, am 30. und 31. Dezember außer Haus speist, könnte eine Anspielung auf seine Tätigkeit als einer der seviri augustales sein, denen auch die Pflege der compitalia (s. oben) oblag, die in der Kaiserzeit an diesen Tagen wahrscheinlich gefeiert worden sind. Aber auch ohne diese Anspielung ist darin wenigstens ein Verweis auf Trimalchios Status versteckt, der nicht nur selbst Gelage gibt, sondern ebenso dazu eingeladen wird, d. h. er verfügt über ein gewisses soziales Beziehungsnetz. Die letzte Darstellung, von der wir lesen, scheint aber den Bezug zu einem öffentlichen Festbankett zu unterstützen. Denn dort ist von einem aufwändig gestalteten Festkalender die Rede. Solche kalendarii hatte man schon in republikanischer Zeit erarbeiten und öffentlich aufstellen lassen. Diese Tradition griff dann Augustus wieder auf. Gemeinsam mit einer entsprechenden Astralsymbolik sollte dies die göttergleiche Herrschaft des Kaisers über Zeit und Raum symbolisieren und war zugleich Ausweis der Neuordnung des Staatswesens nach unruhigen Zeiten. Zu Petrons eigener Zeit hat Nero dieses Thema dankbar aufgegriffen und weiter ausgebaut. Sein bei Sueton geschilderter, sich Tag und Nacht drehender Speisesaal mit Himmelskuppel ist nur das berühmteste Beispiel einer solchen Inszenierung als kosmischer Herrscher. Somit kann auch dieser Abschnitt, der mehr oder minder direkt kaiserliche Repräsentationsformen thematisiert, nicht bloß eine überzeichnende Kritik an Trimalchio selbst sein, sondern muss in einem größeren Rahmen gesehen werden. Petronius karikiert hier höchste Kreise. Selbst der letzte Satz scheint zu diesem quasi sakralen Rahmen zu passen. Ein weiterer Spezialdiener, der lediglich die Aufgabe hat, die Eintretenden darauf hinzuweisen, dies ausschließlich mit dem rechten Fuß zu tun (30, 5), suggeriert eine auf diese Weise absichtsvoll komisch wirkende pseudo-weihevolle Aura. Mittels der aufmerksamen Lektüre von Petrons Beschreibungen der domus des Trimalchio wird den Schülerinnen und Schülern ermöglicht zu verstehen, dass derartige hochherrschaftliche Häuser alles andere als »privat« in unserem Sinn, sondern zugleich eminent »öffentliche« Orte waren, an denen die entsprechende Selbstdarstellung ihrer jeweiligen Besitzer eine ergänzende Fortsetzung fand. Vor diesem Hintergrund sind sowohl die Architekturformen als auch der gesamte bildliche Dekor keinesfalls als Zeugnisse eines priva-
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ten Wohngeschmacks zu verstehen, der mehr oder minder kurz- respektive langlebigen rein ästhetisch motivierten Moden folgte. Vielmehr handelt es sich dabei um letztlich normierte Muster von hoher statussymbolischer sowie ideeller Bedeutung, die von Raum zu Raum je nach dessen Funktion und Lage im Haus variieren konnte. So hat Susanne Muth (s. Literaturhinweise) im Rahmen ihrer Untersuchung mythologischer Mosaik darstellungen in römischen Häusern aufzeigen können, dass beispielsweise in weiter hinten liegenden Räumen, die wohl nicht zum Empfang breiterer Publikumsgruppen, sondern allenfalls dem engster Verwandter und Freunde dienten oder intimster Natur waren, im Gegensatz zu den öffentlich zugänglichen Repräsentationsräumen, andere mythische Sujets als in diesen bevorzugt zur Darstellung gelangten. In der Tat ist es auffällig, dass genau dort in kleineren cubicula mit Bezug auf die eheliche Verbindung von Hausherr und Hausherrin vermehrt mythische Paar- respektive Liebesbeziehungen thematisiert worden sind, während beispielsweise in den Atrien und Speiseräumen bevorzugt Abenteuer der großen Helden des Mythos, kriegerische Szenen, venationes und Gladiatorenkämpfe zu sehen waren, also all das, was den öffentlichen Status des Hausherrn visualisierte. Decor meint hier ganz im ursprünglichen lateinischen Wortsinn das der Nutzung der Räume Angemessene. Damit wird ein enger Bezug zwischen Bildschmuck und Raumfunktion deutlich, der weiter unten im Zusammenhang mit den römischen Villen noch näher erläutert wird. Hierin drückt sich aber auch eine gewisse Hierarchisierung der Räume und ihres Bildschmucks aus. Das Haus ist also zuvorderst eine öffentliche Bühne. Die von Velleius Paterculus überlieferte Anekdote zum Wunsch des im Jahr 91 v. Chr. amtierenden Volkstribunen Marcus Livius Drusus nach einem vollständig einsehbaren Haus zeigt dies überdeutlich (2, 14, 3). Die bildliche und architektonische Ausstattung der domus ist mithin die Kulisse gewesen, vor der dominus und domina in ihren sozialen Rollen repräsentativ agierten, die freilich von Raum zu Raum sowie von Publikum zu Publikum variieren konnten. Um diese wichtigen Aspekte gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern zu erarbeiten, genügt die von erläuternden Kommentaren begleitete Textlektüre nicht allein. Die Schülerinnen und Schüler sollten sich zur Vertiefung einige archäologische Aspekte selbst erschließen. Dies betrifft vor allem den standardisierten Charakter des Bildschmucks, der zusätzlich in Beziehung zu den in den Räumen stattfindenden sozialen Akten/Interaktionen gesetzt werden sollte, um die wichtige Frage nach dem decor-Charakter wenigstens ansatzweise beleuchten zu können. Um das zu gewinnende Bild schärfer zu fassen, erscheint es zusätzlich angeraten, die antiken Gepflogenheiten im helleren Licht der eigenen Lebenswelt kontrastierend zu betrachten. Hierzu wird das folgende Vorgehen vorgeschlagen: Als Vorbereitung für die Arbeitsaufträge sollten die Schülerinnen und Schüler während der Lektüre zusammentragen, was Petronius über das Haus des Trimalchio berichtet (Aufbau, Schmuck, Verwendung etc.).
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Arbeitsaufträge – Petronius und die römische domus 1. Recherchieren Sie im Internet zu folgenden pompeianischen Häusern, zu denen deutschsprachige Wikipedia-Artikel existieren: Haus des Fauns, Haus des Menander, Haus des D. Octavius Quartio, Haus der Vettier. https://de.wikipedia.org/wiki/Haus_des_Fauns; https://de.wikipedia.org/wiki/Haus_des_Menander; https://de.wikipedia.org/wiki/Haus_des_D._Octavius_Quartio; https://de.wikipedia.org/wiki/Haus_der_Vettier Legen Sie zwei Listen an, in die Sie die dargestellten Mythen sowie die lebensweltlichen Szenen eintragen. Berücksichtigen Sie dabei sowohl Mosaike als auch Wandbilder. 2. Vergleichen Sie dies mit Petronius’ Darstellung des Bildschmucks in den verschiedenen Räumen von Trimalchios Haus, und erläutern Sie, was Petronius mit diesen Detailbeschreibungen über Trimalchio aussagen will. 3. Recherchieren Sie zunächst zur Funktion des Atriums (unter Atrium und Salutatio), und betrachten Sie das Atrium und die anderen Räume der Villen noch einmal unter der Fragestellung, ob die Funktion des Raumes Einfluss auf die Wahl des Bildschmucks hatte. 4. Vergleichen Sie dies (Funktion und Bildschmuck) mit den Verhältnissen in modernen Wohnungen und nennen Sie einen Bildschmuck Ihres Zimmers oder eines anderen Zimmers Ihrer Wohnung und erklären Sie, warum dieser dort hängt. 5. Recherchieren Sie im Internet nach sogenannten Homestories von zwei Stars und/oder zu entsprechenden »privaten« Internetseiten (Google-Suche »homestories«). Stellen Sie dann zusammen, wie sich die jeweiligen Persönlichkeiten durch ihre Wohnungen und ihre Interieurs präsentieren und welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich in der Präsentation zeigen. 6. Recherchieren Sie, wo der Bundespräsident bzw. die Präsidenten von Frankreich und USA und der englische Premierminister wohnen. Finden Sie dann heraus, (a) welche
Funktion solche Amtssitze für die öffentliche Inszenierung ihrer jeweiligen Bewohner spielen und (b) was man über ihre privaten Wohnverhältnisse erfahren kann. Die Abgrenzung folgender Gegensätze kann dann im Unterrichtsgespräch das Thema abschließen. – Unterschiede im Wohnen zwischen der Antike und heute – »privat« und »öffentlich« in Bezug auf antike sowie moderne Wohnhäuser – individuell oder doch eher standardisiert
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villa Der Blick auf die römische Wohnkultur wäre nicht vollständig, wollte man auf die Betrachtung der Villen verzichten. Die Villa als Lebensform ist ein typisch römisches Konstrukt der senatorischen Oberschicht, die als Ergebnis wie als Symptom der kulturellen Kontakte zum hellenistischen Griechenland in Folge des militärischen Engagements Roms seit dem späten 3. Jh. v. Chr. gelten kann. Die Senatoren lernten dort eine gehobene Wohnkultur kennen, die mit einem enormen Ausstattungsluxus einherging, den sie so von zu Hause aus nicht gewohnt waren. Dort präsentierten sie sich als Verfechter altrömischer Traditionen, die in der späteren Überlieferung als bäuerlich-rustikal dargestellt und in einen direkten Sinnbezug zum Aufstieg Roms zur Weltmacht gesetzt wurden. Nur durch betonte Einfachheit, Härte, Strenge und frommes Verhalten habe man mit dem Wohlwollen der Götter deren erklärten Willen umsetzen und die verweichlichten Griechen sowie Orientalen besiegen können. Dieser äußere Habitus legte zugleich enge moralische Grenzen für die Senatoren fest, die tunlichst darauf bedacht waren, sich in der Öffentlichkeit keinesfalls der als schändlich gebrandmarkten Laster avaritia und luxuria schuldig zu machen (s. dazu Kapitel 6 mit Verweis auf Livius, Ab urbe condita 34, 4). Dies hatte einerseits entsprechende Konsequenzen für das eigene Wohnen in der Hauptstadt. Hier galt es Umsicht zu üben und betont bescheiden aufzutreten. In der Republik genügte es sogar, an falscher Stelle, d. h. auf erhöhter Position, bauen zu wollen, um sich dem Verdacht ausgesetzt zu sehen, eine Tyrannis anzustreben, wie dies angeblich im Fall des Publius Valerius Volusius am Beginn der römischen Republik geschehen ist, der flugs seine Pläne änderte und sein Haus nun nicht mehr auf dem höchsten Punkt der Velia, sondern bewusst an deren Fuß errichtete, wie er dem Volk selbst in einer eigens einberufenen Versammlung persönlich mitteilte, wobei er zum Zeichen seiner Demut sogar die ihm als amtierenden Konsul zukommenden fasces vor dem populus Romanus ehrerbietig senken ließ (Livius, Ab urbe condita 2, 7, 5–12). Andererseits akkumulierten die senatorischen Befehlshaber bei ihren Feldzügen in den reichen Osten immer größere Vermögen und lernten Repräsentationsformen der hellenistischen Eliten kennen. Beides führte letztlich dazu, dass das eigene Selbstverständnis ins Wanken geriet, zumal der Mangel an gehobener Lebenskultur zusehends als Manko empfunden wurde, da dadurch die Stellung der Senatoren als neue Herren der Welt nicht angemessen darzustellen war. Kurzum wurde auch die politische Führungsschicht Roms mehr und mehr hellenisiert. Sie benötigte in der Folge einen geschützten Raum, wo sie dem neuen Luxus ungestört von den kritischen Augen der Öffentlichkeit frönen konnte. Seit dem 2. Jh. v. Chr. entwickelten sich deshalb die ursprünglich rein landwirtschaftlich genutzten außerstädtischen, villae genannten Wohnsitze zu solchen Orten, da sie den Vorteil der Abgeschiedenheit von den neugierigen Blicken der Hauptstadtbewohner boten,
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denen man als potentielle Wähler auf keinen Fall ein falsches Bild von sich bieten wollte. Dies war die Geburtsstunde des otium im Rahmen einer entsprechend neu gestalteten Villegiatur, die nachgerade ein besonderes Charakteristikum der römischen Kultur und späterer Exportschlager in die Provinzen geworden ist. Die Entwicklung der villa vom reinen Agrargut hin zum Luxuswohnsitz lässt sich anhand von italischen Beispielen und auf der Basis der schriftlichen Zeugnisse recht gut nachzeichnen. Am Anfang der Entwicklung standen Bauten vom Typus der villa rustica. Ein gut erhaltenes, allerdings schon in das 1. Jh. v. Chr. zu datierendes Beispiel, die sog. Villa della Pisanella, konnte bereits 1868 in Boscoreale entdeckt werden. Die Ausgrabungen fanden 1895 statt und erbrachten eine immerhin 40 × 25 m, also gut 1000 m2 messende Anlage (Abb. 41). Sie ist um einen Innenhof gruppiert (A) und umfasst einige durchaus vornehmer gestaltete Wohnräume (K–N) mit einem Badetrakt (D–F) nebst Latrine (G), besteht aber in der Hauptsache aus Nutzräumen für die Speisenzubereitung, die Tiere sowie die Getreide-, Wein- und Ölproduktion wie einer Küche (B), Stall (H), Bäckerei (O), Kelterraum (P), Gärhof (R), Heuschober (S), Tenne (T), Brunnen (U), Weinpresse (W), Handpresse (X), Ölpresse (Y) und Entkernungsmaschine (Z). Das meist aus Sklaven zusammengestellte Personal dürfte in den kleineren cubicula (V) geschlafen haben. Der Besitzer scheint nicht ganz arm gewesen zu sein, wie es der Fund des berühmten, immerhin aus mehr als hundert Einzelstücken silbernen Geschirrs, Goldschmucks und über tausend Goldmünzen bestehenden sogenannten Schatzes von Boscoreale aus dem 1. Jh. v. Chr. nahe legt, der sich heute im Pariser Louvre befindet.
Abb. 41
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Abb. 42
Die weitere Entwicklung, die zum Bau reiner Otium-Villen führte, lässt sich sehr gut anhand einer zweiten Villa in Boscoreale, die des Publius Fannius Synistor, verdeutlichen, die wahrscheinlich zwischen 50 und 40 v. Chr. errichtet wurde (Abb. 42). Auch sie ist vom Grundtypus her eine villa rustica mit landwirtschaftlichen Nutzräumen, verfügt darüber hinaus aber über einen weitaus aufwändiger mit figürlichen Wandmalereien (heute im Metropolitan Museum New York, Nationalmuseum Neapel und anderen Museen) dekorierten Wohntrakt, zu dem sogar ein großer, von Säulengängen umfasster Peristyl-Hof gehört. Besondere Berühmtheit hat ein Wandfries in einem großen Festsaal (oecus, H) erlangt, auf dem mehrere lebensgroße Figuren abgebildet sind. Diese Darstellungen gelten als Kopien hellenistischer Gemälde, deren Originale sich einst in einem Palast befunden haben sollen. Man meint, bestimmte Personen aus einer königlichen Dynastie (welche ist in der Forschung höchst strittig) sowie Personifikationen der Asia und der Makedonia erkennen zu können. Die Wandmalereien sind mithin Indizien für die Rezeption hellenistischer Hofkultur durch reiche Römer. Die berühmteste Villa des 2. Jhs. v. Chr. ist zweifelsohne allein schon wegen ihrer Wandmalereien die sogenannte Villa dei Misteri (Mysterienvilla) in Pompeji, deren bau-
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liche Gestalt allerdings in den darauffolgenden Jahrhunderten nochmals Veränderungen unterlag. In ihrer letzten Phase vor dem Vesuvausbruch wurde sie durch Vergrößerung entsprechender Räume und den Einbau einer Ölpresse sogar vorwiegend landwirtschaftlich genutzt (Abb. 43). Angelegt hat man sie zunächst aber nicht als eine reine villa rustica, sondern durchaus mit einer stärkeren Betonung ihres otium-Charakters. Da sie unmittelbar vor den Toren Pompejis liegt, ist sie als eine villa pseudourbana zu bezeichnen. Eine weiter von den Stadtmauern entfernte villa nennt man dagegen villa suburbana, während eine in der Stadt befindliche villa urbana heißt. Am Beispiel dieser vergleichsweisen kleinen Anlage sind die Grundcharakteristika der Bauten des 2. Jhs. v. Chr. sehr gut zu erfassen. Hierzu zählen in erster Linie ihr blockhafter Charakter und die axial-symmetrische Ausrichtung der Räume mit klaren Blickachsen sowohl nach innen als auch nach außen. Auf diese Weise ist die Mysterienvilla gleichfalls in die umgebende Landschaft eingebettet und direkt auf die Küste hin positioniert. Um das Panorama, das vom Meer aus über die Halbinsel von Sorrent bis nach Capri reichte, vollauf genießen zu können, wurden die Räume über einer erhöhten Plattform errichtet, die mit einem von Cicero benutzten Terminus als basis villae bezeichnet wird (epistulae ad Quintum fratrem 3, 1, 5). Gedeckte Säulengänge
Abb. 43
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(Kryptoportiken = cryptoporticus) umfassten und stützten zugleich diesen Unterbau. Im frühen 1. Jh. v. Chr. gab der damalige Villenbesitzer den Auftrag zur Umgestaltung des Aussichtsbereichs mit dem tablinum. Davor ließ er nun eine halbrunde Exedra errichten und die angrenzenden Räume vergrößern sowie mit großzügigen Türöffnungen und Fenstern versehen, die einen Blick auf den kleinen Terrassengarten und die Landschaft ermöglichten. Der größere, auf der rechten Seite liegende oecus, zu dessen Schmuck die bekannten Wandmalereien gehören, ist der repräsentativste von allen, scheint allerdings nicht allgemein zugänglich, sondern vielleicht ein reines Frauengemach und weniger ein Kultraum gewesen zu sein. Die beste Aussicht konnten der Hausherr und seine Gäste allerdings von der Exedra und der davor befindlichen Terrassenplattform aus genießen. Hinzugefügt wurden ferner auf der Süd- eine porticus und auf der Nordseite ein größerer Apsidensaal, der sicherlich für ein triclinium, also für Gelage, gedacht war. Solche Aussichtssituationen, die bereits typisch für die frühen Villen sind, hat man in der Forschung aufgrund bestimmter Textstellen gerne mit der Vorstellung verbunden, darin drücke sich eine bestimmte Form römischen Herrschaftswillens aus. Allerdings lebten die beiden Hauptgewährsmänner hierfür, Seneca und Tacitus, in der Kaiserzeit und waren folglich keine unmittelbaren Zeitzeugen. Seneca behauptet, Marius, Pompeius und Caesar hätten ihre Villen in Baiae auf den montes errichten lassen, weil dies militärischer gewirkt habe, als seien die darunter liegenden Gebiete unterworfen worden, weshalb die villae eher castra zu nennen wären (Epistulae morales ad Lucilium 5, 51, 11). Ganz ähnlich sagt dies auch Tacitus von der Villa Caesars (Annales 14, 19). Ob damit aber im Einzelnen immer eine Art Machtdemonstration gemeint war, muss freilich offenbleiben. Denn die meisten villae wurden ja gerade deshalb angelegt, um einen vom negotium abgeschiedenen Raum des otium zu haben, in dem die militärisch-politische Rolle der Villenbesitzer eigentlich nicht im Vordergrund stand. Die luxuriösesten Villen waren die villae maritimae. Sie boten die spektakulärsten Ausblicke. Abgesehen von der allerdings ausgesprochen einträglichen Zucht teurer Speisefische ist dort ansonsten definitiv keine Landwirtschaft betrieben worden. Die Bauten dienten ausschließlich dem Vergnügen ihrer Besitzer. Gesucht wurden Grundstücke direkt an oder oberhalb des Meeres, von denen aus ein möglichst großer Küstenabschnitt betrachtet werden konnte. Bevorzugt wurden dabei insbesondere Orte mit Sicht auf andere historisch oder mythisch bekannte Punkte. Solche villae sind somit wahre »Schauplätze« gewesen, an denen die Oberschicht einem unvergleichlichen Luxus frönte, der in der Hauptstadt schnell Neid und Kritik hervorgerufen hätte. Die bei Herculaneum schon im 18. Jahrhundert entdeckte und damals ihres Skulpturenschmucks fast vollständig beraubte Villa dei Papiri (Papyrusvilla oder auch Pisonenvilla) steht exemplarisch für viele andere solcher Anlagen. Ihren Namen hat sie von den zahlreichen verkohlten Papyri aus der zugehörigen Bibliothek. Sie sind bis heute erst teilweise restauriert, entrollt und entziffert.
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Die Identifizierung des Villenbesitzers mit Lucius Calpurnius Piso Caesoninus, Konsul des Jahres 58 v. Chr. und Schwiegervater Caesars, von dem bereits oben im Zusammenhang mit seiner angeblich schäbigen Dienerschaft und Haushaltsführung die Rede war, bleibt Spekulation. Erbaut wurde die Villa mithin hauptsächlich im späteren 1. Jh. v. Chr., während ihr Skulpturenschmuck wohl erst aus frühaugusteischer Zeit stammt. Dieser Komplex ist insbesondere wichtig, da sich an ihm wegen seines guten Erhaltungszustandes – auch die Aufstellungsorte der einzelnen Statuen/Büsten sind weitgehend exakt zu fixieren – der enge Bezug zwischen Bildthema und Raumnutzung exemplarisch darstellen lässt, wie er beispielsweise durch das direkte Zeugnis des Cicero (s. Kapitel 9) deutlich wird. Demnach sind die Sujets nicht willkürlich zusammengestellt, sondern bewusst ausgewählt worden. Sie mussten zur Nutzung des Raumes passen und illustrierten diesen gewissermaßen. So stellte man in der Bibliothek Statuen der Athena, des Apollo und der Musen sowie Bildnisse berühmter Geistesgrößen und Staatsmänner auf, die dort als exempla und Vorbilder im eigentlichen Wortsinn die Tugenden und öffentlichen Idealrollen des Villenbesitzers visualisierten. In den gymnasia und palaestrae standen dagegen Statuen von Athleten sowie Hermes und Herakles, die in Griechenland als Schutzgötter der in den Anlagen trainierenden männlichen Jugend galten. Und den Garten gestaltete man gerne als bukolisch-dionysischen Hain und positionierte dort mit Vorliebe entsprechende Figuren wie Dionysos und sein aus Mänaden und Satyrn bestehendes Gefolge, Pan, Nymphen, aber auch Tiere sowie Fischer und Landleute. Bei näherer Betrachtung der Anlage – in Malibu bei Los Angeles hat sich der Ölmilliardär Getty die Villa in Originalgröße als ursprünglich persönlich genutzten Wohnsitz (heute Museum für die Antikensammlung Gettys) nachbauen lassen – sind einige der weiterführenden Charakteristika des Villenbaus im 1. Jh. v. Chr. deutlich erkennbar. Das Blockhafte der Villengebäude wird zusehends überwunden und weicht einer im Lauf der Entwicklung immer lockerer werdenden Gruppierung einzelner Raumabschnitte, die durch Wandelhallen, große wie kleine Säulenhöfe, Gärten, künstliche Wasserläufe und Seen sowie Spazierwege miteinander zu einem unvergleichlichen Bauensemble verbunden werden. Dabei sind nicht selten die am Orte vorhandenen Naturräume in die Komposition mit einbezogen worden. In der Villa von Sperlonga (Abb. 44) beispielsweise – wahrscheinlich die literarisch bezeugte villa ad speluncas, in der Kaiser Tiberius laut Tacitus (Annales 4, 59) beinahe bei einem Steinschlag während einer cena ums Leben gekommen wäre – besteht der spektakulärste »Speisesaal« aus einer im Meerwasser liegenden Plattform, die auf ein natürliches Höhlensystem ausgerichtet ist, in der zum Vergnügen des Kaisers und seiner erlauchten Gäste durch abendlichen Fackelschein erhellt mehrere Marmorgruppen sichtbar wurden, die Abenteuer des Odysseus zeigen, darunter eine riesige Skylla, die die Gefährten des Odysseus bei der Durchfahrt durch diese Meerenge vom Schiff reißt und mit ihren
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Abb. 44
Hundeköpfen zerfleischt, oder ein nicht minder kolossaler trunkener Polyphem, dem der Held und seine Gefährten gerade das einzige Auge mit einem glühenden spitzen Holzstamm ausbrennen. Flankierend standen zwei kleinere Zweiergruppen, die einen homerischen Helden bei der Bergung des Leichnams eines anderen (sog. Pasquino-Gruppe – die Namen der Helden sind in der Forschung umstritten) sowie Diomedes und Odysseus beim Raub des troianischen Palladions (heiliges Kultbild der Athena) darstellen. Zu dieser odysseischen Mythenkulisse passt die Lage. Von hier aus konnte man zugleich die angebliche Insel der Kirke, den heute sogenannten Monte Circeo, sehen. In den nachfolgenden Jahrhunderten scheint der Raumluxus weiter zugenommen zu haben, d. h. es entstanden immer größere Areale beanspruchende Riesenanlagen, die ihren Höhepunkt in Bauten wie der Domus Aurea des Nero im Stadtzentrum von Rom und Hadrians Villa bei Tibur (heute Tivoli) finden werden. Auch wenn die antiken Quellen durchgehend von einer domus sprechen, handelt es sich bei des Kaisers Goldenem Haus vielmehr um eine villa urbana. Schon vor deren Errichtung hatte es in der Hauptstadt große städtische villae urbanae gegeben, die in der Regel beschönigend horti genannt wurden. Später sind sie wie die Gärten des Lucullus, Sallust, Maecenas und anderen fast sämtlich entweder mehr oder minder »freiwillig« durch testamentarische Verfügung oder auch durch Enteignung, die meist mit einem gewaltsamen Ende des eigentlich rechtmäßigen Eigentümers einherging, in den alleinigen Besitz des Kaiserhauses gelangt. Suetons allseits bekannte Beschreibung der Domus Aurea offenbart deren schiere Größe und ihre
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verschwenderische Pracht, zugleich aber auch die Tatsache, dass es sich hierbei nicht um einen blockhaft geschlossenen Baukörper, sondern vielmehr um diverse Architekturensembles handelte, mit denen der Kaiser nahezu den gesamten Bereich des städtischen Zentrums okkupierte (Nero 31, 1–2). Kaiser Hadrian (reg. 117–138 n. Chr.) konnte es sich schließlich erlauben – allerdings bezeichnenderweise nicht in der Hauptstadt selbst – die Dimensionen nochmals zu steigern. Vor den Toren Roms bei Tibur ließ er in einer Gegend, die schon in republikanischer Zeit ein bevorzugtes Areal für hochherrschaftliche Villen gewesen ist, ein gewaltiges Gelände bebauen, das unzählige einzelne Gebäude- und Platzstrukturen umfasst (Abb. 45). Noch heute stellt der Besuch der gewaltigen Ruinen ein unvergessliches Erlebnis dar und vermittelt einen Eindruck von den Möglichkeiten eines römischen Kaisers, dessen Villa damit zugleich auch Ausdruck seiner unvergleichlichen Machtstellung ist. Im Gegensatz zu Privatpersonen sind dem Herrscher finanziell keine Grenzen gesetzt gewesen, zumal er über ein riesiges Heer an Arbeitssklaven verfügte und zugleich im Besitz von Ziegeleien und aller besseren Marmorsteinbrüche im ganzen Imperium war. Der auf den ersten Blick verwirrende Gesamtplan zeigt die Vielfalt der Architekturen und entspricht in seinen Grundzügen dem bereits für die späteren Villen genannten Charakteristikum, die Villa nicht als geschlossenen Baukörper, sondern als offen konzipierte Anlage diverser Raumtypen zu gestalten, die zum Teil multifunktional waren.
Abb. 45
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Trefflich zu lesen sind in diesem Zusammenhang zwei Briefe des Gaius Plinius Caecilius Secundus (Plinius der Jüngere), in denen er ausführlich auf seine Villen zu sprechen kommt, weshalb sie in der Forschung Villenbriefe genannt werden. Die beiden epistulae (2, 17 und 5, 6) haben jedenfalls seit der Renaissance die Phantasie vieler Architekten und Altertumswissenschaftler angeregt, die von den literarischen Beschreibungen ausgehend die Bauten zu rekonstruieren gedachten. Diese Hoffnung hat sich aber weitestgehend zerschlagen. Denn Plinius war gar nicht daran interessiert, eine quasi architektonische Beschreibung von Grundriss und Aufriss der Anlagen zu geben. Ihm ging es vielmehr um etwas vollständig anderes. Plinius wollte ausschließlich die »Idee« seiner villae literarisch erfassen. Damit ist gemeint, dass ihm vornehmlich daran gelegen war, die von ihm erwähnten Raumtypen, Raumfunktionen, Blickachsen, Ausblicke u. a. m. auf eine Weise zu beschreiben, die es der Leserschaft ermöglicht, einen Eindruck von seinem standesgemäßen otium-Leben zu erhalten. Die konkrete architektonische Form spielte dabei keine Rolle. Stattdessen steht ein normiertes »Erleben von Raum – Leben im Raum« (siehe dazu unten) im Zentrum seiner Darstellung. Seine Villen sind für ihn und das von ihm avisierte gleichrangige Publikum zuvorderst als Ausdruck einer bestimmten Lebensform der senatorischen Oberschicht von Interesse, nicht aber in ihrer spezifischen architektonischen Ausgestaltung. Die nachfolgenden villae haben im Grunde genommen keine wirklichen baulichen Neuerungen erbracht. Bis in die Spätantike hinein wurden sogar immer wieder ältere Anlagen restauriert, teilweise umgebaut und neugestaltet, jedenfalls weiter genutzt. Eine größere Aufmerksamkeit erfahren die Bäder, die in der Republik und frühen Kaiserzeit noch einen vergleichsweise ärmlichen Eindruck hinterlassen hatten. Jetzt aber entstanden, so in der spätantiken Villa der Quintilier an der Via Appia, veritable Thermen mit unterschiedlich heißen Baderäumen. Damals wurde es ferner zusehends üblich – allerdings sind auch schon früher hin und wieder Grabbauten innerhalb einzelner Villengelände errichtet worden – die eigene villa um ein Mausoleum zu erweitern. Dies gilt vor allem für kaiserliche Anlagen wie die des Maxentius an der Via Appia, die zusätzlich über einen eigenen großen circus verfügte. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass die villae mehr und mehr um Raumstrukturen ergänzt wurden, die eindeutig dem Empfang größerer Besuchergruppen dienen sollten. Schon Domitian besaß in seiner Villa bei Castel Gandolfo eine sehr großzügig dimensionierte und prachtvoll ausgestaltete Kryptoportikus mit monumentaler Treppenanlage, auf der er sozusagen von oben herab die im gedeckten Wandelgang Wartenden bei der morgendlichen salutatio begrüßen konnte. Nur wenigen Auserwählten dürfte es anschließend gestattet gewesen sein, zum Kaiser emporzugehen und ihn in die eigentliche Villa begleiten zu dürfen. Auf dieses ausgeklügelte Architekturzeremoniell, mit dem sich die exponierte Stellung des Herrschers in besonders eindrücklicher und sinnbildhafter Weise darstellen ließ, hat Henner von Hesberg hingewiesen. Ebenso betonten
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Abb. 46
die aulae und basilicae als weitere Empfangsräume die öffentliche Rolle der patroni. Sehr gut kann dies exemplarisch am Beispiel der Villa del Casale bei Piazza Armerina auf Sizilien studiert werden (Abb. 46). Schon der als Triumphbogen gestaltete Eingangsbereich setzte entsprechende visuelle Akzente. Ebenso verweisen die vielfigurigen Mosaike der großen Wandelhallen und angrenzender Räumlichkeiten, darunter Jagden und der Fang wilder Tiere für die Arena, auf die virtus des Hausherrn als auch auf seine liberalitas als potentieller Spielegeber und damit auf zentrale Tugenden römischer domini. In der basilica saß oder stand der Hausherr auf einem erhöhten Platz in einer Apsis, was der ganzen Inszenierung eine zusätzliche Würde verlieh. Solche Räume und Selbstdarstellungsformen kannte man aus der kaiserlichen Repräsentationskunst, was aber nicht bedeuten muss, dass die Villa del Casale unbedingt im Besitz eines Kaisers – früher dachte man an
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Maxentius – gewesen sein muss. Die spätantiken senatores verfügten über ausreichend Grundbesitz und Machtmittel, um abseits des strengen Blicks des Herrschers, der selbstredend auf seine Exklusivität bedacht sein musste, vergleichbare Inszenierungen wagen zu können. In Nordafrika lässt sich darüber hinaus das Phänomen beobachten, welches auch für die anderen Provinzen gilt, dass in den schwierigen Zeiten der Reichskrise mit den kurzfristig wechselnden Soldatenkaisern und den zunehmenden Barbareneinfällen die villae mehr und mehr zu befestigten Landsitzen (burgi) werden, deren bildliche Ausstattung die Selbstbestimmtheit und wirtschaftliche Autarkie ihrer Herren feiert. Lambert
Abb. 47
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Schneider hat diese »Wagenburgmentalität« treffend mit den Worten von der »Domäne als Weltbild« charakterisiert. Die Villegiatur der römischen Oberschicht gab zugleich das Vorbild für den Wohngeschmack niederer Schichten ab. Paul Zanker hat dies exemplarisch am Beispiel von Pompeji zeigen können. Selbst in größeren Villen wird versucht, die gehobenen Lebenswelten nochmals durch illusorische Wandmalereien zu steigern. So wurden manche Räume mit gemalten Architekturprospekten geschmückt, die einen Blick in viel weiträumigere und luxuriösere Bauensembles boten als sie in der jeweiligen realen Architektur tatsächlich vorhanden waren. Die Betrachter sollten sich in eine höhere Sphäre versetzt fühlen, wenn sie auf die Wände blickten. In der sehr kleinen Casa dei Ceii in Pompeji ist es sogar ein ganzer Paradiesgarten sowie ein Blick auf eine Wasser- und Küstenlandschaft, die den Augen der Betrachter dargeboten werden (Abb. 47). Hochherrschaftliche Jagdgärten, sogenannte paradeisoi, die römische nobiles in den hellenistischen Königspalästen kennengelernt hatten – Alexander wiederum übernahm diese Sitte von den persischen Großkönigen –, sind eindeutig als Zitat der architektonischen Möglichkeiten einer Villa gemeint. Keiner der Pompeianer hätte sich eine derartige Anlage im Original leisten können. Auch der gemalte Ausblick auf ferne Gestade ist eine Imitation gehobenen Wohngeschmacks. Er rezipiert die unvergleichlichen Panoramen der sündhaft teuren Luxusmeeresvillen. Ist folglich die Abhängigkeit der pompeianischen Häuser von den römischen Villen deutlich zu fassen, stellt sich damit zugleich die Frage nach den Vorbildern für die Villegiatur der römischen Oberschicht selbst. Dass diese nur durch den neu erworbenen Reichtum der Senatoren in Folge der sukzessiven Eroberung der hellenistischen Staatenwelt und den gleichzeitigen intensiven Kulturkontakt möglich wurde, liegt auf der Hand. Heißt das aber auch, dass die architektonischen Vorlagen aus Griechenland stammen und von dort direkt übernommen worden sind? Hierzu muss bemerkt werden, dass wir nur sehr wenige hellenistische Paläste kennen – die großen Residenzen in Alexandria und Antiocheia gar nicht – und das Erhaltene keinesfalls die gleichen Baustrukturen aufweist wie eine römische Villa. Sicherlich sind einzelne Raum- und Bautypen wie beispielsweise die Säulenhallen und das Peristyl übernommen worden, doch die Kombination vieler Elemente zu einem kompakten Lebensraum, der noch dazu eine sozialeskapistische Komponente besaß, scheint allein der besonderen kulturellen Situation der römischen nobiles am Beginn der späten Republik zu verdanken sein. In diesem Sinn wurden auch konkrete Orte wie Platons Akademie, die Stoa Poikile (Bunte Halle), der Lehrort der nach ihr benannten Stoiker auf der Athener Agora, das Lykeion (Gymnasion des Apollon Lykeios in Athen) des Aristoteles, der Nil, der Euripus, das Tempe-Tal, der Kanopus-Kanal in Alexandria u. a. zwar dem Namen nach übernommen, doch niemals eins zu eins als Architekturkopien. Von den Scriptores Historiae Augustae wird beispielsweise behauptet, Hadrian habe im Anschluss an seine Reisen einige der o. g. Orte nachbauen lassen (Hadrian 26, 5).
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Es sind jedoch vielmehr allein die damit verbundenen idealen Vorstellungen von griechischer Bildung und Kultur, die man in Form zitathafter architektonischer Reminiszenzen als kulissenhafte Orte für das eigene, höchst lebendige Nacherleben und Einfühlen in die griechische Kultur zu gestalten suchte (s. dazu ausführlicher Kapitel 9). Abschließend sei noch ein kurzes Wort zu den Palästen der römischen Kaiser gestattet, die eine Art Zwitterstellung zwischen domus und villa einnehmen. Das Wort ist bekanntermaßen vom Hügel Palatin abgeleitet, sodass palatium an sich eine ursprünglich ortsgebundene Anlage meint. Dort existierte schon zu Zeiten der römischen Republik ein hochvornehmes Wohngebiet. Zahlreiche berühmte Politiker, darunter auch Cicero, hatten hier ihre domus. Auch Augustus nahm auf dem Hügel Wohnung und kaufte verschiedene ältere Häuser auf. Im Gegensatz zu seinen Standesgenossen scheint er jedoch bewusst auf eine luxuriöse Ausstattung verzichtet zu haben. Sueton thematisiert dies ausdrücklich als Beweis seiner Bescheidenheit (Divus Augustus 72). Gleichwohl war seine domus, der Ursprung des römischen Kaiserpalastes, etwas Besonderes. Direkt benachbart ließ er den Tempel seines persönlichen Schutzgottes (s. Kapitel 6) errichten, zu dem eine große porticus gehörte. Von seinem Wohnhaus führte eine eigene Rampe direkt ins Heiligtum. Allein diese Anbindung an einen hochheiligen Ort bezeugte die außergewöhnliche Ehrenstellung des Hausbesitzers. Hinzu kamen ein Giebel, die zwei Lorbeerbäumchen und der clipeus virtutis mit den darauf verzeichneten vier Kardinaltugenden (clementia, iustitia, pietas und virtus), allesamt Ehrbezeugungen des Senats, die dem Haus ein einzigartiges sakrales Gepräge gaben. Nach und nach gelang es schließlich, die übrigen senatorischen Familien vom Palatin zu vertreiben und den Hügel somit zur ausschließlichen kaiserlichen Residenz zu machen. In der Folge wurden immer prächtiger werdende Anlagen erbaut, die sowohl villenartige Komplexe als auch dezidierte Empfangsräume beinhalteten, die der öffentlichen Rolle des Kaisers als patronus aller Reichsbewohner entsprachen. Die domus augustana des Domitian mit einer großzügigen aula und basilica für die Audienzen ist der vollkommene bauliche Ausdruck dieses Bemühens um architektonische Sichtbarmachung der herausgehobenen Stellung des römischen princeps, der auf dem Weg zum dominus von Gottes Gnaden war. In der Spätantike werden darüber hinaus auch außerhalb von Rom Paläste errichtet, die auf kompaktem Raum ein ideales gebautes Abbild kaiserlicher Herrschaft darstellen. Es sind gleichsam Städte für sich, abgeschirmt durch wehrhafte Mauern als Zeichen der Macht und häufig mit zentralem, auf die Ewigkeit des Kaiserregnums deutendes Mausoleum wie in Spalato/Split (Abb. 48). In Deutschland bietet die heute als evangelische Kirche genutzte ehemalige Palastaula Kaiser Konstantins in Trier ein hervorragend erhaltenes Beispiel für die Raumwirkung solcher Anlagen. Durch Hinzufügung von Circus- bzw. Hippodrom-Anlagen, die den Kontakt des Herrschers zu größeren Menschengruppen ermöglichten, vor denen er als wohltätiger Spender auftreten konnte, ergab sich eine Verdichtung der zentralen kaiserlichen Tugendrollen an einem Ort,
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Abb. 48
sichtbar gemacht in entsprechenden Baustrukturen. Dieses Modell transferierte Konstantin der Große an den Bosporus in seine neue Hauptstadt Konstantinopel, wo es bis zum Untergang des byzantinischen Reiches in Verwendung blieb und kaiserliche Herrschaft in geradezu »anschaulicher« Weise symbolisierte. Zusätzlich zu den in den vorherigen Abschnitten genannten Schriftzeugnissen lässt sich das Kulturphänomen der römischen Villegiatur am besten im Rahmen einer Cicero- Lektüre thematisieren. Eine Schnittmenge zwischen Cicero und den archäologischen Hinterlassenschaften seiner Zeit stellt die Ausstattung seiner Villen dar, da hierzu zum einen seine eigenen Stellungnahmen vorliegen und zum anderen passende Archäologika existieren. Durch eine Verbindung von Text und archäologischen Objekten werden die Schülerinnen und Schüler an das besondere Rezeptionsverhalten der römischen nobiles herangeführt, das letztlich in einer tieferen Betrachtung des ideellen Zusammenhangs zwischen
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einerseits Raum sowie Raumfunktion und andererseits des bildlichen Raumdekors münden sollte, der als besonderes Charakteristikum dieses spezifischen Konzeptes von Wohnen als einer Form sozialer Selbstdarstellung zu gelten hat. Es offenbart sich auf diese Weise ein »Leben in Bildern«, die nicht nur die Räume in ihrer Funktionalität definieren sowie normierte Geschlechterrollen und Verhaltensweisen visualisieren, sondern darüber hinaus sowohl die vor dieser Kulisse stattfindenden Handlungen als auch deren Akteure selbst formen. Aus ihnen lassen sich somit unmittelbar Rückschlüsse auf den geistigen Habitus ihrer Auftraggeber und Nutzer und mithin auf deren Mentalität ziehen. Es ist gleichermaßen ein »Erleben von Raum« wie ein »Leben im Raum«, wie dies Susanne Muth genannt hat. Konzipiert wurde diese Unterrichtsreihe dafür, sie in die Lektüre von Ciceros Reden gegen Verres zu integrieren oder daran direkt anzuschließen. Aber es ist ebenso sinnvoll, diese Unterrichtsreihe – als eine Art Illustration – an Passagen anzubinden, in denen Cicero über sein Tusculanum (oder über eine andere seiner Villen) redet, also etwa im Kontext der Tusculanae disputationes. Dann müssten allerdings den Schülerinnen und Schülern zusätzlich gezielte Informationen zu Ciceros Verres-Prozess an die Hand gegeben werden (siehe dazu die unten angegebenen Stellen aus den Verres-Reden). Bevor die Unterrichtsreihe – in dem einen oder dem anderen Kontext – eingesetzt wird, sollten wichtige Aspekte der Verres-Reden bekannt sein: Ȥ Verres hat während seiner Amtszeit auf Sizilien Kunstraub im großen Stil begangen, d. h. die Kunstwerke wurden mit erpresserischen Methoden Städten und Privatpersonen geraubt. Ȥ Es ging dabei um griechische Kunstwerke ersten Ranges, von denen einige auch noch besondere kultische Bedeutung für ihre eigentlichen Besitzer auf Sizilien hatten. Ȥ Verres’ Anwesen waren vollgestopft mit griechischen Kunstwerken. Ȥ Verres verstand durchaus etwas von griechischer Kunst. Geeignet sind hierfür beispielsweise folgende Passagen: In Verrem 2, 4, 1; In Verrem 2, 4, 98; In Verrem 2, 4, 93; In Verrem 2, 4, 12; In Verrem 2, 1, 51.
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Arbeitsaufträge – Cicero, Verres-Reden und Ciceros Villenausstattung Cicero besaß wie Verres (um 115–43 v. Chr.) mehrere Villen, am bekanntesten, weil von ihm selbst am meisten geschätzt, ist sein Tusculanum. Auch Ciceros Villen waren mit griechischen Kunstwerken ausgestattet. 1. Stellen Sie anhand folgender Textquellen zusammen, wie Cicero die Kunstwerke für seine Villen erworben hat, und vergleichen Sie dies mit dem Vorgehen von Verres. 2. Arbeiten Sie heraus, nach welchen Kriterien Cicero die Kunstwerke für seine Villen aussuchte. Berücksichtigen Sie dabei sowohl die abstrakten als auch die konkreten Kriterien. 3. Vergleichen Sie Ciceros Verhältnis zur griechischen Kunst mit dem des Verres, wie Cicero ihn in seinen anklagenden Gerichtsreden darstellt.
Epistulae ad Atticum 1, 7: L. Cincio HS [20,400] constitui me curaturum Idibus Febr. Tu velim ea, quae nobis emisse et parasse scribis, des operam, ut quam primum habeamus, et velim cogites, id quod mihi pollicitus es, quem ad modum bibliothecam nobis conficere possis. Omnem spem delectationis nostrae, quam, cum in otium venerimus, habere volumus, in tua humanitate positam habemus.
Ich habe beschlossen, dass ich L. Cincius 20 400 Sesterze an den Iden des Februars auszahlen werde. Ich möchte, dass du dir Mühe gibst, damit ich das, was du, wie du schreibst, für mich gekauft und bereitgestellt hast, möglichst schnell habe, und denke an das, was du mir versprochen hast, auf welche Weise du die Bibliothek für uns vervollkommnen kannst. Die ganze Hoffnung auf mein Vergnügen, die ich, wenn ich ins otium gekommen sein werde, haben will, habe ich in deine Bildung gesetzt.
Epistulae ad Atticum 1,8,2: L. Cincio HS [20,400] pro signis Megaricis, ut tu ad me scripseras, curavi. Hermae tui Pentelici cum capitibus aeneis, de quibus ad me scripsisti, iam nunc me admodum delectant. Quare velim et eos et signa et cetera, quae tibi eius loci et nostri studii et tuae elegantiae esse videbuntur, quam plurima quam primumque mittas, et maxime, quae tibi gymnasii xystique videbuntur esse. Nam in eo genere sic studio efferimur, ut abs te adiuvandi, ab aliis prope reprehendendi simus.
Dem L. Cincius habe ich 20 400 Sesterze für die megarischen Statuen ausgezahlt, wie du an mich geschrieben hattest. Deine pentelischen Hermen mit den bronzenen Köpfen, über die du an mich geschrieben hast, erfreuen mich schon jetzt sehr. Daher schicke mir diese und die Statuen und das Übrige, was dir zu diesem Ort und unserem studium und deinem Geschmack zu passen scheint, und zwar möglichst viele und möglichst schnell, und vor allem, was dir zu Gymnasium und Xystus zu passen scheint. Denn bei dieser Gattung werde ich so von meiner Begeisterung weggerissen, dass ich von dir unterstützt, von anderen fast getadelt werden muss.
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Epistulae ad Atticum 1,9,2: Signa Megarica et Hermas, de quibus ad me scripsisti, vehementer exspecto. Quicquid eiusdem generis habebis, dignum Academia tibi quod videbitur, ne dubitaris mittere et arcae nostrae confidito. Genus hoc est voluptatis meae; quae gymnasiode maxime sunt, ea quaero.
Die megarischen Statuen und die Hermen, über die du an mich geschrieben hast, erwarte ich aus vollem Herzen. Was auch immer du von der Gattung haben wirst, was dir würdig meiner Academia zu sein scheint, zögere nicht, es mir zu schicken, und habe Vertrauen in mein Portemonnaie. Diese Gattung macht mir Vergnügen. Was am meisten zum Gymnasium gehört, das suche ich.
Epistulae ad Atticum 1,10,3: Signa nostra et Hermeraclas, ut scribis, cum commodissime poteris, velim imponas, et si quod aliud oikeion eius loci, quem non ignoras, reperies, et maxime quae tibi palaestrae gymnasiique videbuntur esse. Etenim ibi sedens haec ad te scribebam, ut me locus ipse admoneret. Praeterea typos tibi mando, quos in tectorio atrioli possim includere, et putealia sigillata duo.
Unsere Statuen und die Herculeshermen, wie du schreibst, verbringe ins Schiff, wenn es für dich am bequemsten sein kann, und wenn du irgendetwas anderes, das zu diesem Ort passt, den du ja genau kennst, finden wirst, und vor allem, was dir zur Palaestra und dem Gymnasium zu passen scheint. Außerdem gebe ich dir Figurenschmuck in Auftrag, die ich in die Dachverkleidung des kleinen Atriums einpassen kann, und zwei (mit erhabenen Figuren) verzierte Brunnenumrandungen.
Epistulae ad familiares 7, 23: Bacchas istas cum Musis Metelli comparas: quid simile? primum ipsas ego Musas numquam tanti putassem, atque id fecissem Musis omnibus approbantibus, sed tamen erant aptum bibliothecae studiisque nostris congruens; Bacchis vero ubi est apud me locus? »At pulchellae sunt.« Novi optime et saepe vidi. ea enim signa ego emere soleo, quae ad similitudinem gymnasiorum exornent mihi in palaestra locum. Martis vero signum quo mihi pacis auctori? gaudeo nullum Saturni signum fuisse; haec enim duo signa putarem mihi aes alienum attulisse. Mercurii mallem aliquod fuisset: felicius, puto, cum Avianio transigere possemus. Quod tibi destinaras trapezophorum, si te delectat, habebis; sin autem sententiam mutasti, ego habebo scilicet.
Jene Bacchantinnen vergleichst du mit den Musen des Metellus? Was ist vergleichbar? Zum ersten hätte ich die Musen selbst niemals so hoch eingeschätzt, und ich hätte dies getan unter Zustimmung aller Musen, aber dennoch wären sie ein geeignetes Stück für die Bibliothek und passend zu unseren Studien. Für die Bacchantinnen aber: Wo ist der Platz bei mir? »Aber sie sind hübsche kleine Dinger.« …; diese Statuen kaufe ich immer, die in der Palaestra einen Ort ausschmücken, um Ähnlichkeit mit Gymnasien herzustellen. Aber eine Statue des Mars, wie für mich als Friedensinitiator? Ich freue mich, dass keine Statue des Saturn da gewesen ist; diese zwei Statuen nämlich hätten mir, wie ich glauben würde, Schulden eingebracht. Ich hätte vorgezogen, dass es irgendwas wie Merkur gewesen wäre. Vorteilhafter, glaube ich, hätte ich mit Avianus verhandeln können. Den Trapezophoren, den du für dich bestimmt hattest, wirst du für dich behalten, wenn er dir Freude macht; wenn du aber deine Meinung geändert hast, werde ich ihn natürlich behalten.
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Ista quidem summa ne ego multo libentius emerim deversorium Tarracinae. … Omnino liberti mei video esse culpam, cui plane res certas mandaram, itemque Iunii.
Für diese Kaufsumme freilich hätte ich lieber eine Kneipe in Tarracina gekauft. Im Ganzen sehe ich, dass es die Schuld meines Freigelassenen ist, dem ich klar und deutlich klar definierte Dinge aufgetragen hatte, und ebenso des Iunius …
Angaben: Palaestra und Xystus sind Bezeichnungen aus dem Bereich des griechischen Gymnasions, die bei den Römern Teile der Gartenanlagen von Villen bezeichnen, Palaestra (eigentlich Ringplatz) und Gymnasium einen von Säulenreihen umstandenen Platz, Xystus (eigentlich gedeckte Laufbahn) einen überdachten Säulengang; Academia: eigentlich der Ort der Philosophenschule Platons in Athen; megarische Statuen: S tatuen aus Megara; Hermen: kleine Säulen mit Hermeskopf und Phallos; Trapezophoren: Figuren als Tischbeine, die einen Tisch tragen.
4. Gehen Sie durch das virtuelle Museum http://viamus.uni-goettingen.de/ und kaufen Sie dort gezielt für Ciceros Haus ein. Welche Statuen/Büsten würden Sie für welche Räume erwerben? Begründen Sie Ihre Auswahl. Geben Sie an, welcher weitere Schmuck außer Statuen noch in römischen Villen zu finden ist. Gehen Sie dazu mittels einer bei YouTube unter dem Titel »Pompeii and the House of Sallust« eingestellten Animation virtuell durch das Haus des Sallust (https://www.youtube.com/watch?v=RSd8f5780GM). In Aschaffenburg hat der bayerische König Ludwig I. das Gebäude als sogenanntes Pompejanum nachbauen lassen (https://de.wikipedia.org/wiki/Pompejanum). 5. Informieren Sie sich über modernen Kunstraub unter Napoleon und Hitler. Fassen Sie jeweils die wesentlichen Ergebnisse zusammen und vergleichen Sie sie mit dem Vorgehen des Verres. 6. Recherchieren Sie im Internet nach Bildern und/oder Beschreibungen von Villen zeitgenössischer Stars und arbeiten Sie heraus, welche Aussagen die Stars damit über sich machen. 7. Informieren Sie sich insbesondere zu Michael Jacksons Anwesen Neverland. Benennen Sie einige Elemente und vergleichen Sie das Gesamtkonzept mit einer römischen Villa.
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Literaturhinweise: Allgemein zum römischen Wohnen mit zahlreichen Textstellen: Kunst, Christine, Römische Wohn- und Lebenswelten. Quellen zur Geschichte der römischen Stadt (Darmstadt 2000). Senatorische domus: Hesberg, Henner von, Die Häuser der Senatoren in Rom. Gesellschaftliche und politische Funktion, in: Eck, Werner – Heil, Matthäus (Hrsg.), Senatores populi Romani. Realität und mediale Präsentation einer Führungsschicht. Kolloquium der Prosopographia Imperii vom 11.–13. Juni 2004 (Stuttgart 2005) S. 19–52; Mielsch, Harald, Häuser von Senatoren in Rom. Architektur und Leben (Paderborn 2016). Baukunst und das Problem der luxuria: Drerup, Heinrich, Zum Ausstattungsluxus in der römischen Architektur (Münster 1957); Weeber, Karl-Wilhelm, Luxus im alten Rom. Die öffentliche Pracht (Darmstadt 2006); Aßkamp, Rudolf u. a. (Hrsg.), Luxus und Dekadenz. Römisches Leben am Golf von Neapel (Mainz 2007); Weeber, Karl-Wilhelm, Luxus im alten Rom. Die Schwelgerei, das süße Gift … (Darmstadt 3. Auflage 2015). Automatenkunst: Hesberg, Henner von, Mechanische Kunstwerke und ihre Bedeutung für die höfische Kunst des frühen Hellenismus, Marburger Winckelmann-Programm (1987) S. 47–72; Ders., Temporäre Bilder oder die Grenzen der Kunst. Zur Legitimation frühhellenistischer Königsherrschaft im Fest, Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 104, 1989, S. 61–82; Amedick, Rita, Ein Vergnügen für Augen und Ohren. Wasserspiele und klingende Kunstwerke in der Antike, Teil 1, Antike Welt, 29, 1998, S. 497–507; Dies., Ein Vergnügen für Augen und Ohren. Wasserspiele und klingende Kunstwerke in der Antike, Teil 2, Antike Welt 30, 1999, S. 49–59. Gärten und Parks: Häuber, Ruth Christine, Horti Romani. Die Horti Maecenatis und die Horti Lamiani auf dem Esquilin – Geschichte, Topographie, Statuenfunde, Dissertation Köln 1986 (Köln 1991); Andreae, Bernard, Am Birnbaum. Gärten und Parks im antiken Rom (Mainz 1996). Römische Villen: Mielsch, Harald, Die römische Villa. Architektur und Lebensform (München 1987). Reutti, Florian (Hrsg.), Die römische Villa (Darmstadt 1990); Griesbach, Jochen, Villen und Gräber. Siedlungs- und Bestattungsplätze der römischen Kaiserzeit im Suburbium von Rom (Rahden/Westfalen 2007); Tombrägel, Martin, Die republikanischen Otiumvillen von Tivoli (Wiesbaden 2012). Villenbriefe des Plinius: Förtsch, Reinhard, Archäologischer Kommentar zu den Villenbriefen des jüngeren Plinius, Beiträge zur Erschließung hellenistischer und kaiserzeitlicher Architektur und Skulptur 13 (Mainz 1993); Choitz, Tamara, Die Villen des Plinius, in: Der Altsprachliche Unterricht. Latein – Griechisch, Heft 4 (2015) S. 52–57; Schollmeyer, Patrick, Die Villenbriefe des jüngeren Plinius, in: Der Altsprachliche Unterricht. Latein – Griechisch, Heft 4 (2015) S. 58–61. Kosmische Aspekte: Achenbach-Kosse, Marion, Der Kosmos als Vorbild und Lehrmeister. Studien über den Raum-Zeit-Diskurs in der römischen Lebenswelt (Frankfurt u. a. 2019). Bildprogramme römischer Wohnhäuser: Muth, Susanne, Erleben von Raum – Leben im Raum. Zur Funktion mythischer Mosaikbilder in der römisch-kaiserzeitlichen Wohnarchitektur, Archäologie und Geschichte 10 (Heidelberg 1998); Lorenz, Katharina, Bilder machen Räume. Mythenbilder in pompeianischen Häusern, Image & Context 5 (Berlin – New York 2008).
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Griechische Kunstwerke in Rom: Pape, Margit, Griechische Kunstwerke aus Kriegsbeute und ihre öffentliche Aufstellung in Rom (Dissertation Hamburg 1975); Bravi, Alessandra, Griechische Kunstwerke im politischen Leben Roms und Konstantinopels, Klio Beihefte 21 (Berlin 2014). Rezeption römischer Villen im pompeianischen Wohngeschmack: Zanker, Paul, Pompeji. Stadtbild und Wohngeschmack (Mainz 1995) S. 141–210 Wohnkultur der Pompejaner. Skulpturenausstattung römischer Villen: Neudecker, Richard, Die Skulpturenausstattung römischer Villen in Italien (Mainz 1988). Römische Kaiserpaläste: Hoffmann, Adolf – Wulf, Ulrike (Hrsg.), Die Kaiserpaläste auf dem Palatin in Rom (Mainz 2004); Sojc, Natascha (Hrsg.), Domus Augustana (Leiden 2012); Dies., Palast und Stadt im severischen Rom (Stuttgart 2013); Wulf-Rheidt, Ulrike, »Den Sternen und dem Himmel würdig«. Kaiserliche Palastbauten in Rom und Trier, Trierer Winckelmannsprogramme 24 (Wiesbaden 2014); Featherstone, Michael – Spieser, Jean-Michel – Tanman, Gülru – Wulf-Rheidt, Ulrike (Hrsg.), The Emperor’s House. Palaces from Augustus to the Age of Absolutism, Urban Spaces 4 (Berlin – Boston 2015).
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Plinius’ Briefe, Ovids Metamorphosen, Petronius Nachdem klar geworden sein dürfte (s. vorheriges Kapitel), dass römisches Wohnen nicht nach unseren eigenen modernen Vorstellungen von Privatheit beurteilt werden darf und insbesondere sowohl domus als auch villa eigentlich vor allem als Bühnen für die Selbstdarstellung der reichen Eliten des Imperiums dienten, soll abschließend der Frage nachgegangen werden, in welchem Maß – insbesondere im otium-Kontext der römischen Villa – hierbei Mythos und Bildung eine Rolle spielten. Dabei wird es im Wesentlichen um die bildliche Ausstattung der Anwesen und ihre Semantik gehen. Plinius Zunächst aber ist zu klären, wie der typische Tagesablauf eines reichen Villenbesitzers zur Kaiserzeit aussah. Hauptquelle hierfür sind die Briefe des Gaius Plinius Caecilius Secundus (61/62–113 oder 115 n. Chr.). In der an Fuscus gerichteten epistula 9, 36 stilisiert sich Plinius wie folgt: Schon kurz nach dem Aufwachen, noch im Bett liegend, denke er intensiv nach, rufe dann seinen Schreiber, um das Gedachte zu diktieren. Dieses überdenke er anschließend bei einem Spaziergang und diktiere es erneut. Sowohl bei einer Wagenfahrt als auch im Gehen und Liegen beschäftige er sich mit Geistigem, lese täglich eine griechische oder lateinische Rede laut vor und beim Mittagessen lasse er sich vorlesen, um dann nach Tisch ein Schauspiel zu verfolgen oder einem Lyraspieler zuzuhören. Am Nachmittag und Abend führe er schließlich mit Gebildeten (eruditi) Gespräche. Selbst auf der Jagd nehme er stets eine Schreibtafel mit. Für Plinius den Jüngeren stand folglich die literarische Tätigkeit im Vordergrund. Er inszeniert sich, seinen Onkel und die Standesgenossen in zahlreichen weiteren Briefen regelrecht als Gelehrte, die bei jeder Gelegenheit nachdenken, schreiben, diktieren. In diesem Sinn hat die Forschung von der römischen villa als einer »Bildungslandschaft« gesprochen, deren bibliothecae, gymnasia, odea, palaestrae, pinacothecae, porticus, theatri u. a. m. der Idee einer griechisch geprägten humanitas verpflichtet waren, die in diesen Bauten ihren architektonischen Ausdruck fand. Bereits bei Cicero kann dies nachgelesen werden, der fragt, ob nicht bereits der Anblick einer palaestra, einer Säulenhalle und von
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»Private« Lebensräume II – Mythos und Bildung
Sitzplätzen genüge, um die Erinnerung an die Gymnasien und die gelehrten Erörterungen der Griechen hervorzurufen (De oratore 2, 20). Insofern sind die einzelnen Anlagen vor allem Kulissen für eine entsprechende Selbstdarstellung gewesen. Dass dabei auch der bildlichen Ausstattung eine wesentliche Rolle zufiel, ist bereits im vorherigen Kapitel thematisiert worden. Die Darstellungen wurden – wie schon gezeigt werden konnte – keinesfalls willkürlich gewählt, sondern entsprachen den römischen Vorstellungen von decor. Decorum war das, was thematisch zur Funktion des Raumes und den dort stattfindenden sozialen Handlungen passte. Die überhöhend gemeinte Selbstinszenierung als intellektuell Tätige hat darüber hinaus ihren Niederschlag in entsprechenden Darstellungen gefunden. Auf Mosaiken, Sarkophagen und anderen Bildträgern aus der römischen Kaiserzeit sind Männer, Frauen und Jugendliche in der Pose des schreibenden Literaten oder nachdenkenden Philosophen zu sehen. Beide Stilisierungen des gebildeten nobilis für Schülerinnen und Schüler zusammenzuführen, wird das Ziel der folgenden Überlegungen zum Einsatz im Unterricht sein. Didaktische Orte, an denen die Archäologika an eine Plinius-Lektüre angebunden werden können, gibt es neben dem oben erwähnten Brief 9, 36 zahlreiche: So beschreibt Plinius in epistula 1, 6, 1 wie er schreibend neben den Netzen sitzt, als er Eber fangen will; auf ähnliche Weise sind Landleben und Studieren auch in 1, 9 miteinander verbunden, wo Plinius sein Leben in der Stadt mit dem auf dem Land vergleicht: Während er dort seine Zeit vertut, kann er sich auf dem Land den wirklich wichtigen Dingen des Lebens widmen, nämlich dem Studium. Einschlägig für dieses Thema sind des Weiteren noch die Briefe 3, 5, in dem er den Tagesablauf seines Onkels beschreibt, der im Wesentlichen aus Studium bestand, und 5, 18, in dem er sein eigenes Leben auf dem Lande zwischen Jagen und Studium darstellt. Und vor allem auch im berühmtesten seiner Briefe, der Beschreibung des Vesuvausbruchs (6, 16), ist diese (Selbst-)Darstellung als Mann des studium zu fassen: Bereits bei der Beschreibung der Ausgangslage sehen wir Plinius den Älteren, wie er sich nach Ruhephase und Essen – wie wohl routinemäßig jeden Tag – als Ziel des Tages dem Studium widmet (6, 16, 5), als ihm die merkwürdige Erscheinung am Vesuv gemeldet wird. Daraufhin macht er sich sofort zu einem guten Aussichtspunkt auf. Dafür nennt Plinius der Jüngere als einzigen Grund den Wunsch nach Erkenntnis (6, 16, 7), nicht etwa wegen seines Amtes als Flottenkommandant, das Movens, die Lage zu sondieren. Plinius der Jüngere könnte mitkommen, aber er lehnt wegen seiner eigenen Studien ab. Natürlich konnten beide in dem jeweiligen Moment noch nicht wissen, welche Katastrophe sich gerade anbahnte. Dennoch ist es auffällig, dass Plinius auch im Nachhinein seinen Onkel und sich selbst so darstellt, dass der Vesuvausbruch bei beiden in ihre Studien hineinbricht, was ja bedeutet, dass diese ihre »normalen« Hauptbeschäftigungen waren.
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Und auch wenn Plinius der Ältere, als er dann verstanden hat, was gerade passiert, vom Mann der Studien zum Mann der Tat wird (6, 16, 9), steht der Drang nach Erkenntnis zunächst für ihn immer noch im Vordergrund (6,16, 10). Sobald dann allerdings die Lage eskaliert, ist er infolgedessen nur noch Kommandant: organisiert und beruhigt – bis er schließlich selbst stirbt. Die Archäologika können hier also an die Lektüre verschiedener Briefe des jüngeren Plinius angehängt werden, auch gerade an den Vesuv-Brief, der ja oft losgelöst von einer eigentlichen Plinius-Lektüre behandelt wird. Es muss als Basis für deren Einbeziehung nur herausgearbeitet worden sein, dass Plinius sich selbst und seine Standesgenossen als Gelehrte inszeniert, deren Haupttagesgeschäft im studium besteht. Dazu bieten sich folgende Arbeitsaufträge an:
Arbeitsaufträge – Plinius und die Vorstellung von Bildung 1. Bearbeiten Sie die beiden Links https://de.wikipedia.org/wiki/Haus_des_Menander und https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Philosophenmosaik unter der Fragestellung, wie sich dort die Hausbesitzer als gelehrte Menschen inszenieren. 2. Vergleichen Sie diese Bilder mit den Aussagen, die Plinius über sich und andere trifft. 3. Arbeiten Sie aus den Aussagen des Plinius und den gerade betrachteten archäologischen Quellen heraus, wie die Mitglieder der senatorischen Oberschicht »Bildung« definierten. 4. Vergleichen Sie dies mit der heutigen Vorstellung von »Bildung« und ihrem Stellenwert bei der Selbstdarstellung. Recherchieren Sie dazu auch Homepages, Lebensläufe, Bewerbungsvideos etc. im Internet. 5. Entwerfen Sie mit der passenden Bildauswahl einen Facebook-/Instagram-Account für Plinius den Jüngeren.
Ergänzend hierzu oder auch unabhängig davon sollte zusätzlich der Frage nach dem Inhalt der Bildung nachgegangen werden. Bewusst ausgeklammert wird dabei die grammatische und rhetorische Erziehung junger Römer. Stattdessen liegt der Fokus auf der Kenntnis antiker Mythen. Der Mythos – insbesondere der griechische – stellte eine Art gehobene Bildungssprache dar, in der man sich sowohl literarisch als auch bildkünstlerisch ausdrückte, um ideale Rollenmuster sowie Verhaltensweisen in dauerhaft gültiger paradigmatischer Weise erhöhend zu fixieren. Die mythischen Heldinnen und Helden waren Archetypen guten wie schlechten Handelns; sie präfigurierten das Verhalten der Menschen und fungierten mithin in einem ganz wörtlichen Sinn als »Vorbilder«.
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Ovid Bei einer Unterrichtsreihe zur Ausstattung der Villen mit Skulpturenschmuck bietet es sich vor allem an, Ovids Metamorphosen miteinzubeziehen, weil z. T. dieselben mythologischen Themen zur Darstellung kommen. Da ovidische Metamorphosen vom Mittelalter und dann vor allem in der Renaissance sowie den darauffolgenden Zeiten bis heute immer wieder in bildlichen Darstellungen umgesetzt wurden, wird im Kontext der schulischen Ovid-Lektüre bisher (fast) ausschließlich die nachantike künstlerische Rezeption berücksichtigt. Dadurch geht es bei der Betrachtung der Interaktion zwischen Text und Bild aber häufig allein um die Frage, wie der Ovid-Text im späteren, von ihm abhängigen Bild umgesetzt worden und allenfalls noch, in welcher Hinsicht und warum der Künstler an bestimmten Stellen von seiner Textvorlage abgewichen ist. Damit wird man allerdings der antiken Verwendung mythischer Darstellungen nicht gerecht und unterschlägt das eigentliche Phänomen, was wiederum zu einer intellektuellen Verengung führt, bei der die antiken Verhältnisse keine Berücksichtigung finden. Denn im Kontext einer Ovid-Lektüre sollten neben Rezeptionsbeispielen immer auch römische Bildzeugnisse herangezogen werden, um so auch einen Zugang zur spezifischen Instrumentalisierung des Mythos für die Selbstdarstellung der römischen nobiles zu ermöglichen. Zur näheren Erläuterung sind zwei Metamorphosen ausgewählt, die zum Themenkomplex »Bestrafung von Hybris« gehören: Niobe und Marsyas. Anhand dieser beiden Fallbeispiele lassen sich die eingangs gemachten Bemerkungen zur Instrumentalisierung von Mythos in der römischen »Bildungslandschaft« näher beleuchten. Bei dem ersten Objekt handelt es sich um eine weit überlebensgroße Figur, die Niobe zeigt, wie sie ebenso verzweifelt wie vergeblich versucht, das letzte ihr verbliebene Kind, das zugleich ihre Lieblingstochter ist, mit ihrem Mantel vor den todbringenden Pfeilen des göttlichen Zwillingspaares Apollon und Artemis zu schützen (Abb. 49). Das Standbild gehört zu einer ganzen Gruppe weiterer Marmorstatuen, die die Tötung der NiobiAbb. 49 den darstellen. Das Ensemble wurde bereits
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1583 auf dem Esquilin in einem Weinberg entdeckt. Das Gebiet gehörte in der Antike zu den nach ihren ehemaligen Eigentümerfamilien genannten Horti Lamiani et Maiani. Diese riesige innerstädtische Villa ging später in kaiserlichen Besitz über. Einer der römischen Kaiser des 2. Jhs. n. Chr. ließ dort die Figuren in einem Teil des Parks aufstellen. Diese Aufstellung imitierte Kardinal Ferdinando de Medici (1549–1609), der befahl, sie in den Garten seiner großartigen Villa Medici auf dem Pincio zu bringen, wo sie im Freien stehend bis zum Jahr 1775 verblieben, als sie nach Florenz in die Uffizien transferiert wurden. Am einstigen Standort ersetzte man die Originale später durch Zementgusskopien. Auch wenn die Statuen somit an sich genuin römisch sind, gilt das für den ursprünglichen Entwurf nicht. Die Forschung geht davon aus, dass die römischen Marmorfiguren eine verloren gegangene, damals hochberühmte griechische Bronzegruppe kopieren. Dies legt die äußere Form, d. h. der Stil der Figuren, nahe. Ob die Originale noch spätklassisch oder bereits hellenistisch datiert werden müssen, bleibt freilich umstritten. Die Kopistentätigkeit für römische Auftraggeber ist bestens sowohl literarisch als insbesondere auch archäologisch belegt. Seit geraumer Zeit kennen wir aus Baiae sogar eine entsprechende Werkstatt mit Resten antiker Gipsabgüsse, von denen mittels eines Punktierverfahrens die Kopien erstellt werden konnten. Das Phänomen setzte bereits in der Mitte des 2. Jhs. v. Chr. ein. Zahlreiche griechische Bildhauer spezialisierten sich damals auf diesen Produktionszweig. Das Geschäft blühte bis ins 3. Jh. n. Chr., als der Markt mehr oder minder vollständig gesättigt war und andere Repräsentationsformen wichtiger wurden. Es verdankt sich dem Wunsch römischer Auftraggeber nach dem Besitz griechischer Kunstwerke, der nur zum Teil mit originalen Beutestücken zu befriedigen war. Zudem gelangten diese vor allem in öffentlichen Besitz, wo sie bevorzugt die neu errichteten Heiligtümer und Platzanlagen der siegreichen nobiles (s. dazu Kapitel 6) sozusagen als tropaea und signa der erzielten militärischen Erfolge schmückten. Zu welchem Zweck stellte man solche Kopien jedoch in den Häusern und Villen der Reichen auf? Im Fall von Kardinal Medici ist die Sachlage klar: Er konnte sich auf diese Weise als gebildeter Fürst erweisen. Denn für ihn war die Gruppe vor allem wegen ihres Bezuges zum damals schon berühmten und zahlreich rezipierten Text des Ovid von Interesse. Dies dürfte aber für die antiken Auftraggeber kaum eine Rolle gespielt haben. Es fehlt an Hinweisen, dass Ovid und sein Werk zu den Metamorphosen in der römischen Kaiserzeit eine vergleichbare Relevanz hatten. Gleichwohl muss ebenso die antike Motivation im Bereich der Bildung gesucht werden. Doch was ist damit konkret gemeint? Welches Interesse besaßen vornehme Römer an solchen Mythendarstellungen? Einen sehr guten Einstiegstext in diese Thematik bietet Sueton mit seinen Äußerungen zur Bildung des Kaisers Tiberius. Dieser habe die artes liberales mit großem Eifer in beiden Sprachen studiert und dabei ein besonderes Interesse für die Mythologie gezeigt. So traktierte er selbst Fachleute mit höchst diffizilen Fragen nach dem Namen der Mut-
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ter der Hekabe oder dem des Achilleus unter den Töchtern des Lykomedes und was die Sirenen gesungen hätten. Auch habe er ein bestimmtes Trauerverhalten mit einem mythischen Beispiel begründet (Tiberius 70). Auch wenn Sueton die Bemühungen des Kaisers kritisiert, so offenbart sich in ihnen doch ein höchst lebendiger Zugang, der unmittelbar Einfluss auf den Habitus des Tiberius hatte. Hierin lässt sich sehr gut das greifen, was eingangs mit den Begriffen »Archetypen« und »Vorbilder« knapp angedeutet worden ist. Es handelte sich somit nicht nur um eine reine Bildungsattitüde, sondern durchaus um eine höchst lebendige, das eigene Verhalten habituell prägende »Lebensform«, die freilich auf höchst unterschiedlichen Rezeptionsniveaus realisiert werden konnte. In diesem Zusammenhang ist ein abermaliger Blick auf die Skulpturenausstattung in Tiberius’ Villa ad speluncam im heutigen Sperlonga lehrreich (s. oben Abb. 44). Wie wir gesehen haben, steht mehrfach Odysseus im Zentrum der Darstellung (s. Kapitel 5 und 8), was mit dem besonderen Interesse des Tiberius an diesem Helden erklärt wurde. Durch seinen mit Kirke gezeugten Sohn Telegonos, dem Gründer von Tusculum (Livius 1, 49 und Servius, commentarius in Vergilii Aeneida 2, 344) galt dieser als der mythische Stammvater der gens Claudia. Damit besaß diese Familie einen mindestens ebenso berühmten Ahnen, wie die Iulier mit Aeneas einen vorzuweisen hatten. So gestaltet noch Seneca die Ankunft des Claudius auf dem Olymp in seiner Schmähschrift Apocolocynthosis (5, 4) mit Bezug auf Odyssee 9, 39, wobei die Passagen im Original, d. h. auf Griechisch, zitiert sind, zwar als Persiflage, doch wird dabei deutlich, dass auch ihm die besondere Verbindung der Claudier zu Odysseus bestens bekannt war. Aufschlussreich ist darüber hinaus die an dieser Stelle erwähnte Reaktion des Claudius, aus der klar hervorgeht, wie sehr man solche Anspielungen ebenso als Ausdruck von Bildung verstand. Dieser habe sich gefreut, dass es im Olymp Philologen gebe, und gehofft, dort mit seinen historischen Arbeiten reüssieren zu können. In diesem Sinn sind zugleich Assoziationen möglich gewesen, die eher allgemeinerer Natur und nicht zwingend exklusiv auf die Claudier zu beziehen waren. Ein Beispiel bietet wiederum Sueton (Tiberius 21, 6), der einen Brief des Augustus an Tiberius erwähnt, in dem jener seinen Adoptivsohn mit einem wiederum in griechischer Sprache zitierten Vers aus der Ilias (10, 246–247), der dort auf Odysseus gemünzt ist, für seinen Erfindungsreichtum rühmt. Odysseus avancierte auf diese Weise in der Kaiserzeit zu einem besonderen alter ego vornehmer Römer und nicht nur des Kaisers. In seiner Person kulminierten zwei Aspekte des Selbstbildes der staatstragenden Eliten. So war er einerseits ein Mann der militärischen Tatkraft, somit ein Träger von virtus, andererseits zugleich aber auch ein Mann von intellektuellem Verstand. Beides ließ ihn zu einem echten Vorbild werden. Man kann sich leicht vorstellen, dass vor diesem Hintergrund die homerischen Gruppen der Tiberius-Villa dem Kaiser und seinen Festgästen bei der abendlichen cena reichlich Gelegenheit zu einer recht vielschichtigen Reflexion gaben, zumal der Ort selbst wie oben dargestellt einen direkten Blickbezug zu einem mythischen Schauplatz
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(Kirkes Insel) der Odyssee bot. Sie eigneten sich auf einem einfachen Niveau zur Demonstration mythischen Wissens. Es waren aber auch tiefergehende gelehrte Anmerkungen möglich, die bis zur Schmeichelei gehen konnten. Sicherlich dürften es nur wenige versäumt haben, den Kaiser und seine Qualitäten direkt mit Odysseus zu vergleichen. Und abgesehen davon stellte die prachtvolle Inszenierung einen statusdemonstrierenden Wert an sich dar. Die kostbaren, von erstklassigen griechischen Künstlern aus Rhodos – es sind dieselben, die den Laokoon gefertigt haben – gemeißelten Marmorfiguren von zum Teil kolossaler Größe waren Schaustücke ersten Ranges, die beeindrucken sollten und es sicher auch taten. Schon allein die Platzierung der Festgäste auf einem Podium inmitten von Meerwasser ist außergewöhnlich gewesen. Geradezu spektakulär müssen die in den dunklen Höhlen verborgenen Statuen gewirkt haben, wenn dort die Fackeln entzündet und die Abenteuer des Odysseus plötzlich sichtbar wurden. Beeindruckender ließ sich der kaiserliche Rang kaum visualisieren. Auf die Niobiden der horti lamiani et maiani übertragen bedeutet dies, dass wir auch für sie eine ähnlich gelagerte Motivation vermuten dürfen. In ihnen manifestiert sich zum einen eine statusorientierte Mythenbildung, die Anlass und Rahmen für vielfältigste Bezugsmöglichkeiten und damit Selbstdarstellungsformen bot, und zum anderen eine Begeisterung für deren materielle Inszenierung, mittels derer einzelne Orte mythisch aufgeladen und gleichsam zu Bildungslandschaften umgestaltet worden sind. Dort ließ sich trefflich diskutieren über den Mythos selbst, seine höchst unterschiedlichen literarischen Gestaltungen und verschlungenen Überlieferungspfade. Aber ebenso waren kunsthistorische Anmerkungen zur Formensprache der einzelnen Darstellungen und insbesondere philosophische Gespräche bezüglich der ethisch-moralischen Implikationen der jeweiligen Mythen möglich. Vielfach wird man sich vielleicht auch nur mit der möglichst gekonnten und überraschenden Inszenierung beschäftigt haben, die ins Auge stechen sollte und mit der der jeweilige Villenbesitzer sein Publikum in erster Linie zu beeindrucken suchte. Es gab durchaus eine Art Wettstreit, wer die luxuriöseste Villenanlage und prachtvollsten Skulptureninszenierungen sein Eigen nennen durfte. Und mancher Senator büßte sein Leben ein, wenn er damit zu sehr den Neid eines Kaisers herausforderte. Betrachten wir jetzt noch als zweites Beispiel eine Statue des hängenden Marsyas (Abb. 50), so wird nochmals deutlich, auf was es ankam. Von der originalen Vorlage, einer mehrfigurigen aus dem 3./2. Jh. v. Chr. stammenden Bronzegruppe, die neben dem Satyrn noch einen messerschleifenden Skythen (Kopie in der Florentiner Uffizien) und vielleicht einen dabei sitzenden Apollon umfasste, was die weitere Überlieferung in der Flächenkunst (Mosaiken, Gemmenbilder) nahelegt, sind vor allem Kopien des Marsyas auf uns gekommen. Das spricht für eine sehr selektive Auswahl. Wie die Niobiden dürfte auch dieses Monument ursprünglich als Votivdenkmal in einem Heiligtum gestanden haben, wo es die strafende Macht des die Hybris rächenden Apollon rühmend thematisierte. Im
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Abb. 50
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Kontext einer römischen Villa kann dieser Aspekt weiterhin eine Rolle gespielt haben. Entsprechende disputationes im Angesicht der Statue über die Macht des Schicksals und der Götter schlechthin sind ebenso vorstellbar wie anders gelagerte Rezeptionsformen. Auffällig ist dabei, dass für das römische Kunstwerk zwei Fassungen produziert worden sind, eine marmorweiße Version (sogenannter Weißer Marsyas) und eine aus rotgeädertem Buntmarmor (sogenannter Roter Marsyas). Letztere visualisierte auf besonders eindrücklich-sinnliche Weise das nach dem Abzug der Haut offenliegende blutige Fleisch und damit die Leiden des Marsyas. Aus seinem Blut soll der Sage nach bei der antiken Stadt Kelainai in Phrygien schließlich der nach ihm benannte Fluss Marsyas entsprungen sein. Herodot (Historien 7, 26) und Xenophon (Anabasis 1, 2, 8) bezeugen, dass dort noch zu ihrer Zeit in der Stadt beziehungsweise direkt in der Quellgrotte die Haut des so grausam Hingerichteten gehangen haben soll. Die Kopien sind in den Villen sicherlich vergleichbar aufgestellt worden, vielleicht in einer künstlichen Grotte und/oder kombiniert mit einem kleinen Wasserkanal, vielleicht aber auch nur in einem Gartenambiente. Dies reichte jedoch vollkommen aus, um entsprechende Assoziationen zu wecken. Wir haben es folglich bei beiden Beispielen mit einer versatzstückartigen Rezeption zu tun. Es ist eine trotz aller Normierungen bewusst getroffene Auswahl, die in ihrer Offenheit Raum für vielfältigste Formen einer inhaltlichen Bezugnahme bot.
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Im möglichen Variantenreichtum lag ihr eigentlicher Reiz. Die Mythendarstellungen ließen sich genauso wie ihre literarischen Pendants immer wieder neu akzentuieren und forderten die Betrachter zu diversen Interpretationen auf. Wie Michael Stahl zurecht betont hat (s. Literaturhinweise) bestand in der römischen Bildungstradition ein enger Zusammenhang von Sehen und Denken. Die zeitgenössische Rhetorikliteratur thematisiert dies mehrfach ausdrücklich. Insofern waren die Kunstwerke ebenfalls Teil eines allfälligen gesellschaftlichen Konkurrenzspiels zur Darstellung von wahrer humanitas und mithin Ausdruck eines ausgeprägten Standesbewusstseins. Griechisch ist die Bildungssprache schlechthin gewesen. Entsprechende philosophische, literarische, rhetorische, historische und mythische Kenntnisse gehörten zum Selbstverständnis der Oberschicht. Sie hatten einen geradezu distinktiven Charakter. Wer nicht über sie verfügte, gehörte schlichtweg nicht dazu, und lief Gefahr, sich lächerlich zu machen, mithin seinen sozialen Status aufs Spiel zu setzen. Petronius Diesen Zusammenhang zwischen Bildung und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht erläutern nochmals vertiefend die im Unterricht vielgelesenen Passagen aus der eigentlichen cena Trimalchionis. Abendliche cenae respektive convivia fungierten schon in der Republik als zentrale gesellschaftliche Handlungsräume von hoher politischer Relevanz, die der Festigung sozialer Bindungen innerhalb der senatorischen Oberschicht dienten. Über ein ausgeklügeltes Aufstell- und Belegungssystem der Speisesofas (Singular lectus triclinaris) mit drei unterschiedlich bewerteten Positionen (lectus summus, lectus medius, lectus imus) im Raum und Liegeplätzen (locus summus, locus medius, locus imus) auf den einzelnen lecti wurden fein austarierte Rangabstufungen sichtbar gemacht. Wer auf dem lectus summus am locus summus lag, durfte sich als Ehrengast und Ranghöchster unter allen Anwesenden fühlen. Die Gespräche kreisten zumindest in republikanischer Zeit nicht selten um politische Angelegenheiten. Unter der Herrschaft der Kaiser verschob sich das in Richtung gelehrter Konversation. Es gab Dichterlesungen. Zuweilen trug der Gastgeber sogar eigene Werke vor. Eine Vorstellung von dieser Form normierter Tischunterhaltung, die als Ausweis der Zugehörigkeit zur Oberschicht galt, gibt die eigens zu diesem Zweck entstandene kaiserzeitliche Spezialliteratur. Zwei Beispiele mögen ausreichen: Im 2. Jh. n. Chr. verfasste Aulus Gellius in lateinischer Sprache die noctes atticae und im 3. Jh. n. Chr. schrieb Athenaios von Naukratis auf Griechisch seine deipnosophistae. Beide Werke überliefern so manches Zitat aus heute nicht mehr erhaltenen älteren Schriften. Solche Konversationshandbücher zeigen, dass offenkundig ein echter Bedarf an kompilierenden Zusammenstellungen von Wissen aller Art existierte, mit denen man bei Tisch seine Bildung unter Beweis stellen wollte. Sie machen aber zugleich deutlich, wie
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wenig individuell und tatsächlich gelehrt derartige Zusammenkünfte gewesen sein müssen. Bildung ist hier bereits zur sozialen Konvention, einer oberflächlichen Attitüde geworden, der man Genüge tun musste, und scheint sich zuweilen auf die Zurschaustellung reinen Faktenwissens beschränkt zu haben. Dass es daneben echte Gelehrtengastmähler gegeben hat, soll damit ebenso wenig in Abrede gestellt wie die Existenz orgiastischer Vergnügungsabende mit einer Beschränkung auf »Venus, vina, musica« geleugnet werden. Einen hervorragenden Eindruck von diesem gesellschaftlichen »Theaterspiel« bietet Petronius mit seiner berühmten Schilderung der cena Trimalchionis. In unserem Zusammenhang reicht der Verweis auf einige zentrale Abschnitte, in denen aristokratische Gepflogenheiten und »Bildung«, zu der neben mythischen Kenntnissen auch feiner Kunstgeschmack zählte, zum Thema gemacht werden. Statusdemonstrierend ist beispielsweise die Schilderung der als Jagdvergnügen inszenierten Menüabfolge gemeint, indem hier eine der zentralen Vergnügungsfelder der großgrundbesitzenden Senatoren den Hintergrund für die Inszenierung der Speisen bietet (40, 1–4). Bereits in der griechischen Kultur galt die Jagd auf größeres Wild mit edlen Hunden, im Fall des Trimalchio sind es lakonische, als Vorrecht der Vornehmen. Zugleich konnten die Jäger dabei ihre arete bzw. virtus unter Beweis stellen, weshalb das Jagen allgemein als eine der vornehmsten, kriegsvorbereitenden Tätigkeiten der Männer angesehen wurde. Es ist sicher kein Zufall, dass Trimalchio ausgerechnet eine Muttersau und ihre Frischlinge auftragen lässt. Unter den Wildschweinen sind neben den Ebern vor allem die sich um ihren Nachwuchs ängstigenden weiblichen Tiere von großer Gefährlichkeit. Zudem war die Jagd in hohem Maß entbehrungsreich. Das stunden-, zuweilen tagelange Streifen durch die Wildnis hat den Jägern einiges an Mut und Ausdauer abverlangt. Darauf scheinen insbesondere die lakonischen Hunde hinzudeuten, ist doch gerade die Jagd der Spartaner mit einem entsprechenden Nimbus umgeben gewesen. Auf die vermeintliche Bildung des Gastgebers wird bereits mit der unmittelbar davor platzierten Stelle angespielt, in der Trimalchio auf Odysseus verweist und zugleich betont, man dürfe während des Speisens die philologia keinesfalls vergessen (39, 1–4). Wie es mit Trimalchios persönlicher philologia bestellt ist, offenbaren weitere Textstellen. Von besonderem Interesse ist dabei, dass auch kunsthistorisch relevantes Wissen dazu gezählt wird. So versucht Trimalchio, die Herkunft der korinthischen Bronzen »sachkundig« zu erläutern (50, 1–6). Corinthium aes ist bei den Römern ein gesuchter Luxusartikel gewesen. Die spezielle Bronzelegierung von schwarzer Farbe hatte ihren Namen von der griechischen Stadt Korinth. Um ihren Ursprung rankten sich schon in der Antike zahlreiche Legenden, von denen Petronius in persiflierender Weise die Standardversion wiedergibt. Hauptquelle für uns ist Plinius der Ältere, der auf die korinthische Bronze im 34. Buch seiner naturalis historia (34, 5–12) ausführlich zu sprechen kommt. Demnach soll sie während der Eroberung Korinths durch Mummius entstanden sein, als durch den
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Brand der Stadt verschiedene Metalle miteinander verschmolzen. Trimalchio bringt also einiges an Faktenwissen durcheinander und wartet mit einer höchst eigenwillig-obskuren Sicht auf (Troia statt Korinth und Hannibal statt Mummius). An anderer Stelle erklärt Plinius, die Sitte des Sammelns korinthischer Bronzen habe damals eingesetzt, sich aber nicht nur auf Exemplare aus Korinth beschränkt. Vielmehr sei allgemein ein Interesse an Bronzegeschirr und Statuetten aus ganz Griechenland aufgekommen (Naturalis historia 37, 12). Von Verres wissen wir schließlich, dass er größere Mengen an korinthischen Bronzen, die er zum Teil auf Sizilien zusammengeraubt hatte, sein Eigen nannte, weshalb ihn Marcus Antonius auf die Proskriptionsliste setzen ließ, um sich dieses kostbaren Besitzes zu bemächtigen (Plinius, Naturalis historia 34, 6). Selbst Augustus soll laut Sueton eine heimliche Schwäche für derartige Gefäße gehabt haben (Divus Augustus 70, 2). Zudem gab es unter den Römern manchen Sachverständigen, der die überaus heikle, von allerlei Kunstkennern diskutierte Frage beantworten konnte, welches Stück echt, d. h. von einem gewissen Alter war, und welches eine moderne Werkstatt erst vor Kurzem angefertigt hatte. Sie taten dies mit Hinweis auf spezielle Farbunterschiede und indem sie an den Objekten rochen (Martialis 9, 59, 11). Des Weiteren stellt Trimalchio seine angebliche Kunstkennerschaft unter Beweis, als er von sich behauptet, er habe eine besondere Leidenschaft für das Studium silberner Gefäße (52, 1). Kunstkennerschaft war zumindest in republikanischer Zeit problematisch, wie uns Cicero in seinen Verrinen suggeriert. Obwohl er selbst über entsprechendes Wissen verfügte, tat er in der Öffentlichkeit so, als kenne er all dies nur vom Hörensagen (Actio in C. Verrem 2, 4, 5) und es seien andere, die sich damit beschäftigten (Actio in C. Verrem 2, 4, 12). Es ist somit eine »private« Sache des otiums gewesen, die im negotium nichts zu suchen hatte. Noch Plinius dem Älteren war mit Bezug auf Verres eine zweckfreie Kunstkennerschaft suspekt (34, 6–7 und 35, 96), und sein Neffe sah darin auch nur ein Laienvergnügen (Epistulae 3, 6). Ebenso wurde der Besitz von großen Mengen Silbergeschirrs in der römischen Gesellschaft höchst ambivalent gesehen. Auf der einen Seite gab es die freilich konstruierte Rückschau auf die angeblich so rustikal-einfache Vergangenheit, als die römische Republik und die alten Sitten noch intakt waren. Eine gewisse Berühmtheit hat etwa die Behauptung erlangt, der Konsul der Jahre 290 sowie 277 v. Chr. und Triumphator Publius Cornelius Rufinus sei 275 v. Chr. wegen des Besitzes von nur 10 Pfund Silbers aus dem Senat ausgeschlossen worden, was selbst einer unserer Gewährsmänner Plinius der Ältere kaum zu glauben vermag (Naturalis historia 33, 142; Valerius Maximus 2, 9, 4; Aulus Gellius 4, 8, 1. 17, 21, 39). Er überliefert auch die Geschichte von der karthagischen Gesandtschaft, die sich gewundert habe, dass sie jeden Abend, obwohl sie in einer jeweils anderen domus speisten, dies stets vom selben Tafelservice tun mussten (Naturalis historia 33, 143). Dieser Idealisierung früh- und mittelrepublikanischer Lebensverhältnisse stand
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die soziale Praxis der späten Republik und Kaiserzeit diametral entgegen. Die Senatoren und andere Reiche hatten längst Unmengen von Tafelsilber aufgehäuft. Mit den Worten ridet argento domus lud selbst der vergleichsweise arme Dichter Horatius (carmina 4, 1, 6) seine Gäste ein. Für die zeitgenössische Leserschaft des Petronius war es somit nichts Außergewöhnliches, dass auch vermögende Freigelassene sich an diesen Prestigeobjekten reichlich erfreuen konnten, die längst keine exklusiven senatorischen Statussymbole mehr darstellten. Doch wurden mit den finanziellen nicht zugleich auch die »intellektuellen« Kennzeichen der alten Elite erworben, was Petronius in den anschließenden Passagen ausführlich thematisiert, indem er Trimalchio wie schon im Zusammenhang mit dessen Bemerkungen zu den korinthischen Bronzen als Pseudokenner entlarvt. Keine einzige seiner mythischen Erklärungen trifft, obwohl er selbstrühmend den Besitz dreier Bibliotheken behauptet (48, 4), das Richtige (52, 1–2). Ähnlich schief sind seine Ausführungen an anderen Stellen (48, 7 und 59, 4–5). Als Kontrast zu Trimalchio fungiert Eumolpos, der bei der Betrachtung von Gemälden in einer Pinakothek alles richtig macht (83, 1–6). Gerade die beiden letztgenannten Passagen (59, 3–7 und 83, 1–6) offenbaren nochmals sehr schön, worauf es ankam. Selbstverständlich sind homeristae, also intellektuelle Spezialisten, anwesend, die in der eigentlichen Bildungssprache Griechisch miteinander reden (59, 3), während der arme Hausherr nur aus einem lateinischen Buch vorzulesen und selbst dessen leicht verständlichen Inhalt nicht adäquat wiederzugeben vermag. Der Dichter Eumolpos hingegen beherrscht das Spiel perfekt, wobei er sich nur im besseren Faktenwissen von Trimalchio abzugrenzen weiß. Seine generelle Betrachtungsweise unterscheidet sich nämlich nicht von der des reichen Freigelassenen. Auch er kann letztlich nur Figuren identifizieren und die Handlung erzählen. Tiefergehende Analysen sind ihm genauso wenig möglich. Zugleich wird damit das sinnentleerte Theaterhafte dieser Bildungsbemühungen offensichtlich, das Petronius auf diese Weise folglich nicht nur an Personen wie dem »ungebildeten« Trimalchio, der von sich in seiner Grabinschrift stolz behauptet, er habe niemals einen Philosophen gehört (71, 12), sondern gerade an »gebildeten« Personen seines eigenen Standes kritisieren will. Die cenae/convivae waren Bühnen sozialer Selbstdarstellung, innerhalb derer der sicheren Beherrschung des Bildungskanons offenbar große Bedeutung zukam. Zugleich scheint aber auch viel Platz für Inszenierungen wie das Live-Schauspiel des als Aias auftretenden Fleischtrancheurs gewesen zu sein (59, 6–7), die das »Spektakuläre« im lateinischen Wortsinn, was solchen Darbietungen anhaftete, nochmals unterstreichen. Bildung war eben auch Unterhaltung. Je auffälliger und überraschender, desto besser! Solche Effekthaschereien haben wir bereits im Zusammenhang mit der Skulpturenausstattung der vornehmen Villen kennengelernt. Zwischen beiden Formen bestehen an sich keine graduellen Unterschiede. Sie sind Ausdruck ein und desselben performativen Bemühens um positive Aufmerksamkeit vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Konkurrenzverhaltens innerhalb der tonangebenden sozialen Eliten.
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Wie vielseitig diese Muster eingesetzt werden konnten, zeigt abschließend noch ein kurzer Blick auf die Sepulkralkultur der späteren Kaiserzeit, womit eine zusätzliche Anknüpfungsmöglichkeit an Kapitel 7 gegeben ist. Seit dem frühen 2. Jh. n. Chr. ließen sich die vornehmen Senatoren und ihnen folgend auch andere Reichseliten zunehmend in reliefverzierten Marmorsarkophagen als Körperbestattungen beisetzen. Davor hatte man bis auf wenige Ausnahmen fast durchgängig die Leichenverbrennung praktiziert. Diese blieb als besonderer Akt der Apotheose weiterhin Usus bei den kaiserlichen Begräbnissen, da damit der Aufstieg des divinisierten Herrschers zu den Göttern mittels eines sich vom Scheiterhaufen in die Lüfte emporhebenden Adlers eindrücklicher zu visualisieren war (s. Kapitel 1). Die neuen Reliefsarkophage sind mit zahlreichen Bildzyklen dekoriert worden, die sich grob in zwei Gruppen einordnen lassen, die sogenannten lebensweltlichen Szenen und die mythischen Darstellungen. Lassen sich die Erstgenannten noch vergleichsweise einfach als bildhafte Verweise auf bestimmte Tugenden der Bestatteten wie virtus (Kampf, Jagd), pietas (Opfer), eheliche concordia (Hochzeit mit Handschlag der Brautleute) oder deren Bildung (Philosophen, Apollon und Musen) u. a. m. interpretieren, haben die Letztgenannten in der Forschung zunächst vor allem ein philologisch motiviertes Interesse gefunden. Man suchte nach den literarischen Vorlagen der Bilder und diskutierte den jeweiligen Grad der vermeintlichen Abhängigkeit von den Texten. Manche wie die dionysischen und bukolischen Motive wurden aber auch als einfache Sinnbilder des Weiterlebens nach dem Tode oder anderer Jenseitsvorstellungen und eschatologischer Hoffnungen angesehen. Erst in den letzten Jahren haben mehrere Forschungsarbeiten den metaphorischen Wert gerade der Mythenbilder erwiesen. Das diese Thesen zusammenfassende Werk von Björn Ewald und Paul Zanker trägt daher auch den bezeichnenden Obertitel »Mit Mythen leben« (s. Literaturhinweise). Einige Darstellungen können als Tugendbilder interpretiert werden. Die dort dargestellten mythischen Heldinnen und Helden fungierten jeweils als alter ego der Toten. Manchmal wurde dieser Aspekt geradezu handgreiflich gemacht, indem die Figur Porträtzüge erhielt. Anderes war etwas tiefgründiger angelegt. So lässt sich ein Achilleus, der die tote Penthesileia im Arm hält, wohl kaum als positive Präfiguration heldenhaften männlichen Verhaltens in der Ehe erklären. Hier ist eher die tiefe Liebe zwischen den Partnern gemeint. Doch was meinen blutrünstigere Darstellungen wie die Abschlachtung der unschuldigen Niobiden oder die Häutung des Marsyas, die ebenfalls im Motivschatz der Sarkophagreliefs vorkommen, um an unsere eingangs gewählten Fallbeispiele anzuknüpfen? Zu ihrer Erklärung haben die schon genannten Björn Ewald und Paul Zanker in Fortführung von Überlegungen Luca Giulianis zu »Tragik, Trauer und Trost« apulischer Grabvasen des späten 4. Jhs. v. Chr. (s. Literaturhinweise) die besondere Form von Trauerbewältigung und Feier der Verstorbenen im Rahmen der antiken Begräbnisfeierlichkeiten hervorgehoben. Von Luca Giuliani stammt dabei der Hinweis auf eine aufschlussreiche Textpassage des spät-
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klassischen Komödiendichters Timokles, in dem dieser behauptet, der Mensch könne vor allem dann Trost finden, indem er sich das Leid anderer Individuen vor Augen führe. In diesem Sinn lässt bereits Homer den Achilleus agieren. Der Held versucht den greisen Priamos mit einem Verweis auf Niobe zu trösten. So wie diese solle auch der trauernde König seine Tränen für einen Augenblick vergessen und der Speise gedenken (Ilias 24, 613. 618–620). All dies behielt seine Gültigkeit bis in die Kaiserzeit. Ewald und Zanker führen hierzu den im 3. Jh. n. Chr. und damit parallel zur Hauptproduktionsperiode reliefverzierter Sarkophage schreibenden Griechen Menander Rhetor an. Seine Bemerkungen zur Totenklage (griechisch monodia), zur Trost- (griechisch paramythikos) und zur eigentlichen Grabrede (griechisch epitaphios logos) lassen deutlich die verschiedenen Funktionsweisen von Mythen im sepulkralen Zusammenhang erkennen. Im lateinischen Sprachraum übernahm eine praefica die Aufgabe, Lieder auf den Toten zu singen, in denen er gerühmt und sein Ableben betrauert wurde. Hierbei fanden einige Mythen Verwendung, um die Trauer mit weiteren Vergleichen ähnlich oder noch grausamerer Todesfälle regelrecht zu befeuern, wovon man sich eine gewisse Katharsis versprach. Andere sollten mit Verweis auf die Unausweichlichkeit des Sterbens selbst einst besonders von den Göttern begünstigter Heroinnen und Heroen Trost spenden. Und schließlich eigneten sich die Letztgenannten hervorragend dazu, durch positive Vergleiche mit deren Tugenden und Heldentaten das Lob der Toten zu singen. Bei Lukian aus Samosata (ca. 120–180 n. Chr.) liest sich dieses spezifische Verhalten besonders amüsant. Er berichtet von Menschen – er nennt sie töricht –, die bei Begräbnissen schrien und weinten. Sie hörten den diversen mythischen Erzählungen mit unglücklichem Ausgang eines professionellen Trauerredners zu und antworteten hierauf mit Klageliedern. Am Ende besännen sie sich aber eines Besseren, sprächen wiederum von Niobe in Form der bekannten Homerverse, um damit die Eltern aufzufordern, die Trauer zu beenden, und begäben sich anschließend zu Tisch (De luctu 20). Vor diesem Hintergrund waren Bilder von der Tötung der Niobiden und der Häutung des Marsyas sicherlich geeignet, um Verwendung in der Totenklage, im Fall der Niobe sogar als Teil der Trostrede, zu finden. Beide Mythen zeigen damit die bereits mehrfach erwähnte grundsätzliche Bedeutungsoffenheit, mit der sich solche Geschichten in vielfacher Weise von den Kundigen kommunikativ und repräsentativ einsetzen ließen. Es griffe zu kurz, wollte man die Beschreibungen von Trimalchios Unwissen lediglich als hämische Kritik der eigentlich Wissenden an den neureichen Parvenüs interpretieren, wie das häufig geschehen ist. Schaut man genauer hin, so persifliert Petronius ja eigentlich in der Person des Freigelassenen eher das Verhalten der eigenen sozialen Schicht. Zwischen den Zeilen lässt sich deutlich herauslesen, wie offen, um nicht beliebig zu sagen, der Umgang mit griechischen Mythen und anderem Bildungswissen letztlich gewesen ist. Positiv ausgedrückt stellte dieses einen Referenzrahmen dar, innerhalb dessen diverse und zum Teil höchst unterschiedliche Akzentuie-
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rungen möglich waren. Die Römer der gehobenen Stände führten gleichsam ein Leben in miteinander konkurrierenden »Vergleichsbildern«, Metaphern, die sie hauptsächlich einem Kanon entnahmen, der wesentlich einen griechischen Ursprung hatte. Man erlernte dieses Wissen in der Regel bei entsprechend qualifizierten, zum Teil hochbezahlten Privatlehrern griechischer Zunge. Eine gewisse Rolle scheinen hierbei private Theateraufführungen griechischer Tragödien und Komödien gespielt zu haben, bei denen von Kindesbeinen an zentrale Verhaltensmuster und Wertvorstellungen anhand kanonischer Texte eingeübt wurden. Wichtig war ferner das Selbststudium im Erwachsenenalter, von dem eingangs als Topos senatorischen Selbstbildes schon die Rede gewesen ist. Noch bedeutender sind freilich soziale Interaktionsformen wie cena und convivium, aber auch Begräbnisse mit ihren gesellschaftsspezifischen Kommunikationskonventionen gewesen, die als Normen geradezu »stilbildend« wirkten und das Verhalten der Einzelnen formten. Auf diese Weise entstand eine ganz eigene Form des Sprechens, deren Floskeln man zu einem Gutteil dem griechischen Mythenvorrat entlehnte. Selbst die Häuser der »provinziellen« Pompeianer zeugen von diesem Bildungsbemühen. Neben zahllosen Mythenbildern sind hier ebenso Darstellungen griechischer Philosophen und Dichter, sich intellektuell mit Schreibgriffel und/oder Buchrolle Gebärdender sowie Theaterszenen zu finden, die vielleicht nicht unbedingt die gelebte Wirklichkeit, wohl aber soziale Normen repräsentierten und wegen ihrer Dauerhaftigkeit in einem vorbildhaften Sinn zu Nachahmung sowie Vergleich aufforderten. An diesen Grundfunktionen mythischen Wissens änderte auch der fulminante Glaubenswandel in der Spätantike wenig. Eigentlich wurden antike Mythen – selbst im Mittelalter und erst recht seit der Renaissance – durchgängig dargestellt, und zwar bezeichnenderweise immer dann, wenn sich biblische Szenen nicht eigneten, um bestimmte Inhalte bildlich zu erfassen. Das gilt beispielsweise für dionysische und aphrodisische Darstellungen im Kontext von byzantinischen Hochzeitskästchen, um nur ein vergleichbar frühes Beispiel der nachantiken Rezeptionsgeschichte(n) zu nennen. Die Exempla aus späteren Zeiten sind unübersehbar. Insbesondere verlor sich niemals der präfigurative Charakter mythischer sowie historischer Gestalten der Antike, auch wenn einige von ihnen freilich eine Entwicklung von positiven zu negativen Vorbildern durchzumachen hatten. Bis heute haben sie ihren unverzichtbaren Rang als Archetypen europäischer Mentalität(en) bewahrt, was ihnen auch im zeitgenössischen Bildungsdiskurs und damit dem altsprachlichen Unterricht schlechthin eine ungeheure Aktualität verleiht. Um dieses weite Spektrum für den Unterricht nutzbar zu machen, sollte als Einstieg in das Thema zunächst die Niobe-Metamorphose komplett oder in Teilen auch zweisprachig gelesen und dabei besonders herausgearbeitet werden, dass Ovid das Hauptaugenmerk auf das Leiden der Niobe und ihrer Familie legt (die Söhne: V. 218–266, der Ehemann:
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V. 267–284, sechs der sieben Töchter: V. 285–300, die letzte Tochter: V. 301–311), während die strafenden Götter in den Hintergrund treten: Sie werden lediglich gezeigt, wie sie zur Bestrafung aufbrechen (V. 204–217), ansonsten agieren sie gleichsam aus dem »Off« (Ausnahmen: 250 f., 264 f.); d. h. der Leser/die Leserin nimmt nur das Getroffen-Werden und Sterben wahr. Danach kann die Marsyas-Metamorphose folgen. Auch dort muss für die Schülerinnen und Schüler deutlich werden, dass es Ovid um die Darstellung der Leiden des geschundenen Satyrs ging. Da die Niobe-Metamorphose (6, 146–312) in fast allen schulischen Ovid-Ausgaben zu finden ist, kann in diesem Fall auf erläuternde Angaben zum lateinischen Text verzichtet werden, nicht aber bei der Marsyas-Metamorphose.
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Textblatt – Marsyas Der Satyr Marsyas findet die Doppelflöte, die ihre Erfinderin Minerva weggeworfen hatte, weil sich durch das Spiel ihr Gesicht entstellte, und spielt auf ihr. Da ihm das so hervorragend gelingt, fordert er Apollon zum Zweikampf heraus, und Marsyas unterliegt. …, satyri reminiscitur alter, quem Tritoniaca Latous harundine victum adfecit poena. ›quid me mihi detrahis?‹ inquit; ›a! piget, a! non est‹ clamabat ›tibia tanti.‹ clamanti cutis est summos direpta per artus, nec quicquam nisi vulnus erat; cruor undique manat, detectique patent nervi, trepidaeque sine ulla pelle micant venae; salientia viscera possis et perlucentes numerare in pectore fibras. illum ruricolae, silvarum numina, fauni et satyri fratres et tunc quoque carus Olympus et nymphae flerunt, et quisquis montibus illis lanigerosque greges armentaque bucera pavit. fertilis inmaduit madefactaque terra caducas concepit lacrimas ac venis perbibit imis; quas ubi fecit aquam, vacuas emisit in auras. inde petens rapidus ripis declivibus aequor Marsya nomen habet, Phrygiae liquidissimus amnis.
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Angaben: alter (vir) / Latous = Apoll / detrahere – die Haut abziehen / tanti esse – so viel wert sein / diripere per summos artus – von den obersten Gliedern herunterreißen / nec … nisi – nur / detegere – aufdecken, entblößen / micare – pulsieren / pellis, is f. – hier: Haut / salire – hier: sich bewegen / fibra – Faser (der Eingeweide) / carus Olympus – der Olymp, der ihm auch jetzt noch lieb ist / armenta bucera – Hörner tragende Herden / pascere – weiden lassen / inmadescere – feucht werden / madefacere – tränken / caducus, a, um – fallend / perbibere + Abl. – aufsaugen mit … / quas = lacrimas / facere – machen zu … / petere – eilen / rapidus, a, um – wild tosend / ripa declivis – abschüssiges Ufer / liquidus, a, um – klar
Nach der Lektüre können dann folgende Arbeitsaufträge erteilt werden. Dabei dienen die ersten vier Aufgaben dazu, die Lektüre der Niobe- und Marsyasmetamorphosen konkret mit den entsprechenden Archäologika zu verbinden, die folgenden stellen mögliche Erweiterungen dar. Für die Bearbeitung der Arbeitsaufträge müssen den Schülerinnen und Schülern die Abb. 49 und 50 zur Verfügung gestellt werden.
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Arbeitsaufträge – Ovid und die Ausstattung römischer Villen 1. Beschreiben Sie genau, welcher Moment des Niobe- bzw. Marsyas-Mythos in den Statuen eingefangen wurde, und vergleichen Sie dies jeweils mit dem Text Ovids. 2. Recherchieren Sie im Internet als Fallbeispiel unter dem Link https://www.sammlungen.uni-mainz.de/ansichtssache-archiv/objekt-des-monats-august-2013/ zum Statuentypus des »Hängenden Marsyas« und stellen Sie zusammen, was wir über die Herstellungszeit des griechischen Originals, die Zusammenhänge, für die die Statue ursprünglich konzipiert war, und den Aufstellungsort wissen. 3. Arbeiten Sie dann – ausgehend von diesen Informationen – heraus, welche »Botschaft« die Darstellung des griechischen Originals ursprünglich den Betrachtern vermitteln sollte, und übertragen Sie dies auf die Gruppe der Niobe und ihrer Tochter, deren griechisches Original einen ähnlichen Aufstellungsort und vergleichbaren Aussagegehalt besaß. 4. Uns sind diese Statuen nur bekannt, weil reiche Römer sie als Kopien in ihre Gärten stellten. Stellen Sie Vermutungen darüber an, welchem Zweck die Statuen in diesem neuen Zusammenhang dienten. 5. Recherchieren Sie im Internet unter dem Stichwort »Gartenfiguren« und stellen Sie zusammen, was Ihnen dort angeboten wird. Suchen Sie drei Beispiele heraus und erklären Sie, was der heutige Gartenbesitzer damit den Betrachtern (bewusst oder unbewusst) für einen Eindruck von sich vermitteln möchte.
Dieses Thema kann zum einen durch (ein- oder zweisprachige) Einbeziehung der einschlägigen Stellen aus Petronius’ Cena Trimalchionis (s. o.) erweitert werden, aber auch noch durch zusätzliche vertiefende Aufgabenstellungen, die als Rechercheaufgaben im Unterricht oder als Hausaufgabe gegeben oder im Anschluss an die Arbeitsaufträge im Unterrichtsgespräch behandelt werden können. Einbeziehung von Petronius Hier sollte zunächst nach der Lektüre folgende Aufgabe von den Schülerinnen und Schülern bearbeitet werden: 1. Stellen Sie zusammen, was an der Beschreibung der mythischen Zusammenhänge, wie Trimalchio sie hier gibt, falsch ist, und charakterisieren Sie von dieser Basis ausgehend den Trimalchio des Petronius.
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Danach können verschiedene Impulsfragen bzw. Rechercheaufgaben das Thema weiter vertiefen. Hier einige Anregungen: 2. Machen Sie sich Gedanken zu der Frage, welchen Stellenwert griechische Mythen für die reiche Oberschicht gehabt haben könnten. Waren sie Teil einer schichtenspezifischen Allgemeinbildung? 3. Was verstehen Sie heute unter dem Begriff Bildung? Gehören Kenntnisse antiker Mythen noch dazu? 4. Recherchieren Sie zum Intellektuellen-Image in der römischen Kunst (Google-Bildersuche unter den Stichwortpaaren »Philosophen – Sarkophage«, »Philosophen – Mosaik«). Gibt es spezifische äußere Kennzeichnen? 5. Kontrastieren Sie die gewonnenen Ergebnisse mit heutigen Porträts von Intellektuellen. Arbeiten Sie eventuelle Gemeinsamkeiten oder Unterschiede heraus. Gibt es auch hier wiederkehrende Darstellungskonventionen? Falls ja, welche?
Erweiterung auf Niobe und Marysas in der römischen Grabkunst (Internet-Recherche) Zu diesem weiterführenden Themenkomplex recherchieren die Schülerinnen und Schüler zunächst im Internet unter den Stichworten Niobe und Marsyas in Kombination mit Sarkophag, um so zu den entsprechenden Kunstwerken geführt zu werden. Danach sollten Sie mögliche Interpretationsansätze zur Verwendung beider Mythen im Kontext antiker Bestattungsfeierlichkeiten formulieren, und zwar ausgehend von dem Wikipedia-Artikel https://de.wikipedia.org/wiki/Römische_Bestattungsrituale. Dabei muss der Hinweis gegeben werden, besonders auf die kurze Passage zur praefica und ihrer Funktion zu achten.
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Anregungen für Aktualisierungen des Themas 1. Stellen Sie Beispiele moderner Rezeptionsformen antiker Mythen (beispielsweise im Film, in der Literatur, im Comic, in Computerspielen, in der Werbung u. a. m.) zusammen. Definieren Sie dabei, wie in diesen Zusammenhängen die antiken Heldinnen und Helden geschildert bzw. bewertet werden. 2. Stellen Sie antike Heroinnen und Heroen bzw. Mythen oder allgemein Themen aus der Antike zusammen, die Sie selbst auswählen würden, um damit Ihre Wohnung oder Ihr Grabmal zu schmücken. Und formulieren Sie dabei, welche Aussagen Sie auf diese Weise über sich selbst und ihr Leben treffen möchten.
Literaturhinweise: Anlage und Ausstattung römischer Gärten: Häuber, Ruth Christine, Horti Romani. Die Horti Maecenatis und die Horti Lamiani auf dem Esquilin – Geschichte, Topographie, Statuenfunde, Dissertation Köln 1986 (Köln 1991); Jashemski, Wilhelmina Mary Feemster (Hrsg.), Gardens of the Roman Empire (Cambridge 2018). Niobidengruppe: Geominy, Wilfried, Die Florentiner Niobiden, Dissertation Bonn 1982 (Bonn 1984); Wiemann, Elsbeth, Der Mythos von Niobe und ihren Kindern. Studien zur Darstellung und Rezeption (Worms 1986); Schollmeyer, Patrick, Die Tötung der Niobiden – Eine Statuengruppe und ihre Bedeutung, Antike Welt 6 (2017) S. 19–23. Fachdidaktische Anmerkungen zur Ovid-Rezeption: Choitz, Tamara, Antike Vasenbilder und ›Metamorphosen‹ Ovids, in: Der Altsprachliche Unterricht. Latein – Griechisch, Heft 2 (1997) S. 4–20. Odysseus-Rezeption: Andreae, Bernard, Odysseus. Archäologie eines europäischen Menschenbildes (Frankfurt 1982); Ders., Odysseus. Mythos und Erinnerung (Mainz 1999); Balensiefen, Lilian, Polyphem-Grotten und Skylla-Gewässer: Schauplätze der Odyssee in römischen Villen, in: Luther, Andreas (Hrsg.), OdysseeRezeptionen (Frankfurt am Main 2005) S. 9–31; Schmitzer, Ulrich, Odysseus – ein griechischer Held im kaiserzeitlichen Rom, in: Luther, Odyssee-Rezeptionen a. a. O. S. 33–53. Marsyas: Meyer, Hugo, Der weiße und der rote Marsyas (München 1987); Renner, Ursula – Schneider, Manfred, Häutung. Lesarten des Marsyas-Mythos (München 2006); Muth, Suanne, Ein anderer Blick auf die Gewalt. Wie fremd uns antike Darstellungen von Leid und Gewalt eigentlich sind, in: Die Launen des Olymp. Der Mythos von Athena, Marsyas und Apoll, Ausstellungskatalog Frankfurt, Liebighaus (Frankfurt 2008) S. 128–137. Die Villa als Lebensform und Bildungslandschaft: Mielsch, Harald, Die römische Villa. Architektur und Lebensform (München 1987) besonders S. 94–140; Neudecker, Richard, Die Skulpturenausstattung römischer Villen in Italien, Beiträge zur Erschließung hellenistischer und kaiserzeitlicher Skulptur und Architektur 9 (Mainz 1988).
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Denkformen und Sehgewohnheiten: Stahl, Michael, Botschaften des Schönen. Kulturgeschichte der Antike (Stuttgart 2008) S. 209–236 und besonders S. 214–216. Bildung und Intellektuellenimage; Zanker, Paul, Die Maske des Sokrates. Das Bild des Intellektuellen in der antiken Kunst (München 1995) besonders S. 190–309; Ewald, Björn Christian, Der Philosoph als Leitbild. Ikonographische Untersuchungen an römischen Sarkophagreliefs, Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Römische Abteilung, Ergänzungshefte 34 (Mainz 1999). Cena und Convivium: Stein-Hölkeskamp, Elke, Das römische Gastmahl (München 2005). Silbergefäße: Prittwitz und Gaffron, Hans Hoyer von – Mielsch, Harald (Hrsg.), Das Haus lacht vor Silber, Ausstellungskatalog Rheinisches Landesmuseum Bonn 1997 (Köln – Bonn 1997). Römische Kunstkennerschaft: Jucker, Hans, Vom Verhältnis der Römer zur bildenden Kunst der Griechen (Frankfurt 1950); Neudecker a. a. O. S. 91–104. Sarkophagreliefs: Koch, Guntram – Sichtermann, Hellmut, Griechische Mythen auf römischen Sarkophagen, Bilderhefte des Deutschen Archäologischen Instituts Rom 5/6 (Tübingen 1975) besonders S. 39–41 zu Marsyas und S. 49–59 zu Niobiden; Dies., Römische Sarkophage. Handbuch der Archäologie (München 1982) besonders S. 158–159 zu Marsyas und S. 169 zu Niobiden; Koch, Guntram, Sarkophage der römischen Kaiserzeit (Darmstadt 1993); Choitz, Tamara, Mythos und Tod auf römischen Sarkophagen, in: Der Altsprachliche Unterricht. Latein – Griechisch, Heft 2 (1998) S. 37–48; Zanker, Paul, Die mythologischen Sarkophagreliefs und ihre Betrachter (München 2000); Ewald, Björn Christian – Zanker, Paul, Mit Mythen leben. Die Bilderwelt der römischen Sarkophage (München 2004) besonders S. 62–115 zu Klage, Trauer und Trost – Mythen als Trauerhilfe sowie S. 355–359 zu Niobiden. Mythenbilder und Totenfeiern: Giuliani, Luca, Tragik, Trauer und Trost. Bildervasen für eine apulische Totenfeier (Berlin 1995) besonders S. 152–158.
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»Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit« oder »Alle Bilder führen nach Rom«
Unter dem Titel »Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit – Städte und Stätten deutscher Frühgeschichte« landete 1959 der deutsche Journalist und Schriftsteller Rudolf Pörtner (1912–2001) mit seinem Erstlingswerk einen Bestseller, dem noch viele weitere Auflagen beschert sein sollten. Pörtner erläuterte darin unter Berücksichtigung sozialgeschichtlicher Aspekte heimische archäologische Fundplätze. Ihn interessierte dabei insbesondere der Kulturkontakt zwischen Germanen und Römern. Auch versuchte er im Rahmen der Möglichkeiten seiner eigenen Zeit, einen Bogen zwischen der Vergangenheit und der modernen Lebenswirklichkeit der damaligen Leserschaft zu schlagen, der allerdings zuweilen zu einem kaum zu bewältigenden Spagat zwischen Wissenschaftlichkeit und allzu platter Pseudoaktualität geriet. Nichtsdestotrotz machte Pörtner einen Anspruch sichtbar, der bis heute nichts an Relevanz eingebüßt hat und gerade für den altsprachlichen Unterricht gelten sollte. Er stellt gewissermaßen die Richtschnur dessen dar, was in den vorausgehenden Kapiteln an möglichen Unterrichtseinheiten vorgeschlagen wurde. Sie sind mithin geleitet von dem Wunsch, den Schülerinnen und Schülern einen Zugang zur materiellen Kultur der römischen Antike zu ermöglichen, der sie in Ergänzung zu ihrer Textlektüre befähigt, kulturwissenschaftliche Zusammenhänge klarer zu erkennen und vor allem die Bild(er)welten der Römer als einen wichtigen Teil einer bis zu uns geführten Traditionslinie eines visuellen Kommunikationssystems ganz eigener Art gemäß dem eigentlichen Wortsinn »wahrzunehmen«. Der Münchner Ordinarius für Klassische Archäologie Stefan Ritter hat hierzu 2008 ein beachtenswertes Buch mit dem treffenden Titel »Alle Bilder führen nach Rom – Eine kurze Geschichte des Sehens« vorgelegt, dessen Lektüre sich über die Maßen lohnt und das unbedingt im Unterricht zum Einsatz kommen sollte. Anhand ausgewählter Fallbeispiele aus diversen Bereichen (Gesichter und Politik, Arbeit und Freizeit, Familie und Partnerschaft) unternimmt er im Gegensatz zu Pörtner eine ganz andere Zeitreise in die Vergangenheit. »Wir und unsere Bilder«, so der Titel des Schlusskapitels, lautet sein Credo. Es stellt auf eine überaus amüsante und zugleich intellektuelle Weise die Aktualität her, der es heute bedarf, um den antiken Kulturen eine höchst vitale Teilhabe am gegenwärtigen Leben zu ermöglichen. Auch wenn wir niemals eine echte Zeitgenossenschaft, was die Antike anbelangt, für uns in Anspruch nehmen können, so sollten wir die Schülerinnen und Schüler gleich-
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wohl dazu ermuntern und sie nach unseren Fähigkeiten anleiten, wenigstens kritische »Zeitzeugen« zu sein. Unter das von Ritter gewählte Motto sei daher auch unser letztes Schlusskapitel gestellt, in dem auf knappstem Raum dargestellt werden soll, wie eingedenk des eingangs zitierten Buchtitels von Pörtner eine Reise in die römische Vergangenheit gelingen kann, die mehr sein muss als das bloße »Abklappern« von Highlights, touristischer »Must-see«-Objekte, deren Kanonisierung seit dem 18. Jahrhundert durch unzählige Reiseführer erfolgte. Es gilt somit das im Unterricht Erprobte im direkten Kontakt mit den materiellen Hinterlassenschaften der Römer im Sinn einer Schule des Sehens anzuwenden. In Deutschland, wenn auch eher im west- und südwestlichen Raum, gibt es genügend originale Römerstätten und Museen, deren Besuch lohnt. Selbstredend ist nichts dagegen einzuwenden, wenn dies gerade bei jüngeren Klassenstufen eher unter rein antiquarischen Aspekten erfolgt. Wie haben die »alten Römer« gelebt, was aßen und tranken sie, wie kleideten, frisierten, badeten sie sich, welche Unterhaltungsformen kannten sie, wie und wo gingen sie zur Schule, wie führten sie Krieg, wie behandelten sie ihre Krankheiten, wie starben sie und wurden bestattet u. v. m. mögen legitime, beileibe aber nicht die allein selig machenden Fragestellungen sein. Bei älteren Jahrgangsstufen wird aber eine echte Chance verpasst, wenn man es dabei belässt. Hier muss ein intellektuell anderer Zugang erfolgen. Die römische Antike sollte unter keinen Umständen in Gestalt laienhafter Wiederbelebungsversuche längst obsoleter Kulturpraktiken lediglich zum Zwecke des reinen Amüsements als Reservoire für kostümhafte Maskeraden herhalten müssen. Vielmehr sind die Lehrkräfte bei dieser besonderen Gruppe von Schülerinnen und Schülern aufgerufen, ein anderes Ziel im »Auge« zu behalten. Zu trainieren ist das »Sehen« als Kulturtechnik. Es geht um das Erkennen von visuellen Zusammenhängen und Kommunikationsformen. So verraten die in den Museen ausgestellten römischen Bilddenkmäler sehr viel über die diversen Selbstdarstellungsformen der römischen Gesellschaft(en). Die Reste von Bildnissen, Standbildern und Grabreliefs offenbaren nicht nur, wie die Römerinnen und Römer »aussahen«, sondern vor allem, wie sie »gesehen« werden wollten, und damit zugleich normierte Sozial- und Geschlechterrollen, sprich Identitäten, die sich vortrefflich mit den unsrigen vergleichen lassen. Wer beispielsweise im Trierer Landesmuseum die dort ausgestellten Grabmonumente betrachtet, dem erschließt sich eine ganz eigene Wertewelt hart arbeitender Menschen. Dies gilt ebenso für die vielen Soldatenreliefs in anderen deutschen Museen, die einen Eindruck vom spezifischen Repräsentationswillen gerade dieser, für die Sicherheit des Imperiums so wichtigen Schicht eindrücklich vermitteln. Daneben animieren die Darstellungen von Peregrinen und sogenannten Barbaren zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit Phänomenen des Fremdseins und der Migration. Und an den in den Sammlungen ausgestellten Bildnissen können direkt die in den Kapiteln 4 und 5 thematisierten Beobachtungen zu Funktion und Wirkungsweise
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römischer Porträts angeschlossen werden. Von besonderem Wert sind darüber hinaus die universitären Gipsabguss-Sammlungen in Deutschland, deren wissenschaftliches Personal in der Regel auf den Besuch von Schulklassen eingestellt und fachlich entsprechend vorbereitet ist. Einen hervorragenden Eindruck von den Möglichkeiten des didaktischen Arbeitens mit Gipsabgüssen bieten die digitalen Lehreinheiten für Schülerinnen und Schüler des Virtuellen Antikenmuseums Göttingen VIAMUS (siehe Literaturhinweise). Ähnlich analytisch sollte ebenso der Besuch von Ausgrabungsstätten motiviert sein. Die Reste antiker Grenzbefestigungen und Legionskastelle in ganz Deutschland geben Anlass zur Reflektion über bauliche Gestalt und Funktionsweise römischer Herrschaftsarchitektur als Ausdruck von militärischer Größe und imperialer Herrschaft. Dieser Semantik von Mauern ist in besonderer Weise in Trier nachzuspüren. Die erhaltene Palastaula Kaiser Konstantins des Großen, die überaus wehrhaft wirkende Porta Nigra und die großartigen Anlagen für die Unterhaltung der Massen (Amphitheater und Thermen) geben eine unmittelbare »Anschauung« von den Tendenzen und Wirkungsweisen kaiserlicher Baupolitik im römischen Deutschland. Köln und Mainz steuern hierzu weitere Aspekte bei wie den kölnischen Statthalterpalast (praetorium) und das Mainzer römische Theater, das größte nördlich der Alpen. Die dort erhaltenen Reste des Wasserleitungssystems im Zahlbachtal und auf dem beiderseits erhöht liegenden Universitätsgelände (Campus und Klinikum) sind ebenso lohnende Ziele wie viele andere noch heute sichtbare Versorgungsbauten im römischen Deutschland, da sich an und vor ihnen trefflich über den gesellschaftlichen Stellenwert solcher Investitionen in die Infrastruktur diskutieren lässt, die zugleich das propagandistisch angemaßte segensreiche Wirken des Kaisers spiegeln sollten und damit letztlich auch gebaute Manifestationen eines politisch gemeinten Herrschaftsanspruchs waren. Das Zusammenwirken verschiedener baulicher Funktionsräume innerhalb einer Siedlung lässt sich sicher am besten im Archäologischen Park von Xanten studieren. Zahlreich erhalten blieben ferner Reste römischer Gutshöfe und Villen, an deren Beispiel vor Ort über die Frage diskutiert werden kann, welche Funktionen solche Gebäude in der römischen Antike hatten, und worin sich ihre Nutzung von der vergleichbarer heutiger Anlagen unterscheidet (s. Kapitel 8). Eigens zu erwähnen in diesem Zusammenhang ist der selbst schon historische Nachbau des pompeianischen Hauses des Sallust in Aschaffenburg durch König Ludwig I. von Bayern, das in Deutschland ein unmittelbares Erleben römischer Wohnhäuser ermöglicht. Damit kann ein Diskurs eröffnet werden über die unterschiedliche Auffassung und Gestaltung von »Privatheit« in Antike und Moderne. Alles in allem können die Bauten aber auch Schülerinnen und Schülern der Oberstufen, insbesondere der Jahrgangsstufen 12 und 13, einen geeigneten Rahmen bieten für ein darüberhinausgehendes Gespräch, bei dem man sich verständigt, inwiefern die römischen Zeugnisse in Deutschland als Ausdruck von »Romanisierung« im Sinn einer kulturellen Kolonisierung Germaniens zu verstehen sind. Und hieran anschließend sollte unbedingt auch am Beispiel
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der Limesreste das Ende der römischen Kultur in der sogenannten Völkerwanderungszeit thematisiert werden. Damit ergäbe sich ein direkter Anknüpfungspunkt zur aktuellen Globalisierungs- und Migrationsdebatte, der sicherlich gewinnbringend zur kritischen Bespiegelung eigener Vorurteile und Ansichten genutzt werden könnte. Doch wie gesagt, eigentlich führen ja alle Wege bzw. Bilder nach Rom, weshalb nicht wenige Klassen tatsächlich in die einstige Hauptstadt des Imperiums fahren und bei dieser Gelegenheit vielleicht zusätzlich Ostia und Pompeji besuchen. Die drei genannten Städte bieten selbstredend andere Möglichkeiten als die römischen Ruinen in Deutschland. Im Fokus der Auslandsexkursionen steht in der Regel Rom. Angesichts der Fülle der dortigen antiken wie nachantiken Sehenswürdigkeiten fällt eine Auswahl zunächst schwer, zu wichtig scheint jedes einzelne Monument zu sein. Aus fachdidaktischer Sicht empfiehlt sich allerdings eine Auswahl. Zudem sollte unbedingt vermieden werden, den Schülerinnen und Schülern zu den einzelnen Denkmälern alle verfügbaren Fakten mitteilen zu wollen. Auch scheint es wenig sinnvoll zu sein, am Ort seitenlang antike Texte zu rezitieren, da dies die Aufmerksamkeit auf andere Medienformen lenkt, und die man durchaus besser im heimischen Unterricht thematisieren könnte. Hierzu braucht es keine weite Reise. Stattdessen gilt es anzustreben, die Schülerinnen und Schüler unmittelbar mit den antiken Ruinen zu konfrontieren und sie aufzufordern, sich diese durch eigene Anschauung funktional zu erschließen. Dass das Ganze durch eine Lektüre von Originaltexten unterstützt werden kann, soll gar nicht in Abrede gestellt werden. Es kommt aber darauf an, das Richtige auszuwählen und vor allen Dingen dabei stets das Visuelle ins Zentrum des Bemühens zu stellen. Ein Besuch des Forum Romanum könnte dabei zuvorderst dazu dienen, sich klarzumachen, wie der Platz in der heute erkennbaren Form konkret ausgestaltet war, und welche Aussagen dadurch hinsichtlich folgender Grundfragen möglich sind: Ist der Raum tatsächlich als die wichtigste politische Bühne Roms wahrnehmbar gewesen, spiegelt die Architektur die Geschichte sowie Größe der Stadt und des von ihr beherrschten Reiches, und falls ja, auf welche Weise? Hierzu sollten die Schülerinnen und Schüler mit einem Plan ausgestattet zunächst einmal definieren, wo das Forum baulich beginnt, wo es endet, und welche Gebäude sie noch zum eigentlichen Platz rechnen (Abb. 51). Dabei dürfte zunächst auffallen, dass das heutige Forum Romanum genannte Ausgrabungsgelände ganz deutlich in wenigstens zwei Hälften zerfällt. Der eigentliche Platz beginnt am Tempel des Divus Iulius (Abb. 51 Nr. 10) und endet unterhalb des Tabulariums (Abb. 51 Nr. 34). Das Areal wird an dieser Stelle von einer Reihe sakraler Anlagen (v.l.n.r. Porticus Dei Consentes, Tempel für den vergöttlichten Vespasian, Tempel der Concordia = Abb. 51 Nr. 33.35.36) und dem Ehrenbogen für Kaiser Septimius Severus begrenzt (Abb. 51 Nr. 37). Seitlich (vom Caesar-Tempel aus betrachtet) rahmen auf der linken Seite der Dioskuren-Tempel (Abb. 51 Nr. 17), die Basilica Iulia (Abb. 51 Nr. 18) und der Saturn-Tempel (Abb. 51 Nr. 32)
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sowie auf der rechten Seite die Basilica Aemilia (Abb. 51 Nr. 1) und die Curia des Senates (Abb. 51 Nr. 41) den Platz ein. Bei den dazwischenliegenden Strukturen handelt es sich um die Reste verschiedener altehrwürdiger Kultmale (Lapis Niger, Lacus Curtius = Abb. 51 Nr. 39. 23) und spätrömischer Kaiserdenkmäler (tetrarchisches Fünfsäulendenkmal = Abb. 51 Nr. 20; und andere Ehrenmonumente wie die Säule für Kaiser Phokas = Abb. 51 Nr. 25). Besonders zu beachten ist ferner die rostra (Abb. 51 Nr. 27. 28), die neben dem Bogen für Septimius Severus etwa in der Platzmitte ihren Standort hat. Von hier aus blickte man genau auf den Tempel für den vergöttlichten Caesar, dessen hohes Podium einst ebenfalls als Rednertribüne hergerichtet war. Die Schülerinnen und Schüler können sich jetzt einigermaßen orientieren und verstehen, dass die Fläche, auf der sie stehen, offenbar erst in augusteischer Zeit – die Errichtungsdaten zu den einzelnen Gebäuden sollten die Lehrkräfte der unten angegebenen Literatur entnehmen und vorgeben – seine eigentliche Platzgestalt erhielt. Es wird so auch leichter nachvollziehbar, dass das Forum damit zu einem Repräsentationsraum der kaiserlichen Familie wurde. In diesem Zusammenhang wäre am Ort noch darauf einzugehen, welche der Bauten zu diesem Zeitpunkt fest mit der Herrscherfamilie über die jeweilige Stifterinschrift verbunden waren. Dies ist der Fall beim Divus-Iulius-Tempel (Augustus selbst), den neu renovierten Tempeln für die Dioskuren und Concordia (Tiberius) sowie der Basilica Iulia (Kaiserenkel Gaius und Lucius Caesar) gewesen, während die gleichfalls neu renovierten Gebäude Saturn-Tempel (Munatius Plancus) und Basilica Aemilia weiterhin den Namen nicht zur Gens Iulia gehörender Senatoren trugen, was der Kaiser als Ausdruck der Einbindung des Senats in seine Herrschaft verstanden wissen wollte. Der weitere Ausbau des Forums als Kulisse für die Inszenierung des jeweiligen Kaisers lässt sich allein schon durch den in flavischer Zeit an prominenter Stelle erfolgten Neubau des Divus-Vespasianus-Tempels und den nicht minder eindrücklich platzierten Ehrenbogen für Septimius Severus veranschaulichen. Die Reste des Fünf-Säulen-Denkmals runden dieses Bild ab. Besonders lohnend wäre an dieser Stelle die Lektüre eines Gedichtes des Publius Papinius Statius (um 40–96 n. Chr.), in dem der Autor das einst in der Mitte des Forums stehende kolossale Reiterstandbild des Domitian rühmt (Silvae 1, 1). Das nach dem Sturz des verhassten Kaisers rasch wieder entfernte Monument spiegelt wie kaum ein anderes die völlig veränderte politische Lage. Das Forum war in der Tat zu einem Kaiserplatz geworden. Darüber hinaus sollte den Schülerinnen und Schülern Gelegenheit gegeben werden, sich mit den sozialen Abläufen auf dem Forum in antiker Zeit auseinanderzusetzen. Zu diesem Zweck sind seitens der Lehrkräfte entsprechende Erläuterungen nötig, die durch Lektüre geeigneter Textstellen an Farbigkeit gewännen. Christof Neumeister und Kurt Roeske (siehe Literaturhinweise) haben entsprechendes Quellenmaterial zusammengestellt. Ein besonderer Fokus könnte dabei auf der Thematisierung wichtiger Sakralhandlungen (Forum als Kulisse für die Leichenbegängnisse vornehmer Römerinnen und Römer in der Republik sowie als Bühne
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für die kaiserlichen Apotheose-Feiern) sowie der Geschäftigkeit des Alltags (Gerichtsverhandlungen und Handelstätigkeit in den beiden basilicae) liegen. In diesen Zusammenhang gehört unbedingt auch der Hinweis auf ein Gesetz des Augustus, das den Besuch des Forums mit einer Kleidervorschrift verband. Demnach erhielten die römischen Bürger nur in der toga und ihre matronae nur in der stola Zutritt. Beide Kleidungsstücke verstand der Kaiser einmal als sichtbare Insignien des römischen Bürgerrechtes und zugleich als Ausdruck der durch ihn erreichten neuen Ordnung. Die chaotischen Zustände der späten Republik gehören der Vergangenheit an, von nun an herrschen wieder strenge Sitten, so lautete im Kern die kaiserliche Botschaft. Damit lässt sich nochmals deutlicher fassen, dass diese gebauten Räume im Grunde genommen soziale Bühnen mit einstudierten Gesten und klar definierten Kostümen waren, auf denen römische Bürgerinnen und Bürger mittels Verhaltensweisen und äußerer Attribute (Kleidung, Schmuck etc.) die von ihnen jeweils beanspruchte gesellschaftliche Rolle auf visuell erfassbare Weise darstellten. Die übrigen Bauten des Forum Romanum wie der Tempel für das vergöttlichte Kaiserpaar Antoninus Pius und Faustina (Abb. 51 Nr. 11), der sogenannte Tempel des Romulus (Abb. 51 Nr. 42), die Regia (Abb. 51 Nr. 12), der Vestatempel (Abb. 51 Nr. 14), das Haus der Vestalinnen (Abb. 51 Nr. 15), die Basilika des Maxentius (Abb. 51 Nr. 43), der Tempel für Venus und Roma (Abb. 51 Nr. 45) und der Ehrenbogen für Kaiser Titus (Abb. 51 Nr. 44) lassen sich durchaus in das geschilderte Gesamtkonzept einbinden. So sollte beispielsweise der Stellenwert der Vesta- sowie Venus- und Roma-Kulte für Rom thematisiert werden. Ein zweiter Schwerpunkt könnte wiederum auf denjenigen Bauten liegen, die der Ehrung beziehungsweise Verehrung der Herrscher dienten. Unbedingt sollte dabei die Maxentius-Basilika besucht werden, die nach dem Sturz dieses letzten rein heidnischen Kaisers durch Konstantin den Großen vollendet wurde. In der Mittelapsis des Mittelschiffs dieser einst dreischiffigen Basilika thronte ehemals der Marmorkoloss Konstantins, dessen Reste heute im Hof der Kapitolinischen Museen zu bestaunen sind. Diese ins Übermaß gesteigerte Inszenierung kaiserlicher Herrschaft hat in der Folge als Vorbild für die Visualisierung der Macht des neuen Christengottes gewirkt und eine ganz eigene Tradition des christlichen Kirchenbaus begründet, die sich gerade in Rom an sehr eindrucksvollen Beispielen nachvollziehen lässt. Am besten fährt man, um das Thema zu vertiefen, nach Sankt Paul vor den Mauern, wo die spätantike päpstliche Basilika, obzwar wegen des verheerenden Brandes der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 1823 nur in rekonstruierter Form des 19. Jahrhunderts erhalten, dennoch zum direkten Vergleich einlädt. Der Besuch des Palatins ist gleichfalls lohnend. Die Ruinen der kaiserlichen Paläste, auch wenn viele Areale nicht frei zugänglich respektive durch frühneuzeitliche Gartenanlagen weiterhin überbaut sind, und zudem mancher Bereich durch die dort sichtbaren Schichten aus ganz unterschiedlichen Zeiten etwas unübersichtlich wirkt, bieten gleichwohl genügend Anschauung, um vor Ort über die Instrumentalisierung von Architektur
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als Herrschaftssymbol zu diskutieren. Besonders eindrücklich kann dies beispielsweise an der Wirkung der Substruktionen der Domus Tiberiana direkt oberhalb des Forums, der neuerdings zugänglichen domitianischen Zugangsrampe oder anhand des Blickes in den Circus Maximus oder von diesem herauf trotz des heutigen vollständigen Ruinencharakters nacherlebbar verdeutlicht werden. Aber es genügt allein schon die schiere Größe des Gesamtareals, die eine Vorstellung von der gebauten Macht der Kaiser zu geben vermag. Das diesbezügliche Kontrastprogramm zu entdecken, d. h. die Wohnhäuser der Senatoren und vor allem der weniger Begüterten in Augenschein zu nehmen, muss in Rom dagegen zwangsläufig ein überaus mühsames Unterfangen bleiben, da durch die intensive nachantike Besiedlung im heutigen Stadtbild kaum Spuren der einstigen Wohnbebauung zu finden sind, die einen Besuch lohnen bzw. wo ein solcher überhaupt möglich ist. Einen recht guten Eindruck von der Mehrgeschossig- und Kleinräumigkeit kaiserzeitlicher insulae bieten die entsprechenden Reste unterhalb des Kapitols, zwischen dem Monument für Vittorio Emmanuele und den beiden Monumentaltreppen zu Santa Maria in Aracoeli und Michelangelos Piazza del Campidoglio gelegen. Diese Insula dell’Aracoeli genannte Anlage stammt aus der ersten Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. und weist spätere Umbauten in Form einer vorgelagerten porticus und Zusammenlegungen von Raumeinheiten im Inneren auf. Unter der Basilica dei Santi Giovanni e Paolo auf dem Caelius (Celio) kann ein vornehmer Wohnkomplex (Case romane del Celio) besichtigt werden, der im Kern auf das 2. Jh. n. Chr. zurückgeht und bis zur Spätantike von senatorischen Familien genutzt wurde. Hier sollen der christlichen Legende nach in der Regierungszeit des Iulianus Apostata (reg. 360–363 n. Chr.) die kaiserlichen Beamten Iohannes und Paulus hingerichtet worden sein. Zu beider Andenken ließen 401 und 417 n. Chr. der christliche Senator Byzantius und sein Sohn Pammachius eine erste Memorialkirche in und über den Mauern ihres Privathauses errichten. Die dabei verschütteten Raumstrukturen sind heute zum Teil zugänglich, von denen einige Wandmalereien aufweisen. Zum Komplex gehörte einst auch ein aufwändig gestalteter Raum mit einem größeren Zierbrunnen (nymphaeum), dessen großfiguriges Fresko aus dem 2. Jh. n. Chr. wahrscheinlich Venus und andere Gestalten zeigt. Es ist das größte erhaltene Wandbild dieser Art, das wir aus einem innerstädtisch gelegenen römischen Wohnhaus kennen. Die Besichtigung dieser Anlage lohnt zudem aus einem weiteren Grund. Man kann hier exemplarisch den schrittweisen Einzug des Christentums in die einst vollkommen pagane Hauptstadt des Imperiums nachvollziehen. Viele römische »Titel«-Kirchen haben ihren Ursprung in solchen tituli, also ehedem privaten Wohnhäusern vornehmer Familien, in deren großzügigen Räumen sich Teile der römischen Christengemeinde versammelt hatten, bevor Kaiser Konstantin in der Stadt selbst die ersten öffentlich zugänglichen Kirchenbauten errichtete, und/oder die Wohn- beziehungsweise Aufenthaltsort von Märtyrern und Heiligen waren. Ähnliches bietet der Besuch von San Clemente. Auch hier liegt die heutige Kirche über einer römi-
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schen domus der späteren Kaiserzeit, zu der im 3. Jh. n. Chr. ein noch heute erhaltenes Mithraeum gehörte. Mithras war, da seinen Anhängern ebenfalls die Freisprechung von allem irdischen Leid versprochen wurde, neben den beiden anderen großen Erlösergottheiten Isis und Sarapis, einer der Hauptkonkurrenten des neuen Christengottes während der Glaubensauseinandersetzungen der späten Kaiserzeit. Papst Siricius (384–399) setzte daher an dieser Stelle mit seinem ersten Kirchenbau ein deutliches, triumphal gemeintes Machtzeichen. Seit einigen Jahren bietet Roms Innenstadt darüber hinaus eine weitere Attraktion, die unbedingt einen Besuch lohnt, auch wenn es hierzu der Voranmeldung bedarf. Unter dem Palazzo Valentini unweit der Piazza Venezia und dem Traiansforum entdeckten Archäologinnen und Archäologen bedeutende Reste mehrerer, wohl senatorischer domus von einiger Größe und einstiger prachtvoller Ausstattung (Le domus romane del Palazzo Valentini). Der als Sound- und Lightshow in mehreren Sprachen (auch deutsch) konzipierte Rundgang vermittelt einen hervorragenden Eindruck vom Luxus solch repräsentativer hochherrschaftlicher Wohnsitze (u. a. Privatthermen) und der mehrhundertjährigen baulichen Entwicklung am Ort. Zur Besichtigung gehört auch ein Blick aus dem Kellerbereich auf das angrenzende Gelände des forum Traiani mit der TraiansSäule. Vorher sieht man die Reste einer kolossalen Säule. Da ein solches tonnenschweres Bauteil im Mittelalter und der frühen Neuzeit mit den damaligen technischen Hilfsmitteln kaum bewegt werden konnte, gilt dieser wichtige Neufund als Indiz für die schon früher geäußerte Annahme, dass in diesem Bereich doch der riesige Tempel für den vergöttlichten Traian gelegen haben muss, der damit unmittelbar an das Forum des Kaisers angrenzte, was in neuerer Zeit gelegentlich bestritten wurde. Der Besuch der Ausgrabungen unter dem Palazzo Valentini kann mit der kurzen Besichtigung der unweit liegenden, oben bereits genannten Insula dell’Aracoeli zu einer thematischen Einheit zusammengefasst werden, die auch die Betrachtung der ebenfalls in nächster Nähe befindlichen rückwärtigen Brandmauer des Augustusforums (Salita del Grillo – Via Tor’ dei Conti) beinhalten sollte. Dieses unverkleidete Mauerwerk stellte die Grenzlinie zwischen den marmorglänzenden Foren und der Subura Roms dar, dessen überaus prekären Wohnverhältnisse zwar archäologisch nicht mehr fassbar, wohl aber in der tendenziösen literarischen Bearbeitung durch Iuvenalis und Martialis (siehe Kapitel 6 und 8) bis heute lebendig geblieben sind. An Ort und Stelle dürfte die Lektüre einiger einschlägiger Textpassagen insbesondere zu Lärm und Schmutz sowie zur ständigen Brandgefahr in dieser Gegend nicht nur amüsant sein, sondern vielmehr helfen, die fundamentalen Unterschiede des einfachen Wohnens (Insula dell’Aracoli) im Vergleich zum Raumluxus der Kaiserpaläste auf dem Palatin und den senatorischen Stadthäusern (Le domus romane del Palazzo Valentini, Case romane del Celio, Wohnhaus und Mithraeum unter San Clemente) einerseits anschaulicher zu machen, sowie andererseits einen Eindruck von der scharfen Kontrastwirkung zu geben, die die unmittelbar an die Wohnviertel angrenzenden öffentlichen Prachtbauten mit
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ihren großzügig ausgestatteten und dimensionierten Prachträumen boten. Die Differenz zwischen dem Hellen, Reinen, Sauberen und Wasserreichen (Prunkbrunnen) der Foren, Heiligtümer sowie Porticus-Anlagen zur Enge, dem Schmutz und dem Gestank der Subura konnte kaum größer ausfallen. Auf diese Weise lässt sich besser nachvollziehen, was der römischen Bevölkerung diese Anlagen und die der Thermen bedeutet haben müssen, welche Erhöhung ihrer Lebensqualität damit verbunden war, und wie sehr sie eventuell dem Kaiser tatsächlich dankbar dafür gewesen sind (siehe Kapitel 6). Die diversen Aspekte der kaiserlichen Baupolitik (siehe Kapitel 6) können auf mehreren Rundgängen durch die Stadt besprochen werden. Der beste Startpunkt sind die sogenannten Kaiserforen an der heutigen Via dei Fori Imperiali (Abb. 52). Die Besichtigung beginnt am besten beim Forum des Traian und den Mercati Traiani, da diese Anlage zugleich das Museum der Kaiserforen beherbergt. Die dort ausgestellten Fundstücke, Rekonstruktionen und Modelle vermitteln einen hervorragenden Eindruck vom einstigen Aussehen dieses wichtigen repräsentativen Innenstadtbereichs des antiken Rom. Die anschließende Besichtigung der heute erhaltenen Außenanlagen wird dadurch zu einem vollständigeren Bild führen als ihn der Anblick der bloßen Ruinen bietet. Von der Piazza Venezia aus gesehen liegen in einer Linie aufgereiht links der Via dei Fori Imperiali bis zur Kreuzung an der Via Cavour das Forum des Traian, das des Augustus und das des Nerva (auch Forum Transitorium genannt). Rechts der breiten Straße befinden sich etwa in Höhe der beiden Fora Traiani sowie Augustum die Ruinen des Forum Iulium (Caesar-Forum), und dahinter ist bereits das Forum Romanum mit der Curia des Senates zu erkennen. Der Abschluss dieses gewaltigen Riegels aus einzelnen Platzanlagen bildete in der Antike das sogenannte Templum Pacis, das Forum der Kaiser Vespasian und Titus. Von dessen Ruinen ist kaum etwas sichtbar geblieben. Die Hauptfläche liegt weiterhin unter der Straßenkreuzung (Via Cavour) begraben. Vor wenigen Jahren wurden allerdings einige Säulen der rahmenden porticus ergänzt und wiederaufgerichtet (zu sehen in Höhe der Kirche Santi Cosma e Damiano), um wenigstens annäherungsweise die Ausrichtung und Dimension dieser Platzanlage sichtbar zu machen. Die Pracht der Fora ist vor Ort kaum noch zu erkennen. Hierzu muss man schon die Funde im Museum bemühen. Wegen des stellenweise vorhandenen Straßenlärms kann auch nicht wirklich empfohlen werden, beispielsweise im Angesicht der Reste des Forum Augustum das ehemalige Ausstattungsprogramm im Detail zu besprechen (s. Kapitel 6). Eher lohnt es sich auf die mit eigenen Augen nachvollziehbaren Grundprinzipien der jeweiligen Platzgestaltung hinzuweisen. Alle Fora waren bis auf das des Traian auf einen Tempel ausgerichtet, dessen Kultinhaber beziehungsweise deren Kultinhaberin stets in einem besonderen propagandistischen Verhältnis zum kaiserlichen Bauherrn stand. In den Fällen der Venus Genetrix und Caesar sowie des Mars Ultor und Augustus sind diese Beziehungen ausführlich dargestellt (s. Kapitel 5 und 6) worden. Beim Forum Transitorium/Nervae, dessen Bauplanung und Baubeginn noch Kaiser Domitian
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verantwortete, genügt der Hinweis auf die persönliche Schutzgottfunktion, die Minerva, der der Tempel des Forums gewidmet war, für diesen Herrscher hatte. Und Domitians Vater Vespasian widmete seine Anlage der Friedensgöttin Pax – sie wurde mit Beutegeldern aus dem jüdischen Krieg errichtet. Er wählte absichtsvoll gerade diese Gottheit, um seine legitimatorisch problematische Herrschaft – er verfügte über keinerlei verwandtschaftliche Beziehung zur ersten Kaiserdynastie der Iulier-Claudier, die mit Neros Selbstmord untergegangen war – direkt an das goldene Zeitalter des Friedenskaisers Augustus anzuschließen, es folglich als geradezu gottgewollte logische Fortsetzung desselben darstellen zu können. Mehr als auf diese historisch-propagandistisch interessanten Aspekte kommt es aber darauf an, den Rundgang dazu zu nutzen, sich anhand der Lage aller Fora klar zu machen, was es in politischer Hinsicht für das Stadtbild Roms bedeutet haben muss, dass in der Kaiserzeit parallel zum alten republikanischen Machtzentrum ein ganz eigener kaiserlicher Repräsentationsraum von ungeheuren Ausmaßen existierte, der freilich keine durchgehenden Blickachsen wie heute bot, sondern aus einzelnen kompakten und rundum bebauten Plätzen bestand. Tatsächlich wurde gleichsam eine imperiale Schneise in die Stadtlandschaft geschlagen, die nicht wenigen dort seit alters her wohnenden römischen Bürgern einen Zwangsumzug bescherte. Zugleich aber entstand an dieser Stelle ein gebauter Eindruck von der Macht der Kaiser. So ist es beispielsweise kein Zufall, dass schon in der Antike die Anekdote weit verbreitet war, die Höhe der Säule des Traian zeige die des Hügels an, den der Kaiser zum Bau seines Forums habe abtragen lassen. Die gewaltigen Erdarbeiten sinnbildhaft als Spiegel herrschaftlicher Stärke und Dominanz zu verstehen, ist somit keine Erfindung der Forschung. Die kaiserlichen Domini haben die Stadt in der Tat mit ihren Bauten »dominiert«. In diesem Zusammenhang ist unbedingt ein Wort zur heutigen Inszenierung der Ruinen der Kaiserforen angebracht. Die Schülerinnen und Schüler müssen darüber informiert werden, dass sie nicht nur durch einen Stadtraum laufen, der der Inszenierung der Größe der römischen Kaiser diente, sondern vor allem auf den Spuren des faschistischen Diktators Benito Mussolini wandeln. Bis in die 1920er-Jahre hinein befand sich hier nämlich noch ein dicht bebautes wie bewohntes mittelalterlich-frühneuzeitliches Stadtviertel mit Kirchen, Palazzi, einfachen Häusern und Werkstätten, die sich beispielsweise in die antiken Kolonnaden des Forum Transitorium eingenistet hatten. Mussolini, am Tag des Baubeginns selbst Hand anlegend – zumindest suggerieren dies einige Propagandapostkarten –, gab den Startschuss für eine brachiale Umgestaltung. Ohne Rücksicht auf menschliche – die Bewohner wurden in faschistische Wohnblocks an den Stadtrand zwangsumgesiedelt – wie kunsthistorische Verluste zerstörte man in kurzer Zeit gebaute Stadtgeschichte aus mehreren Jahrhunderten. Die antiken Ruinen erfuhren dabei einen notdürftigen Schutz. Die eiligst durchgeführten Grabungen beschränkten sich auf das Notwendigste. Große Partien der Fora blieben bis heute unausgegraben. Erklärtes Ziel
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war die Schaffung einer durchgehenden Aufmarschstraße für faschistische Paraden vom Kolosseum bis zur Piazza Venezia, wo der selbsternannte Duce vom Balkon des gleichnamigen Palazzos gerne zu den Menschenmassen sprach und deren Ovationen entgegennahm. Die Ruinen dienten dabei als Staffage. Sie sollten eine Kulisse bieten für die neuen imperialen Machtansprüche des faschistischen Regimes. Der von Mussolini auserkorene Straßenname war dazu gut gewählt. Via dell’Impero, Straße des Imperiums/des Reichs, nannte er seine Schöpfung. Sie bot dem Diktator mehr als einmal Gelegenheit, dort mittels gigantischer Aufmärsche seine Großreichsphantasien in performativen Akten zu zelebrieren. Ein fataler Höhepunkt war in dieser Hinsicht sicherlich Hitlers Staatsbesuch in Rom im Mai 1938. »Duce«, »Führer« und der noch kleinwüchsigere italienische König Viktor Emanuel III., der zwei Jahre zuvor von Mussolinis Gnaden nach der brutalen Eroberung des Landes inklusive Giftgaseinsatz zusätzlich Kaiser von Abessinien (Äthiopien) hatte werden dürfen, standen hier auf einer Plattform und inszenierten sich als »Große« der Geschichte. Dass die noch heute an den antiken Außenmauern der Maxentius-Basilika sichtbaren marmornen Karten, die die verschiedenen Expansionsphasen des Imperium Romanum illustrieren, ebenfalls faschistischen Ursprungs sind, rundet das Bild ab. Wer diese Indienstnahme respektive den Missbrauch des antiken Kulturerbes durch den Faschismus mit den Schülerinnen und Schülern näher thematisieren möchte, dem sei zudem beim Kolosseum der Blick auf die Plattform des Tempels für Venus und Roma empfohlen. Auch hier sprach Mussolini gerne zum Volk. Durch die mittlere Partie des Ehrenbogens für Kaiser Konstantin durfte damals in einem offenen Wagen Adolf Hitler über die Via dell’Impero, die Piazza Venezia und die Via Nazionale hoch zum Quirinalspalast, der Residenz des Königs, fahren. Die auf den Bogen vom Circus Maximus hinführende Straße war zu diesem Zweck ebenfalls neu dekoriert worden. Bei einem Spaziergang kann man noch heute das eine oder andere faschistische Schmucksymbol erkennen, das die Zeiten überdauert hat. Diese Lehreinheit lässt sich bestens an der Stazione di Roma Ostiense beenden (nicht zu verwechseln mit dem neben der Metrostation Piramide liegenden Areal Porta San Paolo, von dem die Vorortzüge nach Ostia Antica und Lido di Ostia abfahren). Der Bahnhof diente 1938 als Kulisse für den Empfang Adolf Hitlers durch Mussolini und Viktor Emanuel III. Ein besonderes Augenmerk verdient die vor dem Eingang liegende Reihe von Mosaiken mit pseudoantiken Motiven, die die Feier und Wiederherstellung der einstigen Größe Roms durch die Faschisten zum Thema hat. Programmatik und Motivik der Bilder lassen sich gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern größtenteils recht einfach entschlüsseln. Darüber hinaus lohnen die faschistischen Bauten und Skulpturen im E.U.R.-Viertel (Metro B) und am ehemaligen Foro Mussolini/Foro Italico (Olympiastadion) an sich ebenfalls einen Besuch, sind jedoch recht weit vom Innenstadtzentrum entfernt und – zumindest was den Olympiastadion-Komplex anbelangt – auch nicht ganz einfach mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.
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Wer auf dieses spezielle Thema verzichten möchte oder aus Zeitgründen muss, kann den Rundgang durch das kaiserliche Rom direkt am Kolosseum fortsetzen. Die langen Warteschlangen laden zwar nicht unbedingt zu einem Besuch ein, doch auch von außen betrachtet ist der Bau imposant genug, um in seinem Schatten die Grundzüge der kaiserlichen Spielepolitik zu besprechen. Solche Freizeitbauten – an dieses Thema lassen sich auch die drei steinernen Theater auf dem Marsfeld (siehe hierzu weiter unten) anschließen – sicherten dem Herrscher gemäß dem Motto »Der Kaiser baut fürs Volk« (Paul Zanker) die Gunst breiter Volksmassen. Sie waren Ausdruck seiner liberalitas, munificentia sowie cura um die Nöte breiterer Bevölkerungsschichten und damit hochpolitische Akte von großer symbolischer Bedeutung (s. Kapitel 6). Dies gilt insbesondere für das aus den Beutegeldern des jüdischen Krieges von Vespasian und Titus errichtete Kolosseum, das daher offiziell nach dem Namen der kaiserlichen Familie Amphitheatrum Flaviae hieß. Es steht genau an dem Ort, an dem sich vor seiner Erbauung der künstliche See von Neros Goldenem Haus befunden hatte. Die Flavier gaben somit in einem prestigeträchtigen Akt dem römischen Volk das zurück, was ihnen der letzte Iulier-Claudier geraubt hatte. Gleichzeitig wurden auf dem benachbarten Oppius die dort liegenden Gebäudetrakte der Domus Aurea zugeschüttet und mit den ebenfalls als Spende an das Volk öffentlich zugänglichen Thermen des Titus überbaut. Die später in nächster Nachbarschaft errichteten Thermen des Traian setzten diese Bautradition fort. Das vom Kolosseum fußläufig entfernt liegende Areal des Circus Maximus kann in diesem thematischen Zusammenhang gemeinsam mit dem von dort ebenfalls zu Fuß erreichbaren Gelände der Thermen des Kaisers Caracalla am selben Tag besucht werden. Die Größe beider Ruinen vermittelt ohne größeres didaktisches Zutun von sich aus den angestrebten Eindruck, wie sehr solche Kaiserbauten das Stadtbild Roms prägten. Im Circus Maximus stehend lässt sich leicht ermessen, was das direkte Erscheinen der kaiserlichen Familie vom Palatin aus für einen Eindruck hinterlassen haben und wie sehr zugleich die Lage der wuchtig-pompösen Palastbauten auf dem Palatin als symbolischer Spiegel der »überragenden« Machtstellung des Kaisers verstanden worden sein muss. Mit diesen visuellen Eindrücken ausgestattet werden die Schülerinnen und Schüler umso besser die Wirkung palastartiger Bauten für das Volk wie der weitläufigen Thermen des Caracalla verstehen, die allein schon wegen der schieren Größe ihrer Räume beeindruckten und zusammen mit der prachtvollen Ausstattung den Besuchern das Gefühl gaben, als römische Bürger doch in irgendeiner Weise an den Machtmitteln des Imperiums beteiligt sowie letztlich die eigentlichen Nutznießer und Herren all dessen zu sein. Zur vertiefenden Ergänzung dieses Eindrucks sollte unbedingt die Kirche Santa Maria degli Angeli e dei Martiri an der Piazza della Repubblica unweit der Stazione Termini besichtigt werden. Sie wurde von Michelangelo in den Haupttrakt der Thermen des Kaisers Diokletian hineingebaut. Auch wenn das heutige Fußbodenniveau nicht dem antiken entspricht, so ermöglicht die prachtvolle Ausstattung trotz aller späte-
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ren Zutaten (die großen Porphyrsäulen des Hauptschiffs sind antik) dennoch, sich besser vorstellen zu können, wie solche Innenräume in der Antike gewirkt haben müssen. Bei einem anschließenden Besuch des Thermenmuseums (Museo Nazionale delle Terme di Diocleziano, Haupteingang an der Piazza dei Cinquecento, gegenüber der Front des römischen Hauptbahnhofs) können neben weiteren riesigen Thermenräumen im Hof an der Rückseite der Basilika die Reste der Prunkfassade der einstigen natatio (Kaltwasserschwimmbecken im Freien) bewundert werden. Nach dem Eintritt in das Museum gelangt man rasch in einen Vorraum mit dem Rest der Bauinschrift, dem ein Saal folgt, in dem das große Modell der Thermen steht und eine informative Videoanimation in Endlosschleife zum einstigen Aussehen der Gesamtanlage sowie vor allem der Prunkfassade läuft. Von hier aus führt eine Tür zu den Innenhöfen, sodass gleich anschließend dieser Gebäudeteil im Original betrachtet werden kann. Es lohnt sich aber auch, mit den Schülerinnen und Schülern anhand eines Gesamtplans (Abb. 53) das ganze Areal einmal zu umlaufen, um dessen Größe zu ermessen. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf der Kirche San Bernardo alle Terme liegen, da diese direkt einen das Thermengelände an seiner Nordwestecke abschließenden Rundbau okkupiert und diesen so bis heute in seiner äußeren antiken Gestalt bewahrt. Ein hohes Maß an Anschaulichkeit besitzen wegen ihres hervorragenden Erhaltungszustandes weitere Bauten im Stadtzentrum. Auf das Pantheon und das Marcellus-Theater wird unten in anderen Zusammenhängen verwiesen. Unbedingt zu betrachten sind in Kombination mit dem weniger gut erhaltenen Heiligtumsbezirk Area Sacra di Largo Argentina die am Forum Boarium liegenden beiden Tempel. Diese Bauten stammen noch aus republikanischer Zeit, und an ihnen lässt sich bestens die fortschreitende Hellenisierung der römischen Kultur demonstrieren. Sowohl einzelne Tempeltypen als auch Dekorformen bezeugen diesen Kulturaustausch, da sie sämtlich von griechischen Vorbildern entlehnt worden sind. Die beiden Rundtempel (einer am Largo Argentina und der andere am Forum Boarium) sind hierfür ein gutes Beispiel, da dieser Typus im etruskisch-italischen Tempelbau gänzlich unbekannt war. Aber auch der sogenannte Portunus-Tempel (seit der Renaissance fälschlich als Tempel der Fortuna Virilis bezeichnet) an der Piazza della Bocca della Verità kann ebenfalls sehr gut auf hellenistisch-griechische Vorbilder wie den für Zeus Sosipolis in Magnesia am Mäander nach 197 v. Chr. errichteten Kultbau (Fassade heute im Pergamonmuseum Berlin) zurückgeführt werden. Das Thema der interkulturellen Kontakte lässt sich in der Nähe noch weiter vertiefen. Im Tiber liegt eine Insel, die heute ein Krankenhaus beherbergt. In der Antike erhob sich an dessen Stelle der Tempel für den Heilgott Asklepios. Neben dieser interessanten »Kulttradition« ist vor allem bemerkenswert, dass die Insel in römischer Zeit die Gestalt eines Schiffes erhielt (Reste davon sind im vorderen Bereich sichtbar). Dies spielt unmittelbar auf die Kultlegende an, wonach im Kontext einer Pest im Jahr 293/292 v. Chr. eine römi-
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sche Gesandtschaft per Schiff zum Hauptheiligtum des Asklepios ins griechische Epidauros gereist sei und den Gott gebeten habe, mit ihnen zu kommen. Er tat dies in Gestalt seines heiligen Tieres, einer Natter, die kurz vor der Ankunft in Rom vom Schiff in den Tiber gesprungen, bis zur Insel im Fluss geschwommen und dort dann verschwunden sein soll. Hauptquelle hierfür ist Livius (Ab urbe condita 10, 23). Auch wenn es sich hierbei selbstredend um eine Legende handelt, so belegt sie doch recht gut den intensiven Austausch zwischen den beiden Kulturen bereits im frühen 3. Jh. v. Chr. Es war der Auftakt zu einer im Folgenden immer stärker werdenden Hellenisierung der römischen Kultur, von der wiederum die genannten späteren Tempelbauten bis heute zeugen. Die Vergegenwärtigung der römischen, insbesondere kaiserlichen Baupolitik wäre jedoch unvollständig, ohne die reinen Infrastrukturbauten betrachtet zu haben. An der Tiberinsel kann man damit beginnen, da hier die Reste römischer Brücken zu sehen sind. Der Ponte Cestio verbindet die Tiberinsel mit dem Stadtteil Trastevere. Im Kern geht der Bau auf die zwischen 60 und 40 v. Chr. erfolgte Stiftung des Lucius Cestius zurück. Schon in der Kaiserzeit wurde er mehrfach erneuert (Antoninus Pius, Gratian). Auf der anderen Seite liegt die heute Ponte dei Quattro Capi genannte Brücke, die ihren Namen von den beiden vierköpfigen Hermenpfeilern hat, die den Brückenzugang schmücken. Lateinisch heißt sie nach dem Erbauer Pons Fabricius. Der curator viarum Lucius Fabricus befahl ihre Erbauung im Jahr 62 v. Chr. Vom Pons Aemilius (ab 179 v. Chr.) blieb dagegen nur ein Teilstück erhalten, was als Ponte Rotto bekannt ist. Zur Besichtigung weiterer Infrastrukturbauten sollte wegen der vom Stadtzentrum entfernten Lage entsprechender Ruinen ein eigener Tag einkalkuliert werden. Die Via Appia Antica stellt das sicherlich beste Beispiel für den römischen Straßenbau dar, der für den Zusammenhalt des Imperiums von ungeheurer Bedeutung gewesen ist. Den für die Wasserversorgung der Hauptstadt so wichtigen Aquädukten kann man schon zwischen Caelius und Palatin in Gestalt der Reste der Aqua Claudia begegnen. Ein größeres Stück von ihr ist hier zu sehen. Ein weiterer Abschnitt liegt in der Nähe der Stazione Termini an der Porta Maggiore. Dort steht auch das interessante Grabmal des Freigelassenen und Großbäckers Eurysaces (siehe Kapitel 7), anhand dessen Form (Backofen?, Backtröge?, Getreidebehältnisse?) und Reliefschmucks näher auf die Rolle der liberti für die Versorgung der Hauptstadt mit Grundnahrungsmitteln eingegangen werden kann. Besonders eindrücklich ist ein Besuch des mit seinen knapp 240.000 m2 sehr weitläufigen Parco degli Acquedotti (Metro A Station Giulio Agricola oder Subaugusta), auf dessen Gelände die sehr gut erhaltenen Reste gleich mehrerer antiker römischer Wasserleitungen erhalten blieben. Wem das zu weit draußen liegt, mag sich mit den Resten der 19 v. Chr. von Kaiser Augustus eingeweihten Aqua Virgo begnügen. Neuerdings hat man das Vergnügen, ein Stück dieser antiken Wasserleitung, die bis heute unter anderem den Trevibrunnen speist, im Erdgeschoss des Kaufhauses La Rinascente in der Via del Tritone und damit
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im Stadtzentrum selbst zu sehen. Wer sich dagegen auch für die im Zusammenhang mit dem Eurysaces-Grabmal bereits angesprochene Versorgung mit Nahrungsmitteln und anderen Wirtschaftsgütern interessiert, sollte es nicht versäumen, die Reste der Speicheranlagen und Hallenbauten (horrea et basilicae) am alten römischen Stadthafen (zwischen Via Marmorata und Via Franklin, in der Via Branca, der Via Rubattino und der Via Florio), das emporium selbst (Teile der Stützmauern am Lungotevere Testaccio sichtbar) und den Monte Testaccio zu besuchen, der als riesiger Scherbenhaufen aus zerbrochenen Transportamphoren eindrücklich vermitteln kann, welcher Logistik (Transport sowie Lagerung) und Warenmengen es bereits in der Antike bedurfte, um die Bedürfnisse der Großstadtbevölkerung annähernd zu befriedigen. Dass dabei auch ansonsten unbekannte Personen eine wichtige Rolle spielten, lehrt der Besuch der epigraphischen Abteilung im Thermenmuseum. Dort werden Grabinschriften von ehemals hart arbeitenden Römerinnen und Römern aufbewahrt, beispielsweise einer in den Horrea Galbana tätigen Fischhändlerin, die diesem ganzen auf Effizienz getrimmten System ein menschliches Gesicht geben. Einen letzten Aspekt kaiserlicher cura gilt es abschließend zu erwähnen. Die erhaltenen Reste des aurelianischen Mauersystems (etwa an der Metrostation B Piramide) führen die wichtigste Aufgabe des Kaisers vor Augen, den Schutz des Reiches und der Stadt. Hatte noch Augustus propagandistisch ältere Mauerringe schleifen und darauf parkähnliche Spazierwege anlegen lassen, um auf diese Weise seine militärische Macht unter Beweis zu stellen, so mussten die Herrscher des späten 3. Jahrhunderts zu umgekehrten, handfesteren architektonischen Zeichen greifen. Im Zusammenhang mit der Frage der Visualisierung dieser Form kaiserlicher Macht sollte zusätzlich den Castra Praetoria ein Besuch abgestattet werden (Metrostation B Castro Pretorio). Auch wenn dort heute bis auf die Außenmauern nicht mehr allzu viel zu sehen ist, reicht allein schon das Umgehen des Gesamtareals, um einen Eindruck von den allein dem jeweiligen Kaiser unmittelbar in der Hauptstadt zur Verfügung stehenden militärischen Machtmitteln zu geben. Diese Herrschaftsarchitektur sollte bewusst einschüchternd wirken und somit mögliche Revolten allein durch den Anblick des massiven Baukörpers bereits im Keim ersticken. Neben den Bauwerken spielte vor allem auch deren bildlicher Schmuck eine große Rolle in der Antike. Hiervon ist freilich in der Stadt direkt kaum etwas zu entdecken. Immerhin haben die drei erhaltenen Ehrenbögen für Kaiser Titus, Septimius Severus und Konstantin ihren antiken Reliefschmuck ebenso wenig verloren wie die beiden Ehrensäulen für Kaiser Traian und Marcus Aurelius. Alle fünf Monumente stehen noch an ihrem ursprünglichen Standort aufrecht und haben dort den Zeiten getrotzt. Nach entsprechender Vorarbeit im Unterricht (s. Kapitel 3) lassen sich die Darstellungen entsprechend würdigen. Sie zeigen eine idealisiert-rühmende Vorstellung von konkreten kaiserlichen Handlungen wie beispielsweise Ein- und Auszug aus Rom, Götteropfer, Ansprache an die Soldaten, Kampfhandlungen, Entgegennahme der Unterwerfung von Barbaren, Triumphzug
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u. a. m. Ihr Ziel ist die Darstellung kaiserlicher Herrschaft als eines gottgewollten ewigen Reigens immer wiederkehrender Akte, der dem Reich Stabilität verleiht. Diese statische Geschichtsauffassung schuf eine vor allem visuell wahrnehmbare Konstanz, die in ihrer Ordnungskraft beruhigend wirken sollte. Da der Bildschmuck der genannten Denkmäler meist nur aus größerer Entfernung betrachtet werden kann, wird empfohlen, die Figurenreliefs der Ara Pacis Augustae eingehender zu besehen. Auch dieser Besuch kann im Unterricht vorbereitet werden. Die hierzu notwendigen Informationen sind im Kapitel 6 zu finden. Zusammen mit dem unmittelbar daneben liegenden Mausoleum Augusti – wobei abermals unbedingt angemerkt werden muss, dass der heutige Standort der Ara nicht ihr antiker, sondern wiederum Mussolini zu »verdanken« ist – erschließen beide Denkmäler einen wichtigen Teil der augusteischen, auf Aussöhnung mit den senatorischen Familien bedachten Denkmalspolitik, in deren Rahmen bewusst altrömisch-italische Traditionen und der Verweis auf Romulus sowie Aeneas eine zentrale Propagandarolle gespielt haben (siehe hierzu auch Kapitel 7). Ein Besuch Roms wäre aber nicht vollständig, ohne die Transformation des antiken paganen Stadtkörpers in ein bis heute weitgehend durch papstzeitliche Bauten christlich geprägtes Stadtbild zu thematisieren. Lagen die großen Kirchengründungen (Laterans basilika und Petersbasilika) Kaiser Konstantins bezeichnenderweise noch weit vom eigentlichen heidnischen Stadtzentrum entfernt, so wurde dieses in den darauffolgenden Jahrhunderten zusehends christlich-päpstlich überformt. Wir haben dieses Phänomen bereits oben im Zusammenhang mit der Wohnbebauung (Kirchen in spätantiken tituli) kurz angesprochen. Auch das Forum Romanum bietet hierfür mit der neuerdings wieder zugänglichen Kirche Santa Maria Antiqua, die direkt in einen domitianischen Baukomplex inkorporiert wurde, ein wichtiges Zeugnis. Weitere hervorragende Beispiele, die zudem zu den touristischen Highlights jedes Rombesuchs zählen, mögen das Bild abrunden. Die heutige Piazza Navona mit Berninis Vierströmebrunnen in der Platzmitte und den umgebenden Kirchenbauten sowie Palazzi spiegelt bekanntermaßen genau den Grundriss des darunter verborgenen Stadions des Domitian. Ähnliches lässt sich an der gebogenen Außenseite des Palazzo Massimo alle Colonne am Corso Vittorio Emanuele II. beobachten, die direkt die Form des domitianischen Odeions wiedergibt, das einst an dieser Stelle lag. Selbst das weitgehend verschwundene Theater des Pompeius lässt sich den Grundzügen nach im heutigen Stadtbild erkennen. Beispielsweise bewahren die nach innen gebogenen Fassaden der Wohnhäuser in der Via di Grotta Pinta die Rundung der Cavea des Theaters, in die sie hineingebaut wurden. Und dem Theater des Marcellus ist seine nachantike Nutzung als festungsartige Behausung eines einflussreichen mittelalterlichen Adelsgeschlechtes noch heute bestens anzusehen. Museal aufbereitet ist dieses Überlagerungsphänomen in den Crypta Balbi, den Resten des Theaters des Balbus auf dem Marsfeld. Das Pantheon schließlich stellt eine Ausnahme dar. Durch seine bereits im 6. Jh. n. Chr. erfolgte Um-
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widmung in eine Kirche blieben nicht nur der Bau an sich, sondern auch größere Teile der prunkvollen Innenausstattung erhalten. Das Gebäude gibt auf diese Weise exemplarisch eine Vorstellung von der Pracht römischer Tempelbauten. Nicht bewahrt wurde dagegen die Platzgestaltung. Die das Gebäude ehemals rahmende rechteckige PortikusAnlage mit Säulenhallen ist vollständig verschwunden. Dadurch erhält der heutige Besucher einen falschen Eindruck von der einstigen visuellen Wirkung des Pantheons. In der Antike konnte von außen kein Mensch auch nur erahnen, dass hinter der Giebelfassade nicht ein herkömmlicher rechteckiger Tempel, vielmehr eine grandiose Rotunde folgte. Dieser sicherlich überwältigende Überraschungseffekt bleibt heute weitgehend aus. In der Nähe des Pantheons lag der Tempel für den vergöttlichten Hadrian, dessen eine Säulenreihe heute in die Außenmauern der Börse Roms verbaut ist. Auf die Nennung weiterer Beispiele solcher in der Stadt recht zahlreich anzutreffender Transformationen muss aus Platzgründen verzichtet werden (zur Engelsburg s. unten). Abgesehen von diesen spezifisch archäologischen Zugängen ließe sich das antike Rom auch auf performativem Wege bestens erschließen. Hierbei wäre es beispielsweise möglich, die Schülerinnen und Schüler zu animieren, sich einen möglichen Tagesablauf einzelner Angehöriger verschiedener Statusgruppen zu überlegen und unter diesem Blickwinkel die römischen Ruinen zu erkunden. Wer nahm was in der Stadt und wie überhaupt wahr? Gab es eng definierte Bewegungs- und Selbstdarstellungsräume, die nur von bestimmten Schichten genutzt worden sind? Das Theatralisch-Bühnenhafte des Stadtbildes lässt sich darüber hinaus bestens »erleben«, indem man verschiedene aus antiken Quellen bekannte pompae nachläuft und sich dabei versucht klarzumachen, in welchem inhaltlichen Bezug die an den Wegstrecken platzierten Bauten zu den jeweiligen performativen Akten standen. Im Fall der pompa triumphalis könnte dabei sehr schön gezeigt werden, dass die Parade just an Gebäudestiftungen und Ehrendenkmälern vorbeizog, die auf das Engste mit den kriegerischen Erfolgen der römischen Machtelite verknüpft waren und deren Bildschmuck häufig genau diese militärische gloria zum Thema hatte (Abb. 54). Für die pompa funebris und die Apotheose-Feiern der römischen Kaiser gilt Vergleichbares. Paul Zanker (s. Literaturhinweise) hat auf der Basis kaiserzeitlicher Schriftquellen in griechischer sowie lateinischer Sprache Weg und Zeremoniell rekonstruiert. Auch hier gab es eine enge Verschränkung zwischen der statischen Kulisse aus Bauten sowie Ehrenmonumenten einerseits und andererseits der beabsichtigten Wirkung der lebenden Bilder des Festaktes selbst inklusive der dort gehaltenen Ansprachen. Hierzu bietet es sich an, einen Spaziergang vom Tempel des Divus Hadrianus (Piazza di Pietra) über die Piazza Colonna mit der Ehrensäule für Marcus Aurelius bis zum Grabmal des Augustus (Piazza Augusto Imperatore) und von dort auf die andere Tiberseite zum Mausoleum des Hadrian (Engelsburg) zu unternehmen. Dabei sollte den Schülerinnen und Schülern erläutert werden, dass das ganze Gebiet in der Antike voll besetzt war mit Bauten, die in einem engen
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Abb. 54
thematischen Bezug zur Kaiserapotheose standen (Abb. 55). So befanden sich im Bereich der Piazza Colonna die kaiserlichen ustrina (Verbrennungsstätten) sowie die dort heute noch stehende Marc-Aurel-Säule und ehemals auch die für Antoninus Pius (die berühmten Sockelreliefs wurden in die Vatikanischen Museen verbracht). Zudem gab es weitere Tempel für divinisierte Herrscher und auch für deren weibliche Angehörige, beispielsweise aus dynastisch-legitimatorischen Gründen für die Schwiegermutter des Hadrian. In den kapitolinischen Museen sind im Treppenhaus Reliefs aus dessen Regierungszeit zu sehen, die den Kaiser bei der Apotheose-Feier für seine vergöttlichte Gattin Sabina zeigen. Sie stammen von einem Ehrenbogen (sogenannter Arco di Portogallo, einstiger Standort etwa
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Abb. 55
in Höhe der Via delle Vite, die Stelle ist an der Hausfassade inschriftlich gekennzeichnet, etwa schräg gegenüber war in der Antike die Ara Pacis Augustae zu sehen), der ebenfalls in nächster Nähe der Verbrennungsplätze direkt über der ehemaligen Via Lata (heute Via del Corso) und damit genau über dem Weg zum Mausoleum errichtet wurde. Auf weitere Sichtachsen und entsprechende thematische Bezüge sollte ebenfalls hingewiesen werden. So dürfte in der Antike vom Mausoleum des Hadrian aus das des Augustus sichtbar gewesen sein. Überhaupt scheinen die in diesem Bereich des Marsfeldes konzentrierten Bauten und Monumente für die verstorbenen Kaiser (Tempel, ustrina, Ehrensäulen) zusammen eine Art »Apotheose-Landschaft« gebildet zu haben.
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Weitere Rundgänge dieser Art haben Christof Neumeister und Kurt Roeske (s. Literaturhinweise) zusammengestellt, darunter den Tagesablauf eines hungrigen Flaneurs, eines aufschneiderischen Kunden in einem Luxuskaufhaus oder eines liebeshungrigen Dichters. All dies trägt wesentlich dazu bei, das antike Rom vor allem als einen diversen Lebensraum zu begreifen, in dem ganz unterschiedliche Identitäten möglich waren, innerhalb derer die Bauten sowie Bildwerke der Stadt sicherlich ebenso differenziert wahrgenommen worden sind und daher einen Einblick in die Mentalität(en) ihrer einstigen Bewohner ermöglichen. Am Ende der Vorstellung der vorgeschlagenen Rundgänge durch das antike Rom seien noch ein paar Hinweise zu möglichen Museumsbesuchen gestattet. Auf das Thermenmuseum wurde bereits oben kurz eingegangen. Darüber hinaus lohnt ein Besuch der Kapitolinischen Museen. Sie beherbergen zentrale Denkmäler wie etwa den Koloss Konstantins aus der sogenannten Maxentius-Basilika und vor allem hochwertige kaiserliche und andere (sogenannter Brutus, Cicero usw.) Bildnisse, darunter auch das Reiterstandbild des Kaisers Marcus Aurelius, die sich im Einzelnen nach den Vorgaben der Kapitel 4 und 5 näher betrachten lassen. Im Saal mit dem Reiterstandbild kann auch der Rest des kapitolinischen Iuppitertempels besichtigt werden. Es ist allerdings in der Forschung umstritten, ob die sichtbare Stützmauer zusammen mit weiteren nicht erhaltenen tatsächlich das Podium eines entsprechend kolossalen Tempels bildete oder lediglich eine große Plattform trug, auf der dann ein wesentlich kleineres Gebäude gestanden hätte. Wäre Ersteres der Fall, dann könnte man in der Tat von einem großen Rom der Tarquinier (ital. Grande Roma dei Tarquinii) sprechen. Dahinter steckt die vor allem in der italienischen Forschung favorisierte Vorstellung, Rom sei bereits unter der Herrschaft der etruskischen Könige zu einer echten Metropole geworden, deren materielle Kultur vor allem etruskisch gewesen sei. Über den unterirdischen Verbindungsgang zwischen den beiden Museumspalazzi gelangt man zudem direkt ins Tabularium und hat einen fantastischen Panoramablick auf das Forum Romanum, das Kolosseum und den Palatin. In den Substruktionen befinden sich ferner interessante Inschriften und weitere bauliche Reste (Tempel des Iuppiter Veiovis auf dem Kapitol). Darüber hinaus sind in den Museen einige hoch qualitätvolle Skulpturen aus diversen horti Roms ausgestellt, die wiederum vor dem Hintergrund des in den Kapiteln 8 und 9 Gesagten analysiert werden können. Zahlreiche Wandmalereien (kaiserliche Villa unter der Farnesina, Gartensaal der Livia aus ihrer Villa bei Primaporta und aus anderen domus und villae), Mosaike und weitere Villenskulpturen bewahrt die Zweigstelle des Thermenmuseums im Palazzo Massimo (Nähe Stazione Termini) in größerer Menge und einzigartiger Qualität. Dort stehen zudem die beiden berühmten Großbronzen aus den Konstantins-Thermen, der Boxer und der sogenannte Thermenherrscher. Besonderes Interesse verdient die Dependance der kapitolinischen Museen in den Centrale Montemartini an der Via Ostiense. In den beeindruckenden Räumen eines ehemaligen städtischen Kraftwerks aus dem frühen 20. Jahrhundert werden wichtige Antiken (Por
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träts, Idealplastik, Mosaiken, Reste kolossaler spätrepublikanischer Tempelkultbilder, Fries und Giebelfiguren des Apollo-Sosianus-Tempels u. v. m.) vor den Resten der Maschinenanlagen reizvoll präsentiert. Ein Besuch der völlig überfüllten Vatikanischen Museen wird dagegen wegen des immensen Besucherandrangs auf keinen Fall empfohlen. Normalerweise stauen sich hier die Menschenmassen derart – von den langen Warteschlangen abgesehen –, dass vor einem Besuch mit Schulklassen geradezu gewarnt werden muss. Wer dagegen bei seinen Schülerinnen und Schülern Museen dauerhaft in Misskredit bringen möchte, der dürfte hier freilich am richtigen Ort sein. Außerhalb der antiken Stadtmauern laden die Via Appia mit den Villen der Quintilier und des Maxentius sowie das Grabmal der Caecilia Metella (Abb. 35) zu einem Besuch ein. Unter welchen Gesichtspunkten diese Ruinen thematisiert werden können, wird in den Kapiteln 7 (Caecilia Metella), 8 und 9 (Villen) dargelegt. Das zuletzt genannte Monument kann hier im Kontext weiterer Grabanlagen an der Via Appia betrachtet und das Ganze schließlich in Kontrast zu den kaiserlichen Mausoleen in Rom (Augustus und Hadrian) sowie der »Apotheose-Landschaft« auf dem Marsfeld gesetzt werden. Die beiden zuerst erwähnten Anlagen dienen zugleich der Vorbereitung einer Fahrt nach Tivoli zur Villa des Kaisers Hadrian (Abb. 45). Die Ruinen des ausgedehnten Areals sind sehr gut erhalten und bieten in der Nähe von Rom die beste Möglichkeit, das Thema »Römische Villegiatur« zu behandeln. Um schließlich einen Gesamteindruck von einem antiken Stadtgefüge zu erhalten, sollte nach Ostia gefahren werden. Vor Ort ergibt sich sicherlich ein geschlosseneres Bild vom wechselspielhaften Zusammenwirken der verschiedenen städtischen Funktionsbereiche als in Rom selbst. Insbesondere sind die diversen Wohnformen (insula und domus) hier sehr gut erhalten und bieten reichlich Anschauungsmöglichkeit zu dem im Kapitel 8 behandelten Thema. Es wäre gut, wenn sich die Schülerinnen und Schüler ausgestattet mit einem aussagekräftigen Gesamtplan (ein solcher ist im Museumsshop im Eingangsbereich erhältlich, wo auch die Eintrittskarten verkauft werden), wenn auch in der Gruppe zusammenbleibend, weitgehend selbstständig das Gelände erschließen. Mögliche Leitfragen des Rundgangs könnten sein: Wo liegen in der Stadt die Nekropolen, die Wohnhäuser für die Reichen und für die Ärmeren, die Tempel der alten Staatsgötter (Kapitol) und die für das Kaiserhaus sowie für fremde Gottheiten (Isis, Sarapis, Kybele, Synagoge), die Verwaltungsgebäude (Curia), die Stätten des Vergnügens (Theater, Thermen, Gaststätten) und die Infrastrukturbauten (Magazinbauten, Marktplätze, Läden, Feuerwehrstationen, Brunnen, Latrinen)? Lassen sich die einzelnen Funktionsbereiche klar voneinander trennen? Was sagen Lage, Größe und Ausstattung/Bauschmuck der Gebäude über deren Bedeutung aus? Wie könnten die typischen Tagesabläufe der Einwohner von Ostia (nach Schichtenzugehörigkeit spezifizieren) in der Kaiserzeit ausgesehen haben? Daraus ergäbe sich im Sinne Paul Zankers (s. Literaturhinweise) ein lebendiges Stadtbild oder genauer
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gesagt mehrere Stadtbilder als mentaler Spiegel von Gesellschaft und Herrschaftsform, die sich gegenseitig ergänzen und teilweise überlagern. In ähnlicher Weise wären auch die Besuche von Pompeji und Herculaneum anzulegen. Zusammenfassend lässt sich als Ziel aller Exkursionen und Unterrichtseinheiten formulieren, dass die antiken Ruinen und alle übrigen sowohl archäologischen als auch textlichen Zeugnisse in gemeinsamer kulturwissenschaftlicher Verschränkung als »Schauplätze« im Luther’schen Sinn, der dieses wunderbar treffliche Wort in die deutsche Sprache eingeführt hat, um im Rahmen seiner Bibelübersetzung den griechischen Terminus théatron adäquat wiedergeben zu können, zu begreifen und darzustellen sind. Nur so entsteht vor dem geistigen Auge ein wahres theatrum mundi Romani, und es entwickelt sich ein Verständnis für die dem Ganzen zugrundeliegenden visuellen Kommunikationsformen, in deren Rahmen die Bauten und Bilder gewissermaßen als Kulissen und Requisiten fungierten, ohne die den Menschen Bühne, Kostüme und vor allem Rollen für ihr soziales Spiel gefehlt hätten. Der bedeutende Soziologe Erving Goffman (1922–1982), dessen 1959 erstmals publizierte einflussreiche Untersuchung zu »The presentation of self in everyday life« im Deutschen den bezeichnenden Titel »Wir alle spielen Theater« trägt, hätte hieran sicherlich seine Freude gehabt. Abschließend sei somit der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass die Schülerinnen und Schüler auf ihren Entdeckungsreisen in die Römerzeit – egal ob mit oder ohne Fahrstuhl, auf direkten oder indirekten »Bild«-Wegen nach Rom – unter kundiger Anleitung der Lehrkräfte ein »Bildungserlebnis« erfahren, das diesen Namen auch wirklich verdient. Friedrich Hebbels (1813–1863) große Worte, von »der grauen Weltstadt bröckelnde Ruinen, die uns als Maß für ihre Größe dienen, woran der Mensch sich selber messen lerne« sollte dabei das richtig verstandene Leitmotiv bilden. In diesem Sinn ist es den beiden Autoren ein Anliegen gewesen, die Einbindung archäologischer Lehreinheiten in den altsprachlichen Unterricht hoffentlich als ein lohnendes, gleichermaßen intellektuelles wie fachdidaktisches Vergnügen dargestellt zu haben. Darüber hinaus aufzuzeigen, in welchem Maß die römische Kunst nicht nur ein semantisches, sondern nachgerade ein rhetorisches System war, hätte den Rahmen dieses Buches gesprengt und das avisierte Schülerpublikum sicherlich überfordert, zumal die lateinische Rhetorikliteratur keine einfache Lektüre ist, weshalb dieses Unterfangen einer anderen Publikation vorbehalten bleiben muss. Die geneigte Leserschaft möge trotz solcher und anderer unvermeidbarer Lücken im Buch am Ende ihrer Lektüre von De Archaeologia Libri Decem dennoch in leichter Abwandlung, zugleich aber umso deutlicheren Kontrastierung des einleitend zitierten Bonmots Theodor Mommsens zu der eigenen Ansicht gelangen: Archäologie sei die Wissenschaft, von der zu wissen sich doch lohne!
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Literaturhinweise: Grundlegend: Pörtner, Rudolf, Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit. Städte und Stätten deutscher Frühgeschichte (1. Auflage Düsseldorf 1959); Ritter, Stefan, Alle Bilder führen nach Rom. Eine kurze Geschichte des Sehens (Stuttgart 2008). Das römische Deutschland: Wamser, Ludwig u. a. (Hrsg.), Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer, Katalog Sonderausstellung Rosenheim 2000 (Mainz 2000); Dietrich, Holger, Römische Kaiser in Deutschland. Der archäologische Führer, herausgegeben von Holger Sonnabend und Christian Winkle (Darmstadt/Mainz 2013); Stadtleben im römischen Deutschland, Katalog Sonderausstellung Trier/Stuttgart 2014/2015 (Darmstadt 2014); Wolters, Reinhard, Die Römer in Germanien (München 7. Auflage 2018). Gipsabguss-Sammlungen: http://viamus.uni-goettingen.de/; Schollmeyer, Patrick, Archäologie im altsprachlichen Unterricht, in: Choitz, Tamara – Meyer, Annette – Sundermann, Klaus (Hrsg.), Perspektiven für den Lateinunterricht III, Beiträge zur Tagung in Mainz am 30.11./1.12.2017 (Stuttgart 2019) S. 84–85. Archäologischer Reiseführer Rom: Coarelli, Filippo, Rom. Der archäologische Führer (6. Auflage Darmstadt 2019). Inschriften Roms: Kolb, Anne – Fugmann, Joachim, Tod in Rom. Grabinschriften als Spiegel römischen Lebens (Mainz 2008) besonders S. 119–124 Nr. 29 (Großbäcker Eurysaces). S. 149–151 Nr. 38 (Fischhändlerin Aurelia Nais aus den Lagerhallen des Galba); Bartels, Klaus, Roms sprechende Steine. Inschriften aus zwei Jahrtausenden (5. Auflage Darmstadt 2018). Literarische Spaziergänge durch das antike Rom: Neumeister, Christof, Das antike Rom. Ein literarischer Stadtführer (München 1991); Roeske, Kurt, Zu Besuch im antiken Rom. Treffpunkt Monumente: Antike Autoren geben sich ein Stelldichein (Würzburg 2019). Triumphzug: Künzl, Ernst, Der römische Triumph. Siegesfeiern im antiken Rom (München 1988). Apotheose römischer Kaiser: Zanker, Paul, Die Apotheose römischer Kaiser. Ritual und städtische Bühne (München 2000). Ostia: Freyberger, Klaus Stefan, Ostia. Facetten des Lebens in einer römischen Hafenstadt (Mainz 2013); Bolder-Boos, Marion, Ostia – Der Hafen Roms (Darmstadt 2014); Simons, Benedikt, Ein Führer durch Ostia, in: Der Altsprachliche Unterricht. Griechisch – Latein, Heft 2+3 (2014) S. 56–65. Stätten am Golf von Neapel: Kraus, Theodor – Matt, Leonard von, Lebendiges Pompeji. Pompeji und Herculaneum. Antlitz und Schicksal zweier antiker Städte (Köln 1977); Zanker, Paul, Pompeji. Stadtbilder als Spiegel von Gesellschaft und Herrschaftsform, Trierer Winckelmannsprogramme 9 (Mainz 1988 = Pompeji. Stadtbild und Wohngeschmack, Mainz 1995); Coarelli (Hrsg.), Pompeji. Archäologischer Führer (Bergisch Gladbach 1990); Ders., Pompeji (München 2002); Neumeister, Christof, Der Golf von Neapel in der Antike. Ein literarischer Reiseführer (München 2005); Pappalardo, Umberto, Pompeji. Leben am Vulkan (Mainz 2010); Beard, Mary, Pompeji. Das Leben in einer römischen Stadt (Stuttgart 2011); Weeber, Karl-Wilhelm, Pompeii und die römische Goldküste. Ein Zeitreiseführer in das Jahr 78 (Darmstadt 2011); Wallace-Hadrill, Herculaneum (Darmstadt/Mainz 2012); Dickmann, Jens-Arne, Pompeji. Archäologie und Geschichte (3. Auflage München 2017). Römische Kunst als semantisches System: Hölscher, Tonio, Römische Bildsprache als semantisches System (Heidelberg 1987).
Abbildungslegenden
Abb. 1: Sardonyx-Kameo des Claudius | Paris, Cabinet des Médailles Inv. 265 (Gipsabguss Privatsammlung Mainz). Abb. 2: Stehende Victoria mit der Legende VICTORIA AVGVSTI auf einem Dupondius des Nero, geprägt zwischen 64 und 67 n. Chr. | Münzsammlung Alte Geschichte Universität Freiburg Inv. 00717. Abb. 3: Adler mit Beischrift CONSECRATIO von der Rückseite eines Denars für den vergöttlichten (DIVUS) Kaiser Antoninus Pius | Münzsammlung Alte Geschichte JGU Mainz Inv. 483. Abb. 4: Monument des Bocchus auf einem Denar des Faustus Cornelius Sulla aus dem Jahr 56 v. Chr. | Münzsammlung Alte Geschichte JGU Mainz Inv. 185. Abb. 5: Übersicht der auf der Traianssäule dargestellten Themen (Schema nach Tonio Hölscher). Abb. 6: Gefangener Daker mit der Legende S P Q R OPTIMO PRINCIPI auf einem Denar des Traianus, geprägt zwischen 103 und 107 n. Chr. | Münzsammlung Alte Geschichte Universität Freiburg Inv. 01316. Abb. 7: Darstellung des einen Daker niederreitenden Traian mit der Legende S P Q R OPTIMO PRINCIPI auf einem Denar des Traianus, geprägt zwischen 107 und 110 n. Chr. | Münzsammlung Universität Würzburg Inv. Ka 1447. Abb. 8: Sog. Gemma Augustea | Wien, Kunsthistorisches Museum Inv. IXa 79 (Gipsabguss Klassische Archäologie JGU Mainz). Abb. 9: Ansicht des sog. Caesar von Acireale | Acireale, Pinacoteca Zelantea (Gipsabguss Klassische Archäologie JGU Mainz). Abb. 10: Bildnis des Gaius Iulius Caesar aus Tusculum | Turin, Museo di Antichità (Gipsabguss Klassische Archäologie Universität Göttingen). Abb. 11: Münze des L. Livineius Regulus aus dem Jahr 42 v. Chr. mit dem Bildnis Caesars | Münzkabinett des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Tübingen Inv. III 183/20. Abb. 12: Pompeius im sog. Typus Kopenhagen | Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek 733 Inv. 597 (Gipsabguss Klassische Archäologie JGU Mainz). Abb. 13: Denar des Quintus Nasidius und des Sextus Pompeius aus dem Jahr 44/43 v. Chr. mit dem Bildnis seines Vaters | Münzsammlung Alte Geschichte JGU Mainz Inv. 206. Abb. 14: Alexander der Große im sog. Typus Schwarzenberg | München, Glyptothek (Gipsabguss Klassische Archäologie JGU Mainz). Abb. 15: Schema mit den drei wichtigsten Bildnistypen des Kaisers Augustus (nach Paul Zanker).
Abbildungslegenden
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Abb. 16: Denar des Octavianus, 32–29 v. Chr. | Münzsammlung Alte Geschichte JGU Mainz Inv. 224. Abb. 17: Marmorporträt des Octavianus (Augustus) im sog. Actium-/Octavians-Typus | La Alcudia (Mallorca), Sammlung des Marques de Campo Franco (Gipsabguss Klassische Archäologie JGU Mainz). Abb. 18: Marmorporträt des Augustus im sog. Primaporta-Typus | Rom, Palazzo Conservatori Inv. 2394 (Gipsabguss Klassische Archäologie JGU Mainz). Abb. 19: Marmorporträt des Augustus im sog. Typus Forbes | Rom, Museo Capitolino Inv. 495 (Gipsabguss Klassische Archäologie JGU Mainz). Abb. 20: Marmorporträt des Tiberius im sog. Typus Ephesos | München, Glyptothek Inv. GL 314 (Gipsabguss Klassische Archäologie JGU Mainz). Abb. 21: Marmorporträt des Claudius im Haupttypus | Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek 650 Inv. 1948 (Gipsabguss Klassische Archäologie JGU Mainz). Abb. 22: Marmorporträt des Nero im 3. Bildnistypus | Rom, Thermenmuseum Inv. 618 (Gipsabguss Klassische Archäologie JGU Mainz). Abb. 23: Porträt des Kaisers Vespasian | Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek 659a Inv. 2585 (Gipsabguss Klassische Archäologie JGU Mainz). Abb. 24: Gemma Claudia, Sardonyx-Kameo | Wien, Kunsthistorisches Museum Inv. 19 265 (Gipsabguss Klassische Archäologie JGU Mainz). Abb. 25: Iulia Domna als Victoria | Sardonyx-Kameo | Kassel, Staatliche Museen, Antikensammlung Inv. Ge 236 (Gipsabguss Privatsammlung Mainz). Abb. 26: Statue der Antonia Minor | Baia, Museo Archeologico dei Campi Flegrei Inv. 222738 (Gipsabguss JGU Mainz, Sammlungen Klassische Archäologie). Abb. 27: Statue der sog. Kore Albani, römische Marmorkopie nach einem Original von 440/430 v. Chr. | Rom, Villa Albani Inv. 749 (Gipsabguss Universität Göttingen, Institut für Klassische Archäologie Inv. A 1053). Abb. 28: Seitenansicht des Kopfes von Abb. 26. Abb. 29: Denar mit dem Bildnis der Antonia Minor, geprägt unter Kaiser Claudius | Münzkabinett der Universität Mannheim Inv. 5. Abb. 30: Venus Genetrix mit der Legende VENVS GENETRIX auf einem Doppeldenar des Gallienus, geprägt 257 n. Chr. für Salonina Augusta | Münzsammlung Alte Geschichte Universität Freiburg Inv. 05022. Abb. 31: Rekonstruktion der Frontansicht des Mars-Ultor-Tempels. Auf den Giebelecken sind deutlich die seitlichen Victorien als sog. Akroterfiguren zu erkennen. Abb. 32: Rekonstruktion der Aeneas-Gruppe auf Basis der in Merida gefundenen Statuenfragmente. Abb. 33: Rekonstruktion der Statue des Romulus. Abb. 34: Grundriss des Augustusforums mit eingetragenem Bildprogramm (nach Paul Zanker).
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Abbildungslegenden
Abb. 35: Fries vom Grab der Caecilia Metella an der Via Appia in Rom. Abb. 36: Altargrab des Gaius Calventius Quietus an der Gräberstraße vor dem Herculaner Tor in Pompeji. Abb. 37: Grab des Gaius Cartilius Poplicola in Ostia. Abb. 38: Grab der Naevolaeia Tyche und des Gaius Munatius Faustus an der Gräberstraße vor dem Herculaner Tor in Pompeji. Abb. 39: Idealtypische Darstellung eines römischen Atriumhauses. Abb. 40: Idealtypische Darstellung eines um einen Peristylhof erweiterten Atriumhauses. Abb. 41: Grundriss der Villa della Pisanella in Boscoreale bei Pompeji. Abb. 42: Villa des Publius Fannius Synistor in Boscoreale. Abb. 43: Rekonstruktion der Mysterienvilla in Pompeji. Abb. 44: Rekonstruktion der Skulpturenausstattung der Villa von Sperlonga. Abb. 45: Villa des Kaisers Hadrian in Tibur (Tivoli) bei Rom. Abb. 46: Villa del Casale bei Piazza Armerina auf Sizilien. Abb. 47: Grundriss der Casa dei Ceii in Pompeji und Rekonstruktion der illusionistischen Raumwirkung des Wandgemäldes im triclinium des Hauses. Abb. 48: Grundriss des Kaiserpalastes des Diokletian in Spalato (Split). Abb. 49: Niobe versucht ihre letzte Tochter vor den Pfeilen der Artemis und des Apollon zu schützen | Florenz, Uffizien Inv. 294. Abb. 50: Der hängende Marsyas | München, Glyptothek Inv. 280 (Gipsabguss Klassische Archäologie JGU Mainz). Abb. 51: Gesamtplan des Forum Romanum (nach Klaus Stefan Freyberger). Abb. 52: Grundriss der Kaiserforen in Rom mit unterlegtem heutigen Straßenraster. Abb. 53: Teilplan und rekonstruierte Gesamtansicht der Thermen des Diokletian in Rom. Abb. 54: Hypothetischer Weg der pompa triumphalis durch Rom: a) via triumphalis b) circus flaminius c) Marcellus-Theater d) forum Holitorium e) forum Boarium f) circus maximus g) Tempel des Iuppiter (nach Jon Albers). Abb. 55: Plan des Marsfeldes mit Kennzeichnung der dynastischen Monumente/Apotheosebauten römischer Kaiser: a) Hadriansmausoleum b) Augustusmausoleum c) Kenotaph des Agrippa d) Horologium des Augustus e) Ara Pacis Augustae f) Gnomon (Obelisk des Horologium) g) Pantheon h) Iseum i) Tempel der Minerva j) Divorum mit Tempeln für Vespasian und Titus k) Tempel der Matidia l) Tempel des Hadrian m) Tempel des Marc Aurel (?) n) Konsekrationsaltäre o) Ustrinum des Augustus p) Ehrensäule des Antoninus Pius q) Ehrensäule des Marc Aurel (nach Jon Albers).
Abbildungsnachweise
Abb. 1. 8. 9. 12. 14. 17–28. 50: © Klassische Archäologie JGU Mainz (Fotos: Angelika Schurzig). Abb. 2. 6. 30: © Münzsammlung Alte Geschichte Universität Freiburg (https://numid.uni-mainz. de/object?id=ID352; https://ikmk.uni-freiburg.de/object?id=ID1221; https://ikmk.uni-freiburg.de/ object?id=ID4868. Abb. 3. 4. 13. 16: © Münzsammlung Alte Geschichte JGU Mainz (https://numid.uni-mainz.de/ object?id=ID352; https://numid.uni-mainz.de/object?id=ID447; https://numid.uni-mainz.de/ object?id=ID352; https://numid.uni-mainz.de/object?id=ID517; https://numid.uni-mainz.de/ object?id=ID426). Abb. 5: JdI 106 (1991) S. 266 Abb. 1 (Repro: Angelika Schurzig). Abb. 7: © Digitales Münzkabinett der Universität Würzburg: http://www.nomisma.museum.uniwuerzburg.de/object?id=ID52. Abb. 10. 27: © Gipsabguss Klassische Archäologie Universität Göttingen (Fotos: Stephan Eckardt). Abb. 11: © Münzkabinett des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Tübingen: https://www.ikmk.uni-tuebingen.de/object?id=ID1449. Abb. 15: Schollmeyer, Patrick, Einführung in die antike Ikonographie (Darmstadt 2012) S. 98 Abb. 22 (Vorlage: Angelika Schurzig nach Paul Zanker). Abb. 29: © Münzkabinett der Universität Mannheim: http://ikmk.uni-mannheim.de/object?id=ID40. Abb. 31. 52: Meneghini, Roberto, Die Kaiserforen Roms, Sonderheft Antike Welt (Darmstadt 2015) S. 36 Abb. 37; S. 24 Abb. 23 (Repros: Angelika Schurzig). Abb. 32: RM 103, 1996, S. 121 Abb. 1 (Repro: Angelika Schurzig). Abb. 33: La Rocca, Eugenio u. a. (Hrsg.), Le due patrie acquisite, BullCom Suppl. 18 (Rom 2008) S. 307 Abb. 6a (Repro: Angelika Schurzig). Abb. 34: Zanker, Paul, Forum Augustum (Tübingen 1968) Falttafel A (Repro: Angelika Schurzig). Abb. 35: © Incisore sconosciuto – Strafforello Gustavo, La patria, geografia dell’Italia. Provincia di Roma. Unione Tipografico-Editrice, Torino, 1894., Public Domain, https://commons.wikimedia. org/w/index.php?curid=69753113. Abb. 36: © Miguel Hermoso Cuesta – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/ index.php?curid=34979019. Abb. 37: © Rabax63 / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0).
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Abbildungsnachweise
Abb. 38: © Mentnafunangann – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index. php?curid=42959857. Abb. 39.40.43. 45.46.48. 53: Schollmeyer, Patrick, Handbuch der antiken Architektur (Darmstadt 2013) Abb. 505. 507. 511. 513. 520. 533. 496 (Repros: Angelika Schurzig). Abb. 41: Mielsch, Harald, Die römische Villa (München 1987) S. 12 Abb. 2; S. 38 Abb. 15 (Repro: Angelika Schurzig). Abb. 42: TrWPr 12 (Mainz 1992) S. 4 Abb. 1 (Repro: Angelika Schurzig). Abb. 47: © Angelika Schurzig unter Verwendung von: Mazzoleni, Donatella, Pompejanische Wandmalerei (München 2005) S. 382 und 386. Abb. 49: © Carole Raddato from FRANKFURT, Germany / CC BY-SA (https://creativecommons.org/ licenses/by-sa/2.0). Abb. 51: Freyberger, Klaus, Das Forum Romanum (Mainz 2009) S. 12–13 Abb. 1 (Repro: Angelika Schurzig). Abb. 54. 55: Albers, Jon, Campus Martius (Wiesbaden 2013) S. 203 Abb. 115; S. 210 Abb. 18 (Repros: Angelika Schurzig).